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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
HERAUSGEGEBEN
0. v. Angerer, Ch.Bäumler, O.v.Bollinger, H.Curschmann, H. Helferich, W.v.Leube, 6. Merkel, J. v. Michel, F.Penzoldt, H. v.Ranke, B.Spatz, F.v.Winckel,
München. Freiburgi.B. München. Leipzig. Kiel. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München.
REDIGIERT
HOFRAT Dß- BERNHARD SPATZ
PRAKT. ARZT.
LIV. JAHRGANG.
II. Hälfte (Juli — Dezember).
MÜNCHEN
VERLAG VON J. E. LEHMANN
1907
*0. ng^ £ ö^o-tauT[
>«e Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen
Nummer 80 j. • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
6 . Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf¬
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/»— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. • Für
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. /,
Herausgegeben von
O.dngerer, CUäumlcr, O.v.Bollinger, H. Curschmann, H. Helferieli, W.v.Leube, G. Merkel, J. v. Michel, F. Penzoldt, H.v Ranke, B. Spatz, Fj.Winckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
No. 27. 2. Juli 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Ueber Koliinfektionen.*)
Von H. Fehling.
M. H.! Die Koliinfektion äussert sich im Fortpflanzungs-
stadium in sehr verschiedenen Formen. Das bekannteste Krank¬
heitsbild ist das der Pyelonephritis gravidarum, welches früher
durch Opitz und in jüngster Zeit durch Lenhartz (Münch,
med. Wochenschr. 1907 Nr. 16) eingehende Bearbeitung erfahren
hat. Ich will daher heute auf letzteres nicht im einzelnen ein-
gehen, sondern nur wenige Punkte hervorheben. Bekanntlich
dreht sich der Streit darum, ob die Pyelonephritis eine auf¬
steigende sei oder, wie französische Autoren besonders vertreten,
eine absteigende, durch Infektion vom Blut aus vermittelt. Für
die erste Anschauung sprechen für mich einige klinische Beob¬
achtungen, so die, dass bei einer Erstschwangeren nach Durch-
nässung durch unwillkürlichen Urinabgang infolge der Un¬
möglichkeit, sich in den nächsten Stunden trocken zu machen,
eine Zystitis und daran anschliessend eine Pyelonephritis folgte.
Wahrscheinlich war das durchnässte Hemd der Nährboden
für vom Anus stammende Kolibazillen, welche dann noch in der
Urethralschleimhaut der Schwangeren an der äusseren Ure¬
thralmündung einen guten Nährboden fanden. Eine andere
Erstschwangere besorgte die Reinigung im Bade so gründlich,
aber wohl in falscher Richtung, so dass sich Blasenkatarrh und
eine Pyelonephritis anschloss. In diesen Fällen ist stets zuerst
Blasenkatarrh vorhanden und im Urin der Blase Reinkultur
von Kolibazillen, der Urin kann im akuten Stadium ganz weiss
wie Milch aussehen. Anders bei postoperativen Blasen¬
katarrhen, wo Katheterismus nötig war. Da treten stets zuerst
Staphylokokken oder Streptokokken im Urin auf und erst viel
später Kolibazillen.
Wie es scheint, bleibt der Krankheitsprozess meist ein
lokaler, die Kolibazillen treten selten in die Blutbahn über;
Lenhartz konnte in all seinen Fällen nur einmal 2 Kolo¬
nien Kolibazillen im Blut nachweisen. In einem auf unserer
Klinik beobachteten Fall schwerer Pyelonephritis in der
Schwangerschaft, wobei mindestens 14 Tage lang ante partum
ein fieberhafter Prozess vorhanden war, erwies sich bei der
Geburt das Blut der Mutter lind des Fötus steril. Am 4. Tag
des Wochenbetts trat Entfieberung auf, die Bakteriurie dauerte
aber noch länger an. Nach 14 Tagen ergab das Mutterblut¬
serum Agglutination auf Urin Kolibazillen bis auf 1 : 250 positiv.
Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass in diesem Fall
Kolibazillen im Blut der Mutter waren, muss aber doch daran
denken, ob die agglutinierenden Substanzen nicht aus dem
Fötusblut durch • die Plazentarscheidewand in das mütter¬
liche Serum übergetreten sind. Weitere vergleichende Unter¬
suchungen des mütterlichen und fötalen Blutes in bezug auf
seine Agglutination werdenKlarheit darüber geben, ob hierbei die
Kolibazillen ins Blut der Mutter übertreten.
Die Pyelonephritis in der Schwangerschaft kann unter Um¬
ständen sehr bedenklich werden. Dauert der fieberhafte Pro¬
zess sehr lange, besonders wenn zu der Erkrankung der rechten
*) Der für die Versammlung der Deutsch. Gesellsch. f. Gynäkol.
in Dresden angemeldete Vortrag wurde wegen Zeitmangel nicht ge¬
halten.
No. 27.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Niere auch die der linken hinzutritt, dann kann spontane Früh¬
geburt eintreten. In anderen Fällen ist man genötigt, ohne
Rücksicht auf das Kind und im Interesse der Mutter,
die Frühgeburt einzuleiten. Vor einiger Zeit sah ich
einen Fall in Konsultation, wo ein zugezogener be¬
kannter Chirurg die Niere herausnehmen wollte; ich
protestierte dagegen und nach eingeleiteter künstlicher
Frühgeburt erlosch der Prozess von selbst. Nach Jahresfrist
gebar Patientin nach glatt verlaufender Schwangerschaft
normal.
Während allem Anschein nach die Infektion der Urethral¬
schleimhaut in der Schwangerschaft sehr leicht möglich ist, ist
für gewöhnlich der obere Teil der Vagina und der Zervix
gegen Kolibazillen geschützt. Schumacher wies seinerzeit
durch Versuche an der hiesigen Klinik nach, dass auch im Bad
für gewöhnlich keine Keime in die Höhe dringen.
Darum haben wir auch nur zwei einwandfreie Fälle von
Kolieinwanderung in die Uterushöhle bei Schwangeren gesehen.
Im 1. Fall handelt es sich um eine intern nicht untersuchte
Erstschwangere, welche mit Blasenkatarrh und rechtsseitiger Pyelo¬
nephritis in die Beobachtung kam. 10 Tage lang bestand im 7. Monat
hohes Fieber, worauf spontane Frühgeburt eintrat. Das Blut der
Mutter war steril, das Nabelvenenblut des Kindes enthielt Kolibazillen,
ebenso das Uterussekret. Mit der Geburt Entfieberung und rasche
Abheilung. Im Herzblut des nach 24 Stunden gestorbenen Kiltes
ebenfalls Kolibazillen.
In einem 2. Fall kam eine junge Erstgebärende fiebernd im
7. Monat in die Klinik — objektiv nur krampfartige Schmerzen im
Abdomen — , bei deren Untersuchung sämtliche Organe sich als nor¬
mal erwiesen. Daher die Diagnose auf Infektion der Uterushöhle ge¬
stellt. Einleitung der Geburt durch Blasenstich, Fruchtwasser, unter
allen Kautelen aufgefangen, enthielt Bact. coli, daneben Strepto- und
Staphylokokken. Blut der Mutter und Nabelvene steril. Kind starb
nach 24 Stunden. Im Herzblut Kolibazillen neben Kokken. Sofort
mit Entleerung der Uterushöhle traten Entfieberung und Heilung ein.
Ich möchte diese beiden Fälle so deuten, dass ausnahms¬
weise Kolibazillen in der Schwangerschaft in die Uterushöhle
gelangten, dass dieselben die Eihäute durchwanderten und
vom Fötus mit dem Fruchtwasser verschluckt wurden. Daher
in beiden Fällen die Infektion der Uterushöhle, die schwere
Infektion des Fötus, während die Mutter sich rasch erholte.
Diese Fälle zeigen also dieselbe Infektionsmöglichkeit beim
Menschen, wie Hellen dahl dieselben durch Versuche fürs
Tier erwies. Bei genauer Untersuchung solcher scheinbar
grundlos in der Schwangerschaft fiebernder Fälle wird sich
wohl meist ein ätiologisches Moment in einer Mikrokokken¬
infektion der Uterushöhle finden lassen, so dass man nicht nötig
hat, wie in dem jüngst von Blumreich veröffentlichten Fall,
auf eine essentielle Fieberursache in der Entwicklung der Fötus
zurückzugreifen.
Endlich kann es, wenn auch zum Glück selten, im Wochen¬
bett zu einer Koliinfektion kommen. Eine solche habe ich nach
Hebosteotomie beobachtet, der einzige Fall, den ich unter den 19
in der Klinik durch Pubiotomie entbunden verlor. Nach der Pu-
biotomie musste des Kindes wegen die Zange und später auch die
Plazentarlösung gemacht werden. Ein geplatztes Hämatom
bedingte Kommunikation der Scheide mit der Knochenwunde.
Trotzdem dass, wie bei allen Operationen, After-Dammschutz
gemacht worden war, trat am 3. Tage Fieber ein, mit nach¬
folgenden Schüttelfrösten und frühzeitigen Zeichen schwerer
Lungeninfektion. Vom 40. Tage ab konnte nach den Schiittel-
1
V
110294
1314
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
frosten im Blutserum der Mutter, in den Sputis, im Urin und
Schweiss Bacterium coli in Reinkultur nachgewiesen werden.
Im fieberlosen Stadium war das Blut steril. Intravenöse Kollar-
golinjektionen hatten nur vorübergehenden Erfolg. Die Frau
erlag am 68. Tage. Die Sektion ergab eine reine Kolisepsis,
ausgehend von der Knochenwunde, mit Parametritis sin. und
Thrombophlebitis ven. param. sin. Dass von Knochenfrak¬
turen Koliinfektion ausgeht, wurde von Roncali für chirur¬
gische Verletzungen nachgewiesen. Es ist dies der 8. Fall von
reiner Kolisepsis, welcher in der Literatur beschrieben ist. Es
ergibt sich für mich aus diesem unglücklichen Verlauf der
Schluss, dass die subkutane Knochendurchsägung vorzuziehen
ist, weil die Kommunikation der Knochenwunde nach aussen
eher vermieden wird. Ferner erscheint die Anwendung des
Dauerkatheters für die ersten Tage rationell und möglichst
Druckverband.
Im allgemeinen müssen die zahlreichen Möglichkeiten der
Koliinfektion bei Schwangeren uns veranlassen, Schwangere
und Hebammen zu belehren, dass die Reinigung der Vulva von
grosser Bedeutung ist und dass Reinigung in falscher Rich¬
tung direkt zur Infektion führen kann.
Ueber ein Asthma-Inhalationsmittel.
Von Prof. Dr. Alfred Einhorn.
Vor etwa 4 Jahren ersuchte mich ein befreundeter Arzt,
das T u c k e r sehe Geheimmittel gegen Asthma, welches wegen
seiner in vielen Fällen sehr prompten Wirkung von den Pa¬
tienten gerne angewendet wird und sehr verbreitet ist, einer
chemischen Prüfung zu unterziehen, um die Substanzen kennen
zu lernen, auf welchen sein therapeutischer Effekt beruht und
um diese den Patienten in reiner Form an Stelle des unkon¬
trollierbaren Geheimmittels verordnen zu können.
Seitdem sind von verschiedenen Autoren Publikationen
über die Zusammensetzung des T u c k e r sehen Mittels erfolgt,
die jedoch keineswegs zu übereinstimmenden Resultaten ge¬
führt haben; so hat, um nur einige Beispiele anzuführen, Auf¬
recht1) angegeben, dass das Mittel
salzsaures Kokain . 1 Proz.
• Kalisalpeter . 5 „
Glyzerin . 35 „
Bittermandelwasser . 30 „
Wasser . 25 „
Pflanzenextraktivstoffe . 4 „
enthält. Bertram2) fand in demselben
Atropin ... • . 0,856 Proz.
Salpetrige Säure . 2,683 „
Natrium . 1,314 „
Trockenrückstand . 5,52 „
Glührückstand . 4 „
ausserdem Glyzerin, Wasser und Schwefelsäure, und Ansel-
m ino8) gibt an, dass die Zusammensetzung des Geheimmittels
zu wechseln scheint, da eine von ihm untersuchte Probe Blau¬
säure (Bittermandelwasser) und wahrscheinlich auch Kokain
enthält, eine andere hingegen keine Blausäure, dagegen aber
Nitrit und sicher auch Atropin neben Kokain.
Ich habe die Anwesenheit von Blausäure in dem T u c k e r -
sehen Mittel, trotzdem ich verschiedene Proben darauf geprüft
habe, niemals nachweisen können. Nach meinen Unter¬
suchungen enthält dasselbe
Kokain . ca. 1 Proz.
Salpetrige Säure .... 2,6 „
Glyzerin . ca. 30 „
ferner Wasser, anorganische Salze, darunter Kochsalz und
ausserdem undefinierbare Extraktivstoffe, die wahrscheinlich
pflanzlicher Natur sind. In einem Fläschchen fand ich einmal
ein Pflanzenpartikelchen, welches sich bei der mikroskopischen
Untersuchung als gewöhnliches Gras zu erkennen gab.
Atropin habe ich in Substanz nicht aus dem Mittel zu iso¬
lieren vermocht, der physiologische Versuch erwies jedoch zur
Evidenz, dass es in demselben enthalten ist.
Gemäss den Resultaten dieser analytischen Prüfung habe
ich verschiedene Inhalationsmittel zusammengestellt, welche
*) Pharmazeut. Ztg. 1903, No. 48, S. 585.
2) Zentralbl. f. innere Med. 1905, No. 5. S. 140.
:1) Pharmazeut. Zentr. -Halle 1906.
1 Proz. Kokain, wechselnde Mengen Atropin und salpetrigsaures
Natron und die entsprechenden Quantitäten Glyzerin und
Wasser enthielten und dieselben mittelst des Sprayapparates
bei Asthmatikern prüfen lassen. Die Resultate, welche mit allen
diesen Mischungen erhalten wurden, waren jedoch recht wenig
befriedigend, da es nur in einigen vereinzelten Fällen gelang,
mit denselben Asthmaanfälle wirklich zu coupieren.
Ich bin dann dazu übergegangen die salpetrigsauren Salze
des Kokains und Atropins, welche in dem T u c k e r sehen Ge¬
heimmittel in Lösung vorhanden sind, in reinem Zustand darzu¬
stellen um die Wirkung der reinen bisher unbekannten Salze
kennen zu lernen.
Unter Beobachtung der üblichen Vorsichtsmassregeln ge¬
lingt es durch Einwirkung von salpetriger Säure auf die Al¬
kaloide etc. das Kokainnitrit in grossen glänzenden Prismen
vom Schmelzpunkt 65 — 66° und das Atropinnitrit in prismati¬
schen Nadeln vom Schmelzpunkt 120 — 122 0 zu erhalten, welche
beim Erhitzen die salpetrige Säure leicht abgeben und in Wasser
mit neutraler Reaktion spielend leicht löslich sind. Die thera¬
peutischen Versuche, welche in wässriger Glyzerinlösung mit
jedem dieser Salze in den verschiedensten Konzentrationen an¬
gestellt wurden, führten ebenfalls sämtlich zu einem unbe¬
friedigenden Abschluss, erst als dazu übergegangen wurde, die
Mischungen der beiden Alkaloidnitrite zu versprayen, besserten
sich die Resultate wesentlich und schliesslich wurden mit einer
Inhalationsflüssigkeit von folgender Zusammensetzung:
Kokainnitrit . 1,028 Proz.
Atropinnitrit . 0,581 „
Glyzerin . 32,16 „
Wasser . 66,23 „
bei normalem Bronchialasthma stets befriedigende Resultate er¬
zielt, wie aus den Berichten hervorgehen wird, die hierüber von
berufener Seite demnächst veröffentlicht werden sollen.
Zur Versprayung der Inhalationsflüssigkeit ist ein guter Oel-
zerstäuber erforderlich, welcher nach den Messungen Ber-
t r a m s 4) in 3 Minuten 0,0122 g Flüssigkeit, mithin nur 0,000125g
Kokainnitrit und 0,000070 Atropinnitrit verspritzt. Ich fand nun
allerdings im Handel Apparate vor, welche in 3 Minuten ca.
5 mal soviel, nämlich 0,060 g Inhalationsflüssigkeit versprayen.
Nichtdestoweniger kann man erforderlichen Falles die Inhala¬
tionen an einem Tage doch häufiger vornehmen lassen ohne
auch nur im geringsten eine Intoxikation durch die stark wir¬
kenden Alkaloidsalze befürchten zu müssen. In der Tat sind
denn auch während der mehrjährigen Probezeit Vergiftungs¬
fälle niemals zur Beobachtung gelangt.
Die Inhalationsflüssigkeit ist von Dr. Albert Bernard
Nachfolger, Einhornapotheke, Berlin C, Kurstrasse 34/35 zu be¬
ziehen und liefert diese Firma auch einen geeigneten Spray¬
apparat. _ . i
Aus dem allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg.
Ueber die Gefässversorgung des Mastdarmes in Hin¬
sicht auf die operative Gangrän.*)
Von Dr. P. Sudeck, Oberarzt.
Zwei eigene Fälle von operativer Gangrän des karzinoma-
tosen Mastdarms, die beide Male zum Tode führte* sowie die
Diskussion des vorjährigen Chirurgenkongresses veranlassten
mich, mich über die Ernährungsverhältnisse des Mastdarms
genauer zu orientieren.
Die Gangrän des Mastdarms mit nachfolgender Sepsis gilt
als eine der Hauptgefahren der hohen Mastdarmexstirpation
und ihre Vermeidung ist ein bislang noch nicht gelöstes Pro¬
blem, wie dies in den letzten Jahren wiederholt offen aus¬
gesprochen wurde (R e h n, K ii m mell, Körte, Heul e,
Gussenbaue r).
Die anatomischen Lehrbücher zeigen uns die Ernährungs¬
verhältnisse des Mastdarms so, wie wir sie an dem Injektions¬
präparat Fig. 1 erkennen. Die Art. meseraica inferior (2) teilt
sich in die A. colica sin. (3) und die A. haemorrhoidalis Supe¬
rior (4). Die A. colica sin. versorgt das Colon descendens
4) Bertram: Zentralbl. f. innere Med. 1905, S. 140.
*) Nach einem Vortrag in der biologischen Abteilung des Aerztl.
Vereins in Hamburg am 7. Mai 1907.
2. Juli 1907. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _ 1315
und anastomosiert mit der A. meseraica superior (l). Sie
sendet ausserdem einen Ast zur Flexura sigmoidea (5).
Die A. haemorrhoidalis superior verläuft in situ in ziem¬
lieh gerader Fortsetzung des Stammes de,r A. meseraica inf.
im Mesorektum an der hinteren Seite des Mastdarms, wo sie
sich in 2 grössere Aeste teilt (8). In ihrem Verlaufe gibt sie
einen oder mehrere Aeste zur Flexura sigmoidea ab (6). Die
2. A. meseraica inferior
3. A. colica sin.
4. A. haemorrhoidalis superior
5. Ast zur Flexura sigmoidea
6. Ast zur Flexura sigmoidea
7. Einmündung der letzten
Vollanastomose.
8. Teilung der A. haemorrh.
superior.
Fig. 1. Normales Injektionspräparat. Injektion in die Art. meseraica
inferior.
Zahl und Anordnung der Abzweigungen, die von beiden Seiten
zur Flexura sigmoidea gelangen, ist wechselnd. Man ver¬
gleiche z. B. Fig. 4, wo der in Fig. 1 mit 5 bezeichnete Flexur-
ast nicht von der Art. colica sin., sondern von der Art. haemor¬
rhoidalis superior abgeht. In Fig. 2 geht ein grösserer Flexur-
ast nur von der Art. haern. sup. ab.
A. meseraica inf.
A. colica sin.
A. haem. sup,
Flexurast
Kritischer Punkt (letzte Voll¬
anastomose)
Unterbindungsstelle
Umschlagstelle des Peritoneums
Fig. 2. Unterbindung des Stammes der Art. haem. sup. unterhalb
des kritischen Punktes X. Trotzdem sind die Mastdanngefässe gefüllt,
weil die kleinen Anastomosen sorgfältig geschont sind.
Alle diese Arterien sind durch Anastomosen miteinander
verbunden, teilweise durch mehrere Gefässbogen übereinander,
meistens nur durch einen Gefässbogen. Die Anastomosen
liegen in der Flexurgegend im ganzen etwas mehr als am
Kolon vom Darm entfernt (gegen das Zentrum des Kreisbogens
hin, den der Darm bildet), so dass man sie nicht eigentlich
„Randgefässe“ nennen kann, wie dies bei den Kolonanasto-
mosen oft geschieht.
Während nun sonst im allgemeinen die Anastomosen zwi¬
schen den Arterien des Körpers von geringem Kaliber sind, so
dass bei Ausschaltung eines grösseren Astes die Anastomosen
zur völligen Ausbildung und Uebernahme der vollen Funktion
einer gewissen Zeit bedürfen, haben bekanntlich die Anasto¬
mosen der Darmarterien die Eigentümlichkeit, dass sie nicht
nur sehr reichlich vorhanden, sondern auch von so starkem
Kaliber sind, dass sie in jedem Augenblick die Funk¬
tion eines ausgeschalteten Astes übernehmen können. Ohne
diese Einrichtung würde es infolge verschiedenen Füllungs¬
zustandes der Därme und besonders durch vorübergehende
ungünstige Lagerungen und Abknickungen an den beweglichen
Darmteilen leicht zur Gangrän kommen.
Diese Einrichtung der Vollanastomosen besteht nur an den
beweglichen Darmteilen, nicht an dem unbeweglichen Rektum.
Die letzte grosse Anastomose befindet sich in Fig. 1 am Punkte
X und an jedem der übrigen Präparate kann man mit aller
Deutlichkeit die Einmündung der untersten Vollanastomose
feststellen. Ausserdem bestehen dann noch zahllose feine
Anastomosen, wie an den Arterien des übrigen Körpers.
Für die Operation der Mastdarmexstirpation oder -re-
sektion stehen folgende wichtige Tatsachen fest: Der Mast¬
darm wird zur Hauptsache durch die A. haemorrhoidalis
superior ernährt. Die A. haem. media und inferior können ohne
Gangrängefahr unterbunden werden. Jedoch lässt sich ohne
Unterbindung und Durchschneidung der A. haemorrhoidalis
sup. der Mastdarm nur eine kleine Strecke vorziehen und für
eine hohe Amputation ist die Durchschneidung der A. haem.
sup. unerlässlich, weil diese Arterie in fast gerader Linie von
der Aorta bis zum Mastdarm verläuft und das Herabziehen
des Darmes verhindert. Nach ihrer Durchschneidung ist das
Rektum in der ausgiebigsten Weise mobilisiert und kann leicht
so tief herabgezogen werden, wie man wünscht. Eine wie
grosse Bewegungsfreiheit man dabei gewinnt, lehren ohne
weiteres die Figuren 4 und 5, die beide dasselbe Präparat
darstellen, das erste Mal in natürlichem Zustande, das zweite
Mal nach Durchschneidung des Stammes der A. haem. sup.
Also bei einer hohen Rektumamputation muss die A. haem.
sup. durchschnitten werden und die einfachste Ueberlegung
sagt uns, dass diese Durchschneidung oberhalb des kritischen
Punktes X geschehen muss, d. h. oberhalb der Einmündung
dei letzten Vollanastomose. Ob sie oberhalb oder unter¬
halb des Abganges des Flexurastes geschieht, muss gleich¬
gültig sein.
Um dieser Ueberzeugung, soweit es im Leichenexperiment
möglich ist, einen festen Grund zu geben, machte ich Injektions¬
präparate. Am geeignetsten erschien mir eine Aufschwem¬
mung von Mennige (Bleioxyd) in Oel, die ohne Erwärmung
oder sonstige Vorbereitung ohne weiteres injiziert werden
kann. Diese dickliche Aufschwemmung hatte für meinen
Zweck den Vorzug, dass sie nicht so gar leicht in die kleinsten
Gefässe eindringt und nicht, wie z. B. die erwärmte graue
Salbe durch die Kapillaren hindurch die Venen füllt. Das so
injizierte Präparat wurde dann röntgenographiert und ich ge¬
wann so auf sehr einfache Weise recht anschauliche Bilder.
Das Resultat war folgendes: Bei Unterbindung der
A. haem. sup. unterhalb des kritischen Punktes füllten sich
die Gefässe des Rektums in einzelnen Fällen mit der Injektions¬
flüssigkeit, wenn die feineren Anastomosen sorgfältig geschont
waren (Fig. 2), was bei vorangegangener Rektumexstirpation
kaum möglich ist; in den meisten Fällen jedoch blieb das
Rektum fast ganz leer, wovon Fig. 3 ein Beispiel ist. Wenn
aber die Unterbindung an irgend einem Punkte oberhalb des
kritischen Punktes geschah, sei es unterhalb des Abganges
der Sigmoidea (Fig. 4 u. 5) oder zwischen Sigmoidea und Ab¬
gang der A. colica sin., so füllte sich das ganze Gefässgebiet
des Mastdarmes genau so leicht, als ob gar keine Unterbindung
gemacht worden wäre. Ja sogar bei Unterbindung aller Aeste
der A. meseraica inferior füllte sich ohne die geringste An¬
strengung das ganze Stromgebiet der unterbundenen Arterie
bei Injektion von der A. meseraica superior aus (Fig. 6).
1*
1316
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 21.
Man darf wohl daraus schliessen, dass wahrscheinlich
die Unterbindung und Durchschneidung des Stammes der
A. haem. sup. an irgend einer Stelle oberhalb der letzten Voll-
anastomose oder, wie ich kurz sagen will, die hohe Unter¬
bindung der A. haemorrh. inf. am Lebenden keine erhebliche
Ernährungsstörung des Mastdarmes zur Folge haben wird,
kranken Gewebes und somit für eine günstigere Statistik der
Dauerheilungen böte.
Leider hat sich die kombinierte Operationsmethode bisher
als zu gefährlich erwiesen, da relativ viele Operierte am
Kollaps sterben, besonders für Männer ist die Methode gefähr¬
lich. Eine Besserung erwartet Kraske von der zunehmenden
V >
Y-vl! \
ZlL. '
Fig. 3.
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Unterbindung des
Stammes der Art.
haem. sup. unter¬
halb des kritischen
Punkt. X. DieMast-
darmgefässe sind
leer geblieben.
V
-äM
wobei vorausgesetzt ist, dass die Unterbindung nicht die ganze
Mesoflexur mitfasst und dadurch auch gleichzeitig die Anasto-
mosen unwegsam macht, während bei der tiefen Unterbindung
die Ernährung des Mastdarmes gefährdet ist und zwar um so
mehr, je mehr die kleineren Anastomosen verletzt wurden.
Kritischer Punkt X
A. colica sin.
A. meseraica inf.
A. haem. sup.
Fig. 5. Dasselbe Präparat wie Fig. 4. Die Arterie ist an der Unter¬
bindungsstelle durchschnitten, um die dadurch erreichte Mobilisierung
des Mastdarmes zu zeigen.
A. colica sin. -
A. meseraica inf.
A. haemorrhoidalis superior
Unterbindungsstelle
Kritischer Punkt X
Fig. 4. Unterbindung des Stammes der Art. haem. sup. oberhalb des
kritisches Punktes X. Die Mastdarmgefässe sind vollkommen gefüllt.
Für die Operation der Mastdarmkarzinome, wie überhaupt
für die Exstirpation des Rektums, würde sich daraus der Grund¬
satz ergeben, in allen Fällen, in denen der Stamm der A. haem.
inf. zur Mobilisierung durchschnitten werden muss, diese
Durchschneidung von vorneherein nach hoher Unterbindung
auszuführen. Dies kann allerdings mit Sicherheit nur durch
eine Laparotomie geschehen, und man würde auf diesem
Wege zur prinzipiellen abdomino-perinealen Methode ge¬
langen, die von Kraske als die erstrebenswerte Operation
und die Operation der Zukunft hingestellt wurde, weil sie am
meisten Gewähr für möglichst gründliche Entfernung alles
Ufcbung und Erfahrung und Rehn hoffte, der Gefahr des Kol¬
lapses dadurch zu begegnen, dass er die Operation zweizeitig
ausführte. Dieser Gedanke muss, wie mir scheint, so zu ver¬
wirklichen sein, dass man zunächst die hohe Unterbindung und
Durchschneidung der A. haem. sup. ausführt, von der Unter¬
bindungsstelle aus einen Schnitt durch das Peritoneum der
Anastom. mit der A. colica sin.
A. meseraica sup. (unterbunden)
A. haem. sup. (unterb.)
. Kritischer Punkt X
Fig. 6.
Alle Aeste der Art.
meseraica inferior sind
unterbunden. Injektion
von der Art. meseraica
sup. Das ganze Strom¬
gebiet der Art. meser.
inf. ist gefüllt.
Mesoflexur an ihrem Ansatz um das Rektum herum und an der
anderen Seite wieder zur Unterbindungsstelle zurückführt,
eventuell noch den Mastdarm von oben stumpf löst und dann
die Bauchhöhle schliesst. Die Exstirpation des Mastdarmes
würde man dann von unten in einer zweiten Sitzung machen
können.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1317
Doch will ich mich hierbei nicht länger aufhalten, denn
dieses sind zunächst nur Pläne, nach denen ich mir für die
Zukunft zu handeln vorgenommen habe. Resultate kann ich
einstweilen noch nicht aufweisen.
Aus dein St. Josephshause Heidelberg (Direktor: Geheimrat
F 1 e i n e r).
Beitrag zur Klinik des Magengeschwüres mit besonderer
Berücksichtigung des Pylorospasmus und der Hyper¬
sekretion.
Von Dr. F. Best.
Das klinische Bild des Magengeschwürs ist ein überaus
wechselndes. Je häufiger man Gelegenheit hat, an Magen¬
geschwür Leidende zu beobachten, je mehr kommt man zur
Ueberzeugung, dass es weder bezüglich der Diagnose, noch
der Behandlung ein Schema gibt, nach dem man sich richten
kann, sondern dass jeder Fall individuell aufgefasst sein will.
Wenn nicht eine profuse Blutung durch Erbrechen oder durch
den Darm als unzweideutiges Geschwürssymptom sich ein¬
gestellt hat, wird man aus den angegebenen Beschwerden von
Seiten der Patienten ohne chemische Untersuchung des Magen¬
saftes zu keiner sicheren Diagnose kommen. Oft finden wir
nach der Magenprobe nur einen einfachen Katarrh mit Salz¬
säuremangel, wo wir nach den für Ulcus als typisch geltenden
Klagen des Patienten ein peptisches Geschwür erwartet hätten,
und häufiger noch müssen wir ein Geschwür diagnostizieren,
wo der Arzt nervöse Hyperazidität festgestellt hatte, ohne
durch Titrierung den Unterschied zwischen freier Salzsäure
und den Gärungssäuren bestimmt zu haben.
Trotzdem wird auch ohne vorausgegangene Blutung der
Verdacht auf Ulcus berechtigt sein, wenn wir den Patienten
über heftige Schmerzen klagen hören, die von einer genau
bezeichneten Stelle ausgehend, bis in den Rücken ausstrahlen,
gleich nach der Nahrungsaufnahme beginnen, oder bei leerem
Magen in den frühen Morgenstunden, oder nach Genuss von
konzentriertem Alkohol besonders heftig werden. Dazu kom¬
men dann noch die Klagen über Sodbrennen, Herzwasser,
saures Aufstossen und harnäckige Stuhlverstopfung. Der
Appetit ist dabei gewöhnlich gut, doch lässt die Angst vor
Schmerzen die Patienten häufig immer wieder was anderes
vom Speisezettel streichen, bis sie oft schliesslich von selbst
bei reiner Milchdiät angelangt sind.
Sicherer wird natürlich die Diagnose nach voraus- |
gegangenem Blutbrechen oder wenn Blut im Stuhle nach¬
gewiesen werden konnte. Doch auch die Blutung ist nicht
ganz eindeutig, denn es gibt ausser den Magen- und Duodenal¬
geschwüren auch noch andere zu Blutungen führende Krank¬
heitszustände. Blutungen können ebensogut durch maligne
Neubildungen verursacht sein; ich erinnere ferner an die oft
beträchtlichen, in demselben Falle wiederholt auftretenden Blu¬
tungen bei Leberzirrhose aus geplatzten Oesophagusvarizen
oder überfüllten Kapillaren des Magens und des Duodenums
oder, was seltener und bei älteren Leuten, Blutung aus den
oberen Darmabschnitten bei Thrombose kleinerer oder grösse¬
rer Aeste der Mesaraica superior (Apoplexia intestinalis in¬
folge Atheromatose). Aehnliche Prozesse können sich im Ge¬
biete der Mesaraica inferior abspielen; aber das Blut hat dann
nicht die teerartige Beschaffenheit wie bei Blutung aus oberen
Darmabschnitten.
In den meisten Fällen wird ja allerdings die Quelle der
Blutung festzustellen sein und da hat die Blutung als Ge¬
schwürssymptom den grössten Wert.
Auch die Schmerzen haben beim Magengeschwür durch¬
aus nicht immer einen ganz bestimmten Charakter, sondern
werden subjektiv ganz verschieden angegeben. Sie treten in
wechselndem Intensitätsgrade auf, von der schmerzhaften Rei¬
zung bis zum krampfartigen Schmerzparoxysmus. Ueber den
Druckschmerz, dem so häufig in der Diagnostik grosse Be¬
deutung beigelegt wird, möchte ich bemerken, dass er in sehr
vielen Fällen gar nicht dem Sitze des Ulcus entspricht, denn
die meisten Prädilektionsstellen der Geschwüre sind bei nor¬
maler Form und Lage des Magens dem Finger gar nicht zu¬
gänglich, wie z. B. die kleine Kurvatur.
Die übrigen Symptome, unter denen sich uns der klinische
Verlauf des Magengeschwüres darstellt, sind ausserordentlich
verschieden.
Es gibt Geschwüre, die heilen, ohne je Beschwerden ver¬
ursacht zu haben, solche, die zeitweise latent bleiben oder nur
geringe Störungen verursachen. Je nachdem am Grunde oder
Rande des Geschwüres vorwiegend sensible, motorische oder
sekretorische Nervenfasern usuriert werden, werden Schmer¬
zen, Krampfanfälle und Sekretionsanomalien ausgelöst. Es
können profuse Blutungen auftreten, nur einmal oder häufig
wiederkehrend, wenn das Geschwür bis in die gefässreiche
Serosa eingreift, kleinere Blutungen, wenn es nur bis zur Mus¬
kularis und Subserosa reicht oder an Stellen liegt, wo die
Magenwand gefässarm ist.
Von grösster Bedeutung im Verlaufe eines Magen¬
geschwüres ist das besonders von Fl ein er betonte Ver¬
halten der Motilität des Magens, sei es in günstigem oder un¬
günstigem Sinne. Die schwersten Erscheinungen macht das
Geschwür bei motorischen Störungen des Magens oder im
atonisch schlaffen Magen und, was noch lange nicht genug
berücksichtigt wird, bei abnormer Form und Lagerung des
Magens. Auf diesem Gebiete ist wohl die letzte Arbeit von
H i s i) (dem älteren) von Interesse. Man sieht hier so ganz
andere Bilder des Magens, hinsichtlich der Grösse, Form und
Lageverhältnisse, als man vom anatomischen Lehrbuche her
gewohnt ist. Solche Bilder, wie sie H i s gibt, machen es
uns erklärlich, warum man so oft in chirurgischen Operations¬
berichten Sanduhrmagen angeführt findet, die sich auf patho¬
logischer Grundlage nicht erklären lassen, weil pathologisch¬
anatomische Prozesse sich gar nicht abgespielt haben. Grösse,
Form und Lage des Magens sind eben, wie Gegenbaur
vom anatomischen und F 1 e i n e r vom klinischen Standpunkte
betont hat, lediglich Produkte der Anpassung an gegebene
Raumverhältnisse im Abdomen. Krankhaft wird die abnorme
Grösse, Form und Lage erst, wenn die Funktion, zumal die
motorische, von einem dieser Faktoren nachteilig beeinflusst
wird.
In einer Arbeit über einige, die Heilung des Magen¬
geschwüres hemmende Einflüsse hat Tecklenburg2) die
Zustände beschrieben, welche der Geschwürsheilung ent¬
gegenstehen. Er nennt besonders die Atonie und das Luft¬
schlucken. Zu seiner Ergänzung möchte ich aber betonen,
dass auch namentlich Pylorusgeschwüre zu denjenigen ge¬
hören, welche der internen Therapie am meisten Trotz bieten.
Geschwüre am Pylorus oder in dessen Nähe, oder wenn sie
durch Nervenverbindung mit ihm in Beziehung treten, haben
nur geringe Tendenz zur Heilung. Beim Oeffnen des Pylorus
während der Passage des Speisebreies wird das den Substanz¬
verlust ausfüllenda Granulationsgewebe in seiner Kontinuität
getrennt oder auseinandergezerrt. Es herrschen ähnliche Ver¬
hältnisse, wie bei Rhagaden am Munde oder einer Fissur am
Anus.
Kommt es aber trotzdem zur teilweisen oder vollständigen
Narbenbildung und epithelialen Ueberhäutung — denn Schleim¬
hautersatz wird wohl kaum stattfinden — dann sind in dieser
Art Heilung die Bedingungen zu einer Reihe von neuen Stö¬
rungen gegeben. Jede Reizung der vom Epithel noch nicht
überzogenen Stelle löst einen Pylorospasmus aus, auf dessen
schädliche Wirkung besonders F 1 e i n e r 3) hingewiesen hat.
In günstigen Fällen, bei dünnen Bauchdecken, kann man den
krampfig kontrahierten Pylorus fühlen; auch die Patienten
geben oft die Empfindung einer krampfartigen Zusammen¬
ziehung an. Auffällig ist aber, dass ein oft lange anhaltender
Spasmus des Pylorus nicht die grossen Schmerzen verursacht,
die man erwartet. Ich erinnere dabei an das gar nicht seltene
Vorkommen von Kardiospasmus, der sogar zur Ansammlung
von Speisen führen kann, ohne dass starke Schmerzen auf-
tretenf Der Schmerz tritt erst dann ein, wenn es nicht nur zu
U Studien an gehärteten Leichen über Form und Lagerung des
menschlichen Magens.
2) Tecklenburg: Ueber einige die Heilung des Magenge¬
schwüres hemmende Einflüsse. Archiv für Verdauungskrankheiten,
Bd. XII, H. 6.
3) Ueber Neurosen gastrischen Ursprungs mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Tetanie und ähnlicher Krampfanfälle. Archiv für
Verdauungskrankheiten, 1896.
1318
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Stauung, sondern zu beträchtlicher Ektasie oder spastischer
Zusammenziehung ober- oder unterhalb der angestauten
Massen kam
Die Untersuchungen von Lenn ander (Zentralbl. f. Chir.
1902) dienen in dieser Hinsicht zur Aufklärung. Sie zeigten,
dass die Baucheingeweide nicht empfindlich sind, sondern nur
Muskeln, Nerven und das Peritoneum parietale. Bei einem
solchen Krampfe nun wird der durch die Narbe schon verengte
Pylorus vollständig geschlossen, der Magen kann sich nicht
mehr entleeren und der Qeschwürsgrund wird durch die stag¬
nierenden Massen immer wieder zur Sekretion gereizt.
Schliesslich tritt kontinuierliche Saftsekretion ein. Stag¬
nierende Nahrung und in grossen Mengen abgeschiedener
Magensaft, zusammen mit dem, reflektorisch vom Magen aus,
in vermehrtem Masse abgeschiedenen Speichel, dehnen den
Magen immer mehr aus. An dieser Dehnung nimmt auch der
Geschwürsgrund teil, Schmerzen und Blutungen können die
Folge sein.
Diesem Zustande entspricht nun ein Krankheitsbild, das
wir überraschend häufig zu beobachten Gelegenheit hatten
und wo sich ohne weiteres die Diagnose auf Pylorusgeschwür
stellen Hess. Auffallend ist, dass die Erscheinungen nach hef¬
tigem Erbrechen oder nach wenigen oder öfter wiederholten
Magenspülungen, oft auf längere Zeit wegbleiben, um nach
grösseren oder kleineren Intervallen wieder aufzutreten, so
dass sich eine gewisse Periodizität in idem vielleicht auf Jahre
sich erstreckenden Krankheitsbilde erkennen lässt. Man ist
dann versucht, in solchen, Wochen, Monate, selbst Jahre
dauernden beschwerdefreien Zwischenzeiten ein Geschwür für
geheilt zu halten. Plötzlich sind aber die alten Beschwerden
wieder da, und gar nicht selten glauben dann Patienten und
ihr Arzt, dass ein neues Geschwür entstanden sein müsse,
namentlich wenn es zur Blutung kam. In solchen Anfällen
kommt zuerst das Gefühl vermehrter Säurebildung, oder der
Ueberfüllung mit sauren Massen, Sodbrennen, dann Würgen
und Brechreiz, endlich das Erbrechen profuser Massen.
Manchmal sind es Speisen, die erbrochen werden; hat man
aber häufig Gelegenheit, das Erbrochene zu sehen, wird man
zunächst durch die Tatsache überrascht, dass es hauptsäch¬
lich Flüssigkeit ist, aus welcher allerdings feste Bestandteile
sedimentieren. Letztere bestehen selten aus grösseren Fleisch¬
resten, sondern meistens aus Kohlehydraten (Brot, Mehl¬
speisen und namentlich vegetabilischen Bestandteilen). Die
Flüssigkeit ist manchmal farblos oder weisslich getrübt, oft
grünlich, lauggrün; letzteres besonders, wenn keine Speise¬
reste mehr im Magen sind und beim Würgen Duodenalinhalt
in den Magen kam; oft ist sie bräunlich, Schokoladefarben,
rötlich oder kaffeesatzähnlich, wie mit Russflocken vermischt;
selten finden sich reichliche Blutbeimengurfgen. Der Geruch
nach Hefe ist manchmal nicht zu verkennen. Die Flüssigkeit
besteht nach vielen von uns vorgenommenen Untersuchungen
aus salzsäurehaltigem Magensaft. Der Salzsäuregehalt kann
durch verschluckten, durch Reflex vom Magen aus in grossen
Mengen abgesonderten Schleim vermindert sein. In unserem
letzten derartigen Falle betrug er aber 18 Prom., und da rund
4 Liter in der betreffenden Nacht durch Erbrechen und durch
den Magenschlauch entleert wurden, die Gesamtmenge 7,2 g
reine Chlorwasserstoffsäure, eine gewiss erhebliche Menge.
Die grüne Farbe rührt von Galle her, die durch Salzsäure ver¬
ändert ist und nach Entleerung der Nahrungsreste beim Wür¬
gen aus dem Darm in den Magen befördert wurde. Die Farbe
vom Blut hängt von der Menge ab und ob es längere oder kür¬
zere Zeit im Magen verweilt hat.
Solche übermässige Saftabscheidung braucht übrigens
nicht allein durch ein peptisches Geschwür hervorgerufen zu
sein. Aehnliche Erscheinungen kann man auch bei malignen
Tumoren finden, Sarkomen und den weitaus häufigeren ulze-
rierenden Karzinomen. Dass diese Zustände zu Tetanie führen
können, ist durch F 1 e i n e r und andere Autoren in letzter
Zeit ausführlich dargetan worden.
Ein kontrahierter Pylorus kann tumorähnlich anzufühlen
sein und zu diagnostischen Irrtümern führen; auf der anderen
Seite können Tumoren maligner Art bei salzsäurearmem
Magensafte für einfach spastisch kontrahierten Pylorus ge¬
halten werden. Immerhin ist die Diagnose bei genauer Unter¬
suchung meistens nicht schwer zu stellen, besonders wenn sich
die Krankheit durch einen viele Jahre sich hinziehenden Ver¬
lauf auszeichnet.
Manchmal treten ganz plötzlich schwere Erscheinungen
ein, nachdem sich lange Zeit hindurch geringe, kaum beachtete
Beschwerden bemerkbar machten.
Es hat seinen Grund darin, dass bei den freien Intervallen
zweifellos Heilungsvorgänge auftreten und organisch den
Pylorus verengen. Eine einigermassen beträchtliche Stenose
wird dann durch Spasmus eher zum totalen Verschluss führen,
als beim noch nicht verengten Pylorus.
Aus einer langen Reihe von Krankengeschichten möchte
ich, um nicht zu ermüden, nur einige herausgreifen, welche die
genannten Verhältnisse schildern.
1. Frau H., 39 Jahre alt, hatte schon seit frühester Jugend einen
schwachen Magen und konnte schwer verdauliche Speisen nie er¬
tragen. Seit einigen Jahren bekommt sie auf geringfügige Diätfehler
heftiges Erbrechen saurer Massen; nach einigen Tagen Diät war sie
'dann wieder frei von Beschwerden. In letzter Zeit kommt das Er¬
brechen fast täglich; es sollen immer grössere Massen grünlicher,
stark sauer schmeckender Flüssigkeit gewesen sein mit nur wenig
Speiseresten, Blut nie, auch früher nicht. Dem Erbrechen geht Sod¬
brennen, saures Aufstossen und Singultus voraus. Stuhl verstopft.
Appetit schlecht. Patientin ist in letzter Zeit stark abgemagert.
Aufnahme am 7. X. 05. iGrosse schlanke Frau, dünne Taille,
breites Becken. Schlechter Ernährungszustand. Gesichtsfarbe blass.
Schleimhäute blutleer. Lungen und Herz normal. Bauchdecken sehr
schlaff. Lautes Plätschergeräusch in grosser Ausdehnung. Grosse
Kurvatur reicht bis zur Symphyse. Rechts von der Mittellinie, direkt
oberhalb des Nabels eine etwa walnussgrosse Resistenz zu fühlen,
die beim Palpieren nicht schmerzhaft ist. Leber und Milz nicht ver-
grössert. Reflexe normal. Urinmenge in 24 Stunden 400, kein Al-
bumen, kein Zucker, reichlich Sediment.
8. X. Magenspülung morgens früh nüchtern: Es entleeren sich
ungefähr 2 Liter lauggrüner, sauer reagierender Flüssigkeit, aus der
nach längerem Stehen Speisereste (Kohlehydrate, kein Fleisch) sedi¬
mentieren. Freie HCl + 0,730 Prom.; Gesamtazidität 140 Proz.
Spez. Gewicht 1020. Enthält reichlich Sarzine in Warenballen.
Patientin ist hochgradig anämisch, dass sie nicht ohne Nahrung
bleiben kann.
Ordination: Bettruhe; täglich Spülen. 3 mal täglich 7 Tropfen
Atropin (0,02:20,0). Nach Reinigungsklysma Einlauf von 250 g
Fleischbrühe mit Wein. 2 stündlich 25g Schleimsuppe, abwechselnd
mit 30 g Fleischgelee (da Milch schlecht vertragen).
9. X. Bei der Spülung entleerte sich etwa ein Liter lauggriiner
Flüssigkeit ohne Speisereste, stark sauer reagierend. — Urin 1100.
12. X. Schmerzen in der Magengegend. Es werden 500 ccm
gelbgrüne Flüssigkeit erbrochen, ohne Speisereste. Freie HCl
“F 0,365 Prom.; Gesamtazidität 130 Proz.
13. X. Erbrechen von 300 ccm dunkelbrauner Flüssigkeit, in der
Blut nachgewiesen wird. Urin S00.
14. X. Bei der Spülung morgens nüchtern entleert sich etwa
1 Liter dunkelbraunroter Flüssigkeit, mit schwarzen Flocken vermischt
(Blut). Enthält reichlich Sarzine. Urin 400. Diät 2 stiindl. 250 g
Milch mit Vichy (halb und halb). 2 Nährklystiere (250 g Fleischbrühe
mit Wein).
15. X. Magen vollständig leer; Spülung klar, schwach sauer.
Resistenz nicht zu fühlen. Urin 1650. Pat. ist ohne Beschwerden,
klagt über Hunger. Das Wohlbefinden hält 14 Tage lang an. Spü¬
lung immer ganz klar. Nach der Spülung Eingiessung von Wismut.
Diät: Morgens 300 g Hafergrütze. 10 Uhr Milch mit Vichy. Mittags
kleine Portion gewiegtes weisses Fleisch mit Kartoffelpüree. 5 Uhr
Milch mit Vichy. Abends Schleimsuppe mit gewiegtem Fleisch.
30. X. Spülung leicht getrübt. Enthält Kohlehydrate und Sarzine.
Pat. klagt über Magendrücken und Sodbrennen. Im Laufe des Tages
erbricht sie zweimal etwa 1 Liter lauggrüner Flüssigkeit. Spez. Ge¬
wicht 1010; freie HCl + 1,8 Prom.; Gesamtazidität 120 Proz.; geb.
HCl 30. — Pat. muss wieder 2 mal täglich gespült werden. Diät:
2 stündl. Milch mit Vichy. 2 Nährklystiere. Resistenz oberhalb des
Nabels wieder zu fühlen. Nach 2 Tagen ist die Spülung wieder klar,
nicht sauer. Keine Beschwerden. 300 g Grütze. Milch mit Vichy.
Gewiegtes Fleisch mit Kartoffelpüree. Suppe mit gewiegtem Fleisch.
1 Nährklystier.
11. XI. Spülung wieder trübe und sauer; enthält Speisereste,
hauptsächlich Kohlehydrate. — Urinmenge 2300.
13. XI. Leichte Schmerzen. Sodbrennen und Brechreiz. Spü¬
lung ergibt 1 Liter trübe, missfarbene Flüssigkeit. Freie HCl
+ 1,095 Prom.; Gesamtazidität 130 Proz. Spez. Gewicht 1000. Reich¬
lich Sarzine. Bei der 2. Spülung abends nochmals 1000 ccm der
gleichen Flüssigkeit. Dann einige Tage wieder ohne Beschwerden.
Operationsvorschlag wurde wiederholt abgelehnt. Pat. wird,
da sie die Spülung selbst vornehmen kann, entlassen. Später lässt
sie sich operieren. Gastroenterostomie; vollständige Heilung.
2. Herr A., 51 Jahre alt, stammt aus gesunder Familie, war selbst
früher nie krank, hat den Feldzug 1870 mitgemacht. Seit 10 Jahren
magenleidend. Anfangs bekam er nur auf saure Speisen und nach Ge¬
nuss von Wein Sodbrennen. Seit 8 Jahren1 tritt nach geringen Diät-
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1319
fehlem, oder auch ohne ersichtliche Ursache, anfallsweise saures Auf¬
stossen, Sodbrennen auf, meistens mit brennenden Schmerzen in der
Magengegend. Dabei bestanden Stuhlverstopfung und lästige Bläh¬
ungen. Eine 4 wöchentliche Geschwürskur besserte den Zustand nur
vorübergehend. Seit 3 Jahren bedeutende Verschlechterung; alle
paar Tage nachts starker Würgereiz und schliesslich Erbrechen
grosser Mengen schmutziggelber, saurer Flüssigkeit. Blut soll nie
dabei gewesen sein. Patient hat sich selbst den Magen zu spülen
gelernt und spürt seitdem bedeutende Besserung. Appetit schlecht,
Stuhl verstopft. In den letzten Jahren 15 kg Gewichtsabnahme.
Status bei der Aufnahme 26. X. 05:
Mittelgrosser Mann in mässigem Ernährungszustände. Gesichts¬
farbe graugelb. Schleimhäute blassrot. Zunge feucht, nicht belegt.
Zähne gut. Keine Struma, keine Drüsen.
Lungen und Herz nichts besonderes. Abdomen stark aufge¬
trieben. Lautes Plätschern in grosser Ausdehnung. Grosse Kurvatur
2 Querfinger unter dem Nabel. Kein Tumor zu fühlen. Beim Pal¬
pieren nirgends schmerzhaft. Keine Oedeme; Reflexe normal; im
Urin nichts besonderes.
27. X. Spülung morgens nüchtern. Es entleert sich etwa
y, Liter grünlicher Flüssigkeit, aus der beim Stehenlassen Nahrungs¬
reste sedimentieren (wenig Fleisch, viel Kohlehydrate), stark sauer
reagiert und Sarzine enthält.
Freie HCl + 1,460 Prom.; Gesamtazidität 140 Proz.; spez. Ge¬
wicht 1020.
Pat. fühlt sich nach der Spülung sehr erleichtert. Viel Aufstossen
(kann jederzeit willkürlich aufstossen, indem er Luft schluckt). Urin¬
menge in 24 Stunden 1800.
Diät: 8 Uhr 400g Grütze, lOVs Uhr 250 g Milch, 12% Uhr gewiegtes
Fleisch mit Kartoffelpüree, 5 Uhr 250 g Milch, 7Vz Uhr Schleimsuppe
mit gewiegtem Fleisch. Vor den Mahlzeiten einige Schlucke Vichy¬
wasser.
29. X. Spülung 'nur noch leicht getrübt, schwach sauer. Pat.
ist ohne alle Beschwerden. Urin 2300.
2. XI. Spülung klar, ohne Speisereste, nicht sauer. Diät wie
oben. Appetit gut. Stuhl von selbst. Kein Sodbrennen, keine Schmer¬
zen. Urin 2500.
Bei täglicher Spülung, die immer ganz klar, und oben angeführter
Diät bleibt Pat. beschwerdefrei, und er wird am 11. XI. entlassen mit
der Angabe strenger Diät und bei eintretenden Beschwerden eine
Spülung vorzunehmen.
3. Herr B., 41 Jahre, Bahnbeamter.
Eltern leben, Mutter soll auch viel Magenbeschwerden haben;
5 gesunde Geschwister. Pat. selbst war als Kind nie krank. Im
15., 20. und 30. Lebensjahre hatte er monatelang Magenbeschwerden,
die auf strenge Diät immer wieder verschwanden. Vor 10 Jahren
bekam, er heftiges Sodbrennen, saures Aufstossen, Herzwasser und
Schmerzen in der Magengegend. Im Stuhl soll Blut gewesen sein.
Eine 3 wöchentliche Geschwürskur brachte vorübergehend Besserung,
doch kommen die Beschwerden anfallsweise immer wieder. Er¬
brechen hat er nie. Stuhl verstopft. Appetit schlecht.
Status bei der Aufnahme am 15. XII.: Grosser Mann in schlech¬
tem Ernährungszustände. Gesichtsfarbe blassgelb, Zunge feucht,
nicht belegt, Zähne gut, keine Drüsen. Lungen und Herz normal. Ab¬
domen aufgetrieben; lautes Plätschern in grosser Ausdehnung.
Grosse Kurvatur 3 Querfinger unter dem Nabel. Keine Druckempfind¬
lichkeit. Kein Tumor zu fühlen. Leber und Milz nicht vergrössert.
Reflexe normal. Blutdruck 70. Zahl der roten Blutkörperchen 4100000,
der weissen 5000. „ ,
Patient hat in der Nacht Schmerzen und entleert sich selbst mit
der Sonde den Magen. 500 ccm grünliche, schmutziggelbe Flüssigkeit.
Kongo stark blau.
Freie HCl + 1,095 Prom.; Gesamtazidität 80 Proz.; spez. Ge¬
wicht 1010. Keine Milchsäure.
Patient wird regelmässig morgens nüchtern gespült, und wenn
der Magen leer, wird mit dem letzten Trichter Wismut eingegossen.
Diät: 2 stündlich 150 g Milch mit 50 g Vichywasser. Wenn kein
Stuhi, Oeleinlauf.
Da die Spülung morgens immer klar und Pat. ohne Beschwerden,
bekommt er nach einigen Tagen morgens Hafergrütze, mittags ge¬
wiegtes Fleisch, abends Schleimsuppe mit gewiegtem Fleisch.
15. I. wird die Wismutbehandlung ausgesetzt. Pat. fühlt sich bei
oben beschriebener Diät vollständig wohl und hat 3 kg an Gewicht zu¬
genommen.
Am 19. I. entlassen mit der Weisung, sich noch einige Zeit mor¬
gens selbst zu spülen.
Die Besserung hielt nur kurze Zeit an. Eine vorgeschlagene
Operation, Gastroenterostomie, lässt er nicht vornehmen und hilft
sich mit dem Magenschlauch weiter.
4. Miss B. von New York, 28 Jahre, war als Mädchen bleich-
süchtig und leidet schon seit 13 Jahren an Magenschmerzen, die brs
in den Rücken ausstrahlen und hauptsächlich bei nüchternem Magen
heftig werden. Dabei besteht viel saures Aufstossen und Sodbrennen,
ln letzter Zeit waren die Schmerzen krampfähnlich; nach dem Essen
häufig Erbrechen. Starke Gewichtsabnahme.
Status bei der Aufnahme am 21. III. 06: Sehr elend aussehendes
Mädchen in äusserst schlechtem Ernährungszustände. Gesichtsfarbe
bleich. Schleimhäute blutarm. Keine Drüsen. Lunge und Herz nor¬
mal. Leib aufgetrieben; kein Tumor zu fühlen. Pylorusgegeud auf
Druck schmerzhaft. Lautes Plätschern in grosser Ausdehnung.
Grosse Kurvatur 4 Querfinger unter dem Nabel.
29. III. Probemahlzeit (300 g Schleimsuppe, 250 g Fleisch, 250 g
Kartoffelpüree). Ausheberung nach 3 Stunden. 25 ccm dünnflüssig
Ausgehebertes. Fleisch gut verdaut.
Freie HCl + 1,460 Prom; Gesamtazidität 160 Proz.; geb. HCl: 40.
Spülung morgens nüchtern getrübt, sauer.
Ordin.: Strenge Geschwürskur. 2 stiindl. Milch mit Vichy (halb
und halb). Morgens Spülung und Wismuteingiessung. Nach einigen
Spülungen ist das Spülwasser ganz klar. Keine Schmerzen. Pat.
bleibt bis zum 30. IV. beschwerdefrei. Wismut ausgesetzt. Diät:
Grütze, weisses gehacktes Fleisch.
6. V. Schmerzen, Sodbrennen. Spülwasser mit Speiseresten,
stark sauer. Diät: Milch mit Vichy, 3 Nährklystiere.
7. V. Bei der Spülung entleert sich etwa % Liter lauggrüne
Flüssigkeit. Freie HCl Hr 1,095 Prom., Gesamtazidität 150 Proz, spez.
Gewicht 1015. Enthält Sarzine. — Starke Schmerzen. 3 mal täglich
7 Tropfen Atropin (0,01:10,0).
10. V. Spülwasser klar, keine Beschwerden. Beim Versuch, mehr
Nahrung zu geben, immer wieder Schmerzen. .
Gastroenterostomie. 5 Wochen nach der Operation kann 1 at.
geheilt ab reisen.
Diese, einer grossen Zahl entnommenen Krankengeschich¬
ten zeigen alle das gleiche typische, wohl charakterisierte
Krankheitsbild. Wir haben einerseits Pylorospasmus und
Magensaftfluss (von den Franzosen oft als Krisen bezeichnet),
anderseits motorische Insuffizienz und Magenerweiterung,
oder, wie sie Einhorn nennt, Ischochymie. Dem einen im¬
poniert mehr die Pylorusstenose, dem anderen die Magen¬
erweiterung und der Saftfluss. Die Grundursache für diesen
Circulus vitiosus ist aber das Geschwür am Pylorus, das diesen
teilweise verengt und bei Spasmus vollständig verschliesst.
Den Abstufungen und Intensitätsgraden aller dieser Dinge
entspricht die Behandlung.
Schon im Jahre 1869, wo man die Entwicklung der Bauch¬
chirurgie zur heutigen Höhe noch gar nicht ahnen konnte, hat
Kussmaul an chirurgische Hilfe gedacht durch Erweite¬
rung der Striktur mit dem Messer oder der Sonde, oder durch
Gastrotomie und Anlegen einer Magenfistel, als er seine
Methode der Magenspülung bemessen hat und ihr bei narbiger
Stenose des Pylorus keine Heilung, höchstens Erleichterung
zusprach.
Vom Gesichtspunkte der heutigen Geschwürstherapie be¬
trachtet, gehören Geschwüre am Pylorus zu der Kategorie, die
durch innere Mittel wohl gebessert, aber nicht geheilt werden
können. Die Behandlung richtet sich nach dem bekannten
Prinzip der Geschwürskur, die aber oft im Stiche lässt. Wenn
wir auch einzelne Fälle hatten, die sich so leidlich durch¬
schlugen, so stehen wir doch schon lange auf dem Stand¬
punkte, dem auch Krön lein Ausdruck gegeben hat, indem
er jede sicher nachweisbare Stenose des Pylorus als Indikation
zur Operation aufstellte.
Allerdings können sich Patienten oft lange Zeit behelfen,
sie sind aber immer auf die Hilfe der Magensonde und zeit¬
lebens zur grössten Vorsicht und Enthaltsamkeit verurteilt,
und müssen immer gewärtig sein, dass durch eine beliebige,
geringfügige Ursache wieder ein Anfall ausgelöst wird. Die
soziale Stellung der Patienten kommt dabei auch in Frage.
Ein Arbeiter, der seine Diät und ganze Lebensweise nicht den
Forderungen seines Magens entsprechend einrichten kann,
wird als Magenkrüppel nicht imstande sein, sich und seine
Familie zur ernähren. Derartige Patienten, die uns zur Begut¬
achtung von Versicherungen zugeschickt wurden, mussten wir
für völlig erwerbsunfähig erklären, während man nach ge¬
lungener Operation vollständige Gesundheit und Erwerbs¬
fähigkeit in Aussicht stellen kann.
Zum Schlüsse möchte ich noch einen Umstand erwähnen,
der das beschriebene Krankheitsbild überaus häufig ungünstig
beeinflusst, die von T e c k 1 e n b u r g genau beschriebene Ge¬
wohnheit des Luftschluckens, die Aerophagie. Ich glaube, dass
er den Prozentsatz mit 5—6 Proz. zu nieder gegriffen hat, denn
ich fand das Luftschlucken in mehr als der Hälfte meiner Magen¬
leidenden und vielen anderen, die es zu sein meinten.
Kommt zu allen genannten für die Heilung ungünstigen
Bedingungen noch die Dehnung des Magens durch geschluckte
Luft hinzu, wohl hauptsächlich durch die starke Salivation
bedingt, und. das Bestreben, einen lästigen Druck in der Speise¬
röhre und im Magen durch Schlucken zu beseitigen, dann kann
1320
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
von einem Erfolge mit innerer Therapie von vornherein nicht
viel erwartet werden, da wirksame Mittel gegen das Luft-
Schlucken nicht bekannt sind.
Aus der Deutschen Heilstätte für Lungenkranke in Davos.
Die Frühdiagnose der Lungentuberkulose mittels der
Koch sehen Tuberkulinprobe in der ärztlichen Praxis.
Von O. Ziegler, jetzt II. Arzt am Sanatorium Schömberg
bei Wildbad im Schwarzwald.
Je mehr sich in der ärztlichen Welt die Ueberzeugung Bahn
bricht, dass die beginnende Lungentuberkulose eine heilbare
Krankheit ist, desto mehr — sollte man meinen — müssten sich
sämtliche Aerzte bemühen, die Tuberkulose in ihren ersten An¬
fängen zu entdecken, um ihre Patienten der geeigneten Be¬
handlung übergeben zu können.
Trotzdem erlebt man es häufig, dass tuberkulös Erkrankte,
vielleicht auf einen negativen Bazillenbefund im Sputum hin,
unter dem Namen einer Bronchitis, eines Spitzenkatarrhs, einer
verschleppten Influenza lange Zeit behandelt werden, ohne dass
das Wesen der Erkrankung erkannt wird. Jeder Heilstätten¬
arzt hat in seiner Tätigkeit mehrere Beispiele für derartige
Fälle und muss sich wundern, wie oft verschleppte tuberkulöse
Lungenerkrankungen unter dem Namen einer Anfangserkran¬
kung in seine Behandlung gelangen.
Seitdem Koch sein Alttuberkulin dargestellt hat und seine
absolut spezifische Wirkung auf tuberkulöse Veränderungen
im menschlichen Körper herausgefunden hat, sind nun bereits
16 Jahre vergangen, und noch immer nicht ist die spezifische
Diagnose der Tuberkulose Gemeingut aller Aerzte geworden.
Es ist ja keine Frage, dass in letzter Zeit sich die Zahl derer
mehrt, die es für eine Notwendigkeit halten, in zweifelhaften
Fällen die Tuberkulinprobe zu Rate zu ziehen, aber es ist nur
ein kleiner Bruchteil.
Diejenigen, die in der ersten Zeit ihre Stimme warnend
gegen die Tuberkulinprobe erhoben und auf Gefahren hin¬
wiesen, die nach einer Probeinjektion auftreten könnten, sind
mit der Zeit mehr und mehr verstummt, und man sollte wün¬
schen, dass der junge Mediziner von seiner Ausbildung auf der
Universität und im praktischen Jahre auch die richtige Technik
und Beurteilung der spezifischen Diagnose der Lungentuberku¬
lose mit in die Praxis brächte. Die Folge davon wäre eine Ver¬
mehrung der Frühdiagnosen der Lungentuberkulose und damit
auch eine bessere Prognose bezüglich der Dauerheilungen; denn
je früher die Tuberkulose erkannt wird und zur Behandlung
kommt, desto sicherer ist die Aussicht auf Heilung.
Gerade für den praktischen Arzt ist die Tuberkulinprobe
eines der dankbarsten Mittel, die ihm die Wissenschaft für
seine Praxis an die Hand gibt Wie oft tritt an ihn die Frage
heran, zu entscheiden, ob einer seiner Patienten an Tuber¬
kulose leidet oder nicht. Sehr oft werden ihn alle Unter¬
suchungsmethoden im Stich lassen, und wenn auch noch der
Auswurfbefund das Fehlen von Tuberkelbazillen ergibt, so wird
er leicht geneigt sein, das Vorhandensein einer beginnenden
Tuberkulose zu verneinen. In allen solchen Fällen ist das
Koch sehe Alttuberkulin das königliche Mittel, um mit ab¬
soluter Sicherheit die richtige Diagnose zu stellen.
Bevor ich dazu übergehe, genauer auf die Technik der
Tuberkulinprobe und auf das, was sie leistet, einzugehen,
möchte ich kurz berühren, wie man sich die Reaktion nach einer
Tuberkulineinspritzung zu erklären hat.
Nach einer Tuberkulineinspritzung erfolgt bei einem an
Tuberkulose Leidenden eine Reaktion, die man in eine All¬
gemeinreaktion und eine spezifische Reaktion trennen kann.
Die Allgemeinreaktion, die man nach Einverleibung eines jeden
Bakteriengiftes bei einem Menschen hervorrufen kann, ist er¬
kenntlich an dem gestörten Allgemeinbefinden und der Tem¬
peraturerhöhung. Die spezifische Reaktion dagegen spielt sich
an dem tuberkulösen Herde selbst ab und kann ebenfalls Fieber
auslösen.
Histologisch lässt sich der Vorgang der Lokalreaktion mit
dem einer schnell verlaufenden Entzündung vergleichen. Es
tritt sehr bald nach der Injektion eine starke Hyperämie der
erkrankten Stelle und in deren Umgebung auf. Eine Begleit¬
erscheinung dieser Hyperämie ist eine auffallend starke Durch¬
tränkung des Gewebes mit einer ödemartigen Flüssigkeit.
Ausserdem findet sich eine reiche Ansammlung fixer Blutele-
mente, unter denen besonders die gelappt- und mehrkernigen
Leukozyten vorherrschen.
Verschiedene Hypothesen, auf die ich hier nicht näher ein-
gehen will, haben versucht, eine Erklärung für die Auswahl
der tuberkulös erkrankten Stellen durch das eingespritzte
Tuberkulin zu geben, ohne zu einem befriedigenden Resultat
gelangen zu können. Erst Wassermann und Bruck1)
ist es gelungen, die spezifische Reaktion experimentell aufzu¬
lösen und damit völlig zu erklären.
Gestützt auf Untersuchungen von N e i s s e r und Sachs
u. a. über den Nachweis feinster Eiweissmengen durch Komple¬
mentablenkung gelang es ihnen, in den Extrakten noch re¬
aktionsfähigen Gewebes tuberkulöser Lungen das Vorhanden¬
sein von Tuberkulin und Antituberkulin zu beweisen. Beides
entspricht der natürlichen Ueberlegung, dass nämlich erstens in
einem tuberkulösen Herde, wo Tuberkelbazillen leben oder ab¬
gestorben sind, Giftstoffe derselben lagern und dass zweitens
da, wo Giftstoffe auf noch reaktionsfähiges Gewebe treffen,
eine Produktion von Gegengift stattfindet. Nach Ehrlich hat
man sich die Lagerung von Tuberkulin so zu denken, dass
direkt um den kranken Herd die ersten Zellschichten voll¬
kommen von den Giften der Tuberkelbazillen durchsetzt sind,
dass die weiteren Schichten nur gewissermassen lädiert sind
und die äussersten Schichten intakt — also gesund sind. Die
mittlere Zone ist der Sitz der spezifischen Reaktion; denn in
ihr findet aus dem reaktionsfähigen Gewebe heraus eine Pro¬
duktion von Antituberkulin statt, welches wiederum die Vor¬
bedingung für das Zustandekommen der spezifischen Re¬
aktion ist.
Wird nun einem tuberkulösen Individuum Tuberkulin ein¬
gespritzt, so muss letzteres kraft seiner gegenseitigen Avidität
an seinen in der Umgebung des kranken Herdes aufgespeicher¬
ten Antistoff also an das Antituberkulin herangehen und wird
von dessen haptophorer Gruppe gefesselt. Bei dieser Verbin¬
dung von Tuberkulin und Antituberkulin kommt es zu einer
Komplementbindung und damit zu einer Anhäufung derjenigen
Elemente des Blutes, die als eiweissverdauende aufzufassen
sind, der Leukozyten und der aus ihnen stammenden Fermente.
Letztere wiederum bewirken eine Einschmelzung des tuber¬
kulösen Gewebes und kennzeichnen damit die Lokalreaktion.
Man versteht also nach Wassermann und Bruck
unter der spezifischen Tuberkulinreaktion die Einschmelzung
des tuberkulösen Gewebes hervorgerufen durch die bei der
Verbindung von Tuberkulin und Antituberkulin angereicherten
verdauenden Körpersäfte.
Bei diesem Vorgang tritt für gewöhnlich Fieber auf, das
eine Folge des zur Resorption gelangenden eingeschmolzenen
tuberkulösen Gewebes ist.
Wassermann und Bruck haben ihren Versuch noch
weiter ausgedehnt und im Serum von Tuberkulösen, die eine
Tuberkulinbehandlung durchgemacht hatten, freies Antituber¬
kulin gefunden; diese Tatsache erklärt zur Genüge, weshalb
solche Kranke, obwohl sie noch nicht gesund sind, auf eine
Tuberkulineinspritzung nicht mehr zu reagieren brauchen. Es
wird nämlich durch das im Serum aufgespeicherte Antituber¬
kulin die eingespritzte Toxinmenge abgefangen und kann nicht
— oder nur in kleinen Mengen — zu dem erkrankten Herd ge¬
langen. Es bleibt also die spezifische Reaktion aus oder ist
wenigstens kaum nachweisbar.
Bei solchen Tuberkulösen, die noch keine Tuberkulin-
behandlung durchgemacht haben, wurde meistens auch kein
freies Antituberkulin gefunden, so dass es hier bei einer Tuber¬
kulineinspritzung zu einer spezifischen Reaktion kommen kann.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass
1. frische Krankheitsherde (sei es bei beginnender oder
vorgeschrittener Tuberkulose) mit genügend reaktionsfähigem
Gewebe in der Umgebung der kranken Stelle auf eine Probe¬
injektion lebhaft reagieren werden — es kommt zu einer aus¬
giebigen Paralysierung des Tuberkulins und dadurch zu einer
Einschmelzung.
U Deutsche med. Wochenschr., 1906, No. 12 und Münch, nied.
Wochenschr., 1906, No. 49.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1321
2. Kranke mit grossen Zerstörungen und Mangel an re¬
aktionsfähigem Gewebe wenig oder gar nicht reagieren können;
denn es kann zu keiner Bindung des Tuberkulins kommen. Da¬
gegen kann das eingespritzte Tuberkulin eine empfindliche Gift¬
wirkung ausiiben.
3. Individuen, die kurze Zeit vorher eine Tuberkulinkur
beendigt haben, auf eine Tuberkulineinspritzung gar nicht oder
nur sehr wenig oder erst bei einer sehr hohen Dosis reagieren
werden, weil ihr Serum noch freies Antitoxin enthält, welches
das eingespritzte Tuberkulin sofort zu paralysieren im¬
stande ist.
Für diejenigen, denen die Gesetze der Ehrlich sehen
Seitenkettentheorie bekannt sind, möchte ich kurz bemerken,
wie die Wassermann-Bruck sehen Experimente mit ihr
in Einklang zu bringen sind.
Durch die Tatsache der Komplementbindung bei der Ver¬
einigung von Tuberkulin und Antituberkulin geht hervor, dass
man unter dem Tuberkulin kein Toxin im Sinne Behrings
(Diphtherietoxin, Tetanustoxin) zu verstehen hat, sondern eine
Substanz, in der wirkliche Bakterienteile enthalten sind, so dass
der Vorgang, der die Veranlassung für die Lokalreaktion ist,
als ein bakteriolytischer aufzufassen ist, bei dem das Antitoxin
die Rolle eines Rezeptors III. Ordnung mit einer zytophilen
oder haptophoren und einer komplementophilen Gruppe ver¬
sieht. Mit der zytophilen Gruppe wird das Tuberkulin, mit der
komplementophilen das Komplement gebunden. Befindet sich
freies Antitoxin im Blut, so ist es als freier Rezeptor auf¬
zufassen = Ambozeptor, der unter Zuhilfenahme des Komple¬
ments das eingespritzte Tuberkulin paralysiert.
Technik und Beurteilung der probatorischen
Tuberkulininjektion.
Die in der hiesigen Heilstätte angewandte Tuberkulinprobe lehnt
sich an die von Koch angegebene an mit dem Unterschied, dass
als 1. Dosis stets 0,1 mg und statt 0,5 und 5 mg 0,4 und 4 mg ge¬
geben werden. Die Steigerungen erfolgen von 0,1mg auf 0,4 mg,
1 mg, 4 mg, 10 mg. Wer nach einer zweimaligen Einspritzung von
10 mg nicht reagiert, ist, wenn auch sonst keine Zeichen von Tuber¬
kulose vorhanden sind, als gesund anzusehen.
Die Verdünnung des K o c h sehen Alttuberkulins geschieht am
besten mit einer 0,5 proz. Karbollösung und muss unter aseptischen
Kautelen vorgenommen werden.
Diejenige Verdünnung, die für alle Probeinjektionen genügt, hat
in 100 ccm 0,5 proz. Karbollösung 1 ccm Alttuberkulin zu enthalten, so
dass in 1 ccm 10 mg Alttuberkulin enthalten sind, also in einem Teil¬
strich einer 1 ccm fassenden Pravazspritze 1 mg.
Für die Anfangsdosen unter 1 mg hat man die Verdünnungen in
der Spritze zu machen.
Das Instrumentarium besteht also aus:
1. Einer Tuberkulinlösung: Tuberculin. Kochii 1,0, 0,5 proz. Kar¬
bolwasser ad 100,0;
2. 0,5 proz. Karbolwasser;
3. einer leem fassenden Pravazspritze die in 10 Teilstriche ein¬
geteilt ist;
4. zur Spritze Platiniridiumkanülen, die in der Flamme ausge¬
glüht werden können.
Die Herstellung der 5 verschiedenen Dosen geschieht folgender¬
massen :
1. 0,1 mg. Es wird ein Teilstrich Tuberkulinlösung aufgezogen,
dazu 9 Teilstriche Karbolwasser. Nach Aufsetzen der Kanüle schütteln
und davon 1 Teilstrich einspritzen.
2. 0,4 mg. Ebenso wie bei 0,1 und davon 4 Teilstriche ein¬
spritzen. .
3. 1 mg. Man zieht 1—2 Teilstriche Karbolwasser auf und 1
Teilstrich Tuberkulinlösung. Alles einspritzen.
4. 4 mg. Man zieht 4 Teilstriche Tuberkulinlösung auf. Ein-
5. 10 mg. Man zieht eine ganze Spritze Tuberkulinlösung auf.
Einspritzen.
Es ist von vielen Seiten angeraten worden, den Patienten
während der Probeinjektionen in ein Krankenhaus zu legen.
Obwohl vieles dafür spricht, möchte ich doch der Ansicht sein,
dass der praktische Arzt die Vornahme der Einspritzungen
selbst übernimmt. Er muss nur darauf achten, dass alle nötigen
Massregeln absolut befolgt werden und darauf dringen, dass
der Patient eine der Wichtigkeit der Untersuchung ent¬
sprechende Einsicht entgegenbringt.
Ungeeignet für die prabatorische Tuberkulininjektion sind
Patienten mit Fieber und ausgedehnten Erkrankungen. Ist eine
Hämoptoe vorangegangen, empfiehlt es sich, mit der Ein¬
spritzung 4 Wochen zu warten. Während der Dauer der Ein¬
spritzungen hat der Patient im Bett zu liegen.
No. 27.
Die Temperatur ist in zweistündigen Messungen an drei
auf einander folgenden Tagen vorher festzulegen. Erforderlich
ist Darmmessung, weil Achsel- und Mundmessung nicht so ein¬
wandsfreie Zahlen ergeben.
Man beginnt die Messung um 6 Uhr morgens und misst —
wenn möglich — bis 12 Uhr nachts. Eventuell ist die Fest¬
stellung einer Nachttemperatur um 3 Uhr erforderlich.
Ist Auswurf vorhanden, so ist seine 24 stündige Menge
vor der Einspritzung zu messen.
Es ist vor der Einspritzung eine genaue Untersuchung
vorzunehmen
1. der Lunge und zwar, wenn möglich, morgens vor dem
Abhusten,
2. des Kehlkopfes,
3. des Leibes auf Druckempfindlichkeit in der Nieren- und
Ileozoekalgegend,
4. des Urins.
Nach Erfüllung dieser Vorbedingungen wird vormittags
um ca. 9 Uhr die erste Dosis, 0,1 mg, subkutan in den Rücken
innen oder unten von der Skapula eingespritzt. Die Haut wird
vorher mit Aether gut gereinigt und nach der Injektion mit
einem in absoluten Alkohol eingetauchten Wattebausch leicht
massiert, um die Resorption zu erleichtern. Die Einstichstelle
kann mit etwas Kollodium verschlossen werden.
Es folgt regelmässige Temperaturmessung. Am nächsten
Tage hat eine Untersuchung der Lunge, des Leibes und des
Urins stattzufinden, auch wenn keine Temperaturerhöhung ein¬
getreten ist..
Ist eine Temperaturerhöhung von 0,5° eingetreten, so ist
die Reaktion als positiv zu bezeichnen, und man kann nach Ab¬
klingen derselben die Dosis noch einmal wiederholen; oft pflegt
dann die Temperaturerhöhung eine deutlichere zu sein.
Ist nun eine ganz geringe oder gar keine Temperatur¬
erhöhung aufgetreten, so erfolgt am übernächsten Tage die In¬
jektion von 0,4 mg.
Wieder folgt genaue Messung, Untersuchung usw. wie
oben.
Die Frage, ob eine spzezifische Reaktion nach einer der
genannten Dosen aufgetreten ist, ist zu bejahen, wenn die Tem¬
peratur an demselben oder am nächsten Tage sich zu irgend
einer Zeit um 0,5° gegen die Tage vorher erhoben hat.
Man vergleicht nie die Tagesmaxima mit einander, sondern die
sich entsprechenden Zeiten.
Eine wertvolle Unterstützung erfährt die Beurteilung der
positiven Reaktion durch das Auftreten folgender Symptome:
1. durch das Auftreten von Geräuschen über der Lunge,
die vorher noch nicht vorhanden waren, oder durch eine Ver¬
mehrung von solchen, die schon kontrolliert waren. Beides
ist meistens mit einer Vermehrung der Aufwurfmenge und des
Hustens verbunden (Lokalreaktion).
Der Nachweis der Lokalreaktion genügt bei Individuen,
die schon eine Tuberkulinkur durchgemacht haben, da infolge
der gesteigerten Tuberkulinunempfindlichkeit das Fieber nicht
aufzutreten braucht.
2. durch das Auftreten von Schmerzen im Kehlkopf oder
von Heiserkeit. Der Verdacht auf eine bestehende Kehlkopf¬
tuberkulose ist berechtigt und eine genaue Untersuchung an¬
gezeigt.
3. Wenn im Urin plötzlich Eiweiss oder Blut auftritt, event.
verbunden mit Schmerzhaftigkeit einer oder beider Nieren,
ist an eine bestehende Nierentuberkulose zu denken.
4. Wenn starke Schmerzen im Leibe, besonders der rechten
Unterbauchgegend auftreten, so können sie durch vorhandene
Darmgeschwüre oder geschwollene tuberkulöse Mesenterial¬
drüsen hervorgerufen werden; doch ist es ratsam, mit' der
Diagnose der Darmtuberkulose vorsichtig zu sein, da man ver¬
hältnismässig oft nach Tuberkulin Leibschmerzen auftreten
sieht, die ihre Ursache nicht in tuberkulösen Veränderungen
haben. In einigen Fällen ist nach einer Tuberkulineinspritzung
Blut im Stuhlgang aufgetreten, was ebenfalls auf bestehende
Darmgeschwüre schliessen lässt.
Ausserdem finden sich im Gefolge der Tuberkulinreaktion
noch eine ganze Reihe von Symptomen, die zum Teil einen
spezifischen Charakter haben können.
In erster Linie erwähne ich die hin und wieder auftretende
Spinalgie (P e t r u s c h k y). Bei Druck auf die Proc. spinosi
1322
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
wird ein von den Wirbeln naeh links oder rechts in die Schulter
hinein ausstrahlender Schmerz ausgelöst.
Oft ist dieses Symptom kompliziert mit Schmerzempfind¬
lichkeit des Brustbeins besonders des oberen Teils und einem
gespannten Gefühl in der Brust. Meines Erachtens ist
dieser Symptomenkomplex ein Zeichen dafür, dass die im
Thorax vorkommenden, sehr zahlreichen Lymphdrüsen, die bei
einer bestehenden Lungentuberkulose fast immer in irgend
einem Stadium einer tuberkulösen Erkrankung stehen, durch die
spezifische Reaktion und die dadurch bedingte Schwellung eine
Erhöhung des intrathorakalen Drucks verursachen.
Es ist dieses Symptom ein so häufig wiederkehrendes, dass
man ihm einen diagnostischen Wert zusprechen kann.
Eine Teilerscheinung dieses erwähnten Symptomenkom-
plcxcs ist zeitweise das Auftreten von Herzklopfen nach einer
Tuberkulininjektion. Auch dieses kann auf eine spezifische
Reaktion hindeuten. Im Verlaufe des Vagus finden sich häufig
bei Tuberkulösen erhebliche Lymphdriisenschwellungen resp.
-tuberkulösen. Ich selbst habe einmal in einer erbsengrossen
Lymphdrüse, die unmittelbar in der Nähe des Vagus lag und
makroskopisch keine Veränderung erkennen liess, ganz frische
Miliartuberkel mit Riesenzellen bei der mikroskopischen
Untersuchung gefunden und auch in anderen Fällen makro¬
skopisch Tuberkulose einer oder mehrerer dieser Drüsen bei
der Sektion feststellen können, so dass bei der spezifischen
Reaktion durch eine Tuberkulininjektion eine erhebliche
Schwellung dieser Drüsen und damit eine direkte Insultierung
des Vagus verständlich ist.
Dieser interessante Symptomenkomplex wird durch Herrn
Chefarzt Dr. B r e c k e in einer demnächst erscheinenden aus¬
führlichen Arbeit genauere Besprechung und Erklärung er¬
fahren.
Zu unangenehmen Zufällen, die ich noch erwähnen möchte,
gehören sehr hohe Reaktionen. Sie pflegen schnell wieder
abzuklingen, und es ist meistens nichts anderes nötig, als eine
Eisblase auf Kopf und Herz zu legen und für eine genügende
Flüssigkeitszufuhr zu sorgen. Antipyretica sind zu vermeiden.
Bei sogen, protrahierten Reaktionen, d. i. Reaktionen, bei
denen das Eieber einige Tage lang bestehen bleibt, empfiehlt es
sich, am 4. — 5. Tage Antipyretica zu geben, doch kommen
solche Fälle selten vor.
Was die Zeit des Eintretens und die Dauer der Reaktion
betrifft, so ist zu bemerken, dass in den meisten Fällen die Re¬
aktion, wenn die Einspritzung des Morgens um 9 Uhr erfolgt
ist, ihren Höhepunkt noch am Abend erreicht. In anderen
Fällen erfolgt sie erst am nächsten Tage. Meistens ist die
Temperatur 12—24 Stunden nach Beginn der Reaktion wieder
normal.
Ueber die Dauer der Lokalreaktion auf der Lunge etwas
bestimmtes zu sagen, möchte ich mich enthalten. Nach meiner
Erfahrung kann man sie durch die Auskultation etwas länger
nachweisen, als Vermehrung des Hustens und Auswurfs be¬
steht. Jedenfalls wird man richtig gehen, wenn man für ge¬
wöhnlich annimmt, dass die Lokalreaktion auf der Lunge un¬
gefähr 4 Tage dauert, mit der Einschränkung, dass Lokal¬
reaktionen von einer Woche ebenfalls zur Beobachtung
kommen.
Kurve 1.
Kurve 3.
Von den beigefügten Temperaturkurven gibt die I. eine
typische Reaktion bei 4 mg wieder; die II. eine sehr hohe Re¬
aktion. die erst am 2. Tage aufgetreten ist; die III. zeigt eine
protrahierte Reaktion, die 5 Tage dauerte und am Vormittag
des 6. Tages einen plötzlichen Abfall erlebte.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Reaktion auf eine
probatorische Tuberkulininjektion für den betreffenden Patien¬
ten durchaus kein gleichgültiger Vorgang ist. Die plötzlich an¬
steigende Temperatur und die deutliche Lokalreaktion an
jedem tuberkulösen Herd deuten auf einen energisch ver¬
laufenden Prozess und können den Patienten für die Dauer der
Reaktion erheblich krank machen. Dem gegenüber aber ist
zu bedenken, dass dieser Zustand und die Erscheinungen
stets vorübergehend und bei genauer Be¬
rücksichtigung aller der zur Untersuchung
wichtigen Vornah m e n, wie ich sie angegeben habe,
ungefährlich sind.
Die diagnostische Bedeutung der Assoziationsversuche.*)
Von Dr. Max Isserlin in München.
M. H.! Untersuchungen über die Verknüpfung von Be¬
wusstseinsinhalten gehören zu den frühesten wissenschaft¬
lichen Bemühungen einer empirischen Psychologie, und auch
die junge experimenteller Hilfsmittel sich bedienende Wissen¬
schaft hat dem Problem der Assoziation seelischer Erlebnisse
die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Gemäss der
überwiegenden Rolle, welche bis in die Neuzeit hinein die in¬
tellektuelle Sphäre, das Gebiet des Vorstellens und Denkens,
in der Psychologie gespielt hat, war es das Problem der Asso¬
ziation von Vorstellungen, welches die Forscher in An¬
spruch nahm; sie in einem solchen Masse in Anspruch nahm,
dass man heute noch eine wichtige Richtung empirischer
Psychologie nach der Bedeutung, welche gerade die Frage
der Vorstellungsassoziation für sie gewann, als „Assoziations-
Psychologie“ bezeichnet. Das Ziel, welches diese vorwiegend
fesselte, war, allgemeine Gesetze der Verknüpfung von Vor¬
stellungen festzustellen, und auch die modernen experimen¬
tellen Untersuchungen leitete zunächst das Interesse an der
Erfassung gemeingültiger Gesetzmässigkeiten, welche die Ver¬
bindung von Bewusstseinsinhalten beherrschen.
Es zeigte sich aber sehr bald, dass das Assoziations¬
experiment — wenigstens in der Form, in welcher es zunächst
angestellt wurde — über jene theoretischen Fragen wenig
Klarheit brachte. Wenn es sich trotzdem auch in jener ersten
Form im Wesentlichen unverändert eingebürgert hat, so ver¬
dankte es das dem Umstand, dass es sich für praktisch¬
psychologische Zwecke sehr brauchbar erwies, für die
Fixierung individueller psychischer Unterschiede und die
psychopathologische Diagnostik.
Wenn wir nun in unseren heutigen Ausführungen speziell
diesen praktisch-diagnostischen Assoziationsversuchen eine
eingehendere Erörterung widmen, so soll in der Wahl dieses
Themas nicht der Ausdruck einer besonderen Bevorzugung des
Verfahrens der Assoziationsversuche gegenüber anderen in¬
dividualpsychologischen Untersuchungsmethoden gefunden
werden; es handelt sich durchaus nicht etwa um ein Hilfsmittel
der psychologischen Diagnostik, welches die bereits zahlreich
ausgebildeten anderen Verfahren an Exaktheit und Sicherheit
überträfe, wohl aber verdienen die ergebnisreichen Unter¬
suchungen, welche mit Hilfe des Assoziationsexperiments über
zahlreiche psychologische und psychopathologische Fragen an¬
gestellt sind, und wie sie besonders in den letzten Jahren För-
*) Nach einem im Naturhistorisch-medizinischen Verein zu
Heidelberg gehaltenen Vortrag.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1323
derung erfahren haben, eine gesonderte Darstellung. Wollen
wir aber speziell den psychiatrisch - diagnosti¬
schen Wert dieser Methode erfassen, so wird es zweck¬
mässig sein, einer kurzen Uebersicht über die Entwicklung
dieses Arbeitsgebiets zu folgen. .
Der erste, welcher Versuche, die man als Assoziations-
experimente bezeichnen kann, angestellt hat, ist wohl Hal¬
ten gewesen (1878). Er machte Versuche in der Weise, dass
er plötzlich die Aufmerksamkeit auf irgend einen Eindruck
richtete und dann registrierte, welche Vorstellung unmittelbar
darauf in sein Bewusstsein trat, was ihm unwillkürlich „einfiel“.
Er versuchte es auch schon, die Zeit, die von dem Eindruck bis
zum „Einfallen“ verfloss, zu messen. Von W u n d t und seiner
Schule sind dann bald im Anschluss an jene ersten Experimente
umfassendere und exaktere Untersuchungen ausgeführt und
ein einwandfreieres Versuchsverfahren ausgebildet worden.
Auch diese Methodik, wie sie sich bald allgemeiner ein-
bürgerte, suchte festzustellen, welche Einfälle im Anschluss an
einen Eindruck unwillkürlich ins Bewusstsein traten, „repro¬
duziert“ wurden, und die Zeit bis zur Reproduktion, die „Asso¬
ziationszeit“ zu messen. Erreicht wurde dieses Ziel gewöhn¬
lich in der Weise, dass einzelne „Reiz“worte der Versuchs¬
person (optisch) gezeigt oder (akustisch) zugerufen wurden und
die Versuchsperson das zunächst einfallende Wort auszu-
sprechen hatte („Antwortmethode“). Die „Assoziationszeit“ V
wurde dabei entweder bis auf Tausendstel Sekunden genau mit
dem „H i p p sehen Chronoskop“ gemessen (durch Vorrich¬
tungen, welche ermöglichten, das Chronoskop mit Hilfe eines
elektrischen Stroms durch das Zeigen bezw. Zurufen des Wor¬
tes in Gang zu setzen, durch die Reaktion der Versuchsperson
wieder zum Stillstand zu bringen) oder auch in einfacher Weise
mit einer durch den Versuchsleiter in Bewegung zu setzenden
und zu 'arretierenden „Fünftel-Sekunden-Uhr“. So gelang es
bald, verschiedene Arten zu reagieren festzustellen, „Assozia¬
tionsformen“, welche man mit einer gewissen Konstanz in be¬
stimmter Weise jeweils bei bestimmten Individualitäten auf-
treten sah, und welche man deshalb für ein psychisches Signale¬
ment, für die Kennzeichnung individueller Unterschiede zu ver¬
werten begann.
Es ist insbesondere W u n d t gewesen, welcher dieser
praktischen Verwertung des eben beschriebenen Ver¬
fahrens der Assoziationsexperimente das Wort geredet hat,
und sein Schüler T r a u t s c h h o 1 d* 2) hat ein Schema für die
Einteilung der gewonnenen Assoziationen entworfen, welches
auch noch heute in etwas modifizierter Weise sehr häufig ver¬
wendet wird. Das Wesentliche dieser Einteilung war die
Trennung in „innere“ und „äussere“ Assoziationen, „innere“
solche, bei denen das Reaktion s wort mit dem Reizwort in be¬
grifflichem Zusammenhang steht (z. B. Pferd — Haustier, Sonne
— leuchtet), „äussere“, wenn Reiz- und Reaktionswort nur
durch räumliche oder zeitliche Berührung (Pferd — Sattel,
Donner — Blitz) oder durch sprachliche Gewohnheit und
Klangähnlichkeit (Kind — Kegel, fest — gemauert, wunder —
bar, Baum — Schaum) verknüpft erscheinen. So gelingt es
auch schon nach diesen einfachen Gesichtspunkten mehr
„innerlich“ oder „äusserlich“ reagierende Typen zu unter¬
scheiden, eine Möglichkeit, welche sich sowohl für die normale
Individualpsychologie, als auch besonders aber für die psycho-
pathologische Diagnostik als bedeutungsvoll erwies. Es wurde
das Ziel des praktisch verwendeten Assoziationsversuchs
solche Verschiedenheiten der Qualität der Assoziationen und
der Assoziationszeit bei verschiedenen Individualitäten und bei
derselben Individualität in verschiedenen Seelenzuständen zu
kennzeichnen.
In dieser Absicht hat K r a e p e 1 i n 3) den Assoziations¬
versuch in grundlegender Weise in die Psychiatrie eingeführt.
Ausser orientierenden Normalversuchen hat er Experimente
über die Beeinflussung des Assoziierens durch Einwirkung
von Giften angestellt. Er fand bei der Einwirkung von
x) Dieser ungenaue Ausdruck ist bei praktischen Versuchen er¬
laubt. Eigentlich muss von der gewonnenen Zeit die einfache Re-
aktions- und die Apperzeptionszeit abgezogen werden, damit man die
wirkliche „Assoziationszeit“ erhält.
2) Philos. Stud., herausg. v. W u n d t, Bd. I.
3) „Ueber die Beeinflussung psychischer Vorgänge durch einige
Arzneimittel“ und „Psychologische Arbeiten“ I.
Alkohol eine Verlängerung der Reaktionszeit und eine Ver-
äusserlichung des Assoziationstypus, bei der Aufnahme von
Thee eine Abnahme der äusseren Assoziationen bei kurzer
Reaktionszeit. Sehr umfassende Untersuchungen hat dann in
Kraepelins Laboratorium Aschaffen 'bürg4) ange¬
stellt. Seine Arbeiten behandeln in ausgedehnter Weise die
Assoziationen der Normalen, die Veränderungen des Asso¬
ziierens bei der Erschöpfung und Alkoholeinwirkung sowie vor
allem die für die manischen Zustände und die Ideenflucht
charakteristischen Assoziationsreaktionen. A schaffen -
b u r g fand bei den von ihm untersuchten gebildeten Normalen
ein leichtes Ueberwiegen der äusseren Assoziationen über die
inneren, die Reaktionszeit der äusseren Assoziationen wai
durchgehends etwas kürzer als die der inneren. Bei der E r -
Schöpfung trat eine allgemeine Verflachung des Assozia¬
tionstypus zutage; äusserliche, eingelernte Verbindungen,
Klangreaktionen und Reime ersetzen die begrifflichen Bezieh¬
ungen ; die Reaktionszeit ist dabei verlängert. Aehnliche Re¬
sultate ergaben die Alkoholversuche. Die höchsten Grade abei
einer solchen Veräusserlichung und Verflachung der Assozia¬
tionen konnte Aschaffenburg in seinen fundamentalen
Untersuchungen über die manische Id een flucht nach-
weisen. Mit steigender Erregung treten die äusseren Zu¬
sammenhänge immer mehr an die Stelle der inneren. Von der
Aneinanderreihung der Vorstellungen nach blosser räumlicher
oder zeitlicher Koexistenz schreitet die Verflachung der Asso¬
ziationen fort zu eingelernten Verbindungen, Redensarten,
Sprichwörtern, Witzen und endigt mit der Häufung von sinn¬
losen Klangreaktionen und Reimen (die letzteren konnte
Aschaffenburg in 30—70, ja 100 Proz. in der Ideenflucht
nachweisen, während Klangreaktionen bei Normalen nur in
einer Stärke von 2—4 Proz. aufzutreten pflegen). Wichtig ist
das Verhalten der Reaktionszeit. Aschaffenburg hat
diese in der Manie und Ideenflucht niemals beschleunigt, oft
nicht unerheblich verlangsamt gefunden. Er tritt deshalb —
ebenso wie Kraepelin — der sonst fast allgemein ange¬
nommenen Lehre von der Beschleunigung des Vorstellungs¬
ablaufes in der manischen Erregung entgegen. Auf diese An¬
sicht werden wir indessen noch im Laufe unserer Erörterungen
zurückzukommen haben.
Wichtige Ergänzungen sowohl hinsichtlich der Methodik
des Asso’ziationsexperimentes als der speziellen Erforschung
der einzelnen Psychosen brachten die Arbeiten S o m m e r s 5)
und seiner Schüler. Sommer vertritt — gemäss seinen auch
sonst angewendeten methodischen Grundsätzen — die Forde¬
rung der Anwendung eines einheitlichen, nach bestimmten Ge¬
sichtspunkten zusammengestellten Reizwörterschemas, welches
die verschiedene Reaktionsweise verschiedener Individuen auf
einen einheitlichen Reiz bezw. desselben Individuums in den
verschiedenen Stadien einer Psychose verdeutlichen soll. —
Sicher ist, dass bei Einhaltung gewisser Vorsichtsmassregeln
(besonders gegen die Fixierung von Assoziationen durch
Wiederholung) ein einheitliches Formular von Reizworten sich
gut bewährt. Ausser auf diese Einheitlichkeit des Versuchs¬
verfahrens legt Sommer auch Wert auf eine möglichst freie,
natürliche Reaktionsweise. Er verlangt nicht Aeusserung des
Assoziierten nur in einem Wort, sondern überlässt es der Ver¬
suchsperson, sich zu äussern, wie es ihr gerade liegt, und
notiert die Aeusserungen möglichst genau. Man erschwert
freilich auf diese Weise eine exakte Zeitmessung, erhält aber
dafür oft sehr charakteristische Verschiedenheiten in der
Form der Reaktionen. Von den speziellen Ergebnissen,
welche wir den Untersuchungen Sommers verdanken, seien
besonders die über Dementia praecox (Katatonie) und Epilepsie
angeführt. Bei der Katatonie hat Sommer in den Assozia¬
tionen als kennzeichnend die Stereotypien, Wiederholungen,
das Perseverieren, verbunden mit der Verkehrtheit der Aeusse¬
rungen, die oft sprunghaft in manirierter Weise vorgebracht
werden, hervorgehoben. Bei der Epilepsie zeigte eine ge¬
nauere Analyse die egozentrische Richtung des Reaktionen,
die häufig depressive und eigentümlich demütige Stimmung,
4) Kraepelins Psychol. Arbeiten I, II, IV, ebenda III u. IV
die Untersuchungen von R ü d i n und Kürz und Kraepelin über
Alkoholwirkung, von W e y g a n d t über die Wirkung des Hungerns.
5) Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmethoden.
2*
1324
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
die in ihnen sich offenbart, das Haften und Perseverieren von
Assoziationen einerseits neben dem plötzlichen Auftreten völlig
zusammenhangloser „sprungartiger“ Reaktionen andrerseits,
welche Sommer nur aus der Individualität des Untersuchten
als „subjektiv präformiert“ erklären zu dürfen glaubt, als be¬
sonders wichtige Merkmale an. Diese Ergebnisse sind dann
durch weitere Untersuchungen in dem Laboratorium Som¬
mers, von Fuhrmann °), welcher besonders auf die Ein¬
schränkung des Vorstellungsschatzes bei Epileptikern sein
Augenmerk richtete und mir in einem Falle, in dem bei durch
7 Jahre getrennten Untersuchungen konstante Resultate nach¬
gewiesen werden konnten '), bestätigt und erweitert worden.
Auch eine vor kurzem erschienene Arbeit Jungs8) über
die Assoziationen eines Epileptikers hat im wesentlichen mit
den früheren übereinstimmende Resultate erbracht neben
einigen Ergänzungen. Wichtig ist ein eigentümliches Verhalten
der Reaktionszeit, welche Jung bei dem Kranken fand. Sie
zeigte starke Schwankungen, die stärksten Verlängerungen
immer 'unmittelbar nach für die Person des Kranken beson¬
ders bedeutungsvollen, gefühlsbetonten Assoziationen. Jung
glaubt die Verlängerungen der Reaktionszeit in den jenen ge¬
fühlsbetonten folgenden Reaktionen auf eine Perseveration des
Gefühlstons zurückführen zu dürfen und schliesst deshalb, dass
der Gefühlston bei seinem Epileptiker wahrscheinlich später
einsetzt und länger anhält als beim Normalen.
Gleichfalls aus dem Laboratorium Sommers stammt die
sehr eingehende Arbeit Wreschners9) über die Asso¬
ziationen einer Idiotin. Er fand einen eingeschränkten Vor¬
stellungsschatz mit geringem Wechsel der Vorstellungen, eine
lange Reaktionszeit und eine Verschlechterung der Asso¬
ziationen bei höherer Qualität des Reizwortes, überhaupt im
wesentlichen nur geringwertige Assoziationen aus den nächst-
liegenden Gebieten.
Zu erwähnen sind ferner die Untersuchungen von
Rausch bürg und B a 1 i n t 10), welche bei Greisen ein Vor¬
wiegen der inneren Assoziationen und eine lange Reaktions¬
zeit fanden.
Wichtige Untersuchungen über die „Ideenassozia¬
tion des Kindes“ hat Ziehen* 11) veröffentlicht. Er hat
seine Untersuchungen über Jahre hinaus ausgedehnt und die
Entwicklung der Kinder mit ihnen verfolgt. Er hat bei den
jungen Versuchspersonen gewöhnlich sehr sinngemässe Asso¬
ziationen und eine Abnahme der Reaktionszeit mit dem Alter
gefunden. Das wichtigste Ergebnis seiner Untersuchungen ist
das Vorherrschen der Individualvorstellungen bei Kindern
(also etwa als Assoziation auf „Hund“ irgend ein bestimmter,
dem Kinde bekannter Hund etc.); es entspricht dieses Resultat
der lebhaften „gegenständlichen“ Phantasie des Kindes, welche
sich auch sonst offenbart.
Eine sehr wesentliche Bereicherung hat das Verfahren des
Assoziationsexperimentes sowohl hinsichtlich des Ausbaues der
Methodik als der Gewinnung neuer Ergebnisse durch die
Untersuchungen erfahren, welche unter der Leitung Jungs12)
in der Psychiatrischen Klinik zu Zürich angestellt worden sind.
Zunächst hat Jung in Gemeinschaft mit R i k 1 i n, um die
Grundlage für psychopathologische Studien sicherer aus¬
zubauen, von neuem eine grosse Anzahl von Assoziations¬
studien an Gesunden angestellt und unsere Kenntnis über
die Variationen der Vorstellungsverknüpfung in der Breite des
Normalen sehr gefördert. Jung und Ri k 1 i n unterscheiden
in den Ergebnissen ihrer Arbeit ihre Versuchspersonen der
Individualität und dem Bildungsgrade nach und
haben für diese Unterschiede sowie für spezielle Abänderungen
der Versuchsbedingungen (Ablenkungsexperimente) kennzeich¬
nende Versuchsresultate gefunden. Sie teilen die Indi¬
vidualitäten in „subjektiv“ und „objektiv“ re¬
agierende Typen. Während die letzteren unter Ein¬
stellung auf den Wortsinn sachlich reagieren (z. B. Pferd —
°) Beitr. z. psych. Klinik, herausg. v. Sommer, Bd. I.
7) Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. XVIII, 1906, Erg.-H., vgl.
ebenda Heilbronne r.
8) Journ. f. Psychol. u. Neurol. 1905.
fl) Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie 57.
10) Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie 57.
11) Die Ideenassoziation des Kindes. Berlin.
12) Journ. f. Psychol u. Neurol. 1904 ff.
Säugetier etc.), oft direkt Definitionen liefern, sind die sub¬
jektiven Typen dadurch charakterisiert, dass in ihren
Assoziationen das persönliche Moment eine merkliche Rolle
spielt, die Einstellung ist eine „egozentrische“, es treten sub¬
jektive, häufig gefühlsbetonte Erfahrungen im Versuch zutage.
Besondere Aufmerksamkeit verdient von den subjektiven
Typen der von Jung und Riklin als „Komplexkon¬
stellationstypus“ bezeichnete Assoziationsmodus. Er
ist dadurch ausgezeichnet, dass in den Assoziationen bestimmte,
das Individuum beschäftigende Erlebnisse geäussert werden,
ein gefühlsbetonter „Erinnerungskomplex“ angeregt wird. Von
den mannigfachen hübschen Beispielen, welche Jung und
Riklin für diesen Typ angeführt haben, will ich nur einige
Assoziationen eines in eine unglückliche Liebesaffäre ver¬
wickelten jungen Mannes hier anführen: „Hochzeit^ — Un¬
glück“, „komm — komm mit mir“, „leiden — ach Gott ja“,
„Kummer — wer nie die kummervollen Nächte“, „Küssen —
nie“, „Spiel — süsse Spiele spiel ich mit Dir“, „Es — es,
es, es und es, es ist ein harter Schluss“, „Scheiden — tut weh“,
„lieben — gestern“ etc. Hier tritt also deutlich ein ganz be¬
stimmtes gefühlsbetontes Erlebnis im Versuch zutage. Eine
derartig subjektiv-egozentrische Reaktionsweise gewinnt in ge¬
steigerter Ausbildung bei bestimmten pathologischen Verände¬
rungen Bedeutung.
Die Differenzen der Reaktionsweisen nach dem Bildungs¬
grad waren gleichfalls im ganzen konstant und deutlich. Sie
äusserten sich darin, dass Gebildete im allgemeinen viel ober¬
flächlicher reagieren, die Ungebildeten sich viel mehr auf den
Sinn der Reizworte einstellen als die Gebildeten. Jung und
Riklin suchen diesen Unterschied damit zu erklären, dass
bei den Gebildeten viel mehr Eingelerntes, aufgespeichertes
Material hervortritt; die Ungebildeten dagegen haben eine
andere Auffassung vom Experiment, sie nehmen das Reizwort
ganz unwillkürlich mehr als Aufgabe, welcher sie durch De¬
finition und Erklärung zu genügen suchen. Nicht übergehen
wollen wir schliesslich die Tatsache, dass J. und R. bei Stö¬
rung der Aufmerksamkeit durch Ablenkung eine Ver¬
flachung der Assoziationen feststellen konnten.
Die Wichtigkeit der eben skizzierten Feststellungen über
die Verschiedenheiten der Qualität der Assoziationen Nor¬
maler wird erhöht durch die Aufklärungen über das Verhalten
der Reaktionszeit, welche wir Jung verdanken. Das
Wichtigste seiner Untersuchungsergebnisse ist der Nachweis
des die Reaktionszeit verlängernden Ein¬
flusses von Gefühlen. Schon vor Jung haben
Mayer und 0 r t h auf diese Bedeutung von Gefühlsprozessen
für die Reaktionszeit hingewiesen, aber es ist zweifellos das
Verdienst Jungs die Kenntnis dieser Tatsache in den Dienst
diagnostischer Bestrebungen gestellt zu haben. Nach seinen
Darlegungen äussern sich gefühlsbetonte Komplexe, deren habi¬
tuelles Auftreten, wie wir gesehen haben, direkt charakte¬
ristisch für bestimmte Assoziationstypen werden kann, auch
abgesehen von so augenfälligen Beziehungen, wie sie hervor¬
treten können, und von welchen wir ein Beispiel gaben, für
gewöhnlich in deutlicher und diagnostizierbarer Weise. Das
erste und konstanteste Zeichen ist nach Jung die Verlänge¬
rung der Reaktionszeit bei den Assoziationen, bei welchen ge¬
fühlsbetonte Vorstellungskreise getroffen werden. Diese von
der gefühlsbetonten Vorstellung ausgehende hemmende Wir¬
kung kann so stark werden, dass überhaupt keine Vorstellung
geäussert wird, dass also sog. „Fehler“ eintreten. Geht die
hemmende Kraft des Komplexes nicht so weit, so findet man
doch häufig in den Assoziationen, in welchen er gewirkt hat,
eine Verflachung, welche Jung auf die Inanspruchnahme der
Aufmerksamkeit durch den Komplex, eine „innere Ablenkung“
schiebt. So sind also nach Jung als Zeichen des gefühls¬
betonten Komplexes neben der Verlängerung der Reaktionszeit
das Auftreten von „Fehlern“ und die Verflachung der Qualität
der Assoziation anzusehen. Jung hat diese Erscheinungen
an einleuchtenden Beispielen dargelegt; so fand er bei einer
schwangeren jungen Frau in Assoziationen, welche mit den
Hoffnungen und Befürchtungen, die mit ihrem Zustand zu¬
sammenhingen, verknüpft waren, jedesmal Reaktionszeitver¬
längerung und andere deutliche Komplexzeichen usf.
Nach Jung gewinnt nun die Lehre von den Komplex¬
zeichen eine besondere Bedeutung für das Verständnis der
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1325
Hysterie. Wie Jung und neben ihm Riklin gezeigt
haben, handelt es sich bei Hysterischen um exquisit subjektiv
und egozentrisch reagierende Typen, bei welchen die Zeichen
der Inanspruchnahme der Gefühlssphäre in enormem Masse
hervortreten. Jung und Riklin bleiben aber bei dieser
Feststellung nicht stehen, sie behaupten, dass die Komplex-
zeichen in den Assoziationen Hysterischer jedesmal auf e i n
einheitliches gefühlsbetontes Erlebnis zurückführten und ver¬
sichern, dass dieses Erlebnis sich für gewöhnlich als ein sexu¬
elles13) Trauma herausstellte, welches sie mit Freud als für die
Hysterie ätiologisch ansehen. Diese letzteren Behauptungen
wird man aber bisher als nicht bewiesen betrachten müssen.
Die Darlegungen der Autoren sind, soweit sie sich hierauf be¬
ziehen, nur Deutungen der Tatsachen ihrer Versuche, zum
Teil solche sehr unwahrscheinlicher Art. Mir selbst haben
eigene Versuche14) gezeigt, dass sich bei Hysterischen sehr
wohl die von Jung angegebenen Zeichen von Gefühlspro¬
zessen nachweisen lassen, dass diese aber keineswegs in einem,
einheitlichen ätiologischen Erlebnis zusammenlaufen, sondern
an „Komplexe“ mannigfacher Art anknüpfen. Die Komplex¬
zeichen sind als solche zunächst nichts weiter als Ausflüsse der
bekannten Emotivität der Hysterischen. Die von Jung be¬
hauptete Tatsache, dass Komplexassoziationen schnell ver¬
gessen werden, ein Phänomen, welches er gleichfalls im Sinne
der Freud sehen Lehre von'der „Verdrängung“ deutete, habe
ich auch nicht bestätigen können.
Im Zusammenhang mit den Untersuchungen Jungs ist
ferner eine unter seiner Leitung ausgeführte hübsche Arbeit
von W e h r 1 i n 15) zu erwähnen : Ueber die Assozia¬
tionen vom Imbezillen und Idioten. Die Unter¬
suchung beschränkt sich auf Schwachsinnige von torpidem
Typus. Sie fand überall eine deutliche Einstellung auf den
Sinn des Reizworts, welche aber infolge der intellektuellen
Schwäche zu charakteristisch unzulänglichen Resultaten führte.
Die Imbezillen reagieren sehr sachlich, unter grosser Auf¬
merksamkeitsanstrengung; sie fassen das Reizwort gewisser-
massen als Frage auf, scheitern aber in mehr oder weniger
starkem Grade, in der Bemühung, der Aufgabe gerecht zu
werden. Es kommt das zustande, was W e h r 1 i n „primi-
tive Definitionstendenz“ nennt. Sie äussert sich
hauptsächlich in tautologischen Verdeutlichungen, in unzuläng¬
lichen förmlichen Definitionen, Angaben von Zeit, Ort, Mittel,
Zweck, auffallenden Eigenschaften, zu weiten Ueberordnungen
etc. Ein hübsches Beispiel dieser unvollkommenen Definitions¬
weise gibt die Reaktion: „Singen — besteht aus Noten und Ge¬
sangbüchern.“
Ich möchte im Anschluss an die gegebene Uebersicht über
die bisher vorhandenen einschlägigen Arbeiten einige eben ab¬
geschlossene, von mir ausgeführte Untersuchungsreihen er¬
wähnen, welche eine genauere Erkenntnis der Assoziationen
im manisch-depressiven Irresein erstreben16). Seit
den erörterten Untersuchungen Aschaffenburgs ist auf
diesem Gebiete nicht weiter geforscht worden; und doch sind
gerade unsere Anschauungen über das m anisch-depres-
s i v e Irresein in den letzten Jahren durch eine genauere
Kenntnis der Mischzustände manischer und depressiver
Formen gefördert worden. Für die weitere Erkenntnis dieser
Zustände schien aber der Assoziationsversuch sehr geeignet,
insofern er über Dauer und Qualität der Assozia¬
tion zu gleicher Zeit informiert, also bei einem verschiedenen
Ergriffensein verschiedener seelischer Sphären im Sinne der
Manie bezw. Depression, zu gleicher Zeit über die Wirksamkeit
der entgegengesetzten Momente Auskunft zu geben versprach.
Diese Erwartung hat sich auch bewährt. Es gelingt, wie die
Versuche gezeigt haben, oft überraschend gut, im Assoziations¬
experiment eine Sonderauffassung der Teilstörungen zu ge¬
winnen, welche dem Mischzustand seine jeweilige Gestaltung
geben. Durch Feststellung der Momente der Hemmung (ver¬
längerte Reaktionszeit, eingeschränkter Vorstellungswechsel)
13) In letzter Zeit betonen die Autoren mehr das traumatische
als das sexuelle Moment.
14) Publikation wird im Zentralbl. f. Nervenheilkunde erfolgen.
16 ) Journ. f. Psychol. u. Neurol. 1905.
10) Veröffentlichung demnächst in der Monatsschr. f. Psychiatr. u.
Neurol.
und Depression (charakteristischer Gefühlslage, oft mit hervor¬
tretender egozentrischer Betonung) einerseits und der Cha¬
rakteristika der Erregung andererseits (promptes Reagieren,
spontanes Weiterassoziieren, Verflachung und Klangasso¬
ziationen) ist man oft imstande, die verschiedenartigen Kom¬
binationen von Teilstörungen genauer zu analysieren. Auch
für das Verständnis der Ideenflucht scheinen die Versuche
einige weitere Anhaltspunkte gebracht zu haben. Speziell die
Frage der Dauer der Vorstellungsverknüpfung in der manischen
Ideenflucht, welche von Aschaffenburg niemals verkürzt,
oft nicht unwesentlich verlängert gefunden war, scheint etwas
mehr geklärt zu werden. Im Anschluss an die Ausführungen
Liepmanns17) konnten die Versuche zeigen, dass ein Unter¬
schied besteht zwischen dem üblichen Assoziationsversuch und
freier (im Phonographen aufgenommener) ideenflüchtiger Rede.
Bei der letzteren werden allerdings in einer Zeiteinheit mehr
Vorstellungen geäussert, als es der Normale dauernd vermag;
dabei ist auch der Charakter der Vorstellungsverbindung ein
von der normalen sehr verschiedener. Für alles Eingehendere
muss ich aber auf die ausführliche Publikation verweisen.
Fassen wir die Ergebnisse unserer Uebersicht zusammen,
so gewinnen wir ein recht ungleichmässiges Bild, wie es dem
heutigen Stand der Leistungen diagnostischer Assoziations¬
studien entspricht. Auf manchen Gebieten sind die Unter¬
suchungen in befriedigender Zahl und mit gutem Erfolge fort¬
geschritten, während andere Aufgaben noch völlig der Be¬
arbeitung harren. Wertvoll ist es vor allem, dass die Kenntnis
der Assoziationen Gesunder in umfassendem Masse ge¬
wonnen ist. Nach den Untersuchungen von Aschaffen-
b ü r g und Jung und Riklin sind wir nunmehr über die
wichtigsten Differenzen und Typen orientiert. Inwiefern die
Art der Vorstellungsverknüpfung sich mit dem Lebensalter
ändert, haben für die Jugend Ziehen, für das Alter Rausch-
b u r g und B a 1 i n t zu erfassen gestrebt; sind auch besonders
des ersteren Untersuchungen wertvoll und umfassend, so
bleibt doch noch ganz zweifellos Platz genug für weitere Ar¬
beiten.
Von Psychosen ist bisher kaum ein einziges Gebiet bis zu
befriedigender Klärung bearbeitet. Am wenigsten ist die De¬
mentia praecox mit Untersuchungen bedacht18). Seit den
Studien Sommers ist auf diesem Gebiet fast gar nichts ge¬
schehen, und doch wäre hier von sorgfältigen Arbeiten viel zu
erwarten. Besser orientiert sind wir über die Assoziation
im manisch-depressiven Irresein, während die
Verhältnisse in der Hysterie und auch der Epilepsie,
trotz der mannigfachen vorhandenen Bearbeitungen noch
zweifellos weiterer Aufklärung bedürfen. Ueber Imbezillität
und Idiotie besitzen wir die wertvollen Untersuchungen von
Wreschner und W e h r 1 i n, zweifellos viel zu wenig für
einen so komplizierten Gegenstand. Ueber die übrigen Geistes¬
störungen gibt es überhaupt noch keine umfassenderen Unter¬
suchungen mit Hilfe des Assoziationsversuchs. Im ganzen
können wir also nur von guten Anfängen der Arbeit mit diesem
diagnostischen Hilfsmittel sprechen. Die Methode hat sich be¬
währt, für weitere Einzeluntersuchung ist noch übermässig viel
Raum. Und jene Einschränkung des Werts des Assoziations¬
versuchs, die wir schon zu Beginn unserer Ausführungen
machten, vielmehr nur seine genauere Kennzeichnung als
psychologische Hilfsmittel, müssen wir hier, um nicht un¬
richtige Urteile hervorzurufen, wiederholen. Wie jedes
psychologische Untersuchungsverfahren klärt auch der Asso¬
ziationsversuch nur über eine Seite des augenblicklichen
seelischen Erlebens auf, eben über die Verknüpfung von Vor¬
stellungen. Es bedarf also durchaus der Ergänzung durch
andere methodische Hilfsmittel, soll das Bild einer psycho¬
logischen „Inventaraufnahme“ ein zuverlässiges werden.
Ich will diese Ausführungen nicht abschliessen, ohne eine
Erweiterung der Anwendungsweise des Assoziationsversuches
zu erwähnen, welche zwar nicht mehr in das Gebiet psycho-
pathologische Diagnostik fällt, aber interessant genug ist, uni
hier Erörterung zu verdienen. Man hat nämlich vorgeschlagen,
das Assoziationsexperiment in der forensischen Praxis für die
Entlarvung von Verbrechern zu verwenden. Man
ging von den Wirkungen des gefühlsbetonten Komplexes, dem
17) Ueber Ideenflucht. 1904.
1326
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
„Selbstverrat durch Assoziation“, aus, mit der Absicht, die
Komplexzeichen als Verräter eines begangenen Verbrechens
zu benutzen. Trügen die Komplexzeichen nicht, so müsste der
Vorstellungskomplex eines Verbrechens, welches doch wohl in
den meisten Fällen Interesse und Gefühle des Verbrechers in
Anspruch nimmt, in den Assoziationen des Verbrechers kennt¬
lich werden. In der Praxis sollte das so ausgeführt werden,
dass unter gleichgültige Reizworte auch solche gemischt
werden sollten, welche mit dem Verbrechen in einer Beziehung
standen; waren die Voraussetzungen richtig, so mussten bei
den „differenten“ Reizworten Komplexmerkmale eintreten.
Unter diesem Gesichtspunkte wurden Versuche, zunächst noch
im Rahmen des Laboratoriumsexperimentes, von Wert¬
heimer19) ausgeführt. In diesen Experimenten hatten die
Versuchspersonen die Aufgabe, bestimmte Komplexe zu ver¬
heimlichen. Trotzdem wiesen die Assoziationen auf differente
Reizworte eindeutige Komplexzeichen auf. Ganz neuerdings
haben Stern und Kramer20) in etwas veränderter Versuchs¬
anordnung durchaus gleichwertige Resultate erhalten; und
Jung21) ist sogar einmal mit Hilfe der skizzierten Versuchs¬
weise die Ueberführung eines Verbrechers im Leben gelungen.
Die theoretische Möglichkeit des Verfahrens zu dem erstrebten
Zweck scheint also dargetan. In der Praxis freilich häufen sich
die Umstände, welche die Sicherheit desselben beeinträchtigen,
so dass man die Hoffnung auf seine Verwendung im Forum
vorerst nicht zu hoch wird spannen dürfen. In jedem Falle
ist der Versuch ein weiterer Hinweis auf die mannigfachen
Beziehungen experimentell-psychologischer Forschung zu den
Fragen des täglichen Lebens.
Diese eminent praktische Bedeutung der empirisch-
psychologischen Methodik speziell für die psychopathologische
Diagnostik an dem Beispiel eines begrenzten Arbeitsgebietes
darzutun, ist der Zweck meiner heutigen Ausführungen ge¬
wesen. Ist es ihnen gelungen, auch in etwas weiteren Kreisen
der Fachgenossen das Interesse für die experimentell be¬
gründete Psychopathologie zu mehren, so haben sie ihren
Zweck erfüllt.
Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München und dem
Münchener Säuglingsheim.
Ernährungsversuche an Säuglingen mit erwärmter
Frauenmilch.
Von Dr. Karl Potpeschnig, Assistent der Klinik.
Nach Ausführungen, die jüngst Pfaundler in dieser
Wochenschrift (Jahrgang 1907, No. 1 und 2) publiziert hat, ist
der Vorzug der natürlichen Nahrung wesentlich in dem Gehalte
der Milch an besonderen Nutzstoffen begründet, welche die
zelluläre Verdauung des Säuglings fördern, aber in wirksamer
Form nur innerhalb der Spezies übertragbar sind. Wir er¬
achten es für eine der derzeit wichtigsten Aufgaben auf dem
Gebiete der Säuglingsernährungslehre, dem Wesen dieser Nutz¬
stoffe nachzuforschen. Wie bekannt, spricht Vieles dafür, dass
die in Rede stehenden Nutzstoffe der Einwirkung höherer Tem¬
peraturen erliegen. Züchter mussten seit geraumer Zeit die
Erfahrung machen, dass sich durch Verfütterung gekochter
Kuhmilch an Kälber zwar die Gefahr der Perlsuchterkrankung
herabmindern lässt, dafür aber eine erschreckende Mortalität,
insbesondere an Ernährungsstörungen unter den Kälbern zu
tage tritt.
Auch den Menschen betreffend liegen solche Angaben vor. In
2 Beobachtungen Moros (Jahrbuch für Kinderheilkunde, Bd.
56) verflachte die Gewichtskurve ceteris paribus nach Er¬
hitzung der Muttermilch auf 100°, und Finkeisteins Nach¬
prüfung dieser Experimente in 6 Fällen ergab deutlichen Aus¬
schlag in gleichem Sinne; „bei Kranken wurde die heilende Wir¬
kung der natürlichen Nahrung ganz unzweifelhaft schwer be¬
einträchtigt“. (Lehrbuch, Berlin 1905.)
Wir dürfen aber die bei der Verfütterung gekochter
artgleicher Milch gemachten Beobachtungen durchaus nicht als
18) Das Buch Jungs („Ueber die Psychologie der Dementia
praecox“) war zur Zeit der Abfassung dieses Berichts noch nicht er¬
schienen.
19) Arch. f. d. ges. Psychol. VI.
20) Beiträge zur Psychologie der Aussage. II.
21) Die psychologische Diagnose des Tatbestandes. Halle 1906.
sicheren Beweis für die Bedeutung hitzeunbeständiger Nutz¬
stoffe für die Ernährung in obigem Sinne ansehen, da beim
Kochen der Milch eine tiefgreifende Veränderung vieler
Bestandteile statt hat: Koagulation von Albuminen und
Globulinen, Austreibung von Kohlensäure und anderen Gasen,
Absinken der Azidität, Spaltung und Ausfällung von Phos¬
phaten, Abspaltung von Schwefelverbindungen, Dissoziation
des Käsestoffes, Karamelisierung des Zuckers, Zersetzung der
Lezithalbumine etc. (Artfremder Milch scheinen diese Verände¬
rungen allerdings keinen Eintrag zu tun.)
Es schien deshalb von Interesse, festzustellen, ob eine Er¬
wärmung der Milch auf minder hohe Temperaturgrade, die mit
eingreifenden chemischen Veränderungen des Substrates nicht
einhergehen, gleichfalls den spezifischen Nutzwert der art¬
eigenen Nahrung beeinträchtigt. Es handelte sich mit anderen
Worten darum, zu prüfen, ob jene Nutzstoffe, die allem Anschein
nach „koktolabil“ sind, das heisst beim Erhitzen auf 100° zer¬
stört werden, auch „thermolabil“ im Sinne der Terminologie
von E h r 1 i c h s Schule sind, das heisst, bei Erwärmung auf 55
bis 60 0 unwirksam werden. Die Eigenschaft einer solchen
Thermolabilität ist einer enger umschriebenen Klasse biologisch
wirksamer Substanzen eigen und verspricht in diesem Sinne
die Nachforschung schon einen näheren Aufschluss über die
Natur jener Nutzstoffe.
Während unsere diesbezüglichen Versuche in Gang waren,
erhielten wir Kenntnis von einer einschlägigen Publikation
v. Behrings1). Dieser Autor konnte feststellen, dass die
Temperaturgrenze, bei welcher eine gesundheitsschädigende
Milchveränderung in Kälberernährungsversuchen noch nicht
bemerkbar ist, bei 75° C gelegen ist. Wird die Milch länger
als 30 Minuten oder wiederholt auf 75° erhitzt, ist die Milch
nicht frisch gemolken oder bakteriell verunreinigt, so treten
schon bei der genannten Temperatur Schädigungen auf, ähn¬
lich, wie wenn die Milch viel höheren Erhitzungsgraden unter¬
worfen worden wäre.
Bei unseren Versuchen wurde die Temperatur von 60° C
gewählt, da es uns zweckmässig erschien, mit niederen Erwär¬
mungsgraden zu beginnen und allenfalls allmählich ansteigend
experimentell die Schädigungsgrenzen zu ermitteln.
Die Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München entbehrt
leider einer Säuglingsstation mit Ammenbetrieb. Wir führten
daher die Versuche am Säuglingsheim in der Metzstrasse durch,
was uns durch das besonders freundliche Entgegenkommen
der leitenden Aerzte, der Herren DDr. R o m m e 1 und Meier,
ermöglicht wurde, denen ich auch hier den besten Dank abstatte.
Die Versuchsanordnung war folgende: Es wurden zwei,
je 1 Monat alte, gesunde, frühgeborene Kinder (beides Mäd¬
chen) mit 2200 bezw. 2600 g Gewicht ausgewählt und je einer
bestimmten Amme zur Ernährung an der Brust zugeteilt. Früh¬
geborene Kinder wurden vorgezogen, weil bei denselben einmal
eine deutlichere Reaktion, ein empfindlicherer Ausschlag zu er¬
warten war und sich die geringeren, nötigen Milchmengen
leichter beschaffen liessen, als der Bedarf eines normalen Kin¬
des. Nachdem das Gedeihen der Kinder an der Brust der
ihnen zugewiesenen Ammen sichergestellt war, spritzten diese
die nötige Tagesmenge Milch in je ein steriles Glasgefäss ab,
das in einem verschlossenen Eisschrank verwahrt wurde.
Diese im Laufe des Tages gewonnene Mischmilch jeder Amme
wurde in 6 sterile Flaschen abgefüllt und an die Kinder ver¬
füttert. Beim Einsetzen dieser Ernährungsart mit abgedrückter
Milch traten leichte Gewichtsverluste ein, die wohl im Ersätze
des natürlichen Saugaktes an der Brust durch den an der
Flasche begründet sein mochten. Allein diese Störung war
eine nur ganz vorübergehende; nach wenigen Tagen zeigte
die Kurve wieder dieselbe steigende Tendenz wie zur Zeit der
Ernährung an der Brust selbst.
Vom 7. Tage an wurde nun die abgedrückte, ganz gleich
wie bisher behandelte Milch durch 30 Minuten im Wasserbade
auf 60° C erwärmt gehalten, hierauf wieder in den Eisschrank
gebracht und zu den gleichen Stunden (trinkwarm) verfüttert.
Die Kurve (siehe diese) zeigte auch weiterhin denselben An-
D Behring: Experimentelle Ergebnisse betreffend die Ver¬
änderung der Nährstoffe und Zymasen in der Kuhmilch unter dem
Einfluss hoher Temperaturgrade. Molkereizeitung, Berlin, 1906, No.
12 und 13.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1327
stieg wie früher; die Stühle, die regelmässig (auch mikro¬
skopisch) kontrolliert wurden (schon um eine geheime Zufütte¬
rung von Kuhmilch auszuschliessen), blieben gleich schön ho¬
mogen, das Befinden und der Turgor der Kinder zeigten sich
andauernd gleich gut, kurz, es blieb jede Schädigung oder rich¬
tiger gesagt jeder erkennbare Ausfall von Nutzen während der
durch 17 Tage fortgesetzten Ernährung mit auf 60° C erhitzter
Frauenmilch aus.
Kurve 1.
Kurve 2.
Ist nun durch diese Versuche die Annahme widerlegt, dass
bei natürlicher Ernährung thermolabile Nutzstoffe im Spiele
sind? Sicherlich nicht, insbesonders nicht nach dem Ergebnis
der weiter fortgesetzten Beobachtung der beiden Versuchs¬
kinder. Infolge eintretenden Ammenmangels (der auch den
Versuch früher abzubrechen zwang, als in Aussicht genommen
war) mussten beide Kinder unmittelbar nach dem Versuche
plötzlich abgestillt und weiterhin künstlich ernährt werden.
Auch dieser Nahrungswechsel hatte aber kei¬
nen Absturz der Gewichtskurve und keine ir¬
gend bemerkenswerte Beeinträchtigung des
Allgemeinbefindens zur Folge. Die beiden Ver¬
suchskinder gehörten somit in jene Klasse von Säuglingen,
welche die Muttermilch samt ihren Nutzstoffen — wenigstens
in einer gewissen Periode — ohne (sichtbaren) Schaden ent¬
behren können. Die dieser Klasse angehörigen Individuen sind
natürlich als Reagentien, wie sie unser Versuch fordert, nicht
verwendbar. Wenn ein Kind abgekochte Kuhmilch schadlos
erträgt, dann wird es wohl auch bei einer auf 60" erwärmten
Frauenmilch gedeihen, denn dann ist es eben befähigt, aus
eigenen Mitteln jene Nutzstoffe zu beschaffen, deren Bezug be¬
treffend andere Säuglinge auf die mütterliche Brust angewiesen
sind. Es wird somit die eingangs gestellte Frage erst durch
analoge Ernährungsversuche an Säuglingen entschieden wer¬
den können, welche mit künstlicher Nahrung nicht zu gedeihen
vermögen, welche zur Heterodystrophie neigen.
Solche Versuche gedenke ich auszuführen, sobald gün¬
stigere äussere Verhältnisse mir das Material dazu liefern
werden.
Aus dem städtischen Krankenhause zu Nürnberg. Chirurgische
Abteilung (Hofrat Dr. Goesche 1).
Absprengung von Wirbeldornfortsätzen durch Muskelzug.
Von Dr. Franz Sauer,
Oberarzt im Kgl. Bayer. 6. Chevaulegersregiment.
Von Leuten, deren berufliche Tätigkeit mit anstrengender
körperlicher Arbeit verbunden ist, wie Rekruten, Eidar¬
beitern u. a. wird nicht selten die Hilfe des Arztes in Anspruch
genommen wegen Beschädigungen, die von den Betroffenen in
einen direkten ursächlichen Zusammenhang mit einer forcierten
Muskelaktion gebracht werden. Der Kanonier verspürt
beim Heben des Lafettenschwanzes, der Arbeiter beim Schwin¬
gen der beladenen Schaufel einen plötzlichen, stechenden
Schmerz im Rücken, der bei Armbewegungen sich immer wie¬
der einstellt und die Fortsetzung der Aibeit in den meisten
Fällen unmöglich macht. Da nun aber die subjektiven
Beschwerden häufig in einem auffallenden Gegensatz zu dem
geringen objektiven Befund stehen, ist dei untersuchende
Arzt nur zu leicht geneigt, den Angaben des Vei letzten geiinges
Gewicht beizulegen. Er begnügt sich vielleicht mit einer Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose, wie Muskelzerrung oder Muskel¬
rheumatismus, wenn er nicht gar unlautere Motive h inte i dei
Krankmeldung vermutet. In den meisten Fällen wird ja eine
der genannten Affektionen vorhanden, in einzelnen de i Vei-
dacht wenigstens der Uebertreibung begründet sein, manchmal
aber geschieht dem Verletzten durch oberflächliche Unter¬
suchung und ungenügende Beachtung seiner Klagen sicherlich
Unrecht. ...... , ,
Unter den heutigen Verhältnissen erwachst jedoch dem
Arzte mehr wie je die Pflicht, im Interesse des Kranken sowohl
wie seines eigenen Ansehens mit allen Mitteln, die ihm seine
Kunst an die Hand gibt, bestrebt zu sein, den Zusammenhang
zwischen Unfall und Erkrankung richtig zu deuten, damit nicht
infolge ärztlichen Irrtums dem Betroffenen die ihm zustehende
sachgemässe Behandlung und materielle Unterstützung zu Un¬
recht vorenthalten werde.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, erlaube ich mit
über 3 Fälle zu berichten, die ich während meines Kommandos
zur chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses ui
Nürnberg zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich nehme an, dass
sie dem Praktiker einiges Interesse abzugewinnen vermögen,
weil sie Krankheitsbilder darstellen, die in der Fachliteratur
rn. E. nur deswegen als äusserst selten bezeichnet werden, v eil
sie sich leicht der objektiven Feststellung entziehen.
Ich lasse die Krankengeschichten im Auszug folgen:
1. Fall. K. H., Taglöhner, 30 Jahre alt, verspürte am 8. Marz
1905 beim Anheben eines schweren Steines plötzlich einen stechen¬
den Schmerz zwischen den Schulterblättern. Er war nicht rnehi
imstande weiterzuarbeiten und begab sich am nächsten 1 ag in uas
Krankenhaus. Bei der ersten Untersuchung wurde Druckempfindlich-
keit der Muskulatur zu beiden Seiten der Wirbelsäule in der Hohe des
7. Hals- bis 2. Brustwirbels festgestellt, ausgiebige Armbewegungen
verursachten in ebendieser Gegend lebhaften Schmerz. Eine ge¬
nauere Untersuchung in den nächsten Tagen ergab: ln der Nacken¬
gegend ist keine Schwellung, keine Verfärbung der Haut sichtbar.
Bei der Abtastung der Wirbelsäule ruft Druck auf den Doinfoi tsatz
des 7. Halswirbels lebhaften Schmerz hervor. Manchmal gelingt cs,
die Spitze dieses Dornfortsatzes etwas hin- und herzuschieben und
damit ein feines Krepitieren zu erzeugen. Bewegungen der Arme
nach vor- und aufwärts lösen einen stechenden Schmerz zwischen
den Schulterblättern aus. Nach einigen Tagen Bettruhe waren die
Schmerzen bei Armbewegungen nuf noch minimal. Nach 9 tägigem
Krankenhausaufenthalt wurde der, Patient entlassen. Die Spitze
1328
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
des Dornfortsatzes liess sich noch verschieben, Druck war jedoch
nicht mehr schmerzhaft. Nach Ablauf einer Woche erschien der
Verletzte wieder mit der Angabe, dass er zu schwerer Arbeit noch
nicht fähig sei, weil dabei wieder stechende Schmerzen zwischen
den Schulterblättern aufgetreten seien. Erst nach weiteren vierzehn
Tagen wurde Patient vollkommen beschwerdefrei. Eine knöcherne
Vereinigung kam nicht zustande.
2. Fall. O. B., Sattler, 20 Jahre, war am 4. Dezember 1905
damit beschäftigt, schwere eiserne Schienen im Gewicht von 3 bis
4 Zentnern zusammen mit einem anderen Arbeiter aufzuschichten.
Das Aufheben der Schienen erfolgte stets langsam und gleichmässig.
Die Arbeit erstreckte sich über 6 Stunden und hatte starke Ermüdung
zur Folge.
Eine besondere Schmerzempfindung war dem Patienten weder
während, noch nach der Arbeit zu Bewusstsein gekommen. Erst
am nächsten Morgen beim Aufstehen, als der Verletzte seine Kleider
anziehen wollte, empfand er plötzlich einen so intensiven Schmerz
zwischen den Schulterblättern, dass er sich niederknien musste.
Bei der Untersuchung ist starke Druckempfindlichkeit, abnorme Be¬
weglichkeit und feines Krepitieren am Dornfortsatz des 1. Brust¬
wirbels nachzuweisen. Armbewegungen nach vorwärts und auf¬
wärts sind sehr schmerzhaft. Das Krepitieren am Dornfortsatz
kann von dem Patienten willkürlich durch entsprechende Bewegungen
mit den Armen hervorgerufen werden. Eine Röntgenaufnahme be¬
stätigte die Diagnose. Nach 18 Tagen wurde Patient entlassen.
Armbewegungen waren nicht mehr schmerzhaft, Krepitation war ver¬
schwunden, die Verschieblichkeit der Spitze des Dornfortsatzes blieb
bestehen.
3. F a 1 1. S. Sch., Handlanger, 36 Jahre, war am 27. Januar 1906
damit beschäftigt, Steine mittelst einer Schaufel auf einen Rollwagen
zu laden, der zirka 2 m höher stand. Bei einem mit voller Kraft
geführten Wurf fühlte er plötzlich einen stechenden Schmerz und ein
knackendes Geräusch zwischen den Schulterblättern. Er musste so¬
fort seine Arbeit unterbrechen. Am nächsten Morgen war er wegen
der heftigen Schmerzen im Rücken nicht im stände, seine Schuhe
anzuziehen.
Befund: Der Dornfortsatz des 3. Brustwirbels ist auf Druck
sehr empfindlich, bei rüttelnden Bewegungen mittels der untersuchen¬
den Finger namentlich in Rückenlage des Patienten fühlt man deut¬
liches Krepitieren am Dornfortsatz, ebenso wenn der Untersuchte
den Kopf nach vorwärts beugt. Vorwärtsstrecken der Arme und
Zurückziehen der Schultern ruft heftigen Schmerz in der Gegend
des Dornfortsatzes hervor.
Nach 6 Tagen wurde der Verletzte auf seinen Wunsch hin ent¬
lassen. Krepitieren war verschwunden, die Spitze des Dornfort¬
satzes noch beweglich. Geringe Schmerzhaftigkeit bestand noch
beim Vorwärtsbeugen des Kopfes und beim Hochziehen der Schultern.
Nach den vorgeführten Befunden kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass es in allen Fällen sich um eine Absprengung
eines Wirbeldornfortsatzes gehandelt hat, die sich objektiv
durch ausgesprochene Druckempfindlichkeit, abnorme Beweg¬
lichkeit, Krepitation — in einem Fall auch durch das Rönt¬
genogramm — mit Sicherheit nachweisen liess. Da die Ein¬
wirkung einer direkten Gewalt ausgeschlossen ist, eine
extreme Ueberbiegung der Wirbelsäule nach hinten nicht statt¬
gefunden hat, dagegen die Verletzung im Anschluss an eine
heftige Muskelaktion auftrat, scheint mir die Annahme, dass
die Dornfortsätze durch Muskelzug abgerissen wurden, be¬
rechtigt zu sein.
Isolierte Frakturen der Dornfortsätze durch direkte Ge¬
walt sind keine Seltenheit, dagegen wurden nach der Angabe
von Henle, Stolper, Kocher, Kirmisson, Hoffa
u. a. Brüche der Proc. spinös, durch Muskelzug nur in
einem einzigen Falle beobachtet. Leider ist es mir nicht
möglich gewesen, eine ausführlichere Beschreibung dieses von
Terrier veröffentlichten Falles zu erhalten und ihn auf seine
Uebereinstimmung mit den eigenen Beobachtungen zu prüfen.
Ueber einen zweiten Fall, in dem die Absprengung eines
Dornfortsatzes durch Muskelzug herbeigeführt worden sein soll,
wurde in neuerer Zeit von Schulte berichtet. Ein Kanonier hatte
sich beim Turnen (Langsprung über den Bock) beim Landen
auf dem Boden stark nach hinten überbogen und sofort einen hef¬
tigen Schmerz in der Lendengegend empfunden. Eine direkte
Gewalteinwirkung hatte nicht stattgefunden. Die Folge dieses
Sprunges war eine Fraktur des Dornfortsatzes des 3. Lendenwirbels.
Der Ansicht von Schulte, dass die Absprengung dieses
Dornfortsatzes durch Muskelzug herbeigeführt worden sei,
kann ich nicht beistimmen; ich bin vielmehr der Meinung, dass
in diesem Falle durch die starke Ueberbiegung der Wirbelsäule
nach hinten die sich dachziegelförmig deckenden Dornfortsätze
der Lendenwirbelsäule mit grosser Gewalt aufeinander ge¬
presst wurden und dadurch die Fraktur zu stände kam.
Dieser Entstehungsmodus ist von v. Kryger an Leichen
experimentell festgestellt worden. Ueberbiegen der Wir¬
belsäule nach hinten hatte regelmässig Brüche der Dornfort¬
sätze der Lendenwirbel zur Folge. Wurde Kopf und Brust nach
hinten überbogen, so entstand die Absprengung an den oberen
Lendenwirbeln, wurde die Bewegung mit der unteren Rumpf-
liälfte ausgeführt, so waren die Frakturen am unteren Ende
der Lendenwirbelsäule zu finden. Die Uebereinstimmung des
von Schulte beschriebenen Falles mit den angeführten Lei-
chenversuchen ist eine so vollkommene, dass man von einer
Uebertragung des Experimentes auf den Lebenden sprechen
kann. Es war also in dem von Schulte beschriebenen Fall
wohl die Last des Oberkörpers, der nach hintenüber
zu stürzen drohte, welche die Fraktur bewirkte, eine Kon¬
traktion der an den Lendendornfortsätzen entspringenden Mus¬
kulatur hat kaum in nennenswertem Grade stattgefunden, sie
wäre in dieser Situation auch höchst unzweckmässig gewesen,
denn nur die Kraft ihrer Antagonisten (Bauch- und innere
Beckenmuskeln) konnte den Sturz nach rückwärts verhindern.
Ausser den angeführten Fällen habe ich in der mir zugänglichen
Literatur noch Referate über 2 Fälle von Absprengungen der Dorn¬
fortsätze gefunden, bei denen es zweifelhaft sein kann, ob die Fraktur
durch direkte Gewalt oder durch Muskelzug entstanden war.
Von Cooper wird ein Fall berichtet, in dem ein Knabe einen Bruch
des 3. und 4. Proc. spin. der Halswirbelsäule sich dadurch zuzog, dass
er ein schweres Rad zu heben suchte, indem er den Kopf zwischen
die Speichen steckte.
Ferner beschreibt Buglioni einen Fall eines 14jährigen Jun¬
gen, dem ein Spielgenosse in rasendem Lauf auf den Rücken fiel
und sich mit der rechten Hand auf dessen Hals (Nacken?) stützte.
Die Folge war ein Bruch des Dornfortsatzes des 7. Halswirbels.
In beiden Fällen ist die Möglichkeit vorhanden, dass der Gegen¬
zug der Nackenmuskulatur (M. spien.) gegen die gewaltsame Beugung
des Kopfes die Absprengung verursacht hat, andererseits ist auch
nicht auszuschliessen, dass die direkte Gewalteinwirkung die
auslösende Ursache war.
Wie kam nun in den von mir beobachteten Fällen die Ab¬
sprengung des Dornfortsatzes durch Muskelzug zu stände?
In 2 Fällen wurde das Heben einer schweren Last vom
Boden in gebückter Stellung als Ursache der Verletzung an¬
gegeben. Es ist keine Frage, dass bei dieser Arbeit eine starke
Zugwirkung auf die Proc. spin. der unteren Hals- und oberen
Brustwirbelsäule ausgeübt werden muss. Das Gewicht der
Last sucht den Arm und das Schulterblatt nach vorne zu ziehen
und da das Schulterblatt nur durch Muskulatur am Thorax fest-
gehalten wird, müssen alle Muskelgruppen, welche das Schul¬
terblatt nach hinten gegen die Wirbelsäule ziehen, in kräftige
Kontraktion gebracht werden, um dem nach vorne gehenden
Zug das Gleichgewicht zu halten. Als solche Muskeln kommen
in Betracht der M. cucull., M. rhomboid. maj. und min., von
denen der erste bekanntlich vom Ligam. nuchae und vom
7. Halswirbel bis 12. Brustwirbel entspringt, während die an¬
deren vom 6. Halswirbel bis 4. Brustwirbel ausgehen. Der
stärkste Zug muss natürlich an den Dornfortsätzen wirksam
werden, an denen beide Muskelgruppen gemeinsa m ent¬
springen, das ist der 7. Halswirbel bis 6. Brustwirbel und
von diesen werden wieder am meisten diejenigen Dornfortsätze
belastet werden, welche in der Verlängerung der Linie liegen,
in welcher das Schulterblatt sich nach aussen zu bewegen
sucht. Bei gleich mässiger Anspannung beider Arme
wird nun durch die symmetrischen Muskelgruppen ein gleich
starker Zug nach beiden Seiten ausgeübt werden, so dass
die an den Dornfortsätzen wirksam werdenden Kräfte sich an¬
nähernd das Gleichgewicht halten oder es wird, da der Winkel
unter dem die Kräfte zu der Längsachse der Dornfortsätze an¬
greifen, wenig unter einem rechten bleiben, als Resultante dieser
Komponenten nur ein geringer Druck in dorso-ventralcr Rich¬
tung auf den einzelnen Proc. spin. stattfinden, der wohl kaum
eine Kompression hervorzurufen vermag. Um eine Abspren¬
gung des Dornfortsatzes in seitlicher Richtung zu erzeugen,
muss notwendigerweise der Zug nach einer Richtung den nach
der anderen erheblich über wiegen. Eine solche ungleich-
mässige Zugwirkung wird ausgeübt werden bei asymmetri¬
scher Verwendung der beiden Arme oder durch plötzliche
Gleichgewichtsänderung der zu hebenden Last, weil sie eine
momentane stärkere Anspannung der rechten oder linken
Schultergürtelmuskulatur beansprucht. Vielleicht wird auch
2, Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1329
bei gleichmässiger Inanspruchnahme der Arme schon wegen
der mächtigeren Muskelentwicklung einer Seite — am häu¬
figsten rechts — die Kraftentfaltung in dieser Richtung eine
stärkere sein.
Dass besonders das Ueberwiegen der Zugwirkung nach
einer Seite die Entstehung einer Absprengung des Dornfort¬
satzes begünstigt, machen nicht nur die vorstehenden theoreti¬
schen Ueberlegungen wahrscheinlich, es wird auch, wie mir
scheint, durch die Anamnese des 3. von mir beobachteten Falles
bewiesen.
Hier wurde als die Ursache der Verletzung eine Schleu¬
derbewegung mit einer beladenen Schaufel nach vor- und auf¬
wärts angegeben. Bei dieser Bewegung führt der eine Arm,
dessen Hand mit Untergriff den Schaufelstiel ungefähr in der
Mitte hält, eine ruckartige Bewegung nach vorne und oben aus,
während der andere Arm, dessen Hand mit Übergriff das Ende
des Schaufelstiels umfasst, dasselbe nach unten drückt. Die
Schleuderbewegung des vorderen Armes wird nun durch eine
plötzliche Kontraktion der Rückwärtszieher des Armes und
des Schulterblattes sistiert und dadurch der auf der Schaufel
befindlichen Masse die gewollte Richtung gegeben. Bei dieser
Bewegung muss der Zug an den Dornfortsätzen ein besonders
heftiger und ganz einseitiger sein, weil wegen der anders ge¬
arteten Arbeitsleistung des zweiten Armes eine Paralysierung
dieses Zuges durch die symmetrischen Muskelgruppen der an¬
deren Seite gar nicht zu Stande kommt.
Besondere Beachtung verdient auch die Entstehung des
2. Falles. Während die beiden anderen Patienten bei ihrer
Arbeit in einem ganz bestimmten Momente einen
plötzlichen, stechenden Schmerz zwischen den Schulterblättern
verspürten, der sie zwang, ihre Beschäftigung einzustellen, be¬
merkte dieser Patient zunächst keine besonderen Beschwerden
und setzte seine Arbeit fort. Erst am nächsten Tag wurden
durch Armbewegungen beim Anziehen der Kleider Schmerzen
im Rücken ausgelöst, deren Heftigkeit den Verletzten auf die
Knie zwang. Die Erklärung dieser auffälligen Erscheinung
bietet erhebliche Schwierigkeiten. Eine hochgradige Indolenz,
die das plötzliche Eintreten der Fraktur hätte übersehen lassen,
bei diesem Manne anzunehmen, ist nicht gerechtfertigt, weil
er sich bei späteren Untersuchungen als sehr sensibel erwies.
Man könnte höchstens glauben, dass zunächst aus irgend
welchen unbekannten Gründen eine Dislokation des Fragments
nicht stattfand, sondern erst am nächsten Morgen beim An¬
kleiden eine Verschiebung erfolgte, die wegen der inzwischen
eingetretenen Infiltration der Umgebung besonders schmerzhaft
war. Vielleicht aber liegt hier ein ähnliches Verhältnis vor,
wie bei den in der Armee häufig zu beobachtenden Brüchen
der Mittelfussknochen, die durch anhaltendes Marschieren bei
schwerer Belastung entstehen. Diese Frakturen erzeugen einen
Symptomkomplex, der vor der Einführung des Röntgenver¬
fahrens häufig als Marschgeschwulst (Periostitis, Syndesmitis
metatarsea) bezeichnet wurde. Auch hier tritt der Bruch nicht
selten unmerklich für den marschierenden Soldaten ein, der
trotz der Verletzung noch imstande ist, viele Kilometer ohne
besondere Beschwerden zurückzulegen. Erst die am nächsten
Tag eintretende Schwellung und Schmerzempfindung führen ihn
zum Arzt. Auch für diese befremdende Tatsache ist bis heute
eine überzeugende Erklärung noch nicht gegeben worden.
Der Sitz der durch Muskelzug entstehenden Frakturen
der Dornfortsätze an der Grenze der Hals- und Brustwirbel¬
säule ist schon durch die anatomischen Verhältnisse gegeben.
Der 7. Halswirbel (Vertebra prominens) besitzt einen sehr
langen und schmalen Dornfortsatz und auch die oberen Brust¬
wirbel zeigen eine ähnliche Konfiguration. Alle genannten
Dornfortsätze entspringen vom Wirbelbogen mit breiter Basis
und verjüngen sich zu einer schlanken Säule, die mit einem
etwas breiter ausladenden Köpfchen endet. Die dünnste und
schwächste Stelle findet sich demnach an der Grenze des
mittleren und oberen Drittels des Dornfortsatzes und an dieser
Stelle werden auch in der Regel die durch Muskelzug entstehen¬
den Brüche auftreten. Es mögen zwar auch durch Einwirkung
direkter Gewalt zuweilen Brüche der Dornfortsätze in dieser
Höhe stattfinden, nicht selten aber wird bei dieser Entstehungs¬
art der Proc. spin. durch die in der Längsrichtung des Fort¬
satzes wirkende Gewalt in den Wirbelkanal getrieben und
No. 27.
führt auf die Weise durch Kompression des Rückenmarkes zu
den schwersten Lähmungserscheinungen. Solche Fälle sind in
der Literatur mehrfach beschrieben; bei den Brüchen der Dorn¬
fortsätze durch Muskelzug dürfte eine so ernste Beschädigung
wohl nie zu erwarten sein.
Die Feststellung der beschriebenenFraktur derDornfort-
sätze ist, wenn man erst einmal sein Augenmerk auf diese Ver¬
letzung richtet, nicht allzu schwierig. Schon die anamnestische
Angabe des Patienten, dass er bei einer starken Muskelan¬
spannung der Arme einen stechenden Schmerz zwischen den
Schulterblättern verspürt habe, muss Veranlassung geben,
diese Fraktur in differentialdiagnostische Erwägung zu ziehen.
In einzelnen Fällen wird ein von dem Patienten empfundenes
knackendes Geräusch den Verdacht vermehren.
Der spontane Schmerz wird oft nicht genau lokalisiert,
ebenso wird der Druckschmerz beim Betasten oft mehr in die
Muskulatur zu beiden Seiten der Wirbelsäule als in die Dorn¬
fortsätze verlegt. Die Erscheinung, dass der Druck auf den
gebrochenen Dornfortsatz mitunter auffällig gering ist, mag
darauf zurückzuführen sein, dass der Patient aus Furcht vor
der schmerzhaften Untersuchung die Rückenmuskulatur straff
und gleichmässig spannt. Dadurch wird das kleine Fragment
fest an die Bruchstelle angepresst, so dass eine Verschiebung,
die den bekannten Bruchschmerz auslösen könnte, nicht mehr
möglich ist. Aus ebendemselben Grunde ist öfter auch eine
abnorme B e w e g 1 i c h k e i t des Fragmentes und Krepi¬
tation in dieser Stellung nicht nachzuweisen. Es gibt nun
aber nach meiner Erfahrung ein einfaches Mittel, diese krampf¬
hafte Muskelspannung aufzuheben. Zu diesem Zwecke lässt
man den Patienten im Bett oder auf einem Untersuchungstisch
die horizontale Rückenlage einnehmen, bringt die untersuchende
Hand mit der Palma nach oben unter den Nacken und gibt zu¬
gleich dem Patienten den Auftrag, sich ganz bequem und
zwanglos auf die Hand zu legen. Bringt man nun, sobald
die vollkommene Entspannung der Muskulatur eingetreten ist,
einen Finger an den verletzten Dornfortsatz, so kann man das
Fragment leicht hin- und herschieben und unter fühlbarem
Klappen wie eine Klaviertaste gegen den stehengebliebenen
Rest des Dornfortsatzes anschlagen. Dieses Phänomen liess
sich in allen unseren Fällen mehrere Tage lang leicht demon¬
strieren.
Manchmal kann auch, wie im Fall 1, der Patient willkürlich
durch Muskelzug, d. i. durch Bewegungen des Kopfes und der
Arme die Krepitation an der Bruchstelle selbst hervorbringen.
In den ersten Tagen ist diese willkürliche Verschiebung äus-
serst schmerzhaft und wird von dem Verletzten peinlichst
vermieden, später, wenn die Bruchflächen ihre Rauhigkeit und
damit Empfindlichkeit verloren haben, wird sie oft als Spielerei
ausgeführt.
Eine besondere Therapie ist bei diesen kleinen Ab¬
sprengungen ziemlich aussichtslos und auch unnötig. Wii
haben nur in den ersten I agen Bettruhe in Rückenlage, späten
leichte Massage in Anwendung gebracht. Eine wirklich knö¬
cherne Vereinigung der Fragmente wird in seltenen Fällen ein-
treten, eine bindegewebige Fixierung oder die Bildung einer
Pseud'arthrose wird die Regel sein, ohne dass dem Verletzten
dadurch ein bleibender Nachteil erwächst.
Immerhin wird durch diese Verletzung die Arbeit s -
f ä h i g k e i t lange Zeit vollkommen aufgehoben. Mit
Ausnahme des letzten unserer Fälle, der das Krankenhaus aus
äusseren Gründen vorzeitig verliess, betrug die Behandlungs¬
dauer 18 — 30 Tage und auch nach der Entlassung darf noch das
Vorhandensein einer Arbeits beschränku n g für einige Zeit
angenommen werden. Es haben also diese Verletzungen doc
wesentlich ernstere Folgen als die Beschädigungen, welche
gewöhnlich unter dem Namen Muskel- odei Sehnenzeirung
laufen und erfordern deshalb auch im Interesse des Vei letzten
eine vorsichtige prognostische Beurteilung.
Wenn meine Darstellung imstande ist, die Aufmerksamkeit
des untersuchenden Arztes auf diese Frakturen zu lenken, so
bin ich nicht im Zweifel, dass auch die Sage von der Selten¬
heit der Brüche der Dornfortsätze durch Muskelzug sich
zerstreuen wird, denn ich kann mir nicht denken, warum ge¬
rade mir der Zufall im Verlauf eines Jahres 3 einwandsfreie
Fälle dieser Art in die Hände gespielt haben sollte.
3
1330
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Literatur.
Cooper: Disloc. and fract. 1842, zit. nach Q u r 1 1, Lehr. v.
d. Knochenbr. 1862. — B u g 1 i o n i: Raccigl. med. 1892, zit. Zentralbl.
f. Chir. 1892. — Henle: Handbuch der prakt. Chir., Bd. II., 1903.
— H o f f a: Frakturen und Luxationen 1904. — Kirmisson: Traite
de Chir. de Duplay et Rectus 1891. — Kocher: Zentralbl. f.
Grenzgeb., Bd. 1. — Schulte: Deutsch, militärärztl. Zeitschr. 1902.
— Wagner und Stolper: Deutsch. Chirurg. (Verletz, d. Wirbels.)
1898.
Aus der Kgl. med. Klinik zu Königsberg i / Pr. (Direktor:
Geh. Med. -Rat Prof. Dr. L i c h t h e i m).
Pyozyaneusinfektion der Harnwege mit hoher Agglutinin¬
bildung für Pyozyaneusbazillen und Mitagglutination von
Typhusbakterien.
Von Privatdozent Dr. Carl Klieneberger, 1. Assistent
der Klinik.
Der Bacillus pyocyaneus gehört zu den am meisten ver¬
breiteten Bakterienarten. So häufig auch das saprophytische
Vorkommen dieser Bazillen beobachtet werden kann, sichere,
während des Lebens nachgewiesene Infektionen gehören zu
den grössten Seltenheiten. Die in der Literatur publizierten
Fälle von Allgemeininfektion halten zumeist einer kritischen
Prüfung nicht stand. Auf dem Wege der Blutkultur ist d,ie Fest¬
stellung solcher Allgemeininfektionen intra vitam einzelnen
Autoren gelungen H 2) 3) 4). Ein biologischer Nachweis aber der
Pyozyaneusinfektion durch Feststellung spezifischer Aggluti-
nine u. dergl. war bisher nicht möglich, weil sichere höhere
Agglutination von Pyozyaneusbazillen durch das Blutserum
pyozyaneusinfizierter Personen nicht einwandsfrei beobachtet
worden war 5)-
Die folgende Beobachtung eines Falles von Pyozaneus-
infektion 'der Harnwege mit Beteiligung des Gesamtorganismus
ist geeignet, diese Lücke in unseren Kenntnissen auszufüllen
und gleichzeitig einige Beiträge zur Biologie und Morphologie
der Pyozyaneusbazillen zu liefern. Den weiteren Unter¬
suchungsergebnissen stelle ich einen gekürzten Auszug der
Krankengeschichte voran.
Fritz M., 37 jähriger, verheirateter Lehrer, vom 29. I. bis 16. II. 07
in klinischer Beobachtung.
Vorgeschichte: Patient akquirierte 1903 eine Gonorrhöe,
die nach 6 Wochen ausheilte, war sonst gesund. Er ist verheiratet, die
Ehefrau hat einmal geboren, nie abortiert. Im Oktober 1906, angeblich
infolge zu kalten Trunkes, stellten sich Harndrang, Brennen bei der
Miktion, später Schmerzen in der Blasengegend und Entleerung von
trübem, bluthaltigem Harn ein. Er wurde innerlich wegen Blasen¬
katarrhs ohne Erfolg behandelt; am 17., 18. und 19. XII. 06 fand aus
diagnostischen Gründen Katheterismus mit weichem Katheter statt.
Am 21. XII. 06 sowie am 17. I. 07 wurde zystoskopiert und der
Ureterenkatheterismus vorgenommen, auf Grund dessen der leitende
Arzt des Krankenhauses zu M. eine Erkrankung der rechten Niere für
vorliegend hielt.
Befund bei der Aufnahme: Kräftiger Mann in gutem Er¬
nährungszustände. Brustorgane ohne Abweichungen von der Norm.
Lumbalgegenden etwas druckempfindlich.
Urin trübe, braunrot, 1800 ccm in 24 Stunden, Reaktion stark
sauer, Albumengehalt 1 Protn. Im dichten Sediment zahlreiche Leuko¬
zyten und Erythrozyten, ziemlich zahlreiche Bakterien.
In der Klinik in 2Vs Wochen Gewichtszunahme um 3 Pfund.
Verhalten des Urins durch die Hetralinmedikation nicht beeinflusst.
Zystoskopischer Befund: Cystitis colli, aus der rechten Ureter-
miindung sieht man einmal Eiterflocken, ein andermal Blut austreten.
Bakteriologische Untersuchung des am 30. I.,
31. I., 9. II. und 15. II. mit allen Kautelen entnommenen Katheter¬
harnes ergibt lim Original nebst Eiter und Blut ziemlich zahlreiche
Gram-negative Bazillen und zwar feine und lange neben sehr feinen
kurzen Stäbchen; keine Tuberkelbazillen. In den Kulturen wuchsen
B. pyocyaneus, sowie ein der Gruppe des B. lactis aerogenes nahe¬
stehendes Kurzstäbchen.
PLenhartz: Die septischen Erkrankungen. Nothnagels
Spezielle Pathologie und Therapie.
2) de la Camp: Zur Kenntnis der Pyocyaneussepsis. Charite-
Annalen 1904.
PRolly: Pyozyaneussepsis bei Erwachsenen. Münch, med.
Wochenschr. 1906, No. 29.
4) Hüben er: Ein Fall von Pyozyaneussepsis. D. med.
Wochenschr. 1907, No. 20.
8) K o 1 1 e und Wassermann: Handbuch der pathogenen
Mikroorganismen. — A. Wassermann: B. pyocyaneus, Immunität
bei B. pyocyaneus. Vgl. den Nachtrag bei der Korrektur.
(Dieses letzterwähnte Gram-negative Bakterium ist unbeweglich,
säuert, bringt in 24 Stunden Milch zur Gerinnung, vergärt Trauben-
und Milchzucker, peptonisiert die Gelatine in der 3. Woche ober¬
flächlich. Auf Agar wächst es ausserordentlich fein, schleierartig.)
Das Blutserum des Kranken wurde auf sein bakterizides
Vermögen gegenüber den eigenen Pyozyaneusbazillen und auf
seinen Agglutiningehalt geprüft. In drei wiederholten Ver¬
suchsreihen ü) konnte ein wesentliches bakterizides Vermögen
nicht erwiesen werden. Dagegen agglutinierte das Kranken¬
serum beide aus dem Harn des Kranken gezüchteten Bak¬
terienstämme, es agglutinierte des weiteren Typhusbazillen,
sowie eine Reihe von anderen, mir gütigst überlassenen Pyo-
zyaneusstämmen.
Auf diese Tatsachen möchte ich im einzelnen etwas näher
eingehen.
Zunächst — - und das ist ja für unsere Arbeit das wichtigste
— agglutinierte das Krankenserum den eigenen Pyozyaneus-
stamm ungewöhnlich hoch, bis mindestens 1 : 40 960. Bei
diesem Ausfall des Agglutinationsphänomens erschien es
gerechtfertigt und erwünscht, fremde Pyozyaneusstämme ver¬
gleichsweise zu untersuchen und dabei nicht nur ihre eventuelle
Beeinflussbarkeit durch das Patientenserum, sondern auch ihr
morphologisch-kulturelles Verhalten neben dem aus dem Kran¬
ken gezüchteten Stamm zu prüfen (Tabelle I und II).
Die Tabelle I zeigt, dass diese 12 Pyozyaneusstämme
gewisse geringe Verschiedenheiten in ihrem Verhalten gegen¬
über Traubenzucker (No. 4), gegenüber Lackmusmolke, sowie
in der Art und Menge der Farbstoffbildung auf Agar und Gela¬
tine, in Bouillon, Peptonwasser, auf der Kartoffel zeigen.
Grössere Differenzen konnten festgestellt werden, als ich
nebeneinander diese Kulturen auf ihre Agglutininbindung gegen¬
über dem Patientenserum M. hin prüfte. Dabei ergab sich,
dass einzelne Stämme in demselben oder fast im gleichen
Masse durch das Krankenserum agglutinativ beeinflusst wur¬
den, wie der aus dem Patienten gezüchtete Stamm (E, a,
Jo Kräl, ß Kräl, Emmerich: Poliklinik und Sepsis), dass
andere Stämme dagegen überhaupt nicht agglutiniert wurden.
Solche Unterschiede waren aber nicht etwa an morphologisch¬
kulturelle Verschiedenheiten geknüpft. Das erhellt unmittel¬
bar aus dem flüchtigen Vergleiche der Tabellen I und II.
Das Bestehen einer Doppelinfektion bei dem Patienten M.
veranlasste mich, das Blutserum des Kranken ausser
seinem Gehalt an Pyozyaneusagglutinin auch auf seinen Ge¬
halt an anderen Agglutininen zu untersuchen (Tabelle III). Da¬
bei ergab sich, dass der zur Gruppe des B. lactis aerogenes
gerechnete Stamm vom eigenen Serum bis 320, von Normal¬
serumkontrollen bis 160 agglutiniert wurde. Nach meinen
Untersuchungen über Koliagglutinine6 7 8) ist einem derartigen
Befunde eine wesentliche Bedeutung nicht beizumessen. Da¬
gegen ergab sich ein bemerkenswerter Befund insofern, als
Typhusbazillen durch das Krankenserum bis 320 stark agglu¬
tiniert wurden. In Ansehung der durchaus differenten Höhe
der Typhus- und Pyozyaneusagglutination war es schon
a priori ziemlich sicher, dass es sich dabei um Mitagglutination
der Typhusbakterien handle9)- Der Beweis dieser Wahr¬
scheinlichkeitsannahme wurde durch Anwendung der dafür
üblichen Methoden: durch Tierversuch und durch Ausfällungs¬
versuche nach C a s t e 1 1 a n i erbracht. Bei der einmaligen
Immunisierung eines Kaninchens mit toter Kultur wurde neben
einem relativ hohen Hauptagglutinin für den zur Immunisierung
verwendeten Stamm ein Mitagglutinin für Typhusbazillen von
niedriger Wertigkeit (1:20, stark +, vorher 1:20 = 0) erzielt
(Tabelle IV). Die Ausfällungsversuche der Tabelle III zeigen,
dass die Pyozyaneusbazillen beide Agglutininkomponenten
angreifen und allmählich vollständig absorbieren, während die
Absorption durch Typhusbazillen die Mitagglutininkomponente
entfernt und die Pyozyaneusbazillenagglutinine in ihrem Titre
entsprechend herabsetzt. Damit ist aber sicher der Nachweis
6) Methode nach Stern und Körte: Ueber den Nachweis der
bakteriziden Reaktion im Blutserum des Typhuskranken. Berl. klin.
Wochenschr. 1904, No. 9.
7) Anstellung der Agglutination nach dem Neisser-Proe-
s eher sehen Verfahren; cf. F. Pro es eher: Zur Anstellung der
W i d a 1 sehen Reaktion. Zentralbl. f. Bakt. I, 1902.
8) Carl Klieneberger. Arch. f. klin. Med., Bd. 90.
9) R. P a 1 1 a u f : Die Agglutination in Kolle-Wassermann;
Handbuch der pathogenen Mikroorganismen.
2. Juli 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Tabelle I.
Morphologie
Pepton¬
wasser
Kar¬
toffel
Trauben-
Dri-
galski
Lackmus¬
molke
Farbstoff¬
bildung
Stämme
Form !
1
Bewegl.
Färb¬
barkeit
Gelatine
Agarstrich
Bouillon
zucker
hohe
Schicht
Endo
Milch
Indol
1.
M: Eigener
Stamm.
Schlan¬
kes
Stäb¬
chen
Lebhaft
beweg¬
lich
Färbbar
mit den
gewöhn¬
lichen
Anilin¬
farben,
Gram¬
negativ
Strichwachs¬
tum. verflüs¬
sigend von der
Oberfläche
aus, starke
Farbstoifbil-
dung
Dick, weiss¬
grau, flies¬
send, starke
grüne Farb¬
stoffbildung
Stark trüb.,
Kahmhaut,
Farbstoff¬
bildung
Trübe,
Kahmhaut,
grünliche
Färbung
dick¬
brauner
Belag
0
Farblos,
nach 5 Tag.
purpur
(Farbstoff¬
bildung)
Blau
Kahmhaut,
Entfärbung,
trübbräun¬
lich, später
alkalig
In 24 St.
gerinnend,
später pep-
tonisierend
0
In 24 St. stal‘k
grüne Farbstoff¬
bildung bei 22°
und 37°.
2.
E : Hygien.
Institut
Königsberg.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
a
Dto.
0
Farblos
Dto.
Dto.
Dto.
0
Dto.
3.
a: Hygien.
Institut
Königsberg.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, von oben
her verflüs¬
sigend, kein
Farbstoff
Grauweissl.,
etwas flies¬
send, iri¬
sierend, mi¬
nime gelbl.
Färbung
Trübend,
leichte
Kahmhaut¬
bildung
Trübend
Dto.
0
Farblos,
später liell-
rosa
Dto.
Kahmhaut,
Entfärbung,
trübrötlich
Dto.
0
Minime gelbl.
Farbstoffpro-
duktion, bei
Zimmertem¬
peratur am
deutlichsten.
4.
ß: Hygien.
Institut
Königsberg.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, von oben
her verflüs¬
sigend, massig
starke Farb¬
stoffbildung
üeppig,
fliessend,
grauweiss,
Farbstoff
bildend
Stark trübe,
Kahmhaut,
gelbgrüne
Färbung
Trübe
Dto.
Ver¬
gärend
Dto.
Dto,
Tiefblau,
Kahmhaut
ln 24 Std.
gerinnend,
rasch und
stark pepto-
nisierend
?
Leichte
Rosa¬
färb. im
Pepton¬
wasser
Massig inten¬
sive Bildung von
gelbgrünem
Farbstoff, be¬
sonders bei 22°.
5.
Pyocya-
neus Frank¬
furt a. M.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, rasch u.
stark verflüs¬
sigend, nach
48 St. starke
Farbstoffpro¬
duktion
üeppig,
fliessend,
grauweiss,
in 24 St.
stark grün.
Farbstoff'
Stark trüb.,
Kahmhaut,
nach 48 St.
Farbstoff
In 24 St.
intensiv
blattgrün,
trübe, leich¬
te Kahm¬
haut
Schmie-
VI o*
dick¬
braun
0
Farblos,
nach 5 Tag.
purpur,
grüne Farb¬
stoffbildung
Dto.
Tiefblau,
Kahmhant,
nach 3 Tag.
entfärbend
rötlichviol-
let, später
alkalig
In 24 St.
gerinnend,
rasch pepto-
nisierend
0
Intensive Farb¬
stoffbildung bei
22 0 und 37 o.
6.
Jo
Kral.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, rasch
verflüssigend,
nach 3 Tagen
kein Farbstoff,
Gelatine von
gelbl. Schim¬
mer
Fliessend,
grauweissl.
irisierend,
minime
gelbl. Farb¬
stoffbildung
Diffus trübe,
Kahmhaut
Trübe, leich¬
te Kahmh.,
nach 3 Tag.
hellgrün
Dick¬
brauner
Belag
0
Farblos,
später dun-
kelrosa
Dto.
Tiefblau,
Kahmhaut,
nach 3 Tag.
entfärbend
Dto.
0
•
Geringe Farb¬
stoffbildung bei
37°, bei 22°
fraglich.
7.
Freu
Kral.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, stark
verflüssigend,
gelbgrüner
Farbstoff
üeppig,
grauweiss,
starke Farb¬
stoffbildung
(grün)
Trübe stark.
Kahmhaut,
in 24 St.
gelbgrüne
Färbung
Trübe,
Kahmhaut,
grünlicher
Farbstoff
minim
Dto.
0
Farblos,
später hell-
rosa
Dto.
Anfangs
tiefblau,
Kahmhaut,
nach 48 St.
Entfärbung
In 24 Std.
gerinnend,
rasch pep-
tonisierend
'nach 48 St.
fast völlig
flüssig und
verändert)
0
Intensive Farb¬
stoffbildung.
8.
a : Kral.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, verflüs¬
sigend, Gela¬
tine von gelb¬
lichem Schim¬
mer
Dto.
Oberflächen-
haut trübe,
leichteFaib-
stoffbildung
Trübe, nach
nach 3 Tag.
grün
Dto.
0
Dto.
Dto.
Blaue Ober¬
flächenhaut,
rasch ent¬
färbt, am
4. Tag hell¬
rot
In 24 St.
Gerinnung,
rasche Pep¬
tonisierung
?
Leichte
rötliche
Fär¬
bung in
Bouillon
Minime Farb¬
stoffbild., bei22°
annähernd 0.
9.
ß : Kräl.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, stark
verflüssigend,
gelb grüne
Farbstoffoild.
üeppig,
fliessend,
graulich-
weiss, iri¬
sierend, in
48 St. Farb¬
stoff nicht
deutlich,
spät, deutl.
Oberflächen¬
haut trübe,
erhebl. golb-
griine Farb¬
stoffbildung
Trübe, feine
Kahmhaut,
in 24 St.
leichte
Griingelb-
. färbung,
später
olivengrün
Dto.
1
0
Dto.
Dto.
Tiefblau,
starke
Kahmhaut,
nachl2Tag.
blau mit
rötlichem
Schimmer
In 24 St.
Gerinnung,
rasch fol¬
gende Ver¬
flüssigung
0
Ziemlich starke
Farbstoffbildg.
bei 22° und
bei 37°.
10.
Emmerich
Abort-
jauclie.
Dto.
Dto.
Dto.
Strichwachs¬
tum, verflüsi-
gend, gelb¬
grüne Farb¬
stoffbildung
üeppig,
fliessend,
irisierend,
gelbgrüner
Farbstoff
Kalnnhaut,
gelbgrüne
Färbung
Trübe, feine
Kahmhaut,
grünliche
Färbung
Dicker
Belag,
grüne
Färbg.
0
Dto.
Grün¬
blau
Intensiv
blau, Kahm¬
haut
In 24 St.
Gerinnung
0
Starke Farb¬
stoffbildung bei
37° und 22° in
24 Stunden.
11.
Emmerich
Poliklinik.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
üeppig,
fliessend,
geringe
Gelbgrün¬
färbung
Dto.
Kahmhaut,
stark grün.
Färbung
Dto.
0
Dto.
Dto.
Kahmhaut,
in 24 St.
entfärbend
Dto.
0
Dto.
12.
Emmerich
Sepsis.
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
üeppig,
fliessend,
starke Gelb-
grünfärbg.
Dto.
Dto.
Gelb¬
brauner
Belag,
daneben
grüne
Färbg.
0
Dto.
Dto.
Dto.
Dto.
0
Dto.
3*
1332
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Tabelle II.
Im Blutserum M. enthaltene Pyozyaneus-Agglutinine.
Tag der
Blutent¬
nahme
Pyozyaneus
M.*)
E.
Hygien. In¬
stitut Königs¬
berg
(C
ß
Pyozya- 1
neus j
Frankfurt-
Jo
Kral
Freu
JCräl
a
Kral
ß
Kral
Emmerich
(Abort¬
jauche)
Emmerich
(Poliklinik)
Emmerich
(Sepsis)
I. II. 07
20 -320 +
640 <4-4-
1 280-1 0240+
20480 schwach -j-
20 4-4-
40—80 <
4-4-4-
160 4- +
320 < 4- +
640—20480
> +
40960 +
20—80 slark +
160-320 stark -}-
640—5120
stark +
10240—
20480 +
40960 schwach -j-
1:20
u. ff=0
•
18. II. 07
20—10240
< 4~ 4~
20480 stark +
40960 +
81920 schwach +
t
0
20 — 40 stark +
80—160 + +
320—1280
stark +
2560 ange¬
deutet 4-
* 0
0
(Nach
12 Stunden
bis 160 -}-)
20 + + +
40-80 4- +
160-25604-4-
5120 stark +
10240-20480
stark +
40960 0
0
20? 40 +
80-640 stark +
1280-2560 > +
5120— 10240
zieml. stark +
20480 schwach-j-
20=0 40 +
80 — 160 stark +
320 < + +
640-10240
> + 20480 +
(Höher nicht
angestellt).
Tabelle III.
Prüfung des Blutserums M. auf andere Agglutinine (Blutserum v. 1 -/II.)-
*) Kontrollen mit 2 Normalseris PI und L, einem 3. Serum B (Kapselbazilleninfektion der Harnwege), sowie einem 4. Serum St.
(fiebernde Tuberkulose) ergaben für diesen aus dem Patienten gezüchteten Stamm ein negatives Agglutinationsresultat (Verdünnungen von
20 bis 2560).
scharf zentrifugiert. Mit der über dem Zentrifugat stehenden Lösung
werden auf Grund von Vorversuchen nochmals 2 Typhuskulturen ab¬
geschwemmt. die erste Versuchsanordnung wiederholt.
Titre des Serums vor der Absorption nach Casteljlani:
Für Typhus. Für Pyozyaneus M.
1 : 320 stark 4- 1 : 40960 stark +
nach der Absorption 1 : 20 u. ff. = 0 1 2560 stark +
1 : 5120—1 : 10240 +
2. Parallelversuch: Es werden 0,4 Serum in 4,0 ccm physio¬
logische Kochsalzlösung eingebracht, mit dieserVerdünnung desSerums
3 frische Pyozyaneuskulturen M. abgeschwemmt, 2 Stunden im
Thermostaten bei 37 0 gehalten, danach scharf zentrifugiert. Mit der
über dem Zentrifugat stehenden Flüssigkeit werden Agglutinations¬
versuche an Formoltyphus und Formolpyozyaneus M. angestellt.
Titre des Serums vor der Absorption nach Castellani:
Proteus
vulgaris
Hauser
Typhus
Paratyphus A
Paratyphus B
Bakt. M.
(Ebenfalls aus
dem Blaseninlialt
gezüchtet)*)
1 : 20 u. ff. = 0
20—80 > +
160-320 stark +
•
1 : 20 u. ff. = 0
1 :20u.ff. = 0
1:20 + + +
40 + + +
80 + + +
1 60 -j — | — (-
320 + + +
höher = 0
*) Agglutination von Bakt. M. durch Normalsera.
Normalserum.
PI.
20 + +
40 stark -f-
80 stark +
160 schwach
Normalserum.
L.
20 + T
40 + +
80 stark -j-
160 stark -j-
Ausfäl lungsversuche am Blutserum M. vom
18. II.: 1. Es werden 0,4 Serum mit 4,0 ccm physiologischer Kochsalz¬
lösung verdünnt; mit dieser Lösung werden 3 frische Typhuskulturen
abgeschwemmt, 2 Stunden im Thermostaten bei 37° gehalten, danach
Für Pyozyaneus.
1 : 4Ö960 > +
1 ; 2560 ziemlich stark +
1 : 512Q schwach +
Fiir Typhus.
1 : 320 > +
nacli der Absorption
1 : 80 ziemlich stark +
nach der wiederholten Absorption
0
(Diese Versuche besagen also, dass der Titre für Typhu'sbazillen
durch Typhusbazillen zum Verschwinden gebracht wird und für Pyo¬
zyaneus korrespondierend erniedrigt wird, dass durch Pyozyaneus-
bazillen der Titre für Typhus und Pyozyaneus parallellaufend bis zum
völligen Nullpunkt allmählich herabgedrückt wird.)
0
Tabelle IV.
Einem Kaninchen wird am 21. II. intravenös 1 ccm Formolkultur Pyozyaneus M. injiziert. Agglutinationstitre vor der Immunisierung für
Typhus 1 : 20 u. ff. = 0. für Pyozyaneus M. 1:20 ziemlich stark +, höher = 0. 28. II. Serumentnphme.
Agglutinationstabelle mit Immunserum Pyozyaneus M.
Typhus
Pyozyaneus
M.
E.
Hygien.
Institut K.
a
Hygien.
Institut
ß
Hygien.
Institut
Pyozya¬
neus
Frankfurt
Jo
Kral
Freu
Kräl
a
Kral
ß
Kräl
Emmerich
(Abort¬
jauche)
Emmerich
(Poliklinik)
Emmerich
(Sepsis)
20 stark +
20—320+ +
640 > +
1280 +
20 + +
40 +
80?
20-40 schwach +
80-640 slark +
1280 stark +
1:20 u.
ff. = 0
1 : 20 +
ff. = 0
1 : 20 u.
ff. = 0
1 : 20 u.
ff. = 0
1 : 20 u.
ff. = 0
20 +
40 schwach +
höher = 0
1 : 20 u.
ff. = 0
20 stark +
40 +
80 ange¬
deutet +
20 stark +
Anmerkung. Die Frage, ob die aus Kranken gezüchteten pathogenen Stämme sich biologisch ähnlich oder gleich verhalten,
wie Pyozyaneus M, habe ich aus Mangel an entsprechendem Material nicht entscheiden können.
eines Agglutinins für Pyozyaneus, das bindende Gruppen
bezw. Partialagglutinine auch für Typhus besitzt, erbracht.
Das durch Immunisierung mit Pyozyaneus gewonnene
Tierserum zeigt entsprechend seinem nicht sehr hohen Agglu¬
tiningehalt geringere Affinität zu den anderen, mir zur Ver¬
fügung stehenden Stämmen als das Patientenserum, bietet
sonst aber keine bemerkenswerten Differenzen gegenüber Ta¬
belle II (Tabelle IV).
Bei der Beurteilung des Falles selbst ist in Anbetracht des
hohen Titers des Krankenserums für Pyozyaneusbazillen die
Annahme ziemlich sicher, dass eine Allgemeininfektion statt¬
gefunden hat. Ob diese kurz vorübergehend gewesen ist oder
einige Zeit angedauert hat, ist aus der Anamnese nicht klar er¬
sichtlich. Ebensowenig wird es sich jetzt noch entscheiden
lassen, ob eine primäre Infektion mit Pyozyaneus oder
dem anderen aus dem Blaseninhalt gezüchteten Stamm
oder gar mit beiden Mikrobenarten erfolgte. Diese
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1333
Frage ist zudem für die Beurteilung des Falles gleichgültig.
Sollte wirklich die Infektion mit Pyozyaneus sekundär durch
unsaubere Instrumente — was wir zum Besten der früher be¬
handelnden Aerzte nicht gerne annehmen möchten — bedingt
worden sein, so steht nur das eine fest, dass diese Infektion
aussergewöhnlich hartnäckig ist und durch unsere gewöhn¬
lichen Methoden nicht beseitigt werden kann.
Die Tatsache, dass durch eine Pyozyaneusinfektion eine
hohe Immunagglutininbildung angeregt werden kann und dass
dabei interessante Befunde von Mitagglutininbildung Vor¬
kommen können, ist nach der mitgeteilten Beobachtung sicher.
Ebenso dürfte der Nachweis erbracht sein, dass morphologisch
und kulturell identische oder ähnliche Pyozyaneusstänime sich
biologisch ganz verschieden verhalten. Es entspricht das der
modernen Erfahrung, dass mit der Verfeinerung der Methodik
die Differenzierung früher für gleichartig angesehener Bak¬
terien in ungeahntem Masse wächst. Für eine etwaige Sero¬
diagnostik des Pyozyaneus empfiehlt es sich, zunächst den
aus dem Kranken isolierten Stamm, sodann aber eine Reihe
verschiedener Stämme gegenüber dem Krankenserum zu prü¬
fen, ehe man zu Schlussfolgerungen über das Vorhandensein
von Pyozyaneusagglutininen berechtigt erscheint. Normal-
serumkontrollen erscheinen unnötig, da nach unseren Fest¬
stellungen Normalsera in der Verdünnung 1 : 20 die Pyo-
zyaneusbazillen in der Regel nicht beeinflussen, wofern man
nach der Proescher sehen Methode arbeitet.*)
Aus dem Knappschaftslazarett in Laurahütte.
Ein therapeutischer Versuch bei epidemischer Genick¬
starre.
Von Dr. Ra dman n, leitendem Arzt.
Die Genickstarre ist eine Allgemeinerkrankung, meist mit
Lokalisationen in den weichen Hirnhäuten. *) Ihre Heilung
kommt nicht durch Lokalreaktionen zu stände, sondern durch
Reaktionen im Gesamtorganismus. Es liegt deshalb nahe, bei '
der Behandlung der Genickstarre vor allem danach zu streben,
die Reaktionen des Gesamtorganismus gegen die Meningo¬
kokkeninfektion zu unterstützen.
Am meisten war a priori zu erwarten von künstlich er¬
zeugten Antikörpern. Ueber die Sera sind indessen bisher
keine günstigen Erfahrungen bekannt geworden. Die auch von
uns mit dem K o 1 1 e sehen Serum an mehreren Kranken vor¬
genommene Behandlung hatte k^ine erkennbare Wirkung.
Ich habe deshalb versucht, auf anderem Wege die Re¬
aktion gegen die Meningokokken zu erhöhen. Ich ging dabei
aus von der Tatsache, dass bisher durch Impfungen, bezw.
") Anmerkung: Auch Voss, dessen Arbeit (Otto Voss:
Der Bacillus pyocyaneus im Ohr. Veröffentlichungen aus dem Gebiete
des Militärsanitätswesens, H. 33, 1906) leider erst nach der Druck¬
legung dieser Arbeit zu meiner Kenntnis gelangte, dürfte in seiner
Abhandlung nicht ganz den von Wassermann aufgestellten kriti¬
schen Anforderungen, welche von der Serodiagnostik der
Pyozyaneusinfektion eil intra vitam zu verlangen sind, ge¬
recht werden. Die von ihm beobachteten Agglutinationswerte sind
ebenso wie die von Wassermann beanstandeten recht niedrig,
ganz abgesehen davon, dass sie in einzelnen Fällen bei mehrfacher
Prüfung sich als schwankend und rasch verschwindend erwiesen
haben. Werte von 1 : 150, die von Voss als ausserordentlich hohe
Verdünnungsgrenze bezeichnet werden, sind meines Erachtens gering,
umsomehr, wenn die Methode der Agglutination die im hängenden
Tropfen (ein für vergleichende Untersuchungen nicht unbedenkliches
Verfahren) ist und wenn, wie Voss selbst auf Grund von Normal¬
serumkontrollen betont, erst jenseits 1 : 150 die Pyozyaneusaggluti-
nation als spezifisch angesehen werden kann. Dazu kommt noch, dass
diese meiner Meinung nach niedrige Agglutination in der Regel
nur für den aus dem betreffenden Kranken isolierten Pyozyaneus-
stamm Gültigkeit hatte.
Berücksichtigt man gegenüber Zahlen von 1 : 150, wie leicht
man mit Pyozyaneuskulturen im Tierexperiment
hohen aggluti nativen Titre erhält und wie sich daran
mein Fall M als erstes Analogon in der Literatur überzeugend
schliesst, so muss man meines Erachtens einer Serodiagnostik, die
aus so niedrigen Agglutinationswerten, wie wir sie bei Voss und in
der älteren Literatur (cf. Wassermann) finden, Folgerungen für
die Serodiagnostik zu ziehen bemüht ist, skeptisch gegenüberstehen.
1) Vergl. meine Veröffentlichungen in der deutschen medizinischen
Wochenschrift, 1905, No. 18 und 26.
durch Injektion von Kulturen unter die Haut bei Tieren, auch
bei Affen, keine Genickstarre erzeugt worden ist, sondern nur
durch Injektion in den Duralsack (v. Lingelsheim). Es muss
demnach angenommen werden, dass das subkutane Gewebe
für die Ansiedelung von Meningokokken ungeeignet ist. Man
konnte also vermuten, dass, wenn diese wenig empfänglichen
Teile gezwungen würden, Meningokokken zu verarbeiten,
nicht nur eine Lokalreaktion der Gewebe die eingeführten Me¬
ningokokken unschädlich machen würde, sondern auch der
Ueberschuss der Lokalreaktion dem Gesamtorganismus zu gute
kommen würde.
Da die Reinkulturen der Meningokokken sehr hinfällig und
hinsichtlich ihrer Virulenz verschieden sind, so habe ich als
Injektionsmaterial die eigene Zerebrospinalflüssigkeit der Kran¬
ken benützt.
Johann L., Fördermann, 19 Jahre alt.
29. VIII. 1906. 3 Tage krank. Starke Rötung und Schwellung
der Rachenschleimhaut ohne Belag. Heiserkeit, belegte Zunge. Tem¬
peratur 37,9 °. Geringe Nackenstarre. Lumbalpunktion erfolglos.
Nachts Delirium; langsam ansteigendes Fieber.
30. VIII. Sensor'ium frei. In den nächsten Tagen kontinuierliches
hohes Fieber. Ausgesprochene Nackenstarre.
5. IX. Hohes Fieber. Nackenstarre unverändert. Ablassen von
25 ccm opaleszierender Spinalflüssigkeit, in welcher mikroskopisch
Meningokokken nachgewiesen werden. (Ebenso später kulturell im
Beuthener hygienischen Institut.) Davon werden, nachdem der Pa¬
tient sein Einverständnis erklärt hat, 8 ccm unter die Haut eines
Oberarmes injiziert. Abendtemperatur 39 °.
7. IX. Inijektioinsstelle am Arm .dauernd vollkommen reak¬
tionslos.
8. IX. Morgens Remission auf 37,5 °.
15. IX. Remittierendes Fieber. Opisthotonus fast verschwunden.
Vom 22. IX. an Temperaturabfall und dauerndes Wohlbefinden, abge¬
sehen von zeitweise höherer Pulsfrequenz.
8. XI. Auf seinen Wunsch entlassen.
In einem anderen gleich behandelten Falle, der ebenfalls
ausheilte, trat auch keinerlei Lokalreaktion auf. Indessen
konnte hier der Meningokokkus nicht nachgewiesen werden,
sondern nur sein häufiger Begleiter, der Diplococcus crassus.
Demnach ist es unschädlich, Genickstarrekranken ihre
eigene Zerebrospinalflüssigkeit subkutan zu injizieren.
Da die Genickstarreepidemie in Oberschlesien fast er¬
loschen ist, so habe ich keine Gelegenheit mehr zu weiteren
Versuchen. Vielleicht werden durch meine Mitteilungen
Aerzte, denen Material und ein Krankenhaus zur Verfügung
steht, dazu veranlasst, Untersuchungen über den etwaigen
therapeutischen Wert der Methode anzustellen.
Ich halte es für unbedenklich, gleich mit grossen Dosen
zu beginnen, d. h. gleich die ganze bei der Punktion ge¬
wonnene Flüssigkeitsmenge möglichst körperwarm subkutan
zu injizieren, soweit man sie nicht zu Untersuchungszwecken
braucht.
Natürlich muss die Diagnose sicher sein.
• Die Spinalflüssigkeit bei gewöhnlichen eitrigen Meningi¬
tiden, vielleicht auch bei Mischinfektionen, würde Entzündungs¬
erscheinungen an der Injektionsstelle oder schwerere Stö¬
rungen hervorrufen. Vollkommen aseptisches Arbeiten ist
selbstverständlich.
Therapeutische Mitteilungen.*)
Von Friedrich Merkel in Nürnberg.
I. Secacornin-Roche, ein neues Sekalepräparat.
Die Firma Hoffman n-La Roche hat in den letzten Jahren
eine Reihe neuer Arzneipräparate auf den Markt gebracht — und,
was wohl das Wichtigste dabei ist, es sind. Präparate, die sich Dank
ihrer vorzüglichen Wirkung eine dauernde Stelle im Arzneischatz
erobert haben. Ich nenne nur das Thigenol und das Digalen. Diesen
reiht sich nun würdig an das Secacornin — Ergotin Keller. Schon
Robert äussert sich prognostisch günstig über dasselbe in seinem
Lehrbuch der Pharmakologie. Er sagt: „Das in der Schweiz viel
benutzte „Ergotin Keller“ ist das weitaus rationellste aller Mutter¬
kornextrakte, da bei der Herstellung desselben zielbewusst die
Alkaloide möglichst vollständig und unzersetzt erhalten, alle übrigen
Stoffe aber nach Möglichkeit abgeschieden werden. Seine starke
Wirksamkeit kann daher nicht wundernehmen.“
Das Mutterkorn ist eines von den vielen Arzneimitteln, welches
dem praktischen Arzte mit der Zeit unentbehrlich geworden ist. Die
*) Nach einem Vortrage, gehalten im Aerztlichen Verein zu
Nürnberg am 4. April 1907.
1334
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
rohe Droge, Secale cornutum, ist von jeher eine der veränderlichsten
aller Drogen und in ihrer chemischen Zusammensetzung ausser¬
ordentlich mannigfaltig. Es war daher von jeher das Bestreben der
Pharmakologen, ein dauernd wirksames, haltbares und bekömmliches
Präparat herzustellen. Es würde zu weit führen, auf die chemischen
und pharmakologischen Bestandteile und deren Eigenschaften näher
einzugehen; ich erwähne nur die Arbeiten von Robert, Jacob j
und Keller.
Drei Bestandteile sind es, welche aus dem Sekale dargestellt
wurden: die Ergotinsäure, die Spharelinsäure und der eigentlich
wirksame Bestandteil, das Kornutin. Nach Keller, der sich speziell
mit den Bestandteilen des Mutterkorns, besonders dem Kornutin,
beschäftigt hat und eine bestimmte Farbenreaktion (mit Eisenchlorid),
sowie eine analytische, äusserst wichtige quantitative Bestimmungs¬
methode ausarbeitete, ist das Alkaloid frei oder als lockere Verbindung
in der Droge enthalten. Schliesslich sei noch das von J a c o b j dar¬
gestellte Spasmotin erwähnt.
Keller hat jetzt die Firma F. Hoffmann-La Roche mit
der sehr umständlichen Darstellung betraut. Das bisherige Ergotin
Keller hat nun den Namen Secacornin-Roche erhalten. Es kommt
in den Handel als eine sterile Lösung der Alkaloide des Mutterkorns,
welche sich sowohl zur subkutanen und intramuskulären Injektion,
wie zur internen auch rektalen Verabreichung verwenden lässt und
zwar in Originalfläschchen zu 20 g, zur subkutanen Injektion in
sterilen, zugeschmolzenen Glasphiolen zu 1 ccm. 1 ccm entspricht
= 4 g Secale cornutum. Es handelt sich um ein sehr handliches,
leicht dosierbares Präparat, das nach meiner nun einjährigen Er¬
fahrung grosse Haltbarkeit besitzt. Insbesondere für die geburtshilf¬
liche Praxis ist es meines Erachtens das bequemste, zuverlässigste
Präparat. Ich habe das Secacornin, welches mir die Firma Hoff-
mann gütigst zur Verfügung stellte, im verflossenen Jahre in
ca. 60 Fällen erprobt und zwar in erster Linie in geburtshilflichen
Fällen. Ich verwandte es meist intramuskulär oder subkutan. Nie
traten Schmerzen auf oder Knoten, die Wirkung war stets eine absolut
zuverlässige. Ich verwandte es, gerade wie Prof. Walther-
Giessen, 1. prophylaktisch bei Leitung der Nachgeburtsperiode, um
Atonien nach raschen Geburten, bei starker Ausdehnung der Gebär¬
mutter (grosses Kind, Hydramnios, Zwillinge), Wehenschwäche, bei
Placenta praevia und Narkose, auch Lumbalanästhesien hintanzu¬
halten. 2. zur Bekämpfung bereits eingetretener Atonie in der Nach¬
geburtszeit wie post partum. 3. prophylaktisch: zur Beförderung
der Involution im Wochenbett, sowie zur Bekämpfung von lang
dauerndem blutigem Wochenfluss. 4. nach jeder Fehlgeburt zur Be¬
förderung der Involution.
In der Gynäkologie habe ich nur in einzelnen Fällen das Seca¬
cornin verwendet: einmal mit vorzüglichem Erfolg, um ein apfel¬
grosses Myom, welches intramural sass, nach der Serosa abzu¬
drängen, einige Male bei schlaffen Uteris mit starken menstruellen
Blutungen bei anämischen, obstipierten Frauen. — Das wichtigste
Gebiet der Sekaleanwendung bleibt die Nachgeburtszeit. Gleich
Walther habe ich nie das Mittel in der Austreibungszeit, nie als
wehenanregendes Mittel gegeben. Die Zeit, die zwischen Injektion
und Wirkung verläuft, beträgt 5 — 10 Minuten. Man muss daher stets
sicher sein, dass in dieser Zeit die Plazenta den Hohlmuskel verlassen
kann oder hat.
Nachdem ich in 18 jähriger Praxis bei fast 2000 Entbindungen
alle Sekalepräparate durchprobiert habe, ist mir ausser dem Ergotin
Bombeion, bei dem ich manchmal Knoten sah, kein gleich gutes, aber
besser haltbares und gleichmässiger dosierbares Präparat in die
Hand gekommen wie das Secacornin-Roche.
II. Ueber Novaspirin in Geburtshilfe und Gynäkologie.
Im 84. Band des Deutschen Archivs für klinische Medizin habe
ich meine Erfahrungen über Aspirin als schmerzstillendes Mittel in
der Gynäkologie und Geburtshilfe mitgeteilt. Bald darauf wurde von
der Fabrik Bayer ein verbessertes Aspirinpräparat, das Novaspirin,
in den Handel gebracht. Dieses ist eine dem Aspirin analog zu¬
sammengesetzte Verbindung der Salizylsäure mit dar Methylen¬
zitronensäure und kann chemisch als Methylenzitronensäureester der
Salizylsäure bezeichnet werden. Die Substanz, ein weisses, kristal¬
linisches Pulver, das an sich geruchlos ist und nur einen schwach
säuerlichen Geschmack besitzt, enthält ca. 62 Proz. Salizylsäure.
Novaspirin ist in Wasser nahezu unlöslich und übt infolgedessen
keinen Aetzeffekt auf die Schleimhaut des Magens aus. Die von
Witthauer, Ruhemann, Liebmann veröffentlichten Arbeiten
aus dem Gebiete der inneren Medizin über das Novaspirin loben das¬
selbe durchweg als ein den Magen nicht angreifendes Mittel. Es
wirkt zwar schwächer als das Aspirin und ist daher längere Zeit
und vielleicht in grösseren Dosen zu geben. Die antipyretische Wir¬
kung ist gut, die schweisstreibende und schmerzstillende geringer.
Alle empfehlen das Novaspirin als ein hervorragendes Mittel gegen
Influenza. Es verursacht weder Magendrücken noch Ohrensausen,
noch kolliquative Schweisse oder sonst üble Nachwirkungen. Ausser
bei Influenza wird es auch bei Rheumatismus, Gicht, sowie bei
Phthisis, Pneumonie etc. empfohlen. Nachdem ich, wie schon eiti-
» gangs erwähnt, das Aspirin als vorzüglich schmerzstillendes Mittel
in Geburtshilfe und Gynäkologie kennen gelernt hatte, stellte ich
vergleichsweise seit lYn Jahren in gleich gelagerten Fällen Versuche
mit Novaspirin an. In der Gynäkologie ist es in erster Linie das
inoperable oder rezidivierende Uteruskarzinom, welches, schmerz¬
stillende Mittel gebieterisch verlangt. In 5 Fällen gab ich Novaspirin,
0,5 — 2,5 pro die. Viermal war der Erfolg vorzüglich, einmal er¬
streckte sich sogar die schmerzstillende Wirkung nach 1,0 auf 2 Tage.
Auch direkt als Schlafmittel wirkt es. Nur in einem allerdings ganz
trostlosen Falle musste ich mit dem alten Aspirin und kleinen Opium¬
dosen (0,06) abwechseln. Aber auch hier muss es als wertvoll be¬
zeichnet werden, da in einem halben Jahre keine Steigerung der
Opiumdosis nötig wurde. — Bei peritonitischen Schmerzen infolge
gonorrhoischer Erkrankung der Sexualorgane wirkte das Novaspirin
in Dosen von 2 X 0,5 pro dosi (6 Fälle). Glänzend bewährte sich das
Novaspirin bei den berüchtigten Menstrualkoliken junger Mädchen;
beim geringsten Ziehen im Kreuz oder anderen Prodromalsymptomen
der beginnenden Menstruation, auch sogar bei dem bekannten Brech¬
reiz in Dosen von 1,0 verabreicht, hemmte Novaspirin jede weitere
schwere Kolik; höchstens musste nach 4 Stunden noch 0,5 nach¬
gegeben werden (13 Fälle). — Jedem beschäftigten Gynäkologen wird
es wohl in seiner Praxis schon passiert sein, dass nach intrauteriner
Aetzung bei Endometritis sehr heftige Koliken mit Ohnmachts¬
anwandlungen und dergl. auftraten. 1,0 Novaspirin in einem halben
Glas Madeira gelöst half mir dreimal die Frauen binnen 10 Minuten
prompt schmerzfrei zu machen.
In der Geburtshilfe gebe ich das Novaspirin jetzt regelmässig
bei stillenden Frauen. Denn diese haben bekanntlich besonders unter
schmerzhaften Nachwehen zu leiden. 2 — 3 mal täglich 0,5 drei Tage
lang gegeben, erzielte stets eine vollständig schmerzloses Wochenbett
(12 Fälle). Die Rückbildung des Uterus wurde in keiner Weise be¬
einflusst. Die Kinder reagierten niemals beim Stillgeschäft.
Fasse ich meine reichlich gemachten Erfahrungen über Nov¬
aspirin zusammen, dann komme ich zu folgendem Ergebnis:
Novaspirin ist ein vorzügliches, schmerzstillendes Mittel. Es
wird ausgezeichnet vertragen, ist in Bekömmlichkeit dem alten
Aspirin entschieden überlegen, von Nebenwirkungen frei, manchmal
jedoch schwächer, dafür aber nachhaltiger als das alte Aspirin
wirkend.
Zur Kasuistik der Ptomainvergiftungen.
Von Bezirksarzt Dr. W e i k a r d in Neu-Ulm.
Im November vergangenen Jahres hatte ich Gelegenheit, eine
Familienvergiftung zu beobachten, welche in weiteren Kreisen be¬
kannt zu werden verdient. Von einer einschliesslich der Diener¬
schaft 7 köpfigen Familie erkrankten 6 Personen gleichzeitig an
schweren Vergiftungserscheinungen, welche in Brechdurchfall, Leib¬
schmerzen, in eingenommenem Kopf, Schwindelgefühl (in einem Fall
bis zur Ohnmacht gesteigert), erhöhter Körpertemperatur, kleinem
frequenten Puls und grosser, zur Bettruhe zwingender Mattigkeit
bestanden. Die Therapie bestand hauptsächlich in Darreichung von
Reizmitteln (schwarzer Kaffee, Thee mit Arak, Sekt etc.). Nach
achttägiger Krankheit erholten sich die Patienten wieder. Die von
mir angestellten Nachforschungen ergaben, dass alle Personen der
Familie (auch der Diener, der es mir nachträglich im Vertrauen einge¬
stand) tags vorher von einem Pudding genossen hatten, mit Aus¬
nahme des Familienvorstandes, welcher auch gesund blieb. Der noch
vorhandene beträchtliche Puddingrest zeigte bei der Besichtigung
keine besonderen Merkmale und doch enthielt er ein sehr gefähr¬
liches Eiweissgift (Ptomain). Die Köchin hatte nämlich zu seiner
Bereitung seit einigen Tagen übrig gebliebenes Eiweiss verwendet,
das sie in einem schlecht gelüfteten Eiskasten, der aber kein Eis
enthielt, aufbewahrte. Sie selbst hatte nach ihrer Versicherung vom
Pudding gar nichts genossen, wohl aber das Eiweiss, bevor sie es
verwandte, auf seinen Geschmack geprüft und gerade sie erkrankte
sehr heftig. Vom chemischen Untersuchungsamt der Stadt Ulm,
welchem ich den Pudding zur Untersuchung übergab, wurde mein
Verdacht, dass er an der Vergiftung die Schuld trage, bestätigt.
Herr Hofrat Dr. Wacker, Vorstand des genannten Amtes, welcher
dem Vergiftungsfalle ein sehr grosses Interesse entgegenbrachte,
versuchte, wie er mir mitteilte, die direkte Darstellung des Ptomain
nach dem Verfahren von Vey - Fresenius analyt. Chemie, Bd.
38, 155. Da er jedoch trotz wiederholter Versuche kein reines kry-
stallinisches Präparat erzielen konnte und befürchten musste, mit
dem vielen Umkrystallisieren zuletzt keinen Rückstand mehr zu er¬
halten, stellte er mit einem Teile des gefärbten Rückstandes, dessen
Gesamtgewicht 0,09 g betrug, einige Reaktionen an und erhielt mit
Jodjodkaliumlösung und Gerbsäure deutliche Niederschläge, während
mit Goldchlorid kein solcher eintrat. Nach dem Urteile Dr. Wackers
lassen diese 3 Reaktionen einen Schluss auf das Vorhandensein von
einem oder dem anderen der grossen Zahl der Ptomaine zu. Der
Rest des Präparates wurde zu Tierversuchen verwendet. Einem
1 Jahr alten Meerschweinchen wurden etwa 0,04 g mit etwas zer¬
riebenen Spinatblättern vermischt per os eingegeben und schon nach
Vt Stunde zeigten sich Lähmungserscheinungen in den hinteren Ex¬
tremitäten des Tieres, welche rasch Zunahmen und nach 1 Stunde den
Tod desselben herbeiführten unter ganz ähnlichen Erscheinungen,
welche bei Tieren beobachtet werden, welchen Strychnin beige¬
bracht wurde. Weder eine Erweiterung der Pupille noch eine An¬
ätzung der Magenwandungen konnte wahrgenommen werden. Ein
GALERIE HERVORRAGENDER ÄRZTE UND NATURFORSCHER.
^pHEODOR V.
JURGENSEN,
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift. Blatt 213, iqoj,
Verlag von J. F. LEIIMANN in München.
i
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1335
weiterer Versuch mit etwa der Hälfte der zuerst angewandten Menge
brachte nach 3 Stunden unter ganz ähnlichen Lähmungserscheinungen
einem jüngeren Meerschweinchen den Iod. Hofrat Dr. Wacker
schliesst seine Mitteilung an mich mit der Bemerkung, dass durch
diese Tierversuche der sichere Beweis erbracht worden sei, dass
man es mit einer sehr giftigen Art von Ptomain zu tun hatte. Es
dürfte nach meinem Dafürhalten keinem Zweifel unterliegen, dass
die Aufbewahrung des Eiereiweisses in einem nicht mit Eis be¬
schickten, mangelhaft gelüfteten Eiskasten die Giftentwicklung ver¬
ursachte oder wenigstens sehr begünstigte. Gerade in diesen, den
ganzen Sommer über mit Eis gefüllten und zum Aufbewahren von
Speisen benützten Eiskästen werden bei der nach Weglassen des Eises
eintretenden höheren Temperatur Massen von Bakterien lebendig.
Der Zweck meiner Veröffentlichung ist der, auf die Ge¬
fährlichkeit der Aufbewahrung von Speisen in nicht mit Eis be¬
schickten, schlecht gelüfteten Eisschränken hinzuweisen, um
weitere derartige Vergiftungen, die leicht tödlich werden kön¬
nen, zu verhüten. Die Eiskästen sollten überhaupt mehrmals
im jahre mit heisser Sodalösung gereinigt und desinfiziert wer¬
den, wozu sich das Autan vorzüglich eignen dürfte. Ganz be¬
sonders notwendig ist aber eine solche Desinfektion und auch
Sorge für eine gute Lüftung des Eiskastens, wenn man ihn nicht
mehr mit Eis beschicken, aber dennoch Speisen in ihm auf-
heben will.
- -0©0- -
Theodor von Jürgensen
Am 8. Mai ist Dr. Theodor von Jürgen¬
sen, der Vorstand der medizinischen Poliklinik und des
pharmakologischen Institutes in J übingen, nach qual¬
vollem Leiden gestorben. Er war der Nestor der
Fakultät. Jürgensen ist am 11. April 1840 als Sohn
eines Arztes in Elensburg geboren. Seine Studienzeit ver¬
brachte er in Kiel, Breslau und Tübingen. Von seinen Lehrern
verehrte er besonders Rudolf Heidenhain und L o t h a i
Mayer, „von denen er naturwissenschaftlich denken lernte"
und C a r i ß a r t h e 1 s, „der ihn ans Krankenbett führte“. In
Kiel bestand er 1863 das medizinische Staatsexamen und pro¬
movierte in demselben Jahr. Als Assistenzarzt an der medi¬
zinischen Klinik bei C. B a r t h e 1 s erhielt er schon im folgen¬
den Jahr die Venia legendi. Seine ersten Vorlesungen waren
über physikalische Diagnostik. Nach 5 Jahren wurde er zum
ausserordentlichen Professor und Leiter der Universitätspoli¬
klinik ernannt. In diese Kiolsr Zeit fallen seine epochemachen¬
den Arbeiten über die medizinische Wärmelehre, in welcher
er die Gesetzmässigkeit der Temperatur des gesunden Men¬
schen feststellte; im Anschluss daran folgte gleichzeitig mit
Liebermeister und Brand die Behandlung der fieber¬
haften Krankheiten mit Bädern. Jürgensen betont, dass es
durch die Anwendung des kalten Wassers bei Fiebernden nicht
nur gelingt, die Körperwärme herabzusetzen, sondern auch eine
Menge sonstiger schädigender Faktoren in Wegfall zu bringen.
Seine Behandlung des Abdominaltyphus hat in kurzer Zeit all¬
gemeine Gültigkeit erlangt und gilt, wie erst kürzlich eine Reihe
von Klinikern in der „Berliner Klinik“ bestätigten, im grossen
und ganzen auch jetzt noch. Durch die Einführung dieser Be¬
handlungsmethode, durch welche es gelang, die Moitalität des
Typhus auf 2—4 Proz. herabzusetzen, hat sich Jürgensen
allein schon den Namen eines Wohltäters der Menschheit er¬
worben.
Im Jahre 1873 folgte Jürgensen einem Rufe als ordent¬
licher Professor an die Universität Tübingen. Er vertrat dort
das Fach der Arzneimittellehre und das der Poliklinik. Wenn
letztere schon bestanden hatte, so wurde sie von ihm doch
völlig umgestaltet, und wir dürfen sie wohl als seine eigenste
und eigenartigste Schöpfung bezeichnen, die in dieser Art noch
nirgends bestanden, später jedoch vielfach Nachahmung ge¬
funden hat. Sein Leitsatz in der Führung der Poliklinik war:
Die Poliklinik soll dem Studierenden das zeigen, was das
Leben bietet. Sie muss daher alle Pflichten des piaktischen
Arztes, am besten des Hausarztes übernehmen; sie kann sich
daher nicht ausschliesslich auf die innere Medizin beschränken,
sondern muss sich auch der leichteren Fälle anderer Disziplinen
annehmen. Auf diese Weise ist es .1 ii r g e n s e n gelungen,
sich eine feste Klientel mit der zehnfachen Frequenz gegen
früher zu schaffen.
Seine Hörer führte er persönlich an das Krankenbett,
liess sie dort unter seiner Aufsicht Untersuchungen vor¬
nehmen und besprach kurz den Fall. Unermüdlich erfüllte
er seine Pflicht 34 Jahre lang: Kein Weg war ihm zu weit, kein
Wetter zu rauh, keine Wohnung zu armselig, keine Treppe
zu steil. Obwohl er viele Jahre lang an chronischer Knie¬
gelenksentzündung litt und ihm die Besuche oft recht beschwer¬
lich wurden, war er stets bereit, dem Ruf ans Krankenbett zu
folgen. Durch seine liebenswürdige Art mit Kranken zu ver¬
kehren, erwarb er sich deren Vertrauen in ungewöhnlichem
Grade, und nicht nur solche, „die es nötig hatten“, sondern auch
die Bessergestellten begaben sich in poliklinische Behandlung.
Wie er selbst mit den Kranken umging, so verlangte er es auch
von seinen Schülern; sie sollten in den Kranken nicht Lern¬
objekte sondern leidende Menschen sehen: nichts konnte ihn
mehr in Harnisch bringen, als wenn es ein Praktikant an der
nötigen Rücksicht fehlen liess. Gründliche, aber gleichzeitig
zarte und schonende Untersuchung war seine Parole. Was das
Leben bietet, wollte er seinen Hörern bieten; daher legte er
grossen Wert darauf, dass selbst bei hohem Krankenstand stets
neben den schweren auch leichte und leichteste Erkrankungen
vorgeführt wurden: neben der Diphtherie hatte die Angina,
neben der Pneumonie die Bronchitis ihr Recht; ebenso wie die
akuten Exantheme musste der junge Mediziner die Insekten-
bisse kennen lernen. Den Praktikanten wurden die einzelnen
Kranken zur eingehenden Beobachtung zugeteilt, in besonderen
Nachmittagstunden fand die klinische Besprechung statt. In
dieser wurden den einzelnen Fällen die ihnen eigenartigen Züge
zu gründe gelegt und dann auf die gesamte Pathologie und
Therapie der betreffenden Krankheit übergegriffen. Wenn wir
Jürgensen am Krankenbett als gründlichen Untersucher
und scharfsinnigen Diagnostiker bewundern durften, so zeigte
er sich in den Stunden der klinischen Besprechung als der
naturwissenschaftliche Denker, der die grundlegenden Fächer
der Medizin wie kaum Einer beherrschte. Mit dem Schemati¬
sieren von Krankheiten und dem Aufzählen von pathognomoni-
schen Zeichen war es ihm nicht getan, sondern dem Charakter
der induktiven Naturforschung im heutigen Sinne des Wortes
getreu, führte er die beobachteten J atsachen auf allgemein
gültige Naturgesetze zurück und suchte so den Zusammen¬
hang mit dem Grossen und Ganzen zu gewinnen. Wie er mit
dieser Art des Unterrichtes das Richtige getroffen, das beweist
die Anerkennung, die ihm von einer überaus grossen Anzahl
von Aerzten aus Nah und Fern im Laufe der Zeit zu teil wurde,
sowie die von Jahr zu Jahr wachsende Schülerzahl, welche
hinter der der stationären Klinik nicht zurückstand.
Neben seiner recht ausgedehnten Tätigkeit als Lehrer und
als gesuchter Konsiliarius entfaltete Jürgensen eine aussei -
ordentliche literarische Tätigkeit. Seiner Arbeiten über die
medizinische Wärmelehre ist schon Erwähnung getan. Ls
folgten in Ziemssens Handbuch der speziellen Pathologie
und Therapie die Krankheiten des Respirations¬
apparates, die der kruppösen Pneumonie, der Katarrhal¬
pneumonie, der hypostatischen Vorgänge in der Lunge, dei eni-
bolischen und interstitiellen Pneumonie. Von diesen ist be¬
sonders die kruppöse Pneumonie hervorzuheben, die heute
noch von einem unserer ersten Kliniker über alle Arbeiten auf
diesem Gebiet gestellt wird. Schon lange vor der bakterio¬
logischen Zeit hat Jürgensen auf Grund seiner schart¬
sinnigen Beobachtungen die Behauptung aufgestellt, dass die
kruppöse Pneumonie keine örtlich bedingte, sondern eine allge¬
meine Krankheit ist und die Krankheitsphänomene sich nicht aus
dem örtlichen Leiden erklären; ferner dass die Annahme eines
spezifischen Krankheitserregers notwendig ist, dass die krup¬
pöse Pneumonie also der Gruppe der Infektionskrankheiten zu¬
zuzählen sei. Die Zeit gab ihm Recht und J ü r g e n s e n durfte
schon nach einigen Jahren den Triumph für die Richtigkeit
seiner Aufstellungen erfahren. Für die Pneumonie und die
Bronchopneumonie hat er die heute noch anerkannten Giund-
prinzipien einer richtigen Behandlung scharf, klar und piazis
aufgestellt.
Von der grossen Anzahl seiner weiteren Arbeiten seien
hervorgehoben die über Blutentziehung und über Transfusion,
ferner sein Lehrbuch über spezielle Pathologie und J herapie,
dessen erste Auflage 1886 erschien. Auf kaum 800 beiten
1336
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
ist das enorme Gebiet der gesamten Pathologie und Therapie
ausführlich behandelt. Nur einer wie Jürgensen konnte
es wagen, den umfangreichen Stoff in solcher Kürze zu-
sammenzudrängen. Wie in allen seinen Arbeiten ist auch
in seinem Lehrbuch der Stil knapp, präzis, kein Wort ist zu
viel gesagt, keines zu wenig, jedes ist genau abgewogen und
an die richtige Stelle gesetzt. Das Lehrbuch ist in vier Auf¬
lagen erschienen, die letzte, 1902 herausgegebene, ist dem
Altmeister Kussmaul gewidmet.
Im Jahre 1895 erschienen inPenzoldt und Stintzings
Handbuch der speziellen Therapie seine Behandlung der At¬
mungsorgane. — Die Möglichkeit, als Polikliniker die verschie¬
denen Epidemien in ihrem Werden und Verlaufe zu verfolgen,
führten zu den klassischen Arbeiten über die akuten Exan¬
theme in Nothnagels Handbuch der speziellen Pathologie
und Therapie. In demselben Werke hat er von den Erkran¬
kungen der Kreislaufsorgane die Insuffizienz des Herzens (1899),
die Endokarditis (1900) und die Klappenfehler (1903) bearbeitet.
Auch hier erkennen wir, von welchem Nutzen es ist, die
Kranken lange Zeit hindurch unter Augen zu haben und die
Krankheit an ein und demselben Menschen Monate und Jahre
lang zu beobachten. Durch diese ihm möglich gewordene lang¬
dauernde Beobachtung der Kranken bekommen Jürgensens
Arbeiten ein eigenartiges Gepräge und sind besonders auch für
den Praktiker von grossem Werte. Jürgensen ist der
erste, der die Insuffizienz des Herzens zum Ausganspunkt für
die Darstellung der Herzkrankheiten gewählt hat. Die Endo¬
karditis, bei der stets eine allgemeine Infektion vorhanden,
ist nicht als ein vollberechtigtes Eigenwesen anzusprechen,
von dem das ganze Herz ergriffen ist; Pankarditis lautet
daher die Diagnose der Zukunft, wobei aus diesem Ge¬
samtbild die Endo-, Myo- und Perikarditis herauszuheben sind.
Welche Würdigung den Ausführungen Jürgensens über die
Erkrankungen der Kreislaufsorgane zuteil geworden, geht aus
den eingehenden Referaten Grassmanns in dieser Wochen¬
schrift hervor.
Besonderes Interesse brachte Jürgensen den sep¬
tischen Erkrankungen entgegen, angeregt durch
eine in den 80 er Jahren aufgetretene Häufung der Fälle
in Tübingen. Sein Verdienst ist es, die Frage in neuen Fluss
gebracht und dabei neben dem Chirurgen und Geburtshelfer dem
inneren Mediziner sein Recht eingeräumt zu haben.
In allen seinen Arbeiten fällt der knappe Stil, die Klarheit
seiner Ausführungen und das genaue Quellenstudium auf. Ich
kann die Worte über Jürgensens schriftstellerische Tätig¬
keit nicht besser schliessen als mit dem Ausspruch, den Carl
Gerhardt über ihn getan: ,,Er hat in dem Fache der inneren
Medizin auf die gesamte schriftstellerische Arbeit fördernd und
anregend gewirkt. Für ein besonderes Verdienst halte ich es,
dass er seine Gedanken nicht wie Blattgold breitgeschlagen,
aufs letzte ausgesponnen und wiederholt vorgebracht hat. Die
Verarbeitung seiner Gedanken ins Kleine überliass er meist
anderen. Er hat einen Reichtum von Ideen und eine Lebhaftig¬
keit des Vortrages, der auf die Jugend anregend wirken muss.“
Jürgensens Werke, in denen er Tatsachen, nicht sich selbst
sprechen lässt, behalten einen unvergänglichen Wert und wer¬
den weiter wirken zum Heil und Segen der kranken Menschheit.
Sein sehnlicher Wunsch, in einer stationären Klinik tätig
zu sein, ist trotz glänzendster Anerkennung von seiten unserer
ersten Kliniker leider nicht in Erfüllung gegangen.
In seiner Familie war Jürgensen der treubesorgte Fa¬
milienvater. Ihm, dem früh Verwaisten, der eine lichtlose Ju¬
gend erlebt hat, lag die Harmonie in der eigenen Häuslichkeit
vor allem am Herzen. Wie er es im Verein mit seiner Gattin
verstanden hat, seinen Kreis zu einem äusserst gemütlichen
zu gestalten, das haben die kennen gelernt, die das Glück hatten,
ihm näher zu treten. Und die Zahl dieser war wahrlich keine
geringe; die J ii r g e n s e n sehe Gastfreundschaft war weit und
breit bekannt. Stets suchte er mit seinen Assistenten und
Schülern persönliche Berührung; verging doch kaum eine
Woche, in welcher wir nicht in seinem trauten Familienkreis
einige schöne Stunden verbrachten! Nicht nur Wissenschaft¬
liches und Berufliches wurde da besprochen, Jürgensen
war eine mitteilsame, vertrauende Natur und hat uns Freud
und Leid der Seinigen nicht vorenthalten, wie auch er
stets an unserem eigenen Ergehen warmen Anteil nahm,
ln allen Lebenslagen konnten wir uns an ihn wenden, immer
fanden wir verständnisvolles Entgegenkommen und treue
Hilfe. Er war ein vornehmer Charakter, der niemals nach¬
trug, eine grosszügig angelegte Seele, der kleinliches zu¬
wider war.
Schwere Schicksalsschläge haben ihn und seine Familie
in den letzten Jahren getroffen und den Verlauf eines schon
länger bestehenden Leidens — Arteriosklerose mit Insuffizienz
des Herzens — beschleunigt. Einer Influenza, die ihn mitten
im Schaffen im Februar befallen, hielt das Herz nicht mehr
Stand und nach 1 1 wöchentlichem Krankenlager, welches ihm
die aufopferndste Pflege der Seinigen möglichst zu erleichtern
suchte, erlag er. Möge ihm die Erde leicht sein!
D e n n i g - Stuttgart.
Referate und Bücheranzeigen.
G. Winter: Lehrbuch der gynäkologischen Diagnostik.
3. gänzlich umgearbeitete Auflage. Leipzig 1907. Verlag von
S. H i r z e 1.
W.s Lehrbuch, dem wir bei seinem Erscheinen eine aus¬
führliche Besprechung in diesem Blatte zu teil werden Hessen
(1896, No. 32, S. 754), hat vor 10 Jahren seine letzte (2.) Auf¬
lage erlebt. In diesem Zeitraum hat die gynäkologische Dia¬
gnose sowohl in ihrem klinischen wie anatomischen Teil er¬
hebliche Veränderungen erfahren. Diese, sowie die Wand¬
lungen, die Verf.s eigene Anschauungen und ihre Formulierung
inzwischen durchgemacht haben, machten eine gründliche Um¬
arbeitung des ganzen Lehrbuches notwendig, so dass die vor¬
liegende 3. Auflage z. T. als ganz neues Werk angesehen wer¬
den muss. Am meisten geändert sind die Abschnittte über
allgemeine Diagnostik, Extrauterinschwangerschaft, Retroflexio
uteri, Myome, Karzinom des Uterus, sowie die Erkrankungen
der Vulva, Vagina und des Harnapparates. Die von C. Rüge
bearbeiteten Abschnitte über die mikroskopische Diagnose sind
von diesem ebenfalls durchgearbeitet und vielfach neugeschrie¬
ben worden. Auch die Abbildungen sind vielfach verändert
und ergänzt, im ganzen fast auf das Doppelte vermehrt. Neu
hinzugekommen sind im klinischen Teil eine Reihe farbiger
Abbildungen, ebenso eigenhändige Zeichnungen R u g e s an
Stelle der Gebhard sehen Photogramme. Das ganze Werk
ist durch diese Veränderungen um fast 200 Seiten umfang¬
reicher geworden als die erste Auflage.
W.s Lehrbuch befindet sich wohl längst im Besitz jedes
Gynäkologen und gewiss auch vieler praktischer Aerzte. Wir
wünschen der neuen Auflage besonders auch in den Kreisen
der letzteren eine ausgedehnte Verbreitung, weil wir kaum
ein Buch kennen, das eine so glückliche Vereinigung von Wis¬
senschaft und Praxis bietet und für jeden Arzt eine Quelle
der Anregung und Belehrung ist und bleibt.
J a f f e - Hamburg.
Dr. J. P. Kar plus: Zur Kenntnis der Variabilität und
Vererbung am Zentralnervensystem des Menschen und einiger
Säugetiere. Mit 57 Abbildungen im Text und 6 Tafeln in Licht¬
druck. Leipzig und Wien 1907. Den ticke. 162 Seiten.
Preis 10 Mk.
Die interessante Arbeit bestätigt an neuem Material des
Verf. früheren Nachweis der Vererbbarkeit von Windungs¬
varietäten des Gehirns und deren Gleichseitigkeit. Sie fügt
dann aber weitere bedeutsame Untersuchungen an Tieren und
am Hirnstamm und Rückenmark hinzu, die allerdings noch der
Nachprüfung bedürfen. Beim Makakus zeigte sich eine ge¬
ringe Tendenz zur Vererbbarkeit der Varietäten, dagegen eine
sehr weitgehende Symmetrie beider Hemisphären. Bei Katzen
und Hunden fand Verf. wieder familiäre Typen aber gleich¬
zeitig mit Tendenz zur Symmetrie. Im Rückenmark scheinen
die phylogenetisch jüngeren Teile (Pyramidenbahn) weniger
Familienähnlichkeit aufzuweisen als die älteren (Hypoglossus-
kern). B 1 e u 1 e r - Burghölzli.
Mitteilungen aus Finsens medizinischem Lichtinstitut
in Kopenhagen. 10. Heft. Mit einer Tafel, 12 Kurven und 6
Abbildungen im Text. Verlag von Gustav Fischer. Jena
1906. Preis Mk. 5.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1337
2. Juli 1907.
- -
Wie eine Notiz am Schlüsse des 10. Heftes mitteilt, werden
die Mitteilungen fernerhin nicht mehr als selbständige Publi¬
kation erscheinen, sondern die vom Lichtinstitut ausgehenden
Arbeiten künftig in den Fachzeitschriften des In- und Auslandes
zugänglich gemacht werden. Das 10. Heft bringt noch 8 Ar¬
beiten.
1 Ueber farbige Lichtfilter. Einige photometrische Unter¬
suchungen. Von Gunni Busck, durch zahlreiche Kurven
illustriert. , IT , i
2. Von demselben Autor ein Beitrag zu den Untersuchungen
über die photochemische Hautreaktion.
3. Lupus cavi nasi. Eine klinische Untersuchung von H.
M y g i n d. Der Verfasser hat an 200 Lupuskranken die Nasen-
höhle untersucht und fand lupöse Erkrankung derselben bei
Frauen doppelt so häufig als bei Männern. In der Beschrei¬
bung der klinischen Erscheinungen, welche bei der. Erkrankung
der einzelnen Teile' der Nasenhöhle auftreten, weist er darauf
hin, dass der Lupus sich selten direkt aus der Nasenhöhle auf
die' Schleimhaut des Nasenrachenraumes fortsetzt.
4. Von R. K o 1 s t e r ist eine Studie über die Einwirkung
gewisser Lichtstrahlen auf sensibilisiertes Gewebe enthalten,
welche sich auf Versuche an weissen Mäusen bezieht.
Die 5. Arbeit, von K. Lundsgaard, beschäftigt sich
mit der Behandlung des Lupus conjunctivae. Unter 1250 Lu-
puskrar.ken des Lichtinstitutes boten 11 die bezeichnete Af¬
fektion dar, über deren verschiedene Behandlungsmethoden
der Verf. -sich verbreitet.
Die 6. und 7. Arbeit, von S. Schmidt-Nielsen be¬
schäftigen sich einerseits mit der Wirkung der Radiumstrahlen
auf Chymosinlösungen, andererseits mit Erfahrungen über die
Verwendbarkeit des Lichtes als Reagens.
Die letzte Arbeit, von A. R e y n, betrifft Apparate und
Methoden zur Lichtbehandlung. Es geht aus derselben hervor,
dass seit 1901 im Lichtinstitut die Behandlung mit Sonnenlicht
vollständig von der Behandlung mit elektrischem Licht abge¬
löst ist. Grassmann - München.
Victor Bonney: On Chorion-Epitheliomata of Congeni¬
tal Origin. (Transact. of the Patholog. Soc. of London, Vol. 58,
Part I, 1907.
Im Laufe der letzten Jahre sind mehrfach ganz unabhängig
von Schwangerschaft, und in einer Reihe von Fällen auch bei
Männern chorionepitheliomartige Geschwülste be¬
schrieben worden. S c h 1 a g e n h a u f e r war der erste, der
diese Tumoren als wirkliche Chorionepitheliome ansprach, als
einseitige Wucherungen, ausgehend von Choriongewebe in
Teratomen.
Verf. berichtet nun über 3 weitere hierhergehörige Fälle, von
denen Fall 2 und 3 Hodengeschwülste sind. Besonders bemerkens¬
wert ist aber Fall 1, der vom Ref. im deutschen Hospital in London
klinisch beobachtet und obduziert worden ist: Ein 69 jähriger Mann
erkrankte an harten Tumoren im Leib und ging kachekticch zu gründe;
die Sektion ergab einen grossen blauroten knolligen Tumor des
grossen Netzes mit zahlreichen Metastasen in der Leber. Makro¬
skopisch sowohl als mikroskopisch war die Uebereinstimmung mit
echtem Chorionepitheliom, wie die zahlreichen Abbildungen gut illu¬
strieren, überzeugend. Teratomatöse Strukturen wurden nicht ge¬
funden.
Abgesehen von der Uebereinstimmung im histologischen Bau
fordert Verf. für die Sicherstellung der noch von mancher Seite be¬
strittenen Identität derartiger Geschwülste mit echten Chorionepi¬
theliomen den Nachweis, dass sie von Zellen ihren Ursprung nehmen,
die ontogenetisch identisch sind mit den Zellen des Chorions. Auf
grund seiner interessanten Ausführungen zu dieser Frage, die aufs
engste verknüpft ist mit der Frage nach dem Ursprung der Teratome,
glaubt Verf. mit Recht von einem kongenitalen Ursprung wirklicher
Chorionepitheliome reden zu dürfen.
Die in Frage kommenden Tumoren werden eingeteilt in: 1. solche,
die primär im Hoden, 2. solche, die primär im Ovarium, und 3. solche,
die primär in anderen Organen entstehen, die kleinste, aber für das
theoretische Verständnis wichtigste Gruppe, der sich Fall 3 des Verf.
anschliesst.
Das Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit ist „up to date“.
Dr. Edward S c h e n c k - Frankfurt a. M.
L. Becker: Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigen¬
tätigkeit. Fünfte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Ber¬
lin 1907. Verlagsbuchhandlung von Richard S c h o e t z. Preis
Mark 14.
Das Buch, das schon in der ersten Auflage ein geschätzter
Berater jedes Arztes war, der mit der Unfall- und Invaliditäts¬
versicherung als Gutachter zu tun hatte, ist trotz mancher
Konkurrenten, die ihm im Lauf der Jahre entstanden sind, auch
heute wohl dasjenige, welches rasch und doch sehr gründlich
orientiert über die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen der
Unfallversicherung, über die hauptsächlichen Punkte der¬
selben, welche der Arzt richtig zu erfassen hat, wie z. B. die
Auslegung der Begriffe „Betriebsunfall“, „Unfallfolgc“, „Er¬
werbsunfähigkeit“ usw.
Der spezielle Teil enthält die Darstellung der Krankheiten,
welche als Unfallfolge in Betracht kommen können, vom Stand¬
punkt des Gutachters aus und unter Anführung von prak¬
tischen Beispielen aus der Rechtsprechung.
Die letzten 40 Seiten behandeln die Invalidenversicherung,
ihre gesetzlichen Bestimmungen und die besonders häufig bei
der Invaliditätsbegutachtung vorkommenden Krankheitszu¬
stände.
Das Studium des gründlich unbearbeiteten Buches ist für
den Praktiker geradezu notwendig, wenn er mit vollem Ver¬
ständnis und sicherem Urteil an der Durchführung der sozial¬
politischen Gesetzgebung mitarbeiten will. Und dazu ist heute
jeder Arzt verpflichtet und genötigt, meist leider ohne auf der
Universität für diese verantwortungsvolle Tätigkeit genügend
Anleitung gefunden zu haben. V u 1 p i u s - Heidelberg.
Geh. -Rat Dr. A. B a e r - Berlin und Dr. Laquer-
Wiesbaden: Die Trunksucht und ihre Abwehr. Urban und
Schwarzenberg - Berlin-Wien 1907. 2. umgearbeitete
Auflage. 242 S. Mk. 6.
Das alte klassische Werk (1890) Baers hat hier eine
Umarbeitung und den ausgedehnten neueren Forschungen
Rechnung tragende Ergänzung erfahren. Die bisherige sach¬
liche, durch der Parteien Zwist unbeeinflusste Darstellungsweise
ist geblieben. So wird z. B. die Frage: ist Alkohol ein Gift?
dahin beantwortet, dass er nicht als unbedingtes Gift ange¬
sehen werden kann, was sich bei unzähligen Menschen als
sein wirkliches Verhalten zeige. Andererseits sei aber auch
seine giftige Wirkung auch in kleinen Dosen, wenn diese häufig
und gewohnheitsmässig in den Körper eingeführt werden,
nicht zu leugnen. Der Alkohol — heisst es weiter — ist
weder ein Nahrungsmittel noch ein Gift. Seine wirkliche
Stellung im Haushalt der Natur und der Menschen ist: Genuss¬
oder Erfrischungsmittel zu sein. Diese Auffassung ist ebenso
wie die Definition „Nahrungsmittel“ zu vage. Ein „nicht unbe¬
denkliches Genuss- und Erfrischungsmittel“ schiene mir ange¬
messener. Nach eingehender Schilderung der physiologischen
und .pathologischen Wirkungen des Alkohols im ersten folgt
die der Trunksucht und ihrer Folgen im zweiten Teil, die der
Abwehr der Trunksucht im dritten Teil. Das Buch ist un¬
entbehrlich für jeden, der der Alkoholfrage wissenschaftlich
näher treten will. Neu stätt e r.
Dr. Deneke: Die Neubauten des allgemeinen Kranken¬
hauses St. Georg, Hamburg. Im Verein mit Dr. W i e s i n g e r,
Dr. S im mond s, Dr. Albers-Schoenberg, Dr. Adam,
Dr. Schlag intweit und Bauinspektor R u p p e 1. Mit Ti¬
telbild und 148 Abbildungen im Text. 159 Seiten. Verlag von
Gustav Fischer. Jena 1906. Preis 8 Mark.
Das zweite grosse Krankenhaus der Stadt Hamburg, das
im Jahre 1821 — 23 erbaut wurde, genügte weder den räumlichen
noch den hygienischen Ansprüchen mehr. In dem vorliegenden
Buche wird nun dargelegt, wie die Aufgabe der Erweiterung
und der Verbesserung dieser Anstalt gelöst wurde. Es darf
hier gleich vorweg genommen werden, dass dies in m u s t e r -
gültiger Weise (geschehen ist. Die Stadt Hamburg ver¬
stand es, allerbeste Kräfte an die richtige Stelle zu setzen, die
dann im Verein aus der veralteten Anstalt ein Krankenhaus ge¬
schaffen haben, das einmal allen billigen Anforderungen der
heutigen Zeit entspricht und dessen Herstellungskosten anderer¬
seits als verhältnismässig gering bezeichnet werden müssen.
Die Neubauten sind nach dem Pavillonsystem aufgerichtet,
sie stehen miteinander nur durch unterirdische Gänge in Ver¬
bindung. Jeder der zweigeschossigen Einzelbauten nimmt 80
bis 90 Betten auf. Der bisher den Pavillons anhaftende Nach¬
teil der allzugrossen Säle wurde dadurch vermieden, dass in
1338
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
der Mitte des Längsbaues Platz zum Korridor ausgespart
wurde, um den sich Untersuchungszimmer, Bad und Wirt¬
schaftsräume gruppieren; dann erst schliessen sich an beiden
Seiten die Krankensäle an, von denen jeder nur 16 Betten be¬
herbergt. Durch diese Einteilung sind die Vorzüge der Pa¬
villonbauten: doppelte Belichtung, Möglichkeit zur ergiebigen
Durchzugsventilation, mit denen der Korridorbauten: kleinere
behagliche Krankenräume, genügend Nebenräume, Isolier¬
zimmer verbunden. Die Einzelheiten der Bauausführung wie
die Art der Fussböden, die Wandverkleidung, die Rohrfüh¬
rungen, dann die Einrichtung der Spül-, Wasch- und Bade¬
einrichtung werden genau besprochen und es drängt sich dem
Leser die Ueberzeugung auf, dass all diese Einzelheiten wohl
und sorgfältig überlegt sind und dass sie sich im Gebrauch gut
bewähren müssen. Ausdrücklich wird von dem bauleitenden
Architekten F. Ru p p e 1 darauf hingewiesen, dass bei allen Ein¬
richtungen das Augenmerk hauptsächlich auf eine möglichst
einfache, leicht verständliche und möglichst mühelose Hand¬
habung gerichtet wurde und dass man auf diejenigen Konstruk¬
tionen verzichtete, die vielleicht theoretisch vorteilhafter
wären, aber besondere Mühewaltung oder ein besonderes Ver¬
ständnis des Personals erfordert hätten.
Die Schilderung des Operationshauses stammt von
den Herren DDr. W i e s i n g e r und Schlagintweit. Da
in den chirurgischen Pavillons kleine Operationsräume einge¬
richtet sind, in welchen septische Fälle behandelt werden
können, ist das Operationshaus von infektiösem Material fast
ganz entlastet. Trotzdem sind in diesem zwei Operations¬
säle eingerichtet, die getrennte Nebenräume und, soweit an¬
gängig, auch getrenntes Personal haben. Auf die Einzelheiten
des aseptischen Operationsraumes kann hier nicht näher einge¬
gangen werden. Nur das sei erwähnt, dass doppelte Glas¬
wände und Glasdächer bestehen, deren Zwischenraum breit
genug ist, um einem Mann die Reinigung der Fensterscheiben
zu ermöglichen, ohne den Operationssaal zu betreten. In diesem
Zwischenraum steigt auch die warme Luft der Fussboden-
heizung in die Höhe und verhindert selbst bei hartem Froste
ein Niederschlagen von Wasserdampf an den inneren Glas¬
flächen. Die Ventilation des aseptischen Operationssaales wird
durch eine eigenartige und in ihrem wesentlichen Teile durch¬
aus neue Methode bewirkt. Es handelt sich um ein Pulsions¬
system, das mit keimfreier Luft arbeitet. Die aus einer
entlegenen Stelle des Gartens angesaugte Luft wird im Winter
über Heizkörper streichend, vorgewärmt, im Sommer über Eis
streichend, also abgekühlt, durch Koks- und Sandfilter ge¬
trieben und dadurch staub- und keimfrei gemacht. Die so ge¬
reinigte Luft presst ein elektrischer Motor mit Flügelräder in
solchen Mengen in den Operationssaal, dass ein Ueberdruck
in dem Raum entsteht und beim Oeffnen einer Tür stets ein
Abströmen der Luft nach aussen stattfindet. Der Referent
wagt nicht zu entscheiden, ob eine Herabsetzung der Zahl der
in der Luft befindlichen Keime — denn ganz keimfrei kann die
Luft des Operationssaales ja kaum gemacht werdeh — die Aus¬
sichten auf einen guten Wundverlauf wesentlich bessert. Dass
das Reinigen der Luft von Staub und Russ in Hamburg, das wie
kaum eine andere Stadt Deutschlands unter der Russplage zu
leiden hat, für einen Operationsraum von Vorteil ist, kann nicht
bezweifelt werden.
Die Einrichtung des Röntgeninstitutes ist von dem
leitenden Arzte dieser Anstalt, Herrn Albers-Schoen-
b e r g beschrieben. Der Name dieses Mannes bürgt dafür, dass
seine Absicht „das Institut solle nicht allein den praktischen
Bedürfnissen des Krankenhauses gerecht werden, sondern es
solle auch ein Muster-Versuchs- und Lehrinstitut der Röntgeno¬
logie sein“, ausgeführt worden ist.
Geradezu opulent ist die Ausstattung des pathologi¬
schen Institutes. Der Sektionsraum gleicht einem asep¬
tischen Operationssaal. Auch die Nebenräume, wie das che¬
mische und das bakteriologische Laboratorium, die Spülräume
und die Sammlung, weisen eine mustergültige Sauberkeit auf.
Sehr zweckmässig ist die Einrichtung des Mikroskopiersaales.
In diesem hat jeder der vielen, in der Anstalt beschäftigten
Assistenten einen Arbeitsplatz, der mit Ausgussbecken, Gas¬
brenner und Wasserhahn versehen ist. Hier können die Aerzte
unter der trefflichen Leitung des Prosektors Dr. Simmonds
das ihren Abteilungen entstammende pathologisch-anatomische,
bakteriologische oder mikroskopische Material selbst verar¬
beiten. Damit wird ein erfolgreicher Versuch gemacht, einen
der Nachteile, welche die weitgehende Teilung der Arbeit in
einem so grossen Krankenhaus bietet, die Einseitigkeit in der
Ausbildung der jungen Aerzte, etwas auszugleichen. Ein wei¬
terer Nachteil bleibt aber bestehen, und das ist der der Ver¬
wöhnung. Aerzte, welche längere Zeit in so prächtig einge¬
richteten und reich ausgestatten Räumen gearbeitet haben, wie
sie die neuen Pavillonbauten, die Operationssäle, das Bade¬
haus usw. bieten und die sich an einen derartigen Luxus ge¬
wöhnt haben — z. B. nur einmaliges Benützen eines Hand¬
tuches — können sich wohl nur schwer in den einfachen Ver¬
hältnissen der Kassenpraxis oder gar der Landpraxis zurecht¬
finden. Der letzterwähnte Punkt, die Verwöhnung, spielt auch
bei den Patienten eine Rolle. Freilich ist das Beste gerade gut
genug für die Kranken. Doch muss der eigentliche Luxus ver¬
mieden werden, schon auch deswegen, damit die Lebensführung
in und ausserhalb des Krankenhauses nicht in gar zu leb¬
haften Kontrakt tritt. In dieser Hinsicht ist zweifellos in den
letzten Jahren bei Krankenhausneubauten gesündigt worden.
Die Verfasser des vorliegenden Buches betonen wiederholt,
dass sie von allen vermeidlichen Ausgaben abgesehen hätten.
Und tatsächlich sind die Bau- und Inventarkosten — auf ein
Krankenbett berechnet 4400 Mark — im Verhältnis zu anderen
Krankenhausneubauten (Dresden-Johannstadt 7000 Mark, Vir-
chowkrankenhaus Berlin 10 000 Mark, Heilstätte Belitz 15 000
Mark) gering. Allerdings stellt sich der Betrieb des Kranken¬
hauses ziemlich hoch, so dass der Staat Hamburg jährlich recht
bedeutende Summen zuschiessen muss.
Zu bedauern ist es, dass die Umbauten des alten Korridor¬
krankenhauses nicht näher geschildert wurden. Und gerade
diese sind, wie sich der Referent an Ort und Stelle überzeugen
konnte, besonders gut gelungen. Da gewiss manche älteren
Krankenhäuser der zeitgemässen Erneuerung bedürfen, wäre
es recht lehrreich gewesen, zu erfahren, wie aus einem alten
Gebäude mit finsteren Sälen freundliche helle Räume mit allen
erforderlichen hygienischen Einrichtungen geschaffen worden
sind. Freilich muss darauf hingewiesen werden, dass sich die
Kosten dieses Umbaues recht hoch beliefen.
Aber auch so, wie das Buch jetzt vorliegt, bedeutet es für
alle diejenigen, die sich mit Krankenhausneubautqn oder Um¬
bauten zu beschäftigen haben, eine Quelle der Belehrung und
der Anregung. Die Stadt Hamburg kann dazu beglückwünscht
werden, dass ihr nun neben Hamburg-Eppendorf ein weiteres
Musterkrankenhaus zur Verfügung steht.
L. R. Müller- Augsburg.
Neueste Journalliteratur.
Zentralblatt für innere Medizin. 1907. No. 24.
Pr. S c h u 1 1 z e - Bonn: Einige Erfahrungen über Ischias.
Unter 104 Fällen reiner „rheumatischer“ Ischias, 93 Männer,
11 Frauen, mittleren Lebensalters; Erkrankung häufiger linksseitig.
Vorausgegangen meist Muskelüberanstrengung, Erkältung, Traumen
oder Lumbago. Selten bestand Obstipation, nie Gicht, zufällig auch
nicht Diabetes mellitus. Der häufig fehlende Achillessehnenreflex, die
Hypästhesien, sowie die Dauerschmerzen (keine Schmerzanfälle)
sprechen für entzündlichen, perineuritischen Prozess. Akute Fälle
wurden mit Bettruhe, Aspirin, chronische mit heissen Sandbädern
und schottischer Dusche behandelt. Nie Massage!
K. L i e p e 1 1 - Berlin.
Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Herausgeg. von
Prof. L. Brauer. Band VII. Heft 3.
Engel: Ueber die Heilbarkeit der Tuberkulose und über die
therapeutische Verwendbarkeit des Tuberkulins im Kindesalter.
Auf Grund der Erfahrungen der Vorarbeiter (N ä g e I i,
Ganghofner, Binswanger, Geipel u. a.) und eigener, in
grösster Breite geschilderter Fälle und deren anatomische Befunde
kommt E. zu etwa folgenden Resultaten; Die Tuberkulose der beiden
ersten Lebensjahre verläuft fast immer letal, erst Ende des zweiten
Jahres finden sich bisweilen Spuren bindegewebiger Umwandlung
tuberkulösen Gewebes, also Tendenz zur Heilung. In den Bronchial¬
drüsen sitzt der Ausgangspunkt der Kindertuberkulose; von ihnen
erfolgt per contiguitatem, auf dem Bronchial- oder Blutwge die Aus¬
breitung. Den Lymphdrüsen kommt — vermittelst der reaktiv sich
ausbildenden Kapselverdickung — eine wirkliche Schutzkraft gegen
die Weiterverbreitung des Prozesses zu. Nur wenn das Lymphsystem
allein ergriffen ist, kann es darum zur Heilung kommen. Der dia¬
gnostische Wert des Tuberkulins für die infantile Tuberkulose steht
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1339
fest, den therapeutischen kennen zu lernen, bedarf es noch weiterer
Erfahrungen.
W. Weinberg: Die familiäre Belastung der Tuberkulösen und
ihre Beziehungen zu Infektion und Vererbung.
Der durch seine statistischen Arbeiten verdiente Verf. kommt
auf Grund sehr exakter Untersuchungen an seinem Stuttgarter Ma¬
terial (die in der Tat die statistische Unzulänglichkeit mancher an¬
deren einschlägigen Arbeiten erweisen) zu folgenden Schlüssen; Der
Einfluss der Tuberkulose der Mutter auf Säuglingsmorbidität und
-Sterblichkeit ist der grösste; ob es sich dabei um eine Addition
von direkter Vererbung mit vermehrter Infizierungsgelegenheit
oder um letztere allein handelt, ist ungewiss. Säuglinge, die
durch die Eltern infiziert wurden, erlangen sehr selten das er¬
wachsene Alter; ergo ist wohl auch die Säuglingsmilch nicht die
wesentliche Ursache der Tuberkulose Erwachsener. Numerisch hat
die „Belastung“ ungefähr denselben Einfluss wie das Zusammen¬
leben mit tuberkulösen Ehegatten. Eine Untersuchung grossen Stils
über das Schicksal nachgeborener Kinder tuberkulöser Väter — mit
und ohne Infektionsgelegenheit durch die Mutter (am besten un¬
eheliche in Waisen- oder Findlingshäusern früh in Pflege gegebene
Kinder. Ref.) — könnte die Frage der Vererbung (Belastung oder
Infektion? oder eines von beiden?) der Lösung näher bringen.
De Waele, Sugg und Vandevelde: Ein Verfahren zur
Gewinnung einer von lebenden Tuberkelbazillen und anderen lebens¬
fähigen Keimen freien, in ihren genuinen Eigenschaften im wesent¬
lichen unveränderten Kuhmilch.
Prioritätsstreit gegen Römer und Much wegen der Perhy-
drasemilch.
Much und Römer: Entgegnung auf vorstehende Bemer¬
kungen der Herren De Waele, Sugg und Vandevelde.
Eindeutige Widerlegung der vorstehenden Angriffe.
Hans Curschmann - Mainz.
Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und
Chirurgie. 17. Band, 5. Heft. Jena 1907, Gustav Fischer.
16) W. Braun und H. Seidel- Berlin (Friedrichshain) :
Klinisch-experimentelle Untersuchungen zur Frage der akuten Magen¬
erweiterung.
Verfasser definieren das klinisch oft, namentlich bei leichteren
Graden übersehene Leiden als ein akutes Versagen der Magienfunk¬
tion mit Ueberfüllung bezw. Auftreibung und dadurch bedingter Er¬
weiterung des Magens, welche in bedrohlichster Weise das All¬
gemeinbefinden schädigt. Leichen- und Tierversuche sprechen da¬
für, dass dabei mechanische Momente weit zurückstehen hinter
funktionellen Ursachen, Störungen der Mageninnervation
(zentrale, periphere und reflektorische); in zweiter Linie kommt eine
direkte mechanische, entzündliche oder toxische Läsion der Muskel¬
fasern selbst in Betracht. Primär besteht akute motorische Insuffi¬
zienz, die Dilatation ist sekundär. Durch Innervationsstörung lassen
sich fast alle chirurgischen Formen der akuten Dilatation erklären
(nach Narkosen, Laparotomien, Traumen, Rückenmarksläsionen, bei
Peritonitis, retroperitonealen Eingriffen und Erkrankungen, nach In¬
fektions-, konstitutionellen und anderweitigen Erkrankungen). Die
Innervationsstörungen werden durch Hundeversuche gut veranschau¬
licht. Verhindert man das Erbrechen durch Narkose, Vagus- oder
Rückenmarksdurchschneidung, so kann man durch Luftaufblähung
eine starke akute Dilatation des Magens herbeiführen. Nach Vagus¬
durchschneidung lösen Reizung des Schlundes oder des Peritoneums
noch Brechreiz aus, Tartarus stibiatus nicht, wohl aber Apomorphin,
das erst bei Rückenmarksdurchschneidung oberhalb des 6. Brust¬
wirbels unwirksam wird. Durchschneidung der Splanchnici kann das
Erbrechen ebenfalls hemmen, Durchschneidung der Sympathici ver¬
hindert es nicht, ebensowenig Durchtrennung der Bauchdecken. Der
klinische Verlauf des Leidens belehrt über die Wichtigkeit der Pro¬
phylaxe.
17) P. Morawitz und C. Adrian: Zur Kenntnis der sog.
Eiweisssteine der Niere und über die Ausscheidung membranöser
Massen aus dem uropoetischen System. (Aus der Strassburger med.
Klinik.)
Beschreibung eines Falles. Unter Nierenkoliken wurden Mem¬
branen aus einer eiweissartigen Substanz ausgeschieden, welche von
der Oberfläche der später mit Nephrektomie gewonnenen Fibrin¬
steine stammen mussten. Einzelne Konkremente hatten einen Kern
aus reinem Kalziumphosphat. Die in den Membranen verzweigten
Bakterien wurden als akzidentell angesehen.
18) Port und Reizen stein - Nürnberg : Ueber Fistula
gastrocolica.
Der geschilderte Kranke, welcher 7 Jahre früher wegen Pylorus¬
stenose nach Magengeschwür gastroenterostomiert worden war, kam
wegen Magenkolonfistel auf dem Boden eines peptischen Geschwürs
zur zweiten Operation. Die Fistel wurde durch Aufblähung des
Magens vom Darm aus, Methylenblau- und Wismutproben, Röntgen¬
untersuchung, Uebereinstimmung von Kot und Mageninhalt dia¬
gnostiziert; Koterbrechen und Lienterie fehlten.
19) K- V o g e 1 - Dortmund: Weitere Erfahrungen über die Wir¬
kung der subkutanen Injektion von Physostigmin zur Anregung der
Peristaltik.
V. empfiehlt neuerdings die Physostigmininjektionen. Durch An¬
regung der Peristaltik wird der Bildung von Adhäsionen des opeia-
tiv verwundeten Peritoneums vorgebeugt, wie er sich bei Relaparo-
tomien überzeugen konnte. Verordnung: 1 mg Physostigmin, salicyl.,
nach einer Stunde Glyzerinklysma 20 ccm, bei ungenügender Wir¬
kung wird beides nach 4 — 6 Stunden wiederholt. Die Methode
bewährt sich auch bei hartnäckigem Meteorismus nach Bauchkon¬
tusionen. Vor Operationen, namentlich Laparotomien empfiehlt V.,
um der postoperativen Darmatonie vorzubeugen, alte Stuhlmassen zu
entfernen, von einer eigentlichen Abfiihrkur jedoch wegen der gerne
nachfolgenden Erschlaffung abzusehen.
20) Friedr. S c h u 1 1 z e - Bonn: Zur Diagnostik der Operabilität
der Hirn- und Rückenmarkstumoren und über Operationserfolge bei
denselben.
Von 97 Hirntumoren liess Verfasser 19 operieren, hatte jedoch
weniger günstige Resultate als Horsley; nur 3 mal war eine länger
dauernde Besserung zu sehen. Günstiger verliefen die Fälle von
Rückenmarkstumoren; von 13 operierten wurden 6 völlig geheilt,
einer sehr stark gebessert. Die N e i s s e r sehe Hirnpunktion leistete
diagnostisch und therapeutisch gute Dienste.
21) Fritz Kermauner - Heidelberg: Phlegmone des Magens
in der Schwangerschaft.
In dem beschriebenen, schleichend beginnenden, tödlich endi¬
genden Fall von primärer phlegmonöser Gastritis wurde, namentlich
wegen positiven Lungenbefundes, die Diagnose fälschlich auf Peri¬
tonealtuberkulose gestellt.
22) M. Strauss: Die hysterische Skoliose. Ein Beitrag zur
Kenntnis der nervösen Deviationen der Wirbelsäule, unter beson¬
derer Berücksichtigung der „Unfallhysterie“ und der ärztlichen Sach¬
verständigentätigkeit. (Aus der Chirurg. Klinik Greifswald.)
Ausgehend von einem selbstbeobachteten Fall bespricht Ver¬
fasser das praktisch wichtige Krankheitsbild unter Heranziehung der
Literatur. Er unterscheidet 4 Gruppen: 1. Pseudoischias scoliotica
(B i n s w a n g e r) ; 2. die hysterische Hiifthaltung Salomonsons;
3. Fälle mit isolierter Verkrümmung in der Sagittalebene, fast durch¬
weg weibliche Patienten; 4. kombinierte Verkrümmungen in der
Sagittal- und Frontalebene. Gruppe 1 und 2 nennt Verfasser sta¬
tische hysterische Skoliosen, d. h., sie treten völlig unbeeinflusst und
isoliert, nicht als Folge fehlerhafter Becken- oder Beinstellung auf;
Gruppe 3 und 4 bilden die essentiellen hysterischen Skoliosen. Der
mitgeteilte Fall gehörte zur 3. Gruppe.
23) Kurt Schultze: Experimentelle Untersuchungen über das
Fieber nach Kropfoperationen. (Aus der chir. Klinik Bonn.)
Verfasser injizierte sterilen Kropfsaft sich selbst, den Operierten
und gesunden anderen Personen intravenös bezw. subkutan. Nach
diesen Versuchen spielt die Resorption von Kropfsaft beim Zustande¬
kommen des postoperativen Fiebers keine Rolle, ferner können die
postoperativen akuten Verschlimmerungen des Morbus Basedow
nicht als Folge von Kropfsaftresorption aufgefasst werden.
24) Hans Seidel: Ueber die physiologischen Grundlagen und
die praktische Brauchbarkeit des Ueberdruckverfahrens zur Aus¬
schaltung der Pneumothoraxfolgen. (Aus dem Krankenhaus im Fried¬
richshain, Berlin.)
Bei seinen Versuchen an Kaninchen und Hunden konnte Verfasser
nur unwesentliche Veränderungen der Atmungs- und Kreislaufverhält¬
nisse beim Ueberdruckverfahren wahrnehmen, so dass er es dem
Unterdruckverfahren physiologisch und praktisch annähernd gleich¬
stellen möchte. Die Ueberdruckatmung bei eröffnetem und bei ge¬
schlossenem Thorax ist nicht wesentlich verschieden, weshalb nur
die Atmung komprimierter Luft an und für sich, nicht die Etablierung
des Pneumothorax ins Gewicht fällt. Man darf keine höheren Ueber-
druckwerte bei den Untersuchungen heranziehen als praktisch in Be¬
tracht kommen, man darf auch nicht von Luft e i n b 1 a s u n ge n
sprechen, denn solche finden nur während der ersten Atemzüge statt;
es tritt rasch eine physiologische Anpassung an die veränderten Ver¬
hältnisse ein, ebenso wie beim Unterdruckverfahren. Von einer Er¬
schwerung der Atmungs- und Kreislaufverhältnisse kann nicht die
Rede sein, anfangs werden die Lungenkapillaren vorübergehend ver¬
engert, während sie beim Unterdrück vorübergehend erweitert wer¬
den. Der Begriff des negativen Interpleuraldrucks ist nicht an den
absoluten Wert des zwischen den Pleurablättern herrschenden
Druckes geknüpft, er ist auch vom Körperoberflächendruck abhängig.
25) C. Schulz- Brest-Litowsk: Atropin bei Ileus.
35 Krankengeschichten, darunter eine eingehende Beobachtung
am eigenen Körper veranlassen Verfasser, in frischen Fällen von
akuter Darmimpermeabilität die subkutane Atropingabe angelegent¬
lich zu empfehlen. Verfasser gibt Erwachsenen statt des üblichen
Opiums sofort 2 mg Atropin, zum Schutz des Gehirns vorher 0,0012
Morphium. Die Atropingabe wird eventuell wiederholt. Erfolgt inner¬
halb 24—36 Stunden keine Defäkation, so wird zur Operation vor¬
bereitet, zunehmende Frequenz des Pulses und abnehmende Fülle des¬
selben drängen zum Eingriff. Auch vor der Operation in vernach¬
lässigten Fällen injiziert Verfasser Atropin, um die Zirkulation und
die Peristaltik anzuregen und das Erbrechen zum Stillstand zu brin¬
gen. Die Vergiftungserscheinungen (Delirien, Mydriasis, Trockenheit
im Hals, Muskelzuckungen) hält Verfasser für unbedenklich, und
begegnet ihnen mit Morphium. R. G r a s h e y - München.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
1340
Archiv für Gynäkologie. Bd. 81, Heft 2. Berlin 1907.
1) J. W a 1 1 a r t - St. Ludwig i. E.: Untersuchungen über die
interstitielle Eierstocksdrüse beim Menschen. (Aus der pathologisch-
anatomischen Anstalt zu Basel IVorsteher: Prof. E. Kaufmann]
und aus dem Frauenspital Basel [Direktor: Prof. O. v. Herffj.)
Untersucht wurden 67 Paare von Ovarien aus den verschieden¬
sten Altersstufen, vom Neugeborenen bis zur 91 jährigen Greisin.
Der menschliche Eierstock besitzt eine interstitielle Drüse. Das
„interstitielle Driisengewcbe“ ist am stärksten entwickelt in den
ersten Lebensjahren, bis zur Pubertät, und erreicht die höchste Ent¬
wicklung während der Schwangerschaft. Den Zellen der intersti¬
tiellen Eierstocksdrüse dürfte ihrem ganzen Wesen nach eine be¬
stimmte sekretorische Funktion zukommen.
2. E. M. Kurdin owski: Ueber die reflektorische Wechsel¬
beziehung zwischen den Brustdrüsen und dein Uterus und über die
wichtige Rolle der reflektorischen Einflüsse im allgemeinen, sowohl
in der Physiologie, als auch in der Pathologie des graviden und nicht
graviden Uterus.
Der Uterus ist den entferntesten reflektorischen Einflüssen
gegenüber empfindlich, nicht nur den von der Brustdrüse ausgehenden
gegenüber. Eine solche Empfindlichkeit existiert anscheinend auch
im umgekehrten Sinne und spielt eine wichtige Rolle in der Physio¬
logie wie in der Pathologie des graviden und nicht graviden Uterus.
3) Erich Zur he Ile: Ein sicherer Fall von Impfkarzinom. (Aus
der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Bonn [Direktor: Prof.
Dr. li. E r i t s c h].)
Blumenkohlkrebs der Portio; abdominale Totalexstirpation nach
Wert h e i m. 3 Monate später fand sich im oberen Ende der Bauch¬
narbe eine kleinapfelgrvsse Geschwulst in den Bauchdecken. Diese
Geschwulst wurde entfernt, sie erwies sich als Karzinom. Die Bauch¬
höhle und die Kleinbeckenorgane waren rezidivfrei. Solche Be¬
obachtungen mahnen, während der Karzinomoperation jede Implan¬
tation in das gesunde Gewebe zu vermeiden.
4) Walter H. Schultze: Ueber das Verhalten der uterinen De¬
zidua bei ektopischer Gravidität. Ein Beitrag zur Frage nach der
Entstehung des unteren Uterinsegmentes. (Aus dem pathologisch¬
anatomischen Institut der Universität Freiburg i. Br. [Direktor: Prof.
L. Asch off].)
Untersucht wurde der Uterus bei ca. 6 Wochen alter Tubar-
gravidität. Die Dezidua reichte bis etwa zur Mitte des 'Zervikal¬
kanals nach abwärts. Das „untere Uterinsegment“ entsteht aus dem
oberen Abschnitt der Zervix, die schon in früher Schwangerschafts¬
zeit mit Dezidua bekleidet ist.
5) D. Grünbaum: Adenomyoma corporis uteri mit Tuber¬
kulose. (Aus der Frauenklinik von L. und M. L a n d a u - Berlin.)
Bei einer 45 jährigen Frau wurde der Uterus total exstirpiert
wegen eines diffusen Adenomyom des Korpus. Das Endometrium
und das Adenomyom zeigten verkäsende Tuberkulose, die Tuben
waren frei von Tuberkulose. Die Infektion kam wahrscheinlich auf
hämatogenem Wege zu stände von einem alten Herd in der Lunge.
6) Axell R. Limnell: Anatomische Befunde in einem Falle von
Nebenhorr:schwangerschaft. (Aus der gynäkologischen Universitäts¬
klinik zu Helsingfors [Vorstand: Prof. G. H e i n r i c i u s].)
Das Präparat wurde durch Laparotomie von einer 32 jährigen
Frau gewonnen, die siebenmal geboren hatte. Die Nebenhorn¬
schwangerschaft war etwa 4 Monate alt und war durch äussere
Ueberwanderung des Eies aus dem rechten Ovarium in die linke
Tube und von da in die rudimentäre Höhle zu stände gekommen.
7) C. H e n n i g - Leipzig: Grundlinien zur Einführung allgemein
gültiger Benennungen der geburtshilflichen Vorkommnisse.
Polyglotte Darlegung der frauenärztlichen, besonders der in der
Geburtshilfe gebräuchlichen Namen der wissenschaftlich anerkannten
Gegenstände.
8) A. Blau: Ueber „eiähnliche“ Bildungen in Ovarialtumoren.
(Aus der Klinik Chrobak.)
Solider, orangengrosser Ovarialtumor von einer 33 jährigen
Nullipara. Die Diagnose lautet auf: „Karzinom mit hyaliner Um¬
wandlung des Stroma, wodurch Bilder zu stände kommen, die den
Zylindromen sehr nahe stehen und die bei der Beschreibung ähn¬
licher Geschwülste mit Unrecht. als Primordialeier gedeutet wurden“.
9) Martin Steinbrecher: Die Schätzung der Transversa
des Beckeneingangs nach L o e h 1 e i n, nachgeprüft an 74 Baender-
becken. (Aus der Giessener Universitäts-Frauenklinik.)
Durch das von Loehlein angegebene Verfahren — Messung
der Distanz vom Lig. arcuatum bis zum vorderen oberen Winkel
des Foramen ischiadicum majus — ist es sehr wohl möglich, unter
Berücksichtigung der Beckenform die Conjugata transversa des
Beckeneingangs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu berechnen.
Id) W. Steffen: Zur Skopolamin-Morphium-Wirkung bei Ge¬
burten. (Aus der Kgl. Frauenklinik zu Dresden [Direktor: Prof. Dr.
L e o p o 1 dl.)
Skopolamin-Morphium wurde in 300 Geburten und dann noch¬
mals in 20 Fällen angewandt unter 1425 Geburten. Die grösste Ge-
samtdosis betrug 0,0015 Skopolamin + 0,02 Morphium. Das Urteil,
zu welchem St. über die Methode gelangt, ist ein ungünstiges: Das
Skopolamin-Morphium zeigt in vielen Fällen nicht die wünschens¬
werte Wirkung der Ausschaltung der Wehen- und Geburtsschmerzen
und Erleichterung der Geburtsarbeit durch Hervorrufen eines Schlaf¬
zustandes. In der Mehrzahl der Fälle treten ungünstige Nebenwir¬
kungen auf: nämlich Herabsetzung der Wehentätigkeit bis zum Still¬
stand der Geburt, Schwanken der kindlichen Herztöne, Oligo-Apnoe
des Kindes einerseits und Steigerung der Schmerzempfindlichkeit,
motorische Unruhe, Verwirrtheit gesteigert bis zum halluzinatorischen
Delirium andererseits. Sie alle lassen die Airwendung der Ver¬
einigung von Skopolamin und Morphium (besonders in der Privat¬
praxis) als sehr unvorteilhaft erscheinen.
Anton Hengge - München.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 25.
W e d e r h a k e - Düsseldorf : Ein Ersatz der Gummihandschuhe.
Zur Herstellung eines aseptischen Handüberzugs empfiehlt W.
eine Jodkautschuklösung, die von der Firma Dr. Degen
K u t h in Küren in den Handel gebracht wird. Da die chemische
Zusammensetzung der Lösung erst durch weitere Untersuchungen
festgestellt werden soll, wird man sich vorläufig eines Urteils ent¬
halten müssen.
C. D. Josephson: Zur Behandlung der Inversio uteri in-
veterata.
Im Gegensatz zu v. H e rf f (cf. dieses Blatt No. 18, S. 893), der
die Uterusexstirpation bei veralteter Inversion nur auf Neubildungen
als Ursache der Inversion beschränken will, glaubt J., dass es ganz
veraltete Inversionen gibt, wo auch die modifizierte K ü s tn e r sehe
Methode im Stiche lässt und nur die Exstirpation übrig bleibt.
E. Z u r h e 1 1 e - Bonn: Habituelles Absterben der Frucht in den
letzten Schwangerschaftsmonaten als Indikation zur künstlichen Früh¬
geburt.
Kurzer Bericht aus der Bonner Frauenklinik über 2 Fälle habi¬
tuellen Fruchttodes, denen Syphilis nachweisbar nicht zugrunde lag.
Durch die im letzten Schwangerschaftsmonat eingeleitete künstliche
Frühgeburt gelang es beidemal, lebende Kinder zu erhalten, die auch
am Leben blieben.
H. P a p e - Düsseldorf : In der Geburt eingeklemmtes Zervikal¬
myom, vaginale Enukleation, vaginaler Kaiserschnitt.
Der Ueberschrift wäre noch hinzuzufügen, dass es sich um eine
34 jährige I. Para handelte, dass das Kind durch Spaltung der hinteren
Uteruswaud entwickelt wurde, asphyktisch zur Welt kam und nicht
wiederbelebt werden konnte, sowie dass die Mutter geheilt wurde.
L. v. B y 1 i c k i - Lemberg: Bemerkungen zu P. Zweifels
„neuem Instrument“ zur Messung der Conjugata vera, zweites Modell.
v. B. wahrt Zweifel gegenüber (cf. dieses Blatt No. 21,
S. 1047) seine Priorität als Erfinder eines Instrumentes, das gestattet,
die Conj. vera direkt durch die Scheide messen zu können.
J a f f e - Hamburg.
Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und all¬
gemeinen Pathologie. Jahrgang 1907. 41. Band. 2. Heft.
6) R. Rössle: Ueber Phagozytose von Blutkörperchen durch
Parenchymzellen und ihre Beziehung zum hämorrhagischen Oedem
und zur Hämochromatose. (Aus dem pathol. Institut zu Kiel.)
Während Phagozytose gegenüber roten Blutkörperchen bisher
nur bei den Kapillarendothelien des Knochenmarks, der Milz, Lymph-
driisen und Leber beobachtet worden war, hat Verfasser diesen Vor¬
gang auch für OrganzelLen nachgewiesen, und zwar bei einem
nur wenige Stunden ante mortem klinisch beobachteten Fall, der
unter Ikterus, Aszites und Schleimhautblutungen komatös zugrunde
ging. Besonders in der Leber, dann aber auch in den Nieren und im
Pankreas fand sich infolge von primärer, bakteriell (Diplokokken?)
bedingter Nekrose der Kapillarendothelien Aufnahme z. T. massen¬
hafter roter Blutkörperchen in die Parenchymzellen der genannten
Organe unter intrazellulärer Umarbeitung derselben in Hämosiderin.
Verf. bezeichnet diesen Vorgang als Hämochromatose und
will ihn streng geschieden wissen von der sog. Hämo s i d e r o s i s *),
bei der die Pigmentierung durch eisenhaltigen Blutfarbstoff eine Folge
von intravaskulärem Untergang von roten Blutkörperchen
(wie bei der perniziösen Anämie etc.) ist.
R. fasst seinen Fall als eine Frühform des sog. Bronzedia¬
betes auf und sucht dies unter kritischer Besprechung des kli¬
nischen und anatomischen Bildes, dieser seltenen Erkrankung zu be¬
weisen.
7) Herrn. Schridde: Myeloblasten, Lymphoblasten und
lymphoblastische Plasmazellen. (Aus dem pathol. Institut zu Mar¬
burg.)
Die vorliegenden Untersuchungen wurden an Schnittpräparaten
vorgenommen, denen Verfasser hinsichtlich des Studiums der Genese
der Biutzellen eine viel grössere Beweiskraft beimisst, als wie den
Ausstrichpräparaten. Im Knochenmark hat S. neben den Myelo¬
blasten, deren typisches Verhalten bei den verschiedenen Färbe¬
methoden eingehend geschildert wird, nur selten kleine Lympho¬
zyten, nie aber Lymphoblasten konstatieren können; anschliessend
*) R. gebraucht in seiner Arbeit wieder fälschlicherweise fast
durchgehends den Ausdruck S i d e r o s i s, der doch von Zenker
als ein ganz anderer Krankheitsbegriff (Ablagerung von metallischem
Eisen) aufgestellt wurde, anstatt der Bezeichnung Hämoside-
r o s i s! Ref.
2 . Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1341
werden die bei Untersuchungen an lymphatischen Apparaten ge¬
wonnenen Beobachtungen über die Eigenschaften der L y m p h o -
bl asten (Hauptbestandteile der Keimzentren) abgehandelt und
endlich die aus den letzteren hervorgehenden lymphoblasti-
sehen Plasmazellen beschrieben, denen S. als streng zu trennend
die lymphozytären Plasmazellen gegenüberstellt, um da¬
durch wieder die strikte Trennung von Lymphozyten und Leukozyten
zu betonen.
8) W. Rosenberger: Ueber den Verlauf der akuten eitrigen
Entzündung mit und ohne Stauungshyperämie. (Aus dem Pathol.
Institut zu Qöttingen.)
Aus den vergleichenden Versuchen des Verf. ergibt sich, dass
bei der experimentell (durch Einbringen von mit Terpentin impräg¬
nierten Fremdkörpern) erzeugten Eiterung durch die Stauungs¬
hyperämie sowohl die exsudative Entzündung wie die Qefäss- und
Bindegewebsneubildung ganz erheblich gesteigert wird.
9) Oberndorfer: Beitrag zur Frage der Ganglioneurone.
(Aus der Prosektur des Krankenhauses München r. d. I.)
Der beschriebene Tumor von Hühnereigrösse fand sich zufällig
bei der Autopsie eines 12 jährigen Mädchens und hatte sich dem
mikroskopischen Verhalten nach in der Marksubstanz der Nebenniere
entwickelt; auffallend war der Befund einer ungeheueren Menge
völlig scheidenloser, nackter Achsenzylinder.
10) Jansen: Ueber Gewebssterilisation und Gewebsreaktion
bei F i n s e n s Lichtbehandlung. (Aus dem Laboratorium von F i n-
sens medizinischen Lichtinstitut in Kopenhagen.)
In der vorliegenden umfangreichen Arbeit hat es Verf. unter¬
nommen, die durch F i n s e n sehe Lichtbehandlung experimentell
hervorgerufenen pathologischen Veränderungen zu studieren und
zwar hinsichtlich der beiden Fragen, wie intensiv sich einerseits
die zelltötende und andererseits die Gewebswucherung
auslösende Wirkung der Finsenbestrahlung ge¬
staltet. Die Applikation des Lichtes war dabei ganz die gleiche wie
sie bei der Behandlung des Lupus vulgaris im Finseninstitut geübt
wird. Aus den interessanten Ergebnissen kann hier nur einiges
herausgegriffen werden: So zeigten Belichtungsversuche (unter
Druck) an exzidierten tuberkulösen Lymphdriisenstiickchen, dass die
t u b e r k e 1 b a z i 1 1 e n abtötende Wirkung selten nur bis zu 0,5 mm
in die Tiefe dringt, dagegen scheint eine Abtötung der Körper¬
zellen bis zu dieser Tiefe stattfinden zu können. Die Destruktion
ist jedesmal von einer sekundären ausserordentlich lebhaften Proli¬
feration gefolgt. Bei Belichtung mit Druckglas ist die Gevvebs-
abtötung wie die Proliferation stets eine bedeutend stärkere und
tiefer gehende; neben der räumlichen Kompression misst Verf. hiebei
der Anämisierung durch den Druck eine Rolle bei. Was die experi¬
mentell erzeugte Korneatuberkulose des Kaninchens betrifft,
so heilten tatsächlich bei Finsenbestrahlung nur oberflächlichere und
kleinere Herde aus. J. fasst die Wirkungsweise der Finsenbehand¬
lung auf wie die „einer Aetzung, die sich von den meisten anderen
Aetzungen dadurch unterscheidet, dass sie elektiver auf die patho¬
logischen Zellen und schonend auf die Stützsubstanz wirkt und dass
sie einen ausserordentlich lebhaften Heilungsprozess hervorruft“.
11) G. Herxheimer: Ueber heterologe Kankroide. (Aus der
Prosektur des städtischen Krankenhauses zu Wiesbaden.)
1. Kankroid der Gallenblase, 2. Adenokankroid des Magens, 3.
Carcinoma cylindrocellulare cancroidale des Coecums, 4. Adeno¬
kankroid des Pankreas, 5. Cancroid des Corpus uteri, 6. Mischtumor
der Parotis mit Plattenepithelinseln.
Den beschriebenen, sonst ziemlich verschiedenartigen Tumoren
ist eigentümlich der Befund von Plattenepithel, das zum Teil in ganz
typischer Anordnung von Hornperlen auftrat und in dem sich meist
auch deutliche Epithelfaserung und Interzellularbrücken nachweisen
Hessen. H. glaubt, dass es sich bei diesen „heterologen“(heterotopen?
Ref.) Tumoren um Liegenbleiben indifferenter Epithelanlagen frühester
embryonaler Zeiten handelte; da diesem indifferenzierten Epithel noch
die Fähigkeit der Weiterentwicklung sowohl nach dem Zylinder- bezw.
Drüsenepithel einerseits wie nach dem (eventuell verhornenden)
Plattenepithel andererseits innewohnt, so können daraus Tumoren
entstehen, welche die verschiedensten Epithelarten enthalten.
Herrn. Merkel - Erlangen.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 25.
1) Max J o s e p h - Berlin: Die allgemeine Therapie der Ge¬
schlechtskrankheiten.
Schluss folgt.
2) F. Croner und E. Selig mann - Berlin : Ueber das Ver¬
halten des Atoxyls im Organismus.
Versuche an Menschen und Hunden. Nach erstmaliger Injektion
wird die Arsenkomponente des Atoxyls innerhalb 24 Stunden ausge¬
schieden und zwar nur im Urin. Nach wiederholten Injektionen wird
das Arsen langsamer ausgeschieden und tritt auch im Kot auf.
3) P. S i c k - Leipzig: Grenzgebiete für B i e r sehe Stauung.
Verf. fordert dazu auf, diejenigen Fälle genauer abzugrenzen, bei
denen die konservative Stauungsbehandlung nicht erst versucht wer¬
den soll, weil dadurch kostbare Zeit verloren würde. Er führt aus
seiner eigenen Erfahrung entsprechende Fälle an (Oberlippenkar¬
bunkel, d. h. Miliarphlegmone durch Staphylokokken; stürmisch ver¬
laufende Osteomyelitis humeri), bei welchen nur die alte Waffe, näm¬
lich breite Spaltung bis ins Gesunde bezw. Exzision, in Frage kom¬
men konnte.
4) A. P r o s k a u e r - Berlin: Ueber spezifische pathologisch¬
anatomische Veränderungen des Magens und der anschliessenden
Darmabschnitte bei Typhus abdominalis.
Bei der Sektion eines an eitriger Peritonitis gestorbenen 9 jäh¬
rigen Knaben fanden sich im Magen, Duodenum und ganzen übrigen
Darm verteilt charakteristische Typhusgeschwüre; Typhusbazillen
konnten nicht mehr nachgewiesen werden; eine Perforation war nicht
zu finden. ' Das Kind war durch frühere Infektionskrankheiten in seiner
Widerstandskraft stark beeinträchtigt.
5) G o s s n e r - Brandenburg a. H.: Eine einfache und bequeme
Agglutinationsprüfung durch den praktischen Arzt mit gefärbten Prä¬
paraten.
Genaue Anleitung zur Ausführung der Gruber-Widal sehen
Reaktionsprüfung mit Hilfe von Formalinkochsalzlösung und Eormalin-
kulturbouillon.
6) t e K a m p - Bad Salzschlirf: Ein Beitrag zur Kenntnis der
Myotonia congenita, sogen. T h o m s e n sehen Krankheit.
Aus dem mitgeteilten Stammbaum geht hervor: Söhne wie
Töchter vererben die Krankheit, letztere jedoch nachhaltiger. Die
in einem Glied erloschene Krankheit bleibt dauernd erloschen.
7) Rob. Goldschmidt - Berlin : Ein vereinfachter Titrier¬
apparat.
Bürette mit Fiillgefäss verschmolzen. Dreiweghahn für Luft¬
zutritt. Vorteile: Bequeme Füllvorrichtung, guter Luftabschluss,
automatische Nullpunkteinstellung ohne Flüssigkeitsverlust, Wegfall
von Schlauchverbindungen.
8) Karl L e u w e r - Bonn : Ein neuer Ohrsauger.
Ohrtrichter und Eiterbauch aus einem Stück (Glas); am Eiter¬
bauch kleiner Saugball.
9) B o e s s e r - Chemnitz: Behandlung des Heuasthmas mit
Atropin-Chinin-Injektionen.
Verf. machte mit den von Kreidmann angegebenen Injek¬
tionen gute Erfahrungen.
10) S c h ä f f e r - Leun : Neue Prinzipien bei der Konstruktion
von Röntgenröhren.
Verf. schildert die Vorzüge der D e s s a u e r sehen Idealröhre.
11) Rietschel - Charlottenburg: Heizung und Lüftung in Kran¬
kenhäusern.
Schluss folgt.
12) W. F e i 1 c h e n f e 1 d - Charlottenburg: Obligatorische Seh¬
prüfung von Chauffeuren. R. G r a s h e y - München.
Vereins- und Kongressberichte.
Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie.
Zwölfte Versammlung, abgehalten zu Dresden
vom 21. — 25. Mai 1907.
Berichterstatter: Privatdoz. Dr. Schickei e-Strassburg i. Eis.
V.
Vorträge verschiedenen Inhalts.
Herr Olshausen: Zur Exstirpation des karzinomatösen
Uterus. | r -xi ti
Kurze Uebersicht über die Erfolge der vaginalen Exstirpation
des Uteruskarzinoms. Was O. von der Anwendung der abdominalen
Methode abhielt, waren die grosse Zahl der Nebenverletzungen,
die schweren Zystitiden, Bauchdeckeneiterungen, Beckenbinde-
gewebsphlegmonen. Unter 528 vaginalen Operationen kamen in
4,7 Proz. Nebenverletzungen vor (Blase und Ureter). Es genügt
nicht, die Blase anfangs zurückzuschieben, dies muss nochmals spä¬
ter geschehen bei Versorgung der unteren Partien der Ligamenta
lata. Mitteilung der Dauerresultate. Alles in allem sind die Dauer¬
erfolge für die Korpuskarzinome doppelt so günstig als für die des
Kollum. Aber befriedigend sind die Erfolge der vaginalen Opera¬
tionen nicht. Voraussichtlich wird diese Methode nichts Besseres
leisten können, als was O. erreicht hat und deshalb ist es zu wün¬
schen, dass dies der abdominalen Methode gelingen möge.
Herr Wert heim: Ueber die erweiterte abdominale Uterus¬
krebsexstirpation.
W. verfügt jetzt über 120 Fälle, die vor mehr als 5 Jahren
operiert sind. Von 87, über die berichtet werden kann, sind 53 re-
zidiviert. 61 Proz. aller Operierten sind nach 5 Jahren rezidivfrei
geblieben. Die absolute Heilungsziffe'r (nach W i n!t e r) beträgt
25,6. Darunter sind sehr schwere Fälle. 24 Wären noch für die
vaginale Methode zugänglich gewesen; andere waren von Opera¬
teuren schon zurückgewiesen worden. Ferner sind 60 Fälle mit
4 jährigem Heilungserfolg. Im 4. Jahr der anderen, länger beobachte¬
ten Fälle ist überhaupt kein Rezidiv mehr aufgetreten. Von diesen
60 sind 66 Proz. rezidivfrei bis jetzt. Wenn man diese zu den
andern rechnet erhält man eine absolute Heilung von 32 Proz. Diese
Besserung der Leistungsfähigkeit der abdominalen Methode liegt
in der Möglichkeit besser operieren zu können und Nebenverletzungen
1342
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 21.
zu vermeiden. Die Drüsenentfernung ist nicht gleichgültig. Die
4 in K i e 1 mitgeteilten Fälle, in denen ausgedehnte Drüsenmetastasen
Vorlagen, sind auch jetzt noch rezidivfrei. Die primäre Mortalität ist
dank der Abkürzung der Narkosendauer unter 140 Fällen jetzt auf
8,7 Proz. gesunken. Dabei gebraucht W. nie Handschuhe, ausser
in septischen Fällen, nie den sog. verschärften Wundschutz. Be¬
schreibung seiner Technik mit Demonstration von photographischen
Bildern. Die Dauer der Operation beträgt durchschnittlich 1 Stunde.
Die Besserung der Erfolge rührt von der späten Eröffnung der
Scheide her, von dem Anlegen der eigens konstruierten Klemmen
und der verkürzten Narkose.
Herr Mackenrodt: Dauerresultate der abdominalen Radikal¬
operation bei Gebärmutterscheidenkrebs.
M. bekommt Fälle, die zum grössten Teil vaginal nicht mehr ope¬
rabel sind. Es wurden sehr vorgeschrittene Fälle operiert, in denen
auch das Rektum exstirpiert werden musste. Er kann auf eine Ope¬
rationsdauer von 6/2 Jahren zurückblicken. Bei einer Operabilität
von 92 Proz. hat er eine primäre Mortalität von 19 — 21 Proz.
Waren die Parametrien wenig erkrankt, dann beträgt die Mortalität
5 — 10 Proz. Die Todesursachen sind meist nicht Sepsis. Der Tod
tritt bald nach der Operation ein durch Versagen des Herzens und
wenn schon längerdauernde Nephritiden bestehen. Ausserdem gibt
es eine sekundäre Mortalität, Spättodesfälle infolge von chronischer
Nephritis. Unter 144 sind 11 solcher Fälle nach % — IV2 Jahren ge¬
storben. Diese Fälle werden abnehmen durch Besserung der Blasen-
und Nierenerkrankung. Bis 1 Jahr nach der Operation hat keine
Verschiebung des Auftretens von Rezidiven mehr stattgefunden.
144 Fälle liegen zwischen IV2 und 6 Jahren. In 51 Proz. aller Fälle
ist Heilung eingetreten. Kein Fall ist verloren oder verschollen.
Herr v. R o s t h o r n - Heidelberg: Zur Morphologie des Uterus¬
karzinoms.
Das Ergebnis ausgedehnter morphologischer Studien unter Be¬
nützung einer bestimmten Methode (mikroskopische Durchsicht von
Schnitten durch das ganze Organ), welche der Vortragende gemein¬
sam mit Schottländer an 80 Fällen unternommen hat, wäre in
übersichtlicher Form folgendermassen zu verzeichnen:
1. Die Bestimmung des Ausgangspunktes beim
Carcinoma colli ist für die grösste Mehrzahl der Fälle un¬
durchführbar. Selbst für die Anfangsstadien bereitet dieselbe grös¬
sere Schwierigkeiten, als man glauben sollte. Es erscheint daher
zweckmässig, die alte Trennung von Portio- und Zervixkarzinome
fallen zu lassen.
2. Wir können im Sinne Winters (besonders an der Portio)
evertierende und invertierende Formen unterscheiden.
Als ersterer Typus könnte die polypoide Krebswucherung oder das
Blumenkohlgewächs hingestellt werden, welches übrigens nach den
hier gemachten Erfahrungen viel seltener vorkommt, als dies all¬
gemein dargestellt wird. Als letzterer Typus könnten jene Formen
gelten, welche von der Oberfläche in die Tiefe wuchernd, auf ge¬
wissen Schnitten, auf denen der Zusammenhang mit der Oberfläche
nicht hergestellt ist, den früher beschriebenen zentralen Knoten gleich¬
kommen. Ein solcher Knoten kann sowohl von der Oberfläche der
Portio als jener der Zervix seinen Ursprung nehmen und darnach
einen mehr aszendier enden oder deszendierenden
Wachstumscharakter annehmen.
3. Es gibt zweifellos primäre Portiokarzinome. Dieselben treten
aber an Häufigkeit gegenüber jenen vom Uebergangsepithel oder
von der Zervixoberfläche ausgehenden Krebsformen zurück.
4. Sowohl die aszendierende als deszendierende Ausbreitung
geschieht entweder im Parenchym oder entlang der
Schleimhautoberfläche, letzteres häufiger als man bisher
vermutet hat.
5. Das Kollumkarzinom zeigt eine ganz besondere Tendenz, im
Parenchym die Gegend des inneren Muttermundes zu überschreiten
(unter 67 Fällen 28 mal).
6. Es besteht also eine besondere Vorliebe der hinteren Wand
der Zervix zur Erkrankung. Sind aber beide Wände affiziert, dann
ist die vordere die weitaus intensiver erkrankte.
7. Auch die Scheide ist auffallend häufig auch bei höher ge¬
legenem Sitz mitbeteiligt (unter 39 Fällen 10 mal).
8. Die Art der Propagation im Parenchym zeigt
für die einzelnen Formen nichts Gesetzmässiges. Es gibt eine scharfe
und unscharfe Begrenzung. Es gibt ein Vordringen en masse oder
in Fortsätzen. Nach den dimensionalen Verhältnissen dieser finger¬
förmig gestalteten Zapfen kann eine klein- oder gross-alveolare Pro¬
pagation unterschieden werden. Ausserdem eine plexiforme, lympha¬
tische Ausbreitung. Die Art der Ausbreitung ist abhängig vom Zell¬
charakter der Neubildung, von der Intensität der Zellwucherung und
von der Beschaffenheit der angrenzenden Gewebe (Saftreichtum,
Zahl der Blutgefässe, Zahl und Weite der Gewebsspalten und Lymph-
bahnen des Lymphstromes).
9. Weder der Charakter der betreffenden Art des Krebses noch
der Modus der Verbreitung lässt Schlüsse zu auf die Intensität der
Beteiligung der Parametrien und Drüsen. Der
Uebergang auf die ersteren geschieht in kontinuierlicher oder diskon¬
tinuierlicher Weise. Bei Annahme der letzteren, des sprungweisen
Weitergreifens ist Vorsicht geboten.
10. Das histologische Bild lässt in der grossen
Mehrzahl der Fälle keinen Rückschluss zu auf die
Histogenese. Das Deckepithel spielt zweifellos eine viel
grössere Rolle als man bisher allgemein angenommen hat. Ein
sicher vom Deckepithel ausgehender Plattenepithelkrebs zeigt manch¬
mal drüsenähnliche Spalträume und führt ebenso zu Täuschungen,
wie das vom Drüsenepithel stammende Karzinom, das in soliden Zap¬
fen sich darstellen kann. Verhornung beweist nichts für ursprüng¬
lichen Plattenepithelkrebs.
11. Man begegnet nicht so selten Krebsherden an den
verschiedensten Stellen (Portio und Zervix) von ver¬
schiedenem Charakter gleichzeitig, so dass an ein plurizentrisches
Wachstum gedacht werden kann.
12. Auch kombinieren sich auf einem Präparat mehrere
verschiedene Krebsformein nicht so selten. So z. B.
in einem Fall Adenoma malignum invertens der hinteren Mutter¬
mundslippe, Frühstadium eines Hornkrebses mit invertierendem
Charakter an der vorderen Muttermundslippe.
13. Das Endotheliom der Zervix ist selten (unter 67
Fällen nur 1 mal). Es breitet sich plexiform aus, besitzt nicht immer
eine Kapsel, wie das behauptet wurde, und kann äusserst bösartig
werden. Parametrien, Drüsen und Tuben sind miterkrankt. Das
Oberflächenepithel ist überall vollkommen intakt.
14. Der Versuch, aus der Betrachtung des histo¬
logischen Bildes nach Probeexzision oder Probekürettement
weitergehende klinisch verwertbare Rückschlüsse auf Charakter,
Ausgangspunkt, Verbreitungsart und damit auf die
grössere oder geringere Malignität der Neubil¬
dung zu ziehen, muss als gescheitert angesehen werden. Der
Satz, das Zervixkarzinom sei als die schlimmste Form anzusehen,
kann daher nicht mehr aufrecht erhalten werden. Man begegnet
umschriebenen Portiokrebsen mit rascher Ausbreitung auf Para¬
metrien und Drüsen und ausgedehnten Zervixkarzinomen ohne irgend
welche Beteiligung des Beckenbindegewebes und der pelvinen
Drüsen. (Gekürztes Autoreferat.)
Herr J. S c h o 1 1 1 a e n d e r - Heidelberg: Zur Histologie und
Histogenese des Uteruskarzinoms mit besonderer Berücksichtigung
metaplastischer Vorgänge.
Vortr. ist bei der in Gemeinschaft mit Herrn v. Rosthorn
vorgenommenen Untersuchung von 80 Uteruskarzinomen (darunter
2 Vaginalkarzinomen) zu folgenden Ergebnissen gekommen.
In vieler Beziehung wichtiger und im Gebiet des Kollums häufiger
als die Drüsenkrebse scheinen ihm diejenigen zu sein, welche von
dem präexistenten oder bei der Erosionsheilung wieder neu ent¬
standenen Plattenepithel der Portio und dem metaplastisch verän¬
derten Deckepithel der Gebärmutterinnenfläche ausgehen.
An der Portio entstehen vermutlich (vergl. Amann) die meisten
Krebse gelegentlich der Erosionsheilung. Da sich nun im Zervikal¬
kanal mutatis mutandis genau derselbe und zwar vermutlich meist
erst im späteren Alter entzündlich bewirkte Grenzkampf zwischen
Zylinder- und Plattenepithel abspielt wie an der Portio, wobei das
Plattenepithel als das stärkere gewöhnlich den Sieg davonträgt, so
gelangt Vortr. zu dem Wahrscheinlichkeitsschlusse, dass auch hier
sehr häufig eine gewisse Prädisposition zur Entstehung eines Deck¬
epithelkrebses geschaffen wird, die nicht folgen braucht, aber fast
zweifellos folgen kann. Unter Zugrundelegung dieser Erfahrungen
namentlich auch eines in seinem Besitze befindlichen Bildes von
höchst wahrscheinlich atypischem Tiefenwachstum des meta¬
plastischen Zervixepithels bei Adnextuberkulose (gleichzeitig Ver¬
dacht auf Zervixtuberkulose!) glaubt Vortr. berechtigt zu sein, bei
einigen der untersuchten Fälle beginnende Zervixdeckepithelkarzi-
nome anzunehmen.
Im Corpus uteri scheinen die vom zuvor metaplasierten Deck¬
epithel ausgehenden Krebse weitaus seltener zu sein.
Sowohl bei Portio- wie bei Zervix- bezw. Kollumkarzinomen ist
ein flächenhaftes, nach dem nächst höheren Abschnitt gerichtetes
Wachstum unbedingt zuzugeben. Es gibt ferner flächenhaft abwärts
wachsende Korpuskarzinome, die sich histologisch nicht immer scharf
von den aufwärts wachsenden Kollumkarzinomen unterscheiden
lassen.
Vortr. ist der Ansicht, dass es schwerlich immer nur bei der
passiven Abhebung des anstossenden unveränderten Epithels bleibt.
Eine Reihe seiner Bilder sprechen ihm vielmehr für die Möglichkeit,
dass iim Gegensatz zu der jetzt fast allgemein anerkannten Lehre
die zur Krebsentstehung führende Noxe teils kontinuierlich, teils
diskontinuierlich wirkend auch das benachbarte oder etwas entfernter
liegende Oberflächenepithel zu selbständiger Teilnahme an der Krebs¬
bildung veranlasst, so dass es sich nicht immer um ein eigentlich
plurizentrisches Auftreten der Geschwulst handeln würde.
Gleich wie in der genannten Weise nach oben, so scheinen sich
nun Zervixkrebse auch z. T. flächenhaft nach unten, Portiokrebse nach
aussen und ferner ihrerseits nach oben auf die Zervixschleimhaut ver¬
breiten zu können. Vortr. legt Bilder vor, die ihm diesen Modus des
Wachstums wahrscheinlich machen.
Das eben erwähnte flächenhafte Wachstum der Kollumkarzinome
mit gleichzeitiger Erkrankung der mehr oder weniger benachbarten
Epithelpartien ist für Vortr. der erste Grund, welcher gegen eine
durchaus scharfe Sonderung der in vielen Fällen natürlich auch durch¬
aus typisch wachsenden Portio- und Zervixkarzinome spricht.
Der zweite in demselben Sinne zu verwertende Grund ist, dass
sich Portio- und Zervixoberfläche bei beginnender Karzinombildung.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1343
histologisch völlig gleichartig darstellen, so dass eine Aussage, ob
Portio- oder Zervixkarzinom meist unmöglich sein wird. Es scheint
jedenfalls nicht angängig, die sogen. Uebergangsepithelkrebse wie es
bisher geschehen ist, ohne Weiteres den Portiokarzinomen anzu¬
reihen.
Endlich ist drittens entgegen der in der Gynäkologie vielfach
noch herrschenden Lehre nicht recht einzusehen, warum ein bei der
Erosionsheilung entstehendes Portiokarzinom infolge fortgesetzten
Tiefenwachstums, welches gegenüber dem Flächenwachstum stets
viel wichtiger erscheint und ausgedehnter bleibt, nicht auch bis in das
Korpusparenchym gelangen könnte.
Vortr. zeigt dann noch einige Bilder, welche die Unvollkommen¬
heit der bisherigen Klassifikation der Karzinome illustrieren sollen,
ferner Bilder, die für einen degenerativen Zerfall und Ausfall der
Krebszellen (Selbstheilung!) in Lymphdriisenkarzinomen sprechen,
endlich ein Bild von Kombination eines Kollumkarzinoms mit Zervix-
tuberkulose. (3 sichere Fälle beobachtet!)
Herr K r o e m e r - Giessen demonstriert eine Reihe mikro¬
skopischer Präparate (mit Skioptikon), welche die von Pfannen-
stiel und dem Vortragenden angestrebte Verwertung des histo¬
logischen Bildes für die klinisch operative Indikationsstellung erläu¬
tern sollen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Kr. den Tumoren,
welche der eine als Endotheliom, der andere als Karzinom bezeichnet
— die also als noch zweifelhafter Abkunft gelten müssen. Klinisch
deckt sich der Befund mit dem von Pfannenstiel geprägten Wort
des weichen Tumors. Bei ihnen sind Drüsen mit Sicherheit als infiziert
zu erwarten. Die vom Vortragenden gewählten Belegfälle zeigen in
den einzelnen Teilen verschiedene Strukturbilder, die bald dem
alveolären Karzinom, bald dem sog. Peritheliom, bald dem Fibrosar-
kom gleichen.
Herr K. Hörmann - München: Zur Histologie des Binde¬
gewebes im Ovarium. (Mit Demonstrationen.)
Es wurden fötale, kindliche, geschlechtsreife und senile Ovarien
mit einer von Bielschowsky angegebenen Silberimprägnations¬
methode, welche sich vorzüglich zur Darstellung des zarten fibrillären
Stützgewebes eignet, untersucht. Die Menge und Verteilung der
Fasern wird an Ovarien aus verschiedenen Entwicklungsphasen de¬
monstriert. Besonders hervorzuheben ist, dass sich mit der B i ei¬
se h o w s k y sehen Methode in der Tunica interna wachsender
Follikel ein ausserordentlich feines Fasergerüst nachweisen lässt,
das die einzelnen Zellen dieser Schicht mit seinen Maschen umspinnt.
An der Grenze gegen die Granulosa geht dieses zarte Fasergerüst
in eine flächenhafte, dünne, kontinuierliche Faserausbreitung
(Grenzfaserschicht) über, welche nach den Untersuchungen
des Vortragenden identisch ist mit der „strukturlosen“ Grenzmem¬
bran (M. propria, basilaris. Grenzhaut etc.) der Autoren. Diese
Grenzmembran ist also nicht homogen, sondern besteht aus einem
dicht verflochtenen Filz feinster Fasern. Mit der Bielschowsky-
schen Methode konnte auch nachgewiesen werden, dass die an atre-
sierenden Follikeln auftretende „G 1 a s h a u t“ sich allmählich aus
der an normalen Follikeln vorhandenen zarten Grenzfaserschicht
durch Quellung und (wahrscheinlich) hyaline Degeneration der Fasern
umbildet.
Die Basalmembran normaler Follikel und die
Glashaut atretischer Follikel sind also entgegen
der bisher herrschenden Ansicht der Autoren
nur verschiedene Erscheinungsformen derselben
Bildung in verschiedenen Entwicklungsstadien.
Besonders instruktive Bilder liefert ferner die Biel¬
schowsky sehe Methode von dem zarten, ausserordentlich reich
verzweigten Fasergerüst in der Luteinzellenschicht des gelben Kör¬
pers. Jede einzelne Lutein zelle wird von feinen
Fasern eng umsponnen. Betreff aller Einzelheiten sei auf
die ausführliche Schilderung der Methode und der damit erzielten Re¬
sultate im Archiv f. Gynäkol., Bd. 82, 1907 verwiesen. (Autoref.)
Herr Ludwig S e i t z - München: Intrakranielle Blutungen Neu¬
geborener.
Vortragender erläutert an der Hand horizontaler und frontaler
Gefrierschnitte durch den Schädel von 6 Neugeborenen die Verteilung
und den Sitz grösserer intrakranieller Blutungen bei Neugeborenen.
Die Blutungen entstehen bei etwa einem Fünftel aller Fälle nach leich¬
ten und spontanen Geburten Erst- und Mehrgebärender, bei den
übrigen handelt es sich um schwierige oder künstlich beendigte Ge¬
burten. Die Blutergüsse sitzen mit seltenen Ausnahmen subdural,
die Kinder können tagelang am Leben bleiben und weisen dann ver¬
schiedene Hirndrucksymptome auf, durch die man in der Regel in der
Lage ist, den Sitz der Blutung bereits intra vitam zu diagnostizieren.
Bei den Blutungen über dem Kleinhirn (infratentoriale
Blutungen) sind die Kinder in der Regel anfänglich ruhig, nehmen
Nahrung zu sich, dann treten Störungen der Atmung (Zyanose, un¬
regelmässige Atmung, Atemkrämpfe) und schliesslich durch Aus¬
bildung eines kollateralen Oedems der Grosshirnhemisphären all¬
gemeine Konvulsionen auf; die Kinder erliegen meist am 2. bis
3. Tage.
Bei den Blutungen über dem Grosshirn (supratentoriale
Blutungen), die meist unilateral sind, bestehen ausser den all¬
gemeinen Hirndrucksymptomen (Unruhe, Schreien, Nahrungsver¬
weigerung im Initialstadium, Koma, unregelmässige Atmung, Unregel¬
mässigkeit des Herzschlags, manchmal Bradykardie, vasomotorische
Störungen im Reizstadium) ausgesprochen einseitige Herd¬
symptome (Fazialisparese, Spasmen der kontralateralen Ex¬
tremitäten, Steigerung der Reflexe auf der kontralateralen Seite etc.),
die den Sitz der Blutung feststellen lassen.
Bei Mischblutungen (supra- und infratentorialen Blu¬
tungen) sieht man eine Kombination der Symptome der beiden erste-
ren Arten.
Bei Grosshirnblutungen mit zunehmenden Hirndruck¬
erscheinungen könnten durch Trepanation wohl manche Kinder, die
sonst sicher erliegen, gerettet werden. Ein von dem Vortragenden
operiertes Kind erlag 10 Stunden nach dem Eingriff der die Gross¬
hirnblutung komplizierenden Blutung über dem Kleinhirn. Das supra¬
tentoriale Hämatom konnte durch den Eingriff fast vollständig ent¬
fernt werden. (Erscheint ausführlich im Archiv f. Gynäkol, Bd. 82.)
Herr Jung- Greifswald spricht über ein junges menschliches
Ei von 2,5 : 2,2 :1mm, nach denen von Leopold, Peters und Graf
S p e e das jüngste. Es wurde völlig unverletzt von Jung durch
Curettage gewonnen, lebenswarm in 80 proz. Alkohol fixiert und in
Serien geschnitten von Dr. M ü 1 1 e r - Wiesbaden. Die Konser¬
vierung ist eine vorzügliche, was an der tadellosen Erhaltung der
Fötalanlage und den sehr zahlreichen Mitosen erkennbar ist. An
der Hand einer Reihe von Skioptikonbildern schildert Jung die Art
der Einbettung des Eies und das Verhalten der fötalen zu den
maternen Elementen. Die das Ei umgebenden Zotten sind von Grund-
und Deckenschicht überkleidet; erstere bildet an den Zottenspitzen
grosse Zellsäulen, welche bis tief ins mütterliche Gewebe eindringen.
Auch die Deckschicht bildet grosse Komplexe und Züge bis tief in
die Umlagerungszone hinein. Das Zottenstroma ist noch völlig ge-
fässlos. Rings um das Ei herum finden sich überall im maternen Ge¬
webe Partien in fibrinöser Degeneration, stellenweise sind grössere
Gewebsteile in Auflösung begriffen, so dass eine phagozytäre Wir¬
kung der fötalen auf die maternen Zellen evident erscheint. An zahl¬
reichen Stellen sind materne Gefässe von den fötalen Elementen er¬
öffnet, so dass dass mütterliche Blut in den .intervillösen Raum ein¬
getreten ist, den es erfüllt. Ein Uebergang des Endothels der ma¬
ternen Gefässe in das Synzytium ist nirgends nachweisbar. Für die
Annahme der Herkunft des Synzytiums von der Grundschicht des
Zottenepithels liefert das Objekt insoferne eine weitere Stütze,
als eine Anzahl Mitosen der Grundschicht ihre Tochterzellen in das
Synzytium hineinschiebt, also anzunehmen ist, dass auf diese Weise
eine Vermehrung des Synzytiums von der Grundschicht aus statthat.
Die Umlagerungszone bietet die bekannten Bilder der ödematösen
und hämorrhagischen Durchtränkung mit Quellung der Zellen. Sie
umzieht das ganze Ei, auch an der Oberfläche, ein Gewebspilz im
Sinne von Peters ist nicht mehr vorhanden. Auf der obersten
freien Kuppe der Umlagerungszone fehlt das Oberflächenepithel, sonst
ist es wohlerhalten. Die Stromazellen der Dezidua sind noch nicht
völlig ausgebildet, die Drüsen zeigen das für die Schwangerschaft
bekannte Bild.
Herr Franz- Jena spricht zur Entwicklung des Beckens. Er
hat männliche und weibliche Lämmer von 14 Tagen kastriert und
weiblichen Lämmern den Uterus weggenommen. 2 Jahre später
wurden die Tiere geschlachtet, deren Becken demonstriert werden.
Die Becken der männlichen und weiblichen Kastraten sind einander
ähnlich und sie sind, die einen wie die anderen verschieden vom
normalen männlichen und weiblichen Typus. Die ausgesprochenen
Geschlechtsunterschiede fehlen ihnen. Aus den Beckenformen ist
mit Wahrscheinlichkeit zu schliessen, dass die Keimdrüsen die end¬
gültige Form des Beckens bedingen. Die Entfernung des Uterus
scheint auf die Beckenform keinen Einfluss zu haben.
Herr A. Theilhaber: Die Variationen im Bau des normalen
Endometrium und die chronische Endometritis.
Ausgehend von früheren Untersuchungen hat Th. die Verände¬
rungen der Mucosa Uteri untersucht und schliesst folgendes:
Aus der Menge der Drüsen, aus ihrer Form, aus ihren Ver¬
ästelungen usw. kann entgegen den bisherigen Anschauungen ein
Schluss auf den entzündlichen Zustand der Schleimhaut nicht gezogen
werden.
Die Atrophie der Drüsen und Verbreiterung des Zwischenge¬
webes (Endometritis mterstitialds und Endometritis atrophicans)
findet sich in Wirklichkeit sehr häufig bei ganz gesunden Frauen als
physiologischer Altersprozess.
Dagegen findet man bei gonorrhoischen Endometritiden häufig
Anhäufung von Rundzellen. Es ist also ein Zusammenhang zwischen
Rundzellenanhäufung und Endometritis gonorrhoica nicht zu be¬
zweifeln. Gleiche Rundzellenanhäufung findet sich auch häufig bei
Ausschabungen, die einige Zeit nach Ablauf eines Abortes vorge¬
nommen worden waren.
Es gibt also 2 Formen von Ausfluss:
1. der durch Gonorrhöe bedingte, bei dem sich eine interstitielle
Endometritis häufig nachwei'sen lässt; bei dem sich häufig reichliche
Anhäufung von Rundzellen im Bindegewebe findet;
2. der nicht durch Gonorrhöe bedingte Ausfluss lässt an der aus¬
geschabten Schleimhaut häufig keine pathologischen Verände¬
rungen erkennen. Er ist meist Folge von Störungen in der Zirkulation
(Folge von chronischer Metritis, Insufficientia uteri, Exzessen in
venere, psychischen Erregungen, mangelhafter Zirkulation infolge von
Bleichsucht, Anämie z. s. f.)
1344
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Abnorme Blutungen kommen wohl manchmal zustande durch
partielle polipöse Hyperplasien der Schleimhaut, Adenome usw., aber
nicht durch diffuse Entzündungen der Mukosa. Sie sind hervorge¬
rufen durch chronische Metritis, Insuffizienz des Uterus, Störungen
der Zirkulation im Uterus usw. Dass die sogenannte Sklerose der
Uterusarterien meist ein physiologischer Prozess ist, hat Th. in seinen
Arbeiten über präklimakterische Blutungen längst nachgewiesen.
Herr Henkel: Zwei Präparate von interstitieller Gravidität.
Im ersten handelte es sich um eine Schwangerschaft im 5. Monat
mit akuter Berstung und Verblutungsgefahr. Das ganze Eibett musste
exzidiert werden, da es sich im Präparat um partielle Blasenmole
handelte. Glatte Heilung.
Im Fall 2 war die Gravidität in der 6. Woche abgestorben, das
Eibett infiziert und partiell vereitert. Bei der Operation mussten
ausgedehnte Verwachsungen mit verschiedenen Darmschlingen ge¬
löst werden, das Netz wurde zum Teil reseziert und der Wurmfort¬
satz, der fest mit dem Präparat verwachsen war, mit entfernt — seine
Schleimhaut erwies sich als völlig intakt. Die Infektion hatte ihren
Weg durch die Uerushöhle genommen. Vor der Einlieferung in die
Klinik war die Frau anderweitig wegen Blutung kiirettiert, danach
übelriechender Ausfluss. Glatte Heilung.
Herr P o 1 a n o - Würzburg demonstriert Zeichnungen von:
1. Uterusvorfall bei einem Neugeborenen mit Spina bifida.
2. Eine Vakzineinfektion der äusseren Genitalien durch Ueber-
tragung von Impfpusteln am Oberarm bei einem 11jährigen Mädchen.
3. Eine modifizierte W e r t h e i m sehe Klemme für die abdo¬
minale Totalexstirpation. Dieselbe umschliesst die ganze Scheide
und wird mit ihren langen, vorne konkav gekrümmten Branchen nach
Art einer Zange einzeln angelegt. Der feste Verschluss wird durch
die langen Hebelarme garantiert.
Herr Füth-Köln: Zur Entstehung des schiefen Beckens nach
Oberschenkelamputation. (Demonstration von Röntgenbildern.)
Es handelt sich um eine 18 jährige Patientin, der im 18. Lebens¬
jahre der durch Ueberfahrenwerden zerquetschte rechte Ober¬
schenkel amputiert wurde. An der Photographie in Rückenansicht
sieht man die leichte Skoliose der Lendenwirbelsäule, das Herunter¬
hängen der rechten Beckenhälfte, das Tiefstehen der rechten Darm¬
beinschaufel und der rechten Spina post sup. Von den Becken¬
massen sei erwähnt, dass der rechte äussere schräge Durchmesser
(19 cm) um 2 cm kürzer ist als der linke (21cm). Die Röntgen¬
aufnahme zeigt die Schrägheit und Asymmetrie des Beckeneingangs,
die Verschiebung des Kreuzbeins, die Ungleichheit der Foramina ob-
turatoria, die Atrophie der rechtsseitigen Beckenknochen und die
eigentümliche Form der rechten Symphysenhälfte. Eine 2. Aufnahme
zeigt die Skoliose der Lendenwirbelsäule und eine Verdrehung der¬
selben in dem Sinne, dass die Proc. transversi links mehr nach
vorne gedreht sind.
Herr Zangemeister zeigt einen neuen Gefrierschnitt aus
der Austreibungszeit (Uterusruptur bei verschleppter Ouerlage, Fron¬
talschnitt).
Die 29 jährige I. Para starb unentbunden, nachdem mehrere
Wendungsversuche etc. gemacht worden waren.
An der Hand von Abbildungen wird gezeigt, wie die Natur aus
dem quergelegenen iKnd ein gebärfähiges Objekt formiert hat. Der
vorangehende Kindesteil ist zugespitzt, die Eruchtachse verkleinert.
Im Geburtskanal zeigt sich eine starke Ueberdrehung der Zervix;
der C. R. springt stark nach innen vor, namentlich rechts über
der Ruptur. Die Retraktion des Uterus ist eine sehr starke; nur
% des Kindesvolumens liegt noch im Hohlmuskel, % in tieferen
Teilen.
Zwei seitliche Längsrisse durchsetzen die Zervix, der weit
grössere rechts geht bis an die Beckenwand und hat oben auch
das Peritoneum ergriffen. Die Längsrisse werden auf die ärztlichen
Entbindungsversuche zurückgeführt, während der Peritonealriss erst
später infolge zunehmender Retraktion des Uterus entstanden sein
muss, kurz ante mortem.
Herr Orthmann demonstriert:
1. Einen Fall von instrumenteller Uterusperforation bei Abort¬
ausräumung. 34 jährige III. Para; Abort im 4. Monat; Versuch einer
Ausräumung mit stumpfer Schleifenkürette und Fingerperforation der
vorderen Uteruswand in der Höhe des inneren Muttermundes; Her¬
vorziehen des Netzes mit der Kürette; Abreissen einess 81cm langen
Stückes Dickdarm mit den Fingern.
Coeliohernia mediana: Resektion des Darmes und Naht; Ent¬
fernung von Fötus und Plazenta aus dem rechten Ligament; Total¬
exstirpation des Uterus mit den rechten Adnexen. Am 4. Tage Exitus
an Peritonitis.
Es ist dies der dritte derartige Fall, den O. operiert hat; die
beiden ersten Fälle sind genesen.
2. Einen Fall von Plattenepithelkarzinom der Tube.
51jährige II. Para; Menses unregelmässig und stark; seit 6
Wochen starke Schmerzen. Diagnose: Multiple Uterusmyome.
Versuch einer vaginalen Totalexstirpation scheitert an den aus¬
gedehnten Verwachsungen; daher abdominale Uterusexstirpation mit
den Adnexen; Heilung.
Am Uterus multiple subseröse Myome; links Sactosalpinx serosa.
Rechte Tube stark verdickt, in ganzer Länge in einen soliden Tumor
umgewandelt; Lumen klein, spaltförmig; Tube mit dem Fundus uteri
fest verwachsen.
Die mikroskopische Untersuchung ergab neben ausgedehnten ent¬
zündlichen Veränderungen eine direkte Umwandlung des Zylinder-
epithels in typisches Plattenepithel sowohl an der Oberfläche, als auch
in der Tiefe der Schleimhautfalten; daneben grössere derbe Knoten
aus grosen Plattenepithelzellen mit charakteristischen, konzentrisch
geschichteten Epithelperlen.
Herr v. F r a n q u e - Prag: Zur Nekrose und Vereiterung der
Myome.
Demonstration von 2 nekrotischen Myomen, welche ohne Ver¬
eiterung oder Verjauchung allein durch die ausgelösten Uteruskon¬
traktionen in das Peritoneum und in das Parametrium durchgebrochen
sind. Die subfebrilen Temperaturen bei nekrotischen Myomen hält
Vortragender bedingt durch Resorption pyogener Substanzen aus den
Myomen. Demonstration eines Myoms, das ein Jahr nach der Meno¬
pause vereiterte, wohl durch Infektion auf dem Blutwege. Genesung
nach abdominaler Totalexstirpation trotz beginnender Peritonitis.
Vortragender macht darauf aufmerksam, dass man zum mindesten
bei allen weichen Myomen das Einsetzen von Fassinstrumenten bei
der Operation vermeiden soll, weil es nicht nur bei Vereiterung, son¬
dern auch bei eventueller Nekrose, sarkomatöser Degeneration oder
ungewöhnlicher Entwicklung der Blut- und Lymphgefässe zu einer
nicht gleichgültigen Verunreinigung der Bauchhöhle kommen kann.
(Erscheint in der Prager med. Wochenschr. 1907.)
Herr V e i t - Halle a. S. : demonstriert:
1. drei von ihm exstirpierte Genitalschläuche, von dem Hyme-
nalring ab bis zum Fimbrienende. Es handelte sich um primäres
Scheidenkarzinom und um Beteiligung der Scheide bei Zervixkarzi¬
nom. Beginn der Operation vulvar bis zum Orificium internum ure-
thrae, dann Zubinden des unteren Stückes der Scheide und Vollen¬
dung der Operation in der sonst bei Uteruskrebs üblichen Weise.
Herausziehen des Präparates durch die Bauchwunde. Schluss des
Peritoneum über der Beckenbindegewebswunde. Heilung der 3 Fälle
von dem Eingriff.
2. einen von ihm wegen Zervixkarzinom exstirpierten Uterus; es
handelte sich um eine geringfügige Veränderung der Portio, die kreis¬
rund die ganze Portio umgab und den Verdacht auf Tuberkulose er¬
weckte. Dabei waren trotz des benignen Aussehens dieses Ulcus
rodens schon die iliakalen Drüsen stark verändert. Pat. genas.
Dabei weist Vortr. im Anschluss an die so wertvolle Mitteilung
v. Rosthorns darauf hin, dass Rüge und er seinerzeit nur an
vaginal exstirpierten Uteris arbeiteten, daher an beginnenden Fällen,
während wir dank der Fortschritte der Technik jetzt viel weiter vor¬
geschrittene Fälle kennen gelernt haben.
Herr Queisner - Bromberg: Demonstration eines patho¬
logischen Beckens.
Das Becken, für das ein Analogon in der zur Verfügung stehenden
Literatur nicht aufzufinden war, entstammt einer 36 jährigen Frau,
die 4 mal spontan geboren hatte, letzte Entbindung am 6. VII. 04.
Im August 1905 erkrankte sie an einem Bruch des Oberschenkels, hat
seit 3 Monaten das Bett nicht verlassen. Sie wurde nach 3 tägiger
Geburtsdauer in die Klinik gebracht. Frucht war abgestorben. Die
Frucht wurde bei einer Conj. vera von 6 cm mittelst Klammern und
Kugelzangen entwickelt. Exitus der Frau 24 Stunden post part.
Die Sektion ergab, dass das Becken, besonders der Becken¬
eingang durch Metastasen, die von einem Osteosarkom des rechten
Oberkiefers ausgingen, verlegt war.
Es ist unmöglich, mit der geballten Faust in das Becken vorzu¬
dringen.
Beide Darmbeine, insbesondere das linke sind mit knolligen rund¬
lichen Tumoren durchsetzt.
An den Crist. oss. il. im Bereich der Spin. ant. sup. sind die
Tumormassen am grössten. Hier befindet sich ein Konglomerat von
mehreren einzelnen Tumoren von Haselnuss- bis fast Hühnereigrösse.
Die Symph. sacro-iliac. sind namentlich an der linken Seite von
grösseren Tumormassen durchsetzt und beträchtlich aufgetrieben, so
dass die genannten Symphysen aufgetrieben sind und deutlich
schlottern.
Eine auffallend starke Durchsetzung mit den gleichen Tumor¬
massen findet sich an beiden Schambeinen, und zwar ist am meisten
der Ram. horizontal, und der Angulus ergriffen, so dass auch die
Symphys. oss. pub. gesprengt ist und ein — deutliches Schlottern
zeigt. Der Ram. horizontal ist 3 cm dick.
Auch die Man. lateral, des Os sacrum sind stark verdickt und
so brüchig, dass die Spitze des Fingernagels leicht eindringen kann.
Durch alle diese Tumormassen ist eine starke Verengerung des
Befckeneingangs zustande gekommen, und zwar betrifft diese Verenge¬
rung lediglich die Gegend der Lin. innominata, während im kleinen
Becken eine wesentliche Raumbeschränkung nicht ins Auge springt.
Masse: Spin. 29, Crist. 28,5, Conj. diag. 7,5, Conj. vera 5,8 cm.
Herr Hof bau er: Vortr. bespricht eine kasuistische Beobach¬
tung von Uterusperforation infolge hochgradiger vakuoUker und fet¬
tiger Degeneration der Muskulatur.
Herr G a u s s - Freiburg i. B. demonstriert zystoskopische Bilder
von verschiedenartigen, durch das Geburtstrauma entstandenen Ver¬
änderungen und Verletzungen der Blasenschleimhaut: Oedem, Gefäss-
injektion, Suggillationen kleinerer und grösserer Art, Geschwür- und
Fistelbildungen im Entstehen, im Abheilen und nach der Heilung,
charakteristische Gestaltsveränderungen nach Hebosteotomie und
Symphysiotomie (auch im Röntgenbilde) finden Berücksichtigung.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1345
Herr Mor aller demonstriert:
1. ein Cystadenofibroma vaginae bei bestehendem Uterusfibrom.
44 jährige Frau mit Blutungen und Schmerzen seit über 5 Jahren.
Im oberen Drittel der hinteren Scheidenwand eine teils aus dicht ge¬
lagerten Läppchen, teils aus plumpen, papillenartigen, bläulich-roten
Exkreszenzen bestehende Neubildung, welche bereits auf die Vorder¬
wand des Rektums und die Basis der Lig. lata übergegriffen hat.
Histologisch: verdicktes Vaginalepithel mit drüsenartigen Einsen¬
kungen, mit Zylinderepithel ausgekleidete Drüsen und Zysten im
subepithelialen Gewebe. Totalexstirpation nach Wertheim mit
Zurücklassung von Tumorresten am Rektum im Interesse der Ver¬
meidung einer Verletzung des letzteren. Glatte Heilung unter Ver¬
schwinden jeder Verdickung an der Mastdarm- und Scheidenwand.
Die beschriebenen drüsigen Gebilde finden sich in der hinteren Zer-
vixwand.
2. einen totalen Scheiden-Gebärmutter-Vorfall mit ausgedehnter
Karzinomentwicklung auf den vorgefallenen Scheidenwandungen.
46 jährige Frau, ein glatter Partus 1884. Auftreten des Vorfalles vor
3 Jahren, 2 Jahre später Geschwürsbildung an demselben. Kinds¬
kopfgrosser Tumor mit völliger karzinomatöser Zerstörung der pro-
labierten Scheidenwandungen bis auf schmale Streifen intakter Vagi¬
nalhaut in der Zirkumferenz des Introitus. Sagittalschnitt durch die
Organe des kleinen Beckens. Blase leicht nach abwärts disloziert,
vorderer Douglas sehr tief, hinterer fehlt ebenso wie der Peritoneal¬
überzug auf dem Fundus und der Rückfläche des Corpus uteri. Uterus
in Retroversionsstellung. Tuben, Lig. ovarii propr. und Lig. rotunda
ausgezogen. Leicht geschwellte Drüsen entlang der Aorta, von
welchen eine Karzinomentwicklung im Innern zeigt. Dilatation bei¬
der Ureteren und beider Nierenbecken, Vergrösserung der rechten
Niere. Histologisch: Plattenepithelkarzinom, das sich auch in den
äusseren und mittleren Schichten des Uterus und im Septum urethro-
vaginale findet.
Herr O. S c h a e f f e r - Heidelberg: Mikroskopische Demonstra¬
tionen über Anfangsstadien der Appendizitis mit Sekundärerschei¬
nungen an den weiblichen Genitalien.
Trotz 2 bezw. 6 jähriger Appendizitis mit zum Teil stürmischen
Erscheinungen ergab die Laparotomie bei 2 Virg. intactae keine
Adhäsionen etc., wohl .aber Verdickung der Parietalserosa und
Hyperämie und Oedem der ganzen r. Bauchwandungen, r. Fossae il.,
der Proc. verm. bis inkl. r. Adnexa der Genitalien. Histologisch war
unerwarteterweise das Innenepithel der 2 Proc. verm. völlig
intakt, hingegen T Le f e n Veränderungen: Follikulitis und Lympli-
driisenerweiterung der muskulären Schicht mit stellenweisem Vor¬
rücken der Rundzelleninfiltration zwischen die glandulären Elemente
bis zum Oberflächenepithel.
Diese Funktionsstörungen (bakterielle Tiefenwirkung
ohne Exulzeration des Deckepithels trotz jahrelanger Krankheit, und
Fernwirkung bis zu den Genitaladnexen) sprechen für die Eugen
A 1 b r e c h t sehe Ansicht als geschwächte, aber noch nicht ganz
unterliegende A 1 e x i n Wirkung gegen eindringende Bakterien im
Lymphdriisenapparate des Wurmfortsatzes und seiner Umgebung.
Herr Liepmann demonstriert ein gynäkologisches Phantom.
Das Aeussere desselben ist aus Papiermache, die Genitalorgane
aus Gummi, der durch Aufblasen mit Luft die verschiedenen Grössen¬
zunahmen bei Schwangerschaft, Tumorbildung und Entzündung der
Adnexe anzunehmen vermag. Durch Anziehen, bezw. Erschlaffen der
Lig. rot. und retrouterina kann man die verschiedenen Lageverände¬
rungen zur Anschauung bringen. Die Blase ist für zystoskopische
Untersuchungen .eingerichtet.
Das Phantom soll einen fühlbaren Mangel des klinischen Unter¬
richts beseitigen, indem es idem Lehrer die Möglichkeit gibt, die
klinisch vorgestellten Fälle auch den nichttouchierenden Hörern pla¬
stisch darzustellen. Ebenso kann es für Studenten und Hebammen zur
Einübung der bimanuellen Untersuchung verwandt werden. Das Mo¬
dell ist vom medizinischen Warenhaus in Berlin hergestellt worden.
Eine genaue Beschreibung erfolgt im Archiv für Gynäkologie.
(Autoreferat.)
Herr Liepmann demonstriert eine Reihe von lebenden und
toten Karzinommäusen, sowie eine Mäusefamilie, deren Eltern immun
waren. Trotzdem erkrankten alle an Karzinom. Aus seinen Unter¬
suchungen leitet L. ebenso wie Michaelis im Gegensatz zu
Ehrlich den Schluss ab, dass eine wirksame Immunisierung der
Mäuse zur Zeit noch nicht möglich ist. Für die menschliche Patho¬
logie, glaubt Vortr., sind aus diesen Tierversuchen nur wenig Schlüsse
zu ziehen. Interessant sind die pathologisch-anatomisch-mikroskopi¬
schen Präparate, die zeigen wie ein in 5. Passage noch typisches Kar¬
zinom in der VIII. Passage den Charakter eines Carcinoma sar-
comatodes angenommen hat. (Autoreferat.)
Herr S e 1 1 h e i m - Düsseldorf : Die Einübung der Nachgeburts-
operationen.
Der Lehrer der Geburtshilfe soll suchen, den Arzt an das Gefühl
der Verantwortlichkeit allmäh lig zu gewöhnen. Man kann das
Lehrgeld an Menschenleben verringern, wenn man dem Zweck an¬
gepasste Uebungen am Tier machen lässt.
Um die Technik der vaginalen Operationen zu
üben, empfiehlt S. die Kastration der Kuh, die auch einen
grossen wirtschaftlichen Nutzen durch die Neigung der Kastraten
zum Fettansatz verspricht. Auch der natürliche Vorgang
der Geburt lässt sich für Lehrzwecke ausnutzen. Wir können bei
dem „Kalben“ vieles für die Ausübung der Geburtshilfe beim Men¬
schen lernen. Touchieren, Herausleiten von kleinen
Teilen, Dammschutz können im Prinzip an der Kuh geiibt
werden. Es gibt Gelegenheit zur Dammnaht. Die Inversion
des puerperalen Uterus bekommt man im Stall viel häufiger
zu sehen als im Kreissaal. Die tierische Geburtshilfe
könnte ein wichtiges Bindeglied zwischen demHan-
tieren an Kindsleichen im Lederphantom und den
Manipulationen im Uterus der Frau bilden.
Am deutlichsten wird man den Nutzen der tierischen Geburts¬
hilfe bei den Nachgeburtsoperationen gewahr. Die ma¬
nuelle Plazentarlösung ist grobmechanisch bei
Kuh und Mensch nicht sehr verschieden. Jedenfalls
ist, und darauf kommt es hier allein an, der Eindruck für das Gefühl
gleich. Man zieht oder drückt eine Gewebsmasse von einer an¬
deren ab.
Der Vorgang gestaltet sich bei der Kuh nur viel mannig¬
faltiger und schwieriger als beim Menschen. Man muss sich
zunächst in einem Gewirr von Eihäuten mühsam orientieren. Statt
einer Plazenta sind bis zu hundert zu lösen. Man hat die
verschiedensten Stadien der Lösung nebeneinan¬
der: festsitzende, teilweise und vollständig gelöste Kuchen.
Ich halte das Zurechtfinden im Uterus der Kuh,
das Lösen der vielen Plazenten und das Anschlüs¬
sen von Resten der Plazenta und der Eihäute für
sehr lehrreich. Eine einmalige Betätigung im
puerperalen Uterus der Kuh führt alle möglichen
Eventualitäten vor Augen. Wer mit Verstand eine
Viertelstunde in einem Kuhuteirus herumgearbei¬
tet hat, dürfte mit der Materie soweit vertraut sei n,
dass er sich unter allen Umständen in der Gebär¬
mutter der Frau zurechtfindet. Die diagnosti¬
schen und technischen Schwierigkeiten sind bei
dem Uebungsstück sicher grösser als im Ernstfall.
Die Ausführung von Nachgeburtsoperationen mit Gummi¬
handschuhen kann nirgends besser eingeübt werden.
Das neue Lehrmittel bedarf wohl kaum eines Wortes der Recht¬
fertigung. . . Die Kuh hat darunter nicht zu leiden. Die in¬
takte Epitheldecke des puerperalen Uterus schützt
vor der Infektion. Wer sich nach den üblichen Vorschriften
der Plazentarlösung beim Menschen richtet, wird sicher keinen Scha¬
den tun.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. Juni 1907.
Vorsitzender : Herr D e n e k e.
Demonstrationen:
Herr Michelsohn demonstriert einen Fall von Hysterie oder
traumatischer Neurose, der dadurch bemerkenswert ist, dass der
25 jährige Kranke seit einem vor Jahren erlittenen Trauma nicht
im Stande ist, seinen Kopf aufrecht zu tragen, wenn er ihn nicht mit
der Hand festhält, bezw. den Kopf an irgend einem Gegenstand stützt.
Stützapparate Hess der Kranke, der durch sein Leiden völlig arbeits¬
unfähig geworden ist, nicht zu.
Herr H o m e y e r stellt einen geheilten Fall von isolierter sub¬
kutaner Zerreissung des Pankreas vor. Eine Frau war von einer
Deichsel in den Bauch getroffen und wurde mit den Zeichen einer
intraabdominalen Blutung ins Altonaer Krankenhaus gebracht. Dort
wurde lVa Stunde nach dem Unfall die Laparotomie gemacht und eine
vollkommene Durchtrennung des Pankreas konstatiert. Heilung mit
Bestehenbleiben einer reichlich sezernierenden Pankreasfistel.
Nach langer Behandlung gelang nach den von Wohlgemuth ge¬
gebenen Vorschriften die Heilung dieser Fistel. Die Zahl der ge¬
heilten Fälle wird damit auf 5 vermehrt. Vortr. berichtet über die
Sekretionsverhältnisse des abgerissenen und des normalen Pankreas¬
abschnittes.
Herr Kellner demonstriert aus den Alsterdorfer Anstalten
2 ausgeprägte Fälle von (in Norddeutschland nicht häufigem) Kre¬
tinismus. Beide Kinder zeigen die charakteristischen Symptome.
Im Gegensatz dazu wird ein Fall von rhachitischein Zwergwuchs
gezeigt.
Herr K ü m m e 1 1 stellt eine Anzahl von Schädeloperationen vor.
1. 2 Fälle von Resektion des Ganglion G a s s e r i. 2. Fall von Ton-
sillarkarzinom: Unterbindung der Karotis, Freilegung der Tonsille
durch einen Wangenschnitt: zirkuläre Exstirpation der Tonsille in
toto. 2. Von den Siebbeinzellen ausgehender grosser knöcherner Tu¬
mor der Nase. Freilegung der Schädelbasis durch Durchsägung bei¬
der Alevolarprozessus.
Herr Paschen: Demonstration von Ausstrichen von Variola
und verdünnter Kinderlymphe.
Bei Färbung mit der alten Löf fl ersehen Beize und Anilin¬
fuchsin finden sich in den Ausstrichen sehr grosse Mengen gleich-
mässig gefärbter, sehr kleiner Körperchen; sie ähneln den vom Vor¬
tragenden in München auf der Versammlung der Vorstände der
1346
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
deutschen Impfanstalten demonstrierten Körperchen (vgl. Münch,
med. Wochenschr. No. 49, 1906). B o r r e 1 stellte bei Ausstrichen von
Taubenpocken, die in derselben Weise gefärbt waren, ganz analoge
Körperchen dar. Vortragender erinnert an die Trachomarbeit von
Prowaczek und die Arbeit von Babes über die N e g r i sehen
Körperchen. In Menge und Grösse entsprechen obige Körperchen
denjenigen, die man bei Dunkelfeldbeleuchtung von Kinderlymphe
sieht. Wegen der Kleinheit derselben, weit unter der Grösse von
Kokken, ist eine Differenzierung zurzeit unmöglich; immerhin findet
man Teilungsstadien. Kontrollversuche von Vehikeln anderer Pro¬
venienz blieben negativ.
Vortrag des Herrn J o II a s s e: Ueber den derzeitigen
Stand der Röntgendiagnostik bei Magen- und Darinkrankheiten.
(Erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.)
Diskussion: Herr Albers-Schönberg: Für die rönt¬
genologische Diagnostik der Magenkrankheiten sind sowohl die
Durchleuchtung auf dem Schirm, wie das Plattenverfahren, heran¬
zuziehen. Der Schirmuntersuchung kommt besondere Bedeutung zu,
da verschiedene Fragen, wie z. B. die der Peristaltik, nur durch sie
gelöst werden können. Sehr oft ist es erwünscht, die auf dem Leucht¬
schirm gesehenen Bilder sofort zu fixieren. Dieses ist beim Ueber-
gang des Patienten aus der vertikalen Stellung in die horizontale
Lage, da sich der Befund ändert, oft unmöglich, infolgedessen ist die
an die Durchleuchtung unmittelbar anzuschliessende Aufnahme in
vertikaler Stellung zu empfehlen. Hierzu dient ein von ihm zu¬
sammengestellter Apparat, mit welchem die Durchleuchtung und Auf¬
nahme, sowie die orthodiagraphischen Ortsbestimmungen schnell
und leicht ausgeführt werden können. Die Höhenverstellung der
Lichtquelle wird durch Bewegung der Röhre erreicht, alle anderen
Einstellungen erfolgen durch Bewegungen des Patienten mittels eines
auf Schienen laufenden, in verschiedenen Richtungen beweglichen
und drehbaren Untersuchungsstuhles. Die Anordnung der Apparate
gewährt dem Untersucher Schutz gegen Bestrahlungen und gestattet
eine minutiöse Abblendung. Der für Untersuchungen des Abdomens
wie des Thorax eingerichtete Stuhl ist in den Verhandlungen der
deutschen Röntgengesellschaft Bd. 3 publiziert. (Demonstration.)
Fortsetzung der Diskussion wird vertagt. Werner.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. April 1 907.
Herr Jo blasse demonstriert einen Fall von Tumor der Hypo¬
physis cerebri.
Der junge Mann erblindete im Mai 1906 auf dem rechten Auge.
Atrophie des Nerv, optic. (Dr. Franke). Im Oktober 1906 viel
Kopfschmerz, Schwindel. Seit Weihnachten Verschlimmerung der
Symptome und zunehmende Sehstörung auch auf dem linken Auge.
Bei der Aufnahme (März 1907) vollkommene Erblindung, Somnolenz,
Kopfschmerz, Atrophie beider Nervi optic. Lumbaldruck 350. Die
Diagnose wurde auf einen Tumor an der Hirnbasis gestellt und
Dr. S a e n g e r wies auf die Möglichkeit hin, dass es sich trotz des
Fehlens von Akromegalie um einen Tumor der Hypophysis handeln
könne. Einer Röntgenuntersuchung entzog sich Pat., indem er in den
letzten Tagen seines nur 12 tägigen Krankenhausaufenthaltes in De¬
lirien verfiel.
Die Sektion ergab einen kleinhühnereigrossen Tumor der Hypo¬
physis, der durch Zerfallen des Gewebes im Innern eine zystische Be¬
schaffenheit zeigte. Mikroskopisch: Hyperplasio des Hypophysis¬
gewebes.
Die Sella turcic. war in ausgedehnter Weise usuriert.
Diskussion: Herr Franke hat den Patienten des Herrn
.1 o 1 1 a s s e früher wegen seines Augenleidens in Beobachtung ge¬
habt. Der Pat. kam im Mai 1906 mit einer doppelseitigen Optikus¬
atrophie, rechts Divergenz und weitere lichtstarre Pupille. Rechts
Sehen bis auf Erkennen von Handbewegungen erloschen, links Seh¬
schärfe etwa 14, Gesichtsfeld ungleichmässig konzentrisch eingeengt,
nasal um 10 — 15°, temporal um etwa 30 — 40°. Pat. gab an, dass das
„Schielen“ schon bestanden habe, ehe das Sehen schlechter geworden
sei. Es habe sich also wohl damals schon um Parese einzelner
Okulomotoriusäste gehandelt, wie das bei Hypophysistumoren häufig
beobachtet sei. Auch einfache Atrophie des Optikus sei in 50 Proz.
der Fälle vorhanden. Etwas auffallend sei das Verhalten des Ge¬
sichtsfeldes zunächst gewesen. Klinisch beobachte man in der über¬
wiegenden Zahl der Fälle temporale Hemianopsie, doch sei in nicht
ganz 14 der zur Sektion gekommenen Fälle eine konzentrische Ge-
sichtsfeldeinengung vorhanden gewesen. Als Ursache derselben
habe sich bei der Sektion ergeben, dass der Optikus von der Ge¬
schwulst gegen den Circulus arteriosus gedrängt und von diesem
umschnürt sei.
Fr. fragt, ob bei der Sektion des Falles vielleicht auf diese Fälle
geachtet sei.
Späterhin habe übrigens die Gesichtsfeldeinengung temporal sehr
erheblich zugenommen, so dass das Gesichtsfeld dem Typus des
hemianopischen sich genähert habe.
Pat. blieb dann längere Zeit weg und Fr. 'sah ihn erst im Januar1
1907. Das rechte Auge war Völlig erblindet, auf dem linken wurden
nur noch Finger in nächster Nähe gezählt. Als Pat. sich wieder vor¬
stellte, fiel Fr. auf, dass derselbe sehr viel dicker geworden sei und
erheblich Fett angesetzt hatte.
Auch das sei bekanntlich des Oeftern bei Hypophysistumoren
beobachtet und auf den Druck der vergrösserten Hypophysis auf Hirn¬
teile bezogen, welche den Fettgewebsstoffwechsel beeinflussen.
Fr. fragt Herrn J., ob ihm bei dem Pat. auch der starke Pannicul.
adipös, aufgefallen sei.
Bezüglich des Zusammenvorkommens von Hypophysis-
geschwiilsten mit Verkümmerung der äusseren Genitalien und Habitus
feminin, bemerkt Fr., dass nach neueren Forschungen es sich hier
wahrscheinlich um kongenitale koordinierte Störungen handle.
Herr Saenger bemerkt, dass er den demonstrierten Fall in
seinem Aerztekursus als Tumor der Hypophysis vorgestellt
habe, und zwar vornehmlich wegen der Art der Erblindung. Herr
Saenger geht auf das Wesen der von Herrn Franke beobachte¬
ten konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung näher ein. Als ersterer
den Fall untersuchte, sprachen die Veränderung an den Papillen, das
Fehlen der Pupillenreaktion mit Sicherheit gegen eine in Betracht
zu ziehende kortikale Erblindung. Der feminine Typus des Patienten
war Herrn Saenger besonders aufgefallen. Zeichen von Akro¬
megalie waren nicht vorhanden.
Herr Nonne berichtet über einen Fall eines 46 jährigen Herrn,
der unter Kopfschmerzen und allmählicher Abnahme des Seh¬
vermögens erkrankte. Die Untersuchung ergab Hemianopsia bi-
temporalis. Allmählich wuchs sich die Hemianopsie zu völliger Blind¬
heit aus. Patient wurde im Laufe von 3 Jahren, nachdem er
ca. 2 Jahre lang sehr intensiv unter quälenden optischen Halluzina¬
tionen gelitten hatte, apathisch und stumpfsinnig. Schliesslich: völlige
Abulie und Fehlen jeglicher Innervation, allmähliche Ausbildung
schwerster Kontrakturzustände in allen 4 Extremitäten. Die Röntgen¬
untersuchung ergab eine Zerstörung der Sella turcica. Auch in
diesem Falle entwickelte sich unter den Augen von N. ein
exquisiter Habitus feminin us: Patient, der früher ein
schneidiger Einjähriger bei den Wandsbecker Husaren und dann
als Pferdehändler en gros ein gewandter Reiter und muskulöser Mann
mit exquisit viridem Habitus gewesen war, bekam schwammig adi¬
pöse Haut, weichliche Mammae, ein weiches feminines Abdomen. Die
Hoden wurden klein und die Behaarung am Mons und in den Achseln
ging wesentlich zurück. Eine Veränderung der Stimme trat
nicht ein.
Herr Simmonds: In Hinblick auf den femininen Typus des
Patienten des Herrn J o 1 a s s e nahm ich eine Untersuchung der
Hoden vor. Dieselben erwiesen sich als völlig normal. Spermato-
genese nachweisbar.
Herr F r ä n k e 1 erklärt, dass ein femininer Typus sich durchaus
nicht immer bei Tumoren der Hypophyse finde. Er fragt, ob es sich
nur um pastöses Aussehen oder um eine echte Adipositas gehandelt
habe und. ob man in der Schilddrüse etwas gefunden habe.
Herr Jo lasse: Der Kranke hatte eine echte Adipositas. Die
Schilddrüse war ohne Besonderheiten.
Herr Simmonds: Ueber Cysticercus racemosus der Hirn¬
häute.
Bei der Sektion eines 46 jährigen Mannes, der Erscheinungen
einer Erkrankung an der Hirnbasis geboten hatte, fand sich in den
weichen Hirnhäuten in der Gegend des Pons und Kleinhirns, nach
vorn bis an das Chiasma reichend, ein System von erbsen- bis bohnen¬
grossen, zum Teil miteinander kommunizierenden, teils flach auf-
sitzenden, teils gestielten Zysten mit wasserklarem Inhalt. Wenn es
auch nicht gelang, einen Skolex nachzuweisen, so konnte man doch
auf Grund des eigenartigen Bildes und des mikroskopischen Ver¬
haltens der Bläschen die Diagnose auf die seltene Abart des Zysti-
zerkus, den C. racemosus stellen. Dazu kam noch, dass unter der
Arachnoidea der Grosshirnrinde noch ein verkalkter Zystizerkus zu
finden war. Sonst fanden sich nirgends im Körper, speziell nicht in
der Muskulatur irgendwelche Bläschen. In der Umgebung der Bla¬
sen hatten sich Verdickungen der Hirnhäute gebildet und innerhalb
der Ventrikel war eine starke Flüssigkeitsansammlung vorhanden.
Der Hydrozephalus und die chronische Leptomeningitis waren die
Ursache der klinisch wahrnehmbaren Störungen gewesen.
Zystizerken sind bei uns entsprechend dem äusserst seltenen
Vorkommen der Taenia solium sehr selten. Ich habe abgesehen von
diesem Falle nur noch 3 mal unter 16 000 Sektionen Hirnzystizerken
gesehen, also 1 mal auf 4000 Autopsien. In den 3 anderen Fällen
handelte es sich um Männer, von denen 2 an Epilepsie gelitten hatten,
ein dritter andauernd über heftige Kopfschmerzen klagte. In keinem
der Fälle war im Darm eine Tänia nachweisbar gewesen. Die Zysti¬
zerken des Hirns scheinen in der Mehrzahl der Fälle erst indirekt,
durch Herbeiführung einer chronischen Leptomeningitis klinische Er¬
scheinungen auszulösen. Direkt schädlich werden sie dann, wenn
sie frei in den Ventrikeln schwimmen und die Gefahr eines plötz¬
lichen Verschlusses des Foramen Magendie herbeiführen können.
Herr Schomerus demonstriert aus dem Eppendorfer Kranken¬
haus (Oberarzt Dr. Reiche) Präparate mit zahlreichen Melanoin-
metastasen, die von einer Patientin stammen, deren linkes Auge im
Jahre 1896 wegen Phthisis bulbi enukleiert war.
Bis Weihnachten 1906 leidliches Wohlbefinden, dann schneller
Verfall. Exitus 'Anfang April.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1347
Bei der Sektion fanden sicli Mclanosarkome, z. T. dunkelbraun-
sclnvarz, z. T. weiss gefärbt, in der Herzmuskulatur, in der Pleura,
Leber, Milz, Nebennieren, Nieren, Oesophagus- und Magenschleim¬
haut und im Uterus, im Knochenmark der Rippen und der Wirbel¬
körper.
Die Tumoren werden als Spätmetastasen eines Melanosarkoms
der Aderhaut des enukleierten Auges aufgefasst.
Diskussion: Herr Franke fragt, ob der enukleierte Aug¬
apfel mikroskopisch untersucht worden sei. Das Bestehen einer
Phthisis bulbi spreche nicht dagegen, dass nicht trotzdem das Auge
ein melanotisches Sarkom beherbergt habe, als dessen Metastasen
die demonstrierten Geschwülste anzusehen seien. Das Zusammen¬
vorkommen von Sarkom und Phthisis bulbi sei wiederholt be¬
obachtet worden.
Herr U m b e r fragt, ob sich im Urin Melanin fand.
Herr Schomerus beantwortet diese Frage verneinend.
Diskussion über den Vortrag von Herrn S c li m i -
linsky: Vorteile und Nachteile der Korinthenprobe. (Cf.
Sitzung am 12. März 1907, No. 26.)
Herr J-o Hasse hat gleich Herrn Schm, in 2 Fällen Nachteile
der sog. Korinthenprobe beobachtet: in einem Falle von Atonie des
Magens auf neurasthenischer Basis traten nachts heftige Schmerzen
auf, die sonst fehlten, nachdem am Abend vorher 1 Esslöffel Korinthen
genommen, letztere hatten also offenbar wie ein schwerer Diätfehler
gewirkt. In einem zweiten Fall von Karzinom des Pylorus ver¬
stopften die Korinthen wiederholt den Schlauch, so dass dieser 3 mal
beim Ausspiilen herausgezogen werden musste.
.1. empfiehlt die Methode der Motilitätspriifung mit Röntgen¬
strahlen, die er nachgeprüft hat. Auf Grund einer Untersuchungs-
rqihe von 20 Fällen hat er gefunden, dass von einer Insuffizienz
I. Grades erst gesprochen werden kann, wenn von einverleibten 30 g
Bismuth nach 3 Stunden kein Schatten mehr nachzuweisen ist; dabei
kann dieses mit Milchzucker und Wasser vermischt verabfolgt wer¬
den, ohne Griesbrei, da auf diesem Wege dieselben Resultate er¬
zielt werden.
Ausführliches über diese Untersuchungen siehe Fortschritte auf
dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. XI, H. 1.
Herr S u d e c k fragt, ob Herr J o 1 a s s e eine Abhängigkeit der
Entleerungsgeschwindigkeit des Magens von der Körperlage be¬
obachtet habe.
Herr Jollasse antwortet, dass der Magen sich bisweilen
schneller entleerte, wenn die Kranken auf der rechten Seite lagen.
Herr Alexander-Katz pflegt die Korinthen in Schleim¬
suppe zu geben.
Herr Schmilinsky (Schlusswort) hält es für sehr wichtig,
dass die motorische Arbeit des Magens von denjenigen Herren, die
dazu Gelegenheit haben, auf dem Röntgenschirm verfolgt wird. Kli¬
nisches Bürgerrecht wird sich aber ein derartiges, dem Praktiker
schwer oder gar nicht zugängliches Verfahren kaum je erwerben. Da
können wir nur einfache Methoden brauchen. Und das ist die Korin¬
thenprobe. Um so bedauerlicher ist es, wenn wir in ihrer Anwendung
beschränkt werden. Die beiden von Herrn J o 1 a s s e erwähnten
Fälle würden Schm, allerdings noch nicht veranlasst haben, diese
feine Probe aufzugeben. Der Vorschlag von Herrn Katz, die
Korinthen in eine schleimige Suppe einzuhüllen, dürfte schwerlich die
Gefahren völlig bannen: der elektiv wirkende Pylorus wird die Suppe
zuerst passieren lassen und die Schädlinge zurückbehalten.
Herr S a e n g e r demonstriert die Anatomie des Kleinhirns und
dessen Leitungsbahnen in Lichtbildern (als Fortsetzung seines Vor¬
trags über die Funktionen des Kleinhirns, cf. Sitzung vom 12. März
1907).
Diskussion: Herr N o n n e demonstriert an Projektions¬
bildern 2 Fälle, in denen grosse Sarkome des Kleinhirnwurms nur All¬
gemeinerscheinungen (Kopfschmerz, Erbrechen, Stauungspapille) ohne
irgendwelche zerebellare Symptome gemacht hatten; einen 3. Fall,
in dem die gesamte linke Kleinhirnhemisphäre durch eine grosse
Zyste zerstört war, in dem ebenfalls nur die Erscheinungen einer
Raumbeengung in der hinteren Schädelgrube bestanden haben, einen
4. Fall, in dem eine totale Agenesie der rechten Kleinhirnhemisphäre
einen zufälligen Obduktionsbefund bei einem bis dahin ganz gesun¬
den Arbeiter, der an akuter Pneumonie gestorben war, darstellte.
Des weiteren macht N. aufmerksam auf die in der Literatur mehrfach
beschriebenen Fälle von Kleinhirnatrophie und Kleinhirnsklerose (ein¬
seitig und doppelseitig), die meistens einen relativ unkomplizierten
Kleinhirnsymptomenkomplex geboten hatten, auf die Fälle von fami¬
liärer angeborener Kleinheit des gesamten Zentralnervensystems
resp. des Zerebellums allein, wie sie vom Vortragenden seinerzeit
beschrieben worden sind und später auch von anderen Autoren
(Spille r, Knopfeimacher, Classen, Miura, Bosso¬
lim o, Romanow u. a.) beschrieben sind. Ferner weist er auf die
Fälle hin, in denen derselbe zerebellare Symptomenkomplex akut ent¬
steht nach Infektionskrankheiten (in der Literatur bekannt unter
dem Namen akuter Ataxie und zuerst von C. Westphal und
Leyden beschrieben), nach Intoxikationen, nach Traumen (D i n k -
1 e r), nach Ueberhitzung (N o n n e). N. ist auf Grund seiner eigenen
Beobachtungen und der in der Literatur erwähnten Fälle zu der An¬
sicht gekommen, dass der zerebellare Symptomenkomplex kongenital
und akquiriert zur Ausbildung kommen kann, und zwar entweder in
der gesamten zerebello-spinalen Bahn oder in einem mehr oder weni¬
ger grossen Teile derselben. Im Anschluss hieran bespricht er die
Ansicht einiger Autoren (S e i f f e r u. a.), dass die hereditäre zere¬
bellare Ataxie von Marie und die Friedreich sehe Krankheit
anzusprechen sei als die zerebellare und die spinale Form der Ataxie.
Dieser Ansicht kann sich N. auf Grund eigener Erfahrungen (publiziert
in Westphals Archiv, Bd. 39, H. 3, 1906) nicht anschliessen.
Herr B u c h h o 1 z demonstriert mit dem Projektionsapparat
Schnittserien vom obersten Teil des Rückenmarks
durch die Medulla oblongata bis hinauf ins Mittelgehirn. Die Schnitte
illustrieren den Verlauf der zerebello-spinalen Bahnen und die ana¬
tomischen Beziehungen des Kleinhirns zur Medulla oblongata, zur
Pons, zu den Vierhügeln und dem grossen Ganglion.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 16. April 1 907.
Die Tuberkulose in den Wohnungen von Paris im Jahre 1906,
Roux erstattet im Namen von J u i 1 1 e r a t, Sanitätschefs
der Seinepräfektur, einen diesbezüglichen wichtigen Bericht. Im
Jahre 1906 wurden 9573 Todesfälle an Lungentuberkulose gegen 9578
im Jahre 1905 gemeldet; die 5263 im Jahre vorher als „tuberkulös“
gemeldeten Häuser haben 29 Proz. der Todesfälle gegenüber 28 Proz.
im Jahre 1906 gebracht und 36,6 Proz. derselben betrafen schon früher
affizierte Häuser (36 Proz. im Jahre 1905). Die Proportion ist also die¬
selbe geblieben. Die mittlere Mortalität für die suspekten Häuser
ist ebenfalls geblieben, wie im Jahre 1905 = 6,5 pro 1000 Einwohner.
Man kann also sagen, dass die Tuberkulose in gleicher Weise wie in
den vorhergehenden 11 Jahren (1. Januar 1894 bis 31. Dezember 1904)
weiter ihre Opfer fordert. R. hofft, dass zwei Arten von Massnahmen
diese anhaltende Mortalität vermindern werden: 1. die Anwendung des
Sanitätsgesetzes vom Jahre 1902 auf die unsauberen Häuser und
Wohnungen und 2. sollten nach einem Antrag des Senators
P. St rau ss den zahlreichen „Dispensaires“ (Meldestellen für die
Tuberkulösen) die mit Tuberkulose infizierten Häuser in Zukunft
besser bekannt gemacht werden.
Die Aktinomykosis.
Poncet hat die Toxizität der Aktinomykosekulturen studiert
und gefunden, dass dieselben keine löslichen Toxine enthalten; Ka¬
ninchen injiziert, bewirkten sie keinerlei Fieberreaktion. Die Er¬
klärung der bei Aktinomvkose ziemlich häufigen septischen Zufälle
versucht nun P. damit zu geben, dass vielleicht die Reaktion auf das
lebende Gewebe das in den Reinkulturen scheinbar fehlende Gift
hervorbringt; der Aktinomykosispilz selbst scheint also nicht die Ur¬
sache der genannten septischen Zufälle zu sein.
Societe medicale des höpitaux.
Sitzung vom 19. April 1907.
Die Ernährung beim Diabetes; Klassifikationen des Diabetes mellitus.
Marcel und Henri Labbe unterscheiden auf Grund der Er¬
nährungsbilanz — Nahrungsaufnahme und Ausscheidung durch Harn
und Fäzes — 3 Arten von Diabetes: 1. Ohne Unterernähr u n g.
was dem „Fett-“ oder arthritischen Diabetes entspricht; das N-Gleich-
gewicht ist erhalten, die Glykosurie ist mässig, von Kohlehydraten der
Nahrung herrührend. Der Patient hat für eine gewisse Menge von
Kohlehydraten eine Toleranz, die Glykosurie entsteht nur, wenn bei
der Nahrungsaufnahme diese Toleranz überschritten wird. Durch die
Nahrung kann man die Glykosurie variieren lassen. 2. Diabetes
mit Unterernähr u n g, welcher dem klassischen „Pankreas-
Diabetes entspricht. Das N-Gledchgewicht ist gestört, der Kranke
zehrt von dem Eiweiss seiner Gewebe und hat vermehrte N-Aus-
scheidung. Die stets hochgradige Glykosurie hat alimentären und
organischen Ursprung, sie stammt von der Umbildung der Kohle¬
hydrate, Eiweiss- und Fettkörper. Der Kranke hat keinerlei
Toleranz für die Kohlehydrate, die Zuckerausscheidung ist
eine konstante und hört durch das Regime nicht auf.
3. Diabetes mit mässiger Unterernährung. Das
sind eine Art Zwischenfälle, wo die Glykosurie trotz man¬
gelnder Kohlehydrate in der Nahrung nicht aufhört, aber
mässig bleibt. Das N-Gleic'hgewficht ist gestört, die Glykosurie
stammt von den Kohlehydraten der Nahrung und vom organischen
Eiweiss.
Diese Einteilung entspricht allen Fällen von Diabetes und hat
auch Bezug auf Prognose, Entwicklung und Behandlung. Bei der
ersten relativ gutartigen Form kommt die Gefahr von der Hypergly¬
kämie, besteht die Behandlung darin, die Einnahme von Kohlehydraten
unter der Toleranz zu ermässigen. Beim Diabetes mit Unterernäh¬
rung, der immer schwer ist, liegt die Gefahr besonders in der Azidämie
und kommt die Hyperglykämie erst an zweiter Stelle: das Regime
muss noch eine gewisse Menge Kohlehydrate enthalten.
1348
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Academie de medecine.
Sitzung vom 23. April 1907.
Die Syphilis in der Armee. Betrachtungen über die Prophylaxis.
Delorme kommt bei seiner Auseinandersetzung zu folgenden
Schlüssen. In Frankreich ist bei idem stehenden Heere die primäre
Syphilis 3 mal weniger häufig wie in der Zivilbevölkerung desselben
Alters, ebenso ist es mit den anderen venerischen Krankheiten. Die
Erkrankung an Syphilis, ebenso an den anderen Geschlechtskrank¬
heiten, ist in der Armee in ständiger Abnahme begriffen. Mit dem
deutschen Heere stellt das französische durch 'das Minimum an Ge¬
schlechtskrankheiten an der Spitze der europäischen Armeen. Wäh¬
rend des Militärdienstes ziehen sich die jungen Leute Frankreichs nicht
nur am wenigsten Syphilis zu, sondern sie lernen dabei auch, für
die Zukunft sich davor zu hüten. Diese bemerkenswerten Resultate
wurden zum Teile durch die grossen Anstrengungen, welche diie
Heeresleitung machte, um die moralische Erziehung der Soldaten zu
sichern, sie die hygienische Prophylaxe zu lehren und den äusseren
Gefahren zu entziehen, erzielt. Die mildere Handhabung der Ver-
waltungs- und PoMzeimassregeln, der allmähliche Ersatz der über¬
wachten Prostitution der Eingeschriebenen durch die heimliche Pro¬
stitution lassen jedoch befürchten, dass der gegenwärtige gute Ge¬
sundheitszustand nicht anhält. Die Prostitution der Toleranzhäuser
bietet vom Standpunkt der Prophylaxe die meiste Sicherheit und
dürfte es leicht sein, dieselbe noch durch strengere Aufsicht und
häufigere ärztliche Besuche zu erhöhen. Die heimliche Prostitution
nimmt in erschreckendem Masse zu, sie vereitelt die 'administrative
und ärztliche Ueberwachung. Am gefährlichsten ist die heimliche,
in den Bars und Gasthäusern getriebene Prostitution. Je jünger eine
Prostituierte ist, um so schädlicher ist sie bezüglich der Weiterver¬
breitung der Syphilis. Die Prostituierten, welche älter als 20 Jahre
sind und in ganz jungen Jahren ihr Gewerbe begonnen haben, sind im
Allgemeinen immunisiert. Die Verbreitung der Geschlechtskrank¬
heiten und speziell der Syphilis ist in den Garnisonen Frankreichs
proportional der Entwicklung der heimlichen Prostitution und steht in
Verbindung mit fehlender oder ungenügender ärztlicher und admini¬
strativer Ueberwachung. In den meisten Garnisonsstädten bringen
die von der Muniizipalverwaltung eingeführten Reglementierungs-
Vorschriften oft entschiedene Besserung in einen mangelhaften Sani¬
tätszustand.. Bezüglich der Anzahl der Geschlechtskranken stehen die
Distrikte von Rouen, Marseille, Ajaccio, Bordeaux schon seit vielen
Jahren an erster Stelle. Schliesslich macht Delorme der Akademie
den Vorschlag, „ihr schönes Werk vom Jahre 1888“ nach dem jetzigen
Standpunkt der Wissenschaft und der Sitten zu reformieren.
Fournier beglückwünscht den Vorredner zu seiner so sachge-
mässen Mitteilung und Vorschlägen und billigt besonders das, was u.~
über die Erziehung des Soldaten bezüglich der Syphilis vorgebracht
hat. F. unterstützt mit allen Kräften den Vorschlag, eine Kommission
zum Studium der Prophylaxe der venerischen Krankheiten zu er¬
nennen und hält es für sehr wichtig, dass auch die Akademie ihre
Stimme vernehmen lasse, nachdem eine ausserparlamenfarische Kom¬
mission die Aufhebung der Spezialkonsultationen und jeder Ueber¬
wachung der Prostitution wünscht.
Der Kampf gegen die Tuberkulose und dessen ökonomische Or¬
ganisation.
R o b i n sieht eine erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose in
folgenden 4 Bedingungen: 1. Schutz der einzelnen Individuen, 2. Er¬
ziehung des Publikums, 3. Behandlung der Kranken und 4. Hilfe fin¬
den Kranken und seine Umgebung (Familie). Von allen diesen Ge¬
sichtspunkten aus wurde zu Beaujon die Tuberkulosebekämpfung auf¬
genommen und eine einzige Organisation zur Ausführung der ge¬
nannten Punkte geschaffen; deren Hauptrichtschnur war, nichts
Neues zu schaffen, alles Bestehende zu benützen und mit äusserster
Sparsamkeit vorzugehen. Es wurde eine Art Patronage, natürlich
ohne konfessionelle, politische oder soziale Rücksichten geschaffen
und dann eine öffentliche Sprechstunde, welche von 24 Aerzten ab¬
wechselnd abgehalten wird, eingerichtet. Dieselben werden von
Damen, welche die Wohnungen der konsultierenden Patienten regel¬
mässig besuchen, unterstützt. Die hauptsächliche Verteilung der Pa¬
tienten geschieht folgendermassen : 1. Rücksendung der verarmten
ausländischen Tuberkulösen in ihre frühere Heimat, 2. Ueberweisung
der dazu Geeigneten in das Santorium (von Angicourt) und Sorge für
die daraus Entlassenen (Arbeitsvermittlung usw.), 3. Verschickung
der chirurgischen Fälle an die See(-Sanatorien), 4. Ueberweisung
schwerer oder komplizierter Fälle von Tuberkulose in das Kranken¬
haus, 5. häusliche Behandlung der Tuberkulösen, wobei ihnen die
Medikamente geliefert, für genügende Ernährung gesorgt, die Woh¬
nung regelmässig desinfiziert wird, 6. Unterstützung in Bezug auf
Wohnung und 7. Arbeitsvermittlung. Robin glaubt, dass diese, so
umfassende Organisation mit Vorteil auch in anderen grossen Kran¬
kenhäusern eingeführt werden könnte.
Sitzung vom 30. April 1907.
Die Gonorrhoe des Mastdarms und ihre Komplikationen.
Der Bericht, welchen Brunswig-le-Bihan (Tunis) über
dieses Thema bringt, ist auf eine relativ beträchtliche Anzahl von
Beobachtungen begründet. Am Beginn findet man keine Entzündung
der umgebenden Haut und keinen, der Blennorrhoe analogen Ausfluss;
der Eiter ist in geringer Menge vorhanden, von bräunlichem Aus¬
sehen und enthält eine abundante Bakterienflora. Es sind dann 3
Arten von Komplikationen zu unterscheiden: 1. 'akute Perirektitis,
welche zu ischio-rektaler Phlegmone führen kann, 2. chromische Peri¬
rektitis, analog der Periurethritis, 3. Stenose des Mastdarmes, welche
meist für syphilitische Stenose gehalten wird.
Sitzung vom 7. Mai 1907.
Typhus und andere Infektionen infolge von Austerngenuss.
Netter bespricht nochmals (siehe diese Wochenschrift 1907,
No. 13, S. 644) diese Gefahren, welche durch den Genuss von Austern,
die von .verunreinigten Gewässern stammen, uns bedrohen. Die Bak¬
teriologie hat festgestellt, dass in den Austern Typhusbazillen, Bac.
coli communis und Bazillen, die zwischen diesen beiden stehen, exi¬
stieren können. Austern, in welche man Typhusbazillen eingeführt
oder welche in ein dieselben enthaltendes Wasser gebracht worden
sind, bewahren die Bazillen noch 9, 14, 18 und sogar 28 Tage. Eine
verseuchte Auster, dem Wasser entnommen und ausserhalb desselben
aufbewahrt, enthält die Bazillen noch nach 7 — 11 Tagen; in reines,
häufig erneuertes Meerwasser gebracht, bewahrt die Auster die Ba¬
zillen noch 2, 4, 6 und sogar 9 Tage lang. Man darf also nicht zu sehr
der für den Typhusbazillus ungünstigen Wirkung des Meerwassers,
ebensowenig wie der phagozytären Kraft der Austern trauen. In ge¬
frorenen oder toten Austern vermehrt sich der Typhusbazillus und
wurde (von Cyrus Field) nach 4 — 5 Wochen noch gefunden. Die
Gefahr der Uebertragung von Typhus und anderen Infektionen durch
Austern, die in durch menschliche Dejektionen verunreinigtes Wasser
getaucht waren, ist also durch die klinische Beobachtung und bakterio¬
logische Experimente festgestellt. Die Verunreinigung der Austern
in den Austernparks ist also möglich, wenn die Abwässer der Kanäle
u. a. m. mit diesen in Verbindung steht. Da die Austernzucht in Parks,
wo süsses und Meerwasser sich mischen, stattfindet und diese not¬
wendigerweise nahe den Kommunikationswegen angelegt sind, so ist
diese Gefahr vielerorts zu befürchten. Eine genaue topographische
und womöglich bakteriologische und chemische Untersuchung sollte
daher vor jeder Anlage eines Austernparks deren Oertlichkeit fest¬
stellen. Die Seebehörde sollte diesen Inspektionsdienst und die Be¬
aufsichtigung der natürlichen Austernbänke organisieren, anderer¬
seits die kompetenten Behörden die notwendigen Massnahmen treffen,
um die Verunreinigung der Austern, nachdem sie aus den Parks ge¬
bracht sind, in den Häfen, bei den Händlern und auch bei den Gast¬
wirten zu verhüten.
Bezüglich der Bekämpfung der Tuberkulose stimmt Armain-
g a u d - Bordeaux mit den Ausführungen R o b i n s (s. oben, Sitzung
vom 23. April) völlig überein und erwähnt, dass in Bordeaux
schon seit mehreren Jahren und bevor diese Einrichtungen in Paris
geschaffen waren, in systematischer Weise der Kampf gegen die
Tuberkulose geführt werde und zwar durch eine Liga, welche die
Lehren dieser rationellen Bekämpfungsart verbreitet, durch spezielle
Ambulatorien (Dispensaires), durch das am Meere gelegene Sana¬
torium Arcachon für Kinder, durch billige Wohnungen, Brausebäder
um 10 Cts., Gärten für die Arbeiter, Ferienkolonien, durch das Sa¬
natorium Pessac für die erwachsenen Tuberkulösen usf. Armain-
gaud drückt den Wunsch aus, dass die Akademie über diese
Punkte eine zusammenfassende Resolution ausarbeiten und allen grös¬
seren Städten und Gemeinden diese mitgeteilt werden möchte.
Aus italienischen medizinischen Gesellschaften.
Akademie für Medizin in Turin.
Aus der
Sitzung vom 14. Dezember 1906 und 18. Januar 1907
erwähnen wir:
Donati: Beitrag zur Behandlung maligner Tumoren mittels
Trypsininjektion.
In einem Falle von Sarkom eines Testikel mit Metastasen in die
Fossa iliaca, einen 52 jährigen Mann betreffend, erwies sich die Radi¬
kaloperation als unmöglich. Die Radiotherapie hatte einen günstigen
Einfluss auf die Schmerzen, dagegen keinen auf das Wachstum neuer
1 umormassen. D. machte einen Versuch mit Trypsininjektionen (zu¬
nächst 2 ccm zur subkutanen Injektion von Dr. Z a n o n i präpariert).
Einem grossen Teile der Teilnehmer an der Versammlung wird
von dieser Sondervereinigung nichts bekannt geworden sein. Die
Bildung derselben ist in aller Stille erfolgt und würde zweifellos auch
anfangs in die Umgebung des Tumors, da die Härte desselben die
Injektion in den Tumor selbst verhinderte, später auch unter Erhöhung
der Dosis auf 4—6 ccm in den Tumor selbst. Es erfolgte jedesmal
eine örtliche und allgemeine Reaktion. Nach 2 Monaten schloss sich
die vorher fistelnde Operationswunde; der Tumor erweichte unter
langsamer Abnahme. Nach 6 Monaten fühlte man nichts mehr vom
I umor und alle auf denselben zu beziehenden Symptome waren ver¬
schwunden. Im ganzen waren 130 ccm Trypsin injiziert. Ob die
Heilung eine definitive sein wird, steht noch dahin; immerhin ist
der Erfolg ermutigend.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1349
Trypsin kann man in grösserer Reinheit aus dem Pflanzenreiche
(Feigen und Melonen) als aus dem Tierreiche darstellen und viel¬
leicht empfehlen sich solche Präparate mehr zur Injektion.
Ueber Erfolge bei Karzinom möchte D. noch kein sicheres Urteil
aussprechen; vielleicht reagieren dieselben etwas anders auf diese
Behandlung.
Medizinisch-chirurgische Gesellschaft zu Bologna.
Sitzung vom 14. Dezember 1906.
Ruggi: Ueber halbseitige vertikale Prostatektomie, ausgefiilirt
auf dein Perinealwege, und den physischen und moralischen Wert
dieser Operationsmethode.
Dieselbe besteht in der Zerstückelung des hypertrophischen
Driisenlappens; führt nicht zu Impotenz. R. berichtet über 9 so ope¬
rierte Fälle mit ermutigendem Resultate.
Societä Lancisiana der Hospitäler Roms.
Aus der
Sitzung vom 5. Januar 1 907
erwähnen wir eine Mitteilung von
Pen de: Ueber einseitige Nierenläsion und Hypertrophie des
linken Ventrikels.
ln einem Falle von Blutzirkulationsstörungen, welche auf Arterio¬
sklerose bezogen waren, erfolgte plötzlicher Tod durch Suizidium.
Die Sektion ergab keine Spur von arteriosklerotischen Veränderungen;
weder zentral noch peripher, dagegen eine beträchtliche Hyper¬
trophie des linken Ventrikels mit Dilatation. Das linke Nierenbecken
war mit einem grossen Stein ausgefüllt, welcher den linken Ureter
vollständig verlegte. Die rechte Niere war nicht hypertrophiert und
makroskopisch von normaler Struktur. Ein anderer Grund für die
Hypertrophie des linken Ventrikels als die Affektion der linken Niere
ergab sich nicht.
P. macht auf die experimentellen Resultate von G r a w i t z und
Israel aufmerksam, welche fanden, dass die Wegnahme einer
Niere beim erwachsenen Tiere immer zu Hypertrophie des Herzens
führt, während beim jungen Tiere immer nur eine kompensatorische
Hypertrophie der anderen Niere entsteht. Ebenso konnte Strauss
durch Unterbindung eines Ureters Herzhypertrophie hervorrufen.
P. erwähnt ferner die von Castaigne und R a i t e r y auf¬
gestellte Lehre, dass jede einseitige Nierenläsion auch die andere
Niere schädigen kann durch Bildung von Autonephrolysinen. In
dieser Weise könnte auch die Läsion einer Niere aufs Herz eine
Wirkung entfalten, wie sie sonst bei der Läsion beider sich äussert.
Derselbe Autor berichtet über einen Fall von Monoarthritrs
pneumococcica primitiva, eine 70 jährige Frau betreffend. Plötzlicher
heftiger Schmerz im linken Kniegelenk, Schüttelfrost, Erbrechen,
hohes Fieber, akute Gelenkschwellung. Die Explorativpunktion er¬
gibt nur Pneumokokkus als Infektionsträger. Bemerkenswert er¬
schien das Auftreten des Pneumokokkus in kleinen Ketten, so dass
er auf den ersten Blick mit Streptokokkus und mit dem Enterokokkus
Thiercelin hätte verwechselt werden können; ferner das Fehlen jeder
anderen Lokalisation und die schnelle Heilung nach Arthrotomie, nach¬
dem sich Bier sehe Stauung als unwirksam erwiesen.
Hager- Magdeburg.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Medical Society of London.
Sitzung vom 25. März 1907.
Die operative Behandlung des hepatogenen Aszites.
L. Jones: Die Frage, ob bei der Entstehung von Aszites auf
Grund einer Leberzirrhose als Hauptfaktor die Stauung im Pfortader¬
gebiet oder Toxämie' zu gelten habe, kann noch nicht als entschieden
angesehen werden, und es dürfte wohl das richtigste sein, beiden
Momenten einen gewissen Anteil zuzuschreiben. Die neuerlichen Un¬
tersuchungen von H e r r i c k deuten darauf hin, dass die Stockung
im Pfortadergebiet nicht etwa durch den von neugebildetem Gewebe
erzeugten Druck auf das Wurzelgebiet der Pfortader verursacht
werde als vielmehr durch die bei dier Zirrhose entstehenden ver¬
mehrten Verbindungen zwischen der Pfortader und der Vena hepatica.
Auf diese Weise findet nebenbei der zuweilen ganz früh im Verlaufe
der Zirrhose entstehende Aszites auch eine Erklärung. Der Umstand,
dass die Unterbindung der Pfortader bei Tieren in der Regel keinen
Aszites hervorruft, kann ebensogut als Beweis gegen die toxämische
Theorie wie gegen die Obstruktionstheorie bezüglich des Ursprungs
des Aszites angeführt werden, denn die bei der Unterbindung ent¬
stehenden Symptome sind von direkt toxämischer Art. Andererseits
hat auch Thrombose der Pfortader häufig Aszites zur Folge. Pro¬
gnostisch für die Operation der ideale Patient sei derjenige, welcher
noch in relativ jugendlichem Alter stehend und frei von Kompli¬
kationen, bei hypertrophischem Zustande der Leber mehr die Er¬
scheinungen der Obstruktion als der Toxämie darbietet. Der Zweck
aller Operationen ist es, neue Verbindungswege zwischen dem Ge¬
biete der V. cava und der Pfortader herzustellen, was in der Regel
durch Vernähung des Omentums mit der Abdominalwand angestrebt
wird. Es kommt dabei sowohl die intraperitoneale, ursprüngliche
Operation als auch die von S c h i a s s i, Bunge u. a. angegebene
extraperitoneale zur Anwendung. Für manche Fälle kann man ge¬
legentlich auch noch die Hepatopexie, die Splenopexie und die Er¬
zeugung intestinaler Adhäsionen mit Erfolg in Anwendung bringen,
wenn die einfache Vernähung des Omentums nicht genügt oder
unausführbar ist. Auf die Leber selbst scheint die Operation irgend
eine bessernde Wirkung nicht auszuüben, aber bei vielen Fällen wird
damit offensichtlich die Wiederentstehung von Aszites zurückgehalten
und das Leben dem Patienten bei relativem Wohlbefinden mehrere
Jahre erhalten. Dieses günstige Resultat ist bisher bei etwa Vs der
operierten Fälle eingetreten, während die letal verlaufenen Fälle und
die ungebesserten sich in dem gleichen Verhältnis verteilen. Bei
richtiger Auswahl der als operabel zu bezeichnenden Patienten
dürfte die Mortalität nicht über 10 Proz. sich erheben.
W. G. Spencer berücksichtigt die Entstehung von Flüssig¬
keit in der Abdominalhöhle auch ohne Leberleiden, wie bei chroni¬
scher Peritonitis, und macht einige Bemerkungen betreffs der Ope¬
ration. Er erwähnt einen derartigen durch Ovarienerkrankung als
Grundleiden bedingten Fall und schildert ferner die Krankenge¬
schichte einer Patientin, welche trotz fortgesetzten Potatoriums nach
der Operation frei von Aszites blieb. Die deutsche Operations-
methode mit dem 6 Zoll langen Einschnitt findet er unnötig kom¬
pliziert. Die Mortalität nach dem vereinfachten Verfahren sei bei
seinem Material sehr klein gewesen.
F. de H a v i 1 1 a n d Hall betont die Notwendigkeit einer vor¬
herigen Untersuchung, namentlich auch auf etwa bestehende Syphilis.
Das Einspritzen von Adrenalin (10 — 15 ccm) in die Bauchhöhle nach
Entleerung der Aszitesflüssigkeit sei entschieden zu empfehlen.
F. P. Weber weist auf den Wert einer genauen Beobachtung
der Temperaturen, bevor man sich zur Operation entschliesst, hin.
Manche fieberhaften Fälle syphilitischen Ursprungs bessern sich
prompt auf Hg im Verein mit Jodkalium.
A. E. J. B a r k e r bemerkt, dass alles auf die Erzeugung von
festen und dauerhaften Adhäsionen ankommt. Die modernen asepti¬
schen Operationsmethoden erschweren geradezu die Entstehung sol¬
cher Verwachsungen ganz erheblich; man hat sogar wiederholt bei
nochmaligen Operationen an demselben Patienten gefunden, dass die
erzielten Verklebungen mit der Zeit sich wieder auflösen. Aus diesem
Grunde bevorzugt er die extraperitoneale Operation.
H. J. W a r i n g empfiehlt so früh wie möglich zu operieren. Als
das sicherste Verfahren ist die Einfügung eines Stückes vom Omen¬
tum maius in die Scheide des M. rectus abdominis zu bezeichnen.
J. F. H. Broadbent hält es für ratsamer, solange zu warten,
bis die Bauchhöhle sich zum zweiten Male füllt. Bei einigen von
ihm beobachteten Fällen von Zirrhose schien der Alkohol als ätio¬
logischer Faktor nicht mit im Spiele gewesen zu sein. Weit vor¬
geschrittene Fälle, bei denen die Lebersubstanz in ausgedehntem
Masse zerstört ist, eignen sich jedenfalls nicht zur Operation.
Jones glaubt, dass nur die durch Behinderung des Pfortader¬
kreislaufes bedingten Fälle durch die Operation eine Besserung er¬
fahren. P h i 1 i p p i - Bad-Salzschlirf.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
XXXV. Deutscher Aerztetag
zu Münster in Westfalen am 21. und 22. Juni 1907.
(Eigener Bericht.)
Am 21. Juni vormittags 9 Uhr wurde der Aerztetag in dem
erinnerungs- und stimmungsvollen alten Rathaussaale Münsters von
dem Vorsitzenden, Prof. L o e b k e r - Bochum, durch eine Rede er¬
öffnet, die, wie alle Jahre, den Kern des Aerztetages bildete. Nach
einem überaus herzlichen Nachruf auf K r a b 1 e r - Greifswald, Send-
1 e r - Magdeburg und Ernst v. Bergmann fuhr der Redner fort:
Meine Herren! Lassen Sie uns, bevor wir in die Beratungen
des diesjährigen Aerztetages eintreten, einen kurzen orientierenden
Blick auf die gegenwärtige Situation und die Erlebnisse seit der
letzten Tagung werfen, und beginnen wir sofort mit der Kranken¬
kassenfrage; wird sie ja doch im Vordergründe aller Erörterungen
stehen bleiben, bis auch der letzte Punkt unseres unumstösslichen
Königsberger Programms erfüllt sein wird. Zwar hat das abge¬
laufene Jahr keine grossen Konflikte mit Kassen gezeitigt; ein Blick
in die Warnungstafel des Leipziger Verbandes genügt aber, um zu
erkennen, dass der Widerstand der Kassen in mittleren und kleineren
Orten gegen unsere berechtigten Forderungen keineswegs überall
gebrochen ist. Zwar ist die organisierte Aerzteschaft mit verschwin¬
denden Ausnahmefällen Siegerin im Kampf geblieben, doch bedurfte
es zuweilen zähester Energie, um einen Gegner niederzuringen, der
gewitzigt durch die Erfahrungen in den grossen Kämpfen der Vor¬
jahre nicht in offener Front und mit offenem Visier, sondern mit den
Künsten diplomatischer List den Kampf ausfechten wollte. Zur Ver¬
trauensseligkeit auf unserer Seite ist daher in absehbarer Zeit kein
Raum vorhanden; versteckten Angriffen gegenüber heisst es vielmehr
ganz besonders auf der Hut sein. Wir sind keine Freunde von un¬
nötigen und aussichtslosen Streitigkeiten — das wiederholen wir
1350
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
immer wieder — aber ist der Kampf einmal unvermeidlich, so soll
und wird er mit scharfen Waffen durchgeführt werden, bis ein ehren¬
voller Friede erreicht ist. Dazu ist aber unbedingt das Vorhandensein
einer straffen Organisation der Aerzte erforderlich; nur dort, wo
diese gefehlt hat oder wo sie unzureichend gewesen list, sind wir
dem Gegner unterlegen. Mit Befriedigung hat der Geschäftsausschuss
aus einem Berichte der wirtschaftlichen Abteilung unseres Bundes
und der Krankenkassenkommission von den Fortschritten in der Or¬
ganisation der Aerzte Kenntnis genommen, zugleich aber auch fest- j
gestellt, dass man in einzelnen Gegenden und Orten in dieser Frage
noch recht weit zurückgeblieben ist. Ich rufe daher gleich zu Beginn
unserer Tagung die Kollegen im Reiche auf, das bisher Versäumte
baldigst nachzuholen, um bereit zu sein, wenn der Feind über Nacht
vor den Toren erscheinen sollte. Unter voller Anerkennung der
Selbständigkeit der lokalen Organisationen muss aber auch die
innige Anlehnung dieser an die wirtschaftliche Abteilung unseres
Bundes gefordert werden, und kein Mitglied eines Bundesvereins
sollte dem Leipziger Verbände fehlen. Ganz miissig ist es, sich in
der heutigen Zeit über die Frage, ob freiwillige oder staat¬
liche Organisation zu ereifern. Wir haben sie beide und wollen
keine von ihnen entbehren. Was wir auf dem einen Wege durch
Verhandeln nicht erreichen können, muss auf dem anderen erfochten
werden. Die beiden Einrichtungen schliessen sich nicht aus, sondern
müssen sich gegenseitig ergänzen.
Aber viel grössere Freude empfinden wir über die Fortschritte,
die auf dem Wege friedlicher Verhandlungen gemacht sind. Dies gilt
namentlich bezüglich der Einführung der freien Arztwahl bei den
Eisenbahnen. In einer Anzahl von kleinen Orten ist sie durch Va¬
kanz der Bahnarztstellen zu stände gekommen, in Frankfurt a. M. und
Mannheim durch Vermittlung der organisierten Aerzteschaft — an
beiden Orten allerdings nach Ueberwindung nicht geringer Schwierig¬
keiten, welche an ersterem Orte von seiten der Eisenbahnbehörde,
an letzterem im bahnärztlichen Verein erwuchsen. Ein besonderes
Verdienst um die Förderung dieser Angelegenheit hat sich der Aerzte-
kammerausschuss in Preussen erworben, dem es zwar nicht gelungen
ist, den Eisenbahnminister und die Vertreter der Bahnärzte von der
Notwendigkeit und Nützlichkeit der Einführung der freien Arztwahl
bei den Eisenbahnbetriebskrankenkassen zu überzeugen, es aber doch
durchgesetzt hat, dass der Minister anordnete, in Frankfurt a. M.
einen Versuch mit der freien Arztwahl zu machen. So ist diese
am 1. April d. J. dort für alle Mitglieder der Eisenbahnbetriebs¬
krankenkasse einschliesslich der Familien der Hilfsbeamten vertrag¬
lich bis Ende 1908 in Kraft getreten. Und die Vorgänge in Mann¬
heim zeigen so recht, was bei guter Organisation und zielbewusster
Führung erreicht wird. Seit Jahren war hier die freie Arztwahl bei
den Krankenkassen durchgeführt, ihre segensreiche Wirkung von
allen Parteien im Lande rückhaltlos anerkannt worden. Und dieser
Erkenntnis ist cs wohl hauptsächlich zu verdanken, dass auch der
Vorstand der Eisenbahnbetriebskrankenkassen im Dezember v. J.
die freie Arztwahl durch einen Vertrag mit der organisierten Aerzte¬
schaft in Mannheim einführte, der für fünf Jahre unkündbar ist. Von
ganz besonderer Wichtigkeit ist es dabei, dass man hier auf die An¬
stellung von Vertrauensärzten verzichtet hat, die Tätigkeit solcher
vielmehr der ärztlichen Krankenkassenkommission übertragen
hat: wahrlich der beste Beweis, welch grosses Vertrauen die Aerzte-
organisation in Mannheim allseits geniesst, zugleich aber auch eine
vortreffliche Illustration dafür, dass nur bei Einigkeit und fertiger Or¬
ganisation der Aerzte das Misstrauen und der Widerstand der Be¬
hörden überwunden wird. Und wir wollen uns nicht verhehlen, dass
eine grosse Zahl von Vertretern dieser Behörden sowohl wie der
Bahnärzte im Reich unseren Wünschen, namentlich der Einführung
der freien Arztwahl gegenüber, sich nach wie vor ablehnend ver¬
hält und hie und da der „Versuch“ in Frankfurt a. M. mit der stillen
Hoffnung verfolgt wird, dass er scheitern und die Undurchführbarkeit
der freien Arztwahl beweisen werde. Nun, m. H., ich zweifle nicht
daran, dass die Frankfurter Aerzteschaft solche Hoffnungen durch
treue Pflichterfüllung und enges Zusammenhalten zu Schanden ma¬
chen wird. Beweisen wir durch die Tat, dass die Forderung der
freien Arztwahl von den Aerzten nicht nur im eigenen Interesse
erhoben, sondern nicht minder zu Nutz und Frommen der Kassen, der
Versicherten und im öffentlichen Interesse verfochten wird.
Es wäre aber kurzsichtig, m. H., wenn ich aus Freude über
derartige Erfolge von grundsätzlicher Bedeutung die Sorgen ver¬
schweigen wollte, die uns im letzten Jahre durch gewisse Vor¬
gänge im eigenen Lager nicht erspart geblieben sind. So manchesmal
haben sich unsere Blicke mahnend auf die Reichshauptstadt gerichtet,
vergeblich schien unser Mahnruf nach Einigung zu verhallen. Ich
würde Unrecht tun, wenn ich heute nicht ebenso öffentlich aner¬
kennen wollte, dass der Einigungsgedanke dort schliesslich doch auf
fruchtbaren Boden gefallen ist. Und wenn es auch noch gute Weile
haben mag, bis ein einziges festes Band die ganze Berliner Aerzte¬
schaft umfasst, so ist durch die Tätigkeit des Fünfzehnerausschusses
doch die Grundlage geschaffen worden für gemeinsame Vorberatung
und gemeinsame Arbeit. Möge sie sich auch ferner als segensreich
erweisen, und die Gegensätze in der Berliner Aerzteschaft in den
wirtschaftlichen Fragen allmählich zum Ausgleich bringen.
Mit banger Sorge aber verfolgten wir die Spaltung unserer
Reihen in der schönen Isarstadt. Wie oft haben die Vertreter aus
Norddeutschland in früheren Jahren die feste Organisation der baye¬
rischen Kollegen bewundert, da wir noch selbst in den Anfängen
des Zusammenschlusses steckten! Woher nahmen denn Männer wie
Aub, Näher, Dörfler, Brauser und so viele andere die Kraft
ihrer Stellung?! Doch nur aus dem Bewusstsein, dass sie durch
das Vertrauen der gesamten Aerzteschaft getragen und entsendet
wurden. Und das alles sollte nun trotz aller Erlebnisse im letzten
Jahrzehnt in einer Zeit des beständigen Kampfes nach aussen ganz
vergessen sein? Mit solchen und ähnlichen Gedanken und Fragen er¬
füllt, hat eine Kommission Ihres Geschäftsausschusses die scheinbar
unerfüllbare Aufgabe übernommen, den streitenden Parteien den
Weg zum Frieden und zur Einigung frei zu machen. Und doch ist
dies am 2. Mai d.*J. in Frankfurt a. M. insofern gelungen, als die Ver¬
treter sämtlicher Standesvereinigungen in München sich bereit er¬
klärt haben, alle wichtigen, namentlich auch die wirtschaftlichen
Standesfragen in einem allseits beschickten Ausschuss vorzuberaten
und etwaige Streitfragen in diesem zu schlichten. Gemeinsame Arbeit
wird auch hier — so hoffen wir zuversichtlich — die Kollegen in
nicht ferner Zeit zu alter Geschlossenheit und Kraft wieder vereinigen.
M. H.l Seit der denkwürdigen Tagung in Königsberg und der
imposanten Kundgebung des Aerztetages in Berlin haben wir all¬
jährlich einmütig vor der Oeffentlichkeit festgestellt, dass die von
uns aufgestellten Forderungen für die Regelung unserer Stellung zu
den Krankenkassen sowohl im ganzen wie in ihren einzelnen Teilen
unabänderlich sind. Die Ausführung unseres Programms auf dem
Wege der freiwilligen Organisation haben wir vertrauensvoll den
Vereinen und Lokalkommissionen überlassen, und der Geschäfts¬
ausschuss hat Ihnen nur nach bester Kenntnis und Prüfung der ein¬
schlägigen Verhältnisse im ganzen Reich in seinen Direktiven diejeni¬
gen Ratschläge erteilt, die es ermöglichen sollten, überall im Sinne
der Königsberger Beschlüsse unser Programm entsprechend den ört¬
lichen Verhältnissen zu verwirklichen. Wir wollten ein planmässiges
besonnenes Vorgehen, kein Vorwärtsdrängen gegen den Willen und
über die Leiber der beteiligten Aerzte hinweg, wir wollten weder den
wirtschaftlichen Ruin der Kassen, noch der bisherigen Kassenärzte.
Das ist in jeder Tagung aus unseren Verhandlungen unzweideutig
hervorgegangen, und bei der Besprechung der Knappschaftskassen¬
frage in Halle sowohl von uns wie in der Generalversammlung des
Leipziger Verbandes mit genügender Klarheit festgelegt worden.
Unsere Direktiven haben auch heute noch volle Gültigkeit und wir
denken nicht daran, die freie Arztwahl den lokalen Aerztevereini-
gungen gegen ihren Willen aufzuzwingen. Es gibt aber auch gewisse
— Realpolitiker, die in ihrem jetzigen Besitzstände für die Aufrecht¬
erhaltung des „numerus clausus“, und in denjenigen Kassen, an denen
sie noch nicht beteiligt sind, für die Einführung der freien Arztwahl
eintreten. Auf die Zustimmung dieser sonderbaren Schwärmer
müssen wir bei unseren Massnahmen allerdings verzichten. Unter
keinen Umständen sind die Direktiven hinausgegeben worden, um
das Königsberger Programm zu verdunkeln oder einzuschränken.
Auch diese stehen, sanktioniert durch die Beschlüsse aller späteren
Aerztetage, unverrückbar fest. Integrierender Bestandteil unseres
Programms ist die Forderung der freien Arztwahl, und unser Bund
hat in Köln die sämtlichen ihm zugehörigen Vereine verpflichtet,
sich jeglicher feindseligen Tätigkeit gegen die freie Arztwahl zu ent¬
halten. Andererseits ist gewissen Aerztegruppen, die auf Grund der
lokalen Verhältnisse sich zur Durchführung der freien Arztwahl noch
nicht entschliessen können, unsererseits zugesichert worden, sie in
diesem Punkte nicht zu bedrängen, in allen übrigen Wünschen sie
sogar wirksamst zu unterstützen, wenn sie selbst den Kölner Be¬
schluss innehalten. So lautet das ehrlich gemeinte Kompromiss. Wie
verträgt sich aber mit diesem Pakt das Vorgehen einzelner Aerzte,
die ohne Mandat von irgend einer ärztlichen Standesvereinigung Poli¬
tik auf eigene Faust betreiben und versuchen, in den Kreisen der
Kassenärzte, mit denen das erwähnte Kompromiss abgeschlossen
worden ist, durch geheime Umfragen Propaganda gegen die freie
Arztwahl zu machen? Aus jedem Loche des fadenscheinigen Mäntel¬
chens angeblicher Objektivität ist der eigentliche Zweck dieser
Minierarbeit, vom Königsberger Bauwerk den Block der freien Arzt¬
wahl abbröckeln zu lassen, deutlich erkennbar. Dass es unter uns
Aerztegruppen — Knappschafts-, Hütten- und Eisenbahnärzte — gibt,
die für sich und ihre Kassen aus besonderen Gründen das System
des fixierten Kassenarztes beizubehalten wünschen, ist uns und der
Aussenwelt hinreichend bekannt. Wenn dies nicht der Fall wäre, so
hätten wir ja niemals Veranlassung zum Abschluss jenes Kompro¬
misses gehabt! Wozu also die Umfrage, die in Wirklichkeit nur
unseren Gegnern Waffen im Kampfe gegen uns alle liefert. Ich muss
ein derartiges Vorgehen auf das Tiefste beklagen, aber auch aut das
Entschiedenste verurteilen. Ich weiss, dass ich die Meinung des
Aerztetages treffe, wenn ich demgegenüber immer wieder feststelle,
dass die Beschlüsse der Königsberger, Kölner und Rostocker Tagung
von den deutschen Aerzten unverbrüchlich festgehalten werden, und
wenn ich die lokalen Vereinigungen auffordere, zielbewusst und mit
Besonnenheit unter Aufrechterhaltung der Einigkeit der Aerzte ener¬
gisch an der Durchführung dieser Beschlüsse weiter zu arbeiten. Ich
will aber auch die Hoffnung nicht aufgeben, dass diejenigen, welche
jetzt noch glauben, lediglich durch Vertretung von Sonderinteressen
Vorteile erringen oder Schaden von sich abwehren zu können, wenn
auch verspätet zu der Einsicht gelangen, dass nur im solidarischen Zu¬
sammenarbeiten der gesamten Berufsgenossen die Zukunft unseres
Standes und des Einzelnen gesichert wird. Zu dieser Aufklärung
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCEIE WOCHENSCHRIFT.
1351
möge gerade die heutige Beratung der Pfalzschen Anträge
beitragen.
Unsere ständige Krankenkassenkommission sowie der Geschäfts-
ausschuss haben die Anregung des Kollegen Pfalz auf dem Strass¬
burger Aerztetage, man möge alle auf dem Wege der gegenseitigen
Garantie von Kasseneinkommen gemachten Erfahrungen sammeln und
sic zum Aufstellen von Musterbeispielen für verschiedenartige ärzt¬
lich-wirtschaftliche Verhältnisse verwerten, für so wichtig gehalten,
dass dieser Gegenstand als Hauptthema in der Kostenfrage auf die
heutige Tagesordnung gesetzt worden ist. Inzwischen hat uns aber
die Reichstagsverhandlung vom 11. April d. J. gezeigt, dass in der
kommenden Tagung Gesetzesvorlagen und Anträge eingebracht und
möglicherweise zur Erledigung kommen werden, die unsere ganze
Wachsamkeit erfordern. In kluger Selbstbeherrschung hat der vor¬
jährige Aerztetag, der sich zum ersten Male in breiterem Rahmen
an der Sozialreform beteiligte, die in den verschiedenen Anträgen
enthaltenen Einzelfragen nicht durch Abstimmung erledigt, sondern
zuvor eine weitere Klärung der widerstreitenden Anschauungen ab¬
gewartet. Wir konnten damals um so eher eine abwartende Stel¬
lung einnehmen, als die Reichsregienung sich in Schwei¬
gen hüllte, und die „Arztfrage“ für u n s längst spruchreif geworden
war. An dem genannten Tage aber hat der Staatssekretär des
Innern den Schleier, der bisher über den Plänen der Reichsregierung
lag, soweit gelüftet, dass man in etwa ersehen kann, in welcher Rich¬
tung die Reform geführt werden soll. „Jede Refor m“, so sprach'
Graf Posadowsky, „muss bei der Reform des Kran¬
kenversicherungsgesetzes an fangen und in diese m
Krankenversicherungsgesetz muss besonders
auch die Streitfrage der Stellung der Aerzte und
der Apotheker zu den Krankenkassen erledigt
werde n.“ Und weiter : „Auf dem Papier kann man wohl
die drei grossen Versicherungszweige Zusammen¬
legen, in der Wirklichkeit würden aber einer sol¬
chen automatischen Behandlung der Frage die
allergrössten Schwierigkeiten entgegenstehe n.“
M. H.l Wenn dieser letzte Satz auch von manchen Sozialpoli¬
tikern innerhalb und ausserhalb der Aerztekreise auf das heftigste be¬
kämpft wird, so entsprechen doch die Ausführungen des Herrn Staats¬
sekretärs im wesentlichen durchaus dem Standpunkte, den unsere
Kommission in den vom Kollegen Pfeiffer im vorigen Jahre ver¬
tretenen Thesen zum Ausdruck gebracht hatte. Wir quittieren auch
dankbar über die Zusage des Staatssekretärs, dass in der Novelle
das Verhältnis der Aerzte zu den Krankenkassen geregelt werden
soll. Leider hat uns derselbe aber nicht verraten, in welcher Weise
diese Regelung erfolgen soll, und auch die Führer der grossen Par¬
teien im Parlament haben sich über diesen Punkt völlig ausgeschwie¬
gen. Bei der augenblicklichen Situation will ich jede Kritik unter¬
lassen, die fruchtbar erst einsetzen kann, wenn uns die Vorschläge
der Reichsregierung oder Anträge der Parteien bekannt geworden
sind. Aber eins steht unsererseits unabänderlich fest: eine wirk¬
liche Regelung dieser wichtigen öffentlichen
Frage kann nur stattfinden auf Grund unserer
Königsberg er Forderungen einschliesslich der
grundsätzlichen Festlegung der in diesen Be¬
schlüssen enthaltenen freien Arztwahl! Ich wieder¬
hole : Der Deutsche Aerztevereinsbund wird nicht
ruhen, bevor sein Königsberger Programm in
allen wesentlichen Punkten erfüllt ist. Endlich
verlangen wir, an den Vorbereitungen der Reform
als sachverständige Mitarbeiter beteiligt zu
werden. Zu dieser Stellungnahme fühlen wir uns verpflichtet
zwecks Verteidigung unserer vitalen Interessen, nicht minder aber
im Interesse der Kassen mit ihren Schutzbefohlenen und zur Förde¬
rung des grossen sozialen Reformwerks. Fast hat es den Anschein,
als ob die Gefahren für unseren Stand augenblicklich weniger bei
der Regierung, als bei den Parteien im Lande zu suchen sind. Er¬
kennbar sind sie allerdings erst in einer Richtung, die auf Erweite¬
rung der Zwangsversicherung für weitere Kreise hinzielt. Von einer
* Parteigruppe ist vor kurzem in einem Initiativantrag ein Gesetz ge¬
fordert worden, durch welches zwecks Erhöhung der Leistungsfähig¬
keit die gegenwärtige Zersplitterung des Krankenkassenwesens be¬
seitigt wird, die Versicherungspflicht auf land- und forstwirtschaft¬
liche Arbeiter, auf Dienstboten und die Familienangehörigen der Ver¬
sicherten ausgedehnt wird, der Beitritt zur Krankenversicherung für
Kleingewerbetreibende, Handwerksmeister, Landwirte sowie für
alle Personen mit einem jährlichen Gesamtein¬
kommen unter 3000 M. erleichtert wird, endlich Einigungs¬
kommissionen (Schiedsgerichte) zur Entscheidung von Streitigkeiten
zwischen Kassenärzten und Krankenkassen eingerichtet werden.
M. H.l Ueber die Schäden, die durch die Zersplitterung des Kran¬
kenkassenwesens zurzeit entstehen, haben wir uns in Halle eingehend
unterhalten, auch gegen die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf
die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter, wie die Dienstboten
haben wir Aerzte keine wesentlichen Einwendungen zu erheben,
vorausgesetzt, dass das Verhältnis dieser neuen Kassen zu uns in
korrekter Weise geregelt wird. Warum sollen diese Arbeiter länger
die Wohltaten entbehren, die der industriellen Arbeiterbevölkerung
schon so lange durch die Krankenversicherung zu teil geworden sind?
Und durch die Einsetzung von Schiedsgerichten bezw. Einigungs¬
kommissionen, die sich an vielen Plätzen bereits als ausserordentlich
segensreich erwiesen haben, würde man bei einwandsfreier Zu¬
sammensetzung derselben nur eine alte Forderung der Aerzte er¬
füllen. Wie steht es nun aber mit dem Beitritt zur Krankenversiche¬
rung für Kleingewerbetreibende, Handwerksmeister, Landwirte sowie
für alle Personen mit einem Jahreseinkommen unter 3000 M.? M. H.l
Ueber diesen Gegenstand hat uns Kollege D i p p e im vergangenen
Jahre zur Einleitung der Beratung der Krankenkassen für nichtver-
sicherungspflichtige Personen, der sog. Mittelstandskrank’enkassen,
einen lichtvollen Vortrag gehalten. Nach eingehender Beratung hat
damals der Aerztetag mit grosser Mehrheit die Berechtigung zum
Zusammenschluss nichtversicherungspflichtiger Personen anerkannt,
aber auch einmütig verworfen, dass Aerzte oder Aerztevereine mit
solchen Vereinigungen Verträge bezüglich der ärztlichen Handlung
der Mitglieder abschliessen. Ausnahmen hiervon wurden nur zu¬
gelassen für bereits bestehende örtliche Verhältnisse; doch soll es
nur Aerztevereinen gestattet sein, eine solche Ausnahme zu ge¬
währen. Endlich haben wir den deutschen Aerzten damals dringend
empfohlen, an allen Orten, wo dies nicht bereits geschehen ist, mög¬
lichst bald Schutz- und Trutzbündnisse zu diesem Zweck zu
schliessen. M. H.l Wer sich nur an den Wortlaut des jetzigen An¬
trages an den Reichstag hält, könnte versucht sein, zu glauben, die
Angelegenheit sei mit unserer Stellungnahme im Vorjahre erledigt,
da die Antragsteller ja nur ein Gesetz fordern, durch welches den
bisher Nichtversicherungspflichtigen in dem erwähnten Umfange der
Beitritt zur Krankenversicherung erleichtert wird. Ich bitte aber
doch zu bedenken, dass unsere ganze staatliche Krankenversicherung
auf dem Grundsätze des Versicherungs z w a n g e s beruht. Es wäre
mithin nur folgerichtig, wenn die Reichsregierung, falls sie den Initia¬
tivantrag aus dem Schosse des Reichstages annimmt, ihn der be¬
stehenden Gesetzgebung anpasst. Aber selbst wenn nur eine Er¬
weiterung des freiwilligen Beitritts zur Krankenversicherung zustande
kommen sollte, so wird dies für die Aerzteschaft von der grössten
Bedeutung und von einschneidendster Wirkung sein. Hat man erst
den Grundsatz angenommen, dass der Beitritt auch selbständi¬
ger Arbeiter durch staatliche Massnahmen erleichtert werden soll,
so muss der Staat und seine Organe auch den möglichst zahlreichen
Beitritt solcher Personen wünschen und mit allen erlaubten Mitteln
fördern. Nun haben wir ja auch diesen Punkt im Königsberger Pro¬
gramm geregelt, indem wir verlangt haben, dass die bisherige Grenze
der Versicherungspflicht, die beim Jahreseinkommen von 2000 M.
gezogen ist, nicht überschritten werden soll. Allein es ist doch drin¬
gend notwendig, immer wieder zu betonen, dass wir auch in diesem
Punkt unsere Anschauungen absolut nicht geändert haben. Ich weiss
aber wohl, dass bisher auch unter uns in einzelnen Kreisen eine ge¬
wisse Geneigtheit bestand, in diesem Punkte aus sozialpolitischen
Gründen nachgiebig zu sein. Die Diskussion des Gegenstandes in
den letzten Wochen dürfte aber auch den Anhängern dieses Gedan¬
kens klar zum Bewusstsein gebracht haben, dass ein Nachgeben zur
Vernichtung eines freien Aerztestandes führen muss, ebenso zur
Untergrabung des Vertrauensverhältnisses zwischen Kranken und
Aerzten.
M. H.l Welche Bedeutung in dieser Beziehung schon jetzt die
Zwangsversicherung hat, ist der Oeffentlichkeit und uns selbst erst
einigermassen zum Bewusstsein gebracht, als der Nachweis geliefert
wurde, dass die Statistik des Reiches bezüglich dieses Punktes ganz
unzuverlässig ist, da sie die versicherten Familienmitglieder ganz
ausser Zählung gelassen hat. Nicht Vs oder Ve, sondern fast Va der
Bevölkerung ist schon jetzt im Krankenversicherungsgesetz ver¬
sorgt, also der freien ärztlichen Praxis entzogen. Wohin es aber
führen muss, wenn der Antrag aus dem Reichstag Gesetz werden
sollte, das ist vor Kurzem in unserem Vereinsblatt vorgerechnet
worden an der Hand eines Beispiels, welches sich auf das Ergebnis
der Einkommensteuerstatistik im Königreich Sachsen bezieht. Der
Autor kommt zq dem Endergebnis, dass bei Annahme des Vorschlags
auf Erhöhung der Einkommengrenze der zur Krankenversicherung
Beitrittspflichtigen auf 3000 M. in Sachsen nur 4,7 Proz. aller Per¬
sonen, nur 8 Proz. der städtischen und 4 Proz. der Haushaltungsvor¬
stände auf dem Lande für die freie ärztliche Praxis übrig bleiben
würden. Selbst wenn man zugibt, dass jede Statistik, namentlich
aber eine Voraussage gefährlich und angreifbar ist, so zeigt doch
dieses Beispiel mit erschreckender Deutlichkeit, welchen Zielen man
auf Kosten der Selbständigkeit des ärztlichen Standes, aber auch auf
Kosten der Qualität ärztlicher Behandlung — das letztere selbst bei
gewissenhaftester Pflichterfüllung von seien der Aerzte — entgegen-
steuert. Von der Verstaatlichung der gesamten ärztlichen Tätigkeit
sind wir dann nicht mehr weit entfernt; dann fehlt nur noch die
Wiedereinführung des Behandlungszwanges — und die Hoffnung ge¬
wisser Kreise ist erfüllt.
M. H.l Diesen Ausblick musste ich Ihnen bei Beginn unserer
diesmaligen Tagung eröffnen, damit bis in die entlegensten Ecken
unseres Reiches den Berufsgenossen der Ernst der Lage zum Be¬
wusstsein gebracht wird, damit aber auch die gesamte deutsche
Aerzteschaft sich wie e i n Mann gegen derartige Pläne erhebt, um
das von den Vätern ererbte Kleinod freier Betätigung in unserem
idealen Berufe rein und lauter unseren Nachfolgern zu überliefern.
M. H. Kollegen! Schliessen wir unsere Reihen fest und fester
in dem Bewusstsein, dass an dem Widerstande der geeinigten
deutschen Aerzteschaft solche Pläne zu Schanden werden müssen,
1352
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
in dem Bewusstsein, dass die soziale Reform ohne unsere werktätige
Mithilfe nicht durchgefiihrt werden kann, in dem Bewusstsein, dass
wir mit dieser Stellungnahme dem öffentlichen Wohle dienen.
Möge Segen aus unserer Arbeit erwachsen für uns und die Ge¬
samtheit des Volkes!
Nachdem der gewaltige Beifall, der diesen Worten folgte, sich
gelegt, begriissten Geheimrat Aschenborn namens des preussi-
schen Kultusministers, Minister Freiherr von der Recke als Ober¬
präsident der Provinz, Prof. Dr. Pieper als Rektor der Universität
Münster und namens der Stadt ihr Oberbürgermeister Junge¬
bio d t den Aerztetag mit herzlichem Willkommen. In seiner Er¬
widerung konnte der Vorsitzende mit anerkennender Genugtuung
hervorheben, dass gerade in der Provinz Westfalen und Stadt
Minister die Beziehungen der Aerztevertretung zu den Behörden vor¬
bildlich seien und ein gutes Einvernehmen und volle gegenseitige Un¬
terstützung herrsche.
Sodann dankt er den erschienenen Kollegen, welche Mitglieder
des Reichstages sind und den anwesenden Vertretern der Presse.
Die noch bestehenden Differenzen mit der Presse sind nicht unüber¬
brückbar und werden hoffentlich beigelegt werden.
Hierzu liegt eine von zahlreichen Delegierten eingereichte Inter¬
pellation vor wegen der Vorgänge, welche neuerlich die Presse ver¬
anlassen, keine Berichte über den Aerztetag zu bringen. Der Ge¬
schäftsausschuss beantrage, von einer Beratung der Angelegenheit
als zur Zeit ganz inopportun abzusehen und dem neuen Geschäftsaus¬
schuss weitere Schnitte zu überlassen.
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Weiter gibt der Vorsitzende bekannt, dass vor der Frankfurter
Besprechung von dem geschäftführenden Ausschuss der bayerischen
Aerztekammern ein Entwurf für die Grundsätze der Behandlung von
Kassenstreitigkeiten ergangen sei, welcher nach der Anschauung des
Geschäftsausschusses sich nicht ganz im Rahmen der Beschlüsse der
Aerztetage halte. Im Einverständnis mit dem Vorsitzenden des Aus¬
schusses könne er erklären, dass der Entwurf entsprechende Ab¬
änderungen erfahren werde, damit keine weiteren Differenzen ent¬
stehen können.
II. Zu dem Geschäftsbericht des Generalsekretärs stellt
S t r e f f e r - Leipzig den Antrag, es möge künftighin der Bericht
des Generalsekretärs über die Tätigkeit des Aerztevereinsbundes vor
dem Aerztetag in Druck gelegt und in einer entsprechenden Zahl von
Exemplaren den Vereinen zugesandt werden.
Wird angenommen.
III. Vereinsblatt, Kassenbericht, Kostenvoranschlag. Mitglieder¬
beiträge.
Dem Generalsekretär wird Entlastung erteilt und die Vor¬
anschläge genehmigt.
IV. Bericht der Krankenkassenkommission über die durch den
Antrag Pfalz auf dem 33. Aerztetag in Strassburg veranlasste Um¬
frage über
a) den jetzigen Stand der kassenärztlichen Verhältnisse in
Deutschland,
b) die zur Abwehr etwaiger Schädigung von Aerzten bei Ein¬
führung der freien Arztwahl bewährten Massnahmen.
Hierzu: Anträge des Geschäftsausschusses:
Der 35. Deutsche Aerztetag wolle beschliessen:
I. Der 35. Deutsche Aerztetag hält unverbrüchlich an den Be¬
schlüssen des 30. (Königsberger) Aerztetages, welche die Bestellung
der Kassenärzte, die Art ihrer Honorierung und die Versicherungs¬
grenze betreffen, fest, und erklärt:
Eine befriedigende Lösung der Kassenarztfrage kann nur dann
erfolgen, wenn durch das Gesetz bestimmt wird, dass
1. die Rechte und Pflichten der Kassenärzte einer Krankenkasse
durch Vereinbarungen zwischen der Kassenverwaltung und einer
dazu befugten ärztlichen Vertretung (Aerztekammer, Vertragskom¬
mission, Aerzteausschuss) festgestellt werden, und jeder in Deutsch¬
land approbierte Arzt zur Kassenpraxis bei jeder Krankenkasse, in
deren Geschäftsgebiete er wohnt, zugelassen werden muss, sofern
er sich vorher zur Beobachtung dieser Vereinbarungen ver¬
pflichtet hat;
2. jedem Kassenmitgliede, das ärztliche Hilfe notwendig hat,
die Wahl unter diesen Aerzten freisteht;
3. paritätische Einigungskommissionen zur Entscheidung von
Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Kassenärzten geschaffen
werden.
II. Der Geschäftsausschuss wird ersucht, obigen Beschluss ein¬
schliesslich des einschlägigen Materials dem Herrn Reichskanzler
persönlich zu überreichen und dabei die Bitte auszusprechen, dass
Vertreter des Deutschen Aerztevereinsbundes zur Mitarbeit an den
Vorbereitungen der Vorlage betr. die Abänderung des Krankenver¬
sicherungsgesetzes zugezogen werden.
III. 1. Sowohl zur Vorbereitung der Einführung, wie zur Ab¬
wehr wirtschaftlicher Nachteile für die beteiligten Aerzte bei der
Einführung der freien Arztwahl empfiehlt sich die Vereinbarung von
Entschädigungsgarantien überall, wo ärztliche Organisationen irgend¬
welcher Art als ihre Träger bestehen oder gebildet werden können.
2. Die Garantie hat sich nur auf das Einkommen aus der Be¬
handlung von Krankenkassenmitgliedern in dem der Einführung freier
Arztwahl vorhergehenden Jahre zu beziehen ohne Rücksicht auf zu¬
künftige mögliche Erhöhungen.
3. Träger der Garantie sind sämtliche an der freien Arztwahl
beteiligten Aerzte eines Kassenbezirkes (bisherige und neu zu¬
ziehende).
Referent P f a 1 z - Düsseldorf : Der Ausspruch des Grafen Po-
sadowsky im Jahre 1903, die Aerztefrage sei brennend, aber nicht
spruchreif, war eine befreiende Tat, da er zeigte, dass unsere Hoff¬
nung auf die gesetzlichen Faktoren vergeblich sei und da er zu den
einstimmigen Kundgebungen der späteren Aerztetage geführt hat.
Die deutschen Aerzte haben fiir ihre Opferfreudigkeit keinen Lohn
geerntet, das wirtschaftliche Niveau ist gesunken, die Zahl der hilfs¬
bedürftigen Invaliden, Witwen und Waisen ist im steten Anwachsen.
Und so kam der Kampf, dem im Interesse der Humanität möglichst
bald ein Ende gemacht werden soll, dazu bedarf es aber noch immer
der Kampfbereitschaft. Die von dem Leipziger Verband veran¬
stalteten Erhebungen haben reiches Material ergeben, vor allem be¬
weisen sie die gewaltigen Fortschritte der freien Arztwahl, die in
vielen Orten zur Einführung gekommen ist. Was dort möglich war,
ist auch anderswo möglich; es gibt keine, auch keine staatliche Kasse,
bei der die freie Arztwahl nicht zur vollen Zufriedenheit aller Be¬
teiligten möglich wäre. Aber es scheint für die Blume der freien
Arztwahl nicht überall der Boden und das Klima gut zu sein und es
gibt auch Schädlinge. Es gibt noch manchen Widerspruch. Bei den
Bahnärzten muss das Gespenst der Betriebsunsicherheit herhalten,
im oberschlesischen und Bochumer Gebiet widerstreben die Knapp¬
schaftsärzte. Die in diesen Gebieten veranstalteten Umfragen haben
aber eigentlich nur erfreuliche Resultate für die freie Arztwahl er¬
geben.
Die Vorwürfe, welche der freien Arztwahl gemacht werden, die
teuere Verordnungsweise und zu nachsichtige Beurteilung der Ar¬
beitsfähigkeit sind die Folge mangelhaften Pflichtgefühls und unge¬
nügender Erziehung, sie sind aber ebenso und am schlimmsten beim
Monopolsystem der fixierten Aerzte, wie sich an Beispielen zeigen
lässt. Jedenfalls lassen sich alle Missstände leicht abstellen. Was
nun die Bestrebungen zur Einführung der freien Arztwahl betrifft,
so ist das Prinzip, schonend vorzugehen, wohl anzuerkennen, aber
mit Halbheiten kommen wir in eine Sackgasse. Die Methode des
Abwartens ist falsch, grundfalsch. Die Direktiven führen zur Ver¬
sumpfung und daher ist der Standpunkt der bayerischen Aerzte¬
kammern befremdlich. Manche Gefahr droht der Einigkeit der Aerzte.
Es ist nicht zu verdenken, wenn der vermehrte Zuzug junger Aerzte
bei freier Arztwahl Unwillen erzeugt bei denen, die sie erkämpft
haben und sehen, wie die fixierten Kassenärzte nur um so sicherer in
ihren Pfründen sitzen. Dazu kommt die vermehrte Konkurrenz
durch die erneut ohne Befragen der Aerzte erleichterte Zulassung
zum ärztlichen Studium; der Wettlauf der Parteien um die Gunst der
Massen will uns dafür neue Lasten aufpacken. Daher müssen alle
zusammenstehen, der Schlange der Zwietracht muss der Kopf zer¬
treten werden, nur auf dem Boden der freien Arztwahl kann unser
Stand gesunden.
Die freie Arztwahl verlangt aber Opfer. Wer soll sie tragen?
Die Nachteile und Einbussen dürfen nicht unbilligerweise nur die
fixierten Aerzte treffen, sie müssen sich in erträglichen normalen
Grenzen halten, sonst wird die Opposition nur verschärft. Sicher
sind jedenfalls die fixierten Einkommen nicht und mehr Sicherheit
bietet die freie Arztwahl, bei der die Tüchtigen auch nicht verlieren.
Eine gewisse Opposition ist verständlich, aber die Mittel die zum
Teil gebraucht wurden, sind nur zu verurteilen. Diese Erkenntnis
muss kommen, sonst ist eine reinliche ehrliche Scheidung
das Bessere. Das Beste ist die Schaffung von Garantien
für Erhaltung des Einkommens in bestimmten Grenzen; wobei
natürlich, ebenso wie bei einem fixierten Arzt, nicht dau¬
ernd dasselbe Einkommen bleiben kann, sondern eine Ab¬
stufung eintreten muss und wobei auch nur das kassen¬
ärztliche Einkommen zu sichern ist. Bestimmte Normen lassen sich
nicht geben und es werden oft lokal die weitesten Rücksichten ge¬
übt werden, unter Umständen sogar lebenslängliche Garantien not¬
wendig sein. An vielen Orten hat sich die Einrichtung bereits
durchaus bewährt. Wenn der Ausgleich unter den Kollegen ohne
solche Einkommensgarantie möglich ist, um so besser; die Garantie
soll aber kein Almosen bedeuten, das anzunehmen selbstbewussten
Männern unwürdig wäre, es soll ein Abkommen sein, dessen sich
niemand zu schämen braucht. Dabei kann der ganze Stand nur ge¬
winnen, die Einmütigkeit der Kollegen, die fruchtbringende Zusam¬
menarbeit mit den Kassen nur gefördert werden. Glückauf!
Der Vorsitzende schlägt vor die bereits früher wiederholt ange¬
nommenen Sätze I und II nicht mehr im einzelnen zu diskutieren.
Da sich Widerspruch geltend macht, muss diese Einzelberatung
stattfinden.
M e r mla n n - Mannheim: Die Durchführung der freien Arzt¬
wahl in Mannheim hat allgemein den grössten Segen gebracht, obwohl
auch dort die Aerzte nicht besondere Engel sind. Die bestehenden
Direktiven werden missverständlich aufgefasst, nie haben sich die
Anhänger der freien Arztwahl, sondern nur die Gegner darauf be¬
zogen; sie bedürfen der autoritativen Auslegung, damit nicht die Zu¬
stimmung jedes einzelnen Arztes verlangt werden muss, sondern dfe
Mehrheit der an der freien Arztwahl interessierten Kollegen genügt.
Jedenfalls ist die Sicherheit des Besitzes für die fixierten Stellen nicht
gross.
K ö n i g s h ö f e r - Stuttgart: Die Befürchtungen der Kassen¬
matadoren haben sich bei uns nicht erfüllt, die verdienen eher mehr.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1353
bei weniger Arbeit. Nun liegt ein Antrag der Postbetriebskasse auf
Einführung der Familienversicherung vor, das spricht gewiss für die
Bewährung der freien Arztwahl. Ferner ist ein Revisionsarzt auf-
gestellt worden, den die Aerzte wählen und die Kasse zahlt.
M a y e r - Fiirth: Der besprochene Entwurf der bayerischen
Aerztekammern hätte das Aufsehen nicht verdient und der Referent
hätte ihn besser nicht erwähnt. Es ist eine rein lokale Angelegenheit,
die Ausführung lang gefasster Beschlüsse. Es ist nur ein Vorschlag
zur weiteren Beratung und da habe ich eine Direktive des Aerztetages
nach dem Gedächtnis hereingenommen, es handelt sich um das Ein¬
verständnis „aller“ Beteiligten. Um Missverständnisse zu vermeiden,
sind wir gerne bereit den Entwurf nochmals zu revidieren. Aber man
hat vor allem gesucht uns damit am Zeug zu flicken und einen Strick
zu drehen. Die bayerischen Aerztekammern stehen voll und ganz
auf dem Boden der Aerztetagsbeschliisse, sie werden auch vor den
Bahnärzten nicht zurückschrecken. Aber wir müssen vermitteln,
können nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen. Die schwere
Frage ist das Recht der Minorität und schwer zu entscheiden, welche
Minoritäten sich fügen müssen. Ich und meine Freunde gehören zu
den verlässigsten Stützen des Leipziger Verbandes, alles andere ist
Legendenbildung und Mache.
Fernbacher - Zauckerode wendet sich gegen die zwangs¬
weise Einführung der freien Arztwahl und den Ton der ärzt¬
lichen Mitteilungen; viele Kollegen sind mit Vorbehalt im L. V.,
jedenfalls nicht eingeschworen auf die freie Arztwahl. Vielfach, wie
in der Heimat des Redners, herrschen besondere Verhältnisse und
werden die Kollegen durch die freie Arztwahl geradezu zum An¬
schluss an die Umsturzpartei gezwungen; einer der dortigen Kol¬
legen zahlt einen beträchtlichen Beitrag zur sozialdemokratischen
Parteikasse.
G o e t z - Leipzig: Solche sozialdemokratische Kollegen schaden
nicht viel, das Publikum sieht bald, dass ein solcher trauriger Mensch
auch ein trauriger Arzt ist. Die grösste Gefahr liegt in dem Streben
aller Parteien nach der Gunst. Wenn der Antrag, die Einkommen¬
grenze von 2000 auf 3000 Mk. hinaufzusetzen durchdringt, geht die
Freiheit der Aerzte zu Grunde. Dagegen kann uns dann nur der
Generalstreik schützen. Man wird sich aber hüten, die Probe auf
das Exempel zu machen.
R e i c h e 1 - Chropaczow: Wir sind im Prinzip nicht gegen die
freie Arztwahl, aber das was schriftlich und mündlich versprochen
wurde, soll gehalten und nicht durch Unlogik in das Gegenteil ver¬
wandelt werden. Man soll auch uns die bona fides Zutrauen. Artikel
wie der grosse Artikel gegen das Bochumer Komitee in den „Mit¬
teilungen“ sind keine Ehre für den ärztlichen Stand. Man muss
auch verschiedene Ansichten dulden. Die freie Arztwahl bringt auch
nicht alle erwarteten Vorteile, weder die soziale Hebung unseres
Standes, auch die Kranken wählen doch nicht den Arzt ihres Ver¬
trauens. Es ist beleidigend für die festangestellten Aerzte, wenn
man sagt, die freie Arztwahl schaffe eine bessere Versorgung der
Kranken. Das Pointsystem ist ein ganz schandbares und schafft un¬
anständige Kollegen. In Oberschlesien gibt es, trotz aller Einwände,
eine ernste Polenfrage, die einen schweren Kampf der deutschen
Aerzte mit sich bringt. Bei freier Arztwahl können wir alle in Pen¬
sion gehen, dann nehmen die Polen nur polnische Aerzte, und diese
sind wie die Geistlichen und Rechtsanwälte die Offiziere der Polen¬
bewegung. Bei der Umfrage unter den Aerzten in Oberschlesien
haben von 500 300 abgestimmt, die übrigen waren Knappschaftsärzte.
R o t h m a 1 e r - Gerbstädt: Die Knappschaftsärzte können nicht
alle in einen Topf geworfen werden. Ich bin der Ansicht, dass bei
den Knappschaften keine anderen Verhältnisse sind als bei anderen
Kassen.
L öwe n st e in -Elberfeld: Alle Einwände gegen die freie Arzt¬
wahl: Betriebssicherheit, nationale Gefahr, sozialdemokratischer Ein¬
fluss usf. sind widerlegt. Aber es besteht ein Widerspruch zwischen
den Resolutionen der Aerztetage und dem Verhalten zu Hause. Der
Geschäftsausschuss hätte in seinen Direktiven die Einführung der
freien Arztwahl bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fordern müssen.
Sonst kommen wir nicht weiter. In Elberfeld ist alles gut geordnet
worden, auch bei der Eisenbahn eine, wenn auch beschränkte freie
Arztwahl. Zu den Orten mit freier Arztwahl kommen zu wenig neue
hinzu, da wäre das Beste eine reinliche Scheidung und der offene
Kampf mit den Knappschaften.
B a u e r - München begriisst die Aussprache, bisher seien die
Gegner der freien Arztwahl auf den Aerztetagen zu wenig zum Wort
gekommen. Ihre Gegengründe sind 'aber lauter alte Ladenhüter.
Wenn Mayer bestreite, dass sein Entwurf gegen den L. V. ge¬
richtet sei, so bedeute er doch tatsächlich eine schwere Schädigung
desselben. In München sei trotz der bestehenden Organisation ein
unerquicklicher Kampf entstanden, da man das Einverständnis aller
Beteiligten und die Berücksichtigung der Minorität verlangte. Ucber-
all ist die Majorität das entscheidende und muss die Minorität parieren,
sonst entsteht ein gefährlicher Zustand. Unter Umständen ist eine
reinliche Scheidung notwendig, denn in Lebensfragen sind nicht
zwei Meinungen möglich. Wenn einige hundert Mitglieder aus dem
L. V. austreten, wird er eine kompakte Masse, man braucht die
Spaltung nicht zu fürchten, eine Krisis wird den Verband stärken.
M u n t e r - Berlin: Jeder Fortschritt hat auch Schattenseiten,
aber die Missstände lassen sich in der freien Arztwahl leicht be¬
seitigen und sie hat sich in Berlin tatsächlich bei allen Arten von
Kassen bewährt. Das Gedeihen der Kassen hängt nicht vom Arzt¬
system ab. Die Bewegung für die freie Arztwahl beruht auf ethischen
Gründen und jedenfalls ist bei ihr die Schamlosigkeit der Stellen¬
bewerbungen unvergleichlich eingeschränkt worden. Unser Ver¬
hältnis ,zu den politischen Parteien ist nicht ungünstig, wir hängen
keiner Partei an den Rockschössen, keine ist entschieden für, keine
gegen die freie Arztwahl. Deren gesetzliche Festlegung liege, ent¬
gegen seiner früheren Auffassung, im Interesse der Allgemeinheit wie
der Aerzte.
H a k e r - Berlin: Man kann verschiedener Ansicht sein über die
gesetzliche Einführung der freien Arztwahl, aber es ist nur eine Frage
der Zeit, ob unsere Organisation so stark ist, um das Gesetz diktieren
zu können. Zur Zeit ist eine Stockung in der Bewegung für die freie
Arztwahl, da der Ausbau des Verbandes zu zaghaft ist. In wirt¬
schaftlichen Fragen muss die Abstimmung Gesetz sein, dem sich jeder
zu fügen hat. Der Aerztevereinsbund ist ein wirtschaftlicher Ver¬
band, er soll aussprechen, die freie Arztwahl ist bei allen Kassen mit
allen Mitteln durchzuführen. Die Herren, die dagegen sind, haben
stillschweigend zu gehorchen oder die Konsequenzen zu ziehen. Die
Direktiven sind schärfer zu fassen und der Verband muss das Recht
haben, den Gehorsam für die Majoritätsbeschlüsse zu erzwingen. Das
sei die letzte Warnung an die Herren, die die Einigkeit immer er¬
schüttern.
Ein Antrag auf Schluss der Debatte wird abgelehnt.
Ei e r m a n n - Frankfurt a. M. protestiert dagegen, wenn man
einen depravierenden Einfluss der freien Arztwahl auf die Kollegen
behauptet. Wenn überhaupt ein System demoralisiert, ist es das der
fixierten Stellen. Wenn das Pointsystem zu Polypragmasie verführt,
ist die Verlockung bei den Mindestsätzen noch grösser. Reichel
habe zum Anfang und zum Schluss' der freien Arztwahl im Prinzip
zugestimmt, dazwischen aber auf die ärgste Weise mit Scheingründen
gegen dieselbe gesprochen.
B e c k h a u s - Wattenscheid: Es besteht keine Aussicht, jemand
für oder gegen die freie Arztwahl zu überzeugen. Man muss aber
an die verschiedenen ausdrücklichen Versicherungen erinnern (Redner
verliest einige Belegstellen), mit denen der Aerztevereinsbund und
Leipziger Verband die Knappschaftsärzte zu beruhigen suchte und die
Gründung eines Knappschaftsärzteverei'ns als unnötig erklärte, da
keine Rede davon sei, dass den Knappschaftsärzten die freie Arzt¬
wahl drohe. Glauben Sie, dass wir heute noch glauben, die freie
Arztwahl droht uns nicht? Die grosse Zahl der Anwesenden hat wohl
den Wunsch, die Direktiven abzuschaffen, zu modifizieren und als
veraltet zu erklären. Auch die Forderung der gesetzlichen Fest¬
legung der freien Arztwahl spricht dafür. Man sagt, die Knapp¬
schaftsärzte sind so wenige, man hat nicht nötig Rücksicht auf sie
zu nehmen, die nur aus Eigensucht und Angst vor Nachteilen an ihrer
Stelle festhalten. Es wäre ein Trugschluss, anzunehmen, dass die
Knappschaftsärzte, weil sie allein sich äussern, die einzigen Gegner
der freien Arztwahl wären.
Inwieweit die Bahnärzte reden wollen bei der heutigen Stimmung,
weiss ich nicht; auch auf dem Lande und in kleinen Städten be¬
stehen Bedenken gegen die freie Arztwahl. Wie sollen alle diese
Leute ihre Auffassung zur Geltung bringen, sie sind zum Teil auch
ängstlich wegen der Verpflichtungsscheine und Drohungen. Der
Aerztetag gibt jedenfalls kein richtiges Bild, zumal hinter manchen
Delegierten in Wirklichkeit nur ein Drittel oder Viertel ihrer Stimmen
steht. Objektiv Hesse sich die wahre Stimmung nur durch eine Um¬
frage bei allen Aerzten feststellen, ob sie für eine gesetzliche Ein¬
führung der freien Arztwahl wären. Der bisherige Standpunkt, dass
jede Majorisierung einigermassen in Betracht kommender Minoritäten
zu vermeiden ist, hat viele vom offenen Auftreten bisher abgehalten.
Dass die Polenfrage nicht ganz zu übergehen ist, geht auch aus einem
Schreiben Hartmanns hervor. Hervorzuheben ist noch, dass im
Bochumer Bezirk bei der grössten Knappschaftskasse nur die Männer
versichert sind, für die Familien aber eine der freien Arztwahl fast
ganz gleichwertige Einrichtung besteht/ Es wäre sehr zu bedauern,
wenn es heute statt zu einer Verständigung, zu einer Scheidung
käme und alle Bemühungen zusammenzuarbeiten, vergeblich wären.
Ich habe gesprochen nach dem Wort Gerad aus, das ist West¬
falen Brauch.
Ein Schlussantrag wird abgelehnt.
Müll er -Hagen i. W. : Wenn die Direktiven von 1903 schonend
waren, ist es begreiflich, inzwischen hat sich aber vieles geändert
und in manchen Bezirken ist die freie Arztwahl eingeführt. Diese haben
ein Recht, das gleiche auch anderswo zu fordern, damit die jungen
Aerzte überall Unterkommen können. Was geht es uns an, ob
polnische Aerzte da oder dort auftreten, wir müssen das hinnehmen
und in polnische Bezirke gehören auch polnische Aerzte. Ich bin
nicht nur für reinliche Scheidung, sondern für ein aggressives Vor¬
gehen gegen die Widerstrebenden; der Erfolg wird kommen und die
Fluten werden über sie wegschlagen.
Bloch -Leuthen: Die Auffassung Reichels besteht noch
bei vielen. Es ist immer die Rede von Versprechungen, nicht aber
davon, dass die Direktiven nur bis zur gesetzlichen Einführung der
freien Arztwahl gelten, sie sind nur eine Aushilfe. Die polnischen
Aerzte .haben genau die gleichen Rechte wie die Deutschen, die Ab¬
sperrung hat die Bewegung nur verschärft. Die westfälischen Indu-
1354
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
striemagnaten ziehen ja die Polen selbst aus Oberschlesien in die
deutschen Landesteile. Die Hinaufsetzung der Versicherungsgrenze
auf 3000 M. kann gegen andere Kompensationen wohl zugestanden
werden.
Wentscher-Thorn: Die Polenfrage existiert und bezüglich ihrer
nationalen Seite stehe ich auf dem Bismarckschen Programm. Aber
in kollegialem umd wissenschaftlichem Sinne hat sie keine Bedeutung.
Mit der freien Arztwahl hat sie nichts zu tun. Es wäre schlecht,
wenn die polnischen Aerzte, die bei uns im besten Verhältnis mit
ans stehen, in die Opposition getrieben würden. Nicht jeder .polnische
Arzt ist ein Agitator. An der Schwelle unserer Organisation haben
nationale und politische Gegensätze aufzuhören. Nur am guten
Willen ist alles gelegen.
Es liegt ein Antrag Reichel vor, dahingehend, dass die richtige
Lösung der sogen. Kassenarztfrage die freie Arztwahl bedeutet, es
soll aber in Anbetracht der verschiedenen lokalen Verhältnisse den
einzelnen Aerzteverbänden die Entscheidung überlassen bleiben. Ein
Schlussantrag wird angenommen.
Pf alz -Düsseldorf wendet sich im Schlusswort gegen die
Geneigtheit, in der Versicherungsgrenze Zugeständnisse zu machen
und zur fortwährenden Ausdehnung der Versicherung die Hand zu
bieten.
Bei der Abstimmung erhält der Antrag Reichel 8 Stimmen.
Die These I wird mit allen gegen 5, die These II mit allen
gegen 3 Stimmen angenommen.
Diskussion über These III (Entschädigungsgarantie).
S c h ö n h e i m e r - Berlin: Eine Uebereinstimmung der An¬
schauungen besteht noch nicht. Eine Garantie ist nur dort möglich,
wo eine grosse Honorarerhöhung gelungen ist und man darf die Mög¬
lichkeit nicht überschätzen, durch solche Garantien die Gegner zu
gewinnen. Ich bin ein Gegner der grundsätzlichen Festlegung; wo
es durchzuführen ist, da bin ich einverstanden.
Sternberg - Berlin vermisst nähere Bestimmungen wie es
gehalten werden soll, je nach dem die freie Arztwahl auf Beschluss
der Kasse oder auf gesetzlichem Weg oder durch freiwilligen Ver¬
zicht der bisherigen Aerzte eingeführt wird. Eine Entschädigung ist
nur im letzteren Falle angezeigt. St. beantragt in Ziffer 1 einzu¬
schalten: „bei der durch freiwilligen Verzicht ermöglichten Ein¬
führung der freien Arztwahl“; ferner in Ziffer 2: „Voraussetzung für
die Entschädigung ist die weitere gleichartige kassenärztliche Tätig¬
keit des zu Entschädigenden“; und in Ziffer 3: „nur bis zur Höhe
ihres kassenärztlichen Einkommens“.
E i e r m a n n - Frankfurt a. M.: Die Entschädigung soll nur da
erfolgen, wo sie verlangt wird. Vieles kommt auf die lokalen Ver¬
hältnisse an ; daher kann die Vereinbarung nur empfohlen werden.
Die Garantie kann nur die Belohnung des freiwilligen Ver¬
zichtes sein. Nur solche Kollegen haben Anspruch, die in der Kassen¬
praxis Weiterarbeiten.
P f a 1 z -Düsseldorf im Schlusswort: Voraussetzung Ist die frei¬
willige Organisation. Bei gesetzlicher Einführung der freien Arzt¬
wahl fällt die Garantie weg, daher sollen die Aerzte in fixierten
Stellen die Gelegenheit bei Zeiten ergreifen. Es soll kein Kollege
Schaden leiden, sondern es soll eine Art Versicherung geschaffen
werden; hier ist ein weites Feld für die Organisationsarbeit.
Die Thesen werden angenommen mit den Zusätzen Stern-
b e r g s.
Antrag J a k s - Thüngen: In besonderer Berücksichtigung der
ländlichen Verhältnisse anerkennt der 35. Deutsche Aerztetag die Not¬
wendigkeit der obligatorischen staatlichen Krankenversicherung der
landwirtschaftlichen Arbeiter und Dienstboten. Er lehnt dagegen die
Einbeziehung der selbständigen Landwirte in die obligatorische staat¬
liche Krankenversicherung ab.
Nach kurzer Begründung durch den Antragsteller und kurzen
Diskussionsbemerkungen (Munter, D ü r e n f <u r t h und Eisfeld)
wird beschlossen, den Antrag an die Krankenkassenkommission zu
überweisen.
V. Wahl des Geschäftsausschusses.
Gewählt wurden: Loebker mit 20 801 Stimmen, Dippe mit
18 975, Pfeiffer mit 18 935, H a r t m a n n - Leipzig mit 18 670,
Wentscher mit 17 514,. Herzau mit 17 374, Mugdan mit
17 075, Lent miit 17 032, W i n k e 1 m a n n mit 16 572, K a s 1 1 mit
14 291, Königshöfer mit 12 595, May er- Fürth mit 10 260
Stimmen.
22. Juni. Beginn der Sitzung 9 Uhr.
VI. Bericht der Lebensversicherungskommission über die Revision
der zwischen dem Deutschen Aerztevereinsbunde und dem Verbände
deutscher Lebensversicherungsgesellschaften bestehenden Verein¬
barungen.
L e n t - Köln als Referent: Im Gegensatz zu dem gestrigen Be¬
ratungsgegenstand ist dieser minder wichtig; der Ausschuss will nur
Fragen vorlegen, welche Wege weiterhin einzuschlagen sind. Die
seit langem bestehenden Vereinbarungen sind von einzelnen Gruppen
von Aerzten verletzt worden und es wurde schon seit längerem an
einer Revision der Honorarsätze sowie der Formulare gearbeitet. Die
diesbezüglichen Vorschläge der Kommission fanden zwar die Zustim¬
mung de<> Geschäftsausschusse's, anderseits aber lebhaften ‘Wider¬
spruch, so dass eine neue Beratung stattfinden musste. Das haus¬
ärztliche Zeugnis ist nun sehr vereinfacht, auch das Formular für das
vertrauensärztliche Zeugnis ist verbessert worden. Doch genügt das
vielen Aerzten nicht, die auf das Risiko des Hausarztes, auf die ge¬
änderten Lebensverhältnisse, die bereits verschiedentlich bezahlten
höheren Honorarsätze verweisen. Die Gesellschaften erklären da¬
gegen Honorare, die eine Erhöhung auf das Doppelte bedeuten, nicht
zahlen zu können. Nun wurde auch von einer allmählichen Honorar-
erhöhung gesprochen; jedenfalls wäre es zu bedauern, wenn Wege
eingeschlagen würden, um die bisherige hohe Gesamtsumme
für Zeugnisse künftig nur einzelnen zuzuwenden. Eine nochmalige
Kommissionsberatung komme jedenfalls in Betracht; eine andere
Frage ist die der Vertragsfähigkeit and die, ob alle Vereine, die sich
nicht fügen wollen oder bis jetzt schon nicht fügten, aus dem Vereins¬
bund auszuscheiden hätten. Ein Abkommen, das nicht gehalten wird,
hat keinen Sinn.
Hierzu liegen vor:
a) Antrag der Berliner Vereine: Das Honorar für hausärztliche’
Atteste auf 10 M. zu erhöhen und falls die Lebensversicherungsgesell¬
schaften das ablehnen, den Vertrag mit den Gesellschaften zum näch¬
sten zulässigen Termin zu kündigen.
b) Antrag Löwenstein: Für die Aufnahmeatteste der Ver¬
trauenärzte sind mindestens 15 M., für hausärztliche Atteste 10 M. zu
verlangen.
Event.: Bei Ablehnung des Antrages sollen nach Kündi¬
gung des Vertrages dem Leipziger Verband die weiteren Verhand¬
lungen und der Abschluss eines neuen Vertrages übertragen werden.
c) Antrag Bergeat und Gen.: Der Aerztetag beschliesst, die
Angelegenheit an die zu erweiternde Kommission zu überweisen mit
dem Aufträge, weiter zu verhandeln unter der Grundbedingung einer
Erhöhung der bestehenden Honorare.
Alexander - Berlin betont nach einem kurzen Rückblick über
die Entwicklung der Sache, dass 10 M. der einzig zulässige Satz für
hausärztliche Atteste sei. Diese hätten zweifellos den Charakter be¬
gründeter Gutachten. Die Gesellschaften wollen eine Begründung von
Erklärungen, die nur auf Grund von Beobachtungen von Berufswegen
abgegeben werden können . Aus den 8 Fragen des Formulars werden
bei näherer Prüfung deren 22. Damit ist die Honorarfrage gelöst,
denn die Gebührenordnung verlangt für solche Gutachten 9 — 30 M.
Der Satz von 10 M. bedeutet daher ein gewaltiges Entgegenkommen.
Man darf nicht die Mühewaltung und den Zeitaufwand zum Mass¬
stab nehmen. Die Verantwortung ist so gross, dass auch mit 10 M.
bei weitem nicht der Schaden ausgeglichen wird, den wir unter Um¬
ständen als Folge zu tragen haben. Es fragt sich, ob cs überhaupt gut
ist, solche Atteste auszustellen. In Betracht kommt die veränderte
Lebensführung; wir können bei weniger Bemittelten nicht die Hono¬
rare erhöhen, wenn wir nicht dasselbe bei den durchaus zahlungs¬
fähigen Versicherungsgesellschaften tun. Auf diese haben wir keine
Rücksicht zu nehmen. Ihre Prosperität ist bekannt, wenn nötig, sollen
sie die Prämien erhöhen. Wollen sie versuchen, die hausärztlichen
Atteste abzuschaffen, so müssen sie doch bald wieder zu ihnen zu¬
rückkehren. Jedenfalls haben sie mit ihrer Ablehnung noch nicht das
letzte Wort gesprochen.
Löwenstein - Elberfeld betont besonders die Notwendigkeit,
die vertrauensärztlichen Honorare zu erhöhen aus den bereits geltend
gemachten Gründen. Im übrigen glaube er, man solle die Festsetzung
der Taxen den einzelnen Organisationen überlassen. Wenn der Ab¬
bruch der Verhandlungen erfolgt, möge dem Leipziger Verband die
Angelegenheit übertragen werden.
Bergeat - München: Der Aerztliche Bezirksverein Bezirksamt
München und Neue Standesverein Münchener Aerzte haben 5 M. für
ein genügendes Honorar für die hausärztlichen Atteste erachtet, so¬
fern das vorgelegte Formular eingehalten wird; wird die Beantwortung
weiterer Fragen verlangt, so soll eine Erhöhung auf 10 M. erfolgen.
Das vertrauensärztliche Zeugnis soll mit 15 — 20 M. bezahlt werden.
Nun stehen sich drei Meinungen gegenüber, die extreme Berliner For¬
derung, unser Mittelweg und die Ablehnung der Versicherungsgesell¬
schaften. Ein Beweis für die Richtigkeit der Honorarsätze lässt sich
nicht führen, aber wünschenswert wäre es, wenn ein Vertrag auf
mittlerem Boden zustande käme, daher empfiehlt sich der vor¬
liegende Antrag als Kompromiss zur Erzielung eines Einverständ¬
nisses.
K r a f t - Strassburg: Die Berliner legen das Hauptgewicht auf
das hausärztliche, die Süddeutschen auf das vertrauensärztliche
Zeugnis. Wir Elsässer wollen beides. Die Gesellschaften sind leicht
in der Lage, die Mehrkosten, die im Verhältnis zu den Gesamtakqui¬
sitionskosten sehr gering sind, zu tragen. Wäre das nicht der Fall,
so könnte man überhaupt kein Vertrauen mehr zu ihnen haben. Die
Gesellschaft Viktoria soll allein an Tantiemen 533 000 M. bezahlen.
Schliesslich wird es auch den Münchenern nicht weh tun, wenn sie
10 M. für das hausärztliche Zeugnis bekommen.
B a u e r - München stellt fest, dass der Bezirksverein München
auf dem Boden des Berliner Antrages steht.
Ein Schlussantrag wird abgelehnt.
Bu derath -Bottrop bespricht die vielen Umstände, die man
mit den Untersuchungen hat, die Gefahr des Verlustes der Hausarzt-
steilen, wünscht die Abschaffung der „Vertrauensärzte“ überhaupt.
Die ausländischen Gesellschaften zahlen überhaupt höhere Sätze. Man
solle den lokalen Vereinigungen die Taxe überlassen und nur die
Minimaltaxen festlegen.
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1355
D i p p e - Leipzig erkennt als Grund zur Honorarerhöhung nur
die Steigerung aller Preise an. Unrichtig ist, dass die Gesellschaften
begründete Gutachten wünschen. Das Gegenteil ist der Fall.
Gutachten sind die hausärztlichen Atteste ja, aber sie sind meist
mit 5 M. reichlich bezahlt, z. B. wenn ein Kollege aus der Sommer¬
frische antwortet, er könne das Attest natürlich nicht ausstellen, die
5 M. behalte er für Störung seiner Sommerfrische. Da wären 10 M.
aber doch wohl etwas zu viel. Ein grosser Teil der Atteste enthält
nichts und ist ganz wertlos. Kompliziertere Auskünfte wurden schon
immer höher bezahlt. Gegen die Gefahr, die Hausarztstelle zu ver¬
lieren, bieten auch 10 M. keinen Schutz. Wenn die Berliner jetzt
schon 10 M. bekommen, rechtfertigt das noch nicht den Zwang, dass
alle deutschen Aerzte so viel verlangen müssen. Auf diesem Wege
bekommen wir keinen Vertrag; die Welt geht dann nicht unter, ob es
aber wünschenswert ist und ob dann die Gesamteinnahmen der Aerzte
wachsen, ist doch fraglich. Dann wird die Einigkeit gestört und da
und dort werden doch Beziehungen zu geringeren Sätzen angeknüpft.
Man soll den Gesellschaften Zeit lassen und event. sich mit einer all¬
mählichen Steigerung begnügen.
P f e i f f e r - Weimar ; Es muss auffallen, dass niemand von der
Vertragsfähigkeit spricht. Es steht mehr auf dem Spiel als die paar
Mark, die Zukunft unserer Organisation. Mit 5 M. ist die geringe
Arbeit genügend bezahlt. Die Art, wie der Berliner Antrag zustande
kam, ist bedenklich, es ist nicht loyal gewesen, vor dem Aerztetag mit
demselben an die Vereine zu gehen, von denen natürlich viele mit¬
getan haben. Die Kraftprobe des Fünfzehnerausschuss, der dem
Aerztetag seinen Willen diktieren will, ist bedenklich; es kann ein
verhängnisvoller Zwiespalt entstehen. Mit Mühe und Not ordnen wir
in unseren Reihen unsere Differenzen, nun stören Sie hier die Möglich¬
keit zu Kompromissen und Tarifverträgen für die ganze Zukunft.
Wegen solcher Lappalien dürfen Sie nicht solche Konsequenzen her¬
beiführen und eine Machtfrage mit den Lebensversicherungen und dem
Geschäftsausschuss forcieren.
F r a n z - Schleiz: Die Angelegenheit ist nicht zu wichtig; auf
die hausärztlichen Zeugnisse könnten wir am besten ganz verzichten,
aber wir schaden doch auch manchem Patienten, wenn wir ihm das
Zeugnis verweigern. Wir sollen heute keine Tarife festlegen, sondern
nur eine Erhöhung verlangen, entsprechend dem Anträge B e r g e a t.
Gut wird es sein, dem Leipziger Verband die Angelegenheit zu über¬
tragen.
S t r e f f e r - Leipzig: Es besteht, wenn kein Vertrag zustande
kommt, die Gefahr der Anarchie und die Gefahr der Versicherungs¬
ärzte im Hauptamt, was der Leipziger Verband perhorreszieren muss.
Goetz - Leipzig : Es ist das nur die Privatansicht Streffers,
nicht die Meinung der Leitung des Leipziger Verbandes.
Davidsohn - Berlin : Die jetzigen Vorschläge der Kommission
bedeuten sogar eine Verschlechterung der bisherigen Verhältnisse,
wo 5 M. als Minimum gefordert war. Die Lebensversicherungen sind
so günstig gestellt, dass sie unsere Forderungen leicht erfüllen können.
Es ist nur zu wundern, dass zwei Herren vom Vorstand des Leip¬
ziger Verbandes, welche Revisionsärzte sind, nicht energischer für
unsere Forderungen eintreten. Wir müssen der Kommission eine ge¬
bundene Marschroute geben.
Ein Schlussantrag wird angenommen.
Der Vorsitzende stellt nun zur Abstimmung die Frage; Soll eine
Erhöhung der Honorare eintreten?
Wird einstimmig angenommen.
Dann wird der Antrag Löwenstein gegen
32 Stimmen angenommen.
Damit entfallen der Berliner Antrag und der Antrag B e r g e a t.
Die Zurückweisung an die erweiterte Kommission wird be¬
schlossen und die Kommission bei Ablehnung der ärztlichen Forde¬
rungen mit der Kündigung der Vereinbarungen beauftragt.
In die Kommission, welcher die weitere Kooption überlassen
bleibt, werden die Herren Alexander, Kraft und Pfalz ge¬
wählt.
Der Vorsitzende schlägt vor, den zu gleicher Zeit in Düssel¬
dorf tagenden Vertretern der Versicherungsgesellschaften von dem
soeben gefassten Beschluss telegraphisch Kenntnis zu geben.
Wird genehmigt.
VII. Bericht der Kurpfuschereikommission.
VIII. Antrag des Aerztlichen Bezirksvereins Leipzig-Land:
„Der Aerztetag erklärt erneut das gesetzliche Verbot der Kur¬
pfuscherei im Deutschen Reich für dringend nötig.“
D e a h n a - Stuttgart teilt als Referent der Kommission mit, dass
von R e i s s i g - Hamburg eine Anweisung zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei verfasst und an die Vereine hinausgegeben worden ist. Die
Kommission hat beschlossen, eine Denkschrift über die in den Apo¬
theken bestehenden Missstände kurpfuschenscher Art auszuarbeiten.
Ferner macht sie den Vorschlag, es solle darauf hingewirkt werden,
dass in die aus Sachverständigen und Verwaltungsbeamten be¬
stehende Kommission zur Beratung .reichsgesetzlicher Massnahmen
gegen die Kurpfuscherei ein vom Aerztevereinsbund vorzuschlageuder
Arzt zugezogen werde.
Der Eintritt in die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der
Kurpfuscherei ist allen Vereinen zu empfehlen.
G o e t z - Leipzig: Der Antrag auf Erlass eines Kurpfuscherei¬
verbotes ist 1887 und 1897 bereits gestellt worden und verdient neuer¬
lich gestellt zu werden. Es kann zugegeben werden, dass die Kur¬
pfuscherei uns Aerzte schädigt, viel mehr aber stellt sie eine Schädi¬
gung der Allgemeinheit dar. So wenig der Diebstahl durch Strafen
beseitigt wird, so wenig wird die Kurpfuscherei es werden und doch
ist das Verbot nötig; wir wollen auch nicht, dass die Kurpfuscherei
reglementiert und damit anerkannt wird, sie ist kein Gewerbe, son¬
dern ein schädliches Strauchrittertum, das nur besteht, weil es nicht
bestraft wird. Das kolossale Anwachsen derselben ist bekannt. Das
Publikum muss vor seiner eigenen Dummheit geschützt werden und
vielleicht sind heute die gesetzgeberischen Aussichten besser afk
früher.
H e s s e 1 b a r t h - Berlin beantragt, der Deutschen Gesellschaft
für Bekämpfung der Kurpfuscherei eine jährlichen Beitrag von 300 M.
zuzuwenden.
Landsberger - Charlottenburg beantragt, 500 M. zu diesem
Zweck zu bewilligen.
Kormann- Leipzig betont die Notwendigkeit, möglichst reich¬
liches Material zu sammeln und gibt selbst aus einem in einem
Vierteljahr in Leipzig gesammelten Material eine kurze Uebersicht,
wobei er rühmend das Freihalten der sozialdemokratischen Presse
von Pfuscherannoncen hervorhebt.
Er stellt den Antrag: Es solle Material für ganz Deutschland
aus den Zeitungen gesammelt und den gesetzgebenden Faktoren unter¬
breitet werden.
S i e f a r t - Charlottenburg illustriert an statistischen Angaben die
Ausdehnung und Organisation der Naturheilbewegung, welche viel
gefährlicher als der Geheimmittelschwindel ist, erwähnt ferner . den
Weltbund gegen Vivisektion und das grosse Anwachsen der Pfuscher
überhaupt, das sich erst verfolgen lässt, seit wir eine bessere Statistik
haben. Deshalb ist die Meldepflicht der Pfuscher nicht so durchaus
zu verwerfen. Materialsammlungen sind nun schon sehr reichliche
vorhanden und es wird ln diesem Jahre eine solche auf dem inter¬
nationalen Kongress für Hygiene in Berlin ausgestellt werden. Die
Verhandlungen mit den Zeitungsverlegern schweben noch, es scheint
auch hier eine grössere Zugänglichkeit platzzugreifen.
Franz- Schleiz unterstützt den Leipziger Antrag und wenn
auch im Reichstag vielleicht noch keine Aussicht zu seiner Annahme
ist, dürfen wir bei den Einzelregierungen vielleicht auf Unterstützung
rechnen. Mit behaglichem Humor schildert Redner dann die gute
Wirkung der von ihm eingeführten genauen polizeilichen Ueber-
wachung der Pfuscher und der ihnen zur Pflicht gemachten genauen
Buchführung über ihren ganzen Praxisbetrieb, wobei auch die Pa¬
tienten der Pfuscher in eine nicht angenehme Kontrolle geraten. Auf
diese Weise ist sein ganzer Bezirk von Pfuschern gründlich gesäubert
worden.
Der Antrag Leipzig Land wird darauf gegen 2 Stimmen an¬
genommen. Desgleichen der Antrag Kormann und der Antrag
Landsberger.
IX. Unterweisung und Erziehung der Schuljugend zur Gesund¬
heitspflege.
Hierzu hatte die Kommission 5 Leitsätze aufgestellt
Auf Antrag Eisfeld- Groningen wird dieser Punkt vertagt,
wie der Vorsitzende nachdrücklich hervorhebt wegen der Wichtig¬
keit des Gegenstandes, dessen gründliche Beratung durch die im
Vordergrund stehende Krankenkassenfrage vereitelt worden ist.
X. Bericht der Kommission für das ärztliche Unterstützungs¬
und Versicherungswesen.
Davidsohn- Berlin berichtet über die weiteren Verhand¬
lungen zur Erlangung von Vergünstigungen bei Heilanstaltsbesitzern,
Badeorten, Versicherungsanstalten. Solche Vergünstigungen, von
denen ja auch Offiziere und Beamte Gebrauch machen, setzen den
Stand nicht herab, es wäre ein falscher Stolz für den weniger Be¬
mittelten, sich ihrer nicht bedienen. Ein Hauptwunsch bleibt immer
noch der nach einer Invaliditäts-, Witwen- und Waisenversicherung.
Zu begrüssen ist, dass die am 12. VI. stattgehabte Berufszählung
das statistische Material, welches die Grundlage einer solchen Ver¬
sicherung bilden muss, zu geben verspricht. Dabei wird zum ersten
Mal die Zahl der Aerztewitwen und Waisen sich feststellen lassen.
Um die Erlaubnis zu dieser speziellen Bearbeitung der Statistik zu
erhalten, bedarf es einer Eingabe, deren Entwurf D. vorlegt. Seinem
Antrag, den Geschäftsausschuss zu den notwendigen Schritten zu
ermächtigen, wird zugestimmt.
XI. Bericht über die Versicherungskasse für die Aerzte
Deutschlands.
M u n t e r - Berlin gibt einen kurzen Ueberblick über die weitere
günstige Entwicklung der Versicherungskasse.
Es liegt ein Antrag Sternfelds vor, die Kommission für
Schulgesundheitspflege zu beauftragen, die Erfahrungen über die
beiden Systeme der Schulärzte (Schulärzte im Nebenamt und kn
Hauptamt) zu sammeln und dem nächsten Aerztetag die Frage zur
Beratung vorzulegen, welches der beiden Systeme mehr zu emp¬
fehlen sei.
M. Cohn -Berlin: Die Frage dürfte in mehreren Jahren noch
nicht spruchreif sein und gehört überhaupt weniger vor den Aerztetag
als die Kongresse für Schulgesundheitspflege.
M a g e n - Leipzig: Da in der Frage auch bedeutende wirtschaft¬
liche Interessen mitspielen, gehört sie allerdings vor den Aerztetag.
Der Antrag wird angenommen.
1356
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Der Vorsitzende stellt in seinem Schlusswort zunächst fest, dass
auf dein Aerztetag 306 Vereine mit 20 872 Stimmen durch 26-4 Dele¬
gierte vertreten waren. Die Beratungen haben neuerdings die ausser¬
ordentliche Wichtigkeit der Kassenarztfrage gezeigt. Wir müssen
denen danken, die ihre Meinung, wenn sie auch von derjenigen der
Mehrheit abweicht, zum Ausdruck gebracht und gezeigt haben, dass
die Aerztefrage auf dem Aerztetage, aber nicht in kleinen Konventikeln,
welche kein Mandat besitzen, ausgetragen werden muss. Sie dürfen
nicht glauben, dass sie kein Gehör finden, es muss Aaisführungs-
bcstimmungen geben, wieweit wir gehen dürfen ohne Unrecht zu tun.
Die Minorität muss das Vertrauen haben, dass sie zu uns gehört und
auch künftig zu uns gehören soll.
Wie die Frage der Versicherungsgesellschaften sich gestalten
wird, lässt sich nicht entscheiden; der Aerztetag hat ausgesprochen,
dass eine Erhöhung >der Honorare stattfinden muss, aber es besteht
nicht die Meinung, dass nicht mehr zu verhandeln sei, sondern wir
wollen ehrlich weitere Verhandlungen und hoffen auf ein Entgegen¬
kommen von der anderen Seite.
Zum Schlüsse dankt der Vorsitzende allen Behörden, allen
Kollegen Münsters und Westfalens, allen Kommissionen und Bericht¬
erstattern, welche den guten Verlauf des Aerztetages gefördert haben;
ebenso auch den Vertretern hervorragender Zeitungen; wir scheuen
nicht die Oeffentlichkeit und erkennen die Notwendigkeit und die
Macht der Presse an, es liegt uns alles ferne, was ihrem Ansehen
abträglich sein könnte.
M a r cn s e -Berlin spricht dem Vorsitzenden in einem drei¬
fachen Hoch, in das alle Anwesenden herzlich einstimmen, den Dank
für die ausgezeichnete Leitung der Tagung aus. Bergeat.
- - .-<>.<£- -
Aerztliche Besichtigungsreise nach den Kg!. Bädern
Kissingen und Brückenau.
vom 22. — 24. Juni 1907.
Merkwürdigerweise, möchte man in diesem Sommer sagen, ist
nicht von einer englischen, sondern von einer deutschen, sogar
bayerischen Studienkommission im Nachstehenden zu berichten. Eine
solche fuhr am schönen Morgen des 22. Juni aus der bayerischen
Hauptstadt der nördlichen Grenze des Königreiches zu, eine Studien-,
kommission, bestehend aus zahlreichen Mitglieder der medizinischen
Fakultät der Universität München (29 Professoren und Dozenten,
darunter die Vorstände der medizinischen Kliniken, der Frauen- und
der Universitätsaugenklinik, des hygienischen und pharmakologischen
Institutes), einer Anzahl von Militärärzten mit Exzellenz General¬
stabsarzt v. Bestelmeyer an der Spitze und 31 in der Praxis
tätigen Acrzten Münchens, darunter auch die Oberärzte des Kranken¬
hauses rechts der Isar.
Noch sind die Eindrücke dieser Reise frisch und man möchte
gleich anfangen zu erzählen von dem bequemen D-Zug, der von
unserer Eisenbahnverwaltung für diese Studienfahrt gestellt worden
war, von der sanft wiegenden Fahrt durch die grünen Sommerfluren
zum Ufer der Donau und durch die waldigen Bergzüge des Jura,
wo fein säuberlich zwischen Solenhofer Kalkplatten gepresst, viel¬
leicht noch manches Exemplar der Archäopterix ihres glücklichen
Finders harrt, vom Eindruck des fast amerikanisch aufschiessenden
Nürnberg, von den lieblichen Ausblicken im Tal des sanft und be¬
schaulich gleitenden Mains, vom Tischlein deck dich in diesem flotten
D-Zug, von der freudigen Begriissung im Kissinger Bahnhof, aber so
schnell geht das nicht. Woher eine Studienkom.mission und noch
dazu nur nach Kissingen und Brückenau? Wer den ersten Gedanken
dazu gefasst hat, ich weiss es nicht. Es ist aber zu vermuten, dass
im Kgl. Finanzministerium, das die Kgl. bayerischen Bäder verwaltet,
wohl schon länger das Gefühl bestand, es wäre ganz gut und nützlich,
wenn man einmal die Kgl. bayerischen Bäder, für deren Verbesserung
und Hebung der bayerische Landtag in den letzten Jahren Millionen
genehmigt hat, auch speziell südbayerischen Aerzten theoretischer
und praktischer Richtung vor die Augen rücken würde, näher, als dies
gemeinhin durch Beschreibungen im Bäderalmanach oder durch nicht
gelesene Badeschriften geschieht. „Anschauung“ heisst ja das Lo¬
sungswort für den ganzen Ausbildungweg des Mediziners und Arztes,
ein Lehrmittel, das bekanntlich auch unsere Kolonialpolitiker neue-
stens nach Afrika und unternehmende Reichsboten an die Wasser¬
kante führt — besonders wenn neue Schiffe bewilligt werden sollen.
Anschauen sollten also zunächst eine grössere Zahl von Aerzten,
was dort an der fränkischen Saale und im lieblichen waldumrauschten
Sinntale in den letzten Jahren entstanden ist. Referent erinnert sich
gut einer kleinen Szene aus einem früheren bayerischen Landtag,
wo über Stehen verhandelt wurde. Als ein Volksvertreter meinte,
das Bad müsse einmal erst seine Lebensfähigkeit beweisen, es müssten
erst mehr Leute hinkommen, dann könne man auch mehr Geld
hineinstecken, da führte der damalige Finanzminister v. Riedel
aus: das sei der verkehrte Weg. Erst müsse man die Einrich¬
tungen möglichst vervollkommnen, dann kämen die Leute schon.
Wie weit der Vorgänger des Herrn v. Pf aff dieses Rezept noch
in die Tat umgesetzt hat, weiss ich nicht, jedenfalls hat sein Nach¬
folger, als er diesem Rezepte gemäss vorging, sehr erfreuliche Fort¬
schritte erzielen können. Das, was er mit seinem Stabe und den ge¬
nehmigten Mitteln in Kissingen und Brückenau geschaffen hat, das
begehrte er nun einmal dem berufenen Auge gerade bayrischer
Aerzte sehen zu lassen. Denn man sagt, und die Zahlen beweisen
es, der Zugang zu Kissingen und Brückenau werde von Norden her
bisher immer noch leichter gefunden als vom Süden her. Natürlich!
wie der Prophet wenig gilt in seinem Vaterlande, so wirken auch
die besten Bäder nicht so ausgezeichnet, wenn ihr Besuch nicht
mit einem Verlassen der heimischen Grenzpfähle verbunden ist.
Diese Suggestion, welche nach der Anschauung boshafter Nörgler ge¬
radezu zwangsmässig zur Verordnung von Marienbad, Franzensbad,
Karlsbad, Nauheim und so fort geführt zu haben scheint, ist es
wohl wert, dass ihr ein bayrischer Finanzminister auf den Leib
rückt. Und so wurde im Schosse des Ministeriums beschlossen, den
schönen Salonzug, von dem wir sprachen, auszurüsten und der Kost¬
barkeit der ärztlichen Zeit dadurch Rechnung zu tragen, dass er
mit musterhafter Exaktheit und Schnelligkeit die Besucher zu den
bayrischen Heilquellen entführen sollte.
Wenn jemand meint, die Fahrzeit zwischen 7 Uhr 52 Minuten und
1 Uhr 8 Minuten sei ausschliesslich durch kollegialen Meinungsaus¬
tausch und friedliche Betrachtung der durchflogenen Landschaft aus¬
gefüllt gewesen, so ist das ein Irrtum. Vielmehr zeigte sich bald, dass
schon auf dieser Fahrt von dem Teilnehmer die Bildung eines sach¬
verständigen Urteils über wichtige Produkte der zu besuchenden
Bäder gefordert wurde. Es gab da allerlei Kostproben zu prüfen —
ich will davon schweigen, dass auch alkoholhaltige und zwar delikate
aus dem Kgl. Hofkeller in Wiirzburg darunter waren, in der ehr¬
würdigen Gestalt der Bocksbeutel — sondern hebe gleich hervor,
dass zu dem im Zuge servierten solennen Frühstück 3 Sorten von
Mineralwässern der Beurteilung unterstellt wurden: einmal der Kis¬
singer Maxbrunnen, ein eisenfreier chlornatriumhaltiger Säuerling,
von angenehm prickelnden Geschmack, wenn er in kühler Temperatur
und nicht grosser Menge getrunken wird, dann Proben von Wer-
narzer und Sinnberger Wasser aus Brückenau, ersteres ein erdig¬
alkalischer Säuerling mit grossem CCT-Gehalt, letzteres ein Säuer¬
ling mit etwas CINa, beide Wässer von wohlschmeckendem Cha¬
rakter. Auf der Fahrt erhielt jeder Teilnehmer zur weiteren Vor¬
bereitung in einer Mappe mehrere hübsch ausgestattete und zum Teil
illustrierte Schriften über die Bäder. Als unser Zug um VA Uhr in
das breite, im Sonnenschein liegende Tal der Saale hinabglitt und
auf den Villen und prächtigen Sanatorien dortiger Kollegen die blau-
weissen Fahnen sichtbar wurden, machte sich fast ein Gefühl des Be¬
dauerns geltend, dass die schöne Fahrt schon zu Ende sein sollte,
für deren treffliches Arrangement dem Kgl. Regierungsrat Baron
v. Stengel, welcher als Referent über die Bäder die Rolle des
Reisemarschalls übernommen hatte, die lebhaftesten Lobsprüche aus¬
gedrückt wurden. Der Empfang am Bahnhof, auf dem auch der Kgl.
Badekommissär Frhr. v. Moreau, ferner Kreismedizinalrat Egger
aus Würzburg, Hofrat S c h e r p f mit vielen Kissinger Kol¬
legen, Hofrat Hessing u. a. anwesend waren, gestaltete
sich sehr herzlich und da die Sonne so lieb war, .unserem
Einzug ihre Gnade zu schenken, so kam man in frohester
Stimmung in Kissingen an. Kissingen, das ca. 5500 Einwohner
zählt, ist ein stark besuchtes Bad geworden. Seine Frequenz
hat sich von Jahr zu Jahr gesteigert. Während sie 1881 zum Beispiel
noch nicht ganz 12 000 Personen betrug, verzeichnete die Kurliste des
Jahres 1906 schon 27 101 Kurgäste (dazu kommen noch über 10 000
Passanten) und heuer ist das Leben auf den der Kur dienenden
Plätzen schon ein so starkes, dass diese Zahl wieder überschritten
werden wird. Ausserordentlich gross ist die Zahl der Besucher aus
Russland. Voriges Jahr kamen deren über 4000, aus England über 900,
im ganzen 564 aus aussereuropäischen Ländern. Durch das Entgegen¬
kommen des Badekommissariats kann ich mitteilen, dass 1906 die Zahl
der Kurgäste aus Bayern 2080 betrug, also wenig mehr als die Hälfte
der russischen Besucher, darunter waren aus München 335. Bayern
stellt von den deutschen Besuchern überhaupt nur ganz wenig mehr
als den 10. Teil. Kissingen ist also ein in Bayern gelegenes, aber
grösstenteils aus Norddeutschland besuchtes Bad. Angesichts dieser
Zahlen ist der Wunsch des Kgl. bayerischen Finanzministers, gerade
auch die einheimischen, speziell südbayrischen Aerzte mit den bayri¬
schen Bädern näher vertraut zu machen, sehr wohl begründet. Aus
diesen Zahlen erhellt aber auch, dass Kissingen ein Ort ist, welcher
die aufgewendeten Mittel verzinst, und auf dem besten Wege ist, für
die böhmischen Bäder und für Nauheim ein fühlbarer Konkurrent zu
werden, worüber wir uns im selbstverständlichen Interesse unseres
engeren Vaterlandes freuen müssen. Sie zeigen auch, dass die
bayrischen Aerzte augenscheinlich in einem noch zu hohen Prozent¬
satz ihre Kranken in die fremden Bäder schicken, auch wenn Kis¬
singen die spezielle Indikation erfüllen würde. Der Fortschritt '
Kissingens hinsichtlich seiner Einrichtungen ist unter den baye¬
rischen Kollegen wohl kaum in verdientem Masse bekannt. Dass der¬
selbe gerade in den letzten Jahren, seit der äusserst rührige und unter¬
nehmende Pächter des Bades, Hofrat Hessing, die Sache in die
Hand nahm, ein besonders grosser war, mussten vor allem jene Kol¬
legen anerkennen, welche Kissingen von früher her kannten. Die
Studienkommission hatte sich in die Quartiere zerstreut, welche durch
die Liberalität des Finanzministeriums besorgt worden waren, aber
bald fand man sich zum ersten Rundgang zusammen, welcher der
Besichtigung des Prinzregent-Luitpold-Bades galt, zu dessen gross¬
artiger Erweiterung und eleganter Ausstattung der bayerische Land¬
tag auf Antrag des Finanzministers die Summe von 2Vs Millionen
1 Juli 1907.
MlJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1357
Mark genehmigt hat. Das mächtige Gebäude umfasst 236 Bade¬
kabinen, darunter 36 Kabinen für Mineral-Moor-Bäder, die mit grosser
Eleganz eingerichtet und erst heuer in Gebrauch genommen worden
sind. Die eleganten Räume mit den geschmackvollen farbigen Fen¬
stern, die verschiedenen Arten der Badewannen für die Solbäder,
von der einfachen Holzwanne bis zur Fayencewanne, sowie der be-
| ständige Kampf, den die Badeverwaltung jahraus jahrein gegen den
die schönsten Wannen zerfressenden Feind, die Kohlensäurebläschen
zu führen hat, die Liegesäle mit den praktischen Liegestühlen, welche
Hessing angegeben hat, alles fand grosses Interesse. Von den
Moorbädern wird, nachdem die technischen Einrichtungen für die Vor¬
bereitung des Moors zu grosser Vollkommenheit gebracht und die
Badezellen praktisch und zugleich elegant eingerichtet sind, nunmehr
' ein reichlicher Gebrauch gemacht. Der Moor stammt aus der Rhön.
Alle Stadien der Aufbereitung des Moors von seinem Urzustände bis
zur Herstellung des Solemoorbreies, wie er zum Baden dient, wur¬
den den Gästen demonstriert und eingehend besichtigt. Die Er¬
wärmung der für die Solebäder in Verwendung . kommenden Sole
geschieht mittels eines von Hessing vorgeschlagenen Ver¬
fahrens, indem die Sole in einem geschlossenen Zylinder durch
eine kupferne Schlange, durch welche Dampf zirkuliert, angewärmt
wird und auf diese Weise nur wenig COs verliert. Von den physio¬
logischen Wirkungen des COa-Bades, namentlich in der Form der
beliebten Wellenbäder, überzeugte sich ein grosser Teil der Gäste
nunmehr selbst und manch einer hatte wohl zum ersten Male Ge¬
legenheit, sich das prickelnde feine Pelzchen über die Haut wachsen
zu lassen, wieder abzustreifen und es sich erneuern zu lassen, die
Glieder in der leise knisternden Flut zu recken und zu denken: das
muss in der Tat für unsere Rheumatiker, Nervösen und Anämischen
eine wahre Wohltat sein.
Dann wurde einzeln und in Gruppen der Kurpark besichtigt, wo
die Abendtrinkkur die Kurgäste (derzeit über 4000) zusammenführt
oder Spaziergänge in die neu angelegten Teile des grossen Parkes,
zur städtischen Schwimmanstalt oder weiter hinaus angetreten. Mit
einer Aufwendung von ca. 50 000 M. hat der Staat auch grosse Spiel¬
plätze mit einem Spielhaus herstellen lassen, die vorläufig freilich der
Sonne recht stark exponiert erscheinen, eine Anlage, mit welcher
er gewiss dem Bedürfnisse der ausländischen Badebesucher sehr
entgegenkommt. Der schöne Abend, der sich inzwischen herabsenkte,
brachte noch allerlei Genüsse. Um Vz7 Uhr vereinigte ein vom
Kgl. Badekommissariat gegebenes Diner im Arkaden-Restaurant die
Teilnehmer, Kissinger Kollegen und die Vertreter der Stadt, an der
Spitze Bürgermeister Hofrat Fuchs zu einer im vornehmsten Stile
sich abspielenden Zusammenkunft an der mit herrlichen Blumen ge¬
schmückten Tafel. Der Blumenkonsum im Kissinger Kurgarten allein
beweist, dass es im Begriffe steht, ein internationales Bad zu werden,
v. Moreau begriisste in schwungvollen Worten die Anwesenden,
worauf Obermedizinalrat v. B 0 1 1 i n g e r dem Kgl. Badekommissariat
und speziell auch dem verdienstvollen Arrangeur Frhrn. v. Stengel
den Dank der Gäste zum Ausdruck brachte. I11 angeregter Gesellig¬
keit, befeuert von den Klängen einer Militärkapelle, aber auch von
den edlen Tropfen fränkischer Reben verlief das Festmahl. In¬
zwischen war der grose Kurgarten in das bunte Nachtkleid einer
feenhaften Beleuchtung gesteckt worden, hunderte von Lampions
leuchteten aus dem Grün der Bäume, die reizenden Teppichgärtne¬
reien präsentierten sich im flimmernden Lichte zahlloser Lämpchen,
auf der Saale erklangen die Lieder eines auf lichtergeschmücktem
Kahne dahinziehenden Sängerchores und prächtige Beleuchtungs¬
effekte entstanden in den Wipfeln der alten hohen Bäume, die auf
das Menschengewühl an ihren Wurzeln herabsahen. Hatte man sich
satt gesehen, so war noch für weitere Genüsse im Arkaden-Restaurant
gesorgt, wo ein gemütlicher Bierabend mit künstlerischen Dar¬
bietungen humoristischer Art die Gäste noch lange zusammenhielt.
Als man heim ging konnte man sich überzeugen, dass Kissingen auch
den grossen Vorzug besitzt, auch an schwülen Tagen in der Nacht
aus den Tannenwäldern der Röhn mit Kühlung gespeist zu werden.
Für den 23. Juni begann das offizielle Programm erst gegen
11 Uhr. Die Stunden vorher wurden von einem grossen Teil der
Gäste zu Bädern oder auch zu Originaltrinkkuren mit Pandur und
Rakoczy verwendet, den bekannten eisenhaltigen CINa-Quellen des
Bades. Das Kurpublikum ist noch nicht so stark international ge¬
färbt — im guten wie im schlimmen — als in den böhmischen Welt¬
bädern, doch treten auch hier schon fremdländische Typen, welche
dem bunten Bilde den Anstrich des internationalen Publikums geben,
hervor. Die ersten Vormittagsstunden waren auch zum Besuche ver¬
schiedener Sanatorien bestimmt, zum Beispiel des Zanderinstitutes
von Dr. Sonder, der Inhalationsanstalt von Dr. D i e t z, der Kin¬
derheilanstalt für Skrofulöse, hinsichtlich welcher mir mitgeteilt
wurde, dass die Verpflegsdauer der aufgenommenen Kinder eine viel
zu kurze sei, der israelitischen Kinderheilstätte, des Theresien-
hospitals, der städtischen Wasserversorgungsanlage etc., ein grosser
Teil der Aerzte aber benützte die Zeit zu praktischen Bäderstudien
oder zu genussreichen Spaziergängen in den schönen Balling-Hain
oder hinauf zur alten Henneberger-Burg, der „Botenlauben“ oder zum
erinnerungsreichen Friedhof (Gefecht vom 10. Juli 1866).
Die Besichtigung des Salinenbades, wohin ein geschmückter
Dampfer die Teilnehmer gebracht hatte und ein Gang entlang dem
Gradierbau, der fast 300 m lang sich hinzieht und 2 Inhalationshallen
und gedeckte Wandelbahnen trägt, war die eigentliche Aufgabe des
Vormittags. Es folgte die Demonstration der Pumpwerke, mittels
welcher die Sole auf den Wasserturm über dem Gradierbau befördert
wird und die Badeanstalten in der Stadt mit Sole versorgt werden
— nach einem neuen Solesprudel werden zurzeit Bohrungen an¬
gestellt — , dann ein Gang zur historischen oberen Saline, in deren
Räumen während des vielmaligen Aufenthalts des Fürsten Bis¬
marck (letzter 1893) so oft die Fäden der damaligen europäischen
Politik zusammenliefen. In den Mittagsstunden hatte die Stadt die
Teilnehmer im Restaurant des Salinenbades zu einem Frühstück er¬
lesener Art geladen, das sich in der schönen Anlage abspielte,
welche Hofrat Hessing in den letzten Jahren hier geschaffen hat.
Begünstigt vom Sonnenschein und vortrefflicher Stimmung, gewürzt
durch manche dankende und Erinnerung weckende Rede verflossen
diese Stunden in angenehmster Weise, bis Omnibus und Automobile
einen grösseren Teil der Besucher zum Besuche des Stahlbades
Bo eklet entführten.
Dieses Bad, IV2 Stunden von Kissingen, mit einer anerkannt vor¬
trefflichen, zurzeit meist in Kissingen getrunkenen Stahlquelle aus¬
gestattet und im Besitze eines alten prächtigen Parks, durch Hes¬
sing mit modernem Komfort versehen, liegt wie verträumt zwischen
Wiesen und Wäldern idyllisch da. Es ist auch heute noch nicht zu
pulsierendem Leben erweckt, denn die Frequenz betrug 1906 nur
129 Kurgäste und das Problem, die ausgezeichnete Stahlquelle an
Ort und Stelle weiteren Kreisen von Kurgästen wirklich zugänglich
zu machen, harrt immer noch der Lösung. Ein anderer Teil der Be¬
sucher aber wanderte auf prächtig gehaltenen Waldwegen über die
Höhen längs des Saaletales, durch die herrlichen ausgedehnten Wäl¬
der, wo im Winde rauschende Buchen und sonnendurchschienene
Eichen stehen und in friedsamer Einsamkeit die Brust sich weitet
und der Wanderer mit einem gewaltigen Ausatmen alle Schlacken
von sich werfen möchte, welche der Staub des täglichen Berufes
ihm auf die Seele gelegt hat. Da fühlt man erst an sich: diese Wäl¬
der und Höhen gehören notwendig zu den Brunnen, sie gehören zu
den Heilschätzen für unsere Kranken, welche wir nach Kissingen oder
Brückenau schicken und diese beneidenswerten Orte haben gerade
auch diese Schätze in Hülle und Fülle.
Der Abschied von Kissingen brachte den Gästen vor allem
noch eine vortreffliche Aufführung der Operette „Wiener Blut“ in
dem reizenden, hochmodern ausgestatteten und mit überraschend
guten Kräften besetzten Kurtheater, das mit einem Kostenaufwand
von über Vz Million Mark durch den Staat erbaut, erst im Frühjahr
1905 eröffnet wurde und seitdem mit Recht einen Anziehungspunkt
des Bades bildet. Dann vereinigte man sich noch mit den Kissinger
Kollegen, denen für das opulente Arrangement dieses Abends leb¬
hafter Dank gebührt, zu einem Bierabend mit vortrefflich besetzten
Büffets im Saale des Arkaden-Restaurants, wo die kurzen Stunden
bei Rede und Gegenrede nur allzu rasch verrannen. Als man am
Morgen des 24. Juni von Kissingen schied, hörte man nur Worte leb¬
hafter Befriedigung über den durch keinen Misston gestörten Auf¬
enthalt und über alles was man dort gesehen und studiert hatte
und den Ausdruck der Zuversicht, dass Kissingen, wenn es auch
fernerhin des Zusammenarbeitens des Ministeriums, der Badeverwal¬
tung und der Bürgerschaft sich zu erfreuen hat, eines weiteren Auf¬
schwunges schon in den nächsten Jahren sicher sein darf. Möge
auch der Wunsch der strebsamen Kissinger Bürgerschaft nach einer
besseren Bahnverbindung mit den Hauptverkehrsadern möglichst bald
in Erfüllung gehen.
War man von Kissingen in dem Glauben geschieden, dass die
dort gewonnenen günstigen Eindrücke durch den Besuch von
Brückenau kaum mehr eine weitere Steigerung erfahren dürften,
so traf dies nicht zu. Denn Brückenau, dieser Lieblingsaufenthalt
einer Reihe gekrönter Häupter, besonders auch Ludwig I., dieses
mächtigen Förderers des Bades, besitzt, wie uns sein nun folgender
Besuch lehrte, gegenüber Kissingen wieder eine Reihe ganz spezieller
Vorzüge. Trotzdem die grösste Mehrzahl der Besucher — nur ein
kleiner Teil derselben war mittels Autos in genussvoller Fahrt durch
abwechslungsreiche Hügellandschaft schon einige Stunden früher von
Kissingen herübergekommen — sich in Brückenau nur ca. 6 Stunden
aufhalten konnte, mussten sich alle von den besonderen Reizen des
so idyllisch zwischen seinen Bergen und Wäldern im Tale der Sinn
daliegenden Badeortes überzeugen. Brückenau, 300 m über dem
Meere gelegen, ist landschaftlich eine Perle. Durch die Fuldaer
Fürstbischöfe eigentlich entdeckt und in seiner heutigen Anlage ge¬
schaffen, macht es schon bei der ersten Bekanntschaft einen ungemein
anheimelnden Eindruck und bietet in der künstlerischen Zusammen¬
stimmung des Gärtnerischen mit dem Architektonischen, in der har¬
monischen Verschmelzung dessen, was es aus seiner Vergangenheit
noch erhalten und dessen, was die Gegenwart Neues dazu ge¬
schaffen hat, ein Gesamtbild von ganz eigenem einheitlichem Reize.
Das, wonach Kissingen sich heute so sehnt, den Glanz fürstlicher
Hofhaltungen, das besass Brückenau lange Jahre in besonderem
Grade. Bayerische und ausländische Könige und Fürstlichkeiten
hatten immer mit besonderer Vorliebe das stille und liebliche Bad
aufgesucht und namentlich Ludwig I hat dort die Zeugen seiner
Liebe hinterlassen. Das von ihm erbaute, 1833 vollendete Kursaal¬
gebäude, dessen grossartige, um den ganzen Bau herumführende
Pfeilerhalle seinen eigensten künstlerischen Gedanken entsprungen
ist, ist auch in der neuen Ausgestaltung des Bades der Hauptschmuck
desselben geblieben. I11 dein wahrhaft vornehmen Saale dieses Ge-
1358
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 11.
bäudes wurde den ankommenden Gästen zunächst ein Frühstück dar¬
geboten. Erst vor wenigen Jahren wurde durch den Staat mit einem
Kostenaufwand von ca. 600 000 M. das Kurhotel erbaut, das, abge¬
sehen von den reizenden kleineren Kur- und Wohnhäusern, die im
Biedermeier- und Jagdschlosssti’l den Kurgarten zieren, eine wich¬
tige Bereicherung des Bades repräsentiert. Die herrlichen Bäume im
alten Schlossgarten, die Blutbuchen und die sehenswürdige Königs¬
eiche wird nicht leicht ein Besucher von Brückenau vergessen. Ein
Spaziergang durch die dem Bade so nahen Wälder mit den schlank¬
säuligen Buchen und den stämmigen Eichen zeigte uns, dass Kranke
und Rekonvaleszenten in Brückenau herrliche Erholungsplätze in
Hülle und Fülle zur Verfügung haben. Auf dem Rundgange, auf dem
auch Herr Kollege v. Schlagin tweit seine Anstalt demon¬
strierte und einige einschlägige Operationen und ihre Resultate be¬
sprach, wurden auch die Brückenauer Wässer einer Kostprobe an
Ort und Stelle gewissenhaft unterzogen, sowohl die unter einem
hübschen Brunnentempd entspringende Stahlquelle mit C02-Gehalt,
als die Wernarzer und Sinnberger Quelle, erstere bekanntlich ein
erdig-alkalischer Säuerling mit hohem COs-Gehalt, letztere ein
Säuerling mit etwas CINa. Alle diese Wässer, über deren Indika¬
tionen ich mich hier ja nicht zu verbreiten nötig habe — bekannt ist
ja vor allem ihre starke diuretische Wirkung — schmecken, wie
schon früher bemerkt, in ihrer ursprünglichen Temperatur von 9,5 bis
10,25 0 getrunken, angenehm. Das Badehaus ist 1901 erbaut worden,
elegant ausgestattet und besitzt zur Erwärmung der kohlensauren
Stahlbäder wieder eine andere Vorrichtung, als die für Kissingen ge¬
schilderte, nämlich eine Schlange aus Kupfer, welche am Boden der
Wanne angeschraubt und mit strömendem Dampf beschickt wird.
Die Erwärmung des Wassers erfolgt in dieser Weise rasch, doch
geht ein gewisser Teil der CO2 verloren. Das Badehaus enthält auch
die Einrichtungen für die Moorbäder. Was die Frequenz des Bades
betrifft, so wird mir von der Badeverwaltung mitgeteilt, dass sie
im Jahre 1906 3536 Personen betrug, darunter an bayerischen Kur¬
gästen 1372, aus München 111. Im allgemeinen wird also Brückenau
von Bayern aus besser frequentiert als, relativ genommen, Kissingen,
doch liefert die Hauptstadt bisher auch hierher wenige Kurgäste.
In den ersten Nachmittagsstunden war auch Exzellenz v. P f a f f
mit Herrn Geh. Rat v. Grashey aus München in Brückenau
eingetroffen und begab sich nach der Begrüssung seiner Gäste
sofort zu dem Festmahl, das der derzeitige Badepächter, Kom¬
merzienrat Roth, zu Ehren der Besucher in dem schönen
Saiale des Kurhotels veranstaltete. Hier wurde durch v. B o 1 -
linger dem Kgl. Finanzminister für die Einladung zur Bäder¬
reise der wärmste Dank zum Ausdruck gebracht, worauf Se. Exzel¬
lenz, in liebenswürdigster Weise erwidernd, betonte, dass er nicht
nur nehme, sondern auch gebe und dass er die Bäder möglichst för¬
dern wolle, da sie einen wichtigen Teil des Volkswohlstandes dar¬
stellen. Er äusserte zugleich seine Absicht, den Weg solcher Be¬
sichtigungsreisen auch weiterhin zu beschreiten und im nächsten
Jahre einmal die nordbayerischen Kollegen nach Reichenhall einladen
zu wollen.
Da inzwischen die Zeit weit vorgerückt war, ging der Marsch
in beschleunigtem Tempo zum Bahnhof, wo sich die Teilnehmer der
in allen ihren Teilen überaus gelungenen Fahrt von Sr. Exzellenz und
dem so viel verdienten Frhrn. v. Stengel mit wärmstem Danke
verabschiedeten und den bereitstehenden Zug bestiegen. In Ge-
miinden wurde in den Extrazug umgestiegen, der in weiteren 5 Stun¬
den die Teilnehmer nach München zurückbrachte, nicht ohne dass
Frhr. v. Stengel, der in Brückenau zurückblieb, dafür gesorgt
hätte, dass sie nicht von Hunger erschöpft dort eintrafen.
Die Reise, welche neben allem Anderen auch in seltener Weise
Gelegenheit zu kollegialer Geselligkeit und freundschaftlichem Aus¬
tausch geboten hat, ist in jeder Beziehung gelungen verlaufen. Die
Absicht, einer grösseren Zahl von Aerzten die neue Entwicklung der
bayerischen Bäder im Norden des Landes zu zeigen und ihnen vor
Augen zu bringen, dass die in Bayern vorhandenen Heilschätze zum
Wohle der Kranken und auch zur Hebung des Wohlstandes unseres
Landes den sie aufsuchenden Leidenden in zweckmässiger und wür¬
diger Form dargeboten werden, diese Absicht ist vollauf erreicht
worden. Jeder Teilnehmer wird die Ueberzeugung gewonnen haben,
dass die besuchten Bäder die Voraussetzungen zu weiterer Entwick¬
lung und Blüte in sich tragen und dass sie durch das Zusammen¬
wirken aller um ihr Gedeihen interessierten Faktoren, und dazu
gehören vor allem auch die Aerzte Bayerns, in ihrer aufwärts stei¬
genden Kurve weiterschreiten werden.
Grassmann - München.
Verschiedenes.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 213. Blatt der Galerie bei: Theodor
v. J ii r g e 11 s e n. Vergleiche den Nekrolog auf S. 1335 dieser Nummer.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü n c h e n, 1. Juli 1907.
— Während der Deutsche Aerztetag in Münster ahnungslos die
guten Wünsche des preussischen Kultusministers Studt aus dem
Munde des Geheimrat Aschenborn entgegennahm und sich in
langen Debatten mit den Plänen des Grafen Posadowsky für
die Reform des Krankenversicherungsgesetzes befasste, war der
politischen Laufbahn dieser beiden Staatsmänner bereits ein Ziel ge¬
setzt worden. Dr. v. Studt wurde durch Unterstaatssekretär Holle,
Graf Posadowsky durch Minister v. Bethmann-Hollweg
ersetzt. Im gegenwärtigen Augenblicke ist es vor allem der über¬
raschende Rücktritt des Grafen Posadowsky, der bei den Aerzten
lebhaftes Bedauern hervorrufen wird. Die Reform des Kranken¬
versicherungsgesetzes sollte die nächste grosse Aufgabe des Grafen
Posadowsky sein und er hatte dabei auch die Frage der Stel¬
lung der Aerzte zu den Krankenkassen zu erledigen versprochen.
Wenn seine Lösung dieser Frage vielleicht auch nicht in allen Punk¬
ten den Wünschen der Aerzte entsprochen haben würde, so durfte
man von seinem weiten Blick und seinem Gerechtigkeitssinn doch
erwarten, dass er sie nicht einseitig auf Kosten der Aerzte gelöst
haben würde. Die Verhandlungen des Aerztetages über die gesetz¬
liche Festlegung der freien Arztwahl knüpften wesentlich an die Zu¬
sagen des Grafen Posadowsky an. Es ist nicht ausgeschlossen,
dass mit dessen Rücktritt die ganze Reform des Krankenversiche¬
rungsgesetzes wieder in weitere Ferne gerückt ist. Der Nachfolger
P 0 s a d 0 w s k y s, Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg, ist
den Aerzten bekannt durch seine Beziehungen zur Aerztekammer
für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin als Ober¬
präsident der Provinz Brandenburg. Man rühmte damals sein Inter¬
esse für die Fragen des ärztlichen Standes und sein Entgegenkommen
gegenüber den Wünschen der Aerzte. Während der 8 jährigen Amts¬
tätigkeit Dr. v. S t u d t s hat sich das preussische Medizinalwesen
erfreulich entwickelt; wir nennen von wichtigeren Erlässen die Prü¬
fungsordnung und Dienstanweisung für Kreisärzte, die Leichenschau¬
verordnung, das Seuchengesetz u. a. Lieber seinen Nachfolger Holle
ist in Bezug auf seine Stellungnahme zu den Fragen des Medizinal¬
wesens nichts bekannt.
— In ihrer vorjährigen Generalversammlung hat die Freie
Vereinigung der Deutschen medizinischen Fach¬
presse beschlossen, eine Liste solcher Autoren anzu¬
legen, welche nachweislich sich erbieten, emp¬
fehlende Artikel über neue Arzneimittel und son¬
stige Präparate der chemischen Industrie gegen
Entgelt an zu fertigen; die Arbeiten derselben sollen in Zu¬
kunft in den der Vereinigung angehörigen Organen weder veröffent¬
licht noch referiert werden. Nach eingehender Prüfung des Akten¬
materials — welche vornehmlich durch das dankenswerte Entgegen¬
kommen der grossen chemischen Fabriken selbst ermöglicht wurde —
ist eine erste derartige Liste nunmehr fertig gestellt und den Mit¬
gliedern der Vereinigung zugesandt worden. Die Vereinigung hofft,
durch ihr gemeinsames Vorgehen einem Krebsschaden abzuhelfen,
unter dem die deutsche medizinische Publizistik in den letzten Jahren
empfindlich gelitten hat; sie plant insbesondere, den vielerlei Täu¬
schungen und Enttäuschungen vorzubeugen, von welchen Aerzte und
Publikum durch das Erscheinen ungenügend begründeter Emp¬
fehlungen neuer Präparate betroffen wurden.
— Die feierliche Konstituierung der „Royal Society
of M e d i c i n e“ hat am 1*4. Juni in London stattgefunden. Die
neue Gesellschaft entsteht durch Verschmelzung folgender Gesell¬
schaften: Royal Medical and Chirurgical Society, Pathological
Society, Epidemiological Society, Odontological Society, Obstetrical
Society, Clinical Society, Dermatological Society of London, Bri¬
tish Gynaecological ,Society, Neurological. Society, British Laryngo-
logical, Rhinological and Otological Society, Dermatological Society
of Great Britain, Otological Society of Great Britain, British Electro-
therapeutic Society, Therapeutical Society. Die genannten Gesell¬
schaften lösen sich auf und überweisen ihr Vermögen und ihre
Bibliotheken der neuen. Den Vorsitz dieser neuen Königlichen Ge¬
sellschaft übernimmt Sir William D. C h u r c h, der ehemalige Präsi¬
dent des Royal College of Physicians. 12 Ausschüsse werden die
wissenschaftlichen Arbeiten und Untersuchungen der früheren Gesell¬
schaften weiterführen. Die vereinigte Bücherei des neuen Verbands,
der etwa 4000 Fellows und Mitglieder zählt, besteht aus 80 000
Bänden, und das Jahreseinkommen beziffert sich auf 8000 Lstr. •
— Die Würde eines Dr. med. vet. wird künftig auch von der
Leipziger med. Fakultät im Verein mit der Tierärztl. Hochschule in
Dresden verliehen. Zur Prüfung werden im allgemeinen im Deutschen
Reiche approbierte Tierärzte zugelassen. Die Prüfung zerfällt in
einen mündlichen und einen schriftlichen Teil, von denen der erstere
in Leipzig abgelegt wird.
— Man schreibt uns aus Hamburg: Die beiden Assistenz¬
ärzte des Eppendorfer Krankenhauses, Dr. H. T i e 1 e m a n n und Dr.
C. v. Horn werden seit dem 24. d. M. vermisst. Die beiden Herren
hatten am 22. eine Segelpartie elbabwärts unternommen, waren am
24. morgens um 9 Uhr von Brunsbüttelkoog bei gutem Wetter abge¬
fahren und gegen 11 Uhr noch bei Margareten gesehen worden.
Um 12 Uhr zog ein schweres Unwetter bei Glückstadt über die
2. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1359
Elbe, und seitdem fehlt jede Spur von den Vermissten. Es besteht
die traurige Befürchtung, dass die beiden jungen Kollegen, von denen
der eine den Burenkrieg glücklich mitgemacht hatte, ein Opfer des
Unwetters geworden sind.
— Professor Dr. Dennig, bis vor einigen Jahren an der
Universität Tübingen, ist zum Direktor der inneren Abteilung des
städtischen Krankenhauses in Pforzheim ernannt worden.
— Zum leitenden Arzt des Gisela-Kinderspitals in
München wurde Dr. J. Ibrahim, Privatdqzent für Kinderheil¬
kunde in Heidelberg, gewählt.
— Zum chirurgischen Chefarzt im Wilhelmshospital in Stuttgart
wurde der Oberarzt Dr. med. B r i g e 1 daselbst berufen. Dr. B r i g e 1,
früher Assistent bei Bruns in Tübingen, war von 1897 — 1906 am
, Katharinenhospital in Stuttgart tätig, (hc.)
— Die Leitung der inneren Abteilung des Ludwigsspitals
in Stuttgart wurde an Stelle des verstorbenen Sanitätsrat
Dr. Wildermuth dem Medizinalrat Dr. K o h 1 h a a s übertragen.
— Eine Studienreise belgischer .Aerzte nach
Deutschland ist für August geplant.
— In M ü ns t e r i. W. wird demnächst die Grundsteinlegung
zu einem neuen evangelischen Krankenhaus stattfinden.
■ — Der II. internationale Kongress für Schul¬
hygiene findet, wie wiederholt schon mitgeteilt, in Londo n
vom 5. bis 10. August statt. Zahlreiche Beteiligung seitens deutscher,
für Fragen der Schulhygiene sich interessierender Aerzte ist
wünschenswert.
— Pest. Aegypten. Vom 8. bis 16. Juni wurden 36 neue
Erkrankungen (unid 29 Todesfälle) an der Pest gemeldet. — Persien.
Vom 5. bis 11. Mai sind in Buschär 3 weitere Pestkranke aus Bahrein
angekommen und auf die Quarantäneinsel verbracht worden. —
Britisch-Ostindien. In Aden sind am 18. Mai von dem aus dem per¬
sischen Golf angekommenen Dampfer „Moshtari“ 5 Pestkranke ge¬
landet worden. — In Kalkutta starben vom 12. bis 18.
Mai 203 Personen an der Pest, in Moulmein 42. — Mau¬
ritius. Vom 5. April bis 2. Mai wurden 4 Erkrankungen und 1
Todesfall an der Pest angezeigt. — Neu-Süd-Wales. In Sidney ist am
11. Mai .ein neuer Pestfall mit tödlichem Verlaufe festgestellt worden.
— Queensland. In Port Douglas wurden vom 7. bis 13. April 2 Pest¬
erkrankungen gemeldet.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 9. bis
15. Juni sind 73 Erkrankungen (und 35 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 24. Jahreswoche, vom 9. bis 15. Juni 1907, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
: Halberstadt mit 33,6, die geringste Koblenz mit 6,5 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Hof, an Masern und Röteln in Brandenburg,
Buer, Darmstadt, Mannheim, an Keuchhusten in Harburg. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Für das Fach der inneren Medizin habilitieren sich
an der Berliner Universität die Assistenzärzte an der II. medizinischen
Klinik, Dr. med. Anton Steyrer und Stabsarzt Dr. med. Georg
Jürgens. Exzellenz v. Leyden tritt mit Ende dieses Semesters
von der Leitung der I. Medizinischen Klinik zurück. Als seinen Nach¬
folger hat die Fakultät vorgeschlagen: Friedrich Müller (Mün¬
chen), L. Krehl (Heidelberg), F. Moritz (Strassburg). Nachdem
i Prof. Müller abgelehn hat, ist Geheimrat v. Krehl berufen worden,
doch hat auch dieser den Ruf abgelehnt.
Bonn. Geheimer Medizinalrat Dr. med. Oskar Witze-1,
ordentlicher Honorarprofessor für Chirurgie, ist aus dem Lehrkörper
der Bonner Universität, dem er seit 1882 angehörte, ausgeschieden.
Geheimrat W i t z e 1 hat bekanntlich die Leitung der Düsseldorfer
städtischen Krankenanstalten, der chirurgischen Abteilung daselbst und
der Akademie für praktische Medizin übernommen. — Die Gesamt¬
frequenz der Universität Bonn beträgt im laufenden Sommersemester
3603. Davon sind 3348 immatrikulierte Studierende und 255 Hörer,
und zwar in der medizinischen Fakultät 273. (hc.)
Greifswald. Habilitiert: Dr. Guido Fischer mit einer
I robevorlesung „Ueber die Entwicklung der Zahnheilkunde zur selbst¬
ständigen Wissenschaft“.
Halle a. S. An der Universität Halle a. S. sind 'im laufenden
Semester 2192 Studierende immatrikuliert, gegen 2136 im Sommer 1906.
Davon sind 210 (175) Mediziner, (hc.)
Heidelberg. Prof. v. Krehl hat den an ihn ergangenen
Ruf nach Berlin als Nachfolger v. Leydens abgelehnt. Es wurde
ihm seitens der Klinikerschaft eine Ovation dargebracht.
Königs bie r g i. Pr. Die Gesamtzahl der im laufenden Semester
an der Universität Königsberg i. Pr. immatrikulierten Studierenden
beträgt 1048, davon in der medizinischen Fakultät 216. (hc.)
Leipzig. Der Privatdozent Dr. Theodor Dependorf an
der Universität Jena ist vom 1. Oktober ab zum etatsmässigen
ausserordentlichen Professor in der medizinischen Fakultät und zum
Direktor des zahnärztlichen Institutes der Universität Leipzig er¬
nannt worden.
München. Prof. Friedrich Müller hat den ehrenvollen Ruf
an die I. med. Klinik in Berlin abgelehnt. Unsere medizinische Fakul¬
tät bleibt dadurch vor einem schweren Verluste bewahrt. In den
weitesten Kreisen der Stadt herrscht Befriedigung über diesen Ent¬
schluss des ausgezeichneten Klinikers. Nächst der med. Fakultät sind
es besonders die Aerzte, die Herrn Prof. Müller für seine Ent¬
scheidung zu Gunsten Münchens Dank wissen. Von höchster
Stelle ist ihm der Dank durch Verleihung des Verdienstordens der
bayerischen Krone, mit dem der persönliche Adel verbunden ist, aus¬
gedrückt worden. Auf der 2. Vorschlagsliste der med. Fakultät für
die Neubesetzung der Professur für Geburtshilfe und Gynäkologie
standen: 1. Hofmeier, 2. Döderlein, 3. v. Herff. Döder-
lein ist berufen und hat den Ruf angenommen.
Strassburg i. Eis. Die Gesamtzahl der im laufenden Se¬
mester an der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg immatriku¬
lierten Studierenden beträgt 1622 gegen 1418 im Sommer 1906, davon
in der medizinischen Fakultät 233 (217). (hc.)
Tübingen. Prof. Dr. Albert D ö d e r 1 e i n, Vorstand der
hiesigen Universitäts-Frauenklinik, hat einen Ruf nach München als
Nachfolger von Geh. Rat v. W i n c k e 1 erhalten und angenommen.
— Dr. med. Paul Gross, bisher Assistenzarzt an der psychiatrischen
Klinik, früher Assistenzarzt bei Oppenheim- Berlin und Wilder-
m u t h - Stuttgart, hat als leitender Arzt das bisher von San. -Rat
Wildermuth geleitete Sanatorium Ottilienhaus in Stuttgart über¬
nommen. — Privatdozent Dr. Konrad Sick, II. Assistenzarzt an der
medizinischen Universitätsklinik wurde zum Vorstand der inneren
Abteilung des Katharinenhospitals (städtischen Krankenhauses) in
Stuttgart gewählt.
Charkow. Dr. C. Jakuschewitsch habilitierte sich als
Privatdozent für innere Medizin.
Wien. Für das Fach der Chirurgie habilitierten sich an der
Wiener Universität Dr. med. Paul C 1 a i r m o n t, Assistent bei Prof,
v. Ei.selsberg an der I. chirurgischen Klinik und Dr. med. Paul
A 1 b r e c h t, Assistent bei Prof. Hochenegg, an der II. chirur¬
gischen Klinik, (hc.)
(Todesfälle.)
In Manchester istarb am 13. Juni Dr. Julius Dreschfeld,
Professor der Medizin an der Universität Manchester. Dresch¬
feld war 1845 in Niederwerrn in Bayern geboren und kam mit 16
Jahren nach Manchester, wo er an Owens College studierte; 1864
besuchte er die Universität Wiirzburg und vollendete da seine medi¬
zinischen Studien. 1866 machte er den Feldzug als Assistenzarzt der
bayerischen Armee mit, kehrte aber 1869 nach England zurück und
begann in Manchester die ärztliche Praxis. Dank seiner glänzenden
Begabung errang er sich dort bald eine hochangesehene Stellung.
1876 wurde er Lehrer der Pathologie an Owens College, 1891 Pro¬
fessor der Medizin. Er galt als ausgezeichneter Lehrer und Arzt,
seine umfangreiche wissenschaftliche Tätigkeit stellt ihn in die erste
Reihe unter den englischen Klinikern.
Prof. Dr. med. Maximilian Schüller, seit 1883 Privatdozent für
Chirurgie an der Berliner Universität, ist am 19. ds. im Alter von
64 Jahren gestorben, (hc.)
Berichtigung. In der Korrespondenz „Therapeutische
Sondervereinigungen“ in Nr. 26 sind auf S. 1312 die drei ersten Zeilen
v. o. ausgefallen. Es ist zu ergänzen: Einem grossen Teil der Teil¬
nehmer an der Versammlung wird von dieser Sondervereinigung
nichts bekannt geworden sein. Die Bildung derselben ist in aller
Stille erfolgt und würde zweifellos auch auf Opposition etc.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Die Bezirksarztstehe 1. Klasse in Eggenfelden.
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Ge¬
suche bei der ihnen Vorgesetzten Kgl. Regierung, Kammer des Innern,
bis zum 10. Juli 1. J. einzureichen.
Gestorben. Dr. Josef K u 1 z e r, prakt. und Bahnarzt in
Flirschau bei Amberg, 44 Jahre alt.
Korrespondenz.
In dem Aufsatze „Zur Frage der angeborenen Funktionsdefekte
im Gebiete der motorischen Hirnnerven“ No. 25 der Münch, med.
Wochenschr., S. 1225 schreibt der Verfasser Dr. Neurath:
„Ganz unklar und zur eigenen Auffassung des Autors im Wider¬
spruch stehend erscheint es* wenn Heubner an einer Stelle schreibt:
.dass die Vermutung von Möbius eine glänzende Bestätigung ge¬
funden hat; wenigstens insofern, als den kombinierten Hirnnerven¬
lähmungen während des Lebens eine kombinierte schwere Schädigung
von Nervenkernen in genau entsprechendem Umfange gegenüber¬
steht.4 Heubner betont doch selbst, dass keine Zellschädigung,
sondern ein Zellmangel in seinem Falle Vorgelegen habe. Es wäre
daher an Stelle des Namens Möbius der K u n n s zu stellen.“
Diesen Vorwurf muss ich als unberechtigt zurückweisen. Der
Herr Verfasser übersieht, dass ich nicht von Schädigung von Zellen,
sondern von Schädigung von Kernen gesprochen habe. Dass aber
ein Nerven kern durch den irgendwie bedingten Ausfall des grössten
Teils seiner Zellen geschädigt ist, das dürfte wohl auch Herrn Neu¬
rath „klar“ sein. Also gehört an jene Stelle meiner Abhandlung der
Name von Möbius und nicht der von Kunn.
Uebrigens hätte es sich wohl gehört, dass Herr Neurath in
seinem Literaturverzeichnis auch meine Abhandlung, die er auf jeder
Seite der seinigen zitiert, mit Quellenangabe aufgeführt hätte.
Berlin, 21. Juni 1907. O. Heubner.
1360
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 21.
Grundzüge der wirtschaftlichen Organisation der bayer.
Bezirksvereine und Aerztekammern.
An die ständigen Ausschüsse der bayer. Aerztekammern!
Im Jahre 1903 haben sämtliche bayerischen Aerztekammern sich
bereit erklärt, die wirtschaftliche Organisation in Bayern in me
Hand zu nehmen, und der darauf erfolgte Ministenalbescheid hat
diesen Beschluss gutgeheissen. Einige Kammern haben daraufhin
diese Organisation durchgeführt, andere nicht und manche wieder
haben Lücken gelassen, die später nicht ausgefuUt wurden. Der bis
da bestehende wirtschaftliche Frieden entschuldigte diese Unter
lassumr Es erscheint aber allmählich doch recht notig, dass die
Kammern nm Konflikte aller Art zu vermeiden, den Wirkungskreis
scharf umgrenzen, den sie sich und den Bezirksvereinen gezogen
haben wollen, und dass sie bei dieser Gelegenheit auf die lruher ge¬
fassten Beschlüsse zurückkommen und dieselben revidieren
Wenn wir das Arbeitsgebiet unserer Kammerorganisation tts -
legen, kommen wir in keinen Konflikt mit der wirtschaftlichei
Organisation des deutschen Aerztevereinsbundes Jm Geg-ente .
Der L V dessen Bedeutung und Unentbehrlichkeit für den Aeizte-
stand wir voll erkennen, soll, über die lokalen Differenzen der Aerzte
unter sich herausgehoben, unparteiischer Ratgeber und Helfer für
a ! 1 e^senu üheren Beschlüsse wie z. B. der drei fränkischen Kreise
haben die Gründung von Vertrngskommnssionen und von lokalen
Verbänden, das Unterschreiben der für ganz Deutschland gültigen
Reverse sowie den Beitritt zum Leipziger Verband für notig erklärt,
ferner Ratschläge gegeben über den Abschluss und die Kündigung
von Verträgen sowie einzelne Direktiven bei wirklichen Kämpfen mit
Krankenkassen. In manchen Bezirksvereinen ist darnach der Be
tritt zum L. V. bereits obligatorisch.
ln fast allen Kammern ist auch schon eine Instanz vor¬
gesehen, falls zwischen Vertragskommission resp. Bezirksverein und
einzelnen Aerzten Differenzen entstehen. Mittelfranken hat diese
Funktion der Kommission für Beschwerde im Sinne des § 1- der
Allerh Verordnung vom 9. Juli 1895 übertragen; es kann ebenso eine
besondere Kommission gewählt werden. Oberbayern hat über das
formelle Recht der Kammern, solche neue Kommissionen zu be-
sUhen debattiert; nach der Zustimmung der Staatsregierung zur
Hauptsache dürfte dieses Recht unzweifelhaft sein und höchstens ein
Zusatz zur bestehenden Geschäftsordnung notig werden.
Die Aufstellung präziser Vorschriften, wie bei Aufnahme von
Kämpfen mit Kassen aller Art der Geschäftsgang sein muss, wenn ein
Beschluss Geltung für alle Aerzte haben soll, erscheint notwendig.
Durch eine Instanz wird das Recht des Einzelnen bessei ge¬
schützt, unberechtigte Majorisierungen hintangehalten u. a. m.
In dieser neuen Kammerkommission müssen ebenso wie bei der
Kommission für Beschwerden im Sinne des § 1- Mitgliedei der be¬
teiligten Vereine ausscheiden. . , , .
Bestimmungen sind zu treffen, wie es zu halten ist bei Differenzen
mit Kassen, die in das Arbeitsgebiet mehrerer Aerzteorgansationen
^ Alle wirtschaftlichen Kommissionen brauchen die Festsetzung
von Grundregeln, die sich im Allgemeinen an die vom deutschen
Aerztevereinsbund erlassenen Direktiven anlehnen. . ,
Wir erlauben uns einen diese Momente berücksichtigenden
Organisationsentwurf vorzulegen. Wenn derselbe Billigung fin e ,
so wäre in den einzelnen Kammern zu prüfen, ob die schon 1903 be¬
schlossenen Einrichtungen den Forderungen entsprechen. Dies scheint
uns der Fall in Niederbayern, Oberfranken, Mittelfranken, Unter¬
franken und Schwaben. Oberpfalz gibt die Kammer v e r t r a g s -
kommission als Instanz an, dies könnte später leicht geändert werden,
Pfalz die Kreiskommission des Vereins Pfälzer Aerzte, also nicht der
Kammer. Diese Kommission ist aber Appell instanz in unserem
Sinne. Oberbayern hat die Instanz überhaupt noch nicht.
Es wäre zu erwägen, ob nicht eine Adaption an die Organisation
der andern Kammern zu erstreben sei; wir bitten um baldige Nach¬
richt ob unsere Vorschläge die prinzipielle Billigung der Kammer¬
ausschüsse fänden. Die Kammern würden, mindestens soweit sie
eine entsprechende Organisation haben, damit zum Ausdruck bringen,
dass der nicht auf dem vorgeschriebenen Weg entstandene Beschluss
in wirtschaftlichen Kämpfen etc. die Zustimmung und die Anteil¬
nahme der durch die Kammern vertretenen Aerzte nicht finden wird.
Unsere Aufgabe in der Herbstsitzung 1907 wird es dann sein,
die heute skizzierten Direktiven zu erörtern und zu ergänzen sowie
der Geschäftsordnung einen den Beschlüssen von 1903 ent¬
sprechenden Zusatz zu geben.
F ii r t h, im Mai 1907.
der deutschen Arbeiterversicherung zur Prüfung und Genehmigung
%(>rZ Verträge oder Abmachungen über Stellen in Gemeinden, an
Krankenhäusern, staatlichen Kassen, Stiftungen etc sind der Korn-
mission ebenfalls mitzuteilen zur Kenntnisnahme und Abgabe allen
fallsiger die Ausbreitung der ärztlichen Organisation,
den Beitritt zum L. V., die Ausstellung der Reverse, die Gründung
von Lokalvereinen zu betreiben. Bei Differenzen mit Krankenkassen
etc., die den bestehenden Vertrag nicht wesentlich alterieren, bei -wirt¬
schaftlichen Uneinigkeiten zwischen Aerzten selbst, kann sie selbst¬
ständig Beschluss fassen nach Massgabe der ihr vom Verein erteilten
Geschäftsaufträge; bei drohenden schwereren Streitigkeiten be¬
reitet sie die Anträge an den Bezirksverein vor Gegen ihre Be¬
schlüsse kann an das Bezirksvereinsplenum appelliert werden.
b) Plenarversammlung des Bezirksver ein s ent¬
scheidet über Anträge aus seiner Mitte, über Anträge der Vertrags¬
kommission und über Proteste gegen solche.
Gegen Beschlüsse des Bezirksvereins ist Appell an die Be¬
schwerdekommission der Kammer innerhalb 3 mal 24 Stunden möglich.
Der geschäftsführende Ausschuss:
Dr. W. Mayer. Dr. W. Beck h. Dr. L. S c h u h.
Grundzüge:
I. Bezirksvereine,
a) Vertrags kommission.
Jeder Bezirksverein setzt eine Vertragskommission von min¬
destens 3 Mitgliedern ein.
Der Vertragskommission sind alle neuen oder zu erneuernden
Verträge oder Abmachungen aller Art der Aerzte mit den Organen
II. Aerztekammer.
c) Beschwerde kommission wird gebildet von den Mit¬
gliedern der Kommission für Beschwerden im Sinne des § 12 der
Allerh. Verordnung d. d. 9. VII. 1905 und mit derselben Geschäfts-
d nun gesteht ^ SchlussentSch-eidung in allen wirtschaftlichen Fragen
zu auf Anrufen von irgend einer beteiligten Seite.
d) Wirtschaftliche Kommission besteht aus 3 Mit¬
gliedern, denen obliegt, die Organisation im Kreise zu fördern und mit
den Kommissionen der anderen Kreise Fühlung zu halten.
Direktiven.
1 Für Vertragsabschlüsse mit Krankenkassen.
S c h r i f 1 1 i c h e r V e r t r a g. gleiche Kündigung für beide Teile.
Keine langfristigen Verträge, wenn die ärztlichen Forderungen nicht
erfüllt sind. Keine Karenzzeit. Ausschluss von Laienbehandlung.
Keinen Vertrag mit Mittelstandskassen. Verträge mit N‘chtY,^; siche¬
rungspflichtigen nur bis zu einem Gesamteinkommen über 2000 M.,
oder Zusatzhonorar für besser Situierte. -
Honorar. Zahlung der Einzelleistung zu vereinbarten Sätzen.
Bei Pauschale Minimum 4 M. im Jahr pro Mitglied, 12 M. pro Fa¬
milie, exklusive der Extraleistungen und Zeitverluste.
In allen Fällen, in denen der Krankenkasse für ihre Ausgaben
ein Regress zusteht, ist Minimaltaxe ohne Abzug zu verlangen.
Eigenes Meldeformular für solche Fälle erwünscht (Ueberweisungen, j
Unfälle, Zahlung durch Private, Haftpflichtfälle.)
Einigungskommissionen bei Verträgen mit grosseren
Kassen behufs gemeinschaftlicher Beratung und Beilegung von Diffe¬
renzen. Gleichmässige Beschickung, wechselnder _ Wohnsitz. Bei
Uneinigkeit kann -unter Zustimmung beider«Teile ein Schiedsgericht
eingesetzt werden, gleichmässig beschickt, mit unparteiischem Vor¬
sitzenden. , . . . „„ + „4.
Kontrollkommissionen, von den Aerzten eingesetzt
zur eigenen Ueberwac-hung betr. billiger Arzneiverordnung, Zahl der
Besuche, rechtzeitiger Wiederaufnahme der Arbeit etc. Die Kom¬
mission kann Strafen verhängen (Verweis, Geldstrafe, Suspendierung
von der Kassenpraxis), Appell an den Bezirksverein.
Eigene Kontrollärzte können den Kassen nicht ver¬
weigert werden, sind aber nur unter Zustimmung der Aerzte aus-
zuwähl wjrkFichem Streit mit Krankenkassen isi
erforderlich:
Einigkeit der beteiligten Aerzte (95 Proz.? bei kleineren Plätzei
Einmütigkeit). Bestehen im Arbeitsgebiet der Kasse mehrere Ver¬
einsorganisationen, so müssen diese unter sich einig sein. (Gemein¬
schaftliche Kommission?) Zustimmung von Aerzten, die Opfer bringet
sollen ist in erster Linie nötig. Wie weit Minoritäten zu berück¬
sichtigen sind, entscheiden die Instanzen. Die Beschwerdekom
mission der Kammer hat speziell zu prüfen, wie weit bei einem Streit
fall das ganze Land -interessiert ist und darnach auch andere Kreist
resp. Kammern zustimmen müssen. Bei Honorarforderungen ist de-
friedliche Weg erst zu verlassen, wenn auch die Aufsichtsbehord«
vorher angegangen wurde. Freie Arztwahl kann nur erzwungei
werden bei voller Zustimmung aller beteiligten Aerzte. .
Die Entschädigung von Aerzten, die bei Einführung der freie!
Arztwahl Einbusse erleiden müssen, ist noch nicht in,.feste Norme
gebracht. Bei den seitherigen Versuchen ist das persönliche Ehrgetul
und die Pflicht des Einzelnen seiner Familie gegenüber nicht minie
genügend berücksichtigt. , 0 , .
Allmähliche Einführung der freien Arztwahl durch Sperre frei
werdender Stellen ist nur da durchführbar, wo kleinere Kassen in de
Händen einzelner Aerzte sind. . ,, , , ,
Drohen ernstliche Kämpfe, so ist der Leipziger Verband sofoi
zu benachrichtigen und stets auf dem Laufenden zu halten. Wird sei
Eingreifen gewünscht, so muss er dies vor dem Abbruch der Vei
handlungen erfahren, damit er seinerseits prüfen kann, ob die Bi
dmgungen seiner Hilfeleistung erfüllt sind. . . ,
Bei Verweigerung der Krankenhilfe sind Nothilfen me al
zulehnen und der Begriff solcher nicht zu eng zu halten.
OJe Mfinchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich _ _ T /NyT_,- TT_ __ Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf-
im Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen |\/l I I |\l I ’ M L |\| L I) strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/, — 1 Uhr. • für
Nummer 80 • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich I V I II | >1 1 , M T.lM p. r\ Ahonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. • Für
Ui 6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. w ' iJA v * Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplate 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
herausgegeben von
0. t. Angerer, Ch. Bäumler, O.v.BolIinger, H. Curschmann, U. Uelferich, W. r. Leube, G. Merkel, Jj.lflichel, F. Penzoldl, l\ Ganke, B. Spatz, F.v.Winckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. Mü»„ hen. München. München.
No. 28. 9. Juli 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Zur Diagnostik und operativen Behandlung der Rücken-
markshauttumoren.
Von Prof. Friedrich Schultze in Bonn.
Wenn ich noch einmal in der Angelegenheit der Diagnose
und Operation von Rückenmarkshauttumoren das Wort er¬
greife, und zwar in dieser Wochenschrift vor einem weiten
Leserkreise, so geschieht das vor allem in dem Drange, Men¬
schenleben zu retten, und sodann, um eine neue Mitteilung zu
machen, die wiederum zeigt, dass ein neuralgisches
A n f a n g s s t a d i u m oder überhaupt irgend¬
welche Schmerzen bei diesen Tumoren nicht oder nur
in angedeuteter Weise vorhanden zu sein brauchen.
Ich lasse zuerst die Mitteilung selbst in kurzen Zügen
folgen:
Am 18. XI. 06 wurde mir von Herrn Kollegen Michels, Ner¬
venarzt in Düsseldorf, eine 21 jährige junge Lehrerin zur Unter¬
suchung in meine Sprechstunde zugesandt.
Sie hatte vor etwa % Jahr etwas Schwäche - und Taub-
heitsgefühl in beiden Beinen bekommen. Beides hatte in den
letzten 6 Wochen stark zugenommen. Niemals irgend¬
welche Schmerzen; nur hatte sich kurze Zeit nach dem Eintritt
der Beinparästhesien, die besonders die Kniegegenden betrafen, auch
ein taubes Gefühl rings um den Leib oberhalb des Nabels, etwa in
der Gegend der unteren Rippenbögen eingestellt.
Seit Mitte Oktober wurde der Gang unsicher, die Beine steifer;
die Fussspitzen wurden geschleift. Die Schwäche betraf vorzugs¬
weise das linke Bein. Auch die Harnentleerung war nicht mehr
ganz normal; sie erfolgte rascher und viel häufiger als sonst.
Von irgend welchen hysterischen Erscheinungen liess sich ana¬
mnestisch nichts eruieren; Vorkrankheiten irgend welcher Art waren
nicht vorausgegangen. Die Eltern und Geschwister der jungen Dame
sind gesund.
Die Untersuchung ergab, dass es sich bei der Kranken
um ein kräftiges, blühend aussehendes junges Mädchen handelte.
Es bestand kein Nystagmus, kein Intentionszittern, keine Ataxie
der Hände. Die B a u c h d e c k e n r e f 1 e x e fehlten; die Patellar-
reflexe waren lebhaft, aber nicht abnorm; dagegen beiderseits mässig
starker Fussklonus, aber kein Babinski, Die Plantar-
reflexe fehlten. Die grobe Kraft der Muskeln der Beine nicht
wesentlich herabgesetzt; Sichaufrichten aus horizontaler Lage ge¬
schieht gut, aber nur mit Hilfe der aufgestützten Hände. Weiterhin
fand sich Hypästhesie und Hypalgesie etwa bis zum
8. Dorsalsegment nach oben. Die Arme waren frei, auch ohne
Empfindungsstörungen. Der Augenhintergrund war bereits unter¬
sucht und normal befunden worden. Die Gehirnnerven frei. Die
Wirbelsäule normal geformt, gut beweglich und ohne jede Druck¬
schmerzhaftigkeit.
Meine Diagnose schwankte hauptsächlich zwischen multipler
Sklerose und Meningealtumor. Ein intramedullarer Tumor war un¬
wahrscheinlich, weil Gliome, die ja wesentlich in Betracht kommen,
im dorsalen Teile des Rückenmarks selten sind und weil gleich-
mässige Sensibilitätsstörungen für alle Empfindungsarten bestanden.
Ich riet zu Schonung, Salzbädern und dem Gebrauche von Jod¬
natrium, obgleich nicht der geringste Anhaltspunkt für Lues ge¬
geben war.
Herr Kollege Michels berichtete mir am 9. I. 07, dass die
Schwäche und Steifheit der Beine sich verschlimmert hätte und dass
die Hypästhesie jetzt bis an das 7. bis 6. Dorsalsegment reiche. Sie
selbst gab uns später an, dass sie besonders in den Knien und in
der Kreuzgegend abwechselnd ein h e i s s e s und kaltes Gefühl
gehabt habe.
Aber noch am 3. I. konnte die Kranke ohne Begleitung und Stütze
in seine Sprechstunde kommen. Als sie an diesem Tage behufs Unter-
No. 28.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
suchung der Sensibilität an der Streckseite der Beine kürzere Zeit
auf dem Bauche gelegen hatte, konnte sie „plötzlich weder
gehen noch stehen, so dass sie aus dem Zimmer ge¬
tragen werden musst e“. Diese Verschlimmerung betraf
aber nur die motorische Kraft, nicht die Sensibilität, deren Höhen¬
grenze überdies die gleiche blieb. Auch die leichte Blasenstörung
hatte nur wenig zugenommen. Schmerzen fehlten an¬
dauernd. Die durch die Bauchlage hervorgerufene motorische
Lähmung ging zwar im Laufe der nächsten Tage etwas zurück, blieb
aber so stark, dass das Gehen nur für wenige Schritte und auch dann
nur mit doppelseitiger Unterstützung möglich war.
Für Herrn Kollegen Michels erwuchs aus dem ganzen fort¬
schreitenden Verlaufe der Erkrankung der immer stärkere Verdacht,
dass es sich um einen „Tumor med. spinalis“ handeln möchte.
Die Kranke wurde dann am 17. I. zur genaueren Beobachtung
und zur Entscheidung der Operationsfrage in die medizinische Klinik
in Bonn aufgenommen.
Sie erwies sich als ungewöhnlich intelligent und zugleich als un¬
gewöhnlich objektiv in bezug auf ihre Krankheitszustände. Sie gab
an, dass sie in letzter Zeit in bezug auf die Harnentleerung oft lange
warten oder stark pressen müsse. „Rückenschmerzen“ habe
sie nur in letzter Zeit nur „nach besonderer Anstrengung“ gespürt; sie
konnten aber nicht genauer lokalisiert werden; von ausstrahlen¬
den Schmerzen war keine Rede.
Die Untersuchung ergab, dass die Kranke nur mühsam in
gebückter Haltung unter doppelseitiger Unterstützung
einige Schritte machen konnte. Es bestand auf motorischem
Gebiete kurz zusammengefasst eine starke spastische Para¬
parese mit Ataxie. Ein deutlich pathologischer Nystagmus
fehlte wie früher; die Arme und Hände waren völlig gesund. Sich¬
aufrichten aus liegender Stellung ohne Unterstützung unmöglich.
Die Gehirnnerven sämtlich normal; der Augenhintergrund ohne
Veränderung.
Die Sehnenreflexe wie früher: an den Armen normal, bei¬
derseits Fussklonus. Aber jetzt links manchmal Babinski, rechts
kein Fussohlenreflex.
Die Untersuchung der Sensibilität lässt eine Hypästhesie
für alle Empfindungsarten vorn beiderseits bis zum Proc. xyphoides
erkennen, oder genauer bis zum Ansätze der 7. Rippe an das Sternum.
Oberhalb dieser Grenze befindet sich links eine etwa 2 cm hohe
hyperästhetisch eZone. Auf der Haut des Rückens lässt sich
keine sichere Grenze für den Beginn der Herabsetzung des Emp¬
findungsvermögens feststellen.
Am rechten Unterschenkel ist die Hypästhesie etwas
stärker ausgeprägt als am linken; an diesem ist sie an der Innen¬
seite wieder stärker als an der Aussenseite.
Das Lagegefühl ist beiderseits erheblich gestört.
Häufig spontane Muskelzuckungen in den Beinen, links
etwas mehr als rechts.
Die Wirbelsäule normal; bei genauester Untersuchung nir¬
gends eine umschriebene Druckempfindlichkeit.
Auch in den nächsten Wochen lässt sich keine derartige Druck¬
empfindlichkeit feststellen (Prüfung mit dem Druck der Fingerknöchel
zu beiden Seiten eines jeden Wirbelfortsatzes). Die Sensibilitäts¬
grenze bleibt sich gleich; aber das Lagegefühl schwindet allmählich
völlig. Die motorische Lähmung nimmt zu; das Gehen
wird unmöglich; beide Beine können in der Rückenlage nicht mehr
von der Unterlage gehoben werden. Nach längerem Sitzen soll sich
an einer bestimmten Stelle ein Druckgefühl bemerkbar machen.
Da sich in der Kreuzbeingegend eine stärkere Rötung einstellt,
und ausserdem die Kranke sehnsüchtig Hilfe erwartet und eine
Operation selbst herbeiwünscht, wird am 16. II. die Ausführung der
Operation beschlossen.
Die Annahme einer multiplen Sklerose musste bei dem
stetigen Fortschreiten aller vorhandenen Krankheitssymptome
innerhalb der einmal gesetzten Ausdehnungsgrenzen fallen ge¬
lassen werden. Gegen die Annahme einer chronischen dorsalen
Myelitis sonstiger Art sprach der Mangel jeder für ihre Ent-
1
1362
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
stehung bisher bekannten Ursache und die gleichmässige Pro¬
gression; gegen eine chronische Meningomyelitis die dauernde
Abwesenheit deutlicher Schmerzen selbst in der Zeit der stär¬
keren Zunahme der Krankheitserscheinungen.
Ferner sprach auch gegen die Annahme aller dieser er¬
wähnten Zustände einigermassen der Umstand, dass bei
der Bauchlage der Kranken eine rasche Ver¬
se h 1 i m m e r u n g der Lähmungserscheinungen
ein trat, ein Symptom, das allerdings bis jetzt noch nicht
näher erforscht worden ist. Immerhin lässt es sich doch eini¬
germassen mit den Extensionsversuchen in Parallele stellen, die
sowohl bei Kompression durch Wirbelkaries als durch Tumoren
(Oppenheim) nicht selten auch sonst eine Verschlimmerung
bestehender Ausfallserscheinungen hervorgerufen haben.
Jedenfalls ist schwer zu verstehen, wie bei irgend einer Form
von chronischer Myelitis eine Verschlimmerung durch die
Bauchlage herbeigeführt werden soll, während bei Kompres¬
sionen durch Wirbelveränderungen und besonders durch
meningeale Tumoren ein stärkerer Druck in der horizontalen
Bauchlage sehr wohl herbeigeführt werden kann.
Da ferner durch Kompressionen bekanntlich vorzugsweise
eine motorische Lähmung erzeugt wird, so lässt sich bei An¬
nahme einer Drucksteigerung auch gut verstehen, dass durch
die Bauchlage nur eine Verschlimmerung der Motilitäts-
schwäche, nicht aber der Sensibilitätsstörungen herbeigeführt
wurde.
Freilich konnten wir selbst bei einem weiteren Versuche,
den Einfluss der horizontalen oder nahezu horizontalen Bauch¬
lage auf die Lähmung festzustellen, keine Verstärkung der
allerdings schon sehr erheblichen Paresen festzustellen.
Jedenfalls verdient aber dieses Symptom weitere Prüfung,
auch gegenüber der Differentialdiagnose gegenüber intramedul¬
lären Geschwülsten.
Musste man so eine Kompression annehmen, so
sprach nichts für die Annahme einer Karies der Wirbelsäule
oder eines metastatischen Tumors in derselben oder in den
Häuten. Denn in keinem Körperorgane der Kranken liess sich
bei sorgfältiger Untersuchung irgend etwas von Tuberkulose
oder irgend einer Neubildung nachweisen. Lues war mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon durch die
Anamnese ausgeschlossen, erst recht durch den Befund am
sonstigen Körper, durch den Krankheitsverlauf selbst und durch
das völlige Versagen der Jodkur. Von Steifigkeit oder Druck¬
empfindlichkeit der Wirbel war keine Rede.
Gegen die Annahme eines intra medullären
I umors sprach endlich die schon erwähnte relative Selten- I
heit derselben im Dorsalmark, sowie ferner der dauernde gänz¬
liche Mangel von Dissoziationslähmung.
War er aber auch vorhanden, so erschien uns angesichts
der sonst trostlosen Prognose, der immer stärker fortschreiten¬
den und bereits mit Dekubitus drohenden Lähmung die Opera-
tion geboten, die nur nützen und sogar im schlimmsten Falle
des tödlichen Ausganges ein jämmerliches Siechtum abkürzen
konnte.
Nur der Umstand konnte vor der Operation zurück¬
schrecken lassen, dass nicht das typische Bild eines
Meningealtumors vorhanden war, dass nämlich sowohl
die örtlichen Druckschmerzen und im wesentlichen Schmerzen
überhaupt, als auch die ausstrahlenden neuralgischen Schmer¬
zen fehlten, an deren Stelle nur im Anfänge gürtelförmige um¬
schriebene Parästhesien bestanden.
Es wurde aber ein solches völliges Fehlen von neural¬
gischen Schmerzen und von Druckempfindlichkeit der Wirbel¬
säule bereits zweimal von mir und einmal von Oppen-
h e i m beobachtet, abgesehen von einem weiteren Falle mit
nur geringfügigen sensiblen Reizerscheinungen (No. 9 in meiner
Arbeit über Diagnostik der Rückenmarkshautgeschwülste in
den Mitteil. a. d. Grenzgeb. etc., Bd. XII, S. 190). In dem einen
meiner Fälle war der I umor von hinten seitlich aufgewachsen
und von Haselnussgrösse; ich hatte aber wegen dieser fehlen¬
den Schmerzen die Diagnose nicht hinreichend früh Operations¬
teil zu stellen gewagt, so dass der Kranke zu meinem grossen
Schmerze elend seinem Leiden erlag. Der zweite ist kürzlich
aus meiner Klinik von Stursberg veröffentlicht (Deutsche
Zcitschr. f. Nervenheilk., Bd. XXXII, S. 113). Auch bei ihm
No. 28.
fand sich eine nicht grosse Geschwulst von 1,5 cm Länge, die
sich auf der rechten Seite entwickelt hatte, aber von Herrn
Kollegen Bier glücklich entfernt werden konnte.
Es konnte somit die dauernde Abwesenheit von Schmerzen
nicht gegen die Vornahme einer Laminektomie sprechen.
Die Diagnose der oberen Grenze der Geschwulst war
leicht. Entsprechend unserem gewöhnlichen für den Dorsal¬
teil des Rückenmarks geltenden Schema baten wir Herrn Kol¬
legen Bier, gegenüber dem 4. und 5. Dorsalwirbelfortsatz
einzugehen. Denn ihnen gegenüber liegen der 5. und 6. Dorsal¬
wirbelkörper und diesen gegenüber das 7. Segment, in dem
noch Hypästhesie bestand, und das 6., innerhalb dessen auf der
linken Seite Hyperästhesie angegeben wurde.
Der Tumor musste mehr links liegen 1. wegen der oben
erwähnten linksseitigen Gürtelhyperästhesie und 2. wegen der
angedeuteten leichten Seitenläsion, da ja zuerst besonders das
linke Bein motorisch schwächer gewesen war und die Hyp¬
ästhesie zuletzt rechts stärker ausgeprägt erschien.
Es fand sich nun in der Tat genau an der angegebenen
Stelle exti adural hinten links ein Tumor von etwa
Walnussgrösse1) der leicht stumpf entfernt werden
konnte und sich als ein Fibrom erwies.
Die Operation wurde am 16. II. 07 gemacht; Fieber stellte
sich nachher niemals ein; die Nähte wurden am 28. II. ent¬
fernt.
Schon am ersten läge nach der Operation konn¬
ten dieFiisse etwas bewegt, am zweiten Tage nach
derselben die Beine angezogen und heruntergedrückt werden.
Auch die Sensibilität war am zweiten läge nach der Operation
viel besser als vorher; das Wasserlassen normal.
Rasch schritt die Besserung vorwärts; am 8. III. wurde be¬
reits der erste Gehversuch unternommen, bei dem eine
Unterstützung kaum nötig war. Nur war der Gang noch etwas
ataktisch und diese Störung hielt auch später noch am läng¬
sten an.
Die weitere Besserung schritt sehr rasch voran. Die
Kranke kann jetzt — Anfang Mai — ein paar Stunden allein
gehen und klagt nur noch über leichtes Gefühl von Kniesteifig¬
keit und findet ihre Reflexe etwas stärker.
Jedenfalls ist aber völlige Heilung erzielt worden.
Der Fall lehrt also von neuem, dass man sich, wenn die
sonstigen Symptome eines nicht lang ausgestreckten und nicht
metastatischen Tumors der Rückenmarkshäute vorhanden sind,
nicht durch die Abwesenheit von Schmerzen in seiner Diagnose
beirren lassen soll.
Woher freilich diese merkwürdige Schmerzlosigkeit in
einem Teile der Fälle kommt, steht noch dahin. Auf eine von
mir aufgestellte Hypothese zur Erklärung des auffallenden Ver¬
haltens will ich hier nicht zurückkommen, sondern nur be¬
merken, dass in meinen sämtlichen Fällen dieser Art keine Spur
von Hysterie, also auch keine Spur von hysterischer Analgesie
vorhanden war.
Etwa zu gleicher Zeit mit dem eben beschriebenen Falle
beschäftigte mich ein weiterer, bei dem ich zu der Diagnose
einer Kompression mit der Möglichkeit eines extramedul¬
lären J umors gelangte und bei dem ebenfalls eine Laminek¬
tomie vorgenommen wurde.
Fr betraf einen 56 jährigen Schreinermeister A. aus N., der mir
am 17. VII. 06 ausser über Gefühle von Unruhe in den Beinen und
über grössere Erregtheit hauptsächlich über Schmerzgefühle
im Umkreise um die rechte Schulter herum klagte. Eine
Wirbelveränderung war nicht auffindbar, ebensowenig liess sich an den
Lungen, an den Pleuren, an den Rippen und am Nervensystem irgend
eine Veränderung nachweisen. Bald nach dieser Untersuchung stellte
sich leichte Ermüdbarkeit der Beine ein, die sich während des Monats
August erheblich verschlimmerte, so dass der Kranke kaum mehr
gehen konnte. Anfangs September stellte sich ein „Bandgefühl“
beiderseits am Rumpfe ein, das von den Weichen bis zur Herzgrube
sich erstreckte. Der 7. Brustwirbel war druckempfindlich; von ihm
sollte angeblich der Schulterschmerz ausstrahlen. Ausserdem fand
sich beiderseits Schwäche der Brustmuskeln und der Beinmuskeln,
besonders des lleopsoas, ferner Fussklonus links und Babinski. Die
Patellarreflexe nicht abnorm gesteigert; Pupillen, Gehirnnerven nor-
') Die Masse der gehärteten Geschwulst betrugen in der I äuge 3
in der Breitenrichtung 2Vz cm, in der Dicke lVs cm.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
mal. Arme frei. Sensibilität überall intakt. Blasen- und Darm-
störungen fehlten.
Im Laufe der folgenden Wochen nahm die motorische
Schwäche der Beine zu, und der Kranke Hess sich am 30. XI. 06
in das hiesige Johanneshospital aufnehmen.
Hier war im wesentlichen eine spastische Paraplegie
der Beine festzustellen, während die Sensibilität normal war. Stets
wurde jetzt der fünfte Brustwirbel als druckempfindlich angegeben.
Das Gehen war unmöglich; schmerzhafte Zusammenziehungen der
Beinmuskeln quälen den Kranken sehr erheblich.
An den Wirbeln, an der Lunge auch jetzt nichts Abnormes zu
finden. Der Harn normal. Dauernd wird über ein schmerz¬
haftes Gürtelgefühl etwa im 7. Dorsalsegment, etwas ober¬
halb des Rippenbogens geklagt.
Aus den gleichen Gründen wie im vorigen Falle war die An¬
nahme einer Kompression der Med. spinal, das Wahrschein¬
lichste, wenn auch das völlige Fehlen von Hypästhesien neben der
starken motorischen Lähmung auffallend war. Die dauernde, bei
vielen Untersuchungen gleichmässig angegebene Druckschmerzhaftig¬
keit in der Höhe des 5. Brustwirbelfortsatzes in Verbindung mit einer
Hyperästhesie an der Stelle des Gürtelschmerzes im Bereiche
des 7. Dorsalsegmentes sprach für den Sitz des Druckes gegenüber
dem genannten Fortsatze.
Die Ursache der Kompression blieb freilich unklar. Gegen einen
intramedullaren Tumor, der von innen drückte, sprachen die leb¬
haften örtlichen und ausstrahlenden Schmerzen, gegen einen extra¬
medullären das monatelange Ausbleiben der Hypästhesie.
Ich sprach mich deswegen für ein abwartendes Verhalten aus,
da ich glaubte, die fehlende Hypästhesie würde schon noch folgen.
Da aber der durch seine schmerzhafte Muskelkrämpfe stark ge¬
marterte Kranke auf Hilfe drängte, da ausserdem auch bei anderer
Ursache für die Kompression als durch einen Tumor genützt werden
konnte, stimmte ich der Vornahme einer Laminektomie zu, die von
Herrn Kollegen Bier am 13. XII. vorgenommen wurde. Es wurden
der 4., 5. und 6. Dofsalwirbelfortsatz freigelegt, die Muskulatur mit
breiten Meissein abgehebelt, die Dornfortsätze und Bögen abge¬
kniffen, aber kein Tumor gefunden, auch intradural nicht. Das frei¬
gelegte Rückenmark war dünner als normal, Liquor cerebro¬
spinalis floss nicht ab.
Die Operationswunde heilte gut; natürlich war aber die Läh¬
mung die gleiche geblieben, wenn auch die Spasmen nachgelassen
hatten. Eine Herabsetzung der Sensibilität trat auch bis zum Tode
nicht auf. Ende Dezember stellte sich Zystitis ein, sodann aber
Husten mit mühsamer Entleerung zähen Schleimes und allmählig zu¬
nehmenden Rasselgeräuschen über dem ganzen Thorax. Fieber ge¬
sellte sich hinzu, ebenso Dekubitus. Ende Februar entwickelte sich
auffallenderweise in der Operationsnarbe ein Abszess, der von selbst
aufbrach.
Am 21. III. 07 starb der Kranke. Die Sektion, die nur teilweise
vorgenommen werden konnte, ergab einen sehr merkwürdigen Be¬
fund, nämlich eine Nekrose des 4. und 5. Brustwirbels und der vor¬
liegenden Rippienköpfchen, ferner einen grossen jauchigen Abszess
im hinteren Mediastinum, in der linken Lungenspitze ebenfalls einen
umschriebenen Gangränherd.
Von Tuberkulose nichts zu finden; ebensowenig von einem Kar¬
zinom des Oesophagus. Es muss somit im Zusammenhalt mit der
Entwicklung des Leidens angenommen werden, dass zu¬
erst sich eine Wirbelveränderung entwickelt hatte, die
dann später mit Lungenveränderung sich verband. Auf
genauere Erörterungen will ich hier nicht eingehen. *) Die
Dura mater war in der Höhe der Wirbelaffektion unregelmässig
stark v e r d i ck t, seitlich beinahe tumorartig, das Rückenmark
selbst zeigte makroskopisch Degenerationen in den Seiten- und
Hintersträngen, wie sie Kompressionen entsprechen und absteigende
Degeneration in den Pyramidenbahnen. Das Fehlen von Liquor¬
abfluss bei der Operation fand seine Erklärung in Verwachsungen
zwischen Dura und Pia.
Die Diagnose der Kompression war also richtig gewesen; ebenso
die Bedenken gegen eine grössere Wahrscheinlichkeit der Annahme
eines extramedullären Tumors, weil diese gewöhnlich eine Hyp¬
ästhesie erzeugen, wenn wochenlang nahezu völlige motorische Läh¬
mung besteht. Immerhin war der Versuch, durch Operation zu helfen,
gerechtfertigt. Die Operation hatte auch nichts geschadet, nur den
unglücklichen Ausgang des Leidens nicht zu hemmen vermocht.
Im Anschlüsse an diese Mitteilungen möchte ich mir ge¬
statten, über alle meine Diagnosen und über alle Operationen
in bezug auf Rückenmarkshauttumoren tabellarisch zu be¬
richten, wobei ich solche ausschliesse, bei denen sicher von
vornherein maligne Metastasen angenommen werden mussten,
und deswegen auch nicht operiert wurde.
*) Anmerkung bei der Korrektur: An der Kompressions¬
stelle im Rückenmark fand Herr Dr. Finkelnburg einen kleinen
tuberkulösen Herd. Es lag also doch eine tuberkulöse Er¬
krankung vor.
1363
Man kann aus dieser Tabelle entnehmen, wie ich denke,
dass 1. die richtige Diagnose doch recht oft ge¬
lingt und nicht selten gar nicht schwer ist; denn manche Fälle
von dorsalen Rückenmarkshautgeschwülsten verlaufen gerade¬
zu typisch, und dass 2. die Operation an sich meistens
Uebersichtstabelle über bisher diagnostizierte Fälle von Riicken-
markshauttumoren.
Zeitangaben
O
Namen
der
Operateure
Operiert
oder
nicht
Angabe,
ob ein Tumor
gefunden wurde
oder nicht
Ausgang
Publikationsort der
Berichte über die
einzelnen Fälle.
1889
1
Trendelen¬
burg
Operiert
Kein Tumor
vorhanden, auch
nicht bei der
Autopsie
Verschlimme¬
rung, Tod
2 Monate nach
der Operation
1898
2
Schede
Dto.
Tumor
gefunden
Geheilt
1899
3
Schede
Dto.
Gefunden
Geheilt
1899
4
—
Nicht
operiert
gegenüber dem
Atlas sitzend
t
1900
5
Schede
Operiert
Gefunden
Geheilt
In den Mitteilung.
1901
6
Schede
Dto.
(grosser
Cauda
Dto.
Tumor der
e q u i n a)
t 11 Tage nach
der Operation
aus den Grenz-
i gebieten der Medi¬
zin und Chirurgie,
1901
7
Graff
Operiert
Gefunden
Dauernde, bis
jetzt anhaltende
Besserung
Bd. XII 1903,
S. 153 ff.
1901
8
Schede
Dto.
Pachymeningi-
tischer Tumor,
nur teilweise
entfernbar
t 2 Monate
nach der Ope¬
ration
1902
9
Schede
Dto.
Gefunden, da¬
neben ein Tumor
im Plex. brach.
t etwa 15 St.
nach der Ope¬
ration
1902
10
Nicht
operiert
f Operabler Tu¬
mor gegenüber
d. Dorsalmark
>
1903
11
ßarden-
heuer
Operiert
Nicht gefunden,
der Tumor sass
gegenüber dem
Epistropheus
(II. Halssegm.)
t 8 Stunden
nach der Ope¬
ration
Minkowski,
Münch. Med. W.
1904 Nr. 23 und
Mundelius, Dis¬
sertation, „Beiträge
zur topischen
Rückmarksdiag-
nostik“, Greifs¬
wald 1906.
1904
12
Nicht
operiert
Ausgedehnter
Tumor des
Cauda equina
t
Schult ze, „Neu¬
bildungen der
Rückenmarks¬
häute“, „Deutsche
Klinik“ 1905,
S. 970 ff.
1904
13
Bier
Operiert
Gefunden,
Metastase
eines Schild¬
drüsentumors
f l3/4 Monat
nach der Ope¬
ration
Nicht anderswo aus¬
führlich publiziert.
1905
Mai
14
Bier
Dto.
Gefunden, Ma¬
lignes primäres
Chromat o-
phororn
. Ui üll , ■".<
f 1 Monat nach
der Operation
Esser, „Uebereine
seltene Rücken¬
marksgeschwulst
etc.“, Deutsche
Zeitschrift für
Nervenheilkunde,
Bd. XXXII., S. 118.
1905
Dez.
15
Bier
Dto.
Gefunden
Geheilt
Esser, am
gleichen Orte.
1906
16
Bier
v/‘>
Dto.
■
Dto.
Geheilt
Stursberg, „Ope¬
rativ geheilter Fall
v. extramedullärem
Tumor mit
schmerzfreiem Ver¬
lauf“, Deutsche Zeit¬
schrift für Nerven
heilkunde,
Bd. XXXII, S. 113.
1907
Jan.
17
Bier
Dto.
Wirbelaffektion
und Pachy-
meningitis mit
Kompression
1 3 Monate nach
der Operation
In dieser Mitteilg.
1907
Febr.
18
Bier
, r . . ; , > ■
Dto.
: ' , i j » ■ i ) :
Gefunden
Geheilt
Ebenso.
r
1364
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
ungdah rlich ist, wenn es sich um den Dorsalteil des
Rückenmarkes handelt, und besonders dann, wenn die Dura
nicht eröffnet zu werden braucht.
Endlich sind die Heilerfolge in bezug auf die Lähmungen
recht erfreulich.
. Ehe ersten 10 Fälle der Tabelle finden sich bereits in
meiner oben erwähnten Mitteilung in den „Grenzgebieten“ zu¬
sammengestellt.
In fast allen 18 Fällen wurde ein extramedullärer Tumor
mit grosser oder sehr grosser Wahrscheinlichkeit angenommen;
im Falle 10 wegen der fehlenden Schmerzen nicht früh genug,
in dem oben erwähnten Falle 17 nur mit grossem Vorbehalt.
(Tabelle siehe vorige Seite.)
J?as Ergebnis dieser Statistik ist, dass in den erwähnten
18 Fällen 3 mal nicht operiert wurde, in 2 Fällen überhaupt
kein 1 umor gefunden wurde, im ersten und im vorletzten, auch
bei der Sektion nicht. Der Fall 8 mit tumorähnlicher Ver¬
dickung der Dura mater kann wohl als Tumor gelten. In einem
weiteren Falle wurde der Tumor nur bei der Operation nicht
gefunden, da er sehr hoch sass (in No. 11).
Von den übrig bleibenden 13 operierten Fällen mit posi¬
tiv vorhandenem meningealen Tumor wurden 6 völlig ge¬
heilt und 1 dauernd gebessert, also über 50 Proz.
Das deckt sich mit der jüngsten Statistik von Oppen¬
heim-), der unter 9 richtig diagnostizierten Tumoren in 4 Fällen,
also in 44—45 Proz. im wesentlichen eine Heilung durch Opera-
tion erzielte. Allerdings hatte Oppenheim in 5 weiteren
Fällen unter der Annahme eines extramedullären Tumors ope¬
rieren lassen, ohne dass die vermutete Neubildung sich fand.
Das gleiche kann mir selbstverständlich künftighin auch pas¬
sieren, da das ja von der Natur des zufällig vorkommenden
Materials abhängt. Es bleiben aber doch genug erfreuliche Er¬
folge übrig, sowohl bei Oppenheim als bei mir selbst, Er-
iolge, die sich noch eindrucksvoller gestalten, wenn ich in meiner
Statistik die von Natur malignen Tumoren ausschalte, wie sich
das gehört, und mich nur an die häufigsten und für die Opera¬
tion am günstigen liegenden Geschwülste gegenüber dem
Dorsalmark halte.
Danach waren von8Krankenmitnichtmalignen
um schnebene n G eschwülsten gegenüber dem
'Oi salmarkövölliggeheilt und 1 dauernd gebessert,
rtlso nahezu alle! In dem 8. war kein völlig exstirpier-
barer eigentlicher Tumor vorhanden gewesen, sondern eine
tumorahn hche Pachymeningitis, deren Inhaber auch an sich bei
der fortschreitenden Natur des Leidens dem Tode verfallen war
Eine umschriebene zystische Meningitis, wie sie F. Krause
mehrmals bei seinen Operationen fand, haben wir bisher nie¬
mals angetroffen. Nicht der geringste Dank für so gute Er¬
folge gebührt natürlich den geschickten Operateuren.
Anmerkung bei der Korrektur: Vor einigen Tagen
operierte Herr Kollege Gar re einen 19. Fall, bei dem ich einen
1 umor in der Höhe des dritten Dorsalsegmentes diagnostiziert hatte.
leser 1 umor fand sich in Gestalt eines gefässreichen Psammoms
zwischen Dura und Pia mater an der angenommenen Stelle vor und
wurde entfernt. Auch in diesem Falle fehlten Schmerzen
jeder Art völlig; es waren nur „unangenehme Empfindungen“
nn Rucken geklagt worden, und eine massige Druckempfindlichkeit
gegenüber dem Tumor mit Mühe auffindbar. Gleich nach der Opera-
,n Besserung der vorhanden gewesenen vollständigen motori¬
schen Lähmung; das Allgemeinbefinden bis jetzt gut trotz geringen
1 tebers, die quälenden Spasmen verschwunden.
Die Spirochaeta pertenuis und das klinische Bild der
Framboesia tropica.
Von Dr. W. Schüffner, Chefarzt der Senembah-Maat-
schappij in Deli (Sumatra).
(Mit 6 Abbildungen auf einer Tafel.)
•_ Die Entdeckung Schaudinns, dass Syphilis eine Spiro-
chatose ist, hat auch über die tropische Frambösie Licht ge¬
bracht. Las t eil an i konnte in dem Reizserum der Fram-
bosiepapillome ,in 14 Fällen 7 mal, eine Spirochäte färben, die
ihrem Aeussern nach von der Pallida nicht zu unterscheiden
war. Da er Syphilis und Frambösie für verschiedene Krank¬
heiten ansieht, so legte er jener Spirochäte zum Unterschied
die Bezeichnung pertenuis seu pallidula bei. Seitdem ist der
Befund mehrfach bestätigt worden, so vor allem hier in Indien
durch van den Borne, der die Pertenuis in 15 von 17
Fällen fand und sie genau beschrieb, und durch Corne-
1 i s s e n.
In dem letzten Halbjahr hatte ich Gelegenheit, weitere
129 Fälle von Frambösie auf das Vorhandensein von Spiro¬
chäten zu untersuchen. Die Kranken rekrutierten sich aus den
verschiedenen Volksstämmen, die das Land Deli, an der Ost¬
küste von Sumatra, bevölkern, Malayen, Battaker, Javanen,
Chinesen etc. Bei Europäern sah ich die Krankheit noch
nie. x)
In 81 Pioz. der Fälle (104 mal) habe ich die Pertenuis nach¬
gewiesen. Das positive Resultat stieg bis auf 98 Proz. bei der
Gruppe von Leuten (71 an Zahl), die einer wiederholten Unter¬
suchung zugänglich waren. Die grosse Differenz erklärt sich
dadurch, dass nicht jedes Präparat brauchbar ausfällt, aber
auch dadurch, dass die Zahl der Spirochäten sehr in den Aus¬
strichen schwankt. Manche Fälle lieferten merkwürdig leere,
andere reich mit Spirochäten besetzte Präparate. Nur in diesen
letzteren war ich auch mit der nativen Untersuchung glücklich.
Erleichtert wird das Auffinden dadurch, dass sich die Parasiten
häufig lange an einem Fleck aufhalten, etwa an einem roten
Blutkörperchen, um das sie in der Richtung von Kugelradien
herumzittern. Ich kann aber H o f f m a n n nicht Recht geben
der neuerdings das frische Präparat selbst für die Diagnose
empfiehlt. Fiii diesen Zweck leistet die Methode ebensowenig
als bei den Malariaparasiten.
Die Ausstrichpräparate habe ich zuletzt nur noch nach R o -
m a n o w s k i gefärbt. Von den vielen anderweitig emp¬
fohlenen Methoden leistete mir keine soviel als jene Färbung
in der M a u r e r sehen oder G i e m s a sehen Modifikation. Man
muss nur beachten, dass sich die Pertenuis erst lebhaft rot tin-
gmrt, wenn man den von Maurer bestimmten 5. Gradder
Färbung erreicht, bei welchem die Flecken des Tropika-
parasiten erscheinen. Andere Spirochäten, die ich als zu¬
fälligen Befund in 4 verschiedenen Spezies fand, nehmen die
Farbe viel leichter an; es genügt für sie der 3. oder 4. Grad.
Dabei wird die Pertenuis, ebenso wie die Pallida, höchstens
eben sichtbar.
Durch Aenderung der Fixierung lässt sich die Intensität der
Färbung noch steigern, so durch Osmium- oder Formalindämpfe
nach Weiden reich, oder auch durch Vorbehandeln der
Präparate, wie ich es früher für Malariapräparate angegeben
habe. Die Pertenuis wird dann förmlich schwarzrot.
Beide Arten von Spirochäten, die Pallida und die Perte¬
nuis, konnten bisher nicht von einander unterschieden werden
Wellenlänge und Tiefe, Zahl der Wellen, die fein auslaufenden
Enden erscheinen bei beiden, wenigstens bei blosser Betrach¬
tung durch das Mikroskop, gleich. Natürlich muss man sich,
um das zu beurteilen, absolut einheitlich vorbehandelter Prä¬
parate bedienen, denn Härtung und Färbung beeinflusst die
Form der Spirochäten nicht unwesentlich. Aber ich möchte
es doch dahingestellt sein lassen, ob nicht exakte Vergleiche
und Messungen an einer grösseren Anzahl von Mikrophoto¬
grammen noch feinere Differenzen aufdecken werden.
Wie bei Lues, glückte es mir auch bei Frambösie, die
Spirochäte i m G e w e b e mittels der S i 1 b e r in e t h o d e dar¬
zustellen. Die besten Resultate gab die Vorschrift von Ber¬
ta r e 1 1 i und V o 1 p i n o. Hierbei treten die Parasiten als
schwarze oder bei weniger gelungener Imprägnation als braune
Spiralen aus dem hellgelben Grunde hervor. (Vergl. Fig 2
und 3.)
Indem ich bezüglich der Anatomie der Frambösiepapel auf
die Arbeit von Henggeier verweise, sei hier nur das die
Spirochäte betreffende angeführt.
Die Silberspirochäte wurde allein im Bereich der er¬
krankten Hautpartie, und zwar da auch nur innerhalb der Epi¬
dermis gefunden. Ihr Lieblingssitz scheint das Rete Malpighi
r OPPenheim: „Beiträge zur Diagnostik und Therapie der
lsSCKarger)m Bereiche des zentralen Nervensystems“, Berlin 1907
1/rnc mra wi»piS nat mer im Lande allein Dr. Graham
rambosie bei Europäern, zwei Kindern, beobachtet. Mitteilung da-
cesterll1905r VersammIung der Brit'sh medical Association in Lei-
/
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1365
zu sein. Diese Schicht, die durch die Stachelzellen gebildet
wird, und die durch die Wucherung des Papillarkörpers enorm
ausgezogen sein kann, birgt an manchen Stellen grosse Massen
Spirochäten. Es sind die Stellen, die sich durch reichliches
Austreten von Eiterzellen, Zerfall und Einschmelzung der
Stachelzellen — Bildung miliarer Abszesse — und Erweite¬
rung der Saftkanäle kennzeichnen. Wo dieses zellige Exsudat
fehlt, kommen höchstens vereinzelte Spirochäten vor. Jenseits
der Epidermis ist es mir nicht gelungen, sie nachzuweisen, im
Gegensatz zu luetischen Sklerosen, wo sie längs den Gefässen
in der Perithelwucherung lagen.
Ich würde es aber für verfrüht halten, wollte man darauf
einen prinzipiellen histologischen Unterschied gründen. Noch
viel weniger liess sich etwas bestimmtes über die Beziehung
der Spirochäten zu den Zellen aussagen. Ich gewann wohl den
Eindruck, dass die Spiralen allein in den Saftkanälen lagen, ja
die Wand der Kanäle war bisweilen förmlich von ihnen ausge¬
kleidet, aber ein derartiger Befund lässt sich ja nach allen Rich¬
tungen hin deuten.
Die Massenhaftigkeit der Spirochäten ist nicht in allen Fällen
die gleiche. Von drei exzidierten Papillomen — drei Patienten
— zeichnete sich nur eines dadurch aus, dass das Rete beinahe
in voller Ausdehnung durchsetzt war. In den beiden anderen
Fällen traten die Parasiten nur nesterweise auf.
Die Schnitte waren transparent und dick genug, um die
Spirochäte in ihrer ganzen Länge zu verfolgen. Ich zählte
zwischen 8 — 16 Windungen. Nirgends sah ich lange Fäden;
es waren stets nur recht gleichmässige Spiralenab¬
schnitte, wirr durcheinander liegend. Dies sei besonders
hervorgehoben gegenüber den Einwänden von Saling, wel¬
cher in der Silberspirochäte durchschnittene Nervenfaserge¬
flechte erkennt. Nervenfasern erscheinen auch in meinen Prä¬
paraten; im Bereich der normalen Haut treten sie ganz ver¬
einzelt als schwarze Fäden in die Stachelzellenzone über. Sie
waren nie spiralig gedreht, wohl aber verzweigt. Eine Ver¬
wechslung der Spirochäte damit halte ich für den nicht Vor¬
eingenommenen für ganz ausgeschlossen.
Dass es sich in den Schnitten wirklich um die Pertenuis
und nicht um andere Spirochäten gehandelt hat, konnte ich
zuvor durch meine reichlichen Deckglaskontrollen sichern.
Darf man nun die Pertenuis als den Erreger der Fram-
bösie betrachten, oder ist sie nur ein zufälliger Begleiter?
Die bisherigen Spirochätenfunde sind nicht annähernd aus¬
reichend, einen Schluss daraus zu ziehen. Erst kommende
Drüsen- und Organuntersuchungen werden darüber Klarheit
bringen können. Wer sich aber heute, trotz des fehlenden
Kettenschlusses für die Pallida als Erreger der Lues erklärt,
der wird nichts Gezwungenes darin finden, wenn man die Fram-
bösie, die nach unserer Ansicht (s. u.) als Schwesterkrankheit
der Lues aufzufassen ist, schon auf das bisherige Material hin
auch für eine Spirochätose proklamiert.
Die Voraussetzung, die ich hierbei mache, ist ein gewisser
Parallelismus, der die beiden Krankheiten miteinander ver¬
bindet. Damit betreten wir ein Gebiet, auf dem heute nur Un¬
sicherheiten resp. fast soviele Ansichten herrschen, als es
Autoren bearbeitet haben. Eine Aehnlichkeit zwischen Syphilis
und Framboesia tropica im allgemeinen wird wohl von
allen Beobachtern angenommen. Aber wie weit man
die Grenzen zu ziehen hat, darüber laufen die Mei¬
nungen erheblich auseinander. Zwar darf man die Theorie von
Hutchinson und Scheu be heute getrost fallen lassen.
Nach den von P a u 1 e t und C h a r 1 o u i s am Menschen, vor
allem aber nach den von B ä r m a n n und H a 1 b e r s t ä d t e r
an Affen gemachten Impfversuchen, kann die Identität der bei¬
den Krankheiten nicht mehr zu Recht bestehen. Aber es bleiben
auch ohne sie noch genug Abstufungen der Ansichten übrig,
von der, welche in der Frambösie eine getreue Copie der
Lues sieht, bis zu jener, nach welcher sie, von kleinen Aeusser-
lichkeiten abgesehen, nichts miteinander zu tun haben.
Für diesen ist Frambösie eine Infektionskrankheit, die sich
etwa dem Impetigo gleich nur auf der äusseren Haut abspielt,
für jenen verläuft sie mit ausgedehnter Beteiligung innerer Or¬
gane, die man mit gummösen Prozessen in eine Reihe zu setzen
hätte.
Wie erklären wir uns so weitgehende Differenzen? Ver¬
läuft die Krankheit lokal so verschieden, oder liegen hier dia¬
gnostische Irrtlimer zu Grunde? Vielleicht beides; wenn ich
jedoch nach hiesigen Verhältnissen und nach mir selbst urteilen
darf, so würde ich allein dafür Fehldiagnosen verantwortlich
machen. Hätte ich vor 5 Jahren über Frambösie geschrieben,
ehe mir durch 5 jährige Tropenpraxis die Krankheit vertraut
war, so würde ich über eine Reihe von Punkten mich anders
geäussert haben als heute. D i e Erfahrung haben wohl alle
hiesigen Kollegen gemacht.
Es war daher meiner Ansicht nach das Richtige, bei der
Bearbeitung eines grossen Materials, wie es mir vorlag, noch
einmal ganz von vorn zu beginnen, auszugehen von dem all¬
gemein Anerkannten und an der Hand nur sicherer Fälle
das klinische Bild auszubauen. Die Resultate, die ich dabei bis¬
her gewann, gebe ich hier vorläufig bekannt, eine ausführlichere
Arbeit haben Dr. Bär mann und ich in Vorbereitung.
Framboesia tropica ist eine Infektionskrankheit. Sie dringt
durch die äussere Haut in den Körper ein. Die Stelle der In¬
fektion — irgend eine Wunde, bei der Gelegenheit zur Kontakt¬
infektion bestand — bildet sich zu einem Primäraffekt aus. Die
Form, unter der er sich etabliert, ist bald die der späteren typi¬
schen Eruption, bald die eines schmierigen, schlecht heilenden
Geschwürs. 4 bis 12 Wochen nach Entstehung des Affektes
bricht der eigentliche Ausschlag am ganzen Körper aus (vergl.
Fig. 1).
Ihrem anatomischen Bau nach sind die Effloreszenzen
Papillome, die durch einen feinen, entzündlich geröteten Saum
vom normalen Gewebe abgegrenzt und gekrönt sind mit
bienenwachsgelben Borken. Löst man die Borken ab, so er¬
scheint darunter die warzige, feuchte Oberfläche des gewucher¬
ten Papillarkörpers, und es tritt ein Bild zutage, das wegen
seiner Aehnlichkeit mit einer Himbeere der Krankheit ihren
Namen gab. Besonders charakteristisch sind die Fälle, in denen
die Papillome mit der gelben Borke in unregelmässiger zackiger
Form aus der dunklen Haut buchstäblich hervorbrechen. Nach
2 — 4 — 6 Monaten oder noch längeren Zeiträumen heilen die
Effloreszenzen spontan ab. Die Krankheit kann so in jedem
Stadium abschliessen, gewöhnlich jedoch rezidiviert sie mehr¬
mals. Sie kann sich über Jahrzehnte hinziehen.
In dieser Gestalt wird die Krankheit als solche wohl all¬
gemein auf den ersten Blick erkannt. Auch über das Vor¬
kommen von ring-, nieren-, girlanden- und kokardenartigen
Effloreszenzen darf man ohne Diskussion zur Tagesordnung
übergehen. Sie sind nur für den neu in die Tropen kommen¬
den Arzt Ueberraschungen, da sie Syphiliden gleichen, wie ein
Ei dem anderen. Impetiginöse Formen und solche, die aus
Bläschen hervorgehen, liegen auch noch in der Breite des ziem¬
lich von allen Seiten Zugestandenen.
Dagegen ist eine Verständigung nötig über das Vorkommen
einer Roseola. Nach P 1 e h n entscheidet in zweifelhaften
Fällen eine gleichzeitige Roseola für Syphilis. Meinen Er¬
fahrungen nach indessen gehört sie auch zum klinischen Bilde
der Frambösie. Ich sah sie bei zweifellosen Frambötikern
5 mal, also in ca. 4 Proz. der Fälle. Ich halte es nicht für un¬
wahrscheinlich, dass dieser Prozentsatz höher steigt, wenn
man Gelegenheit hat, die Fälle von Beginn an weiter zu ver¬
folgen. Meinen Aufzeichnungen entnehme ich folgenden be¬
sonders charakteristischen Fall:
Familie Kariodikromo, Javanern Sämtliche 4 Familienmitglieder
erkrankten im Laufe eines Jahres an Puru (der malayische Name
der Krankheit). Zuerst wird das älteste Kind, ein 6 jähriger Junge,
befallen, Primäraffekt am Bein; sodann die Mutter, primär am rechten
Handgelenk; darauf das kleinste Kind, 6A Jahr, primär an den Nates,
und endlich der Vater, auch am Vorderarm. Schleimhautaffektionen
fehlen bei allen, der Verdacht auf Lues wird durch nichts rege
gemacht. Die Krankheit steht bei allen noch in Blüte und ist auf
den ersten Blick zu erkennen.
Bei der Kleinsten, Saimah, die seit 3 Monaten leidet, bemerkt
man ausser den typischen Frambösieknoten bei genauerem Zusehen
eine mässig dicht gesäte, blasse Roseola, ziemlich
gleichmässig linsengross, leicht über das normale Niveau der Haut
erhaben. Am deutlichsten ist sie auf dem Rücken ausgeprägt. Sie
hält sich ziemlich unverändert 14 Tage unter Beobachtung, dann
bringt Hydr. salic. intramuskulär sie binnen wenigen Tagen, ohne
dass dabei eine Schuppung eintrat, zum Verblassen. Die Flecken
hellen sich immer mehr auf, um nach ca. 14 lagen als ein Leuko¬
derma zu imponieren.
1366
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Es müsste hier ein besonderer Zufall obgewaltet haben,
wenn sich dieses Rind als einziges von der Familie mit Syphilis
infiziert hätte. Immerhin blieb der Befund seltsam. Nachdem
er sich aber noch 4 mal mit gleicher Deutlichkeit wiederholte
— Henggeier erwähnt sie in einem zweifellosen Fall auch
einmal — darf man die Roseola mit Fug und Recht
in die Zahl der Frambösieausschläge e i n -
reihen.
Weit häufiger begegnete ich bei typischer Frambösie einem
Exanthem, das von deutschen Autoren nur flüchtig, etwas aus¬
führlicher von M a n s o n und Jeanselme erwähnt wird.
Die auffallendste Form ist die folgende: es erscheinen auf der
Haut rundliche, 1 — 3 cm im Durchmesser grosse, hellere
Flecken, die sich schon auf weithin aus dem braunen oder gel¬
ben Teint abheben. Die Randzone wird gebildet durch einen
Kranz stecknadelkopfgrosser oder noch kleinerer Papeln, die
von einer Schuppe bedeckt sein können. Sie gehen aus Haar¬
follikeln hervor, wie aus ihrer Verteilung ersichtlich ist. Nach
der Mitte zu flachen sie ab, das Zentrum wird zu einer gleich-
mässig hellen Fläche. Den Eindruck der Aufhellung, den sie
machen, verdanken sie nur zum Teil der Schuppung, in Fällen,
wo diese ganz fehlt, kann man sehen, dass eine wirkliche De¬
pigmentierung stattgefunden hat. Wie bei anderen Hautaffek¬
tionen geht auch hier der Pigmentverlust von den Haarfollikeln
aus. Bei sehr floridem Ausschlage können die Papeln selbst
einen leicht vesikulösen Charakter tragen.
Eine Umwandlung des Ausschlages in Papillome haben wir
nie wahrgenommen. Er stellt eine Exanthemform für sich dar.
Dafür halten ihn hier auch die Eingeborenen, die ihn als Bunga
pnru (Blumen der Frambösie) streng von dem eigentlichen Puru
scheiden. Als ein Initialexanthem, wie Jeanselme, möchte
ich ihn nicht auffassen. Er kann meiner bisherigen Beobach¬
tung zufolge nach stattgefundener Generalisierung zu jeder Zeit
auftreten und sich lange Zeit hindurch halten. Bald begleitet
er die Papillome, bald ist er selbst das einzige Zeichen der
Krankheit. Auf Rücken, Brust und Streckseiten der Extremi¬
täten trifft man ihn am schönsten und häufigsten an. Irgend¬
welche Beschwerden gehen von ihm nicht aus, die Kranken
kommen daher seinetwegen nicht zum Arzte.
Die Diagnose ist bei der typischen Ringform nicht schwer;
man muss sich nur hüten vor Verwechslungen mit Pityriasis
und mit 1 richophytien der Haut. Er ist indessen, wie wir uns
jetzt überzeugen, sehr variabel in seiner Form, so dass der Dia¬
gnose doch rechte Schwierigkeiten erwachsen. Unsere Be¬
obachtungen sind jedoch noch nicht weit genug gediehen, um
jetzt schon eine erschöpfende Darstellung zu geben.
Die Malayen halten die Bunga puru sogar für pathogno-
monisch gegenüber der Lues. Das ist nach meinen und
Dr. K u e n e n s, meines langjährigen Mitarbeiters, Erfahrungen
auch durchaus berechtigt. Während wir dieses Exanthem b e i
mehr als einem Viertel aller Frambötiker
notierten, fahnden wir schon seit Jahren bei unserem
reichen Lu es material (ca. 300 Kranke per Jahr in kli¬
nischer Behandlung) vergeblich nach ihm. Ob über¬
haupt ein derartiger Ausschlag bei Syphilis vorkommt, ist uns
fraglich. Es beschreibt allerdings F o u r n i e r (den Hinweis
verdanke ich Dr. van Praag) ein Syphilide papuleuse ponc-
tuee als neu und selten, das mit unserem Aehnlichkeit haben
könnte. Bei anderen Syphilidologen finden wir davon nichts
erwähnt. Wir befinden uns daher einigermassen im Zweifel.
Wenn das von Fournier beschriebene Exanthem tatsächlich
mit dem unseren übereinstimmt, so würde damit ein weiteres
Moment für die Gleichheit mit Lues gewonnen sein. Die Mög¬
lichkeit ist aber nicht absolut von der Hand zu weisen, dass
es Fournier vielleicht in den wenigen Fällen, die er sah,
mit Frambösie zu tun hatte. Bei der engen Verbindung Frank¬
reichs mit seinen Kolonien ist natürlich ein derartiger Zufall
nicht ausgeschlossen. Solange das noch nicht aufgeklärt, blei¬
ben wir dabei, dass wir hier eine spezifische
Acusserung desframbötischen Prozesses vor
uns haben, die als ausschlaggebend für die Dia¬
gnose angesehen werden darf.
Die Frambösie macht keine reinen Schleim¬
hautaffektionen! Es kommt wohl vor, dass Papillome
an den Lippen bis auf die Schleimhaut übergreifen, ja, ich sah
selbst einmal ein bohnengrosses Papillom jenseits des Lippen¬
rotes ; aber tiefer im Munde, unabhängig von der
äusseren Haut, vermisste ich stets, selbst bei
schwerster Infektion, Schlei m hauteffloreszenzen,
welcher Art auch. Es scheint daher das richtige zu sein, vor¬
läufig wenigstens Frambösie auszuschliessen, wo man i m
Munde p 1 a q u e s muqueuses w a h r n i m m t.
Mit enormer Heftigkeit können namentlich in den ersten
6 Monaten Gelenk- und Knochenschmerzen auf¬
treten. Erwachsene haben darunter viel mehr zu leiden, als
Kinder. Etwa in 20 Proz. der Fälle spielt dies Symptom eine
Rolle. Gewöhnlich klagen sie nur über einzelne Gelenke, so
vor allem über die Hand-, Knie- und Fussgelenke. Der
Schmerz lokalisiert sich mit Vorliebe an der Insertion der Ge¬
lenkkapsel oder einzelner Gelenkbänder, ohne dass dort eine
entzündliche Schwellung oder eine Synovitis zu finden wäre.
Auch auf der Röntgenplatte waren Knochen und Gelenke nor¬
mal gezeichnet. Die Schmerzen steigern sich abends und in
der Nacht; in schweren Fällen halten sie Wochen und Monate
lang den Schlaf fern. Solche Kranke, die dann fast unfähig
sind, sich zu bewegen, können dabei recht herunterkommen.
In ihrem zeitlichen Auftreten fand ich keine Regelmässig¬
keit ausgesprochen. Bald war die erste Erkrankung, bald ein
Rezidiv davon begleitet. In späteren Perioden der Krankheit
hört man allerdings seltener von ihnen. Nur nebenbei möchte
ich hier erwähnen, dass bei diesem Symptom die merkurielle
Behandlung ihre grössten Triumphe feiert. Die Beschwerden
verschwinden darnach geradezu zauberhaft. Binnen wenigen
Tagen kommt der vorher den Eindruck eines Krüppels
machende wieder in den vollen Besitz seiner Glieder.
Bei der Lues haben diese Schmerzen ihr Analogon in den
rheumatischen Arthropathien, welche den Patien¬
ten bei Ausbruch der Exantheme belästigen können. Eine
Unterscheidung ist schlechterdings unmög¬
lich, wenn man sie nicht auf ihr häufigeres Vorkommen bei
Frambösie und ihre grössere Heftigkeit gründen will. Viel
seltener tragen sie den Charakter der Dolores osteocopi, die
sich mehr auf die Diaphysen konzentrieren.
Auf eine weitere Erkrankung der Knochen, die mit der
vorangehenden nichts zu tun hat, bin ich erst in den letzten
Monaten aufmerksam geworden. Es handelt sich dabei um
eine Verdickung von Extremitätenknochen, die
ohne spontanen Schmerz verläuft, und für die sich
selbst ein besonderer Typus feststellen lässt. Unter meinen
129 Frambösiekranken, die ich auf Spirochäten untersuchte,
sind es 17, die hierher gehören. Davon fallen 4 auf 63 Er¬
wachsene, und 13 auf 66 Kinder unter 14 Jahren. Nur über
diese jugendliche Form will ich hier berichten.
1. Sodjit, 2Vz Jahr, Malayenjunge. Seit 6 Monaten erkrankt an
Frambösie (vermutlich infiziert von der 7 jährigen Schwester, die
unverkennbare Narben um den Mund und noch einzelne frische
Papillome an den Armen trägt). Der Primäraffekt, jetzt geheilt, sass
am Unterschenkel. 4 Wochen später, unter steter Weinerlichkeit,
Schlaflosigkeit, Ausbruch des Exanthems. Nach ca. 3 Monaten heilen
die meisten Eruptionen ab, nur am Munde bleibt eine grosse nässende
Fläche bestehen. Wenige Wochen darnach bemerkt die Mutter,
dass die Fiisse und einzelne Finger ihre Form verändern. Nach ihrer
Ansicht ist der Ausschlag nicht gut herausgekommen und hat sich
auf die Knochen geschlagen: Puru ngilu (derselbe Glaube also, wie
auch bei uns im Volke bei allen möglichen Ausschlägen).
Status praesens: Kräftiges Kind mit roten Schleimhäuten.
An der Unterlippe ein talergrosses, unregelmässig gestaltetes, zum
Feil borkig belegtes, zum Teil nässendes Papillom. Es dehnt sich
bis eben auf die Schleimhaut aus. Mundhöhle frei. Kein Schnupfen,
keine Zeichen von Tuberkulose. Einzelne kleinere Papillome an
den verschiedensten Stellen des Körpers. Alle Lymphdriisen ge¬
schwollen, doch ist dies Symptom, einer begleitenden Skabies wegen,
für den Augenblick nicht zu verwerten.
Der Zeigefinger hat die Form eines spitzen Kegels angenommen.
Die erste Phalanx ist gleichmässig dick aufgeschwollen, die Haut
darüber gespannt, aber gut verschieblich. Der Knochen fühlt sich hart
an, kein Knittern; stärkerer Druck wird unangenehm empfunden.
An beiden Füssen hat die Kleinzehenseite eine abnorme Model¬
lierung, sie ist nach aussen stark ausgebaucht. Der Grund hierfür
liegt in einer bedeutenden Auftreibung des 5. Metatarsus. Auch
hier zeigt nur der Druckschmerz, dass es sich um einen entzünd¬
lichen Vorgang handeln muss.
Die Gelenke scheinen nicht beteiligt zu sein; keine Herab¬
setzung der passiven' Beweglichkeit, die leichte
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1367
Herabsetzung der aktiven durch Schonung erklärlich. Ordination:
Hydr. salic. 0,01 intramuskulär.
22. Oktober 1906: Ausschlag am Eintrocknen, ausser am Munde;
gleiche Ordination.
I. November 1906: Knochenanschwellungen viel geringer;
die Mutter findet die Medizin gut, aber hält es für nötig, damit
aufzuhören. , ,
28. Dezember 1906: Die Besserung hatte, wie zu erwarten, nur
kurze Zeit angehalten, dann wurde das Kind wieder viel schlechter.
Ausser dem Daumen und kleinen Finger sind nun alle Finger ge¬
schwollen; die rechte Ulna ist verdickt, und die Füsse starker als
zuvor verunstaltet. Das Kind lässt sich lieber tragen, die Fusse
tun ihm, scheint es, beim Laufen weh. Im übrigen ist es aber ganz
munter Unter erneuter Quecksilberkur schwanden die Erschei-
liungen'bis heute, 27. Januar 1907, zum grössten Teil
o Monah, 5 Jahre, Malayenmädchen. Famihenepidemie! Elendes
blasses Kind. Seit 2% Jahren krank an rezidivierender Frambösie.
Enorme Verunstaltungen der Hände und Füsse! Rechte Hand: 1.
Phalanx des 2. und 3. Fingers, 5. Metakarpus; links: 1., 2. und 5. Meta-
karpus. 2. Phalanx des 3. Fingers; die proximalen Enden der Ulnen;
beide Füsse: 1. und 5. Metatarsus. A .
3 Halimah, lVz Jahr, Malayenmädchen, Schwester der Vongen.
Seit % Jahren leidend. Beide Mittelfinger sind mit ihrer Basal¬
phalanx beteiligt.
4. Panut, 4 Jahre, Javanenjunge. Im 4. Monat der Erkrankung.
Der linke 5. Metatarsus aufgetrieben, typische Deformierung.
5. Radjimah, 2Va Jahre, Malayenmädchen. Seit 1 A Jahren krank.
Mittelfinger der linken Hand konisch zulaufend, 1. Phalanx aufge¬
trieben. Linke Fibula in ihrem unteren Abschnitt beteiligt. _
6. Kasmah, 2Ya Jahr, Sundanesenmädchen. Famihenepidemie!
Seit 11 Monaten krank; Ausschlag unter Hinterlassung der charak¬
teristischen, oberflächlichen Narben fast ganz abgeheilt. Verdickt die
1 Phalanx des rechten Mittelfingers und die Mitte der rechten Fibula.
7 Mohamat Mardjukie, 20 Monate, Malayenjunge. Famihen¬
epidemie! 6 Monate krank, ausgebreiteter Ausschlag. Der 5. linke
Metatarsus geschwollen. „ . . , , ,
8. Melatti, 2!4 Jahr, Javanenmädchen. Seit 4 Monaten erkrankt.
Zeigefinger der rechten Hand kegelförmig, Ulna stark verdickt. Fa¬
milieninfektion! , , . T .
9. Sahat, 7 Jahre, Schwester der Vorigen. Mehr als ein Jahr
krank. Der 5. rechte Metatarsus ergriffen. _ .
10. Djeminem, 2 Jahr, Javanenmädchen. Familienepidemie! Vor
6 Monaten erkrankt. Jetzt noch floride Frambösie. Kegelform des
linken Mittelfingers und rechten Zeigefingers durch Schwellung der
1. Phalangen. ... . r c , , ,
II. Lias, 5 Jahre, Javanenjunge. Familienmfektion! Erkrankt
vor IV2 Jahren. Deformierung der Aussenkante des rechten Fusses,
durch Auftreibung des 5. Metatarsus. ,
12. Semat, 12 Jahre, Javanenjunge. Seit ungefähr 3 Jahren krank
an Frambösie. Verdickung der 1. Phalangen des rechten Mittel¬
und linken Zeigefingers, sowie beider 5. Metatarsi. _
13. Abakia, 5 Jahr, Malayenmädchen. Familienepidemie! Seit
einem Jahre krank; von den Knochen sind ergriffen die ersten Pha¬
langen des linken Mittel- und Zeigefingers, die linke Ulna und beide
5. Metatarsen.
In dieser Zusammenstellung kehren einzelne Knochen mit
grosser Regelmässigkeit wieder. 10 mal werden die ersten
Phalangen der F i n g e r genannt, die entweder allein oder
mit einer 2. Phalanx oder einem Metakarpus erkrankt sind
(vgl. Fig. 4). Die isolierte Schwellung einer 2. Phalanx
wurde einmal, eine der 3. überhaupt nicht beobachtet. Mit
fast gleicher Regelmässigkeit, wie die 1. Phalanx, erscheint
der 5. Metatarsus auf der Tabelle (vgl. Fig. 5). Beide
scheinen demnach Prädilektionsstellen zu sein. In zweiter
Linie stehen Ulna (vgl. Fig. 6) und Fibula. Ob damit
die Reihe der disponierten Knochen erschöpft ist, vermag
ich noch nicht zu sagen. Auffallende Veränderungen,
so wie die hier beschriebenen, an anderen Teilen des
Skeletts, würden mir nicht entgangen sein. Aber ob nicht
Durchleuchtungen da und dort noch etwas ansrichten würden,
will ich nicht in Abrede stellen. Bisher hatte ich dazu keine
Gelegenheit, ich musste mich damit zufrieden geben, dass man
mir bei den kleinen Patienten die kurzen Expositionen der Ex¬
tremitäten gestattete.
Auf dem Röntgenschirm erscheinen die kranken Knochen
dunkler als die gesunden, es hat ein vermehrter Ansatz
von Knochen Substanz stattgefunden. Auf manchen
Bildern hebt sich die junge Auflagerung noch scharf von der
Kompakta ab, auf anderen ist der Uebergang nicht zu verfolgen.
Die Phalangen behalten im allgemeinen ihre Form, nur ver¬
lieren sie die konkave Schweifung ihrer Seitenlinien; selten
und nur in sehr hochgradigen Fällen, dass sie sich selbst kon¬
vex bauchen. Anders an den 5.t Metatarsen. Hier äussert sich
die Volumenszunahme, die sehr bedeutende Grade annehmen
kann, unter einer gröberen Gestaltveränderung. An Ulna und
Fibula waren es langgestreckte, bisweilen spindelförmige Ver¬
dickungen, die mir bisher unter die Hände kamen.
Soviel man aus dem Röntgenbilde schliessen darf — ana¬
tomische Untersuchungen liegen ja noch nicht vor — , handelt
es sich allein um eine ossifizierende Periostitis.
Bei den Phalangenknochen ist die Diaphyse gewöhnlich in gan¬
zer Ausdehnung in Mitleidenschaft gezogen, bei den langen
Knochen nur partiell. Der Prozess führt nicht zur Rarefizierung
von Knochengewebe, die Kontinuität wird nirgends aufgehoben.
Hiermit stimmt auch der weitere Verlauf überein: bei Heilung
der Krankheit gehen die Knochen auf ihre normale Form zu¬
rück, und zwar je jugendlicher das Individuum ist, um so voll¬
kommener. Bei älteren Kindern scheint sich die Rückbildung
über Jahre erstrecken zu können.
Stellt man diese Knochenerkrankung in Vergleich mit der
Syphilis, so fällt die Aehnlichkeit mit luetischen Periostitiden
der Frühperiode ohne weiteres auf. Ihre Lokalisation jedoch,
das Auftreten bei Kindern und das Fehlen spontanen Schmerzes
lassen eine recht sichere Trennung zu.
Mit dem echten Knochengumma ist die Affektion, soweit wir
sie bisher beobachteten, auch nicht im entferntesten in Verbindung
zu bringen. Ihre Aehnlichkeit mit der syphilitischen Spina ven-
tosa ist eine rein äusserliche. Die viel ausgesprochenere Spindel¬
form der Auftreibung bei Spina ventosa, die sich höchstens bei
sehr kleinen Kindern gut nachweisen lassen wird, die Zartheit
der mitunter papierdünnen Knochenschalen, die schon leichtem
Druck nachgeben, die Abheilung unter Hinterlassung eines De¬
fektes, endlich die grosse Seltenheit 2) der Spina ventosa wird
auch ohne Röntgenplatte ihre syphilitische Natur verraten.
Für die Unterscheidung von der tuberkulösen Spina ventosa
kommt ausserdem noch der therapeutische Effekt einer anti¬
luetischen Kur in Betracht. Die Periostitis bei Fram¬
bösie wird sehr günstig und rasch durch Queck¬
silber beeinflusst, bei Tuberkulose würde die Kur re¬
fraktär bleiben.
Solch bedeutende Differenzen sind wohl allein genügend,
mich gegen den Einwurf der Verwechslung, mit dem derartige
Befunde abgetan zu werden pflegen, zu schützen. Ich möchte
aber doch noch ausdrücklich hinzufügen, dass die klinische
Diagnose der Krankheit in allen 13 Fällen mit der Sicherheit,
die heute überhaupt möglich ist, festgestellt werden konnte. Bei
8 Patienten stand jenes eigene Exanthem in Blüte, das wir für
charakteristisch für Frambösie halten. Besondere Beweiskraft
wohnt den 10 Fällen aus Familienepidemien inne, deren Dia¬
gnose sich gegenseitig stützte. Und endlich hatte ich Gelegen¬
heit, einige der Fälle auf der Dezembersitzung unseres ärzt¬
lichen Vereins in Medan vorzustellen, ohne dass gegen die
Diagnose Frambösie Einspruch erhoben wurde.
Ich glaube daher berechtigt zu sein, in meinen 13 Fällen
von einer Periostitis framboetica infantilis sprechen
zu dürfen. Mit voller Ueberzeugung gehe ich hier einen Schritt
weiter als J e a n s e 1 m e, welcher in seinem Cours de Dermato¬
logie exotique auch 3 Fälle beschreibt, die den unseren gleichen.
Ihre Zugehörigkeit zur Frambösie lässt er indessen unent¬
schieden, da er eine begleitende Syphilis nicht auszuschliessen
vermag. Dass mich in allen meinen Fällen eine sonst sym¬
ptomlos oder uncharakteristisch verlaufende Syphilis getäuscht
hätte, kann ich unmöglich annehmen.
Ueber weitere klinische Eigentümlichkeiten der Fram¬
bösie, das Verhalten der Körpertemperatur, des Blutes, der
Lymphorgane, der Wirkung der antiluetischen Mittel etc.,
werden wir in unserer ausführlichen Arbeit verhandeln. Die
wichtigsten Schlussfolgerungen lassen sich indessen schon aus
den hier wiedergegebenen Beobachtungen ziehen.
Danach haben wir in der Frambösie ein recht viel¬
gestaltiges Krankheitsbild vor uns, viel u m -
fassender, als es nach der Darstellung skepti¬
scher Autoren scheinen möchte. Wenn wir auch nicht so
weit gehen — vorläufig wenigstens — als de B o i s s i e r e
2) Le will sah Spina ventosa in 15 Jahren unter jährlich 3—4000
Patienten nur 6 mal. Bei Frambösie erkrankt jedes 6. Kind an der
Periostitis seiner Hand- und Fussknochen.
1368
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
auf den Fidschiinseln, so ergibt sich doch ein auffallender
Parallelismus zur Lues. Von grösster Be¬
de u t u n g für die Auffassung der Krankheit sind die
Knochenaffektionen. Musste bereits nach den Ver¬
suchen von Bär mann und Halberstädter die Fram¬
bösie als eine Infektionskrankheit erscheinen, die den ganzen
Körper durchseucht, so lehren unsere Fälle, was von anderen
Beobachtern auch schon behauptet wurde, dass die Frambösie
imstande ist, auch tiefere Teile des Körpers anzutasten. Sie
darf daher wie die Lues einen konstitutionellen Charakter für
sich beanspruchen. Wollen wir sie richtig rangieren, so
müssen wir sie als eine selbständige Krankheit un¬
mittelbar neben die Syphilis stellen, als eine zweite
Syphilis, in demselben Verhältnis etwa, wie die Malaria
tertiana neben der Perniziosa. Von dem Standpunkt Hut¬
chinsons und Scheubes aus gesehen, die mit ihrer Uni-
tätslehre doch der Wahrheit nicht so fern waren, geschieht
hier dasselbe, als mit dem Typhus, der Dysenterie, ja neuer¬
dings selbst mit der Tuberkulose. Die Syphilis wird
aufgelöst in eine Gruppe selbständiger
Krankheiten.
D e 1 i, Sumatra, Januar 1907. .
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Frambötisches Exanthem.
Fig. 2. Schnitt durch eine Frambösiepapel bei schwacher Ver-
grösserung.
Fig. 3. Partien der Mitte der verdickten Epidermis aus dem Schnitte
der Fig. 2, bei starker Vergrösserung, zahlreiche Spirochäten
aufweisend.
Fig. 4. Periostitis framboetica des Metakarpus V, sowie der Pha¬
lanx I des zweiten und vierten Fingers.
Fig. 5. Periostitis framboetica des Metatarsus I und V.
Fig. 6. Periostitis framboetica der Ulna unterhalb des Olekranon.
Literatur:
1) Aldo Castellani: Is Yaws Syphilis? Journal of trop.
Med. 1906, pag. 1. Spirochätenfunde bei tropischer Frambösie.
Deutsch, med. Wochenschr. 1906, pag. 16. — 2) van den Borne:
Over het voorkomen van Spirochaeten by framboesia tropica. Ge-
neesk. tydschrift voor. Ned. Indie, deel 46, pag. 86. Verdere opmer-
kingen omtrent den by Framboesia voorkomenden vorm van Spiro-
chaete pallida, id. pag. 409. — 3) Cornelissen: Jaarverslag der
werkzaamheden van de afdeeling Sumatras Oostkust der vereeniging
tot bevordering der Geneeskundige wetenschappen in Ned. Indie
1906. — 4) Maurer G. : Die Malaria perniciosa. Zentr. für Bakt.,
1902, Bd. 32. — 5) Weidenreich: Eine neue Fixiermethode.
Münch, med. Wochenschr., 1906, pag. 384. — 6) Schüffner W.:
Beiträge zur Kenntnis der Malaria. Deutsch. Arch. f. klin. Med.,
1899. — 7) Henggeier: Ueber einige Tropenkrankheiten der
Haut. Monatsschr. f. prakt. Dermat., 1904, Bd. 40, pag. 235. — 8)
Bärmann und Halberstädter: Experimentelle Versuche über
Framboesia tropica an Affen. Geneeskund. Tydschrift voor Ned.
Indie, 1906, Deel 46, pag. 181. — 9) Jon. Hutchinson: Yaws.
The Journal of tropic. Med., 1900, pag. 23. — 10) Scheube: Krank¬
heiten der warmen Länder. — 11) A. Plehn: Die tropischen Haut¬
krankheiten. Menses Handbuch. — 12) P. Manson: Tropical di¬
seases. — 13) Jeanselme: Cours de dermatologie exotique. —
14) Fournier: Traite de la Syphilis. Fase. 1, pag. 309. — 15)
Lewin: Die syphilitischen Affektionen der Phalangen der Finger
und Zehen. Charite-Annalen, 4. Jahrgang, 2. (zitiert nach J. Neu¬
mann). — 16) de Boissiere: Filaria and Yaws in Fiji. Journ. of
trop. Med., 1904, pag. 180. — 17) E. Hoffmann und A. Beer:
Weitere Mitteilungen über den Nachweis der Spirochaete pallida im
Gewebe. Deutsch, med. Wochenschr. 1906, pag. 869.
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Berlin.
Zur Indikation und Technik der Hebosteotomie.*)
Von Prof. Max Henkel, Oberarzt der Klinik.
Als D o e d e r 1 e i n in der bekannten Sitzung der Wiirttem-
bcrgischen geburtshilflich - gynäkologischen Gesellschaft in
Stuttgart (20. Februar 1904) zuerst die subkutane Hebosteotomie
an Stelle der Symphysiotomie empfahl, geschah es, nachdem
dieser Empfehlung beherzigenswerte Worte über die Indika¬
tionsstellung zu geburtshilflichen Operationen vorangeschickt
waren, ln klaren Worten betonte D o e d e r 1 e i n die zu Recht
bestehende Tatsache, dass die Spontangeburt eine gute Pro¬
*) Nach einem Vortrage, gehalten auf dem Kongress der Deut¬
schen Gesellschaft für Gynäkologie in Dresden, Mai 1907.
gnose gibt, und dass der Natur erst dann zu Hilfe gekommen
werden dürfe, wenn ihre Kräfte sich als unzulänglich erweisen.
Dass D oederlein besonders noch vor der sogen, hohen
Zange warnte, darin wird ihm jeder Geburtshelfer recht geben
müssen. Meiner festen Ueberzeugung nach schädigt keine ge¬
burtshilfliche Operation Mutter und Kind so sehr — auch für
die Dauer — wie gerade die hohe Zange.
Alles das findet nun auch seine volle Berechtigung, wenn
es sich um die Ausführung der Hebosteotomie zur Entbindung
einer Frau handelt. Wie überhaupt in der Geburtshilfe die
Indikationsstellung, namentlich in der Behandlung des engen
Beckens schwierig ist, so erfordert die Pubiotomie mit ihrer
Anzeige ein besonders gut durchgebildetes geburtshilfliches
Können.
Viel wichtiger, als die zu wählende Technik, die ja trotz
aller Publikationen nur eine im Grunde unwesentliche Modi¬
fikation des von Doederlein angegebenen „subkutanen“
Gedankens ist, scheint mir die Indikationsstellung zu sein.
Zunächst ist die rechtliche Stellung der Hebosteotomie fest¬
zulegen. Können wir einer Frau, die sich in Geburtsnöten an
uns wendet, vorenthalten, dass die Entbindung eine Durch-
sägung des Schambeins notwendig macht? Oder sind wir nicht
vielmehr verpflichtet, ihr, resp. den Angehörigen, den Sachver¬
halt genau auseinanderzusetzen!? Im Falle der Verlauf der Pu¬
biotomie für Mutter und Kind gut ist, und die Frau nach etwa
14 Tagen entlassen werden kann, wird sich natürlich Niemand
beschweren. Ganz anders aber kann sich die Sachlage gestalten,
wenn trotz Pubiotomie das Kind tot geboren wird — wie es
doch wiederholt auch den besten Geburtshelfern passiert ist _ ,
und ausserdem die Frau noch womöglich eine dauernde Stö¬
rung in ihrer Erwerbstätigkeit dadurch erleidet, dass die Festig¬
keit des Beckens eine mangelhafte geworden ist, eine Urinfistel
nachgeblieben ist etc. Ueber diese Dinge werden die Ansichten
der Autoren naturgemäss recht geteilte sein. Die einen sagen:
wenn die Frau ein lebendes Kind haben will, so muss sie eben
mit dem Entbindungsverfahren einverstanden sein, welches der
betreffende Arzt für angezeigt erachtet.
Gegen diesen Gedankengang lässt sich gewiss nichts ein¬
wenden, doch darf man nicht die Voraussetzung vergessen:
d i r e k t e r W u n s c h der Frau und — lebendes Kind ! Nur
in dieser sicheren Erwartung wird sich m. E. eine Frau ent¬
schlossen können, sich der Hebosteotomie zu unterwerfen; bleibt
nachher die Erfüllung des ärztlichen Versprechens aus, so be¬
deutet das in jeder Beziehung einen grossen Misserfolg. Man
kann unmöglich die Hebosteotomie inParallele mit einemZangen-
versuch setzen, an den sich dann die Perforation anschliesst,
wenn er ergebnislos geblieben ist — der Frau erwächst dadurch
kein Nachteil, wenigstens dann nicht, wenn die Operation (Zan¬
genversuch, Perforation) von einigermassen kundiger Hand
ausgeführt worden war. Die Hebosteotomie aber, die wir aber
doch auch nur aus relativer Indikation ausführen, bringt man¬
cherlei Gefahren mit sich, die ja auch deutlich genug in der
Mortalität von 5—6 Proz. und in den verhältnismässig häufigen
Blasenverletzungen zum Ausdruck kommt. Und für den Arzt
selbst ist es, wenigstens so weit ich aus eigenem Empfinden
urteilen kann, ein höchst unbefriedigendes Gefühl einer Pubio-
tomierten nachher auseinandersetzen zu müssen, dass das Kind
doch gestorben ist.
Sicherlich hat K r ö n i g recht, wenn er, fussend auf
unserem vorgeschrittenen Wissen und Können, das Recht des
Kindes mehr in den Vordergrund rückt. Aber damit darf nicht
gesagt werden, dass das Recht des Kindes unter allen Um¬
ständen vorangeht. Vielmehr müssen wir als recht und
billig anerkennen, dass da, wo die Geburt des lebenden Kindes
die Existenz der Mutter in Gefahr bringt, diese zum mindesten
das Recht der Selbstbestimmung hat.
Man wird mir vielleicht entgegenhalten, dass bei der recht¬
lichen Begründung des vaginalen Kaiserschnittes bei Eklampsie
die Verhältnisse annähernd so liegen wie bei der Pubiotomie.
Auch hier führen wir einen grossen und trotz allem doch auch
lebensgefährlichen Eingriff bei einer Frau aus, ohne viel mit
ihr oder den Angehörigen zu verhandeln. Gewiss, das ge¬
schieht, aber nur, weil wir kein anderes Mittel haben, um bei
nicht vorbereiteten Geburtswegen die Entbindung im Augen¬
blick, und darauf kommt es an, durchzuführen — und die
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1369
sofortige Entbindung kann direkt lebensrettend wirken. In den
Fällen aber, bei denen die Hebosteotomie in Frage kommt,
stehen uns verschiedene, weniger gefährliche Entbindungsver¬
fahren zur Verfügung, die sämtlich der Frau keinen Nachteil
bringen. Und aus diesem Grunde muss die Frau zur Hebo¬
steotomie ihre Einwilligung geben, die auch meist leicht zu er¬
langen ist, falls der Wunsch nach einem lebenden Rinde über¬
haupt vorhanden ist. Wiederholt habe ich beobachten können,
dass der Kaiserschnitt aus relativer Indikation viel leichter ab¬
gelehnt wird als die Hebosteotomie; die „Erweiterung“ des
zu engen Beckens erscheint den Frauen gewöhnlich recht in¬
leuchtend. ,
Unter allen Umständen ist m. E. aber die direkte Ein¬
willigung der Frau in den Fällen erforderlich, bei denen der
Ausgang der Pubiotomie für das R i n d nicht absolut sicher er¬
scheint: hochgradige, namentlich allgemeine Verengerung des
Beckens, grosser, harter, nicht konfigurabler Schädel, enge
Weichteile, und da, wo unregelmässige Herztöne eine Gefahr
des kindlichen Lebens andeuten.
Es wird die Zukunft lehren, ob es in diesen Fällen nicht
besser ist, von vornherein den Kaiserschnitt vorzuziehen, dessen
Prognose durchaus nicht so schlecht ist, wie manche glauben,
die seit Einführung der Beckenerweiterung diesen als eine über¬
wundene Operation, wenigstens aus relativer Indikation, an-
sehen.
Die Hebosteotomie selbst halte ich in den Fällen, in denen
sie indiziert ist, für eine segensreiche, lebenssichere und zu¬
verlässige Operation, sowohl für die Mutter wie für das Rind.
Die Indikationsstellung ist aber nicht immer leicht, sondern sie
erfordert gute geburtshilfliche Schulung und lässt sich durch¬
aus nicht einfach nach dem Grade der Beckenverengerung be¬
stimmen.
Am schwierigsten erscheint mir bei Erstgebärenden die
Entscheidung, bei denen man den Geburtsmechanismus (Grösse
des Kindes, Ronfigurabilität des kindlichen Schädels, Wehen¬
tätigkeit, Widerstandsfähigkeit der Frau, Beschaffenheit des
Beckens etc.) nicht genau kennt. Jeder einigermassen erfahrene
Geburtshelfer wird mir bestätigen, dass hier oft genug an¬
scheinend grosse Missverhältnisse zwischen Schädel und
Becken durch gute Wehen etc. glatt und manchmal in über¬
raschend kurzer Zeit überwunden werden.
Auch die Wehenschwäche bei Erstgebärenden ist in ihrer
Bedeutung nicht immer mit Sicherheit zu beurteilen; es wech¬
selt hier gelegentlich die Wehentätigkeit in ihrer Intensität recht
häufig, indem anfänglich schwache, erfolglose Wehen durch
recht intensive und sehr wirksame abgelöst werden, die den
Schädel das Hindernis überwinden lassen. Geht in diesen
Fällen durch Erschöpfung der Frau oder infolge der schlecht
werdenden kindlichen Herztöne die Geburt auch nicht immer
spontan zu Ende, so genügt doch in sehr vielen Fällen der
Forzeps, um den Kopf, der ja dann meist die enge Stelle
bereits passiert hat, zu entwickeln. Und bei der Durchsicht
der mitgeteilten Fälle von Hebosteotomie bei Erstgebärenden
habe ich mich des Eindruckes nicht erwehren können, dass
diese Operation in gar nicht so seltenen Fällen überflüssiger¬
weise gemacht worden ist; ein Bedenken, das um so mehr ge¬
rechtfertigt ist, da man weiss, dass die Prognose der Hebosteo¬
tomie hinsichtlich der Nebenverletzungen gerade bei Erstge¬
bärenden durchaus nicht gut zu nennen ist.
Es ist nun, um den bei aktiver Entbindung nach Hebosteo¬
tomie so leicht auftretenden Scheidenverletzungen vorzu¬
beugen, von verschiedener Seite (M enge, Doede r 1 e i n
u. a.) der Vorschlag gemacht worden, nach der Durchsägung
des Knochens die weitere Geburt den Naturkräften zu über¬
lassen. Einige meiner Bedenken, die ich gegen diesen Vor¬
schlag hege, habe ich bereits in einer früheren Arbeit (Zeitschr.
f. Gyn. u. Geb., Bd. 57) vorgebracht. Schon damals wies ich
darauf hin, dass bei der Hebosteotomie so starke Blutungen
auftreten können, dass dadurch nicht nur die Existenz der Kin¬
der, sondern auch die der Mutter gefährdet werden kann. Wie
berechtigt diese Einwände waren, haben später die Mitteilungen
v. Rosthorns (Mittelrh. Ges. f. Geb. u. Gyn., 12. V. 1906)
und Zweifels ergeben, und auch Olshausen bereitete die
Blutstillung in einem Falle sehr grosse Schwierigkeiten. Ent¬
stehen diese Blutungen, mit denen wir doch immer rechnen
No. 28.
müssen, dann, wenn die Hebosteotomie bei einer Erstgebären¬
den und nicht genügend erweitertem Muttermunde gemacht
wurde, so ist das Kind so gut wie rettungslos verloren. Um in
einem solchen verzweifelten Fall noch Muttermundsinzisionen
und einen hoch hinauf reichenden Scheidendammschnitt zu
machen, um das kindliche Leben zu retten, den Mut wird bei
einer ohnedies ausgebluteten Frau nicht jeder Geburtshelfer
besitzen.
Aber auch abgesehen hiervon kann es geschehen, was bei
der Durchführung einer scharfen Pubiotomienadel von unten
her wiederholt passiert ist, dass das Ligamentum arcuatum
bei der nachfolgenden Durchsägung des Knochens nicht mit
durchtrennt wurde. Ist das Ligamentum sehr fest, so wird es
mit grösster Wahrscheinlichkeit ein Geburtshindernis abgeben,
das nur durch nochmalige Anwendung der Säge oder durch
Anwendung starker Gewalt bei Extraktion des Schädels zu
beseitigen ist.
Ich will nicht besonders darauf eingehen, dass eine für die
Entbindung eventuell notwendig werdende zweite Narkose eine
immerhin unangenehme Zugabe bedeutet. Aber sehr gewiss
mahnen die leider nicht so ganz seltenen Verletzungen ernster
Art, die mit der Säge (also nicht erst später bei der Entbindung
mit der Zange!) verursacht worden sind, zur Vorsicht. Wieder¬
holt ist mit der Säge die Blase verletzt worden: ausserdem
existiert aber auch ein Bericht, nach welchem beim Sägen
das Kind lädiert und gleichzeitig das untere Uterinsegment per¬
foriert wurde. Es liegt auf der Hand, dass hier die Frau nur
durch sofortige Entbindung und nachfolgende Laparotomie ge¬
rettet werden konnte — wie es ja auch geschah.
Gewiss ist im Prinzip der Vorschlag von Zweifel.
Menge, D o e d e r 1 e i n etc. richtig, dass nach der Hebosteo¬
tomie am zweckmässigsten die Geburt spontan verläuft. Die
Ausführung dieses Gedankens bedarf aber sehr sorgsamer Er¬
wägungen, die ich kurz dahin zusammenfassen möchte, das«*
1. die Hebosteotomie erst dann vorgenommen werden dart.
wenn der Muttermund vollständig erweitert und der Schädel
möglichst auch schon konfiguriert ist; 2. müssen sehr gute
Wehen sein; 3. darf, was namentlich in der Privatpraxis seine
Schwierigkeiten hat, der Arzt bis zur Beendigung der Geburt
die Kreissende nicht verlassen.
Nur unter diesen Voraussetzungen halte ich die „prophy¬
laktische“ Hebosteotomie für gerechtfertigt, da man bei dieser
Indikationsstellung sich nach zwei Richtungen deckt: einmal
wird man, wenn die Geburt soweit bereits vorgeschritten ist,
die Durchtrennung des Knochens nicht überflüssiger Weise
machen und zweitens kann man, wenn bei der Hebosteotomie
Komplikationen auftreten, die operative Entbindung sofort vor¬
nehmen.
Ob es ratsam ist bei M e h r g e b ä r e n d e n den spontanen
Geburtsverlauf nach der Hebosteotomie abzuwarten, muss von
Fall zu Fall entschieden werden. Wartet man mit der Operation
auch hier so lange, bis der Muttermund vollständig erweitert ist,
so wird es human sein, — vorausgesetzt, dass die Scheide ge¬
nügend weit ist, — in der gleichen Narkose durch Wendung
oder Zange die Geburt zu beenden. Ist die Scheide dagegen
eng, ihre Wandung rigide, so kommt natürlich auch hier der
weitere spontane Geburtsverlauf in Frage.
Die Wichtigkeit einer dehnbaren Scheide für den glatten
Verlauf der Geburt nach Hebosteotomie habe ich bereits früher
(1. c.) erwähnt und geglaubt, wegen der Gefahr der Scheiden¬
risse, deren Bedeutung späterhin auch von anderer Seite aner¬
kannt worden ist, die Indikation der Hebosteotomie bei Erstge¬
bärenden erheblich einschränken zu müssen.
Ich halte aus dem gleichen Grunde auch heute noch meine
frühere Ansicht aufrecht, jedoch mit der Modifikation, dass
in den oben näher beschriebenen Fällen ein Versuch mit dem
spontanen Geburtsverlauf gerechtfertigt ist. Wie sehr ge¬
fährdet die Scheide einer Primipara selbst bei spontanem Ge¬
burtsverlauf nach der Hebosteotomie ist, lehrt die Publikation
von B a u m m (Monatsschr., Bd. 24, April 1907) der auch in
einem solchen Fall mit der Knochenwunde perforierende Schei¬
denverletzung sah und Hoch eisen, der sogar bei einer
Mehrgebärenden noch eine tiefe, starke Weichteilverletzung
erlebte.
2
1370
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Ob man in der Lage ist, durch Scheidendaniminzision dem
Aufplatzen der Scheide und namentlich der relativ gefährlichen
Kommunikation zwischen Scheide und Knochenwunde vorzu¬
beugen, müssen weitere Beobachtungen lehren. Zu berück¬
sichtigen ist jedoch, dass beim Scheidendammschnitt nur der
vordere Teil der Scheide erweitert werden kann, nicht der
hintere, was namentlich also bei langem Scheidenrohr zu be¬
denken ist. Tritt der Schädel mit dem Forzeps in den hinteren
Teil der engen Scheide, so reisst diese ein und der Riss pflanzt
sich, unterstützt durch den Druck der scharfen, freien Knochen¬
enden, trotz des Entspannungsschnittes, nach vorn und ent¬
sprechend der Sägestelle fort.
Prüft man die Lagebeziehungen zwischen Scheide und ab¬
steigendem Schambeinast, so wird man auch hier wesentliche
Unterschiede finden, indem manchmal die Scheidenwand,
gleichsam getrennt durch lockeres Zellgewebe, sehr gut ver¬
schieblich gegen den Knochen ist. In anderen Fällen erscheint
die Scheidenwand wieder ganz auffallend dünn (namentlich bei
älteren Erstgebärenden) und ist verhältnismässig nur wenig
gegen den Knochen verschieblich. Dass diese letzteren Fälle
für die Entstehung von Rissen geradezu prädistiniert erscheinen,
liegt wohl auf der Hand und ebenso, dass man in der Wahl des
Entbindungsverfahrens vorsichtig sein muss.
Durchaus diskutabel erscheint es mir auch, ob man die
Scheide nicht besser mit einem Kolpeurynter erweitert, den
Scheideneingang vorsichtig mit den Fingern resp. mit der Faust
dehnt, statt in allen Fällen den S c h u c h a r d t sehen Schnitt
anzuwenden. Ich glaube nämlich, dass man auf diese Weise der
Erweiterung des engen Scheidenrohres in seiner ganzen Aus¬
dehnung mehr gerecht wird als mit dem Scheidendammschnitt,
der ja in erster Linie den engen Scheide nein gang be¬
seitigen wird. Wie berechtigt diese meine Einwände sind,
lehren die Erfahrungen von Hocheisen, der trotz tiefer
Scheidendamminzision starke Scheidenzerreissung nicht ver¬
hindern konnte. Die Anwendung des Kolpeurynters müsste
zeitlich natürlich der Hebosteotomie vorausgehen.
Ueber den Effekt der Hebosteotomie, der Erweiterung
des Beckens selbst, dürften die allgemeinen Ansichten jetzt
dahingehen, dass sie praktisch hierin so viel leistet wie die
Symphysiotomie und dass es im allgemeinen wenig ausmacht,
ob die Knochendurchtrennung etwas mehr nach der Sym¬
physe als mehr nach der anderen Seite erfolgt. Geht man
natürlich noch weiter lateralwärts, wie es aber wohl nur bei
missglückter Technik und nicht absichtlich vorgekommen ist,
so treffen durchaus die H o c h e i s e n sehen Anschauungen zu,
dass dann die Erweiterung des Beckens eine mangelhafte ist.
Das ist ja auch nicht weiter verwunderlich, weil es erfalmings-
gemäss feststeht, dass die Erweiterung des Beckens nach Hebo¬
steotomie in erster Linie im queren Durchmesser erfolgt, dann
im schrägen (dem der Sägestelle gegenüberliegenden) und am
wenigsten den geraden Durchmesser betrifft. Durchsägt man
nun stark lateralwärts, so bleibt in der Mitte das Schambein
stehen, wir verzichten also mehr oder weniger überhaupt auf
die Erweiterung im geraden Durchmesser und entwickeln den
Schädel hauptsächlich durch die eine, allerdings stark erweiterte
Beckenhälfte. In einer gewissen Weise wird sich allerdings
doch das abgesägte Schambeinstück an der Erweiterung des
Beckens beteiligen, indem nämlich eine Drehung desselben
um die Symphyse selbst erfolgt, und zwar nach aussen, so
dass auch dieses Stück noch zur Erweiterung des Beckens im
geraden oder doch annähernd im geraden Durchmesser benützt
wird. Die Beweglichkeit des Schambeins ist aber nur eine
sehr begrenzte, ihr Effekt also ein geringer. Ob cs sich in der
Symphyse um ein echtes resp. rudimentäres Gelenk handelt,
ist eine Frage von nicht ganz untergeordneter Bedeutung. Ich
habe mich bemüht, zur Klärung derselben beizutragen und aus
3 weiblichen Leichen die beiden Schambeinkörper mit Symphyse
herauszunehmen und zur histologischen Untersuchung entkalkt.
Es fand sich beim Studium der Präparate zunächst, dass die
Entkalkung in den beiden Fällen, die von Wöchnerinnen stamm¬
ten, unendlich viel schneller vor sich ging, als im dritten, der
von einer im gleichen Alter stehenden Frau stammte, die nicht
gravida gewesen war. Unschwer ist wohl die Deutung darin
zu suchen, dass bei der Schwangerschaft eine gewisse Ent¬
kalkung des Knochens eintritt. Daraus erklärt sich auch, wes¬
halb die Durchsägung bei der Pubiotomie so ausserordentlich
leicht von statten geht. Und weiter liegt in dem verhältnis¬
mässig geringen Kalkgehalt auch wohl die Ursache, weshalb
der Kallus, wie jetzt doch zahlreiche Röntgenuntersuchungen
bewiesen haben, so unverhältnismässig lange fibrös erscheint.
Erfolgt in dieser Phase, das heisst also bei noch nicht völliger
Kalkablagerung eine neue Geburt, so wird die frühere Säge¬
stelle eine gewisse Dehnbarkeit aufweisen, wie dies ja auch der
mitgeteilte Fall von Reifferscheid (Zentralbl. f. Gynäkol.,
18, 1906) beweist. Doch kann ich mich mit den Schlüssen, die
R. aus seiner Beobachtung zieht, nur teilweise einverstanden
erklären. R. kommt nämlich zu dem Resultat, dass bald eine
fibröse, bald eine knöcherne Narbe an der früheren Sägestelle
entstünde. Für den Geburtshelfer sei es natürlich sehr wichtig,
eine fibröse unter Schwangerschaft und Geburt dehnbare Narbe
zu erhalten, und dafür sei es wichtig, einmal keinen festen
Beckenverband anzulegen und dann die Wöchnerin früh, am
1-4. bis 16. Tag, aufstehen zu lassen. Ein knöcherner Kallus
wird sich m. E. für die Dauer wohl nur vermeiden lassen, wenn
sich Weichteile in den Knochenspalt legen. Diese Interposition
von Weichteilen haben wir aber nicht in der Hand. Bei ge¬
nauerer Durchsicht liegt der R.sche Fall nun so, dass die erste
Hebosteotomie am 20. März 1905 erfolgte und schon im Juli
eine neue Schwangerschaft eingetreten war. Tatsache ist
jedenfalls, dass die Kalkeinlagerung sehr langsam vor sich geht
und durch eine neueintretende Schwangerschaft überhaupt hint¬
angehalten wird, so dass die Geburten, die verhältnismässig
bald nach einer Hebosteotomie erfolgen, eben w/egen der dann
noch möglichen Dehnbarkeit der Narbe (dazu Auflockerung
durch die neue Schwangerschaft) eine günstigere Prognose
bieten, als diejenigen, bei denen die Pubiotomie jahrelang zu¬
rückliegt.
Seit langem besteht schon die Differenz in der Beurteilung
der Symphyse; die einen (Zweifel) bestreiten mit aller Ent¬
schiedenheit, dass die Symphyse ein Gelenk sei, während
andere, zu denen auch ich gehöre, der entgegengesetzten An¬
sicht sind, so dass sie eine gewisse Scheu haben, die Symphyse
zu spalten, weil sie die Eröffnung eines Gelenks vom rein
chirurgischen Standpunkt aus für einen immerhin nicht ganz
ungefährlichen Eingriff halten. Da mich nun Zweifel in
seinem Referat über die beckenerweiternden Operationen zum
Träger dieser letzten, seiner Ansicht nach irrigen Theorie
stempelt, so habe ich mich entschlossen, eigene Studien, an der
Symphyse zu machen, um so direkt zur Klärung der uns inter¬
essierenden Frage beizutragen. Ich habe bei 2 Frauen, die bald
nach der Entbindung gestorben sind, die eine an Verblutung,
die andere an puerperaler Infektion, die Symphyse mit den
beiderseitigen Schambeinkörpern in toto herausgenommen und
entkalkt (5 proz. Trichloressigsäure). Nach der Entkalkung
Hessen sich leicht horizontale Schnitte durch das ganze Prä¬
parat anlegen. Schon makroskopisch Hess sich jedesmal ein
Spalt im Bereich der Symphyse nachweisen; eine gewisse Be¬
harrlichkeit in dem Auftreten derselben scheint also doch zu
bestehen. Dieser Spalt durchsetzte die Symphyse regelmässig
von oben nach unten in ziemlicher Ausdehnung, während er
vorn und hinten dicht an das fibröse Gewebe heranreichte, das
an diesen Stellen in continuo quer über die Symphyse ver¬
läuft. Die mikroskopische Untersuchung nun ergab unzweifel¬
haft das Vorkommen einer Synovialmembran, die der fibrösen
Gelenkkapsel aufsitzt. Die Synovialmembran enthält peripher-
wärts elastische Fasern; an einigen Präparaten sah ich auch
gelegentlich Fettzellen im Bindegewebe. Nach der Gelenk¬
höhle zu fanden sich nun aber ganz unzweideutige Epithel¬
zellen, die in ein- oder mehrfacher Lage die freie Innenfläche
bekleideten. An meinen Präparaten fanden sich nun gelegent¬
lich Lücken im Endothelbesatze, und ich muss daher die Frage
offen lassen, ob es sich hier um mechanische Schädigung bei
Behandlung der Präparate oder um einen natürlichen Vor¬
gang handelt. Jedenfalls dokumentiert der histologische Be¬
fund, der in voller Eindeutigkeit bei beiden Fällen konstatiert
werden konnte, dass es sich nichtumeinen einfachen Ge-
w e b s s p a 1 1 handelt. Es ist mir nicht bekannt, ob anderweitig
schon derartige histologischöUntersuchungen der Symphyse ge¬
macht worden sind, oder ob die allgemeine Kenntnis das Resultat
lediglich makroskopischer Studien ist. In diesem Falle wurde
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1371
cs jedem frei stehen, meine Befunde einer Kontrolle zu unter¬
werfen. Das eine kann ich übrigens noch besonders hervor¬
lieben, dass die Endothelien in ihrer Anordnung, Form, Kern¬
bildung so absolut deutlich zu erkennen sind, dass eine Ver¬
wechslung mit Resten des der Verflüssigung widerstehenden
Faserknorpels (A e b y, Heule, zitiert bei Zweifel, Ver-
handl. d. D. üesellsch. f. Gynäkoi., Dresden 1907) gänzlich aus¬
geschlossen ist.
Sind wir nun in der Lage, uns schon vor Ausführung der
Pubiotomie ein Urteil über den Effekt der Operation zu bilden?
Es scheint mir die Beantwortung dieser Frage deswegen so
wichtig zu sein, weil wir, wenn das zutrifft, manche Hebosteo¬
tomie mit ungünstigem Ausgang vermeiden können. Die in
den letzten Jahren zahlreich erschienenen Publikationen brin¬
gen nun eine ganze Reihe von Beobachtungen und Erfahrungen,
die von grossem Werte sind.
Wir wissen, dass die Prognose der Pubiotomie bei Mehr-
gebärendeu in jeder Beziehung besser ist als bei Erstgebären¬
den; im wesentlichen wird hier der Vorteil durch die grössere
Weite der Scheide und ihre bessere Dehnbarkeit bedingt. Auch
die Länge der Scheide und die Dicke ihrer Wand — je dünner,
um so leichter wird sie einreissen — ist von Wichtigkeit. Selbst¬
verständlich kommen auch bei Primiparen Ausnahmen vor,
wo die Scheide als solche eine günstige Prognose bietet, zu¬
mal wenn das Kind nur klein ist.
Das Verhältnis zwischen kindlichem Schädel und Becken
ist in jedem einzelnen Falle genau in Narkose zu prüfen. Für
den vorangehenden Schädel ist bestehende Konfiguration und
weiche Knochenbildung von Vorteil, während ein grosser har¬
ter Schädel natürlich leicht Verletzungen des nicht genügend
dehnbaren Geburtsweges verursachen wird. Die Frage, ob die
Entbindung durch Wendung oder Zange vorzunehmen ist, hat
sich von ihrem „prinzipiellen“ Standpunkte herunterbequemen
und dem allgemein gültigen geburtshilflichen Standpunkte wei¬
chen müssen: je nach den vorliegenden Verhältnissen sind ent¬
weder Zange oder Wendung indiziert. Den vorangehenden
Kopf wird man am zweckmässigsten in tiefer Narkose impri-
inieren, was meist leicht gelingt, wenn er konfiguriert war.
Bei nicht konfiguriertem Schädel geht wohl meist die Wendung
noch, die dann in bezug auf Nebenverletzungen bessere Resul¬
tate gibt als der Forzeps. Ist man jedoch auf diesen an¬
gewiesen, so wird man eine gut konstruierte Achsenzugzange
bevorzugen, die dem Schädel eine gewisse Beweglichkeit und
bestmögliche Raumausnützung gestattet.
Weiter haben wir gelernt auch den B a u des Beckens, nicht
nur die F o r m und die A r t resp. den Grad der Beckenverenge-
rung in den Rahmen unserer Beurteilung einzuschliessen. Wir
wissen, dass mit der Durchsägung des Knochens allein der Er¬
folg der Hebosteotornie noch nicht erreicht ist, auch die Liga¬
mente, namentlich das Lig. arcuatum muss mit durchtrennt
sein. Aber auch trotz genauer Erfüllung dieser Vorschrift
gibt es eine nicht ganz kleine Anzahl von Hebosteotomien, die
auch dann nicht zum Ziele, der genügenden Erweiterung, ge¬
führt haben, wo infolgedessen entweder noch eine Perforation
des Kindsschädels nötig wurde, oder die Entbindung eine der¬
artig schwierige war, dass das Kind den erhaltenen Ver¬
letzungen erlag — ein Misserfolg, der der Indikationsstellung
zur Last fällt. Die Ursache ergibt sich bei genauem Studium
dieser Fälle meist ohne weiteres. Es handelt sich bei derartigen
Becken mit mangelhafter Aufschliessbarkeit im allgemeinen um
zu straffe resp. besonders straffe Ligamentverbindung an den
Gelenken der Beckenknochen und meist auch um ein starkes
Knochenmassiv. Aus einem Vergleich der Fälle mit derselben
Verengerung des Beckens und glatt vor sich gegangener Heb¬
osteotomie ergeben sich die Unterschiede, die dann auch m. E.
durchaus einleuchtend sind. Am besten geeignet für die becken¬
erweiternde Operation sind die Frauen mit grazilem Knochen¬
bau: Symphyse niedrig, Schambögen weit, Beckenkanal kurz.
Während die Fälle mit einem langen Beckenkanal, hoher, dicker
Symphyse und spitzem Schambeinbogen (männlicher Habitus)
ungünstig liegen. Und es ist hierbei nicht nur das Skelett,
welches diese schlechtere Prognose bedingt, sondern in diesen
Fällen besteht auch gewöhnlich eine viel grössere Festigkeit
aller Ligamente (Lig. sacro-ilacum), deren Widerstand nur mit
grösster Kraft, und dann natürlich mit Schaden für das Kind
überwunden werden kann. In der grösseren Festigkeit der
Ligamente sind die Erstgebärenden den anderen Frauen auch
wieder überlegen; so dass gegebenen Falles bei hoher Sym¬
physe etc. auch das noch besonders zu berücksichtigen wäre,
um eine Kontraindikation gegen die Hebosteotornie abzugeben.
Nach den ersten Mitteilungen und den daran von den
Operateuren geknüpften Hoffnungen und Erwartungen hätte
man annehmen müssen, dass Kaiserschnitt, Perforation des
lebenden Kindes und künstliche Frühgeburt ihre Existenz¬
berechtigung für alle Zukunft verloren hätten. Vor der all¬
gemeinen Ausbreitung dieser Lehren, und dass die Flebosteo-
tomie eine Operation des praktischen Arztes sei, habe ich schon
frühzeitig (Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkoi., Bd. 56) warnen
zu müssen geglaubt. Und wie berechtigt diese Warnung war,
das hat die Folge mit aller Deutlichkeit ergeben, so dass ich
mit meiner Beurteilung der Hebosteotornie wohl kaum noch
vereinzelt dastehe. Das schliesst jedoch nicht aus, dass ich die
Hebosteotornie mit richtiger Indikationsstellung für eine der
zuverlässigsten und lebenssichersten Operationen halte, die es
gibt; doch soll eine geschulte Hand und ein guter Geburtshelfer,
der völlig mit dem Geburtsmechanismus vertraut ist, sie aus¬
führen; denn die Indikationsstellung setzt genaue Kenntnis der
Geburt beim engen Becken und eine gut ausgebildete Unter¬
suchungstechnik voraus. Es ist nicht richtig, sich hierbei vom
Grade der Beckenenge (Conj. vera) in erster Linie leiten zu
lassen, es gehört zur Indikationsstellung noch vieles andere:
Grösse des Kindes bezw. seines Schädels, Beschaffenheit der
Wehen, genaue Kenntnis der gesamten räumlichen Verhält¬
nisse der Becken, Dicke der Knochen, Widerstandsfähigkeit
der Ligamente, Form des Schambogens etc. Das alles setzt
oft genug spezialistische Kenntnisse voraus, die nur durch sehr
grosse Uebung und gute Schulung zu erlangen sind. Und so
ergibt es sich ganz von selbst, dass wir auch heute noch ge¬
wiss auf keine, der verschiedenen Entbindungsverfahren beim
engen Becken verzichten können — trotz der unbestrittenen
grossen Erfolge der Hebosteotornie.
Soll nun diese Operation nicht auch das Missgeschick der
Symphysiotomie teilen, so ist es unbedingt erforderlich, dass
ihre Indikationsstellung genau festgelegt wird, damit nicht die
ungünstigen Fälle sich mehren und damit die Zukunft einer
an sich segensreichen und vortrefflichen Operation vernichten.
Der leitende Gedanke und die einzige Rechtfertigung der Heb-
osteotomie liegt in der Garantie der Geburt eines lebenden
Kindes, das wird zuletzt wohl von allen Geburtshelfern an¬
erkannt; es ist genug mit der Durchsägung des Beckens, alle
übrigen Verletzungen, denen die Mütter, wie doch eine reich¬
lich erworbene Erfahrung zur Genüge lehrt, dabei ausgesetzt
sind, müssen vermieden werden, und das gelingt nur durch
sorgfältig und kritisch gestellte Indikation und auf der Höhe
stehende Technik. Die leitenden Gesichtspunkte der Indika¬
tionsstellung glaube ich ausführlich genug auseinandergesetzt
zu haben, bis auf den einen Punkt: ist bei bestehendem Fieber
die Hebosteotornie kontraindiziert? In der Literatur besteht
darüber durchaus noch keine Einigung. Die Tübinger Schule
schliesst jeden Fall mit Fieber von der Ausführung der Opera¬
tion aus. Ich persönlich schliesse mich mehr den Franque-
sclien und B u m m sehen Ausführungen an und glaube, dass
Fieber an sich keine Kontraindikation abgibt, wohl aber wenn
der Gesamteindruck der Kreissenden die Wahrscheinlichkeit
oder den Verdacht einer bestehenden Infektion abgibt. Fiebert
eine Frau, die von nicht ganz einwandsfreien Händen unter¬
sucht ist, sind schon anderweitige Entbindungsversuche vor¬
ausgegangen, kreisst die Frau schon sehr lange, ist das Frucht¬
wasser zersetzt, so dürfte 'die Hebosteotornie nicht mehr an¬
gezeigt sein und nur — selbst bei lebendem Kinde — - die Per¬
foration gerechtfertigt erscheinen. Während leichte Temperatur¬
erhöhungen bei fehlender Pulsbeschleunigung, noch nicht
langem Kreissen und gutem Allgemeinbefinden gewiss keine
Bedenken gegen die Operation verursachen werden, voraus¬
gesetzt natürlich, dass die Hebosteotornie sich ohne Nebenver¬
letzungen ausführen lässt und ein lebendes Kind garantiert.
Verschiedene hierhergehörige Publikationen rechtfertigen
diesen Standpunkt zur Genüge.
Von dem grossen Wert der Hebosteotornie konnte ich
mich überzeugen, als ich vor der Aufgabe stand, den dringenden
2*
1 37 2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28
Wunsch nach einem lebenden Kinde bei einer 27 jährigen I. Para
mit engem Becken (Vera 7%) und Placenta praevia centralis zu
erfüllen. 2 mal musste die Frau mit Perforation des Kindes
entbunden werden. Da der Wunsch nach einem lebenden Kinde
bei der Frau besonders lebhaft war, so gab es bei der Becken¬
enge nur die Wahl zwischen klassischem Kaiserschnitt oder
Pubiotoinie mit gleichzeitigem vaginalen Kaiserschnitt. Ich
entschied mich zu dem letzteren Weg, da die Frau schon mehr¬
fach untersucht war, und weil ich den vaginalen Kaiserschnitt
in diesem Falle auch für den weniger gefährlichen hielt. Die
Operation verlief in ihren beiden Phasen vollkommen glatt
und ohne nennenswerte Blutung. In der Bewertung des Kaiser¬
schnittes (vaginal oder abdominal) als Entbindungsverfahren
bei Placenta praevia stehe ich durchaus auf dem Standpunkt
von H o f m e i e r, indessen gibt es doch Fälle, die wie dieser
eine Abweichung von dem allgemein gültigen Verfahren recht-
fertigen.
Die Technik der Hebosteotomie ist seit der Einführung der
subkutanen Durchsägung des Schambeines wesentlich er¬
leichtert, vielleicht zu sehr, so dass wohl nicht immer und
überall die notwendige Vorsicht angewandt worden ist; denn
mit der Durchtrennung des Knochens ist die Sache durchaus
noch nicht abgetan. Es müssen nicht nur alle Komplikationen
(Blasen- resp. Scheidenverletzungen) ausgeschlossen werden,
sondern es müssen auch für die Entbindung alle vorhandenen
Chancen, die das Becken selbst bezw. die Hebosteotomie
bietet, bis ins Kleinste ausgenutzt werden.
Die Einführung der Nadel von unten bietet den Nach¬
teil, dass das Ligamentum arcuatum oft nicht mitgefasst
wird, so dass es bei dem Durchtritt des Kopfes mit grosser
Gewalt gesprengt wird; dabei entstehen sehr leicht Scheiden¬
verletzungen, weil die übergross einsetzende Gewalt sich,
ohne dass wir es verhindern können, auf die anliegende
Scheide in unmittelbarer Nachbarschaft der Sägestelle fort¬
pflanzt. Die Folge ist dann die wenig angenehme Kom¬
munikation zwischen Scheide und Knochenwunde, so dass
die ursprünglich „subkutane“ Hebosteotomie vollkommen illu¬
sorisch wird. Dem gegenüber fällt die Voraussetzung der
Nadeldurchführung von unten, die Schonung der Crus resp.
Corpus clitoridis gar nicht ins Gewicht, denn erstens gelingt
es so gut wie nie, dieses in seiner Kontinuität zu erhalten, und
anderseits ist die dabei entstehende Blutung regelmässig und
sicher durch einfachen Druck zu stillen. Es ist meines Erach¬
tens auch nicht richtig, das „Subkutanste“ bei Ausführung der
Hebosteotomie allzusehr zu betonen, es liegt dieser Anschauung
viel Selbsttäuschung zugrunde.
Denn nach allen unseren Kenntnissen über Wundinfektion
muss es uns eigentlich wundernehmen, dass sich nicht auch
schon von anderer Seite folgende Bedenken hiergegen erhoben
haben: Das Ideal der Anhänger ausschliesslich subkutanen
Operierens spiegelt sich in der Stichmethode wieder. Ganz
abgesehen von den hierbei besonders häufig auftretenden
Blasenverletzungen bedingt das Hin und Her der Säge eine
reichliche Infektion derselben mit Bakterien, die auf und in der
Haut sitzen. Diese werden naturgemäss in die Wunde trans¬
portiert. Dadurch nun, dass beim Sägen unmöglich die kleine
Einstich- und Ausstichöffnung unversehrt erhalten bleiben kann,
werden beim Eindringen der Säge in angrenzende Hautpartien
immer neue Mikroorganismen mobil gemacht, die mit dieser
in die Wunde verschleppt werden. Gewiss, wir können die
Haut rasieren, desinfizieren — obgleich das gerade an der uns
wichtigen Stelle seine Schwierigkeiten hat — , die Säge aus¬
kochen, allein wie wenig Garantien das im allgemeinen bietet,
das lehren die Erfahrungen. Vollkommen afebril verlaufen ver¬
hältnismässig nur wenig Hebosteotomien; und oft genug gibt es
Fieber und leider auch, trotz exaktester, rein subkutanerTechnik,
Vereiterungen des Operationsgebietes, dazu kommen dann noch
die nicht ganz seltenen Thrombosen, die wir doch auch als
Folge einer stattgehabten Infektion ansprechen müssen. Das
alles sind also Einwände, deren Berechtigung mir die Anhänger
der Stichmethode nicht absprechen können. Besser ist darum
gewiss das ursprüngliche D o e d e r 1 e i n sehe Verfahren mit
dem Querschnitt über dem Schambein und dem Einschnitt an
der Durchtrittsstelle der Nadel. Hält man beim Sägen mit
kleinen Haken die Wundränder oben und unten auseinander, so
kann man in der Tat die Sägeinfektion aus-
schliessen. Doederlein schiebt nun die Weichteile
hinter der Symphyse zurück, um Nebenverletzungen zu ver¬
meiden. Tatsächlich gelingt dies aber nicht in allen Fällen
auch dann nicht, wenn zur Kontrolle der Finger in die Scheide
gelegt wird. Starke Blutungen und Blasenverletzungen sine
auch hierbei, wie die Berichte verschiedener Operateure lauten
nicht ausgeblieben. Diese Erwägungen veranlassten mich
gleich bei bei meiner ersten Pubiotomie (16. Dezember 1904
also schon vor der Publikation der anatomischen Studier
Tandlers: Zentralbl. f. Gynäkol. No. 28, 1906) das Periosi
von der Hinterwand des Schambeins abzuschieben. Alle
späteren Publikationen konnten bestätigen, dass die technische
Ausführung dieses kleinen Eingriffes nicht die geringster
Schwierigkeiten bereitet. Wenn man nach der Durchtrennung
der Haut den Schnitt gleich bis auf den Knochen durchführt,
gelingt es auch ohne Raspatorium leicht, nur mit der Schere,
das Periost etwas abzulösen, damit eine Lücke für den Zeige¬
finger geschaffen wird, der dann ohne die geringsten Schwierig¬
keiten das Periost bis zum unteren Rande des Schambeins ab¬
streift. Weitere Erfahrungen haben mich nun gelehrt, dass
es recht zweckmässig ist, diese Ablösung des Periostes mög¬
lichst weit nach rechts und links vorzunehmen. Der Nutzen
dieses Vorgehens liegt darin, dass in manchen Fällen, wo die
Differenz zwischen Beckenenge und der Grösse des Kindes¬
schädels nur verhältnismässig gering ist, eine Diastase der
durchsägten Knochenenden von 1 bis ca. 2 cm eintritt, ohne
dass eine Zerreissung des Periostes eintritt.
In diesem Punkte widerspricht also die praktische Erfahrung
der Tandler sehen Theorie bis zu einem gewissen Grade.
Bei erheblichen Misserverhältnissen zwischen Schädel und
Becken ist das natürlich ausgeschlossen; es eignen sich auch
nicht alle Becken für dieses Ziel, vor allem die mit sehr festen
Ligamenten und hohem, dickem Schambein etc. nicht, wie ich
das weiter oben schon auseinandergesetzt habe. Ist sehr viel
Platz zu schaffen, so muss natürlich das Periost ganz oder teil¬
weise zereissen. Das intakt gebliebene Periost bedingt neben
dem momentanen Vorteil auch noch den, dass die Knochen¬
heilung schneller und glatter ohne sehr erheblicher Kallus¬
bildung vor sich geht; Druck der Blase gegen die scharfen
Knochenenden ist ausgeschlossen, weil das feste Periost da¬
zwischen liegt.
Die Frauen können schon sehr früh das Bett verlassen und
das Becken ist in seiner Festigkeit so gut wie gar nicht beein¬
trächtigt. Auch Verschiebungen der Knochenenden nach vorn
oder hinten gegen einander habe ich in diesen Fällen bei der
Nachuntersuchung nicht feststellen können. Ja, in einigen
Fällen war schon bei der Entlassung der Wöchnerin die Säge¬
stelle kaum noch zu fühlen gewesen. Auf die absolute Sicher¬
heit, Blasenverletzungen durch das systematische Ablösen des
Periostes zu vermeiden, brauche ich nicht noch besonders hin¬
zuweisen. Das Ablösen des Periostes bedingt keineswegs die
Gefahr der Knochennekrose, da sich einmal das Periost gleich
nach der Durchsägung wieder an den Knochen legt, und
andererseits die Knochenvernähung auch vom Periost an der
Vorderwand des Schambeins ausreichend erfolgen kann, mit
dem es hier fest verwachsen ist. Diesem Verfahren erstand
nun in der Literatur der Einwand, dass es die Operation un¬
nötig kompliziere und leicht — dadurch, dass der Finger in die
Wunde eindringt — Infektion bedinge. Abgesehen davon, dass
ich selbst nie eine sekundäre Wundheilung beobachten konnte,
haben weitere Erfahrungen mir doch in der Hinsicht recht ge¬
geben, dass kein anderes Verfahren so sicher Nebenver¬
letzungen ausschliesse. Von vielen Seiten ist ausdrücklich be¬
tont worden, dass zum Schutz der Blase die Fingerkontrolle
von der Scheide her vollkommen genüge. Wie wenig diese
Gegenbehauptung begründet ist, beweist ein kurzer Blick in die
Literatur mit den zahlreichen Blasenverletzungen, die auch
ersten Operateuren trotz der Kontrolle von der Scheide her
passiert sind. Und es sind nicht nur Blasenläsionen, die trotz
dessen mit der Säge ganz direkt hervorgerufen wurden, auch
das Kind wurde durch die Säge verletzt, ja sogar der Uterus
selbst kam in die Säge. Man sollte meinen, dass diese Argu¬
mente eigentlich genügen sollten, um das rein subkutane Ver¬
fahren als gefährlich zu bezeichnen. Meiner Ueberzeugung
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1373
nach hätte sich auch der Todesfall an Verblutung, der aus der
Heidelberger Klinik veröffentlicht worden ist, ebenso wie
andere sehr starke Blutungen vermeiden lassen, wenn die Hebo¬
steotomie nach voraufgegangener Ablösung des Periosts er¬
folgt wäre. Ursache der Blutung war in diesen Fällen wohl
unschwer entweder der venöse Plexus pubo-vesicalis oder die
Arteria pudenda interna (Z w e i f e 1). Da unter Umständen,
namentlich zur Zeit der Schwangerschaft, diese Qefässe eine
ganz erhebliche Cirössenzunahme erfahren, so bedeutet ihre
Verletzung eine gewiss recht erhebliche Gefahr, wie namentlich
der v. Rosthorn sehe Fall es lehrt, wo die Blutung nicht
einmal in der Klinik mit allen dort zu Gebote stehenden Hilfs¬
mitteln gestillt werden konnte. Da nun diese Gefässe median-
wärts vom Periost liegen, so wird man ihre Verletzung absolut
sicher durch Abschieben derselben vermeiden können.
Eine weitere Komplikation der Hebosteotomia subcut. be¬
dingen die in der Vulva so oft entstehenden Hämatome, die
nachträglich auch noch wiederholt vereitert sind. Das Blut,
das zur Bildung dieser führt, stammt zum Teil aus dem durch¬
trennten Corp. cavernosum clitoridis, zum Teil aus den oft
recht erheblich erweiterten und vermehrten Venen der Vulva
resp. der tiefer, vor dem Schambein gelegenen. Diese ge¬
legentlich recht lästige Zugabe nach einer sonst tadellos ver¬
laufenen Hebosteotomie lässt sich leider nicht immer ganz be¬
seitigen.
Von allen Gefässverletzungen, die hierfür in Frage kom¬
men, halte ich die des Corp. cavernosum clitoridis für verhält¬
nismässig belanglos, da man diese Blutung durch einfachen
Druck in kurzer Zeit ausschalten kann. Wichtiger erscheinen
mir die Gefässe — auch die kleinen Arterien — vor dem
Schambein in dem dort befindlichen Fettgewebe und den
Muskeln zu sein. Mit Rücksicht auf die Lage des Schambeins
und seiner nach hinten etwas konvexen Form lässt es sich —
man kann die Drahtsäge halten wie man will — nicht ver¬
meiden, dass auch vorn, vor dem Knochen, Nebenverletzungen
entstehen (Muscul. gracilis, Adductor. longus, Rectus ab-
dominis), durch die Blutung mit nachfolgender Hämatombildung
zustande kommt.
Diese Erwägung veranlasste mich denn auch bald, nach
meinen ersten Hebosteotomien die Operation so zu modifizieren,
dass ich nach Anlegung eines Querschnittes und stumpfem
Zurückschieben des Periosts an der Hinterwand nunmehr vorn
von dem oberen Hautschnitt mit einem Instrument vorn am
Schambein entlang bis zum unteren Rand desselben in die Tiefe
ging und dort eine Kommunikation mit dem künstlich ge¬
schaffenen Raum zwischen Schambein und Periost herstellte.
Das von vorn stumpf durchgeführte Instrument trägt eine
Fadenschlinge, die von hinten her unter Leitung des Fingers
mit einem Schlingenführer in Empfang genommen wird. An den
Faden wird danach die Säge befestigt und dann unter kräf¬
tigem Auseinanderhalten der Wundränder das Schambein
durchtrennt. Nach Durchsägung des Knochens springt die Säge
nach oben heraus. Auf diese Weise lässt sich die untere Aus¬
stichöffnung in der Haut gänzlich vermeiden, desgleichen auch
alle vorher besprochenen Nebenverletzungen. Wirklich nen¬
nenswerte Hämatombildung habe ich nie gesehen und ebenso¬
wenig eine Vereiterung des Operationsfeldes.
Die Technik ist komplizierter als diejenige anderer Opera¬
teure, aber das kann ja, wenn eine Methode sonst Vorzüge hat,
kein Gegengrund sein, sie anzuwenden. Und hier liegen die
Vorzüge eben in der absoluten Sicherheit der Vermeidung aller
Nebenverletzungen.
Die Schnittrichtung bei der Durchsägung des Schambeins
wurde früher lebhaft diskutiert. Die Lehren Zweifels und
die Erfahrungen Burnnis dürften meines Erachtens aber die
Frage jetzt definitiv entschieden haben, dass für den Aufschluss
des Beckens es am vorteilhaftesten ist, den Knochen möglichst
weit medianwärts zu spalten. Ausserdem verteilt sich auch
die Gewalt, die das Becken auseinander drängt, auf beide
Beckenhälften gleichmässiger.
Soll die Entwicklung der Kinder an die Hebosteotomie an-
schliessen, so müssen sowohl im Interesse der Kinder wie auch
der Mutter alle Chancen, die das erweiterte Becken bietet,
ausgenützt werden.
Nach Durchsägung des Knochens bringt man nach unserer!
Erfahrungen die Kreissende in leichte Hängelage, die Beine
werden möglichst dicht aneinander gebracht; ein seitliches
Fixieren des Beckens oder das Umlegen eines Gummischlauchs
haben wir in letzter Zeit immer mehr als überflüssig erkannt;
das Entscheidende ist, dass die Entbindung ruhig und mit
richtiger Abwägung von Kraft und Widerstand vollzogen wird.
Ist nun der Kopf mit der Zange in das Becken hineingezogen,
oder ist die Extraktion nach voraufgegangener Wendung so
weit gediehen, dass der Kopf im Becken steht, so wird der
Körper der Frau zurückgezogen, die Beine im Hüftgelenk stark
gebeugt und die Knie adduziert; das erweitert, wie man sich
leicht überzeugen kann, den Beckenausgang, was namentlich
bei allgemeiner Beckenverengerung resp. Trichterform des
Beckens von Wichtigkeit ist.
Notwendig ist es vor und nach der Hebosteotomie zu kathe-
terisieren, um über eventuelle Blutbeimengung im Urin orien¬
tiert zu sein.
Nach der Entbindung erfolgt die Wundversorgung; wir
haben jedesmal noch einen Gurt um das Becken gelegt, aber
ich persönlich glaube, dass die Ligamentapparate der hin¬
teren Beckenwand bei ihrem Intaktsein vollkommen ausreichen,
um die durchsägten Schambeinenden aneinander zu bringen.
Es ist nicht zu leugnen, dass sich zwischen der Symphyseo-
tomie und der Hebosteotomie Ausgleiche anbahnen, indem
mehr und mehr beide das gute voneinander nehmen: die Durch¬
trennung ües Schambeins erfolgt immer mehr und mehr nach
der Symphyse zu und die Symphysiotomie selbst ist in das
Stadium der subkutanen Operation übergetreten. Welche von
den beiden Operationen, die jede ihre Vorzüge hat, schliess¬
lich den Sieg behält, wird die Zukunft lehren. Eines aber steht
schon jetzt fest, dass beide nicht den klassischen Kaiserschnitt
und auch nicht die Perforation des lebenden Kindes völlig aus
der Welt schaffen können.
Aus dem hygienischen Institute der k. k. Universität in Wien.
lieber Konkurrenz der Antikörper.
Von Dr. Ernst Brezina.
Ueber das Verhalten des tierischen Organismus gegenüber
der gleichzeitigen Einverleibung mehrerer Antigene liegen bis¬
her nur spärliche Angaben vor. Wendelstadt [l] be¬
handelte eine Ziege längere Zeit hindurch mit gleich grossen,
recht erheblichen Mengen gewaschener Pferde-, Rinder- und
Hammelblutkörperchen. Am Schlüsse der Immunisierung
besass das Serum des Versuchstieres gleich stark lösende
Eigenschaften für alle drei verwendeten Blutarten. Durch
elektive Absorption war es möglich, dem Serum die lösenden
Substanzen für jede einzelne Erythrozytenspezies vollkommen
zu entziehen, ohne dass dessen lytische Fähigkeit für die beiden
anderen dadurch abnahm.
Analoge Versuche bezüglich der Agglutininbildung rühren
von C a s t e 1 1 a n i [2] her. Dieser injizierte seinen Versuchs¬
tieren gleichzeitig Bact. typhi, Bact. coli und pseudodysen-
tericus und fand, dass die Tiere darauf ebenso reagierten wie
Kontrolltiere, die nur eine der genannten Bakterienarten allein
erhalten hatten. Elektive Absorption ist auch hier möglich.
Immunisiert man dagegen ein Tier mit einer Bakterienart und
versetzt das Immunserum mit eben dieser Art, so werden
ausser dem Hauptagglutinin gleichzeitig bei der Behandlung
des Tieres entstandene, auf andere Bakterien wirkende Mit-
agglutinine ebenfalls ausgefällt. F r i e d b e r g e r [3] be¬
handelt Meerschweinchen mit kleinen Dosen von Cholera¬
vibrionen und den mehrhundertfach grösseren Mengen Typhus-
bazillen. Die Bildung bakteriolytischer Cholera¬
antikörper ist bei solchen Tieren bei weitem schwächer
1374
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28
als bei den Kontrollticren, welche bloss Cholerakulturen in
gleicher Menge wie die Versuchstiere erhalten haben. Es ist
natürlich wegen der Verschiedenheit der Antigenmenge nicht
statthaft, diese Versuche den vorhergenannten gegenüber¬
zustellen.
Nach Michaelis [4 ] führt die Behandlung von
Kaninchen mit Pferdeserum (also mit einem Gemisch von art¬
fremdem Albumin und Globulin) lediglich zur Bildung eines
Präzipitins für Pferdeserumglobulin, nicht aber für Albumin,
während Pferdeserumalbumin, für sich allein der gleichen
Tierart injiziert, das Auftreten von Präzipitin gegen diesen
Eiweisskörper zur Folge hat. Michaelis sieht in dem
Ausbleiben der Präzipitinbildung gegen Albumin bei Behand¬
lung mit Vollserum einen Fall von Konkurrenz der
H a p t i n e. Michaelis’ Versuch kann jedoch mit denen der
übrigen genannten Autoren nicht gut verglichen werden, da
hier die Wirkung der Injektion verschiedener Eiweisskörper
der gleichen Tierart, sonst aber die von artverschiedenen Ei¬
weisstoffen untersucht wurde.
Die Frage, ob es eine Konkurrenz der Antigene und Anti¬
körper gibt, d. i. ob sich diese gegenseitig in ihrer Bildung
bezw. Wirkung behindern, ist durch die besprochenen Ver¬
suche noch nicht endgültig gelöst, denn namentlich in der Arbeit
von Wendel stadt fehlen Kontrollversuche, in denen Ziegen
mit einer Blutart allein behandelt werden. C a s t e 1 1 a n i aber
arbeitete lediglich mit Bakterien und überdies mit nur wenigen,
mit einander zum Teil nahe verwandten Arten.
Die unten folgenden Versuche hatten zunächst den Zweck,
einen Beitrag zur Lösung dieser Frage zu liefern, hauptsächlich
in Bezug auf die Hämolyse.
Der bei den Versuchen einzuschlagende Weg war von
selbst gegeben: Versuchstiere mussten mit gleichen Mengen
gewaschener Erythrozyten verschiedener solcher Tierarten
behandelt werden, auf welche das Serum ersterer normaler¬
weise keine oder nur geringe lösende Wirkung besass. Nach
der Immunisierung war dann die hämolytische Fähigkeit des
Serums für sämtliche zur Behandlung verwendete Blutarten
zu prüfen. Hieraus ergeben sich bereits auch die technischen
Schwierigkeiten der Versuche. Grössere Tiere, bei denen
ein Aderlass in vivo (vor der Behandlung, um die hämolytische
Wirkung des Normalserums zu bestimmen, und während der¬
selben) leicht und zu jeder Zeit durchführbar ist, eigneten sich
für die Versuche aus dem Grunde nur wenig, weil es von
Wichtigkeit war, Kontrolltiere mit nur je einer der verwendeten
Blutarten zu behandeln. Solche Tiere in grösserer Anzahl
konnten aber aus äusseren Gründen im hiesigen Institute nicht
eingestellt werden. Kaninchen, deren Ohrvenen mehrmalige
Blutentziehung in der Regel gestatten, waren zur Zeit der
Untersuchungen schwer zu erhalten, überdies sehr wenig
widerstandsfähig; es blieben daher Meerschweinchen als die
geeignetsten Versuchstiere übrig. Während der Versuche
lernte ich Blutentnahme aus der Karotis und intravenöse In¬
jektion an einem und demselben Tiere in einer Operation
regelmässig mit Erfolg durchführen. Bei den ersten Ver¬
suchen an Meerschweinchen freilich begnügte ich mich damit,
die hämolytische Wirkung des normalen Meerschweinchen¬
serums an gleich schweren Kontrolltieren zu untersuchen.
Diese Wirkung steigt, wie ich mich bald überzeugen konnte,
mit zunehmendem Alter der Tiere meist merklich an, es war
daher, wiewohl technisch nicht vorteilhaft, notwendig, für die
Versuche junge Tiere von. höchstens 300 g Gewicht zu ver¬
wenden.
Als schonendster Eingriff erwies sich bei den Meer¬
schweinchen die intravenöse Injektion. Hier war nicht ein
Tierverlust zu verzeichnen, auch genügte einmalige Ein¬
spritzung kleiner Blutmengen, um die hämolytische Fähigkeit
des Serums deutlich zu steigern. Trotzdem verliess ich diese
Methode später, da die intravenöse Injektion mit gleichzeitigem
Aderlass sehr zeitraubend war. Es musste nach der Ein¬
spritzung des Blutes abgewartet werden, bis dieses sich im
üefässystem des Versuchstieres sicher gleichmässig verteilt
hatte, dann erst durfte man den Aderlass vornehmen. In¬
jektion nach dem Aderlass war wegen des Kollabierens der
Jugularvene nach Durchschneiden der Karotis nicht tunlich.
Die mit den Blutgemischen behandelten Kaninchen und
Meerschweinchen erhielten von jeder einzelnen Blutart die
gleiche Dosis eingespritzt, wie die mit nur je einer Blutart be¬
handelten Kontrolltiere. Die Blutentziehung erfolgte bei der
Meerschweincehn etwa 12 Tage nach der einzigen bezw. letzter
Injektion. Die beiden grossen Versuchstiere (Schaf, Ziege) wurdei
14 Tage nach der letzten Einspritzung zur Ader gelassen. Dü
Serie der Kaninchen musste wegen eines epidemieartig untei
den Tieren ausgebrochenen Schnupfens wenige Tage nach dei
-• Injektion getötet werden, als die Wirkung derselben woh
kaum zur Geltung gekommen war.
Die bei Untersuchung der hämolytischen Wirkung dei
Sera angewendete Technik war die gewöhnliche: Fallende
Mengen des frischen Immunserums wurden in kleine Röhrchei
gefüllt, 5 proz. Aufschwemmungen der Erythrozyten in dei
Menge von X> ccm zugesetzt, endlich mit physiologischer Koch¬
salzlösung auf 2 ccm aufgefüllt. Die Röhrchen wurden durcl
2 Stunden bei 37° gehalten, kamen dann über Nacht in dei
Kühlschrank, worauf der Grad der Hämolyse notiert wurde
In sehr zahlreichen Fällen wurden Parallelversuche gemacht
wobei die gleichen Mengen der inaktivierten Immunsera mii
kleinen Quantitäten frischen Normalserums ergänzt wurden
Da aber, wie oben gesagt, die Immunisierung absichtlich nichi
sehr hoch getrieben war, ergaben diese Versuche keine anderei
Resultate als die übrigen und wurden daher nicht eigens an¬
geführt.
Im folgenden sind die Versuchsresultate tabellarisch zu¬
sammengestellt.
Grade der Hämolyse: komplett (c), fast komplett (fc), stark (st),
massig (m), gering (g), Spur (Sp), fehlend (0).
Die Bezeichnungen Pferd, Rind etc. bedeuten die auf Lyse ge¬
prüften Blutarten (je 0,5 ccm einer 5 proz. Aufschwemmung der be¬
treffenden Blutkörperchen).
Die an der Spitze der Kolonnen stehenden Dezimalzahlen be¬
zeichnen die Mengen der geprüften Sera.
Vers u c h I. Kaninchen, behandelt mit je 2 subkutanen Injektionen
von 0,8 ccm Erythrozyten vom Pferd, Rind, Schaf, Schwein, Ente
_ bezw. -4,0 ccm Erythrozytengemisch.
Vor
Nach
der Behandlung
0,25
| 0,1
| 0,25
0,1
0,05
ferdeblutkörperchen
vorbehandelt.
Sp
#
fc
st
rn
0
•
Sp
0
0
Sp
•
g
Sp
0
g
g
Sp
o
Ait Rinderblut
vorbehandelt.
g
•
g
1 g
Sp
Sp
•
st
m
Sp
Sp
•
m
Sp
0
g
•
m
Sp
0
Vlit Schafblut
vorbehandelt.
g
.
c
g
Sp
Sp
.
g i
Sp
0
g
•
c
c
st
Sp |
•
g
Sp
Sp
Schweineblut
*) vorbehandelt.
•
.
c
m
•
•
g
0
•
•
g
Sp
•
•
•
m
g
.
0,02
Kaninchen 1 : Mit
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Pferd
Rind
Schaf
Ente
Kaninchen 2:
Kaninchen 4:
Kaninchen 5: Mit Entenblut vorbehandelt.
Sp
g
Sp
g
fc
0
m
Kaninchen 6: Mit Blutgemisch vorbehandelt.
Sp
0
0
0
0
0
0
g
0
g
Sp
st ! g
Sp
0
C
in ; 0
Sp
Sp
c
m j Sp
g
Sp
c
st | g
Sp
0
0
Sp
') War zur Zeit der Untersuchung des Serums auf seine hämo¬
lytische Wirkung leider nicht zu erhalten.
9. Juli 1907,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1375
Versuch II. Schaf, 11 kg schwer, behandelt mit subkutanen In¬
jektionen von Pferde-, Rinder, Schweine, Kaninchen-, Entenerythro¬
zyten (Gemisch zu je 5 ccm jeder Blutart).
Hämolyse bei Verwendung folgender
Blutarten in
Serummengen
Sprozentiger
Vor
der
Nach
Nach
3 weiteren
Aufschwemmung
Behandlg.
3 Injektionen
Injektionen
0,25
0,1
0,25
0,1
0,05
0,02
0,25
0,1
0,05
0,02
0,01
Pferd .
st
g
c
st
Sp
0
c
c
fc
m
Sp
Rind .
g
0
st
g
0
0
c
c
Sp
0
0
Schwein . .
g
0
c
st
0
0
c
fc
m
Sp
0
Kaninchen . . .
st
g
c
st
m
Sp
c
fc
st
g
0
Ente .
m
g
c
fc
st
Sp
c
c
fc
m
0
Versuch III. Ziege, 23kg schwer, behandelt mit subkutanen In¬
jektionen von Rinder-, Schaf-, Schweine-, Kaninchen-, Entenerythro¬
zyten (Gemisch zu je 8 ccm jeder Blutart).
Rind .
Sp
c
st
0
0
Schaf .
Sp
m
Sp
0
0
Schwein ....
Sp
c
m
Sp
0
Kaninchen . . .
g
c
fc
g
0
Ente .
m
c
fc
st
0
In Versuch V, VI, VII ist unter Erythrozytengemisch ein Ge¬
menge gleicher Teile von Pferde-, Rinder-, Schaf-, Schweine-, Ka¬
ninchen- und Entenerythrozyten zu verstehen.
Blutkörperchen
Aufschwemmung
Versuch IV. Serum
normaler Meerschweinchen
Versuch V. M. 25 1 mal
mit 0,05 ccm Erythrozyten¬
gemisch intravenös be¬
handelt
M.
23
M. 24
0,25
0,1
0,25 0,1
0,25
0,1
0,05
0,02
Pierd ....
st
m
m Sp
c
fc
st
g
Rind ....
m
g
m Sp
c
fc
st
g
Schaf ....
st
m
m g
c
c
c
st
Schwein . .
g
Sp
m Sp
c
fc
fc
st
Kaninchen
g
Sp
m | g
c
fc
st
g
Ente ....
m
Sp
m g
c
c
st
g
Versuch VI. Meerschweinchen, behandelt mit je 0,7 ccm einer
Blutart bezw. mit je 4,2 ccm Blutgemisch (je 2 mal, subkutan).
M. 26: Mit Pferdeblut
vorbehandelt
M. 27 : Mit Rinderblut
vorbehandelt
0,25
0,1
0,05
0,02
0,01
0,25
0,1
0,05
0,02
0,01
Pferd .
c
fc
st
st
g
fc
st
g
0
Rind .
m
g
0
c
st
m
g
Schaf .
st
m
Sp
fc
st
g
0
Schwein .
Sp
0
0
g
Sp
.
Kaninchen .
m
Sp
0
g
Sp
•
.
Ente .... • . . .
Sp
0
0
Sp
0
•
•
M. 28: Mit Schafblut M. 29 : Mit Schweineblut
vorbehandelt vorbehandelt
Pferd .
Rind .
Schaf .
Schwein '. .
Kaninchen .
Ente .
st
g [ •
st
m
.
fc
m
•
g
Sp
•
•
c
c : fc
st
st
m
.
.
m
g
.
c
fc
st
st
Sp
0
.
c
st
•
Sp
Sp
•
Sp
0
.
-
M. 30: Mit Kaninchen¬
blut vorbehandelt
M. 31 : Mit Entenblut
vorbehandelt
Pferd .
m
Sp
Sp
g
Rind .
c
m
Sp
Sp
g
•
Schaf .
m
g
st
Schwein .
m
m
Sp
st
,
Kaninchen .
c
fc
st
g
Sp
•
Ente .
g
0
0
fc
st
Sp
M. 32: Mit Blutgemisch
vorbehandelt
M. 33 : Mit Blutgemisch
vorbehandelt
Pferd .
c
fc
fc
m
c
c
fc
st
Rind .
fc
fc
m
Sp
c
fc
st
g
Schaf . .
c
c
fc
st
c
c
fc
st
Schwein . ,
fc
st
g
Sp
c
fc
fc
m
Kaninchen ....
c
st
Sp
0
c
c
st
Sp
Ente .
c
st
g
Sp
c
fc'
st
g
(Versuch VII und VIII siehe nächste Seite.)
Suchen wir nun aus den Versuchsprotokollen die Antwort
auf die eingangs gestellte Hauptfrage abzuleiten, so ergibt sich
folgendes : Die Versuchstiere bilden bei Behand¬
lung mit verschiedenen Arten von Erythro¬
zyten in der Regel Antikörper gegen diese
alle und zwar in gleicher oder etwas grösse¬
rer Menge wie die Kontrolltiere, die nur mit
einer B 1 u t a r t behandelt sind. Eine gegen¬
seitige Behinderung der Antigenwirkungen
findet nicht statt.
Es war ferner von Interesse, zu erfahren, ob Tiere, die mit
einer oder mehreren Blutarten behandelt sind, auf die darauf¬
folgende Injektion einer oder mehrerer neuer Erythrozyten¬
spezies in anderer Weise reagieren als normale Tiere, mit
anderen Worten, ob das Vorh an densein besti m m -
t e r Antikörper die Bildung neuer derartiger
Stoffe irgendwie beeinflusst. Auch dies ist
nicht der Pall. Ich behandelte (Versuch VII) einige Meer¬
schweinchen zuerst mit einer Blutart allein, dann mit einem
Erythrozytengemisch, das die zuerst für sich gegebene Blutart
auch wieder enthielt. Das Serum solcher Tiere löste alle die
einzelnen Blutarten etwa ebenso stark auf, wie das Serum
jener Meerschweinchen, welche die bezüglichen Blutarten
allein oder im Gemisch — ohne Vorbehandlung erhalten hatten
(eine Ausnahme bildete lediglich Meerschweinchen 37 für Ka¬
ninchen- und Entenblut), nur die zuerst allein und dann im Ge¬
misch gegebene Blutart wurde schliesslich entsprechend der
häufigeren Behandlung etwas mehr gelöst. Injiziert man
einem gegen mehrere Erythrozytenspezies immunisierten
Tiere nachträglich eine neue Blutart, so gewinnt das Serum
für diese letztere ebensogut lösende Eigenschaften, wie wenn
man dieses Blut — allein oder im Gemisch — einem normalen
Tier eingespritzt hätte (M 42, 43). Einzelne spezielle Fälle
werden weiter unten besprochen.
Aus den Versuchstabellen ergeben sich jedoch ausserdem
noch einige zum Teil nicht ganz uninteressante Tatsachen.
Die hämolytische Wirkung des normalen
Meerschweinchenserum. s ist individuell ver¬
schieden, und zwar löst dieses Normalserum eine, jenes
eine andere Blutart stärker auf. Selbstverständlich liegen hier
nicht Verschiedenheiten im Alexingehalte der Sera vor, son¬
dern die Mengen der normalen Immunkörper sind ungleich.
Vergleicht man die hämolytische Wirkung derSera einerseits vor
der Behandlung, andererseits nach Immunisierung mit Blut¬
gemisch, so zeigen sich in der Mehrzahl der Fälle bei einem
und demselben Tiere vor und nach der Immunisierung in Bezug
auf die Lösung der einzelnen Blutarten Unterschiede im
gleichen Sinne und, soweit hier von quantitativen Verhältnissen
überhaupt die Rede sein kann, auch in relativ etwa
gleicher Stärke. (Addition der normalen und
I m m unhä m o 1 y s i n e.) Dieses Verhalten konnte aber
durchaus nicht immer beobachtet werden, gelegentlich
löste das Serum eines Normaltieres eine bestimmte
Blutart schwächer auf als die anderen, nach der Im¬
munisierung mit Blutgemisch aber stärker. Es fand
sich kein Fall, wo die im normalen Serum vorhandenen
Unterschiede bezüglich der Löslichkeit der verschiedenen Blut-
arten durch die Immunisierung eine unverhältnismässige Ver¬
stärkung erfahren hätten. Es sprechen daher auch
die vorliegenden Versuche dafür, dass das
Vorhandensein oder Fehlen von normalen
Hämolysinen in einem Serum für die Bildung
von Immunhämolysinen vollkommen belang¬
los ist.
Die Injektion einer Blutart hatte bei Meer¬
schweinchen fast immer die Zunahme der
lytischen Fähigkeit des Serums auch für
andere Blutarten zur Folge. Diese Zunahme war
mitunter recht beträchtlich, in anderen Fällen nur schwach
ausgeprägt. Sie erstreckte sich bald auf alle im Versuche ver¬
wendeten Erythrozytenspezies, bald nur auf einzelne oder eine
und war auch bei gleicher Vorbehandlung der Tiere ver¬
schieden. Mit Ausnahme der weiter unten erwähnten Fälle
liessen sich keinerlei Gesetzmässigkeiten beobachten. Auch
die Lyse von Vogelblutkörperchen wurde mitunter durch Ein¬
spritzung von Säugerblut gesteigert und umgekehrt. Die Be-
1376
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Versuch VII. Meerschweinchen intravenös mit 0,05 ccm einer Blutart bezw. mit 0,3 ccm Blutgemisch injiziert.
1 mal Schweineblut
Pferd . .
Rind . .
Schaf . .
Schwein .
Kaninchen
Ente . .
Pferd . .
Rind . . .
Schaf . .
Schwein .
Kaninchen
Ente . . .
Hierauf
1 mal Blutgemisch
M. 40:
mal Blutgemisch
m
g
g
Sp
Sp
Sp
c
fc
c
c
st
st
c
st
c
c
m
g
fc
in
st
st
Sp
Sp
st
Sp
m
g
0
0
M. 34
:
M. 35
M. 36
•
1 Vor der
liehandl.
1 mal Pferdeblut
Hierauf
1 mal Blutgemisch
Vor der
liehandl.
lmal Rinderblut
Hierauf
1 mal Blutgemisch
Vor der
liehandl.
1 mal Schafblut
Hierauf
1 mal Blutgemisch
0,1
0,1
0,05 0,025 0,01
0,1
0,05 0,025
0,01
0,1
0,1
0,05 0,025
0,01
0,1
0,05' 0,025 ; 0,01
0,1
0,1
0,050,025
0,01
0,1
0,05
0,025; 0,01
Pferd . .
c
fc
m
0
c
fc
st
Sp
st
st
g
fc
g
Sp
0
g
st
m
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st
g
0
Rind . .
0
0
c
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0
g
c
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st
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m
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Schaf . .
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c
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m
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c
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m
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c
fc
st
g
c
fc
st
g
Schwein
0
0
st
g
Sp
0
g
0
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#
st
m
g
0
g
Sp
0
st
g
Sp
Sp
0
Kaninchen
Sp
Sp
g
Sp
0
0
g
Sp
0
,
g
Sp
0
0
0
Sp
0
,
g
0
0
Ente . . .
0
0
i
VI. 37
Sp
.
0
0
0
g
0
0
IV
I\. 38
g
Sp
0
0
0
Sp
0
JV
A. 39
m
g
Sp
0
1 mal Kaninchenblut
Hierauf
1 mal Blutgemisch
st
st
g
.
fc
m
Sp
0
g
st
m
fc
st
m
0
Sp
g
Sp
c
st
g
g
st
g
•
.
c
fc
st
Sp
0
Sp
Sp
•
•
c
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m
0
g
m
Sp
•
c
c
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m
fc
m
•
.
c
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0
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m
g
.
#
fc
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g
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m
c
c
m
Sp
c
c
m
g
c
c
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g
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.
g
st
g
0
g
Sp
0
c
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st
Sp
Sp
0
.
•
g
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0
0
0
st
g
g
6
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g
0
0
0
Sp
0
g
Sp
0
g
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0
•
•
g
Sp
o
0
0
g
Sp
•
g
Sp
0
0
0
m
g
Sp
0
c
fc
m
M. 41:
1 mal Blutgemisch
c
c
c
c
st
fc
fc
st
fc
st
c
st
fc
st
st
g
fc
st
g
g
m
g
0
g
1 mal Entenblut
Hierauf
1 mal Blutgemisch
0
Sp
0
g
0
Versuch VIII. Meerschweinchen je 2mal behandelt mit 0,3 ccm Pferde-, Rinder-, Schaf-, Schwein-, Kaninchen- oder Tauben¬
blut bzw. mit dem entsprechenden Vielfachen eines Gemisches dieser Blutarten (subkutan).
M. 45:
Gemisch ohne Schafblut Hierauf Schafblut
Pferd . .
Rind . . .
Schaf . .
Schwein .
Kaninchen
Taube . .
Pferd . .
Rind . . .
Schaf . .
Schwein .
Kaninchen
Taube . .
Pferd . .
Rind . . .
Schaf . .
Schwein .
Kaninchen
Taube . .
Sp
c
c
st
g
.
Sp
st
Sp
c
c
fc
m
c
c
st
m
Sp
c
g
c
c
st
g
c
c
fc
st
Sp
st
Sp
c
c
fc
m
•
#
.
Sp
st
0
c
c
m
Sp
c
fc
st
g
0
g
0
c
c
fc
m
c
c'
fc
st
0
g
M.
48:
Kani
ncher
blut
M.
49:
Sp
m
Sp
0
0
g
m
Sp
m
Sp
Sp
0
Sp
fc
g
g
Sp
0
0
g
st
0
g
Sp
Sp
0
0
m
0
c
st
m
Sp
Sp
c
Sp
m
g
Sp
0
Sp
fc
M
. 51:
Tau
benblut
M.
52:
Sp
g
Sp
0
0
Sp
c
Sp
Sp
Sp
0
0
Sp
c
m
0
0
0
0
m
c
Sp
g
Sp
0
0
Sp
c
0
Sp
0
0
0
Sp
c
0
c
fc
st
Sp
Sp
c
M. 42:
M. 43:
M. 44:
Ui —
33
■o SS
es
Gemisch
Hierauf Tanhenhlnt
33 “O
nz J »
Gemisch
Hierauf
33 "O
ns =
Gemisch
® 33
ca
ohne I aubenblut
u- _e a
- as
s— ca
ohne Kaninchenblut
Kaninchenblut
t— _£=
=> 33
oc
ohne Kaninchenblut
0,1
0,1
0,050, 025
0,01
0,1
0,05
0,025
0,01
0,01
0,1
0,05
0,025
0,1
0,1
0,05|0,025
0,01
0,1
0,1
0,05 0,025
0,01
Pferd .
g
c
c
st
g
c
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g
0
Sp
c
c
m
g
c
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g
0
Sp
fc
st
g
0
Rind .
m
c
c
fc
m
c
c
m
0
Sp
c
c
st
m
c
c
m
0
m
c
c
st
g
Schaf .
m
c
c
st
g
c
c
c
fc
m
c
st
m
0
c
c
c
c
m
c
st
Sp
0
Schwein ....
g
c
c
m
g
c
fc
m
Sp
Sp
c
fc
m
Sp
c
c
m
Sp
Sp
fc
st
g
0
Kaninchen . . .
Sp
c
c
m
Sp
c
fc
m
Sp
Sp
g
Sp
0
0
c
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0
g
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0
0
Taube .
g
m
Sp
0
0
c
c
st
g
0
fc
st
g
Sp
c
c
st
Sp
Sp
fc
st
g
0
M. 46 : Schafblut
g
st
m
m
0
Sp
st
m
g
st
st
c
c
c
c
st
fc
0
m
Sp
§
0
0
g
Sp
Sp
g
Sp
st
fc
st
st
Sp
st
0
Sp
0
Sp
0
0
0
0
0
0
Sp
0
g
fc
Sp
Sp
0
Sp
M. 47 : Schafblut
Sp
Sp
g
Sp
Sp
Sp
st
fc
st
st
g
Sp
g
st
m
m
0
0
Sp
m
ip
Sp
0
0
0
Sp
0
0
0
0
M. 50: Taubenblut
0
Sp
g
Sp
Sp
0
m
fc
m
m
g
c
g
st
g
g
0
c
0
st
0
Sp
0
fc
0
g
0
0
0
g
M. 53: Blutgemisch
Sp c c st g
m c c c st
m c c c g
Sp c c c m
Sp c c g 0
Sp c c fc g
obachtung ist im Prinzip schon alt, und es wurde namentlich von
Ehrlich und Morgenroth in ihren grundlegenden Ver¬
suchen über Hämolysinbildung gefunden, dass das Serum eines
mit Hammelblut immunisierten Tieres auf Rinderblut — in ge¬
ringem Masse — hämolytisch wirkt. Diese Autoren geben auch
eine Erklärung der von ihnen gefundenen Tatsache (Rezep¬
torengemeinschaft). Dass hier eine so weit verbreitete, stets
wiederkehrende Erscheinung vorliege, scheint bisher nicht be¬
kannt gewesen zu sein. Die lysogenen Gruppen der Antigene
verschiedener Tiere zeigen offenbar eine weitergehende Ueber-
einstimmung im Baue, als nach der Stärke der spezifischen
Reaktion zu erwarten wäre. Die beschriebene Erscheinung,
man könnte sie „h e t e r o 1 o g e Reaktion“ nennen, unter¬
liegt bei den verschiedenen Versuchstieren wesentlichen indi-
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
viduellen Schwankungen, mehr als die bei gleicher Vorbehand¬
lung der Tiere ziemlich konstante „homologe Re-
a k t i o n“.
So wurden im Versuch VIII je zwei gleich schwere Meer¬
schweinchen in vollkommen gleicher Weise mit Kaninchen-
bezw. Taubenblut gleicher Provenienz behandelt (M. 48, 49 u.
50, 51). Auch die Untersuchung der Sera erfolgte für jedes
Tierpaar mit dem gleichen Erythrozytenmateriale. Tatsächlich
unterschieden sich die Sera der beiden Kaninchenbluttiere in
Bezug auf die Lösung von Kaninchenblut fast gar nicht von
einander, ein Gleiches gilt für die beiden anderen Meerschwein¬
chen hinsichtlich der Lyse von Taubenblut. Die Zunahme
des hämolytischen Vermögens für die nicht injizierten Blut¬
arten war dagegen bei den beiden Tieren eines jeden Paares
in durchaus verschiedener Weise erfolgt (qualitativ und quanti¬
tativ); namentlich die beiden Taubenbluttiere zeigen unter
einander grosse Verschiedenheiten. Es liegen demnach Diffe¬
renzen in der „heterologen Reaktion“ der Meerschweinchen
bei gleicher „homologer Reaktion“ vor. Auf den gleichen Reiz
hin kann es bei der Bildung gleicher Mengen homologer Hämo¬
lysine zur Entstehung heterologer Hämolysine von verschie¬
dener Art und Menge kommen.
Auffallende Befunde bieten ferner die Meerschweinchen
45, 46 und 47. Hier führte die Injektion von Schafblut zur
Bildung von Hämolysinen, die auf Rinder-(und Schweine ?)blut
stärker lytisch wirkten als das homologe, umgekehrt löste
das Serum eines mit Blutgemisch ohne Schafblut behandelten
Meerschweinchens letztere Blutart fast ebenso stark auf, wie
die injizierten Blutarten, ausserdem stärker als das Serum der
beiden vorgenannten nur mit Schafblut behandelten Tiere.
Letzterer Umstand wäre in der Weise zu erklären, dass das
Gemisch der fünf Blutarten eine absolut grössere Menge von
den die Bildung von Schafbluthämolysin anregenden Gruppen
enthielt als das Schafblut allein, da ja dieses in viel geringerer
Menge (Vs) eingespritzt worden war als das Gemisch. Der
andere Befund dagegen ist nach unseren gegenwärtigen Vor¬
stellungen nicht recht verständlich. Ihm reihen sich übrigens
die ähnlichen Befunde bei Meerschweinchen 38 und 39 an. Eine
Wiederholung der Versuche an möglichst grossem Tier¬
materiale wäre jedenfalls erwünscht.
Ein ähnliches Versuchsergebnis zeigen die Protokolle einer
Arbeit von Bock [5] über Agglutininbildung mit Patatyphus-
und verwandten Bakterien. Ein Immunserum, hergestellt durch
Behandlung mit dem Stamme „Bang“ agglutinierte diesen
Stamm bedeutend schwächer als einige verwandte Bakterien¬
stämme. Aus Parallelversuchen mit anderen Immunseren er¬
gibt sich, dass die Ursache dieses Verhaltens nicht etwa in
einer schwächeren Agglutinabilität des fraglichen Stammes
zu suchen ist.
Solche Tatsachen weisen darauf hin, dass die Spezifität
der die Empfindlickeit (Lyse, Agglutination) der Zellen be¬
dingenden Gruppen nicht ohne weiteres jener der antigenen
Gruppen (Lysogene, Agglutinogene) gleichzusetzen ist,' wofür
auch sprechen würde, dass bei der Injektion von Rinderblut bei
den bisherigen Versuchen eine Umkehrung der Erscheinung
nicht gesehen wurde (Meerschweinchen 27 und 35). Die vor¬
liegenden Beobachtungen sind zu den in jüngster Zeit von
Bang und Forssmann [6] erhobenen Befunden in Be¬
ziehung zu bringen. Es gelang diesen Autoren durch ein
neues Verfahren aus Erythrozyten eine Substanz darzustellen,
welche bei der Injektion immunisierend auf die Versuchstiere
wirkte, während ihr jedes Bindungsvermögen für die Ambo¬
zeptoren eines homologen Immunserums fehlte. Mit den we¬
sentlichen Grundlagen der Seitenkettentheorie wären diese
Befunde allerdings kaum in Einklang zu bringen.
Ob die nach Injektion von Blutgemischen auftretende Im¬
munität für jede einzelne Blutart durch die Wirkung der homo¬
logen Erythrozyten allein oder durch Zusammenwirken dieser
und der heterologen Blutkörperchen zu stände kommt, diese
Frage zu stellen ist man auf Grund der besprochenen Versuche
berechtigt. In letzterem Falle sollte man meinen, dass das
Serum der mit Blutgemisch behandelten Meerschweinchen jede
einzelne Blutart stärker löst als das der nur mit einer Erythro-
sentlichen Grundlagen der Seitenkettentheorie wären diese
zytenspezies injizierten Versuchstiere. Einige Befunde scheinen
in der Tat in diesem Sinne zu sprechen. Bei der Inkonstanz der
No. 28.
1377
„heterologenReaktion“ der einzelnenTiere wäre dieseErage mit
Sicherheit nur in der Weise zu lösen, dass eine grosse Anzahl
von Tieren einerseits mit den einzelnen Blutarten, anderseits
mit Gemischen derselben behandelt, die Wirkung des Serums
genau festgestellt und Durchschnittswerte berechnet werden.
Auch durch das Verfahren der elektiven Absorption könnte
man über die spezifischen Substanzen der durch Blutgemisch¬
injektion erzeugten Sera vielleicht noch manchen Aufschluss
erlangen, namentlich darüber, ob diese etwa aus verschiedenen,
einerseits durch Injektion der homologen, anderseits der hetero¬
logen Blutkörperchen erzeugten Anteilen bestehen. Entspre¬
chende Versuche sind aus äusseren Gründen unterblieben.
Endlich sei noch auf die Tatsache hingewiesen, dass die
Wirkung der Meerschweinchenimmunsera auf Kaninchenblut
nicht selten schwächer war als auf andere Blutarten. Die Stei¬
gerung der Hämolyse für Kaninchenblut durch Behandlung mit
anderen Blutarten blieb häufig aus. Es ist möglich, dass die
nahe Artverwandtschaft des Kaninchens und Meerschweinchens
mit diesem Verhalten in Zusammenhang steht. Bekannt ist ja
auch, dass es nicht gelingt, durch Injektion von Kaninchen¬
serum bei Meerschweinchen Präzipitine zu erzeugen. Meer¬
schweinchen 37 zeigte sich übrigens refraktär nicht nur gegen¬
über der Injektion von Kaninchen, sondern auch von Enten¬
blut (s. o.)
Einige Versuche über die Bildung von Agglutininen bei
Behandlung von Meerschweinchen mit mehreren Bakterien¬
arten bestätigten Castellanis Befunde. Vierundzwanzig-
stündige Agarkulturen von Choleravibrionen, Bac. typhi, Pro¬
teus und Staphylokokken (je * 1 * 3/e Kultur subkutan nach Abtötung
durch Hitze injiziert) dienten zur Behandlung. Der Agglu-
tinierbaren Bakterienspezies. Um ein die übrigen Bakterienarten
injizierten Tieren ungefähr derselbe wie bei denen, die nur mit
einer Bakterieart behandelt waren. Agglutination der Sta¬
phylokokken wurde auch durch zweimalige Injektion in keinem
Falle erreicht, sie gehören bekanntlich zu den schwerer agglu-
tinierbaren Bakterienspezies. Um ein die übrgien Bakterienarten
agglutinierendes Serum zu erzielen genügten in der Regel 1 — 2
Injektionen. Die Agglutinine traten nach der 1. oder 2. Ein¬
spritzung auf, u. zw. bei den Meerschweinchen, welche Bak¬
teriengemische erhalten hatten, gleichzeitig für alle 3 Arten, in
einem Falle fehlten sie auch nach der 2. Injektion.
Die angeführten Versuche bestätigen demnach die Unter¬
suchungen Castellanis und erweitern dieselben in der
Richtung, als nachgewiesen wurde, dass nicht nur aggluti¬
nierende, sondern auch hämolytische Antikörper gegen mehrere
Antigene gleichzeitig gebildet werden können, dass also die
Konkurrenz der Antikörper praktisch keine wesentliche Rolle
spielt.
Sollte es daher künftig in ausgedehnterem Masse als bisher
möglich und wünschenswert sein, beim Menschen oder bei den
Haustieren mehrere prophylaktische Impfverfahren neben¬
einander zur Anwendung zu bringen, so lassen die Resultate
der vorliegenden Versuche es hoffen, dass der Wert des einen
Schutzimpfungsverfahrens durch die gleichzeitige Durchführung
eines oder mehrerer anderer nicht beeinträchtigt wird.
Literatur:
1. Wendelstadt: Zentralbl. f. Bakt. 1902, I, Bd. 31, pag. 469.
— 2. Castellani: Zeitschr. f. Hygiene, 1902, Bd. 40, pag. 1. —
3. Friedberger: Berl. klin. Wochenschr. 1904. ■ — 4. Michaelis:
Zeitschr. f. klin. Med., 1905, Bd. 56, pag. 409. — 5. Bock: Arb.
a. d. Kais. Ges.-A., 1906, Bd 24, pag. 238. — 6. Bang und Forss-
man: Hofmeisters Beitr., 1906, Bd. 8, pag. 238.
Aus der med. Klinik zu Greifswald (Professor Moritz).
Ausscheidung „endogener“ Harnsäure im Gichtanfail.
Von Franz Soetbeer.
Bei dem Patienten D. habe ich im Juni 1904 *) die Harn¬
säureausscheidung im Gichtanfall untersucht. Ich teile die
Untersuchung mit, weil nur eine weitere ähnliche von
B r u g s c h 9 bekannt ist. In meinem Falle lagen die Anfalls¬
verhältnisse für die Beobachtung günstiger, auch fehlt bei
B r u g s c h die Beobachtung von Stundenwerten,
*) Die Publikation hat sich aus äusseren Gründen verzögert.
1) Th. Brugsch: Zur Stoffwechselpathologie der Gicht. Zeit¬
schrift für experimentelle Pathologie und Therapie, 1906, Bd. 2, 619»
3
1378
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Nach einer schweren Qichtattacke im Februar hatte sich der
Zustand des Pat. wesentlich gebessert, er genoss eine anfallsfreie
Periode von mehreren Monaten. Anfang Juni bekam er wieder
leichte Anfälle von 2 Tage Dauer in der Hand, den Zehen, dem Knie.
Leichte Rötung und Schwellung, etwas Schmerz, dann wieder Wohl¬
befinden. Auffallend waren die regelmässigen Intervalle. Ich be¬
nutzte die Kenntnis dieser Verhältnisse um die Harnsäureausscheidung
in 3 Stundenwerten bei fleischhaltiger und fleischfreier Kost vor,
in und nach dem Anfall zu studieren.
In einer früheren Arbeit 2) habe ich zu zeigen versucht, dass
das charakteristische der Harnsäurestundenwerte bei Qichtikern ihr
regelloses, von der Fleischaufnahme unabhängiges Schwanken ist,
während die Harnsäurekurve der Gesunden, wie Pfeil3) gezeigt
hat, einen bestimmten, von der Fleischaufnahme abhängigen Typus
zeigt.
Wir sehen nun mit Hilfe der Tabelle und Kurvenzeichnung, wo
die Harnsäure in 3 Stundenwerten und Grammen aufgetragen ist,
zunächst denselben planlosen Ausscheidungsverlauf, den wir schon
an unseren früheren Fällen in anfallsfreier Zeit beobachtet haben.
Weiter aber fällt hier bei einem Blick auf die Kurve auf, dass die
Tab
Tagesmengen nicht abhängig sind von der Fleischaufnahme wie beim
Gesunden, sondern ausschliesslich von ihrem Verhältnis zum Anfall.
Wir haben Tage mit 250 g Fleischaufnahnle, wie den 27. Juni
mit nur 0,118 g Harnsäureausscheidung und Tage ohne Fleisch mit
0,320 g Harnsäureausscheidung.
Am 23. Juni beginnt in der Zeit von 3—6 Uhr morgens ganz
unmotiviert die starke Ausscheidung und am nächsten Tag, ein
Fleischtag, ist der Anfall da. Man könnte bei oberflächlicher Be¬
trachtung versucht sein die Steigerung mit der Fleischaufnahme in
Verbindung zu bringen, wenn nicht glücklicherweise der Anstieg
der Ausscheidung schon 6 Stunden vor der ersten Fleischaufnahme
erfolgt wäre. Die Ausscheidung sinkt am nächsten fleischfreien Tag
auf 0,177 g, um am übernächsten, ebenfalls fleischfreien Tag rapide
noch einmal anzusteigen auf 0,320 g. Ein eingefügter Fleischtag zeigt,
dass die Fleischnahrung ohne jede Wirkung ist (0,118 g), die Aus¬
scheidung geht ihren, von ganz unbekannten Faktoren abhängigen
Gang. Am 30. beginnt bei fleischfreier Kost ein neuer Anfall, die
Harnsäurekurve steigt in regelloser Form von 59 mg bis zu 291mg
in die Höhe. 2 Tage darauf ist die Ausscheidung wieder auf mini¬
malste Werte gesunken.
eile.
Datum
21. VI.
22. VI.
23. VI.
24. VI.
25. VI.
26. VI.
27. VI.
28. VI.
29. VI.
30. VI.
1. VII.
2. VII.
3. VII.
Nahrung
250 g
Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
3 mal
100 g Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
250 g Fleisch
1/ 2 PI. Rotw.'
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
Ohne
Fleisch
D in g
Ü in g
Ü in g
U in g
U in g
U in g
U in g
U in g
U in g
0 in g
U in g
U in g
U in g
9 U. Vorm.
12 „ Mittag
3 v Naclmi.
6 „ Nachm.
9 „ Nachm.
12 „ Mittern.
3 „ Vorm.
6 v Vorm.
0,017
0,017
0,013
0,057
0,064
0,024
0,016
0,007
0,003
0,002
0,007
0,005
0,015
0,006
0,007
0,004
0,027
0,005
0,021
0,012
0,006
0,003
0,004
0,050
0,041
0,049
0,029
0,031
0,024
0,038
0,045
0,006
0,017
0,036
0,020
0,035
0,007
0,013
0,014
0,035
0,026
0,044
0,053
0,051
0,039
0,038
0,016
0,053
0,016
0,005
0,007
0,012
0,007
0,009
0,048
0,014
0,016
0,033
0,018
0,026
0,019
> 0,029
0,030
0,021
0,002
0,009
0,004
0,006
0,013
0,008
0,005
0,012
0,011
0,040
0,031
0,006
0,018
0,004
0,013
0,030
0,030
0,058
0,059
0,027
0,037
0,030
0,029
0,021
0,009
0,013
0,038
0,007
0,015
0,046
0,041
0,002
0,003
0,003
0,006
0,004
Tagesmenge
0,215
0,049
0,128
0,263
0,177
0,320
0,118
0,192
0,059
0,152
0,291
0,171
—
Fleischtage.
Fleischfreie Tage.
tischer Lehren für die praktische Diätetik. Auch Noorden1)
warnt in seiner neuesten Darstellung dieser Verhältnisse vor
einseitiger Begünstigung fleischfreier Nahrung für Gich-
tiker.
Ueber ein Asthma-Inhalationsmittei nach Professor
Dr. Alfred Einhorn.
Von Dr. Friedrich Schaefer, Spezialarzt für Nasen-
und Halskrankheiten in München.
Durch die starke Atemnot beim Asthmaanfall entsteht beim
Patienten häufig die Vorstellung, es müsse in den oberen Luft¬
wegen ein Hindernis für seine Respiration liegen und deshalb
sucht er Hilfe bei den Laryngologen. So kommt es, dass wir
Halsärzte unter unserer Klientel so viele Asthmatiker zu be¬
handeln haben.
Mögen auch viele Fälle von Asthma bronchiale durch
Reflexerscheinungen: Nasenpolypen, Tubercula septi, Granu¬
lationen usw., ausgelöst und so unserer chirurgischen Behand¬
lung zugänglich sein, mögen manche Fälle auf Arsenik- oder
Jodbehandlung günstig reagieren, so bleibt doch ein grosser
Prozentsatz der Fälle übrig, die wir ausserstande sind, zu
bessern, geschweige denn temporär zu heilen.
Der Versuch zeigt, dass vor einem Gichtanfall die Fleisch¬
aufnahme die Harnsäure nicht so beeinflusst wie beim Ge¬
sunden, die Ausscheidungskurve bleibt niedrig. Ferner aber
auch, und das ist das Neue und Wichtige, dass die Harnsäure¬
ausscheidung im Anfall stark ansteigt, bei völlig fleischfreier
Kost. Auch hier ist die Form der Ausscheidungskurve ganz
unabhängig von der Nahrungsaufnahme und gleicht in keiner
Weise der Ausscheidungskurve der Gesunden mit fleischfreier
Kost.
Unsere Beobachtung der Steigerung der Harnsäureaus¬
scheidung im Gichtanfall bei fleischfreier Kost ist für den Prak¬
tiker eine Warnung vor der doktrinären Verwertung theore-
Auch klimatische, wie Anstalts- und Bäderbehandlung
lässt nur zu häufig im Stich, zumal, wenn der Patient wieder
an seinen Wohnort und in seinen alten Wirkungskreis zuriick-
kehrt.
Vor 5—6 Jahren tauchte nun ein Geheimmittel aus Amerika
auf, das mit dem sogen. Oelzerstäuber von der Nase aus in¬
haliert und von einem gewissen A. T u c k e r, „General¬
direktor“, vertrieben wurde. Dieses Geheimmittel wirkte in
den meisten Fällen äusserst günstig und ging trotz aller ärzt¬
lichen Warnungen vor Geheimmitteln rasch durch Empfehlung
von Patient zu Patient. Heute gibt es wohl kaum einen
schweren Asthmatiker, der nicht den Tuck ersehen Apparat
in der Tasche bei sich führt.
4) Noor den: Handln d. Path. d. Stoffwechsels. Berlin 1907,
Bd. II, S. 181.
s) Soetbeer: Zeitsclir. f. pliys. Chemie, Bd. 40, S. 25.
3) Pfeil: Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 40, S. 1.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1379
9. Juli 1 907.
War für uns Aerzte bei der reklamenhaften Anpreisung des
Qeheimmittels (das zu unmässig hohem Preise mit dem
schablonenhaftesten Fragebogen dem Patienten zngesandt wird)
eine Empfehlung desselben völlig ausgeschlossen, so war aber
auch die Pflicht uns erwachsen, das Mittel zu prüfen und unter¬
suchen zu lassen, um eventuell daraus für unser therapeutisches
Handeln Vorteile zu gewinnen und so dem Geheimmittel¬
schwindel am besten steuern zu können.
Damals wendete ich mich an Prof. Einhorn mit der
Bitte, das Mittel zu analysieren.
Die Resultate dieser Untersuchung hat Prof. Einhorn
in einer Arbeit der letzten Nummer der Münch, med. Wochen¬
schrift niedergelegt.
Wie dort ersichtlich, waren die therapeutischen Erfolge
anfangs sehr wenig ermunternd, so dass ich immer wieder
Zweifel hegte, ob nicht doch in dem Mittel eine bisher un¬
bekannte Substanz enthalten sei, welche die souveräne Wir¬
kung auf den Anfall ausübe.
Erst als Prof. Einhorn die Nitrite des Kokains und
Atropins, die er im T u c k e r sehen Geheimmittel in Lösung
fand, in reinem Zustande darstellte und mir Lösungen von
diesen bis jetzt unbekannten Salzen zur therapeutischen Prü¬
fung zur Verfügung stellte, änderte sich das Resultat mit einem
Schlage.
Seit etwa 3 Jahren steht mir durch ihn eine Lösung von:
Kokainnitrit . 1,028 Proz.
Atropinnitrit . 0,581 „
Glyzerin . 32,16 „
Wasser . 66,23 „
zur Verfügung. Ich habe diese Inhalationslösung bei 25 bis
30 Kranken therapeutisch geprüft und dabei so ziemlich die
gleichen Resultate erhalten, wie man sie bei Gebrauch des
T u c k e r sehen Geheimmittels sieht.
Das Inhalationsmittel (das ja im wesentlichen dasselbe ent¬
hält, wie viele unserer Asthmamittel (Salpeterpapiere, Stra-
monium, Asthmazigaretten, T rousseau sehe Kur etc. [Atro¬
pin und Nitrite]) muss vor allem richtig gebraucht werden.
Die Anwendungsweise ist bekanntermassen die, dass der
Patient, sobald er merkt, dass ein Asthmaanfall einsetzen will,
den Oelzerstäuber mit Nasenansatzrohr nimmt und während
einiger tiefen Inspirationen das durch rasches kräftiges Drücken
auf den Gummiballon zerstäubte Mittel durch die Nase ein¬
saugt, so dass der ganze Respirationstraktus herunter bis in
die Bronchien in direkte Berührung mit dem krampfstillenden
Medikament kommt.
Hat das beengende Gefühl nicht ganz aufgehört, so wird
nach einer halben bis einer Stunde von neuem diese Mani¬
pulation wiederholt, bis der Krampf geschwunden ist.
In den meisten Fällen ist nach ein- bis zweimaligem In¬
halieren schon eine wesentliche Erleichterung eingetreten und
der Anfall kommt nicht mehr zum Ausbruch.
Die Fälle, in denen zunächst kein therapeutischer Erfolg
eintrat, zeigten jedesmal bei näherer Untersuchung, dass der
Fehler nicht im Mittel, sondern in seiner Anwendung zu
suchen sei.
Oft hat der Patient mit dem Einatmen erst begonnen, als
der Anfall schon völlig ausgebildet war; dann sind die Lungen
schon so gebläht, dass eine tiefe Einatmung nicht mehr recht
möglich. Es kann das Mittel dann auch nur schwer und
langsam dahin kommen, wo es krampfstillend wirken soll.
Oder der Patient bringt das Einatmen durch die Nase
nicht recht fertig. Lässt man sich diese Manipulation vom
Patienten in der Sprechstunde vorexerzieren, so sieht man erst,
wie ungeschickt das ausgeführt wird. Manche Patienten zer¬
stäuben das Mittel genau während der Exspiration, oder
drücken während einer langen Inspiration einmal schwach auf
den Gummiballon, so dass sie so gut wie gar nichts inhalieren
können.
Schwere Asthmatiker muss man veranlassen, das Mittel
regelmässig morgens und abends, eventuell auch nachts einmal
anzuwenden. Eine Heilung des Asthma wird mit dem Mittel
natürlich ebenso wenig erzielt, als mit dem Tuck ersehen
Mittel selbst, wenn es auch dort reklamehaft behauptet wird,
denn es kann nur krampfhemmend wirken. Wenn ein zu
starken Asthmaanfällen neigender Patient eben das Mittel
längere Zeit aussetzt, so wird sich auch mit der Zeit ein Anfall
wieder einstellen.
Wird aber das Mittel rechtzeitig und richtig gebraucht,
so leistet es das Gleiche wie das T u c k e r sehe.
Besonders lehrreich waren deshalb die Versuche mit
Patienten, die schon jahrelang vorher das T u c k e r sehe Mittel
angewendet hatten und die natürlich an ein anderes Mittel,
das vor allem nicht die gleiche dunkle Farbe (wahrscheinlich
Beimischung eines Pflanzenextraktivstoffes) wie ihr alt¬
gewohntes Geheimmittel bot, nicht recht heranwollten. Sie
alle fanden schliesslich, dass das neue Mittel ebenso gegen den
Krampf wirke, wenn auch vielleicht der eine einmal fand, dass
es nicht ganz so rieche, der andere, dass es den Husten etwas
später löse. Patienten, die zuerst längere Zeit das Einhorn-
sche Mittel anwandten und dann dazwischen das T u c k e r sehe
bekamen, waren dagegen wieder etwas skeptisch gegen das
Geheimmittel und griffen lieber auf das Einhorn sehe zu¬
rück.
Es macht eben bei dem Asthmatiker, der ja immer neuro-
pathisch veranlagt, die Suggestion manches mit aus und diese
steht einem Geheimmittel in erster Linie zu Gebote.
Alle Patienten mit schweren Asthmaanfällen, die das
Einhorn sehe Mittel erprobten, kamen immer und immer
wieder darauf zurück und manche wenden es jetzt schon
3 Jahre mit völligem Erfolg an, insoferne sie dadurch die Mög¬
lichkeit besitzen, jeden Anfall zu unterdrücken oder nicht auf-
kommen zu lassen.
Die Untersuchungen Einhorns konnten aber von neuem
zeigen, dass auch dieses Geheimmittel gar keine so harmlosen
indifferenten Stoffe enthält und unter Umständen — in falscher
Weise gebraucht — schwere Vergiftungen hervorrufen könnte.
Ueberhaupt wird ja jedem Arzt zunächst das Bedenken
kommen, ob nicht ein Mittel, das
1 Proz. Kokain und
1/2 „ Atropin
enthält, akute Vergiftungen hervorrufen könnte. Nach genauen
Angaben von Prof. Einhorn wird aber mit einem guten Oel¬
zerstäuber in 3 Minuten höchstens
0,000348 . Atropinnitrit und
0,000620 . Kokainnitrit
zerstäubt, was also um das Mehrfache unter der Einzelmaximal¬
dosis bleibt.
Gewöhnlich wird nun 2 — 3 mal täglich auf jeder Nasen¬
hälfte während 3—5 tiefen Atemzügen, d. i. also 10 Atemzüge,
kräftig inhaliert. Zu 10 tiefen Atemzügen braucht man aber
im äussersten Falle 50 Sekunden, d. i. im Tage also 3 mal
50 = 150 Sekunden — 2% Minuten. In dieser Zeit wird im
Maximum nur 0,000517 g Kokainnitrit und 0,000290 g Atropin¬
nitrit versprayt, während die Maximaldosen für Cocain, hydro-
chlor. 0,05 und für Atropin, sulfur. 0,001 pro Einzeldosis be¬
tragen.
Wenn man ferner bedenkt, dass bei dem Inhalieren ein
grosser Teil des inhalierten Medikamentes bei der nächsten
Exspiration unresorbiert die Lunge verlässt, so wird man wohl
einsehen, dass keine akuten Vergiftungserscheinungen eintreten
können, dagegen wird man sich wundern, dass schon so ge¬
ringe Mengen, auf die Respirationsschleimhaut gebracht, im¬
stande sind, den Krampf zu lösen.
Atmet einmal ein Kranker in der Angst vor dem Anfall
übermässig viel und lang ein, so wird sich zunächst ein
Trockenheitsgefühl im Rachen bemerkbar machen und, hat man
ihn vorher darauf aufmerksam gemacht, dass dieses T rocken-
heitsgefühl das erste Anzeichen von einem zuviel des Guten sei,
so wird eine akute Vergiftung sicher zu vermeiden sein.
Eine andere Frage ist die, ob der chronische Gebrauch
selbst von so geringen Mengen Atropin und Kokain nicht
schliesslich doch schädigend auf den Gesamtorganismus ein¬
wirkt.
Ich kenne Fälle, wo das T u c k e r sehe Mittel schon 5 bis
6 Jahre ohne nachweisliche Schädigung täglich gebraucht
wurde. Schliesslich ist in verzweifelt schweren Fällen das
kleine Uebel dem grösseren vorzuziehen.
Jedenfalls müssen wir Aerzte es freudigst begriissen, dass
wir durch die Einhorn sehe Untersuchung ein Mittel an der
3*
1380
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Hand haben, das im stände ist, sicher das Gleiche zu leisten,
wie das T 11 c k e r sehe Geheimmittel.
Vielleicht lässt der eine oder andere Kollege sich auch zur
weiteren Prüfung herbei, um so den armen Asthmatikern zu
helfen und dem Geheimmittelschwindel zu steuern.
Aus der chirurgischen und orthopädischen Heilanstalt des
Dr. Langemak zu Erfurt.
Zur Thiosinaminbehandlung der Dupuytren sehen
Faszienkontraktur.
Von Dr. Langemak.
Nachdem H e b r a im Jahre 1892 das Thiosinamin in die
Therapie eingeführt und T e 1 e k y dieses Mittel auf Grund der
von ihm erzielten Erfolge für geeignete Fälle empfohlen hatte,
war es ein Verdienst Lengemanns, darauf hinzuweisen,
dass auch das Malum Dupuytren günstig durch Thiosinaminein-
spritzungen beeinflusst werden kann, wenn man die Behand¬
lung durch Massage, passive Streckungen, warme Bäder und
Auflegen von Thiosinaminpflastermull unterstützt.
Lengemann, welcher über Dauererfolge von über
einem Jahr berichten konnte, ging in der Weise vor, dass er
täglich mittelst P r a v a z scher Spritze 1 ccm einer Lösung von
Thiosinamin 2,0, Glyzerin 4,0, Aqu. dest. 14,0 — (10 Proz.) in
die Infiltrate und deren Umgebung injizierte, wobei er immer
die Einstichstelle in gesunder Haut wählte. Dass auch grössere
Dosen vertragen werden, beweist eine Mitteilung J e 1 1 i n e k s,
welcher anfangs in kleineren, später in grösseren Intervallen
Injektionen von 2 — 5 Teilstrichen einer P r a v a z sehen Spritze
einer 15 proz. alkoholischen Thiosinaminlösung direkt in die
verhärteten Knoten und Stränge der kranken Palmarfaszie
unter Chloräthyl- oder Kokainanästhesie applizierte. M e 1 1 i n
benutzte sogar manchmal Lösungen von 20 proz. Konzen¬
tration.
Trotz der guten, einwandfrei beobachteten Erfolge haftet
der Methode zunächst der eine grosse Nachteil an, dass die
Behandlung eine sehr langwierige ist; denn Jellinek, wel¬
cher freilich keine andere Therapie zur Unterstützung an¬
wendete, musste die Behandlung fast ein Jahr durchführen, um
einen vollen Erfolg zu erreichen. Auch Lengemann musste
in einem Fall 28 Injektionen machen, um zum Ziele zu kommen.
Immer zog sich, auch in den leichteren Fällen, die Behandlung
über Monate hin. Lengemann selbst glaubt, dass wirklich
schwere Fälle bei der Thiosinaminbehandlung grosse Anfor¬
derungen an die Geduld stellen würden.
Ein weiterer Nachteil der Methode ist die Schmerzhaftig¬
keit der Einspritzungen. Selbst wenn man die wässerige Lö¬
sung benutzt, der im Gegensatz zur alkoholischen Lösung nach¬
gesagt wird, dass sie fast keine Schmerzen macht, und selbst
wenn man die von Lengemann empfohlene vorangehende
Injektion von lA ccm 1 proz. Kokainlösung zur Schmerzherab¬
setzung anwendet, wird in den meisten Fällen doch die Ein¬
spritzung in das narbige Gewebe so schmerzhaft empfunden,
dass die Patienten nach der ersten Einspritzung oder nach
einigen auf die weitere Behandlung verzichten oder eine weitere
Einspritzung verweigern. Meine Erfahrungen decken sich in
dieser Beziehung mit denen Lexers, welcher in der Freien
Vereinigung der Chirurgen Berlins mitteilte, dass die nach der
Injektion auftretenden Schmerzen meist sehr erheblich ge¬
wesen seien, ja die vollständige Durchführung der Kur un¬
möglich gemacht hätten.
Durch die Weigerung eines Patienten, weitere Ein¬
spritzungen machen zu lassen, wurde ich zu einer Methode ge¬
führt, die beide Nachteile, die bisher der Methode anhafteten,
verringern, wenn auch nicht vollkommen beseitigen, da man
mit wenigen, manchmal sogar mit einer Einspritzung aus¬
kommt.
Ich brachte die Hand des Patienten, bei dem ich 2 ccm einer
10 proz. wässerigen Lösung injiziert hatte, einige Tage für eine
Stunde in den Heissluftkasten, um das Narbengewebe aufzuweichen,
und massierte. Als ich am 4. Tage mit passiven Streckversuchen
begann, fühlte und hörte ich bei langsam und schonend angewandtem
manuellem Zuge plötzlich die Narbenstränge, welche den Finger in
die Hohlhand eingekrallt fixierten, nachgeben und zerreissen. Jeden
Tag wurde nun nach einem Heissluftbade der Finger weiter passiv
gestreckt, wobei fast immer unter Krachen Narbenstränge durch-
rissen, und schon am 10. Tage war der Finger vollkommen gerade;
nur das Grundglied blieb bei der Streckung noch um 5 — 10 Grad
zurück. Der Patient, ein 62 jähriger Steuereinnehmer, der wieder
in seinen Dienst musste, konnte sich nicht weiter behandeln lassen;
ich empfahl ihm deshalb, um die Beweglichkeit des Fingers weiter
zu bessern, täglich einmal ein recht heisses Seifenbad der Hand zu
geben und nachts meine Jute-Flies-Verbände anzulegen. Nach 4
Wochen sah ich den Patienten wieder; der Finger konnte aktiv voll¬
kommen, passiv sogar überstreckt und in normaler Weise gebeugt
werden. Die Dankbarkeit des Patienten war eine grosse, denn das
Leiden, welches vor 18 Jahren begonnen hatte und nicht nur zur
vollkommenen Krummstellung des rechten 3. Fingers geführt, sondern
auch allmählich die anderen Finger der Hand in Mitleidenschaft ge¬
zogen hatte, belästigte den Träger beim Geldzählen ungemein.
Ich konnte mich anfangs noch nicht so sehr mitfreuen, da ich
den Dauererfolg abwarten musste. Heute aber, nachdem fast 3 Jahre
seit der Behandlung, die im Juli 1904 stattfand, vergangen sind, kann
man wohl von einem Dauererfolge sprechen. Auch jetzt noch ist der
Finger vollkommen funktionsfähig. Patient badet die Hand mehr¬
mals wöchentlich in warmem Seifenwasser und biegt täglich mehr¬
mals den Finger in leichte Ueberstreckung.
Ermutigt durch diesen Erfolg habe ich nun nach der gleichen
Methode, natürlich unter der für die individuelle Behandlung
des Einzelfalles nötigen Modifikation, noch weitere 6 Fälle be¬
handelt, darunter 3 schwere und 3 leichteren Grades.
Um nicht durch ausführliche Krankengeschichten zu er¬
müden, möchte ich nur kurz die Erfahrungen, die ich bei der
Behandlung dieser Fälle gesammelt habe, und die nötigen Vor-
sichtsmassregeln mitteilen, die ich aus denselben als notwendig
ableiten konnte;
Wenn es sich um empfindliche Kranke handelt, ist es rat¬
sam, sowohl die Einspritzung als auch die erste Sprengung
der Narbenstränge im ersten Aetherrausch vorzunehmen, und
wenn eine zweimalige Anwendung des Rausches wegen des
Alters des Patienten oder aus anderen Gründen nicht ratsam
erscheint, so empfehle ich, lieber die Einspritzung im Rausch
vorzunehmen, da mir die Patienten, bei denen ich die Spren¬
gung ohne Betäubung langsam vornahm, versicherten, dass der
Schmerz der Einspritzung viel grösser gewesen sei, als der bei
der gewaltsamen Dehnung empfundene. Hat die Thiosinamin¬
lösung im Verein mit der Erweichung durch heisse Luft das
Narbengewebe genügend lange beeinflusst, so gelingt oft die
Geraderichtung des Fingers bei Anwendung des Rausches
schon in einer Sitzung. Hat aber das Leiden bei jugendlichen
Individuen begonnen, und kommen die Patienten bei Fort¬
schreiten der Kontraktur Ende der Zwanziger oder Anfang der
Dreissiger in die Behandlung, so hat man ausser der narbigen
Kontraktur mit einer arthrogenen zu rechnen; in diesen Fällen
setzt die Inkongruenz der Gelenkflächen der vollkommenen
Streckung zuweilen solche Hindernisse entgegen, dass es noch
einer längeren Behandlung durch kleine Schienenapparate und
andere orthopädische Massnahmen bedarf, bis die völlige
Streckfähigkeit erreicht ist.
Sieht man, dass man nicht mit einer Injektion auskommt,
so kann man eine zweite ohne Aetherrausch vornehmen, da
der Kranke bei der ersten keine Schmerzen empfunden hat und
nicht ängstlich geworden ist. Ausserdem pflegt die zweite Ein¬
spritzung schon weniger Schmerzen zu bereiten, da das Ge¬
webe bereits gelockert ist und die injizierte Flüssigkeit infolge¬
dessen keinen so grossen Druck auf das Gewebe ausübt. Eine
zweite oder dritte Einspritzung ist oft auch aus prophylak¬
tischen Gründen in den Fällen wünschenswert, in denen die
Geraderichtung in einer Sitzung gelang, da die Knoten selten
nach einer einzigen Injektion völlig verschwinden und den An¬
lass zu einem Rezidiv geben können. Auch in den Fällen, die
zu den leichteren zu rechnen sind, weil nur das Grundglied in
mässigem Grade an die Vola herangezogen ist, wird man
gut tun, von vorneherein mit mehreren Injektionen zu rechnen,
da hier gerade die im Anfänge auftretende Knötchenbildung in
erster Linie zu behandeln ist, die Geraderichtung des Fingers
passiv meistens keine Schwierigkeiten macht.
Ueber die jedesmal zu injizierende Flüssigkeitsmenge ist
zu sagen, dass im allgemeinen wenig Flüssigkeit mit hohem
Prozentgehalt zu bevorzugen ist, doch wird man zweckmässig
nicht über 20 proz. Lösungen hinausgehen und mit 10 proz. be¬
ginnen, da in vereinzelten Fällen neuerdings über eine Idio¬
synkrasie gegen Thiosinamin berichtet ist, die sich in Tem¬
peratursteigerung, Störungen des Allgemeinbefindens, Appetit-
Beilage zu No. 28 1907 der Münchener Medizinischen Wochenschrift.
Fig. 6 Fig. 4
Zur Arbeit: „Die Spirochaeta pertenuis und das klinische Bild der Framboesia tropica“ von Dr. W. Schüffner.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1381
losigkeit, Benommenheit des Kopfes, Gefühl von Mattigkeit und
Müdigkeit äusserte. Diese Erscheinungen traten aber nie auf,
wenn man den Patienten langsam an das Mittel gewöhnte.
1 ccm der wässrigen lOproz. Lösung genügt für die einmalige
Injektion in einen Krankheitsherd immer.
Zu beachten ist, dass man das Medikament nicht zu nahe
an die Haut injiziert, da man sonst leicht kleinere Nekrosen
erleben kann, die um so unangenehmer sind, als^n der so ent-
■ standenen Wunde die Sehne zutage liegen kann. Ich sah eine
solche Nekrose noch 4 Wochen nach der Injektion in einem
Falle eintreten. Eine doppelstecknadelkopfgrosse Partie hatte
sich bald nach der Einspritzung bläulich verfärbt. Die nach
so langer Zeit erst erfolgende Abstossung ergab eine kleine,
wie mit einem Locheisen ausgeschlagene Wunde in der Hohl¬
handmitte, in deren Grunde die Sehne freilag. Unter Jod¬
ätzung schloss sich der Defekt in einigen 1 agen, ohne das gute
funktionelle und kosmetische Resultat zu beeinflussen. Seit¬
dem ich darauf achtete, dass die Nadel beim weiteren Vor¬
schieben nicht eil dermal zu liegen kam, sondern immer sub¬
kutan blieb, habe ich keine weiteren Nekrosen beobachtet.
Fast alle Kranken gaben mir nach den Injektionen und
Streckungen an, dass sie ein taubes Gefühl in der Spitze des
betreffenden Fingers hätten. Dasselbe ging bei einigen nach
einigen Tagen, bei anderen nach Wochen, bei den schwersten
Fällen erst nach Monaten fort. Eine Kokainwirkung kann man
wohl wegen der Länge der Zeit ausschliessen, ebenso liegt
keine Veranlassung vor, das Thiosinamin verantwortlich zu
machen. Ich erkläre mir die Sensibilitätsstörung durch die
Nervendehnung, die bei der Geraderichtung erfolgt; die Finger
standen doch meist viele Jahre in der pathologischen Beuge¬
stellung. Diese Auffassung findet eine Stütze in der Tatsache,
dass die Störung der Sensibilität am längsten anhielt in den
Fällen, in denen die Finger ganz in die Hand eingeschlagen
standen, wo also die Dehnung des Gewebes am stärksten vor¬
genommen werden musste.
Nicht unterlassen möchte ich, darauf hinzuweisen,
dass es notwendig ist, auf Zucker bei allen Pa¬
tienten vor der Injektionsbehandlung zu untersuchen.
Die Gewebe geraten in starke Spannung und diese
verträgt ein Diabetiker bekanntlich am schlechtesten.
Bei einem meiner Patienten hatte der Hausarzt 8 1 age, bevoi
ich eine Thiosinamininjektion machte, auf Zucker untersucht
und kein Saccharum nachweisen können. Ich untersuchte des¬
halb den Urin nicht und wurde für diese Unterlassungssünde
schwer bestraft; denn ich hatte mehrere schlaflose Nächte, als
sich einige Tage nachher die Umgebung der Einstichstelle stark
rötete, der Handrücken anschwoll, blaurote Flecken an einigen
Stellen auftraten und der Patient somnolent wurde. Die nun
vorgenommene Urinuntersuchung ergab zwar nur Spuren von
Zucker, aber das Gespenst der Gangrän verliess mich mehrere
Tage nicht. Durch einige kleinere Inzisionen und durch Be¬
handlung mit dem Saugapparat für die ganze Hand gelang es
glücklicherweise unter strenger Zuckerdiät die bedrohlichen
Erscheinungen zu beseitigen, auch wurde das Resultat der
Behandlung durch diesen Zwischenfall in keiner Weise beein¬
trächtigt.
Weder bei der allmählichen, in mehreren Sitzungen vor¬
genommenen, noch bei der im Aetherrausch erfolgten lang¬
samen passiven Streckung habe ich unangenehme Zwischenfälle
erlebt. Nur bei einem Patienten riss eine Hautfalte ein bei dem
letzten Streckversuch des Fingsrs, also bei der Ueberfiihrung in
die völlige Streckstellung. Die quer über dem ersten Interphalan-
gealgelenk verlaufende, ca. 1 cm lange Wunde, in deren Grunde
die Sehne freilag, schloss sich in einigen Tagen; auch hier war
das funktionelle Ergebnis ein ausgezeichnetes. Wäre die Haut
nicht eingerissen, so hätte ich, um eine vollkommene Strek-
kung zu erzielen, einen kleinen Einschnitt machen müssen, da
an dieser Stelle die Haut mit der Sehne fest verwachsen war.
Ich hatte mit dem Einreissen der Haut gerechnet, würde aber
bei noch stärkerer Verwachsung die scharfe Ablösung der
Haut nach Einschnitt vorziehen.
Die Funktion der behandelten Finger wurde in allen Fällen
eine gute; eine vollkommen normale in den meisten Fällen, und
zwar in 2 der schwersten, während in einem mittelschweren
Falle noch eine Beugestellung des Grundgliedes von ca. 30 0
(180°— 30°) zurückblieb. Der hochgradig nervöse und
neurasthenische Patient wollte sich den durch die
völlige Geraderichtung zu ertragenden Beschwerden
nicht mehr unterziehen, zumal er mit dem funktio¬
nellen Resultat zufrieden war, weil ihn der Finger
nicht mehr am Orgelspielen hinderte. Die beiden schwersten
Fälle konnte ich den Kollegen anlässlich eines über dieses
Thema gehaltenen Vortrages im ärztlichen Verein demon¬
strieren. Allgemein fiel das gute funktionelle Resultat auf.
Wenn auch die Literatur über die Behandlung narbiger Ge¬
websveränderungen mit Thiosinamineinspritzungen schon eine
recht stattliche ist, so blieb doch die Anzahl der mitgeteilten,
mit diesem Mittel behandelten Fälle von D u p u y t r e n scher
Faszienkontraktur leider eine geringe, so dass schon aus diesem
Grunde meine Publikation berechtigt ist. Ich glaube aber auch
durch diese Zeilen gezeigt zu haben, dass wir die Schmerz¬
haftigkeit und die lange Dauer des Verfahrens einschränken
können, wenn wir das Brisement force in schonender Weise
zu Hilfe nehmen, und dass das funktionelle Resultat in der
Mehrzahl der Fälle nichts zu wünschen übrig lässt. Wenn man
berücksichtigt, dass das Leiden meist das höhere Alter be¬
trifft und deshalb eine radikale operative Behandlung schon
wegen der Narkosenschädigung nicht ratsam erscheint, wenn
man ferner erfahren hat, dass selbst eine eingreifende chirur¬
gische Therapie nicht sicher vor Rezidiven schützt, so wird
man der mehr orthopädischen Behandlungsmethode im all¬
gemeinen den Vorzug geben müssen. Vereinzelte Fälle, vor
allem solche, in denen die Knoten und Schwielenbildung eine
besonders starke ist, werden auch ferner dem Messer gehören,
aber auch in diesen kann man sich die Arbeit erleichtern, wenn
man das Gewebe durch Thiosinamin zuvor erweicht und even¬
tuell durch Injektionen während der Nachbehandlung der Rezi¬
divgefahr vorbeugt.
In allen Fällen ist es notwendig, dass der Patient durch regel¬
mässig genommene heisse Seifenwasserbäder und häufiges
Biegen des behandelten Fingers in leichte Uebei Streckung,
namentlich in der ersten Zeit nach der ärztlichen Behandlung,
das erreichte Resultat zu erhalten bestrebt ist. Sollte sich
trotzdem einmal nach Jahren der Beginn eines Rezidives zei¬
gen, wird sich der Patient rechtzeitig dem Arzte zeigen und
sich gerne einer erneuten Einspritzung unterziehen, da ihm
diese Art der Behandlung in den meisten Fällen gestattet, seinen
Beruf auszuüben. Zu einer zweiten Operation entschliessen
sich die Patienten dagegen nur selten und schwer.
Zum Schluss noch einen kurzen Hinweis auf eine Ver¬
bindung des Thiosinamins mit Natr. salicylicum, welche unter
dem Namen Fibrolysin in den Handel gebracht ist. Es
wird diesem Präparat Schmerzlosigkeit an der Injektionsstelle
und grössere Zuverlässigkeit in der Wirkung nachgerühmt,
Vorzüge, welche bei weiterer Bestätigung dieses Urteils dazu
führen werden, dieses Arzneimittel häufiger als 1 hiosinamin
allein auch bei dem Malum Dupuytren anzuwenden.
Von der Wirkung des Thiosinamin-Pflastermulls habe ich
mich nicht überzeugen können.
van
ff. —
J el-
[ i u s -
Verh.
Toxi-
Literatur.
1 Baumstark: Berl. klin. Wochenschr. 1904, No. 24. —
. B r i n i t z e r: Ibid. 1906, No. 4. — 3. D o b e r a u e r : Beitrage zur
:lin. Chir., Bd. 36, H. 1. — 4. Heb ra: Verh. d. 2. intern. Derm.-
hmgr. Wien 1892, S. 413 ff. — 5. H i 1 d e b r a n d: Freie Vereinigung
[er Chirurgen Berlins, 142. Sitzung (14. Nov. 1904). — 6. Hirsch-
and: Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. 64, H. 2 und 3. /.
ioorn: Verh. der Deutsch, derm. Ges., 4. Kongr., S. 23b
I. Janssen: v. Langenbecks Archiv, Bd. 67, H. 4. — - 9.
inek: Wien. klin. Wochenschr. 1906, No. 28. — 10. J u
i e r g: Deutsche med. Wochenschr. No. 35. — 11- Derselbe.
1. Deutsch, derm. Ges. 1901, S. 255 ff. - 12. J adas s ohn:
codermien, Deutsche Klinik, 10. - 13. L e n g em a n n: Deutsche
ned. Wochenschr. 1903, No. 23. — 14. Derselbe. Ibidem »
4o. i3. _ 15. Lewandowski: Therapie der Gegenwart 1903,
io — 16. Lex er: Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins,
42. Sitzung (14. Nov. 1904). — 17. Lion: Archiv f. Derm u. Syph.
900 Bd 54, S. 366. — 18. Me 11 in: Freie Vereinigung der Chirurgen
3erlins, 142. Sitzung (14. Nov. 1904). - 19 Neutra: Wien klin.
Vochenschr. 1901. No. 39. - 20. O f f e r g e 1 d: Munch med. Wochen-
ichrift 1905, No. 37. — 21. v. P e t e r s e n: Verh. d. Deutsch, derm.
3es. 1901, S. 255 ff. — 22. R i 1 1 e: Ibidem. — 23. T e Schema ch er
Deutsche med. Wochenschr. 1904, No. 14. — 24. Teleky: Zentralbl.
:. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1902. _
1382
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Aus der Lupusheilanstalt für Kranke der Landesversicherungs¬
anstalt der Hansestädte zu Hamburg.
Experimentelle Untersuchungen über die biologische
Tiefenwirkung des Lichtes der medizinischen Quarz¬
lampe und des Finsenapparates.
Von Dr. Paul W i c h m a n n.
Seitdem Finsen seine Erfolge der Behandlung des Lupus
mit konzentriertem Licht veröffentlicht hat und durch die Kon¬
struktion seiner Sammelapparate die Durchführung seiner Me¬
thode weitesten Kreisen zugänglich machte, sind zahlreiche
Versuche gemacht worden, diese kostspielige und umständliche
Behandlung zu verbilligen, zu vereinfachen und zu verbessern.
Diese Versuche sind in 2 Richtungen unternommen worden:
einmal in dem Finsen sehen Sinne, „ein Licht zu schaffen,
welches so reich wie möglich an chemischen Strahlen und so
arm wie möglich an Wärmestrahlen ist“ Q, sodann in der Ab¬
sicht, die Wirkung der tiefgehenden Strahlen — der grünen,
gelben, roten — zu verstärken analog den in der Photographie
gekannten Verfahren der Sensibilisation. Der letztere Weg ist
heute allgemein verlassen, wenigstens soweit er mit dem
Finsenverfahren zur Erzielung einer grösseren Tiefenwirkung
kombiniert wurde; von den vielen Apparaten, die erdacht wor¬
den sind, um die Finsenapparate zu ersetzen, hat sich zur
Behandlung tieferer Dermatosen wohl nur die von Prof. Lor-
t e t und Dr. Qenoud konstruierte Lampe einer Anerkennung
weiterer Kreise erfreut. Schon durch Berechnung lässt sich
jedoch feststellen, dass das Licht derselben schwächer als bei
den Finsenapparaten zur Verwendung kommt. Nach des Autors
praktischen Erfahrungen leistet jene Lampe in der Behandlung
des Lupus weniger.
Das Haupterfordernis für die erfolgreiche Bestrahlung
tieferer Prozesse in der Haut, die genügende Tiefenwirkung,
scheint also, soweit „chemische Strahlen“ in Frage kommen,
nur durch Benützung des grossen Finsenapparates bezw. des
Finsen-Reyn-Apparates gewährleistet zu sein, welcher nach
F i n s e n s eigenem Urteil „ebensoviel oder fast ebensoviel“ * 2)
wie der grosse Apparat leistet.
Um oberflächliche Wirkungen sind wir freilich in der Be¬
strahlungstherapie nicht verlegen, hier stehen eine Reihe von
leistungsfähigen Apparaten zur Verfügung.
Um so grösseres Aufsehen musste daher die Publikation
Kromayers3) erregen, in der Quecksilberwasserlampe sei
eine neue Lichtquelle gefunden, die dem Finsenlicht in der Wir¬
kung überlegen sei. Hier möge nur kurz darauf hingewiesen
sein, dass diese neue Lampe das 1892 von Leo Arons ent¬
deckte Quecksilberlicht aussendet und nach den Angaben von
Küch aus Quarz hergestellt wird; Kromayer hat den
Apparat für therapeutische Zwecke ausgebaut und mit Wasser¬
kühlung versehen.
Eine Lichtquelle, die solch ungeheure Mengen photoche¬
mischer Energie aussendet, musste selbstverständlich thera¬
peutische Bedeutung gewinnen, wenn sie in so zweckent¬
sprechender Ausgestaltung wie in der „medizinischen Quarz¬
lampe“ vorlag, einer Konstruktion, die eventuell auch in ein¬
fachster Weise Finsens Prinzipien der Wasserkühlung und
Kompression bei der Behandlung durchzuführen gestattet.
War schon von vornherein ersichtlich, dass dieser Lampe
das Behandlungsfeld weiter gesteckt war als ihrer Schwester,
der Uviollampe, die das Quecksilberlicht in ungleich weniger
zweckentsprechender Weise verwendet, so ist doch heute noch
die Frage offen, ob dieser neue Apparat berufen sein wird, die
altbewährte Finsenbehandlung bei tieferen Dermatosen (Lupus!)
zu verdrängen, mit anderen Worten, ob die biologische Tiefen¬
wirkung der Quecksilberwasserlampe die des Finsenlichtes
nicht nur erreicht, sondern übertrifft.
Naturgemäss können praktische Erfahrungen im Sinne von
Dauerheilungen in Anbetracht der kurzen Zeit, seit welcher die
T s. Niels R. Finsen: Ueber die Anwendung konzentrierter
chemischer Lichtstrahlen in der Medizin. Mitteil, aus Finsens
Medizinske Lvsinstitut li. 3.
2) Niels R. Finsen und Axel Reyn: Ein neuer Lichtsammel¬
apparat zur Einzelbehandlung. Mitteilungen. Heft 4. S. 77.
3) Quecksilberwasserlampen zur Behandlung von Haut und
Schleimhaut. Deutsche med. Wochenschr. 1906, No. 10.
neue Lampe angewandt wird, nicht dem Material von Finsen
gegenübergestellt werden, wir sind daher auf experimentelle
Untersuchungen angewiesen.
Solche liegen bereits in der oben erwähnten Publikation
Kromayers vor. K r o m ayer prüfte die Einwirkung der
medizinischen Quarzlampe und des Finsen-Reyn-Apparates
in der Weise, dass er das Licht durch Haut oder mehrfach
zusammengeft^tetes Papier hindurchschickte und an dem Grade
der Schwärzurig von untergelegtem Chlor- oder Bromsilber¬
papier die Lichtwirkung abschätzte.
Derartige Untersuchungen sind unzulässig 4), denn wenn
auch im allgemeinen betrachtet diejenige Strahlengruppe,
welche auf die photographische Platte wirkt, dieselbe ist,
welche die spezifische biologische Lichtentzündung hervorruft,
so darf doch das Mass der chemischen Reaktion auch nicht
annähernd analog dem der Gewebereaktion gesetzt werden.
Wie weit solche Reaktionen von einander abweichen, wird am
besten klar, wenn man die photographische Schicht durch eine
zweite: Gewebeschicht, ersetzt.
Die folgenden Untersuchungen sind daher in der Weise an¬
geordnet, dass das Licht der medizinischen Quarzlampe bezw.
eines Finsen-Reyn-Apparates nach der Passage durch ein ra¬
siertes, entfettetes Kaninchenohr eines lebenden Tieres die Haut
des menschlichen Unterarmes trifft. Die Versuche sind mit
starker Kompression ausgeführt , indem die Scheibe der Quarz¬
lampe bezw. die Drucklinse des Finsenapparates der Innen¬
seite des Kaninchenohres angepresst, dieses wiederum der Haut
des menschlichen Armes fest angedrückt wird, so dass dem¬
nach das Ohr zwischen Druckscheibe und Haut fest einge¬
klemmt ist.
Als Vergleichsobjekte für beide Lichtarten wurden stets
korrespondierende Stellen derselben Versuchsperson ge¬
wählt, da die individuell verschiedene Empfindlichkeit sonst
einen Versuchsfehler abgeben könnte.
Das die Kühlung des Druckapparates vermittelnde Wasser
lief stets kalt ab.
Bei Beurteilung des Effektes ist die anfängliche, sofort nach
dem Nachlassen des Druckes zu beobachtende Hyperämie und
Schwellung, welche binnen kurzem vorübergeht, als nicht ins
Gewicht fallend, nicht verzeichnet, dagegen ist natürlich auf
die erst allmählich einsetzende photochemische Lichtentzündung
der grösste Wert gelegt.
Die erste Versuchsreihe bietet folgende Verhältnisse dar:
Lichtquelle
Physikalische Haupt¬
faktoren derselben
Dauer der
Belichtung
Makroskopisch sichtbarer Effekt
auf den menschlichen Unter¬
arm nach Passage des Lichtes
durch ein Kaninchenohr
Medizinische
Quarzlampe
Blau, violett, ultra¬
violett, (namentlich
auch kürzerer Wellen¬
länge)
5 Min.
15 Min.
23 Min.
Nicht vorhanden.
Dto.
Nur sehr geringe punktförmige
Rötungen, nach 48 Stunden
verschwunden.
Finsen-Reyn-
Apparat
Alle Bestandteile des
sichtbaren Spectrums,
ultraviolett mehr län¬
gerer Wellenlänge
5 Min.
15 Min.
23 Min.
Nicht vorhanden.
Sehr zartes Erythem, tagelang
sichtbar.
Deutliches zartes Erythem,
loichto Schwellung; orsteres
tagelang anhaltend.
Aus diesen Ergebnissen folgt zweifellos,
dass die biologische spezifische Wirkung des
Lichtes des Finsen-Reyn-Apparates, nach¬
dem derselbeein Kaninchenohrpassiert hatte,
cinestärkerewaralsdiedesLichtesderQuarz-
lampe unter gleichen Versuchsbedingungen.
Letzteres löste übrigens am bestrahlten Ohr eine erheblich
stärkere Entzündung aus als das Finsenlicht.
Der Quarzlampe wäre also nach dieser Versuchsreihe eine
bedeutend grössere Oberflächenwirkung, eine geringere Tiefen¬
wirkung eigen als der Finsen-Reyn-Lampe. Diese Resultate
4) s. Bemerkungen zu der Publikation des Herrn Prof. Kro-
rnayer: Quecksilberwasserlampen zur Behandlung von Haut und
Schleimhaut. Von Dr. P. Wich mann. Deutsche med. Wochenschr.
1906. No. 17.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1383
stehen im Gegensatz zu den Untersuchungen Kromayers,
der wie oben hervorgehoben mit photographischen Schichten ar¬
beitete und zu dem Schlüsse gelangt, „eine drei- bis fünfmal
überlegene Tiefenwirkung des Quecksilberlichtes“ gegenüber
dem Licht der Finsen-Reyn-Lampe anzunehmen.
Bemerkt sei noch, dass ein unter starker Kompression und
Wasserkühlung mit der Quarzlampe behandelter erbsengrosser
flacher, nicht vorbehandelter Lupusherd nach 5 Sitzungen ä 15
Minuten anscheinend völlig verschwand, 2 Monate später rezi-
divierte er. Natürlich kann diese Tatsache ohne weiteres nicht
im Vergleich mit der Wirkung des Finsenlichtes als beweis¬
kräftig angesehen werden.
Es gelang mir nun in einem Falle von chronischem Ekzem
der Hand, welches bereits jahrelang bestand und mit chemi¬
schen Mitteln aller Art erfolglos behandelt worden war, da¬
durch eine Abheilung zu erzielen, dass ich das Licht der Quarz¬
lampe durch eine dünnste Membran passieren liess, um den
übergrossen Reiz des kurzwelligsten Ultraviolett auszuschalten.
Ich sagte mir, dass durch die starke Lichtentzündung, die das
kurzwellige Ultraviolett an der Oberfläche hervorruft, vielleicht
die Passage der tiefergehenden Strahlen gehindert, und so die
tiefinfiltrierten Partien des Ekzems ohne Beeinflussung blieben.
Tatsächlich rezidivierte das Ekzem nach Bestrahlung mittels
der Quarzlampe ohne Filter in bereits 10 Tagen, während nach
Benutzung des Filters eine reizlose Abschälung und Abheilung
erfolgte, welch letztere nun schon 3 Monate anhält.
Hierdurch angeregt erschien es mir aussichtsvoll, die oben
dargelegten experimentellen Untersuchungen über die Tiefen¬
wirkung in Kombination mit einem Filter zu wiederholen. Die
Anordnung dieses Versuches wurde ungemein erleichtert durch
den inzwischen von Kromayer angegebenen Mischapparat,
welcher der Spülflüssigkeit, die durch die Quarzlampe fliesst,
eine Methylenblaulösung in gewünschter Konzentration gleich-
mässig beimengt. Durch Verwendung einer Methylenblaulösung
in einer Verdünnung von 1 : 10 000 werden die kurzwelligen
ultravioletten Strahlen fast völlig absorbiert, die blauen, vio¬
letten und langwelligen ultravioletten Strahlen werden dagegen
wenig beeinflusst.
Bei Verwendung eines solchen „Filters“ ergab sich nun bei
sonst gleicher Versuchsanordnung folgendes: _
Lichtquelle
Physikalische Haupt¬
faktoren derselben
Dauer der
Belichtung
Makroskopisch sichtbarer Effekt
auf den menschlichen Unter¬
arm nach Passage des Lichtes
durch ein Kaninchenohr.
Medizinische
Quarzlampe
Die oben genannten
mit Ausnahme des
kurzwelligen Ultra¬
violett
35 Min.
Im Verlaufe weniger Stunden
setzt eine massige, typische,
spezifische Lichtentzündung
ein, die tagelang anhält.
Finsen-Reyn-
Apparat
Die oben genannten
35 Min.
Die einsetzende spezifische Licht¬
entzündung ist im Vergleich
zur obigen sehr gering.
In der Mitte der belichteten
Zone entwickelt sich eine
kleinerbsengrosse Brandblase,
nachdem die Haut daselbst
von Anfang an lebhaft ge¬
rötet war ; es wurde an dieser
Stelle über lebhaftes Hitze¬
gefühl während der letzten
10 Min. der Belichtung ge¬
klagt.
Nach diesen Versuchen vermag das Licht
der Quarzlampe, wenn ein Teil seines Ultra-
violett ausgeschaltet wird, inderseiben I i e f e
eine stärkere photochemische Lichtentzün¬
dung herbeizuführen als das Finsenlicht.
Andererseits zeigt sich als interessante Tatsache, dass das
Finsenlicht in der Tiefe, wo die die Wirkung der Wärmestrah¬
lung kompensierende Wasserkühlung nicht mehr von Einfluss
ist, sicherlich vermöge seiner Wärmestrahlung (rot! gelb!) eine
hohe Wirkung auf gewisse Gewebe ausiiben kann. Dass diese
oben verzeichnete Gewebereaktion wirklich einer Verbrennung
im gewöhnlichen Sinne, also einer Wärmewirkung zuzurechnen
ist, ergibt sich au§ der Beobachtung, dass diese Entzündung
unmittelbar nach Aufhören der Belichtung bereits einsetzte,
ferner aus der Angabe der belichteten Person, welche deutlich
Hitzegefühl an der betreffenden Stelle empfand. Um jeden
Zweifel auszuschliessen, wiederholte Autor den Versuch am
eigenen Arm. Die Bestrahlung erfolgte selbstverständlich in
peinlichster Befolgung F i n s e n scher Grundsätze unter starker
Kompression und starker Wasserkühlung, das Kühlwasser lief
kalt ab. Diese Ergebnisse bestätigen die Resultate von
S c h o 1 1 z 5), es erscheint mir jedoch nicht ohne weiteres er¬
laubt, dieselben als massgebend bei der Finsenbehandlung an¬
zusehen, denn es ist noch nicht erwiesen, dass einer Brenn¬
wirkung am Epithel der Oberhaut auch nur einigermassen eine
analoge Beeinflussung in der Tiefe der Haut entspricht, wir
haben es in beiden Fällen mit ganz verschiedenen Absorptions¬
verhältnissen zu tun.
Was nun die photochemische Wirkung der Quarzlampe
und des Finsenlichtes anbetrifft, so hat sich nach dem Obigen
ergeben, dass nach Passage des Lichts durch ein Kaninchen¬
ohr die erstere eine stärkere ist als die letztere, soweit das
Epithel der Oberhaut in Betracht kommt. Nach dem was über
die Wirkung der chemischen Strahlen in tieferen Schichten der
Haut bereits bekannt ist, werden wir in der Annahme nicht
fehl gehen, dass ceteris paribus bei der dargelegten Versuchs¬
anordnung auch in tieferen Hautschichten der Quarzlampe die
stärkere photochemische Wirkung zukommt, falls wir das er¬
wähnte Filter benutzen.
Wenn ohne Benutzung des Filters die Ergebnisse für die
Quarzlampe ungünstig ausfielen, so ist der Grund hierfür wahr¬
scheinlich darin zu suchen, dass eine zu starke Beeinflussung
der oberflächlichen Hautschichten durch kurzwelliges Ultra¬
violett den Durchgang der für die Tiefe massgebenden Strahlen
(blau, violett!) hindert. Da nach Finsens Untersuchungen
auch zur Behandlung tieferer Dermatosen (Lupus!) die Ultra¬
violettwirkung als Oberflächenreiz nicht entbehrt werden kann,
so scheint mit Rücksicht auf die tiefwirkenden Strahlen doch
nur ein gewisses Optimum von Ultraviolett zulässig. Ein sol¬
ches scheint mir durch Benutzung von Methylenblaulösung in
einer Konzentration 1:10 000 bei Gebrauch der Quarzlampe
unter Berücksichtigung F i n s e n scher Grundsätze (Kom¬
pression, Kühlung) gegeben zu sein.
Wenn die F i n s e n sehe Auffassung, nach der der Erfolg
des Finsenlichtes in einer photochemischen Beeinflussung des
Gewebes zu suchen ist, zu Recht besteht, so werden diese ex¬
perimentellen Untersuchungen erwarten lassen, dass in praxi
auch bei tiefgelegenen Affektionen der Haut das Licht der
Quarzlampe dasjenige des F i n s e n sehen Apparates bei wei¬
tem an Wirkung übertrifft.
Da die Quarzlampe die Behandlung grösserer Flächen in
einer Sitzung gestattet, ihre Applikation und Bedienung eine un-
gemein einfache ist, dieselbe endlich einen sehr geringen Strom¬
verbrauch beansprucht, so würde sie im Sinne obiger Voraus¬
setzungen dem Finsenapparat in jeder Beziehung vorzuziehen
sein.
Ueber Bier sehe Stauung und Seekrankheit.
Von Medizinalrat Dr. Schlaeger, Landesarzt in Olden¬
burg i. Gr.
Zwei Veröffentlichungen über dasselbe Thema veranlassen
mich, eigene Beobachtungen aus dem Jahre 1906 sowohl über
die Bi er sehe Stauung, als auch über die Seekrankheit mit¬
zuteilen, weil sie vielleicht geeignet sind, etwas Zusammen¬
hang in die auf den ersten Augenblick etwas merkwürdig er¬
scheinende Kombination von Stauung und Seekrankheit zu
bringen. Vielleicht veranlassen die Zeilen auch Kollegen,
welche Gelegenheit haben, die beiden von mir gemachten Er¬
fahrungen nachzuprüfen, dies zu tun.
Meine ersten Beobachtungen über die Anwendung und Wirkung
der Kopfstauung machte ich an einem Fall von Gesichtsakne. Fs
handelte sich um eine junge Dame, welche seit einigen Jahren kleine
Aknepusteln im Gesicht bekam, die ich nach den üblichen Methoden
behandelte. Ein dreimonatlicher Aufenthalt der Patientin in Florenz
hatte dieses Leiden durch Vernachlässigung so sehr verschlimmert,
B) Ueber die Bedeutung der Wärmestrahlen bei der Behandlung
mit konzentriertem Licht naclAFi ns,e n. Berliner klin. Wochenschr.
1904, No. 18.
1384
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
dass dieselbe in einem geradezu unbeschreiblichem Zustande in
Deutschland wieder ankam. Es waren bis tief ins Unterhautzell¬
gewebe derbe Infiltrate entstanden, welche zum Teil von der Grösse
eines Zweimarkstückes waren. Am Kinn war ein solches Infiltrat
von der Dicke einer halben Haselnuss. Da sämtliche Stellen stark
rot gefärbt waren, war das Aussehen der jungen Dame recht be¬
jammernswert.
Eine chirurgische Behandlung hielt ich für ausgeschlossen, weil
ich entstellende Narben dabei nicht hätte vermeiden können.
Ich schrieb deshalb an Herrn Geheimrat Bier und fragte an,
ob er in ähnlichen Fällen Erfolg mit Saug- und Staubehandlung ge¬
sehen hätte. Da nur ein Fall mit etwas unsicherem Erfolg vor¬
lag, schickte ich die Dame zu einer mehrwöchentlichen Behandlung
nach Bonn und habe dann nach Rücksprache mit Herrn Geheimrat
Bier die Weiterbehandlung übernommen. Die Behandlung mit den
bekannten Saugglocken wurde bald aufgegeben, sodass die weiteren
Erfolge der Kopfstauung allein zuzuschreiben sind. Die tiefen Infil¬
trate waren nach ca. 3 Monaten fast verschwunden. Kleine Akne¬
pusteln kamen schnell zur Einschmelzung und Eintrocknung, so dass
der Allgemeinzustand jetzt erheblich besser ist, als seit Jahren. Da
die Dame sich inzwischen verheiratet hat und verzogen ist, habe
ich letzthin nur brieflich gehört, dass sie mit dem Verlauf recht zu¬
frieden ist.
Da die Dame während der Dauer von Monaten oft recht
lange, bis zu 10 Stunden, die Kopfstauung angewandt hat, war
mir Gelegenheit gegeben, die Wirkung derselben häufig direkt
zu beobachten. Ich will hier jedoch nicht über die Einwirkung
auf das kranke Gewebe berichten, sondern über die Einwirkung
auf die Gefässe selbst. Bekanntlich verschwindet die nach Ein¬
leitung der Stauung je nach dem Grade der Abschnürung
schneller oder langsamer sichtbare Hyperämie nach dem Ab¬
nehmen der Umschnürung recht bald wieder. Die Farbe der
Gesichtshaut ist schon nach einigen Minuten wieder die nor¬
male, während die Blutüberfüllung in den erkrankten Teilen
etwas länger anhält. Anders ist jedoch die Wirkung der Kopf¬
stauung auf die kleinsten Blutgefässe, welche wenig kon¬
traktiles Gewebe in ihrem Verlauf haben. Bei andauernder
Stauung bis 8 oder 10 Stunden bildeten sich die Gefässe der
Augenbindehaut überhaupt nicht mehr zurück, so dass nicht
nur sichtbare Rötung der Schleimhaut, sondern auch funktionell
andauernd Schleimhautabsonderung und Tränenfluss den
ganzen Tag über bestand. Nachdem die Dauer der Stauung auf
4 bis 6 Stunden reduziert war, verschwand die Injektion der
oberflächlichen Skleralgefässe vielleicht nach Verlauf von
5 -6 Stunden, _ während die Erweiterung der tieferen Skleral¬
gefässe als pfirsichroter Schimmer überhaupt nicht mehr ver¬
schwand. — Man darf hieraus doch wohl schliessen, dass die
Wirkung der Stauung um so länger anhält, je mehr sich die
Grösse der Gefässe derjenigen der Kapillaren nähert.
Hierzu möchte ich noch eine weitere Bemerkung machen,
welche mir die sehr intelligente Patientin über eigentümliche
Einwirkung längerer Stauung auf ihr Seelenleben machte. Sie
äusserte sich derart, dass ihr zuweilen eigentümlich zumute
gewesen sei; sie habe ein Gefühl gehabt, als ob sie Augenblicke
ein Doppelleben führe und sie könne diesen Zustand am ehesten
mit Stunden aus ihrer Kindheit vergleichen, in denen sie an
Kinderkrankheiten leidend fiebernd und phantasierend im Bett
gelegen habe. — Diese Bemerkung ist wichtig, da sie einmal
an die Grenzen der Stauungsdauer erinnert, dann beweist sie
aber wohl, dass lange Stauung auf die Funktion des Gehirns
nicht ohne Einfluss ist. Ob sie wichtig genug ist, um bei Stupor
und ähnlichen Zuständen therapeutisch von der Kopfstauung
Gebrauch zu machen, mögen die Fachleute entscheiden.
Meine erste Beobachtungsreihe möchte ich hier ab-
schliessen und zunächst eine kurze Beobachtung am eigenen
Leibe mitteilen:
Im Oktober 1906 fuhr ich mit meiner Frau von Antwerpen nach
Gibraltar; ich war noch nie seekrank gewesen und blieb auch jetzt
davon befreit, aber ich habe in der Bay von Biscaya doch die ersten
Anfänge dieses ungemütlichen Zustandes erlebt, als von den anderen
Reisegefährten niemand mehr sichtbar wurde. Es war kein erheb¬
licher Sturm, welcher uns das antat, sondern lediglich die gefürchtete
nordwestliche Dünung. Es waren vor allem Unlustgefühle, welche
mich beherrschten, Gleichgültigkeit, verminderter Appetit und viel¬
leicht ganz geringe Uebelkeit. Ich lag im Kartenzimmer auf der
Bank und ärgerte mich, wenn der Kapitän sich mit mir unter¬
halten wollte. Dieser Zustand dauerte einige Stunden an. Beim
Mittagessen leistete ich weniger als sonst, doch zeigte mir abends
eine reichlich genossene Mahlzeit (ungeschälte Kartoffel mit Häring),
dass cs sich unmöglich um eine Störung von Seiten des Magens
handeln konnte. Die Bewegungen des Schiffes waren dabei die¬
selben wie vormittags: Die Kartoffeln musste ich bald von links, bald
von rechts wieder heranholen. Soviel war mir jedenfalls durch diesen
leichten Anfall sicher geworden, dass es sich um Vorgänge handeln
muss, welche zerebralen Ursprungs sind. Ich dachte in den Vor¬
mittagstunden an meine ersten Rauchstudien, und die Wirkung des
Nikotins auf den Menschen ist ohne Zweifel eine brauchbare Parallele
für die Zustände, wie sie die Seekrankheit mit sich bringt.
Nach diesen Exkursionen möchte ich einige Bemerkungen
über rein mechanische Vorgänge machen:
Wenn man ein geschlossenes System kommunizierender
Röhren grösseren und geringeren Kalibers in Schwingungen
versetzt, so werden diese Schwingungen keine erheblichen
Wirkungen in dem System hervorrufen, wenn das System voll¬
ständig mit Flüssigkeiten gefüllt ist und wenn das Material zu
den Röhren ohne Elastizität ist.
Handelt es sich jedoch um ein Röhrensystem aus elasti¬
schem Material unter denselben Umständen, so werden
Schwankungen in dem System eintreten. Es wird die Füllung
der einzelnen Röhren da am meisten wechseln, wo die gering¬
sten Widerstände vorhanden sind, und zwar kann es sich dort
sowohl um Ueberfüllung mit Flüssigkeit handeln, als auch um
Elüssigkeitsmangel.
Ein solches System kommunizierender Röhren mit elasti¬
schen Wänden von verschiedenster Dicke und Widerstands¬
kraft ist nun unser Gefässystem. Schwingungen dieses Systems
werden Schwankungen im Füllungszustande der einzelnen Blut¬
räume zur Folge haben; es wird sich sowohl um Blutüber¬
füllung und Blutleere in den Kapillaren handeln können. Modi¬
fiziert ist unser Gefässystem nur dadurch, dass in dasselbe eine
Pumpe eingeschaltet ist, deren Wirkung ebenfalls von der
Elastizität der Gefässwände abhängig ist. Es kann also Vor¬
kommen bei erheblichen Schwankungen des Schiffes, dass die
Schwankungen in der Füllung der Gehirnkapillaren, der Wir¬
kung der Herztätigkeit entgegenarbeiten, es kann auch sein,
dass sie dieselben verstärken. Jedenfalls spielen sich diese
Schwankungen des Gefässystems in erster Linie in den Gehirn¬
kapillaren ab. Ich glaube auch nicht, dass Blutleere oder Blut¬
überfüllung die Erscheinungen der Seekrankheit auslösen, son¬
dern ich glaube, dass der unregelmässige Wechsel im Füllungs¬
zustande der Kapillaren auf die Zentren einen Reizzustand ab¬
gibt und diese Reizung der Zentren löst die Erscheinungen
der Seekrankheit aus. Ich erinnere an ähnliche Vorgänge beim
Karussellfahren, in der Eisenbahn und im Lift.
Wenn wir dies annehmen, können wir auch die Wirkung
der B i e r sehen Kopfstauung auf die Seekrankheit nicht mehr
zu den Unmöglichkeiten halten. Die in meinen obigen Aus¬
führungen erwähnte dauernde Erweiterung der Kapillaren durch
Stauung schützt das empfindliche Organ vor den Schädigungen
des Reizes und die Endwirkung bleibt aus.
Die Theorie in die Praxis umsetzen hatte ich Mitte No¬
vember reichlich Gelegenheit. Nach einer glatten Fahrt von
Lissabon bis Dover — sogar die Bay war milde gesinnt — ,
setzte im Kanal ein erheblicher Sturm ein. Das Tagebuch er¬
wähnte Windstärken bis 10. Dazu kam, dass in der Nähe von
Dover die Ruderkette unseres schwerbeladenen Schiffes riss
und dass wir mehrere Stunden willenlos dem Sturm preis-
gegeben waren. Die folgende Nacht mussten wir wegen hohen
Seegangs mit halber Kraft fahren und auch der weitere Weg
bis Hamburg war nicht ganz glatt. Es waren also die Vorbe¬
dingungen für die Seekrankheit reichlich vorhanden. Meine
Frau hat auf der Hinreise nach Gibraltar und auch auf anderen
Reisen erheblich unter diesem Uebel zu leiden gehabt, diese
Sturmtage hat sie jedoch ohne opfern zu müssen überstanden.
Die Nahrungsaufnahme war allerdings sehr gering, aber sie hat
auch nur morgens je nach ihrem Befinden einige Zeit die
Halsstauung angewandt.
Wenn ich durch diese Zeilen nachgewiesen habe, dass die
Anwendung der Bier sehen Stauung bei der Behandlung der
Seekrankheit nicht zu den Absurditäten gehört, wie mir ein
Kollege sagte, der zurzeit im Mittelmeer praktische Erfahrungen
sammeln kann, dann ist ihr Zweck erfüllt. Immerhin soll die
Anwendung zunächst von weiterer Nachprüfung abhängen und
dann auch ärztlicher Kontrolle wegen der Leistungsfähigkeit
des Gefässsystems Vorbehalten bleiben.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1385
Ueber den Einfluss des Cholins und der Röntgen¬
strahlen auf den Ablauf der Gravidität.
Bemerkungen zu der unter dem gleichen Titel veröffentlichten
Erwiderung der Herren Neumann und Fellner
(diese Wochenschrift No.’ 23).
Von E. v. Hippel und H. Pagenstecher.
Die auffallend temperamentvolle „Erwiderung“ der Herren
Ncuman n und Fellner erfordert eine kurze Richtigstellung, da
uns in derselben Behauptungen zugeschrieben werden, die wir gar
nicht ausgesprochen haben. Unsere Arbeit enthielt überhaupt keinen
Angriff gegen N. und F., der eine „Erwiderung“ verlangt hätte.
Die Autoren vertreten die Ansicht, dass durch die Bestrahlung
der Ovarien diese zur Atrophie gebracht werden und dass der Rück¬
gang der Schwangerschaft durch das Versiegen der inneren Sekretion
der Ovarien erfolge. Zur Stütze führen sie die Art ihrer Versuchs¬
anordnung und ihre mikroskopischen Befunde an.
Diese Erklärung kann aber wohl nicht für Fälle zutreffen, wo
die Ovarien vor der Strahlenwirkung geschützt waren und bei der
mikroskopischen Untersuchung normal gefunden wurden. Da dies in
unserer zweiten Versuchsreihe der Fall war, so sagten wir, dass
diese Tatsache nicht „zu gunsten der theoretischen Auffassung
Fellners spräche“. Nirgends haben wir dagegen behauptet, dass
sie die Möglichkeit der Fellner sehen Erklärung ausschliesse, so¬
fern der objektive Befund ein anderer ist. Es ist sehr wohl möglich,
dass die Beeinflussung der Schwangerschaft durch die Bestrahlung
eine „komplexe“ Grösse ist, nehmen doch N. und F. selbst auch
eine „Allgemeinwirkung“ an.
Mit dem Satz: „es vermögen also diese Versuche die Deutung,
welche wir unserem gegeben haben, absolut nicht zu widerlegen1*
stossen die Autoren offene Türen ein, da wir nirgends eine derartige
Behauptung aufgestellt haben.
Unsere Versuche, in welchen der Bauch durch Bleiplatten ge¬
schützt war, suchen die Autoren mit ihrer Theorie durch die An¬
nahme in Einklang zu bringen, dass die dabei erfolgende Bestrahlung
der Schilddrüse indirekt eine Atrophie der Ovarien und vielleicht
auch des Uterus zur Folge hatte.
Hierzu ist zu bemerken, dass wir über die Bedeutung der
Schilddrüse keine Untersuchung angestellt und auch keine Ansicht
geäussert haben, eine Atrophie der Ovarien war aber in unseren
histologisch untersuchten Fällen ebensowenig vorhanden, wie eine
solche des Uterus. Deshalb halten wir die Behauptung, „diese Ver¬
suche brachten vielmehr nur eine Bestätigung unserer Anschauung“
auch jetzt nicht für zutreffend.
Bezüglich der Degenerationserscheinungen an den Ovarien
schreiben die Autoren: „H. und P. leugnen1) aber eine solche
auf Grund einer von berufener Seite erfolgten Untersuchung. Wenn
man einigen Autoren derart widerspricht1), wie es H. und P.
Halberstädter, Specht, einer Reihe von französischen
Autoren und uns gegenüber tun 2), so wäre es wohl angezeigt ge¬
wesen, nicht allein die Namen dieser berufenen Autoren zu nennen,
damit sie für ihr negatives Urteil einstehen, sondern auch die Beweise
zu erbringen, und wir erwarten, dass dies in der aus¬
führlichen Arbeit nach geholt werde3). Unsere aus¬
führliche Arbeit erscheint demnächst, ihre Veröffentlichung konnte
aus äusseren Gründen bisher nicht erfolgen, aber auch ohne diese
darf man wohl über die Halber Städter sehen, Specht sehen
und unsere vorläufigen Mitteilungen nicht so ohne weiteres m i t
einem anonymen Urteil hinweggehen 3)“.
Demgegenüber erklären wir : Wir haben nirgends
etwas „geleugnet“, nirgends den tatsächlichen
Angaben „widersproche n“ und sind ebensowenig
über die Angaben der genannten Autoren „mit
einem anonymen Urteil hinweggegange n“. Wir
haben vielmehr sowohl Halberstädter als Specht
und Fellner zitiert und ihre Angaben mit keiner
Silbe angezweifelt.
Wenn wir selber keine analogen Ergebnisse hatten, so folgt
daraus zunächst doch wohl nur, dass bei diesen Versuchen keine
absolut konstanten Resultate erhalten werden. Wenn ein Autor mit
Röntgen- oder Radiumstrahlen ein Kankroid heilt, der andere aber
kein solches Ergebnis erzielt, so hat er damit die Angaben des
ersten nicht „geleugnet“. Genau so liegt es hier.
Unsere Präparate der Ovarien sind von Prof. Schottländer
für normal erklärt worden, wie das übrigens v. H. in seinem Vor¬
trag in Stuttgart angegeben hat 4).
Eine weitere ausführliche Arbeit ist von uns nicht beabsichtigt
und wird auch trotz der „Erwartung“ von N. und F. nicht erfolgen.
Wir überlassen es den Gynäkologen oder anderen, die sich vielleicht
*) Von uns gesperrt.
2) Die Interpunktion ist hier von uns sinngemäss geändert; nach
der in dem Aufsatz von N. und F. angewandten müsste man an¬
nehmen, dass die Autoren Halberstädter und Specht zu
ihren Gegnern zählen, was sicher nicht gemeint war.
3) Von uns gesperrt.
4) Verhandl. d. Deutschen Patholog. Gesellschaft, Stuttgart 1906.
No. 28.
für unsere Versuche interessieren, dieselben zu prüfen und event.
weiter zu verwerten, sofern sie es der Mühe wert halten, und haben
uns selbst wieder ophthalmologischen Arbeiten zugewandt.
Völlig unverständlich ist uns der Schlussatz der Autoren: „Auf
die grossen Zellen an der Plazentarstelle, welche die beiden Autoren
gleich uns fanden und mit dem Rückgang der Trächtigkeit in Be¬
ziehung brachten, kommen wir in der ausführlichen Arbeit zurück.
Letzterer Anschauung müssen wir aufs energischste
widersprechen5), da sich diese Zellen auch bei gut erhaltener,
selbstverständlich nicht bestrahlter Gravidität finden, ja selbst zu
Beginn der Trächtigkeit, wie Disse nachgewiesen hat.“
Wir haben den Befund der grossen Zellen zu keinem anderen
Schluss verwertet, als zu dem, dass in den Fällen, wo sie vorkamen,
wirklich beginnende Gravidität vorhanden gewesen und dass die
Konzeption nicht einfach zufällig ausgeblieben war. Warum der
Nachweis dieser Zellen auch bei erhaltener und beginnender Gra¬
vidität ein Grund sein soll, uns „energischst zu widersprechen“
entzieht sich unserem Urteil.
Die Erörterungen über die Priorität könnten wieder den An¬
schein erwecken, als ob wir einen Angriff gegen irgend jemand in
dieser Hinsicht gerichtet hätten. Wäre uns an Aufstellung von
Prioritätsansprüchen etwas gelegen, so hätte der eine von uns (v. H.)
sich eben nicht damit begnügt, die erste kurze Mitteilung „an einer
für die Mehrzahl der Aerzte völlig unzugänglichen Stelle“ zu machen.
Für unser Empfinden sind Prioritätsstreitigkeiten zwischen Autoren,
die ungefähr zu gleicher Zeit völlig unabhängig voneinander ähn¬
liche Untersuchungen angestellt haben, eine Geschmacklosigkeit.
Wenn Fellners Name in dem kurzen Autoreferat über einen
Vortrag (v. H.s) nicht erwähnt ist, so hatte das lediglich den Grund,
dass in demselben überhaupt keine Literaturangaben gemacht sind;
es lag uns aber ferne, F. ignorieren zu wollen, wie der Passus „frei¬
lich ohne uns zu erwähnen“ vermuten lassen könnte. In dem betr.
Vortrag war Fellners Mitteilung eingehend besprochen worden.
Was die Art der Bestrahlung anlangt, so betrug der Abstand
der Antikathode von der Bauchdecke der Tiere in Rückenlage 45 bis
48 cm. Es wurde mit der Albers-Schönberg sehen Blende
die Unterbauchgegend in der ersten Versuchsreihe, der Oberkörper
in der späteren in einem Durchmesser von 13 cm bestrahlt. (Angaben
von Herrn Dr. E n g e 1 k e n, der den grösseren Teil der Bestrah¬
lungen vornahm.)
Aus dem physiologischen Institut und aus der psychiatrischen
Klinik der Universität Freiburg i. Br.
Die Beziehungen der Medulla oblongata zur Pupille.
Von Privatdozent Dr. W. T r e nd e 1 e nb u rg und Privat¬
dozent Dr. 0. Bumke.
Die unter dem gleichen Titel in No. 25 dieser Wochenschrift ver¬
öffentlichte Mitteilung von Bach nötigt uns zu der folgenden kurzen
Erwiderung .
Herr Prof. Bach stützt sich bei seinen gegen uns gerichteten
Ausführungen auf einen (mit Maschinenschrift hergestellten) Bericht
über unseren Vortrag, den wir ihm aut seinen Wunsch unmittelbar
nach der Badener Neurologenversammlung hatten zugehen lassen.
Da dieser Eigenbericht unseres Wissens bisher nirgends abgedruckt
worden ist — der offizielle Bericht erscheint frühestens im Herbst d. J.
— so mag es zunächst gestattet sein, ihn hier wörtlich mitzuteilen.
„T r e n d e 1 e n b u r g und Bumke- Freiburg i. Br.
Zur Frage der Bach sehen Pupillenzentren in der Medulla oblongata.
Bach und Meyer waren durch Experimente an Katzen zu
dem Ergebniss gekommen, dass doppelseitige Durchschneidung der
Medulla am spinalen Ende der. Rautengrube sofortige Lichtstarre
beider Pupillen zur Folge hätte; ein einseitiger Schnitt sollte Licht¬
starre der gekreuzten Pupille, Freilegung der Rautengrube, oft Licht¬
starre und Miosis (Tabespupillen!) hervorrufen. Bach erklärte diese
Ergebnisse durch die Annahme von Hemmungszentren am spinalen
Ende der Raute.
Diese bisher nicht einwandfrei nachgeprüften Experimente haben
die Vortragenden wiederholt, und zwar wurde 4 mal genau ent¬
sprechend den Bach sehen Versuchen bei künstlicher Atmung an
der typischen Stelle total durchschnitten, ausserdem aber 4 mal nur
die eine Hälfte der Medulla durchtrennt und das Tier am Leben ge¬
lassen (bis 3 Wochen). Die Vollständigkeit der Schnitte wurde
anatomisch (Marchipräparate) kontrolliert
Der Erfolg war in keinem Falle der von Bach und Meyer
beschriebene; es trat niemals Lichtstarre ein, sondern stets nur
(unmittelbar nach dem Schnitt) Pupillenerweiterung und dement¬
sprechend erfolgte dann sogar ein grösserer Ausschlag des Licht¬
reflexes. Niemals wurde bei Freilegung der Medulla Miosis beob¬
achtet. Bei den am Leben gehaltenen Tieren mit Halbseitendurch-
schneidung bestand eine geringe Pupillendifferenz, deren Erklärung
die Vortr. noch offen lassen. — Die Vortr. können somit die Badi¬
schen Resultate nicht bestätigen und glauben, dass die Hypothesen
dieses Autors aufgegeben werden müssen. (Die ausführliche Ver-
5) Von uns gesperrt.
4
1386
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
öffentlichung wird in den klinischen Monatsblättern für Augenheil¬
kunde erfolgen.)“
Wir glauben nicht, dass diese kurzen Sätze zum Ausgangspunkt
für eine Diskussion über die Beweiskraft unserer Versuche dienen
können. Eine Kritik unserer Experimente und unserer Schluss¬
folgerungen wird erst möglich sein, wenn die ausführliche Veröffent¬
lichung unserer Arbeit, die, wie gesagt, in den klinischen Monats¬
blättern für Augenheilkunde erfolgen wird, vorliegt. Wir könnten
uns mit dieser Feststellung begnügen, wenn nicht die Mitteilung von
Bach einige grundsätzlich wichtige Behauptungen enthielte,
deren Berechtigung von den Ergebnissen unserer Versuche im ein¬
zelnen ganz unabhängig ist und deren Richtigkeit deshalb schon jetzt
geprüft werden kann und unseres Erachtens geprüft werden muss.
Bach schreibt: „Der Grund (sc. für unsere negativen Resultate)
kann unter anderem daran liegen, dass sie bei ihren Versuchen ent¬
weder die für den Lichtreflex wichtige Stelle zerstört oder wenigstens
ausser Funktion gesetzt haben oder darin, dass durch ihre Schnitte
die in Betracht kommende Stelle unbeeinflusst blieb.“ Es läge nahe,
dem gegenüber einfach auf die noch ausstehende Publikation unserer
Versuchsprotokolle (und anatomischen Befunde) hinzuweisen. Nun
schreibt aber Bach auf der nächsten Spalte:
„Kommt man mit der Läsion an das Zentrum heran, so besteht
die Gefahr, es sofort oder nach kurzer Zeit ausser Funktion zu setzen,
bleibt man spinalwärts in nur geringer Entfernung davon, so wird
vielleicht gar keine Beeinflussung der Pupille, höchstens eine
Aenderung der Pupillen weite eintreten. Setzt man die Läsions¬
stelle zerebral davon, so wird es im Experiment kaum je gelingen,
nur die zum Zentrum hin. zieh enden Bahnen elektiv zu zer¬
stören; Verletzung der abgehe m den Bahnen schaltet aber das
Zentrum aus.“
Damit wäre a priori bewiesen, dass die Ergeb¬
nisse von Bach nicht widerlegt werden können. Wir
haben uns bemüht, nicht zerebralwärts und nicht spinalwärts von
der von Bach als wichtig bezeichneten und in einer Abbildung näher
angegebenen Stelle zu durchschneiden (obwohl Bach selbst Proto¬
kolle mitgeteilt hat, nach denen eine Durchschneidung spinal von der
Raute die Pupillenreaktion auch schon beeinflusst); dagegen war
allerdings das Ziel unserer Experimente, an das Zentrum am spinalen
Ende der Rautengrube „heranzukommen“. Ist auch das nicht ge¬
stattet, so ist zuzugeben, dass die Hypothesen von Bach gar nicht
zu widerlegen sind. Dann bleibt aber zu fragen, wie sie überhaupt
auf Grund solcher Versuche haben aufgestellt werden können.
Dieser Frage gegenüber ist zunächst in tatsächlicher Beziehung
aus der neuesten Publikation von Bach die Mitteilung wertvoll,
dass auch bei seinen gemeinsam mit H. Meyer angestellten Ver¬
suchen „Schnitte am spinalen Ende der Rautengrube nicht regel¬
mässig Lichtstarre bewirkten“. Das ist eine absolut neue Tat¬
sache, die in der Veröffentlichung der beiden Autoren nirgends er¬
wähnt ist. Und doch würde ihre Mitteilung für die Beurteilung der
Bach-Meyer sehen Versuchsergebnisse von ausserordentlicher
Bedeutung gewesen sein. Wir werden darauf in unserer ausführlichen
Arbeit zurückzukommen haben und dort des Näheren begründen, wes¬
halb wir die Schlüsse, die Bach aus diesen Durchschneidungsver¬
suchen gezogen hat, für irrtümlich halten. Bach scheint übrigens
heute auf diese Experimente selbst nicht mehr den Wert zu legen,
wie früher; denn er schreibt'
„H. Meyer und Verfasser sind auf Grund ihrer sehr zahl¬
reichen Experimente in der Lage, von dem Ergebnisse ihrer Durch¬
schneidungen am spinalen Ende der Medulla oblongata vollständig
abzusehen, ohne ihre Hypothese aufgeben zu müssen.“
In der Tat, wenn weder Durchschneidungen, die das „Zentrum“
selbst treffen, noch solche, die spinal- oder zerebralwärts davon ge¬
legen sind, gesetzmässig das Pupillenspiel beeinflussen, dann
wird die Existenz eines in der Medulla gelegenen Pupillenzentrums
durch diese Experimente gewiss nicht bewiesen.
Bach sieht nun den springenden Punkt der ganzen Frage und
den Grundpfeiler der Bach-Meyer sehen Hypothese in dem Auf¬
treten von Miosis und Pupillenstarre bis Freilegung der Raute und
in der Beseitigung dieser Störungen durch einen Schnitt zerebral von
der Mitte der Rautengrube. (Eine Bemerkung des Autors — er be¬
ruft sich auf die Beobachtung der Pupillen durch mindestens 3 Per¬
sonen — nötigt uns zu der Feststellung, dass wir weder in unserem
Vortrag, dem beizuwohnen übrigens Herr Prof. Bach leider ver¬
hindert war, noch in dem oben mitgeteilten Referat das Tatsäch¬
liche dieser Pupillenbeobachtungen irgendwie in Zweifel gezogen
haben). Die Bach - Meyer sehe Hypothese fährt dann Bach
fort, „besteht solange zu Recht, bis nachgewiesen ist, dass die von
uns gegebene Erklärung unserer Resultate falsch ist, bis nachge¬
wiesen ist, dass unsere Versuchsergebnisse gar nicht in direkter
Abhängigkeit von gewissen Beeinflussungen der Medulla stehen,
sondern durch irgendwelche Mängel unserer Versuchsanordnung,
durch irgend welche „Nebenverletzungen“ etc. bedingt sind.“
Wir müssen natürlich die Frage offen lassen, ob die dahin
zielende Beweisführung unserer noch nicht veröffentlichten Arbeit
Anerkennung finden wird. Wir möchten aber schon hier feststellen,
dass in den zuletzt zitierten Sätzen die Beweislast unserer Ansicht
nach nicht unerheblich verschoben wird. Wenn bei den Resultaten
von Bach und Meyer Versuchsfehler eine Rolle gespielt haben
No. 28.
sollten, so wäre es nicht unbedingt unsere Aufgabe, sie aufzudecken.
Unsere Aufgabe war, diese Experimente nachzuprüfen. Das ist ge¬
schehen, und, wie erwähnt, mit negativem Ergebnis. Wir können
nicht zugeben, dass dem positiven Resultat die grössere Beweis¬
kraft zukommt. Wenn Bach durch Freilegung der Rautengrube
Pupillenstarre und Miosis erhielt und wir nach ganz dem gleichen
Eingriffe nichts davon sahen, so ist daraus nur das zu folgern: dass
die Freilegung der Medulla an sich Pupillenstarre und Miosis
nicht bewirkt. Dazu kommt, dass Bach selbst, auch in dieser
Beziehung, keineswegs stets die gleichen gesetzmässigen Resultate
erhalten zu haben scheint. Er sagt: „Manchmal war nur die eine
oder andere Störung ausgesprochen. — Weniger deutlich und nicht
so häufig traten die Pupillenstörungen auf, wenn die Freilegung der
Rautengrube vom Halsmarke (sc. statt vom Hinterhaupt) her er¬
folgte.“ Statt wirklicher Pupillenstarre wurde gelegentlich — Zahlen
sind nicht (angegeben — nur starke Herabsetzung der Lichtreaktion
konstatiert.
Ob unsere Experimente beweiskräftig sind, wird erst an der
Hand unserer Versuchsprotokolle und unserer anatomischen Belege
entschieden werden können. Die neueste Publikation von Bach aber
versucht jeder Nachprüfung der B a c h -M ey e r sehen Experimente,
die negativ ausfällt, ivon vornherein die Beweiskraft abzusprechen.
Dazu mussten wir schon jetzt Stellung nehmen.
Freiburg i. B., 21. Juni 1907.
- -
Die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Kolonien
in statistischer Betrachtung.
Von Dr. med. E. R o e s 1 e in Dresden.
Den klimatischen Einflüssen mancher Länder auf die menschliche
Gesundheit wurde bis in die jüngsten Jahre eine viel zu grosse Be¬
deutung beigelegt, weil man früher in ihnen allein die Ursachen oder
die begünstigenden Momente für die Entstehung jener Krankheiten
vermutete, die vornehmlich in ihrer Verbreitung auf die Länder be¬
schränkt sind, deren klimatischer Charakter wegen seiner Eigenart
ganz besonders in den Vordergrund tritt. Die Erfahrung hat aber
besonders in den Tropen gelehrt, dass das Klima eines solchen Landes
an und für sich keine schädigende Wirkung auf den Menschen aus-
iibt, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Mensch, der sich
aus den gemässigten Zonen dorthin begibt, völlig gesund ist. Trifft
diese hauptsächlichste Bedingung zu, so ist nicht einmal eine be¬
sondere Trainierung erforderlich, da der gesunde Körper bei ge¬
eigneter Lebensweise sich bald den andersartigen Temperaturein¬
flüssen anzupassen vermag.
Die einzige Gefahr, die dem Europäer in den Tropen droht, bilden
einzig und allein die Tropenkrankheiten, die fast keinen bisher ganz zu
verschonen pflegten. Seitdem aber auch auf diesem Gebiete die Hy¬
giene eine Reihe prophylaktischer Massnahmen geschaffen hat, ist
auch hierin ein wesentlich günstiger Wandel eingetreten und sta¬
tistisch zu verzeichnen. Dafür liefern gerade unsere Kolonien in der
Tropenzone die deutlichsten Beweise.
Die gesamte Gesundheitsüberwachung liegt dort in den Händen
von beamteten Regierungsärzten, denen nicht allein die Behandlung
der kranken Europäer und Eingeborenen, sondern auch die Durch¬
führung aller hygienischen Massregeln obliegt. Es ist bewunderns¬
wert, was gerade in letzterer Beziehung manche dieser Aerzte schon
zu leisten vermochten und welche gesundheitsförderliche Einrichtungen
sie bereits aus eigener Initiative getroffen haben, wenn man ihre
Berichte1) einem eingehenden Studium unterwirft. Der ärztliche
Beruf offenbart sich hier in seiner neuen Grösse: neben der Heilbe¬
handlung schafft er hygienische Zustände, die der gesamten
Bevölkerung zu dauerndem Nutzen und Segen gereichen und die
Kultur des Landes auf eine höhere Stufe erheben.
Da die Tropenhygiene erst nach dem weiteren Ausbau unserer
Kenntnisse von den Tropenkrankheiten einsetzen konnte, so befindet
sich naturgemäss die hygienische Entwicklung unserer Kolonien noch
in den Anfangsstadien. Ihre Rückwirkung auf die Verminderung der
Erkrankungen und Sterbefälle kann deshalb noch keine überraschen¬
den Erfolge gezeitigt haben. Dennoch dürfte es gegenwärtig einmal
angebracht und von Interesse sein, die zur Zeit bestehenden Ge¬
sundheitsverhältnisse unserer Schutzgebiete an der Hand der vor¬
liegenden Statistik zu betrachten, die mit ihren bedeutungsvollen
Zahlen auch dem Fernstehenden es einigermassen ermöglicht, ein ge¬
treues Bild davon zu entwerfen.
Dazu müssen wir allerdings die unseren Ausführungen zu gründe
liegenden amtlichen Aufzeichnungen der Regierungsärzte einer zweck¬
dienlicheren Umarbeitung unterziehen, um einerseits prozentuale Ver¬
gleiche, andererseits übersichtliche Zusammenstellungen für unsere
Schlussfolgerungen zu erlangen.
In dieser Hinsicht können wir am eingehendsten die Statistik über
Deutsch - Ostafrika wegen seiner verhältnismässig grossen An¬
zahl ansässiger Europäer verwerten. Dort haben im letzten Be¬
richtsjahre (April 1903 bis März 1904) von den 1200 ansässigen
1) Medizinalberichte über die deutschen Schutzgebiete. Heraus¬
gegeben von der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Berlin,
Mittler & Sohn.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1387
Europäern 915 ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Angesichts
dieses hohen Prozentsatzes (= 76,3 Proz.) müssen wir zuerst die
einzelnen Krankheitsarten in ihrem relativen Verhältnis zu einander
und zu der Gesamtzahl der Europäer feststellen, wodurch wir am
vorteilhaftesten über die Häufigkeit einzelner Krankheiten Kenntnik
erhalten, aus welcher wir wiederum unsere Schlüsse über die be¬
stehenden Gesundheitsverhältnisse ziehen können. Für eine mass¬
gebende Beurteilung wäre es allerdings nötig, die betreffenden Durch¬
schnittszahlen mehrerer Jahre zum Vergleiche heranzuziehen, doch
reichen die erschienenen Berichte dazu nicht aus. Wir können uns
aber für unsere Betrachtung mit der Statistik des letzten Berichts¬
jahres begnügen, da wir nur die gegenwärtigen Verhältnisse berück¬
sichtigen wollen und da diese Statistik bereits wesentliche Erfolge
gegenüber den Vorjahren aufzuweisen hat.
Wenn wir nun die aus den absoluten Zahlen der einzelnen Er¬
krankungsarten gewonnenen Prozentziffern nach ihrer Grösse regi¬
strieren, so erhalten wir nachstehende Tabelle:
Von den ärztlich behandelten Erkran¬
kungen der Europäer entfielen auf
Infektionskrankheiten .
Krankheiten der Ernährungsorgane . . .
Hautkrankheiten .
Venerische Krankheiten .
Augen- und Ohrenkrankheiten ......
Krankheiten durch tierische Parasiten . .
Verletzungen .
Krankheiten der Atmungsorgane .
Nervenkrankheiten . • . . . .
Krankheiten der Kreislauforgane .
Krankheiten der Bewegungsorgane . . .
Frauenkrankheiten .
Krankheiten der Harn- u. Geschlechtsorgane
Konstitutionelle Krankheiten .
Sonstige Krankheiten . . • •
Summe
In
Prozenten
Auf je 100
Europäer
berechnet
40,4
14,i
10,6
8.4
4.7
4,o
3.8
3.2
2.2
2,1
1.9
1.4
1,3
1,2
0,7
100 Proz. 76,3 Proz
Die Infektionskrankheiten haben also für den Europäer die grösste
Bedeutung, da sie auch in diesem Berichtsjahr noch zwei Fünftel
aller Erkrankungen ausmachen. Die übrigen Krankheitsarten treten
dagegen weit zurück und erreichen — mit einigen Ausnahmen
nicht die bei uns sich ergebenden Zahlen, die wir allerdings nur
aus den Statistiken der Heeresverwaltungen, der Krankenhäuser oder
Krankenkassen erhalten können und deshalb nur annähernd mit den
Erkrankungen einer Gesamtbevölkerung analogisieren dürfen.
Die auffallende Häufigkeit der Infektionskrankheiten verstehen
wir, wenn wir folgende Tabelle betrachten, in der wir diese Kiank-
heiten selbst nach ihrem prozentualen Verhältnis zergliedert haben:
Von den Infektionskrankheiten ent¬
fielen auf
In
Prozenten
Auf je 100
Europäer
berechnet
Malaria .
80
24,4
Schwarzwasserfieber .
9
2,7
Ruhr .
2,4
0,8
Pest .
Id
0,3
Denguefieber .
0,&
0,2
Sonstige Infektionskrankheiten ....
7
2,5
Summe
100 Proz.
30,9 Proz.
Wir sehen daraus, dass die auch bei uns endemischen, kon-
tagiösen Krankheiten, die wir unter „sonstige“ Infektionskrankheiten
zusammengefasst haben, fast gar nicht an der auffallenden Häufig¬
keit dieser Krankheitsgruppe in dem tropischen Afrika wegen ihres
seltenen Vorkommens Schuld tragen, was wohl allein dem Umstand
zuzuschreiben ist, dass die meisten Europäer sich in den mittleren
Jahren befinden, in denen die Gefahr der Akquirierung jener Krank¬
heiten — mit Ausnahme von Tuberkulose — am geringsten ist; wir
sehen aber, dass dagegen 93 Proz. der ver zeichneten Fälle auf
spezifische T ropenkrankheiten entfallen, die also fast
allein den grossen Prozentsatz der Infektionskrankheiten ausmachen.
Unter den Tropenkrankheiten ist es hauptsächlich die Malaria
und ihre verhängnisvolle Nachkrankheit, das Schwarzwasser¬
fieber, wogegen der Europäer einen unaufhörlichen Kampf zu
führen gezwungen ist. Glücklicherweise stehen uns aber gerade hier
die vorzüglich bewährten Schutzmittel, vor allem die prophylaktische
ChininbehandJlung, die bei längerem Aufenthalt in den I ropen aller¬
dings mit der Benützung der mechanischen Schutzvorrichtungen gegen
Mückenstiche notwendigerweise verbunden werden muss U, zur Vei -
fiigung, so dass bei einer sachgemässen Anwendung dieser Mittel und
einer dementsprechenden Belehrung der Bevölkerung für die Zukunft
weit günstigere Resultate als bisher zu erhoffen sind; hat sich doch
allein seit dem Vorjahre die Gesamtzahl der bei den Europäern be¬
obachteten Malariafälle schon um 142 erniedrigt.
Dass die Schuld der Erkrankung vielfach an der Leichtfertigkeit
oder Unwissenheit der Bevölkerung liegt, können wir aus den Er¬
krankungen an Schwarzwasserfieber in Daressalam ersehen. Es han¬
delte sich in allen Fällen nur um solche Europäer, die früher an
Malaria gelitten hatten und trotz ärztlicher Ermahnungen die be¬
währte (Nachbehandlung mit Chinin (jeden 9. und 10. Tag 1,0 g, 10 bis
12 Wochen hindurch) gar nicht oder nicht sorgfältig durchgeführt
hatten. Der Malariakranke darf sich also nur allmählich des Chinins
entwöhnen, eine zu baldige Unterbrechung kann eine akute Chinin¬
vergiftung hervorrufen, sobald solche Kranke erst später wieder die
übliche Dosis Chinin nehmen. Gerade diese Fälle haben wieder die
Anschauung Kochs bestätigt, dass das Schwarzwasserfieber im
wesentlichen eine Ghininvergiftung ist, die aber nur bei früheren
Malariakranken vorkommt, da die Malaria selbst die Disposition dazu
schafft: denn alle Fälle wurden nach späterer Wiedereinnahme von
Chinin bei diesen früheren Malariakranken ausgelöst. Eine vor¬
sichtige, erneute Chiningewöhnung hat bei allen Kranken auch zur
Heilung geführt.
Nächst den Malariakrankheiten ist die tropische Ruhr die ver¬
breitetste Infektionskrankheit, die eine ebensolche Rolle auch in
Kamerun, Togo und Deutsch-Neu-Guinea spielt. Durch die Verbesse¬
rung der Trinkwasserversorgung gelang es in Deutsch-Ostafrika
wenigstens bei den Europäern überall einer weiteren Ausbreitung Ein¬
halt zu tun.
In dem letzten Berichtsjahr hat ausserdem die Pest unter den
Europäern einige Opfer gefordert, die bekanntlich einen endemischen
Herd am Viktoriasee seit vielen Jahren besitzt. Nunmehr wurde sie
auch in einem zweiten Bezirk durch Eingeborene eingeschleppt und
bei der Pflege eines Kranken wurden zugleich 3 Europäer mit Lungen¬
pest infiziert, von denen 2 (Krankenschwestern) starben. Ein weiterer
Fall von Bubonenpest ging in Heilung über. Die Hauptüberträger der
Pest sind auch hier die Ratten, deren massenhaftes Sterben jeweils
den Ausbruch der Seuche verkündet. Für den Europäer besteht,
falls er die verseuchten Ansiedelungen meidet, keine Infektionsgefahr.
Die vorgekommenen Erkrankungen beruhten sämtlich auf Vernach¬
lässigung der notwendigsten Vorsichtsmassregeln von seiten der Er¬
krankten, deren Sorglosigkeit allerdings wieder auf Unwissenheit
zurückzuführen ist.
Das Denguefieber, das in früheren Jahrzehnten die ost¬
afrikanische Küste in schweren Epidemien heimsuchte3), wurde nur
in 2 Fällen beobachtet, die beide geheilt wurden. Diese Krankheit
dürfte nunmehr für Ostafrika bedeutungslos geworden sein.
Die Statistik der Infektionskrankheiten wie der übrigen Er¬
krankungen kann auf Grund der ärztlichen Aufzeichnungen natürlich
nicht erschöpfend sein, da wir annehmen müssen, dass eine Reihe
von Erkrankungen überhaupt nicht in ärztliche Behandlung gelangte.
Mit diesem Umstand müssen wir jedoch bei jeder Krankheitsstatistik
rechnen und fällt daher auch hier nicht ins Gewicht. Immerhin können
wir aber aus der verhältnismässig grossen Anzahl der behandelten
Erkrankungen genügenden Aufschluss über deren verschiedene Häufig¬
keit erlangen. . , . , .
Viel ungünstiger aber wird dieses Verhältnis bei den Einge¬
borenen, denn von den 4 025 000 farbigen Bewohnern haben nur
10 820, also 0,27 Proz., ärztliche Hilfe aufgesucht. Die Statistik er¬
streckt sich infolgedessen nur auf einen Bruchteil der Bevölkeiung,
und zwar auf die im Umkreise jedes Regierungssitzes (Station)
wohnenden Eingeborenen. Da deren Anzahl natürlich nicht fest-
bestellt werden kann, so müssen wir auf weitere statistische Er¬
hebungen verzichten und uns allein auf die vorliegende Kranken¬
statistik für unsere Berechnungen beschränken, die uns unter solchen
Jmständen nur einen Einblick, aber kein Urteil über die Gesundheits-
Verhältnisse ermöglichen. Ordnen wir daraus auch hier die einzelnen
Krankheitsgruppen nach ihrem prozentualen Verhältnis, so erhalten
wir folgende tabellarische Uebersicht:
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Vergleichen wir nun diese Tabelle mit derjenigen der Europäct,
so fällt vor allem der hohe Prozentsatz der Hautkrankheiten
bei den Farbigen auf. Wir können zu dessen Eikläiung wohl an-
nehmen, dass das äusserlich Bemerkbare dieser Erkrankungen die
hauptsächlichste Veranlassung für die Eingeborenen ist, sich in Be¬
handlung zu begeben, während bei den nur fühlbaren Krankheiten
ihre Indolenz sie sehr häufig auf ärztlichen Rat verzichten lassen
dürfte Untersuchen wir die einzelnen Hautkrankheiten naher, so
srfahren wir, dass es sich bei diesen Erkrankungen in 41 Proz. bei
den Eingeborenen um Unterschenkelgeschwüre und in 36 1 roz. um
phlegmonöse Entzündungen, bei den Europäern aber in 61 I roz. um
letztere gehandelt hat. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass in den
rropen der Hautpflege die grösste Sorgfalt gewidmet werden muss
und dass jede Vernachlässigung bittere Folgen nach sich ziehen kann.
Die Indolenz der Eingeborenen dürfte ferner auch für die relativ
geringe Anzahl der beobachteten I n f e k t i o n sk ra n k h eiten
verantwortlich gemacht werden, zumal die Malaria als verbreitetste
a) Meixner undKudike: Chininprophylaxe in Deutsch-Ost¬
afrika. Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene, Bd. IX.
3) Hirsch: Handb. der hist.-geogr. Pathologie.
4 *
1388
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Von den ärztlich behandelten Erkrankungen der
Eingeborenen entfielen auf
In Prozenten
Hautkrankheiten .
24,66
Verletzungen . ' .
15,66
Krankheiten der Ernährungsorgane .
12,41
Krankheiten der Atmungsorgane .
1 1,26
Infektionskrankheiten .
10,06
Venerische Krankheiten .
8,6
Augen- und Ohrenkrankheiten .
6,54
Krankheiten durch tierische Parasiten .
4,52
Krankheiten der Bewegungsorgane .
3,1
Krankheiten der Kreislauforgane .
1,46
Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane . . .
0,66
Nervenkrankheiten .
0,51
Konstitutionelle Krankheiten .
0,29
Frauenkrankheiten .
0,18
Schlafkrankheit . .
0,15
Sonstige Erkrankungen .
0,14
Summe
100 Proz.
Volkskrankheit die Neger gegen alle Fieberanfälle schon abgestumpft
hat, so dass bei solcher nur selten der Arzt zu Rate gezogen wird.
Daher ist es auch unmöglich, eine Morbiditätsstatistik über die In¬
fektionskrankheiten im besonderen aufzustellen. Wir sehen aber aus
den Berichten, dass die Malaria, obgleich nur ein Bruchteil zur Be¬
obachtung kam, dennoch an Zahl die höchste Stelle von allen Krank¬
heiten auch bei den Farbigen einnimmt und dass daher von einer aus¬
gedehnten Immunität der erwachsenen Eingeborenen in Malaria¬
gegenden noch nicht allzuviel zu verspüren ist. Es wird sogar von
Fällen berichtet, in denen die in der Kindheit überstandene Malaria
keinen Schutz gegen Neuinfektionen hinterlassen hatte und wir fin¬
den auch nirgens die Ansicht P 1 e h n s bestärkt, dass der Ein¬
geborene schon im Mutterleibe eine relative Immunität durch die
Bildung von Antikörpern im Blute gegen das Malariagift erwirbt4).
Da sich die Immunität nur immer auf eine Malariaform erstrecken soll
und also keinen Schutz gegen die anderen Formen verleiht, so dürfte,
diese natürliche Schutzeinrichtung noch weiterhin an Wert ein-
büssen.
Von den häufiger vorkommenden Erkrankungen müssen wir noch
die Krankheiten der Ernährungsorgane berücksichtigen. Vor¬
nehmlich handelt es sich hier bei beiden Bevölkerungsschichten um
den akuten Magen- und Darmkatarrh, doch dürfte sein Prozentver¬
hältnis bei den Europäern (45 Proz. der Erkrankungen dieser Rubrik)
nicht höher als bei uns sein, obwohl eine passende Ernährung und Diät
in den Tropen bekanntlich mit grösseren Schwierigkeiten ver¬
knüpft ist.
Von den parasitären Krankheiten interessieren uns nur
die Sandflohgeschwüre, die auch den Hauptprozentsatz dieser
Erkrankungen bilden, bei den Weissen 39, bei den Farbigen 65 Proz.
Die Durchführung der Desinfektion der mit diesem Ungeziefer be¬
hafteten Räume hat bereits eine wesentliche Verminderung dieser
eigenartigen Parasiten zur Folge gehabt.
Zum ersten Male in diesem Berichtsjahre wird das Vorkommen
der Schlafkrankheit unter den Eingeborenen der nördlichen
Qrenzdistrikte angezeigt. Die Infektion erfolgte in sämtlichen Fällen
ausserhalb des deutschen Schutzgebietes, in dem nördlich gelegenen
Uganda, wo diese furchtbare Krankheit bereits grössere Ausdehnung
erlangt hat, seitdem sie 1896 aus dem Gebiete des Kongos einge¬
schleppt worden ist. Der Ueberträger des tierischen Krankheits¬
erregers, des Trypanosoma Brucei, die Tsetsefliege (Glossina palpa-
bilis) wurde in den dichten Gebüschen am Ufer des Viktoriasees über¬
all da nachgewiesen, wo auch die Schlafkrankheit vorkam. Das ver¬
hängnisvollste dieser Krankheit besteht vor allem in der ungewöhn¬
lich langen Inkubationszeit von 4 Wochen bis 4 Jahren und in der
totverheissenden Prognose. Die weitere Erforschung und Hintanhal¬
tung dieser Seuche gebietet nicht nur die drohende Gefahr für eine
unserer blühendsten Kolonien, ihre Bekämpfung ist vielmehr ein drin¬
gendes Postulat der Humanität und des kulturellen Fortschrittes
unserer Zeit.
Betrachten wir schliesslich noch die Sterblichkeits¬
ziffern, welche auf die ärztlich behandelten Erkrankungen der
Europäer und Farbigen treffen, so ergibt sich bei beiden der gleiche
Prozentsatz von 1,75 auf je 100 Krankheitsfälle. Berücksichtigen wir
nur die Sterblichkeit an Infektionskrankheiten, so treffen bei den
Europäern auf 100 infektiöse Kranke 3, bei den Eingeborenen 5 Todes¬
fälle, eine über Erwarten günstige und im Vergleich mit den anderen
Kolonien, wie wir noch sehen werden, äusserst geringe Anzahl.
Die Gesundheitsverhältnisse der übrigen Kolonien können
wir nur nach der Gesamtzahl aller ärztlich behandelten Erkrankungen
und der vorgekommenen Todesursachen ermessen, zumal bei der ge¬
ringen Anzahl der dort ansässigen Europäer eine Zergliederung ihrer
Morbiditätsstatistik allein in bezug auf die uns am meisten inter¬
essierende Krankheitsgruppe hinreichen dürfte.
4) P 1 e h n: Ueber Malariaimmunität. Arch. f. Schiffs- u. Tropen¬
hygiene, Bd. X.
Wiederum sind es die Tropenkrankheiten und von diesen die
Malaria, welche die Erkrankungsziffer der Europäer in diesen Kolonien
unverhältnismässig hoch erscheinen lässt. Wenn wir aus der Kran¬
kenstatistik die Prozentzahlen berechnen, so trifft in einigen Kolonien
fast auf jeden ansässigen Europäer eine, in zwei Bezirken sogar noch
mehr ärztlich behandelte Erkrankungen. Unter diesen Verhältnissen
dürfte wohl der Arzt als die wichtigste Persönlichkeit in diesen Kolo¬
nien gelten, ohne dessen heilsamen Einfluss die Existenz des Euro¬
päers fast in Frage gestellt werden kann.
Folgende Tabelle möge diese Verhältnisse im letzten Berichts¬
jahre illustrieren und den überaus grossen Einfluss der Tropen¬
krankheiten auf die Höhe der Erkrankungsziffern in den verschiedenen
Kolonien dartun:
Anzahl der ärztlich behandelten Davon waren
Erkrankungen, Tropenkrankheiten
welche auf je 100 ansässige Europäer trafen : in Procenfen der Erkrankungen:
in Kamerun
Bezirk : Viktoria
47/
V/A
'///
74
///I
47/
7/4
V/A
3
” Deutsch - Neu -Gui nea
Bezirk: Herbertshöhe
7//
7//
44
V//
j
V/A
'/A
» Togo
Ge
Anga
na u e
>en Fe
hlen
44
V/A
7//
44
» Deutsch -Oslafrika
7//
44
V/A
///,
71
» Ka merun
Bezirk : Cuala
4Z
7//
74
74
47,
VA
» Deutsch -Neu-Guinea
Kaiser Wilhelmsland
44
//4
'A
v/v
44
47
” Kamerun
Bezirk: Kribi
44
VV/
/I
Anzahl in Procenfen :
0 25 50 75 100 125
0 2
5
0 7
100
Die graphisch dargestellten Zahlen sind der Reihe nach von oben
nach unten bei den Erkrankungen: 123; 104,7; 93,7; 76,2; 73; 58; 32;
und bei der Tropenkrankheiten: 78,5; 41,6; — ; 37; 67; 71; 32,3.
Danach müssten die Bezirke Viktoria in Kamerun und Herberts¬
höhe auf Deutsch-Neu-Guinea als die ungünstigsten erscheinen, Vik¬
toria hauptsächlich deshalb, weil die Tropenkrankheiten dort die
meisten Erkrankungen verursachen; aber wir müssen bei dieser
Beurteilung bedenken, dass sich diese Statistik nur auf ein einzelnes
Jahr erstreckt und dass es sich in den meisten Bezirken um nur ver¬
hältnismässig geringe absolute Zahlen handelt und deshalb schon ge¬
ringe Verschiebungen eine grosse Abweichung im prozentualen Ver¬
hältnis verursachen. Da jedoch diese Statistik die bisher günstigste
ist, so besitzt sie wenigstens aktuellen Wert. Erst später, wenn sich
die Berichte über einen grösseren Zeitraum erstrecken und wenn das
Verhältnis der Tropenkrankheiten zu den übrigen in diesen Berichten
eine ausführlichere Berücksichtigung erfahren dürfte, wird sich ein
genaueres Bild davon in der angeführten Weise aufzeichnen lassen.
Während — wie natürlich — nicht jede Erkrankung in ärztliche
Behandlung gelangte und statistisch verwertet werden konnte, be¬
sitzen wir jedoch über die Todesursachen bei den Europäern sehr
genaue Angaben. Davon müssen wir, um ein richtiges Bild von dem
Ausgang der zahlreichen Erkrankungen zu erhalten, wie wir es zur
Beurteilung der Sterblichkeitsverhältnisse benötigen, alle unnatür¬
lichen Todesarten, Selbstmord, Mord und Unglücksfall, ausscheiden.
Berechnen wir hierauf die Sterbefälle, die infolge von Krankheiten
(also mit oder ohne ärztliche Behandlung) eingetreten sind auf je 100
ansässige Europäer, so ergibt sich folgende vergleichende Uebersicht
für das letzte Berichtsjahr:
Anzahl der SferbeFälle Davon verursach! durch
-infolge von Krankheüen- Tropenkrankheiten
welche auf je 100 ansässige Europäer trafen; in Prozenten der Sterbefälle;
9. Juli 1907.
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1389
Kamerun also, das von jeher in gesundheitlicher Beziehung sich
keines guten Rufes zu erfreuen hatte, hat auch in diesem Berichtsjahre
relativ die meisten Sterbefälle zu verzeichnen. Eine Ausnahme macht
in diesem Jahre nur der Bezirk Kribi. An zweiter Stelle folgt Togo,
an dritter Kaiser-Wilhelmsland, eine schon bedeutend geringere Zahl
weist auch diesmal Deutsch-Ostafrika auf. Von Südwestafrika stehen
wegen der herrschenden Unruhen die näheren Nachrichten aus; aus
den aufgeführten Todesursachen konnte nur das prozentuale Verhältnis
der Tropenkrankheiten berechnet werden, das sich am günstigsten von
allen Kolonien stets erwiesen hat und sich auch hier mit nur 7,7 Proz.
wieder erweist.
In allen übrigen Kolonien bilden die T ropenkrankheiten,
wie wir aus der Tabelle sehen, die hauptsächlichste Todes¬
ursache. In den Bezirken Viktoria und Kribi in Kamerun und in
Kaiser-Wilhelmsland entfallen sämtliche Todesfälle, in Togo 86, in
Deutsch-Ostafrika 61 Proz. davon auf Tropenkrankheiten. Gelänge
es, den unheilvollen Einfluss dieser Krankheiten in den Kolonien
weiterhin zurückzudrängen und auf ein Minimum abzuschwächen, so
könnten wir mit Recht und mit Stolz die Gesundung unserer Kolonien
lobpreisen. Um dieses hohe Ziel zu erreichen, brauchen wir nicht nur
geschulte und erfahrene Aerzte, sondern auch eine aufgeklärte Be¬
völkerung, die sich verständnisvoll an dem harten Kampf beteiligt,
anstatt sie diesen durch eine oft noch grassierende Chininscheu gegen¬
teilig beeinflusst. Freilich wird noch lange solchen Bestrebungen die
Indolenz und die Unbildung der Ureinwohner im Wege stehen, die
für sich und den Europäer immer wiederkehrende, neue Infektions*-
quellen heraufbeschwören, die unter den tropischen Einflüssen aller¬
dings nie völlig versiechen werden.
Wir haben schliesslich in unserer Mortalitätsstatistik noch einen
weiteren Umstand zu berücksichtigen, der gerade für unsere Kolonien
eine schwerwiegende Bedeutung erlangt hat, das ist die hohe
Sterblichkeit in den mittleren Lebensjahren.
Da uns die Berichte keinen Aufschluss über die Zahl der lebenden
Europäer in den einzelnen Altersklassen geben, so können wir auch
nicht die Zahl der Gestorbenen im Verhältnis zu den Lebenden in den
einzelnen Altersgruppen bestimmen, wodurch erst die richtige Beur¬
teilung dieses Verhältnisses ermöglicht werden würde. Unsere Zu¬
sammenstellung muss sich also darauf beschränken, den Prozentsatz
aller an Krankheiten gestorbenen Europäer für die einzelnen Alters¬
klassen zu bestimmen und diese Ziffern mit der mutmasslichen Anzahl
Lebender in den betreffenden Klassen in vergleichende Beziehungen
zu bringen.
Das genaue Alter liegt von 90 an Krankheiten gestorbenen Euro¬
päern aus allen Kolonien vor. Bei weiteren 10 hieher gehörenden
Todesfällen fehlt die Altersangabe, doch dürfen wir aus dem Berufe
der Gestorbenen schliessen, dass diese sich in der Altersklasse von
20 — 40 Jahren befunden haben. Um nun die aus diesen 100 Sterbe¬
fällen in den einzelnen Lebensabschnitten sich ergebenden Zahlen mit
den entsprechenden Prozenten in einem deutschen Lande vergleichend
darzustellen, haben wir die betreffende Statistik von Bayern5) für
das gleiche Jahr gewählt, die mit geringfügigen Abweichungen mit
derjenigen anderer Bundesstaaten übereinstimmt, und haben die da¬
durch gefundenen doppelten Zahlenreihen wiederum in ein Dia¬
gramm6) eingetragen, das beii dem grossen Unterschied der absoluten
Zahlen natürlich nur gewisse Anhaltspunkte geben kann;
Die Sterblichkeil an Krankheiten den
- Europäer in den deutschen Kolonien
im Vergleich mit der
Gesamt-Sterblichkeit in Bayern
in den einzelnen Altersklassen.
auf je 100 Gestorbene berechnet.
°) Generalbericht der bayer. Sanitätsverwaltung 1903.
8) In der Ueberschrift des Diagramms muss es genauer lauten:
nach dem Alter der Gestorbenen, anstatt in den einzelnen Alters¬
klassen.
Der Unterschied der beiden Kurven ist auf den ersten Blick hin
überraschend. Er ist aber erklärlich, wenn wir bedenken, dass die
meisten Europäer Zugewanderte sind, die sich doch fast ausnahmslos
erst in den Mannesjahren in die Kolonien begeben haben, und dass
infolgedessen die meisten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren stehen,
während die übrigen Altersklassen, besonders die Gruppen von 1 — 10
und über 40 Jahre dort nur spärlich vertreten sind. Daher mussten
wir schon a priori vermuten, dass in jener meist vertretenen Alters¬
klasse von 20 — 40 Jahren die Sterbefälle in den Kolonien ihr Maxi¬
mum erreichen, während bei uns bekanntlich überall und nicht bloss
in Bayern die meisten Sterbefälle auf die zahlreiche kindliche Alters¬
klasse fallen. Immerhin lehrt die Tabelle, dass auch das rüstigste
Alter den Gefährlichkeiten der Tropen nicht zu trotzen vermag und
dass infolgedessen die Bekämpfung der einzig und allein gefahr¬
bringenden Tropenkrankheiten desto ernsthafter und energischer ge¬
führt werden muss, umsomehr als diese Krankheiten gerade das
blühendste und hoffnungsvollste Leben unserer Kolonien in vielen
Fällen zu Grunde richten.
Den Einfluss des Geschlechtes auf die Mortalität,
bezw. Morbidität müssen wir in unserer statistischen Betrachtung
ganz unberücksichtigt lassen, da keine getrennten Aufzeichnungen da¬
rüber vorliegen. Wir können nur berechnen, dass unter den 67 an
Krankheiten gestorbenen Europäern, die im Alter von 20 — 40 Jahren
standen, sich 9 Frauen befunden haben, von denen 5 an Tropen¬
krankheiten starben.
Betrachten wir zum Schluss neben der Sterblichkeit an Krank¬
heiten, die wir bisher kennen gelernt haben und die für die Beurteilung
des Gesundheitszustandes einer nicht sehr zahlreichen Bevölkerung
eigentlich allein herangezogen werden darf, dieGesamtsterblich-
k e i t, die für gewöhnlich in den Landesstatistiken nur berücksichtigt
wird und die wir deshalb zum Vergleiche brauchen, so erhalten wir
folgendes tabellarische Resultat für das verflossene Berichtsjahr:
Gesaml’-Sl’erblichkeif der Europäer
in Kamerun
” Togo
» Deutsch -Neu-6uinea
" Deutsch-Oslafrika
» diesen Kolonien
zusammen
im Vergleich mif 0
der Gesamt-sterblichkeit:
in Deutschland
Auf 100 berechnet: Io i 2 3 t 5 S
Diese Statistik musste sich daher auf diejenigen Kolonien be¬
schränken, von denen wir das relative Verhältnis der Sterbefälle zu
der Anzahl der lebenden Europäer berechnen konnten.
Wie wir seit langem gewöhnt sind, unsere Kolonien in gesund¬
heitlicher Hinsicht einzuschätzen, das hat sowohl diese Krankheits-
wie Sterblichkeitsstatistik zahlenmässig zum Ausdruck gebracht und
wird durch diese letzte Tabelle bestätigt: Kamerun mit der höchsten
Sterblichkeitsziffer, dann folgend abwärts Togo und Deutsch-Neu-
Guinea, schliesslich Deutsch-Ostafrika mit den niedrigsten Ziffern.
Vergleichen wir noch auf dieser Tabelle die Gesamtsterblichkeit
in diesen Kolonien zusammen mit derjenigen des Deutschen Reiches
(einschl. der Totgeburten) in demselben Jahre, so bleibt immer noch
ein Unterschied von 35 Proz. zu ungunsten unserer Kolonien bestehen
und dabei haben wir das bisher günstigste Berichtsjahr zu dem Ver¬
gleiche herangezogen, der natürlich noch zu keiner endgültigen
Schlussfolgerung berechtigt.
Wir brauchen aber deshalb den Mut nicht sinken zu lassen, son¬
dern wir dürfen nach den bereits erzielten Resultaten auch weiterhin
hoffen, dass die Erfolge andauern und dass mit der erst beginnenden
ökonomischen Entwicklung auch die hierzu notwendige hygienische
Vervollkommnung unserer Kolonien Hand in Hand gehe, deren nutz¬
bringende Förderung und Ausgestaltung gerade jetzt im Mittelpunkte
unserer nationalen Bestrebungen — wie noch nie zuvor — stehen.
Nur die Durchführung aller Aufgaben, die uns die öffentliche Gesund¬
heitspflege in den Schutzgebieten, besonders in den tropischen, auf¬
erlegt, kann uns mit den schweren Opfern, welche unsere Kolonien
schon gefordert haben, versöhnen und uns in eine bessere Zukunft
schauen lassen.
1390
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Ist der Arzt verpflichtet, bei typhusverdächtigen Er¬
scheinungen dem Bezirksamte Anzeige zu erstatten?
Von Dr. Felix Freudenthal II, Rechtsanwalt
in Würzburg.
Diese für den Arzt prinzipielle Frage hat das Kgl. Oberste Lan¬
desgericht in München in seinem Urteile vom 11. Juni 1907 im ver¬
neinenden Sinne entschieden.
ln einer Familie in Versbach waren in kurzer Zeit 3 Kinder an
typhusverdächtigen Erscheinungen erkrankt.
Der zugezogene Arzt Dr. B. aus Rimpar konnte bei einmaliger
Untersuchung eine zuverlässige Diagnose nicht stellen und ordnete
die Unterbringung der Patienten in das Juliushospital in Wiirzburg an.
Zugleich stellte der Arzt ein Zeugnis aus, welches unter Beifügen
eines Fragezeichen die Krankheit als eine Magen- und Darmerkran¬
kung bezeichnete.
Nach eingehender Untersuchung im Juliushospitale seitens des
Geheimrates v. L e u b e wurde nach Verlauf von mehreren Tagen
Typhus festgestellt und sodann vom Kgl. Bezirksamte Wiirzburg
gegen Dr. B. Strafanzeige wegen Uebertretung des Artikels 72
des Polizeistrafgesetzbuches und der Verordnung vom 22. Juli 1891
erstattet.
Artikel 72 P.Str.G.B. bestraft approbierte Aerzte, welche die
ihnen nach Verordnung obliegende Anzeige von dem Ausbruche einer
ansteckenden Krankheit unter Menschen nicht sofort der Polizei¬
behörde erstatten, an Geld bis zu 90 M.
Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen der oben alle¬
gierten Verordnung vom 22. Juli 1891 besagen nachstehendes:
„Aerzte haben von jedem bei Ausübung ihres Berufes zu ihrer
Kenntnis gelangenden Auftreten nachstehender Krankheiten, nämlich:
Typhus abdominalis und Typhus recurrens Anzeige zu erstatten.
Die Anzeige hat innerhalb längstens 24 Stunden nach erlangter
Kenntnis von der bezüglichen Krankheit an jene Distriktspolizei¬
behörde, in deren Bezirk die Krankheit auftritt, zugleich auch an die
einschlägige Ortspolizeibehörde zu erfolgen.“
Die vom Strafrichter zu entscheidende Frage gipfelte darin: Ist
der Arzt verpflichtet, erst beim Auftreten des Typhus oder auch
schon bei typhusverdächtigen Erscheinungen den Verwaltungsbehör¬
den die vorgeschriebene Anzeige zu erstatten?
ln Uebereinstimmung mit der Verteidigung haben auf Grund
des unzweideutigen Wortlautes des Gesetzes alle Instanzen den
ersteren Standpunkt vertreten.
De lege ferenda ist jedoch bei typhusverdächtigen Erscheinungen
die Anzeige anzustreben. Die Zweckbestimmung des Gesetzes stellt
eine Präventivmassregel dar: ein Ausbreiten des Typhus soll in
seinem Anfangsstadium unterdrückt werden. Es ist allerdings nicht
zu verkennen, dass bei Anzeigen von typhusverdächtigen Erschei¬
nungen, die sich nachträglich als harmlos herausstellen, die davon
betroffenen Gemeinden in ihrem Wirtschaftsbetriebe auf das
schwerste geschädigt werden; der Verkehr wird unterbunden, die
Ausfuhr von Lebensmitteln usw. untersagt. Diese Nachteile sind je¬
doch verschwindend, wenn nur in einem einzigen Falle bei einer
laxen Handhabung des Gesetzes die Anzeige zu spät erfolgt und die
Krankheit schon zu weit vorgeschritten ist.
Es liegt hier zweifelsohne eine Lücke des Gesetzes
vor, und auch Geheimrat v. Leube hat die Verordnung vom
22. Juli 1891 als reformbedürftig bezeichnet, um mit dem jetzigen
unsicheren Rechtszustande aufzuräumen.
Diese Lücke ist um so befremdender, als das Reichsgesetz be¬
treffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom
23. Juni 1880 in seinen §§ 9 und 65 eine Verpflichtung zur Anzeige
schon dann statuiert, wenn der Tierarzt von Erscheinungen Kenntnis
erhält, die den Verdacht eines Seuchenausbruches begründen.
Referate und Bücheranzeigen.
Emil v. Düngern und Richard Werner: Das Wesen
der bösartigen Geschwülste, eine biographische Studie. Aus
dem Institut für Krebsforschung in Heidelberg (Direktor: Wirkl.
Geheimrat Prof. Dr. v. C z e r n y). Akademische Verlags¬
gesellschaft m. b. H., Leipzig. 159 S. Preis 3 M.
Die Verfasser bringen eine klare kritische Zusammen¬
fassung aller bis jetzt auf dem Gebiete der Geschwulstlehre
bekannt gewordenen Tatsachen, soweit dieselben von allge¬
meiner Bedeutung sind für die Beurteilung des Wesens und der
Entstehung der bösartigen Gewächse. Die ganze Darstellung
beschränkt sich aber nicht nur auf sorgfältiges Studium der
so reichen über diesen Gegenstand vorhandenen Literatur,
sondern es kommen in ihr auch überall die eigenen Anschau¬
ungen der Verfasser und eine Fülle neuer Gedanken zur Gel¬
tung.
Von hervorragendem Interesse ist der Abschnitt über die
Gesetze des normalen Wachstums. Die schon
von Weigert vertretene Lehre, dass die zur Gewebswuche¬
rung führenden Reize dadurch wirken, dass durch sie die nor¬
maler Weise in den Zellen vorhandenen Wachstumshemmungen
eine Schädigung erfahren oder ausgeschaltet werden, wird hier
auf breiter experimenteller Basis zu einer wohlfundierten
Theorie ausgebaut, durch welche tatsächlich nicht nur die nor¬
malen Wachstumsvorgänge, sondern auch die bei ein¬
maliger oder auch bei chronischer Reizeinwirkung zu beob¬
achtenden Wucherungserscheinungen unserem Verständnis
näher gerückt werden.
Die Verfasser zeigen, dass sich durch geeignete
Anwendung verschiedener Reize qualitative
Veränderungen der Zellen erzielen lassen,
welche auch m orphologisch zum Ausdruck
gelangen. Dabei ist es von besonderem Interesse, dass
ähnliche qualitative Veränderungen sich auch bei den Geweben
alter Individuen finden: „Die Zellen sind bei diesen sämtlichen
geprüften Reizen gegenüber unterempfindlich, indem erst
stärkere Reize eine Wucherung auslösen und den Tod herbei¬
führen. Die Wachstumshemmungen werden aber langsamer
restituiert, weshalb das Gewebe, wenn es einmal zur Wuche¬
rung gebracht ist, länger wächst als ein junges. Die Anpas¬
sungsfähigkeit ist herabgesetzt. Man braucht die Intensität des
Reize nicht so stark zu erhöhen, um die zum Stillstand ge¬
kommene Wucherung aufs neue anzuregen.“
Die Anpassung, welche auf einer Wiederherstellung der
geschädigten normalen Wachstumshemmungen beruht, voll¬
zieht sich bei normal reagierenden Zellen unter allen Um¬
ständen auch dann, wenn man sie aus dem Verbände heraus-
reisst und in anderes Gewebe transplantiert: Die Aus¬
schaltung der Zellen aus dem physiologi¬
schen Verbände für sich allein kann niemals,
w i e R i b b e r t dies bekanntlich annimmt, eine
fundamentale Aenderung in der Wachstums¬
art der Zellen bedingen. Eine solche kommt über¬
haupt nicht durch Aenderung der Korrelationen der .Zellen
untereinander zustande, sondern kann nur durch eine Aende¬
rung der Reaktionsfähigkeit der Zellen selbst herbeigeführt
werden.
In der normalen Reaktionsfähigkeit der
Zellen auf äussere Reize haben wir demnach
das wichtigste Moment zu erblicken, auf dem
die Regelung der Wachstumsvorgänge im
Organismus basiert, wobei wir unter Reizen
auch die gegenseitige Einwirkung der Kör¬
perzellen aufeinander zu verstehen habe n.“
Auf dieses Prinzip ist auch das sogen, histogenetische Gleich¬
gewicht der Gewebe zurückzuführen.
Von den normalen Geweben unterscheiden sich die bös¬
artigen Geschwülste vor allem durch das in den meisten Fällen
zu beobachtende dauernd beschleunigte Wachs-
t u m, wie ein solches insbesondere auch bei den bekannten
Versuchen von Ehrlich und A p o 1 a n t zum Ausdruck ge¬
langte. Wenn es auch nicht notwendig ist, dass diese Eigen¬
schaft regelmässig in die Erscheinung tritt, so ist doch die
Fähigkeitzu dauernd beschleunigtem Wachs-
t u m für alle malignen Zellen charakteristisch.
Nach den Untersuchungen der Verfasser
kann dieses beschleunigte Wachstum nur da¬
rauf beruhen, dass bei den malignen Zellen
die normalen Hemmungsvorrichtungen nicht
nur schwer geschädigt oder vernichtet sind,
sondern dass auch die Zelle die Fähigkeit
verloren hat, diese Hemmungsvorrichtungen
zu restituieren, so dass sie nunmehr in dau-
erndgesteigerterWucherungverharrenmuss.
Diese Auffassung steht in völligem Einklang auch mit den ex¬
perimentellen Ergebnissen E h r 1 i c h s und A p o 1 a n t s, sowie
mit den biologischen Eigenschaften gerade der schnell wach¬
senden Geschwülste.
Die durch Vernichtung der Hemmungsvorrichtungen be¬
dingten Veränderungen der biologischen Qualitäten der Zellen
sind bei den malignen Gewächsen auch mit einer Veränderung
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1391
9. Juli 1907.
ihres Stoffwechsels und sehr oft mit hochgradigen morpho¬
logischen Veränderungen verbunden.
Eine Aehnlichkeit zwischen Geschwulst-
zellen und embryonalen Zellen besteht auch
nach Ansicht der V e r f . in keiner Weise; ja bei
der Reaktion auf Wachstumsreize zeigt das
Geschfwulstgewebe geradezu diametral ver¬
schiedene Eigenschaften. Die gleiche Ansicht wird
bekanntlich auch von Hertwig vertreten.
Die namentlich bei Krebsen zu beobachtenden entzünd¬
lichen Veränderungen im Gewebe werden auch von
den Verf. als eine Reaktionserscheinung und nicht
etwa als ein die Geschwulstbildung einleitender Vorgang ge¬
deutet. Mit Recht weisen die Verf. darauf hin, dass diese
letztere, von R i b b e r t vertretene Auffassung schon durch die
auch in den Metastasen beliebiger Organe auftretenden gleichen
entzündlichen Veränderungen ihre Widerlegung findet.
Von den am Rande von Krebsen häufig vorkommenden
Wucherungen des Epithels lässt sich nach Ansicht der Verf.
nicht mit Sicherheit entscheiden, ob sie das Vorstadium einer
multizentrischen Krebsentwicklung bedeuten, oder ob sie die
Folge eines Einflusses des Tumorgewebes auf die Umgebung
darstellen.
Hinsichtlich des Zustandekommens der von Ehrlich und
anderen erzielten Immunisierungsresultate an Mäusen und
Ratten gegen Geschwulstübertragungen nehmen die Verf. einen
von Ehrlich zum Teil abweichenden Standpunkt ein.
Von hohem Interesse sind endlich die beiden letzten Ab¬
schnitte des Buches, in welchen die bisherigen Theorien über
das Wesen und die Ursache der Geschwülste kritisch erörtert
werden. Mit Recht betonen die Verf., dass alle Erklä¬
rungsversuche, welche nicht mit' einer bio-
logischen Aenderung d er Gewebszellen selbst
rechnen, wie insbesondere die ‘Theorie C o h ti¬
li e i m s, Ribberts und seiner Schüler, durchaus
unzureichend sind. Zu dieser Ueberzeugung, welche auch
vom Referenten stets mit grösstem Nachdruck ausgesprochen
worden ist, sind die meisten Forscher gelangt. Die Unter-
s u ch u n gen v. Dünger n sundWerners bedeuten
aber insofern einen Fortschritt, als sie zum
ersten male auf Grund sicher gestellter ex¬
perimenteller Tatsachen das Wesen dieser
Veränderungen erkennen lassen.
Sehr richtig ist es auch, wenn die Verf. die These, dass
diese Veränderungen nur an ausgeschalteten, nicht mehr im
normalen Gewebsverband stehenden Zellen vor sich gehen
könnten (R i b b e r t), als eine durchaus willkürliche Behaup¬
tung bezeichnen, „welche ganz unwahrscheinlich wird, wenn
man bedenkt, dass die Reize der Aussenwelt viel eingreifendere
sind, als jene, welche von der geänderten Umgebung zu er¬
warten sind und deren Einfluss wir ja bei Transplantationen zu
sehen Gelegenheit haben.“
Bezüglich der A e t i o 1 o g i e gelangen die Verf. zu der
Anschauung, dass die Anhaltspunkte, welche sie über das Wesen
der Malignität auf Grund des Tatsachenmaterials gewannen,
ebenfalls eine mehrfache Aetiologie zulassen. Die Verände¬
rungen an den Zellen, die sie als Ursache des bösartigen Wachs¬
tums festgestellt haben, können ja sowohl durch kongenitale
Missbildung, wie durch äussere Einwirkungen entstanden ge¬
dacht werden. Für die wichtigste Eigenschaft der malignen
Zellen, für die verminderte Restitutionsfähigkeit der Wachs-
tumshemmungen lassen sich die Entstehimgsbedingungen ge¬
nauer präzisieren. Die Ursache kann eine primäre Keimes¬
variation sein (B o r s t, Sc h w a 1 b e), doch fehlt für eine solche
Annahme jeder Beweis. Die Experimente der Verf.
zeigen vielmehr, dass auch bei nor m a 1 e n Zel¬
len eine Abnahme der Restitutionsfähigkeit
der Wachstu m shemm ungen sich erzielen
lässt und zwar dann, wenn ein Reiz von rela¬
tiv starker Intensität ohne Erholungsmög¬
lichkeit rasch hintereinander angewandt
wird oder bei der kombinierten Anwendung
verschiedener Reize.
Man kann sich demnach wohl vorstellen, dass es Reize
oder Reizkombinationen gibt, welche die Wachstumshem¬
mungen entweder komplexer schädigen oder sie elektiv treffen
und die lebenswichtigen Teile relativ intakt lassen. Bei der
Annahme komplexer Reize liegt es nahe, an den Einfluss von
Mikroorganismen zu denken, wenn auch schwerwiegende Mo¬
mente igeigen eine* solche Annahme sprechen.
G. Hause r.
E. v. Cyon: Die Nerven des Herzens. Ihre Anatomie
und Physiologie. Ucbersetzt von H. L. Heusne r. Neue,
vom Verfasser umgearbeitete und vervollständigte Ausgabe
mit einer Vorrede für Kliniker und Aerzte. Mit 47 in den Text
gedruckten Figuren. Berlin, Verlag von Julius Springer,
1907. Preis M. 9. — .
In der Besprechung der französischen Ausgabe des vor¬
liegenden Werkes hatten wir den Wunsch ausgedrückt, dass
dasselbe durch Uebertragung ins Deutsche weiteren Kreisen
der Aerztewelt zugänglich gemacht werden möge. H. L.
Heusner hat sich dieser verdienstvollen Arbeit unterzogen,
Wofür ihm der Dank des ärztlichen Publikums gebührt. Ein
grösserer Kreis ist jetzt in die Lage versetzt, dem von Cy o n
mit Temperament, ja man darf sagen, mit grosser Leidenschaft¬
lichkeit geführten Feldzug gegen die myogene Theorie an der
Hand seines Werkes folgen zu können. Der Autor wünscht
nicht nur, gestützt auf zahlreiche Experimente, als Herzphysio¬
loge zu sprechen, sondern auch als Herzkranker zum Wohle
aller Herzleidenden, deren Behandlung durch die myogene
Theorie auf Irrwege geführt worden ist. Die myogene Iheorie,
welche Cyon für einen wissenschaftlichen Aberglauben und
eine Verirrrung ansieht, muss auch bei den Aerzten und Kli¬
nikern wieder ausgetilgt werden, während sie für den Phy¬
siologen von Fach „jetzt nur noch eine peinliche Erinnerung
ist“. Die Beweisführung für diese Stellungnahme, welche be¬
kanntlich einen entschiedenen Gegensatz zu der gerade von
führenden deutschen Klinikern eingenommenen Auffassung dar¬
stellt, muss an der Hand des Werkes selbst verfolgt werden.
In der deutschen Ausgabe ist vieles, auch die Vorrede, umge¬
arbeitet worden, zahlreiche Zusätze sind zu den einzelnen Ab¬
schnitten gemacht worden und die Literatur, welche im gröss¬
ten Umfange verwertet ist, ist auf 429 Nummern angewachsen.
Die Zahl der Abbildungen ist ebenfalls noch etwas vermehrt
worden. Grassmann - München.
Balthazard, Ce st an, H. Claude, Macaigne,
Nicolas et Verger: Precis de Pathologie interne. Vier
Bände mit zahlreichen Abbildungen im Text. 3318 Seiten.
Mit einer Vorrede von Prof. Bouchard. G. S t e i n h e i 1.
Paris 1907. Preis 32 Frcs.
In der Vorrede betont Bouchard, dass es gelungen sei,
ein Werk aus einem Guss zu schaffen, trotzdem es nicht aus
einer Hand hervorgegangen sei. Die sechs Autoren, alle aus
einer Schule stammend, seien unter sich einig in der wissen¬
schaftlichen Auffassung, so dass einerseits völlige Einheitlich¬
keit herrsche, andererseits der grosse Vorteil resultiere, dass
die einzelnen Teile den Forschern zugewiesen werden konnten,
die sich speziell mit der Materie beschäftigt haben. In der 1 at
ist ein zu detailliertes Eingehen auf die Entwicklung der ein¬
zelnen Fragen mit Glück vermieden und keiner der Verfasser
schiebt die Abschnitte, über die er am meisten gearbeitet, auf
Kosten anderer in den Vordergrund. Dabei wird allerdings
das theoretische Wissen nicht völlig vernachlässigt. „Ohne
die Wissenschaft ist die Praxis blind.“ Mit diesem Satz emp¬
fiehlt Bouchard das Werk angelegentlichst den Medizin¬
studierenden und den Aerzten.
Im Band 1 (829 Seiten) behandelt Nicolas- Lyon die In¬
fektionskrankheiten in 5 Kapiteln (Infektionskrankheiten mit be¬
kannten Erregern, solche mit unbekannten Erregern, solche
durch Pilze, durch Protozoen bedingt, endlich Krankheiten
durch grosse tierische Parasiten). Mit grosser Sorgfalt ist
, vor allem das erste Kapitel durchgeführt, bei der wir auch die
j von einem eigenen 1892 entdeckten Erreger herrührende Papa-
geienkrankheit, die unter typhusartigen ^ Erscheinungen mit
1 schwerer Beteiligung der Lungen verläuft, ebensowenig wie
1 andere von Tieren übertragene Krankheiten vermissen. Sehr
I eingehend ist auch die Syphilis unter weitgehender Beriick-
1 sichtigung der neuesten Literatur behandelt. Wir finden Ab¬
bildungen von Schau dinns Spirochäte und Angaben über
Färbemethoden. Den Schluss des ersten Bandes bilden 5
1392
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Kapitel über Vergiftungen und Autointoxikationen, von Bal-
thazard verfasst. Hier finden Fisch-, Fleisch- und sonstige
Nahrungsmittelgifte, Opium, Morphium, Tabak, Alkohol sowie
verschiedene Metalle (Quecksilber, Blei, Arsenik) genaue Wür¬
digung im Hinblick auf ihre Wirkung beim Menschen. Das
Myxödem, Akromegalie, Sklerodermie, Basedowsche
Krankheit sowie die innere Sekretion von Hoden und Ovarien
werden im Kapitel Autointoxikation abgehandelt. Der gleiche
Autor bespricht im 2. Band (676 Seiten) die „Pathologie der Er¬
nährung“. Zuerst die Vorbedingungen für den abnormen Ab¬
lauf des Stoffwechsels, dann in eigenen Kapiteln Diabetes, Fett¬
sucht, Gicht und die Erkrankungen des Bewegungsapparates
(Rheumatismus, Rhachitis, Osteomalazie), schliesslich Skorbut,
Pellagra, Lathyrismus (Springkrautvergiftung). Im gleichen
Band schreibt der gleiche Autor über Krankheiten des Blutes
und der blutbildenden Organe, M a c a i g n e über Herz-, Ge-
fäss- und Lungenkrankheiten.
Im 3. Band (947 Seiten) teilen sich Balthazard und
Henri Claude in die Besprechung der Erkrankungen des
Verdauungskanals sowie der Gallen- und Harnwege. Be¬
sondere Rücksicht ist auf die Frühdiagnose des Magen- und
Darmkarzinoms genommen; bei der Ruhr werden die neueren
ätiologischen Ergebnisse (Entstehung entweder durch Amöben
oder durch den Bazillus von Chantemesse-Shiga) berück¬
sichtigt. Der 4. Band (868 Seiten), die Krankheiten des Ner¬
vensystems enthaltend, hat Cestan (Toulouse) und V e r -
g e r (Bordeaux) zu Verfassern. Bei den Erkrankungen des
Zentralnervensystems ist hier ein umfangreiches 1. Kapitel
Herdsymptomen gewidmet (syndromes regionaux), dann folgt
eine Besprechung von Blutungen und deren Folgen, weiter
Kapitel über akute und chronische Entzündungen, schliesslich
Tuberkulose, Syphilis, Traumen, Tumoren und endlich die
Syringomyelie. Den Band schliessen periphere Nervenerkran¬
kungen, Muskelkrankheiten und Neurosen. Dieser Band, der
durch seine Einteilung besonders auffällt, enthält die meisten
Illustrationen des Werkes, die teilweise sehr instruktiv sind,
aber unter schlechter Wiedergabe leiden.
Das ganze Werk zeichnet sich meines Erachtens vor allem
dadurch aus, dass es lückenlos unser Wissen über die inneren
Krankheiten wiedergibt, ohne dabei an Uebersichtlichkeit im
geringsten einzubüssen. Da auch die neuesten Ergebnisse der
Forschung überall berücksichtigt sind, wird es auch manchem
deutschen Leser ein willkommenes Nachschlagebuch sein, be¬
sonders, da es trotz des relativ bedeutenden Umfanges ziemlich
billig ist. Theodor R. Schilling- Nürnberg.
P. Bade: Die angeborene Hüftgelenksverrenkung. Mit
189 Abbildungen im Text. Verlag von F. Enke. Stuttgart
1907. Preis Mark 12.
An Arbeiten über angeborene Hiiftluxationen ist wahrlich
kein Mangel: Von den 600 Publikationen, die in dem umfassen¬
den Literaturverzeichnis am Schlüsse des vorliegenden Buches
enthalten sind, gehören nicht weniger als 500 den letzten 15
Jahren an. Und doch herrscht noch keineswegs Klarheit und
Einigkeit hinsichtlich der Aetiologie wie der Therapie dieses
Leidens. Ja die allseitige Erörterung der letzteren wirkt durch
die vielfachen Widersprüche der Autoren geradezu verwir¬
rend. Sich selber einen Ueberblick über dieses Labyrinth
therapeutischer Vorschläge zu verschaffen — das war für den
Verfasser der erste Anstoss, das vorliegende Buch zu schrei¬
ben, für das alle ihm Dank schulden, denen es zugedacht ist:
der praktische Arzt, der Chirurg, der angehende, wie der er¬
fahrene Orthopäde. Gibt doch das Buch keineswegs nur eine
Zusammenstellung der Literatur, sondern das Resultat kri¬
tischer Prüfung, die Zusamrnenfiigung des Sichergestellten zu
einem einheitlichen Bild.
Mit grösstem Interesse aber muss der Hauptteil des Buches
studiert werden, in welchem Verf. den Weg aufs genaueste
beschreibt, den er sich für seine Therapie mühsam gebahnt
hat und der ihn zu vorzüglichen Resultaten geführt hat. Sein
Repositionsverfahren kennzeichnet sich dadurch, dass er den
Kopf auf der „Bahn der Gleitfurche“ in die Pfanne zurückführt.
Die Nachbehandlung zeichnet sich aus durch die ausgiebige
Kontrolle, welche vom Moment der Reposition an durch das
Röntgenverfahren ausgeübt wird.
Eine grosse Zahl solcher eingehend studierter und erläuter¬
ter Bilder werden reproduziert in Form genauer Pausen, die
durch Schattierung plastisch wirken.
Sie illustrieren die Serie von Krankengeschichten, welche
als Anhang und zur praktischen Belegung der vorgetragenen
Anschauungen und therapeutischen Prozeduren beigefügt sind.
Das Buch wirkt nicht, wie so manche neuere Publikation,
durch den erdrückenden Umfang einer persönlichen Statistik,
sondern durch die Gründlichkeit, mit welcher das Kranken¬
material studiert und verwertet wurde zur Erkenntnis der
Wahrheit, zur Förderung des Wissens und Könnens. Dem
Buch gebührt ein hervorragender Platz in der orthopädischen
Literatur. V n 1 p i u s - Heidelberg.
Des Frangois Rabelais Pantagruel. 2. Blich. Ver¬
deutscht von Dr. O w 1 g 1 a s s. Verlegt bei Albert Langen,
München, 1907. 235 Seiten.
Unser Stuttgarter Kollege O w 1 g 1 a s s setzt mit dem vor¬
liegenden Bande das löblich begonnene Werk, eine stilistisch
dem Original gleichkommende Uebersetzung von Rabelais'
Satiren zu geben, mit Geschick fort. Die Ausstattung des Ver¬
lags Albert Langen schliesst sich dem gedachten Zwecke
sinngemäss an, sodass das Buch jedem frohgemuten Manne
Freude und Genuss bringen wird.
Max Nassauer- München.
T li o m e s Flora von Deutschland, Oesterreich und der
Schweiz. V. — VII. Band: Kryptogamenflora; Moose,
Algen, Flechten und Pilze (die Farne befinden sich in Band I),
herausgegeben von Prof. Dr. Walter M i g u 1 a. Fritz Zez-
s c h w i t z, Botanischer Verlag „Flora von Deutschland1. Gera,
Reuss j. L.
Von dem wiederholt hier angezeigten Werk sind 13 weitere
Hefte, die Lieferungen 27 — 39, erschienen. In diesen wird die
Behandlung der Algen fortgesetzt, ohne noch zum Abschluss
gebracht zu werden. Im Laufe der Bearbeitung hat sich das
Bedürfnis herausgestellt, die Kryptogamenflora, die ursprüng¬
lich auf nur 45 Lieferungen veranschlagt war, ausführlicher zu
gestalten und, was anfangs nicht beabsichtigt war, tunlichst
alle im Gebiet bisher aufgefundenen Arten und Formen zu be¬
rücksichtigen. Unter diesen Umständen muss die Zahl der
Lieferungen erheblich vermehrt werden, was die Abonnenten
des Werkes im Interesse der dadurch erzielten grösseren
Gründlichkeit und Vollständigkeit gewiss gerne hinnehmen
werden. Die Ausführung der neuen Lieferungen verdient das
gleiche hohe Lob wie die früheren. Botanisierenden Kollegen
kann bei Beginn der Reise- und Wanderzeit die T home sehe
Flora nur lebhaft empfohlen werden.
Neueste Journalliteratur.
Zentralblatt für innere Medizin. 1907. No. 25.
Gr ob er- Jena: Ueber die Arbeitshypertrophie des Herzens
und seiner Teile,
G. nahm Wägungen vor an Stallkaninchen, wilden Kaninchen
und Hasen, untersuchte das Gewicht des ganzen Herzens und seiner
1 eile, und fand bei muskeltätigeren Tieren ein grösseres, bei muskel¬
ruhigeren Tieren ein kleineres Herzgewicht. Der rechte Ventrikel
ist stärker an der Gewichtszunahme beteiligt als der linke. Diese
Erscheinung lässt sich erklären durch Vermehrung der Residual¬
luft nach Anstrengungen, Steigerung des intraalveolaren Drucks und
dadurch vermehrten Druck in den zuführenden Gefässen.
K. L i e p e 1 1 - Berlin.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 88. Band. 1.— 3. Heft.
Mai 1907.
Eritz König: Ueber Prothesen bei Exartikulation und Resektion
des Unterkiefers.
Nach einer wegen eines Adamantinoms vorgenommenen Ex-
aitikulation der rechten Unterkieferhälfte (Ramus ascendens und
giosser Teil des Horizontalis) benutzte König mit sehr gutem Er¬
folge eine Claude Martin-Schroeder sehe Unterkieferprothese,
die vor der Sauer sehen bessere Kosmetik, gute Kaufähigkeit, Ver¬
meidung übermässiger Arbeitsleistung der gesunden Seite als Vorteile
hat, aber nur bei Willensstärken und intelligenten Pat. anwendbar ist
Anschliessend veröffentlicht K. das Resultat einer Umfrage an Kliniken !
und Krankenhäusern über Nachbehandlung der Kontinuitätsresek-
tior.en und Exartikulationen des Unterkiefers und empfiehlt die Unter-
bindung dei Caiotis externa als vorbereitende Operation bei Exar¬
tikulation des Unterkiefers und zwar vom Operationsschnitt aus.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1393
Holland: Ueber den tuberkulösen Tumor der Flexura
sigmoidea.
Verf. teilt einen unter dem Bilde eines Karzinoms verlaufenen
Fall von Tuberkulose der Flex. sigm. (hypertrophische Form) mit.
Nach im Mai 1905 ausgeführter Kolostomie Verschwinden des
Tumors, der sich nach Schluss des Anus praeternat. wieder einstellte
mit neuen Stenoseerscheinungen; Darmresektion im Januar 1906
brachte Heilung.
Besprechung der verschiedenen Formen der Darmtuberkulose
und des tuberkulösen Lymphoms des Mesenteriums.
Der Grund für die enorm seltene Lokalisation der Tuberkulose
an der Flexur im Gegensatz zum Karzinom ist noch dunkel. Von
Symptomen war am ersten die sich allmählich steigernde Obstipation
bemerkenswert. Geht man bei unsicherer oder falscher Diagnose
(Ca.) so vor wie beim Ca., so ist die Prognose sowohl bei Resektion
wie bei Anlegung eines Anus praeternaturalis günstig.
Vorschütz: Hyperalgetische Zonen bei Schädel- und Ge¬
hirnverletzungen.
V. stellte in Analogie mit dem von W i 1 m s und M i 1 n e r be¬
schriebenen Auftreten hyperalgetischer Zonen nach Schädelschüssen
in einem Falle von Schläfenschuss, sowie auch in einer Reihe anderer
Schädelverletzungen das Auftreten von Hyperalgesien fest.
Die Hyperalgesie ist nicht auf Verletzung des sympathischen
Geflechtes um den Sinus cavernosus, sondern auf eine direkte Gehirn¬
läsion, zurückzuführen, von wo der Reiz auf dem Wege des Sym¬
pathikus bis zum Ganglion cervicale supr. und weiter durch die Rami
communicantes in die peripheren Nerven geleitet wird. Die mit dem
Gangl. cervic. sup. verbundenen 4 Zervikaläste werden mehr oder
weniger ausgedehnt mitbetroffen.
Die Hauthyperalgesie, geprüft durch Streichen mit der Fingerkuppe
über den behaarten Kopf oder mit stumpfer Nadel, gestattet danach
einen Rückschluss auf die Verletzung des Schädelinnern, wie an den
Fällen eingehend gezeigt wird.
Auch für die Unfalluntersuchung bieten die Hyperalgesien ein
objektives Untersuchungsmittel.
Wolff: Ueber Lungenkomplikationen nach operativen Ein¬
griffen mit einem statistischen Beitrag aus der Königl. chirurgischen
Klinik in Königsberg.
Nach einer allgemeinen eingehenden Besprechung über die
Ursachen und das Wesen der früher oder später postoperativ auf¬
tretenden Lungenkomplikationen (Bronchitiden, lobuläre Pneumo¬
nien, lobäre Pneumonie, Lungengangrän, Lungenabszess, hämor-
rhagisch-embolische Infarkte, Lungenembolien und akutes Lungen¬
ödem) prüft W. an einem Material von 3248 Operationen die Häufig¬
keit dieser Affektionen mit Bezug auf die verwandten Narkotika
(Aether, Billrothmischung, Chloroform) und findet, dass das Chloro¬
form die geringste Prozentzahl aufweist besonders bezüglich der
Lungenerkrankungen, „die in direktem Zusammenhang mit Narkose
und Operation stehen“. Bei 78 unter Lokalanästhesie ausgeführten
Operationen kamen 7 mal Lungenkomplikationen vor, davon 4 mal
bei den mit Eröffnung des Peritoneums verbundenen Operationen.
Schlagintweit: Ueber subkutane Luxationen des Talus
mit besonderer Berücksichtigung der blutigen Repositionsmethode.
Vier in den letzten 6 Jahren beobachtete Fälle von subkutaner
Luxation des Talus, wovon der eine mit Fraktur der Malleolen kom¬
pliziert war, der erste eine Doppelverrenkung des Talus nach
Malgaigne darstellte.
Der Mechanismus ist nicht klargestellt, auch S. kann über das
Zustandekommen der Luxation in seinen Fällen nichts näheres sagen.
Dem Autor ist die Ansicht Stetters — zuerst forzierte Abduktion
oder Adduktion, dann Dorsal- oder Plantarflexion — die plausibelste.
2 Fälle wurden unblutig reponiert, Fall 1 und 2 operativ reponiert, bei
Fall 1 wurde wegen einer hinzugetretenen „erysipelatösen Ent¬
zündung“ später die Exstirpation nötig.
Drau dt: Ueber Kavaresektion in einem Falle von Misch¬
geschwulst der Nierenkapsel.
Bei der Exstirpation des von der Kapsel der rechten Niere eines
2 jährigen Jungen ausgehenden Tumors musste die Resektion eines
3 cm langen Stücks der V. cava inf. gemacht werden (Heilung und
Rezidi vfreiiheit von 14 Jahr). Anknüpfend an den mikroskopischen
Befund (Drüsenschläuche, glatte Muskelfasern) bespricht D. die sogen,
embryonalen Mischgeschwülste der Niere und die Ansichten für und
wider die W i 1 m s sehe Hypothese von der Genese aus versprengten
Urnierenkeimen. Die 'im vorliegenden Falle zwecks radikaler
Operation unbedingt erforderliche Resektion der V. cava inf.. peripher
vor der Einmündung der linken V. renalis wurde anstandslos ver¬
tragen (6 Fälle von Resektion oder Ligatur der V. cava inf. aus der
Literatur mit 4 Heilungen).
Der kollaterale Kreislauf wurde analog den G o 1 d m a n n sehen
Versuchen, wie die Röntgenaufnahme der injizierten Vene beweist,
hauptsächlich durch die prä- und intravertebralen Kollateralbannen
übernommen.
Frangenheim: Ostitis gummosa mit Spontanfraktur.
Bei einem Fall von Spontanfraktur des rechten Radius wegen
Ostitis gummosa, die die häufigere Ursache pathologischer Spontan¬
frakturen bei Lues darstellt, wurde der Knochen partiell reseziert.
Die mikroskopische Untersuchung von Exzisionen aus Stellen der
Muskulatur in der Umgebung der Fraktur — im Röntgenbild bis an
die Ulna heranreichende periostale Auflagerungen — ergab „in die
Muskulatur hinreichend, und zwar in dem verbreiterten inter¬
muskulären Bindegewebe entwickelt grosse Inseln von hyalinem
Knorpel, die nach endochondralem Typus und durch Metaplasie des
Knorpels in Knochen übergeführt werden“. Eine Knochenneubildung
wie bei der normalen Frakturheilung (periostal oder direkt aus Binde¬
gewebe) war nirgends zu sehen.
Kudlek: Beitrag zur Pathologie und Physiologie der Patella.
Mitteilung eines Falles von zentralem Riesenzellensarkom der
Patella (2 Fälle aus der Literatur), die deswegen vor 2 Jahren (noch
Rezidivfreiheit) exstirpiert wurde. Mit Rücksicht auf das ausge¬
zeichnete funktionelle Resultat, das aus der Schonung der Quadrizeps-
sehne sich ergibt, empfiehlt Verf. die Exstirpation der Kniescheibe
auch bei „den entzündlichen Erkrankungen des Kniegelenks mit
Verwachsungen der Patella mit ihrer Unterlage“.
Iselin: Von den Zwerchfellverletzungen und ihren Folgen, den
Zwerchfellhernien.
Anschliessend an die 7 seit 1900 in der Baseler Klinik vorge¬
kommenen Zwerchfellverletzungen und eine Zwerchfellhernie be¬
handelt I. zusammenstellend die operierten perkutanen Zwerchfell¬
verletzungen, die Rupturen des Zwerchfells und die Zwerchfellbrüche.
Die vom Verf. durch eigene Beobachtungen und neuere Literatur¬
berichte auf die Zahl 90 gebrachten Verletzungen des Zwerchfells sind
weit überwiegend Stichverletzungen. Tiefer Sitz der Thoraxwunde,
deren Erweiterung zwecks Zwerchfellkontrolle wesentlich ist
(En derl en), Netzprolaps in die äussere Wunde sind wichtig für
die Diagnose. Lunge, Leber, Milz, Niere, Pankreas, Netz, Magen
waren in einer Reihe von Fällen mitverletzt. Vorfall von Netz war
am häufigsten bei Sitz der Wunde im 8. und 9., von Magen im 7.
Interkostalraum.
Bei der Unsicherheit der Heilung von Zwerchfellwunden ist die
exakte Naht indiziert. Man geht zweckmässig durch die vorhandene
Wunde unter Erweiterung vor, event. prolabiertes Netz wird ab¬
getragen, die Zwerchfellwunde bei Repositionsschwierigkeiten er¬
weitert; eine Kontrollaparotomie bei allen perforierenden Zwechfell-
wunden auf der linken Seite empfiehlt sich sehr. Der operative
Pneumothorax schwindet nach 8 Tagen.
Die an Häufigkeit den Stichverletzungen nicht nachstehenden
Rupturen des Zwerchfells, meüst selbständige bei Kompression von
Bauch oder Brust (rasche Vermehrung des Druckes in einer der
grossen Körperhöhlen oder vorübergehende Deformation des Brust¬
korbes) oder auch nach Erbrechen bei krankhafter Disposition des
Muskels auftretende Verletzungen sitzen weit mehr rechts wie links
(Leberschutz, Tierexperiment) und dann im Zentrum tendineum. Dia¬
gnostisch kann die Art des Traumas, der Ausfall der Funktion auf der
entsprechenden Thoraxseite, besonders aber die Symptome der
Zwerchfellshernie verwertet werden. Wegen häufiger Mitverletzung
von Abdominalorganen scheint die Laparotomie der empfehlenswerte
operative Weg. Ohne Operation fast immer tödlicher Ausgang, zu¬
weilen noch später infolge von Einklemmung oder Vergrösserung des
Bruches. Bisher 4 Operationen mit 50 Proz. Mortalität.
Das kasuistische Resultat der Zwerchfellhernien (letzter Teil der
Arbeit) umfasst 24 Fälle mit 8 Heilungen. Die Hernien sind entweder
kongenital (H. diaphragm. spur., ver., Eventratio diaphragmatis) oder
erworben (Trauma). Die Magenzwerchfellhernien sind der Diagnose
hauptsächlich durch genaue Auskultation und Perkussion zugänglich,
Röntgen gibt keinen sicheren Befund. Dickdarmzwerchfellhernien
werden meist erst bei der wegen Ileus vorgenommenen Laparotomie
diagnostiziert.
Die Reposition bei der Operation (querer Schnitt am linken
Rippenbogen auf dem Medianschnitt) kann event. nur durch künst¬
lichen Pneumothorax (Inzision oder Punktion der Pleura) möglich
werden. Der Defekt soll durch genaue Naht verschlossen werden,
event. kann ein Vorlagern der Leber oder Muskelplastik nötig werden.
Die inkarzerierten Dickdarmhernien haben wegen des späten
Auftretens der Einklemmungserscheinungen eine schlechte Prognose.
O f f e r g e 1 d: Ueber die Unterbindung der grossen Gefässe des
Unterleibes. Experimentelle und kritische Studien.
Verfasser gibt nach genauer Angabe der einschlägigen Literatur
eine Darstellung seiner systematisch bei Tieren (grössere Kaninchen,
Hund, Katze) ausgeführten Unterbindungen der grösseren Gefässe des
Unterleibs (Aorta vom Abgang der Art. nies. inf. bis zur Bifurkation,
V. cava von der Vereinigung der II. comm. bis zur Einmündung der
V. spermat. int., A. il. comm. jederseits, A. hypog. und il. ext., sowie
der gleichnamigen Venen) mit besonderer Berücksichtigung des Ver¬
haltens des Blutdrucks, der elektrischen Erregbarkeit und der Ent¬
wicklung des Kollateralkreislaufs.
Aus dem am Schlüsse der sehr lesenswerten Arbeit angegebenen
Ergebnis scheint folgendes sehr beachtenswert:
Da das Herz nach Unterbindung irgend eines der grösseren Ge¬
fässe des Unterleibes zur Ueberwindung des sich einstellenden Kol-
lateralkreislaufes (Blutdruck, Injektion des Gefässystems mit nach¬
träglicher Durchleuchtung) eine plötzliche Mehrarbeit zu leisten hat
(klinisch, anatomisch), ist für den Ausgang der Unterbindung der Zu¬
stand des Herzens und die Drucksteigerung ausschlaggebend.
Nach Unterbindung der Aorta wird das Herz in den meisten Fällen
insuffizient, sie ist daher nie anwendbar bei Gefässerkrankungen etc..
1394
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
bleibt vielleicht ultimum refugium bei akuter Anämie. Die danach
auftretenden Lähmungen sind peripherer Natur.
Dasselbe gilt von der doppelseitigen Ligatur der Art. il. commun.,
während die einseitige wenig gefährlich ist.
Die Unterbindung der Art. il. int. einseitig und doppelseitig ist
ebenso wie 'die Unterbindung der Art. il. ext. ungefährlich.
Nach Unterbindung der Art. femoralis kommt es beim Menschen
in 60 Proz. zur Gangrän, daher ist die Unterbindung der Art. il. comm.
vorzuziehen.
Während die Ligatur der V. femoralis noch etwas Paresen macht,
ist die der V. il. ext. von keinen Störungen gefolgt, ebenso wie dife
Ligatur der II. int. einseitig, während bei doppelseitiger Ligatur dieser
Vene Blasenstörungen möglich sind.
Einseitige Unterbindung der V. il. communis ist ungefährlich, die
doppelseitige Ligatur macht wie die der Cava inf. unterhalb der Ein¬
mündung der Nierenvenen „Symptome einer Mehrbelastung des Kreis¬
laufs“ ohne Organstörungen.
Lex er: Gelenkchondrome.
L. beschreibt einen Fall von „Chondromatose der Gelenkkapsel“,
eines von Reichel zuerst demonstrierten Krankheitsbildes, von dem
bis jetzt erst 2 Fälle — Reichel (Kniegelenk), Riedel (Hand¬
gelenk) — bekannt sind.
Es handelte sich um einen 27 jährigen Mann, dessen rechtes Knie¬
gelenk geringradig geschwollen, in leichter Beugestellung an allen
freiliegenden Teilen der Gelenkkapsel „kleinknollige, knochenharte
Tumoren“ fühlen Hess. Röntgen: „im Gebiete der ganzen stark er¬
weiterten Kapsel wolkige Schatten.“
Das Gelenk wurde unter Lumbalanästhesie extrakapsulär und
zwar, da eine Durchwucherung der Kapsel und der Muskeln den
Verdacht eines Chondrosarkoms nahelegte, in möglichst grosser Aus¬
dehnung reseziert mit nachfolgender Transplantation von Leichen¬
knochen, der allerdings später entfernt werden musste.
Das Präparat zeigte „die ganze Gelenkhöhle mit bläulichen,
knolligen Knorpelmassen“, von der Synovialis ausgehend, angefüllt.
Der mikroskopisch als „Chondrom mit reichlicher Verkalkung und
Verknöcherung“ imponierende Tumor ging von dem Gebiet der
Synovialis aus und verdrängte das Nachbargewebe, ohne es zu In¬
filtrieren.
Bezüglich der Genese handelte es sich nach L. um „Knorpelver¬
sprengungen aus der Entwicklungszeit, entstanden durch Fehler der
Mesenchymdifferenzierung bei der Gelenkbildung“.
Die einzig rationelle Therapie ist die Resektion, da nur durch sie
die Entfernung der Synovialis garantiert wird.
Kleinere Mitteilungen:
Eichel: Die isolierte Luxation des Os naviculare pedis.
Mit guten Abbildungen versehene Darstellung eines Falles von
isolierter Verrenkung des Os naviculare (9 Literaturangaben), die
blutig reponiert wurde.
Blech er: Ein Fall von Luxation aller drei Keilbeine.
Die seltene Verletzung (nur ein Fall in der Literatur) machte die
Resektion der drei Keilbeine nötig. Flörcken - Würzburg.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 21 — 23.
No. 21. K- F ö r s t e r 1 i n g - Hannover: Mitteilung zur Technik
der T h i e r s c h sehen Transplantation.
An die diesbezüglichen Vorschläge Vogels (No. 23 des Zentral¬
blatts) anschliessend, schildert F. die an Sch langes Abteilung
seit 10 Jahren bewährte Fensterung der Th i e r s ch sehen Läppchen,
bei der Misserfolge kaum Vorkommen. Die Anfrischung der Wunde
geschieht durch ein schmales Skalpell in der Weise, dass
etwa darunter liegendes schwieliges Narbengewebe mitent¬
fernt wird. Anwendung des scharfen Löffels wird in der
Regel vermieden. Nach Auflegung der stets nur grossen
Transplantationen fenstert man diese mit der Schere in
der Weise, dass die Stückchen dabei nicht exzidiert, sondern nur
aufgeklappt werden und so für etwa sich sammelnde Sekrete Abfluss
gesichert ist. Bei reiner Wunde wird der Verband erst am 6. Tage
entfernt; sezerniert die Wunde noch, so wird nach 3 — 4 Tagen der
Verband erneuert und je nach Befund feucht oder trocken behandelt.
H. Jacobsthal: Die Luxationsfraktur des Os navic. pedis,
eine typische Fussverletzung.
Nach 2 eigenen Fällen und insgesamt 43 von N i p p o 1 d ge¬
sammelten Fällen kommt diese Form ausschliesslich bei Erwachsenen
männlichen Geschlechtes als indirekte Luxationsfraktur durch Sturz
aus Höhe zustande, wobei der Fuss in Spitzfussstellung auf den Boden
auftrifft und in seiner Längsachse von beiden Seiten komprimiert wird,
wobei es auf dem Boden des Fussgewölbes an der am meisten in An¬
spruch genommenen Stelle des Dorsum zu Bandrupturen kommt,
Keilbein einerseits, Talus andrerseits zum Klaffen gebracht werden
und, plantar zusammengedrängt, das Navikulare dorsal herausquet¬
schen (wie die Finger den Kern einer geöffneten Pflaume), während
durch die Stärke der einwirkenden Kräfte das Navikulare dabei gleich¬
zeitig eine Kompressionsfraktur erleidet. — Von 16 Fällen war die
Verschiebung 14 mal eine dorsale.
No. 22. L a n z - Amsterdam: Experimenteller Ersatz des Mesen¬
terium.
Um die Frage zu entscheiden, ob und in welcher Ausdehnung
sich das Mesenterium durch Insertion des Netzes am Darm sub¬
stituieren lasse, führte L. entsprechende Tierversuche aus, indem er
bei einem Hund in mehreren Sitzungen, d. h. in ca. 1 — 2 monatlichen
Intervallen (anfangs in 3 cm, später in 9, 14, 25, zusammen schliess¬
lich insgesamt in 50 cm Ausdehnung) das Mesenterium einer Darm¬
schlinge ablöste und an dessen Stelle Netz (um das betr. Darmstück
herumgeschlagen oder einfach angenäht) an Stelle des Mesenteriums
befestigte. Es wurde hierdurch 'der Beweis geliefert, dass einem in
seiner Ernährung bedrohten Organ der Bauchhöhle vom Netz aus
Blut zugeführt werden kann. In einem Fall hat diese Methode L.
kürzlich praktischen Erfolg erwiesen, indem er bei Operation eines
Ileus bei vermeintlichem Karzinom der Flexura lienalis einen Volvulus
des S romanum vorfand, der durch Detorsion sich beseitigen Hess,
während der Tumor ein Carcinoma pylori war, das noch nicht zur
Retention geführt hatte. Bei der Resectio pylori (B i 1 1 r o t h II) bot
die Verwachsung des Mesocolon transv. mit der grossen Kurvatur
besondere Schwierigkeiten, resp. musste die Art. colica media aus¬
gedehnt isoliert und schliesslich ligiert werden; und da die Re¬
sektion des Colon transv. die Prognose des desolaten Falles zu un¬
günstig erscheinen Hess, so schlug L. das Netz über das Colon transv.
empor und befestigte seinen freien Rand mit einigen Knopfnähten in
den Schlitz des Mesocolon transv. Der Verlauf war reaktionslos. Pat.
wurde mit 7 kg Gewichtszunahme entlassen. Wenn auch nach trau¬
matischer oder operativer Ablösung des Darms von seinem Mesen¬
terium stets die Darmresektion das Normalverfahren bleiben wird,
kann nach L. immerhin in einem Ausnahmsfall, wie dem geschilderten,
das Netz berufen sein, eine Ersatzrolle zu spielen.
Willard B a r 1: 1 e 1 1 - St. Louis: Eine einfache Operationsmethodc
für Steine im Ureter.
B. empfiehlt fiir Steine mässiger Grösse in der Pars pelvica des
Ureters, die durch Röntgenstrahlen diagnostiziert sind, in der Weise
vorzugehen, dass von einem Längsschnitt am Aussenrand des Rektus
das Peritonum stumpf nach der Mittellinie zu verschoben wird. Der
Ureter haftet so fest am Peritoneum und die Verbindung zwischen
letzterem und der Fascia transv. ist so locker, dass man den Ureter
in die Wundöffnung ziehen und zwischen Daumen und Zeigefinger der
linken Hand leicht denselben in seinem Verlauf durch das Becken ver¬
folgen und den Stein palpieren kann. Sobald dieser gefunden, wird
er durch die beiden Finger festgehalten und mit der Spitze eines
scharfen Messers eine winzige Oeffnung in den Ureter gestochen. Der
Stein lässt sich überraschend leicht aus dem kleinen Loch heraus¬
drängen, dasselbe wird nicht vernäht, ein dünner Gummidrain von der
Nachbarschaft des Ureters zum unteren Wundwinkel herausgeleitet,
der Rest der Bauchwunde geschlossen. — Vier so operierte Patienten
verliessen innerhalb 2 Wochen das Spital in bester Gesundheit.
No. 23. W e d e r h a k e - Düsseldorf : Ueber eine einfache
trockene Entkeimungsmethode der Haut.
W., der mit der Heusner sehen Jod-Benzin- und einer jahre¬
lang von ihm versuchten Jod-Benzin-Paraffin-Desinfektion wegen der
Feuergefährlichkeit der Lösung nicht zufrieden war, auch mit einer
Jod-Paraffin-Tetrachlorkohlenstoff-Methode nicht, da das Paraffin nicht
sicher genug alle Poren deckt und entweder zu spröde oder zu leicht
schmelzbar ist, hält Harze statt der Handschuhe zu verwenden nicht
zweckmässig wegen der Reizung der Haut, auch Kautschuk und
und Gaudanin zu leicht verletzlich und abreibbar. Erst in einer von
Dr. Degen und K u t h - Düren nach seinen Angaben hergestellten
Lösungsform des Kautschuks glaubt W. den Ersatz der Gummihand¬
schuhe (ohne deren Nachteile) gefunden und eine Händedesinfektions¬
methode gegeben, die uns eine garantiert bakterienfreie Hand schafft,
da die Lösung nicht allein steril, sondern durch den Jodgehalt starke
antibakterielle Eigenschaften hat. Nach W. wäspht man die Hände ohne
Benutzung von Seife und Wasser 5 Minuten in einer Lösung von
1 Jod in 1000 Tetrachlorkohlenstoff mittels Bürste oder rauhen
Tupfers, überzieht dann die Hände mit der betr. Lösung so, dass keine
Hautstelle von der Kautschuklösung unbedeckt bleibt (indem man die
Lösung in die Handflächen giessen lässt und durch waschende Be¬
wegungen über die Oberfläche verteilt). Die Lösung ist schmiegsam
und elastisch, nicht feuergefährlich, klebt und schmiert nicht, reizt
nicht und widersteht allen Unbilden der chirurgischen Tätigkeit (so¬
fern man nicht kautschuklösende Mittel, wie Tetrachlorkohlenstoff,
Benzin, Chloroform anwendet). Die Decke ist so dünn, dass sie
kaum bemerkbar, das Gefühl in keiner Weise beeinträchtigt und lässt
sich nach der Operation durch einen mit Tetrachlorkohlenstoff ge¬
tränkten Tupfer leicht und vollständig wieder entfernen.
A. Schwarz- Berlin : Ueber Urinbefunde nach Lumbal¬
anästhesie mit Stovain. II. Teil.
Von 60 Stovainisierten, deren Urin untersucht wurde, blieben
21,67 Proz. frei von Nierenaffektion, 78,33 Proz. zeigten mehr oder
minder schwere Nierenstörung, deren Diagnose sich durch Zylinder,
speziell granulierte Zylinder, stellen iicss und deren durchschnitt¬
liche Dauer 6V2 Tage betrug. 30 mal konnte der Beginn der Nephritis
4 — 6 Stunden, 14 mal 24 — 30 Stunden, 4 mal 48 — 60 Stunden nach der
Stovainisierung beobachtet werden. Die Nephritis verlief stets
günstig, bleibende Nierenschädigung konnte nie festgestellt werden.
Sehr.
I Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1395
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 23 und 24. (Nachtrag
zum Referat in No. 26.)
H. Seil heim: Zur Wirkung der Uterusexstirpation auf die
^^NacfT'einer zuerst von Yarell 1827 aufgestellten Behauptung
,vird die Resektion des Legdarmes beim Huhn, welche der Uterus-
ixstirpation beim Menschen entspricht, in ihrer Wirkung der Ka¬
stration gleich gestellt. Das Ovarium soll danach schrumpfen, der
ranze Organismus sich verändern und die Henne dem Hahn ähnlich
'Werden S. prüfte diese Experimente nach und fand die Beobach¬
tung falsch gedeutet. Nach anfänglicher Verkleinerung der
| Ovarien machten dieselben später dieselben Veränderungen durch,
iSvie bei nichtoperierten Konfrontieren. Der Henne schadet die Ent¬
fernung des Legdarmes also nichts in Bezug auf die Funktion ihres
Ovariums. S. mahnt danach zur Vorsicht in der Deutung von
Folgeerscheinungen der Uterusexstirpation als „Ausfallssym-
i p t o m e“.
R. Baron Keyserlingk - Reval : Bossi-, Dülirssen-
und Klassischer Kaiserschnitt.
K. ist bei Eklampsie für möglichst rasche Entbindung. Er ver¬
wendet sowohl die stumpfe Dilatation nach Bossi wie den vaginalen
Kaiserschnitt nach D ii h r s s e n, je nach Lage des Falles. Bei Multi¬
paris mit Narben am Muttermund und älteren rigiden I-paris ist der
Bossi zu verwerfen. Dagegen ist er im allgemeinen in der Privat¬
praxis dem Diihrssen vorzuziehen, während in der Klinik letzterer
von K. bevorzugt wird. Zum Schluss berichtet K. über 9 ein¬
schlägige Fälle, davon 6 Bossi, 2 Dührssen und 1 klassischer Kaiser¬
schnitt. Die Prognose für das Kind ist bei allen Methoden gleich gut.
L. P r o c h o w n i k - Hamburg: Ueber Zapfentampons.
P. empfiehlt statt der flüssigen Tampons feste, ein Mittelding
zwischen Suppositorium und Globus vaginalis. Der Apotheker E.
Niemitz in Hamburg stellt diese „Zapfentampons“ aus rei¬
nem Glyzerin, Ichthyol, Belladonna, Zink und Tannin her. Der ziem¬
lich hohe Preis (2—3 Mk. pro 6 Stück) wird ihrer Verbreitung etwas
hinderlich sein. J a f f e - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 65, Heft 5 u. 6.
17) E. W i e 1 a n d - Basel: Zur Pathologie der dystrophischen
Form des angeborenen partiellen Riesenwuchses.
Detaillierte Wiedergabe der klinischen, sowie namentlich der
anatomisch-histologischen Befunde bei einem exquisiten Falle von
partiellem Riesenwuchs. 14 Abbildungen im Text.
18) L. F. Meyer: Zur Kenntnis des Stoffwechsels bei den ali¬
mentären Intoxikationen. (Aus dem städtischen Kinderasyl zu Berlin,
Oberarzt: Prof. F i n k e l s t e i n.)
Verf. schildert die für die Intoxikation als typisch aufzufassen¬
den Veränderungen des Stoffwechsels. Danach ist die normale
N-Retention gestört, es kommt sogar zu einem vermehrten Abbau
von eiweisshaltigem, d. i. Zellenmaterial (toxischer Eiweisszerfall) - —
auch die Endprodukte des Eiweissstoffwechsels unterscheiden sich
von der Norm. So konnte die bereits von Keller festgestellte er¬
höhte Ammoniakausscheidung als „absolut an den Zustand der In¬
toxikation gebunden“ dargetan werden. Auch die Funktion der Harn¬
stoffsynthese konnte als gestört erkannt werden. Der Zuckerstoff¬
wechsel ist in jedem Falle von Intoxikationserkrankung gestört und
kommt es, lange bevor die Assimilationsgrenze für die betreffende
Zuckerart überschritten ist, zur alimentären Glykosurie. Dabei
spricht Ausscheidung des Monosaccharids nach Verf. für eine herab¬
gesetzte Oxydation im intermediären Stoffwechsel — Ausscheidung
des Disaccharids für mangelhafte Funktion des Darmepithels. Der
• Fettstoffwechsel lässt in erster Linie eine Herabsetzung der Resorp¬
tion vom Darm aus erkennen, ist aber auch intermediär Störungen
ausgesetzt, erkenntlich an der Vermehrung des ausgeschiedenen
Azetons (Langstein und Meye r). Die Störung in der Wasser¬
bilanz — gesteigerte Abgabe — ist nur teilweise durch den Wasser¬
verlust von seiten des Darmes zu erklären — die forcierte toxische
Atmung soll nach Verf. einen beträchtlichen Wasserverlust invol¬
vieren, worüber jedoch exakte Messungen fehlen. (Dauerwägungen
— Ref.) Der Salzstoffwechsel — untersucht wurde auf Kochsalz —
liess während der Intoxikation eine negative Kochsalzbilanz fest¬
stellen, der in der Rekonvaleszenz eine erhöhte NaCl-Retention folgt.
Verf. begnügt sich vorläufig mit der Konstatierung der vor¬
liegenden Stoffwechselstörungen und hält es für verfrüht, etwa die
markanteste Alteration des Stoffwechsels, die Azidose, als Ursache
des Zustandes anzusprechen — abgelehnt wird jedoch als ätio¬
logisches Moment — besonders hervorgehoben — ein Infarkt.
Kleine Mitteilungen. E. S t i r n i m a n n - Luzern : Akute Leu¬
kämie und Adenotomie.
Vereinsberichte. — Literaturbericht von L. Lang st ein.
19) M. K o b - Königsberg: Klinische Beobachtungen an 12 Fällen
von obliterierender Herzbeutelentzündung als Teilerscheinung schwe¬
rer Herzaffektionen im Kindesalter.
Kasuistische Mitteilung.
20) W. Wernstedt: Beiträge zum Studium des Säuglings-
pylorospasmus» mit besonderer Berücksichtigung von seiner An-
geborenheit. (Aus Prof. M e d i n s Klinik im „Allmänna Barnhuset“
[Stockholm] und dem zootomischen Institut der Universität zu Stock¬
holm [Prof. Leche].)
Lesenswerte Studie über die bereits lebhaft diskutierte Frage,
ob der Pylorospasmus kongenital sei oder nicht. Trotz geschickter
Zitierung anderer Autoren und Beibringung eigenen neuen Materiales
(vergleichend anatomisches) muss der Verf. die Frage der „An-
geborenheit“ doch offen lassen. W. nimmt eine „gewisse Disposi¬
tion“ an, die in einer Vulnerabilität der die Retentions- und Evakua-
tionsphasen der motorischen Magenarbeit regulierenden Nervenele-
rnente bestehe. Das Thema fernerhin bearbeitende Autoren werden
gut ‘tun, die Arbeit gebührend zu berücksichtigen.
21) N. G u n d o b i n - Petersburg: Die Eigentümlichkeiten des
Kindesalters.
Dieser Artikel bildet die Einleitung zu des Verfassers Buch:
„Die Eigentümlichkeiten des Kindesalters“. Dieses Buch ist jm Jahre
1905 in russischer Sprache erschienen. Die Ausführungen, welche all¬
gemein medizinisches wie pädiatrisches Interesse haben, gipfeln in
der Forderung gründlicher Erforschung der Anatomie und Physio¬
logie des kindlichen Organismus, dazu seien neben den Kinderkliniken
die Asyle für Neugeborene und Säuglinge berufen.
22) Heinrich Bogen: Experimentelle Untersuchungen über
psychische und assoziative Magensaftsekretion beim Menschen. (Aus
der Universitätskinderklinik zu Heidelberg.)
Fütterungsversuche im Sinne Pawlows an einem 3jährigen
Knaben mit künstlicher Magenfistel (angelegt wegen totaler Narben-
striktur nach Laugenverätzung des Schlundes). Sowohl die Ver¬
suche über psychische Sekretion sowie die Assoziationsversuche
hatten ein positives Resultat; bei den letzteren liess sich sogar mit
der Abnahme des Reizes eine Abnahme der Azidität erkennen. Ner¬
veneinfluss?
Kleine Mitteilungen. Leo Baron: Ueber 2 Fälle von Hirsch-
Sprung scher Krankheit. (Aus dem grossen Friedrichs-Waisen¬
hause der Stadt Berlin in Rummelsburg, Oberarzt: E. Müller.)
Vereinsberichte. — Literaturbericht von L. Langstein. —
Buchbesprechungen. — Tagesnachrichten. — Sach- und Namen¬
register zu Bd. 65. 0. R o m m e 1 - München.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1907. 32. Bd.
4. — 6. Heft.
Hermann Schlesinger - Wien : Gekreuzte Hemichorea, an
den Gubler sehen Lähmungstypus erinnernd.
Der hier beschriebene, ganz ungewöhnliche Symptomenkomplex:
einseitige Lähmung des Fazialis, Hemichorea auf der gekreuzten Kör¬
perhälfte, kann nach der Ansicht des Verfassers nicht durch einen
Herd ausgelöst werden. Es müssen mehrere Krankheitslokalisationen
dafür verantwortlich gemacht werden. Schlesinger glaubt zwei
enzephalitische Prozesse, den einen im zerebralen Ponsende, den
anderen in der Bindearmbahn als Ursache für das vorliegende Bild
ansprechen zu müssen.
A. Wimmer- Kopenhagen : Die syphilitische Spinalparalyse.
Die mikroskopische Untersuchung der Medulla spinalis eines an
syphilitischer Rückenmarkserkrankung verstorbenen Patienten er-*
gab, dass neben einem mvelitischen Prozess im mittleren Dorsalmark
noch eine kombinierte Systemerkrankung vorlag. Ausgesprochene
Degeneration der Pyramidenseitenstrang- und Vorderstrangbahnen
oberhalb der Querschnittserkrankung deutet entschieden darauf
hin, dass es auch zu primären Strangdegenerationen gekommen
war.
Bittdorf: Ueber den sog. Verkürzungstypus bei Mitbewe¬
gungen, Reflexen und Paresen. (Aus der med. Klinik in Breslau.)
Als „Verkürzungstypus“ wird die gemeinsame Aktion der Ver-
kiirzer der unteren Extremitäten, also der Hiift- und Kniegelenks¬
beuger, der Dorsalflexoren des Fusses und der Zehen und der Heber
des inneren Fussrandes bezeichnet. Eine solche gemeinsame Tätig¬
keit dieser Muskeln stellt sich dann ein, wenn die willkürliche
Innervation der Beine Schaden gelitten hat (Pyramidenbahnerkran¬
kung). Unter diesen Umständen kommt es bei gewollter Bewegung
des einen oder anderen Verkiirzers zu einer Gruppeninnervation
sämtlicher Verkürzer. So tritt beim Versuch derartiger Kranker,
das Hiift- und Kniegelenk zu beugen, eine willkürlich nicht unter¬
drückbare Dorsalflexion des Fusses und der Zehen bei gleichseitiger
Hebung des inneren Fussrandes auf (S t r ii m p e 1 1 sches Phänomen).
Ebenso stellt sich dann bei gewollter Dorsalflexion der Zehen eine
willkürlich nicht unterdrückbare Anspannung des Tibialis anticus,
eline Dorsalflexion des ganzen Fusses und eine Beugung im Knie¬
gelenk ein.
Dieselben Erscheinungen finden sich nun auch bei den reflek¬
torischen Bewegungen dieser Kranken. Streicht man oder sticht
man in einem solchen Falle die Fussohle, so gerät die Verkürzer-
gruppe des Beines in Kontraktion. Dlie reflektorische Bewegung
gleicht auch darin der synergistischen, dass die distalen Verkürzer
am sichersten und frühzeitigsten in Tätigkeit geraten (Dorsalflexion
der grosen Zehe, B a b i n s k i sches Phänomen!).
Die Verlängerer der Extremitäten leiden bei Erkrankung
oder Ausfall der Pyramidenbahnen, wie bei der zerebralen oder
spinalen Halbseitenlähmung viel weniger als die Verkürzer. so
kommt es, dass Hemiplegier bald wieder mit gestrecktem, steif ge-
1396
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
haltenen Bein zu gehen vermögen. Die Strecker werden eher
wieder dem Willen zugänglich als die Beuger, die ihrerseits vielmehr
reflektorischen und synergistischen Einflüssen unterstehen. B i t -
t o r f glaubt diese Gesetze auf ontogenetischem und phylogene¬
tischem Wege erklären zu können.
.1 a k o b i - Ofen-Pest: Ueber Tetanie im Anschluss an 78 Fälle.
Die verhältnismässig grosse Anzahl von Beobachtungen der im
Titel genannten Krankheit veranlasste den Autor zu statistischen Er¬
hebungen. Diese bringen nichts wesentlich Neues. Interessant ist
nur wieder die Feststellung, dass die Tetanie in den kälteren Mona¬
ten des Jahres viel häufiger auftritt als in ‘den wärmeren und dass
von sämtlichen Berufsarten die Schriftsetzer und die Schuster das
grösste Kontingent stellen. Auf die Beziehung der T etanie zui Er¬
krankung oder zum Fehlen der Glandulae parathyreoideae geht der
Verfasser gar nicht ein.
L u d w i g - Kassel : Ueber Veränderungen der Ganglienzellen des
Rückenmarkes bei Meningitis cerebrospinalis epidemica.
Bei der histologischen Untersuchung des Rückenmarkes mehre¬
rer Fälle von Zerebrospinalmeningitis, die allgemeinen, hoch¬
gradigen Muskelschwund zur Folge hatten, konnten
schwere degenerative Veränderungen der Vorderhornganglienzellen
festgestellt werden. Zweifellos bestehen — wie dies auch, von
anderer Selite, so von W i ck m a n n- Stockholm betont worden ist
keine scharfen Grenzen zwischen der Meningitis epidemica und der
Poliomyelitis. Auch die letztere Erkrankung tritt bisweilen epidemie-
artig auf. Bei beiden Formen kann es zur Degeneration der Ganglien¬
zellen der Vorderhörner kommen. Bei der Meningitis cerebro¬
spinalis werden unter Umständen die motorischen Ganglienzellen der
ganzen Spinalachse geschädigt, während sie bei der Poliomyelitis
in der Mehrzahl sich erholen, so dass nur einzelne Gruppen dem
Schwund verfallen.
Veraguth und Cloetta: Klinische und experimentelle Be¬
obachtungen an einem Fall von traumatischer Läsion des rechten
Stirnhirns.
Das Dunkel über die Funktionen des Stirnhirns wird auch durch
die vorliegenden eingehenden neurologischen und psychologischen
Studien nicht gelichtet. Ein junger Mann hatte sich durch einen
schweren Sturz vom Rad eine Zertrümmerung des rechten Stirn¬
beines und der vorderen Partien des rechten Stirnhirnes zugezogen.
Abgesehen von einer rechtsseitigen Geruchsstörung waren nun weder
neurologische noch psychische Ausfallserscheinungen festzustellen,
die mit Sicherheit auf die Zertrümmerung des rechten Frontalpoles
hätten zurückgeführt werden können.
H. Krieger- Marburg: Vollständige postdiphtherische Oeso¬
phagus- und Kardialähmung.
Kurze, kasuistische Mitteilung.
Ad. Strümpell: Nekrolog auf Paul Julius Moebius.
Kleinere Mitteilungen. L. R. M ü 1 1 e r - Augsburg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 25 u. 26, 1907.
1) F. Kraus und G. F. N i c o 1 a i - Berlin: Ueber das Elektro¬
kardiogramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen.
Schluss folgt.
2) J. Veit-Halle a. S. : Die abdominale Exstirpation des kar-
zinomatösen Uterus.
Die Dauererfolge der vaginalen Uterusexstirpation sind nicht
befriedigend. Verf. ist nun in der Lage, eine Reihe von 20 abdomi¬
nalen Uterusexstirpationen mitzuteilen, unter welchen kein primärer
Todesfall vorkam. Alle Patienten genasen. Die primäre Mortalität
der Operation ist also heute eine verschwindend kleine geworden.
Die Herzschwäche als Todesursache fürchtet Verf. seit Einführung
der Spinalanästhesie nicht mehr. Unoperiert Hess Verf. jene Fälle,
in welchen schon eine Blasenscheidenfistel bestand oder das Kar¬
zinom das ganze Becken ausfüllte.
3) F. E i c h 1 e r - Charlottenburg: Experimentelle Beiträge zur
Diagnose der Pankreaserkrankungen. Die C a m m i d g e sehe „Pan¬
kreasreaktion“ im Urin.
Verf. stellt die bisher geübten chemisch-diagnostischen Me¬
thoden zum Nachweis von Pankreaserkrankungen zusammen und gibt
eine Darstellung der C a m m i d g e sehen Reaktion, über deren Ein-
zelnheiten das Original zu vergleichen ist. Er hat die Zuverlässigkeit
derselben an 3 Hunden geprüft, welche er pankreaskrank gemacht
hatte. Während der Harn dieser Tiere vor der Operation diese Re¬
aktion nicht ergab, war sie nach der Operation bei allen Versuchs¬
tieren positiv.
4) H. H i r s c h f e 1 d - Berlin: Ueber akute myeloide Leukämie.
Verf. berichtet unter Wiedergabe der differentialdiagnostischen
Einzelnheiten eingehend über die klinischen Erscheinungen und den
Sektionsbefund der 2 von ihm neuerdings beobachteten Fälle. In
beiden Fällen betrug die Verlaufsdauer nur 6 Wochen.
5) Senftleben - Breslau : Ueber die Entstehung des Hitz-
schlages.
Schluss folgt.
6) A. Plehn: Ueber perniziöse Anämie.
Vortrag in der Berl. med. Gesellschaft. Vergl. Angabe darüber
Seite 1309 der Münch, med. Wochenschr. In seinem Vortrag gibt P.
auch eine Darstellung der Therapie genannter Krankheit.
7) Hildebrandt - Berlin : Die chirurgische Therapie des
Magengeschwürs.
Nach der Statistik von Krönlein wurde in ca. 85 Proz. der
operierten Fälle ein positives Ergebnis erzielt. Die Frühoperation
bei der akuten Blutung ist zu verwerfen. H. bespricht die in Frage
kommenden Operationsmethoden, unter welchen für viele Chirurgen
heute die Gastroenterostomie das Normalverfahren darstellt. Diese
Operation schützt freilich auch nicht ganz zuverlässig vor Rückfällen.
Immerhin geht die Hvperazidität zurück oder verschwindet ganz.
Die Erfolge bei der akuten Blutung sind unsicher, bei wiederholten
Blutungen wird die Exzision bei günstiger Lage des Geschwüres
ausgeführt und die Gastroenterostomie angeschlossen. Perforierte
Magengeschwüre werden immer operativ behandelt, auch Verwach¬
sungen werden oft mit Erfolg operativ beseitigt.
No. 26. 1) C. B r u c k - Batavia: Die biologische Differenzierung
von Affenarten und menschlichen Rassen durch spezifische Blut¬
reaktion.
Aus den im Verlaufe der deutschen Java-Expedition des Prof.
N e i s s e r angestellten Untersuchungen ergab sich, dass es mit Hilfe
der Komplementbindung gelingt, die einzelnen Affenarten nach ihrer
Stellung im System und ihrem Verhältnis zum Menschen biologisch
zu differenzieren. Die Art Mensch steht nach dem Ausfall dieser
Untersuchungen biologisch ungefähr so weit vom Orang-Utan ent¬
fernt, wie dieser vom Macacus rhesus und nemestricus. Unterschiede
der einzelnen menschlichen Rassen untereinander Hessen sich mit den
gegen Affen gerichteten Immunseren nicht konstatieren. Mit Hilfe
eines gegen Vertreter der weissen Rasse gerichteten Immunserums
ist es jedoch möglich, diese von Angehörigen der mongolischen und
malayischen Rasse biologisch zu unterscheiden. Einer morphologisch
am höchsten stehenden Unterart gebührt dieser Platz auch biologisch
bezüglich ihres Eiweissbaues.
2) S p i e 1 m e y e r - Freiburg i. B.: Atoxyl bei Paralyse.
An der Freiburger Klinik wurden eine kleinere Anzahl von Para¬
lytikern mit Atoxylinjektionen behandelt. Es trat zwar eine Besse¬
rung des Allgemeinzustandes und leichtere Heilung von Hautaffek¬
tionen bei den Kranken ein, jedoch änderte sich am gewohnten Ver¬
laufe der Paralyse nichts, so dass diese Behandlung metasyphilitischer
Erkrankungen keine günstigen Aussichten eröffnet. Verf. hat die In¬
jektionen auch bei Tieren, welche mit Trypanosomen infiziert worden
waren, angewendet, doch konnte er das Leben der Tiere dadurch
nicht verlängern.
3) M. M o s s e - Berlin: Zur Lehre von der perniziösen Anämie.
Vergl. Referat S. 1202 der Münch, med. Wochenschr. 1907.
4) A. Schütze-Berlin: Ueber weitere Anwendung der
Methode der Komplementfixation.
Aus den Untersuchungen wird gefolgert, dass das Verfahren der
Komplementfixation eine sichere und einwandfreie Unterscheidung
zwischen dem echten Choleravibrio und den choleraähnlichen
Vibrionen nicht zulässt. Betreff der weiteren Einzelheiten und
Schlussfolgerungen muss der Originalartikel verglichen werden.
5) A. Selig- Franzensbad: Klinische Beobachtungen über die
Herzvibration.
Verf. hat den Einfluss der Vibration, welche er in der Herz¬
gegend und am Rücken applizierte, auf Puls, Atmung und Blutdruck
untersucht. Der Puls sank meist, blieb aber auch nicht selten un¬
beeinflusst. Nicht pathologisch erweiterte Herzen zeigten nach der
Vibration keine weitere Verkleinerung. Bei pathologischer Dilatation
wurde häufig eine Abnahme des Herzumfangs erzielt, oft schon nach
einer Anwendung. Anginöse Zustände bei Arteriosklerotikern wur¬
den öfter günstig beeinflusst. Das subjektive Befinden der Behandel¬
ten besserte sich auffallend häufig.
6) Goldschmidt - Reichenhall : Ueber die Anwendung des
Morphiums bei Asthma.
Verf. tritt für die Anwendung kleiner Dosen bei Asthma ein,
welche ohne Schwierigkeit wieder abgewöhnt werden können.
7) S e n f 1 1 e b e n - Breslau: Ueber die Entstehung des Hitz-
schlags.
Auf Grund persönlicher Beobachtungen und zahlreicher Blut¬
untersuchungen konnte S. feststellen, dass bei Zuständen von Hitz-
schlag das Hämoglobin aus den Blutkörperchen, welche zahlreiche
Veränderungen eingehen, austritt und dass von den scheinbar ver¬
mehrten weissen Blutkörperchen oft nur die Kerne übrig bleiben.
Das gelöst im Serum zirkulierende Hämoglobin führt zum explosions¬
artigen Zerfall weisser Blutkörperchen und damit zu einer sehr
raschen Zunahme des Fibrinferments im Blute. Dadurch tritt eine
Intoxikation ein, welche das eigentliche Wesen des Hitzschlags dar¬
stellt, und zu Gerinnungen, namentlich in den Lungenkapillaren, so¬
wie zu Gehirnlähmung führt. Aus diesen Vorgängen erklären sich
die klinischen Symptome der Erkrankung. Therapeutisch empfiehlt
Verf. ausser dem Aderlass besonders Eingiessungen von Kochsalz¬
lösungen in den Darm.
8) F. Kraus und G. F. N i c o 1 a i - Berlin: Ueber das Elektro¬
kardiogramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen.
Vergl. Referat S. 1202 der Münch, med. Wochenschr. 1907.
9) H. B e i t z k e - Berlin: Ueber eine neue Theorie in der Im¬
munitätslehre.
Nach den herrschenden 2 Haupttheorien bekämpft der Organis¬
mus die Wirkung der eingedrungenen Bakterien einmal durch den
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1397
Vorgang der Phagozytose oder durch die sog. Bakteriolysine. Ge¬
wisse im Serum vorhandene Stoffe, die sog. Opsonine, befördern die
Phagozytose, indem sie die Bakterien für die letztere vorbereiten. Es
gelang W r i g h t durch eine Vakzinimpfung die opsonische Kraft des
Blutserums zu steigern. Gegenüber den bakteriellen Allgemein¬
infektionen kommt es therapeutisch darauf an, den Reichtum des
, Serums an Opsoninen zu steigern. Darauf beruht z. B. die Wirkung
der Stauungstherapie, sowie jene der Finsenbehandlung.
Grassmann - München.
|
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 26.
1) Strasburger - Bonn : Ueber den Einfluss der Aorten-
, elastizität auf das Verhältnis zwischen Pulsdruck und Schlagvolumen
des Herzens.
Siehe Referat über den Kongress f. innere Med. 1907, Münch,
med. Wochenschr. No. 21, S. 1052.
2) C. A. E w a 1 d - Berlin: Idiopathische spindelförmige Erweite¬
rung der Speiseröhre.
In dem beschriebenen Fall wurde die klinisch gesicherte Dia¬
gnose durch Obduktion bestätigt. Aetiologisch wirkten offenbar
: Spasmus der Kardia und paretische Erschlaffung der Speiseröhren¬
wand, bei gleichzeitiger Hypertrophie ihrer Muskulatur, zusammen.
Der Vagus zeigte mikroskopisch keine Veränderungen.
3) D. G r ü n b a u m - Berlin: Milchsekretion nach Kastration.
Von 21 Fällen zeigten 14 mehr oder minder reichliche Sekretion
der Mamma nach Entfernung der Ovarien, in der 3. Woche nach der
Operation oder noch später beginnend, von mehreren Tagen bis zu
mehreren Monaten anhaltend.
4) Max J o s e p h - Berlin: Die allgemeine Therapie der Ge¬
schlechtskrankheiten. (Schluss.)
Fortbildungsvortrag.
5) Hauschild - Breslau : Ueber „Euferrol“.
Günstige Erfahrungen mit Euferrolkapseln bei Bluterkrankungen,
funktionellen Neurosen, chronischen Hautleiden, Erschöpfungs¬
zuständen. Das Mittel enthält Eisen und Arsen.
6) Theo Groedel II -Bad Nauheim: Abgang des Wurmfort¬
satzes per rectum bei eitriger Peritonitis.
Krankengeschichte, Sektionsbefund.
7) R. Z u e 1 z e r - Potsdam: Das orthopädische Stuhlband.
Eine einfache Vorrichtung zum Geradsitzen der Kinder (ab¬
gebildet).
8) Franz Z e r n i k - Steglitz: Neue Arzneimittel, Spezialitäten
und Geheimmittel.
9) R i e t s c h e 1 - Charlottenburg: Heizung und Lüftung in Kran¬
kenhäusern. (Schluss.)
Verf. empfiehlt für örtliche Erwärmung Warmwasserheizung,
für Lüftung Ventilatorbetrieb und Erwärmung der Luft an Warm¬
wasser- oder Dampfheizkörpern, sämtliche Anlagen unter Annahme
von Dauerbetrieb. Die Fernwarmwasserheizung (bei Pavillonsystem)
ist nur unter bestimmten Voraussetzungen empfehlenswert.
10) Edvard R a v n - Kopenhagen: Das Militärsanitätswesen
Dänemarks.
R. Grashey - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No._ 25. R. K r a u s und R. v. Stenitzer - Wien : Ueber Para¬
typhusgifte und deren Neutralisation mit Typhusantitoxin.
Es ist den Verfassern gelungen, mit dem Serum zweier Pferde,
welche mit steigenden Dosen von Typhuskulturfiltraten immunisiert
wurden, auf die Toxine zweier Paratyphusstämme antoxisch einzu¬
wirken. Mit dem Serum eines dieser Pferde liess sich ein Kaninchen
gegen Paratyphus- und Mäusetyphustoxin präventiv spezifisch
schützen.
A. v. T o r d a y - Ofen-Pest: Die Bedeutung der herabgesetzten
Salzsäureproduktionsfähigkeit in der Diagnostik der Magenerkran¬
kungen.
Die verschiedenen Einzelangaben lassen sich dahin zusammen¬
fassen, dass die Herabsetzung der Salzsäureproduktion eine bei den
verschiedensten Krankheiten zutreffende Erscheinung ist und jeden¬
falls in der Diagnostik des Magenkarzinoms nicht von beweisender
Bedeutung ist.
H. v. S c h r ö 1 1 e r - Wien: Zur Bronchoskopie bei Fremd¬
körpern. (Schluss folgt.)
A. Fuchs- Wien : Ein Fall von Scheu thauers „Kombina¬
tion rudimentärer Schlüsselbeine mit Anomalien des Schädels“
(Dysostose cleido-cränienne).
Beschreibung des Falles mit Abbildung.
A. T h e o d o r o v - Sofia: Ueber den Nachweis von Milzbrand¬
bazillen an Pferdehaaren.
Beschreibung eines dem in No. 22 von R u s s publizierten ähn¬
lichen Falles, wo bei einer verstorbenen Rosshaararbeiterin Milz¬
brand als Todesursache festgestellt und dann eine bakteriologische
1 Untersuchung der in der Fabrik befindlichen Rosshaarvorräte ein
positives Ergebnis hatte. Es besteht die Vermutung, dass die Haare
von Kadavern der im russisch-japanischen Kriege gefallenen Pferde
Stammen. Erwähnenswert ist auch, dass in den Organen des durch
die Sectio caesarea in mortua entwickelten toten Kindes Milzbrand¬
bazillen nicht zu finden waren.
M. v. Eisler-Wien: Erwiderung zu den Bemerkungen
L. Z u p n i k s über Spezifizität der Bakterienpräzipitine.
Kontroverse.
F. Strunz-Wien: Paracelsus in Oesterreich.
In dieser anziehenden biographischen Skizze wird be¬
sonders der Aufenthalt des Paracelsus in Oesterreich
von 1537 bis zu seinem Tode 1541 genauer erörtert: Der
Aufenthalt in Kromau (Mähren) der zweimalige Aufenthalt
in Wien 1537 und 1541, sein Leben in Villach und in
Salzburg, wo er starb. Eine Reihe seiner bedeutenden Schriften
ist in Oesterreich begonnen oder abgeschlossen worden.
No. 26. F. Chvostek: Beiträge zur Lehre von der Tetanie.
Die elektrische Uebererregbarkeit der motorischen Nerven.
Aus den ausführlichen Darlegungen ergibt sich, dass das E r b -
sehe Phänomen ein konstantes Symptom der Tetanie im akuten
Stadium ist und wenn genügend oft, zu verschiedenen Zeiten und an
verschiedenen Nerven untersucht wird, gleich der mechanischen
Uebererregbarkeit der motorischen Nerven immer zu finden ist.
In den Intervallen der Tetanie, auch wo noch zeitweilig Parästhesien
und Krämpfe Vorkommen, ist das Erb sehe Phänomen seltener als
das Fazialisphänomen. Das Phänomen ist daher nicht so sehr gegen
die übrigen Hauptsymptome, besonders der mechanischen Ueber¬
erregbarkeit überwiegend, dass man einzig und allein von seinem
Vorhandensein die Diagnose der Tetanie abhängig machen kann.
L. M o s z k o w i c z - Wien: Zur Technik der Operationen an
der Hypophyse.
Das Ziel dieser Operationen muss sein, bei der unvermeidlichen
Eröffnung der Meningen eine Infektion zu verhüten und nach der
Operation einen sicheren Abschluss der Oeffnung an der Schädel¬
basis gegen die Nasen- und Rachenhöhle herzustellen. Die von M.
vorgeschlagene Methode hat Aehnlichkeit mit der von Schlöffe r
(in No. 21) beschriebenen; sie soll aber zweizeitig ausgeführt
werden und es wird die Knochenlücke an der Schädelbasis durch
Transplantation eines Hautlappens von der unteren Stirngegend her
gedeckt und vor Infektion geschützt. Nachdem dieser Lappen an der
Schädelbasis angeheilt ist, wird die zweite Operation gemacht, nach
temporärer Ablösung der Spitze des Hautlappens die den Tumor
deckende Knochenspange abgetragen und dieser entfernt und dann
die Oeffnung an der Schädelbasis durch den Hautlappen wieder ge¬
schlossen. Alles Nähere vergl. im Original.
R. Kraus und S. Gross- Wien: Ueber experimentelle Haut¬
tuberkulose bei Affen.
Bei diesen, wie in früheren Versuchen gelang es an Affen ex¬
perimentell eine der menschlichen ähnliche Form der Hauttuberkulose
zu erzeugen. Es fand sich nun, dass dabei die progredienten, mit
Zerfall einhergehenden Formen (Perlsucht, Typus bovinus) wenige
Tuberkelbazillen enthalten, während die sich zurückbildenden durch
menschliche Bazillen erzeugten Itnpfprodukte ohne Zerfall ganz
ausserordentliche Bazillenmengen aufweisen; das letztere ist auch
bei den Affektionen nach Ueberimpfung von Vogeltuberkulose der
Fall.
J. R i c h t e r - Wien : Ein Fall von subkutan entwickeltem Plat¬
tenepithelkarzinom der Glutaealgegend.
Das subkutan entwickelte Kankroid dürfte aus der Wandausklei¬
dung eines sekundär epithelisierten, bei einer chronischen Follikulitis
entstandenen Abszesses sich gebildet haben.
H. v. Schroetter - Wien : Zur Bronchoskopie bei Fremdkör¬
pern. (Schluss.)
Der eine der beiden hier beschriebenen erfolgreich behandelten
Fälle ähnelt sehr dem von A. K i 1 1 i a n in No. 37, 1903 der Münch,
med. Wochenschr. publizierten Fall; in dem zweiten wurde bei einem
10 Monate alten Kinde ein Knochenstück von 8,6:11,5:1,6 mm am
nächsten Tage im Wege der oberen Methode (Tubus von 5 mm
Durchmesser, 18 cm Länge, Pinzette) ohne Narkose, ohne Lokal¬
anästhesie aus der Teilungsstelle des rechten Bronchus extrahiert.
Bronchopneumonie mässigen Grades. Heilung.
Bergeat - München.
Englische Literatur.
C. Arthur Ball: Der Schliessmuskel der männlichen Blase in
Beziehung zur Prostatektomie. (Practitioner, März 1907.)
Auf Grund einer Beobachtung am Menschen und mehrerer Ver¬
suche an Hunden kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass es nicht der
Compressor urethrae ist, der den Blasenschluss garantiert, sondern
der Sphinkter internus vesicae. Näheres ist in dem mit Abbildungen
versehenen Original nachzusehen.
Peverell S. Hi che ns: Zur Behandlung der Hämoptoe. (Ibid.)
Verf. lässt den Kranken in einem gut ventilierten Zimmer in
sitzender Stellung im Bette bleiben. Er gibt Morphium und sucht ihn
(was er für sehr wichtig hält) über den Blutabgang zu beruhigen.
Dann lässt er Terpentin einatmen und verordnet innerlich 3 mal
täglich 1,0 Chlorkalzium. Der Stuhl muss durch ein Bittersalz gut
geöffnet werden. Die Nahrung sei kalt und nicht nur flüssig. Steht
die Blutung nicht bald, so verordnet er Nitroglyzerin. Von den
sonstigen Hämostypticis sah er niemals Nutzen, oft aber Schaden.
A. J. Wallace: Ueber den Kaiserschnitt. Mit 16 Kranken¬
geschichten. (Ibid.)
1398
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28
13 Fälle werden wegen Beckenenge, 3 wegen Tumoren operiert.
Verf. empfiehlt einen Schnitt durch den Rektus, der nicht zu klein
sein darf. Es ist unnötig und schädlich, den Uterus vor die Bauch¬
höhle zu wälzen. Es ist viel besser, den Uterus in situ einzuschnei¬
den. Der Sitz der Plazenta wird am besten durch Vergleichung der
Breitendurchmesser der vorderen und hinteren Uteruswand erkannt.
Sie sitzt an der breitesten Wand. Er rät, den Uterus durch einen
Vertikalschnitt in der Mittellinie zu eröffnen. Den Fundusschnitt
verwirft er schon aus dem Grunde, weil der Uterus dazu vorgewälzt
werden muss. Er rät, wenn möglich nach guter Vorbereitung, bei
Tageslicht zu operieren und nicht zu warten, bis die Geburt be¬
gonnen hat. Er näht in 3, bei dickem Uterus in 4 Etagen. Verf. steht
auf dem Standpunkt, dass es unerlaubt ist, gesunde Organe funktions¬
unfähig zu machen, er verwirft deshalb die Sterilisierung der Frau.
Man muss aber dafür sorgen, dass etwa nötig werdende spätere
Kaiserschnitte möglichst ungefährlich verlaufen, und so näht er in
jedem Falle den Uterus an die Bauchwand, um feste Verwachsungen
zu erzielen und einen späteren Kaiserschnitt extraperitoneal aus¬
führen zu können. Von den 16 Müttern starb 1. Alle Kinder wurden
lebend geboren, 1 starb nach wenigen Stunden; 2 in den .ersten Mona¬
ten nach der Entlassung aus dem Spital; die übrigen sind gesund.
Der Todesfall bei der Mutter betraf eine Frau, die schon mehrere
Stunden kreisste und bei der ausserhalb schon verschiedene instru¬
menteile Eingriffe gemacht waren; es trat Sepsis ein. In einem der¬
artigen Falle hält Verf. es jetzt für besser, an Stelle des konserva¬
tiven Kaiserschnittes den Porro zu setzen.
Charles Leedham Green: Die antiseptische Wirkung metal¬
lischen Nahtmateriales. (Ibid.)
Auf Grund zahlreicher Versuche hat Verf. festgestellt, dass
Kupfer (und in geringerem Grade Messing und Bronze) einen sehr
stark hemmenden Einfluss auf das Wachstum der Bakterien aus¬
übt. Auch Eisen hat eine hemmende Wirkung, aber nur, wenn es
zum Rosten kommt. Blei und Silber haben fast gar keine hemmende
Wirkung; Gold, Platinum, Zinn, Aluminium, Magnesium und Nickel
überhaupt keine. Verf. hat deshalb den Silberdraht durch Bronze er¬
setzt (nicht Aluminiumbronze, sondern reine aus Kupfer und Zinn
bestehende Bronze). Dieser Draht ist billig, sehr biegungs- und
widerstandsfähig und reizt gar nicht. Er wirkt entschieden antisep¬
tisch. Auch reiner Kupferdraht wird gut von den Geweben ver¬
tragen.
J. Hogarth Pringle: Zur Messung des Femurhalses. (Ibid.)
Verf. ist mit den gewöhnlichen Massmethoden (Roser-Nela-
t o n, C h i e n e etc.) nicht immer zurechtgekommen und empfiehlt
deshalb warm folgende Methode. Man misst mit einem Messbande
die Entfernung von der Spitze des grossen Trochanters bis zur Spitze
des Malleolus externus oder zu dem am meisten vorspringenden
Punkte des Condylus externus. Findet man, dass diese Entfernungen
beiderseits gleich sind, so misst man von der Spina anterior superior
zu denselben Punkten, ist diese Entfernung beiderseits verschieden,
so beweist dies eine Verkürzung des Femurhalses. Schwere Ver¬
krümmung des Femurschaftes macht natürlich diese Methode unmög¬
lich, derartige Fälle sind jedoch selten.
W. Edward Ben nett: Die angeborene Verrenkung des Hüft¬
gelenkes. (Birmingham Medic. Review, März 1907.)
Verf. berichtet über 37 eigene Fälle. Er verwendet niemals
Apparate zur Extension, sondern nur seine eigene Hand, er hat des¬
halb auch niemals üble Zufälle erlebt. Von 10 doppelseitigen Fällen
wurden 6 sofort, 3 nach längerer Zeit eingerichtet, 1 Fall wurde nicht
reduziert. Von 17 einseitigen Fällen wurden 14 sofort, 2 nach einiger
Zeit reduziert, 1 Fall misslang. Von den 10 doppelseitigen Fällen
wurden 4 völlig geheilt, bei 3 wurde ein guter, bei 2 ein massiger
Enderfolg erzielt, 1 Fall misslang. Bei den 17 einseitigen Fällen
wurde 9 mal ein sehr gutes, 2 mal ein mässiges und 1 mal ein schlech¬
tes Resultat erzielt. Näheres im Original.
William Billington: Zur Nachbehandlung Laparotomierter.
(Ibid.)
Die Hauptsache ist, das Auftreten von Darmlähmung zu ver¬
hüten. Man darf nach Laparotomien kein Opium geben, den Schmerz
bekämpfe man mit Aspirin (0,75). In den ersten 24 Stunden erhält
der Kranke nur warmes Wasser per os, hiervon aber reichliche
Mengen. Kaltes Wasser, Eis, Milch sind schädlich. Bei starkem
Durst gebe man mehrere Kochsalzklystiere und eventuell subkutane
Kochsalzinfusionen. Sobald der leichteste Meteorismus auftritt oder
keine Winde abgehen, gebe man Terpentinklysmen und führe ein
Darmrohr ein. Wirkt dies nicht, so ist Kalomel das beste Abführ¬
mittel (0,3 nach 48 Stunden); man kann bis zu 0,75 am Tage geben,
wenn man gleichzeitig Klystiere anwendet. Handelte es sich um
schon bestehende Peritonitis bei der Operation, so mache man eine
möglichst kurze Operation. Man entferne die Ursache (perforierten
Wurm, Magengeschwür etc.); Auspackungen der Därme, Massen¬
spülungen, langes Tupfen etc. sind schädlich. Man gebe sofort reich¬
liche Kochsalzklysmen und Infusionen (eventuell intravenös). Der
Kranke muss in halb sitzende Stellung gebracht werden, so dass
der Eiter ins Becken sinkt. Kalomel und Terpentinklysmen sind
auch hier das beste Mittel, um die Darrntätigkeit anzuregen.
W. Osler: Zur Frage der Zerebrospinalmeningitis. (Edinburgh
Medic. Journal, März 1907.)
Aus den Ausführungen des bekannten Klinikers sei nur hervor¬
gehoben, dass er die mehrfach wiederholte Spinalpunktion warm emp
fiehlt. In sehr schweren Fällen rät er zu permanenter Drainagt
nach Entfernung eines oder mehrerer Dornfortsätze. Sonst ist nui
noch das häufige warme Bad oft von grossem Nutzen. Vom h lex-
n e r sehen Serum verspricht er sich gute Erfolge.
F. H. A. M a r s h a 1 1 und W. A. J o 1 1 y : Der Einfluss der Ova¬
rien auf den Uterus. (Ibid.)
Die experimentelle Arbeit eignet sich wenig zum Referat. Nacl
der Ansicht der Verff. wird im Ovarium eine Substanz ausgeschieden
das Hormon, das die Menstruation hervorruft; im Corpus luteun
wird eine Substanz gebildet, die zur Ernährung des Embryo währent
der ersten Schwangerschaftsperiode beiträgt. Die Gegenwart ge¬
sunden Eierstocksgewebes ist unbedingt nötig für die Ernährung de;
Uterus, der Einfluss der Ovarien auf den Uterus ist chemischer unc
nicht nervöser Natur; dies geht daraus hervor, dass erfolgreich trans¬
plantierte Ovarien, obwohl ihr nervöser Zusammenhang mit den
Uterus zerstört ist, doch dieselbe Wirkung auf ihn ausüben. E:
scheint, als ob der Einfluss der Ovarien auf den Uterus nicht nui
während der Menstruation und Schwangerschaft, sondern währent
des ganzen geschlechtsfähigen Alters ein durchaus notwendiger sei
William Eider und Nena Jevers: Zur Frage der Zerebro¬
spinalmeningitis. (Scottish Med. and Surgic. Journal, März 1907.
Die Verf. berichten über eine Epidemie der Genickstarre ir
Leitli. Sie glauben, dass der Pneumokokkus und der Diplococcus
intracellularis nahe miteinander verwandte Organismen sind. 2 Fällt
wurden mit de R e n z i s Pneumokokkenserum behandelt, ein Fal
wurde gesund, der zweite wurde vorübergehend wesentlich ge
bessert. Die Besserung war in jedem Falle eine sehr deutlich wahr
nehmbare nach jeder Einspritzung, die Kranken wurden ruhiger, du
Temperatur fiel zur Norm und Schlaf stellte sich ein. Die Verff
empfehlen häufiger wiederholte Lumbalinjektionen und Kochsalz
infusionen.
J. Hogarth Pringle: Die Blutung aus dem Sinus der Dun
mater. (Ibid.)
Verf. gibt die Krankengeschichten von 6 eigenen Fällen. Er emp
fiehlt, die Blutung durch Tamponade zu stillen, nur wenn dies nich
gelingt oder der Tampon Drucksymptome macht, unterbindet e
seitlich oder zirkulär. Dies ist stets schwierig und die Tamponad<
deshalb vorzuziehen.
Elizabeth T. Fraser: Der Wert des tuberkulo-opsonischen In¬
dex als diagnostisches Hilfsmittel. (Glasgow Med. Journal, Mär;
1907.)
Bei gesunden Personen (es wurden 41 gesunde Personen unter
sucht) steht der tuberkulo-opsonische Index zwischen 0,8 und 1,2
Indizes jenseits dieser Grenzen sind als pathologisch aufzufassen
Nichttuberkulöse Erkrankungen (mit Ausnahme einiger Fälle voi
Pneumonie, Diabetes und Keuchhusten) sowie hereditäre Belastung
mit Tuberkulose ändern diesen Index nicht. Bei tuberkulösen Kran
ken kann der Index zwischen 0,2 und 0,3 und 2,4 oder noch höherei
Werten schwanken. Bei 75 Proz. aller tuberkulösen Individuen finde
man schon bei der ersten Untersuchung einen Index unter 0,8 odei
über 1,2. Findet man einen derartig hohen oder niedrigen Index
so kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass das Individuun
tuberkulös ist. Bei den 25 Proz. der Fälle, bei denen bei der erstei
Untersuchung ein normaler Index gefunden wurde, handelte es siel
entweder um streng lokalisierte Fälle von Tuberkulose oder um wei
vorgeschrittene mit deutlichen Allgemeinsymptomen. Bei vielei
streng lokalisierten Fällen findet man einen Index, der weit über L-
steht. In diesen Fällen kann man nach W r i g h t s Vorgang eint
vergleichende Probe zwischen dem opsonischen Index des Blute:
und etwa der Pleuraflüssigkeit oder des Eiters aus einem kaltei
Abszess anstellen. Ist das Exsudat ärmer an Opsoninen als das Blut
so spricht dies für Tuberkulose. Bei Fällen von Tuberkulose, w(
Autointoxikation stattgefunden hat und wo bei der ersten Unter
suchung ein normaler Index gefunden wurde, kann man die Phago
zytenprobe mit erhitztem Serum anstellen. Findet man nämlich ii
einem für 10 Minuten auf 60 0 C. erhitzten Serum noch die Fähig
keit, die Phagozytose anzuregen, so kann man daraus schliessen
dass der Organismus entweder durch Autoinokulation oder durcl
Impfung mit Tuberkulin „Inzitoren“ produziert hat; dass also, wem
kein Tuberkulin eingespritzt war, eine Autoinfektion vorausgegangei
sein muss, d. h. dass der betreffende Kranke einen tuberkulösen Her*
im Körper trägt. Gelingt es durch alle diese Versuche nicht, fest
zustellen, ob ein Individuum tuberkulös ist, so impfe man es mi
kleinen Mengen von Tuberkulin und bestimme vor und nach dei
Impfung den opsonischen Index. Bei Tuberkulösen tritt stets nacl
der Impfung eine Herabsetzung des opsonischen Index (negativ*
Phase) auf. Man benutzt 1/iooo mg T. R. Die Verf. schliesst ihr*
interessante und sorgfältige experimentelle Arbeit mit den Worten
das der theoretische Wert dieser Opsoninbestimmungen viel grössei
ist als der praktische. Die Bestimmung des Index ist technisch sehi
schwierig und zeitraubend und kann nur in einem gut geleitetei
Laboratorium von einem in der Methode sehr erfahrenen Unter
Sucher mit Anspruch auf Genauigkeit ausgeführt werden.
James Little: Die Behandlung des Magengeschwüres. (Dublii
Journal of Medicine.) . _ .1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1309
9. Juli 1007.
Sir Charles Ball: Die Behandlung des nicht malignen Magen¬
geschwüres. (Ibid.)
James Alexander Lindsay: Die Diagnose und Behandlung des
Magengeschwüres. (!bid.)
A. Brownlow Mitchell: Die chirurgische Behandlung des
Magengeschwüres. (Ibid.)
Die obigen 4 Arbeiten geben die Ansichten von 4 bekannten
irischen Klinikern (2 Chirurgen und 2 Internisten) wieder. Die Inter¬
nisten empfehlen Ruhe und Diät, wobei allerdings davor gewarnt
wird, den Kranken auf zu strenge Diät zu setzen. Die Chirurgen
glauben, dass die Mehrzahl der intern behandelten Fälle rezidivieren
und dass nur in der hinteren Gastroenterostomie das Heil liegt.
Wie es dem Refer. scheint, wird augenblicklich in Grossbritannien
(namentlich von einigen Chirurgen in der Provinz) ein bischen viel
auf dem Gebiete der Magenchirurgie geleistet. Immerhin dürfte
eine Einigung zwischen Chirugen und Internisten schon deshalb kaum
zu erzielen sein, weil beide ganz verschiedene Gruppen von Fällen
sehen. So thöricht es ist, bei jedem vermuteten Geschwür bei
chlorotischen Mädchen gleich zu operieren, so unhaltbar ist die An¬
sicht mancher Internisten, dass man chronische, kallöse Geschwüre
des Magens oder Duodenums auf interne Weise heilen kann. Leider
glauben aber manche Internisten, durch das Gebahren einiger Chi¬
rurgen geängstigt, dass ihnen die Chirurgie allmählig alles fortnehmen
will und so klammern sie sich krampfhaft an jeden Fall, der in ihre
Hände kommt und ziehen den Chirurgen höchstens dann zu, wenn
infolge allzulangen Wartens überhaupt nichts mehr zu machen ist.
Wenn manche Internisten etwas freigebiger und manche Chirurgen
etwas zurückhaltender wären, dürfte sich eine Einigung schon er¬
zielen lassen.
Thomas Fiaschi: Ersatz der Tibia bei einem Kinde. (Austra-
lasian Med. Gazette, November 1906.)
Sehr interessante Operationsgeschichte. Bei einem 5 jährigen
Mädchen war infolge von Sepsis das mittlere Drittel der Tibia ver¬
loren gegangen, es bestand an dessen Stelle nur ein bindegewebiges
Band ohne jedes Zeichen von Ossifikation. Verf. frischte beide
Knochenenden an, nachdem er durch Entfernung des bindegewebigen
Stranges eine Höhle zur Aufnahme des transplantierten Knochens ge¬
schaffen hatte. Dann meisselte er einen Hautperiostknochenlappen
von dem oberen Tibiaende ab, bildete einen schmalen Stiel und
schlug ihn nach unten, wo er mit dem unteren Tibiaende vernäht
wurde. Beide Lappen heilten gut an und bildeten nach einigen Mo¬
naten eine feste Knochensäule, die das Körpergewicht gut trägt.
H. P. Hawkins: Die idiopathische Erweiterung des Kolons.
(Brit. Med. Journal, 2. März 1907.)
Verf. veröffentlicht in dieser Arbeit 9 eigene Krankengeschichten
dieser merkwürdigen Krankheit, bei der es zu einer Erweiterung des
Kolons kommt, ohne dass ein inneres oder äusseres Hindernis vor¬
liegt. Er glaubt, dass es sich ätiologisch um einen angeborenen
nervösen Defekt handelt und schlägt vor, die Krankheit in Zukunft
als „neuropathische Dilatation und Hypertrophie“ zu bezeichnen. Er
glaubt, dass die Krankheit im Beginn durch einen chirurgischen Ein¬
griff heilbar ist. In den späteren Stadien tritt die schliesslich zum
Tode führende Töxämie oft so rapid und unerwartet ein, dass eine
Behandlung zu spät kommt. Die beste Operation (Verf. selbst ist
Internist) ist die Fixation des erweiterten Kolonabschnittes und die
gleichzeitige Anlegung einer Anastomose zwischen Ileum und Colon
pelvicum. Die Kolotomie ist nutzlos, die Resektion des erweiterten
Kolons unerlaubt. Die Symtome der Krankheit bestehen in einer
seit allerfrühester Jugend (angeboren) bemerkten Verstopfung, bei
der aber das Allgemeinbefinden oft lange auffallend gut bleibt. Die
Verstopfung wechselt oft mit Durchfällen. Der Bauch ist mehr oder
weniger aufgetrieben. Schmerzen und Erbrechen fehlen gewöhnlich.
Man findet die Krankheit häufig vor dem 10. Lebensjahre und dann
nach dem 40. In den dazwischenliegenden Jahren ist sie sehr selten.
In der Jugend handelt es sich meist um Knaben, später werden
Männer und Frauen gleich häufig betroffen. Verf. gibt dann die ge¬
nauen Geschichten seiner Fälle. 2 wurden kolotomiert und starben,
bei 1 brachte eine Probelaparotomie Besserung, je einer wurde
durch Anastomosenbildung ohne und mit Fixation des Kolons geheilt,
4 starben ohne Operation.
Fr. Eve: Operationsmethoden zur Entfernung maligner Tumoren
vom Nasopharynx. (Ibid.)
Nach vorhergegangener Unterbindung der Carotis externa und
Tamponade der Trachea macht man einen Schnitt, der vom Mund¬
winkel zum unteren Rande des Jochbeins (vorderer Masseterrand)
reicht. Der Speichelgang wird aufgesucht, nach vorne verfolgt und
an seiner Mündung zirkulär Umschnitten, so dass er zurückgelegt
werden kann. Das Jochbein wird mit einer Giglisäge durchtrennt,
welche durch die Fissura sphenomaxillaris eingeführt wird. Das
Mukoperiost des harten Gaumens und Alveolus wird in der Mittel¬
linie gespalten, und dann werden diese Knochen ebenfalls mit einer
Giglisäge durchtrennt. Nachdem man den weichen Gaumen vom
barten bis zum Alveolarrande gelöst hat, wird ein stumpfer, breiter
Meissei zwischen Tuberositas maxillae superiores und Flügelfort¬
sätzen eingetrieben. Indem man den Griff des Meisseis nach rück¬
wärts drückt, hebelt man den Oberkiefer aus seinem Bette und legt
ihn nach oben und vorne. Die Fazialisäste, die den Orbicularis oculi
versorgen, werden bei dieser Operation geschont. Nach der Ope¬
ration geniigi eine Silbernaht des Jochbeins, um den Knochen in
guter Lage zu erhalten. Verf. beschreibt dann noch eine ähnliche
Operationsmethode, bei der die Hautnarbe im Gesicht vermieden
wird und auch der Fazialis und der Speichelgang sicher geschont
werden können. Während er aber die erste Operation erfolgreich
am Lebenden ausgeführt hat, hat er die letztere nur an der Leiche
geübt.
W. S. Bainbridge: Trypsin bei der Krebsbehandlung. (Ibid.)
Seit einiger Zeit hört man in England viel von den Erfolgen,
die in England und Amerika mit Trypsineinspritzungen bei Krebsen
erzielt worden sein sollen. Ganz besonders hat ein Fall auch in der
Tagespresse viel von sich reden gemacht. Dieser von Morton in
NiewYork als geheilt veröffentlichte Fall von Brustkrebs wird nun
von Bainbridge aufs neue veröffentlicht. Er gibt die genaue
Krankengeschichte mit den Operationsprotokollen und den verschie¬
denen Ergebnissen der pathologischen Untersuchungen. Nachdem
Bainbridge die angeblich durch Trypsin und Amylopsin geheilte
krebsige Brustdrüse entfernt hatte, zeigte es sich, dass es sich um
einen gewöhnlichen Skirrhus handelte, der von anderen nicht so be¬
handelten Skirrhen nicht abwich. Nach der Operation wurde die
Trypsinbehandlung nochmals aufgenommen, es kam aber trotzdem
zur Ausbildung eines rasch wachsenden Rezidives, das ebenfalls
operativ entfernt wurde und bei dem auch degenerative Prozesse,
die etwa auf die Trypsinbehandlung zurückgeführt werden konnten,
vollkommen fehlten.
Leonard Rogers: Kala-Azar. (Ibid. und 9. März 1907.)
Verf., der Pathologe in Kalkutta ist, gibt in dieser Arbeit eine
zusammenfassende Studie über die als Kala-Azar bekannte Krankheit.
Er empfiehlt im Gegensatz zu anderen Beobachtern grosse Dosen
von Chinin, die unter Umständen Monate lang fortgenommen wer¬
den müssen. Es ist ihm gelungen, das hohe remittierende Fieber
durch Tagesdosen von 4 — 6 g Chinin rasch in ein harmloses, niedriges
intermittierendes Fieber umzuwandeln. Sobald das Fieber inter¬
mittierend und niedrig geworden ist, genügen Tagesdosen von 1,25.
Es gelang ihm auf diese Weise 25 Proz. (500 Fälle) seiner Fälle zu
heilen. Sehr häufig wird die Krankheit, wenn sie sporadisch auf-
tritt, als Malariakachexie diagnostiziert. Sie ist weit über Hinter¬
indien verbreitet und tritt hier oft epidemisch auf. Es ist dem Verf.
gelungen, den Erreger ausserhalb des Körpers zu züchten.
E. W. White: Die Behandlung beginnender und zweifelhafter
Geisteskrankheiten in der Privatpraxis. (Brit. Med. Journal, 9.
März 1907.)
Verf. plaidiert warm für die Behandlung derartiger Fälle in
Privatanstalten, die nicht den Charakter der Irrenhäuser tragen.
Das ist bisher in England so gut wie unmöglich, da jeder dieser
Fälle, wenn er überhaupt in einer Anstalt oder selbst im Hause eines
Arztes behandelt werden soll, durch eine Gerichtsbehörde als geistes¬
krank notifiziert werden muss. Verf. bespricht die einzelnen Fälle
der Geisteskrankheiten, wie sie in der Praxis Vorkommen und vor
allem die Grenzfälle und gibt kurze Winke für die beste Behandlung
derselben.
P. J. Frey er: Die totale Ausschälung der Prostata bei Hyper¬
trophie derselben. (Ibid.)
Verf. berichtet über weitere 119 Fälle, die er mit einer Mortalität
von 9 Fällen (7V2 Prozent) operiert hat. Das Alter der Kranken
schwankte von 50 — 86 Jahren, das Gewicht der enukleierten Drüsen
von 15,0—280,0. Die 110 Fälle, welche die Operation überstanden,
wurden vollkommen geheilt. Verf. plaidiert in Hinsicht auf die 9
Fälle, die im Anschluss an die Operation meist an Urämie starben,
für eine frühzeitigere Vornahme der Operation, d. h. zu einer Zeit,
wo noch keine schwereren sekundären Veränderungen der Nieren
vorhanden sind. (Ein grosser Teil der Arbeit enthält einen Streit
mit Dr. F u 1 1 e r - NewYork, der die Priorität der sogen. Frey er¬
sehen Operation für sich in Anspruch nimmt. Wir haben schon soviel
von diesen Zänkereien über die Priorität gehabt, dass es besser
wäre, Freyer Hesse diesen Punkt ruhen, benützte aber die da¬
durch gewonnene Zeit, um uns einmal über die Dauerresultate seiner
Operierten zu berichten. Es wäre doch sehr nützlich, zu wissen, wie
z. B. seine ersten 50 Operierten, deren Operation jetzt doch schon
zirka 5 Jahre zurückliegt, sich heute befinden. Refer.)
W. Winslow Hall, E. G. Carter, B. R. Howard: Zur
Serumbehandlung des Tetanus. (Ibidem.)
In dieser Arbeit wird über 3 Fälle von Tetanus berichtet, die
nach Antitoxinbehandlung geheilt wurden. Der erste Fall, 8jähr.
Knabe, litt offenbar an einem relativ gutartigen, chronisch einsetzen¬
den Tetanus, der sich nach 1 Einspritzung von 60 und 2 Ein¬
spritzungen von je 30 ccm Serum rasch besserte. Im zweiten Falle,
der einen 22 jähr. Bauer betraf, traten Tetanussymptome 8 Tage
nach einer Pfählungsverletzung des Hodens auf. Es wurden 17
Tage lang alle 12 Stunden 20 ccm Serum (Listerinstitut) eingespritzt,
dann 10 Tage lang 10 ccm. Im Ganzen wurden 83 Injektionen ge¬
macht. Nach jeder Einspritzung war die Zahl der Anfälle und ihre
Stärke entschieden für einige Stunden vermindert. Völlige Heilung
trat erst nach einigen Monaten ein. Verf. meint in der Epikrise,
er hätte anfänglich grössere Quantitäten Serum einspritzen sollen.
Der dritte Fall betraf einen Arbeiter, der 2 Tage nach einer ober¬
flächlichen Verletzung der Hand an Tetanus erkrankte. In 5 Tagen
wurden 110 ccm Serum inijziert (Burroughs, Wellcome & Co.).
Es trat rasch Heilung ein. (Schluss folgt.)
1400
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28
Inauguraldissertationen.
Universität Erlangen. Mai — Juni 1907.
7. Jünger ich Wilhelm: Ein Beitrag zur operativen Behandlung
der Larynxtuberkulose.
Universität Freiburg. Juni 1907.
32. Löwenhaupt Hans Kurt: Ueber postepileptische Sprach¬
störungen.
33. Geis Franz: Ueber das Vorkommen infektiöser Bindehauterkran¬
kungen in Oberbaden.
Universität Greifswald. April — Mai 1907.
9. H e 1 b i c h Hans: Ist hohe Säuglingssterblichkeit eine Auslese im
Darwin sehen Sinne?
10. Runge Arthur: Zwei Beiträge zur Frage der Blasenmole und
des malignen Chorioepithelioms.
Universität Giessen. Juni 1907.
25. Massig Paul: Ueber die Verbreitung des Muskel- und elasti¬
schen Gewebes und speziell über den Verlauf der Muskelfasern
in der Wand der Wiederkäuermägen.*)
26. Rabi nowitsch Calman : Experimentelle Untersuchung über
den Einfluss der Gewürze auf die Magensaftbildung.
27. Steinbrecher Martin: Die Schätzung der Transversa des
Beckeneingangs nach L ö h 1 e i n. Nachgeprüft an 74 Bänder¬
becken.
28. O e 1 k e r s Viktor: Die Ueberbeine am Metakarpus des Pferdes. *)
S. A. aus Monatshefte f. pr. Tierhlk., Bd. 18.
29. Kaznelson Helene: Scheinfütterungsversuche am erwachsenen
Menschen.
30. Stolz Willi.: Ein Beitrag zur Kenntnis des Pankreassteapsins.*)
31. Sturhan Herrn.: Ueber die Bindung des Chloroforms im
Blute. *)
32. Kunst Albert: Bericht über die Wirksamkeit der Universitäts-
Augenklinik vom 1. April 1902 bis zum 31. März 1903.
33. Gerhardt Heinrich : Beiträge zur Nervennaht. *)
Universität Königsberg. April, Mai und Juni 1907.
8. Holland Joh. Friedr. : Ueber den tuberkulösen Tumor der
Flexura sigmoidea.
9. Meierfeldt Rieh.: Ein Beitrag zu den funktionellen Unfalls¬
nervenkrankheiten.
10. Rehberg Theod.: Darminvagination durch Askariden.
11. Ru pp Walter: Ueber Aneurysmen der Arteria glutaea superior.
12. Sieber t Rieh.: Ueber „retrograde Inkarzeration“ des Darmes.
Universität München. Juni 1907.
42. Nothmann Hugo: Zur Kritik der Reifezeichen der Frucht.
Untersuchungen an 14)0 Neugeborenen.
43. Cobliner Samuel: Haben die mikroskopischen Vorgänge bei
der Abstossung der Nabelschnur forensisches Interesse?
44. C a s p a r y Leo: Die Wendung nach Braxton H i c k s bei Placenta
praevia von 1901 — 1905 inkl.
45. Durm Leopold: Beitrag zur Kasuistik der Kieferzysten.
46. Heinemann Henry: Die Spontanruptur des Herzens.
47. Zantl Friedrich: Innere Einklemmung und Ileus durch Spangen¬
bildung nach Appendizitis.
48. Hirschfeld-Warneken Carl E.: Zur Kenntnis des Leber¬
abszesses im Anschluss an Pyosalpinx.
49. Eyl Adolf: Ueber einen Fall von Hämangio-Endotheliom.
50. Schreiber Andreas: Ueber einen Fall von primärem Gallert¬
karzinom der Lunge mit Metastasen im Gehirn.
51. Cal vary Martin: Ueber Generalisation der tuberkulösen In¬
fektion durch Einbruch in die Sinusräume.
52. Ly dt in Hermann: Ein Fall von Perikarditis calculosa (Stein¬
herz).
53. Schott 1 Theodor: Ueber die Wechselbeziehungen zwischen
Kyphoskoliose und Lungentuberkulose.
54. Wolf Gustav: Ueber einen typischen Fall von Morbus Basedowii
bei einem elfjährigen Mädchen. (Mit Abbildung.)
55. Kandier Richard: Ein Fall von Gehirnabszess, entstanden
durch Fortleitung eines Tonsillarabszesses.
56. Schreckenbach Georg: Ueber einen Fall von dissezieren-
dem Aneurysma der Aorta.
57. Bunz Max: Stethographische Aufnahmen der Regio supraclavi-
cularis bei Lungentuberkulose.
Universität Rostock. Juni 1907.
17. Kruse Georg: Ueber Chorea chronica progressiva.
18. Vor ster Carl E.: Ueber Pemphigus neonatorum, seinen Zu¬
sammenhang mit Dermatitis exfoliativa neonatorum und Im¬
petigo contagiosa.
19. Voss Heinrich: Zur Kasuistik der Intoxikationspsychosen.
20. Strassner Horst: Veronal und Proponal.
Universität Strassburg. Juni 1907.
14. B e i ssinge r Hugo: Merkfähigkeitsprüfungen bei organischen
Gehirnerkrankungen.
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
Universität Wiirzburg. April — Mai 1907.
15. Anacker Otto: Ueber Sajodin.
16. Bitter Ludwig: Untersuchungen über die Bedeutung des Ni
kotins für die Stärke der Rauchwirkung.
17. Hessler Eugen: Ueber Carcinoma uteri.
18. Müller Christian: Zur Klinik der linksseitig auftretenden Peri
typhlitis.
19. Rose Eduard: Beiträge zur Lehre von der Komplementablen
kung.
20. Sommer Guido: Ueber den Einfluss der Fibromyome auf di<
Generationsvorgänge.
21. War bürg Harry: Studien über den Nikotin- und Pyridingehal
des Tabakrauches bei Verwendung schwerer und leichter, sowi<
„nikotinfreier“ und „nikotinunschädlicher“ Zigarren.
22. Z a r w u 1 a n o f f Neno : Zur Aetiologie der Dupuytren schei
Fingerkontraktur.
Auswärtige Briefe.
Römische Briefe.
(Eigener Bericht.)
Rom, 20. Juni 1907.
Das definitive Erlöschen der Mailänder Vereinigung dei
medizinischen Presse. — Die Aerzte und die Hilfeleistung be
Duellen. — Ein grosser Reichtum Italiens. — II. internationale!
Kongress für physikalische Therapie in Rom. — Maragliano-
feier.
In meinem in No. 15 der M. med. W. enthaltenen Brie
sprach ich von dem Ende der römischen und mailändischer
Vereinigungen der medizinischen Presse und von den An¬
strengungen, die von verschiedenen Seiten gemacht wurden
um eine neue italienische Vereinigung zu gründen, durch die
Italien sich den anderen Kulturnationen gleichstellen und eint
Vertretung für die im August in London tagende Kommissior
von Delegierten sämtlicher Nationen gewinnen würde. Es is
sehr schmerzlich, feststellen zu müssen, dass alle diese Ver¬
suche nicht das geringste praktische Resultat zeitigten. Etliche
Mitglieder der verflossenen Mailänder Gesellschaft machten voi
kurzer Zeit von neuem einen Versuch, um sie wieder ins Leber
zu rufen, indem sie sich an die wenigen Mitglieder wandten
die ihren Beitrag noch bis zum Jahre 1906 bezahlt hatten (etwz
die Hälfte aller nominellen Gesellschafter), um sie zu fragen
ob sie bereit seien, weiterhin bei der Vereinigung zu bleiben
Aber die Mehrzahl erklärte sich gegen den Fortbestand dei
Vereinigung und bestimmte gleichzeitig den Rest des Vereins¬
vermögens für das Institut der Aerztewaisen in Perugia. Au'
diese Weise ist also die Mailänder Vereinigung endgültig er¬
loschen, nicht ohne ihr Dasein mit einem Akt edler Wohltätigkeil
zu beschliessen. Aber man kann nur immer wieder der
Wunsch ausdriieken, dass es der unermüdlichen Tätigkeil
einiger Kollegen, die sich nicht entmutigen lassen, gelinger
möge, eine neue lebensfähige Vereinigung zustande zu bringen
Die Vereinigung der Aerzte Palermos hat die Initiative zu
einem sehr lobenswerten Beschluss ergriffen, der, wie es
scheint auch anderorts von den ärztlichen Gesellschaften sym¬
pathisch begrüsst und angenommen wird, nämlich die Ver¬
weigerung des ärztlichen Beistandes bei Duellen. Die Ge¬
wissheit sofortiger ärztlicher Hilfe gestattet zu viele Duelle, die
ohne diese sicher nicht stattfinden würden. Man verstehe
recht! Es ist abstossend für einen Arzt, einem Duell bei¬
zuwohnen, in der Erwartung, dass ein Verwundeter zu
verbinden, oder der I od eines Duellanten festzustellen seir
wird, wie es abstossend ist und den Arzt beinahe zum Mit¬
schuldigen an einem späteren Unglück stempelt, wenn er die
Fortsetzung eines Duelles gestattet, weil die Verwundung nichl
schwer genug ist, um es zu beendigen. Gewiss muss der Arzl
seine Hilfe unabhängig von seinen persönlichen Anschauungen
auf sozialem oder moralischem Gebiete allen denen leisten, die
sie nötig haben, aber doch nur bei schon geschehenen
und nicht mehr zu ändernden J atsachen, nicht bei voraus¬
sichtlichen Verwundungen oder Tötungen, die zu ver¬
hindern und unmöglich zu machen, seine Pflicht als Mensch und
Bürger ist. Wenn einmal bestimmt ist, dass der Arzt dem
Duell nicht mehr beiwohnt, würde sich die öffentliche Meinung
gewiss noch viel entschiedener und einstimmiger als bisher
gegen diesen Ueberrest einer barbarischen Zeit auflehnen.
Diese hier summarisch gegebenen Gründe und Ansichten
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
werden allerdings nicht von allen akzeptiert, aber sie verdienten
gewiss, von allen Seiten beleuchtet und studiert zu werden,
damit man, wenn auch nichts anderes, so doch wenigstens die
Möglichkeit erzielen würde, Duelle um nichtige Ursachen, die
sinnlos in Szene gesetzt, nicht selten tödlichen Ausgang haben,
zu vermeiden.
Die Direktion der öffentlichen Gesundheitspflege hat die
vorzügliche Idee gehabt, in einem umfangreichen Band die Be¬
schreibungen sämtlicher Bäder und Quellen Italiens zu ver¬
öffentlichen. Bekanntlich existieren ähnliche Veröffentlichungen
schon in Deutschland („Deutschlands Heilquellen und Bäder“,
herausgegeben vom Kaiserl. Gesundheitsamt 1900) und in
Frankreich (Stations Hydro-Minerales, Climateriques et Mari¬
times de la France).
Das Buch, das uns der italienische Gesundheitsrat jetzt be¬
schert hat, ist ein schönes Werk, reich an hübschen Illustra¬
tionen und von guter Ausstattung in Druck und Papier. Es er¬
möglicht uns einen raschen Ueberblick über die zahlreichen
und verschiedenartigen Heilquellen, an denen unsere Halbinsel
überreich ist und von denen etliche sich schon zu sehr be¬
merkenswerter Höhe emporgeschwungen haben, während
andere sich noch auf dem Weg der Entwicklung befinden und
wieder andere aus Mangel an Tatkraft und Kapital im Anfangs¬
stadium stecken geblieben zu sein scheinen. Das Buch um¬
fasst 370 Seiten Text (also ca. 100 mehr, als das deutsche Werk,
dessen Format es entspricht) und bringt in italienischer und
französischer Sprache die Beschreibung von ca. 400 Quellen
und Badeorten. Man kann behaupten, dass jeder Typus von
Mineralwasser einen Vertreter in Italien besitzt und diese
Ueberzeugung hat sich allmählich überall Bahn gebrochen und
der Import ausländischer Wasser ist dementsprechend zurück¬
gegangen. Verschiedene unserer Badeorte erfreuen sich schon
eines internationalen Rufes und ihr Besuch steigert sich von
Jahr zu Jahr. Die jährliche Besuchsziffer in den verschiedenen
italienischen Badeorten wird auf ca. eine halbe Million ver¬
anschlagt. Wenn der Gesundheitsrat darauf bedacht sein wird,
seine Veröffentlichung so freigebig und allgemein zu verbreiten,
wie dies mit dem deutschen und französischen Werk geschah,
so wird dadurch dem italienischen Badewesen sicher ein be¬
deutender Vorteil erwachsen und manche bis jetzt nur im
engsten Kreis bekannten Quellen werden sich eines stets wach¬
senden Zuspruches und guten Rufes zu erfreuen haben. Drei
Vorwürfe aber wird der aufrichtige Kritiker dem Werk nicht
ersparen können, von denen der schwerste der ist, dass das
Buch nicht gebunden, sondern nur geheftet ist und deshalb nach
verhältnismässig kurzem Gebrauch auseinanderfällt. Ferner
fehlt eine geographische Karte, welche eine rasche Orientierung
ermöglicht, und ein Verzeichnis der Aerzte in den einzelnen
Badeorten, wie es z. B. der französische Führer aufweist.
Denn es ist sehr wichtig und angenehm für den praktischen
Arzt, wenn er aus diesem Führer sofort ersehen kann, ob in
diesem oder jenem Badeort vielleicht ein Kollege ansässig ist,
den er von früheren Gelegenheiten her kennt und an den er sich
um Auskünfte und dergleichen wenden oder dem er seine
Patienten überweisen kann. Aber das sind Mängel, denen in
einer späteren Auflage leicht abzuhelfen ist und die uns die
Freude an dem wahrhaft schönen und nützlichen Werk nicht
verderben sollen.
Im kommenden Oktober (vom 13. — 16.) wird in Rom der
zweite internationale Kongress für physikalische Therapie unter
dem Protektorat des Königs und der Präsidentschaft Professor
B a c c e 1 1 i s und der Mithilfe aller Kliniker Italiens stattfinden.
Der Kongress umfasst die Sektionen: „Medizinische Elektrizi¬
tät, Kinesitherapie, Hydrologie.“ Mit dem Kongress wird eine
Ausstellung von Apparaten, Naturprodukten, Photographien,
Plänen und Büchern etc., die sich auf die physikalische Therapie
beziehen, verbunden sein. Einschreibungen für den Kongress,
sowie der Beitrag, der 20 Lire beträgt, sind an Prof. Co¬
lombo, Via Plinio, Rom zu richten.
Am 22. dieses Monats wird in der Universität zu Genua
eine Jubiläumsfeier für den Leiter der dortigen medizinischen
Klinik, Senator Prof. Edoardo M a r a g 1 i a n o, stattfinden. Bei
dieser Gelegenheit wird eine Maraglianostiftung gegründet
werden, aus welcher jährlich ein Preis für die beste Arbeit
1401
über die Tuberkulose verabreicht werden soll. Ueber den
Verlauf dieser Feierlichkeit, die Verdientermassen einen der
tätigsten Kliniker Italiens ehrt, werde ich im nächsten Brief
berichten. Prof. G a 1 1 i.
Vereins- und Kongressberichte.
32. Versammlung der Südwestdeutschen Neurologen
und Irrenärzte.
Dis Versammlung fand am 1. und 2. Juni in Baden-Baden
statt und war von weit über 100 Kollegen besucht.
Angemeldet waren ausser dem Referat insgesamt 21 Vorträge,
20 wurden gehalten. Zum ehrenden Andenken an den langjährigen
Teilnehmer der Versammlungen, den unvergesslichen Möbius,
wurde der Möbiusstiftung ein Beitrag von 100 Mk. überwiesen.
1. Sitzung.
Vorsitzender: Moritz.
W e y g a n d t - Würzburg stellt einen bereits früher von Gras¬
hey, Wolf u. a. beschriebenen Kranken vor, an dessen Krankheits¬
verlauf er Erörterungen zur Frage der amnestischen Aphasie
knüpft. Obwohl eine Basisfraktur mit organischer Schädigung des
Gehirns jedenfalls Vorgelegen hat, betrachtet W. die aphasischen
Störungen a's wesentlich funktionelle. Sie haben sich ausserordent¬
lich gebessert, seitdem die Rente des Kranken durch die Besserung
nicht mehr alteriert wird.
B e c k e v - Heidelberg demonstriert eine Dame mit langjährigem
Skleroderma, das durch Massage und Sonnenbäder sehr günstig be¬
einflusst wurde.
Stark- Karlsruhe spricht über einen Fall von Gehirngeschwulst
mit einseitiger Trigeminuslähmung und viele Monate dauernder Ab¬
sonderung von Zerebrospinalflüssigkeit aus der Nase, die von der
durch Punktion aus dem Rückenmarkskanal wiederholt entleerten
wesentlich verschieden war. Das Gehirn weist auf der einen Seite
einen grossen, Pons und Medulla oblongata komprimierenden Tumor
auf, auf der anderen eine kleine Geschwulst des Trigeminusstammes.
D i n k 1 e r - Aachen teilt die bei der perniziösen Anämie vor¬
kommenden Rückenmarksveränderungen in drei Gruppen ein:
Solche, die klinisch keine spinalen Erscheinungen darbieten, solche,
die klinische und anatomische Veränderungen bewirken, endlich
solche klinische Veränderungen, die zur (anatomischen?) Heilung
gelangen.
In einem Fall der 1. Gruppe fanden sich kleine, keilförmige Herde
in den B u r d a c h sehen Strängen des Zervikalmarkes.
In einem Fall der 2. Gruppe, der spastisch-paretische Erschei¬
nungen und schwere Erscheinungen auf sensiblem Gebiet darbot, er¬
gab die Sektion ganz unregelmässig zerstreute Herde der weissen
Substanz des Rückenmarkes in grosser Ausdehnung.
Ein Fall der 3. Gruppe zeigte motorische und schwere sensible
Störungen der Beine, welche zugleich mit der Besserung des Blut¬
befundes allmählig zurückgingen.
E r L> - Heidelberg spricht über Diagnose und Frühdiagnose der
syphilogenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Aus
seiner mehr als dreissigjährigen Erfahrung bringt er eine ganze Reihe
von Beispielen, wo die reflektorische Pupillenstarre bereits zehn
Jahre vor dem Auftreten irgendwelcher anderer tabischer Symptome
die Rückenmarkserkrankung ankündigte. Während die Franzosen
die reflektorische Starre heute als einen absoluten Beweis über¬
standener Svphilis ansehen. hat sie Möbius als unbedingt patho¬
logisch für Tabes betrachtet; die Vereinigung beider Theorien be¬
trachtet jede Tabes als Folge von Lues (Möbius: Metasyphilis).
Erb hofft, dass die moderne serodiagnostische Untersuchung geeignet
sein wird, in vielen Fällen, wo es bisher unmöglich war, Klarheit über
den Zusammenhang beider Erkrankungen zu schaffen. Er betont
noch besonders die Wichtigkeit der Kältehyperästhesie für die Früh¬
diagnose der Tabes, sowie die durch Lumbalpunktion nachweisbare
Pleozytose des Liquor cerebrospinalis.
Nonne- Hamburg schildert zwei weitere Fälle von syphi¬
litischer Spinalparalyse, die er jetzt bereits fünfmal anatomisch unter¬
sucht hat. Er glaubt, dass nur deshalb so wenig Fälle bekannt
sind, weil sich die Krankheit über einen so langen Zeitraum er¬
streckt. Der erste Fall betraf einen mit 25 Jahren infizierten Kranken,
der sechs Jahre später die eisten subjektiven, nach weiteren acht
Jahren die ersten spastischen Erscheinungen hatte und mit 40 Jahren
starb. Die Sektion ergab allgemeine Arteriosklerose und durch¬
greifende, sklerotische Veränderungen der Seitenstränge.
Der zweite Fall betraf ein im Alter von 20 Jahren an der Lippe
infiziertes Mädchen, das trotz guter antiluetischer Behandlung vier
Jahre später paretische Erscheinungen der unteren Extremitäten
aufwies; nach weiteren drei Jahren hatte sich eine spastische Parese
ausgebildet, die in den nächsten acht Jahren zunahm. Die Kranke
ging mit 40 Jahren an Dekubitus zu Giunde. Die Sektion ergab eine
fast ausschliesslich auf die Pyramider.stränge beschränkte chronische
Sklerose.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2£
1402
2. Sitz u n g.
Vorsitzender: R o mber g.
H o c h e - Ereiburg erstattet das Referat über die klinischen
böigen der Unfallgesetzgebung.
In grossem Umfang werden diese Folgen nur in Deutschland und
Oesterreich beobachtet, weil die anderen Länder eine so ausgedehnte
Unfallversicherung der Arbeiter nicht haben. Auch in Oesterreich ist
der Ueberblick über die Gesamtwirkung durch den Mangel eines
Reichs Versicherungsamtes erschwert.
Die grösste Wichtigkeit haben die nervösen Unfallerkrankungen
und hier weniger die organischen als vor allem die Unfallneurose,
die traumatische Hysterie. Quincke hat dieselbe den Gegenpol der
staatlichen Dienstpflicht genannt, um so den depravierenden Ein¬
fluss der Unfallgesetzgebung auf den Volkscharakter zu kennzeichnen.
Das bekannteste Beispiel der unterschiedlichen Einwirkung von
Verletzungen auf Versicherte und Nichtversicherte sind die Mit¬
teilungen von Bruns über den günstigen Ausgang schwerer Kopf¬
verletzungen in der Offizierreitschule zu Hannover. Eine neuere
Statistik über 700 Fälle von Kopfverletzung bei studentischen Men¬
suren hat in einem einzigen Fall langdauernde Folgen nachweisen
lassen.
Als Gründe für die Unfallneurose der Versicherten nennt Hoch e
vorzugsweise: das allgemein menschliche Begehrungsvermögen, die
vielfache Aufstiftung zur Erhebung von Ansprüchen, bald durch die
Ehefrauen, bald durch andere Unfallrentner, die unfreundliche Behand¬
lung mancher Rentenbewerber durch untergeordnete Organe, die
gehäuften Untersuchungen und den Wegfall des erziehenden Moments
der Not.
Die Vorschläge zur Abhilfe sind zahlreich. Das Reichsversiche¬
rungsamt hat versucht durch schärfere Auslegung der geltenden Ge¬
setze dem Uebel zu steuern, indem es einmal den fraglichen Unfall für
quantitativ unzureichend erklärte, ein anderesmal die Neurose auf
schuldhaftes Grübeln des Verletzten zurückführte. Beide Entschei¬
dungen sind vom ärztlichen Standpunkt aus unhaltbar.
H o c h e unterscheidet bei. den zur Abhilfe vorgeschlagenen Mit¬
teln kleine und grosse. Kleine sind die Abkürzung des Verfahrens,
Untersuchung durch weniger Gutachter, frühzeitige Uebernahme des
Heilverfahrens durch die Berufsgenossenschaften, Vermeidung un¬
günstiger Beeinflussung durch den ersten Untersucher; ferner die
Beseitigung der Kostenlosigkeit des Verfahrens und die Festlegung
von Schonfristen, während welcher Nachuntersuchungen nicht statt¬
finden dürfen.
Grosse Mittel sind die Regelung der Erziehung zur Arbeit, wobei
insbesondere die Errichtung von Arbeitsstätten für Halbinvalide emp¬
fohlen wird, und die Ersetzung der Rente durch Kapitalabfindung.
Dieselbe soll insbesondere dadurch, dass sie dem Empfänger er¬
möglicht, nachher offen in den Erwerbskampf einzutreten, eine gute
seelische Wirkung ausüben. Die Schwierigkeit liegt nur darin, den
richtigen Zeitpunkt für die Kapitalabfindung zu bestimmen.
W i n d s c h e i d - Leipzig bespricht als Korreferent die klinischen
Eigentümlichkeiten der Unfallneurose, die er als eine Kombination von
Hysterie, Neurasthenie und Hypochondrie bezeichnet und als eine
spezifische Reaktion des Gehirns auf den Unfall betrachtet wissen
will. Er hat bei Unfallnervenkranken besonders häufig Degenera¬
tionszeichen angetroffen.
Als einen besonderen Vorzug der Spezialanstalten für Unfall-
nervenkranke betrachtet er die zwangsweise Gewöhnung an Arbeit,
fortschreitend von leichter zu schwererer Beschäftigung. Er gesteht
zu, dass die Gefahr der gegenseitigen Beeinflussung in den An¬
stalten besonders gross ist.
Eine ausgedehnte Diskussion schloss sich an die beiden Be¬
richte an.
Hoff m a n n glaubt, dass die Kapitalabfindung an Stelle der
Rentenhysterie lediglich die Abfindungshysterie setzen wird.
Enge sagt, dass man in der Schweiz jetzt damit umgehe,
die Kapitalabfindung gesetzlich einzufüHren. Er empfiehlt schnelle
Abfindung durch kleine Summen.
N o n n e erzählt von fünf schweren Kopfverletzungen, wovon
zwei mit Hämatom der Dura, drei mit doppelseitiger Stauungspapille
einhergingen; alle betrafen hochbezahlte Arbeiter und gelangten in
kurzer Zeit zu völliger Wiederherstellung. Besonders krass ist der
Fall eines Schullehrers: Derselbe hatte sich eine Kugel in den Kopf
geschossen, die im Schädel stecken blieb, tat aber nach Vs Jahr
schon wieder Dienst; als er später durch einen Schrotschuss eine
leichte Hautverletzung erfuhr, behauptete er im Prozessweg eine
dauernde Schädigung seiner Erwerbsfähigkeit.
B ä u m I e r berichtet von einem Unfall, den er selbst vor zehn
Jahren erlitten hat. Durch Fall auf einer Steintreppe zog er sich
grosse Risswunden der Kopf- und Stirnhaut zu; obwohl keinerlei
Knochenverletzung stattgefunden hatte, bildete sich im Lauf der
Jahre entsprechend der Kopfnarbe eine deutliche Schädeldepression
ohne jede Störung des Befindens. B. weist darauf hin, wie leicht solche
Depressionen nachher zur Diagnose einer früher erlittenen Knochen¬
fraktur verleiten.
Gramer macht im Gegensatz zu W i n d s c h e i d be¬
sonders darauf aufmerksam, dass die Unfallneurose keine
psychologische oder physiologische Sondererscheinung dar¬
stellt, sondern durch die allgemein menschlichen Charakter¬
eigenschaften zu erklären ist. Er betont, dass die Arbei
in den Nervenheilstätten stets unter ärztlicher Kontrolle statt
finden müsse und im Höchstfall 4 Stunden täglich betragen solle, wei
die Verletzten sonst glauben, dass man ihre Arbeitskraft ausnützei
wolle. Er hat nur einen ganz geringen Prozentsatz von Besse
rungen durch Arbeit gesehen.
Gau pp betrachtet die Disposition als ein wesentliches Momen
bei der Unfallneurose.
Moritz fürchtet Vermehrung der Simulation bei obligater Ka
pitalabfindung; er wünscht fakultative Abfindung.
His schlägt folgende Leitsätze vor: Jährliche Renten sollet
nur für objektiv nachweisbare körperliche Verletzungen gewährt wer
den. Reine Neurosen sollen stets durch einmalige Abfindung ent
schädigt werden. Das Verfahren soll auf zwei Instanzen beschränk
werden.
Weygandt betont die ungeheuerliche Zunahme der Ansprüche
und die besonders auf dem Lande erschwerte Kontrolle der Unfall
rentner. Wird doch unter der bäuerlichen Bevölkerung der Renten
bezug direkt als eine Ehre betrachtet (Visitkarten mit dem Zusat;
„Rentenempfänger“).
Feldmann geht davon aus, dass die Kapitalabfindung zwai
für die privaten Unfallversichcrungsgesellschaften die beste Methode
darstellt, weil sie eine schnelle und einfache Handhabung des Ge
schäftes ermöglicht, dass sie jedoch der Staat deshalb nicht einfiihrer
kann, weil für den Gesetzgeber nicht das Geschäft, sondern die
dauernde Unterstützung der erwerbsunfähigen Arbeiter in Betrach
kommt.
Eine Unterscheidung von objektiv und subjektiv Erwerbsun¬
fähigen ist praktisch undurchführbar, die meisten Arbeiter wisset
mit Kapital nichts anzufangen. Die Kapitalabfindung würde deshall
bei den dauernd Erwerbsunfähigen Krankheit und Armut dauernt
verknüpfen.
Hellpach freut sich, dass kein Redner mehr von Schreck¬
neurose gesprochen hat und hofft diesen Begriff endgültig beseitigt.
Schnitze und E r b wenden sich gegen jede Resolution, einmal
aus geschäftsordnungsmässigen Gründen, sodann wegen der vor¬
läufig noch unüberbrückbaren Differenz in den Anschauungen.
Trendelen bürg und Bumke - Freiburg haben die B a c fi¬
schen Angaben über ein Pnpillenzentrum in der Medulla oblongata
an Katzen nachgeprüft und behaupten, dass ein solches
Zentrum am Grund der Rautengrube bezw. im Halsmark nicht
existiert. (Vergl. S. 1385 dieser Nummer.)
D r e y f u s - Heidelberg hat alle Fälle von Melancholie, die
in den Jahren 1892 — 1906 in der Heidelberger psychiatrischen Klinik
aufgenommen wurden, soweit es möglich war, persönlich nachunter¬
sucht und unter 85 Kranken 66 Proz. Heilung konstatiert. Bei.
der Fälle trat die Heilung erst nach 3 Jahren ein, selbst nach
10 jähriger Krankheitsdauer wurde noch Heilung ohne Defekt kon¬
statiert. 10 Proz. der Kranken gesundeten, obwohl sie bei der Ent¬
lassung als schwachsinnig betrachtet wurden; nur bei 8 Proz. der
Kranken trat dauernder Schwachsinn ein. Der Begriff der Melan¬
cholie als einer ausschliesslichen Alterspsychose kann nicht aufrecht
erhalten werden.
3. Sitzung.
Vorsitzender: Hoche.
B e c k e r - Heidelberg demonstriert die Ergebnisse einer neuen
Methode der Gliafärbung.
B e t li e - Strassburg spricht über färberische Differenzen ver¬
schiedener Fasersysteme. Er glaubt eine elektive Färbung der
motorischen basern in Gehirn und Rückenmark durch basische Farb¬
stoffe bewirken zu können.
Curschmann - Mainz deutet das konstante Fehlen der arte¬
riellen Gefässreflexe bei der R e y n and sehen Krankheit dahin, dass
es sich dabei um eine dauernde funktionelle Gefässveränderung
(Vasokonstriktion) handelt.
Ko hn stamm - Königstein spricht über hypnotische Behand¬
lung von Menstruationsstörungen, die er in einem langwierigen Fall
mit besonderem Erfolg durchgeführt hat. Er betrachtet auch die
Wirkung vieler neuerer Arzneimittel bei den Menstrualblutungen
als eine suggestive.
E d i n g e r - Frankfurt bringt zahlreiche Beispiele über den Auf-
brauch von Nervensubstanz, der durch geeignete Befragung der
Kranken bei vielen Krankheiten nachzuweisen ist. So z. B. war
ein Fall von Pupillarlähmung dadurch bedingt, dass der Erkrankte
einen ganzen Tag lang auf Schneefeldern gejagt hatte; das gleiche
trat bei einem Offizier ein, der auf See Scheiben gesetzt hatte und
stundenlang dem starken Lichtreflex des Wassers ausgesetzt war.
Bei Radrennfahrern fehlen die Sehnenreflexe vollständig; von
18 Marathonläufern wiesen 13 enorm gesteigerte Kniereflexe auf,
während diese bei 5 vollkommen fehlten.
Die typische Radialislähmung bei Bleivergiftung ist ebenfalls
eine Aufbrauchslähmung: bei einem Arbeiter, der durch die Art seiner
Beschäftigung hauptsächlich die vom Ulnaris versorgten Muskeln be¬
nützte, bewirkte der Saturnismus eine Ulnarislähmung.
Ein Bahnbediensteter hatte das linke Bein gebrochen und schonte
dasselbe von da ab; als er tabisch wurde, wurde das gesunde Bein
ataktisch und verlor die Reflexe.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1403
F i s c h I e r - Heidelberg spricht über Erfahrungen mit Alkohol¬
injektionen nach Schlösser. Unter .12 Fällen von Ischias war der
Erfolg 4 mal ein ausgezeichneter, 1 mal trat ein eklatanter Misserfolg
auf. Nach einer Injektion in den Nervus peroneus trat vollkommene
Peroneuslähmung und 8 Tage später totale Entartungsreaktion ein,
die nach 6 Monaten noch vorhanden war. Die Heilung war nach
einem Jahr noch nicht vollkommen.
In einem Fall der Erb sehen Privatklinik, wobei die Alkohol¬
injektion direkt an der Austrittsstelle des Nervus isehiadicus ge¬
macht wurde, trat vollständige Anästhesie des ganzen Unterschen¬
kels und Entartungsreaktion auf; der Patient konnte erst nach
5 Monaten sein Bein gebrauchen, doch erfolgte restitutio ad integrum.
In einem Fall von Tic convulsiv hatte die Alkoholinjektion
eine 7 monatliche Fazialislähmung zur Folge.
Bei 5 Fällen von Trigeminusneuralgie wurde vollständige Hei¬
lung erzielt.
Schlussfolgerung: Die Alkoholinjektion ist auf sensible
Nerven zu beschränken. Bei motorischen oder gemischten Nerven
soll sie als ultimum refugium gelten und ist nur mit Vorbehalt zu
machen.
Die Vorträge von
P f e r s d o r f f - Strassburg über dialysierenden Rededrang,
Rosenfeld - Strassburg über einige Formen der vasomoto¬
rischen Neurose,
K n a u e r - Giessen: Stoffwechselstörungen in einem Fall von
Pseudotumor,
G i e r 1 i c h - Wiesbaden über einen Fall von neuraler Muskel¬
atrophie,
van Oordt-St. Blasien über Differentialdiagnose zwischen
multipler Sklerose und Hirnlues,
L i n k - Freiburg über den Muskelton,
eignen sich nicht zur auszugsweisen Wiedergabe.
Als Referatsthema für die nächstjährige Ver¬
sammlung wurde Aufbrauch und Abbau des Ner¬
ve n s y s t e m s bestimmt: Edinger wird den klinischen ;
Alzheimer den anatomischen Teil übernehmen.
Geschäftsführer sind Hoche-Freiburg und
Laquer-Frankfurt. Gustav F e 1 d m a n n - Stuttgart.
55. Mittelrheinischer Aerztetag.
Sitzung 2. Juni 1907 zu Godesberg.
Nach der Zusammenkunft auf der malerisch schönen Burgruine,
wo die Teilnehmer als Gäste der Gemeinde Godesberg von Herrn
Bürgermeister D engl er herzlich begriisst und durch ein Frühstück
für den wissenschaftlichen Teil gestärkt wurden, fanden im Hotel
Royal folgende Vorträge statt:
Die Vorträge wurden durch Geh. Rat Br an dis, den jugend-
frischen 82 jährigen Greis, humorvoll eingeleitet.
Stabsarzt Schwalbe sprach an Stelle des mit Prof. Bier
nach Berlin verzogenen Dr. Härtel -Bonn über Rückenverkrüm-
rmmgen und deren Behandlung nach Prof. Klapp. In der Haupt¬
sache sieht die Behandlung von Miedern und Geradehaltern ab.
Aktive Muskeltätigkeit soll die Herstellung besserer Körperhaltung
bewirken, ohne zugleich das Allgemeinbefinden zu schädigen, wie
die Korsettbehandlung dies stets in ihrem schädlichen Gefolge hat.
Ferner wird das Hauptgewicht auf allgemeine Behandlung ge¬
legt. Die kleinen Patienten müssen von der Schule fern bleiben, nach
dem Turnen eine Stunde Ruhe haben und der nächtliche Schlaf muss
recht reichlich bemessen werden. Das Schlafminimum sind 10 bis
11 Stunden. Gute, reichliche, kräftige Nahrung muss während der
ganzen, sich auf Jahre erstreckenden Behandlung stets gereicht
werden.
Um die Resultate der Behandlung zu veranschaulichen, werden
Patienten demonstriert, mit schweren und schwersten Verkrüm¬
mungen, nach längerer Behandlung. Das Allgemeinbefinden war bei
allen sehr gebessert, ebenso haben die neuralgischen Beschwerden und
die Atemnot bei den meisten vollständig nachgelassen.
Prof. Til mann -Köln: Ueber die T a 1 in a sehe Operation.
Bei vielen Lebererkrankungen sind die Beschwerden der Patienten
hervorgerufen durch Behinderung der Pfortaderzirkulation. Magen-
Darmblähungen und namentlich Aszites sind die quälendsten Begleit¬
erscheinungen.
Um die Zirkulation durch einen Kollateralkreislauf wieder her¬
zustellen, ohne grosse Gefahren für die schwer heruntergekommenen
Kranken, ist eine Operation, die T almasche sicherlich in Erwägung
zu ziehen. Die Möglichkeit und die Berechtigung dieser Operation
ergibt sich aus vielen Obduktionsresultaten, welche zeigten, dass sogar
völliger Verschluss der Pfortader nicht zum Tode führte, sondern, dass
durch V erwachsung des Netzes mit der vorderen Bauchwand sich
neue, genügende Kol lateralbahnen bildeten.
r Experimentelle Untersuchungen an Hunden zeigten, dass särnt-
hche Hunde starben, bei denen die Pfortader unterbunden wurde, dass
aber die Hunde am Leben blieben, wenn man einige Zeit vorher Ver¬
wachsungen zwischen Netz und vorderer Bauchwand hervorgerufen
hatte.
Die nach einigen Monaten vorgenommene Obduktion zeigte, dass
sich zahlreiche Anastomosen an Stelle der Pfortader gebildet hatten.
Diese Operation beim Menschpa ungefährlich zu machen, bedingt
eine (selbstverständliche Forderung, d. Ref.) strenge Asepsis und
Vermeidung der Narkose. Diese Operationen werden daher mit
5 c h 1 e i c h scher Lokalanästhesie und mit Morphium-Skopolamin-
schlaf ausgeführt.
Die Operation selbst besteht in Laparotomieschnitt, Anätzung
des Netzes und der vorderen Bauchwand mit Sublimat, Fixierung
des Netzes an der Bauchwand mit einigen Nähten, dann folgt
Schliessung der Wunde.
Die Operation wurde vom Vortragenden in 7 Fällen ausgeführt
und zwar in 4 Fällen von Leberzirrhose, bei 2 Fällen von Zucker¬
gussleber und 1 Fall von perikarditischer Pseudoleberzirrhose.
Im sämtlichen Fällen war schon mehrfach punktierter Aszites
vorhanden, trotzdem wurde die Operation glatt vertragen und heilte
die Wunde per primam.
Da die Anastomosenbildung Wochen beansprucht, so dauert es
natürlich 2 — 3 Monate, bis der Aszites und sonstige Stauungserschei¬
nungen schwinden. Eine Frau starb nach 8 Wochen an Erschöpfung,
bei 2 Fällen sind erst 8 resp. 10 Wochen seit der Operation ver¬
strichen, daher noch kein deutlicher Erfolg sichtbar, bei den übrigen
4 hatte die Operation den gewünschten Erfolg. Diese sind 4, 5, 15
und 24 Monate ausser Behandlung, ohne Aszites. Ein Geheilter, der
Oktober 1906 operiert wurde, wird vorgestellt.
Die Talma sehe Operation hat daher ihre Berechtigung voll
und ganz erwiesen und glaubt Vortragender sie bei Pfortaderkreis¬
laufstörungen empfehlen zu können.
Geheimrat Ungar-Bonn: Tabes mesaraica der Kinder.
Tuberkulose der Mesenterialdrüsen und Retroperitonealdriisen ist
fast vollständig aus den Lehrbüchern verschwunden. Ist dies be¬
rechtigt? — Die Leichenbefunde zeigen, dass es eine Tuberkulose
der Mesenterialdrüsen gibt.
Zurückbleiben im Ernährungszustände, Dyspepsie, Mattigkeit und
tonfarbiige Fäzes sind die klinischen Symptome. Die Tonfarbig¬
keit der Fäzes beruht aber nicht auf Fehlen der Gallenfarbstoffe, son¬
dern auf dem Fettmangel des Chylus. In der Therapie ist ausser
Allgemcinbehandlung, Schmierseife und Jod anzuwenden. — Fehl¬
diagnosen haben einige Laparotomien veranlasst, nach welchen die
Patienten neu auflebten.
Vortragender ist daher fest überzeugt, dass die blosse Lapa¬
rotomie bei Tabes mesaraica genau so indiziert ist und genau so gute
Erfolge zeitigt, wie bei Peritonitis tuberculosa.
Prorock - Soden spricht über die Behandlung chronischer
Herzkranker mit kohlensäurehaltigen Thermalsoolbädern. In der
Hauptsache werden schwache kohlensäurehaltige Bäder wärmer und
von längerer Dauer, starke kohlensäurehaltige Bäder kühler und von
kürzerer Dauer angewendet. Nach 2 wöchentlicher Badekur wird mit
Terrainkuren und Gymnastik begonnen. Bei korpulenten Personen
sind oiaturgemä'ss Terrainkuren vorzuziehen. - — Die Dilatation und der
Puls nahm ab, der Blutdruck nahm zu. Regelmässige Blutdruck¬
messungen .und Pulskurvaufnahmen müssen als Kontrolle der Be¬
handlung geübt werden.
Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik Reifferscheid
Bonn: Ueber erweiterte Abdominaloperation des Uteruskarzinoms.
Seit drei Dezennien ist die Uterusexstirpation geübt worden.
1878 wurde sie zum ersten Male von Freund abdominal und im
selben Jahre von Czerny vaginal ausgeführt. In früher Zeit
operiert, bedeutet die Operation bei der vaginalen Operation
oft auch Heilung, in späteren Stadien nur Aufschub. Die
Dauerheilung beträgt 30— HO Proz. der Operierten, während
sie bei Mammakarzinom nur 10 — 20 Proz. beträgt. Mit der
Besserung der Technik ist die Mortalität von 30 Proz. auf
8 Proz. gesunken. Die Statistik ist aber nicht ganz zuverlässig.
Das Korpuskarzinom ist viel gutartiger, als das Portio- und Zervix¬
karzinom, am bösartigsten ist das Kollumkarzinom, bei diesem sind
nur 6 — 10 Proz. Dauerheilungen zu verzeichnen, während die absolute
Heilungsziffer für alle Karzinome 8 — 20 Proz. beträgt. Bei einer ge¬
nauen Statistik müssen sämtliche Karzinomlokalisationen gesondert
geführt werden, ebenso die Früh- und die Spätoperationen.
W. A. Freund trat für die abdominelle Operation ein. um mög¬
lichst ausgiebig auch das Lymph- und Bindegewebe entfernen zu
können. Die Operabilitätsziffer ist dadurch von 40 auf 70 — 80 Proz.,
sogar 90 Proz. gestiegen. Die Mortalität war anfänglich 20 — 30 Proz.
und ist jetzt auf 8 — 9 Proz. gesunken. Die Dauerresultate der ab¬
dominellen Operation sind, nach Wertheim auf 61 — 66 Proz. ge¬
stiegen und die absolute Heilungsziffer 25,6 — 32 Proz.
Bei K o 1 1 u m karzinom, das sonst für die Dauerheilung so un¬
günstige Aussichten hat, ist nach dem Vortragenden entschieden die
abdominelle erweiterte Operation mit möglichst vollständiger Aus¬
räumung von Binde- und Lymphgewebe zu raten.
Da immer noch viele Fälle sehr spät resp. zu spät zur Operation
kommen, müssen die praktischen Aerzte bestrebt sein, ihre Patienten
möglichst früh zur Operation zu bestimmen, anderseits durch gründ¬
liche Untersuchung gnd Probeexzision die mikroskopische Früh¬
diagnose zu üben, oder zu veranlassen.
E b e r h a rt - Köln zeigt verschiedene interessante gynäko¬
logische Präparate, doch sind seine wissenschaftlichen Ausführungen
zu einer Wiedergabe nicht geeignet (der Ref.).
1404
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Medizinalrat Salomon - Koblenz hielt einen Typhusvortrag,
welcher allgemein mit lebhaftestem Interesse angehört wurde. Nach¬
dem er über Typhusdiagnostik sprach und zeigte, wie schwer oft die
verschiedenen Widalmodifikationen selbst in Instituten zu einer einiger-
rnassen sicheren Diagnose mitunter verwendet werden können,^ kam
er auf den Kernpunkt seines Vortrags, auf die „Typhusträger“. —
Es wurde oft angezweifelt, ob diese Typhusträger wirklich existieren,
doch ist dies jetzt — nach seiner Meinung — unerschütterlich be¬
wiesen.
Unter Typhusbazitlenträger versteht er Individuen, die noch
nach der 10. Krankheitswoche Typhusbazillen dauernd in sich
tragen, und, obgleich sie sich vollständig gesund fühlen, andere Per¬
sonen infizieren können. — Eine Eigentümlichkeit dieser Träger ist.
dass hauptsächlich neu mit ihnen in Berührung kommende Personen
infiziert werden, während ihre ständige Umgebung, die ihren Typhus
bereits durchgemacht, sozusagen gegen diesen speziellen Typhus¬
bazillenträger immun geworden ist.
Eine Tabelle, die eine Anzahl von Typhusbazillenträgern und
die durch dieselben hervorgerufenen Infektionen nachwies, war be¬
sonders interessant durch den Fall „Andernach“.
In der Strafanstalt Andernach erkrankten 30 Gefangene an
Typhus und als Infektionsursache fand man nicht die Wasserleitung,
nicht die Kanalisation, sondern einen Typhusträger. Ein geradezu
klassisches Beispiel von Typhusbazillenzüchtung durch einen Typhus¬
bazillenträger. Dieser Träger wurde auch gefunden in der Gestalt
einer imbezillen alten Person, die den Kartoffelsalat zu schneiden
hatte. Die Kartoffeln dazu mussten für die ca. 500 Personen der An¬
stalt 1—2 Tage vorher geschnitten werden. Kartoffeln sind nun ein
vorzüglicher Nährboden für Tvphusbazillen. Die kartoffelschneidende
Typhusbazillenträgerin impfte nun mit ihren infizierten Händen gerade¬
zu die Bazillen in die Kartoffeln, welche mit der frischen Tvphus-
bazillenkultur am nächsten Abend als Salat verzehrt wurden. In 2%
Jahren wurden im Bezirk Koblenz 31 Bazillenträger gefunden. Die
meisten Träger sind Frauen, was nach dem Vortr. mit ihrer Prädis-
nosition für Gallenleiden zusammenhängt, da vereiternde Gallenblasen
Typhusbazillen in den meisten Fällen jahrelang behalten.
Nach seiner Meinung wird der Kampf gegen den Typhus zu einer
staatlichen Kontrolle der Typhusbazillenträger sich im Laufe der Zeit
gestalten.
Geh. Rat B r a n d i s - Godesberg, der liebenswürdige Senior mit
bezauberndem Humor, sprach dann von seinem Godesberg, dessen
wunderschöner Lage im Rheintal. an rebenbewachsenen Hügeln, mit
seinen alkalisch-muriatischen Heilquellen, der staub- und rauchfreien
Luft. Das Bad Godesberg gefiel den Teilnehmern ebenso ausge¬
zeichnet, wie die zuvorkommenden Leiter des Aerztetages.
Als Ort der nächsten Versammlung wurde Riidesheim genannt,
da das in Aussicht genommene Mannheim keinen diesbezüglichen
Vorschlag gemacht hat. Duschfnsky - Mainz.
Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie.
Zwölfte Versammlung, abgehalten zu Dresden
vom 21. — 25. Mai 1907.
Berichterstatter: Privatdoz. Dr. Schickele-Strassburg i. Eis.
VI.
Herr K a m a n n - Giessen: Ein Phantom zur Uebung der ma¬
nuellen Plazentarlösung.
Während die Technik der Wendungen, der Extraktionen am
Beckenende und der Zangenoperationen an den Schultze-
W i n c k e 1 sehen Phantomen gut zu erlernen ist, fehlt noch ein Phan¬
tom zur Uebung der manuellen Plazentarlösung.
Und doch sollte jeder Mediziner, ehe er in die Praxis hinaus¬
tritt, die Technik dieser gefährlichen und besonders verantwortungs¬
vollen Operation beherrschen.
Das zu solchen Uebungszwecken zu benutzende Material an
Aborten und Fehlgeburten steht doch nicht allerorts in hinreichen¬
dem Masse zu Gebote.
Die manuelle Plazentarlösung kann systematisch wohl nur an
einem Phantom geübt werden. K. hat nun nach verschiedenen Vor¬
versuchen ein aufklappbares Uterusscheidenphantom konstruieren
lassen, das in die üblichen S c h u 1 1 z e - W i n c k e 1 sehen Phantome
eingespannt wird. An die Uterusinnenfläche wird eine Phantompla¬
zenta in beliebig grosser Ausdehnung mit Schwammgummi fixiert
und kann nun von der von der Scheide aus eingeführten übenden
Hand Stück für Stück gelöst werden.
Wie jedes Phantom, so steht natürlich auch dieses hinter den
Verhältnissen an der Lebenden erheblich zurück. Immerhin ist zu
hoffen, dass es sich für Unterrichtszwecke als brauchbar erweisen
wird.
Die Herstellung hat das Medizinische Warenhaus in Berlin über¬
nommen.
Herr N e u - Heidelberg: Experimentelles zur Anwendung des
Suprarenins in der Geburtshilfe.
N. berichtet über Versuche, die er hinsichtlich der Suprarenin-
wirkung an Uteris in den verschiedensten Alterslagen und anatomb
sehen Zuständen ausgeführt hat. So gut wie in keinem Falle fehlte
die Suprareninreizwirkung. N. ist der Ansicht, dass das erregende
Gift durch den Reiz der uteromuskulären plus vasomuskulären Kom¬
ponente wirkt. Gerade in diesem Umstande ist die Bedeutung des
Mittels für ein Hämostatikum der Gebärmutter zu erblicken. Nach
Vorversuchen am graviden Tieruterus ging N. dazu über, das Supra-
renin an der graviden menschlichen Gebärmutter zu untersuchen.
Dabei war es möglich, bei einem Kaiserschnitt, der nach P o r r o bei
einer Osteomalakischen von ihm ausgeführt wurde, blutleer zu ope¬
rieren. Er befolgte dabei die Methodik der uteromuskulären In¬
jektion unmittelbar vor der Inzision nach Herauswälzen des Uterus.
(Lösung 1:10 000, 3 Teilstriche). Der Effekt war ein frappanter.
Aufrichtung des ganzen Organes, Steinhärte, Erblassen. Das Kind
wurde lebend extrahiert. Es war also mittelst minimaler Suprarenin-
dosen möglich gewesen, den kreissenden Uterus in stürmische Kon¬
traktion zu versetzen und eine Anämisierung des ganzen Organes
herbeizuführen. Damit ist die Bedeutung der Nebennierenpräüarate
als ein für den graviden Uterus hoch wirksames Mittel bei Opera¬
tionen an demselben gekennzeichnet.
Weiter wird vorläufig und in Kürze berichtet, dass es möglich
ist, Wehen am graviden nicht kreissenden Uterus auszulösen, dass
atonische Blutungen wirksam bekämpft werden können.
Die grösste Wirkung Hess sich erzielen mit der nerkutanen utero¬
muskulären Injektion. Die subkutane Injektion ist ebenfalls wirksam,
wenn auch weniger intensiv. Die intrauteripe Anwendung erwies sich
als nicht besonders geeignet. Zwei sehr bemerkenswerte Tatsachen
Hessen sich gesetzmässig erkennen: 1. der Grad der Suprarenin-
reizwirkung steht in direktem Verhältnis zur Erregbarkeit des
Uterus, 2. das Suprarenin scheint in der graviden Gebärmutter
chemisch gebunden zu werden, woraus eine lange dauernde Steige¬
rung der natürlichen Erregbarkeit resultiert.
Herr P a n k o w - Freiburg: Warum soll bei gynäkologischen
Operationen der Wurmfortsatz mit entfernt werden?
(Der Vortrag erscheint in der Münch, med. Wochenschr.)
Herr Baisch: Die Dauerresultate bei der Behandlung der
Peritoneal- und Genitaltuberkulose.
Baisch hat 110 Fälle der Tübinger Klinik aus den letzten
10 Jahren persönlich nachuntersucht. Der zehnte Teil wurde ex-
spektativ, die übrigen chirurgisch behandelt. Gestorben sind 41
primär und in den nächsten Jahren 37 Proz.
Als Nachbeobachtungszeit müssen 4 Jahre verlangt werden.
4 Jahre nach der Entlassung ist keine Patientin mehr gestorben.
Weitaus die Mehrzahl stirbt im ersten Jahre nach der Entlassung.
Bei den Verlusten muss zwischen Früh- und Spättodesfällen unter¬
schieden werden.
Die Prognose ist für die einzelnen Formen verschieden:
1. Peritonitis exsudativa. Von 39 Fällen sind 36 ope¬
riert worden, und davon 13 primär oder in den nächsten 4 Jahren
gestorben. 23 Operierte sind dauernd geheilt, 21 subjektiv und
objektiv gut, bei 2 finden sich unempfindliche Adnextumoren bei
vollem Wohlbefinden. Man soll daher stets die Tuben mit entfernen,
daher ist auch die Laparotomie vorzuziehen. Lungen- und sonstige
Komplikationen sind keine absolute Gegenanzeige, man sieht sie zu¬
weilen nach der Operation ausheilen. Bei Fieber ist die Prognose
sehr schlecht.
2. Peritonitis adhaesiva sicca. Die Hälfte der 22
Kranken ist gestorben. Von 11 Operierten leben noch 8, von 11 ex-
spektativ Behandelten nur noch 3. Man kann die Probelaparotomie
empfehlen. Nur hüte man sich wegen der Gefahr der Darmver¬
letzung und folgender Kotfistel vor der Lösung von Darmadhäsionen.
3. Salpingitis tuberculosa und Pyosaloinx.
Gleichzeitig bestehende Peritonealtuberkulose verhindert die Heilung
nicht, ist aber prognostisch ungünstiger. Von 13 intern Behandelten
leben noch 5. aber alle haben ihre Adnextumoren behalten, wenn
sie auch subjektiv gebessert sind. Eine Reihe anfänglich exspektativ
Behandelter musste nach Monaten und Jahren noch operiert wer¬
den und sind geheilt. Von 23 sofort Operierten sind 18 voll¬
kommen geheilt, bei dem Rest finden sich wieder Adnextumoren.
Man entferne stets beide Adnexe, ln allen Fällen ist die Laparotomie
vorzuziehen. Solange für die Tuberkulösen nicht durch Sana¬
torien etc. eine genügend lange und gründliche interne Behandlung
möglich ist, müssen wir im Interesse ihrer raschen Wiederherstel¬
lung zur Ooeration raten und können dies nach den Erfahrungen der
Tübinger Klinik mit gutem Gewissen tun.
Herr E. Sclplades: Ueber Uterusruptur Im Anschluss an
97 einheitlich behandelte Fälle der T a u f f e r sehen Universitäts-
Frauenklinik zu Ofen-Pest.
Vortr. ist der Ansicht, dass man zur Entstehung der spontanen
Runtur des unteren Gebärmutterabschnittes den Widerstand der
natürlichen Fixierungsvorrichtung für genügend erklären muss,
nachdem sonst der Mechanismus dieser Rupturen anders unklar
bleibt.
Es ist am richtigsten, die komplette Ruptur ebenfalls konser¬
vativ zu behandeln, gerade wie die inkomplette. Die erste Be¬
handlung der Uterusruptur muss immer an Ort und Stelle ausgeführt
werden.
Die Kranke bleibe wenigstens zwei, wenn es aber möelich ist
8 Tage lang in ihrer Wohnung. Inzwischen wird der zur Zeit der
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1405
Geburt eingeführte Tampon belassen, ausgenommen, wenn wir zur
Herausnahme desselben durch anhaltend hohe Temperaturen ge¬
zwungen werden. Erst jetzt wird die Patientin in den angegebenen
geeignetsten Verhältnissen ins Institut transportiert. Hier wird der
zur Zeit der Geburt eingelegte Gazetampon entfernt, und ein Glas-
drain" eingeführt, welcher in 6—8 Tagen und nach behutsamer Aus¬
spülung der Vagina mit einer Kalium-hypermanganicum-Lösung durch
ein Gummidrain ersetzt wird. Sodann werden sonstige lokale und
symptomatische Behandlungsarten angewendet, bis die Wundhöhle
gänzlich ausgefüllt wird. .
Von dieser Behandlungsart weichen wir nur in den Fallen ab,
wo die konservative Therapie nicht zum Ziele führen würde. Im
Falle einer operativen Behandlung verspricht die totale abdominale
Hysterektomie und die supravaginale Amputation die besten Erfolge.
Die Frage, welche von den zwei Operationen gewählt werden
soll, muss im gegebenen Falle durch den Zustand der Kranken ent¬
schieden werden. ....
Für spätere Graviditäten ist zu berücksichtigen, dass wegen der
wahrscheinlichen Gefahr einer neuerlichen Ruptur am Ende der
Schwangerschaft es zu k e i n e r Geburtsarbeit kommen darf, weiters
dass wir dieser Gefahr auch durch Frühgeburt nicht ganz sicher
ausweichen können.
Laut diesem müssen wir also sagen, dass in solchen ballen die
im Beginne der Geburt ausgeführte Sectio caesarea das richtig ge¬
wählte Verfahren wäre. Und dies sollte unsere Konklusion bleiben
auch dann, wenn wir die beiläufig 5 proz. Mortalität des Kaiser¬
schnittes mit der 65,8 Proz. ergebenden Mortalität unseres im Zu¬
samenhange mit der Uterusruptur ohne jede weitere Distinktion
beobachteten Materials vergleichen würden.
Ob die Einleitung einer künstlichen Frühgeburt, welche die
Wiederholung einer Ruptur in 18 Proz. nicht vermeidet, richtiger
wäre, muss solange unentschieden bleiben, bis uns darüber über¬
zeugende Erfahrungen zur Verfügung stehen werden.
Nachdem jedoch die Uterusruptur mit grösserer Wahrschein¬
lichkeit eine tödliche Verletzung bildet, hat die Kranke das Recht, von
uns zu wünschen, dass wir von ihr diese Gefahr womöglich fern¬
halten.
Wenn die Frau daher von einer Uterusruptur schon einmal ge¬
heilt wurde, geben wir ihr Instruktionen, dass sie die neueren Kon¬
zeptionen möglichst vermeiden solle, und falls dies nicht gelingt, soll
unser Verfahren, nach genügenden Aufklärungen, von ihrer Ent¬
scheidung abhängig gemacht werden.
Das heisst, wenn sie zur Zeit des früheren Anfanges ihrer Gra¬
vidität zu uns kommt und es w ii lisch t, so soll die Gravidität
durch den künstlichen Abort unterbrochen werden. Wenn jedoch
die Gravidität schon soweit fortgeschritten ist, dass wir auch ein
lebendes Kind erwarten können, überlassen wir es nach genügenden
Aufklärungen wieder ihrer Entscheidung, ob sie sich den Gefahren
einer künstlichen Frühgeburt, oder der Sectio caesarea und der
dieselbe ergänzenden Sterilisation aussetzen will.
Herr R. Freund-Halle a. S.: Zur Toxikologie der Plazenta.
Mit Demonstration (Tierexperiment).
F. hat nach dem Vorgehen von Weichardt und Piltz in¬
travenöse Injektionen von Pressaft entblu t e t e r
menschlicher Plazenten bei Kaninchen ausgeführt.
An der Hand von 200 Versuchen (Kaninchen und Hunde), bei denen
52 Plazenten verarbeitet wurden, kommt F. zu dem Resultat, dass,
wie Weichardt und Piltz bereits annahmen, zwei Kompo¬
nenten als Todesursache vorhanden seien: Die Thrombose
erregende ist Fibrinfermentwirkung, die infolge von
Blut- und Gewebsbeimengung trotz vorheriger Spülung der Plazenta
nicht sicher zu eliminieren ist; die zweite ist ein besonders
das Atmungszentrum lähmendes Gift. Letzteres
konnte F. auch bei Dosen von 1 ccm klar in Erschei¬
nung treten sehen in Fällen, wo jede Thrombose,
auch bazilläre Embolie ausgeschlossen war. Sub¬
kutan und intraperitoneal wirkte das Gift nicht. Immunisierung der
Tiere gelang nicht, nur kurzdauernde Resistenzerhöhung gegen Toxin¬
wirkung bei mehrfachen, rasch aufeinanderfolgenden kleinen, allmäh¬
lich steigenden Dosen. Chemisch eine Trennung der toxischen Sub¬
stanz von den Eiweisskörpern herbeizuführen, misslang. Durch
Schütteln mit Tierkohle (Heubner) und auch durch
Berkefeldfilter konnte der stets trübe, an Zell¬
trümmern reiche Pressaft bis zur Opaleszenz ge¬
klärt und dadurch völlig entgiftet werden. Das
Gift war demnach an die Plasmatrümmer der Cho-
rionepithelien gebunden. Durch Osmose vermittels ver¬
schieden konzentrierter Salzlösungen ein wasserlösliches, kri-
stalloides Gift aus den Plasmatrümmern zu gewinnen, schlug fehl;
wohl aber erzielte man dadurch eine bessere
Haltbarkeit des sehr unbeständigen, thermo¬
labilen Giftes. Kaninchenplazenten zeigten sich im Extrakt
Kaninchen gegenüber auch tödlich. Pressäfte anderer drüsiger
Organe (Milz, Niere, Pankreas, Leber) wirkten bei intravenöser Appli¬
kation ganz analog oder ähnlich. Mit Ausnahme der Pla¬
zenta gibt es aber keine Drüse, deren Zellen nor¬
malerweise direkt ins Blut gelangen können. (Könn¬
ten andere Drüsenzellen dies auch, so ereigneten sich gleichfalls
organische Störungen, z. B. Leberzirrhose nach gewissen hyper¬
plastischen Zuständen und Krankheiten der Milz, deren Pulpazellen
intravenös fortgeschwemmt werden.) In Erwägung dieser
Tatsache und in Hinblick darauf, dass sich aus
jeder Plazenta ein Gift hersteilen lässt, welches
zentral, ohnie Thrombose und nicht durch die
Nieren wirkt, ist, soweit man vom Tierexperiment
auf menschliche Vorgänge schliessen darf, die
Gelegenheit zu schweren Intoxikationen des
mütterlichen Organismus durch die Plazenta
verständlich.
Herr Hofbauer - Königsberg: Zur Pathologie und Pathogenese
der Eklampsie.
Die Aussicht auf eine befriedigende Lösung der Eklampsiefrage
erscheint genau so wie bei anderen pathologischen Problemen nur
durch eine genaue Lokalisation des Gesamtprozesses, durch eine
Erkenntnis der Topik der Giftwirkung gegeben; die dieselben aus¬
lösenden Substanzen rein darzustellen, ist die sich daranschliessende
Aufgabe.
Die Aufmerksamkeit der Untersucher muss sich aber nicht nur
auf die endgültigen, sie muss sich auch auf die intermediären
Abbauprodukte des Stoffwechsels richten, um eine breite Grundlage
für die einheitliche Konstruktion des Krankheitssystems zu gewinnen.
Eine Direktive für den Gang der Untersuchungen ist in dem ana¬
tomischen, genau umschriebenen Bilde der Eklampsie gegeben,
welche schwere degenerative Veränderungen in den lebenswichtigen
Parenchymen aufweist. Als besonders charakteristisches Kriterium
dieser Veränderungen gilt seit den Schmor Ischen Angaben das
Auftreten der in der Aussenzone der Acini gelegenen Lebernekrosen,
die mit Blutungen in das Gewebe und mit Thrombenbildung in den
Gefässen gepaart sind. Diese Lokalisation deutet mit Bestimmtheit
darauf hin, dass das schädigende Agens mit der Blutbahn den Leber-
acinis zugeführt wird; und die Frage ist nur die, ob man die Nekrosen¬
bildung als eine primäre Folge dieser Noxe anzusehen hat oder als
eine Folgeerscheinung der Thrombenbildung in den Gefässchen.
Vom chemischen Standpunkte aus ist es nun von Interesse, die
Stoffe kennen zu lernen, welche bei dieser Degeneration von Leber¬
substanz auftreten, und deren pharmakologische Wirksamkeit. Der¬
artige Nekrobiosen müssen wir heute nach den Untersuchungen der
letzten Jahre (Jacoby) als autolytische auffassen; ja wir
müssen in der höhergradigen trüben Schwellung, sowie in der fetti¬
gen Degeneration wesensverwandte, nur graduell verschiedene De-
konstitutionsprozesse des Zellplasmas erkennen. Eine Erweiterung
unseres Horizontes muss somit dadurch gegeben sein, wenn wir eine
Reihe von Stoffen, welche erfahrungsgemäss bei künstlich durch¬
geführter Leberautolyse auftreten, auch in der eklamptischen Leber
nachzuweisen imstande sind. Von diesen Substanzen Hessen sich
nun in den kurz post exitum verarbeiteten Lebern von Eklamptischen
isolieren: Amidosäuren (Leucin, Tyrosin, Glykokoll) und Fettsäuren
(Milchsäure, Ameisensäure, Bernsteinsäure), ferner Lysin und Purin¬
basen. Die Vorgänge in der Leber sind somit als partielle,
autolytische anzusprechen; sie treten dadurch in Parallele mit
den Ereignissen bei der akuten Atrophie, teilweise auch mit denen
bei der Phosphorvergiftung. Damit sind wir allerdings noch nicht
berechtigt, irgend eines der Stoffwechselprodukte in toxikologischer
Beziehung in den Vordergrund zu rücken; nur die Gesamtheit der
Erscheinungen, welche auch bei den anderen schweren hepatogenen
Degenerationen beobachtet werden und auch dort auf die Gegen¬
wart einer bestimmten Substanz noch nicht bezogen werden können,
ist mit denselben in Relation gebracht.
Derartige autolytische Phänomene werden nun nach den Er¬
fahrungen der Pharmakologen dann ausgelöst, wenn im Blute Stoffe
kreisen, welche die, normalerweise die Wirkung intrazellulärer Fer¬
mente hemmenden, Faktoren paralysieren. Solche Stoffe sind ganz
allgemein Globuline, ferner Fermentkörper, welche in irgend einer
Weise in die Blutbahn gelangten.
Nun wissen wir, dass die Plazenta hochaktive Fermente be¬
herbergt (Hämolysine, eiweissspaltende Fermente etc.). Ein Hinein¬
gelangen grösserer Fermentmengen aus derselben in die materne Zir¬
kulation müsste also diejenigen deletären Erscheinungen auslösen,
welche nach dem Einbringen derartiger Stoffe in den Kreislauf auf¬
treten — also Zerstörung roter Blutkörperchen mit der durch deren
Stromata bedingten Globulinvermehrung, ferner Hämoglobinämie — ,
ferner Fibrinvermehrung, Hyperleukozytose, Degenerationen von
Parenchymen, Blutungen, Gerinnungen.
Dass die der Plazenta eigentümlichen Fermente diese Wir¬
kungen hervorbringen können, ist experimentell sichergestellt.
Es braucht somit durchaus nicht bei der Eklampsie in der Pla¬
zenta selbst eine besondere „Giftproduktion“ stattzufinden, wie bis¬
her immer supponiert wurde. Nur die A u s f u h r dieser, der Plazenta
normalerweise inhärierenden Stoffe ist gesteigert und wirkt auf den
maternen Organismus deletär; und zwar entweder direkt — im
Sinne der Fermenteinwirkung — oder indirekt, indem die a u t o -
lytischen Prozesse auftreten und im Gefolge dieser abnorme
Zwischenprodukte zur Wirkung gelangen.
Eine Darstellung des Hergangs der Erkrankung bei der Eklampsie
müsste somit lauten:
Etappe I. Plazenta (agent provocateur),
1406
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Etappe II. Herz, Leber, Niere (Degenerationen, auto¬
lytische Prozesse).
Etappe III (vielleicht auch gleichzeitig teilweise als Etappe II).
Gehirn prozesse.
Eine derartige toxikologische Gruppierung macht es erklärlich,
dass nach Ausschaltung des schürenden Herdes — i. e. der Plazenta
die Intoxikation zurückgeht, vorausgesetzt, dass noch nicht zu
viel von dem schädigenden Agens sich an die giftempfindlichen Zellen
verankert hat.
Eine Probe ist auch dadurch gegeben, dass die bei der Leber¬
autolyse sich bildenden Fettsäuren in der Plazenta bei Eklampsie
nachweisbar sind; sie beherbergt dieselben nun, wie jedes andere
materne Organ, aber vielleicht in relativ grösserer Menge, da sie als
„Giftfänger“ funktioniert.
Für die Therapie kommen auf Grund dieser Ausführungen die
Frühoperation, die möglichste Vermeidung des Chloro¬
forms bei der Narkose in Frage.
Herr v. H e r f f demonstriert Kurven, nach denen in Basel jähr¬
lich 6,8 Prom. Ophthalmoblennorrhöen in der Stadt angezeigt werden,
von diesen entfallen 21,2 Prom. auf die unehelichen und 5,9 Prom.
auf die ehelichen Kinder (Durchschnitt von 10 Jahren).
Die Argentum-nitricum-Vorbeugung im Frauenspitale erniedrigte
die Erkrankungsziffer auf 2,6 Prom., davon eheliche Kinder 2,3 Prom.,
uneheliche 3,6 Prom.
Die Einführung des Protargols brachte eine weitere Besserung,
dass die Zahl der Ophthalmoblennorrhöen auf 0,6 Prom. sank —
2 Spätinfektionen bei ehelichen Kindern.
Unter Sophol wurden bislang 0,4 Prom. Erkrankungen re¬
gistriert, d. h. eine Frühinfektion bei einem unehelichen Kinde. Seit
Aufgabe des Argentum nitricum ist bei 5900 Kindern die Zahl der
Erkrankungen um das vierfache vermindert worden. Sophol- reizt
weit weniger als Argentum aceticum.
Herr F r o m m e - Halle a. S.: Lieber Diagnose und Therapie des
Puerperalfiebers.
Bericht über bakteriologische Blutuntersuchungen bei 52 ver¬
schiedenen Fiebererkrankungen im Wochenbette. Bei der putriden
Intoxikation (Lochiometra, 28 Fälle) ist das Blut immer steril befun¬
den, ebenso bei 8 weiteren Fällen, die unter den Zeichen schwerster
Infektion erkrankten, bei denen man Streptokokken beinahe in Rein¬
kultur aus dem Uterus züchten konnte. Alle genasen ohne Einleitung
einer weiteren Therapie. Der täglich sich ergebende negative
Ausfall der bateriologischen Blutuntersuchung bewies, dass die In¬
fektion auf dem Uterus beschränkt blieb, dass die Bakterien nicht im¬
stande waren, aktiv das lebende Gewebe zu überwinden, der negative
Ausfall der bakteriologischen Blutuntersuchung erlaubte also auch
die Prognose günstig zu stellen.
Zwei Fälle von Streptokokkenperitonitis mit Streptokokkämie
kamen trotz frühzeitiger Inzision und Drainage zum Exitus. Ein Fall
von Streptokokkämie (in 2 ccm Blut 120 Kolonien) wurde durch wie¬
derholte intravenöse Einverleibung von Antistrepto¬
kokkenserum Höchst gerettet. Empfehlung dieser Methode
für künftig zur Beobachtung kommende Fälle von Streptokokkämie.
Ein anderer Fall von Streptokokkämie kam ohne intravenöse Gabe
von Serum zum Exitus. Drei Fälle von Puerperalfieber mit Staphylo-
coccus pyogenes aureus im Blute wurden beobachtet, zwei davon
starben, ein dritter genas (nach Abort). •
Es sind also streng zu trennen die Fälle von Puerperalfieber, bei
denen die Infektion auf den Uterus beschränkt bleibt und die Pa¬
tientin nur durch Toxinämie erkrankt, die einen hohen Grad erreichen
kann, wenn Streptokokken dabei im Spiele sind. Sind die Bakterien
nicht im Stande, das lebende Gewebe zu überwinden, und in Blut
oder Lymphe progredient zu sein, so scheint nach Fr.s Fällen die
Prognose günstig.
Anders, wenn die Bakterien ihre hohe Virulenz für das Indi¬
viduum dadurch beweisen, dass sie die vom Körper ausgesandten
Abwehrkräfte überwinden, und in Blut oder Lymphe in grösseren
Mengen kreisen (reine Septikämie, puerperale Peritonitis). Dann
ist die Prognose dubiös, nur eine spezifische Kur kann eventuell
retten.
Zwischen diesen beiden Erkrankungsformen steht die puerperale
Pyämie und die Parametritis. Bei ersterer können in manchen
Fällen Bakterien im Blute gefunden werden (2 Fälle), ist aber nicht
unbedingt notwendig (1 Fall), die Prognose scheint bei letzterem
günstiger zu sein. Keine Bakterien hat Fr. bei Parametritis im Blute
gefunden, diese hat dabei günstige Prognose.
Zum Schluss wird nochmals darauf hingewiesen, dass die bak¬
teriologische Blutuntersuchung künftig in allen Fällen von Puer¬
peralfieber gefordert werden muss.
Herr v. H e r f f warnt, aus einem einzigen Falle Schlussfolge¬
rungen für die Therapie zu ziehen. Das post hoc propter hoc müsse
mit grösster Vorsicht gerade beim Kindbettfieber behandelt werden.
Anwesenheit von Streptokokken im Blute bedeute noch lange nicht
den Tod und so kann der mitgeteilte Fall in keiner Weise als Be¬
weis für die Wirksamkeit des angewandten Serums dienen.
Herr E. K e h r e r - Heidelberg: Experimentelle Untersuchungen
über die Wirkung der Mutterkornpräparate. Der überlebende Uterus
als Testobjekt für deren Wirksamkeit.
Kehrer weist unter Demonstration zahlreicher Kurven und
Photographien nach, dass alle von ihm untersuchten Ergotine und
ein Teil der aus der Mutterkorndroge dargestellten pulverförmigen
Substanzen die automatischen Kontraktionen des vollkommen vom
umgebenden Bindegewebe und seinen Nerven isolierten, überlebend
gehaltenen Uterus (Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, Hund,
Mensch) mehr oder weniger lebhaft anzuregen vermögen.
Eine vollkommene Uebereinstimmung mit diesen Versuchen zei¬
gen die am lebenden Tier bei einer von Kehrer zuerst angewen¬
deten und im Diagramm demonstrierten Methode, bei der ebenfalls
der Uterus seine Kontraktionen selbständig aufschreibt. Daraus
folgt, dass das im Secale cornutum wirksame Prinzip im Wesent¬
lichen einen peripheren Angriffspunkt im motorischen Apparat der
Uterussubstanz besitzen muss.
Die Wirkung intravenös verabreichter Mutterkornpräparate auf
den Blutdruck besteht in rapidem Sinken, wonach bald die frühere
Höhe erreicht oder nach oben überschritten wird. Bei intramus¬
kulärer Injektion ist die Blutdrucksenkung gering, ebenso bei intra¬
venöser Einspritzung der reinsten Mutterkornpräparate (Ergotinin-
Tanret, Kornutin-Kobert, Spasmotin-Jacoby, Klavin-Vahlen).
Der überlebende Uterus ist nach Kehrer das beste T cst-
objekt für die Wirksamkeit der Mutterkornpräparate, da allen
bisherigen Wertbestimmungsmethoden (Hahnenkammwirkung, Abort¬
eintritt) zahlreiche Fehler anhaften. Als „Einheit“ bezeichnet Keh¬
rer die minimale wirksame Dosis von frischem Mutterkorninfus:
1 cgr zugegeben zu 200 ccm der das Uteruspräparat tragenden R i n -
g e r sehen Flüssigkeitverdünnung von 1 : 20 000. Im Vergleich dazu
wurde die Wirksamkeit von 27 Mutterkornpräparaten und für jedes
derselben die therapeutische Dosis bestimmt. Die am stärksten wir¬
kenden Präparate (Verdünnung von 1 :2 Million sind Ergotin Wer-
nich, Denzel, Bonjean und Sekakornin. Nur die Nebennierenpräparate
sind, auf den Uterus noch wirksamer: nämlich bei einer zwischen
1 : 10 und 1 : 100 Million gelegenen Verdünnung.
Von den das wirksame Prinzip angeblich am reinsten enthalten¬
den Präparaten: Kornutin, Ergotinin, Spasmotin, Klavin besitzen die
3 ersten nicht die intensivste, das letzte fast gar keine Wirkung
auf den Uterus — daher muss sehr wahrscheinlich bei der Darstellung
derselben ein mehr oder wenig grosser Teil der wirksamen Bestand¬
teile verloren gegangen sein.
Herr E. Kehrer demonstriert den Einflüss von kleinen und
grossen Dosen von Morphium, Skopolamin, Stovain auf die auto¬
matischen Kontraktionen des überlebenden und lebenden Uterus der
Katze und Kaninchen (intravenöse und intramuskuläre Injektion). Die
3 Narkotika wirken in kleinen Dosen leicht erregend, in hohen Dosen
lähmend auf die Zusammenziehungen der Uterusmuskulatur eifi. Auch
bei einem menschlichen Uterus erfolgte durch Skopolamin geringe
Erregung. In allen Fällen war der Effekt auf den Uterus ganz be¬
deutend schwächer als wenn Mutterkorn-, Hydrastin-, Kotanin-
präparate, Chinin, Pilokarpin, Strophantin usw. verabreicht worden
wären. Ein Einfluss der zur Lumbalanästhesie injizierten Narkotika
auf die Gebärmutter ist nicht anzunehmen. Mit den Versuchen stimmt
die praktische Erfahrung bei Gebärenden, dass ganz kleine Morphin¬
dosen die Wehen anzuregen, grössere sie zum Stillstand zu bringen
pflegen; die öfters beobachtete hemmende Wirkung bei der Narkose
mit Skopolamin-Morphin beruht nach Kehrer wahrscheinlich auf
dem Morphin.
Herr G a u s s - Freiburg i. Br.: Zur Diätetik des Wochenbettes.
An der K r ö n i g sehen Klinik sind die in Deutschland durch
Kästner empfohlenen Versuche des Friihaufstehens der Wöchne¬
rinnen seit 1% Jahren wieder aufgenommen und mit erweiterten
Indikationen praktisch durchgeführt. Anämie, Schwäche, Herzfehler,
Varizen, bestehende oder befürchtete Infektion wurden als strenge
Anzeige betrachtet, die Patienten so früh als möglich ausser Bett zu
bringen; gesunden Wöchnerinnen wurde die Zeit des Aufstehens frei¬
gestellt. Die gesunde Körperbewegung wurde, besonders bei man¬
chen Frauen, die eine Gegenanzeige zum Frtihaufstehen hatten, durch
frühzeitige gymnastische Uebungen im Bett ersetzt.
Von den in lVa Jahren entbundenen 1000 Frauen standen 62 Proz.
bis zum 5., 41 Proz. bis zum 3. Wochenbettstag auf, 92 Proz. wurden
spontan, 8 Proz. operativ entbunden. 10 Frauen starben: 5 an akuter
Anämie, 2 an Eklampsie, 3 an akuter Sepsis; von den 3 Septischen
waren 2 ausserhalb infiziert, 1 starb 1 Tag nach einer intra partum
vorgenommenen abdominellen Myomotomie an Operationsperitonitis.
Das subjektive Wohlbefinden der Frühaufsteher war durchweg
entschieden besser als das der Spätaufgestandenen ; spontane De-
fäkation und Urinentleerung waren erleichtert.
Das Stillvermögen der bis zum 5. Tag aufgestandenen afebrilen
Wöchnerinnen war bei weitem grösser als das der afebrilen, nach
dem 5. Tag aufstehenden, eine Tatsache, die für die Steigerung der
Milchproduktion ganz neue Perspektiven bietet.
Die Involution der Bauchdecken liess nichts zu wünschen übrig;
sowohl bei der Entlassung aus der Klinik als bei späteren Kontroll-
untersuchungen (6 Wochen bis 1 Jahr) wurden gute Resultate notiert.
Diejenigen, die gymnastische Uebungen gemacht hatten, zeigten
festere und straffere Bauchdecken als die anderen. Demgegenüber
fiel das häufige Vorkommen ausgesprochen schlaffer Bauchdecken
bei solchen Sekundiparen auf, die beidemal kein kurzes Wochen¬
bett durchgemacht hatten.
Die Rückbildung der Vagina zeigte gleich günstige Verhältnisse.
Unter den nach Verlauf eines Jahres .nachkontrollierten Primiparen
). Juli 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1407
anden sich zwei mit Prolaps: beide waren nicht früh aufgestanden
md hatten keine Gymnastik im Bett getrieben.
Primäre (schon nach 2 Wochen p. p. konstatierte) Retroflexio
iteri war viel häufiger bei den Früh- als bei den Spätaufstehern,
ibenso verhielt es sich mit der sekundären (nicht vor 6 Wochen
>. p. konstatierten) Retroflexio uteri, für die hauptsächlich die Mehr-
. .ebärenden ein grosses Kontingent stellten, ausserdem besonders
I wkundiparae, die irn ersten und zweiten Wochenbett nicht früh
ufgestanden waren.
Vergleichende Pulsbeobachtungen Hessen keinerlei Schädigungen
!er Herzfunktionen erkennen. Im Gegenteil zeigte sich die auffällige
; atsache, dass keine der 8 von Thrombose und Embolie betroffenen
i Wöchnerinnen (auch der afebrilen!) vor dem 6. Tage p. p. auf-
estanden war.
Die wichtigsten Resultate zeitigte das Friihaufstehen der Wöch-
erinnen für die Frage der Morbidität. Je früher die Frauen das
Jett verliessen, desto seltener wurde Fieber beobachtet; ja die
/lorbidität der Frühaufsteher zuzüglich der Frauen, die nicht auf-
tanden, weil sie in den ersten 3 Tagen Fieber hatten, zeigte sich auf-
illig viel besser als die der Spätaufsteher. Vergleichszahlen aus den
ahren, in denen alle Wöchnerinnen erst nach dem 5. Tage aufstanden,
rhärten dieses Resultat.
Alles in allem lassen sich aus den — ausführlich an anderem
)rte publizierten — Beobachtungen interessante Schlüsse ableiten,
ie für die zukünftige Wochenbettsdiätetik von grosser Bedeutung
ein können.
Herr Th. H. van de Velde: Ueber Blastomyzeten und Ent-
iindungen der weiblichen Genitalien.
Van de Velde berichtet über 77 Fälle von Entzündungen ver¬
miedener Teile des weiblichen Genitälapparates, bei welchen er
likroskopisch und kulturell Blastomyzeten nachgewiesen hat. Die
ausalverbindung zwischen der Anwesenheit der manchmal in Rein-
rultur, oder öfter zusammen mit verschiedenen Begleitbakterien,
- aber dann doch in überwiegender Zahl — aufgefundenen Hefen und
en Entzündungen wird vom Redner wahrscheinlich gemacht, für
lanche Fälle sogar bewiesen.
Die Hefen Hessen sich meistenteils nur in wenigen Generationen
nd in einigen Nährmedien züchten, in 24 Fällen aber gelang es
urch fortgesetzte Ueberimpfung viele der Eigenschaften der be-
•effenden Organismen festzustellen.
Es zeigte sich dabei dass 13 unbekannte Arten gefunden wurden,
on denen Van de Velde 9 in Gelatinestichkulturen, zusammen
nt einer grossen Anzahl von Mikrophotogrammen dem Kongresse
sigt.
Die grösste Zahl der Fälle bezieht sich auf heftiges Jucken, und
berflüssigen, graugelben, schleimig-eitrigen Ausfluss verursachende,
Rute Entzündungen der Schleimhaut des Zervikalkanals, der Vagina
nd der Vulva. In 9 dieser Fälle wurde das zu Scheidenaus-
pritzungen benützte Wasser als Ueberträger der Blastomyzeten-
5 ifektion nachgewiesen, 2 mal zog sich der betreffende Ehemann eine
alanitis mit kleinen Pusteln zu, welche die Hefen in Reinkultur
ithielten.
Das Bestehen einer chronischen Gonorrhöe scheint das Zustande¬
kommen einer Blastomyzeteninfektion zu begünstigen. Denn diese
htztere trat bei gonorrhöakranken Frauen bemerkenswert oft auf,
jerursachte eine, immer ziemlich heftige, akute Verschlimmerung-
US Ausflusses mit belästigenden Symptomen und bisweilen auch all-
pmeines Unwohlsein, schien aber auf das ursprüngliche Leiden einen
lehr oder weniger günstigen Einfluss auszuüben.
Redner erwähnt weiter noch den Hefenbefund bei Schwangeren,
e von ihm wahrgenommenen Vulvitides bei Kindern und jungen
ädchen, das Auffinden von Hefen in Reinkultur in Zysten der Glan-
|da Bartholini, in einer mit miliären Abszessen durchsetzten, chro-
j sch-septischen Gebärmutter und im eingedickten Eiter in 2 Fällen
hn Saktosalpinx. Er betont dabei das pseudotuberkulöse Aussehen
prselben und. weist in Verbindung damit auch hin auf den klinisch
pd pathologisch-anatomisch stark an Tuberkulose erinnernden Aspekt
nes von ihm untersuchten Falles von Nierenblastomykose.
Nachdem er noch einen sehr interessanten Fall von rezidivieren-
pr Mastitis mit Hefen in Reinkultur mitgeteilt hat, schliesst Van de
| e 1 d e seinen Vortrag mit der Erwähnung von 4 Fällen von Blasto-
yzetensepsis, in welchen diese Mikroorganismen in dem der Armvene
ltnommenen Blute mikroskopisch und kulturell nachgewiesen
urden.
Hen Birnbaum -Göttingen: Die Erkennung und Behandlung
:r weiblichen Urogenitaltuberkulose mit den K o c h sehen Tuber-
ilinpräparaten.
ln der Göttinger Frauenklinik wurde in den letzten 4 Jahren
;i über 80 Fällen die diagnostische Tuberkulinprobe angestellt,
arunter befindet sich eine ganze Reihe von Fällen, die ätiologisch
nst wohl entweder unklar geblieben oder die sogar sonst sicher
Isch gedeutet wären. In keinem der Fälle hat die positive oder
gative Reaktion direkt getäuscht. In ganz vereinzelten Fällen blieb
2 Diagnose infolge geringer Intensität der Reaktion zweifelhaft,
^soliderer Wert ist auf den Eintritt der lokalen Reaktion zu legen,
2 sowohl bei frischeren als auch älteren Prozessen fast ausnahms-
I eintritt. Eine Verschleppung der Tuberkulose resp. eine Ver-
hlimmerung des tuberkulösen Prozesses wurde niemals beobachtet.
, lerapeutisch wurden die Tuberkulinpräparate (Alt- und Neutuber-
kulin) in 23 Fällen von Urogenitaltuberkulose angewandt. Hand in
Hand mit den Injektionen ging eine ZAveckentsprechende hygienisch-
diätetische Behandlung.
Von Peritonealtuberkulose mit Aszites wurden 7 Fälle be¬
handelt. Davon sind 3 Fälle zur Ausheilung gekommen.
Von 7 Fällen von trockener Peritonealtuberkulose sind 5 Fälle
anscheinend geheilt. Von den Fällen, bei denen im Vordergründe
der Erkrankung eine Adnextuberkulose, ein tuberkulöses Exsu¬
dat usw. stand, wurden anscheinend geheilt 3 Fälle, 1 Fall ist in
Ausheilung begriffen und bei dem 5. Fall trat, nachdem der Prozess
ein Jahr lang zum Ausheilen gekommen zu sein schien, ein Re¬
zidiv auf. Zur letzten Gruppe gehören die Fälle von vorwiegend
Blasentuberkulose. Mehrfach bestand gleichzeitig Nierentuberkulose.
1 Von 4 hierher gehörenden Fällen trat einmal sichere Heilung ein,
ein Fall ist anscheinend in Ausheilung begriffen, bei den übrigen
beiden Fällen wmrde nur eine erhebliche Besserung erzielt. Bei fast
allen mit Tuberkulin behandelten Fällen trat eine erhebliche Gewichts¬
zunahme und auffallende schnelle Hebung des Allgemeinbefindens ein.
Eine Vorbedingung für den günstigen Verlauf einer Tuberkulinkur ist
ein noch günstiges Allgemeinbefinden und für gewöhnlich Fieberlosig-
keit des betreffenden Falles. Schliesslich ist eine weitere Voraus¬
setzung für gute Dauerresultate die von Petruschky für die
Lungentuberkulose empfohlene Etappenkur. Zuweilen erweist sich
die Kombination beider Tuberkulinpräparate als vorteilhaft.
(Gekürztes Autoreferat.)
Herr B ü 1 1 n e r - Rostock: Zur Kryoskopie des Harnes in der
Schwangerschaft.
B. untersuchte den ohne Verlust gesammelten Harn einer ge¬
sunden Primigravida täglich während der letzten 33 Wochen der
Schwangerschaft auf Menge, Gefrierpunkt und Chloridgehalt und de¬
monstriert die entsprechenden Kurven. Diese zeigen, dass die Ge¬
samtmenge der ausgeschiedenen löslichen Stoffe im Laufe, der Schwan¬
gerschaft geringer wird und zwar betrifft die Minderausscheidung
hauptsächlich die Achloride (Harnstoff, Urate, Phosphate, Sulfate etc.),
also die Produkte der regressiven Eiweissmetamorphose. Auf die
Zeit des stärksten Abfalles der Achloridkurve folgt unmittelbar die
schnellste Gewichtszunahme der untersuchten Person. B. glaubt
aus der ganzen Untersuchungsreihe den Schluss ziehen zu dürfen,
dass — im Gegensatz zu den Beobachtungen an Tieren — beim
menschlichen Weibe in der Schwangerschaft schon früh die Tendenz
einer Sparsamkeit im Eiweisshaushalte auftritt. Natürlich könnte
die Entscheidung der Frage erst durch exakte Stoffwechselunter¬
suchungen gegeben werden. Immerhin aber sei eine vorläufige
Orientierung auch durch kryoskopische Harnuntersuchungen möglich,
vorausgesetzt, dass diese über lange Zeiträume ausgedehnt werden.
Herr Ziegenspeck - München : Zur Stillungsfrage.
Z. entwarft einen kurzen historischen Ueberblick auf das Stillen
der Mütter in Deutschland und den Nachbarländern. Insbesondere
weist er auf die grosse Arbeit Roses hin, in der an der Hand sehr
grosser Zahlen die Bedeutung der Muttermilch für die Kinder und das
Menschengeschlecht überhaupt nachgewiesen wird. Aus dieser Unter¬
suchung Roses geht weiter hervor, dass auf die Entwicklung der
Zähne ein grosser Einfluss besteht, je nachdem die Kinder gestillt
wurden oder nicht. Ja noch mehr: sogar für die Entwicklung der
geistigen Fähigkeiten ist ein Zusammenhang zu eruieren. Stillen oder
Nichtstillen ist geradezu eine nationale Frage. An der Förderung der
Ueberzeugung, dass alle Mütter stillen müssen und können, sollen
alle Kreise arbeiten. Auf einige Punkte wird besonders aufmerksam
gemacht. Manche Mutterbrust geht schwer. Wenn ein kleines Kind
zu schwach ist für eine solche Brust, dann muss es an eine leicht¬
gehende gebracht werden. Für eine Mahlzeit ist immer eine Brust
zu verwenden. Die Pausen zwischen den Nahrungsaufnahmen sollen
4 Stunden betragen. Die Legende, dass Stillen die Mutter erschöpft,
dürfte jetzt endgültig widerlegt sein. Die Belehrung des Volkes
und die Vermehrung der Stillungsheime, die Ueberzeugung jeder ein¬
zelnen Mutter, dass sie zur Ernährung ihres Kindes verpflichtet ist,
werden wohl in Zukunft sichere Besserung bringen.
Herr R a u s c h e r - Fr.eiburg: Demonstration eines sehr jungen
menschlichen Eies in situ.
An der Hand eines Uebersichtsbildes bespricht R. ausschliesslich
die für die Eiimplantation sowie für die Genese und Histologie des
Chorions sich ergebenden, zum Teil durchaus neuen Gesichtspunkte:
1. Das auf nicht ganz 10 Tage geschätzte Ei ist völlig einge¬
kapselt. Residuen eines narbigen Verschlusses sind an der Eikapsc!
nicht befnerkbar.
2. In der Randdezidua münden vielfach weite mütterliche Ge-
fässe in die Eikammer ein. Es spricht dies für einen geregelten Blut¬
kreislauf innerhalb des intervillösen Raumes bereits in diesem frühen
Stadium.
3. Im Bereich der Randdezidua sieht man an mehreren Stellen
seitlich arrodierte und mit der Eikammer in offener Kommunikation
stehende Drüsenausführungsgänge — ein Beweis für das parasitäre
aktive Vordringen des Eies, genauer der das Eisynzytium bildenden
Trophoblastzellen. Dieses sowie die allenthalben sichtbare leuko-
zytäre Infiltration des mütterlichen Gewebes spricht zu gunsten des
fötalen Ursprunges des Synzytiums.
4. Die Decidua basalis weist mit Blut erfüllte, weite Driisen-
holräume auf. Ihre Entstehung ist so zu denken, dass die Kommuni-
1408
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2\
kation seitlich arrodierter und vom intervillösen Raum her mit Blut
gefüllter Drüsen mit der Eikammer nachträglich verloren ging.
K e i b e 1 schreibt den so entstandenen Drüsenhohlräumen eine
Bedeutung für die Ernährung des Eies zu.
Herr Höhne-Kiel demonstriert an der Hand eines ausge¬
zeichneten Plattenmodells seine Ansicht über die Entstehung der intra¬
muskulären Abzweigungen des Tubenlumens. Aus dem Modell und
den mikroskopischen Bildern sieht man sehr gut Zusammenhang, Bau
und Anordnung dieser Divertikel. H. erläutert die Entwicklung dieser
Gebilde aus Abszessen innerhalb der Tubenwand, die in deren Dicke
sich ausbreiten und nachträglich in das Tubenlumen durchbrechen.
Später erst wurden sie mit kubischem Epithel ausgekleidet, so dass
diese Hohlräume Drüsenschläuchen ähnlich sehen, die in der Tuben¬
wand gewuchert sind. Den Zusammenhang dieser Kanäle unter¬
einander und mit dem Tubenlumen erkennt man ebenfalls deutlich
durch Injektion von Farbstoffen.
Der grösste Teil der Tubendivertikel entsteht auf diese Art.
Von ihnen sind kongenitale, die nicht zu leugnen sind, vollständig zu
trennen. Ausführl. Arbeit: Arch. f. Gyn., Bd. 74.
Im dritten Teile meines Berichtes über den Gynäkologenkon¬
gress zu Dresden (Münch, med. Wochenschr. No. 25) ist aus Ver¬
sehen der Vortrag von Herrn R e i f f e r s c h e i d - Bonn in un¬
vollständiger Form unter die Diskussionsbemerkungen eingereiht
worden. Deshalb mag er hier nochmals in ungekürztem Autoreferat
abgedruckt werden.
Herr Reifferscheid - Bonn : Erfahrungen mit der Heb¬
osteotomie.
R. berichtet an der Hand einer den Kongressteilnehmern ge¬
druckt vorliegenden Tabelle über 27 Hebosteotomien. Von den
Frauen starb eine am 5. Tage des afebrilen Wochenbettes an
Embolie, alle übrigen konnten geheilt mit gutem Gehvermögen ent¬
lassen werden. 17 mal wurde die subkutane Schnittmethode, 10 mal
die Stichmethode angewandt. 3 Blasenverletzungen kamen vor, alle
bei Anwendung der Stichmethode. Sicher vermeiden lassen sich
Blasenverletzungen nur bei dem Operationsverfahren von Döder-
1 e i n, nicht bei der Stichmethode, gleichgültig, welche Nadel man
dazu benutzen mag. Zur Vermeidung kommunizierender Scheiden¬
verletzungen sind grosse Scheidendamminzisionen bei engen Geni¬
talien notwendig, ferner ist es von grösster Wichtigkeit, wenn mög¬
lich nach Zweifels Vorschlag die Geburt spontan verlaufen zu
lassen.
Die Hebosteotomie ist in der Therapie des engen Beckens eine
unentbehrliche Operation geworden. Sie ist bis zu einer Conj. vera.
von 6,75 bezw. 6,5 cm anwendbar. Ihr Wert liegt in erster Linie
darin, dass sie es uns ermöglicht, auch beim engen Becken ab¬
wartend zu verfahren und erst dann einzugreifen, wenn der Geburts¬
verlauf lehrt, dass eine Spontangeburt ausgeschlossen ist.
Aber die Hebosteotomie ist keine Operation des praktischen
Arztes, da zur Bekämpfung der möglichen Komplikationen spezia-
listische Kenntnisse und Uebung notwendig sind. Sie soll in der
Regel auch nur in einem Krankenhause vorgenommen werden, wo die
nötige Assistenz und alle Hilfsmittel jederzeit zur Stelle sind. Kon¬
sequent wäre es demnach, die Geburtsleitung beim engen Becken
überhaupt dem Krankenhausarzt vorzubehalten. Solange das nicht
durchführbar ist, bleibt in der Praxis die künstliche Frühgeburt in
ihrem Recht. Der konsequenten Durchführung der Hebosteotomie
setzt sich ferner oft der Wille der Gebärenden entgegen, der vom
Arzte stets geachtet werden muss.
Zweimal wurden spätere Geburten nach Hebosteotomie be¬
obachtet. Einmal wurde durch Wendung und Extraktion ein leben¬
des Kind erzielt, das andere Mal kam es zur Spontangeburt eines
lebenden Kindes. Die Kinder waren 610 bezw. 400 g leichter als
die Hebosteotomiekinder. In beiden Fällen waren die Knochenränder
noch verschieblich und man konnte eine Auflockerung der rein binde¬
gewebigen Narbe während der Schwangerschaft beobachten. Es ist
also die Möglichkeit einer dauernden Erweiterung des Beckens
auch nach der Hebosteotomie vorhanden. Die Fälle sind so zu er¬
klären, dass von dem umgebenden Gewebe etwas sich in den
Knochenspalt eingeklemmt hat und so die knöcherne Vereinigung ver¬
hindert hat. Darauf Hesse sich der therapeutische Vorschlag auf¬
bauen, zur Erzielung einer dauernden Beckenerweiterung zu ver¬
suchen, operativ etwas Gewebe zwischenzulegen, wie das die Chirur¬
gen tun, wenn sie ankylotische Gelenke resezieren und einen Muskel¬
lappen zwischenlegen, um ein bewegliches Gelenk zu erzielen.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 26. Juni 1907.
Demonstrationen:
Herr Westenhoeffer: Präparate eines Falles von malignem
Lymphom mit geringer Vermehrung der Leukozyten, der durch Ver¬
blutung aus einer lymphomatös entarteten Stelle des Magens geendet
hatte.
Ein grosses Encliondrom der Rippen; Einbruch in die Leber.
Herr E. May: Kaninchenmägen, auf welchen das kürzlich von
G. Klemperer gegen Magenblutisng empfohlene Escalin (Au
schwemmung von Aluminium in Glyzerin) in feinster, gleichmässige
Verteilung zu sehen ist. Das Escalin hat sich auf Klemperer
Abteilung auch in 10 weiteren Fällen von Magenblutung sehr gi
bewährt; Einzeldosis 10 g (Preis M. 1.50), eine, höchstens zwi
genügen.
Herr Mainzer: Eine Anzahl von Uteri, die wegen Karzi
noms mit den Adnexen nach dem Vorgänge von W. A. Freun
per laparotomiam entfernt wurden und die grosse Ueberlegenhei
weil weit grössere Sicherheit dieses Verfahrens gegenüber der Ent
fernung auf vaginalem Wege dartun.
Herr Ewald: Zu der in der letzten Sitzung von Herrn Blum
b e r g gemachten kurzen Mitteilung betr. eines Untersuchungsver
fahrens bei Appendizitis habe er nachzutragen, dass sein da
mals von ihm erwähnter Patient inzwischen operiert worden ist
es fand sich Injektion der Gefässe des Peritoneums, aber kein Eitei
(Zu der Mitteilung des Herrn Bl. hatte ich den Zusatz gemacht, das
seine Untersuchungsmethode nicht neu sei. Herr Bl. teilt mir deshal
mit, dass er das neue seiner Methode nicht darin erblickt wisse
wolle, dass man die untersuchende eindrückende Hand plötzlich vor
Abdomen abhebt, sondern darin, dass man den hiebei entstehende
Schmerz vergleiche mit dem beim zumeist geübten Verfahren de
einfachen Eindrückens mit der Hand entstehenden Schmerz, ferne
in den daraus gezogenen Schlüssen. Ref.)
Tagesordnung:
Herr Jakoby: Ein Zystoskop zur steroskopischen Auf
nähme des Blaseninnern.
Eine Anzahl von stereoskopischen Photogrammen erläutert
die Leistungsfähigkeit dieses von Herrn J. konstruierten Ap¬
parates, der besonders dem Anfänger die Deutung zystoskopi-
scher Befunde erleichtern soll.
Di s k u s s i o n : Die Herren K u t n e r, R i n g 1 e b, E. R. W
Frank bemängeln die physikalischen Voraussetzungen des Appa
rates und meinen, dass N i t z e nach reiflicher Erwägung von einen
stereoskopischen Zystoskop Abstand genommen habe. Herr Ja¬
koby weist diese Bedenken zurück.
Herr N ie m a n n: Ueber Buttermilchernährung der Säug¬
linge.
An einer grossen Zahl von kranken Kindern hatte Vortr
und Ritter die Buttermilchernährung (1 Liter Buttermilch.
15 g Weizenmehl, 60 g Rohrzucker, mehrmals aufgekocht) an¬
gewendet und damit sehr gute Resultate erzielt; auch zur ge¬
mischten Ernährung mit der Brust und endlich zur Entwöhnung
eignet sich das Verfahren. Vorbedingung ist tadellose Butter¬
milch, wie sie nur in grossen Meiereien zu haben ist.
Diskussion: Herr Cassel und Herr J a p h a bestätigen
im Ganzen diese Ansichten aus eigener Erfahrung; doch ist natürlich
auch für diese Ernährung die geeignete Auswahl zu treffen und
manchmal zu anderen Methoden, besonders zur Brust überzugehen.
Hans K o h n.
Acrztlicher Bezirksvcroin zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
159. Sitzung vom 15. Mai 1907.
Herr Kreuter bespricht 1. einen Fall von glücklich operierter
f r e i t z scher Hernie, der lleuserscheinungen gemacht hatte und er¬
läutert die .anatomischen Verhältnisse dieser Hermenbildung.
2. Derselbe demonstriert 2 Patienten mit Zungenulzerationen, von
denen das eine syphilitischer, das andere tuberkulöser Natur ist und
bespricht 3. einen Fall von strikturierendem Kolonkarzinom mit hoch¬
gradiger Dickdarmdehnung, 4. eine Beobachtung von Chondrosarkom
des Oberschenkels, das die Exartikulation veranlasst hatte. In dem
betreffenden Fall zeigt das aufgesägte Knochenpräparat (Demon¬
stration Prof. Hauser) fast die ganze Markhöhle vom Schenkelhals
bis zur Trochlea herab mit Geschwulstmassen infiltriert; 5. ein Prä¬
parat von chronischer Osteomyelitis der Tibia mit fast totaler
Obliteration der Mark höhle.
Herr Zacharias bespricht einen Fall von Kaiserschnitt an
einer Moribunden, der wegen apoplektischen Insultes vorgenommen
wurde. Demonstration des betr. Gehirns (Herr Merkel) das
entsprechend dem klinischen Befund einen älteren rechtsseitigen und
einen ganz frischen linksseitigen Blutungsherd aufweist.
Herr Merkel demonstriert ein weiteres Gehirnpräparat mit
enormem, rechtsseitigen Blutungsherd; das Präparat (Gehirn erst nach
der Härtung frontal zerlegt!) ?eigt die enorme Massenzunahme der
rechten Hemisphäre und die Verdrängung des Ventrikelseptums nach
der linken Seite hinüber.
Derselbe bespricht und demonstriert die Präparate bei einem
Fall von tiefsitzendem Rektumkarzinom, das wegen breitem Ueber-
gang nach dem Beckenbindegewebe inoperabel war; bei demselben
Pat. fand sich noch Ecchinoccccus multilocularis des linken Leber¬
lappens sowie ein umschriebenes, zentral ulzeriertes Zungenkarzinom.
Das letztere ist durch die histologische Untersuchung als selbst-
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1409
ständiges, vom Darmkrebs unabhängiges zweites Karzinom fest¬
gestellt und hat keine Metastasen gesetzt, während das Rektum¬
karzinom zu ausgedehnten Lungenmetastasen geführt hatte, die
histologisch völlige Uebereinstimmung mit dem Bau des Darin-
karzinoms (Care, adenomatosum) zeigten.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr D e n e k e.
Demonstrationen:
Herr Plaut demonstriert: 1. Spirochäten in Büschelform nach
der Art der Qeisselzöpfe mancher Bakterien in grossen Mengen
aneinandergelagert.
2. Leprabazillen in einem Leprom der Nase (kleiner Tumor am
linken Nasenflügel, lOjähr. Neger aus Liberia). Der Nasenschleim
war frei von Bazillen gewesen.
Herr Engelmann gibt die dazu nötigen klinischen Daten und
macht auf gewisse Besonderheiten des Falles aufmerksam.
Herr Andereya demonstriert einen Soldaten, der einen Suizid¬
versuch gemacht hat, indem er sich mit Wasser und Platzpatrone in
den Mund schoss. Der Schuss riss den linken Oberkiefer, den harten
Gaumen, das Septum und die linke Nasenhälfte fort, so dass ein
enormer Knochendefekt resultierte, an dessen Grunde die Keilbein¬
höhle offen liegt. Es gelang durch mehrere plastische Operationen
die Zerstörungen zu verkleinern. Trotz der erheblichen Zertrüm¬
merung des Schädelskelettes ist das Gesicht nicht entstellt.
Herr Trömner stellt ein Kind vor, das eine Poliomyelitis
anterior durchgemacht hat, die 3 Tage nach der Impfung die
ersten Symptome machte. Natürlich wurde von den Angehörigen
die voraufgegangene Vakzination als Ursache beschuldigt. Eine ge¬
naue Analyse des Falles, sowie die allgemeinen Erfahrungen über
diese Erkrankung lassen aber mit Sicherheit jeden Kausalnexus ver¬
missen.
Herr K ö n i g - Altona zeigt ein 15 jähriges Mädchen, das im
Alter von 1% Jahren wegen Diphtheritis tracheotomiert wurde und
bei dem das Decanulement stets misslang.
Durch chondroplastischen Verschluss der Trachealfistel, die
König ausgeführt hat, ist die Kranke jetzt geheilt und spricht mit
lauter, normaler Stimme. Vortragender erklärt die Inangriffnahme
alter Trachealfistel, deren spontaner Verschluss wegen des Verlustes
der vorderen Trachealknorpel ausgeblieben ist, für besonders dank¬
bar und erörtert die von ihm in mehreren Fällen angewandte und
erprobte Operationstechnik.
Herr Lenhartz demonstriert einen Fall von orthostatischer
Albuminurie. Der Fall zeigt die klassischen Kriterien und ist dadurch
bemerkenswert, dass der Grad der Eiweissausscheidung nach Be¬
wegungen ein sehr hoher — bis 12 Prom. — ist. Dabei befindet sich
der robuste und gesund aussehende Mann ausgezeichnet. Die unge¬
mein schwierige Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit eines solchen
Mannes möchte L. wenigstens für den vorgestellten Fall bejahend
fällen.
Herr Sa eng er: 1. Fall von Hypophysentumor. 44 jährige
Frau erkrankt mit Sehstörung, Vergesslichkeit, Schwanken. Es
lassen sich totale Amaurose rechts und temporale Hemianopsie links
konstatieren. Dieser Befund führt zur Lokalisation des Tumors an
der Basis in der Gegend des Chiasma. Die darauf angestellte Rönt¬
genuntersuchung bestätigt das Vorhandensein eines Tumors.
2. Fall von beginnender Tabes bei einer 17 jährigen, hereditär
syphilitischen Jungfrau. Die in der Entwicklung zurückgebliebene
Patientin zeigt reflektorische Pupillenstarre, fehlende Sehnenreflexe.
Hutchinson sehe Zähne.
Herr Rumpel legt ein Gehirn vor, an dem sich nur an einzelnen
Stellen eine leichte Verdickung der Pia und einige zarte Verwach¬
sungen in der Gegend der Fossa Sylvii erkennen lassen. Das
Gehirn stammt von einem 19 jährigen Manne, der einer progredienten
Phthise erlag. Derselbe hatte vor 9 Jahren eine klinisch absolut
sichergestellte (Tuberkelnachweis in der Spinalflüssigkeit) tuber¬
kulöse Meningitis durchgemacht und war von derselben genesen.
Heilungen bei tuberkulöser Meningitis ^ind ungemein selten. In der
Literatur beträgt die Anzahl der berichteten Fälle nur 5. R. gibt
einige Ratschläge betreffs der Behandlung. Wiederholte Spinalpunk¬
tion, Bäder, Ueberernährung durch Sondenfütterung, Nährklystiere,
subkutane Ernährung etc.
Diskussion über den Vortrag des Herrn J o 1 1 a s s e :
Ueber den derzeitigen Stand der Röntgendiagnose bei Magen¬
krankheiten.
Herr Schmilinsky stimmt darin mit dem Vortr. überein,
dass das Röntgenverfahren nur die Ergänzung aller anderen klinischen
Untersuchungsmethoden sein kann. Diese Ergänzung ist aber doch
nur in seltenen Fällen nötig. Die praktischen Ergebnisse der Röntgen¬
diagnose bei Magenaffektionen sind sehr gering und lohnen kaum die
aufgewandte Mühe und Kosten. Eher erwartet Redner noch einen
Erfolg bei Darmkrankheiten. Sehr angebracht scheint ihm aber die
Warnung, in die Bilder nicht allzuviel hineinzulegen. Nur in seltenen
Fällen kann das Röntgenverfahren belehrend und aufklärend wirken:
dazu rechnet S. den Schrumpfmagen. Auch beim Sanduhrmagen,
sowie zur Kontrolle des Sitzes des Murphyknopfes nach Gastro-
enterostomosen, bei Fremdkörpern im Oesophagus wird die Me¬
thode brauchbare Resultate geben.
Herr Lenhartz äussert sich in ähnlichem Sinne. Es ist ge¬
wiss angebracht und wünschenswert, die Methode weiter auszu¬
bauen, aber bisher sind ihre praktischen Ergebnisse gering und vor
allem nicht einwandsfrei.
Herr K ii m m e 1 1 ist im Gegensatz zu den beiden Vorrednern ein
warmer Freund der Röntgenmethode. Prinzipiell wird durch Rönt¬
genaufnahme beim Magenkarzinom vor der Operation der Sitz und
die Ausdehnung des Tumors fixiert und dann in vivo verglichen.
K. demonstriert eine grössere Anzahl karzinomatöser Mägen (teils
durch Resektion operativ gewonnene Präparate, teils Sektionsbe¬
funde) und die dazu gehörigen Röntgenbilder. K. ist mit Jo Hasse
der Ansicht, dass die Technik in den 3 Jahren seit der Begründung
der Untersuchungsmethode durch Rieder so eminente Fortschritte
gemacht hat, dass wir dem Idealziel: möglichst frühe Erkennung
des Karzinoms vielleicht bald näher kommen.
Herr J o 1 1 a s s e betont in seinem Schlusswort, dass er immer
nur den relativen Wert der Methode hervorgehoben habe. Er
möchte diese neue Untersuchungsmethode nicht mehr missen und
glaubt, dass das bisher gewonnene Resultat zum weiteren Ausbau
der Methode einlädt. J. zeigt dann noch Bilder von einem Fall
von Oesophagusdivertikel. Werner- Hamburg.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. April 1907.
Vorsitzender: Herr Sudeck.
Schriftführer: Herr Koerber.
Herr S u d e c k über vorgetäuschte Extrauteringravidität durch
Blutung aus einem Follikel gelegentlich der Ovulation. Demon¬
stration des durch Operation gewonnenen Präparates.
Ein in Rückbildung begriffenes kleinkirschengrosses Corpus
luteum war zum Teil aus seinem Lager in der Theka herausgelöst;
aus diesem Spalt zwischen dem Corpus luteum und der fibrösen
Schicht der Theka, also aus der inneren gefässreichen Thekaschicht,
stammte die Blutung. Die meisten in der Literatur beschriebenen
Blutungen haben ein anderes Aussehen, da die Blutung meistens in
den Follikel oder das Corpus luteum erfolgt und dann nach Sprengung
der Höhle sich in die freie Bauchhöhle ergiesst. Bei meinem Prä¬
parat ist Schwangerschaft auch durch die mikroskopische Unter¬
suchung (Dr. Simmonds) ausgeschlossen.
Frau von einigen 30 Jahren, 2 Kinder, erkrankte plötzlich am
5. Tage der Periode. (Die vorige Periode war normal gewesen, die
vorletzte hatte sich mit Unterbrechungen durch Wochen hingezogen.)
Morgens 9 Uhr Leibschmerzen, Drang im Mastdarm, von 12 Uhr an
schwindelig beim Aufrichten, ZV* Uhr Ohnmacht (fiel vom Sopha),
dann häufige Ohnmachtsanfälle trotz Bettlage. Um 7 Uhr: Starke
Leibschmerzen, besonders in der Lebergegend, weisse Haut, blasse
Konjunktiven. Leib aufgetrieben, Dämpfung an beiden Seiten. Para¬
metrien bei vaginaler Untersuchung sehr schmerzhaft. Uterus nach
links geschoben. Puls ca. 72, um 8Vz Uhr 88 pro Minute.
Die Diagnose Extrauteringravidität erschien nicht zweifelhaft.
8(4 Uhr Operation. Ca. IV2 Liter oder mehr flüssiges Blut im Leib.
Tuben frei; rechtes Ovarium, blutend, wurde exstirpiert. Genesung.-
Diskussion: Herr Prochownik bestätigt aus mehreren
eigenen Fällen und aus der Literatur, dass berstende Follikel der¬
artige Blutungen und ein klinisches Bild wie das geschilderte machen
können. Besser als die sehr difficile und nicht ganz zuverlässige
Naht des Follikelbettes zu machen, ist es, das betr. Ovarium ganz zu
entfernen.
Herr Fraenkel: Dass Follikelblutungen Hämatome im Dou¬
glas sehen Raum verursachen, ist ziemlich häufig. Befunde mit solch
starker Blutung wie im Falle S u d e c k sind jedoch sehr selten.
Unumgänglich notwendig ist immer eine genaue mikroskopische
Untersuchung auf Plazentabildung.
Er erinnert 1. an einen Fall, der klinisch als Tubenschwanger¬
schaft aufgefasst werden musste, in dem die mikroskopische Unter¬
suchung eine Ovarialgravidität feststellte: das Ei an der Oberfläche
des Ovariums eingenistet, rasch zunehmende Anämie, heftige Blutung.
2. an eine letal verlaufene Gravidit. tubaria, die vor ca. 10 Jahren
in Eppendorf zur Sektion kam. Heute erlebt man so etwas kaum
mehr. Die Frau war plötzlich kollabiert und auf dem Transport
gestorben. Das Ei hatte sich im Isthmus der linken Tube ent¬
wickelt, während das letzte Corpus luteum verum am rechten
Ovarium sass. Es musste also entweder eineUeberwanderung des Eies
durch die freie Bauchhöhle hindurch (beide Tuben waren in situ stark
nach rückwärts gewunden) angenommen. werden oder eine Wande¬
rung von der rechten Tube durch den Uterus hindurch in die linke.
Ein mechanisches Hindernis in der rechten Tube bestand nicht.
Die Decidua uterina nahm das obere Drittel der Zervix ein.
Dies ist interessant für die Frage, wie weit das untere Uterinsegment
1410
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2;
zu rechnen ist. Nach Anschauung der Gynäkologen soweit, als sich
Decidua entwickelt.
Herr Simmonds: Lieber Syphilis der Schilddrüse. (Demon¬
stration.)
Es hat Engel-Reimers darauf hingewiesen, dass im Früh¬
stadium der Syphilis in der Hälfte der Fälle eine Anschwellung der
Thyreoidea zu beobachten sei. Diese Schwellung kann nur auf
grössere Blutfülle oder leichtem Oedem beruhen, denn bei den
Autopsien solcher Individuen, die noch Zeichen einer frischen Infektion
aufwiesen, habe ich weder makroskopisch noch mikroskopisch Ab¬
normes an dem Organ wahrnehmen können.
Syphilitische Veränderungen der Schilddrüse sind äusserst selten.
Es liegen in der Literatur nur 5 Mitteilungen über Gummen dieses
Organs bei Neugeborenen und Kindern, 6 Mitteilungen über die
gleiche Erkrankungsform bei Erwachsenen vor. (Eugen Fraenkel,
Navratil, Clarke, Mendel, Küttner). Ich habe bei dieser
Zusammenstellung nur die anatomisch geprüften Fälle berücksichtigt,
die nur auf klinische Beobachtung gestützten Diagnosen dagegen fort¬
gelassen, da manche von diesen einer ernsten Kritik nicht standhalten.
In dem von mir beobachteten Falle lag nicht die bisher be¬
obachtete Form der Schilddrüsensyphilis, die Gummabildung, son¬
dern eine diffuse fibröse Thyreoditis syphilitica vor.
Die 67 jährige Frau war lange an Knochensyphilis und zerfallenen
Gummen des Schädeldaches behandelt worden und starb an Phthisis.
Ausser den Veränderungen am Knochensystem und am Schädeldach,
sowie tiefen Narbenbildungen und Lappungen der Leber fand sich
eine eigenartige Veränderung der Schilddrüse. Sie war klein, derb,
auf dem Durchschnitt völlig fibrös ohne erkennbare Reste von Drü¬
sensubstanz. Auch mikroskopisch Hess sich nur fibrilläres Binde¬
gewebe nachweisen, in welchem unregelmässige Herde von Rund¬
zellen, besonders um die Gefässe gruppiert eingelagert waren neben
vereinzelten kleinen Kalkablagerungen. Nur an wenigen Stellen
Hessen sich innerhalb der Infiltrate kleinste Reste von Schilddrüsen¬
gewebe in Form von Kolloidkugeln und Fragmenten von Drüsen¬
bläschen erkennen.
Obwohl weder charakteristische Gefässveränderungen nachweis¬
bar waren, noch Spirochäten, darf man doch nach Ausschliessung
von Tuberkulose und Tumorbildung mit Sicherheit annehmen, dass
der diffuse entzündliche Prozess, der zu totaler fibröser Umwandlung
des Organs geführt hatte, auf Syphilis beruht. Wir hätten dem¬
nach in der Schilddrüse wie in anderen Organen mit zwei Formen
der Syphilis zu rechnen, einmal der Gummibildung, zweitens der dif¬
fusen fibrösen Thyreoiditis. Gerade die letztere wird klinisch schwer
erkennbar sein, da sie die Form und Grösse des Organs nicht ver¬
ändert.
Auffallend ist bei der grossen Ausdehnung der Zerstörung der
Schilddrüse in diesem Falle das Ausbleiben von schweren Aus¬
fallserscheinungen. Die Körperoberfläche Hess nichts von Myxödem
erkennen, dagegen dürfte vielleicht die im Leben konstatierte De¬
menz mit der Affektion der Thyreoidea in Zusammenhang gestanden
haben.
Diskussion: Herr Fraenkel: Ich benutze die Gelegenheit,
Ihnen eine Abbildung des aus dem Jahre 1887 stammenden Präparats
von Schilddrüjsengummi zu zeigen. Hauptsächlich habe ich mir das
Wort erbeten mitRiicksicht auf die von Herrn Simmonds mitvorge-
legte, das klassische Bild des Hepar syphilitic. lobatum darbietenden,
Leber. Ich habe seit einer Reihe von Jahren die Beobachtung ge¬
macht, dass die in Rede stehende Lebererkrankung überwiegend
bei Frauen angetroffen wird: Im vorigen Jahre bat ich nun, ohne
Angabe eines Grundes, Herrn Simmonds um Mitteilung über die
in seiner Institutssammlung befindlichen Lebern mit akquirierter Sy¬
philis und dabei ergab sich, dass von den 5 dort vorhandenen syphi¬
litischen, gelappten Lebern 4 von Frauen stammten, nur 1 von einem
Manne. Auch das heutige Präparat des Herrn Simmonds rührt
von einer Frau her. Bei den von mir gesammelten syphilitischen
Lebern konnte ich feststellen, dass auf 5 bei Frauen gefun¬
denen gelappten Lebern erst 1 bei einem Manne
kommt. Ich halte dieses Ergebnis auch für praktisch wichtig, denn es
mahnt zu einer gewissen Vorsicht hinsichtlich der Diagnose Leber-
syphilis beim Manne. Was nun die Ursache dieser Präpon-
deranz des weiblichen Geschlechts bei der Erkrankung
der Leber unter dem Einfluss der akquirierten Syphilis anlangt, so
bin ich geneigt, diese in den chronischen Traumen zu suchen,
welchen die weibliche Leber bei der Unzweckmässigkeit
der weiblichen Tracht durch Korsetts und andere schnü¬
rende Einflüsse ausgesetzt ist. Dadurch wird, ähnlich wie für
die Bildung von Gallensteinen, eine Disposition des Organs auch für
die Erkrankung an Syphilis geschaffen. Ich halte es für ganz ausge¬
schlossen, dass es sich bei den hier mitgeteilten Beobachtungen um
irgendwelche Zufälligkeiten gehandelt hat und es lag mir daran, zu
veranlassen, dass auch von anderen Autoren, Klinikern wie patho¬
logischen Anatomen, diese Angaben einer Nachprüfung unterzogen
wurden.
Herr Schümm demonstriert ein neues von ihm berechnetes
und konstruiertes Handspektroskop, das sich von den bekannten
Handspektroskopen in mehrfacher Hinsicht unterscheidet.
Das in dem Apparate enthaltene, nach Schümms Angaben von
Zeiss (Jena) hergestellte Glasprisma besitzt derartige optische Eigen¬
schaften, dass das Spektroskop ein lichtstärkeres Spektrum liefe
als die bisher gebräuchlichen Handspektroskope. Die Absorption;
streifen von Farbstofflösungen erscheinen bei der Beobachtung m
diesem Spektroskop besonders scharf und deutlich. Die Handhabun
des Apparates ist sehr bequem. Die Firma Zeiss (Jena) hat di
Fabrikation übernommen.
Eine genaue Beschreibung des Apparates erfolgt unter de
Originalien dieser Wochenschrift.
Diskussion: Herr Fraenkel hat sich bei einer Probt
Untersuchung von den Vorteilen des S c h u m m sehen Handspektr.t
skops überzeugt.
Herr Hirschstein: Ueber die Beziehungen der ende
genen Harnsäure zur Verdauung.
Nachdem Vortragender die zum Teil weit auseinandei
gehenden Ansichten über den Ursprung der endogenen Harr
säure kurz skizziert, geht er auf seine im Laboratorium de
inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Alton
(Prof. U m b e r) angestellten Untersuchungen näher ein.
Schon die ersten am Menschen mit purinfreier Ernährun
vorgenommenen Versuche deckten die eigentümliche, auc
schon von anderer Seite beobachtete Tageskurve der ende
genen Harnsäure auf mit der charakteristischen Nachtsenkun
und der hohen Ausscheidung in den Morgenstunden.
Der naheliegende Gedanke, dass wir es hier mit eine
physiologischen Harnsäureretention zu tu
haben, dass die tags zuvor gebildete Harnsäure zum Teil ers
am nächsten Morgen ausgeschieden wird, fand dadurch sein
Bestätigung, dass auch die Ausscheidung der exogenen Harn
säure die gleiche Unterbrechung bezw. Herabminderung in de
Nacht erfuhr.
Weitere Untersuchungen, die den Einfluss der Hauptnähr
Stoffe, Eiweiss, Fett, Kohlehydrate, auf die Ausscheidung de
endogenen Harnsäure klarlegen sollten, zeigten mit voller Deut
lichkeit, dass auch die Zufuhr von purinfrejem Eiweiss ein
gesteigerte Ausfuhr der endogenen Harnsäure zur Folge hat
Eine einfache Verschiebung in der Eiweissmenge der einzelnei
Mahlzeiten bringt schon gleichsinnige Schwankungen in de
endogenen Harnsäurekurve hervor.
Schliesslich gelang es im Tierversuch nachzuweisen, das
die Hauptquelle der endogenen Harnsäure in den in den Magen
darmkanal sezernierten Verdauungsäften zu suchen sei. Be
mit purinfreier Nahrung gefütterten Hunden konnten in dem mi
allen Kautelen nach 3 — 4 stiindiger Verdauung entnommene!
Magen- bezw. Darminhalt deutliche Mengen von Purinkörper!
und zwar in der Hauptsache Guanin, in geringerer Ausbeuü
auch Odenin und Xanthin nachgewiesen werden. (Erschein
ausführlich an anderem Orte.)
t_
Diskussion: Herr Umber bespricht kurz die für die Praxi:
sich ergebenden therapeutischen und diagnostischen Ausblicke, di<
die Studien über das Verhalten der endogenen Purine beim Ge
sunden, beim Hungernden und beim Gichtischen im Laboratoriun
seiner Abteilung ergeben haben, soweit er sie seit nunmehr 3V.
Jahren mit seinen Mitarbeitern Brugsch, Hirschstein, Unn:
jun. verfolgt hat. Er betont die Wichtigkeit der Purinbeschränkunj
sowie der Eiweissbeschränkung überhaupt in der diätetischen Be
handlung der Gicht. In Anbetracht der Erfahrung, dass der Gichtikei
unmittelbar nach dem Anfall auffällige Retention der Purinkörpei
zeigt, verlangt er für diese Zeit völlig fleischfreie und eiweissarme
kohlehydratreiche Kostordnung. Im chronischen Stadium möglichste
Beschränkung der Eiweisszufuhr. Monatelange Stoffwechselbeob¬
achtung an Gichtischen haben ihn belehrt, dass bei richtiger ka¬
lorischer Einstellung eine tägliche Gesamteiweisszufuhr (tierische:
und pflanzlicher) von 0,8 — 0,9 g pro Kilogramm Körpergewicht dau¬
erndes N-Gleichgewicht, sehr gutes Allgemeinbefinden und sehr gün¬
stige Beeinflussung der gichtischen Erscheinungen bringt. Damit
stimmen auch Chittendens jüngste Beobachtungen über da:
Optimum der Eiweisszufuhr bei Gesunden, und ferner auch die alten
klassischen Beobachtungen Garrods in der Diätetik der Gicht,
die auf rein empirischem Weg gewonnen waren. Dem spezifischen
Verhalten der endogenen Purinkurve, sowie dem alternierenden Ver¬
halten der endogenen Purinkurve und der Glykokollkurve, wie es
Hirsch stein und neuerdings Unna jun. im U.schen Labora¬
torium beobachtet haben, legt U. pathognomonische Bedeutung bei.
Herr Just fragt Herrn Umber, welchen Einfluss nach seinen
Erfahrungen plötzliche Ernährungsänderungen und ferner körperliche
Arbeit auf die Harnsäureausscheidung des Gichtikers hätten.
Herr Umber erwidert, dass er speziell von dem plötzlichen
Uebergange von purinhaltiger zu purinfreier Diät niemals irgend¬
welche Schädigungen gesehen habe, ferner dass Körperbewegung,
die die Oxydationsprozessc im Körper überhaupt steigere, nur gün¬
stig auf die intermediäre Zerstörung der Harnsäure und damit die
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1411
Stoffwechselvorgänge bei der Gicht wirken könne, und deshalb auch
bei der Therapie besonders zu berücksichtigen sei.
Herr V i 1 1 i n g e r bemerkt, dass nach eigenen Untersuchungen
auch die Schwefelausscheidung, die regelmässig unmittelbar nach
Einsetzen der Verdauung eine Steigerung aufweist, den Einfluss der
Verdauung auf Stoffwechselvorgänge erkennen lasse und fragt, in
welcher Zeit nach Beginn der Verdauung die ersten Purine zu finden
seien.
Herr Schümm fragt, ob die Untersuchung der Fäzes bei
diesen Harnsäurefragen zu vernachlässigen sei, ferner ob beim Gich-
tiker die Zufuhr einer bestimmten purinfreien Eiweissmenge auch
einen entsprechenden Ausschlag in der Harnsäureausscheidung er¬
kennen lasse, endlich ob nicht individuelle Einflüsse in der Abschei¬
dung der Verdauungssäfte bei der Reaktion auf eiweisshaltige Nah¬
rung auch eine Rolle spielen könnten.
Herr Hirsch stein erwidert in seinem Schlusswort Herrn
Villinger, dass schon nach dreistündiger Verdauung Purine ver¬
hältnismässig reichlich im Magendarmkanal des Hundes zu finden
seien. Herrn Schümm gegenüber bemerkt er noch, dass sicher
insofern individuelle Verhältnisse bei der Sekretion der Verdau¬
ungsdrüsen eine Rolle spielen, als wir durch die P a w 1 o w sehen
Untersuchungen an Fistelhunden wüssten, dass die Zufuhr der Haupt¬
nährstoffe, Eiweiss, Fett, Kohlehydrat, die Sekretion eigens ange¬
passter Verdauungssäfte veranlasst.- Durch die Abscheidung beson¬
ders purinhaltiger Verdauungssäfte sei auch wahrscheinlich beim
Menschen die vermehrte Ausscheidung der endogenen Harnsäure
auf Zufuhr von purinfreiem Eiweiss zu erklären.
Gynäkologische Gesellschaft in München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. J u n ii 1907.
Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Karl Hörmann ein
neugeborenes Kind mit Spina bifida der Lumbalgegend, beiderseitigen
Klumpfüssen, kongenitaler Fraktur des rechten Oberschenkels und
2 Tage p. p. entstandenem Prolaps der ganzen Vagina und des Uterus.
Diskussion: Herr Albert Hörrmann.
Herr Antann demonstriert:
a) Myomatösen Uterus mit primärem Fibrom der Vagina;
b) Blasenstein, durch Kolpozystostomie entfernt;
c) den Uterus einer 58 jährigen Frau, die nach 14 jähriger Meno¬
pause wieder zu bluten angefangen habe. Es fand sich im Uterus
ein grosser polypöser Tumor, der mikroskopisch sich als Adeno-
Myxo-Fibro-Sarkom erwies, wohl entstanden sekundär auf einem
schon vorher vorhandenen Myom.
Diskussion: Die Herren Mirabeau, A m a n n.
Diskussion zu den Vorträgen von A 1 b r e c h t in der letzten
und vorletzten Sitzung: Herr Kerschensteiner a. G.
Herr Ludwig Seitz demonstriert:
a) Nieren und Ureteren von Föten und Neugeborenen, an denen
er die Verschiedenheiten im Lumen der Ureteren zeigt. Bei sehr
jungen Föten von 20 — 28 cm ist das Ureterlumen im ganzen Ver¬
laufe gleich, die Ureteren ziehen auch noch fast senkrecht nach
unten. Vortr. glaubt, dass die Stenosenbildungen im Ureter durch
Druck der Umgebung, vor allem der Linea innominata, bedingt sind.
Diskus 'Sion: Herr Mirabeau.
b) Präparat mit beginnender Nekrose der Ureteren nach ab¬
dominaler Totalexstirpation wegen Carcinoma uteri.
Diskussion die Herren : Mirabeau, Amann, Albrec h t,
Ludwig Seitz.
c) Neugeborenes Kind mit Sklerema neonatorum, Hypertrophie
und Oedem der Klitoris, sowie Zystenhygrom der linken Halsseite.
d) bespricht einen Fall von partieller Nekrose der Kopfgeschwulst
infolge langdauernder Geburt.
Herr Karl Hör mann: Das Verhalten der Bindegewebsfasern
im Follikel und Corpus luteum des menschlichen Eierstockes (mit De¬
monstration.)
H. teilt die Resultate von Untersuchungen mit, die er mittels einer
von Bielschowsky angegebenen Silberimprägnationsmethode
an dem Bindegewebsgeriist der Follikelhüllen (normaler wie atre-
tischer Follikel), sowie des Corpus luteum (menstruations und gra¬
viditatis) erhalten hat. Da sich der VöTrtrag zu kurzem Referat nicht
eignet, sei auf die ausführliche Publikation der betr. Untersuchungs¬
befunde, sowie der angewandten Methode im Archiv f. Gynäkol.,
Bd. 82 (Festschrift für Fr. v. W i n c k e 1) verwiesen.
Herr Amann: Ureterendeckung und Drainage bei abdominaler
Beckenausräumung wegen Uteruskarzinom.
Um die nach seiner ausgedehnten Methode frei liegenden Ure¬
teren zu decken und sie dadurch vor der Nekrose zu schützen, hat
Vortr. schon früher ein Verfahren angegeben, das darin bestand, dass
die Blase rfach hinten disloziert wurde und die Ureteren gewisser-
massen in Blase und Rektum eingewickelt wurden. Die seitlich im
Becken zurückbleibenden Höhlen wurden paravaginal nach unten drai-
niert. Die Resultate mit dieser Methode waren sehr gute, doch ist
Vortr. in den letzten Jahren davon abgekommen, da die Operation da¬
durch sehr verlängert wurde. Die in den letzten Jahren durchgeführte
Operationsmethode besteht in folgendem: Nach der Beckenausräu¬
mung 'sinken Blase und Ureteren tief nach unten. Um den Ureter zu
heben, wird der Stumpf der Arteria uterina mit dem Stumpfe des Lig.
rotundum vereinigt, so dass der Ureter auf der Arteria uterina reitet,
der untere Teil des Ureters wird in einen nach oben gezogenen Blasen¬
zipfel eingewickelt und die seitwärts vom Rektum stehengebliebenen
Peritoneallappen nach jederseits darübergenäht. Um die zurück¬
gebliebene Wundhöhle im kleinen Becken zu drainieren, wird Rektum
und Vagina bis weit nach unten von einander getrennt, nach der
Vagina zu mit dem Thermokauter eingeschnitten und nach der Vagina
zu drainiert. Nach oben wird das kleine Becken dadurch abgedeckt,
dass die Flexura sigmoidea mit dem Blasenperitoneum vereinigt wird.
Das Operationsverfahren wird durch sehr schöne, von A 1 b r e c h t
ausgeführte Zeichnungen erläutert.
Diskussion: Ludwig Seitz, M i r a b e a u, Wiener,
Alb recht, Hörrmann, Amann.
G. Wiener- München.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Prof. Dr. O. Loewi: Eine neue Funktion des Pankreas und
ihre Beziehung zum Diabetes mellitus.
Wenn man in ein normales Auge Adrenalin einträufelt, so ändert
sich die Pupillenweite gar nicht oder nicht merklich. Eine Ausnahme
macht lediglich das Froschauge. Meitzer hat nun nachgewiesen,
dass eine solche Instillation von Adrenalin eine starke Mydriasis
erzeugt, wenn man bei Tieren 24 Stunden zuvor das Ganglion cervi-
cale sup. exstirpiert hat. Dadurch, dass man das besagte Ganglion
exstirpierte, wurden auch Hemmungen für die Adrenalinempfindlich¬
keit des Dilatator pupillae beseitigt. Bekanntlich erzeugt nun die
Exstirpation des Pankreas einen Diabetes. Es fragt sich nun, ob nicht
dieser Diabetes ebenfalls darauf beruhe, dass nach der Pankreas¬
exstirpation gewisse sympathische Hemmungen wegfallen — Hem¬
mungen für die Nerven, deren zentrale oder periphere Reizung,
wie Eckhardts schöne Versuche gelehrt haben, zu einer gesteiger¬
ten Umwandlung von Glykogen in Zucker und Uebertritt des Zuckers
in den Harn führen. Uebt also das Pankreas einen reizenden Ein¬
fluss auf sympathische Hemmungen aus, so müssten nach Exstir¬
pation desselben auch die Hemmungen für die Adrenalinempfindlich¬
keit des Dilatator pupillae wegfallen, d. h. es müsste sodann nach
Einträufelung von Adrenalin ins Auge eine Mydriasis entstehen.
Das war nun tatsächlich der Fall. Bei 4 Versuchs¬
tieren — Hunden und Katzen — trat nach der Totalexstirpation des
Pankreas und Adrenalininstillation nach 24 Stunden eine beträchtliche
Mydriasis auf. Es scheint also, dass das Pankreas auch die bisher
nicht bekannte Funktion besitze, sjunpathische Hemmungen zu er¬
regen, bezw. die Reizbarkeit sympathischer Förderungsnerven herab¬
zusetzen. Und per analogiam zu den Versuchen Eckhardts
könnte man sich das Auftreten des Diabetes nach Pankreasexstir¬
pation gut erklären. 18 Diabetiker wurden ebenfalls auf diese Er¬
scheinung hin untersucht. Bei 10 derselben trat nach Adrenalin¬
einträufelung starke Mydriasis auf, während bei 28 Kranken
anderer Art nur 2 mal Mydriasis beobachtet wurde, und diese
zwei Fälle betrafen einen Fall von Pankreasgangverschluss (ohne
Dlykosurie) und einen Fall von Basedow. Man wird also künftighin
auch die Adrenalininstillation beim Menschen zu diagnostischen
Zwecken der Funktionstüchtigkeit des Pankreas benützen.
Dr. Ludwig Teleky: Ueber Phosphornekrose.
Der Vortragende hat in den Gebieten der Zündhölzchenindustrie
in Böhmen und Steiermark persönlich Erhebungen gepflogen, welche
ihn zu der Ueberzeugung brachten, dass die Fälle von Phosphor¬
nekrose keineswegs so selten seien, als man gemeinhin annimmt.
Fragebogen, die man an viele Spitäler ausschickte und welche zum
Teile beantwortet zurückkamen, bestätigten weiters diese Beobach¬
tungen. Das sorgsam verarbeitete grosse Material wird in einer
Monographie erscheinen. In den letzten 10 Jahren kamen in Oester¬
reich 350 — 400 Nekrosefälle vor. Bei 15 — 20 Proz. der Erkrankten
kommt es zum Tode. Der Vortragende berichtete über die Schädi¬
gungen der einzelnen Knochensysteme bei der chronischen Phosphor¬
vergiftung, besprach die operative und konservative Behandlung
dieser Fälle und schliesslich auch eingehend die Prophylaxe. Diese
besteht in erster Linie in der alleinigen Zulassung des ungiftigen
roten Phosphors und Verbot des weissen Phosphors bei der Fabri¬
kation von Zündhölzern. Oesterreich möge recht bald der bezüg¬
lichen Konvention beitreten, die von einzelnen Staaten Europas be¬
reits geschlossen wurde.
Prof. Dr. Hermann Schlesinger: Spondylitis iniectiosa
nach Denguefieber. -
Während Spondylitis nach verschiedenen Infektionskrankheiten,
am häufigsten nach Typhus, schon oft beschrieben sind, scheint dies
der erste Fall zu sein, dass eine solche Spondylitis nach Dengue¬
fieber zur Beobachtung kam. Der 35 Jahre alte Mann litt in Aegypten
an Denguefieber. Jäher Beginn, heftige Schmerzen, namentlich in
den Gelenkgegenden und Steigerung der Schmerzen bei Bewegungen,
hohes Fieber mit Remission, Auftreten eines Exanthems, dem eine
Schuppung nachfolgt, in der Regel Ausgang in Heilung. Bei diesem
H12
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2;
Manne stellte sich darnach eine schwere Erkrankung des Zentral¬
nervensystems ein, eine Enzephalo-Myelomeningitis mit Bewusst¬
losigkeit, Hirnnervenlähmungen, Extremitätenlähmungen, Opistho¬
tonus, Nackensteifigkeit etc. Allmähliche Besserung. Als Patient
vor ca. 7 Wochen nach Europa kam, konstatierte der Vertragende
eine auf Druck empfindliche Kyphose der Lendenwirbelsäule, die
jetzt noch sichtbar ist. Es bestand Patellar- und rechtsseitiger Fuss-
klonus. Der Vortr. führt aus, dass er bei Fehlen anderer Ursache
diese Spondylitis als eine infektiöse im Sinne von Quincke ansehe,
wofür auch der Verlauf in rasche Besserung der Symptome spreche.
Eine Tuberkulininjektion ergab keine Reaktion, die Röntgendurch¬
leuchtung dagegen charakteristische Veränderungen der Lenden¬
wirbel. Die infektiöse Spondylitis lässt gemeinhin eine günstige
Prognose zu.
Professor Dr. v. Eiseisberg: Fraktur mit grossem Hämatom
und Fehlen des Pulses.
Ein in praktischer Hinsicht sehr wichtiger Fall. Ein Arzt stürzte
mit dem Motorzweirad und zog sich eine Fraktur im Collum ana-
tomicum des linken Humerus zu. Der behandelnde Arzt konstatierte
sofort, dass der Puls in der Arteria cubitalis und in der Radialis
fehle und schickte den Verletzten nach Wien an die Klinik. Hier
konstatierte man ein mächtiges Hämatom an der Innenseite des
linken Oberarmes, Fehlen des Pulses, Kühle und Blässe der Ex¬
tremität vom Ellbogen nach der Peripherie hin, Parästhesien daselbst,
Gefühl von Pelzig- und Taubsein. Man legte sofort etwa zwei
Dutzend Blutegel längs des Unterarmes und der Hand an, weitemin
eine Bier sehe Saugglocke für den Unterarm, täglich durch einige
Stunden. Es zeigte sich bald ein Erfolg, der Arm wurde wieder
wärmer und röter, so dass jetzt trotz des Fehlens des Pulses an
der Kubitalis und Radialis jede Gefahr beseitigt zu sein scheint. Zur
Fixation des Armes wurde eine leichte Gipshanfschiene drei Tage
später angelegt.
Bei jeder Fraktur soll sich der Arzt sofort vom Bestehen
des Pulses im peripheren Abschnitte der verletzten Extremität über¬
zeugen, da er sonst Gefahr läuft, dass ihm eine nach Anlegung
eines festen Verbandes auftretende Gangrän zur Last gelegt werde.
In einem anderen Falle, den der Redner früher beobachtete (Kind
mit Fraktur des Oberschenkels, fehlender peripherer Puls), wurde
operiert: Ausräumen des Hämatoms, wandständige Ligatur eines
Schlitzes der Arter. femoralis. Es erfolgte glatte Heilung.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie des Sciences.
Sitzung vom 11. April 1907.
Zur Pathogenese der Lungenanthrakosis.
A r 1 o i n g und F o r g e o t haben diese viel umstrittene Frage
neuerdings zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht. Sie
haben eine kleine Menge chinesischer Tusche in die Venen eines
Kaninchens eingespritzt, wo sie doch sofort durch das rechte Herz
in die Lungen gelangen sollte; aber nach 24 Stunden erschienen die¬
selben nicht anders gefärbt als die eines Kontrollkaninchens des¬
selben Alters, während Leber, Milz, Knochenmark eine leichtdunkle
Verfärbung zeigten. Injiziert man eine ziemlich starke Dosis 3 Tage
hintereinander, 30 Stunden nach der ersten Injektion, so ist die Lunge
dunkler, Leber, Milz, Knochenmark haben eine ganz schwarze Farbe
angenommen. Aehnliche Beobachtungen wurden an Meerschwein¬
chen und Hunden gemacht. Kurz sehr feine Farbstoffpartikelchen, die
in den Kreislauf gebracht werden, werden durch die verschiedenen
Filter, welche die parenchymatösen Organe darstellen, zurückge¬
halten. Die Lunge, obwohl auf idem Durchgangsweg dieser Partikel¬
chen gelegen, hält davon viel weniger zurück als die anderen Organe.
Es dürfte daher nicht wahrscheinlich sein, dass die fremden Teilchen,
welche die Lunge in mehr weniger grosser Menge einschliesst, durch
das Blut in dieselbe gelangen. Immerhin muss man nach den Be¬
obachtungen Cal me tt es zugeben, dass diese feinen Teilchen in
Ausnahmefällen, die noch näher zu bestimmen sind, durch den Darm
hindurchwandern können.
Sitzung vom 22. April 1907.
Die Funktionen der Hypophysis und der Glandula pituitaria.
Nach den Untersuchungen von de C y o n ist die Hypophysis ein
Autoregulator des intrakraniellen Blutdruckes; sie unterhält aucn den
Tonus der hemmenden Herznerven. Die Drüsensubstanz bringt 2
wirksame Stoffe, welche die gute Funktion des Herz- und vaso¬
motorischen Nervensystems unterhalten, hervor. Die Hypophysis hat
schliesslich indirekt durch ihre wirksamen Substanzen und direkt
durch ihre Wirkung auf das Lymph- und pneumogastrische System
einen Einfluss auf die organischen Gewebsveränderungen; sie regelt
die Diurese und übt eine gewisse Wirkung auf die männlichen Ge¬
schlechtsorgane aus. Die Glandula pituitaria wirkt besonders in
mechanischer Weise, den Zu- und Abfluss des Liquor cerebrospinalis
in den Aquaeductus Sylvii regelnd; ihre Wirkung auf den Blutdruck
ist gleich Null und auf die Herznerven eine sehr geringe.
Sitzung vom 6. Mai 1907.
Experimentelle Reproduktion der Conjunctivitis granulosa beim Affe
Die Conjunctivitis granulosa (Trachom) ist bekanntlich eine dt
gefiirchtetsten und gefährlichsten Augenaffektionen, besonders wegt
der anderweitigen Komplikationen von Seiten des Auges. Das wisset
schaftliche Studium dieses Leidens, dessen Mikroorganismus ma
nicht kennt, ist andererseits noch wenig vorgeschritten. Ni coli
und C u e n o d zeigen nun die Ueberimpfbarkeit des Leidens ai
niedere Affen (Macacus sinicus), die ja auch für andere Krankheite
des Menschen, wie weichen syphilitischen Schanker und Lepra zi
gänglich sind. In den 2 Impffällen war das Resultat ein positives; bi
einem der beiden Tiere hat man am 36. Tag eine Granulation en
nommen, um sie histologisch zu untersuchen: diese hat völlige Aehr
Mchkeit zwischen der Struktur des experimentellen Trachoms de
Affen und des spontanen Trachoms beim Menschen ergeben.
St.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Clinical Society of London.
Sitzung vom 12. April 1907.
Ueber die Anwendung von Silberfiligran zur Behandlung von Leisten
hernien.
L. H. Mc Gavin hat mit einer Modifikation der Bartlett
sehen Methode auch bei sehr grossen Inguinalhernien gute Resultat
erzielt. Er legt ein Silberdrahtgitter an zwei Stellen an und unter
scheidet zwischen einer iliakalen und einer pubischen Applikations
stelle. Dabei wird das ganze inguinale Gebiet geschützt, ohne das
der Samenstrang und Hoden irgend einen Nachteil erleiden. Da
Schambeinstück wird zwischen dem inneren Abdominalring und der
Schambein dem Peritoneum aufgelegt; die hintere Wand des In
guinalkanals wird auf dem Filigran nach B a s s i n i s Methode nei
hergestellt, und die vereinigte Sehne wird an das Lig. Pouparti an
genäht. Auf diese Weise wird für das Darmbeinstück gewisser
massen ein Bett hergerichtet, und nach richtiger Lagerung des Funi
culus spermaticus wird diese zweite Filigranläge am Peritoneum s<
angelegt, dass ihr inneres Dritteil dem Funiculus an dessen Aus
tritt aus dem Abdominalringe aufliegt. Alsdann werden die durch
trennten Muskeln über diesem iliakalen Filigranstück vereinigt, um
die Aponeurose des M. obliq. extern, wird zum Verschlüsse de:
ganzen Operationsfeldes bis zum äusseren Leistenring herangezogen
Verf. hat mit diesem speziell konstruierten Silbergitter 6 sonst gan;
inoperable Fälle behandelt und bei allen einen vollen Erfolg erzielt
Bei keinem der Patienten war das Tragen eines Bruchbandes nötig
und bei keinem hatte man das Silbergeflecht wieder entfernen müssen
W. G. Spencer erwähnt einen Fall von grossem Nabelbruch
bei welchem er eine umfangreiche Lücke in der Bauchwand durcl
Filigrannaht, wenn auch nicht ganz geheilt, so doch ausserordentlicl
gebessert hatte.
D. D r e w hat ebenfalls das gleiche Prinzip verwendet und zwai
bei einem Fall von Inguinal- und einem von ventraler Hernie.
A. E. B a r k e r spricht sich auf Grund seiner vielfältigen Er¬
fahrung mit der Methode des „Stopfens“ zu Gunsten des empfohlener
Verfahrens aus.
Ueber den therapeutischen Wert von Antikolibazillenserum
sprachen G. H. M a k i n s und P. W. G. S a r g e n t. Sie haben bei
25 Fällen von akuter, durch primäre Erkrankung des Blinddarmes ent¬
standener Peritonitis mittelst Injektion eines polyvalenten, aus Kul¬
turen von B. coli communis gewonnenen Serums behandelt und
haben beachtenswerte Resultate erzielt. Das Serum wurde auf fol¬
gende Weise gewonnen: Zunächst wurde ein Pferd immunisiert durch
14 wöchentliche Injektionen von je 10 ccm einer 8 tägigen Bouillon¬
kultur von Kolonbazillus in der 8. Uebertragung. Die Bazillen stamm¬
ten von Puerperalfieberfällen her. Dann erhielt das Tier 7 Injek¬
tionen einer ausgewaschenen Kolonbazillenkultur in Dosen von 5 bis
20 ccm in 10 tägigen Zwischenräumen. Schliesslich wurde noch eine
Injektion von. einer 3 Wochen alten Laktosebouillonkultur von Bak¬
terien, die von Peritonitis und von Kindbettfieber und aus anderer
Quelle gewonnen waren, gegeben. In allen Fällen wurden die Mikro¬
organismen durch Zusatz von 0,1 Proz. Chinosol abgetötet. Die 25
Kranken boten alle sehr schwere Symptome dar; 6 von ihnen waren
derart, dass die Prognose absolut ungünstig gestellt werden musste.
Es genasen von den 25 allerdings nur 9, d. h. 36 Proz.; aber auch bei
den ungünstig verlaufenen Fällen wurde eine gewisse Verminderung
der toxischen Erscheinungen konstatiert, und der Eintritt des Todes
wurde offenbar längere Zeit verzögert. Ein Nachteil oder eine Ge¬
fahr sei mit dem Verfahren durchaus nicht verknüpft. Die Dosierung
muss sich nach dem einzelnen Falle richten, doch können b^s zu 40 ccm
ohne Schaden gegeben werden .
D u d g e o n glaubt, dass dieses nach seinem Vorschläge her¬
gestellte Serum viel bessere Resultate liefern werde, wenn man es
frühzeitig anwende. Bei akut fieberhaften Fällen mit Schüttelfrost
und hohem Fieber ist von dem Mittel ein Erfolg zu erwarten, bei
chronischen Erkrankungen allerdings nicht. Ph.
9. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1413
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Verband der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt¬
schaftlichen Interessen.
VII. Hauptversammlung in Münster i. W.
am 20. Juni 1907. 11 Uhr Vormittag.
Der in No. 26, S. 1310 enthaltene Vorbericht soll in folgenden
Ausführungen eine Vervollständigung erfahren.
1. In der Diskussion über den Geschäftsbericht nahmen die
Frage der freien Arztwahl und die bekannten Vorgänge in den Knapp¬
schaftsgebieten einen breiten Raum ein; sie bot bei gleichen Rednern
und gleichen Argumenten fast dasselbe Bild wie die entsprechenden
Verhandlungen des Aerztetages.
Zur Assistentenbewegung berichtet
A 1 e xa n d e r - Berlin, dass von den von 85 Berliner Assistenten
an den Magistrat gerichteten Forderungen anfangs keine erfüllt wurde,
dann aber, als die Assistenten alle dem L. W. V. beigetreten
waren und von der Sperre gesprochen wurde, in kurzer Zeit die
wesentlichen Wünsche genehmigt wurden und auch die Erfüllung der
letzten Forderungen in Aussicht steht.
Die Kritik des Geschäftsberichtes über eine Entscheidung des
Ehrengerichtes von Schleswig-Holstein veranlasste die Herren
S c h e n k e - Flensburg und R e i m e r s - Wandsbeck ihre Aerzte-
kammer lebhaft in Schutz zu nehmen, es scheine die Information des
L. V. durch seinen Vertrauensmann eine einseitige gewesen zu sein
und die Kritik solcher ehrengerichtlichen Urteile habe stets etwas
missliches an sich.
Demgegenüber beruft sich der Generalsekretär Kuhns auf das
Originalmaterial. Der L. V. habe ein Recht zur Kritik, wenn in
Fragen, die seine eigene Tätigkeit berühren, über grundlegende Prin¬
zipien abgeurteilt und über das Wesen der freien Arztwahl Ansichten
aufgestellt werden, die der Verband nicht teilt.
Von mehreren Seiten wurde der ärztliche Zentralanzeiger kriti¬
siert und der Wunsch ausgesprochen, dass die Kollegen weniger
wie bisher diesem geschäftlichen Unternehmen, sondern lieber dem
L. V. ihre Zuwendungen für die Witwen und Waisen von Kollegen
machen sollten.
2. Aus dem Kassenbericht ist einesteils die relativ bedeutende
Zunahme des reinen Vermögens des Verbandes hervorzuheben, an¬
dererseits die wiederholte Klage über die lässige Rechnungsführung
in manchen Sektionen, gegen welche der Kassier zum energischen
Einschreiten veranlasst wird. • -
3. Der Antrag des Provinzialausschusses Westfalen (Berichter¬
statter L a u f f s - Paderborn) :
Der Vorstand des L. W. V. wird beauftragt, die Unter¬
stützung des Verbandes bei allen Streitigkeit, Streiks usw. nur
dann zu gewähren, wenn die betr. Aerzte sich verpflichten, 1 Proz.
ihrer Kasseneinnahmen an die Verbandskasse abzuführen, falls
der Streik zu gunsten der Aerzte entschieden wird,
wird durch eine Erklärung des Vorstandes ersetzt, welche die Er¬
wartung ausspricht, dass in Fällen, wo mit Unterstützung des L. W. V.
ein Streit zu gunsten der Aerzte beendigt wird, die Aerzte einen
gewissen Prozentsatz ihrer Mehreinnahmen der Verbandskasse über¬
weisen werden.
4. Antrag der Sektion Berlin:
In der Erwägung,
1. dass es für ärztliche Relikten wichtiger ist, Gelegenheit zur
Ausbildung und Betätigung in einem Beruf zu erhalten, als
ein- oder mehrmalige Geldunterstützungen;
2. dass ferner Einrichtungen zur Unterstützung mit Geldmitteln
bereits ausserhalb des L. W. V. bestehen;
3. dass der L. W. V. aber als bestorganisierte Institution für
Angebot und Nachfrage auch in dieser Beziehung gelten kann,
wird den Ortsgruppen des L. W. V. ein Zusammengehen mit den
bestehenden Unterstützungskassen empfohlen, um ärztlichen Re¬
likten, besonders den weiblichen, geeignete Ausbildung und Beschäf¬
tigung zu verschaffen.
D a v i d s o h n - Berlin: Die bereits so gut wirkende Stellenver¬
mittlung des L. V. kann auch auf diesem Gebiet segensreich wirken;
es liegen Angebote aller Art auf dem Gebiet des Unterrichts der
Krankenpflege, der kaufmännischen und wirtschaftlichen Berufe etc.
vor, aber es fehlt an der Stelle, welche für die betr. Stelle die pas¬
sende Bewerberin und umgekehrt für die Bewerberin die passende
Stelle vermittelt. Unter Mithilfe von Kollegenfrauen wird der L. V.
sicher gutes schaffen.
Nachdem E i s f e 1 d - Groeningen auf die reiche Mathias Hof¬
mann sehe Stiftung hingewiesen und P f e i f f e r - Weimar den Re¬
ferenten Davidsohn als geeigneten Organisator empfohlen,
wird der Antrag angenommen.
5. Militärarztfragen.
Schüller- Oels bezieht sich zunächst auf das Referat Zieg¬
lers in Strassburg, gegen welches von der Militärbehörde gewiss
eingeschritten worden wäre, wenn es nicht einwandfrei wäre. In¬
zwischen ist wenig aber doch einiges erreicht worden. Im Reichstag
hat der Vertreter der Militärverwaltung Sixt v. Arnim sich ge-
äussert, dass den Militärärzten die Zivilpraxis nicht ganz verboten
werden kann, aber alles was irgendwie einem unlauteren Wettbewerb
gleiche, unterbleiben müsse, man werde erneut die Sache erörtern.
Der L. V. muss nun wünschen, dass alle Bestimmungen, welche be¬
züglich der Zivilpraxis der Militärärzte erlassen wurden, bekannt
gegeben werden, damit man sie prüfen könne, die Missverständnisse
sind noch zahlreich. Er hat auch eine Eingabe an den Generalstabs¬
arzt der Armee, Dr. Schjerning, gerichtet, um gute Verhältnisse
herbeizuführen und gebeten, es möchten die Sanitätsoffiziere zur ge¬
nauen Einhaltung der bestehenden Verfügungen angehalten werden,
sie möchten ferner sich an die zivilärztliche Gebührenordnung halten,
auf den Wohnungsschildern ihren militärärztlichen Rang angeben,
Mitglieder der Standesvereine werden und bei Streitigkeiten keine
Kassenarztstellen übernehmen. Als besonders unzuträglich in¬
folge der Stellungnahme des Korps- und Divisionsarztes schil¬
dert Redner dann noch die Verhältnisse im Bereiche des VI. Armee¬
korps und besonders in Oels, wovon die Heeresverwaltung jedenfalls
keine Kenntnis habe. Das richtige ist, entweder Sanitätsoffizier oder
Zivilarzt, nicht beides zugleich.
Der Referent beantragt:
Den Herrn Generalstabsarzt der Armee zu ersuchen, die¬
jenigen Verordnungen, Bestimmungen usw. öffentlich bekannt zu
geben, welche sich auf die Ausübung der ärztlichen Praxis seitens
der Sanitätsoffiziere beziehen.
Wird ohne Debatte angenommen und die Drucklegung des Re¬
ferates beschlossen.
6. Bericht über den jetzigen Stand der Krankenhausarztfrage.
B e r n d t - Stralsund: Es ist irrig, dass der L. V. nur den Kassen¬
ärzten diene und die Krankenhausarztfrage lediglich als Honorar¬
frage betreibe. Sie ist, da die Stellung der Krankenhausoberärzte
oft eine unwürdige ist, vor allem eine Frage der Standeswürde.
Mit der Besserung der Stellung der Oberärzte gewinnt auch die
der Hilfsärzte ohne weiteres, deren Forderungen ja auch noch viel¬
fach unerfüllt sind. Das wichtigste ist zunächst eine Enquete,
welche aber nur auf privatem Wege zu erhalten «ist, hoffentlich
aber bis zum nächsten Jahre vorliegt. Wichtig ist ein entsprechender
Einfluss der Oberärzte in der Verwaltung der Krankenhäuser. Die
Laienkommission, welche die Krankenhäuser leiten, haben immer
nur ein mässiges Verständnis für die ärztlichen Dinge. Die An¬
stellung muss ferner auf längere Zeit erfolgen, eine viertel- oder
halbjährige Kündigung ist unwürdig, jeder muss eine Lebensstellung
erstreben. Der Arzt muss der Vorgesetzte des Personals sein; das
ist besonders bei den Diakonissenhäusern noch lange nicht erreicht
und bestehen nur fortgesetzte Kompromisse zwischen Arzt und Per¬
sonal. Ausserdem ist der Gehalt vielfach unwürdig, schlechter als
der der Assistenten und ohne Pensionsberechtigung, die Stellung
sollte so sein, dass der Oberarzt ausserdem nur Konsiliarpraxis
zu treiben habe; er sollte auch durch die Patienten I. und II. Klasse
honoriert werden. Dieser Kampf ist nur ein Teil des allgemeinen
Kampfes, um den Aerzten in der Medizinalverwaltung und ähnlichen
öffentlichen Gebieten die gebührende Stellung an der Spitze zu er¬
ringen.
Dem Antrag, die bestehende Kommission auf 12 Mitglieder zu
erweitern wird nach kurzer Diskussion zugestimmt.
7. Zur Erhöhung der Honorare in der Privatpraxis.
Neuberger - Nürnberg führt kurz aus, dass die patriarchali¬
schen Verhältnisse, wo viele Aerzte ganz gut situierte Kranke zu
niedrigen Sätzen behandeln, nicht mehr haltbar sind und dass durch
solche falsche Humanität vielen anderen Aerzten die Position er¬
schwert wird. Die zunehmende Teuerung der Lebensführung hat
bereits verschiedene Aerztevereine zur Erhöhung der Honorare ver¬
anlasst und diese wurde wie die vierteljährliche Rechnungsstellung
im Publikum auch mit Verständnis aufgenommen.
Die Bekanntgabe der Erhöhung kann öffentlich erfolgen.
Die meisten Vereine haben 2 Mk. für die Konsultation, 3 Mk. für
den Besuch angenommen, wobei der erste Besuch und Besuche zu
aussergewöhnlicher Zeit höher zu bezahlen sind. Dem müssen sich
auch die Hausärzte, besonders bei der guten Klientel anschliessen.
Die von dem Referenten vorgeschlagene Resolution, in der ge¬
samten Privatpraxis eine entsprechende Honorarerhöhung durchzu¬
führen, wird angenommen.
8. Zur Reform der ärztlichen Krankenversicherung.
Bloch- Beuthen vertritt in längeren Darlegungen unter Bezug¬
nahme auf die guten Erfahrungen bei der ärztlichen Krankenkasse
des deutschen ärztlichen Zentralvereins in Mähren die Idee einer
allgemeinen, der modernen Arbeiterkrankenversicherung analogen
ärztlichen Krankenversicherung.
Nachdem Hesselbarth und Wentscher vom Standpunkte
der Versicherungskasse der Aerzte Deutschlands aus lebhaft in ab¬
lehnendem Sinne gesprochen und Bloch versichert, dass dieser
Kasse kein Abtrag geschehen solle, wird sein Antrag, es möge der
Leipziger Verband zusammen mit dem Vorstande der Versicherungs¬
kasse der Aerzte Deutschlands die Frage prüfen und einer
Ausgestaltung auf möglichst breiter Basis nähertreten, angenommen.
9. Für den aus dem Vorstande ausscheidenden Herrn Dona-
1 i e s wird Herr M e j e r - Leipzig gewählt.
Schluss der Versammlung %7 Uhr, nachdem Dyhrenfurth-
Breslau dem Leiter derselben, G ö t z - Leipzig den herzlichen Dank
der Versammlung zum Ausdruck gebracht hatte. Bgt.
1414
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2
Verschiedenes.
Gerichtliche Entscheidungen.
Der Verkauf einer ärztlichen Praxis verstösst
gegen die guten Sitten und ist deshalb nicht rechtswirksam. Zu
dieser Entscheidung gelangte das Reichsgericht auf Qrund einer An¬
fechtungsklage des praktischen Arztes Dr. med. K. in Aue gegen den
praktischen Arzt Dr. med. B. in Dresden. B. verkaufte dem Kläger
durch Vertrag vom 1. Dezember 1902 seine Praxis für 70 000 Mk.
Ueber das Vermögen des Klägers, der die Praxis am 1. April 1903
antrat, ist auf Antrag des Beklagten das inzwischen beendete Konkurs¬
verfahren eröffnet worden. Der Kläger hat daraufhin den Vertrag
mit dem Beklagten auf Grund der §§ 134 und 138 des Bürgerlichen
Gesetzbuches als nichtig angefochten. Das Landgericht zu Dresden
liess den § 134 B.G.B. gelten, da der Verkauf der ärztlichen Praxis
gegen die Standesordnung für die ärztlichen Bezirksvereine im Kö¬
nigreich Sachsen verstosse. Auf die Berufung des Beklagten liess
das Oberlandesgericht Dresden die Entscheidung der Frage nach
§ 134 B.G.B. unentschieden, erklärte aber die Anfechtung des § 138
B.G.B. wegen Verstosses gegen die guten Sitten für begründet. Diese
Entscheidung des Oberlandesgerichtes ist jetzt vom II. Zivilsenat
des Reichsgerichtes gebilligt worden. Die Annahme des Ober¬
landesgerichtes, dass die Vertragsbestimmung einer monatlichen Ab¬
zahlung von 1500 Mk. zum Nachteile für die Hilfesuchenden werden
müsste, da es dem Kläger bei der drückenden wirtschaftlichen Lage
hauptsächlich um hohe Einnahmen zu tun sein müsse, sei richtig.
Dazu komme, dass unter solchen drückenden Verhältnissen arbeiten¬
den Aerzten die Arbeitsfreudigkeit und die Geneigtheit, dem Gemein¬
wohl zu dienen, abgehen müsse. Diese Umstände traten aber noch
zu dem bei jedem Verkauf der ärztlichen Praxis sich ergebenden all¬
gemeinen Nachteil hinzu, der darin bestehe, dass der Verkäufer we¬
niger auf die wissenschaftliche und sittliche Befähigung seines Nach¬
folgers als auf die Höhe des Kaufpreises Rücksicht nehmen wird. Das
vorliegende Verhalten verletze somit nicht nur die Standessitten
der Aerzte, sondern auch das sittliche Empfinden der Gesamtheit.
Aus allen diesen Gründen sei ein Verkauf der ärztlichen Praxis nicht
angängig- (Voss. Ztg.)
Therapeutische Notizen.
Bromquecksilber, ein neues, lösliches Quecksilbersalz,
hat Dalimier mit folgender Formel eingeführt: HgBr2 1,08, Na
brornat. 1,04 (um die an sich ungenügende Löslichkeit des Hg Bis zu
erhöhen) und Aqu. dest. ad 100,0. Das Bromquecksilber ist die Kom¬
bination eines Moleküls des Metalls mit 2 Molekülen Brom und zählt
zu jenen Quecksilbersalzen, deren Gehalt an Hg am höchsten ist.
.Jeder Kubikzentimeter der Lösung enthält 1 cg reinen Quecksilbers.
Dieselbe reagiert neutral, ist leicht resorbierbar durch die chlorreichen
Körpersäfte, bei 120 0 ohne Nachteil sterilisierbar und zeichnet sich
durch besondere Beständigkeit ,aus. In den 16 Fällen, wo D. das
Bromquecksilber anwandte (1 — 2 ccm in intramuskulärer Injektion)
hat sich dasselbe bezüglich der Heilwirkung den bewährtesten Queck-
silbersalzen, besonders dem Bijodat gleichwertig gezeigt. (Bulletin
medical 1907, No. 44.) St.
Das Atoxyl bei Tuberkulose hat nach den Erfahrungen
und Tierexperimenten von Renon und De Lille nur einen be¬
schränkten Wert. Die tuberkulös gemachten Meerschweinchen sind
ungefähr in derselben Zeit mit, wie ohne Atoxylbehandlung gestorben.
Bei zahlreichen Kranken mit chronischer Lungen- und lokaler Tuber¬
kulose hat das Atoxyl in keiner Weise auf den Krankheitsprozess ein-
gewiirkt, hingegen bei tuberkulöser Pleuritis, Peritonitis, bei Lungen¬
tuberkulose mit rapidem Verlauf schien es verzögernden Einfluss zu
haben und kann man es in solchen Fällen als Ersatz anderer Arsen¬
präparate, wie des Kakodylats, des Na arsenic. etc. anwenden. Es
wird innerlich (Atoxyl 1,0, Aqu. dest. 150,0, 1—3 Esslöffel pro Tag)
oder in subkutaner Injektion (1,5:10,0 Aqu., alle 2—4 Tage 2 ccm)
gegeben. (Bulletin medicale 1907, No. 44.) St
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 8. Juli 1907.
— Ein Ergebnis desAerztetagesinMünster von grosser
prinzipieller Tragweite ist die nahezu einstimmig (gegen 5 Stimmen)
beschlossene Forderung der gesetzlichen Festlegung der
freien Arztwahl. Noch vor Kurzem gab es nicht wenige ein¬
flussreiche Mitglieder des Aerteztages und sonst überzeugte Anhänger
der freien Arztwahl, die sich einer gesetzlichen Einführung der
freien Arztwahl gegenüber ablehnend verhielten. So hat der Tag in
Münster gezeigt, dass der Gedanke der freien Arztwahl in der
deutschen Aerzteschaft unaufhaltsam vordringt. Nach der Stimmung,
die in Münster herrschte, kann kein Zweifel sein, dass, falls die
Reform des Krankenversicherungsgesetzes dieser Forderung nicht
Rechnung tragen sollte, der Geschäftsausschuss auf die Solidarität
und Entschlossenheit der deutschen Aerzte rechnen kann, wenn er
sie zum Kampf gegen eine abermalige Ignorierung ärztlicher Leben
interessen aufrufen sollte. Wenn man sieht, wie die Idee der freit
Arztwahl von Jahr zu Jahr siegreich fortschreitet und wie die Aerzt
gruppen immer kleiner werden, die ihr ablehnend gegenüberstehe
so ist es schwer zu begreifen, dass eine starke Strömung auf de
Aerztetag verlangte, diesen natürlichen Umwandlungsprozess dur».
Gewaltmassregeln gegen die renitenten Kollegen zu beschleunige
selbst auf die Gefahr einer Spaltung der Aerzteschaft hin. Es stel
fest, wenn es auch nicht beschlussmässig festgelegt wurde, dass b
vielen Delegierten der Wunsch besteht, die Direktiven des Geschäft
ausschusses, die Einführung der freien Arztwahl betr. dahin abzi
ändern, dass eine Mehrheit von Aerzten eines Ortes berechtigt,
sogar verpflichtet sein soll, die freie Arztwahl auch gegen den Wille
der an den fixierten Kassenarztstellen beteiligten Kollegen zu e
zwingen und dass Mitglieder und Vereine, die sich der Durchfiihrun
dieser neuen Direktiven nicht fügen wollen, die Konsequenzen z
ziehen und aus Aerztevereinsbund und Leipziger Verband auszi
scheiden haben. Wir fürchten, dass hier ein gefährliches Spiel m
dem Feuer getrieben wird. Denn es handelt sich hier nicht nur ui
die nicht mehr bedeutende Zahl von Gegnern der freien Arztwah
sondern um die beträchtliche Zahl derjenigen, die es mit ihre:
kollegialen Fühlen nicht vereinbaren können, die Mittel der zui
Kampf gegen die Gewaltherrschaft der Kassen gegründeten Organ
sation zum Kampfe gegen Kollegen anzuwenden. Als im vorige
Jahre die Sperre über die Münchener Bahnarztstellen vom L. \
verhängt wurde, hat sich die Mehrheit der bayerischen Aerzte gege
die Sperre ausgesprochen, weil sie in ihr einen Verstoss gegen di
bisherigen Direktiven des Geschäftsausschusses erblickte. Will ma
diese Kollegen, die fast alle, nicht sogen, „prinzipielle“, sonder
wirkliche Anhänger der freien Arztwahl sind, zum Ausscheiden au
dem Aerztevereinsbund und L. V. veranlassen? Man sagt, die Stoss
kraft der Organisation werde gestärkt, wenn sie nur die entschlösse
nen Elemente in sich vereinige; es müsse eine „reinliche Scheidung
erfolgen. Das Gegenteil ist der Fall; eine Standesorganisation is
nur dann aktionsfähig, wenn sie möglichst die Gesamtheit aller Ver
treter des Standes (mit Ausschluss der unhonorigen natürlich) um
schliesst. Beweis München, wo die reinliche -Scheidung sich bereit
vollzogen hat. Niemand wird behaupten, dass die Stosskraft de
Bezirksvereins München sich durch diese Scheidung erhöht hai
Wenn aber eine freiwillige Organisation, wie die der Aerzte, all«
Mitglieder des Standes, radikale und gemässigte, in sich vereinige:
soll, so ist es nötig, dass sie auf einer mittleren Marschroute siel
bewegt und auch Minderheiten Rechnung trägt. Das hat der Deutsch«
Aerztevereinsbund bisher getan und es ist ihm gelungen in immei
grösserer Vollständigkeit die deutschen Aerzte an sich anzugliedern
Es ist wohl nicht zu befürchten, dass der derzeitige Geschäfts
ausschuss von dieser Tradition abweichen und ohne Not treuen Mit
gliedern den Stuhl vor die Türe setzen wird. Denn eine Not¬
wendigkeit, die Einführung der freien Arztwahl zu forcieren, besteh-
jetzt, wo ihre gesetzliche Festlegung in Frage steht, weniger wie
je. Fällt aber die freie Arztwahl bei der Reform des Krankenver¬
sicherungsgesetzes und sollten die Aerzte dann einen Kampf um diese
ihre erste Forderung zu führen haben, so werden sich von selbst neue
Direktiven ergeben. Die Begeisterung, die der Kampf um eine gute
Sache immer auslöst, wird dann das ihrige tun, die Zahl der Gegner
der freien Arztwahl weiter zu vermindern. Wir möchten daher
dem Geschäftsausschuss des Aerztevereinsbundes sehr ans Herz
legen, Bestrebungen gegenüber, die darauf abzielen, weitere Kreise
bundestreuer Mitglieder aus dem Aerztevereinsbunde hinauszu¬
drängen, die grösste Vorsicht und Zurückhaltung walten zu lassen.
Niederreissen ist leichter als Aufbauen!
Laut § 7 A Absatz 4 der Satzungen des „V erbandes der
Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt¬
schaftlichen Interessen“ hat sich der auf der Hauptver¬
sammlung in Münster i. W. vom 20. Juni d. Js. gewählte Vorstand
konstituiert. Nach Zuwahl weiterer 4 Beisitzer gehören ihm z. Zt.
an die Herren : Dr. Hartmann, Dr. Max G ö t z, Dr. Hirsch-
f e 1 d, S.-R. Dr. D i p p e, Dr. S t r e f f e r, Dr. M e j e r, Prof Dr
Schwarz, Dr. Dumas, Dr. V o 1 1 e r t, Dr. Göhl e r.
— Das Zentralkomitee für das ärztliche Fort¬
bildungswesen in Preussen hielt am Sonnabend den
29. Juni im Kaiserin-Eriedrich-Hause seine, auch von auswärtigen
Aerzten zahlreich besuchte siebente Generalversammlung
ab. Dem bisherigen Vorsitzenden Ernst v. Bergmann widmete
der stellvertretende Vorsitzende Geheimrat v. Ren ver s warme
Worte der Erinnerung. Ueber den gegenwärtigen Umfang der Or¬
ganisation, die auch im A u s 1 a n d e vielfach Nachahmung gefunden
hat, und über die Arbeiten im abgelaufenen Geschäftsjahre erstattete
Prof. R. Kutner Bericht; hiernach sind gegenwärtig Vereinigungen
fiii unentgeltliche F ortbildungskurse vorhanden : in
Preussen 31, in Bayern 3, in Sachsen 3, in Württemberg 2, in Baden 2,
m den übrigen ausserpreussischen Bundesstaaten 7, ausserdem eine
in Elsass-Lothringen, also insgesamt 49. Hierzu kommen die „Semi-
naic für soziale Medizin1 in Berlin, Breslau, Leipzig, München, Wies¬
baden und Hamburg. Vereinigungen für honorierte Kurse gibt
es zurzeit: in Preussen 6, in ausserpreussischen Bundesstaaten 5, mit¬
hin zusammen 11. Im ganzen sind also im Deutschen Reiche zurzeit
00 Kursvereinigungen vorhanden. In Anerkennung der
). Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1415
■rossen Verdienste, die sich der gegenwärtige Leiter der Unterrichts-
ibteilung, Ministerialdirektor Dr. A 1 1 h o f f, um die Begründung und
Ausbreitung des ärztlichen Fortbildungswesens erworben hat, er¬
zählte ihn die Versammlung einstimmig zum Ehrenvorsitzenden,
yährend der bekannte Berliner Anatom, Qeh. Med.-Rat Prof. Dr.
\Valdeyer zum Vorsitzenden gewählt wurde. Hieran schlossen
;ich die Wahlen der ständigen Vertreter des Zentralkomitees bei den
Akademien für praktische Medizin in Köln und Düsseldorf“, als
.velche die Herren Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. Bardenheuer und
3eh. San.-Rat Dr. Reimer ernannt wurden. D,en Schluss bildeten
lie Beratungen und Annahme mehrerer Anträge, die eine Erhöhung
ler staatlichen Beihilfe und eine Ermässigung der Fahrpreise für die
irztlichen Kursteilnehmer bei den Behörden erwirken sollen, sowie
ier Beschluss, die Bildung eines internationalen Komitees für ärzt-
iche Studienreisen in die Wege zu leiten.
_ Die preussische Akademie der Wissenschaf-
:en hat durch die physikalisch-mathematische Klasse dem o. Professor
und Direktor der medizinischen Klinik Dr. med. Ludolf K r e h 1 in
Heidelberg zu Untersuchungen über die Veränderungen der Wasser¬
ausscheidung durch die Haut und Lunge bei Aufenthalt an hoch ge-
egenen Punkten 2400 M. bewilligt, (hc.)
— Dem französischen Hygieniker Brouardel soll in Paris ein
3 e n k m a 1 errichtet werden. Für diesen Zweck hat sich ein Komitee
rnter dem Protektorat des Präsidenten der Republik gebildet. Bei-
;räge sind zu senden an die Verlagsfirma Herren B a i 1 1 i e r e &
Qis, Paris, 19, rue Hautefeuille.
— Die Berliner Hygiene-Ausstellung, die gleich¬
zeitig mit dem 14. Internationalen Kongresse für Hygiene und Demo¬
graphie vom 23. bis zum 29. September stattfinden wird, soll in der
vVandelhalle und in den anschliessenden Nebenräumen des Reichs¬
agsgebäudes veranstaltet werden. Vorsitzender ist Geh. Rat Prof.
3r. R u b n e r, Schriftführer Stabsarzt Dr. H o f f m a n n. Die Leitung
Ier Ausstellung besteht aus Vertretern des Kultusministeriums, des
Reichsgesundheitsamtes, der Medizinalabteilungen der Armee und
Vlarine sowie aus Vertretern der hygienischen Wissenschaft und der
jesundheitstechnik. (hc.)
— Zur diesjährigen ärztlichen Studienreise ver¬
sammeln sich die Teilnehmer bereits am 1. September ds. Js. in
Berlin morgens 9 Uhr im „Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche
mrtbildungswesen“ zu einer Eröffnungssitzung. Daran anschliessend
Besichtigung städtischer Krankenhäuser und hygienischer Einrich-
:ungen etc. nach Wahl. Am 2. September morgens verlassen die
i'eilnehmer Berlin per Extrazug, besteigen in Warnemünde den itir
iie ganze Reise gecharterten Dampfer und besuchen die Ostsee¬
räder sowie Rügen, Bornholm, Wisby auf Gothland, Stockholm und
Ropenhagen. Die Reise endet am 16. September mittags in Stettin.
Preis für die ganze Reise inkl. Fahrten, Verpflegung, Quartiere,
Reisebericht, exkl. Berliner Aufenthalt, Getränke und Trinkgelder
265 Mk. Baldige Anmeldung, welche durch Einsendung der Ein¬
schreibgebühr von 25 Mk., die auf den Gesamtbetrag verrechnet
verden, perfekt wird, ist empfehlenswert, da aus technischen Grün-
len die Teilnehmerzahl eine begrenzte ist. Anfragen etc. sind zu
ächten an das Komitee zur Veranstaltung ärztlicher Studienreisen,
5. H. des Generalsekretärs Dr. A. Oliven, Berlin, Luisenplatz 2/4
Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche Fortbildungswesen).
— Der erste Kongress der Deutschen Gesellschaft
ür Urologie wird am 2. Oktober zu Wien eröffnet. Da zu den
)ffiziellen Referaten (I. Nierentumoren: Küster, v. Eiseisberg;
II. Nierensteine: Kümmell, Holzknecht, Kienböck; III.
Albuminurie; v. Noorden, Posner) schon eine Reihe Dis¬
kussionsredner gemeldet sind, bleiben die Vormittage des 3., 4. und
5. Oktober ausschliesslich der Verhandlung dieser Themen vorbe-
lalten. Nur die bis spätestens 15. Juli angemeldeten Vorträge und
Demonstrationen können bei Feststellung des endgültigen Programms
Berücksichtigung finden. Alle Anmeldungen und Auskünfte erfolgen
in der Geschäftsstelle in Wien (Dr. Kapsammer, IX. Maria The-
esienstrasse 3).
— Der 20. französische Chirurgenkongress findet
nn 7. Oktober 1907 zu Paris statt. Auf der Tagesordnung stehen
1 Themen: 1. Der Einfluss der Röntgenstrahlen auf maligne Tumoren;
1. Nerven-, Muskel- und Sehnentransplantationen bei der Behandlung
ler Lähmungen; 3. chronische, chirurgische Affektionen (Tuberkulose
nid Krebs) in ihren Beziehungen zu Unfällen.
— .Der 9 französische Kongress für innere Medizin findet vom
19. Oktober zu Paris statt: Auf der Tagesordnung stehen: 1.
Behandlung des einfachen Magengeschwürs, 2. Pathogenese und Be-
mndlung der Basedow sehen Krankheit, 3. die Hämophilie.
— Pest. Aegypten. Vom 16. — 22. Juni wurden 20 neue Er¬
krankungen (und 15 Todesfälle) an der Pest angezeigt. — Britisch-
Jstindien. In Moulmein sind vom 19. — 25. Mai 41 Personen an der
Jest gestorben. In Kalkutta starben vom 19. — 25. Mai 131 Personen
jn der Pest. — Straits Settlements. In Singapore sind am 17. Mai
' Pestfälle, am 20. Mai 1 solcher gemeldet worden. — China. Zufolge
•iner Mitteilung vom 23. Mai sind letzthin vereinzelte Pestfälle unter
ler einheimischen Bevölkerung der Stadt Amoy aufgetreten. —
[apan. In Nischimurasaki wurden am 17. Mai 2 Pestfälle mit töd-
ichem Ausgange festgestellt. — • Zanzibar. Am 26. Juni ist in Zan¬
dbar ein pestverdächtiger Todesfall vorgekommen. — Britisch-Siid-
afrika. In King Williams Town wurde am 24. Mai ein neuer Pestfall
ermittelt. — Hawaiische Inseln. Vom 10. — 27. Mai sind 10 Personen
der Pest erlegen. Seit dem ersten Auftreten der Seuche am 30. März
d. J. sind bis zum 27. Mai im ganzen 41 Pestfälle bekannt geworden,
von denen 6 auf Honolulu, 2 auf Kalauao und 33 auf Aiea entfallen;
tödlich verlaufen sind davon bisher 28. — Neu-Siid-Wales. In Sydney
wurde am 19. Mai ein neuer Pestfall festgestellt. — Viktoria. In Mel¬
bourne ist am 21. Mai eine aus Sydney am 17. Mai dort eingetroffene
Person an Pest gestorben. — Neu-Seeland. In Auckland sind am
16. Mai 2 Pesterkrankungen vorgekommen, die tödlich verlaufen sind.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 16. — 22.
Juni sind 68 Erkrankungen (und 25 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 25. Jahreswoche, vom 16. — 22. Juni 1907, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Regensburg mit 27,2, die geringste Krefeld mit 5,6 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Barmen, an Masern und Röteln in Buer, an
Diphtherie und Krupp in Buer. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Der a. o. Professor Dr. Richard Greeff, Direktor
der Klinik für Augenkrankheiten im Charitee-Krankenhause, hat einen
Ruf nach Kiel erhalten, sich aber entschlossen, demselben nicht
Folge zu leisten, (hc.) — Der Titel Professor wurde verliehen: dem
Privatdozenten für innere Medizin an der Berliner Universität
Dr. med. Leonor Michaelis, dem Assistenten bei Geheimrat
Senator am poliklinischen Institut für innere Medizin der Fried-
rich-Wilhelms-Universität Dr. med. Max M o s s e und dem Privat¬
dozenten für innere Medizin Dr. Paul Lazarus in Berlin. —
Die Hochschulkorrespondenz schreibt: In hiesigen Blättern wird ge¬
meldet, dass für den v. Leyden sehen Lehrstuhl an dritter Stelle
Prof. H i s in Göttingen von der hiesigen medizinischen Fakultät vor¬
geschlagen sei. Dies ist, wie wir hören, nicht richtig. Vielmehr ist’
von der Fakultät an dritter Stelle Prof. Moritz in Strassburg, früher
in Giessen und Greifswald, vorgeschlagen worden. Es ist aber wohl
anzunehmen, dass die Fakultät, nachdem die Professoren Müller
in München und K r e h 1 in Heidelberg abgelehnt haben, weitere
Vorschläge machen wird, (hc.) — Prof. Hermann Munk wird am
1. Oktober von seinem Lehramt und von der Leitung des physio¬
logischen Instituts zurücktreten.
Bonn. Habilitiert Dr. med. Gustav Embden mit einer An¬
trittsvorlesung über die Bedeutung der Krankheit für die Lehre vom
intermediären Stoffwechsel, (hc.)
Breslau. Durch A. K. O. vom 22. VI. 07 ist Geheimrat Prof.
Dr. N e i s s e r, Direktor der dermatologischen Klinik und bisheriger
ausserordentlicher Professor zum ordentlichen Professor in der medi¬
zinischen Fakultät der Universität Breslau ernannt worden. Habili¬
tiert: Dr. med. Walther Hannes, Oberarzt bei Prof. Küstner an
der Frauenklinik, mit einer Vorlesung über das Thema: „Welche
Anforderungen sind an eine rationelle Methode der künstlichen Unter¬
brechung der Schwangerschaft zu stellen?“ (hc.)
Halle a. S. Anlässlich des 50 jährigen Bestehens des Halle¬
schen Diakonissenhauses ernannte der Kaiser den Chefarzt Professor
Gentzmer zum Geh. Medizinalrat und verlieh dem Oberarzt Wit¬
thauer den Roten Adlerorden.
Heidelberg. Dem in Heidelberg ansässigen Baron Jakob
v. U e x k ü 1 1 wurde von der medizinischen Fakultät der medizinische
Doktortitel honoris causa verliehen in Anerkennung seiner wichtigen
Untersuchungen über die Erregungsvorgänge in den Nerven und
Muskeln.
Kiel. Prof. Dr. med. Johannes Pfannenstiel in Giessen
wurde zum ordentlichen Professor und Direktor der Frauenklinik an
der hiesigen Universität unter gleichzeitiger Verleihung des Cha¬
rakters als Geh. Medizinalrat ernannt, (hc.)
Königsberg i. Pr. Habilitiert: Dr. med. Max Drau dt
(aus Darmstadt), Assistenzarzt bei Prof. Lex er an der chirurgischen
Klinik für das Fach der Chirurgie und Dr. med. Isfried H o f b a u r
(aus Wien), Assistenzarzt bei Prof. Winter an der Frauenklinik,
für das Fach der Geburtshilfe und Gynäkologie, (hc.)
München. Die medizinische Fakultät hat die für das Studien¬
jahr 1906/07 gestellte Preisfrage: „Der Einfluss der Erkrankungen
der Koronararterien auf die Herzmuskulatur, mit besonderer Berück¬
sichtigung der chronischen Aortitis“ wiederholt und dazu folgende
neue gestellt: „Es wird eine genauere anatomische Untersuchung des
Akkommodationsmuskels im menschlichen Auge gewünscht. Ins¬
besondere soll dabei auch der Uebergang des Muskels in die Chorio-
idea und sein Verhalten bei Myopie, Hypermetropie und Presbyopie
erforscht werden.“ Die Zahl der an der Universität München im
Sommersemester 1907 immatrikulierten Studierenden beträgt 6009,
gegen 5734 im Sommer 1906. Davon in der medizinischen Fakultät
1386 (1215). (hc.) Am 6. Juli habilitierte sich für Augenheilkunde
Dr. Wilhelm L o h m a n n, Assistent der ophthalmologischen Klinik,
mit einer Probevorlesung über Diagnose, Prognose und Behandlung
der tuberkulösen Erkrankungen des Auges. Die Habilitionsschrift
führt den Titel: „Untersuchungen über Adaptation und ihre Be¬
deutung für Erkrankungen des Augenhintergrundes“.
Rostock. Der Stabsarzt Dr. Riemer, Bataillonsarzt des
hiesigen Füsilierregiments No. 90 hat sich für das Fach der Hygiene
habilitiert. — Dr. med. R e i n m ü 1 1 e r, Spezialarzt fiir Zahn- und
1416
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2
Mundkrankheiten, wurde als Lektor für dieses Fach an der Universi¬
tät zugelassen.
Tübingen. An der medizinischen Fakultät wird für Phar¬
makologie und für Leitung der medizinischen Poliklinik, die in der
Hand des verstorbenen Professors Jürgensen vereinigt waren,
je ein besonderer Lehrstuhl errichtet werden. An Stelle von Prof.
D ö d e r 1 e i n hat, nachdem Fehling- Strassburg abgelehnt hat,
Prof. Menge- Erlangen einen Ruf als Vorstand der Universitäts-
Frauenklinik erhalten.
W ii r z b u r g. 1408 Studierende sind im laufenden Semester
an der Universität Wiirzburg immatrikuliert, gegen 1360 im Sommer
1906, davon 449 Mediziner. Habilitiert: Dr. med. Alexander
Schmincke (aus Kassel), Prosektor am dortigen pathologischen
Institut. Die Habilitionsschrift trägt den Titel: „Die Regeneration der
quergestreiften Muskelfasern bei den Wirbeltieren. Eine verglei¬
chende pathologische Studie *, (hc.) Privatdozent Dr. A r n e t h
wurde von der Stadt Münster i. W. zum Oberarzt der inneren Ab¬
teilung (250 Betten) am Klemenshospitale einstimmig berufen.
Q e n f. Der ausserordentliche Professor Dr. O. Beuttner
* wurde zum ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie
an Stelle des verstorbenen Prof. J e n t z e r ernannt.
I n n s b r u c k. Der a. o. Professor Dr. med. Alois Lode wurde
zum ordentlichen Professor der Hygiene an der Universität Innsbruck
ernannt, (hc.)
Kopenhagen. Habilitation : Dr. med. Otto C. V. E. P e t e r -
sen (Habilitationsschrift: Beitrag zur mikroskopischen Anatomie der
Vesicula seminalis bei dem Menschen und einigen Säugetieren).
(Todesfälle.)
Dr. D. M. M o i r, Professor der Anatomie am Medical College
Hospital zu Kalkutta.
Prof. Dr. Siegfried C z a p s k i, der langjährige Mitarbeiter Ernst
Abbes und dessen Nachfolger in der Geschäftsleitung des Zeiss-
werkes ist in Jena am 29. Juni im Alter von 46 Jahren gestorben.
Prof. Dr. med. Ferdinand L e v i s o n, 63 Jahre alt, durch Arbei¬
ten über Gicht und Rheumatismus bekannt.
Berichtigung. In der Arbeit von C. Klieneberger
in voriger Nummer ist auf S. 1333, Sp. 1, Anmerkung, in dem Satze:
. . . wenn, wie Voss selbst auf Grund von Normalserumkontrollen
betonL erst jenseits 1 : 150 die Pyozyaneusagglutination als S[
zifisch angesehen werden kann... zu lesen 1:50 statt 1:150.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Verzogen: Dr. L o e b von Lingenfeld.
Gestorben. Medizinalrat Dr. Heinrich Ullrich, früher
Direktor der Heil- und Pflegeanstalten bei Kaufbeuren.
Militärsanitätswesen.
An gestellt: der Oberarzt Dr. Hugo W i 1 1 m e r mit seine
Ausscheiden aus der Kaiserl. Schutztruppe für Südwest-Afrika i
23. Inf. -Reg. überzählig und ohne Patent.
Versetzt: die Oberärzte Dr. Mayer vom 18. Inf.-Reg. zu
14. Inf.-Reg. und Dr. Schmid vom 23. Inf.-Reg. zum 11. Feh
Art.-Reg.
Befördert: zu Oberärzten (überzählig) die Assistenzärz
Dr. Wiel des 4. Inf.-Reg., Zanger le des 17. Inf.-Reg., Dr. M i 1 1 e
des 20. Inf.-Reg., Dr. Woithe des 5. Chev.-Reg., kommandiert zu
Kaiserl. Gesundheitsamt, Dr. Fürter des 6. Feld-Art.-Reg m
Dr. Pachmayr des 8. Feld-Art.-Reg., ohne Gehalt beurlaubt.
Auszeichnung: die Erlaubnis zur Annahme und zu
Tragen von Ordensauszeichnungen wurde erteilt dem Stab
arzt Dr. v. Ammon, Bataillonsarzt im Inf.-Leib-Reg. für das Ritte
kreuz 1. Klasse des Kgl. Schwedischen Wasa-Ordens, ferner de
Oberstabsarzt Dr. Kolb, Regimentsarzt im 1. Schweren Reiter-Rej
für den Kaiserl. Russischen St. Stanislausorden 2. Klasse.
Korrespondenz.
Herr Dr. Hugo Sternfeld fühlt sich durch unseren Artik
„Unfaire Kampfesweise“ in No. 3, 1907 dieser Wochenschrift verletz
Um den Bemühungen von kollegialer Seite, die Angelegenheit gii
lieh beizulegen, entgegenzukommen, erklären wir — obwohl wir j
unserem in dem genannten Artikel eingenommenen Standpunkt gegei
über dem Verhalten des Herrn Dr. Sternfeld nichts ändei
können — doch gerne, dass bei uns selbstverständlich die Ab sich
Herrn Dr. S t e r n f e 1 d zu b e 1 e i d i g e n, nicht bestand, sondei
dass dei Zweck unseres Artikels lediglich der einer Abwehr war.
Generalkrankenrapport über die K. Bayer. Armee
für den Monat M a i 1907.
Iststärke des Heeres:
70270 Mann, 170 Kadetten, 150 Unteroffiziersvorschüler.
1. Bestand waren
am 30. April 1907:
Mann
Kadetten
Unteroffiz. -
vorschüler
1514
_
6
2. Zugang:
im Lazarett:
im Revier:
in Summa:
1218
1521
2739
]
7
7
Im ganzen sind behandelt:
°/qo der Iststärke:
4253
60,5
2
11,8
13
86,7
3. Abgang: <
dienstfähig:
°/oo der Erkrankten:
gestorben :
u/oo der Erkrankten :
dienstunbrauchbar :
mit Versorgung:
ohne „
Auf Grund vor der
Einstellung in den Militär¬
dienstvorhanden gewese¬
ner Leiden als dienstun¬
brauchbar erkannt und
entlassen :
anderweitig:
in Summa:
2790
656,0
10
2,4
59
3
24
117
3003
2
1000,0
2
6
461,5
1
7
4. Bestand
bleiben
31. Mai 1907
in Summa:
°/oo der Iststärke:
davon im Lazarett:
davon im Revier:
1250
17,8
937
413
—
6
40,0
6
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten an:
Scharlach 1, Gesichtsrose 1, Sarkom der Lendenwirbelsäule 1, Sar¬
kom des vorderen Mittelfellraumes 1, Lungenentzündung 2, Blind¬
darmentzündung 1, Nierenentzündung 1, Zerreissung der rechten
Lunge 1, Schussverletzung des Bauches und der Brust (Selbst¬
mord) 1.
Ausserhalb der ärztlichen Behandlung starben 2 Mann, und zwar
1 infolge elektrischen Schlages, 1 infolge von Selbstmord durch Er-
schiessen.
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Mai 12 Mann.
Ausserdem ist noch über 1 Fall von Selbstmord durch Ertränken
berichtet, der bereits im April erfolgte, während die Leiche erst im
Mai gefunden wurde.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 24. Jahreswoche vom 9. bis 15. Juni 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 19(20*
Altersschw (üb. 60 J.) 2 (3), Kindbettfieber 1 (-), and. Folgen dt
Geburt 1 Ly Scharlach 1 (1), Masern u. Röteln 10 (5), Diphth.
Krupp 3 (3), Keuchhusten 2 ( — ), Typhus — • (1), übertragb. Tierkrank
(.77^ R°se (Erysipel) 1 (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blu
tu Eitervergift.) 2 (1) Tuberkul. d. Lungen 28 (23), Tuberkul. au
ürg. 8 (4), Miliartuberkul. 1 (— ), Lungenentzünd. (Pneumon.) 13(11
Influenza 1 (- ), and. übertragb. Krankh. 1 (4), Entzünd, d. Atmung:
organe 4 (3), sonst. Krankh. derselb. — (2), organ. Herzleid. 16 (lf
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 4 (8), Gehirnschla
7 (10 Geisteskrankh. — (— ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 1 (1), an<
Krankh d Nervensystems 1 (3), Magen- u. Darm-Kat., Brechdurchfa
(emschl Abzehrung) 24 (32), Krankh. d. Leber 2 (2), Krankh. de
Bauchfells 1 (— ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 7 (3), Krankh. 1
^ainvr U' Geschlechtsorg. 6 (4) , Krebs (Karzinom, Kankroid) 7 (IC
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 9 (4), Selbstmord 2 (2), Tod durc
fremde Hand -(1) Unglücksfälle 4 (— ), alle übrig. Krankh. 4 (3).
t u °le Pfnnn ^ahl der Sterbefälle 193 (188). Verhältniszahl auf d<
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,8 (17,8), für die übe
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,8 (11,7).
Während der 25. Jahreswoche vom 16. bis 22. Juni 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 13 (19*
Altersschw. (üb. 60 J.) 5 (2), Kindbettfieber 1 (1), and. Folgen d<
Geburt 2(1), Scharlach — (1), Masern u. Röteln 8 (10), Diphth.
Krupp 5 (3), Keuchhusten (2), Typhus — ( — ), übertragb. Tierkrank
— (-), Rose (Erysipel) — (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blu
u. Eitervergift.) 2 (2), Tuberkul. d. Lungen 29 (28), Tuberkul. an
ürg. 3 (8), Miliartuberkul. 1 (1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 13 (15
Imluenza (1), and. übertragb. Krankh. 2 (1), Entzünd, d. Atmung:
organe 3 (4), sonst. Krankh. derselb. 2 (-), organ. Herzleid. 9 (16
£r,.d; Rreisl,a1ufsorg- (einschl. Herzschlag) 6 (4), Gehirnschla
U (7) Geis eskrankh. 1 (-), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 1 (1), an
Krankh d Nervensystems 5 (1), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfa
(emschl Abzehrung) 27 (24), Krankh. d. Leber 5 (2), Krankh. dt
Bauchfells — (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (7), Krankh. 1
^alnivTU' ,9 ®schlecbtsorg- 7 (6), Krebs (Karzinom Kankroid) 9 (7
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 9 (9), Selbstmord 1 (2), Tod durc
fremde Hand — (-) Unglücksfälle 6 (4), alle übrig. Krankh. 3 (4).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 192 (193). Verhältniszahl auf da
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,2 (18,8), für die übe
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,0 (12,8).
_ ) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche
Verlag von J. F. Lehmann in München. - Druck von E. Mülilthalers Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
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« m — 1 _ . _ I _ ' _ ! I. » . D Alf 1 ■ . , /«L T m " r , /v 1/ , a! \Vf.i .. b. _ \T?t. _ 1- _ _ TV - 1 ■ V • i « . .. . .....
München. Freiburg i. B. München.
Leipzig.
Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München.
\lo. 29. 16. Juli 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang,
Originalien.
Ueber die Behandlung der angeborenen Lebens-
schwäche.*)
Von Prof. Meinhard Pfaundler.
M. H. ! Der Begriff „Lebensschwäche“ enthält eine Ne¬
gation, nämlich eine Verneinung der „Lebenskraft“ und auf dem
Umwege über dieses sein Reziprok wird man zu einer Definition
der „Lebensschwäche“ streben müssen. An Stelle des vor Zeiten
nissb rauchten, nämlich mit allerhand mystischen Attributen be¬
lasteten Ausdruckes „Lebenskraft“ hat Esche rieh3) jüngst
(nach Ostwald) den Ausdruck „Lebenspotential“ gesetzt.
Das „Potential“ stammt aus den exakten Wissenschaften und
bringt von diesen die Forderung einer exakten Umschreibung
.ind zahlenmässigen Wertbemessung mit. Es ist vorläufig aller¬
dings noch recht schwer, dieser Forderung zu genügen.
Nach Escherich ist unter Lebenspotential die jedem
Lebewesen zukommende Fähigkeit zu verstehen, sich „mittels
Assimilation und Energieumsatz in seiner Eigenart zu erhalten,
zu wachsen und sich fortzupflanzen“. Es ist vorgeschlagen
worden, als Mass für diese Fähigkeit die Zunahme der Körper¬
länge oder der Körpermasse in einer gewissen Zeiteinheit, be¬
zogen auf die Längen- bezw. Gewichtseinheit zu verwenden
(v. Exner, Escherich). Gegen diese Wertbemessung des
Lebenspotentiales lassen sich natürlich manche Einwände er¬
heben. So gibt es zweifellos Lebensfunktionen, die als Kom¬
ponenten, bezw. als Aeusserungen der Lebenskraft anzusehen
sind, die aber zu keiner Längen- oder Gewichtsvermehrung An¬
lass geben, daher in jener Masszahl nicht oder zum mindesten
nicht unmittelbar zum Ausdruck kommen, so Zeugung, geistige
Produktion. Ebensowenig kommt z. B. die so hochzuwertende
Funktion der Beschaffung und Evidenzhaltung des ganzen Ar¬
senals der humoralen Wehrkräfte gegen äussere und innere
Schäden (infektiöse, autotoxische Prozesse) zum Ausdruck. Es
wird ferner nicht oder zum mindesten nicht ziffernmässig exakt
mitgewertet die Summe der Leistungen, die dem Körper-
massenverbrauche das Gegengewicht halten, die Erhaltungs¬
arbeit. Dafür wird — bei der Gewichtsberechnung — mit
einbezogen der Ansatz gewisser Ballaststoffe, denen eine den
Organismus fördernde Funktion nicht zukommt. Strenge ge¬
nommen könnte somit der Längen- oder Gewichtszuwachs¬
koeffizient wohl nur ceteris paribus als Mass des Lebens¬
potentiales gelten.
Ich sehe von derartigen Einwänden, die z. T. gerade für
die frühesten Entwicklungsstufen von geringerer Bedeutung
sind, vorläufig ab und will an zwei konkreten Beispielen er¬
läutern, wie sich das Lebenspotential (strenge genommen nur
Gn „Massenwachstumspotential“) bei reifen und bei frühge¬
borenen, debilen Kindern verhält, wenn man ihm das Mass zu
Grunde legt, das seinen Ausdruck in der Gewichtszunahme pro
Zeiteinheit und pro Körpergewichtseinheit findet.
Auf dem Diagramm Fig. 1 sehen Sie zwei Körpergewichts¬
kurven dargestellt, wovon sich die eine auf ein reif geborenes,
normales Durchschnittskind (A), die andere auf einen von mir
*) Referierender Vortrag, gehalten in der Gynäkologischen Ge¬
sellschaft in München am 21. Februar 1907.
3) Escherich: Die Grundlagen und Ziele der modernen
Pädiatrie. Berlin, S. Karger, 1905.
No. 29.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
in Gemeinschaft mit Herrn Oberarzt Dr. A. S c h m i d auf der
Krankenabteilung der steiermärkischen Landesfindelanstalt in
Graz beobachteten Fall von Frühgeburt (B) bezieht.
Fig. 1. Körpergewicht ^und „Lebenspotential“ im ersten
Lebensjahre.
A Normales Kind und B Kind Menhart (Frühgeburt).
AA’ Körpergewichtskurve des normalen Kindes (Ziffern kursiv),
BB’ „ „ frühgebornen „ (Ziffern normal),
bezogen auf den Massstab links.
CC’ Potentialkurve des normalen Kindes,
DD’ „ „ frühgebornen „
EE’ „ v „ v (um 3 Monate nach links
bezogen auf den Massstab rechts. verschoben).
Das Kind1 Fall B wurde im Alter von 20 Stunden am 12. Novem¬
ber 1902 mit einem Körpergewichte von 860 g, einer Körperlänge von
35,5 cm und einer Körpertemperatur von weniger als 34,1 0 in obiger
Anstalt aufgenommen und dort durch fast 4 Jahre verpflegt. Es be¬
findet sich heute noch in Evidenz und ist nach eingeholten Nach¬
richten derzeit (imAlter von etwa 4% Jahren) ein gesundes, blühendes
Kind. Nach meinen literarischen Forschungen wurde bisher nur von
einem2) noch leichter geborenen Kinde bekannt, dass es Jahre lang
gelebt habe — es ist der vielzitierte Fall D’O utreponts. Unter
den fortlaufend ärztlich beobachteten, betreffs Wachstum und Nah¬
rungsaufnahme genau kontrollierten Fällen aber ist der hier mit¬
geteilte bisher „Weltrekord“. Nähere Mitteilungen über diesen Fall
werden a. a. O. erfolgen.
Sie sehen nun, dass dieses frühgeborene Kind B, dessen
Geburtsgewicht ich auf der Tabelle behufs Vergleichung der
Gewichtskurven in derselben Ordinatenhöhe ansetzte, wie jene
des Normalfalles A, weniger „steil“, d. h. in der Zeiteinheit
absolut um ein Geringeres zugenommen hat, wie das reif Ge¬
borene. Diese absolut geringere Zunahme aber
wurde von einer etwa viermal kleineren Ge¬
samtkörpermasse aufgebracht, daher, auf die
2) Von den aus zweiter oder dritter Hand stammenden oder
nach dem Hörensagen wiedergegebenen Mitteilungen, deren Zuver¬
lässigkeit fraglich ist, in denen z. B. das Geburtsgewicht geschätzt
oder rund nach Pfunden („ein Pfund, einundeinhalb Pfund“) an¬
gegeben wird (Becker, Home), ist hiebei abgesehen. (Vergl.
Cullingworth: Zentralztg. f. Kinderheilk. 1878/79 und A h 1 *
feld: Archiv f. Gynäkol., Bd. 8.)
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1418
Masseneinheit berechnet die Zunahme weit
grösser ist. Der Zuwachskoeffizient, der als Mass für das
„Lebenspotential“ Verwendung finden soll, ist bei dem Früh¬
geborenen ein höherer als beim normalen Vergleichskinde.
Dieser Zuwachskoeffizient ist gleichfalls in der Fig. 1 in seinem
Werte für die einzelnen Monate des ersten Lebensjahres beide
Fälle betreffend zur Darstellung gebracht; er nimmt, wie er¬
sichtlich, in dieser Periode mehr weniger gleichmässig ab, hält
sich jedoch für den Partus praematurus durchwegs höher. Wir
gelangen demnach zum Paradoxon, dass das „lebens-
s c h w a c h e“ K i n d — eine Frühgeburt von weniger als einem
Kilogramm Gewicht wird wohl allgemein als solches gelten —
im ganzen ersten Lebensjahre ein höheres Le¬
benspotential, mehr „Lebenskraft“ aufweist,
als das reifgeborene Normalkind.
Dieses Verhalten Frühgeborener in Bezug auf „Lebens¬
potential“ kann übrigens durchaus nicht überraschen, war viel¬
mehr nach den Darlegungen Escherichs über die physio¬
logische Potentialkurve, die während des intra-, sowie wäh¬
rend des extrauterinen Lebens ein ununterbrochenes Absinken
aufweist, von vorneherein zu erwarten. Wir haben es bei
dem (gesunden) Frühgeborenen eben mit einem an Konzeptions¬
alter jüngeren, daher mit Wachstumspotential noch besser be¬
gabten Organismus zu tun, als beim reifen Neugeborenen.
Dieser Umstand kommt recht anschaulich zum Ausdruck, wenn
man an der Kurve des Falles B in obiger Tabelle die Alters¬
korrektur anbringt. Das Kind B ist — nach seinen Körper¬
massen zu schliessen — um etwa 3 Monate zu früh geboren
worden. Wenn wir sein wahres Alter, das Konzeptions¬
alter, berücksichtigen wollen, an Stelle seines Geburtsalters,
so dürfen wir es erst nach Ablauf dreier extrauteriner Monate
als „neugeboren“, erst mit 4 Monaten als 1 Monat alt erachten
etc., wir müssen seine Potentialkurve ,um sie mit jener des
Falles A auf dieser Basis vergleichen zu können, längs der
Zeitabszisse um eine drei Monaten entsprechende Strecke nach
links verschieben. Die derart korrigierte Potentialkurve des
Falles B stellt die Linie EE’ auf Fig. 1 dar. Man erkennt,
d asssichdiese nahezu deckt mitderPotential-
kurve des normalen Vergleichs fall es A, dass
die beim „Debilen“ Vorgefundenen Verhältnisse somit in ge¬
wisser Hinsicht physiologisch sind.
Prüft man das Verhalten anderer Fälle von „Debilitas con¬
genita“ nach dieser Richtung, so findet man es sehr ver¬
schieden. Unter gleich günstigen äusseren Verhältnissen sieht
man in einer Kategorie von Fällen gutes Gedeihen, eine Massen¬
zunahme, die jener des reifen Kindes gleichen Konzeptionsalters
entspricht, in einer zweiten Kategorie von Fällen wesentlich
ungünstigeres Verhalten. Scheidet man alle störenden Neben¬
umstände, namentlich erworbene Erkrankungen und andere
äussere Schäden nach Tunlichkeit aus, so findet man an einem
grösseren Materiale gleichmässig gut beobachteter Debiler —
wie es mir die Krankenabteilung der steiermärkischen Landes¬
findelanstalt darbot — dass im grossen und ganzen ein dem
Konzeptionsalter entsprechender Massenzuwachs erzielt wird
in den Fällen „reiner Frühgeburt“ (aus Anlass von Traumen,
anderen Zufällen oder operativem Einschreiten wegen Becken¬
enge), während die frühgeborenen Kinder konstitutionell ge¬
schädigter oder chronisch infektionskranker Mütter viel
schlechter gedeihen 3). Diese praktisch äusserst wichtige Schei¬
dung der kongenital Debilen in 2 Kategorien wurde auf Grund
anderer Beobachtungen schon mehrfach vorgeschlagen. Leider
ist das aber zumeist nur prinzipiell, nicht effektiv von Fall
zu Fall geschehen, derart, dass es an einer differenzierenden
Symptomatik heute noch fehlt und dass auch ein grösseres
statistisches Material über späteres Schicksal, Morbiditäts- und
Mortalitätsverhältnisse in den beiden Kategorien derzeit noch
nicht vorliegt.
Wenn bei den Kindern der zweiten Kategorie, den mit
einem Geburtsmangel, einer „tare hereditaire“ behafteten, eine
richtige (absolute) Lebensschwäche vorhegen kann,
so kann streng genommen in den anderen Fällen, deren Ver¬
halten betreffs Wachstumspotential dem oben diskutierten
gleicht, nur von einer relativen Lebensschwäche,
No. i
d. i. einer erhöhten Gefährdung durch die Schäden des ext
uterinen Lebens als solchen gesprochen werden.
Trachtet man die Begriffe „Lebensschwäche“, „Fri
gebürt“ etc. in der üblichen Weise graphisch darzustellen u
abzugrenzen, so gelangt man etwa zu folgendem Schema (c
übrigens auf Vollständigkeit und zutreffende Proportior
keinen Anspruch macht).
Demnach wären mindestens 6
Typen zu unterscheiden:
1. Debilität infolge Frühgeburt
durch eine geschädigte Mutter.
2. Debilität des reifen Kindes einer
geschädigten Mutter.
3. Debilität wegen Frühgeburt bei
gesunder Mutter.
4. Debilität aus anderen Gründen
bei gesunder Mutter (Zwiegeburt etc.)
5. Frühgeburt ohne Debilität.
6. Abstammung von geschädigter
Mutter ohne Debilität.
Es liegt auf der Hand, dass eine
so weitgehende schematische Diffe¬
renzierung, der kein genügendes ent¬
sprechend gesichtetes Beobachtungs¬
material zugrunde liegt, vorläufig ohne
praktischen Wert ist. Vorläufig ist selbst die Möglichkeit, zv
sehen den früher erwähnten beiden Kategorien von Debili i
zu unterscheiden eine sehr beschränkte. Dje dem Arzte hie i
verfügbaren Anhaltspunkte liegen abgesehen von der ai-
schlaggebenden Anamnese und den Körpermassen der Fruti
bei bekanntem Konzeptionsalter wohl insbesonders im Ve
halte ndesKindes während de rer sten Leben
tage. Ceteris paribus wird man finden, dass gesunde Frii
geborene weit lebhafter sind, lauter schreien, besser trinke
öfter Nahrung begehren, die Augen häufiger offen halten, mi:
kelkräftiger sind und unter weit ungünstigeren äusseren Ve
hältnissen ihre Körpertemperatur in normalen Grenzen zu halti
vermögen, als die Debilen im engeren Sinne des Wortes. W;
bei gesunden Frühgeburten nur in extremen Fällen und seilt
da nicht gesetzmässig vorkommt, das Ueberschlafen aller Mal¬
zeiten, die völlige Muskelschlaffheit und Unbeweglichkeit, c:
„vie sans respiration“ (Par rot), kommt frühgeborenen A-
kömmlingen geschädigter Mütter oft sehr ausgesprochen 2.
Die oben erwähnte gesunde Frühgeburt mit 860g hat von di
ersten Tagen an zum Fütterungstermine laut geschrieen, ii
Uebrigen viel wach gelegen, umhergeblickt, recht energisch g-
strampelt, stets gut geatmet und die Abstossung des Nabe-
schnurrestes schon am 5. Tage vollzogen. Uebrigens ist auu
diese Unterscheidung nur cum grano salis zu verstehen (s. u.
Eine untere Grenze der Lebensfähigkeit von Früchten nau
minimalen Körpermassen allgemein festzustellen, geht nicht a
und ist unnaturwissenschaftlich. Es könnte eine solche Fes
Stellung dazu verleiten, einer vermeintlich nicht lebensfähig!
Frucht die lebenerhaltende Sorgfalt nicht zuzuwenden. 1
wurden aber Debile am Leben erhalten, deren Körpermas
weit unter den ehemals als Bedingungen für die L
bensfähigkeit erachteten lagen. Mit Recht wird die
bezüglich ein Bericht von R a w i t z zitiert, wonae
dieser Forscher eine 8 cm lange menschliche Fruc
hat lebend zur Welt kommen sehen, deren Her:
schlag nach Blosslegung der Brusteingeweide durch 4 Stunde
nahe bis zur völligen Eintrocknung fortdauerte. Die B<
Ziehungen zwischen Lebensfähigkeit, Fötalalter und Körpe
massen lassen sich graphisch darstellen, wie es nachstehenc
Figur — berechnet nach einer Reihe neuerer Statistike
bezüglich auf Anstalten mit zeitgemässer Ausstattui:
— zeigt, doch haben derartige Graphika auf Grund vc
Durchschnittszahlen wenig Wert, da sie die massgebendstc
Bedingungen für die Lebenserhaltung im Einzelfalle nicht bc
rücksichtigen, insbesonders nicht eine Unterscheidung zwischc
„physiologischen und pathologischen Frühgeburten“ in dei
oben angeführten Sinne machen. Dass sich unter den in de
Tabelle Fig. 3 berücksichtigten Debilen auch eine grösser
Anzahl von „Kindern geschädigter Mütter“ befunden ha
q .
t
• Fig. 2.
:|) Der obenerwähnte Fall B gehört der ersteren Reihe an.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1410
geht aus den gegen die durchschnittliche Norm gesunder
Früchte rückständigen mittleren Körpermassen hervor.
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Fig. 3. Körpergwicht und Sterblichkeit Frühgeborener.
AA’ Mittleres Körpergewicht normaler Föten, bezogen auf den Mass-
BB’ B „ von Frühgeburten, stab links.
CG’ Mittlere Sterblichkeit von Frühgeburten, bez. auf d. Massst. rechts.
Wie sich Mortalität und späteres Schicksal der Debilen
innerhalb der beiden von einander getrennten Kategorien ver¬
halten, ist noch unzureichend studiert. Manche Autoren
schätzen die Mortalität der Debilen mit hereditärem Schaden
zwei- bis dreimal so gross, wie jene gesunder Frühgeburten
unter sonst gleichen Umständen. Czer n y und Keller
meinen, dass die ersteren in ihrer körperlichen und auch in
ihrer geistigen Entwicklung lange Jahre hinaus weit hinter
ihren Altersgenossen Zurückbleiben, während sich die letzteren
schon im späteren Säuglingsalter kaum in irgend einer Weise
von den gesunden ausgetragenen unterscheiden. Letzteres
kann meiner Erfahrung nach denn doch gesetzmässig nur von
Kindern gelten, die einen gewissen Grad von Reife bei der Ge¬
burt bereits erlangt haben, nicht aber von gesunden Früh¬
geburten aus dem 7. Fötalmonate. Die Lebenschancen
gesunder Frühgeburten haben insbesondere, die Geburts¬
helfer mit Hinsicht auf die Frage der künstlichen Frühgeburt
bei Beckenenge interessiert. Aber die Urteile verschiedener
Geburtshelfer lauten sehr different. Während z. B. Zweifel
bekanntlich meinte, dass von 100 künstlich Frühgeborenen nach
Jahresfrist kaum mehr eines am Leben sein dürfte, hat
Lore y 4) jüngst eine 'sehr günstig erscheinende Statistik aus
der Hallenser Klinik mitgeteilt. L o r e y hat dem späteren
Schicksale der wegen Beckenenge der Mutter künstlich früh¬
geborenen Kinder an dieser Anstalt nachgeforscht und äussert
nach Darlegung seines Materiales: „Wir kommen also zu dem
überraschenden Resultat, dass von unseren lebend entlassenen
Frühgeburten nicht mehr, sondern sogar etwas weniger im
ersten Lebensjahr gestorben sind, wie dies bei ausgetragenen
Kindern im allgemeinen der Fall zu sein pflegt.“ Er erklärt
dieses auffallende Verhalten mit der grösseren Sorgfak, welche
die betreffenden Mütter auf ihr meist einziges lebendes Kind
verwenden. Die von Lorey miteinander in Vergleich ge¬
setzten Letalitätswerte sind 21,5 Proz. (Frühgeburten) und
24 Proz. (Hallenser Säuglingssterblichkeit überhaupt). Die Er¬
hebungen L o r e y s sind von hohem Werte und Interesse, doch
kann die obige Fassung seines Schlusses zu ganz irrtümlicher
Auffassung verleiten. Lorey vergleicht nämlich die Sterb¬
lichkeit der legitimen Frühgeburten, unter denen sich noch
dazu 70 Proz. Brustkinder befanden, jenseits der
ersten Lebenswoche mit der Mortalität der Säuglinge
4) Lorey: Die Frage der künstlichen Frühgeburt mit beson¬
derer Berücksichtigung der späteren Schicksale der Kinder. Archiv
f. Gynäkol., Bd. 71, 1904.
in Halle ii b e r h a u p t. Unter diesen Umständen kann es nicht
so sehr wundernehmen, wie günstig sich die Verhältnisse für
die künstlich Frühgeborenen zu gestalten scheinen. Wenn man
aber die beiden zu vergleichenden Werte nach dem Materiale
Loreys auf eine gemeinsame Stufe stellt, die eine
richtige Vergleichung erst ermöglicht, dann findet man
dass die Letalitätszahlen lauten: 40,5 Proz. für die
künstlichen Frühgeburten und weniger als 24 Proz. für die
Säuglinge im allgemeinen. Die entsprechende Zahl für die
wegen Krankheit der Mutter künstlich Frühgeborenen wäre
nach Loreys Befund 82 Proz., während andere Autoren die
Sterblichkeit in dieser Kategorie durchschnittlich nur etwa
47 Proz. fanden.
Auch B u d i n 5) hat eine Nachforschung über das Schicksal
entlassener Debiler angestellt (Kinder beider Kategorien). Es
waren 2 bis 10 Monate nach der Entlassung 15 Proz. der De¬
bilen gestorben, im Jahre 1897 17,1 Proz. von den im Jahre
1896 entlassenen normal Geborenen. B u d i n schliesst ähnlich
wie Lorey: „Donc ces enfants, sortis du- Service des Debiles,
etaient parfaitement viables, aussi viables que les enfants nes
ä terme puisque le chiffre de leur mortalite est moindre.“ Ich
halte auch die von B u d i n angegebenen Zahlen nicht für ver¬
gleichbar; zum mindesten geht ihre Vergleichbarkeit mangels
genauerer Angaben über das Alter der Kinder zur Zeit der Er¬
hebung aus der Mitteilung des Autors nicht hervor. Die von
anderer Seite mitgeteilten Zahlen lassen an ihren grossen
Schwankungen erkennen, dass wesentlich beeinflussende Mo¬
mente in wechselndem Masse und Sinne wirksam gewesen sein
müssen.
Zäh!
Fig. 4. Absterbeordnung normaler und debiler
Säuglinge.
Zahl der Ueberlebenden von 1000 Lebendgeborenen:
Kurve I: allgemeiner Durchschnitt (eheliche Kinder),
Kurve II: wegen Beckenenge künstlich Frühgeborene (eheliche)
(reine Frühgeburten),
Kurve III: wegen Krankheit der Mutter künstlich Frühgeborene.
Die nebenstehende Fig. 4 über die Absterbeordnung reifer
und debiler Kinder beider Kategorien (berechnet nach Hun-
ziker, Ahlfeld, Lorey, Scheffczyk) lässt erkennen,
dass die Mortalität der gesunden Frühgeburten, im Gegensätze
zu jener von Kindern kranker Mütter in erheblichem Masse nur
in der ersten Lebenszeit von jener reifer Kinder abweicht.
Noch von einem anderen, nämlich gewissermassen sozial¬
ökonomischen Standpunkte hat das spätere Schicksal Früh¬
geborener Interesse. Werden aus ehemaligen debilen Früh¬
geburten brauchbare, aktive, körperlich und geistig konkurrenz¬
fähige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft oder nicht?
Manche sind auch heute noch geneigt, diese Frage für die über¬
wiegende Mehrzahl der Fälle zu verneinen; dementgegen hat
B u d i n festgestellt, dass die Debilen, insbesonders allerdings
jene „saus tare hereditairc“, körperlich von Reifgeborenen spä¬
terhin kaum mehr zu unterscheiden und an intellektueller Ent¬
wicklung nicht benachteiligt sind. Auch Lorey fand die
(reinen) Frühgeburten späterhin somatisch ausgeglichen, geistig
„fast stets normal“, in einigen Fällen übernormal.
Auf der unter Esche rieh im Jahre 1899 gegründeten
und bis 1902 geleiteten Krankenabteilung für steiermärkische
Findelkinder zu Graz, woselbst mit grosser Sorgfalt und unter
erheblichem Aufwande an Ammenmilch und allem anderen er¬
probten Rüstzeug eine grosse Zahl Debiler erfolgreich behan¬
delt wird, da hörten wir Laienbesucher sowie Aerzte immer
wieder die Frage stellen, ob sich denn all diese Mühe verlohne,
ob diese Kinder nicht nach ihrer Entlassung den ungünstigeren
5) Budin: Le nourisson. Paris 1900.
1*
1420
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
äusseren Verhältnissen rasch zum Opfer fallen oder aber eine
kümmerliche Existenz, sich und anderen zur Last elend weiter¬
schleppen. Diese Fragen exakt und bestimmt beantworten zu
können, hat mich in hohem Masse gereizt, und ich trachtete
auch hier Nachrichten über das weitere Geschick der „geheilt“
Entlassenen zu erhalten, wofür mir in Graz besonders günstige
Bedingungen insoferne vorzuliegen schienen, als die steiermär¬
kischen Findelkinder durch die ersten beiden Lebensjahre vom
Lande versorgt, nämlich von besonderen ländlichen Pflege¬
parteien auf Landeskosten verpflegt und z. T. auch noch weiter¬
hin in Evidenz gehalten werden. Ich verdanke dem bereitwilli¬
gen Entgegenkommen der steiermärkischen autonomen Lan¬
desbehörde das Unternehmen einer amtlichen Statistik über
das Schicksal der Debilen, deren Ergebnis zur Zeit meiner
Uebersiedlung aus Graz leider noch kein abschliessendes war,
immerhin als Beitrag zu dieser Frage mitteilenswert erscheint.
Von den in den Jahren 1899—1903 (1. Quinquennium seit
Bestehen der Anstalt) aufgenommenen Rindern wurden jene
ausgewählt, die in den ersten 14 Lebenstagen mit einem Kör¬
pergewicht von unter 2500 g Aufnahme gefunden hatten. Nach
Ausscheidung der Fälle, in denen eine durch frühzeitige Erkran¬
kung erworbene Lebensschwäche vorlag, wurden auf ver¬
schiedenen Wegen Nachforschungen über das weitere Schick¬
sal dieser Debilen gepflogen. Es konnte darüber in 104 Fällen
Nachricht erhalten werden. Das Material ist auf nebenstehenden
Tabellen zusammengestellt.
Die lebend befundenen Kinder waren zur Zeit der Erhebung fast
durchwegs „gesund“, insbesonders wurden höhere Grade von
Rachitis nur ausnahmsweise. Skrofulöse nie angegeben. Ueber
die geistige Entwicklung der Kinder lauten 18,3 Proz. der ab¬
gegebenen Urteile ausdrücklich günstig, nur 2,2 Proz. ausdrücklich
ungünstig („Schwachsinn“). Das Sprechen wurde von 4 Kindern
schwerer oder später erlernt (mit 26 — 38 Monaten).
Wie insbesonders aus den Zahlen der Tabellenfächer
A, 10 — 15 hervorgeht, handelt es sich grossenteils um
mittel - undhochgradige Fälle angeborener Lebens¬
schwäche und muss angesichts dessen das allgemeine Ergebnis
(Fächer B, C, l) wohl ein sehrgünstiges genannt werden,
zumal wenn man die in den ersten Lebensjahren so hohe all¬
gemeine Sterblichkeit in Erwägung zieht. Die Sterb¬
lichkeit unter den von uns „geheilt“ entlas¬
senen Debilen ist wohl kaum erheblich grös¬
ser als jene unter normal Geborenen bei gleichen
äusseren Umständen (illegitime Kostkinder).
Aus den mitgeteilten Zahlen ist ferner der Einfluss here¬
ditärer Momente und die prognostische Bedeutung (Fächer B,
C, 2, 3) des Verhaltens der Kinder in der ersten Lebenszeit
(Fächer B, C, 4, 5), sowie die Abhängigkeit der Erhaltungs¬
chancen von dem Verhalten der Körpertemperatur, des Ge¬
burtsgewichtes und der Körperlänge (als Masse für den Grad
der körperlichen Entwicklung) ersichtlich (Fächer B, C, 8 — 15).
Für eine noch weitergehende Detaillierung und Auflösung der
Gruppen ist die Zahl der Beobachtungen eine zu geringe; das
Spiel störender Zufälle ist an den Daten der Vertikalreihen D,
E und F schon erkennbar.
Die Fälle der Reihe 2 decken sich durchaus nicht durchwegs
mit jenen der Reihe 4 — ebensowenig jene der Reihen 3 und 5 unter¬
einander, woraus zu schliessen, dass entweder latente Krankheits¬
zustände mancher Mütter unerkannt geblieben sind und der Ge-
sundheits- oder Ernährungszustand anderer unterschätzt wurde oder
dass auch gesunde, kräftige Mütter hinfällige Debile und anderseits
kränkliche, schwächliche und unterernährte Mütter relativ wider¬
standsfähige Kinder erzeugen können. Vermutlich trifft beides bis zu
gewissem Grade zu und ist darnach auch die Scheidung der oben¬
erwähnten beiden Kategorien der angeborenen Lebensschwäche nach
Beobachtungen über das Verhalten des Kindes in der ersten Lebens¬
zeit keine durchaus zuverlässige.
Nebst solchen bisher nicht völlig befriedigenden statisti¬
schen Untersuchungen trägt insbesonders die ärztliche Einzel¬
beobachtung zur Beurteilung des späteren Schicksals Debiler
bei. Diese ergibt eine im Durchschnitte zweifellos höhere
Krankheitsanfälligkeit bei den Debilen beider Kategorien. Ins¬
besondere Ernährungsstörungen, gewisse „konstitutionelle“
und gewisse infektiöse Erkrankungen sind es, denen Debile in
höherem Grade exponiert sind und häufiger zum Opfer fallen,
als reif geborene Kinder. Hierauf wird weiter unten noch zu¬
rückzukommen sein. Was die geringe Widerstandskraft gegen
Infekte betrifft, so mag an den höchst auffälligen Befund sauerer
Tabelle über das spätere Schicksal der Debilen, beurteilt nach
dem Befunde zur Zeit der Nachfrage, d. i. 1 — 5 Jahre (im Mittel etwas
mehr als 2 Jahre) nach der Entlassung aus der Krankenabteilung der
steiermärkischen Landesfindelanstalt in Graz.
No.
A
B
C
D
E
F
Zahl
der
Kinder
Von je 1
dern
tot
00 Kin-
sind
lebend
Von j(
bendei
günsti¬
gen
K
Entwic
100 d
i boten
nor¬
malen
räfte- im
klungszu
3r Le-
einen
minder
günst.
d
stand*)
1
Totale
104
29,8
70,2
64,7
17,6
17,6
2
Kinder, deren Mutter an der
Oebäranstalt als gesund,
kräftig und gut genährt be¬
funden worden war.
66
27,3
72,7
64,9
16.2
18,9
3
Kinder, deren Mutter als krank,
kränklich, schwächlich oder
schlecht genährt befunden
worden war oder in der
Schwangerschaft erkrankte.
35
37,1
62,9
61,5
23,1
15,4
4
Kinder, welche in der Anstalt
relativ muskelstark, lebhaft,
frisch befunden worden
waren, die gut getrunken,
laut geschrien, tief geatmet
haben.
38
18,4
81,6
68,2
18,2
13,6
5
Kinder, welche auffallend schlaf¬
süchtig, muskelschwach,
schlecht trinkend und atmend,
nur le se wimmernd befunden
worden waren.
11
45,4
54,6
—
—
—
6
Kinder, welche den Bedin¬
gungen sub 2 und 4 gleich¬
zeitig entsprachen.
33
21,2
78,8
—
—
—
7
Kinder, welche den Bedin¬
gungen sub 3 und 6 gleich¬
zeitig entsprachen.
6
66,7
33,3
—
—
8
nie unter
36° C.
Kinder mit einer
80
27,5
72,5
71,4
16,7
11,9
9
Körpertempera¬
tur (in ano) von wenigstens
zeitweise unter
36° C.
24
37,5
62,5
33,3
22,2
44,4
10
P > 2500
30
23,3
76,7
66,7
22,2
11,1
11
einem Geburts- 2500 >P> 2000
gewicht (P) von
53
30,2
69,8
66,7
16,6
16,6
12
(in g)
2000 P
21
38,1
61,9
55,6
11,1
33,3
13
14
Kinder mit einer L > 46
Körperlänge
41
24,4
75,6
85,0
10,0
5,0
(L) von . , ..
(Körperlänge 46_^ L > 44
bei der
33
33,3
66,7
47,1
23,5
29,4
15
Ueberbringung)
(in cm) 44 A L
26
38,5
61,5
60,0
20,0
20,4
Reaktion °) des Blutserums bei Kindern mit angeborener (und
erworbener) Lebensschwäche und an die von mancher Seite be¬
haupteten Beziehungen zwischen Blutalkaleszenz und antibak-
teritischer Wehrkraft des Organismus erinnert werden.
Nach einem von mir persönlich gewonnenen Eindrücke
trifft man bei debil geborenen Kindern — namentlich bei jenen
kranker Mütter — im späteren Lebensalter bis zur Pubertät ins¬
besonders gewisse das Nervensystem betreffende Dauer¬
schäden, wie atonische, choreatische, psychisch degenerative
Zustände an, Strabismus, Enuresis, Pavor nocturnus etc., die
zum Teil wohl allerdings auf den Geburtsschaden selbst, nicht
auf die Debilität als solche zurückgehen mögen.
Unter allen Ideen, die einer rationellen Therapie der an¬
geborenen Lebensschwüche zugrunde gelegt werden können,
hat sich die energetische Erwägung, insbesonders von H e u b -
*) Die hier angegebenen Prozentzahlen beziehen sich auf jene
Fälle, in welchen eine ärztliche Nachschau vorgenommen oder ein
ausgefüllter Fragebogen erhalten werden konnte.
ö) Es ist hier die Reaktion im physikalisch-chemischen Sinne,
die sog. aktuelle Reaktion gemeint. Siehe Pfaundler: Archiv f.
Kinderheilk., Bd. 41.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1421
n e r und seiner Schule gepflegt, als die bei weitem fruchtbarste
erwiesen. Das bezügliche Lehrgebäude lässt allerdings noch
gar sehr an solider Fundierung zu wünschen übrig — begreif¬
licherweise, denn es fehlt zurzeit leider noch an einem kom¬
pletten Stoffwechselversuch betreffend ein jüngstes lebens¬
schwaches Kind und diese Lücke wird wohl sobald auch nicht
ausgefüllt werden, denn alle Schwierigkeiten, welche dem Stoff¬
wechselversuch beim Säugling überhaupt entgegenstehen,
steigen noch beträchtlich an, wenn es sich um einen Debilen
handelt. An Stelle der exakten Erhebung über die körperliche
Oekonomie und die Energiebilanz des Lebensschwachen treten
daher vorläufig Erwägungen, welche naturgemäss ein weniger
zwingendes Ergebnis liefern.
H e u b n e r* 7) hat die Kraftwechselgleichung R u b n e r s
n = e + a in vergleichender Weise an einem normalen Brust-
und Flaschenkinde und an einem debilen frühgeborenen Kinde
diskutiert. Er ging in der Weise vor, dass er als bekanntes
Mass für n den „Energiequotienten“, für a die „Wachstums¬
intensität“ einsetzte und hiernach auf die unbekannte Grösse e
den Rückschluss machte, welche andernfalls durch kalori¬
metrische oder Stoffwechseluntersuchung zu messen die Auf¬
gabe gewesen wäre. Man ersieht aus den von H e u b n e r
mitgeteilten Daten, dass bei relativ gleicher Energiezufuhr in
der Nahrung (gleichem Energiekoeffizienten, gleichem „n“) der
Körperansatz („a“) beim Frühgeborenen (absolut8) kleiner ist,
woraus hervorgehe, dass bei ihm die Gesamtkörperarbeit („e“)
eine relativ grössere sein müsse 9).
?) Heubner: Die Energiebilanz des Säuglings. Zeitschr. f.
diätetische u. physikalische Therapie 1901/02, Bd. V.
8) Siehe die folgende Anmerkung.
9) In die einschlägigen Darlegungen Heubners hat sich — wie
mir scheint — ein für das Ergebnis nicht unmassgebliches Versehen
eingeschlichen. Die Werte der Gleichung n = a + e sind zunächst
absolute (Kalorienmengen). Heubner aber verwendet als Mass
für das n seinen „Energiequotienten“, das ist die Menge der in
der Tagesnahrung pro Kilogramm Körpergewicht ent¬
haltenen Rohkalorien. Er verwandelt also den absoluten
Wert in einen relativen,, indem er ihn auf die Körper¬
gewichtseinheit bezieht oder — algebraisch ausgedrückt — durch
das Körpergewicht dividiert. Hiegegen wäre nichts einzuwenden,
doch liegt es auf der Hand, dass dann auch die anderen
Werte der Gleichung in relative verwandelt, bezw.
als relative gewonnen werden müssen. Es muss m. a. W. die ganze
Gleichung mit dem Masse des Körpergewichtes (P) dividiert wer¬
den, damit sie richtig bleibe: -f" p-, wobei ^ den Energie-
0
quotienten, -p die pro Kilogramm Körpergewicht in der Zeiteinheit ab-
gegebene Wärmemenge, p- das energetische Korrelat der pro Kilo¬
gramm Körpergewicht in der Zeiteinheit zum Ansatz gebrachten Kör¬
permasse bedeutet. Als Mass für das ~p aber verwendet Heub¬
ner die „Wachstumsintensität“, d. h. die Tangente des Winkels, den
die Körpergewichtskurve (bezw. deren Tangente) mit der Horizon¬
talen bei einem bestimmten Ordinaten- und Abszissenmassstabe bil¬
det. Diese Wachstumsintensität ist nun aber kein
auf Körpergewichtseinheit reduziertes Mass, son¬
dern sie drückt die absolute Grösse der Gewichtszunahme in der
Zeiteinheit aus (denn tga = ^ und wenn B, die .Zeitabszisse, gleich
eins — etwa ein Tag — dann ist tga = A, der absoluten Zu¬
nahme). Somit stehen die drei Grössen in Heubners Gleichung
nicht mehr auf einem gemeinsamen arithmetischen
Niveau, sind also nicht mehr vergleichbar im Sinne der ursprüng¬
lichen Gleichung. Bei der Reduktion des Wertes von a auf Körper¬
gewicht dürfte aber das Resultat der Berechnung ein anderes werden.
Das auf Körpergewicht berechnete “a ist nämlich — wie in den
Kurven der Fig. 1 gezeigt wurde — für das (gesunde) Frühgeborene
ein grosses, demgemäss sich beim Frühgeborenen sogar ein klei¬
nes e ergeben müsste pro Gewichtseinheit, wenn nicht der Energie¬
quotient ein gleichfalls höherer wäre. Es scheint somit vorläufig
noch nicht erwiesen, dass eine Verschiebung zwischen den
Grössen a und e beim Frühgeborenen statthat. Möglicherweise sind
alle 3 Werte der Gleichung beim (gesunden) Friigeborenen erhöht,
und zwar in gleichem Masse. Noch richtiger und zweckmässiger
wäre es vielleicht, die Werte a, e, und n auf Körperoberfläche statt
auf Körpergewicht zu beziehen.
Das a darf keinesfalls als ein bloss von den Werten n und e
abhängiger und bestimmter Restbestand angesehen werden; es hat
vielmehr einen durch die Wachstumsgesetze bestimmten, selb¬
ständigen und in weitem Masse unabhängigen Wert; es ent¬
spricht (in der auf Körpergewicht reduzierten Gleichung) dem Wachs¬
tumspotential in dem oben erörterten Sinne und ist beim gesunden
Warum mag nun — wenn Heubners Deduktionen rich¬
tig sind — der Wert für e, die gesamte Körperarbeit bezw. die
Wärmeabgabe beim Frühgeborenen relativ grösser sein, als
beim reifen Kinde?
Unter allen Ausgabeposten des Krafthaushaltes steht bei
jedem Warmblüter bei weitem obenan der Wärmeverlust, der
sich im wesentlichen vollzieht durch Leitung, Strahlung und
Wasserverdunstung an der Körperoberfläche, der somit —
ceteris paribus — naturgemäss proportional der Körper¬
oberfläche sein muss. Die Körperoberfläche ist nun bei unreifen
Früchten zwar absolut natürlich kleiner als bei ausgetragenen
Kindern, doch nach dem übereinstimmenden Ergebnis von
Schätzung, Messung und Rechnung r e 1 a t i v, d. h. auf Massen¬
einheit bezogen, wesentlich grösser. Die Bilanzstörung bei
solchen Kindern wäre demnach bis zu gewissem Grade auf ein
geometrisches Exempel zurückzuführen. Massengleiche Körper
haben um so kleinere Oberfläche, je mehr sie sich der Kugel¬
gestalt nähern. Die Statur des mageren unreifen Kindes mit
seiner faltenreichen Hautdecke unterscheidet sich in
diesem Sinne tatsächlich unvorteilhaft von jener des vollsäftigen,
prallen, gut ausgepolsterten reifen Neugeborenen. Dazu kommt
noch das Fehlen der schlecht wärmeleitenden Fetthüllen und
die starke Durchblutung der Haut beim Fötus. Die Proportion
zwischen Körperoberfläche und Körpermasse, die sich mit zu¬
nehmendem Alter und Wachstum zugunsten der letzteren ver¬
ändert, könnte hiernach wohl auch die Ursache für die suk¬
zessive Verminderung des e im Laufe der normalen Entwick¬
lung sein, welche ja an und für sich schon das grosse e beim
Frühgeborenen erklären könnte, weil dieser ja in Wahrheit
jünger ist, als sein Geburtsschein besagt.
Zweitens soll sich beim Frühgeborenen nach Heubner
der Verdauungsbetrieb unwirtschaftlicher gestalten als beim
reifen Koetanen.
Sonach kann man das debile Kind als einen Organismus
mit abnorm knappem Haushalte ansehen; dieser Organismus
arbeitet ohne Kraftreserven, er erzielt keine Ueberschiisse und
geringe äussere Anlässe können daher sein Gleichgewicht der¬
art stören, dass die fernere Lebensmöglichkeit in Frage gesetzt
wird. Der Arzt wird solchen Kindern gegenüber gewisser-
massen zum Vermögensverwalter, dessen Aufgabe darin be¬
steht, tunlichst eine positive Bilanz zu erzielen, indem er die
Kraftausgaben verringert, die Einnahmen mehrt. Das erstere
Bestreben deckt sich grösstenteils mit der physikalischen, das
letztere mit der diätetischen Therapie des Zustandes der
Lebensschwäche.
(Fortsetzung folgt.)
Aus dem pharmakologischen Institut in Heidelberg.
Die stopfende Wirkung des Morphins.*)
Von Prof. R. Magnu s.
M. H. ! Sie werden sich gewundert haben, dass ich Ihnen
bisher über die Wirkung einer ganzen Reihe von Giften auf den
isolierten Darm berichtete, dabei aber das Morphin gar nicht
erwähnt habe. Der Grund hierfür liegt darin, dass es mir nicht
gelungen ist, am isolierten Darm mit Morphin irgend einen
Effekt hervorzurufen, der sich zur Stopfwirkung dieses viel¬
benutzten Arzneimittels in Parallele setzen liesse. Es lag
hierin die Aufforderung, diesen bisher so strittigen und^wider-
Frühgeborenen — wie gezeigt wurde — deshalb ein grosses, weil die
dem Organismus durch die Befruchtung der Keimzelle überkommene
Wachstumsenergie in frühesten Entwicklungsperioden eben noch
wenig verbraucht ist.
Das e ist nach der ursprünglichen Form der Gleichung ein Mass
für den Wärmeverlust des Körpers, nicht aber für die innere Kör¬
perarbeit. Diese kann dem Wärmeverluste nur unter gleichen
äusseren Bedingungen proportional sein, denn sie ist ja
physikalischen Regulierungseinflüssen, die keine Veränderung der
Körperarbeit bedingen, zugänglich, wenigstens insoweit, als eine
Schwankung der Körpertemperatur über die normale Breite hinaus
droht, was gerade bei Debilen oft in ausgesprochenem Masse der
Fall ist.
*) Letzter Teil eines im medizinischen Verein zu Heidelberg
gehaltenen Vortrages: Physiologische und pharmakologische Unter¬
suchungen über die Bewegungen des Verdauungskanals. Referat
siehe diese Nummer Seite 1456.
1 422
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
spruchsvollen Teil der Pharmakologie mit modernen Methoden
neu zu bearbeiten.
Die herrschende Lehre über die Morphinwirkung auf den
Darm besagt, dass dieses Gift die Bewegungen des Darmes
durch cipe direkte Beeinflussung von Elementen der Darmwand
ruhig stellt. Nothnagel hat ausserdem behauptet, dass
durch therapeutische Dosen Morphin die Hemmungsfasern des
Splanchnikus erregt und auf diese Weise die Darmbewegungen
aufgehoben würden, eine Angabe, die von einzelnen Forschern
bestätigt, von anderen entschieden bestritten worden ist. Alle
diese Erklärungsversuche betrachten den Dünndarm als den
Hauptort der Morphinwirkung. Ausserdem sind einige wenige
Angaben über die Beeinflussung der Magenbewegungen ge¬
macht worden: Battelli sah zuerst eine Erregung, dann
eine Abschwächung derselben, Hirsch beobachtete an
Hunden mit Duodenaifistel eine starke Verzögerung der Magen¬
entleerung. Ueber eine Beeinflussung des Dickdarms durch
Morphin sind mir Angaben nicht bekannt geworden.
Meine eigenen Versuch gingen davon aus, dass es mir
nicht gelang, am isolierten Dünndarm durch Morphin eine
Ruhigstellung der Bewegungen hervorzubringen, ausserdem
von der Ueberlegung, dass in den letzten Jahren wichtige Fort¬
schritte in der Erkenntnis der Dickdarmbewegungen gemacht
worden sind, welche es möglich erscheinen liessen, dass das
Morphin an diesem Endteil des Verdauungsrohres seine Haupt¬
wirkung äusserte. C a n n o n und nach ihm E 1 1 i o t und
Barcley-Smith fanden, dass der Dickdarm funktionell
aus zwei Teilen besteht, einem proximalen, dessen normale
Bewegung die Antiperistaltik ist, und in welchem der Chymus
aus der dünnbreiigen allmählich in die feste kotige Konsistenz
übergeführt wird, und einem distalen Abschnitt, in welchem
die Kotballen durch sehr langsame peristaltische Wellen gegen
den After zu bewegt werden. Es erschien von vorneherein
durchaus möglich, dass das Morphin in irgend einer Weise
in diesen komplizierten Mechanismus eingreift und wenn sich
diese Voraussetzung auch im Laufe der Versuche als irrig
erwies, so wollte ich sie doch als Ausgangspunkt der ganzen
Untersuchung erwähnen.
Die erste Aufgabe war, über die Gültigkeit oder Nicht¬
gültigkeit der Nothnagel sehen Theorie Klarheit zu schaffen.
Ich habe die Versuche Nothnagels genau nach seinen An¬
gaben an Kaninchen, denen in Aethernarkose die Bauchhöhle
im Kochsalzbade eröffnet war, wiederholt und bin niemals im¬
stande gewesen mich von dem Eintreten einer splanchnischen
Hemmung durch kleine Gaben Morphin zu überzeugen. Das¬
selbe haben Jakobi und Pohl gefunden. Es ergab sich
aber nach diesen Versuchen die Frage, ob es überhaupt erlaubt
ist, daraus, dass der Darm an narkotisierten Tieren vor und
nach Morphin ein verschiedenes Verhalten gegen künstliche
Reize zeigt, irgend etwas über die stopfende Wirkung dieses
Giftes zu schliessen. Wenn irgendwo, so gilt hier die Mahnung
Pawlows, die er in seinem geistreichen Vortrag: „Das Ex¬
periment als zeitgemässe und einheitliche Methode medizini¬
scher Forschung“ an die Pharmakologen richtete, experimen¬
telle Therapie zu treiben. Wenn man die stopfende Wirkung
des Morphins und ihre eventuelle Abhängigkeit von splanch¬
nischen Hemmungen untersuchen will, so muss man zunächst
bei seinen Versuchstieren Durchfall hervorrufen, muss diesen
Durchfall durch geeignete Dosen Morphin stopfen und muss
sehen, ob nach Ausschaltung der splanchnischen Hemmungs¬
fasern diese Stopfwirkung aufgehoben ist oder nicht. Nur auf
diese Weise ist man sicher, eindeutige Resultate zu erhalten.
Als Versuchstiere dienten Katzen. Um die Verhältnisse
nicht zu komplizieren, wurden zur Hervorrufung des Durch¬
falls keine arzneilichen Abführmittel, sondern Milchfütterung
verwendet. Darauf bekommen die Tiere ohne Schädigung ihrer
Gesundheit dauernd halbflüssige oder breiige Stühle. Dieser
Durchfall wird durch Morphin (3—4 cg) subkutan prompt ge¬
stopft. Nachdem dieses festgestellt war, wurde zur Ausschal¬
tung der gesamten sympathischen Hemmungsfasern vom Magen
bis zum After geschritten. Zu diesem Zwecke wurden die
Nervengeflechte, welche die Arteria coeliaca und rnesenterica
sup. umspinnen peripher von den Solarganglien durch¬
schnitten und ausserdem die Nn. hypogastrici, die Nerven¬
geflechte um die Arteria rnesenterica inf. und die spär¬
lichen sogen, aufsteigenden Kolonäste sämtlich peripher vom
unteren Mesenterialganglion durchtrennt. Auf diese Weise
wird die überwiegende Zahl aller sympathischen Bahnen zum
Verdauungskanal postganglionär, d. h. peripher von ihren
sympathischen Ganglien, unterbrochen. Die Katzen ver¬
tragen den immerhin schweren Eingriff gut, erholen sich
rasch und wenn man genügend lange Zeit (mindestens 7
bis 9 Tage) wartet, so degenerieren die Hemmungsfasern
bis zur Peripherie, was durch sorgfältige histologische
Untersuchungen kontrolliert wurde. Die Tiere bekommen
auf Milchfütterung ebenfalls Durchfall und diese Diarrhöe
lässtsich durch Morphin genausogutstopfen,
wie bei normalen Tieren. Damit ist bewiesen, dass die Mit¬
wirkung der sympathischen Hemmungsfasern für das Zustande¬
kommen der Stopfwirkung unnötig ist und dass die Noth¬
nagel sehe Theorie nicht zu Recht besteht.
Wenn das Morphin demnach nicht am äusseren Hemmungs¬
apparate des Darmes angreift, so muss es wohl auf irgend
welche Teile des Verdauungskanales selber wirken. Die Auf¬
gabe war, nunmehr festzustellen, wo die Morphinwirkung sich
hier äussert. Durch die grundlegenden Untersuchungen Can -
n o n s, der den Ablauf der Magen- und Darmbewegungen von
Katzen unter normalen Bedingungen bei den verschiedensten
Arten der Fütterung auf dem Röntgenschirme verfolgt hat, war
die physiologische Grundlage zu solchen Versuchen gegeben.
Ich habe daher Katzen mit einer Mischung von Kartoffelbrei
und Bismutum subnitricum, Hunde mit Hundekuchen und
Wismut gefüttert und den Verlauf der Magen- und Darm¬
bewegung unter normalen Bedingungen und unter dem Einfluss
derjenigen Morphindosen verfolgt, welche nach der vorher
geschilderten Versuchsreihe stopfend wirken. Diese Unter¬
suchung wurde mir dadurch ermöglicht, dass der Direktor des
elektrotechnischen Laboratoriums in Aschaffenburg, Herr
F. Dessauer, eine für derartige Tierversuche besonders ge¬
eignete Röntgeneinrichtung dem Institute zur Verfügung stellte,
wofür ich auch an dieser Stelle bestens danken möchte.
Wenn man einer normalen Katze 25 ccm Kartoffelbrei mit
5 g Wismut gemischt zu fressen gibt, so sieht man 10 Minuten
später auf dem Röntgenschirm den ganzen Magen mit dem
Futter gefüllt und sieht über den Pylorusteil regelmässige peri¬
staltische Wellen nach dem Pförtner zu verlaufen. Der Ueber-
tritt ins Duodenum beginnt durchschnittlich nach einer Viertel¬
stunde.
Bei einer Katze, welche vorher eine stopfende Morphin¬
dosis erhalten hat, ist das Bild ein ganz anderes. Zunächst sieht
man in einer Reihe von Fällen (nicht in allen), dass ein Teil
der Nahrung bis zu einer halben Stunde im untersten Oeso¬
phagus über der Kardia liegen bleibt und erst dann langsam
in den Magen Übertritt. Es ist also schon die Passage durch
die Kardia gestört. Die auffälligste und völlig konstante Er¬
scheinung ist aber die, dass die Nahrung stundenlang im
Fundusteil des Magens verweilt und nicht in den Pylorusteil
eintritt. Diese Phase kann bis zu 8 Stunden andauern.
Welches ist der Grund dieses merkwürdigen Phänomens?
Darüber erhält man Aufschluss, wenn man Katzen zuerst mit
wismuthaltiger Nahrung füttert und ihnen erst, wenn sich der
ganze Magen in normaler Weise gefüllt hat und normale Be¬
wegungen zeigt, das Morphin gibt. Dann beobachtet man, dass
sich allmählich die mittlere Partie des Magens, der sogen.
Sphincter antri pylorici und die benachbarten Teile der Magen¬
wand zusammenziehen und so den Fundus- und Pylorusteil
vollständig von einander sondern. Das Morphin führt zu einer
I rennung der beiden Magenhälften durch Kontraktion in der
Gegend des Sphincter antri. Bei der zuletzt geschilderten Ver¬
suchsanordnung sieht man im Pylorusteil die peristaltischen
Wellen unverändert fortdauern. Das Morphin führt also keines¬
wegs zu einer Lähmung der Magenbewegungen.
Während die Nahrung auf diese Weise lange Zeit im
Fundus liegen bleibt, kommt es zu einer allmählichen Aus¬
dehnung dies is Magenabschnittes, welcher aber nicht nur durch
die vermehrte Magensaftsekretion bedingt ist, welche Riegel
als Wirkung des Morphins entdeckt hat, sondern welche
giösstenteils auf der Ansammlung von Luft im Fundus beruht.
JJan kann s(ch leicht hiervon überzeugen, wenn man eine
Magensonde einführt, durch welche das Gas alsbald entweicht.
6. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1423
jnter normalen Bedingungen kommt es niemals zu derartig
grossen Gasansammlungen im Magen, weil sich bei einem ge-
.vissen Innendruck reflektorisch die Kardia öffnet und die
Duktus entweichen lässt. Durch das Morphin wird auch dieser
Viechanismus gestört. Die Passage durch die Kardia ist also
ti beiden Richtungen beeinträchtigt.
Nach einer wechselnden Anzahl von Stunden (334 — 8)
erfolgt langsam und allmählich der Uebertritt der Nahrung aus
lern Fundus in den Pylorusteil, und man sieht alsbald kräftige
leristaltische Wellen in letzterem einsetzen. Die Entleerung
les Magens in den Dünndarm ist aber auch jetzt noch ver¬
zögert. Statt nach 34 Stunde tritt sie oft erst nach 1 34 — 2
Stunden ein. Von da an bis zur völligen Entleerung des Magens
lauert es nun ausserordentlich lange. Während unter nor-
ualen Bedingungen bei Fütterung von 25 ccm Kartoffelbrei
ler Magen nach 2—334 Stunden leer gefunden wird, dauert es
inter dem Einfluss des Morphin von dem Momente, wo die
Tste Nahrung ins Duodenum Übertritt bis zur völligen Ent-
eerung des Magens noch 7—25 (!) Stunden. Es handelt sich
ilso um eine ganz enorme Verzögerung und Verlangsamung
les Uebertritts der Speisen in den Darm.
Dieses geschilderte Verhalten lässt sich nun nicht nur bei
Ratzen, welche bekanntlich auf Morphin mit Erregungser-
cheinungen reagieren, sondern auch in genau derselben Weise
>ei Hunden beobachten, welche mit kleinen Dosen Morphin
6 mgr pro kg) narkotisiert sind. Auf dem Röntgenschirm sieht
nati ganz die gleichen Bilder wie bei Katzen. Ich konnte aber
lurch die Freundlichkeit von Kollegen C o h n h e i m die Be-
unde auch an einem Hund mit Duodenalfistel im physio-
ogischen Institut kontrollieren und bestätigen. An diesem
äer beobachteten wir ferner nach Fleischfütterung, dass,
cenn nach ca. 5 Stunden die Magenentleerung endlich in Gang
jekommen war, eine deutliche Verlangsamung der rhythmischen
)effnungen des Pylorus sich nachweisen liess. Zwischen den
Jnzelnen schussweisen Entleerungen aus der Fistel waren
eweils Pausen von 2—3 Minuten, statt 12 Sekunden einge-
chaltet. Die Bedeutung des verlängerten Aufenthaltes der
lahrung im Magen für die Gesamtverdauung erhellt aus folgen-
er Beobachtung: Während nach den Feststellungen von
' obler die Verdauungsprodukte des Fleisches in Form eines
ehr dünnen Breies ins Duodenum übertreten, war das, was
ich in den Morphinversuchen aus dem Pylorus entleerte, eine
Jinne Flüssigkeit, in der sich kaum irgend welche festeren
Artikeln nachweisen liessen. Der Magen überliefert also
eine Verdauungsprodukte nicht nur verspätet und sehr
angsam an den Darm, sondern auch in deutlich weiterver-
autem Zustande. So wird in der Morphinwirkung dem Darm
eine Aufgabe wesentlich erleichtert, weil der Magen gleich-
am als Schutzorgan ihm gegenüber funktioniert.
Die Dünndarmverdauung steht nun in ihrem Verlaufe
öllig unter dem Einfluss der verlangsamten Magenentleerung.
leim Hunde dauert z. B. nach Hundekuchenfütterung die Diinn-
armverdauung 6 — 7 Stunden. Unter dem Einfluss von Mor-
hin wird diese Zeit auf 10 — 19 Stunden, bei Katzen nach
'artoffelbreifütterung bis zu 27 Stunden verlängert. Ebenso
de die Speisen verspätet ins Duodenum übertreten, erscheinen
ie auch verspätet im Kolon.
Der Beginn und der Rhythmus des Durchtritts durch
en Pylorus beherrscht den ganzen Ablauf der Passage durch
en Darm.
Gegenüber dieser indirekten Beeinflussung der Darm-
ewegungen tritt eine direkte Wirkung des Morphins auf den
'iinndarm völlig zurück. Am isolierten Dünndarm der Katze
nd des Kaninchens beobachtet man nach Dosen, welche den
i meinen Versuchen stopfend wirkenden entsprechen, nur
nässige) Erregungserscheinungen. Der Angriffspunkt dieser
rregung liegt im Auerbach sehen Plexus. Zu einer Läh-
iung des isolierten Dünndarms sind ganz enorme Dosen nötig
,4 g bei Katzen, 0,5 g bei Kaninchen). Damit steht in Ein¬
lang, dass man auf dem Röntgenschirm bei Katzen und Hunden
i jedem Stadium der Morphinwirkung lebhafte rhythmische
egmentierung des Dünndarminhaltes durch die Pendel-
ewegungen beobachten kann. Gelegentlich sieht man auch,
was unter normalen Bedingungen niemals vorkommt, einen
Teil der Nahrung im Magen, einen anderen im Kolon, während
der Dünndarm leer ist und also seinen Inhalt vollständig fort¬
bewegt hat. Man erkennt jetzt, weshalb alle Versuche, am
Dünndarm eine Erklärung für die Morphinwirkung zu finden,
scheitern bezw. zu widerspruchsvollen Ergebnissen führen
mussten. Das einzige, was sich am Dünndarm nachweisen
liess, war in einigen Versuchen, in welchen mehrere Stunden
nach der Fütterung Morphin injiziert wurde, eine Verzögerung
der peristaltischen Fortbewegung, welche einige Stunden, aber
immer sehr viel kürzer andauerte, als die Verzögerung der
Magenentleerung, und welche in anderen Versuchen völlig
fehlte. Sie spielt für den Gesamtablauf der Fortbewegung des
Speisebreies keine irgendwie entscheidende Rolle, im Gegen¬
satz zu dem bestimmenden Einfluss, den die verlangsamte
Magenentleerung bereitet.
Im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Erwartung liess
sich nun weiter eine deutliche Beeinflussung der Dickdarm -
bewegungen überhaupt nicht nachweisen. Die Antiperistaltik
des proximalen Kolons ist in keiner Weise gestört. Am iso¬
lierten Colon descendens des Kaninchens liess sich keine Be¬
einträchtigung der peristaltischen und der Pendelbewegungen
erkennen, einerlei, ob das Morphin von aussen oder von der
Schleimhaut aus einwirkte, oder ob die Dickdarmschlinge
einem vorher morphinisierten Tiere entnommen war. — Für
exaktere Bestimmungen im Röntgenversuche war es nötig, die
Füllung des Dickdarms von der langsamen Entleerung des
Dünndarms unabhängig zu machen. Ich habe daher, im An¬
schluss an die physiologischen Versuche Cannons, mit Wis¬
mut versetzte Wasser- und Nährklystiere gegeben, welche
bis ins Zoekum vordrangen. Die daraufhin auftretenden Be¬
wegungen waren bei normalen und morphinisierten Tieren die
gleichen. Es ist möglich, dass nach Morphin die Kotentleerung
nach den Klystieren etwas später erfolgt, als bei normalen
Tieren, aber diese Wirkung ist keine konstante und es lässt
sich keine Dosis Morphin ermitteln, welche diesen Effekt auch
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auslöste. Seifenklystiere,
welche so verdünnt waren, dass sie bei Normaltieren gerade
eben mit Sicherheit zur Entleerung führten, wurden nach Mor¬
phininjektion ebenfalls ausgestossen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es gelingt,
den nach Milchfütterung entstehenden Durchfall bei Katzen
durch geeignete Morphindosen zu stopfen, dass für diese Stopf¬
wirkung die Mitwirkung der sympathischen Hemmungsfasern
nicht notwendig ist, dass die verwendeten Morphindosen am
stärksten den Magen, am wenigsten den Dickdarm beeinflussen,
dass die Hauptwirkung in einer langdauernden Kontraktion der
Magenwand in der Gegend der sogen. Sphincter antri pylorici
besteht und dass ausserdem auch der Pylorus den Speisebrei
langsamer ins Duodenum passieren lässt, dass infolgedessen die
Nahrung beträchtlich verspätet und danach nur sehr allmählich
in kleinen Portionen und vollständiger verdaut als unter nor¬
malen Verhältnissen in den Dünndarm Übertritt, und dass die
Bewegungen des Antrum pylori, des Dünndarms und des Ko¬
lons durch Morphin nicht aufgehoben we’rden.
M. H. ! Alles was ich Ihnen im Vorstehenden berichtet
habe, gilt zunächst nur für das Morphin und nicht für die Opium¬
tinktur, und gilt zunächst nur für die von mir beobachteten
Tierarten. Trotzdem glaube ich schon jetzt an die Kollegen
von der Klinik die Bitte richten zu dürfen, dass sie sich bei
der Verwendung von Morphin und Opium am Krankenbette
die Frage vorlegen, wie viel von den dabei beobachteten Er¬
scheinungen sich mit den Ergebnissen der geschilderten Ver¬
suche in Einklang bringen lässt und wie viel noch weiterer Auf¬
klärung bedarf.
(Die ausführliche Mitteilung der Versuche erscheint in
Pflügers Archiv.)
1424
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Aus der II. medizinischen Abteilung des Allgemeinen Kranken¬
hauses St. Georg, Hamburg (Oberarzt Dr. J o 1 1 a s s e).
Ueber den derzeitigen Stand der Röntgendiagnostik
bei Magen-Darmkrankhelten.*)
Von Dr. J o 1 1 a s s e.
Meine Herren! Wenn auch bereits in dieser Versammlung
Röntgenbilder des gesunden und kranken Magens vom Leben¬
den gezeigt wurden, so glaube ich doch Ihnen das im Zu¬
sammenhänge vorführen zu dürfen, was man heutzutage in der
Diagnostik der Magendarmkrankheiten mit den Röntgenstrahlen
leisten kann, nachdem erst drei Jahre verflossen sind, seit¬
dem uns Rieder das Röntgenverfahren durch Angabe der
Bismutmahlzeiten zur Durchleuchtung des Magens zugängig
machte.
Da bei den in Frage kommenden Methoden auch die Ver¬
dienste Rieders genügend gewürdigt sind, brauche
ich mich hierüber nicht weiter zu verbreiten, sondern
will nur hervorheben, was nicht so allgemein bekannt
ist, dass nämlich schon vor Rieder das Bismut zu Durch¬
leuchtungszwecken des Magens resp. Darms benutzt wurde,
so von Roux, Balthasar d, Hildebrandt und
auch von Boas. Zu praktischen Resultaten ist man
aber nicht gekommen, so dass Boas noch vor 4 Jahren
behaupten durfte : „Es bestehen auch wenig Aus¬
sichten, durch Verbesserung der Röntgen¬
technik Günstigeres zu leiste n“. Dass dieser Satz
heute durch die Rieder sehe Methode nicht mehr zu Recht
besteht, ist Ihnen allen aus der Literatur, sowie aus gelegent¬
lichen Demonstrationen, vor allem aber den Vorführungen des
Herrn Dr. Kümmell in unserem Verein, zur Genüge be¬
kannt.
Indem ich nun in medias res meines Themas gehe, so sind
zunächst die Veränderungen des Oesophagus zu erwähnen, die
wir mit dem einverleibten Bismut nachweisen können. Es ist
Ihnen bekannt, dass es vornehmlich die Stenosen der Speise¬
röhre sind, welche durch einen Bismutbolus sehr gut zur An¬
schauung gebracht werden können. Dabei ist es natürlich einer¬
lei, ob die Stenose hervorgerufen ist durch eine Neubildung,
eine Narbe oder Kompression von aussen. Bemerken möchte
ich dabei nur, dass oft besser als ein Bolus eine Paste ver¬
wendet wird, wie sie von Holzknecht angegeben wurde,
und welche besteht aus 30 g Bismut, 15 g Milchzucker, mit
etwas Wasser vermischt. Ferner lassen sich in ähnlicher Weise
demonstrieren Divertikel, Ektasien etc. Dass auch Fremd¬
körper im Oesophagus, soweit sie die Röntgenstrahlen nicht
durchlassen, leicht nachzuweisen sind, liegt auf der Hand.
Aber auch solche, welche vermöge ihrer geringen Dichtigkeit
keinen Schatten werfen, dassen sich dadurch zur Darstellung
bringen, dass man eine Bismutaufschwemmung oder -paste
schlucken lässt. Da dieselbe den Fremdkörper nicht oder nicht
vollständig passieren kann, werden wir über seinen Sitz unter¬
richtet. So sah ich jüngst in W i e n im Institut des Radiologen
Holzknecht ein Kind, das einen Zwetschenkern verschluckt
haben wollte und seitdem Schlingbeschwerden hatte. Eine
Durchleuchtung ergab zunächst kein Resultat, aber nachdem
das Kind eine Bismutaufschwemmung getrunken hatte, liess
sich nicht nur der Sitz, sondern auch die Lage des Zwetschen-
kernes deutlich erkennen.
Ehe ich nun zu dem Hauptpunkte meiner Erörterungen, dem
Magen, übergehe, möchte ich erwähnen, dass wir unsere Un¬
tersuchungen, die ich zum Teil gemeinschaftlich mit Herrn A 1 -
bers - Schönberg unternahm, dem ich an dieser Stelle für
sein freundliches Interesse, das er meinen Untersuchungen
schenkte, danken möchte, fast sämtlich bei aufrechter Körper¬
stellung des Patienten Vornahmen und so dorso-ventral durch¬
leuchteten, und zwar unter Benutzung einer von A 1 b e r s -
Schönberg angegebenen, ungemein praktischen Vorrich¬
tung, die er Ihnen selbst demonstrieren wird. Sodann möchte
ich darauf aufmerksam machen, dass bei den folgenden De¬
monstrationen wir uns grossenteils nicht photographischer Auf¬
nahmen, sondern der sogenannten Schirmpausen bedienen.
*) Nach einem im Aerztl. Verein zu Hamburg gehaltenen Vor¬
trage.
Diese Pausen haben ihre Vorteile und Nachteile. Die Vorteile
der photographischen Aufnahmen bestehen darin, dass sie
künstlerisch schönere Bilder liefern und dass sie etwaige De¬
tails objektiver wiedergeben und studieren lassen. Die Schirm¬
pausen hingegen sind billiger, kosten an und für sich gar nichts
und sind sehr viel einfacher herzustellen. Und gerade dieses
Fig. 1. Fig. 2.
ist es, worauf es ankommt, wenn das Röntgenverfahren auch
in der Praxis zur Diagnose der Magendarmkrankheiten mehr
herangezogen werden soll. Für gewöhnlich und für die Praxis
reichen die Schirmpausen vollkommen aus und geben das, wo¬
rauf es ankommt, in genügend deutlicher Weise wieder. Sehr
wichtig aber ist es, alle Fälle auf dem Durch-
leuchtungsschirme selbst zu studieren, umso¬
mehr, als manche für die Diagnose wichtige
Fig. 7. Fig. 8.
TatsachenundVorgängesichgarnichtaufdem
Bilde (sei es Platte oder Pause) festhalten
1 a s s en.
Was wir nun durch die Durchleuchtung am Lebenden ge¬
lernt haben, ist folgendes: zunächst sind wir heute mit Sicher¬
heit von der Vertikalstellung des Magens unterrichtet; wir
wissen ferner, dass die Grösse und namentlich die Formen des
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1425
Magens ungemein verschieden sind, wir finden kaum zwei
Mägen, die sich in ihrer Form vollkommen gleichen (Fig. 1—3).
Nur eine Form macht eine Ausnahme, die ich erwähnen muss,
da die Bedeutung derselben ziemlich lebhafte Kontroversen
hervorrief. Es war der bekannte Wiener Radiologe Holz-
k n e c h t, der darauf hinwies, dass eine einzige Magenform
konstant wiederkehrt, wenn auch nur selten. Er bezeichnete
diese Form als die eines Stierhornes (Fig. 4). Dieser Magen
hat das charakteristische, dass der Pylorus den tiefsten Punkt
des ganzen Magens bildet, was bekanntlich meist nicht der
Fall ist, indem der sogenannte kaudale Teil durch einen Punkt
des Magens gebildet wird, der tiefer liegt als der Pylorus.
Hierdurch entsteht die sogenannte Hubhöhe, d. h. der Höhen¬
unterschied zwischen kaudalem Teil und dem höher gelegenen
Pylorus. Diese Hubhöhe nun fehlt bei der Stierhornform und
Holzknecht glaubte nun, diese Magenform als die wirklich
und einzig normale hinstellen zu dürfen, und zwar erstens, weil
sie die einzige konstante, und zweitens, weil sie physiologisch
die rationellste sei, indem die Peristaltik hier mit geringster
Mühe den Chymus in den Darm befördern könne, da die Ueber-
windung der Hubhöhe fortfalle. Alle anderen Magenformen
sollen nach Holzknecht partielle Dehnungen resp. be¬
ginnende Ptosen darstellen. Diese Auffassung hat mit Recht
den lebhaftesten Widerspruch gefunden, denn erstens kann man
sich schwer entschliessen, eine Form als die normale zu be¬
trachten, die auch unter den Magengesunden so selten ist
(Holzknecht spricht von 20 Proz. der Fälle, ich fand auch
diese Zahl zu hoch gegriffen; bei Kindern ist sie allerdings häufi¬
ger als bei Erwachsenen), und zweitens habe ich durch zahl¬
reiche Versuche dargetan, dass der Rinderhornmagen durchaus
nicht schneller sich seines Inhaltes entledigt als die Mägen mit
einer respektablen Hubhöhe, und wir wissen ja aus der Klinik,
dass selbst bei nicht unbedeutender zweifelloser Ptosis des
Magens die Motilität nicht nachweisbar gestört zu sein braucht.
Somit kann man der Ho 1 z k n e cht sehen Auffassung nicht
zustimmen, aber immerhin ist es interessant, dass er auf eine
konstante Form des Magens aufmerksam gemacht hat.
Ferner möchte ich daran erinnern, dass S i m m o n d s
darauf aufmerksam machte, dass durch Aufblähung des Colon
transversum die grosse Kurvatur nach vorn geschoben und
der Magen in seiner Form so verändert wird, dass eine be¬
stehende Hubhöhe schwindet: das ist zweifellos richtig, aber
hierdurch bekommen wir beim Lebenden zwar Röntgenbilder
ohne Hubhöhe, aber nie die von Holzknecht als Rinder¬
horn bezeichnete Form, diese bleibt als Form sui generis.be-
. stehen, was S i m m o n d s übrigens auch nicht bezweifeln
wollte, wenn ich ihn recht verstanden.
Was nun die normale Lage des Magens betrifft, so sind wir
auch hierin durch die Rieder sehen Untersuchungsmethoden
besser unterrichtet als früher.
„ V 3 des Magens liegt links von der Mittellinie und W rechts
von derselben“, so können Sie noch in neueren Lehrbüchern
lesen. In Wirklichkeit liegt fast der ganze Magen links von der
Mittellinie, und nur in gefülltem Zustande geht der Pylorus
etwas über die Mittellinie nach rechts hinaus. Dabei liegt
der Pylorus normalerweise etwa in der Nähe des 1. — 2. Len¬
denwirbels, die Kardia in der Höhe des 10. — 11. Brustwirbels.
Fast an jedem gefüllten Magen beobachten wir dann die hier
sichtbare Gasanhäufung (Fig. 4), die wir als Magenblase be¬
zeichnen, und die bei aufrechter Körperstellung sich unter dem
Zwerchfell ansammelt. Diese Blase ist verschluckte Luft; ist
sie nicht vorhanden, so entsteht sie meist schnell, unter unse¬
ren Augen, wenn wir den Kranken trinken lassen. Die Grösse
dieser Magenblase ist sehr verschieden; relativ gross pflegt
sie zu sein bei Pylorusstenose, auch bei Neurasthenikern, am
grössten natürlich bei hysterischen Luftschluckern.
Des weiteren haben wir uns bei jeder Untersuchung zu
überzeugen von der Art der Peristaltik des Magens. Ist sie
nicht vorhanden, lässt sie sich durch leichte Massage meist
anregen. Bei Stenose des Pylorus pflegt die Peristaltik oft
eine sehr lebhafte zu sein, und sehr wichtig ist das Vorkommen
einer Antiperistaltik. Da diese nur selten sehr hochgradig ist,
gehört schon Uebung und Aufmerksamkeit dazu, dieselbe zu
erkennen; ist sie aber vorhanden, ist sie ein wertvolles Sym¬
ptom für bestehende Pylorusstenose. Dies kann ja diagnostisch
No. 29. "
oft sehr wichtig sein, und hier haben wir schon einen everlt.
wesentlichen Punkt, über den wir uns nur durch eine direkte
Untersuchung auf dem Schirme überzeugen können. Natürlich
können wir uns auch unterrichten über die Lage des Magens
in verschiedenem Füllungszustande und bei verschiedener Kör¬
perstellung, sowie über seine Lage in pathologischen Verhält¬
nissen, wobei sich herausgestellt hat, dass die Perkussion oft
recht ungenaue Resultate liefert. Hier sehen sie eine Schirm¬
pause, welche uns demonstriert die Lage des kaudalen Poles
1. bei gefülltem Magen bei aufrechter Körperstellung, 2. bei ge¬
fülltem Magen bei Rückenlage und 3. bei fast leerem Magen
(Fig. 5) bei aufrechter Körperstellung.
Sehr einwandfrei lässt sich nun die Gastroptose dartun
mittels der Röntgenstrahlen (Fig. 6), wie Sie es ja auch auf den
K ü m m e 1 1 sehen Bildern gesehen haben, und die Differential¬
diagnose, ob eine Ptosis oder Ektasie, die einmal leicht, andere
Male aber auch schwer ist, lässt sich mit den X-Strahlen
sicherer feststellen.
Auch andere pathologische Lagen können wir leicht erkennen:
So sehen Sie hier (Fig. 7) einen vollkommen unter den linken Rippen¬
bogen geschobenen verzerrten Magen von einem Kranken, der an
einem Pyloruskarzinom mit Metastasen in den retroperitonealen
Drüsen und mehrfach abgesacktem Aszites litt. Die beiden folgen¬
den Bilder (Fig. 8 und 9) zeigen uns, was wir durch eine Bauch¬
bandage bei Lageveränderungen leisten können. Das erste Bild
demonstriert auf einer Pause einen hochgradig ptotischen Magen. Die
betreffenden Patienten haben ja sehr häufig bei allgemeiner En-
Fig. 11.
Fig.. 13
<S>
Fig. 12.
Fig. 14.
teroptose ungemein schlaffe Bauchdecken, und, um ihre Beschwerden
zu heben, wird oft mit Recht eine Leibbinde verordnet. Ich habe
nun wiederholt konstatiert, dass diese Binden, selbst wenn
sie neu von guten Bandagisten angefertigt waren, auf die Ptosis gai
keinen Einfluss übten. Ich will damit nicht sagen, dass sie den
Patienten bei hochgradigem Hängebauch nicht trotzdem eine gewisse
Erleichterung schaffen können, aber ich hab€ selbst gefunden, dass
durch ungünstig sitzende Binden eine Steigerung der Ptosis hervoi-
gerufen werden kann, und das ist denn doch nicht zweckentspiechend.
Auch dieser Kranken war von, einem einwandfreien Bandagisten eine
Binde gefertigt worden, welche die Ptosis des Magens absolut nicht
.korrigierte. Dass dieses aber unter Kontrolle auf dem Röntgen¬
schirme möglich ist, sehen Sie auf diesem Bilde, welches gewonnen
wurde, nachdem ich die Bandage derselben Kranken unter der
Durchleuchtung mit einer gehörigen Pelotte versehen hatte. Wir
sehen, dass die Ptosis fast ganz aufgehoben wurde, dass wir sogar
einen Magen vor uns haben, der kaum eine Hubhöhe aufweist, (daubt
man also, dass in einem konkreten Falle die Ptosis als solche dem
Kranken Beschwerden macht (was gewiss nicht immer der Fall
ist, wie wir wissen), so können wir ausschliesslich unter Benutzung
der Röntgenstrahlen beurteilen, ob eine Bandage die Senkung korri¬
giert hat, resp. welche Aenderungen vorzunehmen sind.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
142 6
Fragen wir uns weiter, was die X-Strahlen in der Magen¬
diagnostik zu leisten vermögen, so möchte ich zunächst hervor¬
heben, dass wir imstande sind, in durchaus einwandfreier Weise
und ohne grosse Belästigung für den Kranken die motorische
Leistungsfähigkeit des Magens zu prüfen. Hierauf hat schon
Rieder in seiner grundlegenden Arbeit aufmerksam gemacht,
und ich kann mich in diesem Punkte hier um so kürzer fassen,
als ich meine eigenen hierhergehörigen zahlreichen Untersuch¬
ungen bereits in der „Fortschritten“ Albers-Schönbergs ver¬
öffentlicht und auch in nuce in der biologischen Abteilung unseres
Vereins vorgetragen habe. Ich will also nur hervorheben, dass
nach einer Einverleibung von 30 g Bismut in 200 g Griesbrei
der motorisch normale Magen nach 3 Stunden keinen Bismut¬
schatten mehr auf dem Schirme aufweist. Erst wenn nach
3 Stunden noch ein deutlicher Schatten im Magen vorhanden
ist, können wir von einer Insuffizienz I. Grades sprechen. Die
individuellen Schwankungen liegen zwischen 2 und 3 Stunden.
Ob wir dann eine Stauungsinsuffizienz annehmen können, hängt
dann davon ab, wie lange der Schatten sich im Magen hält.
Ist er noch deutlich im Magen vorhanden, nachdem abends- vor¬
her Bismut verabfolgt wurde, dürfen wir von einer Stauungs-
insuffizienz sprechen. Bei hochgradigen motorischen
Störungen kann sich der Schatten tagelang im Magen erhalten.
Erwähnen möchte ich nur noch, dass es durchaus nicht nötig
ist, die Patienten mit der nicht für alle leicht zu nehmenden
Griesbreinahrung zu quälen, ganz dieselben Resultate erreichen
wir nach Einverleibung von 30 g Bisniut, 15 g Milchzucker und
etwas Wasser. Haben wir einen Fall vor uns, in dem wir einen
Magenschlauch nicht einführen wollen, so ergibt, wie erwähnt,
diese Methode völlig einwandfreie Resultate. Im übrigen ver¬
weise ich nochmals auf meine näheren Untersuchungen in den
„Fortschritten“.
Ebenso wie die motorische lässt sich nun auch die sekre¬
torische Tätigkeit des Magens, wenigstens was die freie HCl
betrifft, durch das Röntgenverfahren prüfen, Dr. Schwartz1)
in Wien, ein Schüler Holzknechts, hat zunächst durch
Versuche im Reagenzglase nachgewiesen, dass das Gold¬
schlägerhäutchen von der HCl aufgelöst wird in einer bestimm¬
ten Zeit, je nach dem Konzentrationsgrade. Er konstruierte
nun kleine Beutel von Goldschlägerhaut, welche mit Bismut
gefüllt sind, und die sich im Röntgenbilde deutlich als ein kreis¬
runder Schatten präsentieren; sind sie aufgelöst, liegt das Bis¬
mut unregelmässig ausgebreitet im Magen (Fig. 10). Das Ver¬
fahren ist sehr- einfach: Der Patient nimmt ein Probefrühstück
und K Stunde darauf eine sog. Fibrodermkapsel und schluckt
ein Stück trockenes Brot nach, damit die Pille nicht im Oeso¬
phagus stecken bleibt. Dann wird in bestimmten Zeitabschnit¬
ten durchleuchtet, und die Experimente im Reagenzglase stim¬
men mit den klinischen Versuchen vollkommen überein, dass
nämlich das Häutchen aufgelöst ist
nach VA Stunden, wenn Hyperazidität vorliegt,
nach 2Yi Stunden bei normalem HCl-Gehalt,
nach 5 Stunden noch nicht bei Anazidität.
Der Patient muss während der Dauer des Versuchs die
linke Seitenlage einnehmen. Zahlreiche Kontrollversuche
haben die Zuverlässigkeit dieses Verfahrens gezeigt und auch
mir ist es mehrmals gelungen, auf diese Weise z. B. eine An¬
azidität nachzuweisen, welche sich bei späterer Nachprüfung
auch chemisch ergeben hat. Es lässt sich nun nicht leugnen,
dass für gewisse Fälle, in denen ein Magenschlauch nicht ein¬
geführt werden kann, diese Methode einen erwünschten Ersatz
bietet, wenn einem daran liegt, über die Sekretionsverhältnisse
Aufschluss zu bekommen.
M. H. ! Ich gehe jetzt über zu der interessanten und wich¬
tigen Frage, wie weit uns die Röntgenuntersuchung in der
Karzinomdiagnose gefördert hat. So wichtig dieser Punkt ist,
kann ich mich doch gerade hier kurz fassen, da ja eben in dieser
Beziehung Herr Kümmell Ihnen Ausführliches demonstrierte.
Im übrigen haben hier Holzknecht und Jonas anregend
gearbeitet.
Zunächst müssen wir uns daran erinnern, dass 2 Vorfragen
bei nicht fühlbarem 1 umor durch die X-Strahlen einwandfrei
beantwortet werden können; nämlich das event. Vorhanden-
*) Wiener mcd. Wochenschr. 1905, No. 3.
sein einer motorischen Störung, namentlich einer Stauungs¬
insuffizienz, und einer etwaigen Anazidität. Was nun den Nach¬
weis eines nicht palpablen Tumors betrifft, so können natürlich
nur solche von einiger Ausdehnung in Betracht kommen, da
ja nur durch einen deutlichen Schattenausfall eine Geschwulst
sich geltend macht. Wir können, allgemein ausgedrückt, 3 Typen
unterscheiden, solche der grossen, solche der kleinen Kurvatur
und solche des Antrum über der Pars pylorica. Ist der Pylorus
selbst befallen, so dass selbst eine hochgradige Stenose be¬
stehen kann, ist unter Umständen gar keine Formveränderung
erkennbar, abgesehen von einer event. Ektasie und einer ver¬
mehrten Peristaltik. Ich will Ihnen nur kurz einige Typen vor¬
führen.
Fig- 11 zeigt uns einen Schattenausfall an der grossen Kurvatur,
Eig- 12 einen solchen an der grossen und kleinen Kurvatur, Fig. 13
eine Stenosierung der Pars pylorica, Fig. 14 dasselbe.
Ist die Stenosierung nun noch hochgradiger, oder untersuchen
wir direkt nach der Nahrungsaufnahme, so fehlt der feine in Fig.
13 und 14 sich geltend machende schmale Kanal, wie z. B. in Fig. 15.
Fig. 17.
Dieser letzte. Fall war insofern sehr instruktiv, als es mir
gelang, hier durch die Röntgenuntersuchung mehr zu eruieren als
durch die klinische. Es handelte sich um einen erst 33 jährigen
Menschen, der über Magenbeschwerden klagte, die ebensogut als
nervöse wie auf organischen Veränderungen beruhend gedeutet wer¬
den konnten. Des Interesses wegen nahm ich in diesem Falle erst
eine Röntgenuntersuchung vor. Ich konstatierte in der angegebenen
Weise zunächst eine deutliche motorische Störung, sodann das völ-
J ige Fehlen der freien HCl. Eine darauf vorgenommene Durch-
leuchtung eigab dann einen Schattenausfall, der eine Stenosierung
der Pars pylorica andeutete. Ein Tumor war nicht zu fühlen. Wir
hatten hier also nicht nur die später durch klinische Untersuchung
bestätigte Motilitätsstörung und Anazidität durch die Röntgenunter¬
suchung nachgewiesen, sondern auch Sitz und Ausdehnung des fühl-
baren rumors konstatiert. Der Patient entzog sich einer Operation
dadurch, dass er am Tage des geplanten Eingriffes ein Erysipel
lekam, dem er erlag. Die Sektion ergab ein flaches, nicht ulzeriertes
Karzinom, das die Muskulatur durchwucherte und die ganze Pars
pylorica hochgradig stenosierte.
r Sie sehen also, m. H., die Hauptfrage, ob die frühzeitige
Karzinomdiagnose im Sinne einer frühzeitigen Operation durch
das Röntgenverfahren gefördert ist, müssen wir heutzutage
leider noch verneinen. Wohl können wir uns über Sitz und
Ausdehnung eines Tumors, selbst eines nicht palpablen, öfters
unterrichten, abei es muss immer schon ein ziemlich beträcht-
lieber sein, und auch die Exstirpierbarkeit können wir
nicht entscheiden, da wir über Metastasen und Verwach¬
sungen durch das Röntgenverfahren keinen Aufschluss be¬
kommen. Nur Verwachsungen des Magens mit dem Querkolon
kann man unter Umständen daran erkennen, dass beim Ein¬
ziehen des Bauches der Magen sich nicht so weit vom Kolon
nach oben entfernt, wie gewöhnlich, sondern letzteres ihm mehr
folgt. Somit bleibt also auch das von Ewald vor mehreren
Jahren ausgesprochene Wort trotz der X-Strahlen noch zu
Recht bestehen. Ob ein Tumor exstirpierbar ist, kann in jedem
I alle erst nach Eröffnung der Bauchhöhle entschieden werden.
Der Vollständigkeit halber muss ich nun noch erwähnen,
dass man auch den Versuch gemacht hat, das Ulcus ventriculi
im Küntgenbilde sichtbar zu machen, ausgehend von der An¬
nahme, dass das Bismut bei der Behandlung des Ulcus auf
diesem haften bleibt und so eine schützende Decke bildet. Es
war zuerst Kraft auf dem ersten Röntgenkongress, der den
Vorschlag machte, das Bismut für die Diagnose des Ulcus zu
\erwenden. Es ist uns nun gleich bei unseren ersten Vcr-
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1427
suchen gelungen, den Vorschlag in sehr eklatanter Weise zu
verwirklichen.
Fig. 16.*) Sie sehen hier einen deutlichen Schatten im Magen
einer Patientin, die sicher an Ulcus litt. Dieser isolierte Schatten
haftete noch nach 24 Stunden und stellte sich bei wiederholten Ver¬
suchen an derselben Stelle ein. Die Deutung ist also wohl einwands¬
frei. Die Methode besteht einfach darin, dass man dem Patienten
eine Aufschwemmung von 1 Theelöffel Bismut gibt bei leerem Magen,
verschiedene Körperlagen einnehmen lässt und durchleuchtet nach
ca. 6 Stunden, wenn also sicher das nicht festhaftende Bismut eli¬
miniert ist.
Der demonstrierte Fall ist aber für mich leider der einzige
positiv ausgefallene geblieben, und es ist ja auch klar, dass
unter anderem die Schwierigkeit darin begründet ist, dass ein
event. Niederschlag von Bismut nur eine so feine Schicht bil¬
det, dass diese nur schwer einen Schatten erkennen lässt. In
neuerer Zeit hat dann H e in m e t e r 3 Fälle von Ulcus ventri-
culi mitgeteilt, die er in der angegebenen Weise röntgenologisch
festgestellt hat. Uebrigens würde sich natürlich ein Ulcus
carcinom. in ganz derselben Weise zu erkennen geben, so dass
zur Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Karzinom das Ver¬
fahren nicht zu benutzen wäre. Nun, m. H., es lassen sich aber
nicht nur durch Tumoren bedingte, sondern auch anderweitig
verursachte Formveränderungen des Magens durch die Rönt¬
genstrahlen kenntlich machen, so hochgradige, durch adhäsiven
Zug hervorgerufene Verzerrungen, vor allem aber auch solche
durch Ulcusnarben gebildete, welche man als Sanduhrmagen
bezeichnet. Wir wissen ja, dass die Diagnose dieser Form¬
veränderung oft recht schwierig ist, und dann kann für viele
Fälle das Röntgenverfahren wenigstens klärend wirken. Ich
zeige Ihnen jetzt einige Bilder, die mir zu der Diagnose ver¬
haken oder diese doch bestätigt haben. Näher werden diese
und einige andere Fälle beschrieben in den „Fortschritten“ von
Albers-Schönberg. (Fig. 17 u. 18.)
Fig. 18. Fig- 19.
Ich gehe jetzt über zu den Untersuchungen des Darmes mit
der Bismutprobe. Diese können wir uns sichtbar machen durch
Einläufe vom Anus aus sowie durch die Bismutmahlzeit. Hier
ist zunächst zu erwähnen, dass der flüssige Mageninhalt alsbald
nach der Einführung den Magen verlässt, die übrigen Ingesta
folgen, nachdem sie verflüssigt sind. Den Dünndarm passieit
die Nahrung schnell und im flüssigen Zustande, daher werfen
sie auf die Platte oder den Schirm nur einen undeutlichen und
Coloptosis. transver. nach Laparotomie.
Fig. 20. Fig. 21.
verschwommenen Schatten (Rieder). Der Dickdarm hin¬
gegen ist sehr gut in seinem ganzen Verlaufe durch das Bis¬
mutverfahren sichtbar zu machen.
Der zeitliche Ablauf, soweit wir ihn sehen, spielt sich nach
*) Die Reproduktion der Abbildung 16 musste unterbleiben, da
der Schatten im Schnellpressendruck nicht genügend deutlich zum
Vorschein gekommen wäre.
Rieder derart ab, dass normalerweise in 6 Stunden die
Ingesta den Dünndarm passieren und in 24 Stunden den Dick¬
darm, so dass also bei einer reichlichen Mahlzeit nach
ca. 4 Stunden noch Bisrnut im Magen zu sehen ist. Hier blei¬
ben Bismutreste übrigens noch zu einer Zeit in den Haustren
haften, wenn schon später eingeführte Ingesta den Darm
passieren.
Auf diesem Bilde (Fig. 19) erkennen Wir nun das Bild des
Kolon ca. 12 Stunden nach der Mahlzeit.
Wenn wir uns nun fragen, welche Krankheitszustände wir
durch das Röntgenverfahren am Darm erkennen können, so
liegt es auf der Hand, dass es in erster Linie die Lageanomalien
sind, die sich uns einwandfrei präsentieren; ich denke, die bei¬
folgenden Figuren (19 — 21) zeigen, dass man wohl imstande ist,
etwaige Lageveränderungen schon am Lebenden durch das
Röntgenbild zu erkennen.
Ueber die praktische Wichtigkeit dieser Erkenntnis am
Lebenden werde ich mich bei anderen Gelegenheiten äussern.
Auch eine Stenosenbildung des Darmes aus irgendwelchen
Ursachen lässt sich mit Deutlichkeit erkennen. Auch dort
sehen wir, wie der Darminhalt über die verengte Stelle nicht
oder nur unvollkommen hinwegkommt, sich staut etc., und auf
diese Weise lässt sich der Sitz einer diagnostizierten Stenose
erkennen, resp. ein Tumor lokalisieren, und in der Tat sind
auch schon derartige Fälle veröffentlicht, in denen es in der
beschriebenen Art möglich war, einen Tumor zu lokalisieren,
so z. B. von Rieder selbst; ich selbst bin leider nicht in der
Lage, Ihnen einen solchen Fall zu demonstrieren.
Hiermit, m. H., glaube ich das, was man heutzutage mit
dem Röntgenverfahren auf dem Gebiete der Magen-Darm-Dia-
gnostik praktisch erreichen kann, erörtert und demonstriert zu
haben.
Nun hat jüngst Herr Schmilinsky, gewiss nicht mit
Unrecht, hervorgehoben, als im biologischen Verein vom Nach¬
weise der Motilitätsstörung durch das Röntgenverfahren die
Rede war, dass das Röntgenverfahren für die allgemeine
Praxis zu kompliziert sei. Das ist unzweifelhaft richtig; ceteris
paribus ist das einfachste Verfahren immer das beste; aber
es ist auch nicht behauptet worden, dass das Röntgenverfahren
die übrigen klinischen Untersuchungsmethoden ersetzen oder
verdrängen soll, im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass jeder
Röntgenuntersuchung die bekannten und bewährten Methoden
vorauszugehen haben, soweit sie eben ausführbar
sind. Aber es gibt eben Fälle, wo diese Methoden schwer
oder nicht ausführbar sind, und das sind, kurz gesagt, eben jene,
wo wir Ursache haben, von der Einführung des Schlauches
Abstand zu nehmen. Aber auch im Uebrigen, m. H., hoffe ich
Ihnen gezeigt zu haben, dass uns die Röntgenstrahlen über
manche Dinge Aufschluss geben können, die wir mit unseren
früheren Methoden schwer oder nicht eruieren konnten. So
ist das Röntgenverfahren zurzeit noch nicht bestimmt, die
früheren Methoden zu verdrängen, sondern zu ergänzen und
event. einmal für sie einzutreten. Wenn auch bald die Zeit
kommen mag, wo man, wie Rieder sich mir gegenüber vor
kurzem ausgesprochen hat, nicht mehr von der Röntgenunter¬
suchung auf unserem Gebiete als im Gegensätze zu der kli¬
nischen Untersuchung sprechen, sondern wo diese z u der kli¬
nischen Untersuchung gehören wird. So sind auch die Worte
eines Referenten über den letzten Röntgenologenkongress —
K a r p 1 u s - Charlottenburg — nur zu unterschreiben : „Nicht
in der Alternative, sondern in der Kombination der verschie¬
denen Untersuchungsmethoden liegt eine wertvolle Bereiche¬
rung des diagnostischen Apparats“.
Untersuchungen an Schwimmern.
Von Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck in Wien, Dr. A. Selig
in Franzensbad und Dr. R. Beck in Wien.
Obwohl der Sport erst seit verhältnismässig kurzer Zeit
wissenschaftliches Interesse gewonnen hat, wurden doch be¬
reits durch vielseitige Beobachtungen manche beachtenswerte
Resultate gewonnen. Die Wichtigkeit derartiger Unter¬
suchungen bedarf wohl nicht erst der Begründung; ihre Er¬
gebnisse lassen es notwendig erscheinen, dass in Zukunft bei
Krankengeschichten auch punkto Sport nachgeforscht weide.
Zum Gegenstand der Studien wurden in den letzten Jahren die
1428
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
verschiedensten Sportarten gemacht; Mendelsohn1) und
A 1 b u 2) prüften den Einfluss des Radfahrens, speziell auch der
Radrennfahrten, Beyer3) untersuchte das Radfahren vom
militärärztlichen Standpunkte, A 1 b u und Caspari4) stellten
an Dauergehern Beobachtungen an, ebenso Baldes. Hei¬
chelheim und Metzger5 *); F. Pick0) und Selig7) an
Fussballspielern, Henschen8) bei Skiläufern, Beck9) wid¬
mete der Touristik sein Augenmerk, L e n n h o f f und Levy-
D o r n 10 *), Selig “), M e n d 1 und Selig12) den Ring¬
kämpfern. Das Hauptinteresse aller Beobachter lag in der Er¬
forschung der Frage, wie sich Herz und Zirkulations-
s y s t e m gegenüber den intensiven Körperanstrengungen ver¬
halten, welche Schädigungen Herz und Nieren erfahren können.
Der Schwimmsport, der bisher noch niemals einer
gründlichen ärztlichen Beobachtung unterzogen wurde, bildete
den Gegenstand unserer Untersuchungen. Die unmittelbare
Veranlassung bot ein öffentliches Wettschwimmen,
welches von den bedeutendsten Wiener Schwimmklubs im
April dieses Jahres im Dianabade in Wien abgehalten
wurde, und an welchem sich sowohl trainierte Schwimmer von
Weltruf als auch untrainierte beteiligten, meist sehr kräftige
junge Leute unter 20 und 30 Jahren. Anamnestische Daten,
Befund unmittelbar vor und nach der Schwimmtour sind in
Tabelle I verzeichnet.
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Besonderes Gewicht wurde auf die orthodiagraphi-
sche Untersuchung (Kienböck) gelegt. Als Raum
diente eine an die grosse Bassinhalle direkt anstossende Kam¬
mer. Die Untersuchung wurde mit dem Levy-Dorn sehen
Apparat13) im Stehen vorgenommen, adventral (postero-
anterior), das Individuum lehnte sich mit dem Rücken an
eine dazu konstruierte Holzwand, die Herz- und Zwerchfell¬
konturen wurden meist nur im Exspirium bezw. während
der Diastole aufgenommen. Klinische und orthodiagraphische
Untersuchung fand bei den Schwimmern sowohl vor als
auch unmittelbar nach der Schwimm tour statt ;
schon 5 bis höchstens 30 Sekunden (mit der Uhr kontrolliert)
nach dem Verlassen des Wassers waren die jungen Leute zur
Stelle, natürlich noch atemlos, zum Teil wankend, dabei triefend
und fröstelnd. Es lässt sich denken, dass derartige erschwe¬
rende Momente zur Genauigkeit der Untersuchungen nicht bei¬
trugen, doch kam es uns eben vor allem darauf an, die Be¬
obachtungen nach exzessiver Anstrengung (Wettschwimmtour,
Wasserball, wobei der Ehrgeiz zu Maximalleistungen anspornt)
1) Mendel sohn: Der Einfluss des Radfahrens auf den
menschlichen Organismus. Berlin 1896.
~) Al hu: Berl. klin. Wochenschr. 1897, 34, 202.
3) Beyer: Münch, med. Wochenschr. 1905, 1436.
4) Albu und Caspari: D. med. Wochenschr. 1903, 29, 252.
') Baldes, Heichelheim und Metzger: Münch. med.
Wochenschr. 1906, 53, 1865.
8) F. Pick: 74. Naturforschervers., Karlsbad 1902, I, 262.
') Selig: Wiener klin. Wochenschr. 1905, 18, 838.
8) Henschen: Mitteil. a. d. med. Klinik zu Upsala. Jena
1899.
9) Beck: Wiener med. Wochenschr. 1906, No. 6 u. 7.
1U) L e n n h o f f und Levy-Dorn: D. med. Wochenschr. 1905,
31, 869.
41) Selig: Wiener klin. Wochenschr. 1907, No. 5.
12) Men dl und Selig: Med. Klinik 1907, No. 6.
1J) Der Orthodiagraph wurde von der Schrötter sehen Klinik
beigestellt, die Wiener Filiale der Firma Reiniger, Gebbert
und Schall übernahm den Transport und die mühsame Aufstellung
— wir danken hier allen den Herren, die uns behilflich waren, für
ihre grosse Gefälligkeit. Wir sagen an dieser Stelle auch den Herren
Schwimmern unseren Dank für die freundliche Bereitwilligkeit, als
Objekte medizinischer Forschung zu dienen.
anzustellen und zwar so rasch als möglich nachher, um den
richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen; können doch nach An¬
strengungen die schweren Erscheinungen ungemein schnell wie¬
der zurückgehen (vgl. auch Selig in einer früheren Arbeit).
Die Uebereinstimmung der Ergebnisse bei den einzelnen Fällen
sprechen aber allein schon für die Richtigkeit unserer Befunde.
Fig. 3 vor Fall II: O. v. F. Fig. 4 nach
Fig. 5 vor Fall
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1429
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1430
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
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16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
143!
Fig. 15 vor Fall VIII: H. R. Fig. 16 nach
(Mit Markierung der Mammillen, sowie der exspiratorischen und
inspiratorischen Lage des Zwerchfells.)
transversal
längs
quer
vorher
14,2
14,?
10,6
nachher
13,3
13,3
9,3
vorher
12,6
12,9
9,7
nachher
11,5
12,0
9,4
vorher
11,4
12,0
9,7
nachher
10,6
10,9
8,4
vorher
12,0
12,3
9,9
nachher
11,0
11,5
9,1
vorher
13,6
13,6
10,6
nachher
11,9
11,9
9,1
vorher
11,0
11,6
9,7
nachher
10,1
10,8
8,5
Fig. 17 vor Fall X: V. M. Fig. 18 nach
(Mit Markierung der Enden der 3. Rippen, sowie der Exspiration und
Inspiration.)
(Markierung des Zwerchfells auch im Inspirium.)
Fall XII : W.
Fig. 21 20 Min. nach
Fig. 22
Schematischer Querschnitt durch den
Thorax des Erwachsenen.
Das Hauptinteresse unserer Untersuchungen bildete die
Frage, ob die exzessive Anstrengung beim Schwimmen zu
akuter Herzdilatation führen könne. Da machten wir
nun die überraschende Beobachtung, dass unmittelbar
nach der exzessiven Anstrengung nicht nur
keine Vergrösserung, sondern eine Verklei¬
nerung der orthodiagraphischen Herzfigur
vorhanden war.
Die Verkleinerung des Herzschattens war unter 11 Fäl¬
len 10 mal zu konstatieren und kann beträchtliche
Grade erreichen.
Man betrachte beispielsweise die folgenden, an den ersten
sechs Radiogrammpaaren vorhandenen Masse:
Die Verkleinerung des transversalen Herzdurchmessers
im Orthodiogramm betrug also nicht selten ca. 10 mm, in einem
Falle sogar 17 mm, und die übrigen Masse wiesen ähnliche Dif¬
ferenzen auf. Nur in einem Falle (No. 10) blieb die Verklei¬
nerung der Herzfigur aus.
Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass es sich um eine t a t-
sächliche Verkleinerung des Herzens handelt,
nicht etwa um ein Vortäuschen derselben, z. B. durch Tiefstand
des Zwerchfelles, wodurch bekanntlich eine starke Verschmäle¬
rung der steilgestellten Herzfigur zu stände kommt. Das
Zwerchfell erreichte im Exspirium — wir achteten in mehreren
Fällen darauf ganz besonders — vor und nach der Anstrengung
beiläufig dieselbe Höhe, nur waren natürlich die inspiratorischen
Exkursionen während der Dyspnoe sehr vergrössert. Wie er¬
wähnt, fand die punktographische Herzzeichnung stets auf
der Höhe des Exspirium und in der Diastole statt. Hier sei
auch erwähnt, dass das Herz nicht nur sehr beschleunigt pul¬
sierte, sondern auch sehrausgiebigeKontraktionen
machte, wobei an den Konturen eine eigentümlich rasche
Wellenbewegung zu sehen war — ein beängstigen¬
des Bild.
(Schluss folgt.)
Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München
(Direktor: Obermedizinalrat Prof. Dr. v. Bauer).
lieber die Wirkung von taurocholsaurem Natrium und
tierischer Galle auf den Pneumokokkus, Streptococcus
mucosus und auf die andern Streptokokken.
Von M. Mandelbaum.
Bei den Versuchen über den Einfluss der Galle auf Bak¬
terien entdeckte N e u f e 1 d eine spezifische Wirkung, den diese
auf den Pneumokokkus ausübt. Bringt man nämlich 0,1 ccm
Kaninchengalle zu 1 — 2 ccm Pneumokokkenbouillonkultur,
schüttelt sodann diese Mischung kräftig durch, so bemerkt man
meist schon nach wenigen Minuten, dass das trübe Gemisch
sich aufhellt, klar, hell und durchsichtig wird. Die Pneumo¬
kokken werden von der Kaninchengalle aufgelöst. Es ist eine
vollständige Bakteriolyse eingetreten. Der ganze Prozess
nimmt einen Zeitraum von 2 — 15 Minuten in Anspruch. „Um
der Frage näher zu treten, auf welchen Bestandteilen der Galle
deren Wirkung beruht, hat N e u f e 1 d zunächst die sogen,
„kristallisierte Galle“, das heisst die Aetherfällung der in Al¬
kohol löslichen Bestandteile, welche nach Entfernung der Farb¬
stoffe im wesentlichen die glykochol- und taurocholsauren Salze
enthält, in Untersuchung gezogen und gefunden, dass die wirk¬
same Substanz darin übergeht.“
Diese Beobachtung N e u f e 1 d s veranlasste R. L e v y,
differentialdiagnostische Untersuchungen mit gallensauren
Salzen bei Pneumokokken und Streptokokken anzustellen. Die
Versuche wurden mit taurocholsaurem Natrium ausgeführt,
als Lösungsmittel diente die gewöhnliche Nährbouillon. L e v y
fand nun, „dass das taurocholsaure Natrium in einer Konzen¬
tration von 2,5 Proz. bei allen untersuchten Stämmen von
Diplococcus lanceolatus und Streptococcus mucosus mikro-
skropisch eine vollkommene Bakteriolyse bewirkt, dass da¬
gegen alle anderen Streptokokken in keiner Weise davon be¬
einflusst werden“. Für die praktische Anwendung des Dia-
gnostikums empfiehlt Levy folgende Anordnung: „Man ver¬
mischt gleiche Teile einer 5— 10 proz. Lösung von taurochol-
1432
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
saurem Natrium in Bouillon und einer 24 stiindigen Bouillon¬
kultur und als Kontrolle gleiche Mengen Kultur und sterile
Nährbouillon“. Ich benützte bei meinen Versuchen über die
Einwirkung des taurocholsauren Natriums auf Streptokokken,
Pneumokokken und auf den Streptococcus mucosus stets eine
lOproz. Lösung dieses gallensauren Salzes in Nährbouillon.
Stets wurden 2 ccm dieser Lösung mit der gleichen Menge
einer 24 stiindigen Bouillonkultur vermischt. Meine Unter¬
suchungen erstreckten sich auf 8 Stämme des Diplococcus
lanceolatus, auf 4 Stämme des Streptococcus mucosus und auf
15 Stämme des Streptokokkus. Von den Bouillonkulturen
dieser Stämme wurden, wie bereits erwähnt, jeweilig 2 ccm mit
der gleichen Menge der 10 proz. Lösung des taurocholsauren
Natriums vermischt und kräftig durchgeschüttelt. Ich fand
nun — ganz in Uebereinstimmung mit den Resultaten von
L e v y — dass sämtliche vorher trübe Kulturen des Pneumo¬
kokkus und des Streptococcus mucosus nach Zusatz der
taurocholsauren Natriumlösung klar, hell und durchsichtig
wurden, während die Kulturen der anderen Streptokokken trüb
und undurchsichtig blieben. (Bemerken möchte ich jedoch an
dieser Stelle, dass das taurocholsaure Natrium in der erreichten
Konzentration — nach Vermischung von 2 ccm Kultur mit der
gleichen Menge der 10 proz. Gallensalzlösung betrug die Kon¬
zentration 5 Proz. — zwar die Streptokokken nicht aufzulösen,
wohl aber zu schädigen vermag. Macht man nämlich nach
längerem Stehen der Mischung von Streptokokkenkultur und
taurocholsaurer Natriumlösung — ungefähr nach einer Stunde
- einen Ausstrich auf eine Agarplatte, so findet man dieselbe
nach 24 ständigem Verweilen im Brutschrank steril.)
Diese makroskopisch sichtbare Aufhellung reicht indes
nicht zur sicheren Beurteilung aus. Denn hat man — schreibt
Levy — z. B. nicht sehr üppig gewachsene Kulturen vor sich
in einer vielleicht noch sehr hellen Bouillon, so kann schon
durch die Verdünnung allein die Mischung aufgehellt erscheinen.
Die Entscheidung liefert einzig der hängende Tropfen. Hatte
ich — fährt der Autor fort — Streptokokken vor mir, so war
in keinem Falle ein Unterschied in der Anzahl oder dem Aus¬
sehen der Kokken in den Versuchsröhrchen und der Kontrolle
zu sehen. Handelte es sich hingegen um den Pneumokokkus
oder den Streptococcus mucosus, so war bei den angegebenen
Konzentrationen niemals auch nur eine Spur von Kokken im
hängenden I ropfen zu erkennen, in der Kontrolle hingegen
fanden sie sich in reichlicher Anzahl.
Diese Beobachtung kann ich nur teilweise bestätigen. Der
hängende Tropfen der Streptokokkenkulturen nach der Mi¬
schung mit taurocholsaurem Natrium zeigt in der Tat, wie es
ja nach der makroskopischen Beobachtung auch zu erwarten
war, keinen Unterschied in Form und Aussehen der Kokken von
denen gewöhnlicher Bouillonkultur. Untersuchte ich dagegen
einen hängenden Tropfen von einer Kultur des Pneumokokkus
oder des Streptococcus mucosus nach der Mischung mit der
Lösung des taurocholsauren Natriums, so erschien derselbe auf
den ersten Blick in der Tat bakterienfrei. Bei genauer Durch¬
forschung des Tropfens jedoch mit stark abgeblendetem Lichte
fielen mir einige Körnchen in Diploform, deren Lichtbrechungs¬
vermögen sich kaum von dem der umgebenden Flüssigkeit
unterschied, am Rande des Tropfens liegend auf. Aber auch
diese wurden immer schattenhafter und schliesslich für das
Auge unsichtbar. Um mich von der Natur dieser Gebilde zu
überzeugen, setzte ich mit Hilfe der Platinöse etwas Löffler-
sclies Methylenblau zu dem hängenden Tropfen und untersuchte
mm denselben mit der Oelimmersion. Zu meiner Ueber-
raschung fand ich nun — ganz gleich ob es sich um den Strepto¬
coccus mucosus oder um den Pneumokokkus handelte —
Diplokokken und kurze Ketten blau tingiert in grosser Anzahl
besonders am Rande des Tropfens liegend vor. Doch zeigten
die einzelnen Kokken ganz typische Veränderungen. Alle
Uebergangsformen von dem normal gefärbten Diplokokkus bis
zu leeren Hüllen und solchen, die noch minimale Kokkenreste
enthielten, waren vorhanden. Das Präparat sah wie „ausge-
\\ aschen aus. Es war dasselbe Bild, wie es Radziewski
iiii den Pneumokokkus beim Zerfall desselben im tierischen
Organismus festgestellt hat. Nach 2 Tagen konnte ich noch die
Anwesenheit von Kokken mittels der oben angegebenen Me¬
thode nachweisen. Obwohl also die Bouillonkulturen nach dem
Zusatz von taurocholsaurem Natrium vollständig aufgehellt,
obwohl ferner auch im gewöhnlichen hängenden Tropfen keine
Kokken mehr zu erkennen waren, so war es doch möglich, die¬
selben durch Hinzufügen von etwas Methylenblau zu dem hän¬
genden Tropfen für das Auge wieder sichtbar zu machen. Von
einer vollkommenen Bakteriolyse kann hier also nicht die Rede
sein. Die noch Testierenden Kokken auf eine Agarplatte aus¬
gestrichen gingen nicht mehr an. Die Platte blieb steril.
Das taurocholsaure Natrium in einer Konzentration von
5 Proz. vermag also nach längerer Einwirkung den Pneumo¬
kokkus, den Streptococcus mucosus und die andern Strepto¬
kokken derart zu beeinflussen, dass sie, auf einem neuen Nähr¬
boden überimpft, nicht mehr wachsen.
Bouillonkulturen des Pneumokokkus und des Strepto¬
coccus mucosus werden nach Vermischung mit dem gallen¬
sauren Salz klar und hell, während solche der andern Strepto¬
kokken getrübt bleiben.
Eine vollkommene Bakteriolyse tritt beim Pneumokokkus
und dem Streptococcus mucosus nicht ein. Die mikroskopisch
noch nachweisbaren Kokken zeigen Involutions- und Degene¬
rationsformen.
Meine weiteren Versuche sollten mir Aufschluss geben
über die Wirkung tierischer Galle auf die oben angeführten
Mikroorganismen. N e u f e 1 d hat, wie bereits erwähnt, fest¬
gestellt, dass 0,1 ccm Kaninchengalle zu 1—2 cdm Pneumo¬
kokkenbouillonkultur hinzugefügt ein vollkommenes Klar¬
werden der Bouillon und ein vollständiges Verschwinden der
Kokken verursacht. Dieselbe Wirkung in höherem oder nie¬
derem Grade konnte er bei Menschen-, Affen-, Hunde-, Ziegen-
und Katzengalle beobachten. Ich habe zu meinen Versuchen
Rindergalle benützt, da dieselbe leicht in grösseren Mengen
erhältlich, meist klar, hell, frei von festen Bestandteilen und
dünnflüssig ist und sich mit der Bouillonkultur sehr gut ver¬
mischen lässt. Die Versuchsanordnung war stets folgende:
2 ccm Bouillonkultur wurden mit 0,5 ccm Rindergalle im Re¬
agensröhrchen vermischt und gut durchgeschüttelt.
Bei allen Kulturen des Pneumokokkus und des Strepto¬
coccus mucosus die- mir zur Verfügung standen, trat schon
wenige Minuten nach dem Durchschütteln Aufhellung der vor¬
her trüben Mischung ein. Die andern Streptokokkenkulturen
zeigten in keiner Weise eine Aenderung ihres vorherigen Aus¬
sehens. Im gewöhnlichen hängenden Tropfen war mikro¬
skopisch keine Spur von Kokken mehr zu sehen — natürlich
nur bei Kulturen des Pneumokokkus und des Streptococcus
mucosus. Fügte ich nun zu dem hängenden Tropfen etwas
Löffler sches Methylenblau, so konnte ich wohl einige Mi¬
nuten nach der Aufhellung noch hie und da einen Diplokokkus
blau gefärbt nachweisen, nach einer Stunde jedoch war auch
mit dieser Methode kein Kokkus mehr sichtbar zu machen.
Tierische Galle vermag somit Bouillonkulturen des Pneu¬
mokokkus und des Streptococcus mucosus aufzuhellen und,
wie es scheint, eine vollkommene Bakteriolyse dieser Mikro¬
organismen herbeizuführen. Andere Streptokokken werden
von der Galle in keiner Weise geschädigt.
Wie aus obigen Versuchen hervorgeht, eignet sich sowohl
das taurocholsaure Natrium wie auch die Galle vorzüglich zur
Differentialdiagnose zwischen Pneumokokkus und Strepto¬
coccus mucosus einerseits und den übrigen Streptokokken
andererseits. Beide Reagentien bewirken eine makroskopisch
deutlich wahrnehmbare Aufhellung der Bouillonkulturen des
Pneumokokkus und des Streptococcus mucosus. Voraus¬
setzung ist eine durch diese Kokken ziemlich getrübte Bouillon.
Handelt es sich um eine an und für sich helle Bouillon mit
mässiger Trübung, so ist die Galle dem taurocholsauren Na¬
trium entschieden vorzuziehen. Erstere bewirkt ja eine voll¬
kommene Bakteriolyse, bei Anwendung des gallensauren Salzes
dagegen sind mikroskopisch noch Kokken in grosser Anzahl
nachweisbar. Aber noch aus andern Gründen ist die An¬
wendung der Galle der des taurocholsauren Natriums vorzu¬
ziehen. Die Lösung dieses Präparates muss jedesmal frisch
bereitet werden, es ist nicht überall erhältlich und sehr teuer.
Dagegen kann man Rindergalle überall bekommen, man kann
dieselbe sofort benützen und wochenlang halten. Denn das
rasche „Faulen“ der Galle kann man sehr leicht durch Er¬
hitzen derselben auf 100 " verhindern. Die bakteriolytische
müenchener Medizinische Wochenschrift.
1433
16. Juli 1907.
Kraft derselben für den Pneumokokkus und den Streptococcus
mucosus wird durch diese Prozedur in keiner Weise ver¬
mindert. Diese Beobachtung hat schon N e u f e 1 d gemacht
und ich kann dieselbe nur bestätigen.
Zu der Frage, ob die Reaktion der Galle bezw. des gallen¬
sauren Salzes mit dem Pneumokokkus und dem Streptococcus
mucosus für diese Mikroorganismen spezifisch — was übrigens
N e u f e 1 d und L e v y annehmen — und ob der Streptococcus
mucosus als Pneumokokkus anzusehen ist, was L e v y und
andere Autoren vorschlagen, kann ich noch nicht Stellung
nehmen, da meine Versuche über diese Punkte noch nicht ab¬
geschlossen sind.
Während der Drucklegung; dieses Aufsatzes erschien in dieser
Wochenschrift die Arbeit von S c h u 1 1 z e „Zur Streptokokkenfrage“.
Derselbe schneidet auch das Thema über den Einfluss des taurochol-
sauren Natriums auf Pneumokokken etc. an. Derselbe hat ebenfalls
festgestellt, dass taurocholsaures Natrium in höherer Konzentration
(5 — 10 proz.) bakterizid auf Streptokokken einwirkt. Derselbe hat
ferner beobachtet, dass sich Pneumokokkenbouillonkultur nach Zu¬
satz von dem gallensauren Salze nicht ganz aufhellte. Trotzdem
hat er mikroskopisch eine vollkommene Bakteriolyse konstatieren
können. Auch hier dürfte es sich um eine unvollkommene Auf¬
lösung der Pneumokokken handeln, die im gewöhnlichen hängenden
Tropfen dann für das Auge unsichtbar erschienen, die aber durch Zu¬
satz von etwas Methylenblau gefärbt und deutlich wahrnehmbar ge¬
macht werden können.
Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik Erlangen (Professor Dr.
Meng e).
Die Erfolge der Pessartherapie in der gynäkologischen
Praxis.
Von Dr. Max Schwab, Assistent.
Wenn etwas über die Pessartherapie heute noch irgendwo
zum Vortrag gelangt, so geschieht es in der Regel in der Form
eines Gelegenheitsthemas vor einem ärztlichen Verein, mit dem
Zwecke eines fortbildenden Vortrages. Man beschränkt sich
dabei gewöhnlich auf die allgemeinen Gesichtspunkte der In¬
dikationsstellung und auf die technische Handhabung der Pes¬
sare, und warnt zum Schlüsse vor den unbrauchbaren und ge¬
fährlichen unter ihnen, vor dem Zwanck-Schilling sehen
Fliigelpessar und vor den, fötiden Ausfluss verursachenden Rin¬
gen aus Weichgummi.
Ausführlichen und positiven Mitteilungen aber darüber,
welche Erfolge denn eigentlich mit den aus irgend einer Indi¬
kation angewandten Pessaren zu erzielen sind, begegnet man
selten. Ueber die Erfolge der Pessartherapie lediglich bei Re-
troflexio uteri gibt K o b 1 a n c k (Zeitschrift für Geb. und Gyn.
1902) einen sehr ungünstigen Bericht, und erwähnt gleichzeitig
eine Anzahl früherer Autoren, die keine besseren Resultate ge¬
sehen.
Wenn man weiter die gebräuchlichsten Lehrbücher durch¬
sieht, hat man den Eindruck, als gingen die Autoren, die über
Resultate der gynäkologischen Operationen sich gerne aus¬
sprechen, über die Resultate der Pessartherapie ebenso gerne
hinweg. In den Lehrbüchern von Fritsch und von
S c h a u t a ist so gut wie nichts darüber zu finden.
H o f m e i e r zitiert einige Publikationen aus früherer Zeit
(Munde, L ö h 1 e i n), in denen die Endresultate der ortho¬
pädischen Behandlung der Retroflexio uteri mobilis ziemlich
ungünstige genannt werden. Nur Runge widmet dem Punkte
sein Augenmerk. Er lobt den Erfolg der Pessarbehandlung,
macht aber ausdrücklich darauf aufmerksam, dass es Fälle gibt,
die einen in der Ansicht von der Wirksamkeit der Pessare wie¬
der schwankend machen können. Und was die definitive Hei¬
lung betrifft, so äussert er sich gleichfalls mit ziemlicher Re¬
serve.
Alles in allem lässt sich das Urteil der genannten Kliniker,
das sicher identisch ist mit dem der meisten Gynäkologen, da¬
hin zusammenfassen, dass sie alle die Pessartherapie bei Pro¬
lapsen nur als einen Notbehelf gelten lassen bei messerscheuen
Patientinnen, oder wo zu hohes Alter oder konstitutionelles
Leiden operative Behandlung, d. h. wirkliche Heilung des Lei¬
dens nicht mehr geboten scheinen lassen. Bei der Behandlung
der mobilen Retroflexio uteri dagegen konkurriert die ortho¬
pädische mit der operativen Behandlung dergestalt, dass die
No. 29. '
letztere dem Arzte die sympathischere, der Patientin aber für
gewöhnlich die weniger erwünschte ist. Und aus letzterem
Umstande ergibt sich bei der Häufigkeit der Retroflexio uteri
die grosse Bedeutung, die die Pessartherapie in der gynäko¬
logischen Praxis hat.
Hier muss nun eingeschaltet werden, dass im Folgenden
jener Punkt nicht eigentlich berührt werden soll, den die Litera¬
tur der letzten Jahre öfter gebracht hat (T h e i 1 h a b e r,
Krönig-Feuchtwanger, Wormser u. a.), inwieweit
die Retroflexio uteri mobilis überhaupt von klinischer Bedeu¬
tung sei. Sondern wir stellen uns lediglich jenen Fällen gegen¬
über, bei denen eine Behandlung, und zwar eine Pessarbehand¬
lung angezeigt erscheint, und suchen zu eruieren, welche Er¬
folge damit erzielt werden können.
Um es vorweg zu nehmen, was mich veranlasst hat, eine
derartige Nachforschung aufzunehmen: es ist die merkwürdige
Rolle, die das Pessar in vielen Händen zu spielen scheint als
ein Retter aus der Not der Diagnose und Therapie. Noch in der
letzten Zeit kam eine Frau in die poliklinische Sprechstunde der
Frauenklinik wegen Verdauungsbeschwerden, Erbrechen, Ge¬
fühl von Kranksein. Sie war 5 Wochen lang von 2 Aerzten
behandelt worden, die vereint schliesslich ein Pessar einlegten.
Die Palpation der Oberbauchgegend ergab ohne weiteres ein
über faustgrosses Pyloruskarzinom. Nicht wenige Patien¬
tinnen kommen mit der Angabe, man habe ihnen wegen Vor¬
falls einen Ring eingelegt, während auch beim stärksten Pressen
die vordere Scheidenwand kaum merklich tiefer tritt. Wieder
andere kommen mit guten oder schlecht sitzenden Pessaren,
mit oder ohne Retroflexio oder Adnexerkrankung, mit oder ohne
Beschwerden. So kam ich denn auf die Idee, aus den letzten
Jahrgängen unserer poliklinischen Journale die Fälle aufzu¬
suchen, welche mit Pessaren behandelt wurden und welche so
oft sich wieder vorstellten, dass ein Urteil darüber möglich ist,
welchen Erfolg das Pessar hatte — nicht für den Arzt und das
anatomische Heilresultat, sondern für die Patientin, für deren
körperliches Befinden.
Wenn ich oben einige Urteile über die Pessartherapie an¬
geführt habe, die meiner Erfahrung nach sich mit der all¬
gemeinen Anschauung decken, so müssen aber noch die Dar¬
legungen Küstners (Handbuch von Veit, 1907) über den
Wert der Pessare besonderen Raum erhalten. Küstner
urteilt in seiner grossen Monographie über die Lage und Be¬
wegungsanomalien des Uterus und seiner Nachbarorgane
wesentlich günstiger. Nach ihm ist jede Frau, bei welcher in
der Zeit zwischen Menarche und Menopause und auch noch
darüber hinaus eine Retroversio-flexio erkannt wird, behand¬
lungsbedürftig. Und zwar wird ein unkomplizierter Fall von
Retroversio-flexio am einfachsten und vielleicht auch noch am
besten so in Angriff genommen, dass bimanuell reponiert und
ein Pessar angepasst wird. Dasselbe ist so lange zu tragen, bis
die Befestigungsorgane des Uterus und seine Ligamentmuskula¬
tur funktionsfähig sind; die Dauer schwankt zwischen einigen
Monaten und mehreren Jahren. Nur wenn die Kranke eine
unüberwindliche Aversion gegen Pessare hat, wenn sich ein
solches bei Frauen, die schwer arbeiten müssen, nicht emp¬
fiehlt, oder wenn wegen Portio- oder Dammdefektes sowieso
operiert werden muss, so kann man auf die Pessartherapie ver¬
zichten und wählt ein Operationsverfahren.
Ueber den Wert der Pessare bei Prolapsen äussert sich
Küstner: Vorfälle, bei welchen nur wenig, vielleicht nur die
Portio oder nichts ausserhalb der Vulva liegt, werden wie
Retroflexionen behandelt, also bei beweglichem Uterus mittels
Pessars. Vorfälle, bei denen ein beträchtlicher Teil des Uterus
oder das ganze Organ draussen liegt, werden im Prinzip opera¬
tiv behandelt, obwohl auch eine Pessarbehandlung durch die
Grösse des Vorfalls an sich nicht ausgeschlossen wird.
Insgesamt urteilt Küstner so, dass den beweglichen
Retroflexionen und gewissen mobilen Prolapsen gegenüber die
P’essartherapie nicht nur die einfachste, sondern auch die
beste ist.
Wie gesagt, die Rolle eines Allheilmittels, die mir das
Pessar vielfach zu spielen scheint, hat mich veranlasst, der
Frage auf den Grund zu gehen, was denn das Pessar zu leisten
imstande ist. Insgesamt stehen mir 124 Fälle zur Verfügung,
die mit Pessaren behandelt wurden, und zwar so lange, dass
3
1434
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
ein Urteil über deren Wirkung auf den jeweiligen Zustand der
Patientin mit Sicherheit zu gewinnen ist.
Diese 124 Fälle scheiden sich ohne weiteres in 2 Gruppen:
in solche, die mit dem Pessar bereits in Behandlung kamen,
die es also auswärts appliziert erhalten hatten, und in solche,
bei denen erst wir die Pessarbehandlung einleiteten. Während
die erste Gruppe einen Ueberblick darüber bietet, was das
Pessar in der Hand von Nichtspezialisten vermag, zeigt die
zweite Gruppe, welche Heilwirkung dem Pessar im besten
Falle zukommt, wenn es von geübter Hand angewandt wird.
Die Indikationen zur Behandlung sind ja trotz des Wider¬
streites, der noch über die klinische Bedeutung der unkompli¬
zierten Retroflexio herrscht, gegeben. Eine Vorfall leidende
Frau, ob sie ihr Leiden nun bereits kennt oder nur an Schmer¬
zen im Unterleib, Drängen nach unten, Katarrh oder sonstigen
Beschwerden laboriert, muss davon befreit werden, weil es
zunehmend schlimmer und der zur Heilung nötige Eingriff
dauernd umfangreicher wird. Eine an Retroflexio leidende
Frau, d. h. eine Frau mit Beschwerden, die sich auf die Retro¬
flexio beziehen lassen, Kreuzschmerzen, Ziehen im Unterleib,
Dysmenorrhöe in irgend einer Form, Fluor, wird gleichfalls
jeder behandeln, wenn er auch noch so sehr der Ueberzeugung
ist, dass nicht jede Frau behandelt werden muss, die eine
Retroflexio besitzt1).
Von den 124 Fällen nun wurde bei 73 erst von uns die
Pessartherapie aufgenommen, während die übrigen 51 bereits
mit Pessaren in die Sprechstunde kamen. Die Fälle verteilen
sich auf rund 3 Jahre und bilden natürlich nur eine Minderzahl
gegen die operativ behandelten. Von den 73 Fällen litten 24
an Vorfall mit oder ohne Retroflexio uteri, die Testierenden 49
nur an Retroflexio ohne Senkung der Organe.
Von den 24 Vorfallkranken mussten mit Pessaren behandelt
werden 2 wegen Phthisis; 5 befanden sich im Greisenalter, da¬
von 2 mit Totalprolapsen. Letzteren wurde durch Menge¬
sche Keulenpessare, den anderen durch Hartgummiringe soweit
geholfen, dass sie mit ihrem Zustand zufrieden waren. Bei
den 17 aber, die zunächst mit einer Operation
nicht einverstanden waren, lautet das Resultat der
Behandlung: 8 waren zufrieden mit dem geschaffenen Zustande,
3 waren durchaus unzufrieden und 6 entschlossen sich, nach¬
dem sie sich mehr oder minder lange mit dem Ringe abgefun¬
den, doch noch zur Operation. Bei allen hatte es sich um höch¬
stens mittelgradige Vorfälle gehandelt, annähernde Totalpro¬
lapse befanden sich nicht unter ihnen.
Die Erfolge bei den 49 Fällen nun, bei denen wir eine be¬
handlungsbedürftige Retroflexio uteri (mobilis natürlich) vor¬
fanden, und bei denen nach unserem Ermessen oder nach dem
Willen der Patientin die Pessarbehandlung (ausschliesslich
Hodge-, höchstens einmal Thomaspessare) angezeigt war, ge¬
stalteten sich im Laufe von bis zu 3 Jahren wie folgt:
3 Patientinnen scheiden aus wegen Phthisis, Morbus Base-
dowii, Retroflexio uteri gravidi, 2 wegen fraglichen Erfolges
der Behandlung. Gut war der Erfolg in 21 Fällen. Aber nur
2 mal konnte das Pessar in diesen 3 Jahren wegen wirklicher
Heilung entfernt werden, bei den übrigen 19 bestand der Erfolg
nur während die Pessare noch getragen wurden, und dabei
2 mal trotz Adnexerkrankung, 5 mal trotzdem der Uterus im
Pessar retroflektiert lag. 20 mal hingegen brachte die Pessar-
behandlung der Patientin nicht den erwünschten Erfolg, und
3 mal wurde schliesslich die Falschlage des Uterus operativ be¬
seitigt. Es brauch wohl kaum besonders betont zu werden, dass
neben der Pessarbehandlung die Allgemeinbehandlung der Pa¬
tientin nicht vernachlässigt wurde. Wieweit nach dieser Rich¬
tung hin die betreffenden Frauen unseren Ratschlägen folgten,
kann natürlich nicht konstatiert werden. Sicher ist nur, dass
nicht in der Hälfte der Fälle die Pessarbehandlung von Erfolg
gekrönt wurde. Und wenn man nun noch in Betracht zieht,
dass in der weitaus grösseren Anzahl die Retroflexio, wenn sie
als behandlungsbedürftig erachtet, von vornherein operativ
beseitigt wurde, so bleibt nur ein Bruchteil übrig, in welchem
das Pessar wie beim Vorfall so auch bei der Retroflexio etwas
0 Auch in den neuesten Auflagen mehrerer Lehrbücher findet
die Pessarbehandlung bei Anteversio und Anteflexio, sogar mit
Gummiringen, noch Platz. Das ist ein Zopf, der abgeschnitten wer¬
den muss.
leistete. Hält man dann noch hinzu, dass in mehr als einem
Drittel der erfolgreich mit Pessar behandelten Fälle Adnex¬
erkrankung oder Retroflexio Weiterbestand, also gewiss nicht
der orthopädische Erfolg des Pessars schuld an der Heilwirkung
war, so kommt man unschwer zu dem Schluss, dass das Pessar
einen recht kümmerlichen Heilfaktor in der Therapie der Ge¬
bärmutterverlagerung darstellt, der bei den bekannten Uebel-
ständen, die das Tragen eines Pessars mit sich bringt, wirklich
nur dann in Anspruch genommen zu werden verdient, wenn
Notwendigkeit der Rechtlagerung der Organe vorausgesetzt
— die Operation nicht zu ermöglichen ist.
- Bei den 51 Fällen nun, die bereits mit Pessaren versehen
zur Behandlung kamen, wird man vorweg annehmen wollen,
dass es sich um Frauen handelte, die mit ihrem körperlichen
Befinden nicht zufrieden waren. Selbst dieses vorausgesetzt
bieten die Fälle ein Abbild dessen, was der Nichtspezialist er¬
reicht, wenn er das Pessar ausgiebig in den Kreis seiner thera¬
peutischen Tätigkeit zieht.
Es handelt sich da zunächst um. 22 Prolapsfälle im Alter
von 24 bis 72 Jahren; die Hälfte der Kranken hatte noch nicht
das 35. Jahr erreicht und trug die Ringe doch schon seit
Jahren. Im ganzen waren zufrieden mit dem Pessar 2 Grei¬
sinnen, von denen aber eine invalid erklärt wurde. 1 Pessar
wurde wegen Gravidität entfernt, 2 wegen Dekubitus, 5 Patien¬
tinnen konnten sich trotz Weiterbestehens der Beschwerden
nicht zur Operation entschliessen, 12 willigten ohne
weiteres in die Operation ein, n a c h d e m s i e
sich bis zu 7 Jahren mit den Ringen beholfen
hatten.
Von den übrigbleibenden 29 Fällen schliesslich, die wegen
„Knickung“ mit Pessaren behandelt worden waren, konnten
ganze vier die Pessare zu ihrer Zufriedenheit weitertragen.
Bei dreien war auch durch langdauernde Weiterbehandlung
mit Pessaren kein Erfolg zu erzielen, 8 entschlossen sich aus
demselben Grund doch noch zur Operation. 3 wurden durch
einfaches Entfernen der Ringe von ihren Beschwerden befreit,
3 durch Ersatz des Ringes durch Allgemeinbehandlung, 2 durch
Entfernen des Ringes und Behandlung der Endometritis. Bei
den letzten 6 wurde der Ring entfernt und das eigentliche vor¬
liegende Leiden behandelt: 3 mal die Parametritis, 2 mal die
Retroflexio fixata, 1 mal die Urethritis mit Adnexerkrankung.
Mit anderen Worten: zu dem geringen Erfolge, den der
Spezialist mit der Pessarbehandlung erzielt, kommt beim Nicht¬
spezialisten noch der eventuelle Mangel genauerer Kenntnisse
in der Stellung der Indikation und Kontraindikation hinzu.
Die Pessarbehandlung ist ein Notbehelf, nicht nur den Vor¬
fällen, sondern auch der Retroflexio uteri gegenüber. Das
wollte ich mit meinen Ausführungen zeigen, zu denen wiederum
mii die praktische Erfahrung den Anreiz gab. Dass die Pessare
in geeigneten Fällen Verwendung finden können, ist selbstver¬
ständlich. Aber dass die Erfolge, die damit zu erzielen sind,
mcht hoch bewertet werden dürfen, das muss ich im Gegensatz
zu besonders günstigen Urteilen wie die oben zitierten Käst¬
ners behaupten. Der Patientin muss e r s t die Operation vor¬
geschlagen werden; wenn sie nicht einwilligt, dann erst mag
das Pessar versucht werden. Für die Prolapse wurde dieses
Prinzip ja bereits vieler- aber nicht allerorts durchgeführt, es
muss aber auch Geltung erhalten den Retroflexionen gegenüber,
soweit sie behandlungsbedürftig erscheinen.
Dass gerade bei der Retroflexio die Operation kein absolut
sicher wirkendes Heilmittel ist, lässt sich gewdss nicht leugnen.
Man begegnet Fällen, wo trotz Rezidivs Heilung, und trotz
anatomisch glänzenden Resultates Fortdauer der Beschwerden
besteht. Ob solche Fälle nun Ausnahmen sind oder nicht, ob
sie durch richtige Allgemeinbehandlung zu vermeiden sind oder
nicht, sie beweisen auf jeden Fall nichts dagegen, dass die
Pessartherapie rein für sich betrachtet einen nur massigen
Grad von Wertschätzung verdient.
Die hier zahlenmässig vorgetragenen schlechten Resultate
der Pessartherapie einerseits, die Tatsache andererseits, dass
die Retroflexio uteri mobilis häufig als belangloser Nebenbefund
bei Neurasthenie besteht, lassen die Fälle von Lageverände-
rung, die für die Pessarbehandlung ausersehen sind, als eine
Minderzahl erscheinen. Demgegenüber steht nur der Umstand,
dass die Frauen selbst, und besonders die hier am ersten in
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1435
Betracht kommenden neurasthenischen, auf eine einmal kon¬
statierte Lageveränderung ein grosses Gewicht zu legen. Da hilft
es nun nicht, ihnen die Abnormität zu verheimlichen, weil sie
bei ihrer Freizügigkeit dieselbe wenn nicht vom ersten, so vom
zweiten oder dritten Arzt erfahren, der dann einen besonderen
Ruhm erntet. Aber gerade weil sie so ungebührliche Bedeu¬
tung auf ihre „Knickung“ legen, ist hier auch nur die Operation
am Platze, von der ein ganz anderer suggestiver Einfluss aus¬
geht, als von einer langwierigen und umständlichen Pessar¬
behandlung, die erfahrungsgemäss eben nie recht Erfolg hat
und früher oder später der Operation den Platz freigibt. Des¬
halb kann man bei neurasthenischen Frauen, die an Retroflexio
leiden, nur das Prinzip haben, ihnen die Falschlage des Uterus
nicht zu verheimlichen, deren Bedeutungslosigkeit aber ein¬
dringlich vor Augen zu führen und die Allgemeinbehandlung
als das einzig Richtige vorzustellen. Gewinnt man dann den
Eindruck, dass die Patientin ihrer Retroflexio trotzdem nach¬
hängt, dann nur Operation, kein Pessar!
Wenn wir also den Grundsatz aufstellen: bei Vorfällen nur
Operation, bei mobilen Retroflexionen Allgemeinbehandlung
oder Operation, so hat doch jede der beiden Lageverände¬
rungen eine Ausnahme von dieser Regel aufzuweisen. Bei der
mobilen Retroflexio ist es die im Wochenbett nach rückwärts
gesunkene Gebärmutter, bei der immer Aufrichtung und Ein¬
legen eines Hodgepessars für einige Wochen genügt, um auf die
fortschreitende postpuerperale Involution dahin einzuwirken,
dass dauernd die Restitutio ad integrum erreicht wird.
Dasselbe begünstigende Moment, die Involution der Geni¬
talien, kommt der zweiten Ausnahme zu statten, nämlich dem
senilen Totalprolaps. Auch hier kann, wenn durch ein pas¬
sendes Pessar der Vorfall eine Zeitlang gründlich zurück-
gehalten worden ist, wenn die Genitalien längerhin in normaler
Lage in der Bauchhöhle erhalten worden sind, die senile
Schrumpfung so heilend einwirken, dass der Vorfall gänzlich
beseitigt bleibt. Durch Behandlung mit dem Menge sehen
Keulenpessar habe ich eine Anzahl Matronen, die unter ihren
grossen Vorfällen bedauerlich litten, nicht nur von ihren
Leidenszuständen, sondern von dem Vorfall befreit werden
sehen, so dass das Pessar überflüssig wurde. Auch von anderer
Seite wurden mir diese günstigen Erfolge bestätigt. Das
Keulenpessar hält eben wie kein anderes den gesamten Vor¬
fall, in Sonderheit die Rekto- und Zystozele zurück, was auf
die Wirkung der Keule zu beziehen ist, die durch ihre relative
Länge und Umfänglichkeit dem Pessar die richtige Lage in der
konischen, senilen Vagina, die keine Scheidengewölbe mehr
besitzt, erzwingt. Wie rasch die senile Gewebsschrumpfung
beim Tragen eines geeigneten Pessars die Heilung des Vor¬
falls in die Wege leitet, beweist ein uns berichteter Fall, wo
nach nur zweijährigem Tragen des Keulenpessars unterhalb
desselben eine so hochgradige, ringförmige Verengerung der
Scheide aufgetreten war, dass der behandelnde Arzt zur Ent¬
fernung des Ringes die Durchtrennung desselben mit der
G i g 1 i sehen Drahtsäge vornehmen musste.
Ich selbst habe bei einer allerdings bereits Siebzigjährigen,
die das Keulenpessar nur kurze Zeit getragen, und bei der der
allmonatliche Ringwechsel eine zunehmende Verengerung der
Vagina deutlich erkennen liess, das Pessar eben noch ohne der¬
artige Zerstückelung herausnehmen können, als es aus äusseren
Gründen einmal zwei Monate lang in situ geblieben war.
Dass das Pessar überhaupt einen weitgehenden Ankiang
gefunden, erhellt daraus, dass Frauen mit zur Operation indi¬
zierten Vorfällen eigens der neuen Pessars wegen zugereist
kamen2 3)- Herr Prof. Menge hat zur Erleichterung des Ein¬
setzens und Entfernens der Keule neuerdings eine kleine Zange
bei Alex. Schädel in Leipzig anfertigen lassen, die, wie die
Abbildung zeigt, durch Cremaillere fest schliesst und die Keule
durch konform gebogene, gefensterte Löffel umklammert. Wenn
man sich mit zwei Fingern den in die Vagina eingeführten
Ring des Pessars fixiert, gelingt dann mit Hilfe dieser kleinen
Zange die Applikation oder Entfernung der Keule spielend leicht.
Aus der Kinder-Poliklinik und -Klinik der Universität Strassburg
(Direktor: Prof. Dr. O. K o h t s).
Vergleichend-therapeutische Versuche bei Rachitis.1)
Von Dr. Paul S i 1 1 1 e r, Assistenten der Klinik.
M. H. ! Solange uns die Aetiologie der Rachitis noch un¬
bekannt ist, so lange wird auch deren Therapie naturgemäss
sich auf rein empirischem Gebiete bewegen müssen. Und
dass diese Therapie das ihr gesteckte Ziel noch nicht erreicht
hat, beweisen die fortwährenden Anpreisungen von neuen
therapeutischen Agentien gegen Rachitis. Nur ein Mittel hat
sich bei der grösseren Mehrzahl der Aerzte während einer
längeren Zeitdauer Geltung zu verschaffen gewusst, der von
K a s s o w i t z empfohlene Phosphorlebertran, und auch dieses
Mittel geniesst keine unbeschränkte Anerkennung (H e u b n e r,
Zweifel1'). Von dieser vielfach erprobten Wirksamkeit des
Phosphorlebertrans ausgehend, sind dann in der neueren Zeit
zahlreiche von der chemischen Industrie hergestellte, besonders
organische Phosphorpräparate gegen Rachitis versucht worden
und mangels geeigneter Messmethoden blieb es dann dem
subjektiven Ermessen eines jeden einzelnen überlassen,
zu beurteilen, ob ein Versuch mit diesen Mitteln, der sich oft
nur auf eine minimale Anzahl von Kindern erstreckte, von
therapeutischem Erfolg begleitet war oder nicht.
Ehe ich Ihnen meine Versuche schildere, die ich in den 8 Mo¬
naten Oktober 1906 bis Mai 1907 an der Kinderpoliklinik und auf
der Kinderklinik (wo ich genauere Messungen machen konnte) an¬
gestellt habe, möchte ich Ihnen die Methoden beschreiben, mit denen
ich versucht habe, einige der hauptsächlichsten rachitischen Skelett-
difformitäten und deren Veränderungen zu messen.
Die rachitische Kyphose, eines der. Symptome, welches am
schnellsten auf eine geeignete Therapie hin reagiert, habe ich da¬
durch' gemessen, dass ich 2 (an ihren Enden) durch ein Scharnier¬
gelenk verbundene, gerade Stäbe in einer vertikalen Ebene so an den
Rücken anlegte, dass die beiden Schenkel des hierdurch gebildeten
Winkels sich an die mittleren Brust- und Kreuzwirbeldornen tan¬
gential anlegten, während das Scharniergelenk sich in der Höhe des¬
jenigen Wirbels befand, wo die Kyphose am stärksten war, also
meistens in der Höhe der Lendenwirbelsäule. Die Grosse des Win¬
kels wurde mit dem Winkelmesser (Transporteur) bestimmt.
Zur Messung der Stärke der Kraniotabes habe ich mir folgendes
Instrument konstruieren lassen3) (siehe Eig. l): In einem Ringe (a)
— mit einem Fussgestell (b) — ist verschieblich eine Hülse (c), deren
2) Eine für uns durchaus unerwünschte Folge seiner Beliebtheit,
da wir daran festhalten, dass der operable Prolaps operiert werden
muss.
D Nach einem Vortrag im Assistentenverein Strassburg.
2) Heubner: Lehrbuch der Kinderheilkunde, Bd. I., 2. Aufl.,
1906. Zweifel: Rachitis, Leipzig 1900.
3) Dies und das in Fig. 2 abgebildete Instrument wurden von
Instrumentenmacher W a 1 b und H e e r 1 e i n - Strassburg i. E. ange¬
fertigt.
3*
1436
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Inneres eine Feder enthält, welche durch einen Stempel (d) von
oben her zusammendriickbar ist. Den Druck des Stempels auf die
Feder in Kilogrammen zeigt eine an der Hülse (c) befindliche Skala
an. Das Instrument wird so auf den zu messenden weichen Schädel¬
knochen aufgesetzt, dass der unterste Teil der Hülse (c) — Durch¬
messer 1 cm — auf einer markierten Stelle aufsteht. Das Fuss-
gestell (b) des Ringes (a) ruht auf dem umgebenden Knochen und
fixiert damit den Ring. Die Messung erfolgt in der Weise, dass
bei fixiertem Ringe (a) der Stempel (d) in die Hülse (c) einge¬
drückt wird, wobei der Druck notiert wird, bei dem die Hülse sich
eben im Ringe nach unten zu verschieben anfängt, d. h. der Mini¬
maldruck in Kilogrammen und Bruchteilen davon, welcher .eben
nötig ist, um eine weiche Stelle eines 'Schädelknochen einzudrücken.
Schwieriger zu messen sind die Variationen an den Epiphysen¬
auftreibungen und der rachitische Rosenkranz, weil eine Verände¬
rung dieser Auftreibungen naturgemäss nur in sehr langsamen Tempo
vor sich geht. Für die Epiphysen bediente ich mich eines gewöhn¬
lichen sogenannten Kalibermasses, wie es in der Technik zur Mes¬
sung von Draht- oder Röhrendicken vielfach Verwendung findet, und
welches auf Millimeter, nötigenfalls auf A und Vs Millimeter geeicht
ist. Mit diesem Kalibermass wurde der längste (und event. kleinste)
Durchmesser der Epiphyse und ein paralleler Durchmesser an der
zugehörigen Diaphyse da bestimmt, wo sie am dünnsten war und
jedesmal beide Durchmesser und besonders deren Differenz notiert,
um bei den Messungen in der Zwischenzeit etwa eingetretene Aende-
rungen an der Dicke der Weichteile über den Knochen zu eliminieren.
Die Auftreibungen der Rippenknorpelknochengrenze wurden
mittels folgenden Instrumentes gemessen: In dem Viertelsbogenstiicke
(a) eines Kreises von 5 cm Radius befinden sich in Abständen von je
45 0 drei in radialer Richtung nach aussen verschiebliche Mass-
stäbe (b), deren Millimeterteilung so eingerichtet ist, dass der Null¬
punkt der Teilung dann abgelesen werden kann, wenn die 2 mm
breite Spitze (c) des Massstabes genau im Zentrum des Kreisbogens
steht (siehe Fig. 2). Dieses Instrument wird (in einer zur Rippe
senkrechten Ebene) so an die zu messende Rippenverdickung gelegt,
dass der mittlere von den 3 Massstäben senkrecht auf der Körper-
oberfläche des Kindes steht und die 2 anderen Massstäbe möglichst
die Rippenauftreibung so berühren, dass zwischen ihren Endpunkten
(Spitzen) der grösste Durchmesser der Auftreibung liegt. Die Mes¬
sungen mit diesem Instrument ergeben etwas weniger objektive Re¬
sultate als die vorhergehenden, weil das Resultat hier viel mehr von
der Genauigkeit abhängt, mit der das Instrument auf die Rippenver¬
dickung aufgesetzt wird. Doch gewöhnt sich ein und derselbe Unter¬
sucher nach einiger Uebung leicht daran, die Messung immer in der
gleichen Weise auszuführen, so dass seine Resultate untereinander
ohne weiteres vergleichbar sind und somit auch einen eventuellen Er¬
folg der Therapie erkennen lassen.
Meine Versuche erstreckten sich auf ein Material von
über 200 Kindern mit mehr oder weniger schweren, zum Teil
sogar sehr schweren Symptomen von florider Rachitis. —
Angewandt habe ich folgende Präparate:
mehrmals täglich je
1 — 3 mal
tägl. 0,1 g
Eisen in Form von Liq. ferri albuminat.
zu 10—20 Tropfen
und Ti net. ferri pomat. zu 4—5 Tropfen / nach dem Alter
Chlorkalium (Kalium chloratum) 1 — 2 mal tägl. 0,1 g.
Glyzerinphosphorsaures Kalium
„ Natrium
„ Kalzium
„ Eisen
Lezithin in Tabletten ä 0,025 g zu 2 — 4
Carniferrin in Pulvern von 0,1 — 0,2 g tägl.
Acidum n u dein i cum aus Hefe dargestellt
Acidum nucleinicum animale
Natrium nucleinicum
Ferrum nucleinicum
Phosphorlebertran (0,01:100,0) 1 — 2 Theelöffel
Phytin 0,5— 1,0 pro die.
in 50 proz.
Lösungen
als Pulver
Stück tägl.
als Pulver zu 0,1
bis 0,4 g tägl.
tägl.
Dieser empirischen Auswahl der Präparate lag die r e i n
theoretische Betrachtung zu gründe, dass natürlich ge¬
nährte Kinder in viel geringerem Verhältnis an Rachitis (und be¬
sonders selten an deren schweren Formen) erkranken, als künst¬
lich (mit Kuhmilch) genährte. Es war also von Interesse, der Reihe
nach zu untersuchen, ob die therapeutische Verabreichung einiger
in der Frauenmilch in grösserer, in der Kuhmilch in kleinerer Menge
vorhandenen Stoffe einen Einfluss auf die Rachitis auszuiiben ver¬
möchte, und verschiedene Kinder mit verschiedenen Präparaten gleich¬
zeitig und nebeneinander zu behandeln. Insbesondere kamen die
anorganischen und die phosphorhaltigen organischen Bestandteile
in Betracht: Eisen findet sich in Frauen- und in Kuhmilch fast in
gleicher Menge, wird aber aus ersterer besser resorbiert als als
aus Tiermilch (Krasnogorsky4). — Natriumoxyd findet sich
in Kuhmilch über 3 mal soviel wie in Frauenmilch, Kaliumoxyd
ca. 2Y2 mal soviel. Es ist daran zu denken, dass die grössere Kalium¬
menge der Kuhmilch eine erhöhte Natrium- und Chlorausscheidung
im Säuglingsharn zur Folge hat (cf. Bunge5 *), und dass dadurch
(auf dem Wege einer Verminderung der Kalziumresorption) der
rachitische Prozess ausgelöst werden könne, wie Seemann, Zan¬
der0) und Zweifel (1. c.) gemeint haben, eine Hypothese die
hinfällig geworden ist durch den Nachweis, dass „bei der Rachitis
der Kalkgehalt der weichen Organe nicht vermindert ist“ (Stöltz-
ner 1. c.) Auf Grund dieser Hypothesen war die therapeutische
Anwendung von Kochsalz empfohlen worden. — Zweitens ist im Gegen¬
satz hierzu darauf aufmerksam zu machen, dass nach den meisten
neueren Aschenanalysen das Verhältnis von Kaliumoxyd zu Natrium¬
oxyd in Frauenmilch grösser als 3:1 ist, während es in der Kuh¬
milch nur 2Vz : 1 und darunter beträgt; und da Jacques L ö b 7)
in seinen Versuchen am Froschmuskel gezeigt hat, dass den Ka¬
liumionen eine antagonistische Wirkung gegenüber Natriumionen zu¬
kommt, so könnte vielleicht ein verhältnismässiger
Mangel an Kalium bei der höheren Zahl der Erkrankungen von Kuh¬
milchkindern an Rachitis eine Rolle spielen; aus diesem Grunde habe
ich durch Eingeben von Chlorkalium bei Kuhmilchkindern das
Verhältnis K : Na dem der Frauenmilch ähnlicher zu machen versucht.
Das Chlorsalz wurde hierzu gewählt, um den Natriumstoffwechsel
möglichst wenig zu beeinflussen. — Drittens könnte (neben anderen
Faktoren) der de facto höhere Kaliumgehalt der Kuhmilch auch
direkt auf den rachitischen Prozess einwirken, wie es meine unten
angeführten schlechten Resultate mit KCl annehmen lassen (cf. auch
H. Aron, Pflügers Archiv, Bd. 106, pag. 91). Esser8)
hat kürzlich die Aetiologie der Rachitis in alleiniger Ueberfiitterung
(besonders mit Milch) sehen zu müssen geglaubt. Nun ist Milch, be¬
sonders Kuhmilch, ja ein verhältnismässig sehr kalireiches Nahrungs¬
mittel. Ich kann hinzufügen, dass ich häufig bei Mehlkindern
schwere Formen von Rachitis sah, und gerade die zur Kinderernäh¬
rung gebräuchlichen Mehle zeichnen sich durch einen hohen Gehalt
an Kali aus.
Weiter als ätiologisches Moment könnten in Betracht kommen die
in Kuhmilch in viel grösserer Menge vorhandenen Magnesium¬
salze, die nach Malcolm9) bei wachsenden Tieren den Kal¬
ziumansatz verhindern sollen, und .es wäre interessant, eine the¬
rapeutische Beeinflussung der Rachitis durch magnesiumarme Nahrung
oder, falls es gelingen würde, in der Kuhmilch die Magnesiumsalze
ohne Aenderung des Gehaltes an anderen Aschenbestandteilen (spe¬
ziell an Ca) zur Ausfüllung zu bringen, durch eine derartig ver¬
änderte Kuhmilch zu versuchen.
Der Phosphorgehalt der Frauenmilch ist besonders in
qualitativer Hinsicht ein anderer als in der Kuhmilch. Nach der
Literaturzusammenstellung von Gilbert und Posternak10) fin¬
det sich in der Frauenmilch der Phosphor fast „ausschliesslich“ in
organischer Bindung [Albu11) gibt für Frauenmilch 77 Proz. des
Gesamtphosphors als organisch gebunden an, Schlossmann12)
eine noch kleinere Prozentzahl], während in der Kuhmilch nur
40,8 Proz. (Albu: nur 27,9 Proz.) des Gesamtphosphors organisch
gebunden sind; und zwar sollen in der Frauenmilch hauptsächlich
Nukleon (Siegfried 13) und in zweiter Linie Lezithin
(Stoklasa13) in viel grösserer Menge als in der Kuhmilch ver¬
treten sein. — Das im Kasein enthaltene Paranuklein, das in Kuhmilch
quantitativ überwiegt, dürfte nicht so sehr vom Paranuklein des
Frauenkaseins verschieden sein, was sich daraus vermuten lässt,
dass Abderhalden und Schittenhelm 14) beim Abbau von
4) Jahrbuch für Kinderheilkunde, Bd. 64. Die Ausnutzung des
Eisens beim Säugling.
ft) Bunge: Physiologie, II. Bd.
°) Stöltzner: Pathologie und Therapie der Rachitis, Ber¬
lin 1904.
') Zit. bei Abderhalden: Lehrbuch der physiologischen
Chemie, Berlin 1906.
8) Die Aetiologie der Rachitis. Münch, med. Wochenschr., No.
17, 1907.
”) Zit. bei Abderhalden: Physiologische Chemie.
10) Gilbert-Posternak: La medication phosphoree.
Paris 1903.
n) Albu-Neuberg: Mineralstoffwechsel. Berlin 1906.
1L’) Schloss mann: Archiv f. Kinderheilk., Bd. 40, p. 1.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
verschiedenen Tierkasei'nen, z. T. auch bei Menschenkase'in die¬
selben Abbauprodukte und in ähnlichen Verhältniszahlen gefun¬
den haben. — Als Derivat des Nukleons habe ich das Carniferrin
angewandt, eine (aus Fleischextrakt dargestellte) Eisenverbindung der
Phosphorfleischsäure, des phosphorhaltigen Nukleonbestandteiles.
Von Lezithinpräparaten kamen Ovo- Lezithin (Merck) und
verschiedene Salze der Glyzerin phosphorsäure zur
Anwendung. — Ich will an dieser Stelle nur kurz bemerken, dass die
von Stock lasa gefundene Grösse des Lezithingehaltes der
Frauenmilch von Schlossmann (1. c.) bestritten worden ist, und
dass kürzlich R a u d n i t z 15) die sog. Nukleone für „Kunstprodukte“
erklärt hat.
Die Nukleinsäure (über deren Verdauung siehe Ab¬
derhalden 1. c. pag. 313) und deren Salze (Merck sehe Prä¬
parate) habe ich als mit dem Nukleon chemisch verwandte Sub¬
stanzen in meine Versuche einbezogen und dies um so eher, als mir
aus den histochemischen Untersuchungen von G r a n d i s und
Main in i, wie sie Stöltzner (1. c.) schildert, hervorzugehen
scheint, dass gerade die in den Kernen der Epiphysenknorpelzellen
vorhandenen Phosphor-(Nuklein-)verbindungen einen wesentlichen
Anteil an der Verknöcherung des wachsenden Knochens nehmen.
Phosphorlebertran habe ich als ein bei Rachitis schon
erprobtes therapeutisches Agens zur Kontrollierung der anderen Prä¬
parate verwandt, während ich die aus Vegetabilien rein dargestellte
organische Phosphor Verbindung Phytin zum Vergleiche mit den
übrigen Phosphorverbindungen beizog.
Nährpräparate, in denen meist ein unbekannter phosphorhaltiger
Körper, eventuell noch andere wirksame Substanzen verabreicht
werden, wie z. B. die jüngst empfohlene Hanfmehlsuppe16), habe ich
nicht angewandt.
Es sei noch besonders hervorgehoben, dass bei sämtlichen Ver¬
suchen den Eltern streng angeordnet wurde, bei den behandelten Kin¬
dern keinerlei Diätwechsel vorzunehmen, also die alte Diät beizu¬
behalten, auch wenn infolge der verabreichten Präparate der Appetit
sich besserte. Ebenso wurden hydrotherapeutische Massnahmen
(Salzbäder u. ä.) bei den Versuchen ausgeschlossen.
Die Versuche wurden derart durchgeführt, dass bei jedem
Patienten während der Dauer von mindestens 1 A—2 Monaten
und länger, soweit sie nicht vorzeitig der Behandlung entzogen
wurden, eines der Präparate allein oder Kombinationen von
mehreren Präparaten gegeben wurden.
Bezüglich meiner Resultate kann ich mich kurz fassen.
(Auf die Anführung von einzelnen Krankengeschichten glaube
ich um so eher verzichten zu können, als ich meine schliessliche
Behandlungsmethode, so lange sie nicht von einer grösseren
Anzahl von Aerzten an einem sehr grossen Material nach¬
geprüft ist, nur als therapeutischen Versuch betrachtet wissen
möchte.) — Es ist mir, mit alleiniger Ausnahme der Nuklein¬
säure und ihrer Verbindungen, nicht gelungen, mit einem der
sonst versuchten Präparate (innerhalb der allerdings etwas
kurzen Versuchszeit) irgendwelche Einwirkung auf den rachi¬
tischen Prozess zu erzielen. Zwar machte sich in den meisten
Fällen ein günstiger Einfluss der verabreichten Präparate auf
den Appetit und in der Folge auf das Körpergewicht bemerkbar,
auch habe ich in vielen Fällen nach Anwendung der glyzerin¬
phosphorsauren Salze (weniger des Lezithins, das ich vielleicht
in zu geringer Dosis gegeben habe) und des Carniferrins ein
Verschwinden der bei Rachitis oft vorhandenen nervösen
Störungen (Laryngospasmus etc.) gesehen, aber eine Wirkung
auf den Knochenprozess schienen mir nur die Präparate der
Nukleinsäure zu haben, und hier wieder die aus Hefe dar¬
gestellte Nukleinsäure schwächer als die drei anderen Prä¬
parate. — Ein schädlicher Einfluss auf den rachitischen Knochen¬
prozess, speziell die Kraniotabes, fiel mir bei Chlorkalium auf,
besonders bei Kindern unter 2 Jahren; in einem Fall nahmen
die Kraniotabes (und der Rosenkranz) unter Gebrauch von
täglich 0,15 KCl innerhalb eines Monats so schnell zu, dass ich
die weitere Anwendung des Präparates aufgab. Das andere
von mir gegebene Kaliumsalz (der Glyzerinphosphorsäure)
hatte keine so auffällige Verschlechterung der Rachitis zur
Folge.
Es lag nahe, die Nukleinsäure und deren Salze in Kom¬
bination mit den Glyzerinphosphaten zu geben, der Vollständig¬
keit halber habe ich auch verschiedene andere Kombinationen
der oben erwähnten Stoffe auf ihre Wirksamkeit untersucht,
13) s. Gilbert-Po sternak 1. c.
“) Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Bd. 47, 1906, p. 458.
lj) Handbuch der Kinderheilk. von Pfaundler-Schloss¬
mann, Bd. 1, I.
1B) Manchot: Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 12.
1437
Phosphorlebertran mit Eisenpräparaten, Carniferrin mit Gly-
zerinphösphaten und Lezithin, Phytin mit den gleichen Prä¬
paraten zusammen. Von diesen zuletzt genannten Kombina¬
tionen habe ich keinen Einfluss auf den rachitischen Prozess ge¬
sehen (bei 2 älteren Kindern besserte sich die Rachitis etwas
nach Phytin plus Glyzerinphosphaten), während mir die gleich¬
zeitige Anwendung von Nukleinsäure und nukleinsauren Salzen
mit Glyzerinphosphaten viel besser auf die Rachitis eiu-
zuwirken schien, als Nukleinsäurepräparate allein (Nuklein¬
säure und Carniferrin wirkten nicht besser als Alleinanwendung
von Nukleinsäure; Natrium nucleinum, Calcium glycerino-
phosphoricum und Eisen — ausser bei stark anämischen Kin¬
dern — nicht besser als Nukleinsäure-Glyzerinphosphorsäure).
— Am meisten habe ich gleichzeitig verabreicht:
Natrium n u c 1 e I n i c u m zu 0,2 — 0,5 g und Cal¬
cium glycerinophosphoricum zu 0,1—0,25 g
(beide als Pulver)
oder:
Komprimierte Tabletten zu 0,1 g Natrium n u c 1 e i n i -
cum plus 0,05 g Calcium glycerinophos¬
phoricum (2 — 5 Stück täglich je nach dem Alter der
Kinder).
Die Firma Merck- Darmstadt machte mich darauf auf¬
merksam, dass die Präparate in kalter Lösung (Zucker¬
wasser, Milch) oder direkt (Schokoladetabletten) gegeben wer¬
den sollen. Acidum- oder Ferrum nucleinicum in Verbindung
mit Ferrum-, Natrium- (oder Calcium-) glycerinophosphoricum
wurden weniger oft gegeben, weil nach den 3 ersteren Prä¬
paraten einigemal Durchfall auftrat, während mit Natrium gly¬
cerinophosphoricum in 50 proz. (dicklicher) Lösung schwerer
zu arbeiten war. Die Empfehlung von glyzerinphosphorsaurem
Kalzium gilt nicht dem Kalziumpräparat, sondern der Glyzerin¬
phosphorsäure, wenngleich ich keineswegs den S i e g e r t -
sehen1') Standpunkt vertrete, der vorschlägt, man möge „bei
künftigen Versuchen, Rachitis experimentell zu erzeugen eher
zu viel Kalk verfüttern als zu wenig“. Dagegen möchte ich bei
der (neben einer medikamentösen Therapie) n i c h t z u ver¬
nachlässigenden diätetischen Behandlung
der Rachitis Nahrungsmittel mit starkem Kaliumgehalte
vermieden wissen, wie Kohlarten, Hülsenfrüchte und be¬
sonders Kartoffeln, die ja in den Bevölkerungsschichten,
die den höchsten Prozentsatz von Erkrankungen an Rachitis
bieten, eines der Hauptnahrungsmittel sind. 18)
Aus der I. med. Klinik München (Obermedizinalrat Professor
v. Bauer).
Tabes und pseudokombinierte Strangsklerose.
Von Dr. Hugo Kämmerer, Assistenzarzt.
Je eingehender und zahlreicher das Zentralnervensystem
an Tabes verstorbener Kranker histologisch durchmustert wird,
desto öfter vermisst man eine Beschränkung des Krankheits¬
prozesses auf die Hinterstränge. Bei einem grossen Bruchteil
findet man andere Fasersysteme mit ergriffen und erhält Bilder,
die man der grossen Gruppe der kombinierten Strangsklerosen
zuzurechnen hat. Da derartige Fälle aber schon ziemlich zahl¬
reich beschrieben sind, würde es sich kaum verlohnen, einen
einzelnen Fall zu publizieren, wäre es nicht interessant, auf
zwei fast konstante klinische Symptome hinzuweisen, aus denen
man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Schlüsse auf das
anatomische Verhalten ziehen kann.
Ich möchte daher in aller Kürze auf folgenden Fall ein-
gehen:
Im März 1905 wurde die 49 Jahre alte Kistenhändlersfrau R. Sch.
ins Krankenhaus gebracht. Sie gibt an, vor ca. 10 Jahren sich er¬
kältet und eine Heiserkeit zugezogen zu haben, die sich nach einigen
Monaten wieder besserte. Diese Heiserkeit stellte sich mehrmals
wieder ein und besserte sich immer wieder, bis die Patientin schliess¬
lich (vor ca. 8 Jahren) gänzlich heiser blieb. Bei diesem Zustand
fühlte sie sich in den ersten 1% bis 2 Jahren ganz wohl und ver-
17) Rhein.-westf. Gesellsch. f. innere Med., Februar 1905; ref.
Münch, med. Wochenschr. 1905, No. 13.
18) Meinem verehrten Chef, Herrn Prof K o h t s, der mir die
Mittel zu den vorliegenden Untersuchungen bewilligte, sage ich auch
an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank.
1438
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
richtete vollständig ihre Arbeit, hatte auch keinerlei Beschwerden.
Vor 4 — 5 Jahren, also ca. 3 Jahre nach der bestehenden andauernden
Heiserkeit gesellten sich Schmerzen in den Beinen dazu, die der
Patientin das Gehen und Stehen erschwerten. Diese Schmerzen
waren bei Nacht erheblich ärger, die Kranke hatte dabei das Gefühl,
als ob ihr jemand mit einem Messer in die Ober- und Unterschenkel
stechen würde und zwar bald hier bald dort. Gleichzeitig hatte sie
das Gefühl, als wenn ihr jemand die Taille mit grosser Gewalt zu-
schnüre und über den Leib abschneiden wolle. Die stechenden
Schmerzen in den unteren Extremitäten konnte sie durch Einger¬
druck zeitweise beseitigen. Ausserdem litt Patientin viel an Kopf¬
schmerzen. In der Zeit der Anfälle fiel ihr das Gehen schwer, in der
anfallsfreien Zeit ging es besser damit.
Bis März 1905 konnte sie m i t U n t e r s t ü t z u n g noch
einigermassen gehen. Seit dieser Zeit k ö n ne sie
weder gehen, noch stehen. Die oben erwähnten Schmerzen
habe sie jetzt nicht mehr, nur manchmal in weit geringerem Masse.
Patientin sucht jetzt das Krankenhaus auf, weil sie unfähig
ist zu gehen und zu stehen, den Urin anzuhalten und zu
entleeren. Auch den Stuhlgang könne sie nicht immer anhalten und
willkürlich entleeren. Ausserdem bestehe hartnäckige Verstopfung.
Frühere Krankheiten: Typhus im Alter von 6 Jahren, Gesichtsrose
mit 24 Jahren. Die Periode, früher stets regelmässig, sistiert seit
dem 45. Lebensjahre. Potatorium negiert. Geschlechtliche Infektion
negiert.
Objektiver Befund. Die Kranke ist mittelgross, von
leidlichem Knochenbau, massig entwickelter Muskulatur und geringem
Fettpolster, etwas blässer Gesichts- und Hautfarbe. Das Sensorium
ist frei. An der Haut keine Exantheme, keine Drüsenschwellungen,
keine Narben. Die Kopfhaare stehen dünn, jedoch kein deutlicher
Haarausfall. Am Hals Strumabildung geringen Grades.
Die Stimme ist klanglos. Die Laryngoskopie ergibt
doppelseitige Rekurrenslähmung..
Die inneren Organe bieten keinen bemerkenswerten krank¬
haften Befund. Keine Aorteninsuffizienz oder Aneurysma.
Nervensystem: Fazialis im oberen wie im unteren Teil in¬
takt. Beweglichkeit der Lider und Bulbi ungestört.
Die Pupillen sind mittelweit, die rechte deutlich
weiter als die linke. Beide reagieren auf Lichteinfall und
Konvergenz, aber beide etwas träge. Ophthalmoskopischer
Befund ohne Abweichung.
Die Sensibilität und Motilität im Trigeminusgebiet ist intakt.
Gehör ohne Störungen. Beweglichkeit der Zunge gut, keine Zungen¬
atrophie. Schlingbewegungen ohne Störung, Wirbelsäule normal.
Incontinentiaurinaeetalvi. An den beiden oberen Extremi¬
täten kein Tremor, keine Störung der aktiven Beweglichkeit und der
Sensibilität, aber hochgradige Ataxie. Muskulatur schlaff,
passive Beweglichkeit gut. Keine Atrophie an den Muskeln der
oberen Extremität. An den beiden unteren Extremitäten findet sich
zwar keine ausgesprochene Atrophie der Muskulatur, doch besteht
ein ziemlich hoher Grad von Hypotonie. Die grobe Kraft an der
unteren Extremität ist äusserst gering. Aktive Bewegungen können
zwar gut ausgeführt werden, jedoch besteht hochgradige Ataxie.
Astasie und Abasie. Die Sensibilität der unteren Extremi¬
täten zeigt sich für Berührungsempfindungen ohne wesentliche Stö¬
rungen, die Schmerzleitung scheint verlangsamt, die Schmerzempfin¬
dung eher gesteigert zu sein. Es bestehen Nachempfindungen und
Doppelempfindungen. Sehnenreflexe der oberen Extremität sind nicht
auslösbar. Bab inskischer Zehenreflex positiv. Die
Patellarreflexe fehlen beiderseits, ebenso die Achilles¬
sehnenreflexe. Bauchdeckenreflex nicht auslösbar. Vasomotorische
und trophische Störungen sind nicht vorhanden. Temperatur normal.
Urin: stark trüb, von stechendem Geruch und alkalischer Re¬
aktion. Menge 700 ccm, spezifisches Gewicht 1012. Im Sediment
massenhaft Schleim- und Eiterzellen, Tripelphosphatkristalle.
Ohne näheres Eingehen auf den weiteren Krankheitsverlauf,
der im grossen und ganzen keine wesentliche Aenderung des
Nervenbcfundes brachte, sei nur berichtet, dass die Kranke
schliesslich an den Folgen einer aufsteigenden Pyelonephritis
zugrunde ging.
An dem klinischen Bilde dieses Falles fällt ausser den
typischen Tabessymptomen hauptsächlich dreierlei auf: Die
Rekurrenslähmung, die hochgradige motorische Schwäche der
Beine und das B a b i n s k i sehe Phänomen.
Erstere ist ja bei der Tabes ein seltener, aber keineswegs
ungewöhnlicher Befund. So hat Oppenheim1) schon im
Jahre 1888 eingehend Degeneration des Vaguszentrums in der
Medulla oblongata und daraus resultierende Rekurrenslähmung
beschrieben. Unser Fall bereitete uns jedoch bei der Obduk¬
tion, wie wir sehen werden, eine unvermutete Ueberraschung.
Auf die beiden anderen Symptome ist etwas näher ein¬
zugehen. B a b i n s k i sprach auf dem medizinischen Kongress
J) Arch. f. Psych., Bd. XX, vgl. auch Cahn: Arch. f. klin.
Med., Bd. 73.
des Jahres 1900 in Paris die Meinung aus, dass die nicht seltene
Verbindung der Pyramidenseitenstrang-Degeneration mit der
Tabes von den Klinikern häufig nicht diagnostiziert würde.
A'lan erwarte sich bei der Läsion der Pyramidenstränge eben
immer spastische Kontrakturen und Erhöhung der Sehnen-
reflcxe, was jedoch bei der Verbindung mit Tabes meist fehle.
Bekanntlich hat besonders Westphal betont, dass, sobald
sich die Erkrankung der Seitenstränge bis ins Lendenmark
herab fortsetze, Rigidität der Muskulatur und Kontrakturen
nicht eintreten, sondern im Gegenteil motorische Schwäche,
resp. Lähmungen. B a b i n s k i hebt nun ausdrücklich hervor,
dass in solchen Fällen das nach ihm benannte Phänomen auf
ein Ergriffensein der Pyramidenbahnen hinweise. Mills-),
Collier :1), Oppenheim* 3 4), Kattwinkel "), Crou-
z o n “) u. a. bestätigen diese Ansicht. Motorische Schwäche
der Beine an und für sich kennen wir als ein regelmässiges
Symptom des sogen. 3. Stadiums der Tabes. In Verbindung
mit positivem Babinski wird abe‘r eine derartig hochgradige
und frühzeitig eingetretene Unfähigkeit zu gehen und zu stehen,
wie bei unserer Kranken, zu denken geben.
Wir finden also bei unserem Fall zwei Symptome, die mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf Mitergriffensein der Pyramiden¬
seitenstränge hinweisen; es kann die Wahrscheinlichkeits¬
diagnose auf die tabische Form der kombinierten Strang¬
sklerose gestellt werden, von der .Crouzon5) zusammen¬
fassend sagt: La forme de la sclerose combinee qui simule le
tabes vulgaire peut etre distinguee par trois symptömes: la
demarche avec trainement des jambes, la paraplegie, le pheno-
mene des orteils (signe de Babinski). Chacun de ces symptömes
a une valeur presque pathognomique par lui seul; mais l'asso-
ciation de deux ou des trois symptömes donne une plus grande
certitude au diagnostic.
Die Sektion des Falles ergab keinen bemerkenswerten
krankhaften Befund der inneren Organe.
Der in vivo kaum bemerkte Kropf entpuppte sich als ziemlich
grosse, z. T. substernale Struma, die Trachea und Oeso¬
phagus fast ringförmig umschnürte und die beider¬
seitigen Nervi recurrentes stark komprimierte
ja förmlich platt drückte. Die Rekurrenslähmung war also
eine periphere und hatte mit dem tabischen Prozess nichts zu
schaffen. Dementsprechend wurde auch in der Medulla oblongata
keine Veränderung des Vaguszentrums nachgewiesen.
Blase, Ureteren und Nieren boten das Bild aufsteigender Pyelo¬
nephritis.
Rückenmark: Im sehr verdickten und mit dem Mark viel¬
fach verwachsenen Duralsack eine reichliche Menge grauweisslicher
Flüssigkeit. Rückenmark selbst schmal, Zeichnung der Hinterstränge
und rechten Seitenstränge gelbgrau. Substanz ziemlich weich.
Gehirn: Makroskopisch ohne krankhaften Befund.
Bulbus und Rückenmark unterwarf ich weiterer histo¬
logischer Untersuchung. Härtung: Müller sehe Flüssigkeit.
Färbung: Weigert-Pal, Hämatoxylin-Eosin.
Es ergab sich folgendes:
Burbus: Keine Degeneration im Vaguszentrum, sogenanntes
Respirationsbündel und austretender Stamm des N. vagus erhalten.
Von den Kernen der Hinterstränge abwärts beträchtlicher Faser¬
schwund im Funiculus gracilis, geringer im Funiculus cuneatus.
Oberes Hals mark: Starker Faserschwund der G o 1 1 sehen
Stränge, der medianen und der Li s s a u e r sehen Zone, fehlender,
resp. geringer Faserschwund in der kornu-kommissuralen, mittleren
und hinteren inneren Wurzelzone. Lateralstränge ohne Faser¬
schwund.
Mittlere Zervikalanschwellung: Ebenso. Seiten¬
stränge ebenfalls frei.
6. Zervikalsegment: Sehr starker Faserschwund in den
G o 1 1 sehen Strängen. Erweiterung der Gefässe, zahlreiche Saft-
liicken. Starker Schwund der L i s s a u e r sehen Zone.
3. Dorsalsegment: Wie das Vorige. Auffallend die Erwei¬
terung der die Gefässe umgebenden Lymphräume in den Hinter¬
strängen.
8. Dorsalsegment: Wie das Vorige. Lateralstränge, wie
bisher immer, frei.
11. Dorsalsegment: Besonders in der medianen Zone, der
mittleren Wurzelzone und dem medialen Teil der hinteren inneren
Wurzelzone hochgradiger Faserschwund. In den übrigen Partien des
-) Journ. of nerv and mental dis. 1899.
3) Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten 1902.
') Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten 1902.
5) Deutsches Arch. f. klin. Med., 75 Bd.
") Crouzon: Des scleroses combinees de la moeile, Paris
190-1.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1439
Hinterstranges ebenfalls, aber weniger. Der Zentralkanal ist er¬
weitert und mit zahlreichen zelligen Elementen ausgef iillt.
12. Dorsalsegment: Hinterstrang wie 11. Im Seitenstrang,
im Qebiet der Pyramidenstränge und Umgebung, beginnen, nicht
scharf begrenzt, die Fasern weniger dicht zu stehen.
I, Lumbalsegment: Nur die ikornukommissurale Zone ist
wenig betroffen, sonst starker Faserschwund wie beim 12. Dorsal¬
segment, auch die Seitenstränge verhalten sich wie bei diesem.
3. Lumbalsegment: Auch hier besonders auffallend die
starke Gefässerweiterung in den Hintersträngen. Sonst wie im
vorigen. Kornukommissurale Zone nur wenig betroffen. Lateral¬
stränge wie beim 2. Lumbalsegment.
4. Lumbalsegment: Starkes Ergriffensein der mittleren, der
hinteren und der L i s s a u e r sehen Zone. Wenig die kornukommis¬
surale oder vordere Wurzelzone, weniger anscheinend auch die
mediane Zone. Bekanntlich erhalten die Fasern der letzteren und ein
Teil der Fasern der ersteren nach der Flechsig sehen Entwick¬
lungslehre zuerst ihre Myelinscheiden. Im Seitenstrang tritt hier ein
ganz deutliches dreieckiges Degenerationsfeld zu tage, das seine
Spitze gegen den äusseren Winkel der grauen Substanz richtet, mit
seiner Basis den Rand des Rückenmarks erreicht, ungefähr dem Pyra¬
midenstrang entspricht, aber die Grenzen anscheinend nicht genau
innehält. Auch im Gebiet der Kleinhirnseitenstränge stehen die Fasern
ziemlich dünn.
5. Lumbalsegment: Im Seitenstrang ein deutliches De¬
generationsdreieck im Gebiet der Pyramidenstränge. An den Klein¬
hirnsträngen nichts nachweisbar. Auch hier ist bei der Hämatoxylin-
Eosinfärbung sehr deutlich die Erweiterung und zellige Verstopfung
des Zentralkanals (vgl. Abbildung).
L Sakralsegment: Das relative Verschontsein der kornu-
kommissuralen und der medianen Zone (dorso-mediales Sakralbündel
Marie) ist hier sehr deutlich. Deutliches Dreieck im Bereich der
Pyramidenbahnen, wie bei den vorigen Segmenten.
3. Sakralsegment: Im Seitenstrang dreieckiges Feld.
4. Sakralsegment: Frei bleiben zwei der Medianlinie ent¬
lang ziehende Streifen des Hinterstranges, sonst ist dieser degeneriert.
Das laterale Degenerationsfeld ist hier nicht mehr sicher nach¬
weisbar.
Fast in der gesamten Ausdehnung des Rückenmarkes ist die
Pia mater auf dem ganzen Ouerschnitt verdickt und stellenweise
kleinzellig infiltriert. Die Gefässe zeigen vielfach Verdickung der
Intima. Eine deutliche Erkrankung von Vorderhornzellen war nicht
nachweisbar. Degenerationen in den ungekreuzten Pyramiden¬
strängen konnten nicht konstatiert werden.
Fassen wir den histologischen Befund zusammen, so kon¬
statieren wir Degeneration der Hinterstränge vom Sakralmark
bis in die Medulla oblongata mit starker Beteiligung der G o 1 1 -
sehen und geringerer der Bur dach sehen Stränge und der
kornukommissuralen Zone. Etwa vom 2. Lenden- bis zum
2. Sakralsegment Faserschwund im Gebiete der Pyramiden¬
seitenstränge, der sich nicht streng an dieses Fasersystem hält
und vom 4. Lenden- bis 1. Sakralsegment am deutlichsten als
dreieckiges Feld zutage tritt.
Es bestätigte sich also das aus den klinischen Erscheinungen
vermutete anatomische Bild. In den oberen Teilen des Rücken¬
marks das gewöhnliche Bild der Tabes, im Lenden- und Sakral¬
teil mit partieller Sklerose der Seitenstränge, besonders der
Pyramidenbahnen, kombiniert.
Aus der obigen anatomischen Beschreibung geht sofort
hervor, dass es sich nicht um eine systematische, d. h. ein
ganzes Fasersystem und nur dieses betreffende Sklerose han¬
delt, sondern um das, was von den Autoren „kombinierte
pseudosystematische Strangsklerose“ genannt
wird. Die Beschränkung auf das Gebiet des Pyramiden¬
stranges ist nur eine scheinbare, die Degeneration hält weder
in longitudinaler, noch in transversaler Richtung die Grenzen
dieses Fasersystems ein.
Es ist nicht der Zweck dieser Mitteilung, auf die 1 heorien
über die Aetiologie der pseudosystematischen Strangsklerose
näher einzugehen, besonders da dies ja von K a 1 1 w i n k e 1 7)
und anderen in ausführlicher Weise geschehen ist; es sei nur
erwähnt, dass die Gefässveränderungen, der vergrösserte und
mit zelligen Elementen verstopfte Zentralkanal, die Erweiterung
von Lymphspalten auf eine Alteration des lymphato-vaskulärgn
Apparates hinweisen 8).
An der vorliegenden Seitenstrangdegeneration muss sofort
auffallen, dass sie erst im Lendenteil beginnt und ihre grösste
Intensität in der Höhe des 4. Lumbal- bis 1. Sakralsegments
erreicht, also fast das Aussehen einer aufsteigenden, sich nach
oben allmählich verlierenden Degeneration der Pyramiden¬
seitenstränge hat. Jedenfalls ist dadurch eine von den Zentren
der Pyramidenstränge ausgehende Degeneration auszu-
schliessen.
S t r ii m p e 1 1 9), der 1886 einen ähnlichen Fall, bei dem je¬
doch die Degeneration weiter hinaufreichte, veröffentlichte, hat
die Ansicht, dass eben sekundär erkrankte Pyramidenstränge
abwärts, primär erkrankte aufwärts- degenerierten. Bewiesen
ist dies jedoch keineswegs. Ueberhaupt ist zurzeit eine hin¬
reichende Erklärung für diese eigentümliche Erscheinung noch
nicht gefunden.
Die Theorie von Gombault-Philippe10) und Klippel-
D urante* 11 ) — retrograde Degeneration bei Erkrankung der
Vorderhornzellen - — kommt nur dann in Betracht, wenn auch
eine Erkrankung der Vorderhornzellen nachweisbar ist. Dies
ist jedoch nicht immer der Fall und konnte auch bei uns nicht
nachgewiesen werden.
O b e r s t e i n e r 12) hält an der Degeneration nach Wal-
1 e r fest. Er glaubt, dass leichte lokale Meningitiden eine ge¬
ringe Menge von Pyramidenfasern zum Schwunde bringen.
Auf diese Weise degeneriere in jedem Segment eine bestimmte
Zahl von Fasern, wodurch in jedem Segment weiter unten eine
Summation eintritt. Sind also z. B. in drei unter einander
liegenden Segmenten je zwei Fasern zugrunde gegangen, so
degenerieren diese nach abwärts und wir finden im ersten
Segment zwei, im 2. Segment vier und im 3. sechs degenerierte
Fasern — also eine scheinbar nach oben schwindende De¬
generation.
Allein K a 1 1 w i n k e 1 7) macht mit Recht darauf auf¬
merksam, dass eine derartige aufsteigende Degeneration auch
bei intakten Meningen gefunden wurde (V i e r o r d t, Pal).
K a 1 1 w i n k e 1 1S) vermutet, dass im Pyramidenstrang
neben den eigentlichen motorischen Fasern noch andere, auf¬
steigend degenerierende verlaufen. Doch sind dadurch solche
Fälle, bei denen auf dem Querschnitt fast keine gesunde Faser
getroffen wird, schwer zu erklären.
An der Theorie O b e r s t e i n e r s u) scheint mir die Vor¬
stellung, scheinbar anfsteigende Degenerationen als in Wirk¬
lichkeit absteigende infolge von lokalen Prozessen (Meningitis)
anzusehen, besonders deswegen einleuchtend, weil sie von dem
Gesetz der absteigenden Waller sehen Degeneration der
Pyramidenbahnen keine Ausnahme macht. Es müsste ja dieser
lokale Prozess nicht immer gerade eine Meningitis sein, es
könnten ja auch hier Erkrankungen der Blutgefäss- und Lymph-
bahnen — im Sinne Pierre Maries — eine Rolle spielen. Bei
unserem Fall fanden sich sowohl meningitische- als Lymphweg-
veränderungen, doch lässt sich aus unseren Befunden kein
sicherer Stützpunkt für eine der genannten Theorien gewinnen.
Aus dem städt. Krankenhause Ludwigshafen a. Rh.
Zur Therapie der Sepsis.
Von F. Maier in Ludwigshafen a. Rh.
Da es leider eine unbestreitbare Tatsache ist, dass die
Therapie der schweren Sepsis jeder Art, trotz mannigfacher
Vorschläge, im Grund genommen doch immer noch recht im
Argen liegt, halte ich mich für berechtigt, einen Fall von puer-
7) 1. c.
s) Guillain: Rev. Neurol. 1899.
u) Arch. f. Psych., Bd 17.
lu) Arch. d. med. experim. 1894.
11 ) Revue de Med. 1895.
12) Obersteiner: Nervöse Zentralorganc, 1896.
13) 1. c.
14) 1. c.
Starker Faserschwund in der
mittleren, der hinteren inneren
Wurzelzone und der Li s sau er¬
sehen Zone. Wenig ergriffen die
kornu-kommissurale oder vordere
Wurzelzone.
In den Seitensträngen je ein
dreieckiges, den Pyramidensträn¬
gen entsprechend. Degenerations¬
feld. Erweiterung der Lvmph-
und Gefässspalten.
1440
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
peraler Septikämie zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, bei
welchem durch die eingeschlagene Therapie mit Salizylsäure
ein unzweifelhafter Heilerfolg erzielt wurde. Der Heilplan
gründete sich, um dies kurz vorauszuschicken, auf die bekannte
spezifische Heilwirkung der Salizylsäure bei gewissen sep¬
tischen Erkrankungen. Bereits seit längerer Zeit hatte ich an
einer Reihe septischer Patienten Versuche mit diesem Arznei¬
mittel gemacht, doch zwang mich meist die stark hervor¬
tretende unangenehme Wirkung der Salizylsäure auf das Ge-
fässzentrum bald, auf derartige Versuche zu verzichten. Diesen
IJebelstand suchte ich bei dem zu beschreibenden Fall dadurch
zu vermeiden, dass ich die Einzeldosis so niedrig wählte, dass
ein Kollaps nicht zu befürchten war. Wiederholt man dann die
kleine Einzeldosis in entsprechend kurzer Zeit, so kann man
unter Vermeidung der unerwünschten Nebenwirkung dem
Körper das Heilmittel trotzdem in ausreichender Menge zu¬
führen. — Es ist mir wohl bekannt, dass therapeutische Ver¬
suche mit Salizylpräparaten bei Sepsis längst gemacht sind,
und dass diese Therapie als völlig aussichtslos längst wieder
verlassen wurde. Umso wichtiger erscheint mir gerade des¬
halb die Veröffentlichung eines Falles, bei welchem sich eine
spezifische Heilwirkung der Salizylsäure mit Sicherheit kon¬
statieren lässt.
Nach diesen unerlässlichen Vorbemerkungen sei es mir ge¬
stattet, die Krankengeschichte des Falles ausführlich wieder¬
zugeben !
Anamnese: A. St., ledige Arbeiterin aus L., 20 Jahre alt.
Patientin wurde vor 14 Tagen mit der Zange entbunden. Indikation:
Sekundäre Wehenschwäche. Primipara. Eingriff erzielt ein lebendes
Kind. Post partum allmählicher Anstieg der mütterlichen Tempera¬
tur auf 40°. Von da ab bis zum Eintritt der Patientin ins Kranken¬
haus remittierendes Eieber, zwischen 39 und 40 0 schwankend. Keine
Schüttelfröste. Die damals vorgenommene Austastung des Uterus
erweist denselben als völlig leer, gut kontrahiert und sehr druck¬
empfindlich. Parametrien frei. In der Wand der Scheide mehrere
unbedeutende Verletzungen von gutem Aussehen. Zervix und Damm
intakt. Im Laufe der folgenden Tage infiltriert sich von den wahr¬
scheinlich durch die septischen Lochien infizierten Scheidenver¬
letzungen aus die ganze Scheide. Ich möchte hier vorausschicken,
dass beim Eintritt der Patientin ins Krankenhaus diese Infiltration
sich bereits völlig wieder zurückgebildet hatte, so dass nicht anzu¬
nehmen ist, dass das Fieber von hier ausging. Ausserdem bestand
auch die Druckempfindlichkeit des Uterus bereits, bevor die Scheide
infiziert wurde. Stärkerer Eiterabgang aus den Genitalien nicht be¬
obachtet. Brüste ohne pathologische Veränderungen.
Diese anamnestischen Angaben verdanke ich dem Arzt der
Patientin.
Am 30. Januar 1907 wurde Patientin in das hiesige Krankenhaus
eingeliefert.
Status: Schwerkrank aussehendes Mädchen. Hautfarbe fahl,
aschgrau. Schleimhäute sehr blass. Sensorium erheblich getrübt,
ausgeprägte Euphorie. Atmung rasch und oberflächlich. Zunge
trocken, rissig, stark belegt. Temperatur axillar 39,5. Puls regel¬
mässig, sehr klein, 140 Schläge pro Minute.
Herz: Grenzen normal. An der Spitze lautes schabendes
systolisches Geräusch, das schwächer über allen Ostien hörbar ist.
Zweiter Ton überall rein, ziemlich leise.
Lungen: Diffuse Bronchitis mässigen Grades. Sonst keine
pathologischen Veränderungen.
Die Brüste sind gut entwickelt und sezernieren reichlich. War¬
zen erektil. Kein patholoigscher Befund.
Abdomen: Etwas eingesunken, nirgends druckempfindlich.
Bauchdecken schlaff, starke Striae. Milz stark vergrössert, eben
unter dem Rippenbogen palpabel. Leber normal. Der Uterus steht
handbreit über der Symphyse und ist ausserordentlich druckempfind¬
lich. Parametrien frei, Zervix, Scheide, Vulva und Damm intakt.
Lochien triibserös, ziemlich übelriechend. Blase und Mastdarm funk¬
tionieren normal. Urin enthält etwas Albumen, kein Sacharum.
Diagnose: Endometritis septica, puerperale Septikämie.
Therapie: 30. I. 07. Patientin erhält zunächst etwas Wein
und eine Spritze Kampher. Nachdem sich der Puls etwas gehoben
hat, abends 11 Uhr abermals eine Spritze Kampher und gleichzeitig
0,75 g Aspirin. Der prompte Erfolg dieser Medikation war ein
schwerer Kollaps mit 35,4 Temperatur, Fazies, fadenförmigem, unzähl¬
barem Puls. Sofort eine Spritze Moschustinktur subkutan, dann
halbstündlich Kampher.
31. I. Um 3 Uhr morgens Schüttelfrost und Wiederanstieg der
Temperatur auf 39,5. Gegen 5 Uhr morgens hat sich der Puls
so weit gehoben, dass mit der Kampherverabfolgung einstweilen
aufgehört werden kann. Im Laufe des Vormittags noch zweimal
prophylaktisch je eine Spritze Kampher. Nachmittags 1 Uhr hat
sich der Puls soweit gekräftigt, dass ich glaubte, eine erneute
Aspirindosis riskieren zu können. Es werden 0,25 g Aspirin genom¬
men und gut vertragen. Von nun ab zweistündlich dieselbe Menge.
1. II. Während der ganzen Nacht zweistündlich 0,25 Aspirin.
Hierdurch wird ein allmähliches Absinken der Temperatur auf 37°
erreicht. (Nachmittags 4 Uhr.) Abends steigt die Temperatur trotz
fortgesetzter Aspirinverabreichung wieder auf 38° an.
2. II. Während der Nacht fortgesetzt Aspirin. Morgens 8 Uhr
Sensorium wesentlich freier, Puls lerheblich gekräftigt und verlang¬
samt. (110 Schläge.) Im Lauf des Vormittags sinkt die Temperatur
auf 36,5 ab. Abends 12 Uhr. Temperatur 37,5. Von nun an erhält
Patientin kein Aspirin mehr.
3. II. Morgens 8 Uhr ist die Temperatur wieder auf 39,8 ange¬
stiegen, Puls und Allgemeinbefinden erheblich verschlechtert. Wie¬
deraufnahme der zweistündlichen Aspirinmedikation. Hierdurch wird
ein Absinken der Temperatur auf 36,5 erreicht. (Nachmittags 4 Uhr.)
Abends 8 Uhr Temperatur 37. Von nun an Lein Aspirin
mehr. Abends 12 Uhr Temperatur 38,8.
4. II. Morgens 8 Uhr Temperatur 39,5. Puls klein, 120 Schläge,
Allgemeinbefinden schlecht.
Die Erfahrung der beiden letzten Tage, dass nämlich das Aus¬
setzen der Aspirinverabfolgung während der Nachtzeit regelmässig
erhebliche Verschlimmerung des Zustandes herbeiführe, veranlasste
mich, das Mittel von nun an auch während der Nacht wieder geben
zu lassen. Gleichzeitig verstärkte ich die Tagesdosis, indem ich 0,25 g
einstündlich geben liess. Während der Nacht glaubte ich mit der
früheren Dosierung auskonmien zu können. Der Erfolg war ein
prompter, indem am
5. II. Die Höchsttemperatur 38,5 betrug.
6. II. Patientin hat trotz der zweistündlichen Unterbrechung
die ganze Nacht zum ersten Mal vorzüglich geschlafen. Puls sehr
gekräftigt und verlangsamt (95 Schläge). Sensorium erheblich freier.
Subjektives Befinden sehr gut. Patientin liegt fortwährend in leich-
- tem Schweiss. Objektiver Untersuchungsbefund unverändert.
In der Zeit vom 7. — 10. II. trat wieder eine leichte Verschlimme¬
rung ein, indem untertags die Temperatur nicht unter 37° abfiel,
abends aber bis 38,8 anstieg. Daraus schloss ich, dass die zuge¬
führte Aspirinmenge nicht genüge, um ein dauerndes Fortschreiten
der Besserung zu erzielen. Ich liess deshalb ab 10. II. während des
Tages stündlich 0,3 g, nachts zweistündlich die gleiche Menge verab¬
reichen. Auch in dieser Dosis wurde das Mittel gut vertragen. Der
Erfolg war der, dass am
11. II. die Höchsttemperatur 37,6, die niedrigste aber 36,5 be¬
trug.
Es wurde nunmehr am 12., 13., 14. und 15. II. das Mittel in der
letztgenannten Dosis weitergegeben und dadurch erzielt, dass ab
14. II. Patientin völlig fieberfrei war. Vom 16. II. an wurde kein
Aspirin mehr verabreicht, ohne dass nochmals ein Temperatur¬
anstieg erfolgt wäre. Der objektive Untersuchungsbefund hatte sich
inzwischen folgendermassen geändert: Am 8. II. war das Geräusch
am Herzen verschwunden, der Puls schwankte zwischen 80 und 90
Schlägen. Der Uterus war nur noch wenig empfindlich. Am 11. II.
war der Urin zum ersten Mal völlig eiweissfrei, die Zunge feucht
und völlig gereinigt. Am 12. II. war die Milz nicht mehr palpabel,
der Uterus völlig unempfindlich, die Lochien normal.
Die weitere Rekonvaleszenz ging ohne Störung vor sich. Von
Medikamenten erhielt Patientin wegen der hartnäckigen Milzschwel¬
lung ab 25. II. geringe Chinindosen mit bestem Erfolg, ab 1. III. etwas
Eisen. Am 5. III. verliess sie ohne Zwischenfall das Bett, am 11. III.
konnte sie geheilt aus der Anstalt entlassen werden.
Interessant war das Verhalten der Leukozyten in unserem
Falle. Es liess sich nämlich im Beginn der Behandlung ein
allmähliges Ansteigen ihrer Anzahl beobachten. Der Höhepunkt
von 38 000 pro cmm wurde am 6. II., dem zweiten Tag der
beginnenden Entfieberung, erreicht. Von da an folgte mit fort¬
schreitender Entfieberung ein rascher Abfall: Am 10. II. betrug
ihre Zahl noch 18 000, am 16. II., i. e. am dritten Tag der völligen
Eieberfreiheit 8000 pro cmm. Also Anstieg der Leukozyten¬
zahl, bis die Kraft der Krankheit überwunden ist, dann rascher
Abfall. Dieses Verhalten scheint einen Beweis für die Richtig¬
keit der Anschauung zu erbringen, dass die Hyperleukozytose
bei Infektionskrankheiten gewisser Art als Verteidigungsmittel
des Organismus aufzufassen sei. Da ferner nach den Unter¬
suchungen Bohlandsu. a. die Salizylpräparate zu den beim
gesunden Menschen Hyperleukozytose hervorrufenden Mitteln
zu gehören scheinen, so liegt der Gedanke nahe, dass die Heil¬
wirkung des Aspirins in diesem Fall auf dieser Eigenschaft
beruhe.
Zum Schluss möchte ich mir erlauben, die meiner Ansicht
nach wichtigen Punkte bei dieser Art der Therapie kurz zu¬
sammenfassend hervorzuheben :
1. Beginn der Behandlung in jedem Fall prinzipiell mit
kleinen Dosen.
2. Prinzipielle Verabreichung auch während der Nacht.
3. Vorsichtige Steigerung der Dosen im Bedarfsfall.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1441
4. Prinzipielle Verabreichung, bis völlige Fieberfreiheit er¬
zielt wird.
Bei derartigem Vorgehen lässt sich eine ernstliche Schädi¬
gung des Patienten wohl mit Sicherheit vermeiden. Eine Be¬
lästigung des Magendarmtraktus habe ich nicht gesehen.
Wie sich andere Arten der Sepsis, als die beschriebene
zu dieser Behandlungsweise verhalten werden, bleibt abzu¬
warten; darüber bin ich mir natürlich völlig im Klaren, dass
nicht in allen Fällen ein derartig guter Erfolg zu erzielen sein
wird. Jedenfalls aber erscheint mir in allen ähnlich gelagerten
Fällen ein therapeutischer Versuch mit Aspirin gerechtfertigt,
und ös freut mich, konstatieren zu können, dass bereits in
mehreren Fällen hiesige Aerzte die gleiche Behandlungsweise
mit gutem Erfolg angewendet haben.
Meinem verehrten Chef, Herrn Dr. Westhoven, möchte
ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank für die Ueber-
lassung des Materials und manche Anregung bei der Arbeit
hiemit zum Ausdruck bringen.
Eine Veränderung der K i 1 1 i a n sehen Kanüle für Spülung
der Kieferhöhle vom mittleren Nasengange aus.
Von Dr. Wilh. Qrosskopff in Osnabrück.
Von K i 1 1 i a n ist seinerzeit eine sehr zweckmässige Kanüle
angegeben worden zur Spülung der Kieferhöhle vom mittleren Nasen¬
gange aus. Als eine Unannehmlichkeit beim Gebrauche derselben
empfand ich, dass die¬
selbe keinen derben,
festen Handgriff hatte.
Auf meine Veranlassung
hin hat deshalb die
Firma Windle r, Berlin
dieselbe in der Weise
verändert, dass dieselbe
an ihrer Abbiegungs¬
stelle am Naseneingang mit einem soliden festen Handgriff versehen
ist. Man kann so die Kanüle sowohl fester und ruhiger halten, als
auch bei etwaigem Durchstossen der dünnen Knochenlamelle grössere
Kraft anwenden. Die neue Form der Kanüle ergibt sich aus oben¬
stehender Abbildung.
Aus dem pharmakologischen Institute zu Halle.
Zur Streitfrage, ob das abweichende physiologische
Verhalten des Digalen (Cloetta) bedingt sein kann
durch den amorphen Zustand.
Von Dr. med. Herrn. Hildebrandt, Privatdozent an der
Universität Halle.
Wenn in einer fundamentalen Frage ein Austausch wider-
streitender Ansichten stattfindet, kann häufig eine Beobachtung
auf einem weniger verwickelten Gebiete klärend wirken; von
diesem Gesichtspunkte aus soll kurz über eine Untersuchung
berichtet werden, welche an anderer Stelle ausführlich mit¬
geteilt werden wird.
Das bisher nur in amorphem Zustande bekannte Alkaloid
Bebeerin ist unlängst von M. Scholtz*) in krystal-
lisierter Form erhalten worden und zwar sowohl die rechts¬
drehende als auch die linksdrehende Modifikation; je nach Wahl
des Lösungsmittels (Alkohol bezw. Chloroform) gelingt es,
daraus die krystallisierte Modifikation wieder zu er¬
halten oder aber sie in die amorphe überzuführen, welche
bei gleicher chemischer Zusammensetzung doch Ver¬
schiedenheiten im Schmelzpunkt, Löslichkeit
und, wie ich festgestellt habe, in der physiologischen
Wirkung zeigt, ohne dass sich eine Verschiedenheit des
Molekulargewichtes nachweisen lässt. Die amorphe Mo¬
difikation ist stets die stärker wirksame, gleichviel ob man
die linksdrehenden oder rechtsdrehenden Körper untersucht.
Diese Eigenschaft der amorphen Modifikationen ist höchst
wahrscheinlich bedingt durch eine leichtere Resorbirbarkeit,
zu deren Erklärung rein chemische Momente als nicht aus¬
reichend betrachtet werden können. Jedenfalls ist hier auf eine
Verschiedenheit der Molekulargrösse, die etwa eine ver¬
*) Archiv der Pharmazie, Bd. 244, S. 555 ff. (1906). Hier findet
sich auch bereits eine kurze Mitteilung meiner Versuche.
schiedene Diffusionsfähigkeit bedingen könnte, nicht zu re¬
kurrieren.
Hiernach würde, auch wenn sich später die vollständige
Identität des Digalen mit dem krystallinischen Digitoxin in
chemischer Hinsicht nachweisen lassen sollte, die Tatsache der
verschiedenartigen Wirkung nichts Auffallendes mehr haben.
Solange dieser Nachweis nicht erbracht ist, kann nur die
Möglichkeit zugegeben werden, dass im Digalen die
amorphe Modifikation des Digitoxin vorliegt.
Zur Differentialdiagnose der menschenpathogenen
Streptokokken.
Bemerkungen zu der Arbeit von Schultze in No. 24 dieser
Wochenschrift.
Von H. Beitzke und O. Rosenthal.
W. H. Schultze macht uns den Vorwurf, dass wir den
Lackmusmilchzuckeragar falsch hergestellt hätten, da die von uns
untersuchten Streptokokkenstämme zum Teil auf diesem Nährboden
nicht wuchsen. Logischerweise muss er dann denselben Vorwurf
gegen Levy, Nieter, Hirschbruch und Schwer erheben,
die auf demselben Nährboden ebenfalls ein ungleichartiges Wachstum
der von ihnen geprüften Streptokokkenstämme erhielten. Aber auch
das Eppendorfer Institut selbst scheint nicht in der Lage zu sein,
eine genaue Vorschrift zur Bereitung des fraglichen Nährbodens an¬
zugeben, denn wie Schultze schreibt, kommt es auch dort vor,
„dass auf einer Abkochung des Nutroseagars die Stämme nicht
ordentlich wachsen, während sie auf einer anderen sehr gut
gedeihen“; Schultze gibt also hiermit etwas zu, was
er einige zwanzig Zeilen vorher bestreitet. Es spricht gegen den
Wert der F r a e n k e 1 sehen Differenzierungsmethode, dass sie sich
auf ein Nährmedium stützt, dessen Konstanz der Zusammensetzung
die der Bakterienarten selbst nicht wesentlich übertrifft. Einspruch
erheben müssen wir aber vor allem gegen die Behauptung
Schultzes, dass wir mit ungleichmässigen Nährböden gearbeitet
hätten. Bezüglich des Lackmusmilchzuckeragars haben wir in unserer
von Schultze mehrfach zitierten Arbeit ausdrücklich gesagt
(S. 360): „Auch hier wurde für alle Stämme ein und derselbe Agar
verwandt.“ Es besteht also kein Grund, unsere Untersuchungsergeb¬
nisse als unzuverlässig anzusehen, und unsere auf Grund derselben
ausgesprochene Ansicht, dass die zur Differenzierung verschie¬
dener Streptokokkenarten herangezogenen Unterscheidungsmerkmale
variable Eigenschaften dieser Bakterien, also zu dem gedachten
Zweck nicht ausreichend sind, ist durch die Schultzesche Arbeit
nicht entkräftet worden.
Referate und Bücheranzeigen.
Räubers Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Neu
bearbeitet und herausgegeben von Fr. Kopsch. 7. Aufl.
Abteilung 4: Eingew'eide. Leipzig, Georg Thieme, 1907.
M. 10.50.
Die vierte Abteilung des Lehrbuches von Räuber-
Kopsch umfasst die Eingeweidelehre und stellt einen statt¬
lichen, mit vielen neuen und zum grossen Teil sehr schönen
Abbildungen ausgestatteten Band dar. Der Vorzug der neuen
Autotypien kommt dann besonders zur Geltung, wenn man sie
mit den aus den früheren Auflagen übernommenen Holz¬
schnitten (z. B. Fig. 189, 206, 275) vergleicht. Als besonders
gut gelungen müssen von den neu hinzugenommenen Auto¬
typien die grossen Bilder des Bauchsitus bezeichnet werden.
In meist vorzüglicher mehrfarbiger Autotypie sind die mikro¬
skopischen Bilder wiedergegeben und zwar wie auch in den
früheren Lieferungen in sehr beträchtlicher Grösse. Zu be¬
anstanden ist Fig. 97. Ein so wichtiges Bild wie die Innen¬
ansicht des Pharynx müsste besser dargestellt sein. In dem
Leberschema (Fig. 177) tritt der Uebergang der Leberzellen
in die Gallengangswandungen nicht hervor. — Die textliche
Darstellung ist eine sehr vollständige und übersichtliche, ohne
irgendwo in Breite auszuarten. Sobotta - Wiirzburg.
Die Koronararterien des menschlichen Herzens unter nor¬
malen und pathologischen Verhältnissen. Dargestellt in stereo¬
skopischen Röntgenbildern von Dr. F. J a m i n, a. o. Professor
und Dr. H. Merkel, Privatdozent. Aus der medizinischen
Klinik und dem pathologischen Institut zu Erlangen. Verlag
von Gustav Fischer in Jena. Preis M. 10. — .
Die Verfasser haben sich der technisch recht schwierigen
und medizinisch sehr interessanten Aufgabe unterzogen, die
1442
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Qefässverbreitung im menschlichen Herzen an Injektionsprä¬
paraten mittels stereoskopischer Röntgenbilder zu studieren.
Zu den betreffenden Untersuchungen wurden über 30 teils nor¬
male, teils pathologische Herzen vom Material des patho¬
logischen Instituts zu Erlangen verwendet. Aus der Schilde¬
rung der Technik ist zu ersehen, dass für die Injektionen Men¬
nige benutzt wurde, welches in verschiedenen rasch erstar¬
renden Lösungsmitteln in die Herzgefässe eingespritzt und dann
auf den stereoskopischen Bildern zur Darstellung des Verlaufes
der Herzarterien verwendet wurde. Der Blick auf die Bilder
im Stereoskop zeigt die Gefässverästelungen mit zum Teil fast
verblüffender Plastik, lässt die Verteilung der einzelnen Koro-
narienzweige auf die Herzabschnitte erkennen und zeigt die
bisher wohl noch nicht in solcher vollendeter Anschaulichkeit
zur Darstellung gelangten Anastomosen zwischen dem Ver¬
breitungsgebiet der rechten und der linken Koronararterie.
Dieser so anschauliche Nachweis wirft ein neues Licht auf ge¬
wisse klinische Beobachtungen bei teilweisem oder gänzlichem
Verschluss der Kranzarterien, deren Verbreitungsweise offen¬
bar erheblichen individuellen Variationen unterliegt. An einem
der Präparate zeigt sich, dass von der linken Koronararterie
aus eine ausreichende Blutversorgung des ganzen Herzens
stattfinden kann. Besonders interessant ist auch die Auf-
zeigung der in das Kammerseptum eintretenden Gefässe und
der reichen Gefässnetze, welche sich am hypertrophischen
Herzen entwickeln. Auch über den Umfang und die Intensität
der sklerotischen Verengerungen der Kranzarterien liegen auf
den Tafeln, welche technisch als sehr gelungen bezeichnet
werden müssen, interessante Beispiel vor. Die 30 Tafeln
werden in dem beigegebenen Text kurz erläutert. Die ver¬
dienstvolle Arbeit der Autoren rechtfertigt, dass auf sie be¬
sonders aufmerksam gemacht wird.
Grass mann - München.
G a r r e und E h r h a r d t: Nierenchirurgie. 348 S. Berlin,
Karger, 1907. Preis 12 M.
Ein Handbuch für Praktiker nennen die Autoren das vor¬
liegende Buch. Und in der Tat, für die praktischen Bedürfnisse
ist es berechnet, frei von allem überflüssigen Beiwerk, und
aus reicher praktischer Erfahrung heraus ist es geschrieben.
Die Beschränkung auf das Wesentliche kommt gleich in dem
ersten Kapitel über die Untersuchungsmethoden zum Ausdruck.
Die Literatur über Gefrierpunktsbestimmung, Phloridzin¬
diabetes, Stickstoffbestimmung hat bekanntlich einen solchen
Umfang angenommen, dass es schwer ist, zu sehen, was nun
richtig ist. Die Verfasser nehmen einen sehr unabhängigen,
mittleren Standpunkt ein, betonen die Vorteile der Methoden
und warnen vor ihrer Ueberschätzung.
Einer vorzüglichen Darstellung erfreut sich das Kapitel über
die allgemeine Operationslehre. Sehr klare Abbildungen unter¬
stützen die knapp gehaltene Beschreibung der einzelnen Opera¬
tionen, auch der Erfahrene wird in diesem Kapitel vielfache
Anregung finden. In sehr objektiver Weise sind bei der
Nephrektomie die Vorteile der lumbalen und transperi¬
tonealen Methoden gegeneinander abgewogen.
Bei der Therapie der Wanderniere berührt sehr wohltuend
die Zurückhaltung, die die Autoren der operativen Behandlung
gegenüber einzunehmen raten. Absolute Kontraindikation
gegen jeden operativen Eingriff bilden hysterische Beschwer¬
den, wenn sie das Krankheitsbild beherrschen. Die Mehrzahl
der Kranken wird durch orthopädisch-diätetische Kuren be¬
schwerdefrei.
Bei der Behandlung der Nierenrupturen weisen die Ver¬
fasser darauf hin, dass auch die schwersten Blutungen zum
Stillstand kommen können, und dass die Frage einer Operation
meist erst nach dem Verlauf einiger Tage erörtert zu werden
braucht. Mit der Nephrektomie konkurriert in sehr erfolg¬
reicher Weise die Naht und die Tamponade.
Bei der Behandlung der Nierentuberkulose werden die
grossen Vorteile der Nephrektomie ausgiebig gewürdigt. Weder
die Erkrankung der zweiten Niere, noch die der Blase, noch die
der Genitalorgane kann eine Gegenanzeige bilden.
Bei Nierensteinen raten die Verfasser zu einer operativen
Therapie, auch bei den röntgenographisch sicher nach¬
gewiesenen Steinen, die keine Beschwerden machen. Nicht zu
operieren sind diejenigen Fälle, bei denen unter oft wiederholten
Koliken stets kleine Konkremente entleert werden, in denen
dabei der Harn aseptisch ist und die Röntgenphotographie
einen grösseren Stein nicht erkennen lässt.
Gegenüber der chirurgischen Behandlung der Nephritis
nehmen die Verfasser eine sehr zurückhaltenden Standpunkt
ein. Bei genauer Prüfung der einschlägigen Fälle ist von
einem Einfluss der Operation nichts zu bemerken. Man darf
daher die weiteren Berichte der amerikanischen Anhänger der
Operation abwarten, ehe man selbst Erfahrungen sammelt.
Ref. hat nur einiges aus dem reichen Inhalte des Buches
herausgehoben. Die Proben zeigen, dass das vorliegende
Werk nicht nur die chirurgische Behandlung der Nieren¬
erkrankungen in mustergültiger Weise erörtert, sondern auch
deren Pathologie und Symptomatologie in ausführlicher Weise
berücksichtigt und daraus strenge Indikationen für die opera¬
tive Behandlung aufstellt. Das -Buch wird darum auch für den
Nichtchirurgen von grossem Werte sein. Krecke.
Therapeutische Technik für die ärztliche Praxis. Ein
Handbuch für Aerzte und Studierende. Herausgegeben von
Prof. Dr. Julius Schwalbe. Leipzig 1906. Verlag von
Georg T h i e m e. Preis M. 8.80.
Das zu besprechende Werk, in 2 Halbbänden erscheinend
und einschliesslich des beigegebenen Sachregisters 789 Seiten
umfassend, darf mit Fug und Recht als eine hervorragende Be¬
reicherung unseres medizinischen, speziell für den Praktiker
bestimmten, Bücherschatzes bezeichnet werden. Denn ein die
ärztliche Technik in solcher Ausführlichkeit und Anschaulich¬
keit behandelndes Unterrichtswerk, das zudem von so be¬
rufenen Autoren geschrieben ist, liegt meines Wissens bisher
nicht vor. Die Abfassung eines Werkes, das bestimmt ist, die
gerade auch auf dem so erweiterten Gebiete der ärztlichen
Technik gemachten Fortschritte zusammen zu fassen, lag ja
gewissermassen in der Luft und man muss sagen, dass die
in dieser Hinsicht gestellte Aufgabe von dem Herausgeber
und den sorgfältig erlesenen Bearbeitern der einzelnen Ka¬
pitel in ausgezeichneter Weise gelöst worden ist. Eine kurze
Uebersicht des Inhaltes wird am besten den reichen Inhalt
des Buches veranschaulichen. H o f f a - Berlin hat die Technik
der Massage und Gymnastik, sowüe der mechanischen Ortho¬
pädie bearbeitet, O. Vierordt (gest.) die Technik der
Hydro- und Thermotherapie, E. S c h m i d t - Berlin bearbeitete
das Kapitel der Radiotherapie, R. Robert- Rostock gibt eine
kurze und sehr gute Zusammenfassung über die Technik der
Arzneibereitung und Arzneianwendung. Ausgewählte Kapitel
aus der allgemeinen chirurgischen Technik sind von O. Hil¬
debrand- Berlin unter Mitwirkung von Bruno Bosse bei¬
gesteuert, welche besonders die neuerlich wichtigen Methoden
der Lokalanästhesie und Medullaranästhesie, sowie die wich¬
tigsten Vorschriften über Anti- und Asepsis betreffen. Den
Schluss des I. Halbbandes, welcher 290 Abbildungen enthält,
bildet die von E v e r s b u s c h -München geschriebene Ab¬
handlung über die Technik der Behandlung des Auges. Die
entsprechenden Kapitel über die technische Behandlung des
Ohres sind von F. Siebenmann - Basel, jene über Nase
und Rachen, Kehlkopf, Luftröhre und Bronchien von E. P.
F r i e d r i c h - Kiel geschrieben. Hoppe-Seyler - Kiel
lieferte das Kapitel über die Technik bei der Behandlung der
Pleura und der Lungen, Schwalbe - Berlin jenes betreff des
Herzens, Ad. S c h m i d t - Dresden jenes der Speiseröhre, des
Magens und Darmes. Die chirurgische Behandlung der letz¬
teren Organe ist von Czerny-, Heidelberg bearbeitet wor¬
den. Josef Englisch - Wien hat die Technik betreff der
Harn- und männlichen Genitalorgane, Fritsch -Bonn jene
der weiblichen Genitalorgane geschrieben. Von Strüm-
pell- Breslau und Ed. Müller- Breslau stammt 'der Ab¬
schnitt über das Nervensystem, in welchen sogar über die
psychische Behandlung der Neurasthenie praktische Winke
mit aufgenommen wmrden sind, wenn dieselben auch im stren¬
gen Sinn des Wortes nicht zur therapeutischen Technik ge¬
hören dürften. Der 2. Halbband bringt 169 Abbildungen. Der
besondere Wert des Werkes liegt in der aus den Stichproben
sich ergebenden Genauigkeit in der Beschreibung der Hand¬
griffe und Vornahmen, ferner in der Unterstützung der ein¬
gehenden Schilderungen durch zum allergrössten Teile gute
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1443
und anschauliche Originalbilder, endlich auch in der weit¬
gehenden Angabe der Indikationen der einzelnen Eingriffe. Für
eine 2. Auflage würde ich betreff der Illustrierung nur die Be¬
seitigung einiger etwas komisch wirkender Bilder, z. B. jenes
auf Seite 123 und einiger technisch weniger gelungenen, z. B.
Seite 311, 314 und 315, wünschen. Im übrigen empfehlen wir
das vortreffliche Werk den praktischen Aerzten in besonderem
Qrade. Grassmann - München.
W. Hausmanns Stereoskopbilder zur Prüfung für
binokulares Sehen und zu Uebungen für Schielende. 1907.
W. Engel m a n n. Preis 2 M.
Diese nun in zweiter Auflage erschienenen Stereoskop¬
bilder sind bestimmt für die orthopädische Behandlung Schielen¬
der und nach Schieioperationen, ferner bei Störungen des
Muskelgleichgewichtes und haben vor den gleichem Zwecke
dienenden, allerdings für kleinere Kinder ansprechenden
Bildern den Vorzug der Verschiebbarkeit und dass sie im
stereoskopischen Sammelbilde die Tiefenunterschiede erkennen
lassen. Sie dienen also dem von ihnen angestrebten Zwecke
weit vollkommener und wurden deshalb schon bei ihrem
ersten Erscheinen von Bielschowsky im 3. Heft, LXI.
Bandes des Archivs für Ophthalmologie mit Sachkenntnis
empfohlen. S e g g e 1.
Dr. Karl Oetker: Die Negerseele und die Deutschen in
Afrika. Ein Kampf gegen Missionen, Sittlichkeitsfanatismus
und Bureaukratie vom Standpunkt moderner Psychologie.
München, 1907. J. F. L e h m a n n s Verlag. 46 S. Preis M. 1.20.
Die kleine Broschüre bringt einen Versuch der Rassen¬
psychologie und zwar beschäftigt sie sich vorzüglich mit dem
Einfluss der christlichen Lehre auf den Neger und der Frage,
ob dieser vermöge seiner Veranlagung überhaupt die Möglich¬
keit hat, in absehbarer Zeit die abendländische Kultur mit
ihren komplizierten individuellen und sozialen Bestrebungen
zur seinigen zu machen. Von dem Einfluss der christlichen
Lehre auf den Neger verspricht sich der Verf. keine guten Er¬
folge; die Frage nach der Möglichkeit der Gewinnung des
Negers für abendländische Kultur beantwortet er im wesent¬
lichen negativ. Viele durch lange Erfahrung gewonnene und
ohne Voreingenommenheit gefällte Urteile werden den Leser
mit der Art der Darstellung, die nicht jedem sympathisch sein
wird, versöhnen. zur V e r t h - Berlin.
Briefe von Albrecht v. Gräfe an seinen Jugendfreund
Adolf Waldau. Aus dem Nachlass Waldaus, herausge¬
geben von Prof. R. G r e e f. Berlin, Wiesbaden. Verlag von
J. F. Bergman n, 1907. 127 Seiten.
Die Briefe geben nur einen Auslug auf eine Seite des
Charakters v. Graefes: sein Freundschaftsgefühl. Es ist
eine ungestüme, tiefe Freundschaft, die der junge Graefe
bietet und fordert. Wer sich ein rechtes Bild von dem Manne
gestalten will, kann die vorliegenden Briefe nicht entbehren.
Sie werden in der Bibliothek der Augenklinik in der Charite zu
Berlin aufbewahrt. Dort werden sie ein nicht wertloses histo¬
risches Interesse finden und behalten.
Max Nassauer - München.
Neueste Journallileratur.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. B r u n s.
54. Band, 2. Heft. Tübingen, Lau pp. 1907.
J. H. Zaaijer gibt aus der Amsterdamer chirurgischen Klinik
eine Arbeit über primäres Karzinom des Wurmfortsatzes. Seit
Eltings Arbeit hat sich die Zahl der betreffenden Fälle nahezu ver¬
doppelt. Z. fügt 5 neue den 55 sicheren Fällen von Appendixkarzinom
hinzu, berichtet speziell über den histologischen Befund; in zirka
der Hälfte der Fälle sind schon mehr als 2 Jahre vor dem Zustande¬
kommen des Karzinoms Entzündungserscheinungen aufgetreten und
es ist wahrscheinlich, dass eine chronische Entzündung bei der Kar¬
zinombildung in der Appendix eine ätiologisch bedeutungsvolle Rolle
spielt. Die Altersklasse von 10 — 40 Jahren war in der grossen Mehr¬
zahl der Fälle betroffen, kleine Appendixkarzinome kommen öfters
10 — 30 Jahre früher vor, als die grossen, die deutliche Erscheinungen
hervorrufen, meist sind Jahrzehnte für das Appendixkarzinom nötig,
um zu Zoekumkarzinom zu werden. Bei jugendlichen Personen ist
die relative Frequenz der rund- und polymorphzelligen Karzinome
der Appendix viel grösser, als dieselbe in anderen Teilen des Darmes;
histologisch hat das Appendixkarzinom, soweit es bis jetzt unter¬
sucht worden ist, einen sehr malignen Charakter. Die kleinen
Appendixkarzinome sind nicht diagnostizierbar. Da die Karzinome
der Appendix grosse Tendenz haben, auf das Mesenteriolum über¬
zugreifen, so rät Z., sobald bei einer Appendektomie eine Spitzen-
obliteration gefunden wird, das Mesenteriolum so breit wie möglich
mit hinwegzunehmen.
H. Flörcken beschreibt aus der Würzburger Klinik einen Fall
von subkutaner totaler Nierenruptur mit besonderer Berücksichtigung
des histologischen Befundes der rupturierten Niere. Bei einem 8 m
hoch abgestürzten Lehrling, bei dem rasch zunehmende Anämie und
Hämatombildung zu aktuellem Vorgehen nötigte, fand sich die Niere
vollkommen in 3 Teile geteilt. Die makroskopische und mikro¬
skopische Ausdehnung der Nierenverletzung lässt sich nach Fl. nur
durch die Küster sehe Theorie von der hydraulischen Pressung er¬
klären. Das retroperitoneale Hämatom erleichterte in dem betreffen¬
den Fall die Diagnose sehr und hatte die Nephrektomie vollkommenen
Erfolg. .
T. v. Verebely bespricht aus der Ofen-Pester Klinik die
Granulation des menschlichen Fettgewebes, die er an Serien, die
von Tag zu Tag das Weiterschreiten des Granulationsprozesses be¬
kunden, von der 1. bis 5. Woche studierte. Das Fettgewebe ist
danach geradeso an der Bildung der Granulationen beteiligt, wie
jedes Bindegewebe, von dem es sich nur dadurch unterscheidet,
dass in seinen Zellen Fett angehäuft ist. Dieses vermindert als
totes Material die Lebensfähigkeit seiner Zellen derart, dass sie
auf plötzliche intensive äussere Reize nicht mehr reagieren können,
ihr Fett wird dann entweder von der hereinströmenden Gewebs¬
flüssigkeit gelöst oder durch polynukleäre Wanderzellen und Bak¬
terien weggeschafft. Auf schwächere Reize können diese Zellen
zu neuem Leben erwachen oder sie können innerhalb der Fettzellen
zur Bildung einer lebenskräftigen Zellgeneration Gelegenheit geben.
Karl Borszeky berichtet ebenfalls aus E. Reczeys Klinik
über die Operationsmethoden der Hernia obturatoria. B. schildert
die Schwierigkeiten der Operation von aussen und beschreibt einen
Fall, bei dem alle Symptome der Hernia obturatoria fehlten und
wegen Ileus laparotomiert werden musste und von der Bauchhöhle
aus erst die eingeklemmte Hernia obturatoria erkannt und durch
kleine Inzisionen der einklemmende Ring erweitert wurde (überdies
aber ein Volvulus des Dünndarms beseitigt werden musste, dessen
Behandlung ohne Laparotomie unmöglich gewesen wäre). B. fol¬
gert, dass die einzig richtige Ooerationsmethode der inkarzerierten
Hernia obturatoria die Laparotomie ist, die nach Schwarz¬
schilds Statistik 42,85 Proz. Heilungen ergab.
Der gleiche Autor bespricht ferner narbige Darmstenosen nach
Brucheinklemmungen nach Studien an Resektionspräparaten des
Darmes. Die Resektion zeigte sich in 9 — 21 Proz. der eingeklemmten
Leistenhernien und 9 — 50 Proz. der Schenkelhernien nötig. Bei schon
entwickelter Stenose ist die Resektion des verengten Darmstückes
die einzig rationelle, radikale Methode, wenn der Zustand des Pat.
eine solche erlaubt.
R o i t h gibt aus der Heidelberger Klinik eine Arbeit „Zur Be¬
deutung der Flexura coli sinistra“.
R. ist geneigt, den Dickdarm in zwei anatomisch und physio¬
logisch verschiedene Gebiete einzuteilen, die fast konstant verschie¬
denen Füllungsgrad zeigen. Der proximale Teil (Zoekum, Colon asc.
und transvers.) verhält sich zum distalen (Colon descend. und Fle¬
xura sigm.). was Gas- und Kotfüllung anlangt wie 3Vz : 1, das Colon
desc. ist fast immer leer, ein Klappenmechanismus an der Flexura
coli sin. durch die spitzwinklige Abknickung an der fixierten Stelle
spielt dabei eine Rolle, auch die Wandstärke ist verschieden, auf¬
fallend. gering ist die Anzahl der Lymphwege in der Wand des Colon
desc., es liegt die Vermutung nahe, dass der Darminhalt in dem
proximalen Teil viel länger verweit, als im distalen. Die radio¬
graphischen Untersuchungen Rieders nach entsprechendem Ein¬
füllen von Wismutsuspensionen zeigten auch, dass diese 3 — 4 Tage
im Dickdarm nachzuweisen sind. Wenn tatsächlich die Resorption im
- proximalen Dickdarmschenkel zum grössten Teil vor sich geht, so
scheint es R. empfehlenswert, bei Enterostomie und Enteroanasto-
mosen am Dickdarm, möglichst viel vom proximalen Dickdarmab¬
schnitt zu erhalten resp. den Anus praeternat. möglichst kranial in
der Nähe der linken Flexur anzulegen, umsomehr als man da auch
wegen des kurzen Mesenterium des Colon transversum den 'Prolaps
aus dem Anus leichter vermeidet und wegen konsistenteren Kotes
auf leichtere Reinhaltung rechnen darf.
F. W. Kausch berichtet aus dem städt. Krankenhaus Schöne¬
berg über Blindsacksanduhrmagen und eine Modifikation der Gastro¬
enterostomie. Letztere besteht darin, dass K. eine kürzere Schlinge
nimmt als das bisher geschah, sie sagittal liegen lässt und quer
(im Sinne des Darmes) an den Magen (an dessen Wand längs) be¬
festigt und in demselben Sinne eröffnet, der Hauptvorzug seiner
Modifikation der G. retrocolica post, ist der, dass die einfache
Anlegung der Fistel (ohne jede komplizierende Hilfsoperation sichere
Funktion der Fistel garantiert.
Prof. Herrn. K ü 1 1 n e r berichtet aus der Marburger Klinik über
sequestrierende Milzabszesse und teilt u. a. den Fall einer 35 jähr.
ohne bekannte Ursache fieberhaft erkrankten luetischen Frau mit
langsam zunehmender sprunghafter Vergrösserung der Milz mit. Auf
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
1444
eine Punktion im hinteren Abschnitt des 11. linken Interkostalraum
(wodurch hämorrhag. Eiter nachgewiesen wurde) trat unter schweren
Allgemeinerscheinungen Infektion der Pleura ein, die zu schleunigster
Operation nötigte. Bei der Operation des jauchigen Empyems fand
sich eine morsche Stelle im Zwerchfell, von der aus man in die umfang¬
reiche subphrenische Abszesshöhle gelangte, in der grosse nekrotische
Gewebsstiicke schwammen. Trotz anfänglicher Erholung erlag der
Pat. nach 2 Wochen einer Herzinsuffizienz (frische verukköse Endo¬
karditis neben alten Klappenveränderungen) und fand sich der Abs¬
zess in der Tat als von der Milz ausgegangen, die noch eine mit
pyogener Membran ausgekleidete, aber keinen Sequester führende
Höhle enthielt. K. sammelte aus der Literatur 41 weitere Fälle
sogen. Milzabszesses, die er kurz anführt, von denen 6 (14) Proz.)
traumatischen, 11 (25,2 Proz.) septischen Ursprungs sind, 6 (13,95
Proz. bei Typhus, 7 (16,28 Proz.) bei Malaria, 2 (4,65 Proz.) nach
Stieltorsion der Wandermilz, 3 6,97 Proz.) nach Magenperforation und
8 (18,6 Proz.) ohne nachweisbare Aetiologie beobachtet wurden.
Weiterhin teilt K. die Resultate entsprechender Tierversuche mit.
Diagnostische Bedeutung kommt der Erkrankung insoferne zu, als
sanguinolente Beschaffenheit, schmutzigroter schokoladefarbener
Eiter mit grösseren nekrotischen Gewebsstiicken oder Fetzen bei
einem linksseitigen subphrenischen oder intraabdominalen Abszesse
für die Milz als Ursprungsstätte der Eiterung spricht.
W. D a n i e 1 s e n berichtet aus der gleichen Klinik über die
Schutzvorrichtungen in der Bauchhöhle mit besonderer Berücksich¬
tigung der Resorption und gibt unter Berücksichtigung der zahl¬
reichen und zerstreuten Arbeiten über dieses Gebiet eine Ueber-
sicht über den derzeitigen Stand unserer Kenntnisse und betrachtet
zunächst die im anatomischen Bau und den physiologischen Eigen¬
schaften der Bauchorgane begründeten Schutzvorrichtungen, sodann
die in der Transsudation, Adhäsionsbildung und Resorption beruhen¬
den und gibt dann das Resultat eigener Untersuchungen über die
Wege, auf welchen die in die Bauchhöhle eingedrungenen Bakterien
resorbiert werden, über den Einfluss der Kälte, der Heissluftbe¬
handlung auf die Resorption von Bakterien in der Bauchhöhle und
Versuche zur Erklärung der verschiedenartigen Resorption aus der
Bauchhöhle. Die Kolloidsubstanzen werden danach auf die Lymph-
wege, die Kristalloidsubstanzen auf dem Blutwege resorbiert, die
Ergebnisse eröffnen z. T. neue Ausblicke und Wege in der Erforschung
schwerwiegender Fragen und verweist u. a. D. auf weitere Ar¬
beiten betr. des Sarkoms. Der Arbeit ist ein 210 Nummern umfassen¬
des Literaturverzeichnis angereiht.
Ebenfalls aus der Marburger Klinik gibt Leonh. W e i s s klinische
und antomische Beiträge zur Kenntnis der Tendovaginitis crepitans,
unter Mitteilung von 6 Fällen dieser typischen Affektion am Unter¬
schenkel, wobei deutlich die stärkst geschwellte und schmerzhafte
Stelle oberhalb der Schlusspforte der Sehnenscheide konstatiert
wurde. Anschliessend an die Arbeiten L. Brauers und P a u z a ts
bei denen der krankhafte Prozess auch höher als den eigentlichen
Sehnenscheiden entsprechend lokalisiert war, stellte W. Unter¬
suchungen über Verlauf und Ausdehnung der Sehnenscheiden der
Streckmuskeln an und fand nach Injektionen mit Tusche, Karmin¬
gelatine und Wachs, dass die Sehnenscheiden der Extremitäten am
Bein an ihren proximalen Enden mit der angrenzenden Muskelbe¬
deckung durch feinste Spalträume kommunizieren resp. die injizierten
Lösungen diffus in das die Muskeln bedeckende Perimysium über¬
gehen. Die starken Lig. transv. u. cruciat. lassen anscheinend der
in die Sehnenscheide eindringenden Flüssigkeit wenig Raum, sich im
Bereiche ihres Verlaufes auszudehnen. Auch an dem Ext. poll. brevis
hat W. den gleichen Zusammenhang zwischen proximaler Sehnen¬
scheide und Perimysium feststellen können. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 24 — 26.
No. 24. Brentano- Berlin : Die Cholecystenteroanastomosis
retrocolica.
Br. empfiehlt in den Fällen, wo die Cholecystenteroanastomosis
die einzige Möglichkeit darstellt, die gestaute Galle in den Darm ab¬
zuleiten (bei Geschwülsten und chronischen Entzündungen des Pan¬
kreaskopfes), die Operation nach Art der Gastroenterostomia retro¬
colica auszuführen, wodurch ohne nennenswerte Verzögerung oder
Komplikation der Operation auch der Uebertritt von Darminhalt in
die Gallenblase besser verhütet würde, da die Peristaltik nicht durch
abnorme Lagerung der Därme behindert ist. Kolon transv. samt
Netz wird in die Höhe geschlagen, die oberste Jejunumschlinge auf¬
gesucht, etwa 30 cm von der Austrittsstelle des Duodenum leer¬
gestrichen und fixiert gehalten, dann das Mesocolon transv. in der
Nähe der Gallenblase an gefässloser Stelle stumpf durchbohrt, die
leergestrichene Jejunumschlinge durch den Schlitz gezogen und ober¬
halb mit Collinklemme abgeklemmt. Die Darmschlinge wird an die
Unterfläche der Gallenblase angeheftet (eventuell nach vorgängiger
Punktion an der freien Kuppe). Nach vollendeter Anastomose wird
die vordere Punktionsstelle ebenfalls durch die Naht verschlossen,
die Dünndarmschlinge nun von unten her so weit aus dem Schlitz
des Mesokolon herausgezogen, dass die Anastomosenstelle mit der
Gallenblase sichtbar wird und diese dann durch 3 Nähte in dem
Mesokolonschlitz fixiert.
W. M i n t z - Moskau: Spätasphyxie nach totaler Larynxexstir-
pation.
Mitteilung eines Falles von schwerer Asphyxie durch Gerinnsel
aus Fibrin und Schleim, die sich im linken Bronchialsystem ansammel-
ten und bei allmählichem Hervorschieben auf die Höhe der Bifur¬
kation den rechten Bronchus mit verlegten; Einführen des Broncho¬
skops in den rechten Bronchus brachte mehrfach Besserung der
schweren Asphyxie und in Intervallen lösten sich die Stücke der
Ausgüsse des linken Brochus.
No. 25. C. Lau e n s te i n -Hamburg: Zur Frage der Ent¬
stehung der Gangrän der Verbindungsschlinge der „2 Darmschlingen
im eingeklemmten Bruch“.
L. kann der Klauber sehen Ansicht von der doppelten Ein¬
schnürung der Mesenterialgefässe nicht beipflichten und konstatiert,
dass man nach seinen Leichenversuchen und Tierexperimenten eine
Umschnürung zweier Darmschlingen und des Mesenterium der
inneren Verbindungsschlinge nur dann erreicht, wenn letztere äusserst
kurz (nicht über 8 cm beim Menschen). L. hält die Thrombose der
Mesenterialgefässe für sekundäre Erscheinung und möchte die sup-
ponierte doppelte Abklemmung der Mesenterialgefässe der Verbin¬
dungsschlinge — als unrichtig — aus der Aetiologie dieser Frage aus¬
schalten; L. rät zunächst bei der Bezeichnung „2 Darmschlingen im
eingeklemmten Bruch“ zu bleiben, da sie den Befund am prägnantesten
charakterisiert und auf den wichtigsten Punkt — die Verbindungs¬
schlinge — direkt hinweist.
No. 26. Longard - Forst Aachen : Verbesserte Wagner-
L o n g a r d sehe Aethermaske.
Beschreibung der verbesserten Maske, mit der die Aetherdämpfe
nur mit Luft gemischt verabreicht werden können, dieselbe ist hand¬
licher, dem Gesicht sich besser anschmiegend als das frühere Modell
und vollständig sterilisierbar (s. Abb.), sie funktioniert nur dann rich¬
tig, wenn sie dem Gesicht luftdicht anliegt, so dass die Luft nur
durch das obere Ventil (unter hörbarem klapperndem Geräusch) ein¬
strömt. Die Maske ist von Bildhäuser, Aachen erhältlich (Preis:
18 M.). Sehr.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 26 und 27.
W. Stoeckel - Berlin : Trokar-Katheter zur infrasymphysären
Blasendrainage.
Schon von Jahren hatte St. bei Harnröhrenplastiken und Blasen¬
scheidenfisteloperationen statt des Harnröhrendauerkatheters die
infrasymphysäre Blasendrainage empfohlen. Zur Ausführung der¬
selben empfiehlt St. jetzt nach Küstners Vorgang den Trokar-
Katheter, ein S k e n e scher Pferdefuss-Katheter aus Metall mit
biegsamem Trokarstachel. Zu beziehen von Georg Härtel in
Breslau.
W. H a n n e s - Breslau : Verletzung des prolabierten Uterus
durch Unfall.
Eine 56 jährige Frau mit grossem Vorfall des Uterus fiel, auf eine
Sichel und erlitt eine Art Pfählungsverletzung der Vagina und des
Uterus. 24 Stunden später Totalexstirpation; doch starb Pat. an
embolischer Pneumonie. Im kleinen Becken fand sich noch ein
apfelgrosser jauchiger Abszess.
Peters: Wiederauffüllung des Uterus nach vorzeitigem Bla¬
sensprung, nach dem Vorschläge des San.-Rat Bauer.
P. schlägt vor, bei vorzeitigem Blasensprung mittels eines be¬
sonders hierzu konstruierten Metreurynters den Uterus mit sterilem
Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung wieder aufzufüllen.
Hierdurch würde die Gefahr des Fruchtwassermangels für das Kind
verringert und die Wendung erleichtert, besonders auch die äussere
Wendung viel öfter möglich gemacht.
G. K 1 e i n - München: Skopolamin-Dämmerschlaf und Spinal¬
anästhesie bei gynäkologischen Operationen.
Es gibt 5 Möglichkeiten, zur Narkose zu gelangen: Morphium-
Skopolamin-Dämmerschlaf allein oder in Verbindung mit wenig
Chloroform. Spinalanästhesie allein, Skopolamin-Dämmerschlaf mit
Spinalanästhesie kombiniert, Dämmerschlaf und Spinalanästhesie mit
Inhalationsnarkose kombiniert. K. bespricht die Indikationen für
diese 5 Möglichkeiten in der Gynäkologie an der Hand eigener Er¬
fahrung. In seinen Fällen trat niemals ernste Komplikation oder
Nebenwirkung ein; die Kranken erholten sich auffallend besser und
schneller, als nach langen Chloroformnarkosen.
A. A. M u r a t o w - Kiew: Metrorrhagia syphilitica.
M. macht auf eine wenig bekannte Ursache von Uterinblutungen
aufmerksam, nämlich Syphilis, die er mit den Magenblutungen
auf luetischer Basis in Parallele setzt. Man kann im Uterus Ero¬
sionen, Gummata, Ulzerationen, Gefässveränderungen u. ä. an¬
treffen. Die Diagnose ergibt sich ex juvantibus. Am besten wirkt
Quecksilber mit Jod kombiniert; M. bevorzugt Pillen aus Proto-
joduret. hydrarg., 0,03 pro dosi, anfangs 1, später 2 Pillen am Tage.
Bei allen Uterinblutungen, die lange anhalten und deren Aetiologie
dunkel bleibt, sollte an Lues gedacht und entsprechend verfahren
werden. J a f f e - Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. VI. No. 2. (Mai
1907.)
l) Wilh. W ernstedt: Beiträge zum Studium der motorischen
Funktionen des Pylorusteils des Säuglingsmagens. (Aus Prof. M e -
d i n s Klinik im „Allmänna Barnhuset“ Stockholm).
Zum kurzen Referat ungeeignet.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1445
2) Ludwig F. Meyer: Lieber den Tod bei der Pylorusstenose
der Säuglinge. (Aus dem städt. Kinderasyl zu Berlin.)
Aus der Beobachtung dreier Fälle kommt M. zu dem Schlüsse,
dass der Tod bei Pylorusstenose nicht immer ein unmittelbarer
Hungertod ist, sondern vielleicht nicht selten eine mittelbare Folge
der Inanition, die schliesslich dahin führt, dass bei Einfuhr grösserer
Nahrungsmengen eine regelrechte Nahrungsassimilation aufhört und
eine alimentäre Intoxikation (im Sinne des jüngst von Finkeistein
gezeichneten Bildes) einsetzt.
3) K. Lern pp: Ueber Endokarditis iin Säuglingsalter. (Aus
dem städtischen Kinderasyl zu Berlin.)
Genaue klinische Beschreibung einer Anzahl von Beobachtungen.
Konstanter und wichtiger als die örtlichen Erscheinungen am Herzen
sind für die Diagnose die Zeichen der Zirkulationsschwäche. Be¬
sonders wertvoll sind die fast regelmässig auftretenden Zyanose¬
anfälle und weiter die charakteristische Veränderung der Atmung
(Beschleunigung, bei gleichzeitigem Lungenprozess bis zum „Jagd¬
hundatmen“).
4) K. Oppenheimer: Ueber den Nahrungsbedarf debiler
Kinder.
Die Arbeit berichtet über die Entwicklung dreier debiler Kin¬
der. Debile Kinder haben einen relativ erhöhten Nahrungsbedarf.
Für die ersten 4 Monate liegt der Energiequotient zwischen 120 und
130 Kalorien. Am Schlüsse der Arbeit tritt O. warm für die Voll¬
milchernährung der Säuglinge auch in der Privatpraxis ein. Wenn die
Mutter nicht stillen kann, verwendet er nur selten Ammen, sondern
empfiehlt „konzentrierte Kuhmilch als einziges Nährmittel“.
5) 0. Funkenstein: Ueber Temperatursteigerungen und
Leukozytose bei Kindern nach Körperbewegungen. (Aus dem Dr.
Oppenheimer sehen Ambulatorium für Kinderkrankheiten in
München).
Untersuchungen an 18 Kindern im Alter von 4 — 12 Jahren zeigten,
dass nach heftigen Körperbewegungen in der Mehrzahl der Fälle
Temperatursteigerungen passagerer Art auftraten, die bis 38,8 gingen.
Das Ergebnis gleichzeitiger Zählung der weissen Blutkörperchen
scheint auf eine Vermehrung der im Blut kreisenden Leukozyten
während der Zeit der Temperaturerhöhung hinzudeuten.
Referate. Albert Uffenheimer - München.
Virchows Archiv. Bd. 188, Heft 3.
17) C. Davidsohn: Beiträge zur Pathologie der Unterkiefer¬
speicheldrüse (Glandula submaxillaris).
Ausgedehnte Untersuchungen über die histologischen Verän¬
derungen der Glandula isubmaxillaris bei Amyloid, Diabetes, Kar¬
zinom, Vergiftungen mit Metallen und Säuren, akuten Infektions¬
krankheiten, Blutkrankheiten, Nervenkrankheiten, Tuberkulose,
Nephritis, Hautkrankheiten usw. Bei 21 Fällen von Amy¬
loid der Speicheldrüsen waren 11 mal Tuberkulose, 4 mal Eite¬
rungen, 4 mal Syphilis, 2 mal Tumoren als Hauptkrankheit vor¬
handen. Die Lokalisation des Amyloids entspricht der Amyloidab¬
lagerung in anderen Organen. Beim Diabetes fand Verf. ein starkes
Durchwachsensein der Drüse mit Fettgewebe. Die Untersuchungen
bei den anderen erwähnten Krankheiten ergaben keinen charakteristi¬
schen Befund.
18) CI. Fermi: Untersuchungen über Tollwut.
Die Arbeit, die sich auf zahlreiche Experimente stützt, ist im
Original nachzulesen.
19) G. Garn bar off: Untersuchungen über die hämatogene Si-
derosis der Leber, ein Beitrag zur Arnold sehen Granulalehre.
(Pathol.-anat. Institut zu Heidelberg.)
Die Granula, welche die Umsetzung des Eisens vermitteln, sind
umgewandelte Arnold sehe Plasmosomen. Vielfach wurden auch
Körnchen in den Kernen von Leukozyten gefunden, die mit den
Körnchen im Protoplasma eine Uebereinstimmung zieigten. Diese
Granula sind nach Verf. Ansicht umgewandelte Karyosomen. Die
Untersuchungen wurden angestellt an experimentellem Material (To¬
luylendiaminvergiftung) und an menschlichem Sektionsmaterial.
20) R. R ös sie: Die Veränderungen der Blutkapillaren der
Leber und ihre Bedeutung für die Histogenese der Leberzirrhose.
(Pathol. Institut München.)
Die Leberzirrhose ist ein herdweise oder diffuse mit Kapillar¬
erweiterungen, perikapillären Oedemen, Untergang und Neubildung
von Endothel und Kapillarwänden beginnender und meist in Anfällen
ablaufender Prozess toxisch-infektiöser Natur. Oft wird er, an Ex¬
tensität und Intensität wechselnd, als einfache Dissoziation eingeleitet.
Die ausgebildete Zirrhose kann häufig als das Resultat wiederholter
Dissoziationen angesehen werden. Die Dissoziationen heilen unter
Regeneration des parenchymatischen Gefässnetzes, oft unter Bildung
abnormer Kapillarisationen des gelockerten Gewebes ab. Die Vor¬
gänge am Parenchym sind abhängig von Art und Stärke der durch
die Kapillaren hindurch und auf diese ausgeübten Giftwirkung. Sie
bestehen in Entartungen, Neuwucherungen und Pigmentierung. Ver¬
fallen die Epithelien nicht der toxischen und anämischen Nekrose,
so bildet sich zwischen ihnen das erste Bindegewebe aus den ver¬
änderten Kapillaren. Die Veränderung besteht in einer auf oben
genannte Weise zu stände gekommenen Anreicherung der Endothelien
und der übrigen Elemente der Kapillarwand. Die Ablagerung eisen¬
haltigen Blutfarbstoffes geschieht zum Teil durch Verarbeitung von
erythrozytärem Material in den Epithelien selbst. Eine zuerst nicht
pigmentierte Zirrhose kann sich in eine pigmentierte verwandeln
(hämochromatotische Zirrhose).
21) E. Roth: Ueber Schrumpfnieren ohne Arteriosklerose.
(Pathol. Institut zu Köln.)
Untersuchungen an 6 Fällen. Die Nieren boten das Aussehen der
weissen Granularniere. Die Glomerulusschlingen waren im grossen
ganzen völlig intakt. Nur in 2 Fällen war ausgesprochene Herz¬
hypertrophie vorhanden, während in den anderen die Hypertrophie
des linken Ventrikels gering war. Bemerkenswert ist, dass die
Stärke der Hypertrophie mehrfach durchaus nicht der Ausdehnung
der Nierenschrumpfung entsprach.
22) R. L. Thompson: Die Bedeutung von embryonalen Ent¬
wicklungsstörungen für die Entstehung von Zysten in der Niere.
(Pathol. Laboratorium der St. Louis University.)
Beschreibung einer Gewebsmissbildung in der Niere eines 2
Wochen alten Kindes. Auf Grund seiner mikroskopischen Unter¬
suchungen an dem geschilderten hyperplastischen Nierenläppchen tritt
Verf. für 'die Ansicht der Autoren ein, die die Nierenzysten auf eine
Entwicklungshemmung zurückführen.
23) Fahr: Ueber die muskuläre Verbindung zwischen Vorhof
und Ventrikel (das H i s sehe Bündel) im normalen Herzen und beim
Adams-Stokes sehen Symptomenkomplex.
Auf Grund seiner Untersuchungen stellt der Verf. die Behauptung
auf, dass das H i s sehe Bündel nach seinem Durchtritt durch den
Annulus fibrosus sich zwar in zwei Schenkel teilt, jedoch sich nicht,
wie das Tawara angibt, netzförmig an der Herzinnenfläche aus-
breitet, sondern bald völlig mit der Ventrikelmuskulatur verschmilzt.
F. bezeichnet es als eine Schwäche der T a w a r a sehen Ausfüh¬
rungen, dass Tawara die Befunde am Schafherzen auf das Men¬
schenherz so ohne weiteres übertragen habe, zumal überhaupt darauf
verzichtet sei, das Herz eines erwachsenen Menschen mit zur mikro¬
skopischen Untersuchung heranzuziehen. Wenn der Verf. die Ta¬
wara sehe Monographie nur einigermassen sorgfältig durchstudiert
hätte, so würde er dort zahlreiche mikroskopische Untersuchungen
am Menschenherzen aufgeführt finden und weiter gesehen haben, dass
die netzförmige Ausbreitung des Bündels auch histologisch festge¬
stellt worden ist. Schridde - Freiburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
56. Bd. 5. u. 6. Heft. 1907.
16) R. S c h m i t z - Bern: Ueber die Ausscheidung des Chinins
im menschlichen Harn.
Schmitz fand von dem per os verabreichten Chinin 26 — 30
Prozent unverändert im Harn wieder. Umwandlungsproduktie des
Chinins waren nicht zu finden. Zur Bestimmung benutzte er die Iso¬
lierungsmethode von Kleine in Verbindung mit dem Gordin-
schen Titrierverfahren. Nach subkutaner Chininapplikation erscheinen
nur ca. 16 Proz. im Harn. In den Fäzes ist kein Chinin zu finden.
Der Organismus zerstört also den Rest des Chinins. Diese Fähigkeit
des Organismus wird durch länger fortgesetzten Chiningebrauch
nicht gesteigert.
17) E. Hedinger und O. Loeb- Bern : Ueber Aortenverände¬
rungen bei Kaninchen nach subkutaner Jodkaliverabreichung.
Die zuerst Aufsehen erregenden Befunde von Aortenverände¬
rungen bei Kaninchen nach Adrenalininjektionen haben an Interesse
eingebüsst, seit man gleiche Erkrankungen auch nach Applikation von
Phlorizin, Nikotin, Salzsäure, Milchsäure, Phosphorsäure etc. be¬
obachtet hat. Es handelt sich also nicht um eine spezifische mit
der Blutdrucksteigerung zusammenhängende Wirkung des Adrena¬
lins, sondern wahrscheinlich um eine direkte toxische Wirkung auf
die sehr empfindliche Kaninchenaorta. Hedinger und Loeb fan¬
den jetzt auch nach starken Jodkaligaben bei 2 Kaninchen aus¬
gedehnte Erkrankung der Aorta media in Form von verkalkten und
nekrotischen Herden und multipler Aneurysmenbildung. Da aber
6 weitere in gleicher Weise behandelte Kaninchen die Aortenverände¬
rungen vermissen Hessen, so ist der Zusammenhang dieser Verände¬
rungen mit den Jodkaligaben noch der Aufklärung bedürftig.
18) O. Loeb -Bern: Die Jodverteilung nach Einfuhr verschie¬
dener Jodverbindungen.
Das Studium der Verteilung von Arzneistoffen im Körper ist von
hervorragendem Interesse für die Erkenntnis der Wirkungsweise
unserer Heilmittel, insbesondere der spezifisch wirksamen. Leider
befindet sich unser Wissen in dieser Beziehung noch in den Anfängen.
Für das Jod gestaltet sich die Verteilung nach Loebs interessanten
Versuchen folgendermassen. Nach ein- oder mehrfacher Jodkaliver¬
abreichung findet man bei Kaninchen Gehirn, Rückenmark, Fett und
Knochen jodfrei. Muskel, Leiber, Niere, Speicheldrüse, Lunge, Magen,
Auge, Blut und Haut sind in steigendem Masse jodhaltig. Am höch¬
sten ist der Jodgehalt der Schilddrüse. Nach Aussetzen der Jodkali¬
zufuhr bleiben Schilddrüse, Blut, Lunge und Niere am längsten jod¬
haltig. Leber und Blut enthalten nach längerer Verabreichung Jod
in besonderer Bindung, wahrscheinlich Eiweissverbindung. Führt
man das Jod in lipoidlöslichen Verbindungen ein (Jodoform, Jod¬
äther, Jodanilin), so wird das Jod lipotrop und man findet es auch in
dem sonst freien Gehirn und Fett, ein Resultat, welches voraussicht¬
lich für die Pharmakotherapie des Zentralnervensystems von grosser
Bedeutung sein wird.
1 446
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29
19) H. F ii h n e r- Wiirzburg und E. N e u b a u e r - Wien:
Hämolyse durch Substanzen homologer Reihen.
Die Verfasser fanden f ii r eine grössere Anzahl von Substanzen
homologer Reihen einen gleichen Parallelismus zwischen physi¬
kalisch-chemischem und hämolytischem Verhalten, wie er von
li. Meyer und O v e r t o n zwischen physikalisch-chemischem und
narkotischem Verhalten nachgewiesen wurde.
20) L. L e w i n - Berlin: Ueber das Verhalten von Mesityloxyd
und Phoron im Tierkörper im Vergleiche zu Azeton.
Von rein pharmakologischem Interesse.
21) N. L o m b r o s o - Turin : Zur Frage über die innere Funk¬
tion des Pankreas, mit besonderer Rücksicht auf den Fettstoffwechsel.
Lombroso beobachtete bei Hunden, denen das Pankreas ent¬
fernt worden war, trotz Hunger eine auffallend gute Erhaltung der
Fettaiblagerungen in den Geweben und weiter eine sehr bedeutende
Ausstossung von Fett mit dem Kot. Diese Ausstossung konnte die
Einfuhr übertreffen und bestand in Körperfett, wie aus Schmelz¬
bestimmungen des Nahrungs- und Kotfettes hervorgeht. Die Resorp¬
tion des Nahrungsfettes geht dabei weiter vor sich, wie die histo¬
logische Untersuchung der Darmwand zeigte. Einführung von Pan¬
kreassaft in den Darm hatte auf diese Verhältnisse keinen Einfluss.
Lombroso schliest aus diesen Befunden, dass dem Pankreas eine
innere, für den Fettstoffwechsel wichtige Funktion zugeschrieben
werden muss, nach deren Ausfall der Körper das Fett nicht mehr
in normalem Umfange zersetzen kann. Er sucht sich deshalb des
Fettes durch Ausstossung mit dem Kote zu entledigen. Diese Be¬
obachtungen Lombr os o s verdienen alle Aufmerksamkeit, da sie
im Falle ihrer Bestätigung dem Pankreas bezüglich des Fettstoff¬
wechsels eine analoge wichtige Rolle zuschreiben, wie dasselbe
nach den bekannten Untersuchungen von Minkowski und
v. M e r i n g sie für die Kohlehydrate besitzt.
22) W. H e u b n e r - Strassburg: Ueber Vergiftung der Blut¬
kapillaren.
Die Arbeit enthält in der Hauptsache eine eingehende Schilde¬
rung der Wirkung des Goldsalzes auf den Organismus. Eine wesent¬
liche Wirkung dieses Körpers besteht in der Vergiftung der Blut-
kapillaren, deren kontraktile Elemente völlig gelähmt werden. Die
Kapillaren werden infolgedessen ad maximum gedehnt, an vielen
Stellen durch den gesteigerten Druck zerrissen, es kommt zur Ver¬
blutung in die Kapillaren. Heuibner berichtet weiter des näheren
über -das Verhalten des Goldsalzes im Organismus, über seine Wir¬
kung auf einzellige Organismen, über die Wirkung anderer Gold-
verbindungen und von Silbersalzen. Der Schluss bringt Theoretisches
über Kapillarvergiftung.
23) Fr. W o h 1 w i 1 1 - Strassburg: Ueber die Wirkungen der
Metalle der Nickelgruppe.
Studie von rein pharmakologischem Interesse.
24) H. H'i 1 de b r an d t - Halle a. S. : Ueber das pharmako-
iog'sche Verhalten von Oxybenzyltanninen.
Ebenfalls von rein pharmakologischem Interesse.
25) M. Bial-Berlin: Bemerkungen und Versuche zu der Arbeit
von Wandel: Zur Pathologie der Lysol- und Veresolvergiftung.
26) O. Wandel: Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit
B i a I s.
Polemik. J. M ü 1 1 e r - Wiirzburg.
Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. 25. Band,
2. Heft. 1907.
1 ) O h 1 m ü 1 1 e r, F r ä n k e 1, G a f f k y, Keller, Orth,
Hofer: Gutachten des Reichsgesundheitsrates über den Einfluss der
Ableitung von Abwässern aus Chlorkaliumfabriken auf die Schunier,
Oker und Aller.
Die in den Jahren 1902 — 1904 ausgeführten Untersuchungen
haben ergeben, dass die bei den Abwässern der Chlorkaliumfabriken
in Betracht kommenden Flüsse Sch unter, Oker und Aller stark
verunreinigt werden. Die Verunreinigungen würden noch erheblich
steigen, wenn an Stelle der jetzt verarbeiteten 5500 Dz. später, falls
die nachgesuchte Konzession erteilt würde, 11 500 Dz. zur Verarbei¬
tung gelangten. Namentlich dürfte ein übermässiges Versalzen auf
die Verwendung des Wassers als Trink- und Brauchwasser einen un¬
günstigen Einfluss ausüben. Eine Schädigung des Fischlebens scheint
nicht zu erwarten zu sein. Um den weiteren Verunreinigungen entgegen¬
zutreten, sind für die 3 Flüsse Grenzzahlen in bezug auf Härte und
Chlorgehalt festgelegt und den Fabriken aufgegeben worden, ihre
Betriebe so einzurichten, dass sie jederzeit eine Kontrolle der Ab¬
wässer ermöglichen.
2) Gärtner und Dam man: Gutachten des Reichsgesund¬
heitsrates über das Auftreten des Milzbrandes unter dem Rindvieh im
Schmeiegebiet (Reg.-Bez. Hohenzollern) und über den Zusammenhang
dieses Auftretens mit der Verunreinigung des Schmeiebaches durch
Abwässer von Gerbereien in der Stadt Ebingen.
Die hauptsächlich infizierten Bezirke sind Ebingen und Strass¬
berg-Kaiseringen, bedingt durch die dortigen Wildhautgerbereien.
Die Milzbrandkeime gelangen durch Weichen und Fliessen der Häute
und durch Rieseln der Abwässer auf die Wiesen und in das Trink¬
wasser des Viehes. Als sichere Massregel wird sich nur die Des¬
infektion der genannten Abwässer oder mindestens der Weichwässer
ergeben; aber auch die Kanalisation der Stadt Ebingen und Ein¬
führung von Wasserversorgung in -den betroffenen Gemeinden, eben¬
so die Regulierung des Schmeiebaches dürfte einige Abhilfe schaffen,
während alle anderen Massregeln, wie Aussortierung der Häute, Des¬
infektion derselben, Schutzimpfung und anderes nicht in Frage
kommen.
3) X y 1 a n d e r - Berlin: Beiträge zur Desinfektion von milz¬
brandhaltigen Häuten,
Die bisherigen Versuche zur sicheren Desinfektion von Milz¬
brandsporen an Häuten mittels gewöhnlichen Wasserdampfes waren
stets vergeblich. Formaldehydwasserdampf zeigte zwar eine bessere
Wirkung, doch wurde bei trockenen eingewickelten Häuten eine
Tiefenwirkung vermisst, trotz Anwendung des Vakuums. Weitere
Versuche, dem Weichwasser desinfizierende Mittel zuzusetzen und
so die Milzbrandsporen abzutöten, führten aber auch nicht
zum Ziel, wenigstens nicht bei 0,5 Prozent Formalin¬
zusatz. Grössere Zusätze machten aber die Häute für
weitere Verarbeitung völlig unbrauchbar. Auf solche Mittel
wie Sublimat, Lysol, Rohkreosol, Kresolseifenlösung als Zu¬
satz zu dem Weichwasser musste wegen der Giftigkeit verzichtet
werden.
4) Wilhelm L a n g e - Berlin : Untersuchung von Samen der
Mondbohne, Phaseolus iunatus L.
Die in den Tropen gebaute Mondbohne — in dem vorliegenden
Falle aus Java — enthielt im Durchschnitt 0,17 Proz. Blausäure.
5) Richard G o n d e r - Rovigno: Beitrag zur Lebensgeschichte
von Strongyloiden aus dem Affen und dem Schafe.
6) F. N e u f e 1 d und v. P r o w a z\e k - Berlin : Ueber die Im¬
munitätserscheinungen bei der Spirochätenseptikämie der Hühner
und über die Frage der Zugehörigkeit der Spirochäten zu den Proto¬
zoen.
Aus den angestellten Versuchen schliessen die Verff., dass an der
Immunität der Hühner bei der Hühnerspirillose die Phagozytose nicht
wesentlich beteiligt sei; vielmehr sollen die parasitiziden Eigen¬
schaften des Serums die Hauptrolle spielen. Es scheint, als ob die
Spirochäten keine deutlich nachweisbaren Stoffe ausschciden, die
stark toxisch wirken, sondern dass sie durch Verstopfung der zarten
Gefässe schädigend wirken.
Hinsichtlich der Stellung der Spirochäten zu den Bakterien oder
den Protozoen weisen die Verff. darauf hin, dass mittels taurochol-
saurern Natron die Spirochäten zur Auflösung gebracht werden
können, während Bakterien mit Ausnahme der Pneumonie sich nicht
lösen.
7) Ed. P o 1 e n s k e - Berlin: Ueber den Wassergehalt des
Schweineschmalzes.
Es wird vorgeschlagen, den Wassergehalt des Schweine¬
schmalzes erst zu beanstanden, wenn er 0,3 Proz. erreichen sollte.
R. O. N e u m a n n - Heidelberg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 27, 1907.
1) A u f r e c h t - Magdeburg: Der gegenwärtige Stand der Lun¬
genschwindsuchtsfrage.
A. konnte schon früher feststellen, dass die ersten tuberkulösen
Veränderungen an den Lungenspitzen nicht von der Endausbreitung
der Bronchien ausgehen. Die ersten Tuberkeln stehen vielmehr im
Zusammenhang mit den kleinsten Gefässzweigen. Es ist nun auch
nachgewiesen, .dass die Tuberkelbazillen die intakte Ge'fässwand
passieren können. Die Haupteintrittspforte wird durch die Tonsillen
dargestellt — die Inhalationstheorie ist nicht mehr haltbar — , dann
werden die Drüsen des Halses oder des Mediastinums infiziert, von
hier aus die Blutgefässe der Lunge. Eine Infektion der Spitzen über
Halslymphdriisen und Pleuraverwachsungen kommt nicht in Betracht.
Der Artikel enthält auch einen Ueberblick über die einschlägige
Literatur.
2) D. R o t h s c h i 1 d - Soden a. T.: Die mechanische Disposition
der Lungenspitzen zur tuberkulösen Phthisis.
In seinem Vortrag, in dessen polemischem Teil sich R. besonders
gegen Hart- Berlin wendet, der seine Theorie bekämpft, führt er aus,
dass der Winkel zwischen Manubrium und Corpus sterni von grösster
Wichtigkeit in der bezeiclmeten Richtung sei, dass der Drehungs¬
mechanismus der 1. Rippe diese Winkelgrösse ändere, was durch eine
meist vorhandene Beweglichkeit zwischen Corpus und Manubrium
sterni ermöglicht werde. Bei der grossen Mehrzahl der Phthisiker
sei dieser Winkel abgeflacht oder ganz aufgehoben, die Manubrium-
Corpusverbindung verknöchere und an Stelle des normalen Zwischen¬
knorpels entstehe eine Exostose (von S. als Angulus Ludovici be¬
zeichnet). Dadurch würden die Ventilationsverhältnisse für gewisse
Lungenteile ungünstig verändert.
3) C. Hart- Berlin: Die Manubrium-Corpusverbindung des Ster¬
num und die Genese der primären tuberkulösen Phthise der Lungen¬
spitzen.
Diskussionsbemerkungen zum Vortrag unter No. 2. H. bestreitet,
dass die Lehre R.s anatomisch-physiologisch und vor allem patho¬
logisch motiviert sei, J)esonders wird eine ausgiebigere Beweglich¬
keit der Sternumteile zu einander bestritten; die Verknöcherung der
betr. Sternalsynchondrose ist im Wesentlichen eine Alterserscheinung.
4) v. H a n s e m a n n - Berlin : Einige Bemerkungen über die
Stenose der oberen Brustapertur und ihre Beziehung zur Lungen¬
phthise.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1447
H. sind die von Rothschild als Angulus Ludovivi willkür¬
lich bezeichneten Exostosenbildungen nicht zu Gesicht gekommen.
Das R.sche „kollaterale Emphysem des oberen Lappens“ existiert
nicht in der von R. supponierten Weise.
5) M. Li s s a u e r - Berlin: Die Manubrium-Corpusverbindung
des Sternums und ihre Beziehungen zur Genese der tuberkulösen
Lungenphthise.
L. bekämpft ebenfalls die anatomischen Unterlagen der R. sehen
Angaben.
6) Jul. B e n c e - Ofen-Pest: Experimentelle Beiträge zur Frage
der Nierenwassersucht.
Die Versuche beweisen 1. dass die Entstehung der Wassersucht
bei den Urantieren nicht mit etwaigen aus der erkrankten Niere
stammenden Produkten zusammenzuhängen scheint; 2. dass der voll¬
kommene Ausschluss jeder Nierenfunktion zur Entstehung der Oedeme
allein genügt. Bei der Genese der Wassersucht ist ein Faktor wirk¬
sam, der die Verteilung des Wassers zwischen Gewebe, Blut und
Gewebsspalten verändert.
7) A. Mayer: Ueber das Vorkommen von Gallensäuren in der
Frauenmilch.
Verf. konnte bei einer stillenden, ikterisch werdenden Frau
kleine Mengen Gallenfarbstoff in der Milch nachweisen, dagegen er¬
hebliche Mengen von Gallensäuren (mehr Taurochol- als Glyko-
cholsäure). Die Säuren waren nur in der 1. Verlaufszeit des Ikterus
vorhanden.
8) L. Mohr: Zur Pathologie und Therapie des alveolaren
Lungenemphysems.
Eine Art des Lungenemphysems kann durch primäre Verände¬
rungen des Thoraxskelettes (Sklerose der Rippen und ihrer Knorpel,
des Sternums etc.) hervorgerufen werden. Diese Thoraxstarre führt
auch zu Gestaltsveränderungen und Funktionsstörungen des Zwerch¬
fells. Schon W. A. Freund hat operative Therapie solcher Fälle
befürwortet und in 1 Falle mit — kurzem — Erfolge durchgeführt.
M. teilt einen ebenfalls operativ behandelten Fall mit (Resektion von
Teilen der Rippenknorpel bezw. Rippen selbst). Der Erfolg war
— seit der Operation ist noch kein Vierteljahr verstrichen — ein
gütiger. Grassmann.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 27.
1) J u r a s z - Heidelberg : Die Behandlung der Larynxtuber
kulose.
Klinischer Vortrag.
2) E. L e s s e r - Berlin: Die Syphilisbehandlung im Lichte dei
neuen Forschungsresultate.
Vortrag im Verein für innere Medizin am 10. VI. 07, ref. Münch
rned. Wochenschr. 1907, No. 25, Seite 1262.
3) A. W e s t p h a 1 - Bonn : Ueber ein im katatonischen Stupoi
beobachtetes Pupillenphänomen sowie Bemerkungen über die Pu
pilienstarre bei Hysterie.
Bei einem Falle von zweifelloser Katatonie — ohne irgend¬
welchen Anhaltspunkt für Annahme einer organischen Erkrankung de1
Zentralnerveinsystems — beobachtete W., dass die Pupillen sein
nautig, anscheinend ohne jede Gesetzmässigkeit, von der Kreisform ii
che Form eines queren Ovals übergingen unter Verminderung, selbs
Aufhebung der vorher prompten Lichtreaktion. Zentripetale Reizt
spielten keine nachweisbare Rolle; es handelt sich um eine durcl
zentrifugale Reize bedingte Innervationsstörung der gesamten Iris¬
muskulatur, nicht etwa nur um reflektorische Pupillenstarre Aehn-
hche Innervationsstörungen kann die Iris von Hvsterischen ausser¬
halb der Anfälle zeigen; nur ist bei diesen ein deutlicher Einflus«
des psychischen Zustandes, des Vorstellungsinhalts auf das Ver¬
halten der Pupillen erkennbar.
£. Gr awi t z - Charlottenburg: Ueber Heilung des Morbus
heit onu* nebSt BemerkunSen iiber d'e Pathogenese dieser Krank-
V°rtraS >m Verein für innere Medizin am 6. V. 07, ref. Münch
med. Wochenschr. 1907, No. 20, Seite 1014.
dpr Schlesinger- Wien: Ueber Blaseneruptionen ar
Haut bei zentralen Affektionen des Nervensystems.
nphpn CL f3iähr- *lrau trat direkt nach linksseitiger Körperlähmune
"fbc ^Jweren Storungen der Sensibilität und der Vasomotorer
k“gf Blasenfrnption aaE sie Hess die gesunde Seite fasi
™men fre*’ reuz'divierte einige Wochen lang immer wieder unc
VeJf ridiff'1n Unterf B!nterlassung umfangreicher Pigmentierungen ab
Zentrabü/ 1 d'e buIlosen Hauteruptionen bei Affektionen des
iTe™zm:siz\rmmxr aem Pemphigus imd std,t
6) Max E i nh o r n - New York: Ueber eine neue Blutprobe,
iintp u emPfiemt < ein Benzidinpapier als bequeme Methode für die
Untersuchung auf Blut des Mageninhalts, Urins und Stuhls.
... / , lesch und A. Sch o s sib e r ge r- Ofen-Pest: Leu¬
kämische Blutveränderung bei Lues congenita und Sepsis.
Kongenital luetischer Säugling, im zweiten Monat ausgedehnte
naut- und Schleimhautblutungen, Ikterus; Leber- und Milzschwel¬
ung, l neumonie. Blutbild wie bei myeloider Leukämie, hatte je-
aur symptomatische Bedeutung, weil aus der Reizwirkung mas-
nnatter loxine auf das Knochenmark des Säuglings erklärlich.
8) B. B o s s e - Berlin : Die Lumbalanästhesie in ihrer augen¬
blicklichen Gestalt.
Sammelreferat. (Schluss folgt.)
9) M. Wunsch-Berlin: Ein Apparat gegen Schiefhals.
Schnallibar e Bänder mit Einschaltung einer Zugstange (abge¬
bildet); Anwendung bei leichteren Graden, und zur Nachbehand¬
lung nach Operationen.
10) B o e t h k e - Berlin: Das Krankenhaus der kleinen Städte
Fortsetzung folgt. R. G r a s h e y - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII Jahre
No. 12. 1907.
A r n d - Bern : Ueber die W i t z e I sehe Aethertropfnarkose.
Wegen der nicht zu leugnenden Gefährlichkeit jeder Narkose
und auch der Medullaranästhesie wurde im Berner Inselspital die
W.sche Methode im Herbst 1904 versucht und seitdem nicht mehr
aufgegeben. Zur Beschleunigung des Eintritts der Narkose wird
bei Erwachsenen 0,01 Morphium und 0,0005 Atropin eingespritzt
und mit (reinem!) Bromäthyl (20 g rasch auf die offene Maske ge¬
tropft) eingeleitet. Die Statistik von 495 Narkosen ergibt für die
Narkose selbst sehr günstige Erfolge, für die Nachwirkungen 32 mal
Komplikationen von seiten der Atmungsorgane, welche Zahl nicht
mit den so ungleichartigen sonstigen Statistiken verglichen werden
kann.
I. K a r c h e r - Basel: Beitrag zur Therapie der internen Folge¬
erscheinungen von Verkrümmungen der Wirbelsäule. (Schluss.)
Verf. benützt die Sektionsprotokolle des Baseler pathologischen
Institutes und die bezüglichen Krankengeschichten der dortigen medi¬
zinischen Abteilung und der Baseler Heilstätte in Davos. Wesentlich
ist das inspiratorische Defizit und der abdominale Atemtypus, nötig
vor allem die Uebung der Atemmechanik und der Atemmuskulatür,
besonders durch vorsichtiges Bergsteigen in mittleren Höhen, das
sich durch Krankenbeobachtung und Untersuchung des Pulses als
ungefährlich erweist.
Lungentuberkulose kommt bei Kyphoskoliose nicht selten vor
und hat eine schlechte Prognose. Eine Tabelle zeigt die durchschnitt¬
lich geringere Organentwicklung bei Kyphoskoliose. Die Herzunter¬
suchung bereitet oft Schwierigkeiten, häufig findet sich Perikarditis
No. 13.
Carl Schiatter - Zürich : Ueber die Bier sehe Hvperämie-
behandlung.
Die Methode, deren Grundlagen kurz wiedergegeben werden,
wurde bei ca. 250 Fällen angewandt, die Heissluftbehandlung mit ini
allgemeinen sehr gutem Erfolg, besonders bei chronischen Gelenk¬
prozessen, die Saugbehandlung bei „gutartigeren“ Prozessen mit
gutem Erfolg, die Stauungsbinde bei Tuberkulose mit ungleich-
mässigem, bei akuten Entzündungen mit meist gutem Erfolg. Es
scheinen hauptsächlich schwere Infektionen zu versagen. Hier muss
Stauung mit Inzision kombiniert werden. „Das Messer evakuiert
den Eiter, die Stauung bekämpft die Entzündung“.
O. Deutsch 1 änder- Bellelay : Zur Kasuistik des Echino¬
coccus alveolaris. (Schluss folgt.) Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
- . ■ N°- 27 ■ R- Dehne und F. Hamburger- Wien : Ueber das
Verhalten artfremden Antitoxins im menschlichen Organismus.
Die Versuche, welche an Menschen durch Injektionen von Tetanus¬
antitoxin vorgenommen wurden (von Diphtherieantitoxin lässt sich
dasselbe Verhalten voraussetzen), sind von Bedeutung für die Frage
wie lange die passiv verliehene Immunität beim Menschen nachhält’
Es ergab sich: Parenteral einverleibtes Antitoxin bleibt auch beim
Menschen mehrere Tage in unveränderter Menge im Blut erhalten-
nach einigen lagen erfolgt ein kritischer Abfall des Antitoxins, der
zunächst gewöhnlich weit mehr als die Hälfte des einverleibten Anti¬
toxins beträgt. Dann folgt ein mehr allmähliches Abnehmen und
nach etwa 3 Wochen völliges Verschwinden des Antitoxins. Die
rschemungen der Serumkrankheit sind ein Indikator für die beträcht¬
liche Abnahme des Antitoxins und der Immunität. Diese Abnahme
ist nicht gleichbedeutend mit einem völligen Verschwinden. Eine
Abnahme des artfremden Antitoxins muss nicht von den Zeichen der
Serumkrankheit begleitet sein.
N. Schneider-Lemberg: Ueber das Verhalten des Blutes
im Verlaufe einer kruppösen Pneumonie bei einem Kranken mit
Polycythaemia myelopathica, bei welchem die Milz früher exstirpiert
wurde.
Näherer Bericht über den in No. 14 beschriebenen Fall mit spe-
ziellei Berücksichtigung der zugleich mit der Pneumonie einsetzen¬
den bedeutenden Hyperleukozytose und des allmählichen Ueber-
ganges der Anisohyperzytose in eine Anisohypozytose.
E. Niessner - Iroppau: Ueber ein neues Operationsverfahren
bei Anus vulvovestibularis.
Von einem Hautschnitt aus, der von der Steissbeinspitze zur
widernatürlichen Afteröffnung reicht und diese umkreist, wird die
Muskulatur des Beckenausganges übersichtlich freigelegt und dann
der Mastdarm von der über und hinter ihm gelegenen Muskulatur
des fransversus perinei und Levator ani und von seinem Ansatz
1448
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
gegen die Vagina frei beweglich herauspräpariert. Mit einer durch
den Sphincter externus durchgeführten, den Schlitz erweiternden
Kornzange wird der Mastdarm herabgezogen und mit der äusseren
Haut vernäht. Der gegen die Vagina hin hegende Muskelteil wird
mit einigen zugleich durch die Haut gelegten Nähten mit dem Septum
rectovaginale vernäht und so ein den normalen Verhältnissen ent¬
sprechendes Perineum gebildet. Der Erfolg der Operation, die im
Prinzip der von Kroemer in No. 10 der Münch, med. Wochenschr.
beschriebenen Methode jedenfalls ganz nahe steht, war in dem ersten
Pall ein durchaus guter.
W. Landau -Wien: Zur Kenntnis der Hypertrichosis circum¬
scripta mediana.
Kasuistische Mitteilung. Die Hypertrichosis entsprach, in der
Medianlinie des Rückens am meisten ausgebildet, etwa der oberen
und dem grösseren Teil der unteren Hälfte des Muse, rhomboides.
Der Dornfortsatz des 4. und 6. Brustwirbels fehlt. Sehr wahrschein¬
lich besteht an dem Ort der Hypertrichosis eine Spina bifida occulta,
wie in so manchen Fällen ein Zusammenhang der Anomalie mit
einer Spaltbildung der Wirbelsäule nachzuweisen war.
Wiener klinische Rundschau.
No. 10. M. C r a m e r - Koburg: Zur Nasentuberkulose.
Beschreibung von 2 Fällen mit eigentümlichem Befund: Neben
einer geschwiirigen Schleimhauttuberkulose eine nekrotisierende
tuberkulöse Ostitis der mittleren bezw. unteren Muschel. Nach Ent¬
fernung des Sequesters erfolgte unter Spülung und Milchsäureätzung
die Heilung.
No. 11,12. A. v. Weismayr - Wien: Die Prognose der chro¬
nischen Lungentuberkulose.
Kurze prägnante Uebersicht der wichtigsten prognostischen
Momente.
No. 13/14. K. D o 1 1 - Karlsruhe: Die sichtbare Pulsation der
Arteria brachialis bei Arteriosklerose.
Wenn bei gestrecktem Arm (mit Ausschluss einer Insuffizienz
der Aortenklappen) an der Innenseite unmittelbar über dem Ellen¬
bogen die Pulsation der Art. brachialis deutlich sichtbar ist, so weist
dies Zeichen neben anderen mit erhöhter Sicherheit auf eine be¬
stehende Arteriosklerose hin, als einziges Zeichen erweckt es den
Verdacht auf Arteriosklerose.
No. 14. K. Q r a s s m a n n - München: Zur Aufzeichnung von
Herzumrissen.
Die Perkussion des Herzens hat an ihrem Werte durch die Aus¬
bildung der Röntgenuntersuchung nichts eingebiisst. Wichtig und
für vergleichende Untersuchungen unerlässlich ist die Aufzeichnung
der Befunde; dabei ist nur notwendig, fixe Punkte zu haben, von denen
die jedesmalige Aufzeichnung wieder auszugehen hat. Die Mammilla
ist nicht nur bei Frauen, sondern auch bei vielen Männern kein fester
Punkt. Q. schlägt nun vor, zur sicheren Orientierung in die Zeich¬
nung folgende 2 Linien aufzunehmen (bei ausgewachsenen Personen):
die Mittellinie zwischen Jncisura jugularis und Processus ensiformis
sterni und die durch die Mitte dieses Abstandes senkrecht gelegte
Querlinie; die auf dieser Linie nach beiden Seiten in einer Ent¬
fernung von 5 — 10 cm eingetragenen Punkte bilden die Richtpunkte
für spätere Untersuchungen.
No. 15/20. K. U 1 1 m a n n - Wien: Ueber Konjunktivitis, Irido¬
zyklitis und andere entzündliche Augenaffektionen als Teilerschei¬
nungen eines Gonorrhoismus.
Verf. gibt unter Beschreibung von 4 eigenen Fällen einen Ueber-
blick über die Anschauungen betr. die Beziehungen zwischen Gonor¬
rhöe und Augenerkrankungen. Ausser dem eventuellen positiven
Kokkenbefund kommen den betreffenden Augenaffektionen keine
Charakteristika zu; sie schliessen sich nicht der akuten, sondern der
chronischen Gonorrhöe an, daher empfiehlt sich einerseits zur Fest¬
stellung der Aetiologie solcher Erkrankungen oft eine Untersuchung
auf Genitalgonorrhöe, andererseits eine möglichst behutsame, die
Metastasierung vermeidende Behandlung der chronischen Gonorrhöe.
No. 16. V. C h 1 u m s k y - Krakau: Ueber die Erfolge der Heiss¬
luftbehandlung.
Gute Erfolge hat Ch. bei Arthritis und in der Nachbehandlung
nicht zu sehr veralteter Kontusionen, Distorsionen, Frakturen und
Luxationen gesehen; wechselnd waren die Erfolge beim chronischen
Rheumatismus und bei Neuralgien, ein erheblicher Teil der Kranken
kam auch hier zur Heilung.
No. 20/21. J. v. S z a b o k y - Ofen-Pest: Ueber die Rolle der
ererbten Disposition bei der Aetiologie der Tuberkulose.
An 1456 Tuberkulose- und 1433 Kontrollfällen fand S. 56,3 Proz.
der ersteren, 19,4 Proz. der letzteren erblich belastet, grössten¬
teils von den Eltern her, in gleichem Masse vom Vater wie von der
Mutter, bei einem Drittel bestand die Tuberkulose bei den Eltern
schon vor der Geburt der Kinder. Der Habitus phthisicus kommt
zwar hauptsächlich bei der ererbten Disposition vor, ist aber nicht
charakteristisch für die Tuberkulose. Die ererbte Disposition, die
übrigens bei älteren Kranken ebenso häufig zu finden war wie bei
jüngeren, scheint nur als mehrfache Belastung den Krankheitsverlauf
ungünstig zu beeinflussen. Das Brehmer sehe Gesetz (Erkrankung
der Kinder einer belasteten Familie in demselben Lebensalter) traf
nur in beschränktem Masse zu.
No. 22/23. H. S c h ö p p 1 e r - München: Eine Verordnung der
Stadt Nürnberg aus dem 18. Jahrhundert, die eine Anleitung zur ersten
Hilfeleistung bei Verunglückten betrifft.
Die aus dem Jahre 1778 stammende Verordnung war eine hu¬
mane und für ihre Zeit jedenfalls sehr fortschrittliche Leistung und
zum grossen Teil auch durchaus praktisch. Sie betrifft das Ver¬
fahren bei Ertrunkenen, Erfrorenen, Erhängten, Erstickten und Ver¬
gifteten und verspricht ansehnliche Belohnungen für glückliche Le¬
bensrettung und droht jedermann ohne Unterschied des Standes Strafe
an für lieblose oder widerspenstige Unterlassung der Hilfeleistung.
No. 25. A. A 1 e x a n d e r - Berlin: Zur Frage der Verwertbar¬
keit der Sahli sehen Magenfunktionsprüfung (Desmoidreaktion).
Die Ergebnisse der von dem Verf. genau nach den Angaben
des Autors vorgenommenen Untersuchungen waren so ungenau, dass
er die Anwendung der Methode dem praktischen Arzte nicht glaubt
empfehlen zu können. Bergeat - München.
Englische Literatur.
(Schluss.)
J. Rose Bradford: Zur Diagnostik der Nierenkrankheiten.
(Brit. Med. Journal, 30. März 1907.)
Verf. glaubt, dass man an Stelle des Ausdruckes physiologische
Albuminurie orthostatische Albuminurie sagen soll, da nicht die Diät
oder z. B. kaltes Baden die Albuminurie hervorrufen, sondern die
aufrechte Körperhaltung. Er weist darauf hin, dass bei manchen
Fällen von Schrumpfniere die Albuminurie nur während des Stehens
auftritt, in anderen dadurch verschlechtert wird. Auch während der
Rekonvaleszenz bei akuter Nephritis findet man während der auf¬
rechten Körperhaltung oft vermehrte Eiweissausscheidung. Es ist
aber durchaus falsch, anzunehmen, dass alle Fälle von funktioneller
Albuminurie schliesslich doch auf eine leichte, nicht fortschreitende
Nierenläsion zurückzuführen sind. Die Arbeit enthält eine Reihe
interessanter Beobachtungen bei Nephritis.
George Pernet: Zur Behandlung der Lues. (Ibid.)
Es ist ein erfreuliches Zeichen, dass man in England allmählich
anfängt, der Lues etwas mehr Beachtung zu schenken und dass sich
die Stimmen mehren, die einer energischeren Behandlung dieser
Krankheit das Wort reden. Verf. betont vor allem die Notwendigkeit,
in allen Stadien der Lues, also auch im sogen, tertiären, Queck¬
silber zu geben. Die Pillenbehandlung, die in England vor allem
durch Hutchinsons grossen Einfluss bisher so ziemlich allein¬
herrschend war, hält er für wenig wirksam. Er hält die Schmierkur
und vor allem die intramuskulären Einspritzungen für bedeutend
besser. Zu letzteren verwendet er hauptsächlich das graue Oel.
Er gibt 12 Wochen lang je eine Einspritzung von 5—8 cg. Er ist
ein Anhänger der intermittierenden Behandlung. In den Pausen
zwischen den Spritzkuren gibt er täglich 1,0 Jodkali, von dem er
glaubt, dass es das Quecksilber zur rascheren Resorption bringt.
Man vermeide deshalb das Jodkali in allen Fällen von Stomatitis.
Er beginnt die Behandlung, sobald die Krankheit mit Sicherheit fest¬
gestellt ist, also in vielen Fällen schon vor dem Ausbruch des Exan¬
thems. Iritis hält er für ein prognostisch ungünstiges Zeichen, da
in derartigen Fälle oft Nervensyphilis folgt. Gummata sollen auch
lokal durch Spaltungen und Auslöffelungen behandelt werden, sobald
sie erweicht sind.
Mare Armand Ruff er: Zur bakteriologischen Diagnose der
Cholera. (Ibid.)
Verf. hat gefunden, dass eine Anzahl von Vibrionen, obwohl sie
bis zu einem gewissen Grade mit Choleraserum agglutinieren, doch
morphologisch sich scharf von den eigentlichen Choleravibrionen
trennen lassen, da sie viele Geissein zeigen. Manche der im Schiffs¬
wasser gefundenen Vibrionen agglutinieren mit sehr verdünnten Lö¬
sungen von Choleraserum, andere nur mit viel stärkeren. Die letz¬
teren bilden eine Zwischenstufe zwischen den nicht agglutinierenden
und den stark agglutinierenden Arten. Obwohl ein wirksames Cho¬
leraserum alle Vibrionen bis zu einem gewissen Grade agglutiniert,
so erzeugen doch nur 2 Arten dieser Vibrionen, wenn sie auf Tiere
verimpft werden, bei diesen ein Serum, das eine starke aggluti¬
nierende Wirkung auf Choleravibrionen ausübt. Zwei Seren übten
eine schwache Agglutination aus und 2 gar keine. Diese Unter¬
suchungen bestätigen den schon früher von R u f f e r aufgestellten
Satz, dass es nicht genügt bei der bakteriologischen Untersuchung
auf Cholera sich auf die Agglutinationsprobe allein zu verlassen.
Diese Probe ist zwar nützlich, aber durchaus nicht spezifisch.
Thomas Oliver: Das Aneurysma der Aorta. (Brit. Med.
Journal, 16. März 1907.)
Diagnostisch stellt Verf. den Schmerz an erste Stelle. Deutlicher
Schmerz im Präkordium in Verbindung mit einem stark akzentuierten
zweiten Aortenton bei einem gesund aussehenden Manne ohne Zei¬
chen einer Nephritis sollten uns stets an Aortenaneurysma denken
lassen. J herapeutisch stehen Ruhe, beschränkte Nahrungsaufnahme,
sowie Jodkali an erster Stelle. Grosse Dosen von Jodkali (er hat
30,0 pro Tag gegeben) sind überflüssig, ja schädlich, da sie den Blut¬
druck herabsetzen und die Herztätigkeit beschleunigen, also die Bil¬
dung eines Gerinnsels im Aneurysmasack erschweren.
Guthrie Rank in: Ueber Erkrankungen der Aortenklappen.
(Ibidem.)
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1449
Verf. wendet sich gegen die in England vielfach verbreitete
Lehre, dass man bei Aortenfehlern keine Digitalis geben dürfe. Er
gibt 15 Tropfen der Tinktur 4 stündlich, sobald Störungen der Kom¬
pensation zu verzeichnen sind. Man muss die Digitalis bis zum
Auftreten leichter Vergiftungserscheinungen geben. Digitalis lässt
sich durch kein anderes Mittel ersetzen, wird aber mit Nutzen mit
Nitroglyzerin kombiniert, besonders in allen den Fällen, in denen die
vaskuläre Spannung erhöht ist.
E. W. Hey Q r o v e s: Fälle von V o I k in a n n scher Kontraktur
bei Hämophilen. (Ibid.)
Sehr interessante Krankengeschichten und Stammbäume von
Blutern. Bei 2 Kindern bildete sich im Anschluss an ein Hämatom
der oberen Extremitäten eine typische ischämische Muskelkontraktur
(offenbar durch Druck auf die zuführenden Gefässe) aus, ohne dass
eine Fraktur bestanden hätte und dass Schienen oder schnürende
Verbände zur Anwendung gekommen wären.
J. Dixon Mann: Cor triloculare biatricum. (Ibid.)
Ueberaus seltene Missbildung des Herzens. Das Septum zwischen
beiden Ventrikeln fehlte vollkommen. Mitral- und Trikuspidalklappe
öffnen sich an normaler Stelle in den gemeinsamen Ventrikel, aus dem
zwei Arterien (Aorta und Pulmonalis) entspringen. Das Präparat
ist abgebildet. Interessant ist noch, dass der Träger, ein Mann,
trotz dieser schweren Missbildung 35 Jahre alt geworden ist.
Sir Lauder Brunton: Kalziumsalze bei Pneumonie und Herz¬
krankheiten. (Ibid.)
Verf. hat gefunden, dass Kalziumchlorid als Herztonikum äus-
serst wertvoll ist. Er gibt es bei Pneumonien prophylaktisch 0,3
bis 0,75 alle 4 Stunden mit Saccharin als Geschmackskorrigens. Bei
Herzkranken, wo es nicht auf eine sehr rasche Wirkung ankommt,
kann man Calc. glycerophosphor. oder lactophosphor. anwenden, die
besser schmecken.
.1. Crawford Ren ton: Späte Chloroformwirkungen. (Ibid.)
2 sehr interessante Krankengeschichten mit Sektionsberichten.
Es handelte sich um die interessanten und noch so wenig bekannten
Fälle, in denen es im Anschluss an eine Chloroformnarkose ohne jede
Sepsis zu einer akuten Verfettung der Leber gekommen war. Es
handelt sich dabei nach Verfassers Ansicht um eine durch das
Chloroform hervorgerufene Azetonvergiftung. (Refer. sah vor %
Jahr einen Fall, bei dem er im Anschluss an eine Laparotomie wegen
Extrauteringravidität nach einigen Tagen, ohne dass Zeichen einer
Peritonitis vorhanden gewesen wären, zu einem Symptomenkomplex
kam, der durchaus dem bei akuter gelber Leberatrophie beobachteten
glich. Fortgesetzte Kochsalzinfusionen und Klysmen brachten Bes¬
serung und Heilung, nachdem die Kranke mehrere Tage im schwer¬
sten Koma gelegen hatte.
David Heron: .Das Vorkommen des Krebses in den verschie¬
denen Gesellschaftsklassen. (Ibid.)
Verf. hat auf Grund sorgfältiger statistischer Studien gefunden,
dass der Krebs vorwiegend eine Erkrankung der besser gestellten
Gesellschaftsklassen ist.
A. E. Barker: 128 Fälle von Spinalanalgesie. (Brit. Med.
Journal, 23. März 1907.)
Es ist dies die erste grössere englische Arbeit über dieses Thema.
Das Alter der Kranken schwankte zwischen 15 und 71 Jahren. Verf.
verwendet stets Stovain und zwar in folgender Lösung. Stovain
10,0, Glukose 5,0, Aqu. dest. 85,0. Als Nebenwirkung wurde manch¬
mal leichter Kopfschmerz beobachtet, der auf Phenazetin oder Ri¬
zinusöl rasch verschwand. Durchschnittlich kamen 5 cg Stovain zur
Verwendung. Die Analgesie trat durchschnittlich nach 8 Minuten
auf und erreichte vor dem Ende der Operation den oberen Sternal-
rand (leichte Erhebung des Beckens). Durchschnittlich dauerte sie
50- — 70 Minuten. Verf. verwendet keinen Adrenalinzusatz, da er
Hämorrhagien fürchtet, wie sie oft in der Haut nach lokalen Anästhe¬
sien mit Adrenalin beobachtet werden. In 3 Fällen trat der Tod
ein, doch stets ohne jeden Zusammenhang mit der spinalen Analgesie.
Der Kopf des Kranken liegt hinter einem Schirm, so dass .er den
Operateur nicht sehen kann. Verf. schreibt dann ausführlich über
die physikalische Wirkung der Injektionen. Er hat die Bier sehe
Spritze etwas modifiziert, um mit Sicherheit zu verhindern, dass
auch nur ein Tropfen der geringen, zur Injektion benutzten Flüssig¬
keitsmenge verloren gehe. Durch die Hohlnadel der Spritze steckt
er eine stumpf endende Kanüle, die die Spitze der Spritze um etwas
überragt. Nachdem die Nadel eingeführt ist und 10 ccm Spinalflüssig¬
keit abgelaufen sind, führt man die an der Spritze befestigte Kanüle
durch die Hohlnadel ein. Das stumpfe Ende der Kanüle überragt die
Spitze der Nadel um 1 mm und muss also im Duralsack liegen.
Nach der Injektion, die in Seitenlage des Kranken gemacht wird,
rollt man ihn auf den Rücken, hebt das Becken um 3 — 4 Zoll und
legt ein Kissen unter den Kopf. Misserfolge treten bei genügender
Uebung so gut wie nie ein; nur darf man nie injizieren, wenn der
Liquor cerebrospinalis nicht gut abfliesst.
P. A. Moynihan: Zur Behandlung von Verätzungen des
Magens. (Ibid.)
Verf. empfiehlt, bei Verätzungen des Magens möglichst bald zu
operieren, und zwar soll man eine hintere Gastroenterostomie an-
legen und gleichzeitig eine Gastrostomie machen. Von der Magen-
hstel aus schiebt man ein Rohr durch die Gastroenteroanastomose
in das Jejunum und ernährt den Kranken dadurch mit Umgehung
von Speiseröhre und Magen.
George H. Sa vage: Die Ursachen und Zunahme des Irrsinns.
(Ibid.)
Erblichkeit ist als Ursache bei einzelnen Fällen von Dementia
paralytica mitanzusehen. Häufiger ist bei Melancholischen als bei
Maniakalischen Vererbung mit im Spiel. Besonders beruhen fixe
Ideen und sensorische Halluzinationen oft auf vererbter Anlage.
Moralischer Blödsinn und Neigung zu Verbrechen finden sich oft in
neurotischen Familien. Idiotismus und geistige Schwäche findet man
häufig bei Kindern physisch dekadenter Eltern. Geisteskrankheit
wird niemals direkt vererbt, doch kann eine gewisse nervöse
Schwäche vererbt werden, die infolge selbst leichterer Ueberanstren-
gung zu einem Zusammenbruch des geistigen Gleichgewichts führen
kann. Geisteskranke Eltern können ganz gesunde Kinder haben,
auch führen Ehen zwischen Blutsverwandten an sich nie zu Geistes¬
störungen. Exzentrische oder nervöse Eltern (nicht geisteskranke)
können ganze Familien von Idioten oder geistig Minderwertigen
hervorbringen.
A. Knyvett Gordon: Zur Behandlung der puerperalen Sepsis.
(Lancet, 30. März 1907.)
Verf. behandelte im Jahre 1906 in seinem Fieberhospitale
49 Fälle von Puerperalfieber bis zum Ende. Es handelte sich stets
um schwere, lebensgefährlich kranke Fälle, da leichter Kranke von
den Aerzten nicht dem Isolierhospitale überwiesen werden. Bei den
als geheilt entlassenen Frauen betrug die Behandlungszeit im Durch¬
schnitt 60 Tage. In 28 Fällen war die Entbindung von einem Arzt,
in 16 von einer Hebamme geleitet worden (11 Zangengeburten,
mehrere Fälle von manueller Lösung der Plazenta). Besonders
gefährlich scheinen dem Verf. die von Aerzten und Hebammen viel¬
fach angewendeten Vaginalduschen nach der Geburt. In 29 der Fälle
fand man im Inneren des Uterus Streptokokken, in 1 Falle fand man
nur Kolibazillen, in 2 nur Gonokokken, in 1 nur Staphylokokken. In
8 von 27 daraufhin untersuchten Fällen fand man Streptokokken im
Blute der Vena basilica. In 18 Fällen waren Plazentarreste zurück¬
geblieben (1 Tod), in 7 handelte es sich um Einrisse (kein Todesfall).
8 Fälle (4 Todesfälle) litten bei der Aufnahme an allgemeiner Peri¬
tonitis; 3 Fälle von Beckeneiterung starben alle; allgemeine Sepsis
ohne nachweisbare Läsion 13 Fälle mit 4 Todesfällen. Bei 41 der
Fälle wurde kurz nach der Aufnahme der Uterus kürettiert, dann
mit reinem Izal ausgewischt und mit Izalgaze tamponiert. Wegen
allgemeiner Peritonitis wurden 8 Fälle laparotomiert und 6 geheilt.
Bei 3 weiteren Fällen wurde der Uterus (2 mal vaginal) entfernt,
alle 3 Fälle starben. Bei 20 Fällen wurde Antistreptokokkenserum
angewendet (Wellcome Laboratorium). Verf. verwendet ein poly¬
valentes Serum und rät zur einmaligen Einspritzung grosser Quanti¬
täten (100 — 200 ccm; die mehrmalige Einspritzung kleinerer Dosen
hält er für zwecklos).
W. Essex Wynter: Chloreton und seine Verwendung bei der
Chorea. (Ibid.)
Chloreton (Trichlor, tertiär Butyl-Alkohol) löst sich nur wenig
in Wasser, gut in Glyzerin, Petroleum, Oel und Alkohol. Es kann
auch gut in Cachets genommen werden. Verf. fand es ein ausge¬
zeichnetes Mittel bei Chorea (3 mal 0,3 bei Kindern von 12 Jahren).
Er gab es gewöhnlich 5 — 10 Tage lang. Es ist, wie auch Refer. be¬
stätigen kann, ein gutes Mittel gegen Seekrankheit, man gibt 3 — 4 mal
täglich 0,3.
A. E. Giles: Beobachtungen über Fibromyome des Uterus.
(Lancet, 2. und 9. März 1907.)
Verf. fand, dass in 84 Proz. seiner Fibromfälle die Frauen über¬
haupt nicht oder doch seit mindestens 10 Jahren nicht schwanger ge¬
wesen waren. Er hat ferner im Laufe der Jahre seine Meinung über
die Wichtigkeit und die Gefahren der Fibrome durchaus geändert.
Er hält sie nicht mehr für Tumoren, die in der Mehrzahl der Fälle
nur wenig Beschwerden machen, sondern er glaubt, dass jedes
Eibrom den Keim späteren Leidens in sich trägt und deshalb ent¬
fernt werden sollte, sobald es die geringsten Beschwerden macht.
Die Lehre, dass diese Tumoren nach der Menopause nicht mehr Be¬
schwerden machen, ist falsch. In vielen Fällen ist die Menopause
sehr lange hinausgeschoben oder wenigstens hören die Blutungen
nicht auf und schwächen und gefährden die Frau. Hört aber die
Blutung auf, so bleibt doch der Tumor zurück und kann nach wie
vor durch seinen Sitz oder sein Gewicht die Lebensfreude stören.
Während des Einsetzens der Menopause drohen der Trägerin eines
Fibroms aber noch besondere Gefahren durch degenerative Ver¬
änderungen in dem Tumor. Verf. rät deshalb dringend, die Kranke
nicht auf das Eintreten der Menopause zu vertrösten, sondern zu
operieren, sobald ein Fibrom Beschwerden zu machen beginnt.
Kenneth W. Goadby: Pyorrhoea alveolaris. (Lancet, 9. März
1907.)
Sorgfältige bakteriologische Studien über die Pyorrhoea alveo¬
laris. Die Krankheit führt sehr häufig zu Anämie, zu dyspeptischen
Beschwerden und zu Akne. Die Behandlung muss dafür sorgen, die
Taschenbildung an den Alveolen zu beseitigen. Dies geschieht nach
gründlicher Reinigung der Zähne am besten durch Ausbrennen der
Taschen mit dem Thermokauter. Die Behandlung wird wesentlich
gestützt und manchmal überhaupt erst erfolgreich gestaltet durch
Vakzinebehandlung. Man untersucht das Blut des betreffenden Kran-
1450
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
ken auf seinen opsonischen Index für verschiedene Mikroorganismen
(Staphylokokken und Streptokokken). Dann stellt man sich aus den
vom Kranken selbst gezüchteten Bakterien Vakzinen her und impft
den Kranken damit. Findet man einen niedrigen Index gegen mehrere
Bakterienarten, so müssen auch die entsprechenden verschiedenen
Vakzinen angewendet werden. Es trat stets nach der Impfung die
von W r i g h t beschriebene negative Phase ein und es ist nötig,
das Verschwinden dieser Phase und einen übernormalen opsonischen
Index abzuwarten, ehe man mit der Lokalbehandlung der Alveolen
beginnt. Verf. glaubt, dass die Infektion zumeist auf den Genuss
unreiner Milch zurückzuführen ist.
G. A. Sutherland: Die Behandlung der angeborenen Pylorus¬
stenose. (Lancet, 16. März 1907.)
Für die Mehrzahl der Fälle ist die chirurgische Behandlung
überflüssig, wenn man nicht zu spät mit der inneren Behandlung
beginnt. Man muss den Magen von aller den Pylorus zum Krampf
reizenden Nahrung frei halten. Man gebe nur sehr kleine Mahlzeiten,
30 — 90 ccm stündlich oder zweistündlich. Hat die Mutter gute Milch,
so ist dies die beste Nahrung; sonst gebe man peptonisierte Kuhmilch
oder Allenburys Kindernahrung No. I. Ausserdem kann man
Malzextrakt, rohen Fleischsaft und Traubensaft versuchen. Der
Magen muss 1—2 mal täglich ausgespült werden. Bei sehr elenden
Kindern muss man zuweilen Kognak geben; auch kann man Ein¬
reibungen von Lebertran versuchen. Die ganze Behandlung muss
oft Monate lang fortgesetzt werden, ehe Heilung eintritt. Diar¬
rhöen, die zuweilen den Fall komplizieren, sind durch Verminderung
der Nahrung und kleine Dosen von Hydrargyrum cum Kreta zu be¬
kämpfen. Verf. gibt einige Krankengeschichten, die zeigen, dass
selbst schwere Fälle dieser gar nicht so seltenen Krankheit durch
innere Massnahmen geheilt werden können.
J. P. zum Busch- London.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die jüngste Entscheidung der Ministeriums des Innern be¬
züglich der registrierten Hilfskassen. — Aus Versammlungen der
Privatdozenten, Hochschulassistenten und Mediziner. — Belag¬
raum und Verpflegstaxen in den öffentlichen Humanitätsan¬
stalten Oesterreichs im Jahre 1907.
Ende Jänner 1902 hat die Wiener Aerztekammer einen
Beschluss gefasst, demzufolge die Annahme von pauschalierten
Aerztestellen bei den registrierten Hilfskassen als Standes-
widrig erklärt wurde. Desgleichen wurde die Annahme
einer Stelle bei der nach dem Statute der registrierten Hilfs¬
kassen errichteten „Krankenkasse der Wiener Bankbeamten“
nur dann als zulässig erklärt, wenn die Kammer die Be¬
dingungen geprüft und gutgeheissen hätte. Nach fast 2 Jahren
sind diese Beschlüsse der Wiener Aerztekammer von der
niederösterreichischen Statthalterei, welche die Oberaufsicht
über die Aerztekammer und ihre Tätigkeit übt, ausser Kraft
gesetzt worden, mit der Begründung, dass die Kammer hiebei
ihren Wirkungskreis überschritten habe. Die Kammer hat
gegen den Erlass der Statthalterei den Rekurs an das Mini¬
sterium des Innern ergriffen und dieses hat, wie die Statt¬
halterei jüngst der Wiener Aerztekammer mitteilte, dem Re¬
kurse keine Folge gegeben.
Man beachte vorerst schon das äusserliche Moment. Es
handelt sich um eine für die Aerzteschaft Wiens und ganz
Oesterreichs lebenswichtige Frage, ob nämlich den
Hilfskassen und den nach ihrem Statute errichteten und noch
weiters zu errichtenden Vereinskassen, die auch von den wohl¬
habendsten Schichten der Bevölkerung gegründet werden
können, dieselben Rechte inbezug auf Krankenfürsorge, in erster
Linie die obligatorische Beistellung unentgeltlicher ärztlicher
Hilfe durch pauschalierte Kassenärzte, gesetzlich zugestanden
werden dürfen oder sollen, als sie den A r b e i t e r kranken-
kassen gesetzlich zugestanden worden sind. Die Aerzte und in
ihrem Namen die Kammer negierten es, sie wiesen speziell
darauf hin, dass sie die obligatorische Krankenversicherung
der A r b e i t e r als sozialpolitische Notwendigkeit anerkennen,
freilich unter stetem Hinweis auf die notwendigen Reformen,
so der gesetzlichen Festsetzung einer gewissen Einkommens¬
grenze der Versicherten etc., dass sie aber n i e und n i m m e r
den Hilfskassen, so wenig wie den Meisterkrankenkassen, die
(im Gesetze übrigens gar nicht vorgeschriebene) obligatorische
freie ärztliche Behandlung zugestehen können, weil derlei Ein¬
richtungen den ärztlichen Stand vollends an den Bettelstab
zu bringen geeignet seien. Und was geschieht? Die Statt¬
halterei lässt 2 Jahre ins Land gehen, ehe sie den Abwehr¬
beschluss der Aerztekammer als unzulässig erklärt und ihn
annuliert und der dagegen beim Ministerium eingebraehte Re¬
kurs bleibt weitere 3% Jahre liegen, ehe er — abgewiesen
wird. Schon hieran ist die — Aerztefreundlichkeit der Re¬
gierung, ihre hohe Achtung vor unserem Stande, der Grad des
uns entgegengebrachten Wohlwollens, von welchem die Re¬
gierungsvertreter bei festlichen Anlässen (Aerztekongressen)
stets iiberfliessen, zu erkennen.
Die Wiener Aerztekammer, deren Funktionsperiode schon
längst abgelaufen ist, die also jetzt nur die Geschäfte bis zur
Wahl einer neuen Kammer weiterführt, wird gegen die Ent¬
scheidung des Ministeriums -eine Beschwerde an den
Verwaltungsgerichtshof richten und hat ausserdem
folgende Resolution gefasst: „Die Wiener Aerztekammer
protestiert gegen die in der Ministerialentscheidung . . . über
den Rekurs der Kammer angeführten, den Aerztestand schwer
schädigenden Gründe. Die Aerztekammer wird nach wie vor
in dieser Frage nach ihrer Ueberzeugung im Interesse der
Aerzte Vorgehen.“
Sehen wir uns die Gründe der Ministerialentscheidung
genauer an. Das Ministerium sagt, dass die Hilfskassen nach
dem Gesetze berechtigt sind, vertragsmässig Kassenärzte an¬
zustellen, dass dagegen die Aerztekammer kein Recht habe,
kraft dessen sie befugt wäre, diese Kassen an der Anstellung
von Aerzten und den einzelnen Arzt an der Annahme einer
Stelle bei diesen Kassen zu hindern. Wenn nun die Aerzte-
kammer dennoch einen solchen Beschluss gefasst habe, so sei
dieser Beschluss gesetzwidrig und dessen Behebung gerecht¬
fertigt. Darauf haben die Aerzte schon früher geantwortet,
indem sie sagten: Wenn auch die Hilfskassen berechtigt
sind, Kassenärzte anzustellen, so sind sie hiezu gesetzlich
nicht verpflichtet. Im Gesetz vom 16. Juli 1892 betr. die
registrierten Hilfskassen lautet der § 1 wörtlich: „Auf Gegen¬
seitigkeit gegründete Vereine, welche die Versicherung ihrer
Mitglieder zum Zwecke haben, können... besondere Rechte
erlangen. Der Zweck dieser Hilfskassen kann sich erstrecken
auf die Versicherung: 1. von Krankenunterstützungen, 2. eines
Begräbnisgeldes, 3. von Invaliditäts- und Altersrenten, 4. von
Witwen- und Waisenunterstützungen, 5. einer Summe Geldes
von seiten eines Mitgliedes zu gunsten eines dritten . . . Der
Wirkungskreis der Hilfskasse kann einen oder mehrere oder
alle genannten Zwecke umfassen.“ Und der § 16 lautet: „Als
Krankenunterstützung können den Mitgliedern Krankengeld,
ärztliche Behandlung, Arzneien und andere Heilmittel, Ver¬
pflegung in einem Krankenhause.:, gewährt werden.“ Wenn
also die Hilfskassen nach diesem Gesetze, wie es das Mini¬
sterium sagt, berechtigt sind, vertragsmässig Kassenärzte
anzustellen, so sind sie hierzu keineswegs auch ver¬
pflichtet, sie können ihren Mitgliedern auch ein so reich¬
liches Krankengeld geben, dass diese sich ihre Aerzte selbst be¬
zahlen. Die Hilfskassen, die überhaupt gar nicht zu exi¬
stieren brauchten, wollen aber ihren Mitgliedern möglichst
grosse Vorteile verschaffen, u. a. auch die billigste ärztliche
Behandlung, also auch die freie Behandlung durch fix bestellte,
aber schmählich bezahlte Kassenärzte. Die Aerzte sind aber
nicht gezwungen, solche Stellen anzunehmen und sie leiten die
Befugnis, „diese Kassen an der Anstellung von Aerzten und
den einzelnen Arzt an der Annahme einer Stelle an diesen
Kassen zu hindern“, aus dem Aerztekammergesetze vom
22. Dezember 1891 her, welches sagt: „Die Aerztekammern
sind berufen, über alle Angelegenheiten, welche die gemein¬
samen Interessen des ärztlichen Standes, die Aufgaben und
Ziele, sowie die Würde und das Ansehen des ärztlichen Standes
betreffen, Beschlüsse zu fassen.“ Wenn die Aerztekammer den
einzelnen Arzt an der Annahme einer solchen Stelle bei diesen
Kassen durch Androhung der Disziplinierung hindert, so hält
sie damit eine Schädigung der gemeinsamen Interessen, der
Würde und des Ansehens des ärztlichen Standes hintan.
Die Ministerialentscheidung sagt aber weiter: Auch der
Beschluss der Aerztekammer, bei der Krankenkasse der Wiener
Bankbeamten, welche Krankenkasse zu den registrierten Hilfs¬
kassen gehört, die Annahme einer solchen Stelle nur dann zu
erlauben, wenn die Kammer die Bedingungen geprüft und gut-
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1451
geheissen habe, involviere eine Verletzung der Rechte der
Krankenkasse zur Aerzteanstellung und sei dessen Behebung
dem Gesetze entsprechend. Die Aerztekammer habe zwar das
Recht, darüber zu urteilen, ob ein Mitglied des ärztlichen
Standes sich eines standesunwürdigen Verhaltens schuldig ge¬
macht habe, sie schafft aber ein Präjudiz, „wenn
sie von vornherein gewisse Reihen von Tathandlungen als
standeswürdig oder standesunwürdig erklärt, weil dann . . .
der Ehrenrat und die Rekursinstanz nur mehr über das Vor¬
handensein eines bestimmten Tatbestandes, aber nicht mehr
darüber zu urteilen hätten, ob in diesem Tatbestände ein
standesunwürdiges Verhalten zu erblicken oder nicht zu er¬
blicken sei, da ja diese letztere Frage durch einen Beschluss
der Kammer a priori entschieden wäre.“
Wir sind keine Juristen, um dem wirksam zu begegnen;
aber unser simpler Menschenverstand bäumt sich förmlich auf,
wir greifen uns unwillkürlich an den Kopf und lesen diese
Phrasen ein zweites und drittes Mal, um sie völlig zu erfassen.
Wir fragen : Schaffen nicht alle Strafgesetze solche
Präjudize, haben sie nicht alle eine grosse Reihe von Tat¬
handlungen von vornherein als strafbar erklärt und gehen die
Gerichte nicht so vor, dass sie im einzelnen Falle nur das Vor¬
handensein eines bestimmten Tatbestandes (Raub, Mord, Dieb¬
stahl) zu konstatieren und unter einen bestimmten Paragraphen
des Strafgesetzes zu subsummieren haben? Schaffen nicht die
vom Gesetze anerkannten Kodizes aller Ehrengerichte der ver¬
schiedensten Stände (der Rechtsanwälte, Notare, Offiziere etc.)
tagtäglich hunderte solche Präjudize, indem sie allgemeine
Grundsätze aufstellen und dabei von vornherein festlegen, dass
ein Standesmitglied dies und jenes tun dürfe, dies und jenes bei
Androhung der Disziplinierung unterlassen müsse? Und nur
die Ehrenräte unserer Kammern sollten nicht diese Auto¬
nomie besitzen, sie sollten vielleicht darauf warten müssen,
bis etwa die - Kronjuristen so gnädig sind, zu erklären, diese
oder jene Tathandlung eines Arztes sei a priori standeswidrig
resp. standesunwürdig? Seit dem Bestände der Aerzte-
kammern wurden hunderte solche Präjudize geschaffen; was
also durch mehr als 15 Jahre stillschweigend zugelassen wurde,
das wird mit einem Male als unzulässig erklärt!! Die Advo¬
katenkammer erklärt z. B. das Annoncieren in Tagesblättern,
das Unterbieten im Preise und vieles andere von vornherein für
standesunwürdig, der Offiziersehrenrat erklärt das Besuchen
eines Lokales für standesunwürdig usw., sie alle nehmen sich
aus ihrer Autonomie das Recht hiezu und kein Mensch würde
es wagen, es ihnen zu bestreiten, und nur wir Aerzte sollten
wohl das Recht haben, hinterher zu untersuchen und zu er¬
klären, ob sich ein Arzt eines standesunwürdigen Verhaltens
schuldig gemacht habe, wir dürften aber nicht prophylaktisch
Vorgehen, nicht allgemeine Grundsätze für das Verhalten der
Aerzte untereinander und gegen Nicht-Standesmitglieder auf¬
stellen, um ja nicht der Rekursinstanz, also den Juristen, vor¬
zugreifen, da diese — und vielleicht nur diese allein —
das Recht haben sollen, eine Reihe von Tathandlungen der
Aerzte von vorneherein als standeswürdig oder — unwürdig
zu erklären?! Wir denken, dass auch unsere Aerztekammern
resp. ihre gesetzlich bestehenden Ehrenräte jederzeit das
volle Recht und einzig und allein auch die
Eignung besitzen, festzulegen und diese Festlegungen in
bindenden Beschlüssen an die Kammermitglieder zu enunzieren,
was sie von vorneherein für standeswidrig oder für standes-
unwürdig halten.
Mit alledem hat das Ministerium gar keine m e r i -
torische Entscheidung gefällt, sonst hätte es sagen
müssen: Ihr Aerzte seid berechtigt, zn erklären, was für Euch
standeswidrig resp. standesunwürdig ist. In diesem speziellen
Falle (Hilfskassen) habt Ihr gesagt, es sei standeswidrig, eine
pauschalierte Kassenarztenstelle anzunehmen. Ich aber, als
die mit der Oberaufsicht betraute Behörde, als Instanz, erkläre,
und zwar aus folgenden Gründen, dass die Annahme einer
solchen Stelle nicht standeswidrig sei. Zu einer solchen
meritorischen Entscheidung wäre das Ministerium berechtigt
gewesen. Es hat aber dies nicht getan, es hat vielmehr aus
formalen Gründen, die wir als juristische Kniffe gekennzeichnet
haben, den wohlbegründeten Rekurs der Wiener Aerztekammer
abgewiesen.
Sollen wir nun warten, wie der Verwaltungsgerichtshof
sich zu dieser Frage stellt? Sollen wir geduldig weitere 2 oder
3 Jahre warten und inzwischen Zusehen, wie eine Vereins¬
krankenkasse nach der anderen sich nach dem Statute der
Hilfskassen konstituiert, sich pauschalierte Kassen- und Kon-
trollärzte beilegt und uns praktischen Aerzten der besitzenden
und zahlungsfähigen Klientel völlig beraubt? Nein, das dürfen
wir nicht. Wäre es nicht Sache der wirtschaftlichen Aerzte-
organisation Oesterreichs, in erster Linie der Organisation der
Aerzte Wiens, hier Remedur zu schaffen? Der lendenlahme
„Protest“ der Wiener Aerztekammer wird keinen Hund vor
den Ofen locken, da müssten wohl, wenn überhaupt, andere, —
radikalere Töne angeschlagen werden! Auch die in den
Wiener publizistischen Organen zur Vertretung der ärztlichen
Interessen aus diesem Anlasse neuerlich und bis zum Ueber-
drusse oft wiederholte Mahnung an die Aerzte, sich zu Or¬
gan i s i e r e n, diesen Hilfskassen weder die fakultative, noch
die obligatorische freie ärztliche Hilfe zu gestalten, erscheint
uns, die wir hinter die Kulissen sehen und den Widerstand und
die separatistische Neigung kennen, die von einer grossen
Gruppe von Aerzten der tatsächlichen Organisation der Aerzte
Wiens auf rein wirtschaftlicher Grundlage entgegengebracht
werden, als ein nicht sehr aussichtsvolles Remedium. In Nieder¬
österreich wird ein gemeinsamer Landesverband aller Aerzte
zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen nach dem Muster
des Leipziger Verbandes mit Verpflichtungsschein und einem
Jahresbeitrag von 24 Kronen jährlich gegründet. Es bestehen
bereits derartige streng wirtschaftliche Verbände der Aerzte
in Deutschböhmen, Schlesien, Steiermark, Kärnten und Krain.
Nur eine mächtige, auf rein wirtschaftlicher Basis beruhende
Organisation der Aerzte Wiens, einer Organisation, die keine
nationalen, politischen oder konfessionellen Unterschiede unter
Berufsgenossen kennt, die in vollster kollegialer Aufrichtigkeit
und ohne Personenkultus an ihre Aufgaben ginge, nur eine
solche Organisation, an deren Zustandekommen wir fast
zweifeln, könnte hier wirkliche Abhilfe schaffen. Vielleicht
bringt dennoch der Herbst diese schöne Frucht vom Baum der
Erkenntnis.
In den letzten Wochen haben die D o z e n t e n (Vereinigung
österreichischer Hochschuldozenten), dann die Assistenten
aller österreichischen Hochschulen und zuletzt auch die
Mediziner behufs Wahrung ihrer Interessen Versamm¬
lungen abgehalten, allerlei Beschlüsse gefasst und diese in
Form von Petitionen oder Memoranden der ihnen Vorgesetzten
Behörde überreicht. Beginnen wir mit den Privatdozenten der
Wiener medizinischen Fakultät. Die staatlichen Spitäler sollen
mit spezialärztlichen Stellen ausgestattet werden. Das be-
griissen die Privatdozenten auf das wärmste, sie wünschen
aber, da sich leider schon entgegengesetzte Tendenzen geltend
machen, dass die zu schaffenden Stellen unbedingt
öffentlich ausz uschreiben und im Konkurs¬
wege unter Befolgung der bei Besetzung von Primariaten
vorgesehenen Bestimmungen zu vergeben seien. Eine Kumu¬
lierung mehrerer Stellen sei nach Möglichkeit zu vermeiden,
eine Vereinigung mehrerer Fächer im Interesse der Kranken
nicht einzuführen. Eine provisorische Besetzung unter Um¬
gehung einer öffentlichen Ausschreibung sei ebenfalls zu ver¬
werfen, weil sie erfahrungsgemäss leicht zu einem Definitivum
führt und oft nur als ein Versuch erscheint, die sonst fehlende
Qualifikation zu schaffen. Es braucht wohl nicht gesagt zu
werden, wogegen diese Beschlüsse ihre Spitze richten.
Die Assistenten aller Hochschulen Oesterreichs (Univer¬
sitäten, technischen Hochschulen, der tierärztlichen, monta¬
nistischen und der Hochschule für Bodenkultur) haben nach
Abhaltung eines Delegiertentages in Wien die Abfassung eines
Memorandums beschlossen und dieses sodann den
Ministern des Kultus und Unterrichts und der Finanzen, den
Rektoraten aller Hochschulen, allen medizinischen, philo¬
sophischen etc. Dekanaten, endlich dem Obersten Sanitätsrat
und zahlreichen massgebenden Persönlichkeiten überreicht. In
diesem Memorandum weisen die Assistenten auf ihre geringe,
den heutigen teuren Lebensverhältnissen nicht mehr entspre¬
chende Entlohnung hin und bitten, die Remuneration für alle
Assistenten ohne Rücksicht auf etwaige Emolumente zu er¬
höhen, und zwar auf 2200 Kronen jährlich, worauf drei Bien-
1452
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
nialzulagen von je 500 Kronen folgen. Sie wünschen ferner die
Bevorzugung der Assistenten (Konstrukteure) bei Besetzung
von staatlichen Lehrstellen und anderen Staatsanstellungen,
die Anrechnung ihrer Dienstjahre in die gesamte, einen Pen¬
sionsanspruch begründende Dienstzeit auch für den Fall, als
der Uebertritt in eine dauernde Staatsanstellung oder ein Lehr¬
amt erst nach einer Unterbrechung erfolgt, die Einführung von
Fahrbegünstigungslegitimationen auf den Linien der k. k.
Staatsbahnen, die Einführung einer obligatorischen Kranken-,
Unfalls- und Invaliditätsversicherung aller Assistenten durch
die Rektorate, schliesslich die Gleichstellung aller den gesetz¬
lichen Bedingungen genügenden Assistenten in Rücksicht auf
die Remuneration, Dienstwohnung und die gewährten Be¬
günstigungen.
Die Festsetzung der Remunerationen für die Assistenten in
ihrer jetzigen Höhe erfolgte im Jahre 1872, also vor 35 Jahren,
seither sind die Gehalte der Mittel- und Hochschulprofessoren
wiederholt reguliert, d. h. erhöht worden, auch die k. k. Staats¬
beamten beziehen in der letzten Zeit höhere Gehalte. Dabei
ist die Stellung der Assistenten keine dauernde, bei ihrer Be¬
stellung wird schon eine tüchtige, wissenschaftliche Ausbildung
verlangt, sie haben die Verpflichtung, den Professor in seiner
Lehrtätigkeit zu unterstützen und eventuell zu vertreten, sie
werden Mitglieder wissenschaftlicher Vereine, müssen Reisen
unternehmen, um Kongressen beizuwohnen, Sammlungen und
Institute zu besichtigen und haben sogar schon gesellschaft¬
liche Verpflichtungen. All das kostet Geld, zuweilen sogar viel
Geld, welches sie bei der Abhaltung von Privatkursen auch
nicht immer aufzubringen im Stande sind. Die erwähnten
Eisenbahnlegitimationen hatten die Assistenten in früherer Zeit,
sie wurden ihnen aber aus Sparsamkeit entzogen. Die Be¬
rechtigung dieser Wünsche der Hochschulassistenten wird all¬
seits anerkannt und auch der Unterrichtsminister hat einer
Deputation der Wiener Assistenten die baldige Verbesserung
ihrer Lage in Aussicht gestellt.
Schliesslich hat auch eine „Vereinigung Wiener Mediziner“
eine Versammlung abgehalten und ihren Wünschen Ausdruck
gegeben. Man sprach sich gegen die geplante Erhöhung des
Kollegiengeldes aus, befürwortete vielmehr die Einführung
eines Kollegiengeld pauschales nach dem Muster der tech¬
nischen Hochschulen sowie der Universitäten in Ungarn, ferner
die Stundung der Rigorosentaxen und deren Ableistung in
Raten nach abgelegtem Doktorat. Es möge den Medizinern ge¬
stattet sein, das erste Rigorosutn schon im 4. Semester abzu¬
legen, damit sie im 5. Semester unbehindert sich den klinischen
Studien widmen könnten. Die praktische Ausbildung der
Mediziner lasse viel zu wünschen übrig; man schaffe daher eine
entsprechende Zahl von Demonstratorenstellen an den Kliniken,
führe das obligatorische Hospitieren für Mediziner der höheren
Jahrgänge ein, man ziehe auch die Spitäler an der Peripherie
in den Bereich des Unterrichtes ein etc. Dass die Mediziner
6 Monate lang unter der Waffe dienen, das störe das Studium
und schädige sie in materieller und wissenschaftlicher Hinsicht.
Tüchtige Militärärzte der Reserve könnten doch nur in Spi¬
tälern herangebildet werden. Statt der sechsmonatlichen
Truppendienstzeit wünschen die Mediziner also nur ein ein¬
maliges Einrücken während der Ferien zur achtwöchentlichen
Waffenübung; die übrigen zehn Monate des Freiwilligenjahres
sollen erst nach erlangtem Doktorate und ausschliesslich in
einem Militärspitale abgedient werden. Auf diese Weise
könnten tüchtige Militärärzte herangebildet werden. Schliess¬
lich möge der Einrückungstermin nicht an ein bestimmtes
Datum (bisher 1. April und 1. Oktober) gebunden und der
zwangsweise Einrückungstermin zum militärärztlichen Dienste
bis zum 30. Lebensjahre verschoben werden. Die neue Rigo-
rosenordung, die sich noch kaum richtig eingelebt hat, erscheint
den Medizinern, die sehr gut wissen, wo sie der Schuh drückt,
nach mehrfacher Hinsicht reformbedürftig. Darüber wollen
wir ein anderes Mal berichten.
Einer offiziellen Mitteilung entnehmen wir die nachfolgen¬
den Ziffern: In Oesterreich gibt es 1907 im Ganzen 254 öffent¬
liche Spitäler mit einer Gesamtzahl von 37 610 Krankenbetten.
In den letzten 3 Jahren ist die Zahl der öffentlichen allgemeinen
Krankenhäuser um 13 gestiegen und hat die Zahl der Kranken¬
betten um 2837 zugenommen. Seit dem Jahre 1877 (drei
Dezennien) ist die Zahl der öffentlichen Kiankenhäusei in
Oesterreich um 93 (57 Proz.) gestiegen, während im selben Zeit¬
raum die Zahl der Krankenbetten fast den doppelten Stand er¬
reicht hat: 1877: 18 961, 1907: 37 610 also plus 18 649 Betten.
Die Verpflegstaxe pro Tag und Kopf betrug im Jahre 1877 durch¬
schnittlich 122 Heller und ist im Jahre 1907 durchschnittlich auf
178 Heller (in Wien 2 Kronen 40 Heller) angestiegen. Die Zahl
der Gebäranstalten ist in den letzten 3 Dezennien die gleiche
geblieben (18), die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden
Krankenbetten ist jedoch um 542 angestiegen und beträgt jetzt
2071. Endlich betrug die Zahl der öffentlichen Irrenanstalten
im Jahre 1870 21, im Jahre 1907 schon 36 und ist die Bettenzahl
in dieser Zeit von 5581 auf 16 434 angestiegen, indem auch die
schon vorhandenen Irrenanstalten stark vergrössert wurden.
Vereins- und Kongressberichte.
Ältonaer Aerztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. März 1907.
Vorsitzender: Herr Henop.
Schriftführer: Herr F e 1 g n e r.
Herr Grünberg spricht unter Demonstration einer Reihe von
behandelten und geheilten Patienten über die Reposition angeborener
laxierter Hüften, wie er sie in den letzten Jahren an einei giösseien
Anzahl von Patienten im Ältonaer Kinderhospital ausgeführt hat,
und zeigt an der Hand von Diapositiven die einzelnen Behandlungs¬
phasen. Das Behandlungziel sei eine anatomische Reposition, die
auch die besten Enderfolge gäbe. Die Transposition sei immer nur
ein Notbehelf und deren Resultate Hessen stets zu wünschen übrig,
wenn auch eine Besserung nach vielen Richtungen hin unverkennbar
wäre. Zur Erreichung der anatomischen Reposition sei die Innen¬
rotationsmethode geeigneter als die Aussenrotation. Die Verbands¬
technik sei zur Erhaltung der gelungenen Reposition von ausschlag¬
gebender Bedeutung. Bei nicht erreichbarer Reposition — meistens
die eine Hüfte einer doppelseitigen Luxation — wäre die blutige
Eröffnung der Gelenkkapsel, Trennung der event. Kapselverwach¬
sung mit dem Pfannenrande und darauffolgender Reposition mit Stel¬
lung wie bei unblutiger Reposition zu empfehlen und ist einmal mit
Erfolg ausgeführt worden. Behandlungsdauer im Verbände etwa
9 Monate. Längere Zeit nachher noch Massage und Bewegungen.
Die Innenrotation des Oberschenkels gleicht sich allmählich von selbst
aus. . .
Herr Hohmeier stellt eine Patientin vor, die eine schwere
Peritonitis durchmachte und durch Operation geheilt wurde. Das
20jähr. Mädchen war regelmässig menstruiert; Mitte Januar traten,
nachdem die Menses 12 Wochen lang sistiert hatten, unregelmässige
Blutungen auf, die Pat. nicht weiter beachtete. Am 2. Februar ver¬
schlimmerten sich die Blutungen, der herbeigerufene Arzt stellte einen
Abort fest und nahm die Ausräumung durch Kürette vor. Am 2.
Tage nach dem Kürettement hatte Pat. abends beim Stuhlgang plötz¬
lich heftige Schmerzen im Unterleib, die die Nacht über anhielten; am
nächsten Tag schon bot sich das Bild einer allgemeinen Peritonitis.
Bei der Aufnahme im Krankenhaus war Pat. sehr hinfällig, die
Atmung beschleunigt, der Puls kaum zu fühlen, sehr frequent. Das
aufgetriebene Abdomen zeigte neben ausgesprochener Spannung der
Bauchmuskeln eine starke Druckempfindlichkeit, die vor allem in der
rechten Unterbauchseite etwa 2 Ouerfinger oberhalb des Lig. Poupart.
hervortrat, in den abhängigen Partien war Dämpfung vorhanden.
Bei Eröffnung der Bauchhöhle durch einen rechtsseitigen Pararektal¬
schnitt entleerte sich stinkender Eiter. Die Appendix erwies sich
als normal. Beim Eingehen in das kleine Becken kam man auf die
entzündlich verdickte Tube; der an ihr hängende, etwa faustgrosse
Ovarialsack zeigte an seiner Hinterwand eine grosse Perforations¬
öffnung, aus der sich beim Vorziehen noch Eiter entleerte. Nach Ent¬
leerung eines Douglasabszesses und eines Abszesses in der Leber¬
gegend wurde zur besseren Durchspülung der Bauchhöhle eine Ge¬
geninzision auf der linken Seite angelegt; auch hier entleerte sich
aus dem Douglas und aus der Milzgegend eine grosse Menge Eiters.
Nach gehöriger Ausspülung Tamponade der Bauchhöhle, auch des
Ovarialsackes — von einer Exstirpation des rechten Adnexes musste
wegen des schlechten Zustandes der Pat. Abstand genommen wer¬
den — Pat. war in den nächsten Tagen fieberfrei und erholte sich
zusehends. Am 10. Tage p. op. Temperaturanstieg, es wurden noch
4 Abszesse entleert, von denen sich zwei zwischen den Darmschlin¬
gen, einer in der Lebergegend, einer im rechten Douglas lokalisiert
hatten. Von da ab fieberfreie Rekonvaleszenz.
Nachdem Vortr. noch einige Bemerkungen über die Nachbe¬
handlung der wegen diffuser Peritonitis operierten Pat. gemacht
hat, berichtet er weiter über 2 von ihm operierte Fälle von Uterus¬
ruptur.
Im ersteren handelt es sich um eine Ruptura uteri traumatica,
bei einer III. Para mit engem Becken war Wendung und Extraktion
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1453
gemacht, Plazenta ging spontan ab, keine erhebliche Nachblutung.
Das Wochenbett verlief zunächst ganz zufriedenstellend (Ternp. nicht
über 38,5 in recto). Am 11. Tag p. part. Temperaturanstieg auf 39,8°.
Am nächsten Tage fühlbarer Tumor in der rechten Bauchseite, am
12. Tag p. part. Ueberfiihrung ins Krankenhaus. Der Allgemein¬
zustand der Pat. war schlecht. Die Eröffnung der Bauchhöhle zeigte,
dass der Uterus durch einen queren Riss von dem vorderen Scheiden¬
gewölbe abgerissen war; er war unterhalb der Leber mit Netz und
vorderer Bauchwand verwachsen. Bei Lösung der Verwachsungen
entleerte sich stinkender Eiter aus einer unter der Leber liegenden
zweifaustgrossen Abszesshöhle. Totalexstirpation des Uterus. Tam¬
ponade der Abszesshöhle und des kleinen Beckens durch die Vagina.
Exitus am 6. Tage p. op. an embolischer Pneumonie.
Im 2. Falle handelte es sich um eine Ruptura uteri spontanea
bei einer XV. Qravida im 9. Schwangerschaftsmonat. Die ersten 12
Geburten und Wochenbetten verliefen normal. Bei der 13. Geburt
scheint es sich um eine Placenta praevia lateralis gehandelt zu
haben, bei der 14. wurden Zwillinge im 8. Monat vom Arzt extra¬
hiert. Letzte Menstruation Anfang Juni, erste Kindsbewegung Ende
November. Pat. fühlte sich in der Schwangerschaft ganz wohl. Am
23. Januar hatte sie morgens etwas ziehende Schmerzen im Leib,
die sie aber nicht hinderten, ihrer Arbeit nachzugehen. Nachmittags
musste Pat. mehrmals erbrechen und wurde ohnmächtig. Einen
plötzlichen Schmerz im Leib hat sie nach ihrer bestimmten Angabe
nicht gehabt. Um 6 Uhr häuften sich die Ohnmächten, der Zustand
wurde immer schlechter. Der um 7 Uhr zugezogene Arzt riet wegen
innerer Blutung zur Ueberführung in das Krankenhaus.
Die sehr blass aussehende Pat. ist benommen, der Puls ist sehr
frequent, sehr schwach. Abdomen ist aufgetrieben, die abhängigen
Partien sind gedämpft. Unter den dünnen Bauchdecken fühlt man
mit erschreckender Deutlichkeit die leicht verschieblichen Kindsteile.
Bei der vaginalen Untersuchung fühlt man den Muttermund für
2 Finger durchgängig; in der linken Bauchseite ist der über kinds¬
kopfgrosse Uterus deutlich zu fühlen.
Sofortige Laparotomie: Es entleert sich eine grosse Menge teils
flüssigen, teils geronnenen Blutes. Der Fötus ist im Eisack samt
Plazenta in die Bauchhöhle ausgetreten. Beim Vorziehen des Uterus
zeigt sich ein Riss der hinteren Wand vom Fundus bis aufs Schei¬
dengewölbe. Da der Zustand der Pat. ein möglichst rasches Vor¬
gehen verlangt, wird der Riss vernäht, die Bauchhöhle sorgfältig
von Blut gereinigt, mit Kochsalz gespült, die Bauchwunde durch
Etagennaht geschlossen. Unter Exzitantien und Kochsalzinfusionen
hat sich Pat am nächsten Tage gut erholt. Am 6. Tag Thrombose
des linken Beines, vom 12. Tage ab ist die Temperatur normal ge¬
blieben. Um einer weiteren Schwangerschaft vorzubeugen wurde
der Pat. eine Operation zur Herbeiführung der Sterilität vorge¬
schlagen und sie willigte ein. Am 26. Februar Relaparotomie mit
teilweiser Exzision der Narbe. Keine Verwachsungen im Bereich
der Narbe. Der gut involvierte Uterus wird mit einem Muzeux ge¬
fasst, der wegen der Weichheit der Muskulatur schon beim geringsten
Zuge ausreisst. Der Uterus wird dann mit stumpfer Klemme gefasst
und vorgezogen; ein Stück der Tuben wird reseziert, das uterine
Tubenende wird parametran versenkt. Bauchnaht. Leichte Bron¬
chitis p. op., sonst keine Störung. Heilung der Narbe wieder p. p. i.
Pat. ist seit 8 Tagen ausser Bett.
Die Ursache dieser Ruptur ist in degenerativ-entzündlichen Pro¬
zessen der Uterusmuskulatur zu suchen.
Vortr. geht dann noch auf die Aetiologie, Prognose und Therapie
der Spontanrupturen des Uterus näher ein.
Herr Herford berichtet über die bakteriologischen und
epidemiologischen Beobachtungen, die an den seit anfangs
März in Altona aufgetretenen Fällen von Meningitis cerebro¬
spinalis epidemica gemacht sind. Es handelt sich bisher um
10 Erkrankungen, die zur Meldung gelangt und bakteriologisch
sicher gestellt sind. In sämtlichen Fällen glückte die Rein¬
züchtung der Meningokokken Weichselbaums auf Rinder¬
serum, meist aus Lumbalsekret, zum Teil gleichzeitig aus dem
Nasenschleim, zweimal aus Leichenrnaterial. Die Fälle kamen
meist in den ersten Krankheitstagen zur Untersuchung, was
für das Gelingen der Kultur wichtig ist; je später das Lumbal¬
oder Nasensekret untersucht wird, desto geringer sind die Aus¬
sichten für den positiven Ausfall der Züchtung. Im Lumbal¬
sekret, direkt untersucht, zeigten die Kokken meist extrazellu¬
läre Lagerung; nachträgliche Einwanderung in die Zellen bei
Aufbewahrung des entleerten Exsudates bei Körpertemperatur
wurde nur in einem Fall beobachtet. Sämtliche Stämme waren
gramnegativ. Das Aussehen der Kolonie auf Serum ist cha¬
rakteristisch; nach 24 Stunden ziemlich kleine homogene,
durchscheinende, glattwandige Kolonien, die häufig zu einem
üppigeren Rasen konfluieren und einen leichten Stich ins Gelb¬
liche haben. Noch üppiger ist das Wachstum auf Aszitesagar,
wo die Kolonien einen konfluierenden, durchscheinenden Rasen
oder mässiggrosse, leicht ins Graue spielende Tröpfchen bilden,
die bei schwacher Vergrösserung gelblich, ganz homogen er¬
scheinen. Der Rand des Oberflächenstriches ist häufig gewellt.
Das Färbepräparat der Reinkultur ist ebenfalls äusserst cha¬
rakteristisch: Diplokokken von der Form der Gonokokken,
etwas weniger abgeplattet, häufig Tetraden bildend oder in
mehreren Tetraden zusammenliegend, von recht verschiedener
Korngrösse und, namentlich bei etwas älteren Kulturen, auf¬
fallend verschiedener Färbbarkeit. Auf gewöhnlichem Agar
gelang die Züchtung direkt aus dem menschlichen Körper oder
bei Uebertragung der ersten künstlich gezüchteten Generationen
niemals; erst allmählich erfolgte zunehmende Anpassung. Die
Lebensdauer auf Aszitesagar betrug im Höchstfälle 5 Tage.
Die Aetiologie sporadisch auftretender Meningitiserkran¬
kungen aufzuklären, ist meist nicht möglich und auch in den vor¬
liegenden Fällen nicht gelungen. Bei der Kurzlebigkeit der
Kokken ist die Ansteckung streng an den beherbergenden
Menschen geknüpft und Bakterienträger spielen eine besonders
grosse Rolle. Aetiologisch, aber auch prophylaktisch wichtig
ist deshalb die Untersuchung Aller, die mit dem Erkrankten in
Berührung kamen. Es scheint, als ob sich in der Umgebung
jedes Kranken Kokkenträger finden; die Untersuchung der¬
selben ist sehr einfach durch direkte Entnahme von Nasen¬
schleim mittels einer Platinöse und Ausstreichen des Materials
an Ort und Stelle auf dem mitgeführten Nährboden. Ein
sicheres Mittel zur Unschädlichmachung der Kokkenträger ist
bisher nicht gefunden; neuerdings empfiehlt Jehle warm eine
Spraybehandlung mit Pyozyanase.
Von den Erkrankungen hängen einige durch Kontakt mit
einander zusammen. Eine Erkrankung, die nicht ärztlich be¬
handelt wurde, musste nach Symptomen, Anamnese und bak¬
teriologischem Befund als Abortivfall betrachtet werden. Auf¬
fallend war, im Einklang mit allen bisherigen Beobachtungen,
auch in den vorliegenden Fällen das Ueberwiegen des Kindes¬
alters, und zwar gerade der jüngeren Kinder. Von den 10 Er¬
krankungen verliefen bisher 7 tödlich; der Verlauf zeigte sämt¬
liche Abstufungen von kürzester Dauer unter dem Bilde
foudroyanter Infektion bis zum protrahierten Verlauf über
Wochen, selbst Monate und mitunter lange Zeit völlige Ver¬
schleierung des Meningitisbildes; ein Fall wurde von Ende
Januar bis anfangs März als Typhus betrachtet. (Demon¬
stration von Präparaten.)
Diskussion: Herr Grüneberg hält die diesjährige Epi¬
demie für eine recht schwere. Von den 6 bis dahin ins Altonaer
Kinderhospital eingelieferten Patienten sind 5 gestorben. Bei allen
ist der Jäger - W eichselbaum sehe Diplococcus sowohl im
Ausstrichpräparat als auch kulturell nachgewiesen worden. Bei
allen Patienten ist die Spinalpunktion systematisch vorgenommen
worden. G. hat bei seinen Fällen nicht den Eindruck, als wenn die
Punktion einen hervorragenden Einfluss auf den Verlauf der Erkran¬
kung hat, nur schien es, als wenn einzelne Beschwerden, wie Kopf¬
schmerzen, Nackensteifigkeit günstig beeinflusst werden. Die direkte
Ansteckungsgefahr scheint nicht sehr gross zu sein. Ein Kranker
- der zuerst aufgenommene — hat 8 Tage, ein anderer 3 Tage
zwischen anderen Patienten im Hospital gelegen, ohne dass eine
Hausinfektion vorgekommen wäre. Von den 6 Fällen stehen nur 2
in einem räumlichen Zusammenhänge, die anderen wurden aus den
verschiedensten Stadtgegenden eingeliefert. Schnupfen oder Angina
sind in 2 Fällen im Anfänge beobachtet worden. In einem Falle sind
im Nasensekret zahlreiche Diplokokken fast in Reinkultur im Aus¬
strichpräparat gefunden. In Epidemiezeiten müssen auch leicht ver¬
dächtige Erkrankungen lumbalpunktiert werden zur Feststellung der
Diagnose, da die Anfangserscheinungen oft wenig ausgesprochen
sind. An Komplikationen sind einmal eitrige Panophthalmie, zweimal
urtikariaartiges Exanthem beobachtet worden. Herpes labialis in
2 Fällen. Die Sektion ergab in allen Fällen Konvexitätseiterungen
und abgeschlossene Eiteransammlungen an der Basis.
Herr Schröder: Die geringere oder grössere Trübung der
durch Punktion gewonnenen Spülflüssigkeit ist für die Beurteilung des
Ausgangs der Krankheit gleichgültig. Ich sah im vorigen Jahr ein
mir als verdächtig gemeldetes Kind kurz vor dem Tode, die Punk¬
tionsflüssigkeit war wasserklar, erst beim Stehenlassen zeigte sich
ein ganz kleines Flöckchen, das mikroskopisch von Meningokokken
wimmelte.
Herr König: Bemerkungen zur Wundbehandlung.
Der Vortr. knüpft an eine Beobachtung an, bei welcher
ein älterer Mann durch Fall eine kleine Stirnwunde erhielt, die
ein Arzt nähte. In der Folge kam es zu schwerer (Strepto¬
kokken-) Phlegmone der Stirn und der Orbitae; auch weit¬
gehende Inzisionen konnten den tödlichen Ausgang an eitriger
1454
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
Meningitis infolge Dnrchwanderns durch die Emissarien nicht
hindern.
K. betont die Gefahr kleiner Wunden, welche sich bald
verlegen und der Infektion keinen Ausweg gestatten; dasselbe
gilt für genähte Wunden, die Naht unregelmässiger, in¬
fektionsverdächtiger Wunden ist direkt ein Kunstfehler.
Grössere Wunden schwemmen durch Blut und Sekretstrom die
Infektion leichter nach aussen. Daher sollen wir solche Oeff-
nungen nicht verschliessen, ja unregelmässige, buchtige Wun¬
den durch Tamponade offenhalten. Dazu wende man mit Recht
die Bier sehe Hyperämie an, da sie den Strom nach aussen
leite und direkt bakterizid wirke.
Weiter verbreitet sich K- über die Möglichkeit, auch bei
infizierten Wunden durch Exzision der Wundränder die In¬
fektion noch zu beseitigen, was nach Friedrich innerhalb
der ersten 6 — 8 Stunden gelingt, sowie über dieTrendelen-
b u r g sehe Behandlung komplizierter Frakturen, mit Exzision
und Naht (R i m a n n). Sicher geht aber aus den Behandlungs¬
methoden auch hervor, dass der Körper mit mancher Infektion
fertig wird. Darauf bauend, pflegen wir von einem Desinfek¬
tionsverfahren der Wunde selbst abzusehen, während d i e
Lehre befiehlt, die Umgebung der Wunde durch
Abseifen etc. gründlich zu desinfizieren.
Dieser Akt ist K- immer unsympathisch gewesen; ent¬
weder wir vermeiden bis zum Wundrand zu kommen — dann
bleibt der Schmutz gerade in der Umgebung der Wunde
sitzen — oder wir seifen bis zur Wunde — dann treiben wir
mehr Schmutz in sie hinein, wie vorher darin war. Dass
von der umgebenden Haut bei trockener Wundbehandlung
Keime in die Wunde übergehen, ist übrigens durchaus unwahr¬
scheinlich. K. hat deshalb schon länger bei frischen Wunden,
sofern er nicht neue Inzisionen machen musste, von jeder
Reinigung der umgebenden Haut abgesehen.
Auch in der Poliklinik des städtischen Krankenhauses hat er
das an bisher 251 Wunden, kleineren und grösseren aller Art
durchführen lassen, nur dreimal kam es zu leichten Infektionen,
mit guter Heilung.
Den Hauptvorzug dieses Vorgehens erkennt K. darin, dass
man die Laien mit grösstem Nachdruck davon a b h a 1 1 e n
kann, bei frischen Wunden zu waschen, zu spülen
oder gar zu desinfizieren. Ausbluten lassen, dann ein reines
geplättetes Leinentuch darauf, das ist das beste Verfahren.
K. weist darauf hin, dass auch im Kriege schon ähnlich mit
Erfolg verfahren wird (Goldammer, v. 0 e 1 1 i n g e r).
Letzterer hat sich einer Lösung von Mastix 20, Chloroform 50,
Ol. lini gtt. 20 bedient, um die Haut damit zu bestreichen und
die trockene, auf die Wunde gelegte Gaze damit festzuhalten.
Dies Verfahren erscheint schon aus dem Grund praktisch, da¬
mit die Patienten das Gefühl haben, dass doch etwas noch zur
Wundbehandlung dazugenommen wird.
An der Diskussion beteiligen sich die Herren : Schrö¬
der, A. Möller, König, Rieck, Brachmann, Pilsky
und H e n o p.
Zum Schluss bemerkt Herr König: Wo Haare sind, z. B. am
Kopf, müssen diese soweit entfernt, zurückgeschnitten bezw. rasiert
werden, dass sie nicht in die Wunde geraten können. Dass im ein¬
zelnen man durch solche Gründe bewogen werden kann, einmal
mehr an der Umgebung der Wunde zu machen, gibt K. zu und über¬
lässt dies dem Ermessen des Einzelnen.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. Juli 1907.
Herr Rosenthal: Demonstration eines Patienten, den er
erfolgreich wegen Syphilis mit Arsen behandelt hat.
Herr G. Klemperer bespricht die Rizinmethode M. Jacobys
zum Pepsinnachweis; dieselbe beruht bekanntlich darauf, dass eine
trübe Lösung von Rizin in verdünnter Salzsäure durch die Wirkung
des Pepsins geklärt wird (Demonstration). Auch zur quantitativen
Ausmittelung der Pepsinwerte eignet 'Sich die Methode, wenn man
nach ihr einen Reihenversuch mit der zu untersuchenden Flüssig¬
keit ansetzt und zusieht, welche Menge noch eben imstande ist,
innerhalb der Versuchszeit die Rizinlösung zu klären.
Bisher hat man sich darauf beschränkt, die Salzsäurewerte des
Magensaftes zu bestimmen, welche viel grösseren Schwankungen
unterliegen, als die Eermentmenge und auch nicht die Wichtigkeit
haben. Er hat die Methode klinisch verwerten lassen und sie den
bisher gebräuchlichen Verfahren, insbesondere dem M e 1 1 sehen,
weit überlegen gefunden.
Eine ganz unbedeutende Modifikation des J a c o b y sehen Ver¬
fahrens — er nimmt statt des Rizins Edestin — hat Herr F u 1 d
als das seinige bezeichnet und im Verein für innere Medizin de¬
monstriert; dabei schreibt .1 a c o b y ausdrücklich, man könne statt
des Rizins auch andere Eiweissarten nehmen; Herr Fuld meinte
nun, das Rizin sei teuer und schwer zu beschaffen; das gerade
Gegenteil ist der Fall.
Diskussion: Herr Fuld: Zunächst stelle er fest, dass er es
war, der die auch von Jacoby nunmehr akzeptierten Verfahren
der Grenzwertbestimmung auf die Magenfermente zuerst angewendet
hat zum Zweck einer Bestimmung des Labgehaltes, ^die allen billigen
Ansprüchen an Genauigkeit gerecht werde; in Gemeinschaft mit
Blum konnte er zeigen, dass Pepsin und Lab auch unter patho¬
logischen Bedingungen parallel gehen, wobei letzteres eben wegen
der Verfeinerung der Methodik in keinem Saft ganz vermisst wird.
Damit war die praktische Seite der Fermentbestimmung im Magen¬
saft erledigt und für die Pepsinmethoden blieb eigentlich nur ein
theoretisches Interesse.
Die Jacoby sehe Methode sei, wie er sich überzeugen konnte,
recht hübsch und er habe sich auch anerkennend über sie geäussert,
insbesondere die ihm von Klemperer zugeschriebenen Einwände
niemals erhoben. Dagegen verwahre er sich dagegen, dass seine
auf Grund eigener lang dauernder Studien ausgearbeitete Methode
als blosse Anleihe an der Jacoby sehen hingestellt werde. Mit
gelöstem Eiweiss wurde vor Jacoby gearbeitet von Hammer¬
schlag, Vol'hard u. a. und an deren Versuche schlossen sich
die des Redners an. Er fand nach vielem Probieren in dem Edestin
einen gut definierten, säurelöslichen Eiweisskörper, dessen klare, ein-
promillige Lösung er zum Reihenversuch verwendet; am Schluss des
Versuches wird mit Ammoniak überschichtet, wobei ein Ring ent¬
steht in all den Proben, welche mehr als ein Fünftel des ursprüng¬
lichen Eiweisses enthalten; dasjenige Röhrchen, bei welchem diese
Ringbildung eben ausbleibt, bezeichne die Grenze. Diese Methode
beruhe auf einem ganz anderen Prinzip, sie sei unabhängig von
derjenigen Jacobys ausgearbeitet worden, mit dessen Wissen,
und in ihrer Berechtigung von diesem anerkannt; um so unverständ¬
licher der heutige Angriff Herrn Klemperer s. Ihm sei es sym¬
pathischer mit einer klaren Lösung eines reinen kristallisierten Ei-
weisskörpers von bekannter Konzentration zu arbeiten, als mit den
Verunreinigungen, welche die Trübung einer Giftlösung bewirken.
Im übrigen könne ja jeder wählen, welche Methode er vorziehe,
ihm sei das ausserordentlich gleichgültig; nur gegen die Anschuldi¬
gung, sich eine fremde Methode angeeignet zu haben, musste er sich
schützen.
Herr Jacoby freut sich, Gelegenheit zu haben, das Wort zu
ergreifen, da er im Verein für innere Medizin abwesend war. Er
zieht die Pepsinbestimmung der Labbestimmung vor und hält es nicht
für förderlich, wenn seine Methode, die er für vortrefflich hält,
modifiziert würde.
Tagesordnung:
Herr L. Pick: Ueber eine eigentümliche Lokalisation der
Meningokokken bei übertragbarer Genickstarre.
In einem Fall von übertragbarer Genickstarre fanden sich die
Meningokokken in allen Organen, auch in den Samenbläschen.
Es konnte deshalb der Verdacht aufkommen, dass es sich um Gono¬
kokken handle. Reinkulturen und damit angestellte Reaktionen mit¬
tels Agglutination und Präzipitation etc. stellten jedoch die Identität
der Kokken fest. Es sei, da die Kokken auch im Urin vorhanden
waren, die behördliche Anweisung zur Bekämpfung der Genickstarre
auch auf eine Desinfektion der Fäzes und des Urins auszudehnen.
Diskussion: Herr Weste nhoeffer: Er freue sich, dass
gerade an dieser Stelle, wo seine Angabe, dass die Meningokokken
sich zuerst in der Rachentonsille ansiedeln und von hier ins Ge¬
hirn wandern, bezweifelt wurde, jetzt ebenso bestätigt wurde, wie
sie schon allenthalben inzwischen bestätigt worden ist.
Herr C. S. Engel: Ueber Rückschlag in die embryonale Blut¬
bildung und Entstellung der bösartigen Geschwülste.
Das Auftreten gewisser Zellformen, wie der kernhaltigen roten
Blutkörperchen unter pathologischen Zuständen, bedeute einen Rück¬
schlag in die embryonale Blutbildung. Aehnlich denkt er sich die
Entstehung der Geschwülste als Rückschlag ins embryonale Zell¬
stadium. Hans K o h n.
Verein für innere Medizin zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Juli 1907.
Demonstrationen:
Herr Westenhoeffer: Präparat von Echinokokkus, der
neben der Wirbelsäule sass und in den Wirbelkanal einge¬
brochen war, wo er Symptome einer Kompression smyelitis
ausgelöst hatte.
Diskussion: Herr v. Leyden erinnert an ähnliche Fälle.
Herr E. Mai gibt zu obigem Falle einige klinische Daten.
Herr Fuld: Eine neue Methode der Pepsinbestimmung.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
145o
Herr Fuld berichtet über eine neue Methode der Pepsinbestim¬
mung. Man bereitet sich eine 1 prom. Lösung von Edestin (kristal¬
linisches Eiweiss in 3/ioo normaler Salzsäure und versetzt je 2 ccm
mit fallenden Mengen des zu untersuchenden Magensaftes und dessen
10 resp. lOOfacher Verdünnung. Nachdem die Proben digeriert
haben, überschichtet man mit Ammoniak, welcher, selbst nachdem
Vs der Eiweissmenge wegverdaut sind, einen deutlichen weissen Ring
hervorruft. Ausbleiben der Ringreaktion bedeutet also, dass die Ver¬
dauung noch weiter als zu dieser Grenze gegangen ist. Redner be¬
spricht, wie man durch die Wahl der Temperatur und der üigestions-
zeit die Probe auf verschiedene Empfindlichkeit einstellen kann, und
demonstriert einen qualitativen Versuch, der nur ca. eine Minute
in Anspruch nimmt. Die Vorzüge vor der älteren Methode sind:
Einfachheit und grosse Empfindlichkeit. Vor der Rizinprobe Ja-
cobys hat sie die Reinheit des Ausgangsmaterials und die Kenntnis
der Konzentration, also auch der Verdauungsleistung voraus.
Diskussion zum Vortrage des Herrn E. Lesser:
Syphilisbehandlung.
Herr E. Lesser: Er möchte noch mitteilen, dass in der Zwi¬
schenzeit H a 1 1 o p e a u die ursprünglich von S a 1 m o n angegebenen
Dosen Atoxyl geändert habe, er gab 0,75, 0,6, endlich 4 X 0,5 und
wiederholte diese Dosis nach 14 tägiger Pause. Ferner habe ihm H.
geschrieben, dass zwischen dem französischen und deutschen Prä¬
parat Differenzen bestanden bezgl. der toxischen Wirkung; es seien
aber jetzt beide Fabriken zu einer gemeinschaftlichen Darstellungs¬
weise übereingekommen.
Endlich berichtet L., dass er in einem Falle von Pemphigus
vulg. chron. nach 5 Injektionen Atoxyl ä 0,5 eine kleine Retinal¬
blutung bemerkt habe, die jetzt verschwunden sei. Ob dies
Folge der Atoxylinjektion, sei noch nicht ganz sicher.
In einem 2. Fall, einer 47 jähr. syphilitischen Frau, trat am
26. Tage, nachdem sie 5,1 Atoxyl erhalten hatte, eine Seh Störung
auf, die rasch zunahm und nach 13 Tagen zu einer Herabsetzung
des Sehvermögens auf 1/io führte. Er wolle dies schon heute mit¬
teilen, obwohl noch nicht sicher sei, dass diese Sehstörung auf das
Atoxyl zurückzuführen ist; ida aber bei Atoxyl, in noch höheren
Dosen, retrobulbäre Neuritis beobachtet worden, so läge die Mög¬
lichkeit vor. Vielleicht käme auch der Alkoholismus der Patientin
in Frage.
Herr Greef: Bei dieser Frau, die er auf Wunsch L.s unter¬
suchte, ist auf dem einen Auge noch Ve, auf dem andern Vio Seh¬
schärfe vorhanden. Es besteht eine hochgradige Einengung des
Gesichtsfeldes; die. Farbenwahrnehmung ist in dem Reste
des kleinen Gesichtsfeldes erhalten. Auf dem linken Auge ausserdem
ein alter weisser Chorioidealfleck.
Die Alkoholintoxikation ist auszuschliessen, da sie das Gegen¬
teil (zentrales Skotom) erzeugt. Auch Syphilis ist auszuschliessen, weil
die Krankheit in diesem Falle noch zu jungen Datums, um Atrophie
zu erzeugen, und die bei frischer Syphilis beobachteten Verände¬
rungen in einer peripheren Neuritis bestehen.
Es bleibt also nur übrig entweder die Annahme einer Atoxyl -
vergiftung oder einer hysterischen Affektion. Es sind in
neuerer Zeit als Folgen von Atoxylvergiftung Sehstörungen berichtet,
die aber in einem zentralen Skotom bestanden; doch sind auch stark
eingeengte Gesichtsfelder dabei beobachtet worden. Eine Entschei¬
dung, welche von beiden Ursachen hier vorliege, wolle er noch
nicht geben, da auch gewisse hysterische Stigmata bei der Patientin zu
finden seien.
Herr Blaschko: Die Entdeckung der Spirochäte lasse aller¬
dings eine frühere Diagnose zu, aber auf die Frage der Früh¬
behandlung habe sie s. E. keinen E i n f 1 u s s ausgeübt ; ob
man durch Exzision des Primäraffektes die Krankheit coupieren
könne oder nicht, das sei klinisch zu entscheiden und schon früher
erörtert worden. Die Theorie sprach immer dafür, die Praxis meist
dagegen; jedenfalls gelang es nur selten dadurch die Krankheit zu
coupieren. Viel mehr lasse sich auch jetzt nicht sagen.
Dasselbe gelte für die chronische intermittierende
Behandlung; er sei auch heute noch ein Gegner der¬
selben. Das Quecksilber tötet die Spirochäten nicht ab, wie L.
meinte; dies werde auch durch die neueren Versuche Neissers
an Affen bestätigt: der Impfschanker entwickelt sich genau so, ob
man gleichzeitig mit der Injektion die Einverleibung von Queck¬
silber beginnt oder nicht; und die Krankheit breitet sich in der¬
selben Weise aus und ist auch in gleicher Weise weiter zu über¬
tragen, ob man Hg anwendet oder nicht. Auch die neuen Mitteilungen
über den A n t i g e n gehalt bestätigen diese seine (B 1 a s c h k o s)
alte Auffassung. Er wolle die Frage, wie das Quecksilber denn
wirke, als nicht zum Thema gehörig beiseite lassen und nur nochmals
sagen, dass auch die Entdeckung der Spirochäte keine Stütze für
die intermittierende chronische Behandlung liefere.
Was das Atoxyl betrifft, so könne er nur sagen, die Mehrzahl
der Syphilisfälle bleibe durch Atoxyl unbeeinflusst, bei der Minorität
tritt ein Rückgang der Erscheinungen auf; aber ob dieser nicht auch,
wie so oft, spontan gekommen wäre, ist nicht zu sagen. Ein kleiner
Teil wird wohl günstig beeinflusst, in welchem Hg und Jod versagt
haben. Im grossen und ganzen ist das Ergebnis kein günstiges.
Dazu komme aber noch die Gefährlichkeit des Mittels.
Arsen wurde schon 1807 gegen Syphilis empfohlen, dann wieder
verlassen und wieder empfohlen und trete jetzt im Gewände des
Atoxyls von neuem auf. In kleinen Dosen wirke es wohl nur als
Roborans, in grossen vielleicht durch Beförderung des Gewebszer¬
falles, wie dies vom Arsen in grossen Dosen bekannt ist.
B. ist der Ansicht, dass von der Atoxylbehandlung
n i c h t s übrig bleiben wird, als eine gelegentliche Anwen¬
dung in gewissen Fällen. Jedenfalls sei es dem Queck¬
silber und Jod nicht an die Seite zu stellen. Auch
hätte man mit der Publikation noch warten müssen.
Herr E. Holländer: Dass durch frühzeitige Exzision des
Schankers und Kauterisation der Wundfläche mittelst seines
Heissluftapparates eine Coupierung der Syphilis möglich ist, hat er in
zahlreichen Fällen beobachtet. Es finden sich darunter Fälle, in
welchen 2 und 4 Jahre lang schon die Beobachtung dauert, auch
solche, in welchen durch spätere Reinfektion die Heilung ge¬
sichert ist.
Herr Rosenthal: Die Atoxylbehandlung vermag nach seiner
Meinung Gutes zu leisten, doch ist die Wirkung auch mit Arsen in
der üblichen Form der arsenigen Säure zu erzielen.
Herr Nagelschmidt: Zwei Patienten, welche Quecksilber
nicht vertragen, wurden von ihm mit Erfolg mit Atoxyl behandelt.
Herr Fritz Lesser: Er habe die Atoxylbehandlung in Paris
gesehen und erkläre sich das so sehr günstige Urteil der Franzosen
dadurch, dass diese die Syphilis meist mit Pillen behandeln, also die
prompte Wirkung des Quecksilbers bei äusserlicher bezw. subkutaner
Anwendung nur selten sehen.
Schluss der Diskussion nächste Sitzung.
Hans K o h n.
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
160. Sitzung (gemeinschaftlich mit der Physikalisch-medi¬
zinischen Societät) vom 17. Juni 1907.
Herr Hauser: Ueber extremen Hochstand des Zwerchfells bei
einem Fall von Ileus (mit Demonstration).
Vortr. berichtet über einen Fall von enormem chronischen Me¬
teorismus infolge eines ringförmigen Dickdarmkarzinoms (25 cm ober¬
halb des Analrings) -mit hochgradiger exzentrischer Hypertrophie des
ganzen Dickdarms bis zur Ileozoekalklappe, die völlig suffizient war.
(Demonstration.) Der exzessiv hohe Zwerchfellstand kann an dem
in toto ausgelösten und durch Gefrierschnitt frontal zerlegten Thorax
studiert werden (Demonstration), doch sind die Lagerungsverhält¬
nisse der Brusteingeweide kompliziert durch eine gleichzeitig vor¬
handene hochgradige Kyphoskoliose. Die Lunge ist in all ihren
Teilen noch lufthaltig, trotz -des enormen Zwerchfellhochstandes, wenn
auch der Luftgehalt natürlich erheblich verringert ist. Vortr. hält die
Annahme noch für die wahrscheinlichste, dass der Tod, der ganz
plötzlich mitten aus relativem Wohlbefinden im Kollaps eingetreten
ist, durch Abknickung der Vena cava bedingt war, wie dies der Ge-
frierschnitt zeigt.
Herr O. Schulz: Notiz über die Zusammensetzung der Darm-
gase bei einem Fall von Ileus.
Im Anschluss an den gegebenen Bericht bespricht Vortr. seine
Untersuchungsergebnisse über den betr. Fall. Bei einem Bauchum¬
fang von 111 cm war die Konsistenz des Abdomens eine marmorharte
und liess schon einen enorm hohen Innendruck vermuten. Dement¬
sprechend ergab die manometrische Messung auch 274 mm Queck¬
silberdruck. Ein Teil der Gase wurde entleert (ca. 20 Liter),
im Ganzen mochten schätzungsweise ca. 35 Liter gasförmiger Inhalt
im Dickdarm vorhanden gewesen sein. Die gasanalytische Unter¬
suchung ergab nur ganz geringe Mengen Schwefel¬
wasserstoff, was ein konstanter Befund bei Untersuchungen der
Darmgase ist. 32 Pr-oz. der entnommenen Gase wären in Kalilauge
absorbierbar; der nicht absorbierbare Teil -der Gase erwies sich als
brennbar und zwar mit einer für Wasserstoff charakteristischen
Flamme.
Diskussion: Herren Rosenthal, Menge, Jordis,
F u c h s, de la Camp, Graser.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Mai 1 907.
Herr Grund: Ueber die Neissersche Hirnpunktion
(mit Krankenvorstellung).
Vortr. schildert zunächst die Technik des Verfahrens, die
sich auch ihm im allgemeinen gut bewährt hat, gibt dann eine
Zusammenstellung der von anderen Autoren mitgeteilten dia¬
gnostischen Erfolge. Daran schliesst er die Besprechung von
7 Fällen der Heidelberger medizinischen Klinik, in denen das
Verfahren angewendet wurde.
Es wurden im Ganzen 14 Punktionen ausgeführt, die ohne we¬
sentliche Reaktion vertragen wurden. In 2 Fällen von Hirntumoren
1456
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
war das Ergebnis negativ, weil der Sitz des Tumors, wie später I
die Obduktion ergab, von der Gehirnoberfläche zu weit entfernt
gewesen war. In einem Fall von Kleinhirntumor ergab trotz nega¬
tiven Punktionsergebnisses die Operation den Tumor an der ver¬
muteten Stelle, aber auch hier erheblich weiter von der Schädeldecke
entfernt als die Punktionsnadel eingeführt worden war und gefahrlos
eingeführt werden konnte.
2 Fälle von wahrscheinlichem Hirntumor hatten negatives Punk¬
tionsergebnis und blieben bis zur Entlassung diagnostisch unklar.
In einem Falle von Hydrocephalus internus hatte die Ventrikelpunktion
nach dem N e i s s e r sehen Verfahren guten palliativen Erfolg.
Zum Schlüsse stellt Vortr. einen 16 jährigen Burschen vor, bei
dem sich im Laufe eines Jahres Kopfweh, Erbrechen, Schwindel¬
erscheinungen, taumelnder Gang und Abnahme des Sehvermögens ein¬
gestellt hatten. Bei der Aufnahme des Patienten in die medizinische
Klinik waren die subjektiven Beschwerden fast ganz verschwun¬
den; es bestand von objektiven Symptomen nur Stauungs-
papilLe, etwas unsicherer Gang, leichte Ataxie in der rech¬
ten Hand, geringer Nystagmus beim Blick nach rechts,
sehr seltenes Erbrechen. Die Hirnpunktion ergab innerhalb
des rechten Kleinhirns eine bernsteingelbe, klare, 3,9 Proz. Eiweiss
enthaltende Flüssigkeit. Darauf wurde die Diagnose auf eine Zyste
des rechten Kleinhirns gestellt. Die von Herrn Geh.-Rat
N a r a t h vorgenommene Operation bestätigte die Diagnose und
förderte gleichzeitig in der lateralen Wand der zweikammerigen
Zyste einen kirschgrossen Tumor zu tage, der sich bei der mikro¬
skopischen Untersuchung als Gliom herausstellte. Vortr. demon¬
striert den Patienten, bei dem nach glattem Heilungsverlauf Atrophie
des Sehnerven als Folge der Stauungspapille, ferner geringe rechts¬
seitige Ataxie im Arm und der Nystagmus nach rechts zurückge¬
blieben sind bei völligem subjektiven Wohlbefinden.
Diskussion: Herren Nissl, Schottlaender, Grund.
Herr Magnus: Physiologische Untersuchungen über die
Bewegungen des Verdauungskanals.
Vortr. gibt eine Uebersicht über die von ihm in den letzten
4 Jahren auf diesem Gebiete angestellten Untersuchungen.
Durch Versuche am isolierten Dünndarm liess sich zeigen, dass
ausser der Peristaltik auch die rhythmischen Pendelbewegungen
vom Auerbach sehen Plexus abhängig sind, dass Auto¬
matic, Rhythmizität und refraktäre Periode nicht der glatten
Muskulatur als solcher zukommen, sondern von den peripheren
nervösen Zentren bedingt werden, während die Erregungs¬
leitung auch ohne den Auerbach sehen Plexus möglich ist.
An zahlreichen Beispielen wird gezeigt, dass das Darmnerven¬
system in seinem physiologischen Verhalten den neuerdings
von vielen Forschern studierten einfachen Nervensystemen
wirbelloser Tiere ausserordentlich ähnlich ist, und dass sich
für alle am Darm festgestellten, zum Teil sehr merkwürdigen
Befunde Bestätigungen bei Wirbellosen gefunden haben.
Die Möglichkeit, aus der Darmwand Präparate mit und
ohne nervöse Zentren herzustellen, erlaubte es, Versuche über
den Angriffspunkt von Giften am Darme auszuführen. Die nach
dieser Methode erhaltenen eindeutigen Resultate wichen in
vielen Fällen von der herrschenden Lehre ab, welche auf Grund
von Versuchen über antagonistische Giftwirkung (Pilokarpin,
Atropin, Physostigmin etc.) ausgebildet wurde. Vortr. unter¬
zieht daher das Verfahren, den Angriffspunkt von Giften mit
Hilfe antagonistischer Giftversuche zu bestimmen, einer Kritik
und zeigt, dass und warum es unmöglich ist, auf diesem Wege
zu sicheren Resultaten zu gelangen. Man erfährt in vielen
Fällen nichts über den Ort der Giftwirkung, sondern nur über
die Affinität der verschiedenen Gifte zu den reizbaren Struk¬
turen. Auch die Zeit spielt bei diesen Versuchen eine Rolle.
Lokalisationen von Giftwirkungen sind mit Sicherheit daher
nur auf Grund physiologischer Versuche möglich, wie sie sich
z. B. am Darm haben ausführen lassen.
(Eine ausführliche Darstellung erfolgt in dem diesjährigen
Bande der „Ergebnisse der Physiologie“. Der letzte Teil des
Vortrages, der sich mit der stopfenden Wirkung des Morphins
befasst, findet sich auf S. 1421 d. No.)
Diskussion: Herren Cohnheim, Nissl, Magnus.
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena.
(Sektion für Heilkunde.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Juni 1907.
Herr Franz: Demonstrationen.
Herr Grober: Zur Arbeitshypertrophie des Herzens.
(Erschien im Zentralblatt für innere Medizin 1907, No. 25; ref.
d. W. No. 25, S. 1392.)
Herr Jacobsthal: a) unvollständiger Bruch des Tuberculum
tnajus humeri.
M. H.! Ich wollte mir erlauben, Ihnen zunächst ein Röntgeno¬
gramm zu zeigen, welches wieder den Beweis liefert, wie notwendig
es ist, sich dieses wichtigen diagnostischen Hilfsmittels zu bedienen,
wenn man bei Gelenkverletzungen, die unter dem Bilde der Kon¬
tusion oder Distorsion verlaufen, einen exakten Anhalt für die Be¬
urteilung der später geklagten Beschwerden gewinnen will.
Im vorliegenden Falle stürzte ein 26 jähriger Postbote am 8.
August 1906 beim Bergabfahren mit dem Rade und fiel dabei im
Bogen auf die rechte Schulter, während der Arm sich in Elevations-
stellung befand. Trotz starker Beschwerden tat er seinen Dienst
weiter. Da aber die Schmerzen sich nicht verlieren wollten, suchte
er Rat in der chirurgischen Poliklinik im September, mehr als 6
Wochen nach dem Unfall. Es zeigte sich damals als einziges ob¬
jektives Symptom eine Schwellung der vorderen Schultergegend;
Knochenveränderungen waren im Röntgenbilde nicht zu erkennen.
Die Diagnose wurde auf Kontusion des Gelenkes gestellt. Bei An¬
wendung von Massage in Verbindung mit Gymnastik verschwand die
Schwellung, doch der Patient blieb bei seinen Klagen, ja er meldete
sich sogar im Januar krank, behauptete, seinen Dienst nicht ver¬
richten zu können. Als ich ihn Ende Januar begutachtete, lag es
nahe an Simulation zu denken, denn die Untersuchung ergab eine
freie, glatte Beweglichkeit des Schultergelenkes, keine Atrophie der
Muskulatur; im Gegensatz dazu standen seine Klagen über Schmer¬
zen in der vorderen Gelenkgegend, bes. bei Bewegungen, die so
heftig sein sollten, dass er behauptete, auch den leichten Dienst, der
ihm gegeben worden war, nämlich Telegrammaustragen, nicht aus¬
führen zu können; darin lag ja ohne Zweifel eine Uebertreibung.
Aber, von der Erfahrung ausgehend, dass auch in solchen Fällen viel¬
fach eine reale Unterlage sich finden lässt, nahm ich nochmals eine
Durchleuchtung vor und war diesmal glücklicher, denn es zeigte sich
entsprechend der oberen Begrenzung des Tuberculum majus eine
deutliche Absprengung, die bei der zur Kontrolle vorgenommenen
Aufnahme der linken Schulter fehlt, es handelte sich also um einen
unvollständigen Bruch des Tuberculum majus. Als ziemlich häufige
Komplikation der Luxation des Humerus ist der Abriss des Tuber¬
culum majus schon lange bekannt, ich habe dieselbe in den letzten
Jahren mehrfach gesehen, erlaube mir. Ihnen eine diesbezügliche
Abbildung zu demonstrieren. Hingegen galt der isolierte Bruch des
Tuberkulum majus bis vor kurzem als ein seltenes Ereignis. Gurlt
konnte nicht ein einziges anatomisch verifiziertes Beispiel dafür an¬
führen und Wohlgemut h, der die Fraktur 1900 einer Besprechung
unterzog, konnte keine Beobachtung aufweisen. Die ersten sicheren
Fälle wurden dann 1903 von Jacob publiziert. Nies-
zytka gebührt das Verdienst, in einer im vorigen Jahre erschie¬
nenen Arbeit die relative Häufigkeit dieser Verletzung in Fällen,
wo die Diagnose auf Kontusion der Schultergegend oder Distorsion
des Schultergelenkes gestellt war, dargetan zu haben, es gelang
ihm innerhalb kürzerer Zeit unter dem Materiale der H o e f t m a n n -
sehen Klinik, das allerdings an Verletzungen dieser Art reich ist, 8
Beobachtungen aufzufinden. Graessner hat in letzter Zeit sogar
23 innerhalb 3 Jahren beobachteter Fälle aus dem Kölner Bürger¬
hospital beschrieben.
Was die Entstehungsweise der Fraktur betrifft, so kommt sie
meist durch direkte Gewalt: Schlag, Stoss gegen die Schulter oder
Fall auf dieselbe, zu stände, ist also eine Kontusionsfraktur, Riss¬
frakturen sind selten. Bei stärkeren bleibenden Beschwerden nach
Schulterkontusionen ohne klinisch nachweisbare Veränderungen des
Knochens wird man in Zukunft jedenfalls an diese Komplikation häu¬
figer denken müssen, als das bis vor kurzem geschehen ist.
b) Die Luxationsfraktur des Os naviculare pedis — eine
typische Fussverletzung.
M. H.! Während die Kahnbeinbrüche an der Hand in den
letzten Jahren recht zahlreich beobachtet und beschrieben worden
sind, war die gleiche Verletzung am Fusse bisher weniger beachtet
worden, speziell sind die Angaben in den Hand- und Lehrbüchern
über diesen Punkt noch sehr unvollständig und spärlich. 2 Fälle
von Fraktur des Os naviculare pedis durch indirekte Gewalt,
die ich im letzten Jahre in der chirurgischen Poliklinik zu beobachten
Gelegenheit hatte, zeigten sich sowohl in Bezug auf den Mechanismus
der Entstehung der Verletzung als auch durch die Form der ana¬
tomischen Veränderungen recht charakteristisch und gaben Veran¬
lassung, die bisherige Kasuistik genauer zu verfolgen. Herrn Nip¬
pold, der auf meine Anregung hin dieselbe zusammengestellt hat,
ist es gelungen 43 Fälle von Verletzungen des Naviculare pedis
in der Literatur aufzufinden und es stellte sich dabei heraus, dass das
klinische und anatomische Bild, das meine beiden Fälle boten, in einer
ganzen Reihe von Beobachtungen wiederkehrt, so dass man ge¬
radezu von einer typischen Verletzung reden kann.
Die Krankengeschichten meiner Patienten sind kurz folgende;
Im 1. Falle brach ein 18 jähriger junger Mann bei dem Versuch, einen
Hochsprung auszuführen, zusammen. Er gibt an, mit dem linken
Fuss vorn über das Sprungbrett abgerutscht zu sein, so dass er
mit der Grosszehe und dem Innenrande des Fusses den Boden zu¬
erst berührte. Er konnte nicht mehr mit dem linken Fusse aui-
treten, dieser schwoll bald darnach an. Mehrere Wochen waren
noch starke Schmerzen vorhanden, die dann allmählich abnahmen.
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1457
Ich sah den Mann 10 Jahre nach der Verletzung. Er behauptet
auch jetzt noch, nicht beschwerdefrei zu sein, sondern empfindet
angeblich morgens, sowie am Tage nach dem Ausruhen ein Gefühl des
Steifseins im linken Fuss; auch beim Marsch und bei längerem
Stehen hat er Schmerzen. Bei der Untersuchung zeigte sich auf
dem linken Fussrücken eine knochenharte Prominenz in der Gegend
des Navikulare. Die Bewegungen des Fusses waren, abgesehen von
einer unbedeutenden Beschränkung der Supination frei, die Atrophie
der Wadenmuskulatur betrug nur Vs cm. Die Röntgendurchleuchtung,
die sowohl tibiofibular als dorsoplantar vorgenommen wurde, lässt
nun sehr deutlich eine Fraktur des Navikulare erkennen, die Sub¬
luxation der Fragmente dorsalwärts tritt an der seitlichen Aufnahme
gut hervor. _ , . . _ „
Noch charakteristischer war die Gewaltemwirkung im 2. balle:
Ein 37 jähriger Eisenbahnbeamter fiel mit einer Ladebrücke l/sm
tief herunter. Während er mit dem linken Fusse in Spitzfussstellung
den Boden berührte, fiel ihm von hinten her eine 5 Zentner schwere
Kiste auf die Ferse. Er erlitt neben anderen Verletzungen der Fuss-
knochen, auf die ich augenblicklich nicht näher eingehen will, eine
Fraktur des Os naviculare mit Verschiebung der Fragmente dorsal¬
wärts. Die Röntgenaufnahmen lassen die Verhältnisse sehr deut¬
lich erkennen. .
M. H.! Die indirekte Luxationsfraktur des Os naviculare pedis,
eine Verletzung, die bisher ausschliesslich bei Erwachsenen männ¬
lichen Geschlechtes gesehen wurde, erfolgt durch Sturz bezw. Sprung
aus der Höhe oder wie in einem meiner Fälle, auch im Momente
des Abspringens zu einem Hochsprung. Hierbei berührt der Fuss
in Spitzfussstellung den Boden und wird in seiner Längsachse von
2 Seiten her komprimiert, auf der Zehenseite durch den Anprall
auf den Boden, auf der Fersenseite durch das Gewicht des Körpers
bezw. wie in meinem 2. Falle, durch das Gewicht einer nachfallenden
schweren Kiste. Die Gewalten wirken auf den Bogen des Fuss-
gewölbes im Sinne der Vergrösserung seiner Konvexität; an der
am meisten in Anspruch genommenen Stelle des Dorsum, etwa seiner
Mitte, kommt es zu Bandrupturen. Keilbeine einerseits, Talus an¬
dererseits, durch die Gewalteinwirkung dorsal zum Klaffen gebracht,
plantar zusammengedrängt quetschen das Navikulare dorsal heraus,
wie die Finger den Kern aus einer geöffneten Pflaume. Bei der
Stärke der einwirkenden Kräfte erleidet dabei das Navikulare gleich¬
zeitig eine Kompressionsfraktur, nur 1 mal fand es sich intakt, es
lag also eine reine Luxation vor. Wie ersichtlich ist die typische
Dislokation diejenige dorsalwärts, bei 16 genauer bekannten Fällen
war denn auch 14 mal die Verschiebung als dorsale angegeben, 2 mal
erfolgte allerdings eine vollständige Zertrümmerung des Kochens
unter Dislokation der Fragmente sowohl nach dem Dorsum als nach
der Planta.
Was die Prognose der Verletzung betrifft, so ist sie verschieden
nach dem Grade der Dislokation und abhängig von Nebenverletzungen,
die sich nicht selten dabei vorfinden. Demgemäss hat sich die
Therapie auch recht verschieden gestaltet. Bei mässiger Dislo¬
kation sind einige Fälle (4) bei rein exspektativem Verfahren mit
guter Funktion geheilt, auch in meinen beiden Fällen möchte ich
die Funktionsstörung, die durch die Navikularefraktur allein verur¬
sacht ist, höchstens mit 10 Proz. Erwerbsunfähigkeit bewerten.
Die Reposition unmitelbar nach der Verletzung ist nur 1 mal
gelungen; von operativen Eingriffen ist die Exstirpation und die
Resektion je 1 mal mit gutem funktionellen Erfolg ausgeführt worden.
Neben den Frakturen durch indirekte Gewalt sind natürlich auch
direkte Brüche des Kahnbeines, wie das ja bei starken Quetschungen
des Fusses, Ueberfahrenwerden, erklärlich ist, mehrfach gesehen wor¬
den. Dagegen sind erst in neuester Zeit Rissfrakturen bekannt ge¬
worden, die besonders deshalb Interesse beanspruchen, weil sie
Veranlassung zu einer besonderen Form des Plattfusses gaben.
Auf die Details der Beobachtungen wollte ich hier nicht näher
eingehen, sondern möchte auf die demnächst erscheinende Arbeit
N i p p o 1 d s verweisen.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 21. März 1907.
Vorsitzender : Herr F 1 a t a u.
Herr Przegendza spricht über Nebenhöhleneiterungen der
Nase.
Herr Hofrat H e i n 1 e i n stellt einen 14 jährigen Knaben vor,
welcher bei einem übereilten Sprung von einer niedrigen Mauer auf
das in Hyperflexionsstellung befindliche Knie gestürzt und
sofort nicht mehr zu gehen und zu stehen im stände war. Bei der
objektiven Untersuchung geringe Schwellung des Kniegelenkes, wel¬
ches sich leicht passiv in Hyperextension im Sinne eines
Genu recurvatum bringen, jedoch nicht seitlich bewegen lässt. Si¬
chere Zeichen eines Bruches nicht nachweisbar, deshalb Diagnose:
Zerreissung des vorderen Kreuzbandes. Ruhigstellung des Beines,
welche, da nach 4 Wochen passive Hyperextension im Kniegelenk
möglich ist, bis zur 7. Woche fortgesetzt wird. Dann Gehübungen
im Schienenhülsenapparat, welcher einige Monate getragen, dann¬
dauernd fortgelassen wird. Allmähliche Wiedererlangung der Bein¬
funktion. Noch jetzt, nach über Jahresfrist seit dem Datum der
Verletzung besteht eine Einschränkung der aktiven Beugung des
Kniegelenkes um etwa 30°, kaum merklich ist der Ausfall bei der
aktiven Streckung, welche passiv nicht vollständig gelingt, so dass
die früher vorhandene passive Ueberstreckung vollends unmöglich ist.
Die äussere Konfiguration des Kniegelenkes ist jetzt dem äusseren
Ansehen nach völlig unverändert, dagegen ist in der Kniekehle
zwischen Bizepssehne und dem Gefässbiindel eine unregelmässig
rundliche, etwa walnussgrosse knöcherne Prominenz zu tasten,
welche in einen quer über die Mitte der Kniekehle medialwärts ver¬
laufenden;, niedrigen schmalen knöchernen First übergeht. Nach
diesem Befund kann an der oben erwähnten Diagnose einer vorderen
Kreuzbandverletzung festgehalten werden. Ob die jetzt festgestellte
Knochenverdickung als Folge eines Bruches im lateralen Femur¬
epiphysenbereich aufgefasst werden darf, oder ob es sich bei der Ent¬
stehung jener Verdickung um den Folgezustand einer mit der Kreuz¬
bandverletzung verbundenen Abreissung des Periostes, Zerreissung
der Bursa mucosa poplitea und des äusseren Gastrocnemiuskopfes,
somit um Entwicklung von Vorgängen gehandelt hat, welche den¬
jenigen der Myositis ossificans in Analogie zu setzen wären, wird
nicht mit Bestimmtheit entschieden. Das Resultat der in der
3. Woche nach der Verletzung vorgenommenen Röntgenaufnahme
ergibt für die erstere Voraussetzung keinen völlig sicheren Anhalts¬
punkt.
Ferner legt Herr H e i n 1 e i n die Leichenpräparate zweier
Aortenaneurysmen vor. Erstens handelte es sich um ein . um¬
schriebenes sackförmiges Aneurysma des Bogens bei einer 71 jähri¬
gen Frau, welches fast völlig von einem geschichteten Throm¬
bus ausgefüllt war, so dass man nahezu von Spontanheilung sprechen
könnte. Ein frischer Thrombus erstreckte sich in den Ursprung
der linken Art. subclavia, welcher Tatsache klinisch eine während
der zwei letzten Lebenstage sich entwickelnde Gangrän der linken
Oberextremität entsprach.
Der 2. Fall betraf ein diffuses Aneurysma des Aortenbogens und
eines umfänglichen angrenzenden Bezirkes der Aorta thoracica eines
61 jährigen Fabrikarbeiters. Auch hier war der Innenfläche ein
grosser geschichteter Thrombus aufgelagert, welcher durch die
seltene, sich weithin erstreckende Flächenausdehnung ausgezeichnet
war. Dem tödlichen Ende ging klinisch eine 14 tägige Hämoptoe
voraus; den klinischen Erscheinungen entsprach ein Durchbruch des
Aneurysmas in die linke Lunge und in den linken Brustfellraum.
Die Kommunikationsstelle im Bereich der Lunge und Pleurahöhle war
trotz langen Suchens nicht aufzufinden. Doch war zweifellos ein
schmaler klaffender Einriss der innersten Thrombusschicht als Ein¬
trittspforte der auf Umwegen ihre Bahn durch den Thrombus in die
Lunge und von da in die Pleurahöhle sich wühlenden Blutmengen
anzusprechen.
Naturwissenschafll.-medizinischer Verein zu Strassburg.
(Medizinische Sektion.)
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 31. Mai 1907.
Herr Spiro: Einige Stoffwechselversuche.
Vortragender hat zum Teil mit neuen Methoden in längeren
Stoffwechselreihen bei verschiedener Ernährung C, N, Harn¬
stoff und Ammoniak im Harn des Hundes bestimmt. Bei
diesem Tier ist das Verhältnis C:N nicht wesentlich ge¬
ändert bei Kohlehydrat- oder Fettnahrung, und wenn man den
C und N des Harnstoffs und Ammoniaks abzieht, also nur den
dysoxydablen Kohlenstoff und Stickstoff bestimmt, zeigt
sich überhaupt kein sehr wesentlicher Einfluss der Ernährungs¬
weise. Beim Hund zeigt sich auch bezüglich der Azetonurie kein
so deutlicher Einfluss der Kohlehydrate wie beim Menschen,
Affen, Ziege, Schwein etc. Die allgemeine Bedeutung der Kohle¬
hydrate für den intermediären Stoffwechsel wird aber durch
•folgende Beobachtung demonstriert: Injiziert man einem Ka¬
ninchen gleichzeitig Fruktose und Glykokoll, so erscheinen im
Harn komplizierte Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen, da¬
runter eine Pyrazindicarbonsäure, dieselben Verbindungen, die
nach Untersuchungen von Herrn S t o 1 1 e auch nach Injektion
von Fruktosamin auftreten: Es muss also intermediär eine
Synthese des Zuckers mit dem Eiweissab¬
kömmling oder daraus abgespaltenem Ammoniak statt¬
gefunden haben.
Da unter normalen Verhältnissen Zucker verbrannt, Glyko¬
koll in Harnstoff übergeführt wird, zeigt der Versuch, dass
die Gegenwart des einen Körpers das Schick¬
sal des anderen Körpers beeinflusst, was um so wich¬
tiger ist, da es sich hier um konstante Nahrungsstoffe, resp.
Produkte des intermediären Stoffwechsels handelt. Der Ver-
1458
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
hist an Zucker in Krankheiten bedeutet daher nicht nur einen
Verlust an Energie, sondern, was viel bedeutungsvoller sein
kann, eine Einbusse an einem Stoff, der auch für das Schick¬
sal des Eiweisses, resp. des Zellmaterials über¬
haupt eine Rolle im intermediären Stoffwechsel spielt.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. Juni 1907.
Klinischer Demonstrationsabend.
Herr Fleischer demonstriert eine Reihe von Patienten mit
syphilitischen Augenerkrankungen.
Zwei Patientinnen von etwas über 30 Jahren im sekundären
Stadium von akquirierter Lues, die eine mit einem ,im Rückgang be¬
griffenen Kondylom der Iris, ausserdem waren bei der Pat.
auch roseolaähnliche Flecken in der Iris vorhanden gewesen. Bei
der anderen war 2 Monate nach dem Auftreten von anderen sekun¬
dären Erscheinungen eine einfache Iritis serosa aufgetreten und
14 Tage später bildeten sich nicht ganz stecknadelkopfgrosse Infil¬
trate in der im übrigen klaren Kornea am oberen und unteren Rand
derselben, einer der seltenen Fälle einer Keratitis punctata
syphilitica, die zuerst von Mauthner beschrieben, von ihm
und anderen Autoren nach ihm als Tertiärerscheinung 'der Lues auf¬
gefasst worden war. Ein Fall von v. Ammon beweist wie der
demonstrierte, dass die Erkrankung auch im sekundären Stadium auf-
tritt. Von hereditärer Lues wurden 5 Patienten gezeigt: ein
Kind mit einer schweren im Alter von 3 Monaten aufgetretenen ein¬
seitigen Iridozyklitis. Die Mutter war ein halbes Jahr vor der
Geburt an sekundären Luessymptomen erkrankt. Ferner 2 männ¬
liche Patienten mit Keratitis parenchym atosa im Alter
von 23 und 20 Jahren. Fl. macht darauf aufmerksam, dass auch nach
den Erfahrungen der Tübinger Klinik Gelenkerkrankungen,
insbesondere doppelseitige, seröse Gonitis vor oder während dem
Auftreten der Augensymptome nicht selten sind, was bei der ätio¬
logischen Diagnose derartiger Erkrankungen von Bedeutung sei
(v. H i p p e 1 hatte in 60 Proz. seiner Fälle von hereditärer Lues solche
Gelenkerkrankungen gefunden).
Von besonderem Interesse sind 2 Patienten mit hereditär¬
luetischen Veränderungen der Retina und H i r n 1 u e s :
Die eine 17 jährige Patientin war vor 2 Jahren an Schmerzen in den
Ohren, in der Stirn und Hinterhaupt besonders nachts erkrankt. Es
besteht doppelseitige Abduzensparese, partielle Lähmung beider Oculo-
motorii, einseitige Fazialisparese, ferner starke Herabsetzung des
Gehörs (zentrale Affektion). Röntgenaufnahmen ergeben, dass beide
Stirnhöhlen fehlen. In der Peripherie der Retina finden sich fein¬
fleckige helle und pigmentierte Herde. Der Lichtsinn ist nach
Förster auf 1/io herabgesetzt, das Gesichtsfeld ist konzentrisch um
ca. 10 — 20° eingeschränkt. Eine einige Wochen fortgesetzte Schmier¬
kur ist bis jetzt ohne Erfolg geblieben. — Die andere Patientin stammt
aus der psychiatrischen Klinik. Sie ist 23 Jahre alt und ist vor
3 Monaten an psychischen Störungen erkrankt, vom Charakter einer
progressiven Paralyse. Der Vater hat venerische Infektion zu¬
gegeben. Es besteht doppelseitige totale Pupillenstarre, ungleiche
und mydriatische Pupillen. In der Peripherie finden sich grobfleckige,
insbesondere helle, wenig pigmentierte chorioretinitische Herde. Diese
spezifisch luetischen Veränderungen zusammen mit der bei Paralyse
seltenen totalen Pupillenstarre und Mydriasis lassen vermuten, dass es
sich nicht um eigentliche Paralyse, sondern um spezifische Verände¬
rungen im Gehirn handelt.
Herr Otfried Müller zeigt eine Frau, die an einem sehr vor¬
geschrittenen Stadium von Akromegalie leidet. Bei derselben ist auf
diagraphischem Wege das Vorhandensein eines Tumors der Hypo¬
physe festgestellt worden.
Herr R e i s s stellt einen Fall einer leichten chronischen Hypo-
manie vor, die seit etwa 12 Jahren besteht und mehrmals zu kurzem
Anstaltsaufenthalt geführt hatte. Der früher fleissige und ruhige Pat.
war infolge seiner Erkrankung zu einem Trinker und Verschwender
geworden, so dass schon im Jahre 1900 seine Entmündigung notwendig
wurde. Bei den wenig hervortretenden und vom Alkoholismus über¬
deckten Symptomen wurde aber die psychische Erkrankung über¬
sehen und Pat. wegen Trunksucht entmündigt. Auch von ärztlicher
Seite war Pat. mehrfach verkannt worden. Vortr. weist noch auf die
Häufigkeit des sekundären Alkoholismus bei psychischen Erkran¬
kungen hin und auf die grosse forensische Bedeutung des besprochenen
Krankheitsbildes.
Herr v. Bruns demonstriert und bespricht makroskopische
Präparate von Nierentuberkulose.
Herr F i n c k h stellt vor ein Mädchen mit starkem trachealen
Stridor. Als Ursache desselben ergibt die Röntgenuntersuchung einen
retro-ösophageal gelegenen, respiratorisch verschieblichen, intra¬
thorakalen Tumor von Faustgrösse. In Berücksichtigung ander¬
weitiger tuberkulöser Erkrankungen wird, trotz Fehlens akut ent¬
zündlicher Erscheinungen an der Wirbelsäule, die Diagnose auf kalten
Abszess im hinter Mediastinum gestellt. Die später vorgenommene
Punktion ergab 400 ccm tuberkulösen Eiters.
Herr M. v. Brunn: Demonstrationen zur Appendizitisfragc.
1. 46 jährige Frau, am 11. Tage des 1. Anfalls mit Abszess ein¬
geliefert. Operation verweigert. Durchbruch in den Darm am
21. Krankheitstage.
2. 18 jähriger Mann, am Anfang des 3. Krankheitstages im 1. An¬
fall operiert. Gangrän des Spitze des Wurmfortsatzes, Kotabszess.
Schluss der Bauchwunde bis auf eine Drainöffnung. Glatter Verlauf.
3. 20 jähriges Mädchen. Operation am 3. Krankheitstage im
2. Anfall. Multiple Abszesse in der Nachbarschaft des perforierten
Wurmfortsatzes, oberhalb der Blase und auf der linken Seite. Lösung
aller Verwachsungen, Ausspülung der ganzen Bauchhöhle. Je ein
Drain rechts und links, Schluss ‘der übrigen Bauchwunde. Günstiger
Verlauf.
4. 77 jähriger Mann, der vor 4 Jahren eine schwere Appendizitis
gangraenosa mit allgemeiner Peritonitis und nachfolgender Pneu¬
monie durchgemacht hatte. Die Wunden wurden damals tamponiert.
Es entwickelten sich grosse Bauchnarbenbrüche, von denen der rechts¬
seitige jetzt dadurch zu Komplikationen geführt hat, dass die Narbe
platzte und eine Dünndarmschlinge prolabierte. Sie klemmte sich ein,
wurde gangränös und musste reseziert werden. Auch diese Operation
hat der Pat. gut überstanden. Er leidet jetzt noch an einer Kotfistel,
die durch Anschneiden einer verwachsenen Darmschlinge entstand.
5. 8 jähriges Mädchen. Operation am 8. Tage des 1. Anfalles.
Entleerung eines Abszesses und Abtragung des Wurmfortsatzes.
Naht der Bauchwunde bis auf eine Drainöffnung. Am 3. Tage rechts¬
seitige Pneumonie. 19 Tage nach der Operation wird ein subphre¬
nischer Abszess durch Punktion nachgewäesen. Im unmittelbaren
Anschluss an diese Punktion rapide Verschlimmerung, Dyspnoe, Ex¬
sudat und Gasansammlung in der rechten Pleurahöhle nachweisbar.
Sofortige Eröffnung der rechten Pleurahöhle, aus der sich stinkender
Eiter entleert, und eines grossen subphrenischen Abszesses mit dem¬
selben Inhalt. Offenbar war durch die Punktionsflüssigkeit aus einem
stark gespannten subphrenischen Abszess der ungewöhnlich dünn¬
flüssige Eiter in die Pleurahöhle gedrungen. Tod 5 Tage nach der
2. Operation. Sektion ergibt ausser den bei der 2. Operation ge¬
fundenen Veränderungen eine frische Pleuritis auch links und eine
frische Perikarditis. Abszess rechts in der Zoekalgegend und Fort¬
leitung der Eiterung entlang dem Colon ascendens intra- und retro-
peritoneal bis in die Lebergegend. Abszess an der Unterfläche der
Leber.
6. 13 jähriges Mädchen. Operiert am 19. Tage des 1. Anfalles
wegen Schmerzen unterhalb des rechten Rippenbogens und in der
Lumbalgegend. Lumbaler Schrägschnitt. Wurmfortsatz an der
Aussenseite des Zoekums nach oben und hinten umgeschlagen, sehr
lang und mit der Zöekalwand durch ältere Verwachsungen verbunden.
In der unmittelbaren Nachbarschaft kein Abszess. Ein solcher fand
sich erst nach systematischer Lösung der in der Gegend der rechten
Flexur vorhandenen Verwachsungen an der Unterfläche der Leber,
ein weiterer Abszess, von dem ersten getrennt, im subphrenischen
Raum nahe der hinteren unteren Leberkante. Ausspülung der ganzen
Bauchhöhle, Drains in den subphrenischen und infrahepatischen Raum
und in den Douglas. Naht der übrigen Wunde. Bisher ausser einem
Bauchdeckenabszess keine Komplikationen.
7. — 9. Zwei Fälle von Cholezystitis und ein Fall von rechts¬
seitigem Tubarabort, die sämtlich unter der Diagnose Appendizitis
eingewiesen worden waren.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Juli 1907.
Herr Max Cohn: Eine anatomische Grundlage zur Er¬
klärung des Schulterhochstandes.
Auf Grund einer einschlägigen Beobachtung glaubt C. die Lehre
vom angeborenen Schulterhochstand, der sog. Sprengel sehen De¬
formität, modifizieren zu müssen. Es fand sich zwischen 6. und
7. Halswirbel ein dreieckiges Wirbelrudiment, das geeignet ist, die
Ursache des Skapulahochstands zu erklären. An den Querfortsätzen
der 4 oberen Halswirbel entspringt der M. lev. ang. scapulae; der¬
selbe inseriert am oberen inneren Schulterblattwinkel. Wenn nun in
der unteren Halswirbelsäule ein keilförmiger Wirbel eingeschaltet ist.
der nach der einen Seite spitz zuläuft, nach der anderen aber eine
Breitseite aufweist, so muss auf einer Seite, wie es in der Tat der
ball war, das Schulterblatt um die Höhe des Keils nach oben ge¬
zogen werden. C. glaubt deswegen, dass, wenn auch nicht immer
genau dieselbe Anomalie vorliegt, der genuine Schulterhochstand auf
Wirbelanomalien beruhe, die zwischen 5. Halswirbel und dem Brust¬
wirbel lokalisiert sind, der durch eine Horizontale durch die obere
Kante des Schulterblatts der normalen Seite gekennzeichnet ist.
Herr S. Placzek und Herr F. Krause: Zur Kenntnis
der Arachnitis adhaesiva cerebralis.
Auf Grund von Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Verände¬
rung des Ganges, Taumelgefühl, Neigung nach links zu fallen, fast
kompletter Lähmung aller äusseren Augenmuskeln beiderseits, voll-
6. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1459
tändiger Lähmung der rechten Qesichtshälfte mit Einbeziehung des
tirnastes diagnostizierte P 1 a c z e k bei einer 25 jährigen Dame einen
umor in der rechten hinteren Schädelgrube. Die von Krause aus-
efiihrte Operation ergab eine Hirnhautzyste an der Unterfläche der
echten Kleinhirnhemisphäre, aus der sich eine grosse Menge Liquor
ntieerte. Alle Lähmungserscheinungen des Symptombildes gingen
arauf in kurzer Zeit zurück und das Allgemeinbefinden wurde sehr
ut. Da begann am 10. Tage nach der Operation eine Periode hohen
iebers mit raschem An- und Abstieg der Temperaturen und mehr-
[igigen freien Intervallen, die 3 Monate dauerte und von Schiittel-
-ost, Erbrechen zeitweilig begleitet war. Im schroffen Missverhält-
is dazu stand das ausgezeichnete Allgemeinbefinden. Da die Heilung
adellos wurde, jede erdenkliche Ursache des Fiebers auszuschliessen
rar, blieb nur die Annahme, dass Druck auf die Medulla bei der
Iperation schuld war. Das Bedeutungsvolle des Falles sieht P. in
.er zweifelsfreien Feststellung, dass umschriebene Liquoransamm-
ing in den weichen Hirnhäuten tumorähnliche Symptomgruppen be-
lingeh kann.
Herr F. Krause: Besprechung der Operationstechnik.
Herr Max Lewandowsky: Ueber Abspaltung des
Farbensinnes durch Herderkrankung des Gehirns.
Ein Fall wird berichtet und demonstriert, in dem durch eine
fmbolie offenbar in dem linken Okzipitallappen folgender bisher
licht beobachtete Symptomenkoinplex zustande gekommen war:
iemianopsie bezw. Hemiachromatopsie nach rechts,
m Bereich der erhaltenen Gesichtsfeldhälfte volle Erhaltung
ler Sehschärfe. Erhaltung der Erinnerungsbilder
iir Formen und Gegenstände. Verlust der Fähig¬
keit Farben zu bezeichnen oder aus einer Anzahl von Far-
>en die bezeichnete auszuwählen. Verlust der Fähigkeit die Farbe
:ines bezeichneten und bekannten Gegenstandes zu bezeichnen
»der diese Farbe aus einer Auswahl von Farben herauszusuchen.
)abei völlige Erhaltung des Farbensinns, auch bei
Jntersuchung mit dem H e 1 m h o 1 1 z sehen Farbenmischapparat :
Der Farbensinn war abgespalten von den Frinne-
ungsbildern der Gegenstände und ihren Begriffen. Der linke
Okzipitallappen diente als Assoziationszentrum zwischen Farbe und
len übrigen optischen Elementen auch für die rechten Netzhaut-
lälften. Die Erhaltung des rechten Okzipitallappens Hess nur den
Farbensinn als solchen intakt. Vortragender weist auf die Prä-
)onderanz der linken Hemisphäre auch auf diesem Gebiete hin. Für
lie Farbenpsychologie war interessant, dass schwarz und weiss als
Farben rangierten, über die der Kranke nicht verfügte, während er
n den Begriffen „hell“ und „dunkel“ völlig sicher war.
Diskussion: Herr L i e p m a n n, der die Wichtigkeit des
Falles hervorhob.
Aus den Wiener medizinischen Gesellschaften.
(Eigener Bericht.)
K. k. Gesellschaft der Aerzte.
Dr. Karl Preleitner: Bericht über die Frequenz der Laugen¬
verätzung und ein Vorschlag zu deren Verhütung.
Der Gehalt an Aetznatron in den überall käuflichen Präparaten
schwankte nach Untersuchungen des Hofrates Prof. Ludwig
zwischen 3,7 Proz. und 32,55 Proz. Vergiftungen mit der Lauge
kommen bei Erwachsenen und Kindern vor. Der Vortragende hat
aus 8 Wiener Spitälern innerhalb der letzten 7!4 Jahre zusammen
362 Fälle von Laugenverätzungen, welche ausschliesslich Kinder
betrafen, zusammengestellt. An den Folgen der Verätzung starben
18,6 Proz., die grösste Zahl der Kinder trug bleibende narbige Ver¬
engerungen des Oesophagus davon, bei 10 Proz. musste operiert
werden, uni die Ernährung und spätere Bougierung zu ermöglichen.
Die bisherigen behördlichen Verordnungen genügen absolut nicht, um
diese Gefahren zu beseitigen oder auch nur zu verringern, und die
von anderer Seite gemachten Vorschläge (Verkauf in besonderen
Flaschen, mit eigenen Etiketten, Verkauf der Lauge in fester Form
als Laugenstein, Zusatz einer stark riechenden oder färbenden Sub¬
stanz) genügen auch nicht, wie der Vortragende ausfiihrt, und auch
der Vorschlag, die Lauge nur in einer Konzentration von Vz — 1 Proz.
im Handverkaufe zu gestatten, erscheint unpraktisch. Es bleibt daher
nur eine Massnahme übrig, d. i. das absolute Verbot des
Laugenkleinverschleisses. Die Professoren E. Ludwig
und A. v. Vogl haben dem Vortragenden folgendes Gutachten
erstattet: 1. Die Laugenessenz (Natronlauge) und der sog. Laugen¬
stein (festes Aetznatron) bilden eine eminente Gefahr für Kinder und
Erwachsene, wie die zahlreich vor kommenden schweren Verätzungen
beweisen. 2. Die Laugenessenz wird in den Haushaltungen zum
schnelleren Reinigen von Wäsche, Holzfussböden und Holzgeschirr
verwendet und kann durch Soda und Seife vollwertig ersetzt werden.
Für den Konsumenten würde daher das Verbot des Kleinverschleisses
von Aetzlaugen ohne Belang sein. 3. Da die bei uns gebräuchliche
Laugemessenz (Natronlauge) aus . Soda hergestellt ist, so würde das
Verbot des Kleinverschleisses der Aetzlauge auch die Produktion, da
ja dann mehr Soda verkauft würde, wirtschaftlich nicht schädigen.
Nach diesen Erwägungen stimmen wir dem Vorschläge des Autors,
den Verkauf der Aetzlauge vom Kleinverschleiss auszuschliessen,
vollkommen zu. Der Vortragende bat zum Schlüsse, die k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte möge ihre offizielle Zustimmungserklärung zu der
von ihm eingeleiteten Aktion geben.
In der Diskussion machte vorerst der Sekretär der Ge¬
sellschaft, Prof. P a 1 1 a u f, den Vortragenden aufmerksam, er möge
zunächst seinen Antrag dem Verwaltungsrate der Gesellschaft über¬
reichen. Sodann führte Dr. L. T e 1 e k y aus, dass er selbst schon
im Jahre 1904 sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt und seine
Arbeit in der Zeitschr. f. Heilkunde veröffentlicht habe. Er stellte
damals fest, dass in den Jahren 1892 — 1899 in den Wiener Kranken¬
anstalten 523 Laugenvergiftungen zur Beobachtung gelangten, von
welchen nur relativ wenige (50) Kinder betrafen. 50 Fälle von
zufälliger Laugenvergiftung bei Erwachsenen kommen a 1 1 -
j ä h r 1 i c h zur Spitalsaufnahme, viele Personen begehen mit Laugen¬
essenz einen Selbstmord, weil sie das Mittel leicht zur Hand haben,
ln Ofen-Pest, wo nur der Laugenstein in den Handel kommt, be¬
obachtet man damit ebenso häufig, vielleicht sogar noch häufiger
schwere Verletzungen. Der Redner kritisierte die bezüglichen be¬
hördlichen Vorschriften und wünschte, dass nur ein Verbot des Ver¬
kaufes stärkerer Laugen erlassen werden sollte, dass dagegen
der Verkauf geringgradiger Laugen in Flaschen von bestimmter Form
und mit bestimmter Aufschrift gestattet sein möge.
Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde.
Dr. Alfred v. Decastello und Dozent Dr. Robert Kien¬
böck: Ueber die Radiotherapie der Leukämie.
18 Fälle von chronischer Leukämie wurden von ihnen bestrahlt,
davon gehörten 10 Fälle der myeloiden, 8 der lympha¬
tischen Form an. Von den Fällen ersterer Art wurde ein Fall
durch die Radioskopie von allem Anfang an wenig beeinflusst, er starb
nach 9 monatlicher Behandlung; die übrigen 9 Fälle zeigten mehr
minder ausgesprochene Besserung. In einem Falle trat nach fast
2 jähriger Behandlung ein akutes Rezidiv auf, dem der Kranke erlag:
bei einer durch fast 2Va Jahre mit Erfolg behandelten Frau scheint
jetzt die Wirksamkeit der Behandlung nachzulassen. In allen Fällen
hatte eine Unterbrechung der Bestrahlung eine baldige Verschlechte¬
rung des Zustandes zur Folge. Von den 8 Lymphämikern starb
einer (Akromegalie, schwere Anämie) nach 3 wöchentlicher Behand¬
lung, ein zweiter Fall, der nur 3 Wochen lang behandelt wird, zeigt
bisnun keine Aenderung des Zustandes; die übrigen Fälle wurden
sämtlich günstig beeinflusst. Es zeigte sich also, dass diese Behand¬
lung bei der myeloiden Leukämie in mindestens 90 Proz. der
Fälle zunächst eine oft überraschende Besserung herbeiführt, die
eine vollständige Heilung vortäuscht, dass diese Besserung bei Fort¬
setzung der Behandlung sehr lange, mehrere Jahre lang, anhält,
dass aber schliesslich dennoch keine Heilung erzielt wird, dass die
Radiotherapie in allen Fällen endlich zu versagen scheint. In etwa
10 Proz. (veraltete Fälle im Stadium akuterer Progredienz) scheint
die Methode von vorneherein unwirksam zu sein. Die lympha¬
tische Form ist die prognostisch ungünstigere, in etwa 30 Proz.
wird ein Misserfolg beobachtet. Der Eintritt der Anämie wird zu¬
weilen hinausgeschoben oder konstant erhalten. In den von ihnen
selbst behandelten Fällen waren die Resultate besser, in etwa
85 Proz. wurden Erfolge erzielt. Der Verlauf ist unter dieser Be¬
handlung ein langsamer, plötzliche Verschlimmerungen sind seltener.
Auch bei dieser Form ist Dauerheilung wahrscheinlich niemals zu er¬
zielen. Der Grad der vorhandenen Anämie beeinflusst den Zustand
des an lymphatischer Leukämie Erkrankten sehr stark, die Prognose
bezüglich der Lebensdauer erscheint besser als bei der myeloiden
Leukämie.
Der Redner bespricht nun die Wirksamkeit der Behandlung auf
die einzelnen Symptome, das Auftreten initialer Störungen, die wohl
durch Resorption von Zerfallsprodukten bedingt werden, aber an
sich bedeutungslos sind. Nach wenigen Tagen schon tritt subjektive
Besserung ein, welcher die objektive mit Rückgang der Krankheits¬
erscheinungen folgt. Der Vortragende berührt die Fieberbewegung,
die ■ Rückbildung der Milz und der Drüsenschwellung, die Anämie der
Leukämischen, die er nicht als sekundäre, toxisch bedingte (hämo¬
lytische Anämie), sondern als „apiastische“, durch Versiegen der Blut¬
körperchenproduktion infolge der Knochenerkrankung ansicht. Das
Verhalten der Leukozyten wird sodann eingehend erörtert, das gleich-
mässig fortschreitende Absinken ihrer Zahl während der Behandlung,
das Auftreten von Rezidiven u. m. a. Das von anderen Beobachtern
gemeldete Auftreten von Nephritis wurde nicht beobachtet, auch bei
jahrelanger Fortsetzung der Behandlung, eine schon bestehende Albu¬
minurie wurde dabei nicht stärker.
Was die Erklärung der Röntgenwirkung anbetrifft, so kommt es
bei dieser Erkrankung wohl zur Bildung von toxischen Stoffen, und
als Quelle dieser Intoxikation ist der veränderte Stoffwechsel der
in krankhafte Wucherung geratenen Organe zu betrachten. Primär
werden die leukämischen Intumeszenzen beeinflusst, sekundär tritt
eine Blutveränderung und Entgiftung ein. Die myeloide Leukämie
wird auch dann günstig beeinflusst, wenn man nur die Milz allein
bestrahlt, es scheint also von dieser eine Fernwirkung auf andere,
nicht bestrahlte Herde myeloiden Gewebes (Leber, Netzhaut, Kno¬
chen, Drüsen) ausgeübt zu werden. Bei der lymphatischen Leukämie
verkleinern sich nur die direkt bestrahlten Lymphome, die Fernwir¬
kung äussert sich in der Verminderung der Granulozyten. Diese
Fernwirkung wurde auch zuweilen sogar bei ganz gesunden Men¬
schen beobachtet (eigene Experimente), was nur dadurch erklärt wer-
1460
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
den kann, dass bei der Bestrahlung lymphatischer Organe (Milz)
Substanzen frei werden (die sog. „Leukolysine“ der Autoren), welche
in die Blutzirkulation gelangen und eine Verminderung der Leuko¬
zyten des Blutes oder der Bildungsstätten hervorzurufen imstande
sind. Der Vortragende schliesst sich der Ansicht an, dass die beim
Leukozytenzerfall frei werdenden Stoffe zwar nicht als „Leukolysine“
die fertige Blutkörperchen auflösenden Eigenschaften besitzen, hin¬
gegen die, auf die Neubildung von Leukozyten in den Bildungsstätten
selbst hemmend einzuwirken. Zum Schlüsse werden auch die Miss¬
erfolge der Radiotherapie und die hierfür massgebenden Faktoren
und in eingehendster Weise wird die Technik des Verfahrens dar¬
gelegt.
Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Aerzte in
Böhmen.
X. Versammlung am'l. Mai 1907,
im Hörsaale der medizinischen Klinik R. v. J a k s c h in Prag.
Herr Lieblein demonstriert zuerst zwei Fälle, bei welchen
es durch Perforation eines Ulcus ventriculi plötzlich zu den bedroh¬
lichen Erscheinungen der Magenperforationsperitonitis gekommen,
und bei welchen die sofort ausgeführte Operation dauernde Heilung
brachte. Der Vortragende bespricht im Anschluss daran die Prognose
der Perforation des Magengeschwürs in die freie Bauchhöhle: bei
interner Behandlung so gut wie letal, bei chirurgischem Eingreifen
günstiger. Die in den Statistiken angegebene Zahl von 50 Proz.
Heilungen nach Operation perforierter Magengeschwüre ist zu hoch
gegriffen. Von 12 auf der W ö 1 f 1 e r sehen Klinik in Prag operierten
Fällen wurden 3 geheilt = 25 Proz. Eine Besserung der Resultate
steht nur dann zu erwarten, wenn die Fälle möglichst frühzeitig
der Behandlung zugeführt werden. Es sind bei den akuten Magen¬
blutungen bei Ulcus ventriculi jene Operationen nicht vielversprechend
und daher nicht empfehlenswert, bei welchen man direkt auf das
blutende Geschwür lossteuert und in demselben die Blutstillung
durch Exzision, resp. Umstechung, Unterbindung oder Verschorfung
anstrebt. Es erscheint viel zweckmässiger, in solchen Fällen die
Gastroenterostomie auszuführen, die als hintere Gastroenterostomie
unter Verwendung des Murphyknopfes gemacht, an die Kräfte des
Kranken keine allzugrossen Anforderungen stellt und das blutende
Geschwür sicher in ausgiebigerer Weise beeinflusst als die interne
Behandlung.
Herr Walko: Ueber chronische Pankreatitis.
Der Vortragende weist zuerst auf die Schwierigkeit der Dia¬
gnose hin, da die hauptsächlich hervortretenden Erscheinungen: Ge¬
schwulstbildung im Epigastrium, Ikterus, Schmerzen, Verdauungsbe¬
schwerden, Uebelkeit, Erbrechen, Abmagerung etc. zu allgemeiner Natur
sind. Auch Glykosurie und Störung der Fett- und Eiweissverdauung
werden namentlich bei partieller Läsion der Drüse häufig vermisst.
Gute Dienste leistete die Schmidt sehe Zellkernreaktion, im Zu¬
sammenhang mit einer genauen Stuhluntersuchung nach bestimmter
Probediät. Der Vortragende bespricht nun 16 Fälle eigener Be¬
obachtung. Bezüglich der Differentialdiagnose bei der Gleichartig¬
keit der Symptome kommen in Betracht: Pankreaskarzinom, Kom¬
pression benachbarter Organe wie der Vena portae, Cava inferior,
Aorta, der Art. und Vena meseraica sup., des Ductus thoracicus, des
Magens, des Darmes, namentlich des Duodenums, der Ureteren etc.
Von Magenkrankheiten kommen differentialdiagnostisch in Betracht:
das Magenkarzinom, gutartige Tumoren, Perigastritis, Atonie und
Gastroektasie und chronische Katarrhe. Die Funktionsprüfung des
Magens bei 16 Fällen von chronischer Pankreatitis ergab bei 8 feh¬
lende Säurefermentsekretion, davon bei 4 Milchsäurebildung, bei 3
Hypersekretion, bei 5 annähernd normale Verhältnisse. Der Magen
ist entweder direkt ergriffen durch Verwachsung, Kompression, Zer¬
rung oder seine Erkrankung ist eine indirekte Folge ersterer Affek¬
tion. Im weiteren werden die bei chronischer Pankreatitis auftreten¬
den Erkrankungen des Darmes, Duodenalstenosen, Darmblutungen,
Leberschwellung und Ikterus besprochen. Wichtig ist das häufige
Vorhandensein von Cholelithiasis. Der Blutbefund kann sich bis zu
den Erscheinungen der perniziösen Anämie steigern. Im Verlaufe
der Krankheit werden ferner öfters Ohnmachtsanfälle und eigentüm¬
liche, der Dercum sehen Krankheit ähnliche, auf Brust, Bauch und
Achselhöhlen lokalisierte Fettgewebsvermehrungen beobachtet. The¬
rapeutisch ist auf die günstige Einwirkung der einfachen Laparotomie
hinzuweisen. Trinkkuren blieben nur von vorübergehendem Erfolg,
besser noch bewährte sich das Pankreon.
XI. Versammlung am 8. Mai 1907,
im Hörsaale der deutschen gynäkologischen Klinik, Prof. v. Franque.
Herr Mar gu lies demonstriert einen Fall von Leontiasis
ossea bei einem 40jährigen Manne; die Erkrankung hatte sich erst
im Laufe dieses Jahres entwickelt und hat gegenwärtig schon ausser
den Veränderungen am Knochen zu einer Sehstörung geführt.
Herr K 1 e i n h a n s gibt in seinem Vortrage: „Zur Lehre von den
präperitonealen Tumoren“ eine Uebersicht der Bauchdeckenge-
sclnviilste und demonstriert dann ein Präparat, das von einer 67 jähr.
Frau stammt, die längere Zeit an Blascnbeschwerden gelitten hatte.
Klinisch zeigte sich ein zwischen Nabel und Symphyse der inneren
Bauchwand anliegender, unregelmässig geformter, derber Tumor, der
mit dem normalen Genitale in keiner Verbindung stand. Bei der Ope¬
ration zeigte sich der Tumor präperitoneal entwickelt, duich eine
ringförmige Einschnürung in einen oberen, zystischen und einen un¬
teren, derberen, mit der Blase verwachsenen Anteil getrennt.
Der mit der Geschwulst verwachsene Teil der Blasenwand
musste bei Entfernung der Geschwulst mitreseziert werden. . In der
Blase befanden sich übelriechende, gallertige Massen. Anatomisch er¬
wies sich der Tumor als Zyste, deren obere Spitze der oberste Teil
des Lig. vesic. medium bildet. Zwischen 1 umorhöhle und Blase
besteht eine Kommunikation durch eine kleine Oeffnung. Mikro¬
skopisch: In der Wand das Bindegewebe an vielen Stellen schleimig
degeneriert, stellenweise glatte Muskelbündel. Innere Auskleidung:
wo erhalten, Zylinderepithel, vielfach hoch, an manchen Stellen pa¬
pillenähnlichen Vorragungen aufsitzend. Streckenweise Becherzellen
oder lange Schläuche und drüsenartige Einstülpungen. Ferner findet
sich schleimige Degeneration und entzündliche Infiltration. Dei Tu¬
mor entstand aus dem Dottergang.
Herr K I e i n h a n s demonstriert dann mikroskopische Präparate
eines Divertikels der Urethra, in dessen Wand I uberkel nachgewiesen
wurden ; tuberkulöse Erkrankung irgend eines Organes konnte nicht
nachgewiesen werden. Die bestehende Gravidität blieb ungestört, die
Geburt fand am richtigen Termin statt, Kind und Mutter befinden
sich wohl. Rötky-Prag.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe medicale des höpitaux.
Sitzung vom 10. und 17. Mai 1907.
Der tuberkulöse Gelenkrheumatismus.
Poncet, der energische Vorkämpfer für diese Art tuberkulöser
Affektion bringt neue Beispiele derselben und berichtet über Be¬
obachtungen, wo eine Arthritis als rheumatische bezeichnet wor¬
den ist, aber Erscheinungen von tuberkulöser Entzündung zeigte und
daraus sich ein wirklicher Tumor albus und typische fungöse Osteo¬
arthritis entwickelte; es sind solche Fälle nur als eine allmähliche
Erhöhung der infektiösen Virulenz aufzufassen. Was die Entwick¬
lung einer viszeralen Tuberkulose im Verlaufe eines akuten Gelenk¬
rheumatismus oder am Ende desselben oder schliesslich mehr weni¬
ger lange Zeit nach demselben betrifft, so hat P. mehrere Fälle von
rasch tödlicher Meningitis, von mehr weniger ausgebreiteter Lungen¬
infiltration, schwerer Pleuritis usw. gesehen.
T r i b o u 1 e t wünscht vollständigere Beweise für die tuber¬
kulöse Natur des ankylosierenden Rheumatismus, ebenso wie Mene¬
trier, welcher frägt, ob Poncet beim tuberkulösen Rheumatis¬
mus Bazillen gefunden und positive Impfresultate erzielt hat.
Poncet repliziert darauf, dass nur sehr selten — bei akuten
Formen — Tuberkelbazillen gefunden wurden; aber sei das nicht
auch bei anderen tuberkulösen Erscheinungen, z. B. dem Lupus ery¬
thematosus, bei geschlossener Nierentuberkulose, bei von Knochen
ausgehenden Eiterherden usf. der Fall? Die Impfungen sind nur bei
akuten Fällen positiv, bei chronischen und bei Sklerosen negativ.
Im ersteren Falle sind sie von grosser Bedeutung, im letzteren be¬
weisen sie nichts, da es sich um ein abgeschwächtes (? siehe oben,
Refer.) Gift handelt und selbst bei den spezifischen Formen der
Tuberkulose geringe Mengen (8, 10, 15, 20 g) z. B. einer tuberkulösen
Pleuraflüssigkeit, einem Meerschweinchen injiziert, keine Reaktion
geben, grössere Mengen aber, von 50, 60, 80 g, lokale oder allgemeine
Tuberkulose hervorrufen.
Barbier und Milan teilen die Auffassung Poncets be¬
züglich der tuberkulösen Natur des ankylosierenden Rheumatismus,
letzterer besonders auf Grund von positiven Tuberkulinreaktionen
(in 12 Fällen).
Zur Natur und Behandlung der diphtheritischen Lähmungen.
D u f o u r bringt einen Fall, welcher mehr als jede histologische
Untersuchung für den zentralen Ursprung mancher diphtheritischer
Lähmungen beweisend ist. Er hatte ein 8 jähriges Mädchen an
Rachendiphtherie behandelt und einige Zeit darauf wieder mit ver¬
schiedenen Lähmungserscheinungen (des weichen Gaumens, der
Akkommodation, des linken Fazialis usw.) gesehen. Dieser klinische
Beweis des zentralen und ziemlich hoch sitzenden Ursprungs der
postdiphtheritischen Lähmungen (im Grosshirn oder verlängerter
Mark) dürfte auch die Aerzte überzeugen, welche noch an einer
diphtheritischen Myelitis oder Bulbitis zweifelten und nur eine peri¬
phere Neuritis zuliessen.
C o m b y berichtet über 4 neue Fälle von diphtheritischer Spät¬
lähmung, welche durch massive Injektionen von Roux schem
Serum geheilt sind. Dosis 10 — 20 ccm 3 — 5 Tage hindurch,
Maximaldosis 80 ccm. C. schliesst daher, dass jeder mit diphtheri¬
tischer Lähmung neueren oder älteren Datums behaftete Erwachsene
oder Kind sofort mit Heilserum behandelt werden soll. Diese Be¬
handlung bietet keinerlei Nachteile und ist für alle Arten von Läh¬
mungskrankheiten und von Patienten anwendbar, auch bei jenen,
die schon vorher bei der Rachenaffektion mit Serum behandelt wor¬
den sind. Bei 13 Fällen diphtheritischer Lähmung, die seit 1902 mit
Roux schem Serum behandelt worden sind, erzielte C. ebensoviele
16. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1461
vollständige und rasche Heilungen, ohne irgend einen Misserfolg;
7 waren vorher wegen der Rachendiphtherie injiziert worden. Trotz
der wiederholten und ziemlich hohen Serumdosen kamen nur 2 mal
dem Serum zuzuschreibende, übrigens gutartige Affektionen (Erup¬
tionen usw.) vor — was dem Durchschnitt entspricht.
Netter konnte ebenfalls den guten Erfolg der Serumtherapie
bei Spätlähmungen konstatieren, aber er beobachtete Zufälle von
Serumödem. .
D o p t e r hat bei etwa 100 Patienten mit den Martin sehen
Pastillen, die man im Munde zergehen lässt, gute Resultate be¬
obachtet. Diese Pastillen entfernen rasch den Löffler sehen Ba¬
zillus aus dem Halse, was mit der pathogenetischen Auffassung von
Rist, welcher die Spätlähmungen nicht den löslichen Toxinen, son¬
dern 'einem in den Bakterienleibern zurückgehaltenen Toxin zu¬
schreibt, übereinstimmen würde.
Rist möchte, dass man das antibakterielle mit dem antitoxischen
Serum verbinde. Sicher gibt es Lähmungen, welche durch die lös¬
lichen Toxine verursacht sind, aber wie soll man die Lähmungen
erklären, welche trotz Seruminjektionen Vorkommen? Man muss
eine Wirkung der adhärenten Gifte zulassen.
Ueber Schilddrüseninsuffizienz. 8 Fälle von partiellem Myxödem.
L e v y und Rothschild nehmen zwischen dem ausge¬
sprochenen Myxödem und dem Gesundheitszustände intermediäre
Formen an, die sie in ihrer Entwicklung studiert haben: Hypo-
thyreoidie geringen Grades, gutartige chronische Hypothyreoidie
(Neurasthenie, Arthritismus), physisch und geistig mangelhafte Ent¬
wicklung. Da das Oedem im späten Alter — in einem der Fälle mit
52 Jahren — erscheinen und spontan oder durch die Behandlung ver¬
schwinden oder nur vorübergehend oder in Anfällen auftreten kann,
so schlagen Berichterstatter statt der Bezeichnung Myxödem eine
andere: Schilddrüseninsuffizienz mit oder ohne Oedem vor.
Sitzung vom 24. Mai 1907.
Gandy berichtet über die Resultate der Autopsie bei einem
der Kranken, welche er schon früher unter der Bezeichnung sexueller
Spätinfantilismus mit Schilddrüsenatrophie vorgestellt hat. Die
Schilddrüse war atrophisch (7 g) mit interstitieller Sklerose und
Drüsenatrophie, die Hoden waren atrophisch (Fehlen der intersti¬
tiellen Zellen), die einzige Behandlung wäre in solchen Fällen früh¬
zeitige Opotherapie.
Apert bespricht unter Demonstration eines 7jährigen Kindes
mit Myxödem, dessen Mutter mangelhafte Entwicklung der Schild¬
drüse mit entsprechenden Symptomen zeigt, das familiäre Myxödem
(hereditäre Dysthyreoidie). Ferner bringt er die Beobachtung eines
hereditär-syphilitischen Kindes, das immer von schlechtem Gesund¬
heitszustand war und im Alter von 12 Jahren vollständig zu wachsen
aufhörte. Es wurde nun eine Schilddrüsentherapie eingeleitet, das
Körpergewicht rasch wieder eingeholt — nach 2 jährigem Still¬
stand — und der junge Mann mit 18 Jahren sogar zum Militärdienst
eingereiht.
Renon und Azam haben in einem Falle von Basedow¬
scher Krankheit ausgesprochene Besserung nach 22 tägiger Behand¬
lung mit täglich 0,3 g gepulverter Rinds - Hypophysis erzielt.
Jedoch sind die Resultate keine anhaltenden, mit dem Aufhören der
Behandlung kehren auch die Symptome des Basedow wieder. Der
genaue Mechanismus der therapeutischen Wirkung des Hypophysis¬
pulvers ist noch unbekannt.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Mitgliederversammlung vom 6. Juli 1907.
1. Einlauf und geschäftliche Mitteilungen. Der Vorsitzende ge¬
denkt mit warmen Worten des verstorbenen Hofrates H e i g 1, zu
dessen Ehren sich die Versammlung von den Sitzen erhebt. Er
gibt ferner bekannt eine Einladung zur Entsendung eines Vertreters
zum internationalen Kongress für Schulhygiene, eine Aufforderung
der K. Polizeidirektion zur freiwilligen Untersuchung Geschlechts¬
kranker, entsprechend einer Anregung der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, schliesslich das Proto¬
koll der Kommissionsisitzung in Frankfurt a. M. vom 2. Juni 1907.
2. Der Vorsitzende erstattet über den Aerztetag in Münster,
sowie über eine bei dieser Gelegenheit abgehaltene Versammlung der
bayerischen Delegierten einen vom Plenum mit Beifall aufgenom¬
menen Bericht, in dem er die befriedigenden Resultate der Tagung
hervorhebt. Der Entwurf zur wirtschaftlichen Organisation in
Bayern, wie er in No. 27 der Münch, med. Wochenschr. veröffentlicht
ist, wurde im Geschäftsausschuss und in der Versammlung der
bayerischen Kollegen besprochen und soll eine andere Fassung er¬
halten. Zu seiner Umarbeitung habe sich Hofrat Mayer- Fürth
bereit erklärt.
3. Antrag Perutz auf Abänderung des § 27 der Statuten
der Abteilung für freie Arztwahl, der numehr lauten soll: „Alle Ver¬
träge, welche die Abteilung mit Krankenkassen abschliessen, er¬
neuern oder verlängern will, müssen der lokalen Vertragskommission
rechtzeitig zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden, und
steht derselben auch die Führung der diesbezüg¬
lichen Verhandlungen mit den Krankenkassen z u.“
Es handelt sich nur um den neu hinzugekommenen Nachsatz.
P e r u t z begründet diese formale Ausgestaltung des § 27 als Ausbau
der Kompetenzen der Vertragskommission, die unabhängig sein soll
von Strömungen des Augenblicks. Es handelt sich im wesentlichen
um eine Festlegung der bisherigen Gepflogenheiten. Epstein be¬
merkt, dass der Bezirksverein solche Satzungsänderungen ider Ab¬
teilung für freie Arztwahl nur zu betätigen, nicht aber vorzu¬
schlagen habe. Juridisch könne die Vertragskommission nicht ohne
Mandat von den einzelnen Kontrahenten in Vertragsverhandlungen
eintreten. R e h m gibt bekannt, dass die Vorstandschaft der Abteilung
mit der Behandlung der Frage im Bezirksverein einverstanden sei.
Kustermann stellt den Antrag : „Der Ae.rztliche 'Be¬
zirksverein möge beschliessen, dass die von ihm
gewählte Vertragskommission nicht nur das
Recht der Genehmigung von Verträgen, sondern
auch das Recht der Vorverhandlungen ha t.“ Doll-
mann wünscht, dass die Vertragskommissiom überall da, wo es
sich nicht um Abschlüsse auf der Basis der Minimaltaxe handelt, ein
Programm vom Plenum bekomme. Schneider begriisst den
Antrag P e r u t z. Die Vertragskommission kann besser beurteilen,
was erreicht werden soll und kann. Sie soll nicht vorher fest¬
gelegt und durch Plenarbeschlüsse gezwungen werden, mit offenen
Karten zu spielen. Der Antrag Kustermann gibt Gelegenheit, die
Frage heute zu erledigen. Perutz ist derselben Ansicht und
zieht seinen Antrag zu gunsten des Antrags Kustermann zu¬
rück. Bauer ist gegen eine absolute Selbständigkeit der Vertrags¬
kommission, da er Wert darauf legt, dass die Mitglieder der Ab¬
teilung vor den Verhandlungen gehört werden. Perutz bemerkt
dazu, dass niemand daran denke, dem Plenum gewissermassen den
Mund zu verbinden. Es soll im Gegenteil gehört werden und hat
ja auch das Genehmigungsrecht. Dagegen seien Beschlüsse, an die
dann die Kommission gebunden ist und die allgemein bekannt werden,
nicht zweckdienlich. Auch Kustermann und Ranke sind
dieser Ansicht. Dollmann kommt nochmals auf die Notwendig¬
keit der Durchführung der Minimaltaxe bei Verträgen zu sprechen,
worauf der Antrag Kustermann angenommen wird.
Zur Aerztekammer werden entsprechend der Mitgliederzahl
von 528 7 Delegierte gewählt, und zwar die Herren: F. Bauer,
Hartle, Henkel, K a s 1 1, A. Mueller, Rehm, Stern¬
feld, und als Ersatzmänner die Herren : Dornberger, Ein¬
horn, Hecht, Jooss, Kustermann, Schneider und
Scholl.
4. Antrag Friedrich Bauer: „Der Aerztliche Bezirksverein
wolle alsbald der Regelung der Verhältnisse in der Privatpraxis
unter Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte näher treten: All¬
gemeine Erhöhung des zurzeit üblichen Honorars, Einschränkung
des unumschränkten Kreditgebens, vierteljährliche Rechnungsstellung,
Revision der Gebührenordnung.“ Bauer begründet seinen Antrag
mit dem Vorgehen der Aerzte in anderen Städten, der Verteuerung
der Lebenshaltung. Die Gebührenordnung von 1901 enthält gegen¬
über der von 1875 relativ wenig Verbesserungen. Einzelne Vor¬
schläge sollen einer Kommission überlassen werden. Die Einschrän-
• kung des unumschränkten Kreditgebens sei nachgerade notwendig
geworden. Ein etwas mehr kaufmännisches Denken und Verfahren
in diesem Punkt sei ohne Verletzung ethischer Prinzipien möglich.
Die vierteljährliche Rechnungsstellung solle allgemeiner durchgeführt
werden. Die Revisionsbedürftigkeit der Gebührenordnung liegt auf
der Hand. Eine zunächst aus 12 Mitgliedern bestehende Kommission
soll die einzelnen Fragen bearbeiten. Diese Kommission wird ge¬
wählt. Sie hat das Kooptationsrecht. Dornberger wünscht,
dass die Vorschläge der in Frankfurt a. M. beschlossenen Einigungs¬
kommission unterbreitet werden sollen. Rehm ist ebenfalls dafür,
wenn die Kommission des Bezirksvereins ihre Arbeiten beendet hat.
Bauer bemerkt, dass dieser Zwölferausschuss noch nicht existiert.
Bezirksarzt Henkel, der öfters ärztliche Rechnungen zu begut¬
achten hat, gibt einige Ratschläge. Man sollte bei Besuchstaxen
die Entfernungen in der Grossstadt berücksichtigen. Die Minimal¬
taxe ist im allgemeinen richtig, bei besonderer Mühewaltung und
längerer Dauer der Konsultation ist die Taxe höher. Merkwürdig ist,
dass Bader und Hebammen bei Unbemittelten den Durchschnittssatz
nicht überschreiten dürfen, während für den Arzt die Minimaltaxe
gilt. So kommt es, dass er bisweilen schlechter honoriert wird als
ein Bader. Die Diskussion dreht sich dann um die Frage, ob man
die Vorschläge zur Aenderung zunächst im Bezirksverein bezw.
seiner Kommission beraten oder sofort dem Zwölferausschuss unter¬
breiten soll. Es wird ersteres beschlossen, da man noch nicht weiss,
bis wann die einzelnen Vereine ihre Delegierten zu jenem Ausschuss
gewählt haben. Sternfeld bemerkt übrigens, dass dieser Aus¬
schuss die ausgearbeiteten Entwürfe der einzelnen Vereine zu be¬
gutachten habe und verhindern solle, dass einseitige Beschlüsse ge¬
fasst werden, mit denen andere Gruppen nicht einverstanden seien.
Die selbständige Arbeit innerhalb der einzelnen Vereine werde da¬
durch nicht berührt. An der Diskussion beteiligen sich noch die
Herren ■ Bauer, Dollmann, Perutz, Kustermann,
Faust, Rehm, K o 1 b e c k und Einhorn. Aufgenommen wurde
Herr Dr. Georg Hohmann. Schluss der Sitzung 11 Uhr, anwesend
48 Mitglieder. Nadoleczny.
46 2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Ueber den Wert des Chloräthyls als Inhalations-
anästhetikum veröffentlicht Maas- Berlin eine bemerkens¬
werte Abhandlung (Therap. Monatsh. 1907, 6). Das Chloräthyl ist
in den letzten .Jahren bekanntlich vielfach für kurzdauernde Opera¬
tionen, zumal in der Zahnheilkunde, empfohlen worden. Was das
wichtigste, seine Gefährlichkeit anbetrifft, so sind im ganzen etwa
30 (!) Todesfälle bekannt geworden. M. hält es zum mindesten für
ebenso gefährlich wie das Chloroform. Relativ ist es gefährlicher
wie das Chloroform, da die Wirkungen des Mittels sich fast momen¬
tan entwickeln und bei der Kleinheit der Dosis die grosse Gefahr der
Ueberdosierung besteht. Diesen schweren Nachteilen gegenüber
kommen seine Vorteile, schnelles Eintreten der Narkose, Fehlen von
Nacherscheinungen, kaum in Betracht. Es darf also nie das Inhala-
tionsanästhetikum der Wahl sein. Kr.
Für die zur Injektion zu verwendende sterilisierte Gela¬
tine erheben K u h n und R ö s s 1 e r (Ther. Monatsh. 1907, 4) von
neuem die Forderung, für dieselbe nur die Gelatine gesunder Schlacht¬
tiere zu verwenden. Sie weisen auf die nach Gelatineinjektion wieder¬
holt beobachteten Tetanuserkrankungen hin. Zur Abtötung der
Tetanussporen genügt das Kochen allein nicht. Von 15 daraufhin
untersuchten Gelatinen enthielten 3 noch virulente Sporen, nachdem
sie an drei aufeinander folgenden Tagen je 30 Minuten gekocht waren.
Die sterile Gelatine von gesunden Schlachttieren wird bekanntlich
von der Firma Merck hergestellt. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 15. Juli 1907.
— Die Assisenzärzte der Münchener städtischen
Krankenhäuser haben an den Magistrat eine Eingabe gerichtet,
in der sie um Neuordnung ihrer Gehaltsverhältnisse nach¬
suchen. Bisher beziehen die dienstälteren Münchener Assistenz¬
ärzte ein Anfangsgehalt von 960 Mk., das im 2. Jahre auf 1080, im
3. auf 1320, im 4. auf 1500 Mk. steigt; die dienstjüngeren Aerzte
(Volontärärzte) beziehen keinen Gehalt. Beide Kategorien erhalten
ferner freie Wohnung und vom 2. Dienstjahr ab 360 Mk. Kostver¬
gütung. Angestrebt wird nun zunächst eine Umwandlung der unbe¬
soldeten Stellen in besoldete. Dies wird damit begründet, dass die
unbesoldeten Assistenzärzte genau den gleichen Wirkungskreis und
dieselben Pflichten haben wie die besoldeten und dass sie seit Ein¬
führung des praktischen Jahres auch bereits mit der nötigen prak¬
tischen Vorbildung in den Dienst treten. Die Volontärärzte sind
also nicht länger, wie das früher gesagt werden konnte, Neulinge,
deren Arbeit keiner Entschädigung wert ist. Ferner wird um eine
Erhöhung der z. T. gänzlich unzulänglichen Kostvergütung von 30
auf 50 Mk. nachgesucht und endlich um eine Erhöhung des Gehaltes
auf 1200 Mk. im ersten Dienstjahr, steigend jährlich um 200 Mk.
bis auf 2000 Mk. im 5. Dienstjahr. Wir wünschen dieser Eingabe eine
wohlwollende Würdigung seitens des Magistrates. Denn es sind sehr
bescheidene und berechtigte Wünsche die darin geäussert werden.
Ein Bezug von 960 Mk. bei freier Wohnung ist keine Bezahlung
für einen Mann, der eine 6 jährige Ausbildung hinter sich hat. Man
sagt, die jungen Aerzte lernen noch als Assistenten, darum brauchen
sie nicht voll bezahlt zu werden. Gewiss, aber jeder junge Mann in
irgendwelcher Stellung lernt noch und wird darum doch angemessen
bezahlt. Es ist aber noch zu berücksichtigen, dass auch hier Ange¬
bot und Nachfrage mitbestimmend sind für den Preis. So lange die
jungen Aerzte sich um die Assistenzarztstellen drängten, war es be¬
greiflich, dass die Gemeinden geneigt waren, die Honorare niedrig zu
halten. Seit Einführung des praktischen Jahres ist das anders ge¬
worden. Der Krankenhausdienst des praktischen Jahres genügt den
meisten Aerzten für ihre Ausbildung. Nach Absolvierung desselben
gehen sie in die Praxis. Darum ist es so schwierig für die Kranken¬
häuser geworden, ihre Assistenzarztstellen zu besetzen, dass man ge-
i adezu von einer „Assistentennot sprechen kann. Nicht von einer
Aerztenot; im Gegenteil, die Ueberfüllung des ärztlichen Berufes
daueit fort; aber soweit ist es allerdings noch nicht gekommen, dass
ein Arzt in der Praxis nicht mehr verdienen könnte, als eine Assi¬
stenzarztstelle bisher zu tragen pflegte. Darum haben die Kranken-
liciuser allenthalben im letzten Jahre ihre Assistenzarztgehälter er-
höhen müssen; ja selbst Praktikantenstellen werden, wie ein Blick
auf unsere Liste offener Praktikantenstellen zeigt, an manchen Orten
besser bezahlt, als eine Assistenzarztstelle in München. Wenn heute
die Münchener Assistenzärzte ihre Stellen niederlegen würden, würde
es ihnen leicht sein, in kürzester Zeit andere, besser bezahlte* Stellen
zu tinden, \\ ährend der Magistrat grosse Schwierigkeiten haben
wurde, die Stellen neu zu besetzen. An eine solche Massregel wird
gewiss nicht gedacht. Wir stellen nur die klare Sachlage fest, deren
richtige \\ urdigung den Münchener Magistrat veranlassen muss, dem
Gesuch der Assistenzärzte stattzugeben.
1 )er V erbau d Deutscher Lebensversiche-
l u n gsgesellsc haften hat die vom Deutschen Aerztetag in
Münster beschlossene Forderung von 10 Mark für hausärztliche
und von 15 Mark für vertrauensärztliche Zeugnisse abgelehnt.
Daraufhin hat der Generalsekretär des Aerztevereinsbundes in Aus¬
führung des bindenden Beschlusses des Aerztetages den jetzigen
Vertrag mit dem Verbände D. L. V. G. gekündigt. Damit kann
die Angelegenheit jedoch nicht erledigt sein; ein vertragsloser Zu¬
stand wäre nur für die Gesellschaften von Vorteil. Wenn im Sinne
des Aerztetagesbeschlusses folgerichtig gehandelt werden soll, so
muss nunmehr die Parole ausgegeben werden, dass kein Arzt eine
Untersuchung für eine Lebensversicherungsgesellschaft unter 15 Mark
machen und ein hausärztliches Zeugnis unter 10 Mark abgeben darf
Zur Durchführung dieser Massregel hat der Leipziger Verband in
Tätigkeit zu treten, der damit, da eine Kontrolle der Kollegen der
ausgegebenen Parole gegenüber nicht möglich ist, vor eine sehr
schwierige Aufgabe gestellt ist. Entschliesst man sich zu diesem
Vorgehen nicht, so wäre der Beschluss des Aerztetages ein Schlag
ins Waser, ja eine direkte Schädigung des Ansehens der ärztlichen
Organisation gewesen.
— In No. 9/1907 der Münchner medizinischen Wochenschrift
('S. 448) wurde darüber Klage geführt, dass von den in Universitäts¬
städten arbeitenden Medizinalpraktikanten verlangt werde
sich von neuem immatrikulieren zu lassen, wenn sie an der Uni¬
versität Vorlesungen zu hören beabsichtigen. Es sei nicht einzu¬
sehen, warum den Praktikanten das Recht verweigert werde, als
Hörer sich einschreiben zu lassen. Wie uns vom K. B. Kultusmini¬
sterium mitgeteilt wird, haben die Erhebungen ergeben, dass diese
Nachricht für bayerische Universitäten nicht zutrifft. An der
Universität München wurden die Medizinalpraktikanten schon bisher
als Hörer zugelassen, an den Universitäten Würzburg und Erlangen
haben sich Medizinalpraktikanten zur Teilnahme an Vorlesungen oder
Uebungen bisher noch nicht gemeldet, sie werden aber im Falle der
Meldung, auch an diesen beiden Universitäten als Hörer nach § 10
der Universitätssatzungen zugelassen werden. Wir bemerken dazu,
dass uns die betreffende Mitteilung aus einer nichtbayerischen Uni¬
versität zugegangen war.
— In einem Streit zwischen den Krankenkassen
und den Aerzten in Köln hat das dortige Landgericht ent¬
schieden, dass die auf Anordnung der Aerzte ausgeübte Tätigkeit der
Heildiener, wie das Anlegen von Gipsverbänden, Massieren, Elektri¬
sieren, Schröpfen etc., ferner die Röntgenaufnahmen, bakteriologische
Untersuchungen, medikomechanische und orthopädische Behandlung
vertragsmässig zur Tätigkeitssphäre der Aerzte gerechnet
werden müsse, und dass daher die Kasse berechtigt sei, die hiefür
entstandenen Kosten an der den Aerzten zu zahlenden Pauschalsumme
abzuziehen.
■ In Saarbrücken hat in diesen Tagen auf Veranlassung
des Ministers der usw. Medizinalangelegenheiten eine Konferenz
stattgefunden, in der die Errichtung eines hygienischen In¬
stituts für das Saargebiet beschlossen ist. Die dadurch
entstehenden Kosten werden unter einer staatlichen jährlichen Bei¬
hilfe von 20 000 Mark teils von den beteiligten Kommunalbehörden,
teils von der Grossindustrie getragen; ausserdem sind für die Er¬
richtung 30 000 Mark aus dem Kaiserlichen Dispositionsfonds be¬
willigt. Das Institut soll seine Tätigkeit nicht nur auf die Mit¬
wirkung bei Bekämpfung der Seuchen erstrecken, sondern sich auch
mit hygienischen Fragen aus dem Gebiete der Wohnungs- und Ge¬
werbehygiene, der Wasserversorgung, Abwässerbeseitigung usw be¬
schäftigen sowie als Ausibildungs- und Fortbildungsanstalt für Aerzte
Desinfektoren usw. dienen. z. f. Med.-Beamte.
— Die feierliche Eröffnung der allgemeinen Kran¬
kenanstalten der Stadt Düsseldorf und der Akademie
für praktische Medizin findet am 27. Juli 1907 statt. Zu
dei Feier sind zahlreiche Einladungen an ärztliche Kreise ergangen.
— Der Prozess des bekannten Gynäkologen und Mitgliedes der
Berlin-Brandenburger Aerztekammer, Dr. R. Kossmann zu Berlin,
wegen unberechtigter Führung des Professortitels
wurde nunmehr in letzter Instanz entschieden. K. war bekanntlich
früher ausserordentlicher Professor der Zoologie an der philosophi¬
schen Fakultät zu Heidelberg; nach seiner Uebersiedelung als Arzt
nach Berlin (1890) nannte er sich auf dem Schild an seiner Wohnung
Professor und Unterzeichnete als grossherzogl. bad. ausserordent¬
licher Professor. Nachdem dies von der Polizeibehörde beanstandet
worden war, beschritt K. den Rechtsweg. Schöffengericht und Land¬
gericht gelangten zur Freisprechung, sowohl weil der Angeklagte im
guten Glauben gehandelt habe, als auch weil er tatsächlich den Pro¬
fessortitel zu Recht führe. Das Kammergericht als oberste Instanz
wies zwar die Revision der Staatsanwaltschaft zurück, weil festge¬
stellt sei, dass K. in gutem Glauben gehandelt habe, sprach aber
aus, dass kein preussischer Untertan ohne Genehmi¬
gung des Königs von einer fremden Macht Titel
oder Orden an nehmen oder führen dürfe. Professor
Kossmann und alle anderen preussischen Gelehrten, denen von
einem fremden Landesfürsten der Professortitel verliehen wurde,
und die ihn bisher unbeanstandet geführt haben, müssen also nun
nachträglich um die Genehmigung zur Führung nachsuchen.
— Nach einer in der „Internat. Wocbenschr. f. Wissensch., Kunst
u. Technik“ wiedergegebenen Statistik des französischen Unterrichts¬
ministeriums haben in dem abgelaufenen Wintersemester 1906/07 die
französischen Universitäten und Hochschulen
l(j. Juli 1907.
MÜfiNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1463
38 197 Studierende beiderlei Geschlechts gezählt, und zwar 35 638
männliche (33 399 Franzosen und 2239 Ausländer) und 2559 weibliche
(1364 Französinnen und 1195 Ausländerinnen). Von diesen haben
studiert: Rechtswissenschaft 15 551 (124 Frauen), Medizin 8297
(796 Frauen), Pharmazie 2290 (66 Frauen), Literatur 5710 (1105
Frauen), Naturwissenschaften, Philosophie usw. 6349 (468 Frauen).
Die Pariser Universität allein zählte 15 789 Studenten: 7032 Juristen,
3369 Mediziner, 2413 Literaturstudierehde, 2022 Naturwissenschaftler
und 953 Pharmazeuten. Es folgen Lyon mit 2783, Toulouse mit 2675,
Bordeaux mit 2469, Nancy mit 1841, Montpellier mit 1752, Lille mit
1560, Rennes mit 1498, Aix-Marseille mit 1269, Dijon mit 966, Poitiers
mit 962, Grenoble mit 896, Caen mjt 814, Besangon mit 325, Cler-
mont mit 281 Studierenden, (hc.)
— Pensionsverein für Witwen und Waisen
bayerischer Aerzte. Der soeben zur Versendung gelangte
Jahresbericht für 1906 gibt Wieder ein erfreuliches Zeugnis der vor¬
züglichen Entwicklung des Vereins. Das Vermögen des Pensions¬
fonds ist auf 918 808 M., das des Stockfonds auf 465 387 M. gestiegen.
Das Gesamtvermögen des Vereins beträgt 1 384 195 M. Im Jahre
1906 hat sich das Gesamtvermögen des Vereins um 27 288 M. ver¬
mehrt. Diese sehr günstige Vermögenslage hat der letzten Dele¬
giertenversammlung die Möglichkeit gegeben, vom Jahre 1907 ab
die Dividenden der Pensionen auf 15 Proz. zu erhöhen. Demnach er¬
hält eine Witwe im Jahre 230 resp. 345 M.; bei beispielsweise vor¬
handenen 2 minderjährigen Kindern 322 resp. 483 M. Im Berichts¬
jahre wurden an Witwen und Waisen 52 389 M. Pensionen und 5238 M.
Dividenden (nach Berechnung mit 10 proz. Dividenden) ausbezahlt.
Seit Gründung des Vereins (1853) wurden im ganzen 2 043 894 M.
für Pensionen, Dividenden und Erziehungsbeiträge geleistet. — Von
den Herren Hofrat Dr. W. B e c k h und Dr. J. N e u b e r g e r in
Nürnberg wurde die Bildung eines Zentenar-Jubiläumsfonds angeregt.
Aus den Zinsen des hierfür gesammelten Kapitals soll unbemittelten
bayerischen Kollegen durch ganze oder teilweise Zahlung der Jahres¬
beiträge der Eintritt in den Verein ermöglicht werden. Die Samm¬
lung ergab bis jetzt rund 10 000 M. Näheres möge dem Jahres¬
berichte 1906 entnommen werden. Auch der Verwaltungsrat ersucht,
dieses ideale kollegiale Unternehmen durch weitere Schenkungen
unterstützen zu wollen. — Ferner werden alle Bezirksärzte sowie die
ärztlichen Bezirksvereine gebeten, die Kollegen des betreffenden Be¬
zirkes auf unseren in so vorzüglicher Entwicklung begriffenen baye¬
rischen ärztlichen Pensionsverein aufmerksam zu machen. Wie viele
Witwen danken ihren Gatten über das Grab, dass sie die Wohltaten
des Vereins gemessen. Aufschlüsse jeder Art erteilen die Kreis-
ausschiisse sowie der Geschäftsführer, Herr Hofrat Daxenberger,
Miinchen-Gern, Diillstrasse 23.
— Lord L i s t e r wurde von der Stadt London zum Ehren¬
bürger ernannt. Der Ehrenbürgerbrief wurde dem Gefeierten in
einer künstlerisch reich ausgestatteten goldenen Kassette in feierlicher
Sitzung in der Guildhall durch den Bürgermeister überreicht.
— Das Zentralkomitee für das Rettungswesen
in Preussen hat zum Vorsitzenden als Nachfolger von Ernst
v. Bergmann Herrn Ministerialdirektor Dr. Förster gewählt.
Direktor Förster ist gleichfalls Vorsitzender der Zentralstelle für
das Rettungswesen an Binnen- und Küstengewässern.
— In Erlangen findet in der Zeit vom 22.-27. Juli ein un¬
entgeltlicher Fortbildungskurs für Aerzte statt. Nähere Aus¬
kunft erteilt Herr Hofrat Dr. S c h u h in Nürnberg, Hauptmarkt 26.
— Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien schreibt neuer¬
dings den von Med. Dr. Moritz Goldberger gestifteten Preis
im Betrage von 2000 Kronen für die beste Beantwortung des vom
Präsidium gestellten Preisthemas: „Experimentelle Beiträge zur
Frage der Beeinflussung von Organsystemen und Organfunktionen
untereinander, in normalen oder pathologischen Verhältnissen ‘. Um
diesen Preis können Aerzte aus Oesterreich-Ungarn und ganz Deutsch¬
land konkurrieren. Berücksichtigung finden nur Arbeiten, welche in
deutscher Sprache verfasst, bis längstens 15. Mai 1909 an das Prä¬
sidium der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, mit einem Motto
versehen, eingesendet werden. Dazu ist ein mit demselben Motto
versehenes verschlossenes Kuvert einzusenden, welches Name und
Adresse des Autors enthält. Die Zuerkennung des Preises erfolgt
in der ersten, im Monate Oktober 1909 stattfindenden Sitzung der
k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, die Ausfolgung desselben an
den preisgekrönten Bewerber am 28. Oktober, als dem Sterbetage
des Stifters. Hat die preisgekrönte Arbeit mehr als einen Ver¬
fasser, so kann der Preis unter den Verfassern zu gleichen Teilen
geteilt werden. Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien behält sich
das Recht vor, die preisgekrönte Arbeit zu publizieren. Im übrigen
behält der Autor alle Rechte an seinem geistigen Eigentume.
— Der von Rudolf Mosse in Berlin herausgegebene „Bäder-
Almanach“ feiert mit der soeben erschienenen 10. Ausgabe das
Jubiläum seines 25 jährigen Bestehens. Es ist nicht nötig über den
Inhalt des Buches, über seine Reichhaltigkeit und Vollständigkeit,
über seine zweckmässige Anordnung etc. etwas zu sagen. Der
Bäder-Almanach ist ja jedem Arzte bekannt; er ist das unentbehr¬
liche Hilfsmittel geworden, wenn ein Arzt über die Verhältnisse
eines Bades etwas nachzuschlagen hat. Aber es möge bei dieser
Gelegenheit doch anerkannt werden, dass die Verlagshandlung durch
die freie Zusendung des Bäder-Almanachs an alle Aerzte diesen einen
sehr schätzenswerten Dienst erweist. Die Schaffung des Bäder-
Almanachs war jedenfalls ein sehr guter Gedanke, der das für die
Verlagsbuchhandlung angenehme mit dem für die Aerzte und die
Bäder nützlichen aufs glücklichste vereinigt. Wir wünschen dem
Unternehmen, dass es noch lange auf der gleichen Höhe erhalten wer¬
den möge.
— Pest. Aegypten. Vom 22.-29. Juni wurden 23 neue Er¬
krankungen (und 18 Todesfälle) gemeldet. — Britisch-Ostindien. Vom
9. — 15. Juni sind in der Präsidentschaft Bombay 628 Erkrankungen
(und 464 Todesfälle) an der Pest festgestellt worden. In Kalkutta
starben vom 26. Mai bis 1. Juni 100 Personen an der Pest. In
Moulmein sind vom 26. Mai bis 1. Juni 44 Personen an der Pest
gestorben. — Japan. In Osaka ist die Pest neuerdings erheblich
stärker aufgetreten; von Mitte April bis Mitte Mai sind dort 32 neue
Erkrankungen festgestellt worden, seit Beginn dieses Jahres im
ganzen 57, von denen 55 tödlich verlaufen sind. In Kobe ist am
3. Mai ein neuer Fall vorgekommen. Auch aus dem Wakayamabezirk
sind wieder 3 Pestfälle gemeldet worden. — Britisch-Südafrika. In
King Williams Town ist in der Zeit vom 26. Mai bis 1. Juni ein
Pestfall bei einem Angehörigen der Pestsanitätskolonne vorge¬
kommen.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 23. — 29.
Juni sind 64 Erkrankungen (und 29 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 26. Jahreswoche, vom 23. bis 29. Juni 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Rostock mit 34,8, die geringste Solingen mit 7, 2. Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Ulm, an Masern und Röteln in Buer, Linden,
an Diphtherie und Krupp in Bamberg, Borbeck, Hannover.
V. d. K. G.-A.
(Hochschul nachrichte n.)
Berlin. Den Privatdozenten in der Berliner medizinischen Fa¬
kultät, Dr. med. Ludwig Blumreich (Geburtshilfe und Gynä¬
kologie) und Dr. Josef H e 1 b r 0 n (Augenheilkunde), Assistenzarzt
bei Geheimrat v. Michel an der Klinik und Poliklinik für Augen¬
kranke, wurde der Professortitel verliehen. Habilitiert: Dr. med.
Georg .1 ü r g e n s, Stabsarzt und Assistenzarzt bei Geheimrat Kraus
an der zweiten medizinischen Klinik, mit einer Antrittsvorlesung über
Beziehungen der genuinen Pneumonie zur Lungentuberkulose als
Privatdozent. Der Charakter als „Geheimer Medizinalrat“ ist dem
a. 0. Professor für Chirurgie an der hiesigen Universität und diri¬
gierenden Arzt der chirurgischen Abteilung am Augustahospital, Dr.
med. Fedor Krause, verliehen worden, (hc.)
Erlangen. Professor Dr. Menge hat den Ruf nach T ii -
b i n g e n als Nachfolger Professor Döderleins nunmehr definitiv
a b g e 1 e h 11 1, was hier allseitig mit grosser Freude begriisst wird.
— Für das Studienjahr 1907/08 wurde als Prorektor Professor
Dr. Gustav Hauser gewählt.
Freiburg i. Br. Dem a. 0. Professor für Chirurgie an der
hiesigen Universität, Dr. med. Edwin G o 1 d m a n n, Oberarzt der
chirurgischen Abteilung am Diakonissenhause daselbst, wurde ein
Lehrauftrag zur Abhaltung von Vorlesungen über experimentelle Chi¬
rurgie und dem a. 0. Professor für Chirurgie daselbst, Dr. med. Ale¬
xander R i t s c h 1, Leiter der orthopädischen Abteilung an der chi¬
rurgischen Klinik, ein Lehrauftrag für orthopädische Chirurgie er¬
teilt. (hc.)
Göttingen. Zum Prorektor der hiesigen Universität für das
Jahr vom 1. September 1907 bis dahin 1908 wurde der Professor
der Psychiatrie und Nervenkrankheiten und Direktor der Universitäts¬
klinik und Poliklinik für psychische und Nervenkrankheiten, Dr. med.
August C r a m e r gewählt, (hc.)
Greifswald. Der Charakter als „Geheimer Medizinalrat“
wurde dem ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie
und Direktor der Frauenklinik an der Universität Greifswald, Dr. med.
August Martin verliehen, (hc.)
Heidelberg. Dem Direktor der medizinischen Klinik, Geh.
Rat K r eh 1, wurde das Kommandeurkreuz 2. Klasse vom Zähringer
Löwenorden verliehen. — Dr med. Hermann Euler hat sich in der
medizinischen Fakultät habilitiert mit einer Probevorlesung „Die Ent¬
wicklung der konservierenden Zahnheilkunde in Deutschland während
der letzten zwei Jahrzehnte“.
Marburg. Professor Dr. med. Paul Friedrich, Direktor
der chirurgischen Klinik in Greifswald, hat einen Ruf in gleicher
Eigenschaft an die hiesige Universität erhalten und angenommen,
an Stelle von Prof. Dr. H. K ü 1 1 n e r, der Garres Lehrstuhl in
Breslau übernommen hat. (hc.)
München Am 13. Juni habilitierte sich für vChirurgie Dr.
Rudolf G r a s h ey, Assistent am chirurgisch-klinischen Institut, mit
einer Probevorlesung über die chirurgische Bedeutung der Fremd¬
körper. Die Habilitationsschrift behandelt die Untersuchung von
Frakturen mit Röntgenstrahlen.
Tübingen. Privatdozent Dr. B a i s,c h, I. Assistenzarzt der
Universitäts-Frauenklinik wird mit Prof. Dr. Dö der lein nach
München übersiedeln. — Professor M e n g e - Erlangen hat den Ruf
hieher abgelehnt. An dritter Stelle ist Professor Franz- Jena
vorgeschlagen.
Florenz. Dr. A. C e v i d a 1 1 i, Privatdozent an der medi¬
zinischen Fakultät zu Modena, habilitierte sich als Privatdozent für
gerichtliche Medizin.
Kasan. Der Privatdozent an der militärmedizinischen Aka¬
demie zu St. Petersburg, Dr. Orlowsky, wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der medizinischen Diagnostik ernannt.
MUENCHENEft MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Mo. 20.
1404
Kopenhagen. Habilitiert: Dr. med. C. F. Jäcobsen
(Habilitationsschrift: Untersuchungen über den Typhusbazillus).
Montreal. DDr. F. Q. F i n 1 e y, H. A. L a f 1 e u r und L. F.
Martin wurden zu Professoren der Medizin an der Mc. Gill Uni-
versity ernannt.
Moskau. Privatdozent Dr. Go lu bin in wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der Therapeutik ernannt. .
Odessa. Der ausserordentliche Professor Dr. J. Kiya-
n i t z y n e in Charkow wurde zum ordentlichen Professor der Hy¬
giene ernannt.
Palermo. Dr. V. S c a f f i d i habilitierte sich als Privatdozent
für Histologie.
St. Petersburg. Der Privatdozent an der mditärmedr-
zinischen Akademie, Dr. H. T s e i d 1 e r wurde zum ausserordentlichen
Professor der Chirurgie am medizinischen Institut für Frauen er¬
nannt.
Philadelphia. Dr. J. H. G i b b o n wurde zum Profe.ssor der
Chirurgie am Jefferson Medical College ernannt.
Prag. Der mit dem Titel eines ausserordentlichen Universitäts¬
professors bekleidete Privatdozent in Wien und Prosektor am Kaiser-
Franz- Josefs-Spital daselbst, Dr. Richard K r e t z, wurde zum ordent¬
lichen Professor der pathologischen Anatomie an der deutschen
Universität in Prag ernannt. Damit ist die nach Abgang Professor
C h i a r i s vakante Stelle besetzt.
Wien. Der Kaiser hat das Protektorat über die 6. internatio¬
nale Tuberkulosekonferenz übernommen, die unter dem Präsidium
des Ministers Bourgeois vom 19. bis 21. September d. J. in
Wien tagen wird. Das Organisationskomitee für diese Konferenz
besteht unter dem Ehrenpräsidium des Grafen Heinrich La risch
aus den Hofräten Prof. Dr. Leopold v. Schrötter und Obersani¬
tätsrat Prof. Dr. Anton Weichselbaum. Dr. L. W i c k habilitierte
sich als Privatdozent für Balneologie und Klimatologie.
(Todesfälle.)
Prof. Dr. med. Edmund Hansen G r u t, 76 Jahre alt. G r u t
war Professor der Ophthalmologie an der Universität Kopenhagen
1888—1896.
Dr. H. H o y e r, früher Professor der Physiologie und Histologie
an der medizinischen Fakultät zu Warschau.
Sir W. T. Gairdner, früher Professor der Medizin an der
Universität Glasgow.
Berichtigung. In dem Referat über die Badener Neu¬
rologenversammlung in No. 28 vom 9. ds. Mts. ist wiederholt irr¬
tümlich Becker-Heidelberg statt Becker-Baden de-
schrieben.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Militärsanitätswesen.
Abschied bewilligt: dem Oberstabsarzt Dr. Fleisch-
mann, Regimentsarzt im 3. Inf.-Reg., mit der gesetzlichen Pension
und mit der Erlaubnis zum Forttragen der Uniform mit den für
Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen.
Ernannt: zum Regimentsarzt im 8. Inf.-Reg. der Stabsarzt
Dr. Rothenaicher, Bataillonsarzt im 16. Inf.-Reg. unter Be¬
förderung zum Oberstabsarzt, zum Bataillonsarzt im Inf.-Leib-Reg.
der Oberarzt Dr. Mann bei der Inspektion der Militärbildungs¬
anstalten unter Beförderung zum Stabsarzt (überzählig), zum Ba¬
taillonsarzt im 11. Inf.-Reg. der Stabsarzt Dr. Renner dieses Re¬
giments.
Versetzt: der Oberstabsarzt und Regimentsarzt Dr. Be¬
da 1 1 vom 8. Inf.-Reg. zum 3. Inf.-Reg., die Oberärzte Dr. Maxi¬
milian Hohe von der Reserve (Kaiserslautern) in den Friedensstand
des 20. Inf.-Reg. mit Patent vom 23. Juni ds. Js. und überzählig,
Dr. Miller vom 20. Inf.-Reg. zum 7. Feld.-Art.-Reg. und Dr. May
vom 7. Feld-Art.-Reg. zur Inspektion der Militärbildungsanstalten.
Auszeichnung: dem Oberstabsarzt a. D. Dr. Fleisch-
m a n n, bisher Regimentsarzt im 3. Inf.-Reg., wurde der Militär¬
verdienstorden 4. Klasse mit der Krone verliehen.
Korrespondenz.
An die bayerischen Aerztekanimern!
In unserem Anschreiben an die bayerischen Aerztekammern betr.
Ausbau unserer wirtschaftlichen Organisation haben wir für die
verschiedenen Vertragskommissionen Direktiven skizziert,
die von den Kammern und Bezirksvereinen besprochen werden
sollten. Das Anschreiben kam auch zur Kenntnis des Geschäfts¬
ausschusses des deutschen Aerztevereinsbundes und man hat dort
Einzelnes aus den aufgestellten Sätzen nicht in vollem Einklang mit
den Direktiven des Aerztebundes gefunden.
So steht auf Seite 4 des Zirkulars, 14 Zeilen von unten, „freie
Arztwahl kann nur erzwungen werden bei voller Zustimmung aller
beteiligten Aerzte“. Der Wortlaut der Direktiven des Bundes ver¬
langt nur „Einigkeit der Aerzte“.
Etwas weiter unten steht der Satz: „Allmähliche Einführung
der freien Arztwahl durch Sperre frei werdender Stellen ist nur
durchführbar, wo kleinere Kassen in den Händen einzelner Aerzte
sind“.
Wir halten die anders lautende Direktive des Bundes nicht in
allen Fällen für durchführbar und wollten diese unsere Ansicht zur
Diskussion stellen.
Um aber auch den Schein zu vermeiden, als ob wir uns in einen
Gegensatz zu den Bestrebungen des Aerztevereinsbundes und seiner
Organisationen stellen wollten, und da wir uns überzeugen Hessen,
dass es inopportun ist, im gegenwärtigen Moment an dem Wortlaut
der Bundesdirektiven zu rühren, so bitten wir, in unseren Vor¬
schlägen die beiden angegebenen Sätze zu streichen.
Der geschäftsführende Ausschuss der Aerzte¬
kammern.
Dr. W. Mayer. Dr. W. Beckh. Dr. L. Schuh.
Niirnberg-Fürth im Juli 1907.
Zur Frage der angeborenen Funktionsdefekte im Gebiete der moto¬
rischen Hirnnerven.
„In einer Note (Münch, med. Wochenschr. No. 27, 1907) be¬
anstandet H e u b n e r eine kritische Bemerkung, die in einer Fuss-
note zu meiner Arbeit „Zur Frage der angeborenen Funktionsdefekte
im Gebiete der motorischen Hirnnerven“ (diese Wochenschr. No. 25)
enthalten ist. Ich habe mich hier dagegen ausgesprochen, dass bei
Fehlen der Kernanlage von einer Kernschädigung gesprochen wer¬
den könne. In seiner Gegenbemerkung hält es H e u b n e r für „klar,
dass ein Nervenkern durch den irgendwie bedingten Ausfall des gröss¬
ten Teils seiner Zellen geschädigt ist.“ Demgegenüber muss ich doch
bemerken, dass ein nicht angelegter, also nie vorhanden gewesener
Kern durch nichts Schaden nehmen kann, und dass ein von Anbeginn
zellärmer angelegter Nervenkern nur als solcher, als unterentwickelt
gelten muss, nicht aber als schwer geschädigt angesprochen wer¬
den kann. Das mag manchem als Wortklauberei erscheinen, ist es
aber nicht, denn um Kernagenesie (Kunn) oder Kernschwund
(M o e b i u s), zwei prinzipiell verschiedene Anschauungen handelt
es sich.
Die summarische Verweisung betr. Quellenangaben auf grosse
Arbeiten, die alle vorher erschienenen einschlägigen Arbeiten auf¬
zählen, und die Beschränkung auf die genaue Anführung der dort
nicht zitierten oder seither publizierten Arbeiten kann ich und mit
mir wohl jeder Unbefangene nicht ungehörig finden.
Wien, 5. Juli 1907. Rudolf Neurath.
Zur Berichtigung.
Herr Dr. R e i n a c h ersucht uns um Aufnahme der nachstehen¬
den Zuschrift.
„Die Firma IStestle & Co. versendet einen Artikel von Dr.
Kühner „Zur Säuglingssterblichkeit etc.“, in welchem in einer
Fussnote — durch irrtümliche Rubrizierung — eine Stelle meiner
Abhandlung aus B i e d e r t s „Kind“ über Minimalnahrung und nötiges
individuelles Vorgehen bei Ernährungsstörungen zur Bekräftigung
einer angeführten Ernährungstabelle (mit Nestlemehl) zitiert wird.
Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich konstatieren,
dass in meiner obigen Arbeit weder etwas für noch etwas
gegen den Gebrauch von „Nestlemehl“ geschrieben steht, über¬
haupt das Wort „Nestlemehl“ nicht erwähnt is t.“
Dr. O. R e i n a c h - München.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 26. Jahreswoche vom 23. bis 29. Juni 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 22 (13*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 6 (5), Kindbettfieber — (1), and. Folgen der
Geburt —(2), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln 8 (8), Diphth. u.
Krupp 2 (5), Keuchhusten 3 (— ), Typhus — (— ), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) — ( — ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 2 (2), Tuberkul. d. Lungen 23 (29), Tuberkul. and.
Org. 4 (3), Miliartuberkul. — (1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 9 (13),
Influenza 2 (— ), and. übertragb. Krankh. 3 (2), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 3 (3), sonst. Krankh. derselb. 3 (2), organ. Herzleid. 14 (9),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 9 (6), Gehirnschlag
8 (11), Geisteskrankh. 1 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 5 (1), and.
Krankh. d. Nervensystems 4 (5), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 37 (27), Krankh. d. Leber 3 (5), Krankh. des
Bauchfells — (— ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 2 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 1 (7), Krebs (Karzinom Kankroid) 13 (9),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 3 (9), Selbstmord — (1), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 3 (6), alle übrig. Krankh. 4 (3).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 197 (192). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,7 (18,2), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,9 (13,0).
der Vorwoche.
) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle
Verlag von J. F. Lehmann in München. - Druck von £. Mühlthalers Buch- und KunstünTckerei A.Q., München.
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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Minier, 0. v. Bollinger, fl. CurschmanD, fl. Helferich, #U Leute, 6. Merkel, J. v. Michel, F. Fenzoldt, H.< tanke, B. Spatz, F.rJinckel,
München. Freiburg i. B. , München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. Müi., hen. München. München.
No. 30. 23. Juli 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Erlangen.
Zur Indikationsstellung bei den beckenerweiternden
Operationen.*)
Von Professor Dr. Menge.
Nachdem die operative Beckenerweiterung, speziell die
Hebosteotomie, sich eine dauernde Position in der
Therapie des engen Beckens errungen hat, ist es an der Zeit,
die noch heftig umstrittene und scheinbar etwas kompliziert
liegende Frage von ihrer Indikationsstellung einer Lösung ent¬
gegenzuführen.
Zweifel und Doederlein, welche auf dem Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Dresden ein¬
gehende Referate über die Technik und die Erfolge der
operativen Beckenerweiterung erstattet haben, behandelten in
ihren Ausführungen die A n z e i g e s t e 1 1 u n g mit grosser
Zurückhaltung und Vorsicht. Sie motivierten diese Reserve
damit, dass eine genauere Formulierung der Beckenerweite¬
rungsindikationen erst von einer auf die erzielten Resultate sich
stützenden Aussprache der Kongressteilnehmer zu erwarten sei.
Ich meine, es müsste gelingen, die Grenzen der operativen
Beckenerweiterung den bisherigen Behandlungsmethoden beim
engen Becken gegenüber präzis zu bestimmen und damit mo¬
derne Grundsätze für die ganze Therapie bei den vulgären
Formen des engen Beckens aufzustellen, wenn man auf die¬
jenigen Beobachtungstatsachen zurückgreift, die ich im fol¬
genden kurz berühren will.
Die erste Tatsache, die wir als Unterlage zu berück¬
sichtigen haben, ist die altbekannte, dass bei engen Becken mit
einem Konjugatamasse von 5,5 cm und weniger auch das
kraniotomierte Kind nicht mehr durch das Becken
hindurchgeht.
Aus diesem ersten Vordersatz ergeben sich zwei thera¬
peutische Konsequenzen, die auch bisher schon gültig waren,
nämlich:
1. Bei engen Becken mit einem Konjugatamasse von
5.5 cm und weniger kommt bei ausgetragenen lebenden
und toten Kindern von mittlerer Grösse nur die
Sectio caesarea abdominalis in ihren verschie¬
denen Modifikationen in Betracht. (Klassischer Kaiserschnitt,
Frank sehe Modifikation des konservativen Kaiserschnittes,
Porrooperation.)
2. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass 5,5 cm
übersteigt, kommt bei totem Kinde nur die K r a n i o -
t o m i e in Betracht.
Der zweite Vordersatz, mit dem wir zu rechnen haben,
lautet:
Beckenerweiternde Operationen können bei
mittelgrossem Kinde nur dann günstige Erfolge für Mutter und
Kind bringen, wenn die Konjugata vera nicht kürzer ist als
6.5 cm.
Die hieraus abzuleitende therapeutische Konsequenz heisst:
3. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass zwischen
5.5 und 6,5 cm schwankt, kommt bei lebendem, mittelgrossem
*) Nach einem auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft
für Gynäkologie in Dresden gehaltenen Vortrag.
No. 30.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Kinde nach wie vor nur der abdominale Kaiser¬
schnitt aus relativer Indikation in seinen verschiedenen
Modifikationen in Betracht.
Die dritte Prämisse lautet:
Die Erfolge der operativen Beckenerweiterung, speziell
der Hebosteotomie, die ich bei den folgenden Erörterungen in
erster Linie im Auge behalte, gestalten sich für Mutter und Kind
besonders günstig, wenn man nach der Beckenerweiterung den
Spontanaustritt der Frucht abwarten kann. Je mehr sich
die verkürzte Konjugata dem Masse von 6,5 cm nähert, um so
folgenschwerer gestaltet sich die an die Beckenerwei¬
terung angeschlossene künstliche Entwickelung der
Frucht.
Die aus diesen Vordersätzen abzuleitenden therapeutischen
Folgerungen lauten:
4. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass zwischen
6.5 und 7,5 cm schwankt, früher bei lebendem Kinde ausschliess¬
lich das Feld des Kaiserschnittes aus relativer Indikation, ist
die Hebosteotomie nur dann zu machen, wenn der
operativen Beckenerweiterung ein glücklicher Spontanaustritt
der Frucht folgen kann. Das ist nur bei K o p f 1 a g e n der Fall.
Der Kaiserschnitt aus relativer Indikation bleibt
bei diesem Grade der Beckenverengerung als therapeutisches
Verfahren in Geltung a) bei Schieflagen und Beckenendlagen,
b) auch bei Kopflagen, wenn im Interesse der Mutter oder des
Kindes rasch entbunden werden muss, oder, wenn die Nabel¬
schnur oder kleine Teile neben dem Kopfe vorgefallen sind,
und deren Reposition nicht gelingt oder aussichtslos erscheint.
Der vierte Vordersatz, an den wir uns halten müssen,
heisst: Für Mutter und Kind völlig glücklich verlaufende
Spontangeburten kommen beim engen Becken in der
Regel nur vor, wenn die Conjugata vera nicht kürzer ist als
7.5 cm, und wenn die ausgetragene mittelgrosse Frucht sich in
Kopflage befindet.
Aus diesem Satze können wir folgende therapeutische
Konsequenz ableiten:
5. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass zwischen
6.5 und 7,5 cm schwankt, kann man (bei Kopflagen) die Hebo¬
steotomie schon zur Ausführung bringen, bevor die An¬
passungsfähigkeit des Kopfes erprobt ist, also
auch schon vor dem Blasensprunge; denn auf eine glückliche
Spontangeburt ist nicht zu rechnen.
Doch ist es wünschenswert bei stehender Fruchtblase
den Eingriff bis zur völligen Erweiterung des Muttermundes
hinauszuschieben.
Bei gesprungener Blase hebosteotomiert man da¬
gegen möglichst früh, da nur der tiefertretende Kopf die Frucht¬
blase ersetzen kann, und beim Einlegen des Metreurynters der
Kopf leicht zum Abweichen gebracht wird.
Die fünfte Prämisse lautet:
Bei konservativer Geburtsleitung kommen bei engen
Becken, deren Konjugata das Mass von 7,5 cm und mehr er¬
reicht, ca. 80 Proz. der ausgetragenen Kinder spontan und
lebend zur Welt, ohne die Muter zu schädigen. Bei diesem
Grade der Beckenverengerung lässt sich niemals auf Grund
eines früheren Geburtsverlaufes mit Sicherheit Voraussagen,
ob eine Spontangeburt eintreten wird oder nicht, da ausser der
Beckengrösse alle den Durchtritt der Frucht beeinflussenden
Faktoren von Fall zu Fall variieren können, und mtra
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
partum eine genaue Bestimmung der Fruchtgrösse und der
Konfigurabilität des kindlichen Kopfes unmöglich ist.
Die therapeutischen Konsequenzen dieser Vordersätze
sind folgende:
6. Bei den engen Becken, deren Konjugata das Mass von
7,5 cm und mehr erreicht (früher vielfach das Feld der künst¬
lichen Frühgeburt, der prophylaktischen Wendung und der
hohen Zange) ist immer die Spontangeburt eines
ausgetragenen Kindes anzustreben. Stellt sich
im Verlaufe der Geburt die Anpassungsunmöglichkeit des
Kopfes heraus, - — ein Urteil darüber ist erst möglich, wenn der
Uterus auch nach dem Blasensprunge längere Zeit kräftig auf
den Kopf eingewirkt hat, wenn also der Zeitpunkt für die Wen¬
dung längst verflossen ist, — so ist bei lebendem Kinde die
Hebosteotomie indiziert.
Als sechsten Vordersatz haben wir zu beachten :
Die Einpressung des nachfolgend en Kopfes eines
ausgetragenen mittelgrossen Kindes in ein enges Becken ist mit
günstigem Erfolge für Mutter und Kind in der Regel nur dann zu
erreichen, wenn die Conjugata vera nicht kürzer ist als 8,0 cm.
Die therapeutischen Konsequenzen dieses Satzes lauten:
7. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass zwischen
7,8 und 8,0 cm schwankt, ist die Hebosteotomie einer even¬
tuellen Wendung und Extraktion am Beckenende vorauszu¬
schicken, a) wenn das Kind in Schieflage liegt und die
Wendung auf den Kopf nicht möglich ist, b) wenn neben dem
vorliegenden Kopf Nabelschnur oder kleine Teile vorgefallen
sind und deren Reposition nicht gelingt oder aussichtslos er¬
scheint, und c) wenn die Frucht in Beckenendlage liegt.
Bei den engen Becken, deren Konjugatamass 8,0 cm iiber-
trifft, wird unter den gleichen Verhältnissen der nachfolgende,
Kopf ohne vorausgeschickte Beckenerweiterung impdmiert.
Der letzte und siebente Vordersatz lautet:
Die Hebosteotomie ist an sich eine rein vorbe¬
reitende Operation.
Die daraus abzuleitende therapeutische Schlussfolgerung
heisst:
8. An die Hebosteotomie ist nur dann eine entbindende
Operation anzuschliessen, wenn Mutter oder Kind oder beide
sich in Lebensgefahr befinden und nach der Beckenerweiterung
in Lebensgefahr bleiben.
Zu diesen Leitsätzen möchte ich noch einige Erläuterungen
hinzufügen.
Z u S a t z 4. Bei den engen Becken, deren Konjugatamass
zwischen 6,5 und 7,5 cm schwankt, spielt der Kaiser¬
schnitt aus relativer Indikation noch eine grosse Rolle. Der
Mutter werden bei diesem Grade der Beckenverengung oft
durch die der operativen Beckenerweiterung nachgeschickten
künstlichen Fruchtentwicklungen gefährliche Weichteilver¬
letzungen zugefügt. Das Kind wird durch eine bei Schieflage
und bei Vorfall der Nabelschnur oder kleiner Teile auszu¬
führende Wendung und Extraktion am Beckenende oder auch
durch eine bei Beckenendlage nötig gewordene künstliche Ent¬
wicklung immer schwer gefährdet. Auch das von vornherein
schon in Lebensgefahr befindliche Kind kann viel sicherer durch
die abdominelle Sectio caesarea gerettet werden, wie durch die
Hebosteotomie. Daher die Einschränkung der Beckenspaltung
bei diesem Grade der Beckenverengerung auf ein fest be¬
stimmtes Gebiet.
Zu Satz 5. Bei den engen Becken, deren Konjugata¬
mass zwischen 5,5 und 6,5 cm schwankt, ist bei lebendem, aus¬
getragenem Kinde die relative Indikation zum Kaiserschnitt
von vornherein durch den Grad der Becken¬
verengung allein fest gegeben, weil bei absoluter
Unmöglichkeit einer Spontangeburt kein anderes Entbindungs¬
verfahren existiert, durch welches Mutter und Kind gerettet
werden kann. In gleicher Weise ist bei den engen Becken, deren
Konjugatamass zwischen 6,5 und 7,5 cm schwankt, bei Kopf¬
lagen die Anzeige zur Hebosteötomie durch den Grad der
Becken Verengung allein von vornherein fest
gegeben, weil bei Unmöglichkeit einer glücklichen Spontan¬
geburt die operative Beckenerweiterung, wenn auch nicht den
einzigen, so doch den für die Mutter schonendsten Eingriff dar¬
stellt, durch den die Geburt eines lebenden ausgetragenen
Kindes herbeigeführt werden kann. Natürlich darf man bei
solcher Sachlage nicht von einer absoluten Indikation
zur Hebosteotomie sprechen. Denn es besteht auch die Mög¬
lichkeit unter Erhaltung des mütterlichen Lebens die Frucht
durch den Kaiserschnitt lebend zur Welt zu bringen oder das
kraniotomierte Kind per vias naturales zu entwickeln.
Aber die Tatsache, dass bei der Unmöglichkeit einer glück¬
lichen Spontangeburt die Hebosteotomie den Interessen der
Mutter u n d des Kindes mehr dient wie der Kaiserschnitt,
stempelt die operative Beckenerweiterung für Kopflagen bei
dem angegebenen Grade der Beckenverengung zur Ope¬
ration der Wahl. Daher die a priori feststehende Indi¬
kation, und daher die Erlaubnis, ebenso wie die Sektio aus
absoluter und relativer Indikation, auch die Hebosteotomie
schon frühzeitig eventuell bei noch stehender Fruchtblase aus¬
zuführen.
Ganz anders liegt die Sache bei den engen Becken, deren
Konjugatamass 7K> cm oder mehr beträgt. Bei diesen ist die
Indikation, angesichts der Möglichkeit einer glücklichen Spon¬
tangeburt, niemals von vornherein gegeben. Sie ent¬
wickelt sich vielmehr erst im Verlaufe der Geburt.
Zu Satz 7. Dass der nachfolgende Kopf bei einer
Verkürzung der Conjugata vera auf ein kleineres Mass wie
8,0 cm vielfach überhaupt nicht, oft auch nur unter Anwendung
grosser Druck- und Zuggewalt und mit deletärer Wirkung für
das Kind durch das Becken hindurchgeleitet werden kann,
während die Naturkraft den vorangehenden Kopf unter
den gleichen Raumverhältnissen ohne Schädigung des Kindes
und der Mutter zu entwickeln vermag, ist nicht verwunderlich.
Die künstliche Impression des nachfolgenden Kopfes
verlangt eine nicht unbedeutende plötzliche Formver¬
änderung des Schädels, während der vorangehende Kopf in
günstiger Haltung ganz allmählich den Raumverhältnissen an¬
gepasst wird.
Dieser Differenz muss meiner Auffassung nach in der
Therapie Rechnung getragen werden. Das geschieht am besten
dadurch, dass man die Indikation zur Hebosteotomie dann
wieder als von vornherein gegeben ansieht, wenn der
nachfolgende Kopf durch ein enges Becken hindurch¬
geleitet werden muss, dessen Conjugata vera kürzer ist als
8,0 cm.
Man könnte bei dieser Sachlage an die von Doederlein
vorgeschlagene und bereits mehrfach zur Ausführung gebrachte
prophylaktische Umlegung der Säge um das
Schambein denken, die es gestattet, die eigentliche Knochen-
durchsägung erst dann vorzunehmen, wenn der Versuch, den
nachfolgenden Kopf zu imprimieren, missglückt, von der
Schambeindurchsägung aber abzusehen, wenn die Impression
gelungen ist. Diesen Vorschlag kann ich ebensowenig billigen,
wie die Empfehlung, prinzipiell der operativen Beckener¬
weiterung einen Versuch mit der hohen Zange voraus¬
zuschicken. Durch beide Probemanipulationen werden die
Chancen des Kindes wesentlich verschlechtert.
Zu Satz 8. Fast alle künstlichen Fruchtent¬
wicklungen, die bei Kopflagen nach der Hebosteotomie
nötig werden, lassen sich unter Umgehung der hohen Zange
und der Wendung durch die manuelle Impression des
Kopfes in das erweiterte Becken und weiterhin durch eine von
der Scheide aus vorgenommene manuelle Drehung des
zunächst seitlich stehenden Hinterhauptes nach vorn und
schliesslich durch die m a n u e 1 1 e U m h e b e 1 u n g des Kopfes
um die Symphyse vom Rektum aus rasch und sicher durch¬
führen. Natürlich gelingt das alles viel leichter bei Mehr¬
gebärenden, wie bei Erstgebärenden. Jedenfalls ist die Im¬
pression, die manuelle Korrektur der Kopfstellung und auch die
schliessliche Entwicklung des gerade gestellten Kopfes vorn
Rektum aus im Hinblick auf die ihrer knöchernen Stütze be¬
raubte Weichteilbrücke allen Manipulationen mit der Zange
vorzuziehen und deshalb gegebenen Falles zu versuchen. Bei
Erstgebärenden erleichtert man sich die Kopfentwicklung durch
eine tiefe Scheidendamminzision.
Sollte, was nur selten vorkommt, eine Entbindungsindi¬
kation auftreten, bevor man die Anpassungsfähigkeit des
Kopfes bei einem Becken mit dem Konjugatamasse über 7,5 cm
erprobt hat, so kann man nach eventueller Blasensprengung
einen Impressionsversuch nach Hofmeier am vorangehen-
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
147
den Kopfe vornehmen. Missglückt der Impressionsversuch, so
ist die Hebosteotomie und eine entbindende Operation sofort
anzuschliessen.
Wie ich bereits erwähnte, halte ich es für verfehlt, der
operativen Beckenerweiterung bei dieser Sachlage einen
„h ohen Zangenversuc h“ vorauszuschicken, da die
Chancen des Kindes dadurch erfahrungsgeinäss stark ge¬
mindert werden.
Auch wepn man die Hebosteotomie als eine rein vor¬
bereitende Operation betrachtet, wird man in praxi die
Indikation zur Beckenerweiterung vielfach mit der Indikation
zur Entbindung zusammenfallen sehen, da man naturgemäss
möglichst lange auf die Konfiguration des kindlichen Kopfes
wartet.
Bei den 13 F ä 1 1 e n von Hebosteotomie, die bisher in der
Erlanger Klinik vorkamen, und die alle für Mutter und
Kind glücklich verliefen, fiel 8 mal die Indikation zur Becken¬
erweiterung mit der Indikation zur Entbindung zusammen.
5 mal war das Kind, und 3 mal war die Mutter in Lebensgefahr.
Trotzdem konnte bei allen diesen Fällen, wie auch bei 4
weiteren, im ganzen also bei 12 v o n 13 Fällen nach
der Beckenerweiterung der Spontan au st ritt
des Kindes abgewartet werden, weil bei den ein¬
schlägigen 8 Fällen die Enbindungsindikation nach kurzer Zeit
wieder verschwunden war. Die Ausschaltung der bei diesen
Fällen vorhanden gewesenen Entbindungsanzeige ist ein be¬
sonders interessanter, bisher in der Literatur noch nicht er¬
wähnter Nutzeffekt der Hebosteotomie. 3 mal verschwanden
beim Tiefertreten des Kopfes infolge derQewebsentspannung be¬
drohliche Uterusaus ziehungserschein ungen, und
5 mal regelte sich die gestörte Herztätigkeit des
Kindes, obwohl gleichzeitig schon reichlicher Mekoniumabgang
vorhanden war. Der Kopf des Kindes wird offenbar durch die
Beckenerweiterung von einem deletär wirkenden Drucke be¬
freit.
Nur in einem Falle wurde bei einer 35 jährigen Erst¬
gebärenden mit einem Konjugatamasse von 7,5 cm nach Ein¬
tritt des Kopfes in das erweiterte Becken wegen Stillstandes
der Geburt der kindliche, in tiefer Querstellung befindliche Kopf
mit der Zange entwickelt, als man nach dem Schambeinschnitte
mehr als 30 Stunden lang auf den Spontanaustritt des Kindes
gewartet hatte. Auch in diesem Falle hätte man ohne Zange
auskommen können, da nur noch Weichteilwiderstand zu über¬
winden war.
Schon aus dem 8 maligen Zusammenfallen der Indikation
zur Hebosteotomie mit der Entbindungsanzeige geht hervor,
dass ich lange warte, bis ich mich zum Schambeinschnitt
entschliesse. Diese Zurückhaltung in der Indikationsstellung
wird auch durch die Tatsache illustriert, dass 5 nach der
Beckenerweiterung spontan geborene Kinder mit einem typi¬
schen Dekubitus der Schädelhaut zur Welt kamen.
Nun noch einige Bemerkungen, die sich auf alle Leit¬
sätze beziehen:
Es liegt mir natürlich fern, ein starres Festhalten an den
in den Thesen gegebenen Masszahlen zu verlangen. Selbstver¬
ständlich können die Masse gelegentlich eine Verschiebung um
einige Millimeter nach oben oder auch nach unten erfahren,
z. B. wenn man es mit offensichtlich sehr grossen oder sehr
kleinen Früchten zu tun hat.
Durch diese für vereinzelte Fälle nötig werdenden Aende-
rungen wird aber die D u r c h s c h n i 1 1 s g e 1 1 u n g m e i n e r
Thesen nicht erschüttert.
Therapeutische Leitsätze können und
dürfen nicht für seltene Ausnahmefälle zu¬
geschnitten werden. Siemüssenvielmehr den
alltäglichen Ereignissen Rechnung tragen.
Wenn man bei der Zeichnung therapeutischer Grundlinien
jeder entfernt liegenden Möglichkeit gerecht werden will, dann
kommen Zickzacklinien zum Vorschein, die nicht orientieren,
sondern verwirren.
In keiner medizinischen Disziplin wird so häufig gegen
den Geist einer exakten Indikationsstellung gesündigt, wie in
der Geburtshilfe, und in keiner ist die Aufstellung und die Be¬
folgung prägnanter Behandlungsgrundsätze so notwendig.
Handelt es sich doch bei fast allen therapeutischen Massnahmen
um das Wohl zweier Menschen.
Ich habe die Beifügung dieser letzten Sätze für notwendig
gehalten, weil Werth in Dresden meine Thesen als zu dog-
, matische zurückgewiesen hat.
Die U m f o r m u n g, welche die bisherige Therapie bei
den vulgären Arten des engen Beckens durch die Einführung
der operativen Beckenerweiterung erfährt, soll nun im folgen¬
den noch einmal übersichtlich zum Ausdruck kommen.
Die Grenzen des Kaiserschnittes aus abso¬
luter Indikation und der Kraniotomie des toten
Kindes bleiben die alten.
Der Kaiserschnitt aus relativer Indikation
wird durch die Hebosteotomie wesentlich eingeschränkt.
Künstliche Frühgeburt und prophylaktische
Wendung sind aus der Therapie des engen Beckens ganz
auszuschalten. Es ist unmöglich, für sie eine fest umschriebene
Indikation aufzustellen. Die Wendung wird nie des engen
Beckens wegen, sondern nur aus besonderen Indikationen,
wie sie auch beim normalen Becken bestehen, auszuführen
sein.
Die hohe Zange, die Operation auf „Biegen und
Brechen“ (Zweifel), die für die Behandlung des engen
Beckens passt, „wie die Faust auf’s Auge“ (O 1 s h a u s e n),
ist gleichfalls ganz zu streichen. Sie erfreut sich zwar einer
scharfen Indikationsstellung, aber sie entbehrt der physikali¬
schen Unterlage. Sie stellt einen Gewaltstreich dar, der Mutter
und Kind auf das schwerste gefährdet.
Das Verhältnis der Symphysiotomie zur Hebosteo¬
tomie bedarf noch weiterer Klärung. Ich habe zurzeit die
Symphysiotomie zu Gunsten der Hebosteotomie aufgegeben,
betone aber, dass ich über die subkutane Symphysiotomie
überhaupt keine und über die Symphysiotomia aperta nur
Erfahrungen aus früherer Zeit besitze. Es ist mir unwahr¬
scheinlich, dass ich die Symphysiotomie wieder aufnehmen
werde, da ich bei fast allen Fällen von subkutaner Hebosteo¬
tomie eine dauernde, wenn auch nur geringe Erweite¬
rung des Beckens konstatieren konnte. Ausserdem ist
bei den Patienten, die ich selbst nachuntersucht habe, bis jetzt
eine Beweglichkeit des Beckenringes an der Sägestelle,
eine von vornherein angestrebte Pseudarthrosenbildung ge¬
blieben. Ueber die Natur des Kallus geben die Röntgenbilder
allein keine sichere Auskunft. Am besten orientiert man sich
über die Natur des Kallus durch eine Betastung der Sägestelle
von der Scheide aus und zwar an der sich abwechselnd auf
das rechte und das linke Bein stellenden Patientin.
Ob die Perforation des lebenden Kindes
durch die Hebosteotomie und die F r a n k sehe Modifikation
der Sectio caesarea ganz aus der klinischen Geburtshilfe
verdrängt werden kann, das hängt einzig und allein von der
Frage ab, ob man diesen Eingriff in der Regel mit Glück für
Mutter und Kind bei Genitalfieber intra partum ausführen kann.
Bis. jetzt fehlon darüber ausreichende Erfahrungen.
Ich habe zweimal bei Fieber intra partum ohne Schaden
für Mutter «und Kind hebosteotomiert, auch einmal bei zer¬
setztem Fruchtwasser mit Glück für Mutter und Kind den
klassischen Kaiserschnitt ausgeführt. Doch wage ich es nicht,
auf Grund dieser Fälle eine definitive Stellung zu der Frage
einzunehmen.
Aus der allgemeinen Geburtshelferpraxis
wird die Kraniotomie des lebenden Kindes
niemals völlig verschwinden. Denn weder Kaiser¬
schnitt noch Hebosteotomie können jemals Allgemeingut
der praktischen Aerzte werden. Die operative
Beckenerweiterung wird gewiss von Geburtshelfern, welche
die entsprechende Schulung besitzen und über die nötige Assi¬
stenz verfügen, auch im Privathause mit Glück für Mutter und
Kind ausgeführt werden können. Doch ist zu bedenken, dass
auch bei Anwendung des „subkutanen Stichver¬
fahrens“ Blutungen Vorkommen, die selbst der beson¬
ders geschulte Arzt nur dann zu stillen vermag, wenn er unter
günstigen äusseren Verhältnissen arbeitet. Ich habe bei einer
Hebosteotomie (subkutanes Stichverfahren) bei starker Varizen¬
bildung in der ganzen Genitalgegend eine formidablc
I Blutung aus den prävesikalen Venen erlebt, die ich unter
r
MUfcNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
-tOa
den günstigen Verhältnissen der Klinik nur mit Miihc beherr¬
schen konnte, v. Rosthorn hat unter den gleichen Vor¬
bedingungen einen Verblutungstodesfall beobachtet.
Derartige Erlebnisse stempeln die operative Becken¬
erweiterung doch im wesentlichen zu einem klinischen
Eingriff.
Hier setzt nun die Frage ein, ob nicht trotzdem auch der
in der allgemeinen Praxis stehende Kollege durch die Wieder¬
geburt der Beckenspaltung Nutzen haben und zu einer be¬
friedigenden Reform seiner bisherigen Therapie des engen
Beckens geführt werden wird. Die Antwort kann nur lauten:
Die Lehre, die uns durch die Beckenspaltung
wieder neu vermittelt wurde, die zwar uralt
ist, die aber in Vergessenheit geraten war,
dass ca. 80 Proz. der Kinder bei konservativer
Qeburtsleitung spontan und lebend durch das
enge Becken hindurchtreten, ohne die Mutter
zu schädigen, diese Lehre muss auch für die
Therapie des praktischen Arztes das Leit¬
motiv werden. Aus dieser Lehre wird er für sich und
für die ihm anvertrauten Mütter und Kinder grossen Nutzen
ziehen.
Der Kliniker, der die Beckenspaltung und den Kaiser¬
schnitt in Reserve hat, geht natürlich mit einer grösseren Seelen¬
ruhe an die konservative Qeburtsleitung beim engen Becken
heran wie der praktische Arzt, dessen Reserveeingriff
nur die Kraniotomie sein kann.
Der Kliniker kann in voller Sorglosigkeit immer von neuem
konstatieren, dass wir bisher durch künstliche Frühgeburt und
prophylaktische Wendung dem grossen Können der Natur viel
zu oft in den Arm gefallen sind, dass die Konfigurabilität des
kindlichen Kopfes bis an das Wunderbare grenzt. Denn ver¬
sagt das Können der Natur einmal, so ist er in der glücklichen
Lage, Mutter und Kind durch die Beckenspaltung vor dem
Schicksal zu bewahren, das ihnen früher hohe Zange und
Kraniotomie bereitet haben.
Ist der Kliniker auch Lehrer, so wird er sich durch die
Reform der Therapie von einem inneren Konflikt befreit fühlen.
Er ist nicht mehr gezwungen, seinen Schülern Behandlungs¬
methoden zu empfehlen, die einer präzisen Indikationsstellung
entbehren.
Der Kliniker kann also über die Wiedergeburt der opera¬
tiven Beckenerweiterung nur eine reine Freude empfinden.
Aber auch der in der allgemeinen Praxis
stehende Arzt muss ihre Wiederkehr dankbar begrüssen.
An Stelle einer unübersichtlichen, komplizierten und vielfach
schlecht fundierten hat sie ihm von neuem zu einer einfachen,
klaren, leicht verständlichen und in allen Einzelheiten wohl¬
begründeten Behandlung des engen Beckens verholfen.
Natürlich muss der praktische Arzt es verstehen, die¬
jenigen engen Becken auszuscheiden, bei denen eine spontane
Gebärmöglichkeit von vornherein ausgeschlossen ist. Diese
Becken soll er auf alle Fälle dem klinischen Geburtshelfer
überlassen.
Natürlich muss der Praktiker bei Schieflagen und bei Vor¬
fall der Nabelschnur zu wenden und das in Beckenendlage be¬
findliche Kind durch das enge Becken hindurchzuleiten ver¬
stehen, wenn der Grad der Beckenverengerung diese Therapie
zulässt.
Bei Kopflagen aber soll er unter Verzicht auf
Kaiserschnitt und Beckenspaltung, auf künst¬
liche Frühgeburt und prophylaktische Wen¬
dung und auch auf die ominöse hohe Zange
die Geburt immer abwartend leiten, wenn über¬
haupt an die Möglichkeit einer Spontangeburt gedacht werden
darf.
Dann wird er gegen früher in seiner Bilanz ein bedeutendes
Plus an gesunden Müttern und Kindern zu verzeichnen haben,
auch wenn er gelegentlich einmal ein lebendes Kind perforieren
muss.
Besonders wichtig ist meiner Ansicht nach die Aus¬
schaltung der hohen Zange. Die unbegreifliche Vor¬
liebe des praktischen Arzfes für diesen gefährlichen Eingriff
geht so weit, dass vielfach selbst bei sicher totem Kinde
die hohe Zange der Kraniotomie vorgezegen wird. Das ist
! perverse operative Geburtshilfe, die nur damit entschuldigt
werden kann, dass die Unterweisung in der Technik und der
Indikationsstellung der Kraniotomie in den geburtshilflichen
Operationskursen eine ungenügende ist. Gerade diese Opera¬
tion muss derpraktische Arzt in einwandfreier Weiseauszufiihren
verstehen. Sie ist neben der indizierten Wendung der einzige
Eingriff, der für ihn beim engen Becken in Betracht kommt,
der allerdings nur ganz ausnahmsweise zur Anwendung
kommen wird, weil glücklicherweise der höhere Grad des engen
Beckens im Privathause noch seltener angetroffen wird wie
in der Klinik.
Noch eine kurze Schlussbemerkung: Es ist von verschie¬
denen Seiten betont worden, man dürfe dem praktischen
Arzte die Präventivoperationen und die hohe
Zange aus der Therapie des engen Beckens nicht streichen,
weil man ihm keinen Ersatz dafür geben könne. Da Kaiser¬
schnitt und Beckenspaltung nicht in das Privathaus passen,
müsse der Arzt das Recht auf die Einleitung der künstlichen
Frühgeburt, auf die prophylaktische Wendung und auf die hohe
Zange behalten. Auch hinsichtlich der Indikations¬
stellung müsse an ihn wegen seiner besonderen Lage ein
anderer Massstab angelegt werden, wie an den klinischen Ge¬
burtshelfer.
Diese Anschauung halte ich für eine unheilvolle. Ich bin
der Letzte, der die ungünstige Lage des praktischen Arztes ver¬
kennt, und ich habe mich von jeher bemüht, gynäkologische
und geburtshilfliche Behandlungsmethoden auszubilden, die
gerade dieser besonderen Lage Rechnung tragen. Mir ist dafür
auch oft schon von Kollegen durch Wort und Schrift gedankt
worden.
Ich halte es auch für ein dringendes Bedürfnis, sowohl in
der Gynäkologie wie auch in der Geburtshilfe weitere derartige
Methoden zu ersinnen. Denn der praktische Arzt ist weder in
der einen, noch in der anderen Spezialdisziplin als Therapeut
entbehrlich. Aber einer Vorbedingung müssen alle diese
Methoden gerecht werden: sie dürfen schon bestehende Be¬
handlungsmassnahmen nur durch gleichwertige ersetzen,
sie dürfen niemals eine Verschlechterung der Therapie be¬
deuten.
Dieser Vorbedingung haben die Präventivoperationen und
die hohe Zange bei ihrer vor vielen Jahren erfolgten Einführung
in die Therapie des engen Beckens nicht entsprochen. S i e
haben vielmehr die Resultate für Mutter und
Kind gegenüber denen der konservativen
Geburtsleitung, besonders im Privathause,
verschlechtert.
Es kommt hinzu, dass sie keine präzise Indikationsstellung
erlauben. Sie müssen deshalb aus der Therapie des prak¬
tischen Geburtshelfers wieder verschwinden. Mit der Emp¬
fehlung dieser Operationen mutet man meiner Ansicht nach
dem praktischen Arzte zu, sich zu den Ergebnissen der wissen¬
schaftlichen Forschung in einen direkten Gegensatz zu stellen.
Gegen ein solches Ansinnen sollte der Praktiker selbst
Front machen. Denn wenn er den Satz gelten lässt, von den
Forschungsergebnissen und dem jeweiligen Status der Wissen¬
schaft weniger abhängig zu sein, wie der Kliniker, läuft er
Gefahr, zum Handwerker herabzusinken.
Aus der psychiatrischen Universitätsklinik in München
(Direktor : Hof rat Prof. K r a e p e 1 i n).
lieber den gegenwärtigen Stand des serologischen
Luesnachweises bei den syphilidogenen Erkrankungen
des Zentralnervensystems.*)
Von Dr. Felix Plaut, Assistenten der Klinik.
Die von Bordet und G e n g o u vor sechs Jahren ge¬
fundene, von M. Neisser und Sachs für die Eiweiss¬
differenzierung ausgebaute Komplementbindung hat in der ihr
von A.Wassermann und Bruck gegebenen Modifizierung
in letzter Zeit eine vielseitige und nutzbringende Anwendung
auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten erfahren. Die Bc-
*) Unter Benutzung eines am 22. V. 07 auf der Jahresversamm¬
lung bayerischer Psychiater in München gehaltenen Vortrages.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1459
deutung der A. Wassermann-Bruck sehen Versuchsan¬
ordnung liegt bekanntlich darin, dass bei, ihr als antigenhaltige
Substrate Extrakte aus Bakterien bezw. aus spezifisch er¬
krankten Organen, somit gelöste Bestandteile, zur Verwendung
gelangen, im Gegensatz zu der ursprünglichen Bordet-
G e n g o u sehen Methode, die mit Bakterienaufschwemmungen
arbeitet. Nunmehr konnten der Untersuchung auf gelöste Bak¬
terienbestandteile bezw. deren spezifische Antistoffe auch
pathologische 'Prozesse zugängig gemacht werden, deren
Krankheitserreger nicht in Reinkulturen züchtbar sind, ja es
gelang sogar, die Methode auszudehnen auf Infektionskrank¬
heiten von unbekannter Aetiologie, und als eine besonders be¬
deutsame Errungenschaft, welche die in dieser Richtung sich
bewegende Forschung zu verzeichnen hatte, ist die von
Wassermann, in Gemeinschaft mit Alb. N e i s s e r
(Breslau) und Bruck begründete Serodiagncstik der Lues
anzusehen.
Nachdem es Wasserman n, A. N e i s s e r und Bruck
gelungen war, in Sera von Luetikern spezifisch luetische Sub¬
stanzen nachzuweisen, war es naheliegend, bei Erkrankungen
des Zentralnervensystems, besonders bei der progressiven
Paralyse und der Tabes, deren Zusammenhang mit der Lues
durch zahlreiche klinische Beobachtungen und durch stati¬
stische Erhebungen als sehr wahrscheinlich angesehen werden
musste, entsprechende Untersuchungen vorzunehmen. A. W as¬
sermann hat daraufhin in Gemeinschaft mit dem Verf. Spinal¬
flüssigkeiten und Sera von Paralytikern auf das Vorhandensein
von luetischen Stoffen hin geprüft, und es Hessen sich in der
grossen Mehrzahl der Fälle luetische Antistoffe nachweisen.1)
Die in Berlin auf der Wassermann sehen Ab¬
teilung des Instituts für Infektionskrankheiten vorgenommenen
Untersuchungen bezogen sich auf die Spinalflüssigkeiten
von 54 Fällen von Paralyse, von denen sich 41 positiv,
8 fraglich und 5 negativ verhielten. Unter 20 Sera von
Paralytikern enthielten 19 Antistoffe, ein Serum war frei
von Antistoffen. Ich habe über die klinischen Eigentüm¬
lichkeiten des Berliner Materials bereits gelegentlich .eines
Vortrags in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und
Neurologie berichtet2) und eine ausführlichere Bearbeitung be¬
findet sich zur’ Zeit im Druck ;3) ich möchte daher hier nur einiges
aus diesen Ergebnissen hervorheben. Es hat sich herausge¬
stellt, dass die Luesanamnese, d. h. die Bejahung oder Ver¬
neinung der Infektion, sich in keiner Weise für den Ausfall der
Reaktion von Belang erwies; ein grosser Teil der Fälle negierte
Lues und wies trotzdem luetische Antistoffe auf. Fernerhin
fanden sich Antistoffe unabhängig davon, ob eine spezifische
Behandlung der Lues stattgefunden hatte oder nicht. Der zeit¬
liche Abstand zwischen Infektion und Ausbruch der Paralyse
schwankte in weiten Grenzen; es fanden sich positive Fälle,
bei denen die Infektion über 20 Jahre zurücklag, und solche,
die vor 6 — 7 Jahren luetisch geworden waren. Auch die
Schwere des Zustandsbildes schien keinen Einfluss auf den
Grad der Antikörperproduktion zu haben; es fanden sich Anti¬
stoffe in beginnenden Fällen in gleicher Weise wie in vor¬
geschritteneren und auch die negativen Fälle zeigten keine
klinische Einheitlichkeit. Ein Parallelismus zwischen Lympho¬
zytengehalt und Antikörpergehalt der Spinalflüssigkeit liess sich
nicht ermitteln.
In gleicher Richtung wurden Untersuchungen angestellt von
A. Neisser, Bruck und Schucht4). Diese Autoren untersuchten
8 Spinalflüssigkeiten von Paralytikern und fanden in 4 Fällen Anti¬
stoffe; unter drei Tabikern verhielten sich 2 positiv. In 2 Fälleji
von Paralyse gelang auch der Nachweis von luetischem Antigen m
der Spinalflüssigkeit.
Es folgte dann eine Arbeit von Schütze über Tabes.®)
Schütze untersuchte in 12 Fällen die Spinalflüssigkeit und hatte
8 mal positives und 4 mal negatives Ergebnis. Hierbei hat sich
eine überraschende Uebereinstimmung zwischen den serologischen
Befunden und den anamnestischen Erhebungen bezüglich der Lues-
P Wassermann und Plaut; Deutsche med. Wochenschr.,
1906, No. 44.
~) Ref. : Neurologisches Zentralblatt 1906, No. 23.
3) Wird im Augustheft der Monatsschrift für Psychiatrie und
Neurologie erscheinen.
4) Neisser, Bruck und Schucht: Deutsche med. Wo¬
chenschr. 1906, No. 48.
®) Schütze: Berliner klin. Wochenschr. 1907, No. 5.
infektion herausgestellt, indem die 4 negativen Fälle die Infektion
in Abrede stellten, während die 8 positiven Fälle Lues Zugaben.
Wie bereits erwähnt, hat sich nach unseren Erfahrungen bei Para¬
lytikern eine Bestätigung der anamnestischen Angaben durch den
Ausfall der Reaktion nicht erbringen lassen und auch die übrigen
Untersucher auf diesem Gebiete (s. u. Morgenroth und S t e r t z)
weisen besonders hin auf die, durch das nunmehr gefundene objektive
Verfahren klar erwiesene Unzuverlässigkeit der Luesanamnese. Bei
den Fällen von Schütze ist die glatte Uebereinstimmung wohl
einem besonderen Zufall zuzuschreiben und man wird gut tun, aus
dieser zufälligen Konstellation keine allgemeineren Schlussfolge¬
rungen abzuleiten.
Weiterhin hat Weygandt0) einen versuchstechnisch bemer¬
kenswerten Versuch mit 3 Tabikerspinalflüssigkeiten mitgeteilt, auf
den ich später noch zu sprechen kommen werde.
Eine besonders ausgedehnte Nachprüfung der Versuche an Para¬
lytikern wurde dann von Marie und L e v a d i t i in Paris unter¬
nommen. * * 7) Das von diesen Autoren bearbeitete Material belief sich
auf 39 Fälle von Paralyse, unter denen 29 luetische Antistoffe in
der Spinalflüssigkeit darboten. Eine kleine Gruppe von Tabikern
und Fällen von Tabesparalyse zeigte Antistoffe in etwas niedrigerem
Prozentsatz.
Die jüngste Arbeit auf diesem Gebiete rührt von Morgen¬
roth und S t e r t z her 8), «die in 8 Fällen die Spinalflüssigkeiten von
Paralytikern untersuchten und in allen Fällen positiven Ausschlag
erzielten. Bemerkenswert ist hier besonders, dass unter diesen 8
Fällen nur bei einem die Anamnese über die stattgehabte Lues¬
infektion Aufschluss gab (s. o. Schütz e).
Zu erwähnen ist noch, dass von allen Autoren in ausge¬
dehntem Masse Kontrollversuche an nicht luetischen Personen
vorgenommen wurden, die durchgehends negativ ausfielen.
Ich habe dann die Arbeiten in München fortgesetzt und
inzwischen weitere 44 Fälle von Paralyse untersucht; bezüglich
der Spinalflüssigkeiten war der Befund in einem Fall negativ,
in 2 Fällen fraglich, in allen übrigen positiv; auch in 3 Fällen
von Paralyse, bei denen ich Gelegenheit hatte, die Ventrikel-
fiiissigkeit zu untersuchen, fanden sich in derselben reichlich
luetische Antistoffe. Die Sera dieses Paralytiker¬
materials reagierten ausnahmslos positiv;
auch das Serum des Kranken, dessen Spinalflüssigkeit frei von
Antistoffen war, gab einen deutlich positiven Ausschlag.
Wir haben von vornherein die Untersuchung auf Antistoffe
auch auf die Sera ausgedehnt (alle übrigen Autoren haben sich
bisher auf die Prüfung der Spinalflüssigkeiten beschränkt) und
wir haben dabei oft gesehen, dass der Gehalt der Spinalflüssig¬
keit an Antistoffen den des korrespondierenden Serums über¬
traf; es sind uns aber besonders neuerdings auch Fälle be¬
gegnet, wo bei geringer oder ganz fehlender Reaktion der
Spinalflüssigkeit, mit dem zugehörigen Serum ein deutlich
positiver Ausschlag zu erzielen war. Darnach scheint es rat¬
sam, die Untersuchung des Serums in keinem
Falle zu unterlassen.
Eines besonderen Eingehens bedarf nun die Arbeit von
M a r i e und L e v a d i t i, einmal, weil sie die umfangreichste
Nachprüfung der Versuche darstellt und besonders deshalb,
weil die Autoren ihre Ergebnisse zu klinischen Eigentümlich¬
keiten ihres Versuchsmaterials in Beziehung gebracht haben.
So ziehen Marie und L e v a d i t i u. a. aus ihren Versuchs¬
ergebnissen den Schluss, dass beginnende Fälle von Paralyse
fast durchgängig Antistoffe in der Spinalflüssigkeit vermissen
lassen, während vorgeschrittene Fälle fast regelmässig sich
positiv verhalten; hieraus folgern sie weiter, dass die Anti¬
stoffproduktion erst einsetze, nachdem der paralytische Pro¬
zess in ein vorgerückteres Stadium eingetreten sei und dass
dann die Antikörper entsprechend dem Fortschreiten der Er¬
krankung an Menge zunehmen. Eine besonders wichtige
Stütze für diese Auffassung glauben sie darin zu sehen, dass
in 2 Fällen bei erstmaliger Untersuchung keine Antistoffe nach¬
zuweisen waren, dieselben jedoch bei einer mehrere Wochen
später wiederholten Punktion vorhanden gewesen seien; dem¬
entsprechend hätte in diesen Fällen das klinische Bild eine
Progredienz der Krankheit erkennen lassen.
r’) Wey Ran dt: Sitzungsbericht der phys.-med. Gesellsch. in
Wiirzburg, 1907.
7) A. Marie und Levaditi: Annales de l’Institut Pasteur,
T. XXL. Fevrier 1907.
8) Morgenroth und Stert?; Virchows Archiv, 188.
Band, 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
170
Dem gegenüber ist zu bemerken, dass man aus den Mit¬
teilungen von Marie und L e v a d i t i nicht den Eindruck
gewinnt, dass es sich bei ihren negativen Fällen im Wesent¬
lichen um eigentliche Frühfälle von Paralysen handelt. Einige
dieser Fälle bezeichnen die Autoren als Pseudoparalysen, also
Fälle, in denen die Diagnose zum mindesten zweifelhaft er¬
schien und andere als Fälle mit langsamem, zum Teil mit Re¬
missionen einhergehendem Verlauf.
Nach meinen Erfahrungen, die sich zur Zeit auf etwa 100
Fälle von Paralyse stützen, kann ich sagen, dass der Grad der
Antikörperproduktion kein Kriterium für die Intensität des
Krankheitsprozesses darbietet. Ich fand sehr reichen Antistoffge¬
halt bei ganz frischen Fällen ebensowohl, wie bei sehr langsam
verlaufenden, wie auch bei weit vorgeschrittenen Fällen. Und
ich fand zuweilen nur Spuren oder gänzliches Fehlen von Anti¬
stoffen in ganz alten, fast agonalen Fällen, allerdings wie ich
gern zugebe, auch gelegentlich bei beginnender Erkrankung.
Woraus sich diese Differenzen erklären, ist zur Zeit noch nicht
zu entscheiden. Wenn die Auffassung von Marie und Leva-
d i t i berechtigt ist, so müsste man erwarten, dass eine Ver¬
mehrung der Antistoffe nach paralytischen Anfällen, die man
wohl mit Recht als akute Schübe des Krankheitsprozesses an¬
sieht, zu beobachten sei. Dies ist jedoch wie ich bei einigen
Fällen zu sehen Gelegenheit hatte, nicht der Fall.
Am ehesten wird man wohl den Zusammenhang erkennen
lernen, wenn man, wie Marie und L e v a d i t i es getan
haben, einzelne Kranke wiederholt in gewissen Zeitabständen
untersucht. Aber auch hierbei ist mit Rücksicht auf die gegen¬
wärtige Leistungsfähigkeit der Methode eine gewisse Vor¬
sicht am Platz, wie aus folgendem zu ersehen ist. Ich punk¬
tierte in gleicher Weise, wie es M a r i e und L e v a d i t i getan
hatten, eine Reihe von Fällen mit anfänglich minimalem posi¬
tivem Ausschlag nach Verlauf mehrerer Wochen von neuem und
fand gleichfalls nunmehr einen wesentlich stärkeren Ausfall der
Reaktion. Ich würde nun auch auf ein Anwachsen der Anti¬
stoffe geschlossen haben, hätte ich nicht die Vorsicht gebraucht,
den bei der ersten Punktion entnommenen Liquor in den neuer¬
lichen Versuch gleichfalls einzustellen. Es stellte sich nämlich
heraus, dass die ehemals nur schwach reagierenden Spinal¬
flüssigkeiten nun ebenfalls eine deutliche Reaktion gaben, die
quantitativ völlig entsprach den neuerdings entnommenen
Proben. Diese Differenzen erklären sich aus dem ungleichen
Antigengehalt der verschiedenen, bei den Versuchen zur An¬
wendung gelangten Extrakte und aus Verschiebungen in der
Beschaffenheit der sonstigen Komponenten an sich und ihrem
Verhältnis zu einander, und es ergibt sich hieraus die Lehre,
dass man nicht ohne weiteres zeitlich auseinanderliegende Ver¬
suchsreihen auf einander beziehen kann. Zur Zeit sind quanti¬
tativ zu vergleichende Befunde nur beweiskräftig, wenn sie
sich ergeben aus Untersuchungen, die innerhalb ein und der¬
selben Versuchsreihe angestellt wurden. Aber selbst eine ein¬
wandsfrei erwiesene Vermehrung der Antistoffe könnte Schluss¬
folgerungen nur gestatten, wenn es sich um ausgedehnte Unter¬
suchungen in dieser Richtung handelte, und wenn über die
Schwankungen der Antistoffproduktion bei der Paralyse all¬
gemeinere Erfahrungen gesammelt wären.
Nun haben Marie und L e v a d i t i weiterhin davon ge¬
sprochen, die Antikörperreaktion der Spinalfliisigkeit sei spe¬
zifisch für Paralyse und Tabes (La reaction de Wasser¬
mann et Plaut . . . . reaction particuliere ä la paralysie
generale et au tabes). Zur Entscheidung dieser Frage wird in
erster Linie zu berücksichtigen sein, wie sich die Dinge ver¬
halten bei den im engeren Sinne luetischen Affektionen des
Zentralnervensystems.
Es sind bereits von den verschiedenen Autoren die Unter¬
suchungen ausgedehnt worden auf Fälle von luetischen Er¬
krankungen des Zentralorgans und es hat sich gezeigt, dass im
allgemeinen bei Lues cerebri Antikörper in der Spinalflüssig¬
keit selten anzutreffen sind.
Unter 8 Fällen von Lues cerebri, die W a s s e r m a n n und
Verfasser in Berlin untersuchten, fand sich in der Spinalflüssig¬
keit ein deutlicher Antikörpergehalt in keinem Falle, dagegen
ein deutlicher Befund 2 mal im Serum.
A. Neisser, Bruck und Schucht berichten über
einen positiven und 2 negative Befunde der Spinalflüssigkeit
bei Lues cerebri.
Schütze dagegen hatte durchgängig positive Befunde;
er teilt mit, dass er in 3 Fällen von Pachymeningitis luetica,
in einem Fall von Endarteriitis luetica und in einem Falle von
Lues cerebri Antistoffe in der Spinalflüssigkeit gefunden hat.
Marie und L e v a d i t i untersuchten 2 Fälle von Lues
cerebri mit negativem Ergebnis; gleichfalls verhielten sich
negativ einige Fälle von Morgenroth und S t e r t z.
Ich habe neuerdings eine grössere Reihe von luetischen
Gehirnerkrankungen untersuchen können und im allgemeinen,
sowohl seitens der Spinalflüssigkeit wie des Serum, negative
Reaktion erhalten. Nur in 3 Fällen waren sowohl im Serum,
wie in der Spinalflüssigkeit Antistoffe nachzuweisen; einer
dieser Fälle war kompliziert mit Tabes, ein weiterer bot das
Bild einer einfachen -arteriosklerotischen Demenz und der
dritte imponierte als postapoplektischer Schwachsinn; im
letzteren Falle wurde Lues zugegeben, im ersteren ist wahr¬
scheinlich Lues vorausgegangen, da der Ehemann der Patientin
zugab, einen Schanker gehabt zu haben. Es wird der histo¬
logischen Untersuchung Vorbehalten sein, festzustellen, ob den
offenbar seltenen Fällen von Lues cerebri, die mit Antikörper¬
produktion einhergehen, irgend welche pathologische Be¬
sonderheiten zukommen und man wird gut tun, in allen Fällen
die histologische Kontrolle heranzuziehen, da sich ja die kli¬
nische Diagnose der Lues cerebri sehr häufig ‘nur mit mehr
oder weniger grosser Wahrscheinlichkeit stellen lässt.
Um nun zu einem Urteil darüber zu gelangen, was das
Auftreten von Antistoffen in der Spinalflüssigkeit bedeutet, wird
es in erster Linie nötig sein, ausgedehnte Untersuchungen an
Luetikern ohne cerebrale Störungen vorzunehmen. Spinal¬
flüssigkeiten solcher Fälle sind bisher nur in geringer Aus¬
dehnung untersucht worden und es fanden sich im allgemeinen
negative Befunde. A. Neisser, Bruck und Schucht fanden
luetische Antistoffe in einem Fall von Lues sec. und in einem
Fall von latenter Spätlues, in 2 anderen Fällen nicht. Die Re¬
sultate von Marie und Levaditi, Morgenroth und
S t e r t z, Wassermann und dem Verfasser, waren in
dieser Richtung durchgehends negativ, soweit es sich um Fälle
ohne Beteiligung des Zentralnervensystems handelte. Da¬
gegen fanden Morgenroth und S t e r t z in der Spinal¬
flüssigkeit Antistoffe in einem Fall von Lues sec. mit Optikus¬
atrophie und Verfasser in einem Fall von Spätlues mit ein¬
seitiger reflektorischer Pupillenstarre, ohne sonstige körper¬
liche oder psychische Alteration.
Die Fälle von Lues, in denen bisher die Spinalflüssigkeiten
auf Antistoffe untersucht wurden, sind zur Zeit an Zahl noch
zu gering, um allgemeinere Schlussfolgerungen zuzulassen.
Man kann jedoch wohl schon sagen, dass bei der Paralyse und
bei der Tabes Antistoffe in der Spinalflüssigkeit ungleich
häufiger anzutreffen sind, als bei der Lues des Zentralnerven¬
systems oder gar bei Lues ohne zerebrale Störungen; jedoch
kann von einer Spezifizität unserer Reaktion für Paralyse und
Tabes im Sinne von Marie und Levaditi vorläufig meiner
Ansicht nach nicht gesprochen werden.
Während nun bisher nur kleine Gruppen von Spinalflüssig¬
keiten zur Untersuchung gelangten, sind Sera von Luetikern
bereits in grösserem Umfange auf Antistoffe hin untersucht
worden. A. Neisser, Bruck und Schucht prüften 261 Sera
von Luetikern und fanden Antistoffe am häufigsten bei florider
sekundärer Lues und zwar hier in 27 Proz. der Fälle; dagegen
bei latenter tertiärer Lues, der Form, die wohl am ehesten den
metasyphilitischen Fällen gegenüber zu stellen ist, nur in 11
Proz. Nun scheinen unsere Untersuchungen zu ergeben, dass
bei der Paralyse das Serum fast ausnahmslos Antistoffe ent¬
hält. Diese Differenz zwischen 1 1 Proz. bei tertiärer Lues und
100 Proz. bei Paralyse ist sehr bemerkenswert und es ist die
Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass aus den
1 1 Proz. von Luetikern, die im tertiären latenten Stadium noch
Antistoffe produzieren, sich die Fälle rekrutieren, die später¬
hin an metasyphilitischen Prozessen erkranken. Um diese, wie
mir scheint, wichtige Frage aufzuklären, wird es sich empfehlen,
in den Städten, in denen serodiagnostische Untersuchungen
auf Lues vorgenommen werden, bei allen Fällen mit luetischer
Anamnese, die aus irgend welchen Gründen in Krankenhäuser
aufgenommen werden, Untersuchungen des Serums auf Anti¬
stoffe anzustellen. Die betr. psychiatrische Klinik wird über
alle diese Fälle Listen führen müssen, um im Laufe der Jahre
23 Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1471
beobachten, welche Fälle spezifisch erkranken. Derartige
Nachforschungen versprechen natürlich nur einigen Erfolg an
Orten mit relativ geringer Fluktuation dei Bevölkerung.
Es fragt sich nun, sind die bisherigen Ergebnisse der Untei-
, inneren geeignet unsere Erkenntnis von dem Wesen des
suchungen gee g , fördern? Jedenfalls weisen die
hTsheS n “Ä " darauf hin, dass sich bei der Paralyse
pSre se absbielen die zur Lues in Beziehung stehen und wir
hoffen durch weitere Untersuchungen der Frage, wo sich
,. o Pm7pssp absüielen und welcher Art sie sind, naher zu
kommen. Ein besonders wichtiger Punkt ist der, die H'^ungs-
Stätte der luetischen Antistoffe bei der Paralyse zu finden Ein
der hier zum Ziele führen kann, besteht in der ver¬
gleichend quantitativen Bestimmung des Antikorpergehalts
Verfasser machen es wahrscheinlich, dass das /.emraiorgm
die Matrix für die Antistoffbildung darstellt. Ein anderer Weg
st der dass man die verschiedenartigsten Organe von Para-
1 vtikern auf Aiitistoffe hin durchprüft. Ich bin zur Zeit mi
diesen Untersuchungen beschäftigt und habe bisher zweimal
Antistoffe im Stirnhirn nachweisen können, während die übrigen
Te e des QeWrns (Okzipitallappen, Mark, Hirnstamm Pia)
sowie die sonstigen Organe (Muskel, Leber, Milz, Niere, Neben¬
niere Schilddrüse, Knochenmark, Pankreas) fiel ' on Ant -
stoffen waren In einigen anderen Fällen jedoch zeigte das
Stirnhirn keinen Antistoffgehalt und auch bei den beiden posi¬
tiven Fällen war die Reaktion keine sehr intensive, so dass die
Entscheidung von weiteren Untersuchungen abhängig gemac >
WerEinemwe»ere Förderung wird für die Arbeiten davon zu er-
warten sdn dass die Untersuchungen ausgedehnt werden aut
den Nachweis des luetischen Antigens. Nach den Erfahrungen
der N e i s s e r sehen Klinik in Breslau eignen sich zum Antigen-
nachweis Im Blut nur hochwertige Affenimmunsera und w.r
sind im Begriff , diese Untersuchungen hier aufzunehmen
Nun wissen wir vorläufig noch nicht, was das hjet\sche
Antigen eigentlich bedeutet und dementsprechend auch mch s
Näheres über sein Reaktionsprodukt den A" '^°ipern
können nur sagen: Das, was wir luetisches Antigen nennen
ist eine Substanz, die sich in luetischen Organen findet und au
die einpassende Ambozeptoren sich bisher nur in Korperflussig-
keiten von an Syphilis oder Metasyphihs leidenden Individuen
nachweisen Hessen. Ueber die Natur dieser Substanz lasst sich
bisher nichts sicheres aussagen. Selbstredend enthalten die
luetischen sowohl wie die normalen 0r2a"“tr^eiha”e
möglichen Eiweissstoffe und Eiweissabbauprodukte, die ihrer
seits als Antigene fungieren können. Andererseits weiss
man, dass tierische Sera gelegentlich zu denFve[^i^he"turmit
sten Körpern Antistoffe aufweisen können. Es ist deshalb
der Möglichkeit zu rechnen, dass hier und da einmal ein solches
Serum zu einem in ihm enthaltenen nicht luetischen Antistoff
ein Antigen in einem Organextrakt vorfmdet und dann die
Hämolyse auf nicht luetischer Basis hemmt. Derartige \ > -
kommnisse scheinen selten zu sein; sie sind bisher im Labo¬
ratorium von A. Wassermann in Berlin und in der
Neisser sehen Klinik in Breslau nicht beobachtet worden
Nun teilte Marie und Levaditi mit, dass sie mit .10 a
konzentriertem Normalextrakt Hemmungen der Hämolyse
sahen undWeygandt fand in einem Falle von T abes gleich¬
falls Hemmungen mit normalem Extrakt; schhesHich berichtet
Weil darüber, dass er luetische Sera hemmend fand gegen
über Extrakten aus Tumoren. . ,. p.,nnmPn
Mir ist inzwischen gleichfalls zweimal dieses I hanomen
begegnet; ich konnte mich jedoch bald davon überzeugen, dass
eine derartige atypische Hemmung sich sehr wohl von einer
spezifisch-luetischen unterscheiden lasst Es stellte _ sich na
lieh heraus dass der betreffende Normalextrakt nicht mit aller
Flüssigkeiten, die mit Luesextrakt die Hämolyse hemmten, eine
gleichartige Reaktion erkennen Hess sondern dass nur veiem-
zelte Körperflüssigkeiten mit dem Normalextrakt (Extiakt M
einen positiven Ausschlag gaben. Diese mangelnde Überein¬
stimmung hat jedoch nicht darin ihren Grund dass etwa der
betreffende Normalextrakt Luesantigen ent ialt, aber nur in so
geringen Mengen, dass er nur gegenüber besonders hoch¬
wertigen antistoffhaltigen Flüssigkeiten eine Hemmung ergibt.
Wäre dies der Fall, so müssten die Spinalflüssigkeiten und Sera,
die einen besonders intensiven Ausschlag mit Luesextiakt
geben, dem Extrakt x gegenüber eine Hemmung in die Er¬
scheinung treten lassen, während mit Luesextiakt schwach¬
hemmende Flüssigkeiten, gemischt mit Extrakt x, keine Hem¬
mung der Hämolyse zeigen dürften. Dass sich die Dinge so
Auf Antistoffe zu prüfende
Körperflüssigkeiten
Gemischt mit
Luesextrakt 0,2
Fall 1
L., Paralyse, Spinalfl. 0,2
„ „ Serum „
Geringe Hemmung
Totale „
„ 2
A., Paralyse, „ „
Deutliche *
, 3
Fr., „ Spinalfl. „
„ „ Serum
Massige *
Totale „
„ 4
Ob., „ Spinalfl. „ •
n »
. 5
M., atyp. Paralyse, Spiralfl. 0,2
„ „ ft Serum ,
Lösung
1)
1
1 1
Gemischt mit
Extrakt x 0,2
Lösung
Massige Hemmung
Lösung
tale Hemmung
Lösung
Aus dem Versuch geht hervor, dass z. B. das Serum von
Fall 1 mit Luesextrakt total hemmt, mit Extrakt x gar nicht;
dagegen die Spinalflüssigkeit von Fall 3 mit Extrakt x eine
Hemmung ergibt, obwohl sie mit Luesextrakt nur in geringem
Grade einen positiven Ausschlag zeigt. Von besonderem Intel -
esse ist, dass die Spinalflüssigkeit von Fall 3 mit Extiakt x
hemmt, während das mit Luesextrakt viel intensiver hemmende
Serum' des gleichen Patienten mit Extrakt x keine Spur von
Hemmung zeigt. . _ , .
Danach unterliegt es keinem Zweifel, dass es sich hier um
Bindungsvorgänge andersartiger Substanzen handeln muss,
um Erscheinungen, die spezifisch-luetische Bindungen Vor¬
täuschen können und die weiter zu verfolgen von grossem
Interesse sein wird. Für das praktische Arbeiten bedeutet diese
Eventualität keine wesentliche Erschwerung, zumal es sich
offenbar um relativ seltene Vorkommnisse handelt. Und man
wird vollends derartigen Schwierigkeiten völlig aus dem Wege
gehen können, wenn man sich Extrakte konserviert, die fiei sind
von solchen Nebenerscheinungen. Die für die praktische Ver¬
wendbarkeit derMethode besonders wichtige Frage der Konser¬
vierung der Organextrakte haben inzwischen einerseits Marie
und Levaditi mittels Eintrocknens der zerkleinerten Organe
im Vakuum und andererseits Morgen roth und S t e r t z
durch Einfrierung der Organe in glücklichster Weise gelöst.
Immerhin zeigen diese Erscheinungen von neuem, dass der
Serodiagnostik der Lues bei all ihrer Feinheit Eigentümlich¬
keiten anhaften, die ein sehr sorgfältiges Beobachten sowie
einen sehr geübten Arbeiter verlangen, und die der Anw endung
dieser wichtigen Errungenschaft der modernen Bakteriologie
in der allgemeinen Praxis zur Zeit noch Schwierigkeiten ent¬
gegensetzen.
Aus dem Institut für Hygiene und Bakteriologie der Universität
Strassburg (Direktor: Prof. Dr. Forstei).
Serodiagnose bei Lues, Tabes und Paralyse durch
spezifische Niederschläge.
'Von Dr. F o r n e t, Oberarzt beim 2. Schlesischen Feld-Art.-
Reg No. 42 und J. Scheresche wsky (Moskau).
Die zuerst von Bordet1) für Mikroben und rote Blut¬
körperchen und später vonGengo u 2) für Eiweisskorper fest-
gestellte Tatsache, dass beim Zusammentreffen von Antigen und
dem entsprechenden Antistoff Komplement gebunden und
somit in entsprechender Versuchsanordnung das Ausbiei e
der Hämolyse herbeigeführt wmd, haben N e iss e r und
Sachs3) im Anschluss an eine Arbeit von M o r e s c h i ) .
i) j Bordet: Les serums hemolytiques. Annales de 1 Institut
PasieurQ^OO^No. |upa,Js 2Sensibilatrices des serums actifs. Ibidem
19°2,0a Ne^s s e r und Sachs: Ein Verfahren zum forensischen
Nachweis der Herkunft des Blutes. Berl. klin. Wochenschr. 1905,
N°'4^)MoSr e3s8chi: Zur Lehre von den Antikomplementen. Ibi¬
dem 1905, No. 37, pag. 1181.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1472
Identifizierung von Eiweisskörpern und in jüngster Zeit
Wassermann und Bruck5)6) zum Nachweis minimaler
Quantitäten gelöster Bakteriensubstanzen und andererseits
ihrer entsprechenden Antikörper benutzt.
Besondere Beachtung fanden in dieser Hinsicht die sich
auf Syphilis beziehenden Arbeiten von Wassermann,
N e i s s e r und Bruck7), Wassermann und Plaut8)
und N e i s s e r, Bruck und S c h u c h t 9). Die genannten
Autoren konnten zeigen, dass sich Auszüge aus syphilitischen
menschlichen Organen einerseits und die Zerebrospinalflüssig¬
keit von Paralytikern und Tabikern andererseits bezüglich der
Komplementbindung genau so verhielten wie ein Antigen und
der entsprechende Antistoff.
So interessant diese Befunde, namentlich im Hinblick auf
die alte Streitfrage über den Zusammenhang zwischen Syphilis
und Paralyse oder Tabes, auch sind, so ist doch bis jetzt noch
nichts über die Natur dieser Stoffe bekannt. Weil10) hält es
sogar für möglich, dass die Reaktion auf Luesantikörper nur
durch gelöste Qewebsteile bedingt sei und Marie und Leva-
d i t i u) fanden, dass auch Auszüge aus normaler Leber, ebenso
wie die aus syphilitischer, wenn auch in stärkerer Konzen¬
tration, imstande sind, bei Gegenwart von paralytischer
Spinalflüssigkeit Komplement zu fixieren. L e v a d i t i und
Marie “) zeigten ferner, dass die angenommenen Stoffe nicht
mit den Bakteriolysinen zu identifizieren sind.
Nach dem Gesagten musste es wünschenswert erscheinen,
die angenommenen, für Lues charakteristischen Stoffe und Anti¬
stoffe auf andere und zwar möglichst direkte Weise zu demon¬
strieren. Bei dem engen Zusammenhang, welcher zwischen
der in Rede stehenden Komplementbindung und den Kraus-
schen 13) Präzipitinen besteht, schien uns die Möglichkeit vor¬
zuliegen, die syphilitischen Antigene und Antistoffe unmittelbar
durch die Präzipitation zu veranschaulichen. Dies musste um
so aussichtsreicher erscheinen, als es uns schon früher ge¬
lungen war, bei Typhus und Tuberkulose14)15) Bakterien-
präzipitinogene im Serum von Kranken nachzuweisen.
Das erforderliche Syphilisantigen stellten wir uns nach
dem Vorgang von M a r i e und L e v a d i t i durch Eintrocknen
der Leber eines syphilitischen Fötus her, nachdem wir uns
vorher von der Anwesenheit der Spirochaete pallida in dem
Organ überzeugt hatten.
Zum Nachweis der Syphilisspirochäte im Ausstrich be¬
dienten wir uns folgender vereinfachter Methode 17): Auf einem
mit feinstem Glaspapier gereinigten Objektträger wird ein
kleiner Tropfen des fein zerriebenen Untersuchungsmaterials
mit einem zweiten, spitzwinklig zu dem ersten aufgestellten Ob¬
jektträger gleichmässig ausgestrichen und noch feucht in der
von Hamm18) angegebenen „Fixationsröhre“ über Osmium¬
dämpfen in wenigen Sekunden fixiert. Nachdem das Präparat
lufttrocken geworden ist, wird es mit 10 ccm einer kochenden,
0,5 proz., wässerigen Glyzerinlösung
übergossen, welcher 13 Tropfen alter
Giemsalösung zugesetzt sind; dieses
Uebergiessen wird 2 — 3 mal, nach je
3 Minuten wiederholt. Die Spiro¬
chäte zeigt dann in dem innerhalb
10 Minuten angefertigten Präparat eine so intensive Färbung,
dass sie selbst von einem wenig geübten Beobachter nicht
übersehen werden kann und das Beiwort „pallida“ kaum noch
gerechtfertigt erscheint.
Die getrocknete und zu feinstem Pulver zerriebene syphi¬
litische Leber wurde 'dann je nach Bedarf in physiologischer -
Kochsalzlösung aufgelöst, etwaige Trübungen wurden durch
Zentrifugieren und Filtrieren (Papier Schleicher & Schüll
No. 602) vollkommen entfernt. In gleicher Weise wurde eine
nicht syphilitische, menschliche Leber verarbeitet.
Die Herstellung eines für unsere Zwecke brauchbaren
Antistoffes stiess insofern auf Schwierigkeit, als uns keine Affen
zur Verfügung standen. Bei der Vorbehandlung von Kaninchen
mit menschlichem syphilitischem Material mussten notwen¬
digerweise neben den gewünschten Syphilispräzipitinen auch
„Menschenpräzipitine“ auftreten. Diese konnten nur ausge¬
schaltet werden, wenn die Bildung von Luespräzipitinen im
Kaninchenorganismus rascher erfolgt als die der Menschen¬
präzipitine oder wenn es gelang, letztere durch spezifische
Absorption, durch Verdünnung oder durch spezifische Lösung
des „Menschenpräzipitats“ zu beseitigen. Während die letzt¬
genannten Versuche fehlschlugen, gelang es uns in einem Falle
vom Kaninchen vorübergehend ein Serum zu erhalten, welches
wohl schon Syphilis-, aber noch keine Menschenpräzipitine
enthielt.
Das betreffende Kaninchen No. 64 hatte in Abständen von
je 4 Tagen syphilitische menschliche Leber- und Papelauf¬
schwemmungen in steigenden Mengen intraperitoneal und sub¬
kutan erhalten. Ein anderes Kaninchen No. 84 war in ganz
ähnlicher Weise mit normalem menschlichem Material vor¬
behandelt worden.
Die 10 Tage nach der letzten Injektion entnommenen
Serumproben .wurden nun mit den vorher hergestellten Leber¬
auszügen in den verschiedenen Kombinationen zusammen¬
gebracht.
Wie aus der Tabelle I hervorgeht, trat nur dort eine
Präzipitation ein, wo der syphilitische Leberauszug mit dem
antisyphilitischen Serum zusammentraf, während die übrigen
Gläser vollkommen klar blieben:
Tropti’n
) Wassermann und Bruck: Ist die Komplementbindur
beim entstehen spezifischer Niederschläge eine mit der Präzipitierur
zusammenhängende Erscheinung oder Ambozeptor Wirkung1? Med
zimsche Klinik 1905, No. 55, pag. 1409.
„ ") Dieselben: Experimentelle Studien über die Wirkung vc
I uberkelbazillenpräparaten auf den tuberkulös erkrankten Organi'
mus. Deutsche med. Wochenschr. 1906, No. 12, pag. 450
) Wassermann, Neisser und Bruck: Eine serodk
gnos tische Reaktion bei Syphilis. Deutsche med. Wochenschr 190
No. 19, pag. 745.
.... /* Wassermann und Plaut: Ueber das Vorhandensein s^
phditischer Anüstoffe in der Zerebrospinalflüssigkeit von Paralytiker:
Ibidem 1906, No. 44, pag. 1769.
, J, ^ e ! s s e Bfuck und Schucht: Diagnostische Geweb'
und Blutuntersuchungen bei Syphilis. Ibidem 1906, No. 48, pag. 193
i x- uWeil:,. eber den Luesantikörpernachweis im Blute vo
Luetischen. Wiener klinische Wochenschr. 1907, No. 18, pag. 52:
no. ,, ,,.a r * e L e v a d i t i: Les „anticorps syphilitiques“. Ar
nalcs de 1 Institut I asteur 1907, Bd. 21, No. 2; ref. d. No. S. 1499.
• L e v a d 1 1 i et Marie: Action du liquide cephalo-re
chKlien c es paralytiques generaux sur le virus syphilitique. Societ
de Biologie mai 1907, ct. n. Semaine medicale 1907, No. 21, pag 25
Wi ’ i>.rau Leber spezifische Reaktion in keimfreien Filtratei
Wiener klinische Wochenschr. 1897, No. 32
Wochenschn "l906, No. Münchener medizinisch
")1)C.rSelbe: Uebcr den Nachweis des Bakterienpräzipitir
Heft 8.im 0rgamsmus- Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., Orig!, Bd *
\°7\ Derselbe: Noch nicht veröffentlicht.
.... ■ >S»C xreL.sc!lewsky: Zum Nachweis der Spirochaet
pallida im Ausstrich. Deutsche med. Wochenschr. 1907, No. 12.
Tabelle I.
No.
Syphilitisch.
Leberauszug
Normaler
Leberauszug
Syphilitisch.
Äntiserum
(64)
Nichtsyphil.
Antiserum
Resultat
1
9
X
—
X
-
positiv
X
■
X
X
negativ
O
A
X
—
—
negativ
X
—
X
negativ
Zu den Präzipitinuntersuchungen bedienen wir uns seit
längerer Zeit mit Vorteil 8 cm langer und 0,5 cm weiter Gläs¬
chen, in welchen die zu untersuchenden Flüssigkeiten mittelst
einer mit einem kleinen Gummiball versehenen Kapillarpipette
vorsichtig unterschichtet werden. Stehen grössere Mengen
der Flüssigkeiten zur Verfügung, so werden mittelst gradu-
iu tei I ipette je 0,15 ccm in 7 cm langen und 0,8 cm weiten
Röhrchen übereinander geschichtet. Bei positivem Ausfall der
Reaktion bildet sich dann, wie dies auch von A s c o 1 i 19) be¬
schrieben wird, meist sofort, immer aber vor Ablauf von
- Stunden an der Berührungsfläche beider Flüssigkeiten ein
eidlicher Ring, welcher besonders gut sichtbar wird, wenn
man das durchfallende Tageslicht durch ein schräg hinter die
Gläschen gehaltenes schwarzes Papier zum Teil abblendet.
ls) A. Hamm: Beobachtungen über Bakterienkapseln auf Grund
Fixationsmethode. Zentralbl. f. Bakt.
der Weidenreich sehen
Orig., Bd. XL1II, Heft 3.
. r p9) As coli: Neue : Tatsachen und neue Ausblicke in der Lehre
du Ernährung. Munch, med. Wochenschr. 1903, No. 5.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1473
Wir heben ganz besonders hervor, dass nur vollkommen
klare Sera und Flüssigkeiten Verwendung finden dürfen.
Wir haben also durch unsere Versuche, von denen einer
beispielsweise angeführt wurde, das Vorhandensein von
Syphilispräzipitinogenen in der Leber eines hereditär-syphi-
litischep Fötus und von Syphilispräzipitinen in dem Serum
eines mit syphilitischen, menschlichen Organen vorbehandelten
Kaninchens dargetan. Andererseits verhehlten wir uns jedoch
nicht die Schwierigkeiten, welche die Gewinnung eines der¬
artig geeigneten antisyphilitischen Serums hat. Zeigte doch
das Serum des Kaninchens 64 schon nach der nächsten In¬
jektion neben den Luespräzipitinen auch Präzipitine auf mensch¬
liches Eiweiss.
Wir glaubten daher in der Folge ganz vom Tierexperiment
absehen zu müssen und gingen dazu über, Blutsera von Para¬
lytikern und Tabikern, deren Gehalt an antisyphilitischen
Stoffen im Sinne Wassermanns und seiner Mitarbeiter
wir vorher durch die Methode der Komplementbindung fest¬
gestellt hatten, zu verwenden.
Dieses Serum wurde dann in gleicher Weise wie vorher
der Leberauszug und das vom Kaninchen gewonnene Anti¬
serum mit dem Blutserum von frisch infizierten Luetikern und
zur Kontrolle mit normalem Menschenserum zusammenge¬
bracht; andererseits wurden auch Proben angestellt, in welchen
das Serum der Luetiker mit normalem Menschenserum zu¬
sammentraf.
Von den ca. 50 mit gleichem Ergebnis angestellten Ver¬
suchen, bei deren Beurteilung uns Herr Prof. Dr. Förster
in bereitwilligster Weise unterstützte, seien hier nur zwei an¬
geführt.
Während Anfangs die unverdünnten klaren Sera überein¬
andergeschichtet wurden, verdünnten wir später die anti¬
körperhaltigen Sera auf das 5 fache und erhielten so eine
bessere Schichtung und eine deutlichere Reaktion.
Wir wählten Sera an Stelle der früher verwendeten Spinal-
fliissigkeit von Paralytikern, da sie sich in unserer Versuchs¬
anordnung in bezug auf Antikörpergehalt ebenso wie diese
verhielten und da ihre Gewinnung weniger umständlich ist.
Ausserdem bietet die Verwendung von gleichartigen Medien
für Antigen und Antistoff den nicht zu unterschätzenden Vor¬
teil, dass gewisse nicht spezifische Reaktionen ausgeschaltet
werden.
Hierher gehört der von M a r i e und L e v a d i t i erhobene
Befund der Komplementbindung bei der Kombination: para¬
lytische Spinalflüssigkeit + Auszug aus normaler Leber; und der
von Weil: Tumorextrakt + Serum eines Luetikers. Unser
Auszug aus einer syphilitischen Leber gab sowohl mit dem
Serum eines Paralytikers, als auch mit anscheinend normalem
Menschenserum eine Präzipitation, während der Auszug aus
einer nichtsyphilitischen Leber mit beiden Seren nicht rea¬
gierte. Diese nicht spezifischen Reaktionen fallen wie gesagt
bei der ausschliesslichen Verwendung von Seren als Reaktiv
und als Reagens fort.
Fassen wir das Resultat unserer Untersuchungen kurz
zusammen, so ergibt sich: Das Serum von Para¬
lytikern und Tabikern gibt ausschliesslich
mit dem Serum von Luetikern eine positive
Präzipitinreaktion und umgekeh r t (cf. Tabelle II).
Wir besitzen somit eine Methode, einerseits bei Para¬
lytikern und Tabikern die syphilogene Natur ihrer Er¬
krankung festzustellen und andererseits bei verdächtigen Er¬
krankungen die Frage, ob Syphilis vorliegt oder nicht, auf
serodiagnostischem Wege zu entscheiden.
Wir fügen hinzu, dass die von uns auf Grund unserer
Methode gestellte Diagnose Lues bis jetzt in jedem einzelnen
Fall durch positiven Spirochätenbefund bestätigt werden konnte
und dass wir andererseits bei jedem Falle mit Spirochäten¬
befund Syphilispräzipitinogene im Blutserum nachweisen
konnten.
Eine weitere Mitteilung über unsere Befunde mit eingehen¬
der Schilderung der klinischen Daten werden wir in Gemein¬
schaft mit Herrn Privatdozent Dr. Rosenfeld von der
psychiatrischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Wollenberg)
und mit Herrn Dr. E i s e n z i m m e r von der Klinik für Haut-
und Geschlechtskrankheiten (Direktor: Prof. Dr. W o 1 f f)
No. 30.
Tabelle 11.
No.
Serum
von
Para¬
lytiker
Tabiker
Luetiker
A. B.
Gesunder
A. B.
Ergebnis
1
0,03
0,15
_
_
Ring
2
0,03
—
—
0,15
—
Ring
3
0,03
0,15
—
—
—
—
0
4
0,03
—
—
—
0,15
—
0
5
0,03
—
—
—
—
0,15
0
6
_
0,03
0,15
—
—
—
Ring
7
_
0,03
—
0,15
—
—
Ring
8
—
0,03
—
—
0,15
—
0
9
_
0,03
—
—
—
0,15
0
10
_
—
0,03
0,15
—
—
0
11
_
- -
0,03
—
0,15
—
0
12
—
—
—
0,03
—
0,15
0
Schluss¬
folgerung-:
Syphilis¬
präzipitine •
Syphilis¬
präzipitinogene
0
0
—
binnen kurzem veröffentlichen; beiden Herren sind wir für die
liebenswürdige Ueberlassung des Materials zu grossem Danke
verpflichtet.
Es sind ferner Versuche im Gange, die von uns angegebene
Methode auch auf andere Infektionskrankheiten zu übertragen.
Wir behalten uns vor, darüber später zu berichten.
Strassburg, den 8. Juni 1907.
Nachtrag bei der Korrektur:
Nach dem oben beschriebenen Prinzip des
A u f e i n a n d e r w i r k e n s zweier P a t i e n t e n s e r a
aus differenten Stadien ein- und derselben
Krankheit ist es uns inzwischen gelungen,
auch bei Scharlach, Masern und Typhus das
Vorhandensein des entsprechenden Präzipi-
tinogens und Präzipitins im Blutserum nach¬
zuweisen.
Strassburg, den 16. Juli 1907.
Aus dem pathologischen Institut in Leipzig.
Ueber A E. W rights „Opsonine“ und seine thera¬
peutischen Bestrebungen bei Infektionskrankheiten .*)
Von Privatdozent Dr. M. Löh lein, Assistenten am Institut.
In England und Amerika haben sich während der
letzten Jahre theoretische und praktische Mediziner auf das
Eingehendste mit den von A. E. W right entdeckten „Opso¬
ninen“ und mit der Bedeutung dieser Körper des Serums für
die spezifische Therapie einer ganzen Reihe von Infektions¬
krankheiten beschäftigt. Eine sehr grosse Reihe von Ver¬
öffentlichungen über den Gegenstand liegt in den englischen
und amerikanischen Fachzeitschriften vor. Im Gegensatz da¬
zu hat man in Deutschland bisher den Arbeiten W rights nur
verhältnismässig geringes Interesse entgegengebracht; wie mir
scheint, zu Unrecht.
Ich möchte Ihnen heute einen kurzen Ueberbhck über
W rights Arbeit geben und werde mich dabei bemühen, so¬
weit das therapeutische Problem in Frage kommt, ein objek¬
tives Referat der W right sehen Ansichten und Bestrebungen
zu geben; zu der theoretischen Seite der Frage, mit der ich
mich selbst beschäftigt habe, werde ich mir später einige
kritische Bemerkungen erlauben. ')
W r i g h t und seine Schüler und Anhänger haben im Laufe
der letzten Jahre nach ihren Angaben vielfach mit sehr guten
Erfolgen eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten des
Menschen, unter denen die Tuberkulose praktisch das grösste
Interesse beansprucht, spezifisch durch Impfung mit abge¬
messenen Dosen abgetöteter spezifischer Krankheitserregei
*) in Anlehnung an einen am 26. II. 07 in der Medizinischen Ge¬
sellschaft zu Leipzig gehaltenen Vortrag. .
*#) Anmerkung bei der Korrektur: Die teils unmittel¬
bar vor. teils während der Drucklegung erschienenen neuesten Ar¬
beiten über den Gegenstand von L e v a d i t i und von Neuieu
konnten nicht mehr berücksichtigt werden.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
(Vakzins) behandelt. Das Verfahren an sich ist demnach nicht
neu; verwenden die englischen Therapeuten doch z. B. zur
Behandlung der Tuberkulose Kochs Neutuberkulin.
Durchaus neu aber ist der Massstab, den W r 1 g h t für die
Dosierung seines „Vakzins“ eingeführt hat. Dieser wird
durch den „opsonischen Index“ des Serums des Patienten ge¬
liefert, der nach W r i g h t einen ganz ausserordentlich emp¬
findlichen und zuverlässigen Indikator für den Gehalt des
Blutes an gewissen antibakteriellen Substanzen darstellt.
Zur Aufstellung dieses Massstabes gelangte W right auf
dem folgenden Wege: Er hatte im Serum normaler und er¬
krankter Individuen bis dahin anscheinend unbekannte Sub¬
stanzen — „Opsonine“ — gefunden, die im Reagensglase patho¬
gene Keime der Phagozytose durch die Leukozyten des Blutes
zugänglich machten. Durch genaue Zählung der unter ganz
bestimmten Versuchsbedingungen aufgenommenen pathogenen
Keime konnte W r i g h t die „opsonische Kraft“ eines solchen
Serums ziffernmässig genau darstellen. Er beobachtete dabei
zunächst bei Menschen, die an chronischer Staphylomykose
litten, einen im Vergleich mit dem normaler Sera herabgesetzten
Opsöningehalt. Er beobachtete ferner unter dem Einfluss der
Impfung mit seinen „Staphylokokkenvakzins“ unter bestimmten
Bedingungen ein Ansteigen des Opsoningehaltes im Blute der
Patienten.
Als „opsonic index“ bezeichnet W r i g h t das Verhältnis
des Opsoningehaltes des Serums eines Patienten zu dem Op¬
soningehalt eines normalen Serums.
Sehr umfangreiche Untersuchungen von W r i g h t und
seinen Anhängern ergaben ein eigentümliches und nach
W rights Angaben streng gesetzmässiges Verhalten dieses
„opsonic index“ bei verschiedenen Infektionskrankheiten, und
auf Grund theoretischer Erwägungen erblickt W r i g h t in dem
„opsonic index“ einen objektiven Massstab, nach dem sich das
therapeutische Handeln zu richten hat. Ich sehe von Einzel¬
heiten ab und erwähne nur die gewiss höchst beachtenswerte
Tatsache, dass W r i g h t bei gewissen Fällen von Tuberkulose
nach Injektion minimaler Mengen von T. R. einen sehr starken
immunisatorischen Effekt (festgestellt durch den „opsonic
index“) nachweisen konnte, ohne dass die geringsten Störungen
des Allgemeinbefindens, insbesondere Temperaturerhöhung,
aufgetreten wären. Schon im Jahre 1905 konnte W right
über ein sehr grosses Beobachtungsmaterial von Fällen von
Tuberkulose der verschiedensten Lokalisation berichten, die er
unter Kontrolle des Opsoningehalts des Serums mit T. R. be¬
handelt hatte. Die Ergebnise waren, soweit lokalisierte Tuber¬
kulose, insbesondere Knochentuberkulose, in Betracht kommt,
nach seinem Bericht sehr günstig. Auch gegen eine ganze Reihe
anderer Infektionserreger haben W r i g h t und seine Anhänger
nach ihren Angaben auf Grund des kurz skizzierten Verfahrens
günstige Erfolge erzielt. Ich verweise, da mir ein eigenes
Urteil hierüber nicht zusteht, auf die Originalarbeiten, die am
Schlüsse zitiert sind. Die von W r i g h t erreichten Resultate
scheinen mir unter allen Umständen so beachtenswert, dass
eine praktische Nachprüfung des W r i g h t sehen Verfahrens
in Deutschland sehr wünschenwert wäre.
Gegen die theoretischen Ueberlegungen Wrights scheinen
mir einige Einwände erhoben werden zu müssen. W r i g h t
glaubt eine sehr einfache Lösung des Problems der bakteriellen
Infektion in der Annahme gefunden zu haben, dass pathogene
Mikroorganismen sich im Organismus in jedem Falle in einem
Gebiet herabgesetzter „bacteriotropic pressure“ vermehren,
d. h. in einem Gebiet, wo die antibakteriellen Schutzstoffe
fehlen oder im Vergleich mit ihrer Menge im zirkulierenden
Blute erheblich vermindert sind. Dadurch soll es sich er¬
klären, dass sie der Vernichtung durch das Zusammenwirken
von Opsoninen und Leukozyten, d. h. durch Phagozytose, ent¬
gehen. Im Kampfe gegen die Eindringlinge wird der Organis¬
mus unter geeigneten Bedingungen unterstützt durch die mit
Hilfe der „Vakzins“ erzielte Mehrproduktion von Opsoninen,
die an den Infektionsherd gelangt die Phagozytose begünstigen.
Gegen Wrights Gedankengang ist zunächst der Ein¬
wand zu erheben, dass die Phagozytose pathogener Keime
durch die Leukozyten höher organisierter Tiere — mag sie
„spontan“ oder unter dem „opsonischen Einfluss“ von Körper¬
flüssigkeiten zustande gekommen sein — keineswegs unter
allen Umständen die Vernichtung der Keime bedeutet.
Man kann sich hiervon beispielsweise beim Pestbazillus leicht
überzeugen. Es soll auf diesen Einwand an dieser Stelle aber
nicht ausführlicher eingegangen werden. Sehr viel wichtiger
ist eine durch viele Einzelbeobachtungen sichergestellte Tat¬
sache, die W r i g h t bei seinen Ueberlegungen nicht berück¬
sichtigt, die Tatsache nämlich, dass infektiöse Keime, wie längst
bekannt ist, nach ihrem Eindringen in den tierischen Organis¬
mus ihre Eigenschaften in dem Sinne ändern, dass sie gegen die
Schutzmittel des Organismus (gelöste antibakterielle Sub¬
stanzen und Phagozyten) eine oft im höchsten Grade gesteigerte
Widerstandskraft erwerben, die man mit Fug und Recht als
Immunität bezeichnen kann.
Ich erinnere hier hur an die sorgfältigen Beobachtungen
von Cohn über Typhusbazillen, sodann an die Ausführungen
von Bail in seinen ersten Arbeiten über „Aggressine“, ferner
besonders an sehr zahlreiche Beobachtungen, die zeigen, dass
pathogene Keime, die bei ihrem Eindringen in den Tierkörper
ebenso wie im Reagensglas der Phagozytose anheimfallen,
nach dem Ueberstehen der ersten Abwehrreaktion des Organis¬
mus, von anderen Veränderungen abgesehen, die Eigenschaft
zeigen, der Aufnahme durch Phagozyten zw entgehen.
(Metschnikoff: Pestbazillen; Bordet: Streptokokken;
Silberberg und Zeliony: Hühnercholera.) Besonders
erwähne ich an dieser Stelle die von G r u b e r und mir gleich¬
zeitig mitgeteilte Tatsache, dass Milzbrandbazillen aus dem
Körper des durch Infektion erlegenen Tieres der Phagozytose
im Reagensglas einen bisher unbesieglichen Widerstand ent¬
gegensetzen, während hochvirulente Bazillen des gleichen
Stammes von jungen Agarkulturen ausgiebiger Aufnahme durch
die Leukozyten anheimfallen. Diese Versuche sind deshalb
hier besonders zu erwähnen, weil die Anordnung der Beob¬
achtungen prinzipiell genau mit der von W r i g h t befolgten
übereinstimmt.
Eine ganz analoge Beobachtung hat ganz neuerdings
Löwenstein bei Tuberkelbazillen in einem Falle von
Blasentuberkulose des Menschen gemacht. Aus den Angaben
dieses Beobachters geht hervor, dass auch die „tierischen“
Tuberkelbazillen der Phagozytose einen unvergleichlich
höheren Widerstand entgegensetzen, als die der Kultur. End¬
lich erinnere ich kurz an die neueren Angaben Marmoreks
über „erhebliche Aenderungen der Eigenschaften des Tuberkel¬
bazillus im tierischen Organismus“.
Jeder Versuch einer „Lösung des Problems der bak¬
teriellen Infektion“, der der Tatsache nicht Rechnung trägt, dass
die pathogenen Keime im Tierkörper wesentliche Aenderungen
ihrer Eigenschaften zeigen, muss als unzulänglich bezeichnet
werden, somit auch der von A. E. W r i g h t.
Aus diesen Bedenken gegen die theoretischen Folgerungen
Wrights folgt für mich keineswegs die Ablehnung seiner
therapeutischen Bestrebungen. Es ist durchaus möglich, dass
der „opsonic index“ entsprechend der Annahme des englischen
Autors einen brauchbaren Indikator für immunisatorische Re¬
aktionen abgibt. Noch gehen aber über die Phagozytose und
über die Bedeutung der Opsonine unsere Kenntnisse bei weitem
nicht hinreichend in die Tiefe, um ein endgültiges Urteil hier¬
über zu gestatten.
Die erste Frage, die hier beantwortet werden muss, ist die
nach den phagozytären und bakteriziden Fähigkeiten der Leuko¬
zyten überhaupt.
Ich halte es durch frühere Versuche von Metschnikoff
und durch eigene Versuche für erwiesen, dass die Leukozyten
höherer Tiere pathogene Bakterien ohne die Mitwirkung von
Körpersäften nicht nur im lebenden Zustande aufnehmen,
sondern auch intrazellulär zu verdauen imstande sind. Auf den
früher oft erhobenen Einwand, dass von den Leukozyten nur
abgetötete Bakterien aufgenommen werden, brauche ich nicht
näher einzugehen; ich erinnere nur nebenbei an die bekannte
Tatsache, dass Bakterien, die auf Leukozyten „chemotaktisch
negativ wirken“, der Phagozytose auch nach ihrer Ab¬
tötung durch hohe Temperaturen entgehen.
Auch Lambotte und S t i e n n o n, die die bakteriziden
Fähigkeiten der Leukozyten vollkommen in Abrede stellen, er-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1475
21 .lull 1907.
kennen an, dass diese Zellen ohne die Mitwirkung von Körpei-
säften lebende pathogene Keime aufnehmen können. Sie be¬
nutzen bei ihren Versuchen beispielsweise den positiven Aus¬
fall der Phagozytose von Milzbrandbazillen in vitro als Kn-
terium für den guten Erhaltungszustand von gewaschenen
Leukozyten ausserhalb des Tierkörpers. Sie leugnen abei jede
bakterizide Fähigkeit der Leukozyten. Hierin muss ich ihnen
widersprechen: , , , , ,
Gegenüber den Angaben von W right, L a m b o 1 1 e und
S t i e n n o n und Pettersson halte ich meine frühere Be¬
hauptung aufrecht, dass auch gewaschene Leukozyten patho¬
gene Keime intrazellulär nachweislich verdauen. Ich habe spe¬
ziell für den Choleravibrio meine älteren Versuche im Jahre
1906 noch einmal wiederholt und zwar an fünf ziemlich hoch¬
virulenten Stämmen aus dem Institut für Infektionski ank-
heiten1 *). Die fünf Stämme leisteten der Phagozytose durch
gewaschene Leukozyten einen verschieden hohen Widerstand;
ich konnte aber auch bei ihnen in allen Fällen, wo Phagozytose
stattfand, Granulabildung im Innern der Leukozyten bei völ¬
ligem Ausschluss der Mitwirkung von Körpersäften in vitro
nachweisen. Bei keinem der Fälle fehlte das Phänomen dei
Phagozytose völlig, bei einzelnen trat ziemlich lebhafte I hago-
zytose ein, ein nachweislicher strenger Parallelismus zwischen
Virulenz und Widerstand gegen Phagozytose bestand nicht.
Die weitgehenden Schlüsse, die Lambotte und S t i e n n o n
sowohl wie auch Pettersson aus ihren Experimenten
ziehen und die im wesentlichen darauf hinauslaufen, den Leuko¬
zyten alle bakteriolytischen Fähigkeiten abzusprechen, muss
ich also nach wie vor bestreiten.
Was den Ablauf der Phagozytose unter dem Einfluss des
Serums anlangt, so ist der Nachweis eines opsonischen Ein¬
flusses von normalem Meerschweinchenserum auf Cholera¬
vibrionen mir an den fünf genannten Stämmen gelungen. Dies
steht im Einklang mit Befunden, die N e u f e 1 d mitgeteilt hat.
Ich erwähne dies ergänzend, da ich bei zwei Stämmen des.
Institut Pasteur nicht zu einem positiven Resultate gekommen
war. (Uebrigens hatte ich bereits bei der Mitteilung dieser
älteren Versuchsresultate die Vermutung ausgesprochen, dass
sich Cholerastämme finden lassen würden, bei denen die Op¬
soninwirkung des Serums aufgezeigt werden könnte.)
Findet unter dem Einfluss des Serums lebhafte Phagozytose
statt, so beobachtet man auch zahlreichere intrazelluläre
Granula, bei dieser Versuchsanordnung aber auch mehr oder
weniger zahlreiche ausserhalb der Zellen. Es bedarf kaum der
Darlegung, dass man aus diesen Versuchen keinerlei Schlüsse
auf die Beteiligung der Leukozyten an der Körnchenbildung
ziehen kann. Einerseits enthält das Serum bakteriolytische
Ambozeptoren, die möglicherweise bei der intrazellulären Bak¬
terienverdauung eine vorbereitende Rolle spielen könnten,
andererseits besteht die Möglichkeit, dass infolge der Steige¬
rung der Bakterienaufnahme durch die Opsonine intrazelluläre
bakteriolytische Substanzen zur Wirkung gelangen können,
über deren Identität mit dem Ambozeptor und Komplement des
Serums gar nichts ausgesagt werden kann. Dass man mit
Extraktionsmethoden aus den Leukozyten keine bakteriziden
Substanzen, auch kein Komplement hat darstellen können, be¬
weist nichts gegen die einfache unmittelbare Beobachtung von
Verdauungsvorgängen, die sich an pathogenen Keimen im
Innern von Leukozyten abspielen.3)
Ich möchte zum Schlüsse die Frage nach der möglichen
Identität von Opsoninen und Normalambozeptoren kurz be¬
rühren, um eine eigene Aeusserung dazu (1. c.) einzuschränken.
Von der Vermutung ausgehend, dass diese Identität bestünde,
hatte ich auf verschiedenen Wegen versucht, sie als tatsächlich
nachzuweisen. Aus dem Misslingen dieser Versuche schloss
ich, dass beide „Substanzen“ wesenverschieden seien. Tat¬
sächlich scheint mir der Nachweis hierfür weder. durch meine
D Herrn Prof. Dr. K o 1 1 e bin ich für die freundliche Vermitte¬
lung der Kulturen zu besonderem Danke verpflichtet.
3) Anmerkung bei der Korrektur: Vgl. die neuen
Versuchsresultate von Gr über und Futaki (diese Wochenschrift
1907, No. 6).
eigenen, noch durch die mir bekannten englischen und ameri¬
kanischen Untersuchungsresultate einwandsfrei erbracht zu
sein. Man kann vorläufig wohl nur sagen, die Identität der
Normalambozeptoren und Opsonine hat sich noch nicht er¬
weisen lassen ")•
Literatur.
Bail: Archiv f. Hygiene 52, p. 272 f. — Derselbe: Münch,
med. Wochenschr. 1905, p. 1865. — Bordet: Annales Pasteur 1897,
p. 177. — E. Cohn: Zeitschr. f. Hygiene, 45, 1903, p. 61. — M. G r u -
ber: Zentralbl. f. Bakteriol., 1. Abt., Ref., Bd. 38, Beiheft, pag. 11.
— Lambotte und Stiennon: Zentralbl. f. Bakteriol. 40, p. 224 f.
— Löhlein: Annales Pasteur 1905, p. 647, 1906, p. 939. — Der¬
selbe: Zentralbl. f. Bakteriol., 1. Albt., Ref., Bd. 38, Beiheft, p. 32.
— Löwenstein: Zeitschr. f. Hygiene 55, p. 429. — Neufeld:
Zentralbl. f. Bakteriol., Ref. 38, Beiheft, p. 27. — Pettersson:
Zentralbl. f. Bakteriol., Orig., 39, p. 423 f. — W r i g h t and Dou¬
glas: Proceied. Roy. Soc. 73, 1904, p. 128. — A. E. W right:
Lancet 1905, p. 1598. — D e r s e 1 b e und S. J. R ei d: Proceed. Roy.
Soc. 77, Jan. 1906.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg i. Br.
(Dir.: Prof. K r ö n i g).
Warum muss bei gynäkologischen Operationen der
Wurmfortsatz mit entfernt werden?*)
Von Dr. Pankow, Privatdozent und Assistent der Klinik.
Wenn ich in der Ueberschrift meines Vortrages frage,
warum soll bei gynäkologischen Erkrankungen der Wurm¬
fortsatz mit entfernt werden, so liegt darin schon, dass wir
bei unseren Operationen die Appendektomie nicht nur für er¬
laubt, sondern auch für geboten halten.
Eine solche Forderung aber muss, sobald sie allgemein
aufgestellt wird und zumal sie im Gegensatz zu den heute
üblichen Anschauungen der Gynäkologen steht, auf fester
wissenschaftlicher Grundlage, d. h. auf exakten anatomischen
Untersuchungen basieren.
Derartige Untersuchungen aber liegen meinen Aus¬
führungen zugrunde. Dank dem liebenswürdigen Entgegen¬
kommen des Herrn Prof. A s c h o f f, der sich von allen Patho¬
logen in jüngster Zeit wohl am meisten mit der Appendizitis
beschäftigt und uns wichtige neue Gesichtspunkte eröffnet hat,
sind teils vom pathologischen Institut in Freiburg, teils von mir
selbst ca. 150 von uns exstirpierte Wurmfortsätze mikro¬
skopisch untersucht worden. Und da die Deutung der ana¬
tomischen Bilder, besonders nach abgelaufenen Prozessen, oft
eine ungemein schwere und für die Nichtgeübten fast unmög¬
liche ist, wurde jedes einzelne Präparat, das den Unter¬
suchungen zugrunde liegt, auch noch von Herrn Prof. Aschoff
selbst durchgesehen und beurteilt, so dass die Deutung der
Bilder eine völlig einheitliche und fachmännische ist.
Es würde mich natürlich viel zu weit führen, wollte ich
hier auf die verschiedenen anatomischen Bilder in den ver¬
schiedenen Stadien der Appendizitis eingehen. Das alles finden
2) Im Zusammenhang mit dieser Unklarheit steht eine histo¬
rische Richtigstellung, die mir Sauerbeck in seinem neuesten
Sammelreferat über Immunitätsforschung (Lubarsch und Oster-
"tag: Ergebnisse der allgemeinen Pathologie, XI. Jahrg., I. Abteil.,
p. 791 u. f.) zuteil werden lässt. Sauerbeck wendet sich gegen
eine Bemerkung von mir, wonach ich die Einführung des neuen
Namens „Opsonine“ nicht für gerechtfertigt halte. Die Begründung
meiner Stellungnahme gegenüber der ausführlichen Kritik von
Sauerbeck würde unverhältnismässig viel Raum erfordern. Ich
betone deshalb nur, dass ich a. a. O. das Verdienst von W r i g h t,
die Opsonine entdeckt zu haben, ausdrücklich anerkenne. Die
Frage, wieweit M e t s c h n i k o f f das Vorkommen analoger Sub¬
stanzen im spezifischen Serum nach dem Vorgang von Denys und
Leclef in seinem Artikel vom Jahre 1904 gewürdigt hat, würde
eine lange Auseinandersetzung in Anspruch nehmen. Ich zitiere des¬
halb nur einen Satz aus Sauer becks historischer Bemerkung
(1. c. pag. 794 oben): „W right hat im Opsonin eine neue Substanz
entdeckt, eine Substanz, die die Trägerin einer Wirkung ist, die
Metschnikoff bisher den Ambozeptoren zugeschrieben hat.“
Dieser Satz enthält genau genommen die Anerkennung meiner
Stellungnahme. — Trotzdem räume ich ein, dass ich heute auch die
Einführung dies neuen Namens „Opsonine“ durch W r i g h t für
gerechtfertigt halte, weil bei der grossen Divergenz der Meinungen
über Serumbakterizidie und Phagozytose die Verständigung durch
die Einführung des neuen Terminus gefördert worden ist.
*) Vortrag, gehalten im Gynäkologenkongress in Dresden.
2*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Sie in den Arbeiten Aschoffs und seiner Schüler nieder¬
gelegt. Ganz kurz will ich nur auf die für uns wichtigen ana¬
tomischen Ergebnisse hinweisen.
Die Frage der akuten Appendizitis ist schnell erledigt, da
sie uns speziell als anatomisches Bild weniger tangiert. Her¬
vorheben will ich nur, dass sie stets in den Schleimhautkrypten
beginnt, dort wo die Epitheldecke durch eine Lücke in der
Muscularis mucosae mit der Submukosa in direkte Berührung
tritt.
Hier kommt es zu Epithelverlust, Ansammlung eosinophil
und neutrophil gekörnter Leukozyten und zur Fibrinausschei¬
dung. Der event. vorhandene Kotstein spielt dabei keine ur¬
sächliche Rolle.
Von diesen Anfängen der Entzündung aus entwickelt sich
dann weiter entweder eine phlegmonöse Entzündung der Mus¬
kulatur oder eine pseudomembranöse Schleimhautentzündung,
die eine nach Aschoff dem Tonsillarabszess, die andere der
Diphtherie vergleichbar. Wand- und Schleimhautprozesse
gehen natürlich oft Hand in Hand.
Weit wichtiger aber sind für uns die Folgezfustände dieser
Prozesse. Hier betont Aschoff besonders zwei Punkte mit
aller Schärfe, die für die ganze Auffassung der mikroskopischen
Bilder von höchster Wichtigkeit sind. Einmal erkennt er die
sogen, chronische Appendizitis, die Appendicitis granuiaris von
Riedel, als selbständiges Krankheitsbild nicht an, sofern man
darunter eine primäre chronische interstitielle Entzündung ver¬
steht, die zur Erdrückung der Drüsen, zum Verlust des Ober¬
flächenepithels und zu Verwachsungen führt. Dann aber lehnt
er auch die physiologische Obliteration, wie sie ganz besonders
von R i b b e r t behauptet, jetzt aber auch von ihm wieder auf¬
gegeben ist, auf das entschiedenste ab. In beiden Krankheits¬
bildern sieht er nichts anderes als die Folgen vorausgegangener
akuter Anfälle. Wiederholen sich nun derartige Anfälle des
öfteren, oder treten Exazerbationen im Ausheilungsstadium ein,
so kann natürlich klinisch ein Bild ausgelöst werden, das
man wohl als chronische Appendizitis bezeichnen könnte. Aus
dem Verlauf der akuten Entzüdung sind ja auch alle diese
Bilder sehr leicht verständlich. Tritt der akute Anfall leicht
auf, klingt er schnell wieder ab, so kann eine vollständige
Restitutio ad integrum die Folge sein. Kommt es zu aus¬
gedehnterer Zerstörung der Schleimhaut oder der Wand oder
zur Perforation, so finden wir die Bilder, die speziell
W ätzold in seiner Arbeit, der auch ein grosser Teil unseres
Freiburger Materials zugrunde liegt, ausführlicher beschrie¬
ben hat.
Hierher gehört die teilweise oder totale Obliteration, die
partielle Schleimhautzerstörung und Lumenverengerung, hier¬
her gehören weiter Verdickungen und Sklerosierungen der
Serosa, narbige Unterbrechung der Muskulatur an der alten
Perforationsstelle und ganz besonders eine ausgesprochene
Bindegewebswucherung in der Muscul. interna und externa, die
zu einer mehr oder minder starken Segmentierung der Musku¬
latur führt, wie wir sie wenigstens bei jungen Individuen an
normalen Wurmfortsätzen niemals beobachten können. Und ge¬
rade diese Veränderungen der Muskelschichten sind es, die uns
viel leichter eine durchgemachte Appendizitis erkennen lassen,
als die Befunde der Mukosa und Submukosa, die dabei völlig
normal erscheinen können.
Aus diesen Veränderungen also, die ich an dieser Stelle
nur in aller Kürze skizzieren konnte, sind wir in der Lage,
auch lange nach einem akuten Anfall noch die Diagnose auf
eine überstandene Appendizitis zu stellen. Das aber ist als ein
grosser Fortschritt zu betrachten, weil wir nun auch imstande
sind, bei makroskopisch anscheinend unverändertem Prozessus
\\ ichtige Rückschlüsse auf eine frühere Erkrankung zu machen
und manches bei der makroskopischen Betrachtung des Pro¬
zessus dunkel gebliebene Krankheitsbild zu klären. Wir alle
\\ issen ja, wie leicht sich gerade appendizitische Verwach¬
sungen und selbst grosse Abszesse anscheinend restlos zurück¬
bilden und wie wir bei Operationen im Intervall nach einer
klinisch absolut sicheren Appendizitis dann einen makroskopisch
\öllig unceränderten Prozessus ohne jede Verwachsung finden
können, sodas^s wir an der Richtigkeit der sicheren Diagnose
glaubten zweifeln zu müssen. Das sind eben die Fälle, welche
einzig und allein die histologische Untersuchung klären kann.
Legen wir diese oben fixierten Befunde unserer histo¬
logischen Beurteilung zugrunde, so finden wir, dass die Appen¬
dizitis beim Weibe ganz unvergleichlich viel häufiger ist, als
man früher gemeinhin annahm. Gewiss ist die relative Häufig¬
keit der Appendizitis im Verhältnis zur Appendizitis beim Manne
heute mehr und mehr anerkannt. Zuverlässige Zahlen über
das absolute Verhältnis fehlen aber noch ganz.
Wenn D ii h r s s e n z. B. bei seinen Laparotomien den
Prozessus in 3 Proz., A m a n n in 6 Proz., K e 1 1 y in 10 Proz.,
Edebohls in 4 Proz. erkrankt fand, so sind diese Zahlen
viel zu niedrig gegriffen. Ebenso wenig richtig sind aber auch
die Angaben von Hermes, der bei 75 Laparotomien wegen
gynäkologischer Erkrankung an den Prozessus 40 mal, also in
ca. 53 Proz., Veränderungen fand. Denn einmal rechnet er bei
seinen makroskopischen Angaben zu den pathologischen Ver¬
änderungen schon Erweiterungen und Kotsteine, Befunde, die
auch schon bei ganz normalem Prozessus sich finden. Zweitens
aber sind Veränderungen am Wurmfortsatz noch keine
Appendizitiden. Ueberhaupt ist bisher bei allen Arbeiten,
welche dieses Thema behandeln, der anatomische Unterschied
zwischen einer wirklichen Appendizitis und dem Uebergreifen
anderer Prozesse auf den Wurmfortsatz von aussen her viel
zu wenig betont. Gewiss findet man bei Pyosalpingen und
Tubargraviditäten auch öfters eine Mitbeteiligung des Wurm¬
fortsatzes insofern, als die dadurch bedingten Adhäsionen auch
auf ihn übergegriffen und zu Veränderungen der Serosa und
vielleicht auch der Muskularis geführt haben, aber damit dürfen
wir noch nicht von einer Erkrankung des Wurmfortsatzes im
Sinne einer Appendizitis reden. Diesen Entscheid kann, wenn
überhaupt, nur die mikroskopische Untersuchung geben. Und
selbst dann sind wir nicht immer in der Lage, besonders wenn
beide Prozesse, Adnex- und Wurmfortsatzentzündung, längst
abgelaufen sind, mit Sicherheit zu entscheiden, welches Organ
den Ausgangspunkt der Erkrankung gebildet hat.
Unter Berücksichtigung aller dieser Punkte fanden wir bei
einem daraufhin untersuchten Material von 147 Wurmfort¬
sätzen, die bei Laparotomien wegen Myomen, Kystomen,
Tubargraviditäten, Adnexerkrankungen und bei Ligament¬
fixationen entfernt und unausgewählt bearbeitet wurden,
L sichere Appfendizitis in 82 Fällen, 2. sicheren Uebergang einer
Entzündung von aussen in 5 Fällen, 3. fragliche Befunde in 24
Fällen, 4. unveränderte Wurmfortsätze in 36 Fällen.
Lassen wir bei der Beurteilung der Häufigkeit der Appen¬
dizitis die 24 fraglichen Fälle überhaupt weg, so finden wir bei
123 Patientinnen 82 Wurmfortsätze mit sicheren Zeichen einer
überstandenen Entzündung, d. f. in 66,6 Proz., rechnen wir
die fraglichen Fälle mit zu den nicht kranken, in 55,7 Proz.
Berücksichtigen wir aber, dass auch unter den fraglichen Be¬
funden vielleicht manche sind, die auf eine Appendizitis zurück¬
zuführen sind und dass bei leichten Fällen auch eine voll¬
ständige restitutio ad integrum erfolgen kann, so gehen wir wohl
nicht fehl, wenn wir annehmen, dass ca. 60 Proz. aller
E rauen, die wir zur Operation bekommen, eine
Blinddarmentzündung durchgemacht haben.
Das scheint nun zunächst ein ausserordentlich hoher Prozent¬
satz zu sein. Wenn man aber bedenkt, dass z. B. R i b b e r t
bei Menschen über 60 Jahren den Wurmfortsatz in über der
Hälfte aller Sektionen obliteriert fand, dass eine solche Obli¬
teration stets als Zeichen einer vorausgegangenen Entzündung
aufzufassen ist, dass ferner bei weitem nicht alle Entzündungen
zur Obliteration führen, sondern ein grosser Teil auch ohne eine
solche ausheilt, so ist meines Erachtens die Zahl von 60 Proz.,
auch wenn es sich fast ausschliesslich um Frauen im Durch¬
schnittsalter von 20 — 45 Jahren, also in der Geschlechtsreife
handelt, eher noch zu niedrig als zu hoch gegriffen.
Wie oft die Appendizitis nun ihrerseits als Ursache der
Genitalerkrankungen anzusehen ist, das ist, wie gesagt, sehr
schwer und besonders in chronischen Fällen mit schwerer
Zerstörung der Appendix und der Adnexe überhaupt nicht mehr
zu entscheiden. Nicht selten aber finden wir tatsächlich bei
Entzündungen und Verwachsungen der Adnexe und des Becken¬
peritoneums, für die eine vom Uterus ausgehende septische und
gonorrhoische oder eine tuberkulöse Infektion mit Sicherheit
auszuschliessen war, bei der Operation einen Wurmfortsatz,
der die sicheren Zeichen der abgelaufenen Entzündung an sich
23. Juli 1907.
MUENC1 IENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1477
trägt und deshalb in solchen Fällen als die Ursache der Er¬
krankung angesehen werden muss.
Das sind Befunde, die man nicht selten an¬
trifft und es ist deshalb der Appendizitis eine
grössere Rolle für die Entstehung dieser Er¬
krankungen zuzuschreiben als bisher.
Relativ recht oft aber scheint die Appendizitis auch die Ur¬
sache pelviperitonitischer Adhäsionen zu sein, wie wir sie be¬
sonders im Douglas und um die abdominellen I ubenenden
herum finden. Speziell ist es mir aufgefallen, dass wir bei
Sterilitas matrimonii, wo die durchaus glaubwürdigen Patien¬
tinnen und ihre Männer jede gonorrhoische Infektion negierten,
diese Veränderungen fanden. Zuweilen schon makroskopisch,
öfter aber auch mikroskopisch, liessen sich dann in solchen
Fällen Veränderungen am Processus vermiformis nachweisen,
die eine abgelaufene Appendizitis mit Sicherheit diagnostizieren
liessen.
Und gerade diese Sterilitäten scheinen es auch zu sein, die
eine operativ verhältnismässig günstige Prognose geben. Bei
ihnen kommt es eben nicht so sehr zu einer Endosalpingitis
mit Zerstörung des Tubenepithels und Verschluss des Tuben¬
rohreswielmehr sind es hier gerade meist die perisalpingitischen
Adhäsionen, die man findet und hinter denen man ein offenes,
durchgängiges Tubenrohr durch die Lösung der Adhäsionen
freilegen kann.
Kann man nun durch sorgfältige Wundversorgung ver¬
hüten, dass sich nach der Operation die alten Adhäsionen wieder
bilden, dann ist in der Tat die Konzeptionsmöglichkeit voll¬
auf gegeben und eine von uns so operierte Patientin hat
auch 1X> Jahre p. op. ein ausgetragenes lebendes Kind geboren.
Die ungünstige Prognose der durch Gonorrhöe bedingten
Sterilität ist ja bekannt und ihre operative Therapie meist aus¬
sichtslos. In allen Fällen aber, wo eine Gonorrhöe zweifelhaft
oder sicher ausgeschlossen ist, soll man meines Erachtens
immer an den ursächlichen Zusammenhang mit einer Appen¬
dizitis denken, selbst dann, wenn auch die sorgfältigsten
anamnestischen Nachforschungen einen Anhaltspunkt dafür
nicht geben. Denn das geht aus unseren Unter¬
suchungen ebenfalls ganz zweifellos hervor,
dass selbst die schwersten Formen der Blind¬
darmentzündung unbemerkt oder wenigstens
unbeachtet von der Patientin vorübergehen
können. Die Tatsache, dass man bei 20 — 30 jährigen Indi¬
viduen teilweise oder ganz obliterierte Prozessus finden kann,
ohne dass die Patientinnen von einer früheren Erkrankung
etwas wissen, spricht für diese Auffassung ebenso, wie sie die
Behauptung der physiologischen Obliteration, von der bei so
jungen Frauen doch noch nicht die Rede sein kann, widerlegt.
Diese Befunde alter abgelaufener Entzündungen werfen
aber auch noch ein neues Licht auf ein anderes Krankheitsbild,
das uns Gynäkologen so oft beschäftigt. Ich meine hier die
Schmerzen in der rechten Seite des Unterleibes, bei denen Ver¬
änderungen der Adnexe und des Pelviperitoneums fehlen und
die man früher so oft einfach als Ovarien, Ovarialneuralgien
oder chronische Oophoritis bezeichnete.
Die Aetiologie dieser Beschwerden ist ja in einem grossen
Teil der Fälle auch heute noch eine recht unklare. In neuerer
Zeit fasst man sie zum Teil mehr als Neuralgien im Gebiete des
Ileohypogastrikus auf, wie sie nach akuten Infektionskrank¬
heiten und besonders nach Influenza relativ oft Vorkommen
sollen und es gibt Autoren, deutsche, wie besonders fran¬
zösische, welche die Influenza sogar als die häufigste Ursache
dieser Schmerzen ansehen. Andererseits werden sie aber, und
wohl mit Recht, mit in das Gebiet der Nervosität und Hystero-
neurasthenie eingereiht. Aber man darf mit dieser Diagnose
doch nicht zu freigebig sein. Wir sind nach unserer heutigen
Erkenntnis zu der Ueberzeugung gekommen, dass ein Teil
solcher rechtsseitiger Beschwerden ebenfalls auf eine abge¬
laufene Appendizitis zurückzuführen ist. Fanden wir doch des
öfteren bei solchen Patientinnen deutlich ausgesprochene
Zeichen einer alten akuten Entzündung.
Inwieweit nun diese Veränderungen Beschwerden machen
können, ist eine Frage, die zu beantworten ausserordentlich
schwer ist. Der Wurmfortsatz kontrahiert sich ja und dass
diese Kontraktionen bei Verengerung des Lumens, welche eine
erhöhte Muskeltätigkeit fordert, um den dahinter befindlichen
Inhalt zu entfernen, Schmerzen hervorrufen können, muss wohl
zugegeben werden. Ebenso, dass Verkürzungen und narbige
Schrumpfungen des Mesenteriolums, welche die Streckung des
Prozessus hindern, und besonders auch Adhäsionen durch di¬
rekte Zerrung am parietalen Peritoneum Schmerzen ver¬
ursachen können. Dass ein kotiger Inhalt, eine durchgehende
Kotsäule oder ein Kotstein für den Prozessus etwas Patho¬
logisches nicht bedeutet und als auslösende Ursache der
Entzündung nicht anzusehen ist, steht fest. Diskutierbar aber
ist d i e Frage ganz entschieden, ob nicht durch den Inhalt ge¬
steigerte Kontraktionen ausgelöst werden, die schon imstande
sind, Schmerzen zu erzeugen. Und in der Tat findet man bei
Frauen, die über lebhafte rechtsseitige Schmerzen klagen, bei
der Operation zuweilen nur einen erweiterten, durch reichlichen
Inhalt gespannten Prozessus, der sonst mikroskopisch Wand¬
veränderungen nicht erkennen lässt. Man könnte einen solchen
Befund also wohl schon in ursächlichen Zusammenhang mit den
Beschwerden bringen. Andererseits findet man aber auch
diesen Nebenbefund so oft bei Frauen, welche nie irgendwelche
Schmerzen geäussert haben, dass es schwer fällt, ihm eine kli¬
nische Bedeutung beizumessen. Ich glaube, man kann sich
dahin ausdrücken: Ein grosser Teil dieser rechtsseitigen Be¬
schwerden wird mit Recht ebenso wie die Beschwerden bei der
Ren mobilis und Retrofl. ut. mob. auf eine gleichzeitig be¬
stehende Nervosität oder Hysteroneurasthenie zurückzuführen
sein. Ein anderer Teil ist vielleicht als rein neuralgische Schmer¬
zen aufzufassen, für eine Reihe dieser Fälle sind aber ganz
sicher auch die Folgezustände einer abgelaufenen akuten
Apppendizitis mit vielleicht häufigen leichten Rezidiven an¬
zusehen.
Fasse ich also noch einmal das Resultat der klinisch-histo¬
logischen Untersuchungen zusammen, so ergibt sich, abgesehen
von den bekannten Komplikationen der Gravidität und Tu¬
moren durch eine gelegentliche Appendizitis, folgendes:
1. Die Appendizitis beim Weibe ist nach unseren Unter¬
suchungen unvergleichlich häufiger als man früher annahm und
befällt ca. 60 Proz. aller Frauen schon in der Geschlechtsreife.
2. Es ist deshalb auch der Appendizitis für die Entstehung
entzündlicher Becken- wie Adnexerkrankungen eine weit
grössere Rolle zuzuschreiben als bisher.
3. Speziell ist die Appendizitis in nicht seltenen und vor
allem prognostisch günstigen Fällen als die Ursache einer durch
Tubenverschluss bedingten Sterilität anzusehen.
4. Schliesslich ist ein Teil der früher meist als Ovarie be-
zeichneten rechtsseitigen Unterleibsschmerzen auf die Folgen
einer akuten Appendizitis zurückzuführen.
Der relativ häufige Nebenbefund einer abgelaufenen, oft
unbemerkt vorübergegangenen Appendizitis bei unseren Opera¬
tionen beweist trotz aller gegenteiligen chirurgischen Behaup¬
tungen aber auch weiterhin die relative Gutartigkeit der Blind¬
darmentzündung. Trotzdem aber wird jeder den heutigen
chirurgischen Standpunkt der Frühoperation im akuten Anfall
durchaus billigen, weil eben alle unsere diagnostischen Hilfs¬
mittel, so mannigfach sie auch sind, uns nicht mit Sicherheit
sagen können, wie jeder einzelne Fall verlaufen wird. Da nun
weiterhin nach den verschiedenen Statistiken die eitrige Form
der Appendizitis in 5 Proz., die nicht eitrige in 33 — 100 Proz.
zu Rezidiven neigt, jedes Rezidiv aber die gleiche Mortalität
haben kann, wie der erste Anfall, so ist die Forderung durchaus
korrekt, dass man bei gynäkologischen Operationen auch den
makroskopisch veränderten Prozessus mitentfernen muss,
wenn man einmal gezwungen ist, die Bauch¬
höhle zu eröffnen. Wir sind um so mehi dazu berech¬
tigt, als die Entfernung des Organs einen funktionellen Ausfall
im Haushalt des Körpers bisher nicht ergeben hat. Ausnahmen
hiervon sollte man nur dann machen, wenn es sich um sehr
elende oder durch die vorausgegangene Operation arg mit¬
genommene Patientinnen handelt, bei denen auch die kurze,
durch die in wenigen Minuten auszuführende Appendektomie
bedingte Verlängerung der Operation im Interesse der Kranken
unangebracht erscheint.
Erkennt man die Berechtigung einer solchen Forderung an,
so muss man aber auch der Laparotomie wieder ein weiteres
Gebiet einräumen gegenüber der Kolpotomie, da w ir nui aui
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
dem abdominellen Weg den Processus vermiformis exstirpieren
und mit seiner Entfernung nicht selten erst der Patienten die
sichere Garantie auf einen dauernden operativen Erfolg geben
können. Wir können diesen Weg um so mehr wählen, als wir
bei konsequenter Ausnützung des Pfannen stiel sehen
Querschnittes nach unseren Erfahrungen Hernien so gut wie
überhaupt nicht mehr zu fürchten haben.
Die Bedeutung der Ohrmuschel für das Hören.
Von Prof. Dr. Geigel in Würzburg.
Die Bedeutung der Ohrmuschel für den Hörakt wird ge¬
wöhnlich recht gering eingeschätzt. Man muss dabei wohl
unterscheiden, ob dem Ohr Schallwellen direkt von schwingen¬
den festen, den Ohrknorpel berührenden Körpern oder durch
die Luft zugeleitet werden.
Es liegen Versuche von J. Müller und von Schäfer1)
vor, wonach die Fortleitung des Schalles durch den Ohrknorpel
aufs Trommelfell bei Aufsetzen einer tönenden Pfeife, einer
Stimmgabel unzweifelhaft stattfindet und zwar besser als durch
Knochenleitung. Beim Auskultieren von Herz und Lunge
kommt, wie ich 2) dies durch Versuche vor vielen Jahren be¬
wiesen habe, überhaupt nur diese Art der Fortleitung in Be¬
tracht. Die Schwingungen gehen von der Brustwand auf die
Ohrmuschel direkt, von da auf die knorpelige Wand des Ge¬
hörgangs, auf den knöchernen Teil, das Periost und so auf das
Trommelfell über. Die Leitung durch die Luft (des Gehör¬
gangs, eines Hohlstethoskops) spielt dabei gar keine Rolle.
Damals glaubte ich, das als Erster gefunden zu haben. Ich
habe aber seither in meines Vaters Bibliothek ein Schriftchen
gefunden von Dr. Haupt3), prakt. Arzt in Grossostheim, in
welchem ganz genau und richtig die gleichen Lehrsätze aus
theoretischen Erwägungen abgeleitet sich finden. Es ist nur
eine Pflicht der Gerechtigkeit, hierin J. Haupt das Recht der
Priorität ausdrücklich zu wahren.
Ueber die Funktion der Ohrmuschel als Schallleiter direkt
von festen Körpern aus, ohne Vermittlung der Luft, dürfte nicht
mehr zu streiten sein. Anders liegt die Sache für den gewöhn¬
lichen Hörakt, für die Wahrnehmung von Schallwellen, die dem
Ohr aus der Luft zugetragen werden. Dass hierfür die Ohr¬
muschel auch nicht gleichgültig ist, weiss man aus der Tat¬
sache, dass Abschneiden oder sonstiger Verlust eines Ohres das
Gehör ganz entschieden schlechter macht. Man stellt sich vor,
dass die Ohrmuschel die Schallwellen sammle und wie in einen
Trichter durch Reflexion in den Gehörgang hineinleite. Freilich
die Form der Ohrmuschel scheint für diesen Zweck nicht sehr
passend zu sein und auch gewichtige physikalische Bedenken
anderer Art sind dagegen anzuführen 4). Ein wohl schon von
jedem gelegentlich angestellter Versuch scheint dagegen die
Bedeutung der Ohrmuschel für den Hörakt über allen Zweifel
zn erheben. Wer ein Geräusch in der Ferne deutlich hören
will, legt seine beiden Hände mit dem Daumen an oder ge¬
wöhnlich hinter das Ohr, dabei die Muschel etwas nach vorn
stellend. Die schallverstärkende Wirkung dieser einfachen
Manipulation ist sehr sinnfällig, wovon man sich bei gleich-
mässig andauernden Geräuschen, einem rauschenden Regen
oder dem Singen einer Lampe u. dergl., am leichtesten über¬
zeugt, wenn man die Hände bald anlegt, bald fortlässt. Man
fasst dies wohl allgemein als eine Vergrösserupg der schall¬
aufnehmenden Oberfläche auf, wobei die Ohrmuschel durch die
Hohlhand vergrössert erscheint und ausserdem in ihrer Winkel-
stellung z. B. gegen die von vorn kommenden Schallwellen eine
günstigere Lage einnimmt. Soweit wäre alles in Ordnung und
ich glaube, ich habe bis jetzt nichts neues gesagt. Jetzt kommt
aber noch eine Kleinigkeit. Wenn man sich vorstellt, dass die
Ohrmuschel allein oder vergrössert durch die Hand die Schall¬
wellen der Luft durch den Meatus acusticus dem Trommelfell
0 Schäfer: Nagels Handb. d. Physiol., III. Bd., p. 549, hier-
selbst auch einschlägige Literatur.
s) R- Geigel: Ueber Kommunikationsröhren und Stethoskope.
Sitzungsber. d. Phys. med. Ges. zu Wiirzburg, 15. Dez. 1894, und
Virchows Archiv, Bd. 140.
3) Haupt: Die Schallwahrnehmung bei der Auskultation.
Aschaffenburg, Wilh. Wippen, 1884.
0 Mack und Fischer: Pogg. Annalen, Bd. 149.
übermittelt, so ist dies nur zum geringsten Teil richtig. Viel¬
mehr spielt auch hier wieder die Leitung durch den Knorpel
und Knochen bei weitem die wichtigere Rolle. Davon kann
man sich durch folgende einfache Versuche auf das be¬
stimmteste überzeugen.
1. Man „lausche“ auf ein leises Geräusch, indem man die
Hände dem Ohr nähert, ohne es zu berühren; das Ge¬
räusch wird, wie der Gegenversuch deutlich zeigt etwas lauter,
dem Ohr werden also jetzt mehr Schallwellen übermittelt, ob
der Ohrmuschel oder dem Gehörgang, wollen wir noch nicht
entscheiden.
2. Man wiederhole den Versuch, indem man die Hand d i e
O h r m u s c h e 1, wenn auch nur an einer kleinen Stelle, be¬
rühren 1 ä s s t, und die Schallverstärkung wird auf einmal
unvergleichlich bedeutender. Man glaube nicht, dass dabei ein
besserer Abschluss, ein besserer Anschluss ans Ohr wesentlich
und notwendig sei. Die bedeutende Schallverstärkung tritt
nicht ein, wenn der Rand der Hohlhand der Ohrmuschel aufs
äusserste genähert ist, sie tritt sofort bei Berührung an einer
sehr kleinen Stelle ein. Für die Grösse der Schallverstärkung
ist allerdings die Wahl dieser Stelle nicht gleichgültig, weder an
der Hand, noch am Ohr. Sie wird bedeutender, wenn nicht
dicke fleischige Teile der Hand, wie der Daumenballen, sondern
harte, von dünner Haut überzogene, wie die Gelenke der Finger,
die Ohrmuschel berühren. Sie ist unbedeutend, wenn das
Ohrläppchen berührt wird, am stärksten, wenn die Berührung
die hintere Konvexität des Ohres, den Helix, betrifft. Die
Schallverstärkung, die bei leiser Berührung an kleiner Stelle
sehr unverkennbar ist, wird auch entschieden beträchtlicher,
wenn die Hand an einer grösseren Berührungsfläche und mit
etwas stärkerem Druck angelegt wird, alles Dinge, welche
ganz zwingend darauf hinweisen, dass der Knorpel der Ohr¬
muschel nicht etwa Schallwellen in der Luft reflektiert, sondern
dass er selbst in Schwingungen gerät und diese Schwingungen
auf dem Wege fester Leiter dem Mittelohr übermittelt. Dafür
spricht mit aller Bestimmtheit noch eine weitere Abänderung
des Versuchs. Legt man die Hand nicht mit dem Daumen ans
Ohr, sondern mit dem Kleinfinger, so dass also die Hohlhand
nicht schräg «nach vorn, sondern schräg nach hinten gerichtet
ist, möglichst unzweckmässig also für Fortleitung von Schall¬
wellen in den Gehörgang, so tritt die bedeutende Schallver¬
stärkung dennoch ein.
Die Deutung dieser Versuche ist so einfach wie jene selbst.
Die Ohrmuschel wird durch Schallwellen in Schwingungen
versetzt, leitet sie durch feste Körper dem Trommelfell zu. Die
angelegte Hand vergrössert die Ohrmuschel, so dass mehr
Schallwellen zur Wirksamkeit gelangen. Auch bezüglich der
geringen Schallverstärkung, welche bei angenäherter Hand ein-
tritt, möchte man sich fragen, ob die an der Hand reflektierten
Schallwellen direkt durch den Meatus acusticus durch die Luft
das Trommelfell treffen, oder die Ohrmuschel direkt in Schwin¬
gung versetzen. Das letztere wäre auch möglich und manche
Erfahrung spricht dafür, dass die Luftleitung für das Hören
recht unwesentlich ist. So kann man recht gut hören, wenn
der Gehörgang z. B. durch angesammeltes Ohrenschmalz ge¬
radezu verstopft ist. Falls nicht davon das Trommelfell selbst
berührt und am Schwingen verhindert wird, merken die Leute
gar nicht, dass sie „verstopfte Ohren“ haben. Offenbar reicht
hier die Schalleitung: Ohrmuschel-Knorpel-Knochen-Tronmiel-
fell vollkommen zu einem noch normalen Hören hin. Stände cs
nicht fest, dass einer auch ohne Ohrmuschel hören kann, so
würde ich auf die Luftleitung bis zum Trommelfell gar nichts
geben, so muss ich sie als bei weitem untergeordnet ansehen
gegenüber der Leitung durch feste Körper, wie sie durch den
Knorpel der Ohrmuschel auch dann vermittelt wird, wenn der
Schall nicht von berührenden festen Körpern, sondern wie ge¬
wöhnlich aus der Luft kommt.
Damit ist, glaube ich, der Ohrmuschel eine neue und recht
beträchtliche Bedeutung für das Hören zuzuerkennen. Die
Knorpel der Ohrmuschel nehmen die Schallwellen auf, geraten
ins Schwingen und vermitteln diese Schwingungen ohne Ueber-
gang in Luft durch lauter feste Teile dem Trommelfell.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1479
Aus der Kgl. Universitätsklinik für psychische und Nerven¬
krankheiten in Göttingen (Dir.: Prof. C r a m e r).
Querulatorische Psychosen im Zusammenhang mit der
Arbeiterversicherung.*)
Von Dr. Tintemann, Assistenzarzt.
Seitdem die moderne Sozialpolitik in den letzten Jahr¬
zehnten des vorigen Jahrhunderts in einer berechtigten Für¬
sorge für die arbeitenden Klassen die Gesetze der Unfall- und
Invalidenversicherung geschaffen, hat der ärztliche Stand eine
ungeahnte Ausdehnung und Erschwerung seiner Tätigkeit und
Aufgaben erfahren. Der Arzt sah sich vor ein ganz neues und
unbekanntes Gebiet gestellt, das ihm Aufgaben schuf, die ihm
oft noch erschwert wurden durch den Kranken selbst, der in
einem wohl zu verstehenden Verlangen nach der leicht zu ver¬
dienenden Rente ein vorhandenes oder nicht vorhandenes
Leiden übertrieb. Es waren vor allem die nervösen Erkran¬
kungen in ihrer unendlich mannigfaltigen Form, die zunächst
manche falsche Bewertung erfuhren, bis das ärztliche Wissen
die Höhe der Anpassungsfähigkeit der Rentenanwärter erreicht
hatte. Während nun aber hier durch umfangreiche Arbeiten
ein gewisser Abschluss erreicht ist und die Diskussion über das
Gebiet sich hauptsächlich noch damit beschäftigt, wie dieser
unbeabsichtigten Nebenerscheinung einer humanen Fürsorge am
besten zu begegnen sei, sind wir in der Kenntnis eines ver¬
wandten Gebietes noch weit weniger fortgeschritten, es ist dies
der Zusammenhang von Arbeiterversicherungsgesetzen und
den zu ihrem Inkrafttreten führenden Schädigungen einerseits
und dem Ausbruch von Geisteskrankheiten andererseits.
Wir wissen zwar heutzutage — und die Tatsache ist wohl
ganz allgemein anerkannt — , dass im Gefolge von schweren,
vor allem den Kopf treffenden Traumen schwere, oft rasch letal
verlaufende Geisteskrankheiten (man hat ihnen die Bezeichnung
Kommotionspsychosen zugelegt) auftreten können, ist jedoch
über ihr Zustandekommen bisher lediglich auf Hypothesen an¬
gewiesen gewesen. Es ist angenommen, dass durch die plötz¬
liche heftige Erschütterung des Zentralnervensystemes mole¬
kulare Veränderungen namentlich in der Wand der kleinsten
Gefässe im Gehirn gesetzt würden, die zu Ernährungsstörungen
führen sollen. Die mikroskopische Untersuchung hat erst in
neuester Zeit, diese Annahme stützend, exsudative Prozesse in
den perivaskulären Lymphräumen nachzuweisen vermocht;
doch herrscht über diese Befunde noch keine Einigkeit.
Gegenüber diesen Fällen, wo die Schwere und Art des statt¬
gehabten Traumas eine schädigende organische Ver¬
änderung des nervösen Zentralapparates sicherstellt, oder doch
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen
lässt, gibt es solche, wo das Trauma sozusagen nur eine ver¬
mittelnde Rolle spielt, wo der Unfall derartig gering war, dass
eine organische Veränderung von vornherein ausgeschlossen
und wo gelegentlich sich im Anschluss doch eine Psychose ent¬
wickelt. Zwischen ihnen und den erstgenannten stehen als
Uebergang Fälle, in denen durch das Trauma eine plötzliche
Erschütterung des ganzen Körpers hervorgerufen wird; ob auch
hier die nicht so selten folgende, unter verschiedenen Formen
verlaufende Geisteskrankheit durch immerhin mögliche orga¬
nische Veränderungen bedingt wird, bedarf weiterer ein¬
gehender Untersuchungen.
Bereits bei den Kranken der letztgenannten Form tritt,
wenn wir genau Krankheitsgeschichte und Befund verfolgen,
ein Moment hervor, dessen Vorhandensein für die ganze Auf¬
fassung der Art des Zusammenhanges zwischen Ursache und
Erkrankung nicht ohne wesentliche Bedeutung ist, aber erst in
der letzten Zeit eine weitergehende Würdigung erfahren hat, es
handelt sich hier meist um degenerativ Veranlagte, also Men¬
schen, deren Gehirn von vornherein wenig widerstandsfähig
ist, deren abnorme Veranlagung wir nachzmveisen vermögen
durch das Nebeneinandervorhandensein einer Anzahl von
psychischen und körperlichen Abnormitäten. Einerseits gibt
uns bereits ihre Vorgeschichte darüber Aufschluss, dass schon
in der Familie Nerven- oder Geisteskrankheiten, eventuell be¬
stimmte Stoffwechselstörungen, vorgekommen, anderseits lässt
*) Nach einem Vortrag auf der 42. Versammlung des Vereins der
Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens.
die Untersuchung eine Reihe von Degenerationszeichen er¬
kennen auf körperlichem wie psychischem Gebiet, auffallend oft
findet sich ein leichter Schwachsinn bei ihnen.
Trifft einen derartig labil veranlagten Menschen ein
Trauma, und zwar ein Trauma leichter Art, so kommt es ja
freilich nur in den seltensten Fällen zur Ausbildung einer
echten Psychose; diese Kranken bilden einen grossen Prozent¬
satz der bekannten Unfallneurastheniker und -hysteriker, die
nie ganz über die Folgen eines erlittenen Unfalls hinweg¬
kommen, dauernd Beschwerden behalten und dauernd klagen.
Bei ihnen nun kann es jedoch im Laufe der Zeit, nachdem der
Verletzte immer wieder untersucht, mit seinen Ansprüchen ab¬
gewiesen ist, Berufung eingelegt hat und wieder untersucht ist,
kurz die ganze Skala des umständlichen und für ihn aufregen¬
den Rentenverfahrens durchlaufen hat, zur Entstehung einer
ausgesprochenen Geisteskrankheit kommen. Und zwar trägt
die so entstehende Psychose ein eigentümliches Gepräge. Der
abgewiesene Rentenanwärter, dessen abnorme psychische Ver¬
anlagung bereits betont, glaubt an seine Erwerbsunfähigkeit, hat
auch abnorme Sensationen an der verletzt gewesenen Stelle;
er zieht den Schluss, dass man ihn ungerecht behandle, er
beschwert sich, beginnt zu querulieren, schreibt Stösse von
Eingaben und Beschwerdeschriften. Derartige Psychosen
bieten ein Bild, das sehr dem des echten Querulantenwahn¬
sinns ähnelt.
Ein hierher gehörender Fall, nach einem Unfall entstanden,
wurde im Januar 03 in die K. psychiatrische Klinik aufge¬
nommen zur Abgabe eines Obergutachtens.1)
Es handelte sich um einen stark belasteten und degenerierten
Mann, der 1895 eine Quetschung der Weichteile des linken Unter¬
schenkels erlitten, die ein längeres Krankenlager zur Folge
hatte. Nachdem er IV2 Jahr Vollrente bezogen, wurde er als völlig
erwerbsfähig bezeichnet und ihm die Rente sofort ganz entzogen.
Seitdem führte er um dieselbe einen Kampf. Zu den anfangs
allein geklagten Beschwerden von seiten des verletzten Beines
kamen bald Klagen über allgemein nervöse Beschwerden. Der
Kranke begann im Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, ganze
Konvolute Beschwerdebriefe, zum Teil sehr grober Natur, und
Petitionen zu schreiben, die anfangs an die verschiedenen zuständigen
Instanzen, später bis an das Ministerium und den Kaiser gerichtet waren.
Zur Zeit der Beobachtung bestand eine ausgebildete querulatorische
Psychose, der Kranke war absolut überzeugt von dem ihm wider¬
fahrenen Unrecht und seiner Unfähigkeit wieder zu arbeiten. I11-
telektuell war ein ausgesprochener Schwachsinn nachweisbar.
In dem abgegebenen Gutachten wurde ein Zusammenhang
zwischen Unfall und Geistesstörung angenommen. Darauf wurde
vom Schiedsgericht die Anfrage gestellt, ob diese Geistesstörung als
direkte oder indirekte Unfallfolge aufzufassen sei und ob im letzteren
Fall lediglich der Kampf um die Rente daran schuld sei oder ob
es sich um eine Verschlimmerung eines schon früher bestehenden
abnormen Zustandes durch den Unfall handle. Es wurde dabei die
Entscheidung des Reichsversicherungsamtes vom 21. X. 02 ange¬
zogen: Indirekte Unfallfolgen, die keine Berücksichtigung verdienen,
sind solche, die entstanden sind durch den Kampf um die Rente, also
infolge eines eingebildeten, eine rechtliche Grundlage entbehrenden
Anspruchs auf eine Rente.
Es war also die Frage aufgeworfen, ob durch das (unbe¬
rechtigte) Verlangen nach Rente eine Geistesstörung ausgelöst
werden kann. Für den geistig gesunden Menschen ist diese
Möglichkeit doch entschieden zu verneinen und auch für den
bestehenden Fall ist sie, wenigstens in der gegebenen Fassung,
nicht richtig. Hier ist eine scharfe Trennung zwischen den
Folgen, die dem Trauma und denen, die dem „eingebildeten“
Rentenanspruch zur Last zu- legen, nicht möglich. Der von
vornherein geistig labile und vollkommen nicht urteilsfähige
Mann wird länger als ein Jahr als vollkommen erwerbsunfähig
erklärt, dann soll er plötzlich wieder seine anstrengende Tätig¬
keit (er war Erdarbeiter) in vollem Umfang aufnehmen, darauf¬
hin versagt er. Er sieht nicht ein, dass er wieder völlig er¬
werbsfähig ist, sieht infolge davon auch das Unberechtigte
seines Rentenanspruches nicht ein. Der Unfall bleibt hier doch
immer das auslösende Moment für die Erkrankung, deren letzte
Ursache die abnorme Anlage ist, der die Richtung der Krankheit
bestimmt; es liegt die Verschlimmerung eines schon vorher be¬
stehenden krankhaften Zustandes durch den Unfall vor im
Sinne der Anfrage.
Q cf. Weber: Die akute Verschlimmerung von Geistesstö¬
rungen nach Unfällen. IV. Internationaler Kongress für Versicherungs¬
medizin.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Dass immerhin eine bedeutende Rolle bei dem Zustande¬
kommen der Psychose der Kampf um die Rente spielen muss,
zei^t der folgende Krankheitsfall, wo eine derartige Erkrankung
unter dem Hilde des Querulantenwahnes hervorgerufen wird
durch die Ablehnung eines Antrages auf Invalidenrente ohne
Einwirkung eines äusseren Unfalles.
Im Februar 1907 wurde der ehemalige Steiger X. in die Klinik
aufgenommen. Der Kranke war bis zum Jahr 1896 als Steiger in
einem Bergwerk in Stellung gewesen. Damals gab er seine Stellung
auf wegen einer rheumatischen Erkrankung, und erhob Anspruch auf
Invalidenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er wurde nach einer
Untersuchung in Halle mit seinen Ansprüchen abgewiesen. Er führte
dann um die Rente einen Prozess, der zu seinen Ungunsten ent¬
schieden wurde. Dabei beruhigte er sich nicht, strengte weitere
Entscheidungen an, die sämtlich gegen ihn fielen. In dem Gefühl,
ungerecht behandelt und vollkommen erwerbsunfähig zu sein, suchte
der Mann keine neue Arbeit, vernachlässigte seine Familie und
trieb sich umher. Er geriet oft in Konflikt mit den Behörden. So
schickte er 1900 ein Kind tagelang nicht zur Schule, da er ihm keine
Schuhe kaufen wollte, um seine Bedürftigkeit zu beweisen. Er
wurde zunächst zu einer Geldstrafe verurteilt, musste dann die
Strafe im Gefängnis abbiissen, da er nicht zahlte und ungebührlich
wurde. Als er entlassen war, beschuldigte er seine Frau zunächst,
dass sie veranlasst habe, dass er in das Gefängnis gekommen, dann
schob er ihr auch die Schuld zu, dass ihm die Rente, „die ihm durch
das Gericht zugesprochen“, nicht ausbezahlt würde, sie nehme, vom
Magistrat seines Wohnortes beeinflusst gegen ihn Partei.
Im Winter 1900 verliess er seine Familie, trieb sich umher,
wurde mehrmals als obdachlos in Polizeigewahrsam genommen und
kam endlich in das Armenhaus. Dort nörgelte er an allem herum,
beschwerte sich über Wohnung, Essen, das auf Veranlassung des
Bürgermeisters, der ihn kränker machen wolle, so schlecht sei.
Eines Tages griff er den Hausverwalter tätlich an, weil er ihm das
ihm zustehende Geld nicht auszahle, und wurde daraufhin der Pro¬
vinzialheilanstalt zugeführt.
Die Untersuchung des Kranken ergab zunächst einen ausge¬
sprochen degenerativen Habitus mit einer ganzen Anzahl von De¬
generationszeichen und einem deutlich nachweisbaren, ziemlich aus¬
gesprochenen Schwachsinn, dessen Folge, eine Urteilsschwäche,
schon in der ganzen Art und Ausbildung des bestehenden Wahn¬
systems zutage trat. Es gibt in seinem Denken, das vollkommen
beherrscht wird von dem Kampf um seine Rente, eine Anzahl Punkte,
die im Lauf der Zeit für ihn absolut feststehende Dogmen geworden
sind, und über die eine Diskussion mit ihm absolut ausgeschlossen.
Das erste ist die feste Ueberzeugung seiner völligen Erwerbunfähig¬
keit, deren reelle Unterlagen ein chronischer Nasenrachenkatarrh,
ein Emphysem und unbedeutende Gelenksveränderungen er sofort
dem Fragenden aufzählt. Zurzeit besteht daneben noch eine chro¬
nische Nierenerkrankung, über deren Entstehen, das in die letzten
Jahre fällt, nichts bekannt ist, und von deren Vorhandensein der
Kranke ebensowenig zu überzeugen, wie von der geringen Be¬
deutung der übrigen Krankheitserscheinungen. Die aus diesen
resultierenden Erscheinungen haben im Vorstellungsleben des Kran¬
ken eine hypochondrische Ueberwertigkeit erlangt, er spuckt und
räuspert den ganzen Tag, feuchtet den trockenen Hals dauernd durch
Wassertrinken an — er trinkt am Tag bis 10 Glas — nörgelt dauernd,
bald ist es zu warm, bald zu kalt für seinen Rheumatismus, be¬
schwert sich fortwährend, geht selbst im Zimmer nie ohne Hut.
Ebenso fest steht bei ihm die Ueberzeugung, dass seine Pro¬
zesse gewonnen sind. Das für ihn obsiegende Urteil liegt beim
Magistrat seines Wohnortes, der Bürgermeister, der jetzt im Brenn¬
punkt seines Wahnsystems steht, gibt das Urteil nicht heraus, um
ihm die grosse Entschädigungssumme nicht auszahlen zu müssen.
Die ihm zu zahlende Summe, deren Anwachsen er fortdauernd mit
Zahlen belegt, beträgt zurzeit nicht weniger als 385 000 M., ein
weiterer Beweis seiner Urteilsschwäche. Der Bürgermeister, dessen
Schurkereien er zum Opfer gefallen, hat auch seine Unterbringung
in der Anstalt bewirkt, um ihn kränker zu machen. Er wird aber
seines Amtes entsetzt werden, wenn der Kranke nicht in kurzer
Zeit entlassen, denn Schurkerei im Amt hat nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch Absetzung ohne Kündigung zur Folge, die Anstalts¬
direktion beauftragt er mit der Aufsetzung des entsprechenden Ge¬
suches.
Wenn ich noch einmal kurz wiederholend den Verlauf des
Krankheitsbildes zusammenfasse, ergibt sich Folgendes: Ein
stark degenerativ veranlagter, nachweisbar schwachsinniger
Mann, an einer Anzahl körperlicher Krankheitszustände leidend,
wird mit dem nach seiner "Ansicht berechtigten Anspruch auf
Invalidenrente abgewiesen, er strengt Prozess auf Prozess an,
wird immer wieder abgewiesen. Im Anschluss bildet sich bei
ihm ein Wahnsystem.
Auch hier tritt im Krankheitsbilde das Querulieren hervor,
doch ist es kein echter Querulantenwahnsinn. Die Urteils¬
schwäche gibt dem ganzen Bild ein charakteristisches Gepräge
— auf der einen Seite hat der Bürgermeister die Macht, einen
Menschen einzusperren und kränker zu machen, auf der andern
wird er auf Betreiben desselben binnen wenigen Tagen ab¬
gesetzt — und unterscheidet es von dem des echten Queru¬
lantenwahnes.
Auch unter die Formen der hypochondrischen Paranoia
lässt sich die Krankheit nicht einreihen. Der Kranke rechnet
nur mit reellen, wirklich vorhandenen Krankheitssymptomen,
denen er allerdings eine zu schwere Bedeutung beimisst; er
hat tatsächlich infolge des fortwährenden Würgens und
Spuckens, das er sich angewöhnt, oft Blutstreifen im Auswurf,
es fehlt ihnen vollkommen etwas Wahnhaftes.
Beide im Vorstehenden wiedergegebenen Krankenge¬
schichten sind Fälle desselben Typus, charakterisiert durch eine
ausgesprochene Neigung zum querulieren, bei beiden spielen
dieselben ätiologischen Momente eine Rolle, die degenerative
Anlage, kompliziert durch einen nachweisbaren Schwachsinn
und der Kampf um die Rente, dort infolge eines Unfalles, hier
nach Ablehnung eines Invalidenrentenantrages.
Welche Bedeutung haben nun diese Faktoren für das Zu¬
standekommen der Erkrankung? Es ist bereits oben hervor¬
gehoben worden, dass nach neueren Beobachtungen bei einem
grossen Teil der im Anschluss an einen Unfall entstehenden
Neurosen und psychischen Erkrankungen diese degenerative
Anlage nachweisbar ist, abgesehen natürlich von den echten
Kommotionspsychosen, bei denen die Verletzung organische
Veränderungen im Gehirn hervorruft.
Es ist durch den abnormen Geisteszustand eine Prädis¬
position zur Erkrankung geschaffen, ein derartiges Gehirn
unterliegt schädigenden Einflüssen, mögen sie bedingt sein in
reellen wirklich vorhandenen Einwirkungen der Aussenwelt,
wie sie ein Unfall oder in rein psychischen Momenten bestehen,
wie sie die Aufregungen eines langwierigen Rentenverfahrens
mit sich bringen, leichter, das Vorstellungsleben dieser
Menschen wird leichter in abnorme Bahnen gedrängt.
Zum Zustandekommen eines derartigen einsichtslosen
Querulantentums, wie es in den voraufgehenden Fällen ge¬
schildert, genügt aber die degenerative Anlage allein nicht, es
muss zu ihr noch etwas hinzukommen, das ist ein gewisser
Grad von Schwachsinn mit Einschränkung der Urteilsfähigkeit.
Auf diesen so vorbereiteten Boden wirkt der zweite
Faktor, der Unfall, mit dem folgenden Streitverfahren,
resp. dieses allein als auslösendes Moment für die Geisteskrank¬
heit. Er gehört zum Zustandekommen dieser so gearteten
Psychose ebenso unbedingt wie der erste, er bestimmt aus¬
schliesslich ihre Form und ihren Verlauf, bestimmt die Form
des Wahnsystems. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass
ein derartig labiles Zentralnervensystem nicht auch auf eine
andere es treffende Schädlichkeit mit einer Psychose reagieren
würde, aber dieselbe würde dann unter einem anderen Bilde
verlaufen.
Wir müssen demnach die Erkrankung im Zusammenhang
stehend nur als Folge des Rentenverfahrens und damit event.
auch als Folge eines vorausgegangenen Unfalles annehmen,
betonend, dass sie nur auf einem vorbereiteten Boden zur Aus¬
bildung kommt.
An den ersten Fall möchte ich noch eine praktische Be¬
merkung anfügen. Es hätte sich hier die Psychose vielleicht
vermeiden lassen, wenn dem Kranken die Rente nicht plötzlich
und ganz, sondern stufenweise entzogen worden wräre. Der
schroffe Uebergang zwischen einem Leben, wo der Kranke
nichts zu tun brauchte, und der plötzlichen Notwendigkeit,
wieder in vollem Umfange allein den Kampf um das tägliche
Brot aufzunehmen, musste bei dem labilen psychischen Vor-
stellungsleben des Mannes ungünstig wirken, abgesehen davon,
dass ein solcher schroffer Uebergang bei der Art des Leidens
kaum vorhanden gewesen. Die Zahl der Fälle, in denen gerade
durch eine derartige plötzliche völlige Entziehung einer Rente
nach erlittenem Unfall Menschen mit einem wenig widerstands¬
fähigen Zentralnervensystem dauernd der Versicherung zur
Last liegend werden, ist nicht klein.
Herrn Professor Crarner bin ich für die Anregung zu
der Arbeit zu Dank verpflichtet.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1481
Zur Operation des Mastdarmkarzinoms.
Von Dr. Fritz B e r n d t,
leitendem Arzte der chirurgischen Abteilung am städt. Kranken¬
hause zu Stralsund.
Mit den von S u d e c k in No. 27. dieser Wochenschrift
besprochenen Problemen habe ich mich seit längerer Zeit be¬
schäftigt; ich bin dabei, zum Teil auf Grund eigener trüber
Operationsresultate, zu folgenden Schlüssen gekommen:
Die Hauptgefahren der Mastdarmexstirpation sind 1. die
Darmgangrän und 2. die Infektion der Bauchhöhle und Wunde.
Nur eine Operationsmethode, die beides mit Sicherheit
vermeidet, wird uns bessere Resultate liefern als bisher.
ad 1. Auch die genaueste anatomische Kenntnis der nor¬
malen Gefässversorgung des Mastdarms schützt nicht vor einer
Darmgangrän, da es am Lebenden bei nur einigermassen fett¬
reichem Mesenterium ganz unmöglich ist, sich so genau, wie
es nötig wäre, über die vorliegenden Gefässverhältnisse zu
orientieren, ganz abgesehen von Anomalien des Gefässverlaufs
und Verschiedenheiten in der Stärke der vorhandenen Anasto-
mosen. Deshalb werden wir am sichersten gehen, wenn wir
a) auf die primäre Herstellung definitiver Verhältnisse ver¬
zichten, also zweizeitig operieren (wie früher schon R e h n
angedeutet hat) und
b) einen möglichst hohen Darmteil zur späteren Einpflan¬
zung in den Anus ins Auge fassen, z. B. prinzipiell die
Flexura sigmoidea, deren Gefässverhältnisse wesent¬
lich günstigere sind als die der tieferen Darmpartien und deren
meist langes Mesenterium ein Herabziehen ohne alle Spannung
zulässt. , „TT , ,
ad 2. Die Infektion der Bauchhöhle und Wunde kann mit
absoluter Sicherheit nur vermieden werden, wenn man
jede Durchtrennung oder Eröffnung des Darmes innerhalb
derselben vermeidet.
Nach diesen Gesichtspunkten habe ich mir folgenden
Operationsplan entworfen:
1. Schnürnaht, die den Anus sicher verschliesst.
2. Inzision am linken Rande des Os coccygis und sacrum
bis auf den Mastdarm. Die Wunde wird mit Mull tamponiert.
3. Bauchschnitt in der Mittellinie (oder Bogenschnitt ober¬
halb der Symphyse). Ablösen des Darms nebst Lymphdrüsen
unter sorgfältiger Blutstillung und Hinausschieben desselben
aus der Inzision neben dem Sakrum. Sorgfältige Vernähung
des Peritoneum um den herabgezogenen Darm. Beim Manne
wird dazu das Blasenperitoneum, beim Weibe Uterus und Lig.
lata benutzt. Schluss der Bauchhöhle. Die Beckenwunde, die
nun völlig extraperitoneal liegt, wird tamponiert, die lange, vor¬
gezogene Darmschlinge in Mull eingehüllt. Damit ist der
I. Akt der Operation beendet.
Der II. Akt folgt, sobald die Darmgangrän sich markiert
hat. Er besteht in der Entfernung des Karzinoms nebst dem
gangränös gewordenen Darmabschnitt durch Paquellin, Duich-
ziehen des oberen Darmteils durch den Anus und Fixation des¬
selben mit einigen Nähten.
Sollte die Eröffnung des Darmes, z. B. zur Entleerung von
Gas und Kot, schon in den ersten Tagen nötig erscheinen, so
würde trotzdem eine Gefahr für die Wunde damit nicht ver¬
bunden sein, da die lange Darmschlinge in ein Gefäss geleitet
und so gelagert werden könnte, dass eine Verunreinigung der
Wunde mit Sicherheit vermieden wird.
Ob dieser Plan praktisch brauchbar ist, muss die Zukunft
lehren.
Ueber ein diagnostisches Symptom bei Appendizitis.
Von Dr. Ludwig Tretzel in Würzburg.
Herr Dr. M. B 1 u m b e r g in Berlin -veröffentlicht in No. 24
dieser Wochenschrift ein noch nicht allgemeiner bekanntes Symptom
zur Frühdiagnose der Appendizitis, bestehend in einer von ihm
näher charakterisierten Schmerzhaftigkeit der entzündeten Stelle bei
raschem Zurückgehen der palpierenden Hand (im Vergleiche mit dem
gewöhnlichen Druckschmerze). Ich kann diese Beobachtung Blum-
b e r g s durchaus bestätigen, denn diese Erscheinung war mir schon
seit Jahren aufgefallen und wurde von mir als diagnostisches Hilts-
mittel bei genannter Erkrankung benützt; ich machte, auch mehrere
Kollegen, so schon vor Jahren auf der hiesigen medizinischen Klinik,
No. 30.
I auf dieselbe aufmerksam und wurde meine Beobachtung von ver¬
schiedener Seite (u. A. von Herrn Dr. H. Hof mann, I. Assistenzarzt
des Juliusspitals) bestätigt.*) Es liegt mir selbstverständlich ferne,
hier gewissermassen einen Prioritätsanspruch zu erheben, ich möchte
jedoch nicht zögern, jetzt gleich meine übereinstimmenden Erfah¬
rungen mitzuteilen. Das betreffende Symptom findet sich in der Tat
bei allen peritonitischen Entzündungs- bezw. Reizzuständen, daher
fast regelmässig bei Appendizitis, wo es bei schwereren Fällen stets
.nachzuweisen ist, weshalb es prognostisch und therapeutisch sehr
wichtig ist. Doch auch bei peritonitischen Adnexerkrankungen, wie
dies auch Blumberg hervorhebt, usw.; ferner liess es sich bei
gewissen Formen von Ulcus ventriculi konstatieren.
Dagegen findet man es fast nie bei anderweitigen Erkrankungen
•des Unterleibs wie Darmkatarrh, Koliken, Koprostasen, meteoriti¬
schen Zuständen, Ileus; auch nicht bei Neuralgien, weshalb die Ab¬
wesenheit der Schmerzhaftigkeit beim schnellen Zurückgehen der
palpierenden Hand (eigentlich dem „Zurückschnellenlassen“ der betr.
Weichteile) im Gegensätze zu dem meist vorhandenen Druckschmerze
gerade bei den differentialdiagnostisch oft Schwierigkeiten bereitenden
Ovarialneuralgien etc. von grosser Bedeutung ist.
Allerdings verliert dieses Symptom seinen Wert bei vorgeschrit¬
tenen, appendizitischen Erkrankungen, bei Exsudatbildung nach er¬
folgter Perforation usw.; in solchen Fällen erscheint die brüske
Durchführung dieser Palpationsmethode sogar nicht unbedenklich, da
das rasche Zurückschnellen der elastischen Weichteile durch Ver¬
letzung schützender Adhäsionen leicht eine Weiterverbreitung des
peritonitischen Prozesses veranlassen könnte. Ich bin aber über¬
zeugt, dass das geschilderte Symptom — bei Anwendung der nötigen
Vorsicht — ein wertvolles Hilfsmittel zur Frühdiagnose aller schwe¬
reren, mit Perforation drohenden Appendixerkrankungen ist, weshalb
ich — in Uebereinstimmung mit Herrn Dr. Blumberg — eine
Nachprüfung von Seite der über ein grösseres Krankenmaterial ver¬
fügenden Kollegen dringend empfehlen möchte.
Aus dem Heiliggeist-Hospital (med. Abteilung) in Frankfurt a.M.
(Chefarzt: Prof. G. T r e u p e 1).
Zur klinischen Verwertbarkeit der Buchnerschen
Eiweissbestimmung im Harn.
Von Dr. med. W. E n g e 1 s, früherem Assistenten am Hospital.
Auf Veranlassung von Herrn Prof. Treupel habe ich
den von Büchner angegebenen, in der Münch, med. Wochen¬
schrift. 1906, No. 24 beschriebenen Albuminimeter auf seine
Verwertbarkeit für die klinische Eiweissbestimmung nachge¬
prüft. Wie Büchner bemerkt, eignet sich sein Albumini¬
meter besonders für Harne, die 0,1 bis 3,0 Prom. Eiweiss ent¬
halten. Nach meinen Untersuchungen kann ich dies durchaus
bestätigen. In diesen Grenzen erhielt ich durchweg richtigere
Resultate als mit der alten Esbach sehen Methode. Dagegen
erwies sich bei höheren Eiweissmengen, d. h. von 3,0 bis 10,0
Prom., die E s b a c h sehe Bestimmung als die genauere. Noch
höhere Eiweissmengen werden von beiden Albuminimetern in
durchaus ungenügender Weise angegeben.
Folgende Tabelle möge das Gesagte bekräftigen.
Eiweissharne
Eiweissgehalt
pro Liter
Gewichtsanalytisch
Büchner
Esbach
0,15
0,18
0,0
r-1
0,28
0,2
0,0
c
o
0,32
0,3
0,0
V-
Oh £
0,70
0,8
0,4
G 'S
0,88
0,95
0,7
rö ^
1,00
1,1
0,8
.ZÜLJ
2,10
2,0
2,5
X5
2,46
2,3
3,0
t—H
2,68
2,5
3,1
cT
2,84
2,6
3,2
’ 3,52
3,0
3,6
o
4,02 '
3,2
4,0
C/3 O
6,54
4,2
5,8
rO
8,31
6,3
7,7
CO
9,84
7,8
8,8
11,84
8,4
9,2
w e
12,50
8,7
9,7
<D O
14,93
9,9
11,0
O) Pu
15,86
9,8
12,0
o
l 18,62
11,7
14,1
*) In der Sitzung der Berliner med.
Gesellsch. vom 19. Juni d. J.
(ref. in
der Berl. klin. Wochenschr. No.
26) erwähnte
übrigens aucn
Ewald, dass ihm dieses Symptom bekannt sei.
3
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Wir können also den Büchner sehen Albuminimeter für
den klinischen Gebrauch sehr wohl empfehlen, so lange es
sich um Harne handelt, die nicht mehr als 3,0
P r o m. E i w e i s s enthalten. Hat er doch vor dem Esbach-
schen den nicht zu verkennenden Vorteil, bereits nach 1 Stunde
das Resultat zu liefern. Bei höheren Eiweissmengen, die jedoch
1,0 Proz. nicht übersteigen dürfen, müssen wir die alte Es-
bac h sehe Methode vorderhand beibehalten. Für die höchsten
Werte fehlt uns eine einfache, hinreichend genaue Bestim¬
mungsweise.
Ueber einen mit Streptokokkenserum Menzer be¬
handelten Fall von puerperaler Pyaemie.
Von Dr. Bewersdorff in Wansen.
Den bisher über die Anwendung des Menzer sehen
Streptokokkenserums bei puerperalen Infektionen veröffent¬
lichten Erfahrungen *) möchte ich die folgende Beobachtung an¬
fügen :
Frau B. aus K., Arbeiterfrau, 29 Jahre, II. Para.
Partus: 8. II. Schädellage. Geburt nur von der Hebamme ge¬
leitet, die 4 mal (!) innerlich untersucht hat. Kurz nach der Geburt
des Kindes, vor Ausstossung der Nachgeburt, soll ziemlich starke
Blutung eingetreten sein, die aber stand, als die Hebamme durch
Reiben den Uterus zur Kontraktion gebracht und die Nachgeburt
durch Crede sehen Handgriff herausbefördert hatte.
Am 11. und 12. Februar bereits Unbehagen. Am 12. Februar
abends gegen 8 Uhr starker Schüttelfrost, sodass Patientin angeblich
kaum im Bett gehalten werden konnte. Die hinzugerufene Hebamme
stellte angeblich Temperatur von 40,3° C, fest, wollte aber von der
Hinzuziehung eines Arztes noch nichts wissen. Während der Nacht
noch mehrfache Schüttelfröste.
13. II. Mittags wieder Schüttelfrost, die Hebamme misst 40,1 0 C.
Der Ehemann dringt auf ärztliche Hilfe, obwohl die Hebamme auch
jetzt noch nichts davon wissen will! Gegen 2 Uhr 30 Min. nach¬
mittags treffe ich bei der Wöchnerin ein.
Patientin aufs äusserste geschwächt, in Schweiss gebadet. Be¬
fund an den Genitalien gibt nichts anormales. Uterus gerade noch
über der Schossfuge zu palpieren. Leib nirgends druckempfindlich.
Keine Blutung aus der Scheide. Nur ganz minimale Lochialsekretion,
nicht übelriechend. Temperatur 39,9 a, Puls 160.
Der unverhältnismässig hohe Puls im Verein mit den Schüttel¬
frösten und der Temperatursteigerung lassen mich beim Fehlen irgend¬
welcher sonstigen pathologischen Veränderungen zu der Diagnose,
septische Thrombose in den inneren Genitalvenen (Uterina oder
Spermatika) kommen. Vorläufige Therapie besteht in roborieren-
den, auf Erhaltung eines möglichst guten Allgemeinbefindens be¬
dachten Massnahmen und milden hydrotherapeutischen Verord¬
nungen.
14. II. 07. Morgens hat die Hebamme 39,9° gemessen. In der
Nacht sind noch mehrfache (4) starke Schüttelfröste aufgetreten.
Ich stelle mittags 12 Uhr fest: 38,9, Puls 144. Hochgradige
Schwäche.
15. II. 07. Allgemeinbefinden etwas besser. 4 Uhr nachmittags:
Temperatur 38,2°, Puls 120. Nachts wieder 2 Fröste eingetreten.
Keine Venenschwellung oder Schmerzhaftigkeit an den Beinen oder
im Leibe zu konstatieren.
16. II. 07. Früh Temp. 38,3°, mittags: Temp. 38,7°, Puls 130.
Injektion (subkutan) von 20 ccm M e n z e r sches Serum in den linken
Oberschenkel. Abends: Temp. 38,2°.
17. II. 07. In der Nacht vom 16. — 17. ein sehr starker Schüttel¬
frost. Früh: Temp. 37,7°, mittags: Temp. 38,3°, Puls 100. In¬
jektion von 10 ccm M e n z e r sches Serum. Abends: Temp. 39,1°.
18. II. 07. Früh: Temp.: 37,7°, mittags: Temp. 37,3 a, Puls 90.
Kein Schütelfrost mehr. Abends: Temp. 36,9°.
Von nun an steigt die Temperatur überhaupt nicht mehr über
37,2°; Schüttelfröste treten gar nicht mehr auf. Der Puls geht eben¬
falls langsam zur Norm zurück. Das Allgemeinbefinden ist ausge¬
zeichnet. Am 28. Februar kann ich die Patientin aus meiner Be¬
handlung entlassen. Auf Erkundigungen hin erfahre ich, dass Patientin
sich auch jetzt noch eines ungestörten Wohlseins erfreut. Schüttel¬
fröste sind nicht mehr aufgetreten.
Dass es sich um einen schweren Fall sogen, puerperaler
Pyämie handelte, ist wohl nach dem erhobenen Befunde (starke
Schüttelfröste, erhebliche Schweissekretion, die hohen Tem¬
peraturen bis 40,3° und vor allem der sehr erhöhte Puls) ohne
weiteres klar. Soll nun in diesem Falle die Besserung bezw.
Heilung auf Kosten des Streptokokkenserums Menzer gesetzt
werden oder ist sie als „Spontanheilung anzusehen?
) Siehe Burkhardt, Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. LIII,
Heit 3; Martin, Berlin, klin. Wochenschr., 1906, No. 29; Schäf-
f e r, Der prakt. Arzt, 1907, No. 1 und 2.
Gewiss hatten wir es, als das Serum zur Anwendung kam,
nicht mehr mit diesen exzessiv hohen Temperaturen zu tun,
auch die Schüttelfröste traten nicht mehr in so kurzen Inter¬
vallen auf. Aber es ist ja gerade das Charakteristikum der
Pyämie, dass nach einem Stadium, angefüllt mit so beängstigen¬
den Symptomen, wie in unserem Falle, eine Periode relativen
Wohlbefindens folgt. Leider setzen für gewöhnlich aber nach
mehr oder minder langer Ruhe dieselben heftigen und be¬
ängstigenden Erscheinungen wieder ein. In unserem Falle
jedoch blieben nach der Seruminjektion die Ruhe bezw. der
Heilungsprozess ungestört. Nach der ersten Injektion machte
sich nur noch ein Schüttelfrost bemerkbar; am Abend nach
der zweiten Injektion war normale Temperatur vorhanden, die
von da an auch normal blieb.
Man braucht kein Anhänger des „Post hoc, ergo propter
hoc“ zu sein, um, bei Berücksichtigung des Verlaufes und der
schlechten Prognose der puerperalen Pyämie im allgemeinen,
in diesem speziellen Falle dem Menzer sehen Serum einen
entscheidenden therapeutischen Einfluss einzuräumen. Jeden¬
falls werde ich nicht versäumen, in Zukunft bei ähnlichen
Fällen unverzüglich das Serum in Anwendung zu bringen.
Ueber die Behandlung der angeborenen Lebensschwäche.
Von Prof. Meinhard Pfaundler.
(Fortsetzung.)
A. Die physikalische Therapie; die Minderung
der Kraftausgaben.
Die hauptsächlichste Kraftausgabe kommt, wie erwähnt
wurde, zustande durch die Wärmeabgabe (und Wärmebindung)
an der Haut- und Lungenoberfläche (Leitung, Strahlung,
Wasserverdunstung, Austausch körperwarmer Atmungsluft
gegen kältere). Es liegt sehr nahe, hier Abhilfe zu schaffen.
Dem beim Debilen durch diese Vorgänge bedingten Energie¬
verlust zu steuern, ist seit vielen Jahrhunderten Gepflogenheit,
ja es geschieht instinktiv, da wir einschlägigen Vorkehrungen
(in Anwendung auf Neugeborene überhaupt) in der Reihe der
warmblütige^ Tiere mannigfaltig begegnen.
Das Prinzip ist also ein altes, die Methodik aber hat in
vielen Wandlungen stetige und namhafte Fortschritte gemacht.
DieAufgabe, die sie sich stellt, gehtnamentlich dahin, den Wärme¬
verlust durch Herstellung eines möglichst niederen Temperatur¬
gefälles zwischen dem kindlichen Körper und seiner nächsten
Umgebung einzuschränken. Diese Aufgabe wird völlig ver¬
kannt, wenn man — wie noch sehr allgemein üblich — von
einer „Wärmezufuhr“ zum kindlichen Körper spricht;
einige Autoren 10) unterscheiden förmlich zwischen der Ver¬
hütung von Wärmeverlust einerseits und der Wärmezufuhr
anderseits als zwei differenten Methoden des Vorgehens. Tat¬
sächlich sind wir aber nicht in der Lage, einem Kinde (anders
als in Form von Nahrung) nutzbringende Wärme z u -
zuführen. Es ist nach physikalischen Gesetzen klar, dass
eine direkte Zufuhr von Wärme nur dann zustande kommen
kann, wenn ein Temperaturgefälle von der Umgebung nach dem
kindlichen Körper zu statthat, d. h. wenn die Umgebung höher
temperiert ist, als das Kind. Seitdem wir über zweckmässig
eingerichtete und exakt kontrollierbare Wärmeapparate für
Debile verfügen, wissen wir, dass eine Einstellung der um¬
gebenden Luft über die normale Körpertemperatur nur schäd¬
lich wirkt (vielleicht abgesehen von der Erwärmungsperiode
subnormal Temperierter) und auch in den Versuchen von
Eröss mit Wärmewannen ersieht man aus den Protokollen,
dass jedesmal Unruhe, Röte, Schweiss, Temperatursteigerung,
Dyspnoe etc. auftrat, wenn die dem Körper anliegende Luft-
10) Vergl. z. B. Berthod: „L’indication therapeutique n’est
donc pas tant d’empecher Le foetus de perdre sa chaleur que de lui
en fournir artificiellement“. Eröss: „Diesen Kindern gegenüber (ge¬
meint sind hypothermische Debile) wird also nicht die Beschränkung
der Abkühlung unsere Aufgabe sein, sondern dass wir dem Organis¬
mus von aussen Wärme zuführen, welche, gepaart mit der durch den
Organismus erzeugten Eigenwärme nicht nur die Temperatur des
Körpers, sondern dessen sämtliche vegetative Prozesse steigern soll.“
B e r t h o d: La couveuse et la gavage ä la maternite de Paris. These
de Paris 1887. Eröss: Ueber den Einfluss der äusseren Temperatur
auf Körperwärme, Puls und Respiration junger Säuglinge etc. Zeit¬
schrift f. Heilk. 1884, Bd. V.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1483
Schicht mehr als Körpertemperatur erreichte, wenn also die
Bedingungen einer wirklichen Wärmezufuhr gegeben waren.
Die einzig und allein anzustrebende Verhütung zu grosser
Wärmeverluste kann in gewissem Masse schon durch die Wahl
einer geeigneten Kleidung für das Debile erreicht
werden. Nach Form und Schnitt kann es die übliche Kleidung
sein, doch empfehlen sich dichter gefügte, und — soweit keine
Durchnässungsgefahr in Betracht kommt — wollene Stoffe.
Die von Assmuss jüngst empfohlene Bekleidungsart findet
hier vielleicht ein Indikationsbereich. Im übrigen ist auch die
altbewährte Wattepackung durchaus nicht unzweckmässig —
trotz des Einspruches von E r ö s s, der gefunden hat, dass sie
nicht mehr leiste, als die gewöhnliche Kleidung. Es handelt
sich nämlich bei ihr gar nicht so sehr um die vermehrte
Leistungfähigkeit in dem vermeinten Sinne, als vielmehr darum,
dass beim Wattegebrauch anlässlich der Reinigung und
Trockenlegung des Kindes die Körperhülle nur teilweise zu er¬
setzen und dadurch eine Abkühlung leichter zu vermeiden ist.
Ueberdies steht fest, dass sich die Wattepackung nach vor¬
liegenden Berichten in ganz exzessiven Fällen von Frühgeburt
sehr gut bewährt hat. Der Erfolg entscheidet.
Als Kuriosum sei erwähnt, dass Schnitze Glaswolle
als Körperhülle für Debile empfiehlt.
Die Bewegungsfreiheit darf auch dem debilen Kinde durch
die Kleidung nicht benommen werden. Es ist ein besonders
hochzuschätzender Vorteil der gleich zu erwähnenden Wärme¬
apparate, dass sie die Kleidung ganz oder fast ganz entbehrlich
machen.
Die Wärmeabgabe wird weiterhin vermindert durch die
höhere Temperierung der das Kind umgebenden Luft, sowie
durch deren stärkere Befeuchtung (Verminderung des Tem¬
peraturgefälles und der Wasserverdunstung an der Körperober¬
fläche). Dies kann erreicht werden durch die Anwendung
von Wärmeflaschen, Wärmekissen, Wärmewannen, Wärme¬
platten, Vorrichtungen, die in Findel- und Gebärhäusern schon
seit mehreren Dezennien in Gebrauch stehen (v. R ü h 1 -
St. Petersburg 1835, Denuce-Paris 1858, C r e d e - Leipzig
1860 etc.). Die Leistungen solcher Apparate wurden von
Eröss zum Gegenstände eingehender, gewissenhafter Unter¬
suchungen gemacht, wobei ihre prinzipielle Verwendbarkeit,
aber auch gewisse Nachteile bei ihrem Gebrauche, wie Ueber-
hitzungsgefahr, erschwerte Kontrolle der Wirkung etc. zum
Ausdrucke kamen.
Weit vollkommener erreicht man den Zweck zweifellos
durch das konstante, warme, feuchte Luftbad, das insbesondere
nach dem Prinzipe des thermostabilen Brutschrankes gebaute
Apparate, die sogen. Couveusen, bequem anzuwenden ge¬
statten. Couveuse heisst zu deutsch Bruthenne; durch eine
doppelte Uebertragung kamen jene Apparate zu der eigentüm¬
lichen Bezeichnung „Couveuses artificielles“. „Künstliche
Bruthennen“ wurden nämlich zunächst Wärmeapparate ge¬
nannt, dienend zur künstlichen Ausbrütung von Hühnereiern,
und von diesen Apparaten erst wurde der Name auf unsere
Kinderwärmeschränke übernommen. Diese hat man dann viel¬
fach auch als „Brutkasten für frühgeborene Kinder“ bezeichnet
und sogen. „Kinderbrutanstalten“ waren einige Jahre lang in
richtigem Betriebe befindlich, eine Attraktion für das Laien¬
publikum auf Ausstellungen, ja sogar in Schaufenstern von
Händlern auf den Pariser Boulevards. Wurde diesem Unfuge
seither wohl gesteuert, so blieb doch der Name „Brutapparat
im Laienmunde; er scheint mir nicht zutreffend und nicht ganz
unbedenklich, insoferne er leicht zur Annahme verführen kann
der in der Couveuse sich vollziehende Prozess sei tatsächlich
dem Vorgänge bei der künstlichen Reifung des Eies analog,
während in Wahrheit durch die Couveuse doch nur eine und
sicherlich nicht die wichtigste der natürlichen Daseins¬
bedingungen des Fötus im Mutterleibe annähernd hergestellt
werden kann. Die natürliche Reife der Kinder und die in der
Couveuse erzielte Hessen sich vielleicht eher zutreffend mit der
Baumreife und der Lagerreife gewisser Früchte vergleichen.
Die Entwicklungsgeschichte der Couveuse kann hier ebenso
wenig ausführlich besprochen werden, wie die grosse Zahl ihrer
modernen Systeme und all ihrer technischen Details, auf welche
viel Scharfsinn verwendet worden ist. Ich will nur erwähnen,
dass sich die Erfindung an die Namen T a r n i e r und Odile
Martin knüpft (Maternite in Paris, 1878—1881) und dass um
den weiteren Ausbau des ursprünglich recht primitiven Modells
insbesondere verdient waren Auvard, Eustac h e, B u d i n,
Henry, D i f f r e, H u t i n e 1 in F rankreich, Schloss-
mann, F i n k e 1 s t e i n, Rommel in Deutschland, Hoch¬
singer in Oesterreich, Hearson, Holt, R o t c h in
England und Amerika, T e d e s c h i in Italien. Einfachere Kon¬
struktionen, Improvisationen wurden angegeben von Auvard
und Fürs t.
Die prinzipiellen Forderungen, die an eine Couveuse ge¬
stellt werden müssen und denen die neueren Modelle auch
mehr weniger gerecht werden, sind namentlich folgende:
1. Die dem Kinde zugeführte Luft muss frisch, rein,
entsprechend warm und feucht sein.
2. Temperatur und Wassergehalt der Luft müssen kon¬
stant und regulierbar sein.
3. Die Couveuse muss den modernen Anforderungen der
„A s e p s i s“ im Säuglingspflegebetriebe entsprechen, d. h.
waschbar, desinfizierbar und betreffs Reinlichkeit
leicht kontrollierbar, ohne überflüssige Staubfänger,
tote Winkel etc. sein.
4. Die Couveuse darf die Pflege der Kinder nicht
erheblich mühsamer oder schwieriger gestalten
und das Kind nicht den Augen des Pflegepersonales entziehen.
Vorzüge, die unter gewissen Umständen besonders ins Ge¬
wicht fallen können, sind Transportfähigkeit, Billigkeit in An¬
lage und Betrieb. Je nach der Anwendung der Couveuse in
der Anstalt oder im Privathause ist verschiedenen Typen der
Vorzug zu geben.
Bei stabilen Anlagen empfiehlt es sich sehr, die Luft nicht
aus dem Zimmer, sondern vom Freien durch einen besonderen
Schacht in die Couveuse zu leiten; andernfalls ist für eine aus¬
reichende und kontrollierbare Ventilation zu sorgen, die man
am besten durch entsprechende Anlage des Heizapparates und
einen Kamin erreichen kann. Man sehe auch darauf, ob sich
das Lager des Kindes nicht etwa ausserhalb (unterhalb) des
Lüftungsbereiches befindet und überzeuge sich, dass die Luft
tatsächlich den ihr vorgeschriebenen Weg, nicht etwa jenen
durch Ritzen, Fugen und durchlässige Wände nehme. In den
Luftstrom eingeschaltete Wattefilter zur Abhaltung von Staub
und bakteriellen Verunreinigungen scheinen recht zweckmässig.
Von den verschiedenen in Anwendung gebrachten Wärme¬
quellen sind im Allgemeinen die konstanten (insbesonders die
Bunsenflamme) den inkonstanten (zeitweise zu erneuernde
Heisswasserfüllung, Termophorkissenetc.) vorzuziehen, da diese
letzteren schon ziemlich viel Bedienungsarbeit fordern. Manche
Gasinstallationen, wie jene der sonst gut brauchbaren Lion-
couveuse, ferner wohl auch alle elektrischen Heizvorrichtungen
sind im Betriebe teuer und die darüber von den Fabrikanten ge¬
machten Angaben nicht immer zuverlässig.
Das Prinzip der Heizvorrichtung bei der Lioncouveuse ist
insoferne verfehlt, als bei Ansteigen der Temperatur im Innern
die automatische Regulierung eine überflüssige Erwärmung und
Verschlechterung der Zimmerluft anstatt einer teilweisen Ab¬
sperrung der Gaszufuhr bewirkt.
Eine wesentliche Erleichterung und Sicherung gewähren
die an neueren Modellen angebrachten automatischen I em-
peraturregulierungen mit Quecksilberthermostaten.
Der Wassergehalt der Luft ist von grosser Bedeutung. Als
Mass desselben könnte ebensogut die relative Feuchtigkeit als
das Sättigungsdefizit gelten, doch schwankt bei verschiedenen
Temperaturen der jeweils wünschenswerte Wert der er-
steren “), während jener der letzteren ziemlich konstant bleibt,
daher sich allgemein gültige Angaben über das Optimum des
Wassergehaltes der Couveusenluft nur nach Sättigungsdetizit
machen lassen. ,
Wenn nach Den ecke das Sättigungsdefizit im allge¬
meinen höchstens 9 mm Hg betragen soll, so wird man nach den
Ausführungen von R u b n e r und von Pfaundler sen.
“) Die relative Feuchtigkeit in den Kurorten an der Rn/iera
ist in der dortigen Wintersaison oft nicht wesentlich verschieden
von jener, die inmitten der libischen Wüste herrscht.
i2) l Pfaundler: Ueber den Wassergehalt der Luft in Brut¬
apparaten. Mitteilungen des Vereines der Aerzte in Steiermark.
Bd. 37. 1900.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
in der Couveuse doch zumeist den Wassergehalt zweckmässig
etwas niederer ansetzen, nämlich auf ca. 11 — 14 mm Hg, was
einer psychrometrisehen Differenz von 5 — 6 Graden entspricht.
,,Gibt man daher dem Aufsichtspersonal die Direktive, dass der
Unterschied (im Stande) des trockenen und des feuchten Ther¬
mometers 5 — 6, höchstens 7 Grade betragen soll, so dürfte man
nach den bisher gemachten Erfahrungen ziemlich das Richtige
getroffen haben“ (L. Pfaundler). Die nebenstehende Ta¬
belle gestattet relative Feuchtigkeit und Sättigungsdefizit nach
der Psychrometerablesung in der Couveuse zu bestimmen.
Relative Feuchtigkeit in Prozenten (normale Ziffern).
Sättigungsdefizit in mm Hg (kursive Ziffern) *)•
Trockenes Thermometer
°C.
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2 1
B o n n a i r e und seine Schüler haben jüngst gefunden,
dass man bei sehr hohem Wassergehalte der Couveusenluft
eine noch raschere Erwärmung der eingelegten hypothermen
Frühgeburten erzielt. Diese Beobachtung dürfte wohl zu¬
treffen und die Tatsache bedarf zur Erklärung nur des Hin¬
weises auf allbekannte physikalische und physiologische Ge¬
setze. B o n n a i r e empfiehlt nach Ideen von T e n o n und
Lariboisiere und auf Grund jener Beobachtung für gewisse
Zustände bei Debilen (Hypothermie, Sklerem, Zyanose) die
„Couveuse humide“, deren Luft mit Wasserdampf gesättigt ist
(Sättigungsdefizit gleich null) und die durch Einhängen von
nassen Tüchern über die Heizkörper jedes beliebigen Systemes
hergestellt werden könne. Für das subjektive Empfinden des
Erwachsenen ist die Atmosphäre der „Couveuse humide“ un¬
erträglich drückend, schwül. Die Verhinderung jeglicher Was¬
serverdampfung an der Körperoberfläche wird höchst unange¬
nehm empfunden und scheint überdies auch durchaus nicht un¬
bedenklich. Es ist bekannt, dass unter solchen Bedingungen die
Gefahr von Ueberhitzungsschäden besteht und Bonnaire
selbst hat bei der Verwendung seiner feuchten Couveuse Ohn¬
mächten auftreten sehen, die wohl jenen bei Hitzschlag nicht
allzuferne stehen. Ich halte die ,„Couveuse humide“ zum min¬
desten für überflüssig.
Den Forderungen der Asepsis entsprechen namentlich die
mit Emaillefarbe gestrichenen, die aus Glasmetallkonstruktion
oder aus Porzellan gebauten Couveusen. Breite Glaswände
müssen in jedem Falle das Kind ausgiebiger Belichtung und
ständiger, bequemer Beaufsichtigung vom Zimmer her zugäng¬
lich machen.
Gewissen besonderen Vorkehrungen für Couveusen, wie der
permanenten oder temporären Sauerstoffdurchleitung (B u d i n,
B o n n a i r e, L a n d o i s), der violetten Bestrahlung (Miller)
bringe ich vorläufig ein Vertrauen nicht entgegen.
Berechnet unter Annahme eines mittleren Barometerstandes
von 730 mm und der Psychrometerkonstanten K = 0,00096 von L.
Pfaundler.
Bei der prinzipiellen Empfehlung der Couveuse wurde vom
Standpunkte der „Sparung“ ausgegangen. Die Ueberlegung
war die, dass die Hauptenergieausgabe des Körpers, der
Wärmeverlust an der Haut- und Lungenoberfläche durch Ver¬
minderung des Temperaturgefälles beliebig herabgesetzt wer¬
den könne. Diese plausibel scheinende Deduktion muss aber
bei näherem Zusehen doch gewisse Bedenken erwecken; es
verrät sich ihre Schwäche dadurch, dass sie leicht ad absurdum
geführt werden kann: Wenn das Temperaturgefälle zwischen
kindlichem Körper und Aussenluft gleich null, oder wenn mit
anderen Worten die Couveuse auf Körpertemperatur geheizt
wird, so müssten wohl all diese Energieausgaben aufhören und
das Gedeihen des Kindes müsste ein vorzügliches sein. Das
ist nicht nur nicht der Fall, sondern wir sehen vielmehr nach
so hoher Temperatureinstellung gesetzmässig Unruhe,
Schweissausbruch, febrile Temperatur bei dem Insassen der
Couveuse auftreten. Die nähere Betrachtung lässt auch sogleich
erkennen, wo der Fehler in der oben erwähnten Auffassung ge¬
legen ist. Es ist klar, dass der Körper — auch bei völliger
äusserer Ruhe ■ — stets gewisse Arbeit verrichten muss und
zwar nicht allein Muskelarbeit, wie Atmung, Herzschlag, Peri¬
staltik, sondern auch Arbeit anderer Art, namentlich in den
Drüsenapparaten (osmotische Arbeit). Ein gewisses Mass von
Wärme wird daher vom lebenden Körper immer erzeugt wer¬
den müssen und diese Wärme wird auch ihren natürlichen Ab¬
fluss von der Körperoberfläche finden müssen, da sie über ein
gewisses Mass hinaus, das die Erhaltung der normalen Körper¬
temperatur ermöglicht, ein unverwertbares Schlackenprodukt
des Kraftwechsels darstellt. Den Abfluss einer Wärmemenge,
welche dieser Arbeit entspricht, zu verhindern, bedeutet
Schaden. Zunächst trachtet zwar der in solche Lage gebrachte
Organismus sich durch besondere Abwehrvorrichtungen zu
helfen und den Wärmeabfluss in ausreichendem Masse trotz der
ungünstigeren Verhältnisse zu erzwingen. Weiterhin aber bei
Insuffizienz dieser Vorkehrungen kommt es zu ausgesprochenen
Zeichen einer krankhaften Reaktion, die als Wärmestauung
oder Hitzschlag in Erscheinung tritt. Diesem Schaden ist der
Säugling in 4er zu warmen oder zu feuchten Couveuse ebenso
ausgesetzt wie der südwestafrikanische Krieger im Felde. Von
einer Einsparung aber ist unter diesen Umständen keine Rede,
im Gegenteil es kommt zu vermehrtem Konsum. Die Beob¬
achtung des Stoffwechsels während heisser Bäder hat gezeigt,
dass hiebei ein um 100 Proz. vermehrter Gewebszerfall und
Umsatz statthat.
Es erhebt sich somit die Frage, ob denn auf dem ange¬
deuteten Wege überhaupt unter irgendwelchen Umständen eine
Einsparung erzielt werden kann? Diese Frage ist zu bejahen
nach dem Ergebnisse von experimentellen Untersuchungen, die
insbesonders aus V o i t s und R u b n e r s Schule hervorge¬
gangen sind. Die mittlere Kohlensäureausscheidung betrug
nach Versuchen R u b n e r s beim erwachsenen Menschen unter
sonst gleichen Umständen bei einer Temperatur von
10-15° 15—20° 20—25° 25—30° C.
35,1 27,1 30,0 32,4 g pro Stunde.
Aehnliches fand Voit; das Minimum des Gaswechsels lag
für den Menschen bei etwa 16 0 C, nach anderen Autoren für den
Hund bei 25 u C, für das Meerschweinchen (ein in den Tropen
beheimatetes Tier!) bei 35° C etc.
'Die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende gesetz-
mässige Beziehung zwischen der Stoffwechselgrösse und der
Aussentemperatur wurde allgemein gedeutet als Folge einer
sogen, „chemischen Wärmeregulierungsfunktion“; durch ver¬
mehrten oxydativen Zerfall von Körperbestandmassen sollen
bei niederer Aussentemperatur neue Wärmequellen für den
Körper erschlossen werden. Während man sich ursprünglich
diese vermehrten Oxydationen auf den verschiedensten Ge¬
bieten ablaufend dachte, stellte sich weiterhin heraus, dass nur
willkürliche oder unwillkürliche Muskelaktion sie bedingt.
Solche (willkürliche oder) unwillkürliche Muskelarbeit — nur
letztere (Zittern, Innervation von Haut- und Gefässmuskeln)
kommt für den Säugling in Betracht — tritt bei verschiedenen
Individuen je nach Eigenart, Gewöhnung etc. unter verschie¬
denen Bedingungen auf, aber — wenigstens beim bekleideten
Erwachsenen — wohl niemals oberhalb einer gewissen mittleren
Aussentemperatur (etwa 16 — 20 " C). Nur insoweit Er-
23. Juli 1907. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ 1385
h ö h u n g der, Aussentemperatur diese unwill¬
kürlich v e rni ehrte Muskelarbeit a u f z u treten
verhindert, kann sie nach den heute gelten¬
den Anschauungen einen u nnützen Gewebs¬
zerfall hintanhalten und eine Einsparung er¬
zielen helfen.
Wenn es angehen mag, die auf Grund von Beobachtungen
am Erwachsenen einschlägig gewonnenen Prinzipien auf
den Säugling zu übertragen, so kann dies keinesfalls von den
Zahlenwert en gelten. Exakte Zahlen über die Beziehungen
von Gaswechsel und Aussentemperatur beim Säugling liegen
bisher aber nur wenige vor; wir verdanken sie Babäks111)
Untersuchungen an gesunden Neugeborenen. Nach B a b ä k
beträgt der Sauerstoffverbrauch (ein besser verwertbares Mass
als die Kohlensäureausscheidung) pro Kilogramm Körperge¬
wicht und Stunde ceteris paribus bei einer Aussentemperatur
von
12,1° 12,9° 17,1° 19,9° 20,0° 23,2° 23,0° C.
874 739 636 632 581 562 578 ccm Cb.
Eine Bestimmung bei noch höherer Temperatur hat leider
nicht stattgefunden; wir können daher aus Babäks Unter¬
suchungen nicht erfahren, bei welcher Temperatur der Sauer¬
stoffverbrauch für das gesunde Neugeborene sein Minimum er¬
reicht und noch viel weniger ist dies für debile Kinder im
Allgemeinen, geschweige denn im Einzelfalle bekannt. Abge¬
sehen davon also, dass der minimale Sauerstoffverbrauch noch
keineswegs ohne weiteres das Optimum der Couveusentem-
peratur bestimmen würde, können wir zur Ermittlung dieses
praktisch wichtigen Wertes von zahlenmässigen Erhebungen
dieser Art vorläufig nicht ausgehen, sind vielmehr auf die Em¬
pirie angewiesen, derzufolge jenes Optimum in Abhängigkeit
von dem Entwicklungszustande des jeweiligen Insassen der
Couveuse zumeist zwischen 26 und 32 0 C schwankt. Aus jenen
Erörterungen aber hat sich mit sehr grosser Wahrscheinlich¬
keit ergeben, dass eine Einsparung in dem vermeinten Sinne bei
rationellem Couveusenbetriebe tatsächlich wohl erzielbar ist.
In Bezug auf die Uebertragbarkeit der beim Erwachsenen vor¬
liegenden Verhältnisse auf das Neugeborene ist noch erwägenswert,
dass beim letzteren die sogen, chemische Temperaturregulierung
des Körpers möglicherweise eine weit grössere Rolle spielt als- beim
Erwachsenen, da bei ihm die physikalische Regulierungs-
Funktion nach B ab ä k noch sehr mangelhaft wirkt. Speziell die
Körpergewichtsverluste nach der Geburt sind, vermutlich Ausdruck
eines Gewebszerfalles, der durch vermehrte Wärmeproduktion zur
Erhaltung der Körpertemperatur beitragen soll; denn sie sind bei
debilen Kindern (relativ) grösser und können durch zweckmässige
Beschränkung des Wärmeverlustes — sowie durch frühzeitige
Nahrungszufuhr — vermindert oder hintangehalten werden (Eröss).
Die Couveuse hat fast allenthalben enthusiastische Freunde
gefunden und es scheint ein gutes Zeichen, dass im grossen
und ganzen das Urteil der einzelnen Autoren umso günstiger
ist, je mehr sie das Verfahren anzuwenden Gelegenheit hatten.
Reservierte Urteile hört man insbesonders aus solchen An¬
stalten, an denen man die Couveuse nur vom Hörensagen
kennt. Von durchaus vertrauenswürdiger Seite werden impo¬
sante statistische Zahlen über den Rückgang der Debilensterb-
lichkeit seit Anwendung der Couveusen mitgeteilt, worauf noch
zurückgekommen wird. Bei den meisten dieser Erhebungen
kann allerdings nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden,
dass die als Ausdruck modernen Strebens vielfach gleichzeitig
mit der Couveuse eingeführte verbesserte Pflege wesentlich
an den besseren Erfolgen mit Anteil habe. Ich persönlich
möchte immerhin nach den an grossem Debilenmaterial in der
steiermärkischen Landesfindelanstalt gemachten Erfahrungen
auf einer derartigen Krankenabteilung Couveusenbetrieb nie¬
mals vermissen.
Es hat nicht an prinzipiellen Einwänden gegen die Cou¬
veuse gefehlt: in den Kästen stagniere entweder die Luft oder
sie schleppe Staub mit ein, es drohe Ueberhitzungsgefahr, es
könnten die Kinder wegen mangelhafter Beaufsichtigung beim
Erbrechen in der Couveuse ersticken, sie könnten von früheren
oder gleichzeitigen Insassen angesteckt werden. Derartige
Einwände sind für uns gegenstandslos, da sie nur Berechtigung
haben gegenüber Couveusen von mangelhafter Konstruktion
1S) Babäk: Ueber die Wärmeregulation beim Neugeborenen.
Pflügers Arch. 1902, Bd. 89.
oder Betriebsart, also Couveusen, die den oben aufgestellten
Forderungen nicht entsprechen.
Ebensowenig kann man es als Einwand gegen die Cou¬
veuse gelten lassen, wenn festgestellt wird, dass Couveusen-
kinder späterhin häufig schwer anämisch und rachitisch wer¬
den. Dies trifft zweifellos zu. Wer aber Erfahrungen über de¬
bile Kinder hat, der weiss, dass diese mit und ohne Couveuse
zu diesen konstitutionellen Krankheitszuständen neigen. Wenn
man in Anstalten seit Einführung des Couveusenbetriebes da und
dort mehr Anämie und Rachitis sieht als ehedem, so mögen die
Dinge hier analog liegen, wie mit den postdiphtherischen Läh¬
mungen, von denen gesagt wurde, man sehe sie seit der Serum¬
anwendung öfter — nicht weil das Serum ihr Zustandekommen
begünstigt, sondern weil es schwer erkrankte Kinder die Läh¬
mung erleben lässt, die ohne Serum zugrunde gegangen wären.
Schlecht gelüftete Couveusen mögen wohl zu Rachitis dis¬
ponieren: man kennt den Einfluss der respiratorischen Noxen
bei dieser Krankheit. Dasselbe gilt vielleicht von zu feuchten
Couveusen 14).
Andere Einwände sind nicht a limine abzuweisen. Einzelne
französische Autoren (wie H u t i n e 1 und D e 1 e s t r e) glau¬
ben beobachtet zu haben, dass die Disposition zu gewissen in¬
fektiösen Erkrankungen (Ophthalmie, Nasen-Rachenkatarrhe,
Sepsis) beim Aufenthalte in der Couveuse eine vermehrte und
der Verlauf dieser Erkrankungen ein minder günstiger sei. Sie
sprechen geradezu von „Couveusenkrankheiten“. Zum Belege
dieser Ansicht liegt jedoch m. E. weder ein ausreichendes
Material an vergleichenden Beobachtungen noch eine plausible
Erklärung vor. M o n t i meint: „Sobald bei einem in der Cou¬
veuse behandelten Kinde Zeichen einer Infektion sich zeigen,
ist dasselbe aus der Couveuse zu entfernen, weil die kontinuier¬
lichen höheren Temperaturen wie in einem Thermostaten be¬
günstigend auf die Entwicklung der Bakterien wirken un<d in¬
folgedessen derartige Infektionen unter dem Einflüsse der Cou¬
veuse einen ungünstigen Verlauf nehmen.“ Es liegt auf der
Hand, dass dieser Vergleich wenig zutreffend und als Argument
hinfällig ist. Die Temperatur des kindlichen Körpers ist ja bei
rationellem Betrieb der Couveuse nicht höher als bei Bett¬
pflege15) und ausserhalb des kindlichen Körpers fehlt es den
Krankheitskeimen in einer reinen Couveuse an dem geeigne¬
ten Nährboden, der im Bakterienbrutschranke ihr Wachstum so
sehr fördert. E s c h e r i c h 16) berichtet übrigens, dass er an
Couveusenkindern eine grosse Widerstandsfähigkeit gegen In¬
fektionen habe beobachten und diese Beobachtung auch ex¬
perimentell habe stützen können.
Ein weiterer gegen die gebräuchlichen Couveusen gemach¬
ter Einwand geht dahin, dass die durch Manipulationen beim
Füttern, beim Trockenlegen, Baden, Waschen, Wägen gefoi-
derte zeitweilige Entfernung des Kindes aus dem Wärm¬
schranke mit einem unvermeidbaren und vermutlich schädlich
wirkenden jähen Wechsel der Umgebungstemperatur einher¬
gehe. Die Annahme eines solchen Schadens wird namentlich
nahegelegt durch die notorische Labilität der Körpertempera¬
tur des Debilen und die üblen Folgen der initialen Geburts¬
abkühlung bei solchen (s. u.).
Diesem Umstande wurde nun tatsächlich auch Rechnung
getragen durch die Konstruktion von W ärmezi m m e i n,
Wärmekammern für Lebensschwache („cham-
bres couveuses“, „sale incubatrice“). Ein solches Wärme¬
zimmer wurde zuerst von Pajot durch Odile Martin in
Paris (1885), dann von B o s i und G u i d i in Florenz (1895) und
von Cor lat in Lyon (1896), errichtet. Die erste derartige
Konstruktion auf deutschem Boden war jene von Escherich
und Pfaundler sen. in Graz (Krankenabteilung der steier¬
märkischen Landesfindelanstalt). Eine diesem neuen und aus¬
gezeichnet bewährten Modell (Glas-Eisenkonstruktion) nach-
4«;) Hagen- Thorn hat bekanntlich aus der geographischen
Verbreitung der Rachitis in Russland den Schluss gezogen, dass ihi
Auftreten von dem hohen Wassergehalte der Luft abhänge. Die An¬
gabe wurde von Skukowsky bekämpft.
15) Ich sehe von Hypothermien ab, Zuständen, die übrigens den
Ablauf bakterieller Prozesse sicherlich nicht günstiger gestalten.
i») Escherich: Die Einrichtung der Säuglingsabteilung im
Anna-Kinderspital etc. Mitteilungen des Vereins der Aerzte in Steiei-
mark 1900, Bd. 37.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
gebildete Wärmekammer haben M o r o in Wien und Brauer
in Marburg aufgestellt. Dieser „chambre couveuse“ verdankt
m. E. die Qrazer Anstalt in erster Linie ihre ausgezeichneten
Erfolge in der Behandlung der Debilen, für die ich Ihnen ein
Beispiel in dem Gedeihen des oben erwähnten Kindes Men-
ha rt angeführt habe, das mit dem vierten Teile des normalen
Geburtsgewichtes in die Grazer Wärmekammer Aufnahme
fand.
Die „chambre couveuse“ gestattet den ganzen Pflege¬
betrieb (Reinigqng, Fütterung, Bad etc.) in dem gleichmässig
erwärmten Binnenraum der Kammer. Die Einrichtung der
Wärmekammern in bezug auf die Fürsorge für frische, reine,
warme, feuchte Luft entspricht im Prinzip völlig jener in den
gewöhnlichen Couveusen. Auf die technischen Details und
auf die weiteren Vervollkommnungen, durch welche Esche-
rich das System jüngst in Wien noch wesentlich gefördert
hat, will ich nicht eingehen, weil der Interessentenkreis für diese
nur in Anstalten zu betreibende Einrichtung17) ein beschränk¬
ter ist.
Wer der Ansicht ist, dass man die „chambre couveuse“
durch starkes Heizen eines beliebigen Zimmers ersetzen könne,
der verkennt die Vorteile, die der Aufenthalt des Pflegeperso¬
nals auserhalb der Kammer bietet (Belästigung des Erwachse¬
nen durch die hohe Temperatur, Verschlechterung der Luft für
die Säuglinge) und unterschätzt die Kosten und Schwierig¬
keiten eines solchen Betriebes.
(Schluss folgt.)
Untersuchungen an Schwimmern.
Von Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck in Wien, Dr. A. Selig
in Franzensbad und Dr. R. Beck in Wien.
(Schluss.)
Zugleich mit der Orthodiagraphie wurde in mehreren Fällen
(No. 8 und 10) auch der Spitze nstoss palpiert und da zeigte
sich dieser nach dem Schwimmen beträchtlich nach aussen
gerückt, obwohl er in Wirklichkeit, wie die Durchleuchtung er¬
gab, seine Stelle nicht verlassen hatte (10) oder sogar nach innen
gewandert war (8). Inspektion und Palpation des Spitzen-
stosses können also eine Verlagerung desselben, eine Herzdila¬
tation Vortäuschen. Dieser Umstand ist übrigens bereits be¬
kannt. R o m b e r g 14) meint, dass angestrengte, beschleunigte
Herzaktion die Brustwand systolisch stärker erschüttert und
breiter vorwölbt, Moritz15) findet die Zone der Irradiation
des Spitzenstosses um so grösser, je lebhafter das Herz pulsiert.
Nach Hoffmann 16) kann das erregt schlagende Herz leichte
Vergrösserung der Herzdämpfung Vortäuschen.
Dass Perkussion und Palpation den Spitzenstoss nicht an
dieselbe Stelle der Körperoberfläche projizieren können wie die
Orthodiagraphie ist klar; wir wollen aber die Verhältnisse an
einer schematischen Zeichnung (Fig. 22) veranschaulichen. Man
sieht hier einen Querschnitt des Brustkorbes, von nennens¬
werter Wanddicke; Md = Mannnilla dextra, Ms = Mainmilla
sinistra. Die orthodiagraphischen Strahlen 01, 02, 03 und 04 pro¬
jizieren die Herzbreite und den Mammillarabstand. Die Herz¬
spitze wird auf die Thoraxwand bei S projiziert, also innerhalb
der Mammillarlinie. Palpation und Perkussion, senkrecht auf
die nach hinten ziehende Brustwand wirkend, finden natur-
gemäss die Herzspitze in der Mammillarlinie, also weit nach
aussen gerückt im Vergleich mit der Orthodiagraphie.
L e n n h o f f und Levy-Dorn radiographierten Athleten
nach öffentlichem Ringkampf an Ort und Stelle; nach der Pal¬
pation und Perkussion glaubte man an mehreren Individuen
Vergrösserung des Herzens nach der Anstrengung annehmen zu
können, orthodiagraphisch Hess sich aber in keinem Falle —
auch nicht nach den schwersten Kämpfen — Vergrösserung der
Herzfigur feststellen. Auch Men dl und Selig vermissten
an Ringern akute Hcrzdilatation nach der Arbeit, einer der
Ringer zeigte orthodiagraphisch eher kleinere Herzmasse nach
dem Kampfe als vorher.
*') hn Gegensätze zu den portativen Einzelcouveusen, die weit
nehr als bisher im Privathause Eingang finden sollten.
”) Romberg: Kongress f. innere Med., Bd. 17, 12-4, 1899.
*') Moritz: Münch, nied. Wochenschr. 1902, 49, 7.
1B) Hoffmann: Kongress f. innere Med. 1902, Bd. 20, S. 321.
De 1 a Camp17) kommt nach seinen schönen Unter¬
suchungen zu dem bekannt gewordenen Resultat, dass es selbst
nach maximaler Körperanstrengung nur dann zu akuter Dila¬
tation komme, wenn der Herzmuskel ernstlich erkrankt sei.
Dass man bisher das Vorkommen akuter Verkleinerung
des Herzens — wir wollen sie a k u t e D i m i n u t i o n nennen
— durch Körperarbeit übersah, erklärt sich aus der Verschie¬
denheit des Objektes der Untersuchung. Wir hatten Individuen
vor uns, die exzessive Anstrengung der Körper- und Atem¬
muskulatur hinter sich hatten, 68 m in weniger als einer Minute
(bei Fall 6 in 45 Sekunden) schwimmend zurückgelegt hatten,
mit konsekutiver höchster Dyspnoe, Zyanose und Erschöpfung,
so dass sie kaum mehr gehen und stehen konnten. Ringkämpfer
und Dauergeher schalten Ruhepausen ein, der Versuchshund
legt im Tretrad viele Kilometer, jedoch in seinem gewohnten
Lauftempo zurück. Anstrengungen, bei denen die letzte Re¬
servekraft des Herzens und der ganzen Muskulatur eingesetzt
wird, wie beim Preisringen, Wettradfahren und namentlich
Wettschwimmen, bringen eine schwerere Veränderung
des Kreislaufes mit sich als länger dauernde Anstrengungen
(wie Bergtouren) mit Ruhepausen und ohne derartige exzessive
gewalttätige Ueberanstrengung (B e c k).
Das Zustandekommen der akuten Herzdiminution durch
Ueberanstrengung kann wohl in primärer Erweiterung ge¬
wisser Blutbahnen eine plausible- Erklärung finden. In der
Körpermuskulatur erweitern sich der energischen Funktion ent¬
sprechend die Blutgefässe — gleichzeitig wohl auch in den
Lungen. Muskulatur und Lungen sind auch bei den untersuchten
Individuen besonders gut ausgebildet. Es ist bekannt, dass sich
beim Uebergang des Organismus von Ruhe zur Körperarbeit die
Blutverteilung sehr ändert.18) Vor allem haben die Bauchorgane,
auch das Zentralnervensystem das enthaltene Blut an die Mus¬
kulatur abzugeben, schliesslich wird aber auch das Herz
schlechter gespeist werden, die Diastole nicht mehr das frühere
Mass erreichen.
Auch der eigentümliche Respirationstypus beim Schwim¬
men, kann wohl zur Verkleinerung des Herzens beitragen;
wir brauchen ja die Art der Tempi und der Atmung beim
Schnellschwimmen nicht erst zu schildern, machen nur auf die
lange Dauer der Atmungspause, das angestrengte, gewaltsame
Inspirieren aufmerksam, welche durch die abnormen Druck¬
schwankungen im Thorax oder reflektorisch auf die Herz¬
grösse einwirken können.19)
Wenn also schon bei allen schweren Körperleistungen, na¬
mentlich bei den kurzdauernden gewaltigen Anstrengungen,
Verkleinerung des Herzens auftreten dürfte, muss dies in be¬
sonderem Masse beim forcierten Schwimmen der Fall sein.
Der Puls zeigte nach dem Schwimmen im allgemeinen die
erwarteten Veränderungen. Wie dies bei jeder forcierten Mus¬
kelarbeit der Fall ist, war die Pulsfrequenz erhöht, doch nicht
so bedeutend wie z. B. nach einem Ringkampf. Die höchste Puls¬
zahl zeigte Fall 13 mit 150 Schlägen in der Minute. Be¬
merkenswert ist auch, dass trotz der so starken Anstrengung
keine A r y t h m i e auftrat — eine solche fehlte auch in allen
Fällen nach Bergtouren (Beck) und Ringkämpfen (Selig) — ;
umgekehrt beobachteten wir zweimal (Fall 1 und 7) nach dem
Bade ein vollkommenes Schwinden von Arythmie, die vorher
bestanden hatte. So sah auch Angelo M o s s o 20) bei einem
Gebirgsbewohner, dessen Puls arythmisch war, unmittelbar
17) De la Camp: Zeitschr. f. klin. Med. 1904, Bd. 51, S. 1.
1S) Gscheidlen: Untersuchungen aus dem physiologischen
Laboratorium in Wiirzburg, 1868, Ranke: Die Blutverteilung und
der Tätigkeitswechsel der Organe, Leipzig 1871, und zahlreiche
neuere Arbeiten. Chauveau und Kauffman n (Archives de
Physiologie 1892) fanden im Musculus levator labii super, propr.
des Pferdes bei seiner Tätigkeit 85 Proz. Blut vor, gegen 17,5 Proz.
in der Ruhe. Nach Weber (Monatsschr. f. Neurol. u. Psychiatrie,
Bd. 20, 528) genüge selbst der Impuls zur Bewegung zum Zustande¬
kommen von Hyperämie im Muskel.
1B) Kienböck fand eine exzessive Verkleinerung des Herzens
bei Pseudoangina cordis hysterica vor, wo durch starkes Pressen
der V a 1 s a 1 v a sehe Versuch möglichst outriert wird. Wiener klin.
Wochenschr. 1904, No. 18 u. 21. — Radiologische Untersuchungen
der Atmung im normalen Zustand und unter pathologischen Verhält¬
nissen wurden kürzlich von Holzknecht und Hofbauer vor¬
genommen. Mitteilungen aus Holzknechts Laboratorium, I. Bd.,
2. Heft, Fischer, Jena 1907.
20) Angelo Mosso: Der Mensch in den Hochalpen. Veit
öc Comp., Leipzig.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1487
nach einem Aufstieg bei sehr erhöhter Pulsfrequenz die
Arythmie verschwinden.
Der Blutdruck, mit dem R i v a - R o c c i sehen Apparat
gemessen, zeigte kein einheitliches Verhalten, bald wurde Stei¬
gerung, bald Erniedrigung gefunden. Die Respiration war
naturgemäss sehr beschleunigt und angestrengt, die höchste
Respirationsziffer betrug 60 per Minute.
Die Körpertemperatur (in der Mundhöhle oder im
Mastdarm gemessen) zeigte sich bei unseren daraufhin unter¬
suchten Schwimmern nach dem Bade erhöht, in mehreren
Fällen um einige Zehntelgrade, in anderen auf 38,3—38,5 (offen¬
bar infolge einer durch die Muskelarbeit leicht erklärlichen
Wärmeproduktion. L e n n h o f f und Levy-Dorn fanden bei
Ringkämpfern ebenfalls Temperaturanstieg21).
Auch das Ergebnis der Harnuntersuchung bei den
Schwimmern ist von Interesse. Von 11 Fällen zeigten 7 nach
der Anstrengung Albumin, von leichter Trübung bis zu star¬
kem flockigen Niederschlag (Prüfung mit Essigsäure-Ferro-
zyankalium und nach Spiegler-J olles). Die höchste Ei¬
weissmenge betrug 1 Vi Prom. Essbach. Dabei fanden sich
auffallend wenig renale Elemente in den untersuchten
Harnen. Vgl. Tabelle II.
T a b e
e II.
No.
Name
Vor dem Schwimmen
Nach dem Schwimmen
Chemische Reaktion
Sediment
Chemische Reaktion. Sediment
1
O. v. F.
E = 0
(Fall 2)
Z = 0
2
L. M.
E = 0
(Fall 3)
Z = 0
3
R. B.
E = 0
(Fall 4)
Z = 0
4
E. L.
(Fall 5)
E = 0
5
L. D.
(Fall 6)
E = 0
6
R. W.
E = 0
(Fall 7)
Z = 0
7
Z. v. S.
(Fall 9)
E = 0
8
R. P.
E = 0
(Fall 11)
Z = 0
9
H. R.
E = 0
10
R. K.
Nukleoalbumin
positiv, Albumin
negativ
11
H. B.
E = 0
Von sehr zahlreichen Harnsäure¬
kristallen und Oxalaten durch¬
setztes, sonst normales Schleim¬
sediment
Von einzelnen Harnsäurekri¬
stallen und Oxalaten durch¬
setztes, sonst normales Schleini-
sediment
Von einzelnen Uraten und Oxa¬
laten durchsetztes, sonst nor¬
males Schleimsediinent
Normales wolkiges Sediment
E — +
il 2 pro mille
Esbach
Z = 0
E = -p
sehr reichlich
Z = +
E = -f
l1/ 2 pro mille
Esbach
Z = +
E = 0
E = +
i/i pro mille
Esbach
E = 0
Z = 0
E = +
E = 0
Z = 0
E = 0
E = +
Albumin positiv
E = +
1 pro mille
Esbach
Von sehr zahlreichen Harnsäurekristallen, Uraten
und überaus zahlreichen Oxalaten, vereinzelten
Leukozyten, Schleimfäden, sowie sehr verein¬
zelten, schmalen blassen, hyalinen Zylindern
durchsetztes, sonst normales Schleimsediment.
Mässig vermehrtes, schleimiges Sediment, ent¬
haltend sehr zahlreiche Harnsäurekristalle in
Wetzsteinen, überaus zahlreiche Urate, einzelne
Leukozyten, Schleimfäden, vereinzelte scharf
konturierte hyaline Zylinder, einzelne Platten-
epithelien der Blase und Harnröhre.
Aeusserst spärliches, schleimiges Sediment, ent¬
haltend vereinzelte Harnsäurekristallen in Wetz¬
steinen und einzelne Oxalate, vereinzelte stark
ausgelaugte rote Blutkörperchen (Blutschatten)
und einzelne Leukozyten, Schleimfäden, scharf
konturierte hyaline Zylinder, stellenweise eine
Granulation zeigend, einzelne abgestorbene teil¬
weise gut erhaltene Spermafäden.
Einzelne Harnsäurekristalle, einzelne Urate,
sehr vereinzelte Leukozyten, einzelne Platten-
epithelien der Blase und Harnröhre.
Normales, wolkiges Sediment (Nubeculae).
Aeusserst spärliches, schleimiges Sediment, ver¬
einzelte Leukozyten, Schleimfäden, einzelne
Plattenepithelien der Blase und Harnröhre,
keine Nierenelemente.
Aeusserst spärliches, schleimiges Sediment, ent¬
haltend vereinzelte Harnsäurekristalle in Wetz¬
steinen, einzelne Leukozyten, Schleimfäden,
sehr vereinzelte scharf konturierte hyaline Zy¬
linder, stellenweise eine feine Granulation zei¬
gend, Plattenepithelien der Blase und Harnröhre.
Bemerkungen
Nach zwei Tagen kein Albumin
mehr nachweisbar. Von einzelnen
Harnsäurekristallen, Uraten u. Oxa¬
laten, sehr vereinzelten Leukozyten,
Schleimfäden, einzelnen Plattenepi¬
thelien, sowie sehr zahlreichen ab¬
gestorbenen, grösstenteils gut er¬
haltenen Spermafäden durchsetztes,
sonst normales Schleimsediment.
Das Auftreten von Albuminurie nach Körperanstiengungen
ist bekannt; die Eiweissmenge hängt von der Art der Arbeit
ab lang fortgesetzte Arbeit hat nicht denselben Einfluss w ie
akute Ueberanstrengung. F. Pick fand bei Fussballspielern
bis zu 4 Prom. Eiweiss, S e 1 i g bei Ringkämpfern 1 Prom. Nach
Becks Untersuchungen spielt Albuminurie bei Bergtouren,
selbst tagelangen, sehr schwierigen Touren, keine nennenswerte
Rolle. Auch nach anstrengenden Militärmärschen wurde von
Zuntz und Schumburg22) nur ganz vereinzelt Eiweiss
im Harn konstatiert.
Nach Radfahrten wurden von mehreren Forschern be¬
trächtliche Eiweissmengen im Harn gefunden. . A 1 b u stellte
in seinen Fällen nach jeder Radwettfahrt die Anwesenheit von
Eiweiss fest und häufig auch hyaline Zylinder und Epithelien im
Harne. Aehnliche Befunde wurden von Müller -3), M c F ar-
1 a n e 24), Baldes, Heichelheim und Metzger, sowie
Selig erhoben.
Das Auftreten von Eiweiss nach Ueberanstrengung ist
wohl am besten durch abnorm gesteigerte Bildung von Stoff-
21 ) Bei Seebädern zwischen 10 und 28 Minuten Dauer, Tempeia-
tur 6—10 0 C. findet sich regelmässig Erhöhung der Mastdarmtem¬
peratur nach dem Bade. (W i n t e r n i t z und I schuitschen-
thaler: Blätter f. klin. Hydrotherapie, No. 45, 1900.)
U Zuntz und Schumburg: Physiologie des Marsches.
Bibliothek von C o 1 e r, Bd. 6, Berlin 1901.
-3) Müller: Münch, med. Wochenschr. 1896, No. 48.
24) McFarlane: Med. Record 1895.
Wechselprodukten in den Muskeln (toxische Albuminuiie), duicli
starken Verbrauch von Sauerstoff in den Organen und konse¬
kutive mangelhafte Sauerstoffversorgung dei Nieien (Zuntz
und Schumburg) zu erklären.
Bei 5 unserer Fälle wurde auch auf Zucker untersucht
und 2 mal — zum ersten Mal bei einer Sportstudie - — Spuren
gefunden; sowohl zeigte sich mit der F e h 1 i n g sehen Probe
vermehrte Reduktion, als auch waren mit der Phenylhydiazin-
probe einzelne Glukosazonkristalle zu finden. Die Gäiungs-
probe fiel stets negativ aus.25) Die Erklärung für diese geiing-
gradige Glykosurie bleibe dahingestellt; es können sowohl
nervöse Einflüsse, als auch durch Uebermüdung herabgesetzte
Oxydationskraft des Gewebes im Spiele sein. Befunde von
Zucker wurden bisher nach Uebermüdung noch nie erhoben.
Nach den geschilderten unmittelbaren Folgen des Wett¬
schwimmens wollen wir auf seine Dauerfolgen aufmerk¬
sam machen. Diesbezüglich orientieren uns natürlich vor
allem die vor der Tour erhobenen Befunde, wenn wir auch aus
dem Umstande, dass vor unseren Augen die grosse Körper¬
arbeit ohne Kollaps ausgeführt wurde, auf bedeutende Lei¬
stungsfähigkeit des Herzens schliessen müssen. Untei
12 F ä 1 1 e n boten nun 7abnor m e Befunde a m Herzen
— das wäre, wofern man bei so kleinem Material von I io-
25) Die Harnuntersuchungen wurden unter freundlicher Kontrolle
des Herrn Dozenten Dr. A. J o 1 1 e s gemacht, dem wir besten Dank
sagen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
88
zenten sprechen darf, 58 Proz.2U). Alkohol- lind Nikotinabusus
bestand nicht, schwere Infektionskrankheit war nur bei einem
Falle vorausgegangen, so dürften also die Veränderungen
hauptsächlich auf dem Schwimmsport beruhen, zu dem aller¬
dings bei manchen auch andere sportliche Betätigungen, wie
Athletik, Rudern, Fussball, kamen. Die Veränderungen bestan¬
den 2 mal in starker Vergrösserung des Herzens
(chronische Dilatation, natürlich mit Hypertrophie), wie sich
aus Perkussion und Orthodiagrammen ergab; 3 mal in leichter
A r h y t h m i e, in 4 Fällen konnten über Mitralis oder Aorta
Geräusche nachgewiesen werden. Wahrscheinlich be¬
ruhten die letzteren nicht auf Klappenfehler im engeren Sinne,
sondern auf Herzmuskelerkrankung (Ring- und Papillarmus-
kulatur), (vgl. Beck). Denn es ist klar, dass oft wiederholte
exzessive Anstrengungen des Schwimmens, wie sie sich so¬
wohl in den Körperleistungen selbst, als auch in den Zu¬
ständen von Erschöpfung, Dyspnoe, Zyanose, erhöhter Puls¬
frequenz und eigentümlichem radioskopisch nachweisbaren
Schlagtypus des Herzens zeigen, nach einem Stadium von
Hypertrophie mit Notwendigkeit schliesslich zu Myokard¬
veränderungen führen müssen, wenn auch akute Dila¬
tationen nicht oder nur ausnahmsweise Vorkommen. In unse¬
ren Beobachtungen springt ein eigentümlicher Gegensatz in die
Augen: einerseits ist das Herz in mehreren Fällen als geschä¬
digt zu betrachten, und doch hat es die grossen Leistungen
vollbracht; man kommt dadurch zur Bestätigung der Erfahrung,
dass beides vereinigt sein kann, Defekt und grosse Leistungs¬
fähigkeit. Die Erklärung dürfte darin liegen, dass wir eben
durch Training hypertrophische Herzen vor uns haben.
Wenn K r e h 1 -’7) findet, dass das unbedachte Radfahren
an gesunden und besonders an minderwertigen Herzen der
Jugend wahre Verwüstungen anrichtet, wenn Beyer erkennt,
dass durch diesen Sport der deutschen Armee eine grosse Zahl
Wehrpflichtiger entzogen wird, wenn endlich Beck betont,
dass extreme Touristik sehr oft zu Herzschädigungen führt, so
ist nach unseren Beobachtungen auch bezüglich des Schwimm¬
sports vor dem over-training dringend zu warnen.
- -
Die Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf.
Von Professor Dr. Arthur S c h 1 o s s m a n n,
Direktor der akademischen Klinik für Kinderheilkunde an den
allgemeinen Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf.
In dem offiziellen französischen Amtsorgan, dem Bulletin
des lois vom Jahre 1811/1812 findet sich ein vom 17. Dezember
1811 datierter, in den Tuilerien gegebener Erlass1) Napoleons,
des „Protecteur de la Confederation du Rhin“. Der Artikel 1
dieser Verordnung lautet:
II sera etabli ä Düsseldorf pour le Grand-Duche une Uni-
versite composee de cinq facultes, savoir: de Theologie, de
droit, de medecine, des Sciences mathematiques et physiques,
des lettres, qui entrera en activite au 1 er Mars 1812.
Bis ins kleinste Detail waren alle Bestimmungen für die
bergische Universität in Düsseldorf getroffen; die medizinische
Fakultät sollte aus 3 Professoren bestehen; es war ihr das
Recht zuerkannt, die I itel und Grade eines Baccalaureus und
eines Lizentiaten, sowie den Doktorhut zu verleihen. Ein
naturhistorisches Kabinet, ein Laboratorium, eine Hebammen¬
anstalt, die Anatomie, der botanische Garten und eine chirur¬
gische Klinik sollten der Ausbildung der jungen Mediziner
dienen. Ein Teil dieser Einrichtungen brauchte gar nicht neu
geschaffen, sondern nur erweitert und ausgebaut zu werden.
Schon seit ungefähr 1740 2) war im Düsseldorfer Lazarett ana¬
tomisches Theater und chirurgische Lehrstunde abgehalten
worden. Diese Einrichtung war eine staatliche, die der Heran¬
bildung geeigneter Chirurgen diente. Auch die Hebammen¬
schule, damit wohl auch eine Entbindungsanstalt, war bereits
vorhanden. Die neue medizinische Fakultät der bergischen
> Beck fand bei 90 Proz. der von ihm untersuchten Touristen
tlerzveränderungen.
H ^ Die Erkrankungen des Herzmuskels. Nothnagels
Handbuch, Bd. 15, S. 77, 1901.
') Siehe Asbach: Die Napoleonische Universität in Diissel-
don. Beitrag zum Jahresbericht des Kgl. Gymnasiums 1898/99.
Universität hätte sich also aufgebaut auf Einrichtungen, die sich
aus dem Bedürfnis des Landes heraus allmählig entwickelt
hatten. Auch darf man wohl annehmen, dass die Düsseldorfer
Universität zur raschen Blüte gelangt wäre. Die Unterhand¬
lungen, die mit namhaften Gelehrten betreffs ihrer Berufung
geführt wurden, nahmen einen günstigen Verlauf. Auch sollte
die Honorierung der Professoren für damalige Verhältnisse eine
glänzende sein; 2 der Mediziner sollten je 6000 Frcs., der 3.
ein Gehalt von 4000 Frcs. beziehen, während beispielsweise die
4 medizinischen Professoren der Universität Halle zusammen
nur 1250 Taler erhielten. Aber auch an Hörern hätte es den
so gut dotierten Lehrern nicht gefehlt. Denn diese Frage hatte '
Napoleon auf eine-äusserst einfache Art, allerdings unter Miss¬
achtung aller akademischen Freiheit und Freizügigkeit gelöst,
indem er in Artikel 10 der erwähnten Verordnung bestimmt:-
A compter des Pasques 1812, il ne pourra etre envoye
d etudiants du Grand-Duche dans les Universites etrangeres;
pour Pasques de la meine annee, ceux qui y seraient, seront
rappeles.
So war alles vorgesehen, um der Napoleona-Augusta-
so sollte die bergische Universität in Düsseldorf
heissen — zu Glanz und Blüte zu verhelfen. Aber es sollte
anders kommen! Zur selben Zeit, da man die Organisation der
jungen Hochschule im grossherzoglichen Staatsrate vollendete,
hatte sich das Geschick Napoleons gewendet. Sämtliche Schü¬
ler der oberen Klasse des Düsseldorfer Gymnasiums, die ja
doch die ersten Studierenden an der Landesuniversität hätten
werden sollen, meldeten sich zur Teilnahme an dem grossen
Befreiungskampf, der dem deutschen Volke bevorstand. Ein
Dekret des Generalgouverneurs Justus v. Grüner brachte
endlich der Napoleonischen Universität in Düsseldorf auch den
formalen Abschluss.
Wenige Jahre später sollte der Hauptstadt des bergischen
Landes eine Entschädigung für den Verlust ihrer wertvollen
Galerie und den Entgang der Universität insofern zu teil werden,
als die Kunstakademie hier eröffnet wurde. An Stelle der Wis¬
senschaft «wurde nun in Düsseldorf in erster Linie die Kunst
gepflegt, die in dem damals idyllisch ruhigen, kleinen Städt¬
chen zu herrlicher Entwicklung kam.
Am 27. Juli steht nun Düsseldorf abermals vor einem wich¬
tigen Momente in der Geschichte seines Geisteslebens. Die Aka¬
demie für praktische Medizin wird an diesem Tage feierlich
inauguriert und damit der Stadt eine Anstalt gegeben, der aus¬
drücklich Charakter und Dignität einer Hochschule verliehen
ist. Aber es ist ein anderes Düsseldorf, das Düsseldorf, das
jetzt die auswärtigen Teilnehmer an seiner Festfeier willkom¬
men heisst. Kaum eine andere Stadt des deutschen Reiches
hat aus der Entwicklung der Industrie in gleichem Masse Vor¬
teil zu ziehen gewusst und hat es vermocht, einer neuen Zeit in
gleicher Weise gerecht zu werden, ebenso aber auch die
Wandlung der Dinge sich nutzbar zu machen. Hier im Zentrum
des westdeutschen Industriegebietes, in der Hauptstadt von
„Kohle und Eisen“ waren in der erdenklich besten Weise die
Vorbedingungen geschaffen, um in einer für das ganze deutsche
Volk immer brennender werdenden Frage vorbildlich voran¬
zugehen.
Mit dem Wachstum der Bevölkerungszahl, mit der zu¬
nehmenden Industrialisierung, mit den Fortschritten der Tech¬
nik und der Wissenschaft, mit den gesteigerten Anforderungen,
die an das einzelne Individuum gestellt werden, hat das Be¬
dürfnis nach tüchtigen, wohlausgebildeten Aerzten in gleichem
Masse zugenommen. Die Zahl der Universitäten, denen ja die
Heranbildung der jungen Mediziner in erster Linie zufiel, ist
nicht gestiegen; auch die der speziell klinischen Institute nur
in ganz geringer Zahl, während die sich so rapid entwickelnden
medizinischen Hilfswissenschaften immer höhere Anforde¬
rungen an den Staatssäckel stellen. Wohl hatte das Wissen der
jungen Aerzte, die das Staatsexamen absolvieren, durch neue
oder sich weiter entwickelnde Disziplinen zugenommen, aber
in Bezug auf das Können ist sicher eher ein Rückschritt als ein
Fortschritt zu verzeichnen. Und doch entscheidet im prak¬
tischen Leben das Können und nicht das Wissen. Gewiss, wir
wollen keine Routiniers, sondern wissenschaftlich durchgcbil-
*) I önnies: Die Fakultätsstudien zu Düsseldorf. 1884.
GALERIE HERVORRAGENDER ÄRZTE UND NATURFORSCHER
-
MANUEL
.ENDEL.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift. Blatt 214 , 190J.
Verlag von J. F. LEHMANN in München.
3. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE XVOCllKNSOiRll^
1-489
, h . fi:p Praxis verlangt vielerlei Dinge, die nm
CtC itische? Betätigung' erlernt werden können Hätte die
11 m ^ Her deutschen Aerzte nach dieser Richtung mit der
vusbildung der deutsene wahrlich heute mit
v issenschafthchen Schriü gelmltem es^a flem Empor.
,er materiellen Stenun^de^Aei-zte Deutsch,and anders aus.
wISiVkann einK geistvoller akademischer Lehrer seine Aus-
Wohl kann em geisxvu Krankheiten, über die
tührinigen über die Pathogenese «r, * an(Jere Djnge einer
grossen, ja ein"^
rss sa? » ^rtssrsr-s
Kranken und die Wichtigkeit
Pfllllsss
i-isssi
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haus schaffen könne. Der Gedanke ÄSM
ÄÄ« dTe’ Notw "en&eit verknüpft, das
P Stierte K ankenhaus in ganz anderer Ausdehnung und ganz
isisa
Veert :ferndeerQememde al“ geplanten Massnahmen ihrer Ver
j„c etädtischen Hochbauamtes, Baurat R a d k e,
der etwas durchaus eigenartiges zu schaffen vermocht^ Oevv
mag in manchen Dingen die gemeinsame f bC ‘ ein aTs mit
mässigkeit momenta, .««*« , ! “meinen Krankenanstalten
d^r' Stadt Düsseldorf besichtigt, der wird sicher, id, zugeben,
hier ist ein Werk geschaffen, das seinen Meister lobt und d
Radkesche Schöpfung wird in vieler Hinsicht vorbildlich für
haben sich allmählich aus
demkrankenhausproiekt der Stadt entwickelt^me v. ei.ge
Dezentralisation in jeder Richtung, aber unter W ahrung üei v c
wahungsei heit hat selbständige Kliniken und Institute an Stelle
der ursprünglich geplanten kleinen Abteilungen entstehen
Ganzen zusammen; doch jede einzelne Disziplin hat alle Hilfs-
SäCSSSSSä
äSEssssä
der Forschung gestellt hat, ist selbstverständlich. So darf den
die* Schöpfung der Stadt sich getrost neben den Einrichtungu
der staatlichen Laboratorien und Kliniken, auch m Bezug a
dis was n u r dem Unterrichte dient, sehen lassen und braucht
keinen Vergleich mit den besten Anstalten des Inlandes wie des
Auslandes zu scheuen. Die Vorbedingungen für eine gedc.l -
Uche Arbeit der Akademie für praktische Medizin m Dussel-
dorf stnd also geschaffen; möge ein günstiger Stern über ihr
walten und sic sich würdig einreihen unter d,e .arnp® ®"hunJ
Stätten ärztlicher Ausbildung und medizinischer Eorschunb.
Emanuel Mendel f.
Die Berliner medizinische Fakultät hat wieder einen ihrer
besten Männer verloren. Emanuel M e n d e 1 ist an den holgti
einer chronischen Nephritis am 23. Juni in seinem Landhause
in Pankow gestorben. Möge es einem seiner früheren Schule
gestattet sein, dem dahingegangenen Lehrer ein paar Worte
übers Grab darzubringen. . ,
Aus den engen Verhältnissen der kleinen schlesischen
Stadfeunzlau hervorgegangen, „von armen aber anständigen
Eltern“, wie mans manchmal liest, verlebte M
ersten Universitätsjahre in Breslau und schloss sich dort der
"ten Burschenschaft der Raczeks an. In Berlin und Wien , be¬
endigte er seine Studien und machte sein Staatsexamen 1861.
ISS1 & ab! « F°e"macMeS ÄÄ*
,,,'t niederste Kugel bei Wörth prallte von dem 1866 er¬
worbenen Roten Adler Orden mit Schwertern i ab i, den er
seinem Medizinalkalender in der linken Brusttasche dicht un
dem Herzen trug. Ais das Garderegiment „Königin El sabeth
i Q+iirm auf 1 e Bourget unter General von Budritzki at
nahm rta™ der ädtere Stabsarzt auf Mendel zu und bat ihn :
ich habe Frau und Kind zu Hause Sie sind en“dhe urfüHte die
BUte^ein'^huss^zersplittertFda^Schi^nbein;6 das ^Eiserne
Kreuz war der Lohn. Seine Braut pflegte den Verwundeten in
Berlin ta Lazarett mit einer Hingabe, welche der spatere Gatte
nie vergessen hat.
Nach dem Kriege Hessen die Anregungen von dei cs
p h a*l sehen Irrenklinik an der Charite, welche W e n d e lrege^-
SSSSSSSää
tünisehen Arbeiten welche, 1873 zur Habilitation an der Berliner
m dSufschefSltät führten.. Zwei monographische Werk
MUC^ Ä) “riie^nL^ntirwär u,
den Werken ausserordentlich scharf ausgearbeitet, besonders
die' Frühdiagnose der Paralyse verdankt M e “ Hand-
Bearbeitung. Für das E S ein -bchwalb sd m nana
buch schrieb er den psychiatrischen Teil Noch a s aoe ^
Mann verschmähte er es mcht, zu lerne b
der Zeit als ich Student war, bei V 1 r c h o w aie onemi
Vorlesung über pathologische Anatomie des Gehn • L“
Äe“ er das noch bestehende, ™^«e“er.
führte „Neurologische Zentralblatt . ,U l . d Karl-
ordentlicher Professor
Strasse zusammen mit Alb E u 1 e g essanten Nerven-
SüfoeSÄS. eSO„e Lehr- und L.ngelegtmheit wurde
ei^ene^Hörraa^autFmU^Rmunen für Laboratorium^arbdtem
Sprechstunde, die er o en c der Krankheit wurde vor
den Zuhörern" fSh waren unserer rtgel-
SleS ta Berlin ‘“chtsäteneGelegenheit, auch in der Poliklinik
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
490 *
mitzuhelfen und uns nützlich zu machen. Noch mehr als drei¬
fach an Zahl war die öffentliche Vorlesung über Zurechnungs¬
fähigkeit für Juristen und Mediziner besucht. Sie war einzig
in ihrer Art. Aus den Privat-Irrenanstalten Berlins kamen
die Kranken, welche vorgestellt wurden. Gerade in Grenz¬
fällen an scheinbar höchst klug und logisch denkenden Patienten
verstand es M e n d e 1 meisterhaft, die Art und die Kennzeichen
der Kranksinnigkeit seinen Zuhörern darzustellen. In jedem
Semester beschlossen Ausflüge in die Irrenanstalten von Pan¬
kow, Dalldof oder Herzberge die Vorlesungen. Das Mass von
Kenntnissen, das aus Mangel an systematischem, in die Vor¬
bereitungsjahre einzufügendem Umgang mit Geisteskranken —
v. I h e r i n g hat solchen schon vor 20 Jahren in „Scherz und
Ernst in der Jurisprudenz“ dringend gefordert und empfohlen
— preussische Richter von der Seelenheilkunde besitzen, ver¬
danken viele von ihnen dieser Vorlesung. Oft erzählte
Mendel, dass sich ihm als Gutachter vor Gericht der Staats¬
anwalt oder der Vorsitzende als frühere dankbare Schüler zu
erkennen gegeben.
Neben diesen grossen Erfolgen als Lehrer ging eine selbst
für Berliner Professoren ungewöhnlich umfangreiche Sprech-
und Konsiliarpraxis einher. Der Umstand, dass der damalige
Ordinarius für Nerven- und Irrenheilkunde, Westphal,
jahrelang leidend war, steigerte diese Seite der Mendel sehen
Tätigkeit. Fast kein Land Europas gab es, dessen Aerzte ihm
nicht Kranke zuschickten oder ihn ans Krankenbett in weite
Ferne gerufen haben. Dass die Berliner Fakultät die Studenten
sowohl aus Osteuropa und aus den Balkanstaaten, wie aus
Nordamerika von Wien und seiner ärztlichen Schule abgezogen,
war mit Mendels Verdienst. Als ich einmal in Moskau mit
einem Nervenarzt über dieses Verhältnis sprach, sagte er die
bezeichnenden Worte: „Für uns Russen ist M e n d e 1 in ärzt¬
licher Beziehung dasselbe, was für die Frommen bei uns die
iberische Madonna ist“ (ein Heiligenbild, welches sich die Recht¬
gläubigen aus der Uspenskikathedrale ins Haus ans Kranken¬
bett kommen lassen).
Und wie wusste Mendel mit Kranken umzugehen. Das
war keine gelernte Technik der Seelenanalyse, das war ein¬
fach angeborene Kunst, Sache der Gnade. Nur ein paar Bei¬
spiele:
Ein erschöpfter Kopfarbeiter, höherer Verwaltungsbeamter,
erzählte dem Schreiber dieser Zeilen: Ihr Lehrer Mendel
war, nachdem ich in steter Angst, geisteskrank zu werden, ein
halbes Dutzend Autoritäten konsultiert, der Einzige und Erste,
welcher die Schilderung meiner Beschwerden, ohne die Stirn
in ernste Falten zu ziehen, gleichmütig, ja lächelnd aufnahm.
Ich war nach 5 Minuten schon halb gesund. — Einem von
Schmerzen schwer geplagten Neuralgiekranken sagte er zum
Trost die charakteristischen Worte: „Sie fühlen ihre Schmer¬
zen nicht nur, Sie haben sie auch.“ — Einem jugendlichen
Rückenmarksleidenden auf die Frage, wie er sich verhalten
soll, sagte er: „Leben Sie wie ein alter Mann!“ — Eine pol¬
nische Gräfin, deren Finger bei Bewegungen knackende Töne
von sich gaben, erhielt auf die Bitte um Auskunft, was das zu
bedeuten habe, die einer Pythia würdige Antwort: „Craque-
ment hysterique.“ — Eine Kranke bekam auf die Klage, dass
ihr der verordnete Badeort nichts genutzt habe, den Bescheid:
„Wissen Sie denn, was passiert wäre, wenn Sie nicht die Kur
gebraucht hätten?“ — Ein an Migräne leidender Patient zeigt
das schriftlich von „seinem“ Professor gegebene Ehrenwort,
dass die Migräne eines Tages nicht mehr wieder kommen
würde.
Und erst das Kapitel der Seelenerkrankungen. Wie viele
J ragödien, wie viele Gewissens- und Seelenkämpfe haben sich
in dem Sprechzimmer dieses gottbegnadeten Arztes abgespielt?
Das N o t h n a g e 1 sehe Wort: „Nur ein guter Mensch kann
ein guter Arzt sein“, passte auf ihn. Er blieb der Idealist auch
am Krankenbett und übertrug seinen leuchtenden Optimismus
auf die Schwankenden und Schwachen.
Mendel hat Hunderte von Armen gratis behandelt, nie
eine Rechnung ausgeschrieben. Das ungeschriebene Verbot,
welches in London den Mitgliedern der Königlichen Gesellschaft
der Aerzte untersagt, Honorarprozesse vor Gericht zu führen,
galt auch für ihn.
Auch der Humor war diesem im Grunde so ernsten Arzte
nicht fremd. So als er erzählte, er habe einen Vortragenden
Rat aus einem russischen Ministerium, der an beginnender
Hirnerweichung litt, geraten, seine Stellung „ruhig und ohne
Sorge“ noch einige Jahre beizubehalten.
Recht angeregt und frisch wurde Mendel, wenn man auf
die hohe Politik die Rede brachte. Mendel vertrat Pankow
und den Nieder-Barnimer-Kreis durch zwei Legislaturperioden.
Er stand natürlich
Wo das Herz schlägt
Auf der Menschheit frohen Linke,
Auf des Frühlings grosser Seite.
Da konnte er von Bismarck erzählen, wie er bei einer
Thronrede des alten Kaisers, als die Worte stockend wurden,
„wild“ geworden sei und, zu den Abgeordneten gewendet,
halblaut gesagt habe: „Mit dem Lesen geht es auch schon nicht
mehr.“ Und wie Bismarck beim parlamentarischen Abend sich
an die Fortschrittler mit den Worten wandte: „Meine
Herren ! Sie ärgern mich ja manchmal im Reichstage, aber das
ist ein Kinderspiel gegen die Kämpfe, welche ich mit den Unter¬
röcken am Hofe auszufechten habe.“ Aber auch werktätig
förderte Mendel im Reichstag, was zu seinem Ressort ge¬
hörte. Der § 51 von der Zurechnungsfähigkeit verdankt ihm
Fassung und Kommentar. Gegen die Antivivisektionisten
kämpfte er an der Seite Virchows. Und an den Vor¬
bereitungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch, soweit es sich auf
Entmündigung und Geisteskranke bezieht, nahm er tätigen An¬
teil. Die Unfallneurosen beschäftigten ihn literarisch und in
seiner Gutachtertätigkeit Jahre lang. Als die dem Liberalismus
ungünstigen Zeiten ausbrachen, da klagte er oft über den
mangelnden Nachwuchs in der Jugend und über das Strebertum
der „fils de famille“. Er zog sich auf das gemeinnützige Wir¬
ken in Pankow selbst, in dem Brandenburgischen Provinzial¬
landtag, in der Berliner med. Gesellschaft, deren 2. Vorsitzender
er zuletzt war, in der Aerztekammer und in vielen Hilfsvereinen
und Stiftungen zurück; seinen praktischen Optimismus, die rast¬
lose Energie krönte als Lebenswerk das Pankower Gemeinde¬
krankenhaus, eine Musteranstalt, als Ganzes und in vielen
Einzelheiten ein Werk Mendels. Im Rathaussaale zu Pan¬
kow vor Tausenden von Menschen vollzog sich auch die
Trauerfeier für den Verstorbenen.
Und wie standen seine menschlichen Eigenschaften auch
ohne Berücksichtigung der ärztlichen und parlamentarischen
Leistungen. Er war ein Virtuose der Freundschaft. Eines
Tages erschien er in Wiesbaden, spontan, frühzeitig nach durch¬
fahrener Nacht, nur um eine junge nervenkranke Dame zu be¬
suchen, und um dann deren reiseunfähige Eltern, welche in Berlin
lebten und ihm befreundet waren, zu beruhigen. Sein Familien¬
leben war von seltener Harmonie. Assistenten und Schüler
versammelte er in seinem gastlichen Heim jeden Sonntag.
Dann spannte er den Bogen ab, war voller Herzensgüte, voller
Fröhlichkeit.
Mit Seelenruhe sah er seinem eigenen „Abgang hinter die
Kulissen“, wie er scherzend sagte, entgegen. Der Puls war in
den letzten Jahren unregelmässig und hüpfend geworden.
„Eines Tages wird der Faden ganz reissen“, meinte er.
So war er in allen Dingen für uns Jüngere ein unerreich-
cf-neS wir sahen zu ihm auf und verehrten ihn in
Stille, „kindliche Schauer treu in der Brust“. Als die Todes¬
nachricht ankam, lagen gerade Lilien cron sehe Verse vor
mir aus der herrlichen Vision „Ueber einen Toten gebeugt“.
;,f,Illögen ilier folgen. Mendel war natürlich in seiner
Weltanschauung ein dezidierter Heide.
„ — — ich ueuge mien zu Dir:
L u glaubtest nicht an Gott, nicht an den Himmel,
Nicht an Unsterblichkeit und Wiedersehn.
Gib mir ein Zeichen: Hast Du Dich getäuscht?
Hat eines Engels Lichtgestalt
f!e,J W™ Dir traut gelegt um Deinen Nacken
nd fuhit Pich, selig lächelnd, aufwärts zeigend.
Zum frohen Palmenwald des Paradieses?
Und wandeln Deine Freunde Dir entgegen,
Zum Willkomrngruss die lieben Hände streckend?
jib mir ein Zeichen: Hast Du Dich getäuscht?
Und während ich die bleiche Stirn berührte,
rlog über uns. den Marmelstein beschattend
tm wilder Schwan in trotziger Lebenskraft!’
B. L a q u e r - Wiesbaden.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1491
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. F. Wesener: Medizinisch-klinische Diagnostik.
II Auflage mit röntgendiagnostischen Beiträgen von Dr.
Sträter, Textabbildungen und 21 farbigen Tafeln. Berlin.
Verlag von Julius Springer.
Das in zweiter Auflage erscheinende Werk unterscheidet
sich von allen anderen seines Fachs durch eine eigenaitige,
zweifellos die Uebersicht für rein praktische Zwecke sehr
fördernde Anordnung des Stoffes. Es bringt in seinem ersten
Teil ganz allgemein die Methodik und 1 echnik der Unter¬
suchung und allgemeine Diagnostik; die Einteilung in Unter¬
suchungen I. mittels des Gesichtssinnes, II. mittels des Gefühls¬
sinnes und III. mittels des Gehörsinnes erscheint etwas äusser-
lich, besonders wenn man unter I. so heterogene Dinge wie
elektrodiagnostische und bakteriologisch-chemische Unter¬
suchung vereinigt sieht, ist aber nicht unpraktisch. Ueberall
finden wir kurze, klare Schilderungen, auch die Röntgentechnik
ist _ was bei der Fülle der Detailarbeit viel sagt — erschöpfend
und übersichtlich behandelt. In Einzelheiten, wie in der Ge¬
ringschätzung der Kardiographie, wird mancher Leser anderer
Ansicht sein, wie der Verf. Auch scheint es dem Ref. nicht an¬
gebracht, dem studierenden Leser den Wert der Anamnese
als so relativ gering zu schildern, wie es der Verf. tut. Der
zweite Teil des Werkes behandelt die spezielle Diagnostik der
Haut, des Respirationssystems, des Zirkulationssystems, des
Digestionssystems usw. Jedem der Kapitel ist eine spezielle
Röntgenlehre des betr. Gegenstandes (von Dr. S t r ä t e r -
Aachen) angefügt. Die spezielle Diagnostik ist naturgemäss
bei der Ausführlichkeit des ersten Teils knapper gehalten.
Ueberall kann man sich der durchaus praktischen Kürze er¬
freuen, der doch eine eingehende, kritische Verarbeitung auch
der neuesten Literatur zu Grunde liegt. Vorzüglich ist z. B.
die Gegenüberstellung des Färberesultates von 5 der gebräuch¬
lichsten Färbemethoden für die Blutzellen im Text und in einer
ausgezeichneten bunten Tafel. Manche Sätze aus der Herz¬
diagnostik wie der kategorische: „eine Steigerung des Blut¬
drucks kommt bei Hypertrophie des linken Ventrikels (In¬
suffizienz der Aorta, chronischer Nephritis etc.) vor“, werden
wohl bei vielen Widerspruch erregen. So einfach darf man
über Zusammenhang und Kausalnexus auch in einem Studenten¬
lehrbuch nicht hinwegspringen. Auch die graphische Regi¬
strierung der Venenpulse dürfte etwas weniger geringschätzig
behandelt sein. Auch in der neurologischen Diagnostik
scheinen mir manche nicht wesentliche Einzelheiten anfechtbar
(z. B. einiges in der Darstellung der elektrischen und mecha¬
nischen Muskelerregbarkeit).
Den letzten Teil bildet die angewandte Diagnostik. In kur¬
zen Sätzen und Merkworten wird die Diagnose der einzelnen
Krankheiten dargestellt; bei jedem Satz wird durch einen Zahlen-
vermerk auf den betreffenden Abschnitt der beiden ersten Teile,
der allgemeinen Methodik und der speziellen Diagnostik hin¬
gewiesen. Das kurze diagnostische Schema wird so in sehi
praktischer Weise immer wieder neu belebt und vertieft.
Die Verlagsbuchhandlung hat dem Buch — darin sehe ich
einen seiner wesentlichen Vorziige — eine ganz ausgezeichnete
Ausstattung zuteil werden lassen; Textillustrationen und Tafeln
sind vorzüglich gewählt und reproduziert. Ein sehr gewissen¬
haft gearbeitetes Register unterstützt die Uebersichtlichkeit
des Werkes.
Alles in allem haben wir ein Buch vor uns, das, aus der
Praxis geboren für die Praxis bestimmt, trotz einiger sachlicher
Ausstellungen seinen Platz in der einschlägigen Literatur stets
behaupten wird. Es sei vor allem dem Praktiker dringend
empfohlen. In seiner Klarheit, Knappheit und erschöpfenden
und sichtenden Darstellung wird es — ohne den Ballast langer
theoretischer Erörterungen — die meisten diagnostischen
Fragen in vorzüglicher Weise beantworten.
Hans Curschmann - Mainz.
Bardenheuer: Die allgemeine Lehre von den Frak¬
turen und Luxationen, mit besonderer Berücksichtigung des
Extensionsverfahrens. Stuttgart, Enke, 1907. 377 S. Preis
11 Mark.
Es muss freudig begriisst werden, dass der Kölner Chirurg,
der die Behandlung der Frakturen zu seiner Hauptlebensauf¬
gabe gemacht und über dieselbe uns schon zahlreiche wert¬
volle Arbeiten geschenkt hat, nunmehr auch die allgemeine
Frakturenlehre im vorliegenden Werke auf Grund seiner
reichen Erfahrungen abhandelt.
Naturgemäss nimmt auch in diesem Buch die Behandlung
der Frakturen den Hauptplatz ein und B. versäumt keine
Gelegenheit, auf die grossen Vorzüge der Extensionsbehandlung
bei allen die Frakturen betreffenden Komplikationen hinzu¬
weisen. Gleichzeitig werden die Nachteile der anderen Be¬
handlungsmethoden, zumal des Gipsverbandes, ausgiebig her¬
vorgehoben.
Dass die Extensionsbehandlung, so sehr sie sich in den
letzten Jahren Gebiet erobert hat, noch nicht überall eingeführt
ist, liegt zum Teil an ihrer fehlerhaften Anwendung. Auf Ein¬
zelheiten kann hier nicht eingegangen werden, es kann aber
nicht oft genug betont werden, dass die Extension gleich am
ersten Tage einsetzen muss und dass sie ein Gewicht von
30_40 Pfund erfordert. Für alle weiteren Einzelheiten ist ein
genaues Studium der Methode an der Hand des Buches oder
noch besser im Kölner Bürgerspital notwendig. Krecke.
Hahn, Deycke-Pascha: Knochensyphilis im Rönt¬
genbild. (Ergänzungsband des „Archiv der norm. u. pathol.
Anatomie in tvpischen Röntgenbildern). Hamburg 1907.
Gräfe &. Sillems Verlag. 10 Tafeln, 44 Seiten Text.
Preis UM.
Ein grösseres Röntgenwerk, welches sich ausschliesslich und
ausführlich mit Knochensyphilis befasst, war bisher in der
Literatur nicht vorhanden. Dieser Mangel wurde um so pein¬
licher empfunden, als die Zahl der kürzeren Arbeiten, welche
dieses Thema behandeln, einschliessen oder streifen, kaum ein
halbes Dutzend übersteigt. Den Wert gerade dieser Unter¬
suchungen kennen leider bisher die wenigsten Aerzte. Das ist
um so bedauerlicher, als tatsächlich die Röntgenogramme spe¬
zifisch syphilitischer Knochenläsionen derartig typische Bilder
ergeben, dass man daraus allein ohne jede anamnestische und
klinische Nachforschung — aber keineswegs sei dieser Modus
der Diagnostik etwa empfohlen — wohl immer die richtige
Diagnose stellen kann. So hat (wenigstens ist es Ref. so er¬
gangen) oft erst das Röntgenbild auf den richtigen Weg ge¬
führt in Fällen, bei denen nach ihrem sonstigen Befund vom
behandelnden Arzte Lues anamnestisch gar nicht in Betracht
gezogen war. Daher ist denn das eingehende Studium des
Atlas, den uns Hahn und Deycke hier vorlegen, sowohl für
den Syphilidologen wie für den praktischen Arzt und nicht
minder den Röntgenologen in gleicher Weise unerlässlich.
Birgt das Werk doch eine auserlesene Fülle geeigneten Ma¬
terials, welches u. a. zum Teil aus dem Hospital Gülhane
in Konstantinopel stammt. — Zunächst sind im Zusammenhang
die einzelnen Erscheinungen der Syphilis der Knochen (Peri¬
ostitis irritativa, P. luetica Simplex, P. gummosa; Ostitis Sim¬
plex, O. gummosa; Osteomyelitis Simplex, O. gummosa etc.)
kurz erläutert und auf Beispiele in den I afeln hingewiesen, es
folgen sodann die Tafeln mit 84 Abbildungen vom Lebenden
und einzelnen wichtigen Knochenpräparaten.
Die Tatsache, dass die meisten Aufnahmen des vorliegen¬
den Buches von Albers-Schönberg angefertigt sind,
erübrigt es, ihre Vollkommenheit noch besonders zu betonen.
Dass auch die Wiedergabe der Illustrationen die denkbar beste
ist, war nach den bekannten Leistungen des Verlags nicht
anders zu erwarten. Alban Köhler- Wiesbaden.
Ikonographia dermatologica. Atlas seltener, neuer und
diagnostisch unklarer Hautkrankheiten. Tabulae selectae
editae a Albert N e 1 s s e r - Breslau, Eduard Jakobi-Erei-
burg i. Br. Fase. II, Tab. IX-XVI. Urban & Schwarzen¬
berg, Berlin und Wien, 1907. Preis 8 M.
Auch die 2. Lieferung des grossartigen dermatologischen
Bilderwerkes enthält ganz vorzügliche Abbildungen und inter¬
essante Besprechungen : E h r m a n n - Wien : Lichen, Ekzema
scrophulosorum et Lichen atrophicans in scrophuloso cum de-
pigmentatione; W. Heu ck-Berlin: Acrodermatitis atrophicans
cum sclerodermia; J a c q u e t - Paris: Oedema ingens ac su-
bitum bracchii; Kl i n gm ti 1 1 e r -Kiel-Breslau: Lues ver¬
rucosa et Jododerma; P o s p e 1 o w - Moskau: Tumor cutis
keratoangiomatosus (Keratangioma?); W. Sch m 1 d t - Erank-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
furt a. M., Freiburg i. B.: Urticaria perstans; Thibierge-
Paris: Lymphangioma capillare xanthelasmoides; Ritter
v. Z u m b u s c h - Wien : Casus pro diagnosi. J e s i o n e k.
Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur
modernen Kultur von Dr. nied. Iwan Bloch, Spezialarzt für
Haut- und Sexualleiden in Berlin, Verfasser von „Ursprung der
Syphilis“ etc. Verlag von L. Marcus, Berlin 1907. 822 S.
Preis 8 M.
Das bekannte literarische Projekt, die Wirkungen Homers
durch die Weltliteratur hindurch zu verfolgen, kann mit der
Aufgabe, welche der Verfasser sich gestellt hat, kaum an
Riesengrösse verglichen werden: nämlich die Quellen, die
Formen, die Mittel, die Wirkungen und vollends die Ver¬
irrungen des menschlichen Sexualtriebes darzustellen in allen
ihren Beziehungen zu den Aeusserungen unserer Kultur. Nicht
allzuviele werden in der Lage sich fühlen, ein Urteil darüber
abzugeben, ob die Lösung dieser Aufgabe dem Verfasser in
mehr oder weniger hohem Grade gelungen ist; denn dazu wäre
eine mindestens ebenso grosse Erfahrenheit in der Literatur der
ganzen ungeheuren Frage die Voraussetzung, wie sie dem Verf.
zu Gebote steht, eine Belesenheit, um deren Erwerbung der
Autor wahrlich nicht ohne weiteres zu beneiden sein dürfte.
Das Werk wird, darüber besteht kein Zweifel, wie andere aus
diesem Gebiete wissenschaftlicher Forschung, von minder¬
wertigen Arbeitern als eine willkommene Fundgrube inter¬
essanter Details ausgebeutet werden. Es wird auch in Unrechte
Hände kommen, die heute so zahlreich sich ausstrecken, wenn
es sexuelle Fragen zu erörtern gilt. Sie sind ja Modeartikel.
Das alles aber liegt nicht dem Autor zur Last, dessen Riesen¬
werk Anspruch erheben muss auf wissenschaftliche Würdi¬
gung. Von der Ausarbeitung des Stoffes hier in einer kurzen
Skizze eine Andeutung machen zu wollen, wäre wohl ein
eitles Unternehmen, das der Mühe und dem Ernste des Verf.
nicht entspräche. Es wäre interessant, die Stellungsnahme des
Verf. zu den einzelnen Problemen der sexuellen Frage dar¬
zulegen, etwas zu jener der freien Liebe, zum § 175 des R.St.G.
Ohne auf . einzelnes einzugehen, sei hier nur hervorgehoben,
dass eine optimistische Auffassung über die fernere Ausgestal¬
tung des Sexuallebens das ganze Buch durchweht und dass
der Verf. die Frage nach der Zukunft der menschlichen Liebe,
die Frage, ob eine Veredelung, eine Vervollkommnung des
Menschengeschlechtes in seinen sexuellen Beziehungen er¬
wartet werden darf, freudig bejaht. Die sittliche Forderung
des Verf.: Ohne freie Tat kein Recht auf Liebe! kann wohl
von jedem Vernünftigen unterschrieben werden. Stelle man
sich zu den persönlichen Auffassungen des Verf. wie man will;
jedenfalls vermittelt sein Werk dem ernsten Leser auch eine ■
Fülle von Gedanken, Beobachtungen und Auffassungen aus¬
gezeichneter Philosophen, Forscher, Dichter und Schriftsteller
aller Zeiten und Völker über das völkerschaffende und -ver¬
nichtende Prinzip der sexuellen Liebe. Wie aus den früheren
Arbeiten des Verf. bekannt ist, verfügt er über einen anregend
wirkenden Stil, der die Lektüre des ja oft unerfreulichen Stoffes
meist erfreulich und anziehend zu gestalten weiss. Einige
kräftige Striche wären in einer etwaigen späteren Auflage aber
immerhin eine Erleichterung für den starken Band. Wenn der
wissenschaftliche Ernst und der alles Schlammige läuternde Ein¬
fluss anthropologischer und ethnologischer Betrachtungsweise,
die dem ganzen Werke unverkennbar eigen ist, jeden Leser
in seinen Bann nimmt und zu einer ernsten Betrachtung der
hier behandelten ernsten Fragen zwingt, dann erst kommen
Verfasser und Wissenschaft auf ihre Rechnung.
Grassmann - München.
Das preussische (iesetz betreffend die Bekämpfung über¬
tragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 und die Aus-
führungsbestimmungen dazu in der Fassung vom 15. Sep¬
tember 1906. Nebst dem Text des Reichsgesetzes, betreffend
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni
Erläutert von Dr. Kurt Schneider, Medizinalrat,
ständiger Hilfsarbeiter der Königlichen Regierung in Breslau.
Breslau 1907. J. U. K e r n s Verlag. 230 Seiten. Preis 5 M.
Der Verfasser bezweckt mit seiner Arbeit, denjenigen, die
sich mit dem preussischen Gesetz, betreffend die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 näher zu be¬
schäftigen haben, dies zu erleichtern. Er bringt deshalb zu¬
nächst den Text dieses Gesetzes und die im Titel erwähnten
preussischen Ausführungsbestimmungen, welchen er eine Ein¬
führung in das Gesetz vorausschickt und eine Reihe von Er¬
klärungen beigibt. Im Anhänge sind die „Bestimmungen über
Entnahme, über Versendung von Material für die bakterio¬
logische Untersuchung“, „Ratschläge an Aerzte für die Be¬
kämpfung der übertragbaren Krankheiten“, „Gemeinverständ¬
liche Belehrungen zur Verteilung an die Bevölkerung über
diese Krankheiten“ bekannt gegeben; in dem Sachregister be¬
findet sich noch erne Uebersicht über die im Buche angezogenen
Gesetze, Erlasse usw., nach der Zeitfolge geordnet.
Das Werkehen kann als ein recht brauchbares Nachschlage-
buch allen Aerzten, amtlichen sowohl als nichtamtlichen, sowie '
auch allen Verwaltungsbehörden aufs beste empfohlen werden.
S p a e t - Fürth.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 90. 3. u. 4. Heft.
11) R. Geigel: Der Metallklang.
Die Arbeit formuliert eine befriedigende, physikalische Erklärung
des Metallklanges in folgendem Schlussatz: „Ueberall, wo an schall¬
fähigen Körpern das elastische Gleichgewicht plötzlich an kleiner
Stelle kurzdauernd gestört wird (z. B. durch Perkussion), entstehen
diskontinuierliche Schwingungen des elastischen Körpers (z. B. der
Luft). Sehr diskontinuierliche Wellenbewegung muss die vom Grund¬
ton weit abliegenden hohen Obertöne gegenüber ersterem hervor¬
treten lassen und so den , Metallklang1 liefern.“ Erfahrungsgemäss
sind im Körper überall, wo bei Perkussion und Auskultation Metall¬
klang auftritt, jederzeit die Bedingungen zum Entstehen diskontinuier¬
licher Schwingung der Luft gegeben.
12) G. Köster: Ueber das temporäre Fehlen der Patellar-
reflexe bei der Hysterie. (Mit 2 Abbildungen.)
Kasuistische Mitteilung eines schweren Hysteriefalles mit schwe¬
ren epileptischen Krampfanfällen und letalem Ausgang. Die Autopsie
bot keinem Erklärung für die Reflexstörung. Vielleicht kommen für
die Deutung Stoffwechseltoxine in Betracht.
Io1 A. Uffenheimer: Die Knötchenlunge. (Aus dem hygie¬
nischen Institute der Universität München.) (Mit Tafel VI und VII.)
P>e Bildung der Knötchenlunge kann durch Einbringung der
verschiedenartigsten organischen Stoffe in den Meerschweinchcn-
körper ausgelöst werden. Diese Knötchen sind also keineswegs
tuberkulöse Bildungen, sondern lediglich grosse Lymphknoten als
Ausdruck der Reaktion des Körpers gegen eine eingedrungene Noxe.
Die Ueberimpfung von Blut und Drüsen vor kurzem mit Tb. ge¬
fütterter Meerschweinchen auf neue Meerschweine löst nicht nur die
Bildung der Knötchenlunge bei diesen Tieren aus, sondern führt
zugleich im Organismus derselben zu Immunisierungsvorgängen
gegen den Tb. . Ein kausales Abhängigkeitsverhältnis der Immuni¬
sierungsvorgänge von der Bildung der Knötchenlunge ist nicht er¬
wiesen, möglicherweise handelt es sich dabei um koordinierte bio¬
logische Vorgänge. Es besteht wohl die Möglichkeit, dass schnell
nach der Fütterung der jungen Meerschweinchen mit den Tb. einige
wenige Keime in die verschiedensten Organe und das Blut über¬
gehen können, wo sie aber bei geringer Zahl wohl völlig unschädlich
gemacht werden.
14) C. Klieneberger: Studien über die Koliagglutinine unter
besonderer Berücksichtigung der klinischen Verwertung von Koli-
agglutinationen. • (Aus der kgl. med. Klinik zu Königsberg.)
Die Sera von gesunden Personen enthalten zum Teil recht
beträchtliche Mengen von Koliagglutininen. Die verschiedenen Koli-
stämme werden durch die verschiedenen menschlichen Sera ver¬
schieden beeinflusst. Einzelne Stämme finden in jedem Serum für
sie eingestellte Agglutinine. Bei menschlichen Kolibazillosen agglu-
tiniert öfters das Krankenserum den infizierenden Stamm; öfters fehlt
die Agglutination vollständig. Bei fieberhaften Kolibazillosen sowie
bei Pyelitis findet sich diese Agglutination am ehesten. Der Nach¬
weis einer spezifischen oder abnorm hohen Koliagglutination ist nur
an Hand von Normalserumkontrollen zu führen. Die natürliche und
künstliche Immunisierung mit einem einzigen Kolistamm führt zur
Bildung verschiedener Agglutinine; häufig lassen sich ein Haupt- und
verschiedene Partialagglutinine trennen.
15) J. Bickhardt und E. Schümann: Beiträge zur Patho¬
logie des Aneurysma der Arteria hepatica propria. (Aus der
II. inneren Abteilung des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt.)
ln 2 Fällen konnte die Diagnose erst bei der Autopsie gestellt
werden, der eine betraf eine 69 jährige Frau, bei der ein Durchbruch
eines Aneurysmas der Leberarterie zu einer tödlichen Magendarm¬
blutung geführt hatte, im 2. Falle erlag ein 10 jähriger Knabe einer
Blutung in die Bauchhöhle, ausgehend von einer Ruptur eines Aneu¬
rysmas eines Astes der Leberarterie. In einem 3. Falle, der unter
dem Verdachte eines Magenkarzinoms zuging, bestand Verdacht auf
Aneurysma der Leberarterie; da die Operation im letzteren Falle ver-
23. Juli 19Ü7.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1493
weigert wurde, ist die Diagnose nicht sicher gestellt. Immerhin muss
man die Möglichkeit eines Aneurysmas der Leberarterie in Betracht
ziehen, wenn folgende Symptome vorliegen: Schmerz, ähnlich wie
bei (jallensteinkoliken, Ikterus, Blutung in den Digestionsapparat, Le¬
berschwellung, Temperatursteigerung (Resorptionsfieber nach Blu¬
tung), palpable Geschwulst in der Leber von wechselndem Cha¬
rakter, insbesondere von wechselnder Wandspannung (besonders
nach Blutung), pulssystolisches Geräusch über dem Lebertumor.
16) O. Pryrn: Die Bedeutung der schichtweisen Auffüllung des
Magens für die klinische Diagnostik, speziell für die Beurteilung des
Sahli-Seiler sehen Probefrühstückes. (Aus der medizinischen
Universitätspoliklinik zu Bonn.) (Mit 1 Abbildung.)
Der Mageninhalt zeigt, da die Nahrung im Magen schichtweise
abgelagert wird, in seinen verschiedenen Schichten verschiedene
Zusammensetzung und verschiedene Azidität. Deshalb empfiehlt es
sich für die Praxis, bei der Ausheberung möglichst viel zu expri-
mieren, womöglich den ganzen Magen zu entleeren, um den oft
unerklärlichen Wechsel in der Azidität des Ausgeheberten zu ver¬
meiden. Durch diese Tatsache wird der diagnostische Wert des
E w a 1 d - B o a s sehen Probefrühstückes wenig berührt; dagegen er¬
weisen sich die Voraussetzungen der M a t h i e u sehen Restbestim¬
mung zum Teil als unrichtig, während die Sahli sehe Methode un¬
brauchbar ist.
17) W. Türk: Ein Fall von Hefeinfektion (Saceharomykose)
der Meningen. (Aus der II. medizinischen Abteilung des k. k. Kaiser-
Eranz-Joseph-Spitales in Wien.) (Mit Tafel VIII.)
Die Diagnose konnte intra vitam auf Grund der Lumbalpunktion
gestellt werden; als Eingangspforte kommt vielleicht die Mund-
Rachenhöhle in Betracht.
19) O. Porges und E. Pribram: Zur Kenntnis der ortho-
statischen Albuminurie. (Aus der II. medizinischen Klinik in Wien.)
(Mit 2 Kurven.)
Die orthostatische Albuminurie, bei der es nur während auf¬
rechter Körperhaltung, niemals bei horizontaler Lage zur Eiweiss¬
ausscheidung kommt, ist wohl bedingt durch ein Hindernis im ar¬
teriellen Gebiete des Nierenkreislaufes, etwa einen Konstriktions¬
krampf der Nierenarterien. Man müsste vorübergehende, wieder¬
holt auftretende Spasmen annehmen, die in der Zwischenzeit nor¬
malen Zirkulationsverhältnissen Platz machen, und von Albuminurie
gefolgt sind.
19) Jennö Kollar its: Untersuchungen über die galvanische
Muskelzuckung bei verschiedenen Krankheiten. (Mitteilung aus der
Kgl. Universitätsnervenklinik zu Budapest.) (Mit 11 Abbildungen.)-
Von den Ergebnissen seien folgende erwähnt: Die verschiedene
Stromstärke verursacht an den an peripherer Lähmung leidenden
Muskeln aufgenommenen Kurven dieselbe Veränderung wie am ge¬
sunden Muskel. Bei der dystrophischen Lähmung verlängert sich
zuerst die Zeit der Erschlaffung, später verliert die Kurve von ihrer
Höhe, und in noch späteren Stadien verlängert sich auch die Zeit
der Zusammenziehung. Wenn die Dystrophie mit spastischer Läh¬
mung verbunden ist, so entspricht die Kurve im Anfänge der hyper¬
tonischen Kurve, später verlängern sich sämtliche Teile derselben.
Beim stark geschwächten Kranken verlängern sich alle Teile der
Muskelkurve. Bei der Tetanie ist auch die Zeit der Zusammen¬
ziehung verlängert. Die übrigen Fälle (Myasthenie, Hysterie, Chlo¬
rose, Neurasthenie, Epilepsie, Chorea) boten normale und verlängerte
Kurven.
20) A. Mayer: Beiträge zur Kenntnis des Mineralstoffwechsels
der Phthisiker.
Die Stoffwechselveränderungen beim Phthisiker sind folgende:
Verminderung der ausgeschiedenen Phosphate und Retention der
Phosphate, Vermehrung des ausgeschiedenen Kalks durch den Harn
bei gleichzeitiger Verminderung des Kotkalks: Retention von Kalk,
starke Verminderung der ausgeschiedenen Chloride, geringe Neigung,
Kalium, eine grössere, Natrium zurückzuhalten. Es finden sich also
keine der Tuberkulose eigentümlichen Stoffwechselveränderungen,
sondern Zeichen der chronischen Unterernährung. Jedenfalls liegt
keine Demineralisation vor, eher ein Bestreben, Mineralsalze im
Körper zurückzuhalten.
21) A. Mayer: Ueber die Bildung und Ausscheidung der Oxal¬
säure bei Infektionskrankheiten.
Die Vermehrung der Oxalsäure ist ein konstanter Befund im
Urin fiebernder Phthisiker und muss, wenn sie im einzelnen Falle
nicht alimentär zu erklären ist, als prognostisch ungünstiges Zeichen
betrachtet werden, weil sie auf Eiterung schliessen lässt. Vermehrte
Oxalsäure findet sich überhaupt bei allen längerdauernden Strepto¬
kokken- oder Staphylokokkeninfektionen (Sepsis, Erysipel, eitrige
Meningitis), welche aus dem Blute Oxalsäure produzieren. Bei an¬
deren Infektionskrankheiten (Typhus, Diphtherie, Masern, Scharlach)
findet sich keine vermehrte Oxalsäure.
22) Fr. M. Gr o edel III: Zur Topographie des normalen Ma¬
gens. (Aus dem physikalisch-therapeutischen Institut der Univer¬
sität München.) (Mit 8 Abbildungen.)
Die Form des gefüllten Magens ist in erster Linie abhängig
von der Körperlage. Die Magenorthodiagraphie (nach 400 g Mehlbrei
mit 10 Proz. Bismuth. subnitr.) ergibt im Stehen regelmässig die
Siphonform, im Liegen eine Sandalenform. Der Magen ist um eine
vom Pylorus zur Kardia verlaufende Achse drehbar. An dem Si¬
phonmagen kann man einen absteigenden, einen aufsteigenden Teil
und den Magensack unterscheiden. Der absteigende Teil liegt stets
links, der aufsteigende meist rechts und der Magensack zu 2U links
und 1 U reciits von der Mittellinie. Es ergibt jedoch eine grosse Zahl
von Varietäten dieser Form und Lage: Der normale Magen hat nicht
nur eine Siphonform, sondern der wundervoll und anatomisch in
Form einer Doppelschleuse am Magenausgang arbeitende Magen¬
chemismus setzt eine Siphonform des Magens voraus. Die Lage des
normalen Magens wird durch viele Faktoren bedingt, von denen die
Körperform, die Raumverhältnisse des Abdomens, Beschaffenheit der
Bauchdecken, Lage und Füllung des Darmes die wichtigsten sind.
Als Grundform ist bei beiden Geschlechtern die
Siphonform konstant in allen Lebensaltern. Alle
Ursachen, welche Formvarietäten des Magens bedingen, können
schliesslich auch pathologische Formen erzeugen. Die Aufblähung
des Magens zu diagnostischen Zwecken ist wertlos und durch das
Magenorthodiagranmi zu ersetzen.
23) Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Zeitschrift für klinische Medizin. 63. Band. 1. — 4. Heft.
Festschrift zu Heu seitens 60. Geburtstag, mit dem Bildnis
des Jubilars.
1) G. Forssner und E. Sjövall: Ueber die Poliomyelitis
acuta samt einem Beitrag zur Neuronophagienfrage. (Aus der I. med.
Klinik des Serafimerlazarettes in Stockholm.)
Die Verfasser teilen 2 Fälle mit; bei dem ersten, einem 26jähr.
Bäcker, entwickelten sich unter Fiebererscheinungen innerhalb
weniger Tage schlaffe Lähmung beider Beine, Parese der oberen Ex¬
tremitäten, Ischurie ohne Sensibilitätsstörungen und führten inner¬
halb weniger Tage durch Respirationsstillstand zum Tode. Die Sek¬
tion ergab an Stelle der vermuteten L a n d r y sehen Paralyse eine
Poliomyelitis. Bei dem zweiten Fall, einem 23 jähr. Soldaten, trat
innerhalb der ersten 24 Stunden nach Auftreten der ersten Erschei¬
nungen (schlaffe Lähmung beider Beine, Blasenstörung, Benommen¬
heit, Fieber) der Tod ein. Die Sektion bestätigte die Diagnose Polio¬
myelitis anterior acuta. Die mikroskopische Untersuchung der Prä¬
parate ergab bei beiden Fällen zahlreiche Neuronophagien, Schwund
der Ganglienzellen durch eindringende Phagozyten; die Ganglien¬
zellen sind schon vor dem Eindringen der Phagozyten getötet oder
tödlich beschädigt. Aus der Zerberospinalflüssigkeit des 1. Falles
wurden Staphylokokken gezüchtet.
2) H. Köster - Gothenburg: Zwei Fälle von diagnostizierten
und operierten Tumoren der Rückenmarkshäute.
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
3) J. Jundell: Zur Kenntnis von dem Verlauf des Vakzine¬
fiebers. (Aus Prof. Medins Kinderklinik in Stockholm.)
Das Verhalten des Temperaturverlaufes nach der Impfung liess
3 Gruppen von 100 geimpften Säuglingen unterscheiden. Bei der
ersten Gruppe, 17 Fällen, war bei zweimaliger täglicher Messung
keine Temperaturveränderung nach der Impfung zu konstatieren;
bei der 2. Gruppe, 41 Fällen, trat am 7. bis 9. Tage ein- bis fünftägiges
mässiges Fieber bis höchstens 39,2 0 auf. . Bei der 3. Gruppe,
42 Fällen, welche sich sonst wie Gruppe 2 verhält, geht diesem
Floritionsfieber initiales Fieber vom 4. bis 7. Tage, meist nicht so
hoch, wie während des Floritionsstadiums vorher, manchmal von
letzterem durch eine Pause getrennt; dieselben Resultate ergab eine
zweite Serie von 50 Fällen, bei welchen 5 — 6 mal täglich gemessen
wurde. Bei 10 Neugeborenen, welche am 1. oder 2. Lebenstage
geimpft wurden, wurde niemals ein Fieber beobachtet.
4) J. B o r e 1 i u s: Zur Diagnose und Behandlung der subkutanen
traumatischen Milzruptur. (Aus der Chirurg. Universitätsklinik zu
Lund.)
Ein 48 jähriger Mann wurde durch eine Lokomotive von seinem
Wagen herabgeschleudert und überfahren. Die nach lVz Stunden
vorgenommene Untersuchung ergab ausser einer Beckenverletzung
Schmerzen bei Druck auf die Brust linkerseits, keinen besonders
schwachen Puls, Abdomen nur bei tiefen Eindrücken schmerzhaft. Im
Laufe der nächsten 2 Stunden wurde der Puls erheblich kleiner, es
trat Blässe, Kälte der Extremitäten und Ohrensausen auf, bei Auf¬
richten Schwarzwerden vor den Augen. Im Abdomen war in beiden
Seitenregionen Dämpfung aufgetreten. Die Laparotomie ergab, dass
die Milz ganz abgerissen tief unten hinten links lag. Die Milz wurde
entfernt, der Stiel versorgt, das Blut ausgetupft. Es trat Heilung ein.
Die Diagnose lässt sich nur vermutungsweise, aus dem mehr oder
minder raschen Auftreten der Anämie neben dem allgemeinen Schock
und aus der Dämpfung des Perkussionsschalles in den Seitenpartien
stellen, wobei aber eine Ruptur der Leber ebenso in Frage kommt.
Für die Therapie ist die Unterscheidung dieser beiden nicht von
Belang, da die Laparotomie jedenfalls indiziert ist und dann Auf¬
schluss gibt. Im Anschluss daran ist die Milzexstirpation das
sicherste Verfahren, um weitere Blutung zu verhindern. Die Unter¬
suchung des Blutbefundes ergab bei dem vorliegenden Fall in der
Zeit der Rekonvaleszenz Vermehrung der Lymphozyten und eosino¬
philen Leukozyten und vereinzelte Myelozyten.
5) A. P e 1 1 e r s s o n : Bakterizide Leukozytenstoffe (Endo-
lysine) und Milzbrandimmunität. (Aus dem bakteriol. Laboratorium
des Karolin. Institutes zu Stockholm.)
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Der Verfasser kommt bei seinen Untersuchungen zu folgenden
Schlüssen: Nicht nur die Leukozyten milzbrandimmuner Tiere, son¬
dern auch die empfänglichen, enthalten auf Milzbrandbazillen wir¬
kende Stoffe; die letzteren sind aber bedeutend ärmer an denselben
als die ersteren. Bei der Immunisierung nimmt die bakterzide Wir¬
kung der Leukozyten empfänglicher Tiere zu, wenn auch nicht in
sehr hohem Grade. Die auf die Milzbrandbazillen wirkenden Serum¬
alexine und Leukozytenendolysine unterscheiden sich von einander
sowohl durch ungleiche Hitzbeständigkeit, als durch verschiedene
Wirkungsweise. Die Körpersäfte infizierter Tiere enthalten immuni¬
sierende Substanzen.
6) K- Petr eil und G. Bergmark: Ueber Sensibilitäts-
stürungen bei und nach Herpes zoster, zugleich ein Beitrag zur
Kenntnis vom Verlaufe der Bahnen der Hautsinne. (Aus der med.
Klinik in Upsala.)
Bei den Untersuchungen der Verfasser an 13 Fällen wurde der
Tastsinn durch möglichst leise Berührung mit einem Büschel ganz
feiner Baumwolle, der Schmerzsinn mit dem Thunberg sehen
Algesimeter geprüft. Bei diesem Instrument wird die Spitze einer
am Lnde eines Hebelarmes angebrachten Nadel auf die zu prüfende
Stelle aufgesetzt und durch Verschieben eines Gewichtes an dem
Hebelarm die geringste Belastung ermittelt, bei welcher eben noch
Stichschmerz erhalten wird. Der Temperatursinn wurde mit Reagenz¬
gläsern mit warmem und kaltem Wasser geprüft. Die Unter¬
suchungen wurden nie auf Narben, sondern stets an makroskopisch
unveränderten Hautstellen gemacht. Eine wahre Hyperaigesie,
kenntlich an Verminderung der Reizschwelle, wurde nur zweimal ge-
lunden, während Hyperästhesie, beruhend auf lebhafteren Schmerz¬
empfindungen bei normaler Reizschwelle, bekanntlich sehr häufig ist.
Anästhesie im allgemeinen Sinne wurde nur bei 3 Fällen völlig ver¬
misst. Die Anästhesie zeigte nicht eine fleckenförmige Anordnung,
sondern war ganz gleichförmig diffus ausgebreitet. Der Schmerzsinn
war bei allen mit Anästhesien Behafteten konstant herabgesetzt oder
aufgehoben. Die Störungen des Temperatursinnes folgten im ganzen
derjenigen des Schmerzsinnes. Störungen des Tastsinnes fanden sich
nur bei völliger Analgesie. Prognostische Anhaltspunkte ergaben die
Untersuchungen insofern, als nach dem Ergebnis derselben das Auf¬
treten sehr erheblicher Sensibilitätsstörungen während der Zoster¬
eruption das Auftreten einer chronischen Neuralgie wahrscheinlich
macht. Die Abgrenzung der Anästhesien nach den segmentalen
Innervationsgebieten, spricht für den Sitz der Affektion in den Spinal¬
ganglien. Da die Herabsetzung des Schmerzsinnes sich ebenso weit
wie die Zostereruption erstreckt, so ist eine ausgedehntere Ueber-
lagerung der Innervationsgebiete des Schmerzsinnes nicht anzu¬
nehmen. Betreffs des Tastsinnes dagegen ist eine Ueberlagerung der
Innervationsgebiete in weit höherem Sinne der Fall, ein Ergebnis,
das mit den Resultaten der Affenexperimente Sherringtons über¬
einstimmt.
7) F. Hen sehen: Seröse Zyste und partieller Defekt des
Kleinhirns. (Aus dem Laboratorium der med. Klinik des Serafimer-
lazaretts in Stockholm.)
Die Sektion eines 43 jährigen schwachsinnigen, an hochgradiger
Kleinhirnataxie und Epilepsie leidenden, in einem epileptischen Anfalle
zugrunde gegangenen Mannes ergab leichte Hydrozephalie' des Gross¬
hirns und eine mit dem 4. Ventrikel breit kommunizierende, einfach
seröse Zyste, welche so gut wie die ganze linke Hemisphäre, den
Vertnis und den hinteren Teil der rechten Hemisphäre einnimmt. Das
Gewicht des Kleinhirns betrug 30 g. Die mikroskopische Unter¬
suchung ergab ein einfaches Ependymepithel in der Zystenwand,
keine Veränderungen des Grosshirns, im allgemeinen sehr scharf
abgesetzte Defekte der sonst normalen Kleinhirnsubstanz, typischen
Faserschwund in den Verbindungsbahnen des Kleinhirns mit dem
Hirnstamme, in den unteren Oliven scharf begrenzte Partien ohne
Nervenzellen. Der Verfasser versucht eine Einteilung der Klein¬
hirnzysten zu geben, nämlich in Dermoidzysten, einfach seröse
Zysten mit noch vorhandener oder vorheriger Verbindung mit dem
4. Ventrikel, zystische Tumoren, Zysten aus Hämorrhagien und Mala¬
zien entstanden und endlich parasitäre Zysten, und die Entstehung der
einfach serösen Zysten durch Entwicklungsanomalien zu erklären.
Zwischen den Defekten des Kleinhirns und den Sekundärerschei¬
nungen in den Oliven bestand ein bestimmtes Verhältnis, was eine
Beziehung zwischen gewissen Kleinhirnteilen und gewissen Partien
der unteren Oliven andeutet.
E I illgren: Ein seltener Fall von Ependymitis des
IV. Ventrikels (in Form von entziindlchem Granulationsgewebe mit
Riesenzellen). (Aus der pathol.-anatomischen Abteilung des Karol
Institutes in Stockholm.)
Bei einem unter dem Bilde eines Hirntumors zugrunde ge¬
gangenen 25 jährigen Manne ergab die Sektion deutliche Erweiterung
aller Ventrikel und Verdickung des Ependyms im IV. Ventrikel. Die
mikroskopische Untersuchung ergab, dass es sich um einen chronisch-
entzündlichen Prozess in der Wand des IV. Ventrikels und in dessen
Plexus chorioideus in Form eines typischen Granulations- und Narben¬
gewebes mit Riesenzellen handelte. Ob Tuberkulose oder Lues die
Ursache war, liess sich nicht entscheiden. Ausser einer chronischen
sklerosierenden Otitis fand sich sonst nichts für die Aetiologie Be¬
langreiches.
9' B. Dahlen: Ueber einen Fall von Aortaaneurysma mit
Durchbruch in den linken Vorhof, nebst einigen Bemerkungen über
Aortaaneurysma, die fibröse Aortitis und Lues. (Aus der pathol.-anat.
Abteilung des Karol. Institutes und der I. med. Klinik des Serafimer-
lazarettes in Stockholm.)
Ein an Aorteninsuffizienz leidender 41 jähriger Mann starb unter
zunehmender Atemnot, Zyanose und Herzschwäche. Die Sektion
ergab ein walnussgrosses sackförmiges Aneurysma der Aorta, welches
grossenteils in die Höhle des linken Vorhofs vorgebuchtet war und
an der Stelle der grössten Vorbuchtung mit dem Vorhof durch eine
Oeffnung von 7 mm Weite kommunizierte; auf der Intima der Aorta
mehrere narbig strahlige Einziehungen. Die mikroskopische Unter¬
suchung ergab eine typische fibröse Aortitis, wie sie infolge von
Lues beobachtet wird; Spirochäten wurden nicht gefunden. Unter
27 Fällen des pathol. Institutes, von welchen klinische Aufzeichnungen
vorhanden waren, waren 64 Proz. auf luetischer Basis entstanden.
Bei fast allen von diesen letzteren war auch eine typische fibröse
Aortitis, von der arteriosklerotischen wohl unterscheidbar, vorhanden.
Nach der Anamnese war die Perforation mehr als 3 Monate vor dem
Tode erfolgt.
1U) H. E. Jacobaeus: Ein Fall von Lymphdrüsentuberkulose,
unter dem Bilde der Pseudoleukämie verlaufend, und ihre Behandlung
mit Röntgenstrahlen. (Aus der II. med. Klinik des Serafimerlazarettes
in Stockholm.)
Ein 20 jähriger Arbeiter mit einer grossen Lymphdriisen-
anschwellung am Halse, anscheinend pseudoleukämischer Natur,
wurde mit Röntgenbestrahlung behandelt; die Tumoren gingen fast
völlig zurück; eine starke Ulzeration der bestrahlten Fläche heilte nur
lehr langsam. Einige Monate darauf kam eine bedeutende Milz¬
schwellung dazu, welche unter Bestrahlung ebenfalls fast völlig
zurückging. Kurze Zeit darauf erlag der Patient einer akuten Miliar¬
tuberkulose. Die Sektion ergab, dass die Halslyinphdriisen fast ganz
zu hyalinem Bindegewebe umgewandelt waren; am Milzhilus fanden
sich vergrösserte Lymphdriisen mit Granulationsgewebe und grossen,
nach S t er n b e r g für die pseudoleukämieähnliche Form der Lymph¬
drüsentuberkulose charakteristischen Riesenzellen. Der schlimme
Ausgang ist nicht auf Rechnung der Röntgenbehandlung zu setzen.
11) G. Hedren: Ein Amyloidtumor des Knochenmarkes. (Aus
der pathol. Abteilung des Karol. Institutes in Stockholm.)
Bei einem 57jähr. Bauern entwickelte sich ein grosser Tumor, aus¬
gehend von der 9. Rippe rechts; die Untersuchung des exstirpierten
Tumors ergab, dass es sich um Ablagerung amyloider Substanz im
Knochenmark in der Peripherie in Form von Schollen und Balken
und im Zentrum hauptsächlich in Corpora amylacea-ähnlichen Bil¬
dungen, jedoch ohne echte Geschwulstbildung des Knochenmarkes
handelte. Die Farbenreaktionen waren die der amyloiden Substanz.
Das Amyloid schien ein Infiltrationsprodukt, nirgends durch Umwand¬
lung der Zellen hervorgegangen zu sein. Der Tumor war ein echter
lokaler Amyloidtumor, allgemeine Amyloiddegeneration ist auszu-
schliessen, da seit der operativen Entfernung schon mehr als ein Jahr
völliges Wohlbefinden besteht.
12) G. Rystedt: Ueber einen Fall von Solitärtuberkel im
Rückenmark mit Nebenbefund von sogenannter artefizieller Hetero-
topie desselben. (Aus der I. mied. Klinik des Serafimerlazarettes
in Stockholm.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
13) K. G. Len n ander und G u n n a r - Nyström: Kasuistische
Beiträge zur Kenntnis der von Enteritis ausgegangenen Peritonitis.
(Aus der chirurgischen Klinik in Upsala.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
14) J. Hedenius - Stockholm: Ein Beitrag zur Beleuchtung der
sogen. B a n t i sehen Krankheit.
Bei einem älteren Mann entwickelte sich ohne besondere Aetio¬
logie ein Milztumor ohne gleichzeitige Veränderung an der Leber
und den Lymphdrüsen mit geringer Verminderung der Zahl der roten
Blutkörperchen und Leukopenie. Dazu kam allmählich eine Kachexie,
Oedem der Beine, Verdauungsbeschwerden mit Erbrechen, später
Aszites und Verkleinerung der Leber. 9 Jahre nachdem zum ersten
Male der Milztumor bemerkt worden war, trat dann der Tod ein. Die
Sektion ergab eine Stenose der B a u h i n sehen Klappe, Verdickung
des Mesenteriums, atrophische Leberzirrhose und ganz alte Gewebs-
proliferation um die Portalgefässe herum, in der Milz nur mässige
Verdichtung des Stromas, dagegen nichts von der für Ban tische
Krankheit charakteristischen Fibroadenie. Wahrscheinlich hat sich
der Entzündungsprozess von der Stelle der Darmstenose aus längs der
Wurzeln der Portalgefässe in die Leber hinein ausgebreitet und
dadurch zum Milztumor geführt, wozu sich dann später frische
zirrhotische Veränderungen in der Leber gesellten. Das Bild der
B a n t i sehen Krankheit kommt demnach auch ohne dass der cha¬
rakteristische pathologisch-anatomische Befund vorhanden ist, vor;
in manchen Fällen von Leberzirrhose sind wahrscheinlich besondere
Umstände begünstigend für das frühzeitige und das Krankheitsbild
beherrschende Auftreten eines grossen Milztumors, welcher dann
als primäres Symptom imponiert.
15) C. A. Kling: Ein Beitrag zur Kenntnis der Riickenmarks-
tumoren und Höhlenbildungen im Rückenmark. (Aus der patho¬
logisch-anatomischen Abteilung des Karol. Institutes in Stockholm.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
16) O. V. Petersson: Werden Bücher, die von Lungentuber¬
kulosen benützt werden, mit Tuberkclbazillen infiziert? (Aus der
Klinik für Brustkranke in Upsala.)
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1495
Der Verfasser untersuchte die Journalblankette, welche die An¬
gaben über Alter, Namen, Eintritt, Anamnese etc. enthielten und ent¬
weder an den Bettafeln befestigt waren oder auf den Nachttischchen
oder auf anderen Tischen im Krankensaal lagen. Die Blankette
wurden auf einer Glasscheibe befestigt, mit Wasser unter Bürsten
abgespült, das Spülwasser wurde zentrifugiert, das Sediment auf
Bazillen untersucht. Auf 4 von 10 untersuchten Blanketten fanden
sich Tuberkelbazillen. 2 von diesen Blanketten waren auf den Nacht¬
tischchen gelegen, 2 an dem Betthacken aufgehängt gewesen. Die
Uebertragung kann entweder durch Fliegen oder durch Flügge-
sche Schleimtröpfchen geschehen. Um die letztere Möglichkeit ex¬
perimentell zu prüfen, erhielten 3 Personen mit zahlreichen Bazillen
im Auswurf den Auftrag, gegen reine, noch unbenutzte Blankette im
Abstand von 30 cm zu husten, ohne dass sichtbarer Auswurf dagegen
geschleudert wurde. Die Blankette wurden wieder gewaschen, und
die Waschflüssigkeit in Kisten zerstäubt, in welche Meerschweinchen
hineingesetzt waren. Die 3 Versuche fielen negativ aus, sind jedoch
an Zahl viel zu gering, um beweisend zu sein.
17) J. W. W i c k m a n n - Stockholm : Ueber die Prognose der
akuten Poliomyelitis und ätiologisch verwandter Erkrankungen.
Der Verfasser verwertet statistisch eine im Sommer und Herbst
1905 in Schweden herrschende Epidemie; von 1025 Fällen .sind 868
Fälle mit Lähmungen, 157 sind abortive Fälle. 159 Fälle verliefen
tödlich, 14 davon jedoch infolge von Komplikationen (hauptsächlich
Bronchopneumonie). Des weiteren ergibt sich, dass die Prognose
der akuten Poliomyelitis im späteren Kindesalter und bei Erwach¬
senen sich sehr verschlimmert. Die meisten Todesfälle traten am
4. Krankheitstage auf. Die Prognose quoad sanationem completam ist
weit besser als allgemein angenommen wird, insofern als zahlreiche
Fälle überhaupt ohne Lähmung verlaufen und viele Fälle mit Läh¬
mungserscheinungen zur völligen Genesung gelangen.
18) E. O. Hultgren: Bibliographia Henscheniana. Verzeich¬
nis der von S. E. Henschen publizierten Schriften (1872 — 1906).
Lindemann - München.
Zeitschrift für Heilkunde. Herausgegeben von Kretz
in Wien. XXVIII. Bd. (Neue Folge, VIII. Bd.) Jahrg. 1907.
Heft 5 u. 6.
1) Grünberger und Z i n s e r: Das Verhalten der Herzarbeit
und des Gefässtonus bei der Aszitespunktion. (Aus der Ortner-
schen Klinik in Wien.)
Am Schlüsse der Punktion ist die Herzarbeit bald vermehrt,
bald vermindert, die Gefässe bald verengert, bald erweitert oder
unverändert. Während der Punktion treten oft plötzliche Aende-
rungen im Verhalten des Herzens und der Gefässe ein. Erklärung
aller dieser Erscheinungen wird versucht. Diagnostische oder pro¬
gnostische Ergebnisse sind nicht zu gewinnen.
2) Schmie dl: Die histologischen Veränderungen der Arteria
mesenterica superior in den verschiedenen Lebensaltern. (Aus der
Sternberg sehen Prosektur in Brünn.) Mit Abbildungen.
Die in 136 Fällen vorgenommenen Untersuchungen zeigen, dass
die Arteria mesenterica .superior im Laufe des Lebens gewisse Ver¬
änderungen in typischer Weise durchmacht. Dieselben äussern sich
vornehmlich darin, dass die Intima in der Regel mit zunehmendem
Alter eine Verbreiterung mässigen Grades erfährt. Dieselbe kann als
physiologische Altersveränderung betrachtet werden und wird mit
J o r e s am besten als Hyperplasie bezeichnet.
Andererseits verfällt die Arteria mesenterica superior wie die
anderen Körperarterien der Arteriosklerose, in der Regel erst jen¬
seits des 50. Lebensjahres, doch kann sie auch sehr frühzeitig von
der „juvenilen“ Arteriosklerose befallen werden. Eine Mittelstel¬
lung nimmt jene Veränderung der Arterie ein, die namentlich bei In¬
dividuen mittleren Lebensalters sehr häufig angetroffen wird, bei
welcher die Intima noch sehr geringe Veränderungen aufweist, wäh¬
rend die Media jenen Befund darbietet, der als fibröse Umwandlung
bezeichnet wird.
3) Pal: Paroxysmale Hochspannungsdyspnoe. (Schluss folgt.)
Heft 6.
1) Peters: Ueber Zölomepitheleinstülpung und Absprengung
an der Urnierenleiste menschlicher Embryonen. (Aus dem Zucker-
kan dl sehen anatomischen Institut in Wien.)
Aus den im Titel bezeichneten embryonalen Absprengungen gehen
die fast konstant, also beinahe physiologisch zu nennenden Gebilde,
Hydatiden, und ausserdem manche pathologische Gebilde am Neben¬
hoden, am Ligamentum latum und an der Tube hervor.
2) Doberauer: Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der
Orbita. (Mit 1 Tafel.)
Kasuistische Beiträge zur Entfernung von Fremdkörpern im
retrobulbären Raum der Orbita. Für therapeutische Eingriffe kann
der nasale Abschnitt der Orbita erforderlichen Falles, ähnlich wie
der temporale, zugänglich gemacht werden.
3) Kindl: Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den
Extremitäten. (Aus der S c h 1 o f f e r sehen chirurgischen Klinik in
Innsbruck.)
Kasuistische Arbeit. ......
Lunzer: Vorgetäusehte Extrauteringravidität, gleichzeitig
ein Beitrag zur Corpus-luteum-Zystenblutung. (Aus Schnitzlers
chirurgischer Abteilung in Wieden bei Wien.)
Kasuistische Arbeit. Bändel —Nürnberg,
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 28.
C. J. G a u s s - Freiburg: Beckenspaitung in der Schwanger¬
schaft, ausgeführt aus absoluter Indikation.
In der Freiburger Klinik wurde festgestellt, dass bei Conj.
obstetr. von 7,25 cm und plattem Becken sowie Conj. obstetr. von
7,75 cm und allgemein verengtem Becken niemals ein reifes Kind
spontan zur Welt kam. Damit sind die oberen Grenzen für die
Hebotomie gegeben; als unterste wurde 6,5 cm angenommen. Da bei
Erstgebärenden die entbindenden Operationen gefährliche Weichteil¬
verletzungen mit sich bringen, so empfiehlt G. bei diesen die Becken¬
spaltung schon in der Schwangerschaft vorzunehmen, aber
nicht vor der 35. Schwangerschaftswoche, damit bei etwa eintreten¬
der Frühgeburt das Kind günstige Bedingungen zum Leben hat.
Ein nach diesen Grundsätzen behandelter Fall einer 19jähr.
I. Para mit allgemein verengtem Becken verlief für Mutter und Kind
günstig, obgleich der Verlauf allerlei Komplikationen bot.
L. Fränkel: Ueber intra-uterinen Eischwund.
F. beobachtete bei einer 29 jähr. Multipara, der wegen zystischer
Degeneration beide Adnexe entfernt wurden, dass die bei der Opera¬
ration sicher festgestellte Gravidität zurückging und wieder ver¬
schwand, ohne dass es zum Abort gekommen war. Einen ganz
analogen Fall hat kürzlich P o 1 a n o (Zeitschr. f. Geburtsh. u.
Gynäkol., 49. Bd., H. 3) veröffentlicht.
F. hat denselben Vorgang bei Kaninchen nach Fortnahme der
Ovarien oder Corpora lutea in der Gravidität wiederholt gesehen
und durch die Sektion bestätigt gefunden.
J. T h i e s - Leipzig: Ueber Gesichtslage.
Th. empfiehlt bei vorhandener Indikation (Verzögerung der Ge¬
burt bei vorzeitigem Blasensprung, Gefahr für Mutter oder Kind)
den Thor nschen Handgriff zur Umwandlung der Gesichts- in eine
Hinterhauptslage. Dies gelang in der Leipziger Klinik unter 24 Fällen
19 mal; die Kinder wurden dann 11 mal spontan geboren, 5 mal mittels
Zange, 2 mal mittels Zange und Perforation, 1 mal mittels Wendung.
Es starben 3 Kinder = 12 Proz.
A. L i 1 1 a u e r - Leipzig: Eine Sterilisierdose für den Gummi¬
handschuh.
Die für die Praxis bestimmte Dose wird von der Firma Zieger
und Wiegand in Leipzig verfertigt und kostet 5 Mk. Nach der
Beschreibung scheint sie recht praktisch zu sein.
J a f f e - Hamburg.
Virchows Archiv. Bd. 189, Heft 1.
1) O. Busse: Ueber ein Chondro-Myxo-Sarcoma pleurae
dextrae. (Pathol. Institut zu Posen.)
Die im Titel gekennzeichnete Geschwulst fand -sich bei einem
40 jährigen Mann und wies grosse Dimensionen auf. Das Tumor¬
gewebe war an einigen Stellen auch in die Lunge eingedrungen.
2) E. Langenbach: Ein Fall von Chondrodystrophia foetalis
mit Asymmetrie des Schädels. (Pathol. Institut zu Charlottenburg.)
Kurze Beschreibung eines Falles ohne besondere neue Gesichts¬
punkte.
3) L. Spiegel: Zur Kenntnis der Weigert sehen Elastin-
farbstoffe. (Pharmakol. Institut zu Berlin.)
Die Ausführungen müssen, da die chemischen Formeln hier nicht
wiedergegeben werden können, im Originale nachgelesen werden.
4) J. Tr aut wein: Zur Frage des Galopprhythmus und der
Heinisystolie.
Klinische Studien und theoretische Erwägungen über das im
Titel angegebene Thema.
5) H. D ü r c k: Ueber eine neue Art von Fasern im Bindegewebe
und in der Blutgefässwand. (Pathol. Institut in München.)
Mit der letzten Weigert sehen Markscheidenfärbung hat
D ü r c k besondere Fasern dargestellt, die sich bei dieser Methode
intensiv färben. Im Bindegewebe fanden sich schwarzblau gefärbte
Fasern, die sich durch ihren gradlinigen Verlauf und ihre starre,
schweinsborstenähnliche Beschaffenheit auszeichneten. Anastomosen
wurden nicht beobachtet. In den Arterien konnte der Verfasser mit
dieser Methode ferner eine longitudinale Elastika nachweisen, die
dicht unter dem Endothelrohr befindlich ist. Ferner treten an mitt¬
leren und grösseren Arterien und Venen gradlinige Fasern in die Er¬
scheinung, die radiär die ganze Media durchsetzen und von der
Elastica interna zur Elastica externa ziehen. Besonders wertvoll
scheint die Methode zu sein für Untersuchungen über die Sklerose
der Gefässe.
6) Th. Langhans: Ueber die epithelialen Formen der
malignen Struma. (Fortsetzung folgt in nächsten Hefte.)
Schridde - Freiburg.
Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. 26. Band,
1. Heft. 1907.
1) Uhlenhuth und H a e n d e I - Berlin: Vergleichende Unter¬
suchungen über die Spirochäten der in Afrika, Amerika und Europa
vorkommenden Rekurrenserkrankungen.
Während das amerikanische und afrikanische Rekurrens sich ohne
weiteres auf Mäuse und Ratten übertragen liess, gelang dies beim
russischen Stamm erst nach Ueberimpfung auf Cercopithecus fuli-
ginosus. Die Unterschiede zwischen den 3 Stämmen Hessen sich
morphologisch durch die Bewegungen und Windungen nachweisen,
wenn auch allerdings Uebergänge Vorkommen. In der Länge zeigten
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sich keine durchgreifenden Unterschiede, dagegen lässt die biologische
Serumreaktion die Verschiedenheiten deutlich hervortreten. Ebenso
gelingt es mittels des Pfeifferschen Versuches, die 3 Arten zu
trennen. Wechselseitiges Immunisieren gelingt beim amerikanischen
und russischen Stamm so gut wie immer, beim russischen und
afrikanischen in der Hälfte der Fälle und bei der amerikanischen und
afrikanischen Form gar nicht.
2) Fritz Schaudinn: Zur Kenntnis der Spirochaete pallida
und anderer Spirochäten. Aus dem Nachlass herausgegeben von
M. Hart mann und v. P r o w a z e k.
Es werden eine Reihe von interessanten Mitteilungen über Spi¬
rochaete plicatilis, Spirochaete buccalis, Spirochäten aus ulzerierten
Karzinomen, Spirochaete refringens und Spirochaete pallida gemacht,
welche Schaudinn zum Teil in Berichten an das Kaiserl. Gesund¬
heitsamt niedergelegt hatte. Vieles was von anderer Seite später
ermittelt wurde, hatte er bereits in seinen ersten Aufzeichnungen
festgelegt.
3) S. v. P r o w a z e k - Berlin : Vergleichende Spirochätenunter¬
suchungen.
Die Untersuchungen erstreckten sich auf Spirochäten des Ulcus
tropicum, der Stomatitisspirochäten, der Frambösia-, der Syphilisspiro¬
chäten und der Spirochaete lutrae. Durch ihre morphologische Struk¬
tur, Flexibilität, bandförmige und undulierende Membran, Vermeh¬
rungsweise und Ruhestadien sind 'die Spirochäten von den Bakterien
zu unterscheiden und den Protozoen zuzurechnen. Die Frambösia-
spirochäte liess sich von der Syphilisspirochäte durch ihre grössere
Dicke, unregelmässigere Windungen, hacken- und ösenförmig ge¬
bogene Enden, seltenere geisselartige Anhänge und deutlichere Längs¬
teilung unterscheiden.
4) S. v. P r o w a z e k - Berlin: Untersuchungen über Hämo-
gregarinen.
Feststellung der verschiedenen Entwicklungsstadien im Blut des
Gecko (P.latydactylus guttatus).
5) Ludwig Halberstädter und S. v. P r o w a z e k - Berlin :
Untersuchungen über die Malariaparasiten der Affen.
Als neue Spezies von Malariaparasiten stellten die Verfasser
das Plasmodium pitheci des Orang-Utangs und ein Plas¬
modium der Makaken (Plasmodium i n u i) auf. Der Orang-
Utang-Parasit ist von menschlichen Malariaparasiten dadurch unter¬
schieden, dass die jüngsten Formen den Tropikaringen, die Ge¬
schlechtsformen den Quartanaparasiten in Bezug auf Pigmentierung
und äussere Gestalt gleichen, die Schizogonie findet nach dem Typus
der Tertiana statt. Das Plasmodium in ui ist dem Plasmodium
pitheci sehr ähnlich. Das Protoplasma färbt sich weniger intensiv
und es tritt zahlreiches gelbes, zartes Pigment auf. Tüpfelung war
nie zu beobachten.
6) Ludwig Halber Städter und S. von Prowazek-
Berlin: Ueber Zelleinschlüsse parasitärer Natur beim Trachom.
Man fand beim Trachom sowohl beim Menschen wie beim Orang-
Utang besonders in frischen Fällen Zelleinschlüsse innerhalb der
Epithelzellen, die allmählig grösser werden und in denen später feine,
rot färbbare Körnchen auftreten, die sich schnell vermehren, und die
blau färbbaren Protoplasmamassen zum Verschwinden bringen.
Prowazek stellt diese Zelleinschliisse in nahe Beziehungen zu den
Initialkörperchen der Vakzine. Als Erreger des Trachoms möchten
die Verf. die neugefundenen Zelleinschliisse, bevor weitere Studien
vorliegen, noch nicht definitiv ansprechen. Da sie wohl nicht zu
den Protozoen zu rechnen sind, schlägt Prowazek vor, sie in
eine neue Gruppe „Chlamyodozoen“ einzureihen.
7) Ludwig H a 1 b e r s t ä d te r -Breslau: Weitere Unter¬
suchungen über Framboesia tropica an Affen.
Bei weiteren Uebertragungsversuchen der Frambösie auf Affen
fanden sich Merkmale, die doch die Frambösie von der Syphilis
unterscheiden lassen. Abgesehen von der Verschiedenheit der Fram-
bösie-Spirochäten sind die Primärläsionen verschieden. Lokale
Rezidive sind bei niederen Affen häufiger als bei Lues. Mit Fram¬
bösie geimpfte Tiere lassen sich später noch mit Lues impfen.
8) S. v. P r o w a z e k - Berlin: Untersuchungen über die
Vakzine III.
9) X y 1 a n d e r - Berlin: Versuche mit einem neuen Formalin¬
desinfektionsverfahren „Autanverfahren“.
Es wurde festgestellt, dass durch die Desinfektion mit A u t a n,
allerdings nur, wenn mehr von dem Mittel benützt, als die ursprüng¬
liche Vorschrift besagt, offen ausliegende, an Stoff angetrocknete
Bakterien sicher abgetötet werden. Eine Tiefenwirkung konnte aller¬
dings auch nicht erzielt werden. R. O. N e u m a n n - Heidelberg.
Soziale Medizin und Hygiene (vormals: Monatsschrift
für soziale Medizin). Verlag von Leopold Voss in Hamburg.
II. Bd. 6. Heft. Juni 1907.
L o c h t e - Göttingen: Beitrag zur amtsärztlichen Beurteilung
neurasthenischer Zustände, insbesondere der Alkoholneurasthenie.
(Schluss folgt.)
W e 1 g e - Hamburg: Nutzbarmachung militärärztlicher Unter¬
suchungen für die Durchführung der vorbeugenden Krankenpflege und
der Heilbehandlung.
Um die bei den militärärztlichen Untersuchungen der Gestel¬
lungspflichtigen oder Einberufenen gemachten Wahrnehmungen für
No. 30.
die Durchführung der vorbeugenden Krankenpflege und der Heilbe¬
handlung nutzbar zu machen, ist neuerdings veranlasst worden,
militärischerseits solche Leute, für die eine Heilbehandlung oder ein
Eingreifen zur Verhütung von Krankheiten in Frage kommt, der Ver¬
waltungsbehörde namhaft zu machen. Von dieser Stelle aus werden
dann die Versicherungsanstalten resp. die Krankenkassen in Kenntnis
gesetzt, oder der Kommunalverband, die Armenbehörde oder andere
Organe der Wohltätigkeit angerufen. Unter Umständen wird auch
die Familie verständigt. Man hofft auf diese Weise namentlich eine
Reihe von Personen mit beginnender Tuberkulose der Heilbehandlung
zuführen zu können. Auch auf dem Gebiet der Nerven-, der Ohren-,
der Augenkrankheiten, die zuweilen dem Befallenen selbst verborgen
sind, kann so durch rechtzeitige Massnahmen Manches verhütet
werden.
W. Friedrich' und J u r k i n y - Ofen-Pest: Statistischer Bei¬
trag zur Frage der Tuberkulose in Grossstädten und bei Arbeitern.
(Schluss.)
Die Betrachtung der allgemeinen Sterblichkeitsziffern und der
Sterblichkeitsziffern für Tuberkulose der Städte Brüssel, London.
Paris, Berlin, Wien, Ofen-Pest, Kopenhagen, Belfast, St. Petersburg
und Philadelphia im Zeitraum 1892 — 1903 führt zu folgenden Ergeb¬
nissen: Der allgemeine Sterblichkeitskoeffizient zeigt eine stetige
und gleichmässige Abnahme. Gleichzeitig mit der Zunahme der Be¬
völkerung ist die Tuberkulosemortalität in Brüssel, London, Berlin,
Wien, Kopenhagen, St. Petersburg zurückgegangen, während die
anderen Städte eine Vermehrung der Mortalität aufweisen. Eine
erhebliche Verschlechterung der Tuberkulosesterblichkeit zeigt Paris.
In Ofen-Pest hat sich die Sterblichkeit an Tuberkulose von 42,6 im
Jahre 1892 auf 33,4 im Jahre 1903 (auf 10 000 Einwohner berechnet)
verringert. Dabei ergibt sich, dass die Arbeiterklasse eine weit
höhere Sterblichkeit aufweist als der Durchschnitt der Gesamt¬
bevölkerung und dass diese Tatsache in den letzten Jahren sich
immer deutlicher ausprägte. Nach einer mehrjährigen Statistik der
Ofen-Pester Bezirkskrankenkasse sind es besonders die Buchdrucker
und die dem Staub ausgesetzten Arbeiter der Leder-, Tuch- und
Bekleidungsindustrie, die auch die höchsten Erkrankungsziffern an
Tuberkulose besitzen.
S. Freud -Wien: Zur sexuellen Aufklärung der Kinder.
Offener Brief an Dr. M. F ii r s t, in dem der bekannte Neurologe
unter Hinweis auf die Tatsache, dass die meisten Kinder sexuelle
Empfindungen vor der Pubertät besitzen und die sexuelle Wiss¬
begierde sich schon früh äussert, für eine zeitige sexuelle Auf¬
klärung eintritt. Es wäre Sache der Schule, beim Unterricht über
die Tierwelt die Tatsachen der Fortpflanzung zu erwähnen: der
weitere Schritt, die Aufklärung über die spezifisch menschlichen Ver¬
hältnisse des Geschlechtslebens hätte dann am Schluss der Volks¬
schule — also noch vor dem 10. Jahre — zu erfolgen. Der Zeit¬
punkt der Konfirmation sollte schliesslich gewählt werden, um dem
Kind die sittlichen Verpflichtungen, welche an die Ausübung des
Triebes geknüpft sind, darzulegen. F. P e r u t z - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 28.
1) G o 1 d s c h e i d e r - Berlin : Zur Schwellenwertsperkussion
des Herzens.
Siehe Referat über den Kongress für innere Medizin, 1907,
Münch, med. Wochenschr., No. 20, S. 1007.
2) Jul. Friedländer und E. v. M e y e r - Frankfurt: Zur
Lehre vom Roseschen Kopftetanus.
Besprechung eines Falles: 23jähr. Fuhrmann stürzt mit dem
Gesicht auf die Landstrasse. Rissquetschwunden am Auge. Am
6. Tag Trismus; ferner Fazialislähmung (peripherische), komplette
Okulomotorius-, Abduzens- und vielleicht auch Trochlearislähmung
der verletzten Seite; Schlingkrämpfe (Tetanus hydrophobicoides);
frei blieb die Muskulatur des Nackens, Rückens, an Bauch und Ex¬
tremitäten. Starke krankseitige Salivation, welche Verf. als Reflex¬
wirkung von den Kaumuskeln ans ansehen; Tod am 18. Tag, trotz
Serum.
3) F. K a r e w s k i - Berlin : Zur Frage der Behandlung von Rup¬
turen des Quadriceps femoris.
Fall: 67 jähr. Herr, Zerreissung des gesamten Streckapparats.
Operation wegen schlechten Allgemeinbefindens nicht ratsam; An¬
legung j.e eines ober- und unterhalb des Kniegelenks (maulkorb¬
artig) angreifenden Geflechtes aus Heftpflasterstreifen, welche durch
regulierbare Mittelstücke aus starkem Gummi gegen einander gezogen
werden. Nach 4 Wochen Gehfähigkeit, nach 8 Wochen fast volle
Funktion.
4) W. B ö c k e r - Berlin: Ueber paralytische Luxationen der
Hüfte, ihre Entstehung und Behandlung. (Schluss folgt.)
5) K e i m e r - Düsseldorf : Ein Beitrag zur Frage der akuten
Osteomyelitis der flachen Schädelknochen.
Fall: 13 jähr. Mädchen, Phlegmone des Zellgewebes der Orbita,
Osteomyelitis des Stirn- und Scheitelbeins. Nebenhöhlen frei; Aus¬
gangspunkt offenbar ein Hordeolum des oberen Augenlides, Heilung
nach breiter Eröffnung.
6) Hugo N e u h ä u s e r - Berlin: Ueber Blutungen nach Nephro¬
lithotomie.
Unter 131 Fällen von Nephrolithotomie erlebte Israel 12 Nach¬
blutungen. Sie setzten entweder gleich mit der Operation ein und
dauerten nach primärem Verschluss der Wunde fort, oder es han-
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1497
delte sich um die ätiologisch oft unklaren Spätblutungen, welche z,u
einer Zeit auftraten, da der Urin bereits wieder völlig klar war. N.
empfiehlt, mit der Tamponade der Niere bei stärkerer Blutung nicht
zu lange zu warten; bei einer Hämophilen war sekundäre Nephrek¬
tomie notwendig.
7) 0. Scherber - Wien: Zur Klinik und Aetiologie der nekro¬
tisierenden Stomatitisformen.
Mehrere Fälle: a) anatomischer Befund der Leukämie. Die im
Anschluss an Stomatitis mercurialis aufgetretenen tiefgreifenden Ge¬
schwüre vermittelten die Diagnose einer Stern bergschen
Lymphosarkomatose. Tödliche Allgemeininfektion durch den
Bacillus pneumoniae Friedländer, der anscheinend von den Ge¬
schwüren aus in die Blutbahn gelangte, b) Fall von Noma: in
Levaditipräparaten finden sich zahlreiche leicht gebogene, gramposi¬
tive Bakterien und zarte Spirochäten, c) Stomatitis ulcerosa nach
irrtümlicher Injektion einer grösseren Menge von Ammoniak ins
Rektum. — Bemerkungen zur Stomatitis mercurialis: we¬
sentliche Rolle von Bakterien beim Zustandekommen der Geschwüre;
Beobachtung von Salivation ohne Veränderungen der Mundschleim¬
haut, also durch direkte Einwirkung des Quecksilbers auf die Spei¬
cheldrüsen erklärlich; therapeutische Ueberlegenheit des Wasser¬
stoffsuperoxyds bei fast allen Stomatitiden.
8) B. Bosse- Berlin: Die Lumbalanästhesie in ihrer augen¬
blicklichen Gestalt.
Sammelreferat (Schluss).
9) Boethke- Berlin: Das Krankenhaus djer kleinen Städte.
(Fortsetzung.) R. G r a s h e y - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 28. O. Stoerk-Wien: Ueber experimentelle Leber¬
zirrhose auf tuberkulöser Basis. . .
Nach Sts. Untersuchungen an 120 Meerschweinchen sind die
mehrfach beschriebenen zirrhotischen Leberveränderungen eine ge¬
radezu gesetzmässige Erscheinung bei tuberkulöser Infektion. Im
wesentlichen beginnen sie mit einer spezifischen Epitheloidzellen-
wucherung im Bereich der letzten Pfortaderverzweigungen in der
Leber daran schliesst sich dann die Bindegewebsbildung und eine
oft äüsserst lebhafte Zellproliferation und Metamorphose an den
kleinen Gallengängen, schliesslich die Obliteration der Pfortader -
zweige. Auf die nähere Histologie und die Analogien zu dei mensch¬
lichen biliären Zirrhose lässt sich hier nicht weiter eingehen.
N. Jagic-Wien: Ueber tuberkulöse Leberzirrhose.
Anknüpfend an S t o e r k s vorstehende Befunde betont J. das
Vorkommen zirrhotischer Veränderungen der Leber auch bei der
menschlichen Tuberkulose mit Anführung einer Krankengeschichte.
Ihr Verlauf ist ein latenter, sie tritt hinter den anderen tuberkulösen
Erscheinungen, speziell der Peritonitis zurück. Auch fehlen ihr die
cholangitischen Schmerzanfälle und Ikterus, wie sie der Lebei Zirrhose
der Alkoholiker zukommen.
J. Bartel-Wien: Ueber chronisch entzündliche Verände¬
rungen in Organgeweben bei Experimentaltuberkulose.
Die von S t o e r k beschriebenen Leberveränderungen haben
eine Analogie in chronischen bindegewebigen zur Ausheilung neigen¬
den Entzündungen der Lvmphdrüsen wie auch der Lungen, wobei die
spezifisch tuberkulöse Granulationswucherung, Tuberkelbildung und
Nekrose ganz in den Hintergrund treten.
A. Neu mann -Wien: Ueber ultramikroskopische Blutunter¬
suchungen zur Zeit der Fettresorption bei Gesunden und Kranken.
N. hat im weiteren Verfolg seiner Untersuchungen die Phasen
der Fettresorption an Gesunden und Kranken durch Feststellung der
Menge der ultramikroskopischen Fettteilchen beobachtet. Im all¬
gemeinen ist 2 'Stunden nach der Aufnahme fetthaltiger Nahrung des
Maximum der Zahl jener Körperchen im Blute erreicht. Möglichei -
weise bildet diese Untersuchungsmethode zumal bei motorischen
Störungen des Magens und. Störungen in der Darmverdauung auch
praktisch verwertbare Aufschlüsse.
Wagner von J a u r e g g - Wien : Gutachten der Wiener
medizinischen Fakultät, Gewohnheitsdiebstahl; wiederholt erfolg¬
reich durchgeführte Simulation von Geistesstörung.
Bemerkenswert ist an dem in der Ueberschrift gekennzeichneten
Fall von Simulation („epileptische Verblödung“) der Erfolg, den der
ziemlich plumpe Schwindel bei einigen Gutachtern hatte, während
er von den meisten ohne weiteres durchschaut wurde.
Wiener medizinische Wochenschrift.
No. 22/23. P. B a d e - Hannover: Ein neues blutiges Operations¬
verfahren bei schweren angeborenen Klumpfüssen.
Das Verfahren will einerseits die Erfolge des unblutigen Redres¬
sements in kürzerer Zeit, anderseits mit möglichster Vermeidung von
Verkürzungen Hautnekrosen erzielen. Es steht sozusagen als blu¬
tiges Redressement zwischen den bisherigen Verfahren, und ist im
wesentlichen eine energische direkte Modellierung und Verlagerung
— mit Hilfe eines eigenen Instrumentes — an den durch einen Haut-
und Periostschnitt freigelegten Knochen, wo nötig verbunden mit
Tenotomie.
No. 23. R. N e u r a t h - Wien: Mongolismus mit myxödemähn¬
lichen Symptomen kombiniert. (Kasuistische Mitteilung.)
No. 24. A. Weiss-Wien: Ein neuer Katheter- und Zystoskop-
Sterilisator
Die Instrumente werden in dem Glaszylinder des Apparates erst
durch 3 — 6 Stunden Autandämpfen ausgesetzt; dann wird ein Ge¬
misch von Chlorkaliuni und Ammonium eingeführt, von dem ersteres
das tiberschiis-sige Kondenswasser absorbiert, letzteres den über¬
schüssigen Formaldehyd binden soll. Die Erfolge sind sehr be¬
friedigend.
No. 26. R. Volk- Wien: Zur Atoxylbehandlung der Lues.
V.s Erfahrung erstreckt sich auf über 1000 Injektionen an 50
Kranken verschiedener Luesformen. Unangenehme Nebenerschei¬
nungen sah er auch bei energischem Gebrauch nicht, immerhin
empfiehlt sich eine genaue Ueberwachung der Kranken. Im ganzen
lässt V. das Mittel nur als Adjuvans in der Syphilistherapie gelten,
auch zur Lokalbehandlung der Initialaffekte und Inguinalbubonen. Die
Exantheme, auch hartnäckige, gehen bisweilen erst auf Atoxyl zurück,
aber fast- stets musste V. doch noch zu Hg greifen. Bei der Behand¬
lung mit Atoxyl scheine besonders häufig Palmarsyphilis aufzutreten
(Prädilektionsstelle der Arsendermatosen?). Die äüsserst günstigen
neueren Urteile über das Atoxyl scheinen auf einer zu kurzen Beob¬
achtung zu beruhen.
No. 27. M. K o s - Przemysl : Tenonitis suppurativa.
Beschreibung zweier Fälle mit auffallend günstigem Ablauf ohne
Schädigung des Auges, in dem einen Fall spontaner Durchbruch, in
dem andern Eröffnung des Abszesses.
No. 26/28. M. Weil- Wien: Bemerkungen über die Anwendung
der Saugtherapie bei Naseneiterungen.
Bisher ist von ungünstigen Erfahrungen bei den sicher nur in
kleinerer Zahl gemachten Versuchen nichts bekannt geworden. Nach
praktischen Erfahrungen und experimentellen Beobachtungen hält
Verfasser aber die Gefahr, dass bei der Ansaugung eine In¬
fektion von bisher gesunden Nebenhöhlen gesetzt wird, für nicht ge¬
ring, besonders die Gefahr einer sekundären Otitis media. Nament¬
lich bei akuten Naseneiterungen glaubt er zu grosser Vorsicht bei
der Anwendung der doch noch problematischen Saugtherapie warnen
zu müssen. Deshalb erblickt er auch in den neueren, eine möglichst
ausgiebige Saugwirkung anstrebenden Apparaten (Leu wer) keinen
Fortschritt.
No. 28. C. v. Pirquet: Die Allergieprobe zur Diagnose der
Tuberkulose im Kindesalter.
Verf. hat an 360 Kindern vom Säuglingsalter bis zu 14 Jahren
Hautimpfungen mit dem Koch sehen 'Alttuberkulin (mit 1 J eil 5 pro-
zentigem Karbolglyzerin und 2 Teilen physiologischer Kochsalzlösung)
dur'chgeführt. (Die genauere Methodik vergl. im Original.) Wie bei
der Revakzination entsteht beim Tuberkulösen bei Impfung mit
Tuberkulin als Ausdruck der durch die früher erfolgte Infektion ver¬
änderten Reaktion („Allergie“) eine eigenartige Frühreaktion, auf
welchem Prinzip ja auch die Reaktion bei der Tuberkulininjektion be¬
ruht. Die allergische Reaktion bei P.s Impfung erfolgt nun inner¬
halb eines oder zweier Tage ohne Fieber nur in Form einer flachen
Papel, eventuell mit Urtikaria oder Bläschenbildung. Bei 700
Impfungen fanden sich nur 3 Ausnahmen. Bei Skrofulöse, Knochen-
und Gelenkstuberkulose ist die Reaktion meist lebhafter, ebenso ist
sie bei wiederholter Impfung lebhafter. In den klinisch manifesten
Fällen war sie immer positiv, bei den letzten Stadien der Miliar¬
tuberkulose und der Meningitis fehlte die Reaktion nach der Impfung,
ebenso wie in diesen Fällen die Tuberkulinreaktion reaktionslos
ertragen wird. Wieweit die . Reaktion ein wirklich verlässiges dia¬
gnostisches Zeichen, event. auch bei Erwachsenen, bildet, ist noch
weiter zu verfolgen. Vielleicht können methodische wiederholte
Impfungen die rechtzeitige Erkennung der Frühstadien und der Ent¬
stehung der Tuberkulose ermöglichen. Jedenfalls stellt die Impfung
eine bequemere und ungefährlichere Methode dar, als die Tuber¬
kulininjektion.
No. 28. N. Jagic-Wien: Ueber negativen Leberpuls.
Krankengeschichte und Sektionsbefund eines Falles. Das Phä¬
nomen des negativen Leberpulses findet seine Erklärung in der Kom¬
bination eines offengebliebenen Foramen ovale mit der totalen Ver¬
wachsung des Herzens mit dem Herzbeutel.
* B e r g e a t - München.
Französische Literatur.
Leon Lortat-Jacob: Bemerkungen über die chlorarme
Diät bei der Epilepsie des Kindes. (Revue de medecine, Januar 1907.)
In Anschluss an einen 2 Jahre hindurch beobachteten und zur
Heilung gekommenen Fall, der ein 6 jähriges Mädchen betraf, bespricht
Verfasser die grossen Vorteile dieser Therapie der Epilepsie, bei
welcher keineswegs eine Erhöhung der Bromdosen sich als notwendig
erwies und als besonders günstige Nebenwirkung bedeutende Zunahme
des Körpergewichts eintrat. Die Einschränkung der Kochsalzzufuhr
konnte ferner 2 Jahre hindurch ohne irgend welche schädliche Neben¬
wirkung ertragen werden und brachte die Anfälle völlig zum Ver¬
schwinden, während die frühere Behandlung mit hohen Bromdosen
allein usw. ohne irgend welchen Erfolg geblieben war. Lortat-
Jacob beobachtete ferner weder in diesem noch in anderen nach
dieser Methode behandelten Fällen Erscheinungen von Brom-Ver-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
giftung oder von irgend welcher Geistesstörung, die von manchen
Seiten angegeben wurden. Er zieht sogar den weiteren Schluss, dass
die Darreichung von Brom (in kleinen Dosen) in Gemeinschaft mit
chlorarmer Diät in manchen Fällen, wo man nur eine Zunahme des
Körpergewichtes erzielen will, mit Vorteil angewandt werden kann.
S e z a r y - Paris: 4 Fälle von Adipositas dolorosa (Derkum¬
scher Krankheit. (Ibidem.)
S. scheint es, als wenn diese Krankheit nicht so selten wäre,
als allgemein angenommen wird. Seine 4 Fälle betrafen sämtlich
weibliche Patientinnen tim Alter von 47, 68, 82 und 57 Jahren und
zeigten die bekannten Hauptsymptome der Krankheit: mehr oder
weniger allgemeine Adipositas, Schmerzen (spontan und bei Be¬
rührung), algemeine Schwäche, psychische Störungen und ver¬
schiedenartige Hämorrhagien. Klinisch tritt zuweilen das eine oder
andere der Symptome ausgeprägter hervor. Die Zunahme des Körper¬
volumens geschieht gleichsam stossweise; die Schwäche war bei
dreien der Kranken so hochgradig, dass sie sich nicht bewegen
konnten.
Rene Leriche: Die Fernresultate der wegen Karzinom vor-
genommenen Magenresektion. (Revue de medecine, Februar 1907.)
Verfasser unterzog sich der mühsamen Aufgabe, in der Literatur
eine genaue Aufstellung über das spätere Schicksal der wegen Magen¬
karzinom Operierten zu finden. Es verbleiben 94, welche 3 Jahre
ohne Rezidive geblieben sind; von diesen bekamen nach 3 — 5 Jahren
5 noch Rezidive, so dass als definitiv geheilt 89 anzusehen sind. Von
diesen datiert der älteste Fall 16 Jahre und 3 Monate, 5 wenigstens
10 Jahre und 34 andere 5 — 10 Jahre zurück. (Wie gross die Anzahl
der überhaupt operierten Fälle ist, wird nicht angegeben, jedoch als
Endergebnis anderer Autoren, dass die Dauerheilung etwa 20 Proz.
der Fälle betrifft. Ref.) Die Dauerheilungen verteilen sich in ziemlich
gleichartiger Weise auf die verschiedenen Geschwulstformen und es
ist keine histologische Gruppe hervorzuheben, die besondere Neigung
zu Rezidive hätte. Kurz, das Lokalbefinden der Operierten ist ein
ausgezeichnetes und, trotzdem bei einigen eine geringe Eventration
vorhanden ist, die Heilung bezüglich des funktionellen Resultates eine
definitive. In Anbetracht dieser Erfolge und der ständigen, progres¬
siven Abnahme der Mortalität sollte als Grundlage aufgestellt werden,
dass jede Magenneubildung entfernt werden muss, wenn sie ana¬
tomisch zu exstirpieren und die Kachexie des Patienten nicht zu weit
vorgeschritten ist. Es gibt also nur eine rationelle und zwar die
chirurgische Behandlung des Magenkrebses, die sofort indiziert ist,
sobald man eine Neubildung vermutet. Ist die Kachexie schon sehr
weit vorgeschritten, so kann immer noch mit Vorteil die Operation
in zwei Zeiten ausgeführt und sollte stets den Kranken vorgeschlagen
werden.
Stef. Z o g r a f i d i, Arzt der griechischen Marine: Beitrag zum
Studium der Krankheitserscheinungen bei den Tauchern. (Ibid.)
Verfasser hatte Gelegenheit, 260 Fälle mit 7 Autopsien klinisch
zu beobachten und fasst seine Erfahrungen in folgenden Schlussätzen
zusammen: Die durch rasche Dekompression entstehende Krankheit
ist auf die Anwesenheit von Luftblasen im Blut, welche entweder
unmittelbar den Tod oder typische Myelitis (durch Luftembolie und
hämorrhagische Herde im Rückenmark verursacht, zurück¬
zuführen; diese Myelitis bewirkt entweder einen chronisch spastischen
Zustand oder in Bälde den Tod. Ersterer entsteht durch narbige Ver¬
änderungen im Rückenmark. Der Sauerstoff, der als spezifisches Heil¬
mittel angesehen wurde, hat nicht die auf ihn gesetzten Hoffnungen
erfüllt. Die einzige rationelle Behandlung ist nach unseren jetzigen
Kenntnissen die Prophylaxe; übrigens hat Z. einer seiner Fälle ge¬
lehrt. dass das Leben mit Luft im Blute einige Tage hindurch mög¬
lich ist.
F. Gross und Louis Sencert: Beitrag zum Studium und zur
Behandlung der nicht auf Karzinom beruhenden, undurchgängigen
OesoDhagusstrikturen. (Revue de Chirurgie, Januar 1907.)
Die 7 Fälle eigener Beobachtung, welche Verfasser ihrer Arbeit
zu Grunde legen, betrafen alle möglichen Fälle von Verengerung der
Speiseröhre, wie angeborene (bei einem 12 jährigen Knaben), spasti¬
sche, durch Narbenstriktur verursachte; letztere erscheint als die bei
weitem häufigste. Die direkte Endoskopie der Speiseröhre bildet
hiebei einen grossen Fortschritt in der Behandlung und hat vor der
blinden Sondierung (der einfachen indirekten Palpation) Vorteile*, die
keiner weiteren Erörterung bedürfen. Die retrograde Oesophago-
skopie wird nach der festen Ueberzeugung der Verfasser ermöglichen.
Während die Urtikaria im allgemeinen am 4. — 9. Tag nach der
Seruminjektion sich einstellt, ist dieses Erythema eine spätere Er¬
scheinung, am 8. 12. Tag auftretend. Es stellt sich also dann ein,
wenn der Kranke schon in voller Diphtherierekonvaleszenz sich be-
imdet. Eines der Hauptmerkmale dieser Eruption ist die rasche Aus¬
breitung und Wiederverschwinden der einzelnen Effloreszenzen.
Ausser dem Fieber sind nur wenig Allgemeinerscheinungen vorhanden
( Abgeschlagcnheit, zuweilen Diarrhöe, Appetitlosigkeit). Die Dauer
i icses E, \ tliems beträgt im allgemeinen 2 — 5 Tage, aber zuweilen
kommen Rückfälle (2, sogar 3 nach einander) vor. In 11 von den
. _ beobachteten Fällen war diese Erythemform auf Urtikaria gefolgt;
3 mal wurde eine Kombination dieses Erythems mit einem poly¬
morphen septischen Erythem konstatiert. Bezüglich der Behandlung
i .iten \ erlasset zu Bettruhe. Milchdiät und am Anfang eine leichte
Dosis Kalomel (ca. 0,05). Aber die wirkliche prophylaktische Be¬
handlung dieser Serumzufälle sollte darin bestehen, das Impfserum
von allen darin enthaltenen schädlichen Stoffen zu befreien, ohne ihm
seine immunisierenden Eigenschaften zu benehmen. Es wird zwar
daran in verschiedenen Laboratomien, besonders in jenem von Pa¬
villon gearbeitet, aber bis jetzt ist es noch nicht gelungen, ein der¬
artiges Serum herzustellen.
Lucien Rivet: Bemerkungen über die Gewichts- und Tem¬
peraturkurven bei der Gastroenteritis der Kinder. (Revue mensuelle
des maladies de l'enfance, Februau 1907.)
Diese beiden wichtigen Feststellungen geben im allgemeinen ein
Bild von der Entwicklungart der Magendarmerkrankung und bis zu
einem gewissen Grad einen Massstab für den mehr weniger günstigen
Einfluss der Diät. In der ersten Periode der akuten Erscheinungen ist
die Körpertemperatur erhöht, das Körpergewicht nimmt je nach der
Nahrungsaufnahme — am wenigstens bei Buttermilch — ab; in der
zweiten Periode, wo keine akuten Erscheinungen mehr vorhanden,
die Stühle aber noch nicht normal sind, kann die Abmagerung noch
einen höheren Grad erreichen, ja bis zu einem Zustand völliger
Kachexie gelangen. Es kommt dann die Periode der Rekonvaleszenz,
welche sehr langsam sich einstellt und nur allmähliche Gewichts¬
zunahme bringt. Von Wichtigkeit sind die Beobachtungen, welche
Verfasser gelegentlich dieser Untersuchungen über die Diät an¬
stellten. Sie fanden, dass die sogen. Wasserdiät die beste Art ist,
um die akuten Erscheinungen zu bekämpfen; sind dieselben nach 24
bis 48 Stunden nicht gefallen, so können Schleimabkochungen ihre
sedative Wirkung fortsetzen. Die Aufnahme der Ernährung mit
Buttermilch verursacht fast immer eine mehr weniger intensive
I empei atui erhöhung — das Buttermilchfieber, welches um so weniger
schwer ist, je später nach dem akuten Stadium man dieselbe ver¬
wendet. Die IJeriode der Abmagerung kann sich noch lange nach der
klinischen Heilung der Enteritis hinziehen und zuweilen zu Er¬
scheinungen von Pseudo-Addisonscher Krankheit führen. Bei
Krankenhausaufenthalt muss man in schweren Fällen immer mit
Sekundärinfektionen rechnen, die um so verhängnisvoller sind, je
schwächer die kleinen Patienten. Die allmähliche Gewichtszunahme,
welche die Rekonvaleszenz andeutet, kann man mit jeder Art Diät
erzielen; am günstigsten ist die Ernährung an der Brust, aber in
gewissen Fällen muss man zu mehlhaltigen Nahrungsmitteln oder
rohem EJeisch greifen, die besonders bei Intoleranz gegen Milch von
\ orteil sind. Es gibt nun Fälle, wo es bei keiner Art Ernährung ge¬
lingt, dei* Darmstörungen völlig Herr zu werden oder auch, nachdem
sie nahezu verschwunden sind, das Kind fortfährt, abzumagern,
kachektisch wird, Fieberanfälle ohne erkennbare Ursache hat. In
solchen Fällen handelt es sich meist um Kinder mit hereditärer
Krankheitsveranlagung und zwar, wie Verfasser überzeugt ist, vor
allem zu Tuberkulös e.
H. Vincent: Untersuchungen über die anaeroben Bakterien
im Wasser; Beitrag zum bakteriologischen Studium des Trinkwassers.
(Annales de l’institut Pasteur, Januar 1907.)
V. hält die Untersuchung auf anaerobe Bakterien für ein sehr
wichtiges Mittel zur Beurteilung der Beschaffenheit des Trinkwassers.
Eine abnorm grosse Menge von Anaerobien in demselben ist ein
sicheres Zeichen seiner schlechten Beschaffenheit. Reine Wässer ent¬
halten in der Tat nur wenige Anaerobien (1—2 pro ccm oder noch
weniger), mittelmässig reine, ungesunde oder arg verunreinigte Ge¬
wässer enthalten eine noch grössere Proportion Anaerobien, welche
von 10, 20, 50 pro ccm auf 500, 1000, 10 000 und noch mehr steigen
kann. Wenn — was gewöhnlich der Fall ist — die Zahl der Aerobien
jene der Anaerobien um vieles übersteigt, so kann man daraus
schliessen, dass das untersuchte Wasser nur einen vorüber¬
gehenden Aufenthalt der schädlichen oder nicht schädlichen
organischen Substanzen, die dort hineingelangt sind, deren Zersetzung
abei aufgehalten oder beschränkt ist, bildet. Wenn — was seltener
ist — die Bakterienformel umgekehrt (anaerobischer Index > 1).
so deutet dies auf einen Herd aktiver organischer Fäulnis, wobei
in solchem Wasser die Zersetzung von animalischen oder vege¬
tabilischen Stoffen herrühren kann. Die quantitative und qualitative
Bestimmung der in einem Wasser enthaltenen Anaerobien sollte daher
einen integrierenden Bestandteil der bakteriologischen Analyse bilden.
Zusammen mit den gewöhnlichen Untersuchungsmethoden und der
Zählung der Saprophyten und pathogenen Bakterien, ebenso wie der
genauen Bestimmung der Kolibazillen bildet sie eine sehr wichtige
Stütze bei der Beurteilung des Trinkwasserwertes
die untere Oeffnung einer Stenose zu erkennen, welche ausgedehnte
Gastrotomie nicht frei zu machen imstande war. Wenn die Ocso-
phagoskopie und auch letztgenannte Operation nicht zum Ziele führen,
so kommen die äussere Oesophagotomie, die Oesophagektomie, die
Oesophagogastrostomie usw., je nach der Lage des Falles, in Be¬
dacht; Verfasser glauben, dass diese letztere immerhin nur in einer
Minderzahl der Fälle sich als notwendig erweisen werden.
Leon Imbert, Professor für klinische Chirurgie zu Marseille:
Die Zerquetschung der Unterextremität, konservative Behandlung oder
Amputation? (Revue de Chirurgie, Februar 1907.)
Soweit es überhaupt möglich ist, bei diesen schweren Ver¬
letzungen, wo beinahe jeder Fall .andersartig liegt, allgemeine Ge¬
sichtspunkte auszugeben, lauten die Schlüsse, welche .1. aus seinen
12 selbst beobachteten Fällen zu ziehen sich für berechtigt hält,
folgendermassen. In erster Linie ist es wichtig, mit den sogen. Zer-
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1499
malm ungen nicht die offenen Komminutivfrakturen zu verwechseln;
erstere bestehen aus 1. multiplen Knochen-, 2. aus Hautverletzungen
und 3. aus solchen der Weichteile, die durch tiefgehende Zerreissung
der Muskelzwischenräume charakterisiert sind. Die Entwicklung
dieser Verletzungen kann in vier Perioden eingeteilt werden, 'deren
jede spezielle Indikationen von seiten des Chirurgen erheischt. 1. Die
dem Trauma unmittelbar folgende Periode ist durch den Schock und
selten durch Blutung gekennzeichnet. 2. Die erste Periode, umfassend
die ersten 14 Tage, charakterisiert durch hochgradige Komplikationen
allgemeiner Art, die das Leben bedrohen: Tetanus, Gangrän, Septi-
kämie. 3. die zweite, nun folgende Periode ist besonders durch Kom¬
plikationen lokaler Natur, wie Eiterung, Nekrose der Haut und der
Knochen, charakterisiert. 4. Die spätere Periode, wobei mangelhatte
Konsolidation die Ursache zu Amputation abgeben kann. Die für den
Chirurgen schwerwiegendste Periode ist die sub 3 genannte, wobei
oft die Frage, ob Amputation oder konservative Behandlung, vor¬
tritt. Die unmittelbar, in den ersten Stunden vorzunehmende Ampu¬
tation ist fast stets kontraindiziert, ausser in jenen Fällen, wo sie
beinahe schon durch das Trauma ausgefiihrt wurde und sich nur noch
darauf beschränkt, einige Haut- oder Muskelbündel zu trennen. Die
sekundäre Amputation ist selten angezeigt; sie würde besonders durch
sehr langen Bestand infektiöser Zufälle und den formell ausgedrückten
Wunsch des Patienten, möglichst rasch geheilt zu werden, gerecht¬
fertigt sein. Die Spätamputation kann noch durch Bildung einer hart¬
näckigen Pseudarthrose notwendig werden.
A. Cou velaire; Hämorrhagien des Zentralnervensystems der
Neugeborenen nach Zangenentbindung. (Annales de gynecologie ei
d’obstetrique, Januar 1907.)
An der Klinik Baudeloque (unter Pinard) wurden 213 Neu¬
geborene seit 4 Jahren autoptisch untersucht und dabei nach einer
speziellen Methode das Zentralnervensystem studiert. Es fanden sich
hiebei 10 Fälle von Blutungen in der Medulla oblongata und Rücken¬
mark, bei allen diesen war eine schwierige Entbindung, wovon bei
7 mit Anlegung der Zange, voransgegangen. Es zeigte sich nach den
sorgfältigen Untersuchungen des Verfassers, dass diese Hämorrhagien
besonders dann beobachtet werden, wenn der Kopf des Fötus, von
der Zange gefasst, gegen irgend einen Widerstand, sei es des
knöchernen oder der Weichteile des Beckens zu kämpfen hat. Meist
sitzen die Hämorrhagien in einer gewissen Entfernung von der Appli¬
kationsstelle des Druckes und zwar besonders im Halsmark und in
der Medulla oblongata. Das Uebermass' des intrakraniellen Druckes
'führt dazu, die Drüsen (? Refer.) des Kleinhirns in den Wirbelkanal
zu drängen; diese Drüsen können, ebenso wie die benachbarten Teile
der Hirnhemisphären mit interstitiellen Hämorrhagien infiltriert sein.
Vorher bestanden Gefässveränderungen, speziell jene der Heredo-
syphilis, scheinen genügende Prädisposition zur Bildung einer Rücken¬
marksblutung bei Gelegenheit des geringen durch die Zange hervor¬
gerufenen Druckes zu bilden. Die Gehirnsubstanz war bei den recht¬
zeitig geborenen Kindern völlig intakt mit Ausnahme eines einzigen
mit Schädelfraktur verbundenen Falles; hingegen wurden hämor¬
rhagische Herde innerhalb des Gehirns in 18 Proz. der autoptisch
untersuchten Fälle bei schwächlichen, vorzeitig zur Welt
gekommenen Kindern, die früher oder später nach einen spontanen
und leichten Geburt, starben, beobachtet. Die interessante Arbeit ist
mit einer Anzahl Abbildungen des makroskopischen und mikro¬
skopisch-histologischen Befundes versehen.
Salva Merca.de: Die Abszesse der Gebärmutter. (Ibidem.)
Die Abszesse der Gebärmutterwand haben erst in den letzten
Jahren ihren Platz endgültig in der Gynäkologie gefunden und können
noch immer als eine seltene Affektion angesehen werden. Verfasser
gibt in verdienstvoller Weise über Aetiologie, Pathogenese, patho¬
logische Anatomie und Diagnose dieses Leidens ein anschauliches
Bild. Die Behandlung desselben hängt von dem anatomischen Sitz
ab: wenn der Abszess in der Zervix sitzt, was ausserordentlich selten
vorkommt — meist entwickeln sich die Eiterungen im Corpus uteri
— so genügt einfache Inzision per vaginam, Kürettement und Drai¬
nage. In den anderen Fällen wird meist Laparotomie nötig sein, bei
multiplen Abszessen vaginale oder abdominale Hysterektomie, wobei
man meist genötigt sein wird, die Adnexe der kranken Seite abzu¬
tragen oder die Totalexstirpation zu machen.
A. B. Marfan und Henri Lern ai re: Beitrag zum Studium
der sero-toxischen Zufälle; das Erythema marginatum aberrans.
(Revue mensuelle des maladies de l’enfance, Januar 1907.)
V. Morax: Augenerkrankungen im Verlaufe der Trypano-
somiasiasis. (Ibidem.)
Dieselben bieten wegen ihrer Häufigkeit und ihres speziellen
Charakters ein sehr grosses Interesse. Das Auftreten einer nicht
ulzerösen, interstitiellen Keratitis kann in vielen Fällen bei einem
Tiere eine Trypanosomainfektion vermuten lassen. Diese interstitielle
Keratitis wird durch die Proliferation der Trypanosomen in die
Zwischenschichten der Kornea hervorgerufen und kann zu voll¬
ständiger Zerstörung der Hornhaut führen, aber auch verschwinden,
ohne Spuren zu hinterlassen. Letztere Entwicklung zeigt sich be¬
sonders bei Tieren, welche eine ziemlich ausgesprochene Resistenz
gegen die Trypanosomainfektion besitzen (Ziegen), hingegen bei
Hunden tritt der Tod ein, während die Hornhäute noch völlig undurch¬
sichtig sind.
Edmund Ser gen t und Etienne Ser gen t: Epidemiologische
und prophylaktische Studien über die Malaria. 5. Kampagne in
Algier 1906. (Annales de l’institut Pasteur, Januar und Februar 1907.)
Die bekannten Forscher setzen hier ihre früher schon be¬
gonnenen gründlichen Untersuchungen über die Ausbreitung der
Malaria in Algier und deren Bekämpfung fort. Auf Einzelheiten be¬
züglich des ersteVen Kapitels, das mit zahlreichem Kartenmaterial
u. A. m. reich illustriert ist, einzugehen, würde hier zu weit führen
und sei nur einiges über die, wie es scheint, in sehr wirksamer Weise
betriebenen prophylaktischen Massnahmen mitgeteilt. Es wurden
10 000 Anweisungen über den Schutz gegen die Malaria (4 Seiten
Text, 4 Seiten bildliche Darstellungen) veröffentlicht, 20 000 kleine
Plakate, welche in wenigen Zeilen Ratschläge gegen die Malaria auf
Französisch und Arabisch geben, in allen Eisenbahnwaggons, auf den
Bahnhöfen, Bureaus der Bürgermeister, der Gerichte, der Posten an¬
geschlagen, in 5000 Fällen für Lehrer, Offiziere, Bürgermeister, Vor¬
stände der Landwirtschaftsschulen Vorträge über die Malaria aus¬
gearbeitet, 2000 grosse Maueranschläge mit bildlichen Darstellungen
über die Malaria in den Schulen, einigen Bahnhöfen usw. angebracht
und 10 000 Postkarten, welche die Kenntnis über die Rolle der
Moskitos und die neuen prophylaktischen Massnahmen verbreiten
sollten, verteilt.
A. Marie und C. Levaditi: Die syphilitischen Antikörper
im Liquor cerebrospinalis der Paralytiker und Tabetiker. (Ibidem,
Februar 1907.)
In Uebereinstimmung mit Wassermann und Plaut fanden
Verfasser bei Paralytikern diese spezifischen Antikörper und zwar
unter 39 untersuchten Fällen von allgemeiner Paralyse 26 mal
— 73 Proz., unter 9 von Tabes 6 mal — 66 Proz.; die Serumreaktion
von 17 anderen Kranken, wie Melancholikern, Epileptikern, Idioten
usw. bot stets ein negatives Resultat. Die Entstehung dieser spe¬
zifischen Substanzen muss nach der Verfasser Ansicht durch Elemente,
welche an der Entzündung der Hirnhäute beteiligt sind, stattfinden;
es handelt sich hiebei um eine Art Sekretion, wie auch Wasser¬
mann und Plaut annehmen. M. und L. glauben jedoch, dass diese
Sekretion die Leukozyten, besonders die Lymphozyten besorgen,
während für W. und PI. die Nervenzentren selbst diese Aufgabe haben.
Das Auftreten der Antikörper im Liquor cerebrospinalis ist nach der
beiden Verfasser Ansicht bedingt durch das Vorhandensein einer mehr
weniger alten Syphilis und durch die Lokalisation eines intensiven
und prolongierten syphilitischen oder parasyphilitischen Prozesses
in den Hirnhäuten. Die vielumstrittene Frage der syphilitischen Natur
der allgemeinen Paralyse wird jedenfalls durch diese bakteriologischen
Untersuchungen in positivem Sinne gelöst.
A. Calabrese: Zur Behandlung der Tollwut mit Radium
(Ibidem.)
Im Gegensatz zu Tizzoni und Bongiovanni (siehe diese
Wochenschrift No. 1, S. 39) hält es C. für wenig aussichtsreich, durch
Applikation von Radium auf das Auge wegen der damit verbundenen
schädigenden Wirkungen beim Menschen die Tollwut zu behandeln.
Lop: Eine Varietät subakuter Leistendrüsenentzündungen,
welche speziell bei den Bewohnern von Niederländisch-Indien Vor¬
kommen. (Gazette des höpitaux 1907, No. 10.)
Nach Ansicht Lops handelt es sich bei dieser Drüsenaffektion
um ein ganz spezifisches Leiden: denn unter etwa 1000 Patienten,
welche von den verschiedensten Teilen der Welt kamen, hat er diese
Drüsenentzündung nur bei deutschen und englischen Marinesoldaten
beobachtet, welche von Java und besonders der Ostküste dieser
Insel kamen. Der Drüsenabszess ist immer einseitig, nimmt meist
ziemlich grosse Dimensionen (bis zu einer Kartoffel) an, zeigt niemals
Fluktuation; sich selbst überlassen kommt er nach 8—10 Monaten
zur Ausheilung. Inzidiert man, wie es L. in 9 von seinen 16 Fällen
getan hat, so dauert die Heilung auch etwa 2 Monate. Bakterio¬
logisch hat der Eiter immer Streptokokken aufgewiesen. Die Sanitäts¬
offiziere in den Kolonien müssen diese Varietät von Leistendrüsenent¬
zündung kennen, da eine Verwechslung mit Bubonenpest immerhin
möglich ist und deren Exklusion zuweilen erst bei genauester Unter¬
suchung gelingt. Stern.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juni 1907.
28. Ginsburg Chaim-Jankel: Aetiologie und Therapie des Caput
obstipum musculare.
29. Müller Hans: Ueber das Vorkommen von Herniataxie ohne
Sensibilitätsstörungen bei halbseitigen Kleinhirnerkrankungen und
die Differentialdiagnose gegenüber ähnlichen hysterischen Krank¬
heitsbildern. .
30. Ul 1 mann Paul: Ueber protrahierte hysterische Dammei zu¬
stande. ^ ,
31. Peter sen Karl: Das traumatische Mal um Pottn und seine
Differentialdiangose gegenüber dem Spätgibbus der traumatischen
Spondylitis.
Universität Tübingen. Juni 1907.
10. Ensgraber Bernhard: Ein weiterer Fall von Kardiolyse.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ne. CO.
Vereins- und Kongressberichte.
14. Versammlung des Vereins Süddeutscher Laryngo-
logen zu Heidelberg.
Pfingsten, 20. Mai 1 907:
(Offizieller Bericht des Schriftführers Dr. Felix Blumenfeld-
Wiesbaden. *)
Den Vorsitz der von 88 Mitgliedern besuchten Versammlung
führte Herr Professor L i n d t - Bern.
Herr Siebenmann-Basel: Ein Fall von Mitbeteiligung der
Schleimhaut der oberen Luftwege bei universeller ichthyosifornier
Erkrankung der Köroeroberhäche.
19 jähriges Mädchen, dessen Mutter an ähnlichen Hautverände-
rungen gelitten hat, bietet an der Haut des Körpers das Bild einer
Ichthyosis, jedoch handelt es sich um keine ganz reine, typische
Form dieser Krankheit. Während die übrigen Schleimhäute sich
normal verhalten, finden sich graue und opake Flecken in Mund,
Rachen und Kehlkopf. Die Schleimhaut der Ober- und Unterlippe ist
bis an die Umschlagfalte zum Alveolarfortsatz hin undurchscheinend,
grau verdickt ohne Rhagadenbildung. Zahnfleischsaum etwas ge¬
schwellt und getrübt, Wangenschleimhaut normal. Unterfläche der
Zunge plattenartig verdickt mit narbig eingesenkten Stellen, die
Zungentonsille ist graugelb gefleckt. Aehnliche Veränderungen an
Gaumen, Gaumenbögen und Tonsillen. Endlich pachydermische
Stellen auf der Spitze der Epiglottis, hinteren Larynxwand und beiden
Stimmbändern.
Die histologische Untersuchung von genannten Orten entnom¬
mener Teile entspricht betreffs der Schleimhaut von Rachen, Kehlkopf
und Zunge dem Bilde einer mässig entwickelten Pachydermie, die
Lippenschleimhaut zeigt ein ganz anderes Bild in Bezug auf den Pa¬
pillarkörper. Der grösste Teil der elastischen Fasern ist gequollen,
färbt sich mit van Gieson gelb, nur die ebenfalls gequollenen kollo-
genen Fasern färben sich rot, Gefässwände und Membr. propriae der
Schleimdrüsen verdickt und hyalin degeneriert, letztere selbst atro-
phiert; Papillen reichlicher, weniger regelmässig angeordnet, die
obersten Schichten der Schleimhaut sind verhornt.
Diskussion: Herr Seifert: Es scheint sich um einen Misch¬
prozess zwischen Hyperkeratose und Sklerodermie zu handeln.
Herr Jessen fragt an, ob therapeutisch Salizyl verwandt sei.
Herr Sieben mann: Schlusswort.
Herr Seif ert- Würzburg: Beitrag zu der Kenntis von den toxi¬
schen Kehlkopflähmungen.
Diese Lähmungen finden sich recht selten in der neueren wie
älteren Literatur beschrieben. Es handelt sich um folgenden Fall:
48jähr., kräftiger Bauersmann erkrankt, nachdem er tagsüber bei
Wind, der ihm den Staub ins Gesicht trieb, mit Kupfervitriol be¬
handeltes Getreide gesät hatte, abends an den Erscheinungen einer
akuten Gastroenteritis. Nach 14 Tagen erholte sich der Kranke,
wurde aber von einer schweren Stimmstörung befallen. Nach etwa
J Wochen (1. XI. 1905) folgender Status: Stimme unrein, heiser, über¬
schlagend. Rechtes Stimmband funktioniert normal, das linke steht
in Kadaverstellung. Im Uebrigen an Brustorganen etc. nichts Ab¬
normes: auch die tracheoskopiscbe Untersuchung und die Sondie¬
rung der Speiseröhre ergibt nichts Abnormes. Therapie: Massage,
Elektrizität, später kleine Dosen von Jodkali. Die Prognose wurde
von Beginn an günstig gestellt: tatsächlich war auch am .8. II. 1906
die Stimme wieder vollkommen klar. Singen wieder möglich, nur
noch eine leichte Ermüdbarkeit vorhanden, die Bewegungen des linken
Stimmbandes waren wie die des gesund, gebliebenen rechten. Diese
Lähmung beruht fraglos auf einer Qiftwirkung des verschluckten
Kupferstaubes. Eine weitere Gruppe von toxischen Kehlkopfläh-
mungen entsteht nach Infektionskrankheiten, bei Diphtherie etc.; sie
dürften als Neuritiden angesehen werden. Die Krankengeschichte
eines 50ährigen. sonst gesunden Arztes, der nach einer Influenza
eine Rekurrenslähmung bekam, illustriert diese Klasse von toxischen
Kehlkopflähmungen. Auch hier ergab sich die von Beginn an gut
gestellte Prognose als richtig.
Zur Diskussion, die wesentlich die Frage erörtert, nach
welcher Zeit eine Rekurrenslähmung sich noch zurückbilden kann
sprachen die Herren A v e 1 1 i s, Werner, L i n d t, Schäfer, Ju¬
ras z, Sacki und der Vortragende.
Herr A v e 1 1 i s - Frankfurt a. M.: Laryngotomie ohne Kanüle und
ohne Chloroform in Skopolamin-Morphium-Narkose.
Fall von typischem Karzinom des linken Ventrikels bei 70jähr
Manne, Skopolamin 0,003, Morphin 0,01 bei verstopften Ohren in
Dunkelzimmer injiziert, dann typische Operation mit Spaltung der
oberen Trachealringe, Entfernung des Tumors und Zerstörung der
Umgebung mit dem Kauter. Der Knorpel wird vereinigt, alles andere
bleibt offen, keine Tamponade, keine Kanüle. In einem zweiten Falle
trat bei gleichem Vorgehen Nachblutung auf. deshalb nachträgliches
Einführen einer Kanüle mit unterer Tamponade. Nach der Operation
Bauchlage, um den Abfluss der Sekrete zu sichern. Der Kranke kann
sofort wieder schlucken, was ein wesentlicher Vorteil des Vor-
) Die Verhandlungen erscheinen ausführlich bei A. Stuber-
Wiirzburg.
gehcns ist, er steht nach 1—2 Tagen auf. Auf frühzeitige Diagnose
des Kehlkopfkarzinoms ist das grösste Gewicht zu legen. Die endo-
laryngeale Operation ist nicht zu empfehlen. Im zweiten Falle ergab
sich bei der Laryngofissur ein zweites Karzinom auf der im laryngo-
skopischen Bilde gesunden Seite.
Herr Avellis: Ueber Kehlkopfluftsäcke beim Menschen. (La¬
ryngozele).
Vierjähriges Kind, das wegen Heiserkeit dem Arzte zugeführt
wurde. In letzter Zeit bildete sich bei kräftigem und anhaltendem
Schreien eine Anschwellung aussen am Halse; dieselbe wölbt sich
zu beiden Seiten des Schildknorpels einerseits bis zum Kieferrand,
andererseits bis fast zum Schlüsselbein; sie ist weich und tympa-
nitisch, beim Nachlassen des Schreiens geht die Schwellung langsam
zurück, auch bei starkem Husten erscheint sie; keine Atemnot, Ope¬
ration vorläufig night indiziert. Sonstige Missbildungen fehlen.
A. schliesst hieran weitere Ausführungen über die .entwicklungs¬
geschichtliche Genese der Luftsäcke.
Diskussion: Die Herren V e i s s und Schilling berichten
ebenfalls über Fälle von Laryngozelen. Herr Schilling hält die
Bauchlage nach der Skopb’lamin-Morphium-Narkose nicht für un¬
bedingt erforderlich.
Herr Avellis (Schlusswort) hält an der Empfehlung der Bauch¬
lage fest. Betreffs der Laryngozelen ist er nicht der Ansicht, dass
eine Operation nötig sei.
Herr V o h s e n - Frankfurt a. M.: Wert der Durchleuchtung bei
Erkrankungen der Stirnhöhle.
Die Methode, vor 17 Jahren von V. bekannt gegeben, hat sich
noch nicht den Platz erobert, der ihr bei der Diagnose der Stirn¬
höhlenerkrankung gebührt. Alle bekannten diagnostischen Behelfe
und Symptome sind unsicher, event. nicht in allen Fällen anwendbar,
wie z. B. die Sondierung. Ausspülung. Der Grundgedanke, der V.
bei der Durchleuchtung leitete, war, von der Basis aus die hori¬
zontale und vertikale Ausdehnung der Stirnhöhle dadurch sichtbar
zu machen, dass wir gut abgeblendetes Licht in die Höhle senden;
hierzu ist allerdings ein gutes Instrumentarium, das es gestattet, voll¬
kommen abgeblendetes Licht in die Stirnhöhle zu werfen, unbedingt
erforderlich. Die Durchleuchtung der Stirnhöhle von der vorderen
Wand aus leistet nicht dasselbe wie die von der Basis aus, doch ist
sie als Ergänzung der V o h s e n sehen Methode unter Umständen von
Wert, da sie z. B. Auskunft geben kann über die sagittale Ausdehnung
der Stirnhöhle.
V. hat eine neue Durchleuchtungslampe bei O. E b e r t -Frank¬
furt a. M. konstruiert, deren wichtigster Teil für diese Zwecke die
Kappe zum Abblenden ist; sie muss exakt schliessen, sie muss ge¬
statten das der Leuchtkörper dicht unter die obere Oeffnung tritt, ihr
gut abgerundeer Rand muss so gearbeitet sein, dass er auch bei star¬
kem Druck beim Aufsetzen — und ein solcher ist nötig — keine
Schmerzempfindung veranlasst. Eine den, Verhältnissen des betreffen¬
den Teiles des Orbitaldaches sich richtig anpassende Lampe ist
ebenso unerlässlich zum Gelingen der Durchleuchtung, wie absolute
Verdunkelung des Untersuchungsraumes. Die Untersuchungsmethode
erfordert eine genaue Beachtung gewisser technischer Feinheiten
(Einschalten des Lichtes etc.) wie auch eine Gewöhnung des Auges
an die Abstufungen der Helligkeit, die erworben sein will. Die Me¬
thode Gerbers, der 2 Vohsen sehe Durchleuchtungsapparate zu¬
gleich anwendet, um Vergleiche der Helligkeit anstellen zu können,
ist nicht durchführbar. Es kommt auch auf die Helligkeitsunterschiede
allein nicht an, vielmehr ist Vohsens Durchleuchtung auch noch
in anderer Weise zur Diagnose zu verwerten, nämlich in Bezug auf
die Stellung des Septums. Ueberschreitet der gleichmässig durch¬
leuchtete Bezirk stark die Mittellinie, so ist mit Fehlen des Septums
zu rechnen, wenn die andere Seite bei der Durchleuchtung dunkel
bleibt: auch auf die Stellung des Septums und auf Verschiedenheiten
der Grösse bei der Stirnhöhle läst sich aus der Durchleuchtung
schliessen.
Der Durchleuchtung steht die Röntgendurchstrahlung im sagit-
talen Durchmesser nicht überlegen gegenüber; auch hier fällt, wie
das auch für die Durchleuchtung der Fall ist, die Dicke der Knochen¬
wandungen ins Gewicht, sowohl die der hinteren wie der vorderen,
während bei der Durchleuchtung nur die Dicke der vorderen Wand
von Bedeutung ist. V. ist der Ansicht, dass das kostspieligere und
umständlichere Röntgenverfahren für die Diagnose der Stirnhöhlen¬
erkrankungen keinerlei Vorzüge hat; das gleiche gilt von der Sonden¬
kontrolle durch Röntgenstrahlen nach Schreyer. V. resümiert:
..Die Durchleuchtung nach meiner Methode ist bei latenten Erkran¬
kungen der Stirnhöhlen eines der wichtigsten diagnostischen Hilfs¬
mittel. Sie kann von der M e y e r sehen Modifikation unterstützt, von
der Röntgendurchstrahlung in sagittaler Richtung ersetzt werden.
Letztere aber zeigt bis jetzt keine Ueberlegenheit gegenüber meiner
Methode; wohl fixiert sie im Radiogramm dauernd den Eindruck,
dagegen entfallen bei ihr die wichtigen Symptome der Septumdurch¬
leuchtung.“
Herr Oppikofer - Basel : Mikroskopische Befunde von Neben-
höhlenschleimliäuten bei chronischem Empyem.
Bis jetzt wurde auf Veranlassung von Herrn Professor Sieben¬
mann die Schleimhaut von 100 chronisch eiternden Nebenhöhlen
untersucht, einige Präparate werden vorgelegt. Plattenepithel wurde
unter diesen Fällen überraschend häufig gefunden, unter hundert
Fällen 35 mal und zwar in:
muenchener medizinische Wochenschrift.
1501
23. Juli 1907.
66 Kieferhöhlen . . . .27 mal
22 Stirnhöhlen . 7 mal
10 Siebbeinzellen .... 1 mal.
Bei den einzigen zwei Keilbeinhöhleneiterungen, die O. unter¬
suchte, fand sich nur Zylinderepithel. Das Plattenepithel ist vor¬
wiegend nur auf einige Teile der Schleimhaut beschränkt, nur selten
war die Metaplasie ausgedehnt. Wichtig war das Resultat einer
Untersuchung der Stirnhöhlenschleimhaut, die man makroskopisch für
akut entzündet hätte halten können, doch zeigte das Präparat dickes
Plattenepithel mit Verhornung. Metaplasie kommt also, wie O.
sich an 65 Fällen akuter Nebenhöhleneiterung überzeugen konnte, bei
der akuten Form nicht vor. Plattenepithel in einem gewonnenen
Schleimhaütstück lässt also einen Schluss auf den Charakter der
Eiterung insofern zu, als das Vorhandensein von Plattenepithel auf
chronische Eiterung deutet, das Fehlen desselben schliesst aber
solche nicht aus. Bemerkenswert ist, dass das Plattenepithel sich
ebenso wie in der Nase namentlich auf der Höhe einer Schleimhaut¬
falte findet. Ein Präparat (durch Operation nach Luc gewonnen)
zeigte beginnendes Karzinom, das auf die Schleimhaut beschränkt
war; die sorgfältige Auskratzung der- Schleimhaut — die Diagnose
Karzinom wurde erst später gestellt — hat ein Rezidiv verhütet.
Ausserdem fand sich hier ein Kalkkonkrement.
Eine strenge Einteilung der Nebenhöhleneiterungen in solche von
ödematösem und solche von fibromatösem Typus erwies sich als nicht
durchführbar.
Herr D e n k e r - Erlangen: Weitere Erfahrungen über die Ra¬
dikaloperation des chronischen Kieferhöhlenempyems.
Vor zwei Jahren publizierte Denker drei Fälle von hart¬
näckigem, langwierigem Empyem der Kieferhöhle, die nach seinem
Verfahren operiert und geheilt sind; diesen schliessen sich 15 weitere
an, die zur Operation kamen, ohne dass etwa eine Erweiterung der
Indikation auch auf leichtere Fälle stattgefunden hätte, vielmehr han¬
delte es sich auch hier um Fälle, die sich einer konservativeren Be¬
handlungsweise als unzugänglich erwiesen hatten. In einem Falle
wurde als (kürzeste) Dauer des Bestehens % Jahre angegeben, in
den übrigen Fällen hatte sie mehrere (bis zu 16) Jahre gedauert. Das
Verfahren, welches D. einschlägt, ist eine Kombination der Opera¬
tion von Luc-Bönninghaus mit den Vorschlägen von Fried¬
rich und Kr etschmann, bei welchem nach primärem Verschluss
der oralen Wunde die Nachbehandlung durch die Nase vor sich geht.
Die Tampons liegen bis zum 3. — 4. Tage, vom 10. Tage an Aus¬
spülungen von der Nase aus mit Hilfe eines weiten, gebogenen Glas-
rohres und Borsäureinsufflationen.
In den meisten Fällen konnte die erkrankte Schleimhaut der
Kieferhöhle erhalten werden, sodass am Schluss der Operation fast
die ganze Mundhöhle mit Ausnahme der fazialen Wand mit Epithel
bedeckt war; D. glaubt, dass durch dieses Vorgehen die Heilungs¬
dauer wesentlich abgekürzt werden kann. Nur in den Fällen, wo die
degenerierte Schleimhaut das Lumen der Höhle fast gänzlich aus¬
füllte, wurde sie gründlich entfernt und die Heilung durch Granula¬
tionsbildung angestrebt. Durchschnittlich wurden die Patienten 16 Vs
Tage nach dem Eingriff entlassen, die längste Dauer der Nachbe¬
handlung betrug 30 Tage, die kürzeste 6 Tage, wobei zu bemerken
ist, dass die Kranken besonders in der ersten Zeit länger als eigent¬
lich erforderlich zur Beobachtung in der Klinik behalten wurden.
Der Heilungsverlauf war immer glatt, Störungen von Seiten des
Tränenapparates wurden nicht beobachtet, auch kein Ausfallen von
Zähnen.
In allen Fällen wurde Heilung erzielt, der Geruch verlor sich,
die Eiterung sistierte und bei der Kontrolle ergab sich, dass kein
Rezidiv aufgetreten ist. In Uebereinstimmung hiermit stehen ander¬
weitige mit D.s Verfahren gemachte Erfahrungen. Wenn Cordes
vorschlägt, die partielle Resektion der mittleren Muschel zu unter¬
lassen, da er Borkenbildung fürchtet, und deshalb die orale Wunde
teilweise offen lassen will, um von da aus den Tampon zu entfernen,
so ist dem zu entgegnen, dass diese Befürchtung sich nach ein¬
gehenden Nachforschungen D.s als unbegründet erwiesen, ebenso wie
die weitere Befürchtung, dass Neigung zu Katarrhen auftrete. Bei
den letzten Operationen wurde nur etwa das vordere Drittel der
unteren Muschel entfernt, hierauf ist im Interesse des vollkommenen
Verschlusses der oralen Wunde nicht zu verzichten.
Diskussion zu Vortrag 4, 5 und 6.
Herr v. Eicken tritt dafür ein, die orale Wunde nicht primär
zu nähen und die Schleimhaut der Höhle zu entfernen.
Herr Brünings hebt die Vorzüge des Röntgenverfahrens für
die Diagnose der Stirnhöhle hervor.
Herren Denker und Voh'sen: Schlusswort.
Herr K a t z - Kaiserslautern : Demonstration eines neuen elektro-
medizinischen Universalapparates für das ärztliche Sprech- und Un¬
tersuchungszimmer.
Auf Veranlassung der ' vereinigten elektrotechnischen Institute
Frankfurt-Aschaffenburg konstruierte K. einen höchst kompendiösen
Apparat, der allen Anforderungen des Laryngo-Otologen entspricht.
Durch Verlegung aller staubfangenden Teile in das Innere des Tisches
ist es gelungen, das Aeussere nur aus Glas und Metall zu konstruieren,
so dass den äussersten Forderungen der Asepsis entsprochen wird.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Sud eck.
Schriftführer; Herr K o e r b e r.
Herr Delbanco demonstriert :
1, ein 1 Pfd. schweres Fibroma pendulum der rechten grossen
Labie einer 57 jährigen Frau.
2. einen kleinapfelgrossen Tumor der Kopfhaut eines 50 jährigen
Mannes.
Herr Fahr: Demonstration zweier Hirngeschwülste.
Bei beiden Tumoren handelt es sich um Endotheliome, die in
der Gegend des linken Stirnhirns von der Dura aus sich entwickelt
und durch ihr Wachstum sehr starke Verdrängungserscheinungen
am Gehirn hervorgerufen hatten — beide stammen von weiblichen
Individuen. Der eine Tumor hatte etwa die Grösse eines Gänseeies,
der andere war faustgross. Der kleinere hatte zu Lebzeiten der Pat.
starke Beschwerden gemacht, die sich in Kopfschmerzen und Krampf¬
anfällen äusserten; der Tod, der nur auf den Tumor zuriickgeführt
werden konnte, trat plötzlich ein, nachdem kurz zuvor noch 2 Krampf¬
anfälle stattgefunden hatten. Der grössere Tumor hatte merk¬
würdigerweise zu Lebzeiten seiner Trägerin nur ganz unbedeutende
Symptome hervorgerufen. Die betr. Pat. klagte ab und zu über
ein lähmendes Gefühl in den Beinen, das aber stets rasch vorüber¬
ging und die Pat. nicht veranlasste, ärztliche Hilfe in Anspruch zu
nehmen. 2 Tage vor ihrem Tode fiel es ihrer Umgebung auf, dass
sie stiller als sonst und etwas schwermütig geworden war. ln
diesem schwermütigen Zustand führte sie selbst ihren Tod herbei,
indem sie sich erhängte.
Bei der Sektion wurde bei dem ersten Fall keine, bei dem
zweiten eine beginnende Stauungspapille gefunden. Die Papille war
hier, ebenso wie die Umgebung des Tumors und die Meningen, allent¬
halben völlig frei von Entzündung und Vortr. ist der Ansicht, dass
man hier nur die starke Raumbeengung und Stauung, die unter dem
Einfluss des Tumors in der Schädelhöhle entstanden war, zur Er¬
klärung der Stauungspapille heranziehen könne. Angeregt durch
diesen Fall hat sich Vortr. noch weiter mit Untersuchungen über die
Genese der Stauungspapille befasst.
Auf Grund dieser Untersuchungen vertritt er die Ansicht, dass
die Entzündungstheorie von Leber und Deutschmann für viele
Fälle richtig ist. Bei Stauungspapillen, die im Anschluss an Tumor¬
bildung entstanden sind, trifft sie dann zu, wenn es sich bei den
Tumoren um infektiöse Granulome oder um maligne Neubildungen,
die mit starkem Gewebszerfall einhergehen, handelt, wobei es in der
Regel zur Entzündung der Umgebung und zu einer Produktion von
Stoffen kommt, die ihrerseits zu einer Entzündung Veranlassung
geben.
Andererseits weist er darauf hin, dass es schon bei malignen
Tumoren oft schwierig, ja unmöglich ist, in der Umgebung des
Tumors oder sonstwo in den Meningen entzündliche Veränderungen
nachzuweisen und so den Beweis zu erbringen, dass der Tumor
tasächlich einen Herd für die Entstehung entzündlicher Prozesse dar¬
stellt. Während man aber bei bösartigen Tumoren immerhin stets
an die entzündliche Genese der Stauungspapille denken muss, bleibt
bei gutartigen Tumoren, die scharf abgekapselt sind, lediglich unter
Verdrängungserscheinungen wachsen und ihre Umgebung völlig re¬
aktionslos lassen, bei Fällen, wie sie beispielsweise durch den de¬
monstrierten Tumor veranschaulicht werden, wohl nichts anderes
übrig, als die Raumbeengung und Stauung in der Schädelhöhle als
Ursache der Stauungspapille anzunehmen. (Autoreferat.)
Diskussion: Herr Lieb recht: Die von mir aufgestellte
kombinierte Theorie über die bei der Stauungs¬
papille sich abspielenden pathologischen Vor¬
gänge erscheint klinisch und anatomisch die bestbegründetste.
Nach dieser ist bei der Entstehung der Stauungspapille das
rein mechanische Moment des unter höherem Drucke stehen¬
den Oedems im Sehnerven wirksam. Dieses dringt durch die Lamina
cribrosa und bläht die Papille auf. Die Entzündung des Sehnerven
und der Papille hat mit der Entstehung der Stauungspapille nichts
zu tun. Untersucht man in diesem Stadium Stauungspapillen, so
findet man keine entzündliche Veränderungen, nur ödematöse Quel-
lung.
Nach kürzerer oder längerer Zeit gesellen sich aber in der Regel
Entzündungsvorgänge zuerst in den Sehnervenscheiden,
dann übergreifend auf den Sehnerven und die Stauungspapille^ hinzu.
Dieselben gehören nicht zum Begriffe der Stau¬
ungspapille. Sie sind nur eine häufige Begleit¬
erscheinung derselben. Mit dem Eintritte dieser entzünd¬
lichen Vorgänge beginnt die Atrophie der Sehnervenfasern, die Stö¬
rung der Sehfunktion, die Einengung des Gesichtsfeldes.
Woher die entzündlichen Veränderungen in den Scheiden und
im Sehnerven stammen, warum sie in dem einen Falle von Stauungs¬
papille ganz ausbleiben, in dem anderen nur spät und in geringer
Ausdehnung, in dem dritten frühzeitig und degenerierend eintreten,
das sind noch offene Fragen. Wenn diese Veränderungen beruhen auf
einer Beimischung von entzündungserregenden, von der Geschwulst
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 10.
produzierten Stoffen zur Zerebrospinalflüssigkeit, so ist zu erwarten,
dass diese Stoffe nicht bloss am Sehnerven, sondern auf der ganzen
von ihnen bespülten Oberfläche des Gehirns Entzündungsvorgänge
in den Meningen anregen. Der Lösung dieser wichtigen Frage ist
Herr F a h r nähergetreten. Es ist ja auffällig, dass nur in einem
der 9 Fälle eine ausgeprägte Entzündung in der Arachnoidea an ver¬
schiedenen Stellen des Gehirns vorgefunden wurde, aber da die Seh¬
nerven und die Augen der betr. Fälle nicht mehr zur Verfügung
standen, so ist durch diese Befunde die obige Frage noch nicht ge¬
löst. Es wäre wohl denkbar, dass in den 8 entzündungsfreien Fällen
auch die Stauungspapille und die Scheiden noch von Entzündung
frei gewesen wären.
Weitere Untersuchungen in dieser Richtung erscheinen not¬
wendig.
Herr T r ö m n e r erörtert die Erklärungsmöglichkeit des ver¬
schiedenen Verlaufes durch den verschiedenen Sitz der Tumoren:
Im ersten Falle rein kortikaler Sitz in der motorischen Region; in¬
folgedessen Krampfanfälle und Exitus wohl durch Atemlähmung. Im
2. Falle dagegen schien besonders das Mark des Parietallappens und
des Balkens betroffen. Balkentumoren aber können wesentlich
länger latent bleiben und machen unbestimmtere Symptome.
Bezüglich der Erklärung der Stauungspapille hält er den ge¬
steigerten Druck für ihre Hauptursache, hält aber die mechanische
Hypothese nicht für alle Tatsachen ausreichend. Weshalb z. B.
Kleinhirntumoren fast stets, Ponstumoren nicht häufig Stauungs¬
papille, weshalb Myelitis, Polyneuritis und andere nichtzerebrale Er¬
krankungen Neuritis optica machen, erkläre sie nicht. Hier sind
noch entzündlich-toxische Faktoren anzunehmen. Tr. selbst habe
Stauungsneuritis bei Enzephalomalazie beobachtet, wo eine nur me¬
chanische Erklärung unmöglich war.
Herr Fraenkel: Indem ich hinsichtlich meiner Stellung zur
Frage nach der Genese der Stauungspapille auf meine im vorigen
Jahre in diesem Kreise gemachten Bemerkungen verweise, wende
ich mich heute direkt zu den Untersuchungen des Herrn Fahr.
Meiner Ansicht nach gestattet diese vorläufig keine sicheren Schluss¬
folgerungen hinsichtlich des Wesens der Stauungspapille. Zunächst
gestehe ich, dass ich, soweit die sogen. Entzündungstheorie derselben
in Frage kommt, niemals die Vorstellung damit verknüpft habe,
dass es sich da um einen vom Sitz des Hirntumors auf dem Wege
der Meningen kontinuierlich fortkriechenden Entzündungsprozess ge¬
handelt hat, vielmehr nimmt diese Theorie an, dass der Tumor
phlogogen auf die Papille einwirkt, dass es sich um eine phlogogene
Fernwirkung handelt. Ich würde also glauben, dass, wenn auch Herr
Fahr quoad entzündliche Veränderungen an den Meningen zu nega¬
tiven Ergebnissen gelangt ist, das nichts gegen die Theorie beweist.
Andererseits halte ich es für sehr schwer entscheidbar, ob etwaige,
an den Meningen vorhandene, entzündliche Zustände auf die Wir¬
kung eines im Hirn bestehenden Tumors zurückzuführen sind. Für
sehr wahrscheinlich würde ich das nur halten, wenn die mikroskopisch
festgestellten entzündlichen Veränderungen in den Meningen auf die
Seite des Tumors beschränkt sind. Herr Liebrecht hat heute
ein Zugeständnis gemacht, das, wie ich glaube, von den Anhängern
der Entzündungstheorie mit Freude begrüsst werden wird. Er hat
gesagt, dass nach der, in palliativer Absicht vorgenommenen, Trepa¬
nation oft genug Erblindung eintritt, weil die im Hirntumor vor¬
handenen Substanzen zu entzündlichen Prozessen im Sehnerven
Veranlassung geben, die dann zur Atrophie des Sehnerven führen.
Es scheint mir wichtig, von dieser Erklärung des Herrn L i e b r e c h t
hier entsprechend Notiz zu nehmen.
Herr Liebrecht: Die Neurologen werfen Stauungspapille und
Neuritis optica zusammen. Herr Fraenkel hat mich nicht ver¬
standen.
Herr Trömner entgegnet Herrn L., dass in mittleren Graden
auch von ophthalmologischer Seite sogen. Stauungspapille und Neu¬
ritis optica nicht streng geschieden werden. Nebenbei erinnert
er noch an die seltenen Fälle, wo sich Stauungspapille noch nach
Tumorexstirpation bildete.
Herr Fraenkel: Ich habe Herrn Liebrecht gut verstanden.
Herr D e 1 b a n c o erinnert bezüglich der Genese der Endo-
theliome der Dura an die grundlegende Arbeit von M. B. Schmidt:
.„Ueber'die P a c c h i o n i sehen Granulationen und ihr Verhältnis zu
den Sarkomen und Psammomen der Dura mater“. Nach Schmidt
finden sich als ein fast konstanter Befund in der Dura der Er¬
wachsenen solide Zellhaufen von epithelartigem Charakter, die Ab¬
kömmlinge des Endothels der Arachnoidea sind. Diese fast physio¬
logischen Zellnester sind der Ausgangspunkt der sogen, gutartigen
Sarkome bezw. Endotheliome und Psammome der Dura, welche dem¬
nach mehr als hyperplastische Bildungen zu betrachten sind. Solche
Zellwucherungen sind übrigens von Schmidt auch in der Trigeminus¬
scheide gefunden worden. D. möchte bei dieser Gelegenheit die
Frage anregen, ob nicht vielleicht zur Erklärung der Tatsache, dass
unter gleichen anatomischen Veränderungen im Gehirn es das eine
Mal zur Stauungspapille kommt, das andere Mal eine solche
ausbleibt, neben den viel zitierten Gesichtspunkten auch rein ana¬
tomische Verschiedenheiten der Optikusscheide
heranzuziehen seien.
Herr Fahr: Schlusswort.
Herr Fraenkel: 1. Ueber Meningitis cerebrospinalis epidemica.
M. H. ! Das Präparat, das ich Ihnen zeige, entstammt der
Sektion eines an sogen. Meningitis cerebrospinalis epidemica, d. h.
durch den W e i c h s e 1 b a u m sehen Meningokokkus bedingter Me¬
ningitis verstorbenen 35 jähr. Mannes. Schon aus diesem Grunde
würde der Fall Interesse verdienen, da sonst, wie Sie wissen, kind¬
liche Individuen aus dem 1. und 2. Dezennium das Hauptkontingent
zu dieser Erkrankung stellen. Aber auch das Präparat an sich
dürfte bemerkenswert sein, da es sich um eine seltene Lokali¬
sation des Meningitiserregers handelt.
Wir haben hier eine Meningokokkenepididymitis
vor uns, also eine echte Metastase des Krankheitserregers in ein.
weit ab von dem Herde der eigentlichen Erkrankung gelegenes
Organ. Sowohl mikroskopisch im Eiterausstrich als kulturell wurde
der Meningokokkus als alleiniger Erreger nachgewiesen. Das um¬
kleidende Epithel der Nebenhodenkanälchen ist, ebenso wie deren
Wandung, frei von Veränderungen, ihr Lumen angefüllt mit eitrigem, -
die Meningokokken beherbergenden Material, wie Sie sich an dem
unter dem Mikroskop ausgestellten Präparat überzeugen können.
Ueber den Weg, auf welchem die Meningokokken in die Nebenhoden¬
kanälchen hineingelangt sind, gibt die makroskopische Betrachtung
des Präparats Aufschluss. Es findet sich im Nebenhodenkörper ein
etwa kirschkerngrosser Abszess, der die ganze Dicke des Organs
durchsetzt und von hier aus ist dann der Einbruch in die Neben¬
hodenkanälchen mechanisch erfolgt. Der Hoden selbst ist an dem
Prozess absolut unbeteiligt, der Nebenhoden verhältnismässig wenig
geschwollen. Es besteht ausserdem eine ältere Obliteration des
Zwischenscheidenraumes.
2. Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen eine zweite durch Me¬
ningokokkus bedingte, gleichfalls seltene Erkrankung zu de¬
monstrieren. Es handelt sich bei den hier projizierten Rückenmarks¬
schnitten um eine schwere Meningomyelitis cervicalis
acutissima, die in wenigen Tagen den Tod des 18 jähr. Menschen
herbeigeführt hat. Auf den klinischen Verlauf des Falles gehe ich
heute nicht ein.
Das Halsmark ist, wie Sie sehen, ganz enorm geschwollen,
sein Querschnitt, im Vergleich zu dem hier projizierten normalen,
ein queres Oval darstellenden, kreisrund. Die Vergrösserung ist
durch verschiedene Vorgänge bedingt. Einmal durch eine grosse
Menge, in der Hauptsache die Vorderhörner einnehmenden, von hier
auf die Vorder- und Seitenstränge übergreifenden, die Hinterstränge
völlig freilassenden, frischen Extravasate, weiter durch ein
die Vorder- und Hinterhörner betreffendes, in ersteren die nervösen
Elemente auseinanderdrängendes, O e d e m, sowie durch eine mit
Quellung einhergehende Nekrose der gliösen Zel-
1 e n im Bereich der hinteren Enden der Hinterhörner. Endlich be¬
steht ein eitriges Exsudat im Zentralkanal und eine auf
die unmittelbarste Umgebung desselben lokali¬
sierte kleinzellige Infiltration. Das Endothel des Kanals
ist an einer Seite desselben abgehoben und zieht als schmales Band
durch das eitrige Exsudat. Die Präparate sind nach der
von mir zur Darsteilung der Markscheiden ange¬
gebenen Methylenblaumethode gefärbt, und man ist
in der Lage, abgesehen von den Ihnen geschilderten histologischen
Veränderungen* auch die im Gewebe vorhandenen Bakterien, spez.
schwer färbbare, wie es Meningokokken sind, mühelos nach¬
zuweisen. Diese finden sich nun hier in grösserer Menge so¬
wohl in dem Exsudat im Zentralkanal als in dessen
Umgebung, fast ausschliesslich intrazellulär. Das Exsudat in der
Arachnoides tritt im Vergleich zu den das Rückenmarksparenchym
betreffenden schweren Veränderungen sehr in den Hintergrund. Der
eigentliche Rückenmarksprozess ist ganz auf das Halsmark lokali¬
siert, während die eitrige Leptomeningitis sich durch die ganze
Länge des Rückenmarks forterstreckt. Auch in dem Exsudat
der weichen Häute; richtiger dem arachnoidalen
Exsudat, sind Meningokokken, spez. um die hinteren Wur¬
zeln herum, aufzufinden. Die Färbung ist allenthalben
eine äusserst kräftige und sehr haltbare, wie Sie
sich bei diesen, aus dem Jahre 1903 herrührenden Schnitten über¬
zeugen können. Ich betone das, weil es Herrn Westenhöffer bei
seinen Untersuchungen niemals gelungen ist, Meningokokken im
Schnitt nachzuweisen. Ich habe schon vor einigen Jahren meine
Markscheidenmethode zur Darstellung schwer färbbarer Bakterien im
Schnitt empfohlen. Aber auch ohne Beizung der Gewebe kann man
Meningokokken im Schnitt nachweisen, wenn man, wie ich ebenfalls
wiederholt angegeben habe, diese kräftig mit polychromem Methylen¬
blau überfärbt und dann mit Unna schem Tannin-Orange oder
Tannin-Säurefuchsin differenziert. Zum Beweis für die Leistungsfähig¬
keit der letzterwähnten Methode zeige ich Ihnen das Mikropho¬
togramm eines Rückenmark Schnittes von Weich¬
selbaummeningitis. Das betr. Rückenmark hatte ein volles
Jahr in K a y s e r 1 i n g scher Lösung gelegen. Wenn also die er¬
krankten Gewebe Meningokokken enthalten, dann sind diese, wie
ich Herrn Weste nhöfer gegenüber betone, auch im Schnitt auf¬
zufinden, wenn man nur die geeigneten Färbungsmethoden heranzieht.
Diskussion: Herr Liebrecht hat eitrige Metastase bei
Zerebrospinalmeningitis im Auge eines Patienten gefunden mit ausser-
2l Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1503
ordentlich reichlichem Meningokokkeneiter vor und hinter der Linse,
aber nicht im Nerven und sejnen Scheiden.
Herr Q r ü n b e r g, der den Fall behandelt hat, hält Metastasen
im Auge für nicht so selten. Nach Uthoffs Untersuchungen in
4 Proz. der Fälle.
Herr Sudeck: Ueber die GeSässversorgung des Mastdarms in
Hinsicht auf die operative Gangrän. (Projektionsvortrag, erschien
als Originalarbeit in No. 27 dieser Wochenschrift.)
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena.
(Sektion für Heilkunde.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. J u n i 1907.
Herr S p i e t h o I f : Bericht über den derzeitigen Stand der
Syphilisforschung. (Erscheint in extenso in den Korrespondenz¬
blättern des allgetn. ärztl. Vereins von Thüringen.)
Hervorgehoben seien die Versuche mit Atoxyl bei se¬
kundärer, tertiärer Lues und einigen parasyphi¬
litischen Erkrankungen. Von einer 15 proz. Atoxyllösung
werden durchschnittlich jeden 2. Tag 0,5 g intramuskulär in¬
jiziert. Unter dieser Kur bildeten sich die sekundären Haut-
lind Schleimhauterscheinungen, manchmal sehr schnell, zurück.
Ein günstiger Einfluss konnte auch bei gummösen Prozessen
beobachtet werden; es scheint sich aber zu empfehlen, bei
Gummata neben dem Atoxyl auch noch Jod zu geben, da in
den einschlägigen Fällen nach 6 g Atoxyl Hautgummata noch
nicht abgeheilt waren. In einem Falle von sekundärer syphi¬
litischer Nephritis, wo Hg gut vertragen wurde, ver¬
ursachte Atoxyl eine solche Steigerung der Eiweissmengen,
dass mit dem Mittel ausgesetzt werden musste. Bei einer
Patientin mit beginnender Tabes (bei sichergestellter voraus¬
gegangener Lues) führten 6 g Atoxyl eine Aenderung des Zu¬
standes nicht herbei. Verhältnismässig rasch zurückgehende
Albuminurie wurde gelegentlich beobachtet.
Im Anschluss an den Vortrag Demonstration verschie¬
dener Spirochätenpräparate, u. a. ein frisches Präparat
bei Dunkelfeldbeleuchtung mit dem von Dr. Siedentopf
konstruierten Paraboloidkondensor und ein frisches Prä¬
parat bei Dunkelbeidbeleuchtung mit Zentralblende. Die Anwendung
des Paräboloidkondensors, mit dem ganz besonders distinkte Bilder
erzielt werden, ist namentlich für Spirochätenuntersuchungen zu
empfehlen; der Paraboloidkondensor ist den anderen Apparaten für
Dunkelfeldbeleuchtung überlegen.
Herr Siedentopf: Paraboloidkondensor von Zeiss, eine
neue Methode für Dunkelfeldbeleuchtung zur Sichtbarmachung leben¬
der Bakterien usw. (insbesondere fiir Spirochaete pallida).
Vom optischen Standpunkt ist für die Spirochaete pallida weni¬
ger ihre geschlängelte Form charakteristisch, als ihre ausserordent¬
liche Dünne, welche meist unter der Auflösbarkeitsgrenze der Mikro¬
skopobjektive liegt, also ultramikroskopisch ist. Infolgedessen emp¬
fehlen sich zu ihrer bequemen Sichtbarmachung im lebenden, unge¬
färbten Zustande die Methoden der Dunkelfeldbeleuchtung in Ver¬
bindung mit spezifisch hellen, künstlichen Lichtquellen, weil hier¬
bei durch den grösseren Kontrast bessere Bedingungen für die
Sichtbarmachung geschaffen werden. Natürlich soll hiermit nicht ge¬
sagt sein, dass man die lebenden Spirochäten, wenigstens in grösse¬
ren Individuen, bei der üblichen mikroskopischen Abbildung dunkel
auf hellem Grunde unter Verwendung enger, zentraler Beleuchtungs¬
kegel und starker Objektive nicht auch sehen kann. Es setzt dies
aber einen sehr geübten Mikroskopiker voraus, und auch ihm wer¬
den noch die meisten ultramikroskopischen Gebilde entgehen, welche
die Dunkelfeldbeleuchtung auch dem weniger Geübten leicht offen¬
bart. Dazu kommt die empfindliche Störung durch die sog. mouches
volantes, welche bei engen Beleuchtungskegeln eine unangenehme
Beigabe darstellen, zumal wenn auf hellem Grunde nur schwach
differenzierte Objekte beobachtet werden. Sie bleiben unmerklich bei
Dunkelfeldbeleuchtung. Von praktischer Wichtigkeit ist, dass die
Mikroskopoibjektive bei Dunkelfeldbeleuchtung infolge des höheren
Kontrastes eine grössere Sehtiefe als sonst besitzen. Ferner ist bei
Dunkelfeldanordnungen mit schiefer Beleuchtung von hoher Aper¬
tur das Auflösungsvermögen höher, so dass man sich meist mit
mittelstarken Systemen von 7 — 4 mm Brennweite begnügen kann;
auch das ermöglicht eine grössere Sehtiefe und ausgedehnteres Ge¬
sichtsfeld, als wenn man mit den stärksten kurzbrennweitigen Ob¬
jektiven zu suchen gezwungen ist.
Diesen Vorzügen der Dunkelfeldbeleuchtung steht der Nach¬
teil gegenüber, dass man auf ‘die Reinheit der Präparate viel mehr
zu achten hat. Denn ausser vielem unbekannten Detail enthüllt die
Methode auch alle Oberflächenfehler der Deckgläser und Objekt¬
träger und die Unreinlichkeiten in der zu untersuchenden Substanz.
Freilich ist das kein ernster Nachteil, auch beim gewöhnlichen
Mikroskopieren soll man die nötige Sorgfalt in der Anfertigung reiner
Präparate nicht ausser Acht lassen. Eine der Dunkelfeldbeleuch¬
tung spezifische Störung entsteht aber durch den ultramikroskopi¬
schen Staub der Luft, und es erfordert schon besondere Achtsamkeit
sich davon möglichst frei zu machen. Die Wirkung dieses überall
vorhandenen feinsten Staubes tritt besonders deutlich in Erschei¬
nung, wenn man ein sonst sehr gutes und reines Präparat etwa
Vä Stunde lang unter dem Mikroskop bei Duükelfeldbeleuchtung
stehen lässt. Dann hat sich auf das vorher gut gereinigt gewesene
Deckglas bereits so viel von diesem Staub gelegt, dass durch seine
verschleiernde Wirkung die Dunkelfeldbeleuchtung meist verdorben
ist. Durch vorsichtiges Abstäuben oder ■ Abschwemmen von der
Oberfläche des Deckglases lässt sich dieser störende Staub meist
leicht beseitigen.
Fiir die Sichtbarmachung lebender Bakterien kommt die von mir
in Gemeinschaft mit R. Zsigmondy ausgearbeitete besondere
ultramikroskopische Methode nicht in Betracht. Dieselbe hat wesent¬
lich Bedeutung für die Untersuchung von ikolloidalen flüssigen und
festen Lösungen oder zur Feststellung feinster Trübungen bei Prä¬
zipitinen u. dergl. Dagegen ist die ultramikroskopische Methode
der Abblendung an der Frontlinse des Objektivs in Verbindung mit
dem Wechselkondensor von Zeiss1) hierfür geeignet. Ihr Vor¬
zug besteht darin, die Anwendung der stärksten Immersionsobjek¬
tive zu gestatten, ihr Nachteil in dem starken Hervortreten farbiger
Diffraktionssäume.
Eine andere äusserst einfache Dunkelfeldbeleuchtung2) verlangt
nur das Einlegen einer Blende von 24 mm Durchmesser unter dem
Immersionskondensor von Zeiss von 1,4 mm Apertur. Der Ob¬
jektträger wird hierbei durch Zedernholzöl mit dem Kondensor ver¬
bunden. Infolge der Totalreflexion am Deckglase tritt bei Anwen¬
dung von Trockensystemen eine sehr brauchbare Dunkelfeld¬
beleuchtung ein.
In der allgemeinen Leistungsfähigkeit, wie auch im Preise zwi¬
schen diesen beiden Anordnungen steht die recht eigentlich 'für die
Untersuchung kleinster lebender Bakterien (wenn auch natürlich
nicht allein hierfür) geeignete Methode der Dunkelfeldbeleuchtung
mittels Paraboloidkondensor von Zeiss (Preis M. 40).
Die Methode ist schon früher angegeben 3) und verwendet worden.
Durch ein besonderes, von mir angegebenes Herstellungsverfahren
werden jedoch neuerdings diese Paraboloide in wesentlich gegen
früher verbesserter Form hergestellt, wodurch ihre Leistungsfähig¬
keit erheblich gestiegen ist. Der Paraboloidkondensor lässt sich an
jedem Mikroskop ohne weiteres anbringen, welches eine Kondensor-
Schiebhülse von üblicher Weite (36,8 mm) besitzt. Er wird an
Stelle des Kondensors soweit eingeschoben, bis seine Oberfläche
ungefähr in Tischhöhe liegt. Hierauf wird mit Zedernholzöl eine
möglichst blasenfreie Verbindung zwischen der Unterseite des Ob¬
jektträgers (von 1,0 — 1,5 mm Dicke) und dem Kondensor hergestellt.
Der Kondensortrieb wird zur Regulierung der Beleuchtung nicht
betätigt. Die beleuchtenden Strahlen haben eine numerische Apertur
von etwa 1,1 — 1,4; sie werden an der Oberfläche des Deckglases
total reflektiert, wenn sich Luft darüber befindet. Gegenüber der
einfachen Abblendung im Immersionskondensor besitzt das Para-
boloid den Vorteil der weitaus besseren sphärischen Korrektion, aber
vor allem bestehen keine Farbenfehler, weil die Strahlen im Glas-
paraboloid durch Spiegelung statt durch Brechung gesammelt wer¬
den. Zur Beobachtung werden mittelstarke Trockensysteme be¬
nutzt; am besten ist hier das Objektiv DD mit Korrektionsfassung
von Zeiss. Die besten Resultate werden erzielt, wenn dieses
Objektiv mittels einer kleinen Zentriervorrichtung am Tubus ange¬
schraubt wird, denn mit Hilfe dieser kann der Fokus des Paraboloids
mit dem des Objektivs zusammengebracht werden. Starke Kom¬
pensationsokulare (No. 12 oder 18) vervollständigen die optische
Ausrüstung. Als Lichtquellen sind nur künstliche zu empfehlen:
Gas-, Spiritus-, Glühlicht, Nernstlicht oder am besten elektrisches
Bogenlicht. Mittels einer sog. Schusterkugel, welche in je 15 cm
Abstand zwischen Lichtquelle und Mikroskopspiegel steht, wird auf
letzterem ein Bild der Lichtquelle entworfen und gleichzeitig für die
Abhaltung schädlicher Wärme vom Präparat gesorgt. Praktische
Demonstrationen an frischem Spirochätenmaterial haben die Zweck¬
mässigkeit dieser Methode dargetan.
Bei der einfachen Methode der Abblendung im Immersions¬
kondensor und auch beim Paraboloidkondensor treten infolge der
ringförmigen Seitenbeleuchtung Beugungssäume im Bilde voll¬
kommen zurück. Sie erscheinen nur bei exzentrischer Beleuchtung,
wenn dadurch einzelne Teile des beleuchtenden Ringes ausgeschaltet
werden. Verstellt man bei sonst gut zentrischer Beleuchtung den
Mikroskopspiegel aus der Stellung für gleichmässige Bildhelligkeit,
so bemerkt man leicht, dass die Spirochäten ganz verschieden ab-
geibildet werden können, je nach der relativen Stellung ihrer im
Raume gekrümmten Linienelemente gegen die zur Geltung kommen¬
den beleuchtenden Strahlen. Die Zickzacklinie erscheint unter¬
brochen, so dass je nur die einen oder die anderen der unter sich
parallelen Striche auftreten. Oder es erscheint jeder der Striche in
U H. Siedentopf: Journ. Roy. Micr. Soc. 1903, S. 573 — 5/8.
2) H. Sieden topf: Zeitschr. wiss. Mikr. 24, 1907, S. 13 — 20.
3) H. Siedentopf: Berl. klin. Wochenschr. 1904, No. 32. —
N. Gaidukov: Verh. D. Zool. Ges. 1906, S. 250—258.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
2 getrennte Punkte auigelöst. Auf diese Weise können 5 typisch
verschiedene mikroskopische Bilder derselben Spirochäte je nach
der SpieKelstellung erzielt werden.
Diese Erscheinung beruht darauf, dass kleine mikroskopische
Linienelemente von ultramikroskopischer Breite bei seitlicher Be¬
leuchtung am stärksten Licht abbeugen, wenn ihre Längsrichtung
senkrecht steht zur Hauptachse der beleuchtenden Strahlen, und
wenn zugleich bei elliptischem (Querschnitt des beleuchtenden
Büschels dieses Linienelement parallel der längeren Achse der
Ellipse liegt.
Herr Gaidukov: Die Ultramikroskopie an Zellen.
Das einzige Ultramikroskop, mit welchem die Struktur der
Zellen, dünner Gewebsschnitte und auch der dünnen Schnitte der
Gelkolloide (Kollodium, Gelatine usw.) untersucht werden kann, ist das
Ultramikroskop nach dem Prinzip der Abblendung nach Sieden-
topf (mit dem Wechselkondensor).1 2) ,
Meine Untersuchungen 3) haben gezeigt, dass die Protoplasten
vom ultramikroskopischen und vom kolloid-chemischen 3) Standpunkt
folgendes darstellen:
1. Das lebende Protoplasma (ohne Plasmahaut) resp. Zytoplasma
ist mit einem Hydrosolenkomplex vergleichbar. Die Ultramikronen
in diesem Hydrosolenkomplex bewegen sich ähnlich, wie es in den
Gold- und Silberhydrosolen der Fall ist. Ist das Zytoplasma wasser¬
reich, so ist diese Bewegung sehr gut zu sehen. Ist dagegen das
Zytoplasma wasserarm, so sieht man entweder nur eine flimmernde
Bewegung im Protoplasma oder es ist gar nicht zu sehen. Die ge¬
eignetsten Objekte für die ultramikroskopische Untersuchung des
Plasmas sind die wasserreichen Zellen der Algen Spirogyra und
Oscillaria und die Blumenstaubhaare der Tradescontia.
2. Das Zytoplasma ist gegen Zellhaut, Wasser usw. und gegen
Zellsaft durch eine Hydrogelschicht geschützt. Die Entstehung dieser
Hydrogelschicht (Plasmahaut) ist folgendermassen zu erklären. Die
im Medium, in dem Protoplasma sich befindet, sowie auch im Zell¬
saft vorhandenen Elektrolyte wirken auf die äussere Schicht des
Plasmas, die mit derselben in Berührung kommt. Deswegen koagu¬
lieren die Ultramikronen dieser Aussenschicht zusammen und auf
diese Weise entsteht eine festere Schicht, welche das innere Plasma
vor schädlichen Wirkungen der Elektrolyten schützt.
3. Beim Absterben des Protoplasmas entsteht ein Hydrogelen-
komplex, der aus einem irreversiblen und einem reversiblen Teile
besteht.
Medizinische Gesellschaft in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. J a n u a r 1907 im Anschar-Krankenhaus.
Herr Car lau: Ueber Entfernung eines Fremdkörpers
aus dem linken Bronchus. (Erscheint in dieser Wochenschrift.)
Herr Heermann: Ueber Aseptik in der Oto- und Rhino-
chirurgie mit Demonstrationen (erscheint in der Sammlung
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-,
Mund- und Halskrankheiten).
Herr Holzapfel beschreibt einen Handgriff, mittels
dessen er 26 Stunden post partum einen invertierten Uterus
zurückbrachte, dessen Muskulatur nach reichlichen Sekale-
gaben fest zusammengezogen war. Die Dehnung des Trichters
gelang erst dadurch, dass H. und der helfende Arzt jeder zwei
Finger von oben in den Trichter hakten und nach entgegen¬
gesetzten Richtungen zogen, während die innere Hand den
Trichter stützte und festhielt. So gelang die Dehnung so weit,
dass die innere Hand etwas Korpuswand durch den Schnür-
ring nach oben bringen konnte. Doch fiel dieser Wandteil
immer wieder zurück, sobald er nicht mehr von der inneren
Hand festgehalten wurde. H. liess deshalb den Helfer die
Faust oberhalb des Uterus legen, sodass der Uterus nicht nach
oben entweichen konnte, und griff mit seiner äusseren Hand,
die schlaffen Bauchdecken und die Vagina anterior weit vor¬
stülpend, von unten her durch den Zervixschnürring. So konnte
er mit der äusseren Hand den von der inneren hochgeschobenen
Korpuswandteil zurückhalten, die innere Hand schob weitere
I eile nach, und so gelang die völlige Zurückstülpung des
Uterus.
R Vergl. S i e d e n t o p f : Berlin, klin. Wochenschr. 1904, No. 32;
Gaidukov: Verband!, d. D. Zoolog. Gesellsch. 1906, S. 250, Be¬
richte d. D. Botan. Gesellsch. 1906, S. 581; Carl Ze iss- Jena:
Neue Prospekte über Dunkelfeldbeleuchtung und Ultramikroskopie
1907 (in Vorbereitung).
2) Vergl. Gaidukov: Berichte d. D. Botan. Gesellsch. 1906,
S. 587.
a) Den Unterschied zwischen Hydrogele und Hydrosole usw.
vergl. R. Zsigmondy: Zur Erkenntnis der Kolloide, Jena 1905,
S. 10 — 76.
Für die E n t s t e h u n g der Inversio uteri puerperalis legt
H. das Hauptgewicht auf die Erschlaffung des Uterus. Zur
Verhütung der Inversion ist eine sorgfältige Ueberwachung
des 3. Geburtsabschnittes notwendig, die jede atonische Blutung
von Beginn bekämpft. Ist es erst zur völligen Erschlaffung des
Uterus gekommen, so genügt oft ein leichter Druck von oben,
die Anwendung der Banchpresse, vielleicht auch schon die
Schwere der Plazenta mit oder ohne Bluterguss, um das
Korpus nach unten zu drängen und durchzustülpen.
Einzelheiten zu dem Vortrage finden sich im Zentralblatt
für Gynäkologie.
Herr Kramer: Ovarial- oder Milztumor?
Frau H., 38 Jahre alt, bekam plötzlich heftige krampfartige —
vorher an der Stelle zeitweise ziehende — Schmerzen in der rechten
Seite des Leibes. Elendes Befinden, beschleunigter, aussetzender-
Puls, kein Fieber. Befund: Grosser Tumor im rechten Hypogastrium,
der rechten Beckenschaufel aufliegend und sich von Nabelhöhe ins
kleine Becken erstreckend, von entschieden elastischer Konsistenz.
Innere Untersuchung: Der runde Tumor liegt dem vorderen Scheiden¬
gewölbe fest auf; Uterus nach hinten, bei Zug an der Portio an¬
scheinend gegen die Geschwulst etwas verschieblich. Ovarium (das
rechte Ovarium war vor 4 Jahren wegen zystischer Entartung durch
Laparotomie entfernt) neben dem Tumor nicht nachweisbar. Dia¬
gnose: Zystischer Ovarialtumor, eventuell Stieltorsion. Die äusserst
hinfällige Patientin sollte sich vor der Operation erst etwas erholen.
Plötzlich Symptome eines vollständigen Darmvei Schlusses. Lapa¬
rotomie: Der Tumor stellte sich als hochgradig verlagerte und ver-
grösserte (9:13:22 cm) Milz heraus. Allseitige Verklebungen, be¬
sonders feste am oberen Pol mit Dünndarmschlingen. Hier etwa
50 cm unterhalb des Duodenums vollständige Abknickung des Darmes.
Nach Lösung der Verklebungen und Abbindung des Stieles (Torsion
um 360 °) Entfernung der Milz. Die moribund zur Operation ge¬
kommene Patientin erholte sich überraschend schnell und konnte
nach 4 Wochen gesund aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Auch weiterhin gutes Befinden. (Vortrag erscheint a. a. O. aus¬
führlich.)
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 4. Februar 1907.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr Regierungsrat Sayffaerth, Vorsitzender des
Kölner Schiedsgerichts für Arbeiterversicherung spricht über
die Unfallversicherung.
Der Vortrag ging von der eine bedauerliche Erscheinung
im öffentlichen Leben bildenden Tatsache aus, dass eine über¬
grosse Zahl von Aerzten mit der Arbeiterversicherung allzu
wenig vertraut ist, und gipfelte in dem beherzigenswerten Vor¬
schläge, den jungen Medizinern vor wie nach dem Staats¬
examen. noch mehr Gelegenheit zu bieten, sich für ihre heutigen¬
tags so besonders bedeutsame sozialpolitische Wirksamkeit
vorzubereiten. Die nüchterne Erörterung über die Versiche¬
rungsbegriffe, den Kreis der Versicherten, die Versicherungs¬
träger und die Leistungen der Versicherung unterbrach an¬
regend die Mitteilung interessanter, der langjährigen prak¬
tischen Erfahrung des Redners entnommener Erlebnisse mit
Verletzten und Sachverständigen. Nach seinen Darlegungen
soll der Arzt zunächst als Heilkünstler unter Berücksichtigung
des Berufs der Verunglückten nicht allein so rasch wie möglich
die vorhandenen Wunden schliessen, sondern auch plan-
mässig so zu Werke gehen, dass die Erwerbsfähigkeit im
grösstmöglichen Umfange wieder hergestellt werde. Dann
aber soll er als Vermittler die Leidenden oder ihre Angehörigen
gelegentlich auf den zur Erlangung einer Entschädigung ge¬
eigneten Weg weisen oder aber sie durch entsprechende Be¬
lehrung vor unberechtigten und übertriebenen Forderungen
zurückhalten. Als wichtiger Zeuge soll er ferner alle Aeusse-
rungen über den Anlass des Unglücks notieren, in jedem Falle
durch vorsichtige Fragen sich Gewissheit zu verschaffen
suchen, wie der Hergang und Zusammenhang der Dinge ge¬
wesen ist, und diese seine Wissenschaft später in den Dienst
der objektiven Wahrheit stellen. 'Als Sachverständiger soll
er endlich keinem zu Liebe, keinem zu Leide seine Ansicht über
den Fall klar heraussagen und kurz, aber deutlich begründen.
Hier kommt es sowohl auf den Zusammenhang zwischen Un¬
fall und Schaden an, wobei mit Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1505
und Gewissheiten zu rechnen ist, als auch auf das Mass des
Schadens, in welcher Hinsicht gerade der Arzt gut beurteilen
kann, welche Fähigkeiten verloren gehen, welche geblieben
sind. Ein Hinweis auf gewisse Mängel des Verfahrens und
Unbilligkeiten der Entschädigung oder Versagung nach dem
bestehenden Gesetze, sowie ein Ausblick auf die Möglichkeiten
einer entsprechenden Verbesserung und auf eine künftige Ver¬
einfachung der Gesetzgebung vervollständigte die interessanten i
Ausführungen. Für diejenigen Vereinsmitglieder, welche am
fraglichen Abende nicht anwesend sein konnten, sowie für
andere Freunde der Sache sei übrigens darauf hingewiesen,
dass ein grosser Teil der vorgetragenen Ansichten und
Wünsche in einem Aufsatze des Regierungsrats S a y f f a e r t h
von 1906 über Vereinheitlichung und Ausbau der deutschen
Arbeiterversicherung bereits niedergelegt ist. Derselbe ist im
Frankfurter Reformblatt für Arbeiterversicherung erschienen.
Einige Sonderabzüge sind, wie uns der Verfasser mitteilt, noch
vorhanden und werden, soweit der Vorrat reicht, auch von
ihm selber gern abgegeben.
Herr Strohe I: Unfallversicherung und Arzt. (Selbst¬
bericht ).
Verf. beschäftigt sich vorzüglich mit der Abfassung der
Unfallgutachten. Nach seiner Ansicht ist die reine Simulation,
d. h. Klagen ohne jeden Grund, selten, dagegen Uebertreibung
sehr häufig. Wenn aber Simulation oder Uebertreibung im
Gutachten behauptet werden, so muss dies auch bewiesen
werden. Bei Beurteilung der Unfallfolgen sollen wir immer
ähnliche Fälle, die uns in der nicht versicherten Praxis Vor¬
kommen, zum Vergleiche heranziehen. Ferner müssen bei der
Beurteilung schwieriger Fälle alle modernen Hilfsmittel an¬
gewandt werden, und wenn diese dem Untersucher nicht zur
Verfügung stehen, müssen die Verletzen den einschlägigen
Instituten überwiesen werden. Er bespricht dann die Ent¬
stehung der Geschwülste und Tuberkulose bezw. Osteo¬
myelitis nach Unfall. Die Geschwülste schliessen sich nicht
sofort an den Unfall an, sie müssen aber am Ort der Gewalt¬
einwirkung entstehen. Metastasen an dieser Stelle bei vor¬
handenen bösartigen Geschwülsten werden selten entstehen
und meist als Unfallfolgen abzulehnen sein. Tuberkulose und
Osteomyelitis schliessen sich bald an Unfall an und entstehen oft
nach verhältnismässig geringen Gewalteinwirkungen. Sie
müssen in etwa 3 — 4 Wochen nach dem Unfall in Erscheinung
treten, während dieser Zeitraum bei bösartigen Geschwülsten
bis auf 2 Jahre ausgedehnt werden kann. In Kürze werden
dann noch die Gewerbekrankheiten, Phosphornekrose, Osteo¬
myelitis der Perlmutter-, Jute- und Wollarbeiter, Aktino-
mykose, Reitknochen usw. behandelt. Verfasser verlangt, dass
bei allen Unfallverletzten der Urin untersucht wird, was be¬
sonders von Wichtigkeit sein wird bei später festgestellter
Diabetes. Bei letzterem wird ein Zeitraum von höchstens zwei
Jahren noch in der Bereich der Wahrscheinlichkeit gehören.
Die Gutachten sollen in deutscher Sprache und gewissenhaft
angefertigt werden, so dass sie jeden Augenblick eidlich be¬
kräftigt werden können. Gutachten allein aus Aktenkenntnis
sollten möglichst vermieden, wenn dies aber unmöglich sei,
mit dem grössten kollegialen Takt ausgestellt werden. Des¬
gleichen sollen auch Gutachten an die Verletzten zur Erlangung
höherer Renten auf das geringste Mass beschränkt werden.
Da die Anforderungen, welche -an die Ausstellung eines Gut¬
achtens gestellt werden, sehr grosse sind, und die Verant¬
wortung bedeutend ist, so soll dementsprechend auch die Be¬
zahlung durch die. Berufsgenossenschaften, welche hinreichend
kapitalkräftig sind, eine angemessene sein. Wenigstens sollte
sie den in der Gebührenordnung angegebenen Satz nicht unter¬
schreiten, was heute noch oft genug vorkommt. Insbesondere
tadelt der Vortragende die Abschlüsse der Aerztekannner mit
der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft zu dem Satze
von 5 Mark, der gerade die Hälfte des Mindestsatzes der
Gebührenordnung um ein Geringes überschreitet.
Aerztlicher Verein zu Marburg,
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Tuczek.
Schriftführer: Herr Sardemann.
Herr Bach demonstriert einen 20jährigen Patienten mit ange¬
borener Elephantiasis cavernosa des linken Oberlides.
Derselbe stellt eine 49 jährige Kranke mit doppelseitiger re¬
flektorischer Pupillenstarre und einseitiger (linksseitiger) Sehnerven¬
atrophie vor.
R. S. = 'Vs — e/o, E. L. S. = Handbewegungen in nächster Nähe, E.
Pupillen: Durchfallendes Licht R. 2,75, L. 2,25 mm; binoku¬
lare Belichtung R. 2,75, L. 2,25 mm; unokulare Belichtung R. 2,75,
L. 2,25 mm; Konvergenz R. 2,25, L. 1,75 mm. Beiderseits sensible und
Psychoreflexe nicht nachweisbar.
Von Interesse für die Lokalisation der reflektorischen Starre ist
die Tatsache, dass trotz der nur einseitigen Sehnervenatrophie
die Lichtreaktion beiderseits gleich stark beeinträchtigt,
d. h. erloschen ist, ferner, dass die Pupille auf der Seite der Seh¬
nervenatrophie enger ist. Beim Verdecken des rechten Auges
ändert die Pupille des nahezu erblindeten linken Auges die Weite nicht.
Herr Ahlfeld spricht über die Möglichkeit, die frisch
infizierte Hand unmittelbar darauf zu reinigen, sodass seiner
Meinung nach eine Abstinenznichtnötigerscheint,
sobald mit Verständnis und Gewissenhaftigkeit die sofortige
Waschung und Desinfektion vorgenommen worden ist.
Zahlreiche Platten, auf denen die verschiedenartigsten
Bakterien von der beschmutzten Hand übertragen waren,
wurden neben den Platten demonstriert, die nach der Waschung
mit Wasser und Seife und neben denen, die nach einer so¬
fortigen Alkoholreinigung gewonnen waren.
Genauere Publikation erfolgt anderen Orts nach Fort¬
setzung der Versuche.
Herr Ahlfeld demonstriert ein neugeborenes Mädchen mit
ausgebreitetem Naevus pigmentosus und starker Haarentwicklung, der
Oberarm, Ellenbogen und Vorderarm einnimmt.
Herr Opitz: M. H. ! Ich möchte die sich bietende Gelegenheit
benützen, die Verhältnisse der geburtshilflichen Poliklinik in Ihrem
Kreise zu besprechen, weil, wie mir scheint, noch vielfach Missver¬
ständnisse über deren Betrieb bestehen.
Die Einrichtung ist so getroffen, dass bei Leuten, deren Ver¬
mögensverhältnisse die Zuziehung einer Hebamme nicht gestatten,
eine Hebamme und eine Schülerin auf Ersuchen hingeschickt werden,
gewöhnlich geht ein älterer Praktikant sofort mit. Falls irgend eine
Anzeige zu ärztlichem Eingreifen eintnitt, wird sofort ein Arzt, ent¬
weder ich selbst oder einer der Herren Assistenten gerufen, die das
Nötige vornehmen.
Ich bin dabei bestrebt, Schädigungen der Hebammen in ihrem
Erwerb dadurch vorzubeugen, dass augenscheinlich zahlungsfähige
Menschen angewiesen werden, eine der in der Stadt tätigen Heb¬
ammen zu rufen, genau so, wie ich in der poliklinischen Sprechstunde
für kranke Frauen darauf hinwirke, dass zahlungsfähige Kranke äb-
gewiesen werden.
Dieser Teil der geburtshilflichen Poliklinik wird verhältnismässig
oft benützt. Dagegen ist es, nach den bisherigen Erfahrungen zu
schliessen, den Herren Kollegen unbekannt, dass wir auch sehr gern
bereit sind, die nötige Hilfe zu leisten, wenn die Geburt schon von
Hebammen übernommen ist. Es gibt ja doch da auch vielfach Men¬
schen, die wohl die Kosten für eine Hebamme, nicht aber für den Arzt
aufbringen können. Die Herren werden ia alle selbst Fälle genug er¬
lebt haben, in denen die aufgewandte Zeit, Mühe und Kunst auch nicht
annähernd vergütet werden kann. Auch wenn die Herren gelegent¬
lich andere, dringende Abhaltungen haben, sind wir gern bereit, helfend
einzuspringen. Sie finden in der Klinik zu jeder Zeit die gewünschte
Vertretung.
Da in allen Universitätsstädten, die ich kenne, gerade die zuletzt
gekennzeichnete Art des Doliklinischen Betriebes die Hauptsache, oft
sogar allein vorhanden ist, so möchte ich den Herren Kollegen die
Bitte unterbreiten, sich in geeigneten Fällen auch hier der geburts¬
hilflichen Klinik zu erinnern. Ich glaube, das kann nur zu beider¬
seitigem Nutzen ausschlagen.
Herr Hess gibt experimentelle Beiträge zur Anatomie und
Pathologie des Pankreas.
Das Pankreas des Hundes besitzt für gewöhnlich 3 Aus¬
führungsgänge, welche nach Füllung mit Jodipin oder Bromipin
auf der Röntgenplatte gut darstellbar sind.
Unterbindung aller Gänge führt zu Sklerose des Pankreas
und zu Störung der Fettverdauung.
Offenbleiben eines Ganges verhindert mehr oder weniger
diese Folgeerscheinungen und erklärt die widersprechen-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
den Angaben früherer Autoren (L o in b r o s o, Z u n t z und
Mayer etc.).
Die Anordnung der Ausführungsgänge im mensch¬
lichen Pankreas erklärt manche Fragen der menschlichen
Pankreaspathologie. ,
Durch Röntgenaufnahmen lässt sich das Verhalten des
Jodipins und Bromipins im Unterhautzellgewebe und im Darm¬
kanal des Hundes gut verfolgen, die Aufsaugung m die Chylus-
gefässe dagegen nicht nachweisen.
Redner zeigt eine Anzahl von Röntgenplatten, welche die
Anordnung der mit Jodipin injizierten Ausführungsgänge im
menschlichen und Hundepankreas und die Wanderung des
Jodipins im Unterhautzellgewebe und Darmkanal des Hundes
demonstrieren.
(Der Vortrag mit Abbildungen erscheint in dieser Wochen¬
schrift.)
Herr Beneke demonstriert einen Fall von Kernikterus. Bei
dieser von Schmor 1 beschriebenen seltenen Form des Icterus
neonatorum zeigen sich, abgesehen von dem allgemeinen Ikterus, be¬
stimmte Nervenkerne im Zentralnervensystem intensiv ikterisch ge¬
färbt; in dem Fall des Vortragenden (Frühgeburt) stimmte die Lo¬
kalisation fieser Färbungen fast genau mit der von Schmorl an¬
gegebenen überein, ebenso der mikroskopische Befund (Gelbfärbung
absterbend jr Ganglienzellen). Gleichzeitig fand sich eine diphtheri-
tische Oesophagitis der unteren Abschnitte und das charakteristische
Bild zahlreicher Stigmata ventriculi; in beiden erkrankten Organen
waren die Nekrosen intensiv goldgelb gefärbt und enthielten grosse
Mengen von kristallreichem Hämatoidin. Vortr. erörtert die Ent¬
stehung jener eigenartigen Färbungslokalisationen im Zentralnerven¬
system, namentlich auch in Rücksicht auf die Frage, wie weit eine an
die Erregungen bei der Geburt sich anschliessende Ischämie der¬
selben eine Gewebeschwächung hervorzurufen imstande war. (Der
Vortrag erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.)
Freie Vereinigung von Frauenärzten in München.
I. Sitzung am 23. Januar 1907.
Vorsitzender : Herr S t i e 1 e r.
Schriftführer; Herr H e n g g e.
Herr Heng ge: Die vaginale Operation der erkrankten Adnexe.
Drängen nicht schwer bedrohliche Erscheinungen zum Ein¬
greifen, so sind die entzündlich erkrankten Kleinbeckenorgane stets
zunächst konservativ zu behandeln. Eine genaue prozentuale Fest¬
stellung über die Erfolge und Misserfolge der konservativen Therapie
stösst auf ausserordentliche Schwierigkeiten; Intensität der Er¬
krankung, Art des Krankenmaterials, subjektive Angaben spielen da¬
bei eine Rolle.
Widersteht die Erkrankung allen anderen Heilversucben, kommt
die Kranke durch Schmerz und Fortdauer des Prozesses von Kräften,
wird sie arbeits- und genussunfähig, so ist die operative Behandlung
indiziert. (Stellung der Kassenkranken.)
Als allgemeine Gesichtspunkte für die Operation kommen in
Betracht: 1. konservatives Operieren, d. h. mit Erhaltung der
gesunden und soweit irgend angängig auch der erkrankten Organe.
2. Vaginales Operieren mit Einschränkung der Laparotomie.
Bericht über 10 Fälle, die nach dieser Indikationsstellung und
nach diesen Grundsätzen operiert wurden. Es handelte sich stets um
schwer entzündlich erkrankte Adnexorgane, einmal mit gleichzeitiger
Extrauteringravidität. In einem Falle wurden Uterus und Adnexe
radikal entfernt (44 jähr. Frau), in allen anderen Fällen blieben der
Uterus und z. T. beide Adnexe (Tubenstomatoplastik) erhalten: zu¬
weilen blieben nur die Ovarien oder ein Ovar, einmal nur Vs Ovar
zurück. Alle, auch dieser letzte Fall, sind regelmässig menstruiert.
Der letzte Fall liegt Vz Jahr zurück.
Operiert wurde in der Regel mit Kolpotomia anterior.
Kontraindikation gegen die vaginale Methode bilden Komplika¬
tionen von Seiten des Darmes, besonders auch des Processus vermi¬
formis. In solchen Fällen tritt die abdominale Köliotomie (Faszien¬
querschnitt) in ihre Rechte.
Diskussion: Die Herren A. M u e 1 1 e r, G. Klein, H e n g g e.
Herr A. Mueller: Ueber einen seltenen Krampf zustand der
Beckenorgane. (Ileus spasticus.)
Das Symptomenbild der drei ausführlich mitgeteilten Fälle ist
völlig einheitlich: Momentan nach einem relativ unbedeutenden Ein¬
griff (Lösung von Verwachsungen; Vibrationsmassage und Protargol-
injektion in den Darm) tritt blitzähnlich ein äusserst heftiger Schmerz
auf. der zu Ohnmachtsgefühl führt. Der Ausgangspunkt des Reflexes
ist das Rektum, Sigmoideum, Beckenbindegewebe, Peritoneum und
Ovar. Es treten sofort peritonitisartige Schmerzen und Erbrechen
auf; der Leib wird gespannt und aufgetrieben. Flatus gehen 3 — 6
Tage nicht ab, die Urinentleerung ist mehrere Tage unmöglich oder
erschwert, der Katheterismus alsdann schwierig. Die Pulszahl war
im Anfalle meist vermehrt, später eher niedrig, ebenso die Tem¬
peratur. Es bestand mehrere, 3 — 8, Tage lang ein krampfartiger Kon-
traktionszustand des Darmes, in den schwereren Fällen auch der Blase
und Vagina und wohl auch der ganzen Beckenmuskulatur.
Das Allgemeinbefinden war in allen Fällen auffallend gut gegen¬
über den schweren Symptomen.
Gemeinsam ist allen Fällen eine schon lange Zeit vorher be¬
stehende entzündliche Erkrankung der Organe des kleinen Beckens,
speziell des Rektum und Sigmoideum. In allen 3 Fällen war nicht
der erste energische Eingriff die Veranlassung zum Ausbruch der
alarmierenden Erscheinungen, sondern es waren stets schon eine
Anzahl und auch schon energischere Eingriffe vorgenommen worden.
Aetiologisch kommt eine nervöse Disposition in Frage.
Diskussion: Die Herren H e n g g e, S a n d n e r. Klein,
Mueller.
Herr W. E\elt: a) Demonstration von 3 durch Operation ge¬
wonnenen Appendixpräparaten, b) Glykosurie als Folge von Ab¬
dominaltumoren.
•41 jähr. Patientin; Uterus myomatösus, Kystoma ovarii sin. multi-
loculare; Urin enthält Albumen und reichlich Zucker. Nach der Ope¬
ration, welche Uterus und beide Ovarien entfernte, blieb der Urin
dauernd frei von Eiweiss und Zucker.
Herr Th. Kleinschmidt: Demonstration von 2 Fällen früher
Portiokarzinome.
In einem Falle ist schon durch die Probeexzision das ganze
Karzinom entfernt worden. A. Hengge - München.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. April 1907.
Vorsitzender: Herr F 1 a t a u.
Herr Fürnrohr berichtet über 2 Fälle von partieller Muskel¬
atrophie im Bereich der oberen Extremitäten, bei denen die beruf¬
liche Beschäftigung als die wahrscheinliche Ursache des Leidens an¬
zusehen ist.
' Der erste Kranke (wird vorgestellt), ein 63 jähriger Maurer, kam
vor einigen Wochen wegen Schmerzen im linken Ellenbogen und im
Vorderarm in ärztliche Behandlung. Die genaue Untersuchung ergab
normale Reflexe, keine Sensibilitätsstörung, dagegen eine deutliche
Atrophie der kleinen Handmuskeln, der Muskeln des Daumen- und
Kleinfingerballens, der Extensoren und in geringerem Grade der
Flexoren des Vorderarms. Oberarm- und Schultermuskulatur er¬
wies sich intakt. Elektrisch fanden sich teils quantitative Herab¬
setzung der Erregbarkeit, teils partielle Entartungsreaktion. Pat.
muss bei seiner Arbeit mit dem linken Arm dauernd ein schweres
Schaff mit Mörtel oder auch ein viereckiges Brett, auf dem eine
grössere Quantität Mörtel liegt, halten, was nach seiner Schilderung
einen ziemlichen Kraftaufwand erfordert. Differentialdiagnostisch
käme vor allem das Bestehen einer Halsrippe in Frage, weshalb eine
Röntgenuntersuchung noch vorgenommen werden soll. (Dieselbe
hat einen durchaus normalen Befund ergeben.)
Der 2. Kranke, ein 44 jähriger Dachdecker, klagt seit einigen
Tagen über Schmerzen in beiden Schultern, ganz besonders rechts.
Hier findet sich keine Sensibilitätsstörung, dagegen eine nicht beson¬
ders hochgradige Atrophie des Supraspinatus, Infraspinatus, des
oberen Kukullaris, des Pectoralis major, des Deltoides und vielleicht
des Serratus anticus major. Alle Bewegungen sind möglich, aber
(besonders Deltoides) in ihrer Kraft reduziert. Elektrisch zum Teil
quantitative Herabsetzung in den befallenen Muskeln, im Deltoides
Zuckung vielleicht etwas weniger blitzartig als normal. Pat. musste
in den letzten Wochen mittels eines Seiles schwere Lasten (z. B.
Säcke) in die Höhe ziehen, was besonders für die Schultermuskulatur
eine sehr beträchtliche dauernde Anstrengung bedeutete. Sehr auf¬
fallend ist, dass bei Pat. die beiden Patellarreflexe sehr schwach, die
Achillesreflexe zurzeit gar nicht auszulösen sind. Für Tabes sind
keinerlei sonstige Anzeichen vorhanden, es könnte vielleicht auch an
eine beginnende Dystrophie gedacht werden; die Ueberanstrengung
wäre in diesem Falle nur als Gelegenheitsursache anzusehen.
Herr Przegendza demonstriert 2 bei der Sektion gewonnene
Tumoren, die annähernd die Grösse eines Taubeneies hatten und
von der Dura mater des Kleinhirns ausgingen; nach dem makro¬
skopischen Aussehen dürften sie tuberkulöser Natur sein.
Herr Fla tau: Ueber Eihautretention.
Der Zweck der Ausführungen des Vortragenden ist, die prak¬
tischen Aerzte davon zu überzeugen, dass die Retention der Eihäutc
bezw. einzelner Teile im allgemeinen eine Anomalie ist, bei der jede
Polypragmasie nur schädlich wirkt. Nur bei strikter Anzeige ist
man berechtigt, in den puerperalen Uterus einzugehen und die Reste
zu entfernen. Die Kornzange ist zu diesem Zweck ein ebenso un¬
geeignetes als gefährliches Instrument. Empfohlen wird der Finger
oder die stumpfe Kürette nach Winter. Die Diagnose ist manch¬
mal sehr schwer, und man soll sich hüten, in der Beschuldigung eines
Kollegen leichtfertig zu sein. Vorsicht und Klugheit am Krankenbette
und besonders in forensischen Fällen sollten den ärztlichen Berater
leiten.
Herr H e i n I e i n legt die Dura mater, das Pankreas und das
Kniegelenk einer 71 jährigen Frau vor, welche an chronischem Ge-
23. Jul! 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1507
lenkrheumatismus gelitten hatte, in der letzten Lebenszeit nicht mehr
ärztlich beobachtet worden und unter den Erscheinungen des nirn-
schlagflusses — mit dem Sektiönsergebnis der Apoplexia serosa —
verstorben war. . . , ,
Der Innenfläche der atrophischen Dura liegt, innig und schwer
lösbar mit derselben verschmolzen, ein dem äusseren Ansehen nach
der Dura gleichendes, dieselbe nur an Dicke übertreffendes, derbes
Gebilde auf, welches als fibrös-metamorphosiertes Hamatom anzu-
zusprechen ist, auf deren Innenfläche sich vereinzelte, mselformige,
frische, hämorrhagisch-fibrinöse, zarte Pseudomembranen vor finden.
Die Substanz des normal grossen Pankreas erscheint derb, auf
dem Durchschnitt grossenteils grob azinös, blass, blutarm, teilweise
ist diese Zeichnung verwischt, das Qewebe erscheint dort homogen,
gelbgrau, so dass wahrscheinlich schleimige Entartung vorhegt
fwegen rasch beginnender Fäulnis unterblieb die mikroskopische
Untersuchung). Der Wirsungsche Gang zeigt rosenkranzformige
Erweiterung; in der Mitte des Ganges findet sich zu Salbenkonsistenz
eingedicktes, grauweisses, angestautes Drüsensekret, welches waln-
scheinlich in der Folge zur Bildung eines Pankreassteines Anlass ge¬
geben hätte. Gallensteine wurden nicht nachgewiesen, doch bestand
Pericholezystitis und Obturation des Foramen Winslow.
Das Kniegelenk zeigt die für den chronischen Gelenkt heumatis-
mus des höheren Alters charakteristischen Veränderungen Atrophie
der Knorpelüberzüge der Gelenkflächen, Gelbfärbung der Synovialis
und der anderen bindegewebigen Gelenkkomponenten, an den Band¬
scheiben ist die Farbenniiance noch dunkler, gelbbraun, infolge de i
vorausgegangenen häufigen Hyperämien. H. erörtert die scharfen
anatomischen und klinischen Unterscheidungsmerkmale des chro¬
nischen Gelenkrheumatismus gegenüber der Arthritis urica und dei
Arthritis deformans, und erinnert an die früher wiederholt voi gelegten
Präparate dieser Krankheitsformen.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. Juli 1907.
Demonstrationen:
Herr Bickel: Ueber den Einfluss von Metallen auf die Magen-
Wie in B.s Laboratorium für den Mar mors taub gezeigt
worden (H e i n s h e i m er), dass er eine starke Sekretion des
Magensaftes an regt (Spaltung des kohlensauren Kalkes durch die
Salzsäure; bekannte sekretionsbefördernde Wirkung der frerweiden-
den Kohlensäure), so wirken auch die Metalle mit Ausnahme dei
Edelmetalle; nur ist dabei nicht Kohlensäure, sondern Wasser¬
stoff in statu nascendi das sekretionsbefördernde Moment; dies güt
für Eisen, Mangan u. a. und ebenso auch für das kürzlich von i.
Klemperer bei Magenblutungen empfohlene Eskalin.
Das Eskalin wirkt aber nicht bloss durch Anregung der Salzsauie-
absonderung, die bekanntlich beim Ulcus ventriculi zu bekannten
wäre, sondern auch weiterhin noch dadurch schädlich, dass es eine
stürmische Gasentwicklung erzeugt, die das auf der Magen¬
schleimhaut niedergeschlagene Eskalin abhebt; dadurch wird die
Absicht, mittels des Eskalins eine schützende Decke über das Ulcus
zu bereiten, vereitelt. Von der von Klemperer angegebenen blut¬
stillenden Wirkung des Eskalins habe er sich im Tierversuch nicht
überzeugen können und gegen die von K. angeführten klinischen Ei-
folge sei das Bedenken angebracht, dass Magenblutungen sehi au-
nisch sind, ein therapeutischer Eingriff also schwer abzuschatzen sei.
Herr Rumpel: 2 Patienten mit Knochenzysten.
a) Junger Mann. Beginn des Leidens vor 2 Jahren mit
Schmerzen im rechten Fussgelenk. Verschiedene Behandlung ei-
folglos. Allmählich Auftreibung des Talus. Durchleuchtung, typisches
Bild einer Knochenzyste. Exstirpation des ganzen Talus; funktio-
nelles Resultat schon jetzt recht gut und weiterhin noch Besseiung
zu erwarten, wie auch in einem von M. Borchardt vor 4 Jahien
vorgestellten ganz gleichen und von R. jetzt nachuntersucnten balle
das Resultat sehr gut geworden. Mikroskopisch erwies sich obige
Zyste als aus einem Sarkom hervorgegangen.
b) Junge Frau. Vor anderthalb Jahren unbestimmte Schmerzen
im Femur. ' Behandlung erfolglos. Durchleuchtung sichert die Dia¬
gnose einer Zyste. Spaltung, Entleerung reichlicher klarer hlussig-
keit, Heilung. Mikroskopisch nur Granulationsgewebe in der Wand,
trotzdem nimmt R. Entstehung aus einem erweichten Enchondrom an.
Herr Schönstadt: a) Kind mit knöchernem Verschluss der
einen Choane. , , , , .
b) Kind mit H i r s c h s p r u n g scher Krankheit (angeborner
abnormer Grösse und Weite des Kolon). Nach der Gebuit des Kindes
entleerte es kein Mekonium, erst am 6. Tage kam dies auf Eingiessung
zustande. Auch späterhin keine spontane Entleerung. Kind hoch¬
gradig abgemagert, dabei ausserordentliche Auftreibung des Leibes
und Diastase der M. recti, zwischen welchen man Kotballen in
Menge fühlt. Nur solche angeborene Fälle seien als H.sche
Krankheit zu bezeichnen, die andern seien blosse chronische Ver¬
stopfung. , , , ,
Unter vom Vortr. selbst vorgenommenen, wochenlang fortge¬
setzten Darmspülungen hat sich das Befinden gehoben. Nach weiterer
Kräftigung will er operativ Vorgehen: Einpflanzung des unteren
Ileum in die Flexura sigmoidea nach L e j a r s.
Herr H. Senator: a) Sechsjähriges Mädchen mit Chlorom,
Mikulicz scher Krankheit und Leukämie.
Das Gesicht ist geschwollen und verunstaltet und
blaugelbgrünlich verfärbt. Die Schwellung betrifft die
Augenlider (Tränendrüsen), sämtliche Speichel¬
drüsen, ferner die platten Schädelknochen, Stirn-,
Scheitel-, und wahrscheinlich auch Siebbein, auf letzteres deutet
neben dem Offenstehen des Mundes wegen erschwerter Nasenatmung
der leichte Exophthalmus. Weiterhin sind alle Lymphdrüsen ge¬
schwollen und endlich zeigt das Blut das Bild der lymphati¬
schen Leukämie.
2. Angeboren taubstumme Frau mit Akromegalie mit den üb¬
lichen Erscheinungen und ausserdem Schielen auf einem Auge.
Eine Erkrankung der Hypophysis bis jetzt nicht nachweisbar.
3. Frau mit Neuromen am Arm.
Diskussion: Herr Heubner: In dem von Senator er¬
wähnten, von H. vor einiger Zeit in der Charitegesellschaft vorge¬
stellten Falle fand sich p. m. kein Chlorom, sondern eine Lympho¬
matöse der Thymus mit allgemeiner Lymphämie. ,
Herr Martens; In dem S e n a t o r sehen Falle könnte die
Schwellung am Kieferwinkel auch durch in . der Parotis sitzende
Lymphdrüsen vorgetäuscht werden, wie er es kürzlich erlebte.
Herr Marcuse: Er habe vor 2 Jahren hier einen Fall von
Mikulicz scher Krankheit vorgestellt und habe das Kind noch
weiterhin beobachtet. Von der Schwellung der Speichel- und
Tränendrüsen aus bildete sich eine Schwellung aller fühlbaren Drüsen
am Halse aus, ferner Verbreiterung des Herzens, Aszites und allge¬
meine Hydropsie. Tod. Blutuntersuchung hatte keine Leukämie
ergeben.' Sektion: Ausserordentliche Vergrösserung aller Drüsen,
besonders am Hilus der Lunge; also bestand nicht eigentlich Miku¬
licz sehe Krankheit, sondern Pseudoleukämie. Zwischen beiden
Affektionen bestehen wohl einige Beziehungen, wie auch ein Teil der
beschriebenen Fälle zeigt. . .
Herr Senator: In seinem Falle lasse sich, wie er Herrn
Martens gegenüber bemerke, die Parotis sehr scharf abgrenzen;
ausserdem bestehe auch die charakteristische Verändeiung dei
Tränendrüse. Die Kombination von M i k u 1 i c z scher Kiankheit mit
Leukämie sei nur einmal, die mit aleukämischen Drüsenschwellungen
öfters beschrieben. Die Diagnose Chlorom sei endlich durch die
Schwellung der Schädelknochen und die Verfärbung gesichert.
Tagesordnung:
Herr Goldscheider: Die Perkussion der Lungen¬
spitzen.
Bekanntlich ist die Mehrzahl der Praktiker der Ansicht,
dass die Auskultation für die Diagnose einer beginnenden
Lungenspitzentuberkulose mehr leiste als die Perkussion, d. h.
dass sie frühzeitiger einen Schluss zulasse. Diese Ansicht be¬
ruht, wie G. ausführt, auf einer mangelhaften T e c h n i k
I der Perkussion. Unter Besprechung der topographischen Ver¬
hältnisse übt G. Kritik an der bisher geübten Perkussion, wie
sie Weil, Ziemssen, Gerhardt gelehrt und kürzlich
K r ö n i g modifiziert hat. Daraus ergibt sich — das Nähere
muss wegen der Abbildungen im Original nachgelesen werden
_ } dass bei der gewöhnlichen Perkussion die eigentliche
Lungenspitze zu wenig oder gar nicht in Betracht kommt, da
man einerseits den unter den Muse, sternocleidomastoidei und
zwischen seinen beiden Ansätzen gelegenen wichtigen Teil gai
nicht zu perkutieren pflegt, andererseits gewöhnlich viel zu
weit nach aussen perkutiert, wo die Lungenspitzen gar nicht
mehr getroffen werden. Man perkuticre also vorne vor allem
zwischen den beiden Köpfen des Muse, sternocleidomastoideus
und grenze dann die Spitzen ab; hierbei ist eine ganz leise Pei-
kussion anzuwenden, am zweckmässigsten mit Hilfe eines
kleinen Glasstäbchens oder Plessimeters, das leicht zwischen
den Muskelansätzen eindringt, und des Fingers als Hammer.
Bei dieser Art lässt sich ausserdem der „respiratorische Ver¬
such“ (Da Costa) leicht ausführen, d. h. der Unterschied
zwischen der Ausdehnung der Lungenspitzen in den beiden
Respirationsphasen feststellen, womit ein weiterer Anhalts¬
punkt für die Diagnose gewonnen wird.
Mit dieser skizzierten Methode hat G. schon zu einer Zeit
zu einer Diagnose der beginnenden Lungenspitzenerkrankung
kommen können, wo dies mit Hilfe der Auskultation noch nicht
möglich war. .
Ueber die Vergleiche dieser Resultate mit denjenigen der
Röntgenuntersuchung will er später berichten.
Diskussion: Herren Westenhoeffer, Ewald.Gold-
o „ n „ i h p r Hans K o h n.
08
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Verein für innere Medizin zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Juli 1907.
Herr Westenhoeffer: Demonstration von Präparaten eines
Falles von Plethora vera. Der 28 jähr. Arbeiter war unter der
Diagnose Meningitis eingeliefert und behandelt worden; die
Sektion ergab aber eine Gehirnhämorrhagie. Ausserdem
waren sämtliche Organe ganz ausserordentlich mit Blut a n g e -
füll t. Das Knochenmark gleich den übrigen Organen dunkel¬
rot, sonst normal zusammengesetzt, nur vom Typus desjenigen bei
jugendlichen Individuen. Genauere Blutzählung wurde, da die Dia¬
gnose erst an der Leiche gestellt, nicht vorgenommen; doch nimmt
Vortr. die in solchen Fällen gefundene starke Vermehrung der roten
Blutkörperchen nach dem mikroskopischen BiLde an, also denjenigen
Zustand, den man heute als Plethora vera bezeichnet; dafür spricht
auch, dass das Gesicht im Leben immer hochrot war. Die Milz war
mässig vergrössert, dies zwar durch starke Füllung der Pulpa, die
Lymphdriisen nicht vergrössert. Das Blut qualitativ normal. Die
Grundlage des Leidens ist in der juvenilen Beschaffenheit des
Knochenmarkes zu sehen.
Diskussion. Herr Hans H i r s c h f e 1 d : Die hämatologische
Untersuchung des Falles ergab, wie W. schon erwähnt, qualitativ
normales Bild; ausserdem fand sich der lymphatische Apparat normal;
die Milzfollikel verkleinert bei gleichzeitiger Hyperplasie der Pulpa;
in der Milz Normoblasten und Myelozyten in geringer Zahl. Blut¬
körperchenhaltige Zellen in der Milz ziemlich spärlich, im Gegensatz
zu seinem früher publizierten Falle, der der erste in Deutschland be¬
schriebene war. Im Knochenmark geringe Vermehrung der Normo¬
blasten, ausserdem eine starke Hyperplasie aller Arten von weissen
Blutkörperchen, während sie im Blut selbst nicht vermehrt waren.
Herr M. Michaelis: Wenn auch durch Obduktion nur 5 Fälle
bekannt sein mögen, so sind doch klinisch eine grosse Zahl solcher
Fälle bekannt, er behandelte aber einen mit ca. 10 Millionen roter
Blutkörperchen. — Von anderen Autoren seien auch Erkrankungen
der Milz (käsige Herde) gesehen worden. Albumen hatten alle.
Herr Mohr: Er habe eine grosse Reihe solcher Fälle gesehen.
Auffallend sei immer die Rötung des Gesichts und der peripheren
Teile (nicht Zyanose, sondern Rötung wie bei Erhitzten). Immer fehle
Milz- und Leberschwellung, immer fand sich Erhöhung des Blut¬
drucks. Dieses letzte Moment weise doch auf die Plethora im alten
Sinne hin.
Bei 3 Fällen fand sich eine toxische Ursache, nämlich CO-Ver-
giftung. und er erinnere, dass bei der akuten CO-Vergiftung sich auch
Vermehrung der roten Blutkörperchen vorübergehend finde. .
Herr Westenhoeffer: Die Diskussion habe dieselbe Ver¬
wirrung gezeigt, die sich auch in der Literatur finde; die Fälle von
käsigen Herden in der Milz gehören ebensowenig hieher, wie die
nach CO-Vergiftung. Es handele sich nur um Fälle mit vermehrter
Tätigkeit des Knochenmarks. Albuminurie habe auch sein
Fall gezeigt.
Herr Paul Lazarus: Experimentelle Untersuchungen
über das Pankreas.
Nach lange Zeit fortgesetzten Injektionen von Adrena-
1 i n und Phloridzin fand L. beim Meerschweinchen Dia¬
betes mit Kachexie, Abmagerung und komatöse
Zustände. Daneben eine Hypertrophie des Pankreas
und der Nebennieren. Im Pankreas ausserdem eine
V e r m ehrung und Vergrösserung der Langer-
h a n s sehen Inseln, verursacht durch Vermehrung und Ver¬
grösserung der Zellen und stärkere Vaskularisation.
Daraus schliesst Vortr., dass diese Inseln funktionell
und anatomisch selbständig sind, dass man sie experimentell
vermehren und vergrössern kann, dass sie mit Wahrscheinlich¬
keit einen bedeutenden Faktor im Zuckerhaushalt abgeben,
indem sie antidiabetisch wirken. So habe er auch schon beim
Menschen nach partiellem Pankreasausfall eine Vermehrung
der Inseln im Testierenden I eil gefunden. Die obige Vergrösse¬
rung und Vermehrung sei eine Arbeitshypertrophie.
Diskussion. Herr M. Lewandowsky: Phloridzin er¬
zeugt zwar Diabetes, aber unter Verminderung des Blutzuckers;
es sei deshalb nicht zu verstehen, weshalb die Inseln hiebei mehr
arbeiten sollten.
Herr Mohr schliesst sich diesem Einwand an; der Phlo¬
ridzin-Diabetes werde als Nierendiabetes betrachtet, d. h. die Nieren
scheiden eben von dem im Blute normal vorhandenen Zucker ge¬
wisse Mengen aus. Da sei die Arbeitshypertrophie der Inseln nicht
verständlich.
Herr P. Lazarus: Er könne nur auf seine Experimente ver¬
weisen; die Theorie des Phloridzin-Nieren-Diabetes stehe auf schwa¬
chen Füssen.
Herr Meyer: Die von Bordet für andere Untersuchungen
und auch für den Keuchhusten angegebene Methode der Komple¬
mentbindung habe er unter Wassermann für den Keuchhusten
nachgemacht; aber abweichend von Bordet, der mit Keuchhusten¬
bazillen arbeitete, nahm er nach Wassermanns Vorgang bei der
Syphilis Organe von an Keuchhusten gestorbenen Kindern. Die
Resultate waren positiv.
Herr Lang stein erwähnt die Arbeit Reyers über den
Keuchhustenbazillus, die Bordet gar nicht erwähnt habe.
Herrn Arnheim: Dasselbe habe Herr R e y e r mit seinen zahl¬
reichen Arbeiten getan; er beanspruche aber wenigstens nicht die
Priorität, sondern gestehe ohne weiteres zu, dass diese Cza-
p 1 e w s k i gebührt.
Schluss der Diskussion des Vortrages des Herrn
E. Lesse r: Ueber Syphilis.
Herr Schuster: Aus seinen Beobachtungen an Tabikern und
Paralytikern ergebe sich, dass die Vornahme einer oder wiederholter
Schmierkuren keinen Einfluss auf den Eintritt obiger Erkrankungen
zu haben scheint,.
Herr E. Lesser: Die Diagnose der Syphilis habe durch die
Spirochäten zweifellos gewonnen. Auch die Frage der chronischen
intermittierenden Behandlung habe dadurch eine Stütze erhalten, dass
man jetzt bestimmt weiss, dass die Spätformen durch die gleichen
Parasiten erzeugt werden, dass diese also noch in späten Zeiten
lebenskräftig sind. Die H o 1 1 ä n d e r sehen Fälle halte er nur zum
Teil, weil vor Entdeckung der Spirochäten vorgenommen, für be¬
weiskräftig. Dass das Atoxyl in seinem kürzlich vorgestellten Falle
die Ursache der Erblindung sei, sei jetzt sicher. Es seien noch andere
ähnliche inzwischen krank geworden. Es sei deshalb nicht zweifel¬
haft, dass man die in Paris angegebenen hohen Dosen nicht an¬
wenden dürfe. Kleinere seien aber wohl auch weiterhin zu ver¬
suchen. Hans K o h n.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Acadetnie de medecine.
Sitzung vom 14. Mai 1907.
„ Der Alkohol im Kindesalter.
B r u non- Rouen berichtet über die Zunahme des Alkoholismus
im Kindesalter und besonders über die Opfer, welche derselbe unter
den Säuglingen fordert. Nach Anführung verschiedener Beispiele
kommt er zu folgenden Schlüssen. Die ausdauernde Arbeit der
Antialkoholisten hat seit etwa 20 Jahren unzweifelhaften Erfolg bei
den kultivierten Völkern und den reicheren Leuten gehabt; der Bür¬
ger trinkt weniger, der Offizier, Student trinkt /licht mehr, die
„Bierjahre“ des Deutschen sind uns unbekannt. Bei den Angestellten,
in der Arbeiterklasse und unter den Bauern nimmt der Alkoholismus,
zumal bei den Frauen, zu; daher die Alkoholvergiftung der Kinder.
Die heranwachsende Jugend, der Lehrling gewöhnen sich immer mehr
an den Absinth. Wenn es noch Zeit ist, muss man beim Unterricht
in der Schule, in den Lyzeen, in der Kirche, im Heere den Anti¬
alkoholismus aufnehmen, muss man eine Generation von Erziehern,
welche wirklich daran glauben, schaffen; eine Arbeit von 20 Jahren
wird dazu nötig sein. Geschieht dies nicht, so wird Frankreich vom
Alkohol zerstört werden.
Die Appendizitis.
G. R i c h e 1 o t hebt in einer an persönlichen Beobachtungen
sehr reichen Arbeit drei für die Geschichte der Appendizitis wichtige
Punkte hervor: 1. Die Psoitis bildet sehr oft ein Endstadium der
Appendizitis, wofür R. einige Fälle anführt. Wenn erstere fast immer
rechts sitzt, so hat sie eben fast immer diesen Ursprung. Und auf
dieselbe Art lässt sich die Psoitis im Allgemeinen erklären: durch
eine Infektion aus der Nachbarschaft (durch Kontiguität oder Kon¬
tinuität); die Infektion ergreift das Zellgewebe, die Aponeurose und
den Psoas oder der Eiter gelangt direkt in das Muskelgewebe durch
eine Lücke der Aponeurose. Ist eine Psoitis rechterseits vorhanden,
so muss man, sofort an die Diagnose „Myositis durch sekundäre Fort¬
pflanzung, auf eine Appendizitis“ denken. Nur in seltenen Fällen
dürfte die Ursache in anderen Nachbarorganen als im Wurmfortsatz
liegen.
2. Die Psoitis ist also eine der früher schlecht definierten und
in ihrer Aetiologie wenig gekannten Affektionen, welche jetzt die
Appendizitis in weitem Masse für sich in Anspruch nimmt. Eine
grosse Anzahl von Krankheiten haben dasselbe Schicksal und darauf
muss man Rücksicht nehmen, um die grosse Häufigkeit der Appendi¬
zitis zu würdigen. In Wirklichkeit sind all die früheren Fälle von
Typhlitis, die meisten Fälle innerer Einklemmung, welche rechts
sitzen, von Perityphlitis, viele Fälle von rechtsseitiger Salpingitis,
besonders bei noch jungfräulichen Mädchen, verkannte Fälle von
Appendizitis.
3. Dieses weite klinische Gebiet dehnt sich noch mehr aus,
wenn man die chronische Appendizitis in Betracht zieht. Dieselbe
wird oft . verwechselt mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane
(rechtsseitiger Ovaritis oder Periovaritis), mit Dyspepsie, einfacher
oder pseudomembranöser Enteritis, Anfällen von Hyperazidität und
Leberkolik. Da die Appendizitis so leicht mit anderen Krankheiten
verwechselt wird, so ward sie lange Zeit verkannt und erscheint
gleichsam als eine neue Krankheit. Ausserdem möchte R. eine
wesentliche Zunahme derselben nicht von der Hand weisen, und
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1509
zwar aus folgenden Gründen: 1. ist die Influenza, welche seit etlichen 1
Jahren in erhöhtem Masse herrscht, in manchen hüllen von ätio¬
logischer Bedeutung, und 2. spielt die übermässige Fleischkost,
welche „seit 50 Jahren eine so grosse Anzahl von Därmen über¬
anstrengt, vergiftet, infiziert“ hat, eine gewisse Rolle. Letzteres ist
zwar nur eine Hypothese und durch Tatsachen nicht bewiesen.
R. schliesst daher, dass, wenn man an eine erhöhte Frequenz der
Appendizitis in diesen letzten Jahren glaubt, dies nur in mässigem
Grade der Fall sei.
Sitzung vom 21. Mai 1907.
Lannelongue zeigt durch eine sehr ausgedehnte Statistik
des Spitals Trousseau und durch die Statistik des deutschen Militär¬
arztes V i 1 1 a r e t, welche mehrere tausend Fälle umfasst, dass die
Appendizitis ehedem durch andere Krankheiten, wie akute Peritoni¬
tis, Abszesse, Psoitis, verschleiert war und ihre Diagnose eine ge¬
nauere geworden ist. Bei den reichen Leuten ist die Aufmerksam¬
keit in erhöhtem Masse auf die Krankheit gelenkt worden, aber es
handelt sich dabei keineswegs um ein neues Leiden. Das Haupt¬
kapitel der Arbeit Lannelongues hat auf die so wichtige Pro¬
gnose der Appendizitis Bezug und bringt dafür ganz neue Gesichts¬
punkte, welche die Urinuntersuchung betreffen. Bei jungen Leuten
— Erwachsene hatte L. keine Gelegenheit zu untersuchen — im
heranwachsenden Alter erhöht sich die Toxizität des Urins bei akuter
Appendizitis und nimmt parallel mit der Desinfektion des Erkrankten
ab. Wenn sie in schweren Fällen von akuter Appendizitis 3 — 4 mal
über die normale Zahl hinausgeht, so bildet das eine neue Indikation
zur Operation. Steigt sie auf 25 Urotoxien, d. h. eine Injektion von
25 ccm pro Kilo Körpergewicht des Kaninchens und auch unter dieser
Ziffer, so ist die Indikation zu sofortiger Operation gegeben. Schliess¬
lich ermöglicht die Harntoxizität den Grad der Infektion des Orga¬
nismus bei prolongierter oder chronischer Appendizitis abzuschätzen:
sie wird eine Gegenanzeige der Operation oder erheischt Aufschub
derselben, wenn der Kranke noch merkliche Spuren der Infektion
zeigt. Was die Technik der Untersuchung betrifft, so erklärt sie L.
für sehr einfach und leicht ausführbar. Das Kaninchen, dessen Ge¬
wicht vorher bestimmt wird, wird an einer Mauer festgelegt; eine
Kautschukröhre, ca. 3 m lang und 2 cm dick, an dem einen Ende mit
einem Glastrichter, an dem anderen mit einem kleinen Hahn ver¬
sehen, wird längs der Mauer befestigt. Mit dem Hahn wird ein ziem¬
lich feiner Troikart verbunden, um in eine der dorsalen Venen des
Ohres des Kaninchens gelangen zu können. Nachdem die Röhre mit
dem betreffenden Harn angefüllt ist (nach vorheriger Filtrierung),
sterilisiert man das Ohr, sticht in die Vene ein und lässt langsam
den Urin in dieselbe * einfliessen. Die Dauer des Experiments
schwankt zwischen 30 Minuten und 1 Stunde. Ist das Tier tödlich
vergiftet, so stellen sich Krämpfe ein und bald der Tod. L. fügt
bei, dass die Harntoxizität bei einer Anzahl anderer Infektionskrank¬
heiten, besonders der Unterleibsorgane, mit Vorteil bestimmt werden
könnte.
Auf den Einwand von Hayem, man müsse auch die physi¬
kalischen Eigenschaften des Urins, seine Konzentration, seinen Ge¬
frierpunkt berücksichtigen, um die Toxizität zu bestimmen, erwidert
Lannelongue, dass er diese wohl auch untersucht habe, dass es
sich aber meist um fieberlose Patienten (mit chronischer Appen¬
dizitis) handle, bei welchen die Konzentration des Urins keine Zu¬
nahme erfahren habe. St.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Neuer Standesverein Münchener Aerzte.
Sitzung vom 9. Juli 1907.
Die gut besuchte Versammlung nahm einen stellenweise sehr
interessanten Verlauf. Dr. Bergeat berichtete zunächst an der
Hand des Protokolls über den Frankfurter Einigungsversuch. Das
Resultat sei bekannt: Es wurde die Errichtung einer neutralen Kom¬
mission beschlossen, die rein beratenden Charakter haben und von
sämtlichen 7 hiesigen Standesvereinigungen durch je 2 Mitglieder
beschickt werden soll. Die Errichtung einer solchen Kommission
entspreche dem Streben unseres Vereins nach loyalen Verhält¬
nissen. Es wird beschlossen, der Kommission durch die Wahl von
zwei Mitgliedern — Dr. Bergeat und Dr. Lukas — beizutreten.
Beide nehmen die Wahl an. Bergeat versichert: so viel an uns
liegt, werden wir bestrebt sein, ein erspriessliches Arbeiten zu er¬
möglichen. (Beifall.)
Höflmayr regt an, dass die Beteiligung an der Kommission
davon abhängig gemacht werden soll, dass nicht vergangene Dinge
immer wieder hereingezogen werden sollen. Bergeat, .s Vor¬
schlag, dass der Vorsitz in der Kommission zwischen den beteiligten
Vereinigungen jährlich wechseln soll, findet die Billigung der An¬
wesenden. Höflmayr wünscht, den Vorsitz sogar zweimonatlich
wechseln zu lassen. Die Beschlussfassung muss natürlich der Kom¬
mission selbst überlassen bleiben.
Sehr lebhaft gestaltet sich die Diskussion bei Gelegenheit des
nunmehr vom Vorsitzenden erstatteten Berichtes über den Aerztetag.
Bergeat selbst gab dabei nicht einen Bericht über die einzelnen
Vorkommnisse, sondern ein zusammenfassendes Urteil über die Lage
auf dem Acrztetage, die sich zu einer programmatischen Darlegung
der ganzen gegenwärtigen ärztlichen politischen Lage gestaltete.
Die Beschlüsse des Aerztetages hätten sachlich eigentlich nichts
Neues gebracht. Neu aber sei die leidenschaftliche Art gewesen, wie
die Frage der freien Arztwahl behandelt wurde. Die Parole scheine
weniger mehr ein Kampf gegen die Kassen, als ein Kampf gegen alle
die Kollegen zu sein, die nicht unbedingt die freie Arztwahl und
ihre gesetzliche Regelung gutheissen, und es sei schon nahezu so
weit gekommen, dass ein Gegner der freien Arztwahl auch als
Gegner des Aerztestandes angesehen wird. Ja, es wurde schon der
Ruf nach einer „reinlichen Scheidung“ von den anders denkenden
Kollegen erhoben und mit Beifall begrüsst. Es könne nichts kurz¬
sichtigeres und gefährlicheres geben. Interessant war es dabei, dass
solche Herren am lautesten diesen Ruf erschallen Hessen, die aus
nächster Nähe an den Münchener Verhältnissen hatten
sehen können, dass eine solche Scheidung nichts an¬
deres als den offenen Konflikt auf Jahre bedeutet. Wenn
diese Richtung, die über die Köpfe der Kollegen hin¬
weg zur freien Arztwahl gewaltsam fortschreiten will, Aatsächlic l
die massgebende werden sollte, dann würde der Aerztevereinsbund
genau auf die gleiche abschüssige Bahn gelangen, auf die der Be¬
zirksverein München geführt worden ist. Es sei wirklich bemerkens¬
wert, dass das gleiche Prinzip, das seinerzeit die Einigkeit in die
Reihen der Aerzte brachte, jetzt dazu zu führen droht, die Uneinigkeit
zu fördern. Wenn im Aerztevereinsbund kein anderes Einigungs¬
moment mehr liege, als die freie Arztwahl, dann habe er seine Exi¬
stenz überlebt und könne sich durch den Leipziger Verband ersetzen
lassen.
Ein weiteres zerstörendes Element liege in dem Rütteln und
Deuteln an den Direktiven des Aerztevereinsbundes. Sie bilden die
Garantien für eine vernünftige und ruhige Politik, eine Mahnung zur
Besonnenheit und kollegialem Verhalten gegen Minderheiten. Diese
haben sich bisher allein durch sie beruhigen lassen. Wenn man sie
beseitigt, so kann es nicht ausbleiben, dass eine Störung des Ver¬
trauens und der Einigkeit der deutschen Aerzte entstehe. Formell
sei der Aerztetag natürlich berechtigt, die Direktiven umzustossen,
aber er sollte sich wohl bewusst sein, welch ausserordentlich grosse
Verantwortung für die ganze Entwicklung der ärztlichen Sache er
damit auf sich nehmen würde.
Eine merkwürdige Episode auf dem Aerztetag sei der Zwischen¬
fall betr. den Organisationsentwurf der bayerischen Aerztekammern
gewesen. Seit der Münchener Bahnarztfrage sei der Vorsitzende des
geschäftsführenden Ausschusses der Kammern an gewissen Stellen
persona ingrata geworden und es werde gegen ihn fortgesetzt, aber
durchaus nicht immer mit blanken Waffen, vorgestossen. Das Ein¬
greifen des Geschäftausschusses des Aerztevereinsbundes gerade in
dieser Frage sei auffallend gewesen und man dürfe wohl erwarten,
dass er nunmehr auch einmal gegen die verschiedenen höchst be¬
denklichen und die Einigkeit gefährdenden Versuche, die Direktiven
des Aerztevereinsbundes im Sinne der gewaltsamen Majorisierung
zu interpretieren, Stellung nehmen wird. Weiter geht der Vor¬
sitzende nicht auf den Gegenstand ein.
Bezüglich der gesetzlichen Festlegung der freien Arzt¬
wahl steht Bergeat auf dem Standpunkte, dass wir Aerzte uns
nicht in ein ungewisses gefährliches Zwangsverhältnis hineinbegeben
sollten, nachdem sich unsere freie Organisation so gut bewährt hat.
Er beansprucht durchaus die Anerkennung des Prinzips der freien
Arztwahl von seiten der Behörden. - Sobald aber der Staat die
Reglementierung und die Beaufsichtigung in die Hand nehme, dann
kommen die Bedenken, dass die Gesetzgeber nicht den Aerzten zu
Gefallen handeln, sondern im besten Falle beide Parteien, wahr¬
scheinlich aber die Kassenmitglieder in erster Linie berücksichtigen
würden, was voraussichtlich Einschränkungsmassregeln namentlich
gegen die Streikmöglichkeiten bedeuten würde. Zur Zeit der Königs¬
berger Beschlüsse war die Organisation noch ein so zartes Pflänz-
lein, dass man an eine gesetzliche Regelung als einzig sicheren Ausweg
denken musste. Heute seien die Verhältnisse andere. Je mehr man
die Erfolge anerkennt, die die freie wirtschaftliche Organisation schon
erzielt hat, desto weniger sollte man sich dazu entschliessen, die
wirtschaftliche Organisation dem Gesetzgeber auszuliefern.
Spatz stimmt dem Berichte des Vorsitzenden bei, seine Be¬
denken wegen der gesetzlichen Festlegung der freien Arztwahl ver¬
mag er aber nicht zu teilen.. Dagegen erblickt Höflmayr in der
gesetzlichen Festlegung der freien Arztwahl das Ende
eines freien Arztestandes, die Verstaatlichung und die Einführung
des Kurierzwanges. Er ist für die freie Arztwahl auf freier Grund¬
lage. Ebenso ist Becker ein Gegner der gesetzlichen freien Arzt¬
wahl. Er bedauert die Beschlüsse teils wegen des radikalen Tones,
der vielfach auf das: „Wer nicht pariert — fliegt“ hinausgelaufen sei,
teils wegen der Forderung der gesetzlichen freien Arztwahl. Er
komme immer mehr zu der Ueberzeugung, dass das Ideal der freien
Arztwahl bei seiner Uebertragung in die Praxis den Erwartungen
auch der Aerzte nicht entspräche. Gar die gesetzliche Festlegung
würde er für ein grosses Unglück halten und seiner festen Ueber¬
zeugung nach würde, wenn sie erfolgen sollte, bei den Aerzten selbst
in kürzester Zeit darüber Unzufriedenheiten entstehen, genau wie
seinerzeit bei der von Aerzten herbeigeführten Kurierfreiheit. Wenn
die Aerzte jetzt mit den Kassenverwaltungen sich nicht einigen
können, dann bleibt ihnen eben noch die freie Verfügung. Wird aber das
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Schiedsgericht gesetzlich fixiert, so erhält es auch das Recht, end¬
gültig, wenn auch nach einem Instanzenweg, zu entscheiden und die
Aerzte haben sich zu fügen. Denn die Aufsichtsbehörde wird vor
allem dafür sorgen, dass den Kassen niemals Schwierigkeiten in
ihren Finanzen und in der Versorgung ihrer Mitglieder erwachsen
können. Die freie Arztwahl sei nicht das Endziel ärztlichen Strebens,
sie sei nur ein Mittel zum Zweck, nämlich zu standeswürdiger Stel¬
lung und Bezahlung der Kassenärzte. Spatz sieht in den Be¬
schlüssen des Aerztetages keine Unterlage für Beckers Befürch¬
tungen. Die Einführung des Kurierzwanges hält er für unmöglich,
solange die Aerzte einig sind. Die Streikmöglichkeit werde auch bei
Durchführung der Forderungen des Aerztetages bestehen bleiben;
denn von den frei getroffenen Vereinbarungen werde man auch unter
der gesetzlichen freien Arztwahl zurücktreten können, wenn das
Schiedsgericht keine Einigung der Parteien herbeiführen konnte.
Lukas sieht in der Forderung der gesetzlichen freien Arztwahl nur
das Zurückverlangen eines früher vorhandenen Rechtes. Er sei
durchaus für die freie Arztwahl, allerdings könne er den Weg nicht
billigen, aiif dem die freie Arztwahl bei Krankenkassen mit fixierten
Aerzten von den Radikalen durchgeführt werden solle. Neu¬
st ä 1 1 e r hält die Befürchtungen Beckers und Höflmayrs
für durchaus beachtenswert, glaubt aber, dass man den Aerzten die
Selbstverwaltung so wenig wie den Kassen aus den Händen nehmen
werde. Da würden die Parteien, die sonst gegen uns sind, für uns
sein müssen, wollen sie sich nicht selbst ins Fleisch schneiden. Er
würde deshalb die gesetzliche Einführung, wenn die besprochenen
Folgen im Auge behalten, bezw. verhütet werden, nicht fürchten.
Besser erscheine ihm allerdings die jetzige Entscheidungsfreiheit der
Aerzte.
In der weiteren Debatte werden noch einzelne Missstände und
gute Seiten der freien Arztwahl und des fixierten Honorarsystems
lebhaft diskutiert.
Bergeat resümiert zum Schluss den Verlauf der Diskussion.
Die gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl auf Kosten der vollen
wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit, daran müsse er festhalten, würde
ein Danaergeschenk für unseren Stand sein. Um so
wichtiger sei es gerade jetzt bei der durch die Personalver¬
änderung im Reichsamt des Innern eingetretenen Pause, endlich die
Zuziehung von Aerzten zu den gesetzgeberischen
Vorberatungen zu erreichen.
Weiterhin gaben noch die Beschlüsse bezüglich Honorierung der
Lebensversicherungsgutachten Anlass zu Debatten, in denen der
Hoffnung Ausdruck gegeben wurde, dass der getane Schritt des Aerzte¬
tages sich nicht als übereilt erweisen möchte. Neu Stätte r.
Verschiedenes.
Entscheidungen des preussischen ärztlichen Ehrengerichtshofes.
1. Urteil vom 14. Mai 1906 : Ein Arzt, der in Fällen drin¬
gender Lebensgefahr die ärztliche Hilfe verwei¬
gert, macht sich einer Verletzung der ärztlichen
Standespflichten schuldig.
Nach dem von der ersten Instanz — von der der Angeschuldigte
kostenlos freigesprochen worden war — festgestellten Tatbestände
hielt das Ehrengericht nicht für hinreichend erwiesen, dass dem
Angeschuldigten das Vorliegen eines Falles von dringender Lebens¬
gefahr genügend klar gemacht sei, während es den Grundsatz, dass
in Fällen dringender Lebensgefahr der Arzt seine Hilfe nicht versagen
solle, nicht verkannte.
Es hängt grundsätzlich von der freien Entschliessung des Arztes
ab, ob er die Behandlung eines Kranken im Einzelfall übernehmen
will; ein Zwang zur Uebernahme einer Behandlung ist für den
Arzt r fe c h 1 1 i c h nicht begründet. Es kann aber andererseits aus¬
nahmsweise Fälle geben, die so schwer und dringlich sind, dass der
Arzt seine Hilfeleistung nicht verweigern darf, ohne mit den Ge¬
pflogenheiten und Auffassungen seines Standes in Widerspruch zu ge¬
raten. Es ist von den Angehörigen des ärztlichen Berufes stets als
eine Ehren- und Standespflicht erachtet worden, in Fällen dringen¬
der Lebensgefahr ihre ärztlichen Dienste bereitwilligst und bedin¬
gungslos zur Verfügung zu stellen. Der Ehrengerichtshof hat deshalb
schon bei einer früheren Gelegenheit Veranlassung genommen, den
Grundsatz auszusprechen, dass die Verweigerung ärztlicher Hilfe¬
leistung in Fällen dringender Lebensgefahr einen Verstoss gegen die
ärztlichpn Standespflichten enthalte (vergl. Beschluss vom 1. De¬
zember 1902). Dieser Grundsatz war auch in dem vorliegenden Falle
zur Anwendung zu bringen. Ob ein^ Fall dringlicher Lebensgefahr
vorliegt, ist latfrage, die in jedem Einzelfalle besonders zu prüfen
und festzustellen bleibt. Im Gegensätze zum ersten Richter ist der
Ehrengerichtshof im vorliegenden Falle der Meinung, dass der Ange¬
schuldigte aus der Schilderung des Vorganges und der Beschrei¬
bung der Krankheitserscheinungen den Eindruck gewinnen musste,
dass es sich bei der Erkrankten um eine dringende und unmittelbare
Lebensgefahr handle. Auch der Ausspruch des Angeschuldigten;
„Nun, dann ist doch nichts mehr zu machen“, sowie der kurz darauf
eingetretene Tod der Erkrankten stellen die Schwere und Dringlich¬
keit des hrkrankungsfalles als ganz zweifellos hin und lassen die
Annahme begründet erscheinen, dass dem Angeschuldigtcn die Sach¬
lage entsprechend vorgetragen worden ist.
Der Angeschuldigte hat hiernach, indem er in einem Falle seine
ärztliche Hilfeleistung verweigerte, wo sie nach Standessitte herge¬
bracht und geboten war, gegen die Pflichten seines Standes ge¬
handelt und war deshalb, wie geschehen, mit einer Warnung zu be¬
strafen.
2. Urteil vom 14. Mai 1906: Ein Arzt war vom Ehrengericht be¬
straft worden, weil er sein dem Verein der Kassenärzte in X. ge¬
gebenes Versprechen, Krankenkassenverträge ohne Benehmen mit
der Vereinskommission nicht abzuschliessen, nicht gehalten habe, ln
der Berufungsrechtfertigung macht der Angeschuldigte, wie in erster
Instanz, geltend, er habe sein Versprechen gehalten, habe keinen
Vertrag, mündlich so wenig wie schriftlich, mit der Krankenkasse
geschlossen und lediglich privatim den ihn aufsuchenden, augenärzt¬
licher Hilfe bedürftigen Arbeitern die Behandlung gewährt. Einer
streikähnlichen Bewegung vermöge er nach seinen Begriffen von ärzt¬
licher Ethik nich-t zu folgen.
Die Berufung ist begründet.
Der Angeschuldigte nimmt Kassenarztstellen überhaupt nicht an,
stand ganz ausserhalb des Streites der Aerzteschaft zu X. mit den
dortigen Kassen, gab aber aus kollegialem Interesse dem Verein das
Versprechen, Verträge ohne Benehmen mit ihm nicht ab¬
zuschliessen. Er lehnte daher auch das Anerbieten eines
grossen Betriebes, als Kassenarzt für ihn tätig zu sein,
rundweg ab. Dagegen erklärte er sich dessen Vertreter gegen¬
über bereit, Kranke, speziell Verunglückte augenärztlich zu behandeln;
er würde keinen Hilfesuchenden aus dem Grunde zurückweisen, weil
er Mitglied der Krankenkasse sei, er werde aber Alles vermeiden,
was ihn als Kassenarzt charakterisieren könne, werde weder münd¬
lich noch schriftlich einen Vertrag schliessen, keine Krankenscheine
ausschreiben, kein Rezept für die Kasse schreiben, keinen Vertreter
stellen, Honoraransprüche nicht an die Kasse, sondern an die Pa¬
tienten stellen usw. Er werde auch eine solche Behandlung nur als
ein Provisorium betrachten, bis ein Kassenarzt gefunden sei. Ausser¬
dem sei ihm erwünscht, dass andere Aerzte an solcher privaten Be¬
handlung teilnähmen. Demgemäss hat dann der Angeschuldigte die
augenkranken Arbeiter, welche ihn aufsuchten, behandelt und hat
'ihnen seine Liquidation mitgegeben.
Der Angeschuldigte hat also einen Kassenvertrag nicht abge¬
schlossen. Er hat sogar ausführlich und ausdrücklich den Abschluss
eines solchen Vertrages verweigert. Er hat in den Streit mit der
Kasse nicht eingegriffen, hat die Position seiner Kollegen nicht ver¬
schlechtert, hat ihnen von seiner Stellungnahme Mitteilung gemacht
und hat kein Ehrenwort gebrochen. Der Umstand allein, dass schliess¬
lich die Kasse die für die Arbeiter ausgestellten Liquidationen bezahlt
hat, kann den Angeschuldigten nicht belasten. Denn dazu blieb die
Kasse verpflichtet und das zwischen ihr und den Arbeitern bestehende
rechtliche Verhältnis konnte der Angeschuldigte nicht ändern. Nach
Lage des in diesem Falle klar festgestellten Tatbestandes ist in Ueber-
einstimmung mit dem Vertreter der Anklage eine ehrengerichtliche
Verurteilung des Angeschuldigten nicht zu begründen.
4. Urteil vom 7. Januar 1907. Das Ehrengericht hatte einen Arzt
mit einem Verweise, 400 Mark Geldstrafe und Entziehung des Wahl¬
rechts auf 3 Jahre bestraft, weil er 1. die Behandlung von Patienten
gelegentlich einem als „Sekretär“ in seinen Diensten befindlichen
Nichtarzt iiberliess, 2. dem N. N. seine ärztliche Behandlung auf¬
drängte, 3. wiederholt Patienten brieflich behandelte.
Die Berufung war zurückzuweisen, da die Feststellungen der
ersten Instanz zutreffend sind. Das Treiben des Angeschuldigten,
der mehrfach vorbestraft ist, ist eines Arztes durchaus unwürdig und
geeignet, das Ansehen des Standes schwer zu schädigen.
6. Beschluss vom 8. Januar 1907. Nach § 3 Abs. 3 des Ehren¬
gerichtsgesetzes können politische, wissenschaftliche und religiöse
Ansichten oder Handlungen eines Arztes als solche niemals den
Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. Gelangen
jedoch derartige Ansichten in einer Form zum Ausdruck welche
einen beleidigenden, gehässigen oder sonst unwürdigen Charakter hat,
oder welche den Tatbestand einer nach den allgemeinen Strafgesetzen
strafbaren Handlung enthält, so handelt es sich nicht mehr um po¬
litische usw. Ansichten und Handlungen eines Arztes als solche,
sondern es bleibt festzustellen, ob der Arzt nach den besonderen
Umständen im Einzelfalle sich neben der strafrechtlichen Verant¬
wortung auch noch ehrengerichtlich strafbar gemacht hat.
Gegen den Angeschuldigten war nach Beendigung des straf¬
rechtlichen Verfahrens die ehrengerichtliche Bestrafung beantragt
worden. Das ärztliche Ehrengericht lehnte aber die Eröffnung des
Verfahrens ab, da § 3 Abs. 3 des Ehrengesetzes dahin verstanden
werden müsse, dass die politische Handlung eines Arztes als solche,
auch wenn sie eine gesetzlich strafbare Handlung sei, niemals zu
einem ehrengerichtlichen Einschreiten und zu einer ehrengericht¬
lichen Strafe führen dürfe. Nur wenn eine politische Handlung gleich¬
zeitig auch eine Verfehlung nicht politischer Natur enthalte, wenn
sie z. B. zugleich eine Verletzung der Berufspflicht darstelle, unter¬
liege sie in ihrem nichtpolitischen Teile dem Ehrengerichte, während
die politische Handlung als solche nicht vor das Forum des Ehren¬
gerichts gezogen werden dürfe. Ein polnischer Arzt z. B., der einem
Deutschen im Notfälle grundsätzlich aus seiner Gesinnung als Pole
heraus die ärztliche Hilfe verweigere, verletze die Pflicht gewissen¬
hafter Berufsausübung.
23. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1511
Das Ehrengericht hat die Worte „als solche“ übersehen oder
nicht entsprechend gewürdigt. Wenn auch politische, wissenschaft¬
liche und religiöse Ansichten und Handlungen an sich ehrengericht¬
lich straffrei sind, so kann doch die Form, in welcher diese An¬
sichten zum Ausdruck kommen, ein ehrengerichtlich zu ahndendes
Vergehen darstellen. Es konnte daher das Ehrengericht nicht ohne
weiteres die Eröffnung der Voruntersuchung ablehnen, sondern es
musste die Frage prüfen, ob und inwieweit der § 3 Abs. 3 anwendbar
sei. Der Ehrengerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass
es dem Arzte unverwehrt ist, seiner politischen wie seiner wissen¬
schaftlichen Anschauung freien Ausdruck zu geben, soweit er nicht
diejenigen Grenzen überschreitet, welche ihm einerseits durch die
Pflichten seines Standes und Berufes, und andererseits durch die
Staatsgesetze im allgemeinen gezogen sind (vergl. auch Entschei¬
dungen des Ehrengerichtshofes für deutsche Rechtsanwälte). In
ersterer Beziehung kommen, neben dem vom Ehrengericht aufge¬
führten Beispiel die wiederholten Fälle in Betracht, in welchen der
Ehrengerichtshof Aerzte verurteilt hat, weil sie in wissenschaftlichen
Vorträgen Standesgenossen, welche die von ihnen vorgetragenen
Anschauungen nicht teilten, in beleidigender Weise schmähten oder
den ärztlichen Stand als solchen herabsetzten und — noch dazu vor
einem grösseren Laienpublikum — einer beschimpfenden Kritik unter¬
zogen. So wenig aber wie der § 3 Abs. 3 in solchen Fällen den
Angeschuldigten gestattet, Personen, welche anderer Ansicht sind,
zu beleidigen und herunterzusetzen, so wenig gewährt er dem Arzte
einen Freibrief, die allgemein gültigen Staats- und insbesondere die
Strafgesetze zu verletzen. Eine Verfehlung gegen diese Gesetze wird
gleichzeitig eine Verletzung der dem Arzte nach § 3 des Ehren¬
gerichtsgesetzes obliegenden Pflicht, sich auch ausserhalb der Aus¬
übung seines Berufs der Achtung würdig zu zeigen, welche der ärzt¬
liche Beruf erfordert, begründen können. Ob der Angeschuldigte,
welcher des Vergehens gegen § 130 des Reichs-Strafgesetzbuches
und gegen Bestimmungen des Pressgesetzes durch Urteil des Straf¬
richters schuldig erkannt ist, sich durch diese Vergehen auch ehren¬
gerichtlich strafbar gemacht hat, ist hiernach vom Vorderrichter zu¬
nächst zu prüfen.
Es war daher zur Nachholung dieser Prüfung der erste Be¬
schluss aufzuheben und die Sache in die erste Instanz zurück¬
zuverweisen.
(Urteil 3 vom 15. Mai 1906 und 5 vom 7. Januar 1907, ferner
Beschluss 7 vom 14. Mai 1906 sind rein prozessualer Natur und
werden daher hier nicht referiert.) R. S.
Frequenz der deutschen med. Fakultäten. Soinmersemester 1907. D
Universität
Sommer
1906
Winter 1906/1907
Sommer 1^07
In¬
länder
Aus-3/
länder
Summa
In¬
länder
Aus-2)
länder
Summa
In¬
länder
Aus-2)
länder
Summa
Berlin3) ....
519
451
970
662
520
1182
552
362
914
Bonn .
225
31
256
204
23
227
248
25
273
Breslau ....
196
35
231
238
34
272
248
31
279
Erlangen . . .
111
61
172
141
65
206 ‘)
121
75
199
Freiburg . . .
482
41
523
91
371
462’)
569
54
623
Giessen ....
57
92
149
94
192
286
105
.195
80010)
Göttingen . .
131
42
173
125
60
185
121
60
181
Greifswald . .
154
30
184
151
31
182
164
41
205
Halle .
60
115
175
148
52
200
160
50
210
Heidelberg . .
68
294
362
75
252
327* * 6)
76
321
397
Jena .
43
176
219
43
190
233
46
210
256
Kiel .
178
100
278
167
42
209
224
106
330
Königsberg . .
131
77
208
150
78
228
169
47
216
Leipzig ....
215
232
447
235
284
519
239
259
498
Marburg ....
182
58
240
172
50
222
229
64
293
München . . .
346
751
1099
431
761
12927 )
393
855
1248 '0
Münster ....
40
3
43
43
20
63
103
20
123
Rostock ....
1 37
' '70
107
36
63
99
121
1
122
Strassburg . .
187
30
217
217
36
253
198
35
233
Tübingen . .
109
95
204
138
77
2158 *)
121
104
225
Würzburg7) . .
153
260
413
190
267
4579)
175
274
449
6570
7219
7574
*) Nach amtlichen Verzeichnissen. Vergl d. W. 1906, No. 28. 2) Unter Ausländern
sind hier Angehörige anderer deutscher Bundesstaaten verstanden. 3) Dazu die Studieren¬
den des Kaiser-Wilhelrn-Instituts. 4) inkl. 1 Frau. 6) inkl. 27 Frauen. 6) inkl. 25 Frauen.
7) inkl. 43 Frauen. 8) inkl. 2 Frauen. a) inkl. 6 Frauen. 10) hier sind jedenfalls die Vet.-
Mediziner mitgerechnet, deren Zahl abzuziehen wäre. u) ausserdem 138 Zahmrzte.
Frequenz der Schweizer medizinischen Fakul¬
täten im Sommersemester 1907. Basel 175 (169 männliche.
6 weibliche) Studierende, Bern 538 (185 m., 353 w.), Genf 445 (203 m.,
242 w.), Lausanne 435 (131 m., 304 w.), Zürich 482 (253 m., 229 w.),
in Summa 2075, davon 941 männliche und 1134 weibliche Medizin¬
studierende.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 214. Blatt der Galerie bei: E m a n u e 1
Mendel. Vergleiche den Nekrolog auf Seite 1489 dieser Nummer.
Therapeutische Notizen.
Ueber Dyspnon bei Angina pectoris berichtet
Dr. Max Weissbart - München (im Zentralbl. f. d. ges. Therapie,
Heft 4, 1907). Dyspnon kommt in Tablettenform in den Handel
und ist zusammengesetzt aus : Theobromin. - Natr. s a 1 i c y 1.
0,25, Theobromin. -Natr. acetic. 0,1 und E x t r. Que-
bracho 0,1. Diese Art seiner Zusammensetzung aus Diuretin
und Agurin einerseits und der Quebrachorinde andererseits
veranlasste Weissbart, das Dyspnon bei Angina pec¬
toris und anderen Zuständen in Anwendung zu ziehen. Die erziel¬
ten Erfolge bestimmen ihn, das Mittel zur weiteren Prüfung zu
empfehlen. Besonders bei Arteriosklerotikern und Patienten mit
schweren Herzfehlern, wo man gerne mit den einzelnen Mitteln ab¬
wechselt, hält Weissbart das Dyspnon indiziert. Das kar¬
diale Asthma der Arteriosklerotiker und Herz¬
kranken wird durch Dyspnon günstig beeinflusst. F. L.
Zur Behandlung des Keuchhustens empfiehlt Bar-
d e t in der Aprilsitzung der Pariser Societe de Therapeutique das
E u c h i n i n. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es jeden bitteren
Geschmack verloren hat und daher leicht, besonders von Kindern,
zu nehmen ist. Man gibt es 5 mal täglich in Dosen von 0,2 und
zwar um ebenso viele Dezigramm zunehmend, als das Kind Jahre hat
oder zweimal soviel Zentigramm, als es Monate hat. Die Maximal¬
dosis ist 1,5; damit kann fortgefahren werden, bis die Anfälle ver¬
schwinden (15 — 30 Tage). B. gibt zu diesem Mittel noch Orthon (25
bis 30 Tropfen in Sirup, 3 mal pro Tag) als antispasmodisches und
anästhetisches Mittel und hat sehr gute Erfolge damit gehabt (all¬
mähliche Abnahme der Anfälle an Zahl und Stärke). Amat hebt
bei dieser Gelegenheit den günstigen Einfluss hervor, den er in einer
Anzahl von Keuchhustenfällen von der Schutzpocken¬
impfung und besonders der zweiten Impfung (Revakzination) ge¬
sehen hat. St.
Zur Behandlung der Stomatitis mercurialis emp¬
fiehlt P. M e i s s n e r - Berlin die bekannten Formaminttabletten, die
er sowohl als Prophylaktikum als auch bei teilweise schon vorge¬
schrittenen Stomatitisfällen mit gutem Erfolg anwendete. Die Ta¬
bletten wurden in stündlichen Pausen gegeben, als Mundwasser bei
der morgens und abends, wie nach jeder Mahlzeit vorzunehmen¬
den Zahnreinigung wurde essigsaure Tonerde mit Wasserstoffsuper¬
oxyd verordnet. M. hält sich für berechtigt zu sagen, dass die
Anwendung von Formaminttabletten bei Quecksilberkuren mit der
allergrössten Wahrscheinlichkeit das Auftreten der Stomatitis mer¬
curialis vermeiden lässt. (Therapie der Gegenwart, 1907, 7.) R. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 22. Juli 1907.
— In der Novelle zum Gesetz, betr. Abwehr und
Unterdrückung von Viehseuchen, die in der nächsten
Tagung des Reichstags zur Beratung kommen wird, soll auch die
Tuberkulose der Rinder in das Gesetz einbezogen werden.
Hierdurch wird der Aufsichtsbehörde das Recht verliehen, an Tuber¬
kulose erkrankte Rinder gegen entsprechende Entschädigung zu
töten. ‘
— Für die belgischen Aerzte, die Anfang August nach
Berlin kommen, hat sich aus der Mitte der Berliner Aerzteschaft
ein Empfangskomitee gebildet, dem sämtliche grosse ärztliche Ver¬
einigungen Berlins, sowie eine Reihe hervorragender einzelner Per¬
sönlichkeiten angehören. Die Begrüssung seitens der Berliner
Aerzteschaft wird bei einer zwanglosen Veranstaltung in Form eiqes,,
Bierabends stattfinden, der für Sonnabend den 10. August in Aussicht
genommen ist.
— In Bad Aibling ist vor kurzem ein neues nach Plänen
des Bauamtmannes S c h a c h ne r - München erbautes Kurhaus
feierlich eingeweiht worden.
— In Düsseldorf verurteilte die Strafkammer den vielfach vor¬
bestraften „Natur heil kundigen“ Karl Heinemann, der
unter Vorspiegelung ärztlicher Vorbildung eine bedeutende ärztliche
Praxis ausübte, viele Personen mit teilweise schlimmem Erfolge be¬
handelte und um Geldbeträge beschwindelte, zu 3 Jahren Zuchthaus.
— Das Rockefeller Institute for medical Re¬
search in New York hat 20 amerikanischen Aerzten zu wissen¬
schaftlichen Arbeiten Beihilfe geleistet. Leiter der Laboratörien des
Instituts ist zurzeit Simon Flexner.
— Die Jahresversammlung des Zentralverb an de s von
Ortskrankenkassen im Deutschen Reiche findet am
19. und 20. August in Mannheim statt. Auf der Tagesordnung stehen
u. a. : 1. Das Verhältnis der Krankenkassen zu den Aerzten (vergl.
Punkt 9 der Jahresversammlung 1906). Referent: Herr Albert K o Ni n-
Berlin. 2. Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes. Reterent: Heil
Apotheker Skalier- Charlottenburg. . . .
— Ein eigentümlicher Aerztestreik scheint sich in vv ies-
bäden vorzubereiten. Die Oberpostdirektion in Frankfurt a. M hat
kürzlich den Vertrag mit dem Vertrauensarzt der Wiesbadener I ost-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Verwaltung. Dr. S c h e 1 1 e n b e r g, deshalb gekündigt, weil dieser
bei der letzten Reichstagsstichwahl für den sozialdemokratischen
Kandidaten gestimmt hatte. Die ärztliche Bezirkskommission leitete
sofort Schritte ein, um die Folgerungen aus diesem Vorgehen der
Postbehörde zu ziehen, und die Verhandlungen der Postdirektion mit
anderen Wiesbadener Aerzten zwecks Uebernahme der gekündigten
Stellung scheiterten an dem ablehnenden Verhalten der Aerzte, die
sich mit Dr. Schell enb erg solidarisch erklärten. Der Leipziger
Aerzteverband wird voraussichtlich die Stellung des Postarztes
sperren. (Pharm. Ztg.)
— Eine neuartige Bereicherung der medizinischen Journal¬
literatur steht bevor mit der in Vorbereitung begriffenen Gründung
des „M edizinisch-natur wissenschaftlich es Archiv.
Zeitschrift für die gemeinsamen Forschungsergebnisse der klinischen
Medizin und ihrer gesamten Nachbargebiete“. Die Aufgabe des neuen
Archivs geht aus dem Untertitel hervor: es sollen die Forschungs¬
ergebnisse der Nachbargebiete der Medizin, wie Anatomie, Physio¬
logie, Physik, Chemie, Zoologie, Botanik, Hygiene und Bakteriologie
einerseits und die der klinischen Medizin andererseits gegenseitig
nutzbar gemacht werden. Das Archiv wird herausgegeben von Prof.
Fr. Henke- Königsberg, Prof. O. de la Camp - Erlangen und
Privatdozent A. P ü 1 1 e r - Göttingen und soll im Verlag von
Urban 6: Schwarzenberg in Berlin in zwanglosen Heften er¬
scheinen.
— Eine Zeitschrft für zahnärztliche Ortho¬
pädie zum Zwecke der Förderung und Vertiefung dieses Spezial¬
studiums der zahnärztlichen Wissenschaft wurde vor kurzem in
München ins Leben gerufen. Eine besondere Aufgabe des neuen
Fachblattes wird es sein, den textlichen Inhalt durch Wiedergabe
korrekter Bilder zu erläutern. Die Tendenz der Zeitschrift, bei der
zahlreiche in- und ausländische Autoren mitwirken, ist eine rein
wissenschaftliche. Für Interessenten werden Probeexemplare vom
Verlag, Theresienstrasse 27, kostenlos versandt.
Reim s. Dr. Bruandet wurde zum Professor der Anatomie
ernannt.
R e n n e s. Dr. A s s i c o t wurde zum Professor der ophthalmo-
logischen Klinik ernannt.
(Todesfälle.)
Dr. Grancher, früher Professor der pädiatrischen Klinik zu
Paris.
Dr. W. Koster, früher Professor der Anatomie an der medi¬
zinischen Fakultät zu Utrecht.
In London starb Sir William Broadbent, Leibarzt des
Königs, im Alter von 73 Jahren.
Personalnachricbten.
(Bayern.)
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Be-
zirksarzt I. Klasse Dr. Friedrich Hiemer in Altötting, seiner Bitte
entsprechend, wegen zurückgelegten siebzigsten Lebensjahres unter
Anerkennung seiner langjährigen, treuen und eifrigen Dienstleistung.
Berufung: Auf die erledigte Stelle eines Mitgliedes des Kreis¬
medizinalausschusses für Niederbayern wurde der Bezirksarzt I. Kl.
Dr. Anton S c h m i d in Vilshofen berufen.
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Altötting. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 3. August 1. Js. einzureichen.
Amtliches.
(Bayern.)
K. Staatsministerium des Innern.
— Pest. Aegypten. Vom 29. Juni bis 6. Juli wurden 13 neue
Erkrankungen (und 8 Todesfälle) festgestellt. — Britsch-Ostindien.
In Moulmein sind vom 2. bis 8. Juni 19 Personen an der Pest ge¬
storben. — Japan. Auf Formosa wurden im April 4-48 Erkrankungen
(und 388 Todesfälle) an der Pest angezeigt. In Yokohama sind vom
23. bis 29. Mai 3 tödlich verlaufene Pestfälle beobachtet worden,
auch wurden einige Pestratten gefunden. — Argentinien. In Cordoba
sind zufolge einer Mitteilung vom 4. Juni mehrere Pestfälle vor¬
gekommen, von denen 2 tödlich verliefen.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 30. Juni
bis 6. Juli sind 69 Erkrankungen (und 26 Todesfälle) angezeigt
worden, darunter in Köln 6 (3) [Köln Stadt], Düsseldorf 15 (7) [Essen
Land 8 (5)].
— In der 27. Jahreswoche, vom 30. Juni bis 6. Juli 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Liegnitz mit 33,1, die geringste Remscheid mit 4,7 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Masern und Röteln in Bielefeld, Heidelberg, Karlsruhe,
Linden. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Prof. Dr. Wilhelm His in Göttingen hat den Ru
als Nachfolger Leydens angenommen.
Greifswald. Privatdozent Professor Dr. med. Walte:
Stoeckel in Berlin hat einen Ruf als ordentlicher Professor de:
Geburtshilfe und Gynäkologie und Direktor der Frauenklinik als Nach
folger Martins erhalten und angenommen, (hc.)
Heidelberg. Geheimer Hofrat Dr. med. Franz K n a u f f
Ordinarius der Hygiene und der gerichtlichen Medizin an der Uni
versität Heidelberg, wurde auf sein Ansuchen von dem ihm im Neben
amt belassenen bezirksärztlichen Dienst mit Ausnahme der F.unk
tionen als Gerichtsarzt vom 1. August d. J. ab enthoben, (hc.)
Jena. Der Direktor der hiesigen Frauenklinik, Prof. Franz
hat einen Ruf nach Tübingen als Nachfolger Prof. Dö'der lein«
abgelehnt.
Leipzig. Habilitiert: Dr. med. Paul Schmidt, Assisten
bei Prof. Hofmann am hygienischen Institut der Leipziger Uni
versität, hat sich mit einer Probevorlesung „Ueber Pestverbreitum
und die Massregeln zur Verhütung vom See- und Landwege aus*
niedergelassen, (hc.)
M ü n c h e n. Am 20. Juli habilitierte sich für innere Medizir
Dr. Walther Brasch, Assistent der I. med. Klinik (Prof, v Bauer)
mit einer Probevorlesung über die Entstehung innerer Krankheitei
durch Traumen. Die Habilitionsschrift führt den Titel: ,Ueber da-
Verhalten nicht gärungsfähiger Kohlehydrate im tierischen Organis¬
mus. Mit besonderer Berücksichtigung des Diabetes“.
W ü rzbur g. Der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamtes
Franz Bumm in Berlin, und der Verlagsbuchhändler J. F. Berg¬
mann in Wiesbaden wurden von der medizinischen Fakultät zi
Ehrendoktoren ernannt.
Bologna Der Privatdozent an der medizinischen Fakultät zi
Neape Dr. G. F i n i z i o, habilitierte sich als Privatdozent für Kin¬
derheilkunde.
C. h.? r k 0 w. Dr. K. Elene-wsky habilitierte sich als Privat¬
dozent für pathologische Anatomie.
New York. Dr. P. F. Chambers wurde zum Professoi
der Gynäkologie am College of Phs^sicians and Surgeons ernannt
Die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1906 betreffend.
Auf die Verhandlungen der Aerztekammern Bayerns vom
29. Oktober 1906 ergeht nach Einvernehmen des Kgl. Obermedizinal-
-ausschusses nachstehende Verbescheidung:
1. Die Mehrzahl der Aerztekammern hat den schon im Jahre 1903
gestellten und neuerdings vom ärztlichen Bezirksverein Nürnberg
wiederholten Antrag, der Errichtung geschlossener Trinkerasyle
näherzutreten, unterstützt. Derselbe wird zunächst einer eingehenden
Beratung im verstärkten Obermedizinalausschusse unterstellt werden.
2. Dem Anträge der oberbayerischen Aerztekammer, in ange¬
messenen Zeiträumen für bewährte neuere Behandlungsmethoden be¬
sondere Sätze als Nachtrag zur ärztlichen Gebührenordnung fest¬
zusetzen, wird bei gegebenem Bedürfnis Rechnung getragen werden.
3. Bezüglich des Antrages, im Bundesrate dahin zu wirken, dass
bei den Vorberatungen zur Novelle des Krankenversicherungsgesetze-s
sachverständige Aerzte als Vertreter der Deutschen Aerzteschaft zu¬
gezogen werden, wird auf Ziffer 5 der Verbescheidung der Verhand¬
lungen der Aerztekammern im Jahre 1904 verwiesen.
4. Die von allen Aerztekammern beantragte Revision der Kgl
Verordnungen vom 6. Februar 1876, die Prüfung für den ärztlichen
Staatsdienst betreffend, ist in Instruktion begriffen.
5. Bezüglich des Antrages der mittelfränkischen Aerztekammer,
die Revision des Gesetzes über die öffentliche Armen- und Kranken¬
pflege betreffend, wird auf Ziffer 8 der Verbescheidung der Verhand¬
lungen der Aerztekammern im Jahre 1904 verwiesen.
6. Der Antrag der oberfränkischen Aerztekammer, die Revision
des Strafgesetzbuches betreffend, wurde dem zuständigen Staats¬
ministerium der Justiz zur Würdigung übermittelt.
gez. v. Brettreich.
Uebersich! der Sterbefälle in München
während der 27. Jahreswoche vom 30. Juni bis 6. Juli 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M ) 14 (22*)
Altersschw. (üb. 60 J.) 7 (6), Kindbettfieber — (— ), and. Folgen der
Geburt 1 (— ), Scharlach — (-), Masern u. Röteln 2 (8), Diphth. u.
Krupp 1 (2), Keuchhusten 2 (3), Typhus — (— ), übertragb. Tierkrankh.
— ( -), Rose (Erysipel) — (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 1 (2), Tuberkul. d. Lungen 28 (23), Tuberkul. and.
Org. 7 (4), Mihartuberkul. — (— ). Lungenentzünd. (Pneumon.) 7 (9),
Intluenza — (2), and. übertragb. Krankh. 2 (3), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 3 (3), sonst. Krankh. derselb. 2 (3), organ. Herzleid. 16 (14)
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 6 (9), Gehirnschlag
8 (8), Geisteskrankh. — (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 4 (5), and
Krankh. d. Nervensystems 5 (4), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 28 (37), Krankh. d. Leber 5 (3), Krankh. des
Bauchfells 1 (— ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 2 (2), Krankh d
Harn- u. Geschlechtsorg. 2 (1), Krebs (Karzinom Kankroid) 14 (13),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 2 (3), Selbstmord 2 (— ), Tod durch
tremde Hand ( — ), Unglücksfälle 4 (3), alle übrig. Krankh. 5 (4)
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 181 (197). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 17,2 (18,7), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,2 (11,9).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von j. F. Lcbroann
in München. - Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.Q.,
München.
05e Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
Jm Umfang von durchschnittlich 6 — 7 Bogen. # Preis der einzelnen
Nummer 80 4. • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf¬
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 8* 1/*— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. * Für
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Kiel. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München.
No. 31. 30. Juli 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medizinischen Klinik zu Leipzig.
Zur Diagnose der Urogenitaltuberkulose.*)
Von Privatdozenten Dr. Rolly, Assistenten der Klinik.
Die Veranlassung zur Anstellung der Ihnen heute mit¬
zuteilenden Untersuchungen gab folgender Fall: Mir wurde
von auswärts der Urin einer jungen Dame übergeben mit der
Bitte, denselben auf Tuberkelbazillen zu untersuchen. Die
betr. Dame hatte früher eine Spitzenaffektion überstanden,
klagte nun aber seit einiger Zeit über Beschwerden im Unter¬
leib und der Blase; sie wollte in 3 — 4 Wochen heiraten und
es wurde die Frage an mich gestellt, ob eine tuberkulöse Affek¬
tion die Ursache dieser Beschwerden sein könne und von der
Beantwortung derselben wurde die Hochzeit abhängig ge¬
macht.
Im Urinsediment fanden sich nun eine Menge Leukozyten,
Blasen- oder Vaginalepithelien und eine Unmasse von säure¬
festen Stäbchen, welche meist in Haufen zusammenlagen, aber
auch einzeln anzutreffen waren; eine Andeutung von zopf¬
ähnlicher Aneinanderlagerung der einzelnen Bazillen konnte
fernerhin vereinzelt nachgewiesen werden. Was die Form
und die Grösse der Stäbchen anlangt, so waren viele etwas
kürzer und dicker als der gewöhnliche Tuberkelbazillus, andere
glichen jedoch demselben in Grösse und Form aufs Haar; die
meisten Bazillen waren gerade gestreckt, einige etwas gebogen,
wie wir das bei den Tuberkelbazillen sehr oft sehen. Eine
reihenförmige Anordnung der Bazillen wurde verschiedentlich
ebenfalls beobachtet.
Die Resistenz sowohl gegen Säure als gegen absoluten
Alkohol erschien bei der Mehrzahl der Bazillen ausserordent¬
lich gross, selbst bei Vorbehandlung der Ausstrichpräparate
in Alkohol absolutus und 5 proz. Chromsäurelösung (nach
Bunge und T rantenroth1) und nachheriges Färben
konnten immerhin noch säurefeste Stäbchen im Präparate nach¬
gewiesen werden, während allerdings der grösste Teil der¬
selben sich bei diesem Verfahren entfärbt hatte.
Da ich auf Grund eines solchen Ergebnisses kein Urteil
in dieser wichtigen Sache abgeben konnte, so bat ich um
katheterisierten Urin von derselben Patientin. In der einen
Probe desselben fand ich nun diese säurefesten Stäbchen nicht
mehr, in einer anderen, mir einige Tage später übergebenen
konnte ich wieder, allerdings erst nach langem Suchen diese
säurefesten Stäbchen nachweisen, welche vereinzelt nur vor¬
handen waren, aber wie in den früheren Präparaten einen
grossen Grad von Säurefestigkeit besassen.
Zu gleicher Zeit stellte ich natürlich Kultur- und Tierver¬
suche mit Meerschweinchen an. Der Kulturversuch war ab¬
solut negativ, es kamen auf den gewöhnlichen Nährböden
(Bouillon, ülyzerinagar etc.) keine säurefesten Stäbchen zur
Entwicklung. Mit der Tötung der geimpften Meerschweinchen
musste natürlich vorläufig noch gewartet werden.
Mein Entscheid ging nun dahin, dass vorläufig noch nicht
mit Bestimmtheit behauptet werden könne, dass Tuberkel-
*) Nach einem am 28. V. 07 in der medizinischen Gesellschaft
iu Leipzig gehaltenen Vortrag.
1) Fortschritte der Medizin, Bd. 14, 1896.
No. 31.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
bazillen unter den säurefesten Stäbchen vorhanden seien und
dass zur endgültigen Erledigung dieser Frage noch der Tier¬
versuch abgewartet werden müsse, dass aber jetzt schon
manches in den Versuchsresultaten dafür spricht, dass ein
kleiner Teil der gefundenen säurefesten Stäbchen als Tuberkel¬
bazillen angesprochen werden könne.
Der weitere Verlauf der Erkrankung der Patientin und der
Tierversuch belehrten uns nun darüber, dass keine Tuberkulose
vorlag; die drei intraperitoneal und subkutan in der Schenkel¬
beuge mit dem Urinsediment geimpften Meerschweinchen
blieben gesund, es konnte noch nicht einmal eine Schwellung
der Mesenterial- resp. Inguinaldrüsen dieser Tiere nach
6 Wochen gefunden werden.
Der Gegenstand erschien uns wichtig genug, um ihn einer
erneuten Prüfung zu unterziehen.
Was zunächst die klinischen Symptome einer
tuberkulösen Erkrankung von Organen des Urogenitalapparates
anlangt, so sind dieselben natürlich, je nach dem Sitz, sehr viel¬
gestaltig. Auch wissen wir, dass sie der einzige tuberkulöse
Herd im Körper sein kann; in der Mehrzahl der Fälle werden
jedoch in anderen Organen und besonders in den Lungen
weitere Herde vorhanden sein.
Wenn eine tuberkulöse Erkrankung eines anderen Organes
besteht oder bestanden hat und es treten Beschwerden von
seiten der Urogenitalorgane dazu, so werden wir an eine
Tuberkulose daselbst denken müssen.
Im Beginn einer tuberkulösen Erkrankung des Urogenital¬
systems werden von der grossen Zahl der Patienten zuerst
Blasenbeschwerden geäussert. So fing z. B. von 30 an Uro-
genitaltuberkulose leidenden Patienten der med. Klinik zu'
Leipzig die Erkrankung mit Blasenbeschwerden 18 mal
(60 Proz.) an, 20 Proz. klagten zu Anfang des Leidens über
Schmerzen in der Nierengegend, in 10 Proz. der Fälle traten
als erstes Symptom renale Hämaturien mit und ohne kolik¬
artigen Schmerzen auf.
Ohne weitere klinische und pathologisch-anatomische
Untersuchungen könnte man bei einer Zusammenstellung dieser
ananmestischen Daten annehmen, dass bei weitem am meisten
zuerst die Harnblase von der Tuberkulose ergriffen werde und
von da aus alsdann die übrigen Urogenitalorgane infiziere.
Dem ist jedoch nicht so. Es liess sich nämlich meist der Nach¬
weis führen, dass die Niere der primäre Sitz der Erkrankung
war und sich erst sekundär von da auf den Ureter, Blase etc.
der tuberkulöse Prozess ausgebreitet hatte. Umgekehrt konnte
bei gleichzeitig bestehender Blasen- und Hodentuberkulose mit
Ausnahme eines Falles eruiert werden, dass zuerst eine Hoden-
erkrankung vorlag und später erst die Blase infiziert worden
war. Wir können demnach schon angesichts einer derartigen
Statistik den Schluss ziehen, dass eine primäre Blasen -
tuberkulöse im allgemeinen recht selten sein
dürfte und dass, wenn wir es mit einer tuberkulösen Blasen¬
erkrankung scheinbar allein zu tun haben, wir stets danach
forschen müssen, ob nicht eine tuberkulöse Erkrankung der
Nieren etc. neben der Blasentuberkulose besteht.
Da nun das klinische Bild der tuberkulösen Er¬
krankung eines oder mehrerer Organe nur wenig an sich für
Tuberkulose Charakteristisches aufzuweisen vermag, da genau
dieselben Erscheinungen auch bei ätiologisch anders gearteten
Erkrankungen dieser Organe bestehen können, so will ich hier
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
von der Aufzählung der klinischen Symptome dieser einzelnen
Erkrankungen absehen. Nur einen Punkt möchte ich noch her¬
vorheben, dass nämlich die Stärke der Beschwerden öfters
nicht im Einklang mit den krankhaften Veränderungen steht.
So sind manchmal starke Blasenbeschwerden vorhanden und
trotzdem finden wir keine tuberkulöse Erkrankung der Blase,
sondern nur eine solche der Nieren.
Wir beobachteten u. a. fernerhin einen akuten und chro¬
nischen Beginn der Erkrankung, ebenso ein langsam und
rascheres Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses bei unseren
Patienten.
Bei jederErkrankungdesUrogenitalap pa¬
rates, deren Aetiologie nicht sofort im An¬
fänge klar erscheint, ist es deshalb unbe¬
dingtgeboten, andieMöglichkeiteinertuber-
ku lösen Erkrankung zu denken. Die tuber¬
kulöse Natur des Leidens aber können wir
nur dadurch feststellen, dass wir den Tuber¬
kelbazillus im Urin oder in den sonstigen
Exkreten der erkrankten Organe nach weisen.
Dabei begegnen wir aber sofort beträchtlichen Schwierig¬
keiten. Wie allbekannt kommen sowohl beim Manne wie bei
der Frau in der Umgebung der Urethralmündung, ferner
namentlich zwischen den grossen und kleinen Labien, am Sul¬
cus coronarius des Mannes bei der Färbung sich ähnlich ver¬
haltende sogen, säurefeste Stäbchen vor, welche im Jahre 1885
von T a v e 1 und Alvarez2) und Matterstock zuerst
beschrieben und „Smegmabazillen“ genannt wurden.
Es fragt sich nun, ob in der Tat diese Smegmabazillen in
einem so grossen Prozentsätze in der Umgebung der Urethral¬
mündung Vorkommen, und demnach Veranlassung zu Täu¬
schungen mit den Tuberkelbazillen geben können. Meine zum
grossen Teile mit Herrn Biedermann3) angestellten Unter¬
suchungen ergaben nun, dass bei 24 Patientinnen, welche an
keiner tuberkulösen Affektion litten, 21 mal diese Smegma¬
bazillen in beträchtlicher Anzahl im Färbepräparat gefunden
werden konnten. Besonders zahlreich fanden sie sich zwischen
den Labia maiora et minora oberhalb oder in Höhe der Urethral¬
mündung. Aber auch noch im Vestibulum urethrae und sogar
in dem vorderen Teile der Urethra (3 mal unter 6 Unter¬
suchungen konnten diese säurefesten Stäbchen nachgewiesen
werden). Ebenso fanden sich bei Männern derartige säure¬
feste Stäbchen an der Corona glandis (5 mal unter 6 Unter¬
suchungen), auch bei Rindern werden sie in ungefähr derselben
Verhältniszahi angetroffen.
Die weiteren Untersuchungen beschäftigten sich alsdann
mit der Frage, ob vielleicht vermittels Ratheterisation des
Urins diese säurefesten Stäbchen aus dem Urin ferngehalten
werden könnten. Wenn mir nun auch diese Versuche zeigten,
dass das Urinsediment des katheterisierten Urins gewöhnlich
frei von diesen Smegmabazillen gefunden wird, so kann ich
mich auf Urund meiner Untersuchungen doch nicht der Mei¬
nung derjenigen Autoren anschliessen, welche glauben, dass
inan durch Raiheterisation eine Verunreinigung des Urins durch
Smegmabazillen vermeiden könne. Wie der eingangs erwähnte
Fall schon beweist, befanden sich in der einen Probe katheteri¬
sierten Urins säurefeste Stäbchen, welche keine Tuberkel-
bazilLn waren; bei 6 weiteren Patienten konnte ich fernerhin
in dem mit aller Vorsicht katheterisierten Urin keine säure¬
festen Stäbchen finden, während bei der 7. Patientin sich
wieder vereinzelte Smegmabazillen im katheterisierten Urin
nach weist n liessen.
Wir sind demnach zwecks Stellung einer sicheren Dia¬
gnose darauf angewiesen, diese Bakterien auch in dem mit
dem Ratheter entnommenen Urin mittels der uns zu Gebote
stehenden Methoden zu identifizieren und von einander zu
trennen.
2) Literatur bei Lubarsch, Ostertag: Ergebnisse 1904,
pag. 126, ferner in Kolle Wassermann: Handbuch der pathog.
Mikroorganismen, 1903, 11., pag. 99, ferner in Nothnagels Patho¬
logie und Therapie, XIV, 3, 17, 1899.
T Herr Biedermann wird über seine unter meiner Leitung
und Mithilfe angestellten Untersuchungen in einer demnächst erschei¬
nenden Dissertation berichten.
Mit solchen Methoden haben sich seit der Entdeckung des
Smegmabaziilus schon die verschiedensten Autoren beschäftigt,
ohne aber, dass über den diagnostischen Wert derselben eine
Einigkeit erzielt worden wäre. Im Gegenteil, die Versuchs¬
resultate und Schlüsse sind so widersprechend, dass es un¬
möglich ist, sich ohne eigene methodische Untersuchungen ein
Bild der Sachlage zu machen.
Es ist wohl ohne weiteres anzunehmen, dass das gleiche
färberische Verhalten der Tuberkelbazillen wie der Smegma¬
bazillen auf derselben oder einer ähnlichen Ursache beruht.
Von den meisten Autoren wird gegenwärtig angenommen, dass
der Gehalt des Protoplasmakörpers an Fetten oder fettähn¬
lichen Stoffen es ist, der die sogen. Säurefestigkeit bedingt.
Man muss dab.ei aber immer bedenken, dass mit dieser Säure- .
festigkeit über das ganze Leben der Bazillen, über ihre Patho¬
genität Tieren und Menschen gegenüber absolut nichts aus¬
gesagt ist.
Bei der Färbung der Smegmabazillen fiel uns nun sofort
auf, dass eine grosse Differenz in der Säure¬
festigkeit der einzelnen Individuen besteht.
Während verschiedene der Bakterien schon nach einer zwei¬
minutenlangen Einwirkung von 3 proz. Salzsäurealkohol bei
vorhergehender Rarboifuchsinfärbung die rote Farbe in unseren
Versuchen verloren, waren die Smegmabazillen anderer Patien¬
ten wieder so säurefest, dass sie noch nach 3 stündiger Ein¬
wirkung des Salzsäurealkohols nicht entfärbt wurden und hier
den Tuberkelbazillen an Säurefestigkeit nicht nachstanden. Wir
konnten aber auch in Präparaten von dem gleichen Patienten
eine derartige wechselnde Säurefestigkeit der einzelnen Ba¬
zillen erkennen. Besonders wenn die Entfärbung direkt unter
dem Mikroskope beobachtet wird, ist dieses Verhalten der
Bakterien ohne weiteres sehr gut zu beobachten.
Bei den Tuberkelbazillen geht diese Entfärbung, wenn sie
einmal begonnen hat, viel rascher vor sich; wird in solchen
Präparaten ein Bazillus farblos, so folgen sehr bald alle
übrigen nach. Es ist also bei den TuberkelbaziN
len keine so grosse Differenz und Inkonstanz
in der Säurefestigkeit vorhanden.
Besonders hervorzuheben ist noch folgende Beobachtung,
welche wir bei den Entfärbungsverfahren machten. Wenn
wir nach einer derartig meist länger dauernden Entfärbung mit
Salzsäurealkohol, wobei viele Bazillen entfärbt, nur ein Teil
noch rot gefärbt war, mit Methylenblau nachfärbten, so nahmen
die entfärbten Bazillen die blaue Farbe nur äusserst selten an.
Offenbar hatte der Salzsäurealkohol die Mehrzahl der Bazillen
so verändert resp. aufgelöst, dass dieselben nun mittels Me¬
thylenblaufärbung nicht mehr gefärbt wurden. Ein Teil der
Bakterien konnten als blasse, nicht mehr gefärbte Schatten ge¬
rade eben mit guten Immersionslinsen erkannt werden.
Es mag an dieser Stelle bemerkt werden, dass die Gestalt
und Grösse der Smegmabazillen in ein und demselben Ge¬
sichtsfeld sehr variieren kann. Wir sahen in unseren Prä¬
paraten Bazillen, welche die Grösse und Schlankheit der Tu¬
berkelbazillen hatten und auch manchmal eine mehr oder
weniger gekrümmte Form wie die Tuberkelbazillen zeigten.
Andere wieder erschienen viel dicker, kürzer und konnten ge¬
wöhnlich schon bei dem ersten Anblick von den Tuberkel¬
bazillen unterschieden werden. Weiterhin konnten wir, wenn
auch nicht so häufig, eine Granulierung oder Punktierung der
Smegmabazillen wahrnehmen, welche nach den Untersuch¬
ungen verschiedener Autoren nicht bei den Smegmabazillen,
sondern nur bei den Tuberkelbazillen Vorkommen soll.
Sehr verschiedenartig war die Gruppierung der Bakterien
im mikroskopischen Präparate. Oft lagen sie zusammen mit
grösseren und kleineren, nicht gefärbten, meist etwas stärker
lichtbrechenden Gebilden, welche offenbar von den Autoren für
epitheloide Zellen gehalten worden sind; wir können mit
Sicherheit nicht behaupten, um was es sich hier handelt. Da¬
neben fanden sich aber überall im Präparat völlig freiliegende
Bazillen; eine Lagerung in Zopfformen konnte manchmal, wenn
auch nicht besonders ausgesprochen, wahrgenommen werden.
Wir sind nach alledem wohl imstande,
schon allein durch Betrachtung der gefärbten
PräparateeinenTeilderBazillenfürSmegma-
b a z i 1 1 e n erklären zu können, den anderen Teil
30. Juli 1 007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
aber können wir nach Aussehen und Gestalt
und Färbung nicht von Tuberkelbazillen
unterscheiden.
Unsere Versuche beschäftigten sich weiterhin mit der
Entfärbung der Smegmabazillen vermittels einer 25 proz.
Schwefelsäurelösung. Wir konnten dabei feststellen, dass selbst
nach /^ständiger Einwirkung dieser 25 proz. Schwefelsäure¬
lösung in dem Ausstrichpräparat noch viele gut und schön rot
gefärbte Bazillen sichtbar waren.
Aehnlich waren unsere Resultate bei der Einwirkung von
absolutem Alkohol. Das Entfärbungsvermögen des absoluten
Alkohols ist augenscheinlich äusserst gering, nach Id ständiger
Dauer der Einwirkung war manchmal in den Präparaten über¬
haupt noch keine Differenzierung eingetreten. Wir können mit¬
hin den von vielen Autoren so besonders hervorgehobenen ge¬
ringen Grad von Alkoholfestigkeit der Smegabazillen im Ver¬
gleich zu den Tuberkelbazillen nicht bestätigen.
Am meisten hat sich uns bei der Differenzierung der
Smegmabazillen gegenüber den anderen Bakterien eine Kom¬
bination von Salzsäure (3 proz.) und absoluten Alkohol
bewährt. Die Resistenz der Bazillen ist jedoch gegen eitle der¬
artige 3 proz. Salzsäurelösung, wie oben schon ausgeführt, sehr
verschieden und unter Umständen ebenso gross oder noch
grösser wie bei dem Tuberkelbazillus, sodass eine Differen¬
zierung derselben auf diese Weise nicht erreicht werden kann.
Es musste demnach zu komplizierteren Färbungsverfahren
gegriffen werden. Pappenheims Methode, weiche auf
einer Behandlung resp. Nachfärbung der mit Karbolfuchsin
gefärbten Präparate mit Korallin (Rosolsäure) und Methylen¬
blau beruht, haben wir bis zu 30 Minuten ausgedehnt. Es
wurden aber auch auf diese Weise nicht sämtliche Smegma¬
bazillen entfärbt.
Nun wird von manchen Autoren angegeben, dass bei einer
Differenzierung der mit Karbolfuchsin gefärbten Präparate und
nachheriger Behandlung mit absolutem Alkohol alle Smegma¬
bazillen entfärbt würden. Bei einer Nachprüfung dieser Me¬
thode konnten wir feststellen, dass eine derartige Nachbehand¬
lung höchstens denselben Effekt wie eine ebensolange fortge¬
setzte Behandlung mit Salzsäurealkohol hatte. Infolgedessen
können wir auch die auf diesen Grundsätzen beruhenden Fär¬
bungen (z. B. die von Weichselbau m, Czaplewski)
nicht als sicheres Färbungsverfahren bei der Unterscheidung
von Smegma und Tuberkelbazillen hier bezeichnen.
Weiterhin schlugen Bunge und Trantenroth (1. c.)
um die manchmal sehr hohe Säurefestigkeit der Smegma¬
bazillen zu verhindern, vor, die Präparate mit Alkohol abso-
lutus und einer 5 proz. Chromsäurelösung vorzubehandeln,
darauf mit Karbolfuchsin zu färben, mit Schwefelsäure zu ent¬
färben und mit einer konzentriert alkoholischen Methylenblau¬
lösung nachzufärben. Bei einer Nachprüfung dieser Methode
zeigte sich uns nun, dass die grosse Mehrzahl der Smegma¬
bazillen wohl verschwunden, dass aber das ganze Präparat
durch die Vorbehandlung in starker Weise verändert war, dass
die Form der Bazillen verschiedentlich nicht mehr recht als
solche erkannt werden konnte. Andererseits jedoch muss zu¬
gegeben werden, dass in Kontrollpräparaten mit Tuberkel¬
bazillen enthaltendem Sputum dieselben mittelst der gleichen
Methode scheinbar nur in mässigem Grade entfärbt worden
waren. Aber in Anbetracht der starken Alteration der Prä¬
parate und weil trotzdem mittelst dieser von Bunge und
Trantenroth angegebenen Methode nicht sämtliche
Smegmabazillen entfärbt wurden, können wir sie ebenfalls
nicht als sicheres und zuverlässiges Unterscheidungsmittel
empfehlen.
In einer weiteren Versuchsreihe prüften wir den Einfluss
einer Reihe fettauflösender Mittel auf die Smegmabazillen, von
der Annahme ausgehend, dass die spezifische Färbung der¬
selben auf einer fettähnlichen Substanz der Bakterienleiber be¬
ruhe. Zuerst versuchten wir eine Vorbehandlung der Präparate
mit Aether. Dabei wurden im allgemeinen die Smegmabazillen
langsam zum Verschwinden gebracht. Jedoch zeigte sich auch
hier wieder, dass selbst nach 12 stündiger Einwirkung des
'Aethers noch einige Exemplare vorhanden waren und als solche
durch die spezifische Färbung dargestellt werden konnten.
( 3 1 5
Bei einer Vorbehandlung mit Alkoholäther kamen wir zu
ungefähr denselben Resultaten wie bei einer Vorbehandlung
mit Aether allein. Auch eine Vorbehandlung mit Chloroform
und Kalilauge hatte kein anderes bemerkenswertes Ergebnis.
Auf Grund unserer Resultate und derjenigen der Literatur
kommen wir mithin zu dem Schluss, dass bis jetzt kein
Färbeverfahren existiert, mittelst dessen
wir die Tuberkelbazillen von anderen, sehr
häufigimUrinsedimentvorkommenden säure¬
festen Stäbchen unterscheiden können. Mag
auch sehr oft manches mehr für den Smegmabazillus sprechen,
wie die plumpere Gestalt, die verschiedene Grösse der ein¬
zelnen Individuen, die Anordnung derselben zu einander, die
fehlende Körnelung, die wechselnde Säureresistenz usw., so
müssen wir aber doch nach den bisherigen Ausführungen be¬
denken, dass sich Smegmabazillen stets finden,
welche sich bei der Färbung genau so wie
Tuberkelbazillen verhalten können. Ja, Mar-
morek konnte sogar konstatieren, dass die jungen Tuberkel¬
bazillen einer Kultur gewöhnlich nicht so säureresistent sind
wie die alten.
Unsere ferneren Untersuchungen waren nun darauf ge¬
richtet, ob es uns vielleicht mittelst des Kulturver¬
fahrens gelingen würde, beide Bakterienarten zu unter¬
scheiden. Doutrelepont, Laser und Czaplewski4)
wollten den Smegmabazillus auf künstlichen Nährböden ge¬
züchtet haben. C. F r ä n k e 1 glaubt jedoch auf Grund seiner
Untersuchungen auf das bestimmteste behaupten zu können,
dass die von den Autoren gezüchteten Stäbchen nicht die echten
Smegmabazillen gewesen sind. In den letzten Jahren ist dann
scheinbar W e b e r 5) und M ö 1 1 e r 6) die Kultur der Smegma¬
bazillen geglückt; Weber konnte von 19 Smegmaproben
16 mal säure- und alkoholfeste Bazillen züchten.
Bei unseren eigenen Untersuchungen benützten wir zuerst
die gewöhnlichen gebräuchlichen Nährböden. Wir züchteten
aerob und anaerob, es gediehen aber niemals säurefeste Stäb¬
chen auf unseren Nährböden. Wie andere Untersucher, so
konnten auch wir manchmal Kolonien von Pseudodiphtherie¬
bazillen auf unseren Platten und Ausstrichen zur Entwicklung
bringen, sind aber, wie C. F r ä n k e 1, ebenfalls der Meinung,
dass dieselben mit den Smegmabazillen absolut nichts zu
tun haben. Es konnte nämlich verschiedentlich von uns direkt
nachgewiesen werden, dass in Ausstrichen auf Nährböden
die Smegmabazillen sofort nach der Impfung sehr zahlreich
waren und trotzdem konnten keine pseudodiphtherieähnliche
Stäbchen nach 1—3 Tagen daselbst gefunden werden, anderer¬
seits kamen Pseudodiphtheriebazillen reichlich an Stellen zum
Wachstum, woselbst keine säurefesten Stäbchen anfänglich
vorhanden waren.
Dagegen konnten öfter Kolonien von Kokken bei diesen
Untersuchungen gefunden werden, welche auf den verschie¬
denen Nährböden ähnlich dem Staphylococcus albus gediehen
und welche anfangs eine bestimmte Säurefestigkeit zum Teil
erlangt hatten. Nach 1 — 3 Umimpfungen war jedoch auch diese
Säurefestigkeit vollends verschwunden.
Ausser mit den gewöhnlichen Nährböden wurden ferner¬
hin noch mit komplizierten, zusammengesetzten Versuche an¬
gestellt. So vermischten wir die Nährsubstrate (Glyzerinagar,
gewöhnlicher Agar, Gelatine etc.) mit verschiedenen Fett¬
sorten (Sahne, Butter, Lanolin, Pflanzenfetten, frischen und ver¬
dorbenen Fetten), welche , keine oder auch nur eine mässige
Menge freier Fettsäure enthielten, infizierten dieselben piit
Smegma, welches reichlich säurefeste Stäbchen aufwies,
setzten ausserdem Zucker, Glyzerin, Harn, menschliches und
tierisches Serum und Blut bei den einzelnen Versuchsserien
hinzu, stumpften die Alkaleszenz des Nährbodens bei einei
weiteren Versuchsreihe ab, das Resultat dieser ausgedehnten
kulturellen Untersuchungen war jedoch stets negativ; es
konnten keine säurefesten Stäbchen auf den Kulturmedien nach-
gewiesen werden.
4) Literatur bei C. Frankel: Zur Kenntnis der Smegma¬
bazillen, Zentralbl. f. Bakteriol. 1901, pag. 1.
n) Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt, Bd. 19, 1902,
pag. 251.
(1) Zentralblatt f. Bakt. und Par. 1902, pag. 278.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIF?.
No. 3t.
io J6
Wenn cs nun trotzdem zwei Forschern anscheinend ge¬
lungen ist, die Smegmabazillen zu züchten, so können wir den¬
noch auf Grund unserer in dieser Hinsicht zahlreichen negativen
Untersuchungen behaupten, dass durch das Kulturver¬
fahren die Differentialdiagnose zwischen
Smegma-und Tuberkelbazillen bis jetzt nicht
gestellt werden kann.
Es bleibt somit als letztes Hilfsmittel zur Unterscheidung
nur der Tierversuch übrig. Wenn wir Meerschweinchen
tuberkelbazillenhaltiges Material subkutan oder intraperitoneal
injizieren, so entsteht stets eine typische Infektion. Es kommt
an der Injektionsstelle zu einer Entzündung, die regionären
Lymphdriisen erkranken ebenfalls, schwellen an und nach 3 — 4
Wochen, manchmal auch schon früher, tritt an diesen Stellen
eine Verkäsung auf.
Injiziert man aber smegmabazillenhaltiges Material, so
sieht man gewöhnlich keine Entzündung, niemals aber eine Ver¬
käsung an der Injektionsstelle oder den regionären Lymph-
driisen auftreten.
Von neun verschiedenen Patienten habe ich Smegma, welches
reichlich säurefeste Stäbchen aufwies, mit einem Löffel an den
äusseren Genitalien abgeschabt, in 9 Bouillonröhrchen aufgeschwemmt
und den Inhalt je eines Röhrchens einem Meerschweinchen (bei 6
Meerschweinchen intraperitoneal, bei 3 subkutan) in der Schenkel¬
beuge injiziert. Die Meerschweinchen vertrugen die Injektionen sehr
gut, erschienen nur den ersten Tag nach der Injektion gewöhnlich
etwas ruhiger und frassen an diesem Tage wenig, nahmen an Gewicht
aber nicht ab. Nach Ablauf von 5 — 6 Wochen wurden sie getötet.
Es fand sich bei der Sektion der 8 Meerschweinchen überhaupt nichts
pathologisches, nur bei einem subkutan geimpften fand sich eine
geringfügige Schwellung zweier Drüschen in der Schenkelbeuge,
welche keine Spur einer Verkäsung zeigten. Bei der mikroskopischem
Untersuchung dieser Drüsen fanden sich weder Bazillen noch Riesen¬
zellen.
Ich glaube demnach aus diesen Versuchen schliessen zu
können, dass die Smegmabazillen auch in sehr
grossen Dosen bei subkutaner oder intra¬
peritonealer Infektion bei Meerschweinchen
keine Erkrankung hervorrufen, welche mit Tuber¬
kulose verwechselt werden könnte, und ich befinde mich in
dieser Hinsicht in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren,
welche derartige Versuche angestellt haben. Auch bei Ka¬
ninchen, Hühnern und Tauben fielen derartige Versuche mit
Injektion von Smegmabazillen völlig negativ aus. Es dürfte
sich jedoch empfehlen, diese Untersuchungen nur bei Meer¬
schweinchen auszuführen, da wir stets mit den Smegmabazillen
viele pathogene Kokken etc. einimpfen, für welche das Meer¬
schweinchen nur sehr wenig empfänglich ist, die anderen Tiere
dagegen schwer erkranken und unter Umständen sterben.
Ob die subkutane oder intraperitoneale Injektion vorzuziehen
ist, vermag ich nicht zu entscheiden; ich würde empfehlen,
beide Arten der Infektion bei jeder einzelnen Untersuchung vor¬
zunehmen und einem Meerschweinchen intraperitoneal, einem
anderen subkutan in der Schenkelbeuge möglichst viel von dem
verdächtigen Material einimpfen. Misslich ist bei diesen Tier¬
versuchen nur der Umstand, dass wir erst nach mindestens
2—3 Wochen zu einer Diagnose zu gelangen. Mein Vorschlag
geht deswegen dahin, mehrere Tiere gleichzeitig zu einem Ver¬
such zu nehmen. Wir können alsdann vielleicht schon nach
8 Tagen bei einem Tiere die Sektion vornehmen; wird dabei
Verkäsung etc. gefunden, so ist die Diagnose sofort sicher, wenn
nicht, so müssen wir die Diagnose bis zur Tötung der anderen
Meerschweinchen noch weitere 1—2 Wochen in suspenso
lassen.
Auch wäre das in diesen Tagen publizierte Verfahren von
Bloch7) nachzuprüfen, welcher subkutan das auf Tuberkel¬
bazillen zu untersuchende Material in die rechte Schenkelbeuge
injiziert und zu gleicher Zeit die Drüschen in der Schenkelbeuge
durch Kneten und Reiben zwischen den Fingern malträtiert.
Der betr. Autor behauptet, dass auf diese Weise die injizierten
1 uberkelbazilen an diesen Orten sich schneller vermehren und
rascher die typischen Veränderungen hervorrufen können.
Aus all diesen Versuchen folgt also, dass
es nur vermittels des Tierversuchs möglich
ist, ein sicheres Urteil zu fällen, ob es sich bei
Anwesenheit von säurefesten Stäbchen im
Urinsediment oder Genitalsekret u m Tuber¬
kelbazillen handelt oder nicht. Infolge der Er¬
fahrungen, welche wir aus dem tinktoriellen Verhalten der
Smegmabazillen gewonnen haben, ist es wohl möglich, schon
durch die Färbung zu entscheiden, ob unter den vorhandenen
säurefesten Stäbchen Smegmabazillen sich befinden. Der Be¬
weis jedoch, dass keine Tuberkelbazillen vorhanden sind, ist
nur durch den Tierversuch zu erbringen.
Spricht nun das Auffinden von Tuberkelbazillen stets für
eine Tuberkulose der Harnwege? Es wäre a priori nicht un¬
denkbar, dass bei einer sonstwo im Körper lokalisierten Tuber¬
kulose die Tuberkelbazillen die nicht tuberkulöse Niere pas¬
sierten.
Ich suchte diese Frage dadurch zu lösen, dass ich den
Urin von 21 Patienten, welche an mittelschwerer und schwerer
Tuberkulose erkrankt waren, ohne dass der Harnapparat der¬
selben tuberkulös infiziert war (was die Sektion später be¬
stätigte), auf Tuberkelbazillen untersuchte. Ich verfuhr dabei
so, dass ich den Tagesurin sich absetzen liess, dieses Sediment
zentrifugierte und dasselbe Meerschweinchen intraperitoneal
injizierte. Bei 3 Patienten enthielt der Urin kleine Mengen, bei
weiteren 3 X> — 2% Prom. Albumen nebst Zylindern etc. Nur
in einem von diesen letzteren Fällen konnte ich auf diese Weise
Tuberkelbazillen finden.
Es ist also demnach nicht von der Hand zu
weisen, dass bei Tuberkulose anderer Organe
Tuberkelbazillen die Niere passieren können,
allerdings scheint dabei eine intensive Schä¬
digung derselben durch die in dem Körper
der Tuberkulösen kreisenden Toxine Be¬
dingung zu sein und auch nur bei Schwer¬
kranken vorzukommen, so dass wir an eine
derartige Eventualität bei den hier in Be¬
tracht kommenden initialen Fällen nicht zu
denken brauchen.
Da jede Erkrankung des Urogenitalapparates unter Um¬
ständen, wie bereits erwähnt, durch den Tuberkelbazillus ver¬
ursacht sein kann, und es zwecks Stellung einer Diagnose des¬
wegen vor allen Dingen darauf ankommt, denselben nach¬
zuweisen,. so seien wegen der Wichtigkeit des Nachweises die
hier etwas ausführlicher behandelten Unterscheidungsmerkmale
des Tuberkelbazillus und Smegmabazillus entschuldigt. Der
Wert solcherUntersuchungenwird auch dadurch noch besonders
erhöht, dass schon verschiedenen Autoren eine Verwechslung
derSinegmabazillen mit denTuberkelbazillen passiert ist, welche
sogar zu einem operativen Eingriff und Exstirpation der vermut¬
lich tuberkulösen Niere geführt haben. So berichtet L a a b s
über einen Fall, woselbst sich anstatt der vermeintlichen Nieren¬
tuberkulose ein Abszess in der Lendengegend zeigte; im
Mendelsohn sehen Fall wurde anstatt der erwarteten
Tuberkulose in der exstirpierten Niere eine Steinerkrankung, im
K ö n i g sehen Fall ein Nierensarkom gefunden, auch in dem
Bunge-Trantenroth und Milchner sehen 8) Falle
(1. c.) konnte keine tuberkulöse Affektion der exstirpierten Niere
nachgewiesen werden.
Die von Bunge und T rantenroth mitgeteilte Kran¬
kengeschichte ist deshalb interessant, weil hier zur Siche¬
rung der Diagnose ausserdem noch Tuberkulininjek¬
tionen vorgenommen wurden und die betr. Patientin schon
auf verhältnismässig kleine Gaben von Tuberkulin mit Fieber¬
steigerung reagierte.
Es dürften überhaupt Tuberkulingaben als diagnostische
Hilfsmittel bei dem Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung
des Urogenitalapparates, schon nach der allgemeinen Sachlage
zu urteilen, von geringem diagnostischen Werte sein. Meistens
fiebern diese Patienten an sich schon öfter des Abends, be¬
sonders aber kann sehr leicht in der Lunge oder sonstwo im
Körper ein latenter tuberkulöser Herd vorhanden, die Affektion
am Urogenitalapparat aber nicht tuberkulöser Natur sein, die
Reaktion wird in solchem Falle alsdann positiv erscheinen.
Ist nun vermittels der hier angeführten Methoden die tuber¬
kulöse Natur des Leidens nachgewiesen, so wird es die Auf-
7) Berliner klin. Wochenschr. 1907, No. 17.
8) Berliner klin. Wochenschr. 1904, No. 49.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1517
gäbe der übrigen Untersuchungsmethoden und zuletzt auch des
Zystoskops sein, den Sitz und die Ausdehnung der Affektion
festzustellen, um alsdann auf Grund der so erhaltenen Befunde
die erforderlichen Massnahmen zu treffen.
Aus der Kgl- Universitätskinderklinik in München (Vorstand:
Prof. M. P f a u n d 1 e r).
Zur klinischen Alexinprobe.
II. Mitteilung.
Getrennte Alexin-Zwischenkörperbestimmung.
Von Privatdozenten Dr. E r n s t M o r o, Assistenten der Klinik.
In neuerer Zeit hat sich vielfach das Bedürfnis geltend
gemacht nach einer klinisch verwendbaren Methode zur quan¬
titativen Bestimmung des Alexingehaltes menschlichen Blut¬
serums. Zur Bestimmung des Serumalexins hat man sich bis¬
her zumeist eines Verfahrens bedient, welches darauf beruht,
zu prüfen, in welcher Verdünnung bezw. in welcher absoluten
Menge das betreffend^ Serum eine bestimmte Masse von
Erythrozyten noch komplett zu lösen vermag. Gegen dieses
Vorgehen muss aber ein prinzipieller Einwand erhoben werden,
der sich aus der Kenntnis der komplexen Natur jedes Hämo¬
lysins von selbst ergibt. Nebst dem Alexin oder Komplement
ist für den Ausfall der Probe mitbestimmend der Zwischen¬
körper. Es muss daher eine gesetzmässige Proportionalität
zwischen der hämolytischen Energie eines Serums und seinem
Alexingehalt, was ich bereits in meiner ersten Mitteilung be¬
tonte, durchaus nicht immer bestehen. Schwankungen im
hämolytischen Vermögen eines Serums können unter Um¬
ständen ebensogut auch auf den wechselnden Gehalt an Zwi¬
schenkörpern zurückzuführen sein. Man hat es also gewisser-
inassen bei solchen Bestimmungen mit einer Gleichung mit
zwei Unbekannten zu tun, d. h. mit einer unauflösbaren
Gleichung.
Ich habe in Anlehnung an ein, der experimentellen For¬
schung seit langem dienliches Verfahren getrachtet, eine
klinisch verwertbare Methode auszuarbeiten, welche eine
dieser beiden Unbekannten (die Zwischenkörperwirkung) aus¬
schaltet und die andere, nämlich den Alexingehalt des Serums
möglichst rein bestimmen lässt. Das Prinzip dieses Verfahrens
beruht darauf, dass die zu lösende Erythrozytenmasse vorerst
von dem spezifisch differenzierten Zwischenkörper eines künst¬
lichen inaktivierten Immunserums quantitativ sensibilisiert
wird und dass man auf dieses System erst das auf seinen
Alexingehalt zu prüfende Serum einwirken lässt. Wenn man
in dieser Weise verfährt, so wird der Einfluss der natürlichen
Zwischenkörper des nachträglich zugesetzten, aktiven Serums
ganz oder wenigstens zum grössten Teile ausgeschaltet und so¬
mit die hämolytische Wirkung dem reinen Alexingehalt pro¬
portional.
Zweifellos trifft dies zu, wenn Alexin und Zwischenkörper
artgleich oder nahe artverwandt sind. So kommt es, dass ein
vom Kaninchen stammendes, spezifisches Immunserum die
entsprechenden Blutkörperchen für das Alexin des Meer¬
schweinchenserums in ausgezeichneter Weise vorzubereiten
vermag und umgekehrt; nicht ebenso verhält es sich dann,
wenn auf die für das Meerschweinchenalexin quantitativ sen¬
sibilisierten Blutkörperchen das vom Menschen stammende Se¬
rumalexin einwirken gelassen wird. Die Sensibilisierung er¬
weist sich in diesem Falle als eine für den Angriff des Menschen-
alexins nicht völlig ausreichende, und es bedarf noch einer,
wenn auch unbeträchtlichen, ergänzenden weiteren Sensi¬
bilisierung durch die natürlichen Zwischenkörper des aktiven
menschlichen Serums, damit sein Alexin die vollständige Hämo¬
lyse zu bewirken vermag.
Zu dieser Erkenntnis führten mich folgende Beobachtungen.
Gelegentlich meiner Untersuchungen an Neugeborenen fand
ich das Serum des Nabelvenenblutes auf das in meiner ersten
Mitteilung angegebene hämolytische System vollkommen wir¬
kungslos. Zunächst war daran zu denken, dass dieses Serum
alexinfrei sei. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit
dessen, belehrte mich der Eintritt der Hämolyse auf weiteren
Zusatz inaktiven, normalen Menschenserums zu dem Gemenge
(Hammclblutkörperchen — i. a. Hammelblutimmunserum vom
Kaninchen — menschliches Nabelvenenserum), dass das Ver¬
halten so ist , wie ich es vermutet habe. Das Serum des neu¬
geborenen Menschen enthält zwar Alexin, ist aber fast voll¬
ständig zwischenkörperfrei. Diesem Mangel an Zwischen¬
körpern war das Ausbleiben der Hämolyse in der ursprüng¬
lichen Kombination zuzuschreiben, denn es fehlten in diesem
Falle die früher angeführten Bedingungen, die zu einer aus¬
reichenden Sensibilisierung der Hammelblutkörperchen für das
Menschenalexin erforderlich sind.
Meine zweite Beobachtung bestand darin, dass ein mir
von Herrn Dr. Hans Sachs aus dem Ehrlich sehen In¬
stitute in liebenswürdigerweise zur Verfügung gestelltes, hoch¬
wertiges Hammelblutimmunserum vom Kaninchen für Meer¬
schweinchenalexin einen Titre von 1 : 1500 aufwies, während
das gleiche Serum in keiner Verdünnung, und auch nicht in
konzentriertem Zustande die Hammelblutkörperchen für das
Alexin des normalen Menschenserums ausreichend zu sensi¬
bilisieren vermochte.
Aus diesen Befunden ergibt sich mit grosser Wahrschein¬
lichkeit der Schluss, dass der Zwischenkörper die Wirkung des
von einer fernerstehenden Tierart stammenden Alexins nicht
oder nicht in vollkommenem Masse zu vermitteln vermag, mit
anderen Worten, dass auch das Alexin in gewissem
Sinne Art - oder zumindestens Gruppenspezi¬
fität besitzt.
Die Lehre, die wir daraus für die Methodik einer verläss¬
lichen Bestimmung des Menschenalexins ziehen, besteht darin,
dass zur Sensibilisierung der Hammelblutkörperchen eigent¬
lich strenggenommen nur die vom Menschen (vielleicht vom
Affen) stammenden Zwischenkörper zulässig sind. Da mir ein
Affenimmunserum nicht zur Verfügung stand, so musste ich
auf die Verwendung künstlicher Lysine verzichten und es blieb
mir nichts anderes übrig, als in der Folge mit den natürlichen
Zwischenkörpern des normalen Menschenserums zu arbeiten.
Auf diesem neuen Wege gelangte ich in der Tat zu einer Me¬
thode, die, wie ich glaube, brauchbare Resultate liefert.
Zur Erläuterung der Methode diene folgendes Beispiel:
0,05 ccm einer 10 proz. Hammelblutkörperchenemulsion werden von
o’,05 ccm eines mit gleichen Teilen physiologischer Kochsalzlösung
verdünnten Serums vom Menschen binnen zwei Stunden gerade noch
komplett gelöst. In dieser Serummenge müssen also genügend
Zwischenkörper vorhanden sein, um die angegebene Erythrozyten¬
masse quantitativ für das eigene Alexin zu sensibilisieren.
Lasse ich nunmehr zu der durch 0,05 ccm inaktivierten Halb¬
serums x sensibilisierten Erythrozytenmasse von neuem das aktive
Halbserum x einwirken, so erziele ich die komplette Hämolyse
bereits nach Zusatz von 0,015 ccm (die Menge entspricht dem Teil¬
striche 0,5 meines Leukozvtenmelangeurs).
Von meinem eigenen Halbserum y brauche ich zur kompletten
Hämolyse in diesem System 0,018 ccm (entspricht dem Teilstriche
0,6 meines Leukozytenmelangeurs).
Weitere Prüfungen an einer grösseren Zahl gesunder Er¬
wachsener führten regelmässig zum annähernd gleichen Er¬
gebnis. Somit durfte ich wohl ein menschliches Serum für
normal alexinhaltig ansehen. wenn 0,009 ccm Serum (lesp.
0,018 ccm Halbserum) das obige Gemenge zu kompletter Hä¬
molyse brachte. Bleibt bei dieser Kombination ein gev issci
Blutkörperchenrest ungelöst, dann handelt es sich offenbar um
eine mehr minder beträchtliche Alexopenie des betreffenden
Serums; erfolgt bei Zusatz noch geringerer Serummengen be¬
reits Hämolyse, dann ist der Alexingehalt des betreffenden
Serums ein vermehrter.
Eine gewisse Schwierigkeit, die leider nicht zu umgehen
ist, besteht nur in der geeigneten Auswahl jenes Individuums,
dessen Serum die sensibilisierenden Zwischenkörper liefern
soll. Dieses Serum soll zwei Forderungen entsprechen: Es
muss relativ reich sein an hämolytischen Zwischenkörpern und
es muss von einem gesunden Menschen stammen.
Ein zwischenkörperarmes Serum ist deshalb unbrauchbar, weil
zur Sensibilisierung der Blutkörperchen in diesem Falle zu grosse
Mengen des inaktivierten Serums erforderlich sind. Damit werden
Stoffe von unberechenbaren Nebenwirkungen in grösserer Quantität
dem System zugeführt, die auf den Ablauf der Hämolyse von stören¬
dem Einflüsse sein können. . . . ,
Sehr reich an hämolytischen Zwischenkörpern sind, wie ich an
einer grossen Reihe von Fällen beobachten konnte, Sera von Men¬
schen, die an akuten oder chronischen Allgemeininfckten leiden.
Derartige Sera sind jedoch für unsere Zwecke deshalb ungeeignet,
weil sie im inaktivierten Zustand die Alexinwirkung des nachträglich
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zugesetzten, auszuwertenden Serums zuweilen beträchtlich hemmen.
Der hemmende Einfluss dieser Sera beruht wahrscheinlich auf ihrem
Gehalt an Antikomplementen. Darunter versteht Moreschi be¬
kanntlich die durch die Inaktivierung komplementfrei gewordenen
komplexen Verbindungen von Antigen und Zwischenkörper, die in¬
folge ihrer grossen Avidität zum freien Komplement des zugesetzten
Aktivserums komplementablenkend wirken und so eine Hemmung
der Hämolyse herbeiführen können.
Bei der vergleichenden Auswertung des Alexins mit einem der¬
artigen Serum als Zwischenkörper erhält man, wovon ich mich zu
wiederholten Malen überzeugen konnte, viel zu niedrige Werte, und
cs ist aus diesem Grunde geboten, als sensibilisierendes Inaktivserum
nur das Serum gesunder, keinesfalls jenes infektionskranker Indi¬
viduen zu verwenden.
Ueber die quantitativen Beziehungen zwischen Rezeptor, Ambo¬
zeptor und Komplement in hämolytischen Systemen liegen aus der
Schule E h r 1 i c h s (insbesondere von Morgenroth und Sachs)
Untersuchungen vor, aus denen sich objektiv der wichtige und merk¬
würdige Tatbestand einer Reziprozität zwischen Komplement und
Ambozeptor in gewissen Fällen ergibt. Nach dem ursprünglichen,
einfachsten Schema der E h r 1 i c h sehen Hypothese ist diese Tat¬
sache nicht gut deutbar. Zu ihrer Erklärung haben Morgenroth
und Sachs einige Argumente herangezogen, wie insbesondere die
Aviditätsschwankungen an der komplementophilen Gruppe des Ambo¬
zeptors bei seiner Verankerung, ferner den Einfluss eines Ionenüber¬
schusses auf die Dissoziationsverhältnisse der — als reversiblen Pro¬
zess gedachten — Zwischenkörper-Komplementverbindung, endlich
die Lehre von den Partialambozeptoren und den dominanten Komple¬
menten; die Reihe solcher Argumente Hesse sich — nebenbei be¬
merkt — auf dem Boden der Spekulation wohl noch vermehren.
Praktisch lässt sich für unsere Methode aus diesen Forschungen
jedenfalls die Lehre ableiten, dass bei quantitativen Alexinbestim¬
mungen grosse Vorsicht geboten erscheint, namentlich dann, wenn
Alexin und Zwischenkörper nicht von derselben Spezies stammen,
aber auch dann, wenn die gegenseitig auszuwertenden Sera durch
bestehende Allergien irgendwelcher Art eine noch nicht näher ge¬
kannte Veränderung erlitten haben. Unseres Erachtens dürfte es
mit Rücksicht darauf heute überhaupt nicht möglich sein, irgend
eine Methode der klinischen Alexinbestimmung a priori als prinzipiell
einwandfrei zu bezeichnen; es wird vielmehr als Kriterium für die
Methode der Umstand, gelten dürfen, dass sich aus ihrer Anwendung
gewisse Gesetzmässigkeiten ergeben, die mit anderweitig gesicherten
Tatsachen in Beziehung stehen.
Nicht allein der Alexingehalt, sondern auch der Zwischen¬
körpergehalt gewisser Sera ist in klinischer Hinsicht von In¬
teresse. Um diesen letzteren zu ermitteln, bin ich in der Art
vorgegangen, dass ich die hämolytische Fähigkeit des nicht
inaktivierten Serums bestimmte. Wenn die vorangegangene
Alexinbestimmung einen normalen oder nahezu normalen Wert
ergeben hat, dann kann die kleinste Menge des aktiven Serums,
die noch zu kompletter Hämofyse führt, ein Mass für den Ge¬
halt dieses Serums an hämolytischen Zwischenkörpern er¬
geben. Hiebei ist nur vorausgesetzt, dass, was zumeist zu¬
trifft und was leicht geprüft werden kann, ein Ueberschuss von
wirksamen Alexin gegenüber dem Zwischenkörper vorliegt.
Allein auch dann, wenn das Alexin des auf seinen
Zwischenkörpergehalt zu prüfenden Serums stark vermindert
ist, wobei demnach die eben angeführte Methode kein verwert¬
bares Ergebnis zutage fördern kann, lässt sich zur Bestimmung
des Zwischenkörpers ein Weg finden. Das Mittel, welches hier
zum Ziele führt, liegt in der Verwendung von alexinhaltigen,
hingegen von Natur aus zwischenkörperlosen (oder zumin-
destens sehr zwischenkörperarmen) Flüssigkeiten als Kom¬
plement. Wir haben früher eineJ Serumart, die diesen Be¬
dingungen entspricht, kennen gelernt, nämlich das Nabel¬
venenserum.
Selbstverständlich muss das Nabelvenenserum hier, wo es als
Alexinträger fungieren soll, in frischem Zustande zur Anwendung ge¬
langen und es eignen sich zu dieser Probe nur solche Sera die
nahezu zwischenkörperfrei sind. Da diese letztere Voraussetzung
nicht immer zutrifft, so ist es notwendig, sich vorerst davon zu über¬
zeugen, ob das betreffende Nabelvenenserum nicht schon allein und
zwar in relativ geringer Konzentration zu hämolysieren vermag.
Die Menge des auf seinen Zwischenkörpergehalt zu prü¬
fenden inaktiven Serums, die im System; Hammelblut — ak¬
tives Nabelvenenserum (als Alexin) zur kompletten Hämolyse
führt, ist uns demnach in einem derartigen Falle das Mass für
den Zwischenkörpergehalt des betreffenden Menschenserums.
No. 31.
Ueber haltbare feste Verbindungen einwertiger Phenole
und deren Vorzüge für die Praxis.*)
Von Privatdozent Dr. Eugen S e e 1 in Stuttgart.
Seit der Entdeckung der antiseptischen Eigenschaften des
Phenols (= Karbolsäure) und dessen homologer Ver¬
bindungen, besonders der Methylphenole (= K r e s o 1 e)
sind hunderte von Arbeiten erschienen, welche deren gute
Desinfektionskraft und die dadurch hervorgerufene ausgedehnte
Anwendung derselben als therapeutische Mittel beweisen.
Wenn demnach auch zur Zeit diese Präparate als vorziig- '
liehe Antiseptika anerkannt sind, so bedurfte es doch vieler
Versuche, eine leicht dosierbare Form für ihre praktische Ver¬
wendung zu finden, d. h. diese bei gewöhnlicher Temperatur¬
leicht zerfliesslichen oder flüssigen Mittel in einen festen und
haltbaren Aggregatzustand und eine handliche Form überzu¬
führen und so ihre Dispensation ähnlich wie die Sublimat¬
pastillen in der heute so beliebten Tablettenform zu ermög¬
lichen. ^
Dies ist den Bemühungen des Chemikers Dr. G e n t s c h
gelungen, nach dessen Verfahren schön krystallisierte
Doppelverbindungen von Phenolalkalisalzen
mitPhenolen jetzt leicht dargestellt werden können. Von
denselben verdienen die Kaliumverbindungen der Karbolsäure
und des Meta- und Parakresols besonderes Interesse, da die
des Orthokresols, dem ja auch die geringste desinfizierende
Wirkung unter den drei isomeren Kresolen zukommt, ebenso
wie die fast analog zusammengesetzten Natriumsalze wegen
ihrer hygroskopischen und anderer Eigenschaften, auf die hier
nicht näher eingegangen werden kann, weniger zur Herstellung
haltbarer Tabletten geeignet sind.
Die Kaliumverbindungen bestehen aus drei Molekülen
Phenol bezw. Kresol und einem Molekül Phenolkalium bezw.
Kresolkalium und besitzen die Formeln:
OH OK
3 CeH&OH • CeHsOK bezw. 3 C6H4<^ • CßH^
CHs XCH3
demnach kommt auf 4 Phenole bezw. Kresole nur ein Kaliumjon.
1. Die Karbolsäureverbindung.
Während die krystallisierte Karbolsäure = C« Hs OH
schon bei 43 0 schmilzt und daher auch in der von Salz-
m ann1) angegebenen Pastillenform, besonders im Sommer
nicht haltbar war, liegt der Schmelzpunkt obiger Kalium¬
verbindung 3 CßHsOH . C«HsOK bei 106 — 108 °, so dass sie ohne
jeden Zusatz von Seife oder anderen Bindemitteln leicht zu
schönen, rein weissen Tabletten geformt werden kann, wie sie
von der bekannten Hamburger Lysolfabrik Schülke und
Mayr dargestellt werden.
Die chemische Analyse dieser Tabletten hat er¬
geben, dass sie tatsächlich nur aus der obigen Kaliumver¬
bindung des Phenols bestehen; denn es wurde 8,8 Proz. (Mittel
von zwei Bestimmungen) Kaliumjon und 90,5 Proz. Karbolsäure
neben geringen Mengen Feuchtigkeit ermittelt.
Durch die bakteriologische Prüfung, deren Re¬
sultate später mit der genauen Beschreibung der chemischen
und der noch nicht ganz abgeschlossenen klinischen Unter¬
suchung dieser und der obengenannten Kresolverbindungen an
anderer Stelle ausführlich veröffentlicht werden sollen, wurde
festgestellt, dass die Desinfektionskraft dieser Phenol-Phenol¬
kaliumverbindung dem reinen Phenole = Karbolsäure nicht
nachsteht, was auch schon Wesenberg2) bepbachtet hat.
Hinsichtlich ihrer sonstigen Eigenschaften sei besonders
hervorgehoben die leichte Löslichkeit der nun kurz¬
weg „K a r b o 1 s ä u r e t a b 1 e 1 1 e n“ genannten Pastillen in
Wasser, mit dem sie in jedem Verhältnis eine klare Lösung
geben, sodass im Bedarfsfälle auch stärkere Lösungen als die
gewöhnliche 5 proz. der Karbolsäure gut bereitet werden
können, ferner die geringere Fähigkeit, die Finger anzugreifen,
was für Aetzungen, wie sie von massgebenden Forschern mit
*) Eingegangen am 15. April 1907.
G Deutsche militärärztüche Zeitschrift 1897, XXVI, 279.
■) Zentral!)!, f. Bakterienlehre, Parasitenkunde und Infektions¬
krankheiten, 1905, Bd. 38. / .
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1519
fester Karbolsäure empfohlen wurden, besonders vorteilhaft
erscheint, da man eine Tablette leichter und sicherer zwischen
den Fingern (nötigenfalls unter Zuhilfenahme eines Tuches) als
mittelst Pinzette oder Stift festhalten kann. In bezug auf die
Entstehung von Karbolgangrän bei Umschlägen und dergl.
werden die Versuche noch fortgesetzt.
2. Die Kresolverbindungen.
Diese können als feste Seitenstücke zu dem Lysol an¬
gesehen werden und zwar eignen sich hiezu am besten, wie
schon oben erwähnt, die Doppelverbindungen dei
Kaliumsalze des Meta - und Para-Kresols, von
diesen wiederum scheint die Paraverbindung wegen ihres
billigeren Preises, höheren Schmelzpunktes und der damit ver¬
bundenen Vorteile für die Bereitung haltbarer 1 abletten das
Feld zu behaupten ; denn die Lysolfabrik S c h ü 1 k e und Mayr
stellt nur die Paraverbindung her und bringt sie mit einem
geringen Seifenzusatz in Form schöner gleichmässiger, weisser
Tabletten unter dem Namen „P a r a 1 y s o 1“ in den Handel.
Mit beiden Verbindungen habe ich seit längerer Zeit Unter¬
suchungen angestellt und über die aus der
Metakresolkaliumverbindung
vom Schmelzpunkt 88° bereiteten Tabletten in einem
Vortrage „Ueber Arzneitabletten“ auf der Naturforscherver¬
sammlung in Stuttgart 1906 bereits kurz berichtet3). Diese
sind auch schon von Wesenberg ( loc. cit.) einer bakteiio-
logischen Untersuchung unterworfen worden, sodass für diesen
Teil meiner Prüfung einige Versuche genügten, da sie die Re¬
sultate Wesenbergs bestätigten.
Bei der chemischen Analyse der aus der Meta¬
kresolkaliumverbindung hergestellten Tabletten
wurden bei mehreren Bestimmungen 72 — 75 Proz. Metakresol,
4, 5—5 Proz. Kaliumjon, 18—20 Proz. Fettsäure, geringe Mengen
Natrium nebst Spuren von Kalzium, Magnesium, Aluminium
und Kieselsäure gefunden; letztere sind wahrscheinlich nur
Verunreinigungen der Seife; demnach bestanden die Tabletten
aus 75—80 Proz. der Metakresolkaliumverbindung von der
Formel
OH(t) OK(0
3 CeH^ • CeH4<(
xCH3(3) CH(b)
und 20 — 25 Proz. fester Seife.
Durch dieklinischenVersuche, für die mir durch
das Entgegenkommen des Herrn Professors Dr. U e b e 1 e,
der mir auch die Anregung zur Untersuchung dieser für die
Praxis so wichtigen Verbindungen gab, Versuchstiere und hier¬
auf eine grosse Anzahl Patienten der Klinik für kleinere Haus¬
tiere der hiesigen Tierärztlichen Hochschule zur Verfügung
standen, konnte ich feststellen, dass die Tabletten in ihrer
Wirkung im wesentlichen die bekannten guten antiseptischen
Eigenschaften des Metakresols besitzen. Auch die toxi¬
kologische Prüfung führte zu ähnlichen Resultaten,
wie sie von T o 1 1 e n s 4) im pharmakologischen Institute in
Qöttingen für das Metakresol erhalten wurden.
Hinsichtlich der Desinfektionskraft wurde im Ein¬
klang mit den Resultaten der chemischen und bakteriologischen
Untersuchung festgestellt, dass 2 1 abletten ä 1 gr 3 gr Lysol
bezw. dem offizineilen Liq. Cresoli saponat. und 4 gr Karbol¬
säure gleichkommen und somit diese bewährten Desinfektions¬
mittel infolge ihres höheren Kresolgehaltes übertreffen.
Nach den Untersuchungsergebnissen der festen Meta¬
verbindung des Kresols war zu erwarten, dass auch
die feste
Parakresolkalium Verbindung
inihrer Wirkung im allgemeinen derjenigen des reinen Parakresols
gleichkommen würde. Da aber gerade diese Substanz, die erst bei
147° schmilzt, unter dem Namen „Paralyso 1“ in die Therapie
eingeführt werden soll, so schien doch eine eingehende che¬
mische, bakteriologische und klinische Prüfung nötig zu sein,
da man die Wirkung eines Mittels nach seiner chemischen Zu¬
sammensetzung nie voraus bestimmen kann und oft schon durch
kleine Verschiedenheiten in der chemischen Konstitution die
physiologische und pharmakologische Wirkung bedeutend ver-
3) Wiener med. Wochenschr., No. 21 und 22, 1906.
4) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol., 52, 220, 1905.
ändert wird ; sind doch nicht unerhebliche Unterschiede in dieser
Beziehung gerade bei den drei isomeren Kresolen, des Ortlio-,
Meta- und Para-Kresols vorhanden und verhalten sich doch
auch die einfachen Alkalikresolate in ihrer Wirkung ganz
anders als die entsprechenden Kresole selbst.
Die chemische Analyse der Paralysol¬
tabletten, die nach einer Mitteilung der Fabrik aus 85 Proz.
der reinen Doppelverbindung
OH(i) OK(i)
3 CeH4<( • CeH4<^
CH3(4) CH3(4)
und 15 Proz. fester Seife nebst einem geringen geruchver¬
bessernden Zusatze bestehen sollen, bestätigte diese Angaben;
denn es wurde bei zwei Bestimmungen ein Durchschnittsgehalt
von 78,5 Proz. Parakresol und 8,6 Proz. Kaliumjon (= zu¬
sammen 87 Proz. des Doppelsalzes Parakresol-Parakresol-
kalium) neben 12,6 Proz. Fettsäure und Spuren von Natrium
ermittelt; die Identität der geruchverbessernden Substanz
konnte wegen ihrer geringen Menge nicht festgestellt werden.
Ein grösserer Zusatz derselben oder eines noch besseren
Parfümierungsmittels dürfte zur Verdeckung des Kresol-
geruches bei den Tabletten noch gemacht werden, ohne dass
dadurch die Desinfektionskraft der Paralysoltabletten merklich
herabgedrückt würde.
Die Resultate der bakteriologischen Prüfung,
die mit Bact. coli, Bac. pyocyaneus, Staphylococcus pyogenes
aureus und Bac. anthracosis unter Berücksichtigung der von
Qeppert5), Heim6) und Paul7) gegebenen Anleitungen
für die Wertbestimmung der Desinfektionsmittel ausgeführt
wurde, mögen auszugsweise hier in Kürze angegeben werden,
da über die Paralysoltabletten bisher noch nichts veröffent¬
licht ist.
Bact. coli: Durch 0,5 proz. Paralysollösung, mit
Brunnen- oder destilliertem Wasser bereitet, nach 1 Minute
vollständige Abtötung, durch 1 proz. Lösung bereits nach X
Minute, durch höhere Konzentrationen nach X Minute bezw.
sofort.
Pyozyaneus: Durch 0,6 proz. Lösung nach 1 Minute
schon vollständige Abtötung; schwächere Lösungen, wie z. B.
mit nur 0,3 Proz. Paralysolgehalt wirken in den ersten 5 Mi¬
nuten kolyseptisch, dann auch antiseptisch; durch ein und mehr
prozentige Lösungen wird schon nach K Minute bezw. sofort
vollständige Abtötung erzielt.
Staphylokokkus: Durch 0,5 proz. Lösung nach 2
bis 6 Minuten kolyseptische, nach 7 Minuten antiseptische Wir¬
kung; durch 1 proz. Lösung schon nach 3 Minuten vollständige
Abtötung, die durch höhere Konzentrationen in entsprechend
kürzerer Zeit erreicht wird.
Anthrax: Durch 2 proz. Lösungen nach 10 Tagen
noch keine Wirkung; durch 5 proz. Lösungen Abtötung nach
8 Stunden.
Im Vergleich mit der Wirkung der aus der Metakresol¬
kaliumverbindung hergestellten Tabletten hat sich ergeben,
dass die Lösung der Paralysoltabletten ä 1 gr die aus der
analogen Metakresolverbindung bereiteten Pastillen ä 1 gr noch
übertreffen, was jedoch nur auf den höheren Kreosolgehalt
zurückzuführen ist. Vergleicht man die antiseptische Wirkung
beider Verbindungen bei gleichem Kresolgehalt, so stehen die
Lösungen der aus Parakresol bereiteten Tabletten qualitativ
gegen die aus Metakresol hergestellten Pastillen etwas zurück,
was mit früheren Untersuchungen über die Kresole selbst z. B.
von Seybold8) übereinstimmt. Da man aber in der Praxis
nicht auf den Gehalt an Kresolen umrechnen will, so kann man
die Desinfektionskraft der Paralysoltabletten infolge ihres
höheren Gehaltes an wirksamer Substanz ungefähr in der¬
selben Weise angeben, wie ich es oben für die aus der Metaver¬
bindung hergestellten Pastillen schon getan habe, d. h. 2 Ta¬
bletten Paralysol ä 1 gr entsprechen 3 gr Lysol
bezw. Liq. Kresoli saponat. oder 4 gr Karbol¬
säure.
5)
6)
8)
S. 377,
Deutsche med. Wochenschr., 1891, No. 25.
, Lehrbuch der Bakteriologie, 2. und 3. Auflage._
) Zeitschr. f. angew. Chemie, 1901, No. 14 und 15.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten,
1898, Bd. 29,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1520
Für die gewöhnlichen Desinfektionszwecke wird demnach
eine 1 proz. Paralysollösung genügen. Dieselbe ist völlig klar,
wenn sie mit destillierten Wasser bereitet wird; mit Brunnen¬
wasser entsteht eine je nach der Härte bezw. von dem Kalkge-
haltc des Wassers abhängige mehr oder weniger deutliche Trü¬
bung, wodurch jedoch die Durchsichtigkeit der Lösungen kaum
beeinträchtigt wird; denn die Paralysoltabletten enthalten ja nur
10 — 15 Proz. Seife. Dieser geringe Seifengehalt macht die
Instrumente nicht schlüpfrig und greift die Hände nicht an.
ln warmem Wasser ist die antiseptische Wirkung der Ta¬
bletten, wie bei vielen andern Desinfektionsmitteln, noch etwas
ausgiebiger, weshalb auch die Lösungen am besten mit lau¬
warmen Wasser bereitet werden; wenn keine besondere Eile
nötig ist, so genügt zur Desinfektion der Instrumente und meist
auch der Hände schon eine >2 proz. lauwarme Lösung der Para¬
lysoltabletten.
Bei der Feststellung der an ti parasitären Wir-
k 11 n g, die nach einem einfachen, von Herrn Prof. Dr. U e b e 1 e
gezeigten und an anderer Stelle näher zu beschreibenden Ver¬
fahren an Dermatokoptesmilben versucht wurde, sind bis jetzt
keine befriedigenden Resultate erhalten worden; insbesondere
konnten dieselben nicht mit den von J. B r a n d 1 und
F. G m e i n e r 9) mitgeteilten Ergebnissen, welche diese mit
Liq. Kresoli saponat. und der Karbolsäure erzielten, in Einklang
gebracht werden, weshalb noch einige derartige Versuche an¬
zustellen sind.
Die klinische Prüfung, die noch fortgesetzt werden
soll, hat bis jetzt gleichfalls die Uebereinstimmung in der Wir¬
kung mit derjenigen des Parakresols ergeben. Hinsichtlich der
toxischen Wirkung wurde kein wesentlicher Unter¬
schied zwischen der Meta- und Paraverbindung der Kresol-
doppelsalze festgestellt.
Nachdem es bis heute noch kein absolut ungiftiges
Desinfektionsmittel gibt, muss diesem Umstand Rechnung
getragen werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass die
Tabletten, in toto oder Stücken z. B. Hunden eingegeben,
bei weitem nicht die grosse Giftigkeit zeigen, wie ihre Lö¬
sungen, da sie wohl wegen ihres Seifengehaltes und der festen
Komprimierung sehr langsam resorbiert werden,
so dass sie neben örtlichen Aetzungen nur die Wirkung kleinerer
Dosen hervorrufen.
Diese Beobachtung erscheint von Wichtigkeit, falls durch
irgendwelche Zufälle solche Tabletten von Kindern verschluckt
werden sollten; sie können demnach nicht so giftig wirken wie
eine Dose Lysol von gleichem Kresolgehalte.
Man kann daher behaupten, dass das Paralysol als
feste Substanz weniger giftig wirkt als eine nach ihrem
Kresolgehalte gleich starke Menge Lysol,
v _ _
Die grossen Vorteile, welche diese festen Verbin¬
dungen der Karbolsäure und der Kresole vor diesen selbst
haben, bestehen hauptsächlich darin, dass sie leicht mit und
ohne Seifenzusatz zu haltbaren Tabletten von einheitlicher und
leicht zu kontrollierender Zusammensetzung geformt werden
können; denn gerade bei diesen Desinfektionsmitteln, von denen
der Mediziner, sei er Arzt, Tierarzt oder Zahnarzt, sich so
häufig eine Lösung von bestimmtem Gehalte in der Sprech¬
stunde, Klinik, bei Geburten, Operationen etc. selbst anfertigen
oder durch Hilfskräfte, wie Wärter, Hebammen und dergl. be-
1 eiten lassen muss, ist die Dispensation des Medikamentes in
I ablettenform mehr als bei allen anderen Mitteln berechtigt
und in den meisten Fällen sogar notwendig. Es bedarf daher
keines weiteren Hinweises auf die oft unrichtige Darstellung
von Lösungen der flüssigen Karbolsäure oder des Lysols durch
das niedere Heilpersonal und die die Pflege der Patienten über¬
nehmenden Angehörigen, wofür denselben in der Regel kein
\oivuif gemacht werden kann. Bei Verwendung der Ta¬
bletten sind solche Versehen so ziemlich ausgeschlossen.
Ganz besonders geeignet sind die T a -
b 1 e tt e n zur bequemen und gefahrlosen Mitnahme auf Reisen,
nii die Praxis usw. hin Röhrchen mit 15 Tabletten hat nur die
< flösse einer dicken Zigarre; der Inhalt kann wegen seiner kom¬
pakten Form im halle des Zerbrechens des Röhrchens, was
') Alb rechts Wocliensclir. f. Tierheilkunde, München 1900.
jedoch bei dem von der Fabrik verwendeten starken Glase
ausgeschlossen zu sein scheint, der Umgebung keinen Schaden
bereiten, wie er durch Karbolsäure oder Lysol infolge ihres
flüssigen Aggregatzustandes in empfindlicher Weise entsteht.
Weitere Vorzüge dieser festen Desinfektionsmittel an¬
zuführen, halte ich für überflüssig, da jedem Arzte die Vorteile
eines festen Medikamentes in der leicht und genau dosierbaren
Tablettenform gegenüber einer flüssigen Substanz zur Genüge
bekannt sind.
Das Gesamtergebnis vorstehender Unter¬
suchungen lässt sich kurz dahin zusammen¬
fassen, dass die neuen Verbindungen, sowohl
die Doppelsalze des Phenols mit Phenol¬
kali u m als auch diejenigen der Kresole mit
Kresolkaliu m, sich im allgemeinen hinsicht¬
lich i h r e >r Wirkung nicht anders verhalten
wie die Karbolsäure und die entsprechenden
Kresole, da sie ja keine eigentlichen Pheno-
late oder Kresolate, sondern Doppelverbin¬
dungen von drei Molekülen Phenol bezw.
Kr eso! mit nur einem Molekül Kaliumpheno-
lat bezw. Kaliumkresolat sind. Durch diese
Konstitution der Doppelsalze findet die
Uebereinstimmung in der Wirkung mit der
Karbolsäure bezw. den Kresolen genügende
Erklärung. Wir haben also in diesen Doppel¬
verbindungen eigentlich kein neues Des¬
infektionsmittel, sondern nur die allbewähr-
ten guten Mittel (= die Karbolsäure und die
Kresole) in anderer Form, d. h. anderem Ag¬
gregation szu stände, der es ermöglicht, die
betr. Präparate als haltbare Tabletten ver¬
wenden zu können; darin bestehen auch die
Hauptvorzüge dieser Verbindungen.
Vikariierende Respiration.
Von Prof. Dr. Geigel in Würzburg.
Wenn von paarigen Organen eines seinen Funktionen nicht
mehr oder nicht vollständig nachkommen kann, so ist es eine
häufige und allgemein wohlbekannte Tatsache, dass der andere
Paarling die Funktion des geschädigten mit übernimmt, vikari¬
ierend für ihn eintritt. Bei den Lungen heisst man es allgemein
das „vikariierende Emphysem“, das sich auf der noch ge¬
sunden Seite einstellt, wenn die andere Lunge in beträchtlichem
Masse vom Atemgeschäft ausgeschlossen ist. Man heisst es
wohl so, weil oft, aber auch nicht immer, die Lungengrenzen
auf der gesunden Seite erweitert angetroffen werden, aber der
Name ist so unpassend wie möglich gewählt, was man leicht
einsehen kann.
Es sei auf einer Seite ein Pneumothorax oder ein massen¬
hafter Erguss in der Pleura, dann sind die Lungengrenzen auf
der anderen Seite erweitert, ohne dass das Organ überhaupt
vergrössert zu sein braucht, es ist einfach eine Verlagerung der
Lunge eingetreten. Es übernehme eine gesunde Lunge in
diesem oder einem anderen Fall das Geschäft der erkrankten,
der lahmgelegten mit; dann kann sie es nicht dadurch, dass sie
sich allgemein erweitert, sondern nur dadurch, dass sie grössere
Atemexkursionen macht, was dem Begriff des Emphysems be¬
kanntlich widerspricht. Es kann bei dieser erhöhten An¬
strengung und Ueberanstrengung der Lunge freilich sekundär
zum Emphysem kommen, das ist aber dann nicht mehr vikari¬
ierend, sondern stört die vikariierende Tätigkeit nur, sehr zum
Schaden der Kranken, weil jetzt die vikariierend verstärkte
Atmung auf der gesunden Seite notleidet. Mit dem Namen
„vikariierendes Emphysem“ bezeichnet man also tatsächlich
Zustände, die entweder nicht „Emphysem“ oder nicht „vikari¬
ierend“ sind, es kann nur sekundäres Emphysem
heissen.
Es ist vielleicht nicht unangebracht, sein Augenmerk auf
die Mechanik dessen zu richten, was man besser „vikariierende
Respiration“ heissen möchte.
Bei gewöhnlicher Respiration beträgt das ein- und aus¬
geatmete Quantum Luft für jeden Atemzug rund 500 ccm. Was
eine Lunge davon weniger leisten kann, muss, wenn alles
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1521
in Ordnung bleiben soll, die andere dadurch übernehmen, dass
sie grössere Atemexkursionen macht. Ist eine Lunge z. 13.
durch Pneumothorax oder sonstwie völlig vom Atemgeschäft
ausgeschlossen, so muss die andere allein den halben Liter Luft
mit jedem Atemzug einziehen und ausstossen, dann ist sie in der
Tat (für die Ruhe) völlig vikariierend eingetreten. Da die linke
Lunge etwas kleiner ist als die rechte, wird man wohl ungefähr
sagen können, dass die rechte Lunge bei linksseitiger schwerer
Erkrankung etwas weniger, die linke umgekehrt bei rechts¬
seitiger Erkrankung oder Zerstörung der Lunge etwas mehr als
250 ccm über ihre gewöhnliche Respirationsgrösse hinaus
leisten muss. Geht das, dann ist für die Ruhe eine Kompen¬
sation durch die vikariierende Tätigkeit der gesunden Lunge ein¬
getreten. Dass dies völlig im Bereich der Möglichkeit liegt, ist
längst bekannt, weiss man ja doch, dass jederzeit durch for¬
cierte Inspiration noch rund 1500 ccm mehr als Komplementär-
hift eingesogen, durch verstärkte Exspiration im Maximum rund
ebensoviel als Reserveluft ausgestossen werden können. Die
Maximalleistung jeder Lunge für sich allein würde also (von
der Differenz zwischen rechts und links abgesehen) rund
1500 ccm betragen. Eine solche übermässige Tätigkeit würde
freilich nicht lang auszuhalten sein, aber immerhin stünde für
einige Zeit des Mehrbedarfs z. B. bei äusserer Arbeit, beim
Gehen, für eine völlig gesunde Lunge allein eine vitale Kapazität
von rund 1750 ccm zur Verfügung, das Dreieinhalbfache von
dem, was einer in der Ruhe braucht. In der Ruhe ist es also
nicht so arg, was an Mehrleistung von einer vikariierend ein¬
tretenden Lunge verlangt wird, es sind nur 200 — 300 ccm, also
Vs bis Ve dessen, wessen sie bei äusserster Anstrengung fähig
wäre. Ohne Zweifel sind es hauptsächlich die inspiratorischen
Muskeln, die vikariierend eingreifen und deswegen verschiebt
sich auch die Mittellage der Lungengrenze etwas (wenig nur
für die Ruhe) in diesem Sinn, allein es wäre ganz falsch, hier¬
aus ein Emphysen zu diagnostizieren, weil mit jeder Exspiration
die frühere exspiratorische Grenze mindestens wieder erreicht
wird, die Exkursionsbreite der Lungengrenze hat zugenommen.
Es gibt Fälle, bei denen die ganze mechanische Mehr¬
leistung der Atmungsmuskeln einer Seite allein, der gesunden
zugemutet wird. Dies ist dann der Fall, wenn z. B. ein Ventil¬
pneumothorax schon die dauernde maximale Erweiterung der
erkrankten Seite herbeigeführt hat, oder auch bei einem massen¬
haften Erguss in die Pleura und totaler Kompression der Lunge.
Dann steht die erkrankte Seite des Thorax tatsächlich bei der
Respiration still.
In vielen Fällen ist dem aber nicht so. Wo auf der kranken
Seite noch irgend eine Exkursion der Thoraxwand (einschliess¬
lich des Zwerchfells) möglich ist, da vollzieht sie sich auch, denn
die Atmungsmuskeln werden nicht einseitig innerviert und in
Tätigkeit gesetzt, sondern immer doppelseitig. Das ist für den
Kranken nicht gleichgültig, einmal, weil auf der kranken Seite
noch ausgenützt wird, was noch auszunützen ist, dann aber
in noch einer Weise, die der gesunden vikariierenden Seite zu
gute kommt, wovon ich mich in folgendem Falle kürzlich auf
das Deutlichste überzeugen konnte.
Es war ein 48 jähr. Patient, bei dem die Zeichen einer links¬
seitigen Bronchostenose unverkennbar waren. Das Röntgen¬
bild ergab einen breiten Schatten das ganze Mediastinum ent¬
lang, von oben bis unten, oben ausgebaucht, nach links mehr als
nach rechts. Dieser Schatten zeigt bald auf dem Lichtschirm
eine deutliche Verschiebung nach links bei jeder Inspiration,
die von mir am 19. I. 07 als „sicher 1 — 1/4 cm“ betragend
geschätzt wurde. Das Atmungsgeräusch, das wenigstens vorn
links ganz gefehlt hatte, fehlte auch jetzt „fast ganz , hinten
schien es etwas lauter als früher geworden zu sein. Das
Phänomen der inspiratorischen Verschiebung des Tumors
wurde auch hier von den Herren Mayr sen. und Rosen¬
berger konstatiert, dessen grosser Röntgenapparat freund-
lichst zur Verfügung gestellt war, da bei meinem eigenen die
Akkumulatoren versagten. Um kurz damit zu sein: der Tumor
stellte sich als ein Aneurysma heraus, das noch zu linksseitiger
RekurrenzlähmungunddurchlMassenhämorrhagieamö. II.07zum
Exitus führte. Was uns hier interessiert, ist die V er Schie¬
bung des ganzen Inhalts des Mediastinums
beijeder Inspiration nach links, also nach der Seite,
wo nachweislich die Lunge fast völlig vom Atmungsgeschäft
No. 31.
durch Kompression des Bronchus ausgeschaltet war. Eine
solche Verschiebung scheint mir nicht ohne Bedeutung für die
vikariierende Atmung der gesunden Seite zu sein. So ist es
möglich, dass eine gesunde Lunge nicht nur nach oben, unten
und aussen sich mehr erweitert, sondern auch nach innen, nach
der Seite der erkrankten Lunge hin. Und zwar geschieht dies
offenbar nicht durch Tätigkeit der Muskeln auf der gesunden,
sondern durch die auf der kranken Seite. Der Vorgang ist
leicht verständlich. Auf der kranken Seite ziehen die inspira¬
torischen Muskeln geradeso wie auf der gesunden. Kann
Luft in die kranke Lunge durch den Bronchus nicht eindringen,
so tritt sie eben auf der anderen Seite durch den Bronchus ein
und dabei wird das Mediastinum, so weit es nachgeben kann,
nach der erkrankten Seite ausgebaucht. Ich weiss nicht, ob
etwas ähnliches schon beobachtet worden ist und will auch
hier nicht auf die Frage eingehen, wie das Phänomen gelegent¬
lich zur Diagnose einer Bronchostenose, speziell auch für
Aneurysma gegen infiltrierenden Tumor verwendet werden
kann. Hier kommt es mir nur darauf an, zu zeigen, dass solche
Bewegung des Mediastinum zur vikariierenden Respiration
wesentlich mit beitragen kann. Bei unserem Patienten tat sie
es um so sicherer, als die Lungengrenze am unteren Rand der
7. Rippe, wenig verschieblich angetroffen worden war zu einer
Zeit, wo die Erscheinungen der Bronchostenose noch nicht
manifest waren. Wie gross der Flächeninhalt des Mediastinum
ist, darüber sagen die mir zugänglichen Werke der Anatomie
nichts aus; nach meiner Schätzung dürfte er aber gewiss
wenigstens 200 bis 300 qcm betragen. Leicht kann also, wenn
die mittlere inspiratorische Verschiebung des Mittelfells 1 cm
beträgt, hierdurch eine Menge von 200 ccm Luft über das ge¬
wöhnliche Mass in die gesunde Lunge gesogen werden. Ich
weiss nicht, ob man schon an diese Art vikariierender Atmung
gedacht hat.
Soweit wäre nun alles in Ordnung. Es ist die Möglichkeit
gegeben, dass auch bei gänzlicher Lahmlegung einer Seite
die andere reichlich den Ausfall der Respirationsluft decken
kann, so lange nicht bedeutendere äussere Arbeit grösseren
Sauerstoffverbrauch fordert. Aber eines kommt noch sehr
wesentlich in Betracht. Die vikariierend arbeitende Lunge
kann Sauerstoff in einer Menge zur Verfügung stellen, wie sie
für zwei ausreichen würde, aber dieses Quantum tritt nur mit
dem venösen Blute einer einzigen Lunge in Austausch, also
rund mit der Hälfte Blut gegenüber der Norm. Es ist möglich,
dass auch in der Verteilung des Blutes auf die Lungenarterien
beider Seiten eine vikariierende stärkere Füllung auf der ge¬
sunden Seite eintritt. Für die Fälle starker totaler Kompression
einer Lunge z. B. durch Ventilpneumothorax ist dies sogar nicht
unwahrscheinlich. Man weiss auch, dass die Gefässe der
Lunge in ihrem Kaliber schwanken können, und auch hierin
könnte eine vikariierende Hyperämie der gesunden Lunge be¬
gründet sein. Vornehmlich steht aber der gesunden Lunge,
falls nur überhaupt ein normales Quantum Luft zugeführt wird,
ein Ueberschuss von Sauerstoff zur Verfügung. Die atmo¬
sphärische Luft enthält Q 20,96 Proz. O2 und 0,04 Proz. CO2,
die ausgeatmete 16,39 Proz. O2 und 4,05 Proz. CO2. Würde
die Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe nur ent¬
sprechend der Differenz des Partialdruckes in Alveolarluft und
Blut erfolgen, so müsste entweder zum völligen Ausgleich die
doppelte Menge Blut in der Zeiteinheit durch die Gefässe der
gesunden Lunge fliessen oder es müsste die Differenz des
Partialdruckes steigen, damit das nötige Quantum Sauerstoff
aufgenommen, an Kohlensäure ausgeschieden werden könnte.
In diesem Falle wäre ein völliger Ausgleich, d. h. die Auf¬
nahme des gewöhnlichen Quantums Sauerstoff in der Zeit¬
einheit, trotz der besten vikariierenden Lungentätigkeit nur
dadurch möglich, dass immer das Blut im rechten Herzen gegen
die Norm etwas ärmer an Sauerstoff, etwas reicher an Kohlen¬
säure wäre. Die Kompensation wäre nur durch venösere Be¬
schaffenheit des Blutes und durch einen gewissen Grad von
Dyspnoe zu erkaufen, an den der Kranke sich erst allmählich
gewöhnen muss.
Ausgeschlossen wäre es aber auch nicht, dass die sekre¬
torische Zelltätigkeit in der Lunge, dass die innere Gassekretion
Q Bohn: Handb. d. Physiol. von Nagel, I., 1, p. 133.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
dort auch sich vikariierend ändern könnte, um einen ergiebi¬
geren, rascheren Austausch der Blutgase zu ermöglichen. Be¬
kanntlich ist diese sekretorische Zelltätigkeit recht unabhängig
von der Gasspannung und kann Gase selbst von Orten ge¬
ringeren nach solchen höheren Ortes transportieren. Welche
von diesen Möglichkeiten bei der „vikariierenden Respiration“
verwirklicht ist, davon wissen wir nichts und müssen uns vor¬
läufig mit dem Verständnis der grobmechanischen Vorgänge
begnügen, die von seiten der Lnngenbewegung für die Kom¬
pensation des gesetzten Schadens in Betracht kommen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Würzburg (Direktor: Herr
Geheimrat Prof. Dr. H o f m e i e r).
Ueber Eklampsie ohne Krämpfe.*)
Von Dr. Paul Reinecke, Assistenzarzt der Klinik.
In letzter Zeit sind verschiedene Krankheitsfälle, die intra
et post partum auftraten, mitgeteilt worden, die auf Grund des
klinischen Verlaufes und auf Grund der pathologisch-anatomi¬
schen Organveränderungen, soweit die Frauen zur Sektion
kamen, als Eklampsien ohne Krämpfe angesehen wurden.
Der klinische Verlauf dieser von Schmorl, Meyer-
Wirz, Esch und Labhardt mitgeteilten Fälle lässt fast
den gleichen oder doch sehr ähnlichen Symptomenkomplex er¬
kennen. Ohne dass wirkliche Krämpfe aufgetreten wären,
gehen die Frauen im tiefen Koma zugrunde. In zwei Fällen
wurde schon vor Eintritt der Schwangerschaft eine Nieren¬
erkrankung festgestellt, in einem anderen Falle trat im Koma
leichte Albuminurie auf; in den übrigen Fällen wurde während
der Geburt reichlich Eiweiss im Urin nachgewiesen. In den!
von Esch mitgeteilten Falle trat vor der völligen Bewusst¬
losigkeit noch völlige Amblyopie ein, die Temperatur hielt sich
in der Höhe von 39,7 °. Der Puls war andauernd stark be¬
schleunigt, auch soll zweimal Erbrechen aufgetreten sein, die
Frau geht ebenfalls im tiefen Koma zugrunde Hieran
schliessen sich noch zwei Fälle, die von Binder und
Sch lut ins mitgeteilt wurden. Unmittelbar p. partum trat
plötzlich vollständige Bewusstlosigkeit ein, der Puls wurde an¬
dauernd stark beschleunigt, so dass zunächst an eine schwere
Blutung gedacht wurde. Die Bewusstlosigkeit wiederholte
sich in dem von S c h 1 u t i u s mitgeteilten Falle in den nächsten
Tagen mehrere Male, in dem Binder sehen Falle hielt sie mit
kleinen Unterbrechungen sehr lange bis zum nächsten Tage
an, um dann nicht mehr wiederzukehren. In beiden Fällen
wurde im Urin eine reichliche Menge Eiweiss nachgewiesen;
der Eiweissgehalt geht mit dem Rückgang der bedrbhlichen
Symptome allmählich auf ein Minimum zurück. In beiden
Fällen liess sich während der Erkrankung unzweifelhaft eine
Hypertrophie des Herzens nachweisen und beide Frauen klag¬
ten kurz vor der Entbindung über Sehstörungen.
Zu eigentlichen Krämpfen kam es in beiden Fällen nicht,
nur beobachtete S c h 1 u t i u s während des Ohnmachtsanfalles
Zuckungen im Muse, .supra- et infraspinatus und cucullaris del-
toideus. Binder und S c h 1 u t i u s kommen auf Grund
dieser Symptome ebenfalls zu der Diagnose Eklampsie ohne
Krämpfe.
Nach Schmorl betreffen die wichtigsten Organverände-
änderungen bei typischer Eklampsie die Nieren, die Leber, das
Herz und das Gehirn. Schmorl glaubt nun auch solche Fälle
mit Sicherheit als Eklampsie bezeichnen zu müssen, bei denen
sich diese Organveränderungen nachweisen lassen, auch wenn
das wichtigste Symptom, die Krämpfe, intra vitam gefehlt
haben.
Bei der Niere handelt es sich nach Sch m o r 1 meist um
degenerative Prozesse am sezernierenden Parenchym, beson¬
ders am Parenchym der gewundenen Harnkanälchen, an dem
sich albuminöse Trübung und fettige Entartung vorfindet.
Ebenso wichtig sind die Veränderungen der Leber, Nekrosen
mit Thronibenbildung in den Kapillaren und inter- et intra-
lobulären Pfortaderästchen, ferner schwere degenerative Pro¬
zesse und Nekrosen im Herzfleisch, multiple Blutungen und
) Vortrag, gehalten in der fränkischen Gesellschaft für Ge¬
burtshilfe und Gynäkologie.
Erweichungsherde im Gehirn und multiple Thrombenbildung in
den inneren Organen.
Wir sind in zweifelhaften Fällen, wenn also das wichtigste
Symptom, die Krämpfe, gefehlt haben, um so mehr berechtigt,
von Eklampsie zu sprechen, je mehr von diesen typischen
Organveränderungen festgestellt werden können. Ebensogut
aber, wie bei anderen Krankheiten diese oder jene für sie
typische Organveränderung fehlen kann, ohne dass damit zu¬
gleich die Diagnose der betreffenden Krankheit hinfällig würde,
ebenso häufig wird auch bei der Eklampsie das Gesamtbild
der von Schmorl aufgestellten Organveränderungen nicht
immer zu finden sein. So konnte Schmorl unter 73 Fällen
2 mal eine Nierenaffektion nicht nachweisen und zwar bei
typischem klinischen Verlauf der Eklampsie.
Es ist gewiss leicht, die Diagnose Eklampsie auch aus nur
einigen der betreffenden Organveränderungen stellen zu
können, sobald das wichtigste Symptom, die Krämpfe, be¬
obachtet wurden; fehlt aber dieses, so kann man auch bei
Fehlen nur einer der wichtigsten Organveränderungen sehr in
Zweifel kommen, ebenso wenn die an den in Betracht kom¬
menden Organen nachgewiesenen Veränderungen anderer Art
sind, als die bei dem typischen Eklampsiebefund. Wenn wir
die Eklampsie als eine Intoxikation auffassen, wenn also die
Organveränderungen durch die Wirkung des Eklampsiegiftes
entstehen, wäre es da nicht möglich, dass das Eklampsiegift
auch einmal andere Organveränderungen hervorruft als die ge¬
wöhnlich gefundenen? Es ist doch nicht ausgeschlossen, dass
die betreffenden Organe auch einmal anders auf das Gift
reagieren können.
Was den pathologisch-anatomischen Befund bei den oben
erwähnten Fällen betrifft, so zeigen die Organe fast alle die für
Eklampsie charakteristischen Veränderungen, nämlich Verände¬
rungen am sezernierenden Parenchym der Nieren, multiple
hämorrhagische und anämische Nekrosen der Leber, schwere
parenchymatöse Degeneration, Nekrosen und Blutungen im
Herzfleisch, multiple Erweichungsherde und Blutungen im Ge¬
hirn, sowie multiple Thrombenbildung in den inneren Organen.
Im Falle Esch wurden die Nieren nicht untersucht; es
konnte aber intra vitam durch Untersuchung des Urins eine
Affektion derselben festgestellt werden.
Anschliessend hieran möchte ich Ihnen einen Fall mitteilen,
den ich auf der geburtshilflichen Abteilung der Universitäts-
Frauenklinik Würzburg zu beobachten Gelegenheit hatte.
Es handelt sich um eine 19 jährige ledige I. Para. Sie gibt
bei ihrer Aufnahme abends an, dass sie seit Mittag desselben Tages
leichte Wehen verspüre. Sie will nie ernstlich krank gewesen sein.
Ihre letzte Periode hatte sie von Ende April bis anfangs Mai. Die
Schwangerschaft verlief ohne Störungen.
Status: Mittelgrosses gutgenährtes Mädchen, mässiges Fett¬
polster, graziler Knochenbau. Keine Zeichen früherer Rachitis. Keine
Oedeme.
Das Abdomen gleichmässig oval aufgetrieben. Fundus steht in
der Mittellinie 2 querfingerbreit unterhalb des Proc. ensiform., seit¬
lich reicht er bis zum Rippenbogen. Im Fundus der Steiss, der
Rücken liegt rechts vorne, kleine Teile links, der Kopf steht im
Beckeneingang.
Introitus und Vagina eng. Portio, Zervikalkanal verstrichen.
Aeusserer Muttermund bequem für einen Finger durchgängig.
Der Kopf steht beweglich im Beckeneingang, die Blase steht.
Kleine Fontanelle rechts • vorne, die .Pfeilnaht verläuft im linken
schrägen Durchmesser.
Nach Anamnese und Befund befindet sich also die Gravida
am regelmässigen Ende der Schwangerschaft, das Kind liegt in zwei¬
ter Schädellage.
Da die Wehen sehr schwach sind und nur sehr selten auf-
treten- wird vorläufig von einer Verbringung der Kreissenden ins
Kreisszimmer abgesehen.
Am nächsten Morgen sind die Wehen kaum stärker. Gravida
hat während des grössten Teiles der Nacht geschlafen, sie ist auf.
Bei der abendlichen Visite um 5 Uhr liegt Gravida bereits im
Bett. Auf Befragen gibt sie an, dass sie nachmittags 2 mal er¬
brochen habe, worauf sie sich zu Bett gelegt hätte. Auch will sie
2 mal Stuhlgang gehabt haben. Urin wurde kurz vorher gelassen,
wurde aber nicht aufgefangen. Gravida liegt mit angezogenen
Beinen da, der Leib stark eingezogen, sie klagt über Schmerzen
i« der Magengegend.
Der Puls ist stark beschleunigt und auffallend klein, die Tem¬
peratur beträgt 36,8 u C. Die Atmung ist etwas beschleunigt, die
oberen und unteren Extremitäten fühlen sich auffallend kühl an.
Beim Katheterisieren der Blase entleert sich nur ein Tropfen Urin,
nicht einmal zur Untersuchung ausreichend. Die Beine werden in
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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warme Tücher geschlagen; ausserdem bekommt sie Milch und Wer-
narzer Wasser. Um 8Va Uhr abends hat Qravida auf Genuss von
Milch und Wernarzer Wasser schwärzliche dünnflüssige Massen er¬
brochen. Sie klagt über Leibschmerzen, ist sehr unruhig. Sensorium
vollkommen frei. Abdomen nur in der Magengegend etwas druck¬
empfindlich, keine peritonitischen Symptome. Puls klein und fre¬
quent 120. Atmung noch mehr als vorhin beschleunigt. (60 Atem¬
züge in 1 Min.) Die Extremitäten fühlen sich kühl an. Der Zustand
der Gravida bessert sich nicht. Sie macht den Eindruck einer Ver¬
gifteten. Sie selbst bestreitet aber entschieden Gift in irgend einer
Form genommen zu haben. Es wird wegen Verdachtes auf Vergiftung
Rizinusöl per os in Kapseln gegeben, ausserdem ein Kochsalzeinlauf
gemacht. Bald darauf stellt sich wieder Erbrechen ein. Die kind¬
lichen Herztöne sind deutlich hörbar.
Von 10 Uhr abends wird der Puls noch schlechter, zeitweise
kaum fühlbar, trotzdem nach und nach 6 ccm Kampher subkutan ge¬
geben wurden. Sensorium ist bis 10/4 Uhr vollkommen frei. Von
dieser Zeit ab gibt Gravida nur noch auf dringendes Zureden Antwort.
Von IIV2 Uhr ab antwortet sie gar nicht mehr. Sensorium voll¬
ständig geschwunden. Der Radialpuls ist nicht mehr fühlbar. Die
Atmung nimmt C h e y n e - S t 0 k e s sehen Typus an. Ab und zu
leises Stöhnen. Herztöne des Kindes nicht mehr zu hören. Unter
zunehmender Zyanose erfolgt gegen 2 Uhr nachts der Exitus im
tiefen Koma.
Leider versäumte ich, da ich den Fall anfangs nicht so schwer
einschätzte, an die Entbindung durch Sectio caesarea zu denken.
Um 9Vs Uhr waren noch deutlich die kindlichen Herztöne zu hören;
es wäre also möglich gewesen, wenigstens das Kind zu retten.
Am nächsten Tage gab die Mutter der Gestorbenen noch an,
dass ihre Tochter in den letzten Tagen auffallend still gewesen wäre,
aber irgendwelche Schmerzen nicht geklagt hätte. Einen Selbst¬
mord durch Vergiftung hält sie für ausgeschlossen.
Am Tage p. mort. fand die Sektion statt, die Herr Prosektor
Dr. Schminke ausführte. Er war so liebenswürdig, mir das Re¬
sultat seiner mikroskopischen Untersuchungen mitzuteilen, wofür ich
ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank sage.
Dem pathologisch-anatomischen Befunde ist folgendes Wich¬
tige zu entnehmen:
Makroskopisch wurde eine Degeneration des Herzmuskels nach¬
gewiesen. Auf dem perikardialen Ueberzug kleine Blutaustritte,
ebenso auf der hinteren Fläche des Herzens. Im Endokard des rech¬
ten Herzens flächenhafte Blutungen. An den Nieren ist schon makro¬
skopisch eine akute parenchymatöse Entzündung nachweisbar. Die
mikroskopische Betrachtung der Niere lässt ebenfalls Reizung und
degenerative Prozesse am sezernierenden Parenchym erkennen. Im
Bereich der Rinde an den Tubuli contorti Quellung der Epithelien,
Auflockerung des Plasmas derselben, körnige Trübung und starke
vakuoläre Degeneration. Im Lumen reichlich Gerinnselbildung. An
einzelnen Stellen kann man auch vollkommenen Zerfall der Zellen,
homogene Eiweisskoagula und Desquamation dieser Massen in die
Tubulilumina zu erkennen. Auch an den Glomeruli sind degenerative
Prozesse deutlich. Auch die H e n 1 e sehen Schleifen weisen an den
Epithelien starke Degeneration auf. Ueber weite Strecken sind die
Epithelien hier mortifiziert und ins Lumen abgestossen, kurz das
Bild einer akuten parenchymatösen Nephritis.
Makroskopisch fällt die exquisit safrangelbe Farbe der Ober¬
fläche und der Schnittfläche der Leber auf, die Läppchenzeichnung ist
deutlich. Mikroskopisch ist eine starke Fettinfiltration zu erkennen
über weite Strecken des Organs in multiplen Tröpfchen; bei der
Ausdehnung dieser Fettinfiltration, sodann der Einlagerung des Fettes
in Form multipler Tröpfchen ist trotz Fehlens anderer Erschei¬
nungen der Degeneration an einen degenerativen Prozess zu denken.
Von kapillären Thrombosen nichts nachzuweisen. Im Gehirn eben¬
falls keine Veränderungen. Die Harnblase ist leer, der rechte Ureter
etwas erweitert.
Die Schleimhaut des Oesophagus in den unteren Partien
schwärzlich verfärbt. Hier wie an der Schleimhaut des Magens
keine Zeichen von Verätzung.
Zusammengefasst haben wir also Veränderungen des Her¬
zens (Degeneration des Herzmuskels, Blutaustritte im Endokard
und auf dem Perikard), der Nieren (akute parenchymatöse Ent¬
zündung), der Leber (fettige Degeneration).
Die auffallend gelbe Farbe der Leber, die übrigens auch
von Esch erwähnt wurde, liess an eine Phosphorvergiftung
denken, zumal von vornherein eine Vergiftung angenommen
wurde. Eine Untersuchung des Darminhaltes auf organische
und anorganische Gifte, die von Herrn Prof. Medikus vor¬
genommen wurde, fiel aber negativ aus.
Für irgend eine andere Erkrankung ist weder das klinische
Bild, noch der pathologisch-anatomische Befund charakte¬
ristisch, so komme ich denn auf Grund des klinischen Verlaufes
und auf Grund des pathologisch-anatomischen Befundes zu der
Diagnose „Eklampsie ohne Krämpfe“, wenn auch die Leber-
.veränderungen nicht gerade den für Eklampsie typischen Cha¬
rakter haben und wenn auch Veränderungen im Gehirn und
multiple Thrombosen in den inneren Organen nicht gefunden
wurden.
Aus dem Pathologischen Institut in Leipzig (Direktor; Geh.
Med. -Rat Prof. M a r c h a n d).
Ueber Gehirnabszess durch Streptothrix.*)
Von Dr. med. M. Lo eh lein.
Die Sektion eines am Tage vor seinem Tode in die medi¬
zinische Klinik aufgenommenen 58 jährigen Mannes (No. 1867,
1906) ergab neben Schrumpfnieren hohen Grades und deren
Folgezuständen (hochgradige Herzhypertrophie) als auffälligsten
Befund eine umfangreiche Abszessbildung im Gehirn.
Nahe dem vorderen Pole des rechten Schläfenlappens bis dicht
unter dessen Oberfläche gelegen findet sich ein taubeneigrosser Eiter¬
herd, aus dem sich an einer am seitlichen Umfang des Schläfen¬
lappens beim Eröffnen des Schädels entstandenen Verletzung dicker
grünlichgelber, fadenziehender Eiter entleert. Die Gefässe der Pia
sind allenthalben ziemlich stark mit Blut gefüllt, besonders auch in
der Gegend dieses Herdes; die Maschen der Pia sind übrigens hier
wie auch an der übrigen Grosshirnoberfläche frei von Exsudat. Beim
Einschneiden in den Schläfenlappen (von der Unterfläche aus und in
ungefähr sagittaler Richtung) zeigt sich, dass der erwähnte Abszess
nach hinten und medianwärts mit einem zweiten kleineren Herd in
breitem Zusammenhang steht, der Eiter von der gleichen Beschaffen¬
heit enthält wie jener; dieser zweite Abszess hat am grösseren Teile
seines Umfanges eine deutliche grau-rötliche, derbe Kapsel. Ein
dritter, knapp kirschgrosser Eiterherd folgt in der Marksubstanz
des Schläfenlappens noch weiter nach hinten; er steht mit den
beiden ersteren nicht in einem mit blossem Auge nachweisbaren
Zusammenhang. Die Gehirnsubstanz in der Nachbarschaft der Abs¬
zesse stark durchfeuchtet, weich; diese Beschaffenheit setzt sich
bis in die Gegend des Unterhorns des rechten Seitenventrikels fort.
Bei der Eröffnung der Seitenventrikel zeigen sich die Plexus chorioidei
ganz eingehüllt in dicke gelbe eitrige Exsudatmassen; im Lumen der
Ventrikel eine dünne, schwach graugefärbte, mit weisslichen Wolken
durchsetzte Flüssigkeit. Auch im IV. Ventrikel leicht getrübte Flüs¬
sigkeit.
Die erste Vermutung, dass es sich um eine otogene Eite¬
rung handle, fand keine Stütze in dem Befund der rechten
Paukenhöhle, die keinerlei pathologische Veränderungen zeigte.
Dagegen brachte die bakteriologische Untersuchung an
Abstrichpräparaten die Feststellung grosser Mengen feiner ver¬
zweigter Pilzfäden, die nach Grösse und morphologischem Ver¬
halten sogleich mit Sicherheit als Streptothrix elemente
angesprochen werden konnten.
Angesichts der Häufigkeit des Vorkommens von (Strepto¬
thrix-) Abszess des Gehirns bei Lungenaffektionen war das
Bestehen von ausgedehnten Bronchiektasien
mässigen Grades besonders in beiden Unterlappen von Inter¬
esse. Leider wurde der Versuch von mir unterlassen, in den
Lungen bezw. Bronchien und Bronchialdrüsen nach Pilzele¬
menten zu suchen. Dass hier die primäre Lokalisation der
Streptothrix mit nahezu völliger Bestimmtheit trotz des
mangelnden Nachweises angenommen werden muss, scheint
mir nach unseren Kenntnissen über gleichartige Fälle sicher.
Der Fall stellt darnach einen Parallelfall zu der bekannten
ersten vollständigen einschlägigen Beobachtung von E p p i n -
ger dar, übrigens wie ich sogleich näher darlegen werde,
auch hinsichtlich der Aetiologie im strengsten Sinne, da es sich
in meinem Falle um dieselbe Streptothrix a r t handelt, die
E p p i n g e r zuerst gefunden hat.
Ich möchte der Beschreibung des Pilzes selbst nur noch
eine kurze Erörterung der Pathogenese der Gehirnaffektion auf
Grund der histologischen Untersuchung voranschicken. Dass
die ursprüngliche Ansiedelung der Streptothrix im Gehirn auf
embolischem Wege entstanden ist, bedarf nicht der Bespre¬
chung. Ueber das Alter einerseits, über die Verbreitung der
Eiterung an Ort und Stelle andererseits konnte folgendes zur
Aufklärung dienen; In Schnitten von der Wand des an zweiter
Stelle genannten Abszesses und seiner Umgebung zeigt sich die
schon makroskopisch erkennbare Kapsel als aus groben, von
sehr zahlreichen, strotzend mit Blut gefüllten Gefässen durch¬
setzten Bindegewebsfasern gebildet, in deren Maschen mehr
*) Nach einem in der Medizinischen Gesellschaft zu Leipzig
am 29. I. und 26. II. 1907 gehaltenen Vortrag.
2 •
1524
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3l.
oder weniger reichlich Leukozyten liegen. Nach der Beschaf¬
fenheit dieser „Kapsel“ kann man wohl sicher auf ein Alter des
Herdes von mindestens einigen Wochen schliessen. Den Zeit¬
punkt der ersten embolischen Ansiedelung freilich kann man
auch nicht annäherungsweise genauer bestimmen.
Was dieVerbreitungderEiterung und besonders
ihr Uebergreifen auf die Seitenventrikel anlangt, so war bei
dem Fehlen einer eitrigen Infiltration der Pia des Grosshirns
in der Nachbarschaft der Abszesse von vorneherein die Wahr¬
scheinlichkeit gross, dass das Unterhorn direkt vom Schlä¬
fenlappen aus infiziert worden sei. Hierfür ergab die histo¬
logische Untersuchung insofern Anhaltspunkte, als sich ausge¬
dehnte streifenförmige, eitrige Infiltrate auch ausserhalb der
Abszesse in der Schläfenlappensubstanz fanden — am ge¬
härteten Präparat auf der Schnittfläche mit blossem Auge leicht
erkennbar.
In diesen Infiltraten fanden sich — wie im Innern der abs-
zedierenden Herde — grosse Mengen der charakteristischen
verzweigten Fäden, nirgends andere Mikroorganismen. Die¬
selben Streptothrixelemente fanden sich — ebenfalls sehr reich¬
lich — in Abstrichen und Schnittpräparaten von den Plexus.
Zur Kultur des Pilzes waren am Tage der Autopsie von
dem Eiter der Abszesse Agarplatten gegossen und teils frei, teils
in Wasserstoffatmosphäre in den Brütschrank gebracht wor¬
den; ausserdem waren gewöhnliche Agarröhrchen in grösserer
Zahl geimpft worden. Auf allen beschickten Nährböden ent¬
wickelte sich innerhalb 48 Stunden — von einzelnen zweifellos
akzidentellen Verunreinigungen abgesehen — eine Reinkultur
von Streptothrix Eppingeri, wie sich aus den folgenden Einzel¬
angaben über das weitere Verhalten der Tochterkulturen ergibt:
Agar-Oberfläche: (bei 37 °) nach 36 — 48 Stunden (bei
spärlicher Aussaat) kleinste, runde, nagelkopfartige Kolonien von
schwach grauer Farbe und etwas glänzender Oberfläche, die (be¬
sonders deutlich unmittelbar nach der Isolierung) feine wurzelartige
Fortsätze in die Tiefe des Nährbodens ausstrecken. Nach mehreren
Tagen fangen die Kulturen an, sich mehr oder weniger deutlich gelb
zu färben. Alte Agarkulturen zeigen schöne Orangefärbung.
Agarplattenkultur: runde Kolonien mit dichterem Zen¬
trum und lockerer peripherer Zone.
Agarstichkultur: Ganz überwiegendes Wachstum an der
Oberfläche, wo sich — bei reichlicher Einsaat — eine dicke, gerunzelte
Pilzmembran von anfänglich grauer, später gelber, schliesslich
orangegelber Farbe bildet.
Bouillonkultur (bei 37 °): Stärkstes Wachstum an der
Oberfläche; Bildung eines grauweissen Häutchens, das später all¬
mählich orangegelb bis rötlich wird, und das - — bei Vermeidung von
Erschütterungen des Röhrchens — an Ort und Stelle bleibt. In Röhr¬
chen, die geschüttelt worden sind, sinken Fetzen der Oberflächen-
kolonien zu Boden und bilden einen grauweisslichen bis höchstens
schwach gelblichen Bodensatz.
Gelatinestichkultur bei 22°: nach Wochen kein deut¬
liches Wachstum; keine Verflüssigung des Nährbodens.
Kartoffelkultur (bei 37 °) : nach 2 — 3 Tagen grauer Rasen,
der sich allmählich mit einem dicken streuzuckerartigen weissen Belag
bezieht, im Brütschrank auch nach vielen Wochen seine Farbe nicht
ändert, während beim Stehen am Lichte nach einigen Tagen gold-
bis orangegelbe Färbung auftritt.
Zur Morphologie des Pilzes habe ich nur folgende
Bemerkungen zu machen: Eigenbewegungen habe ich an den
verschiedenen Elementen dieser Streptothrix, auf deren Be¬
schreibung ich verzichten kann, ebensowenig wahrgenommen,
wie an einer anderen, früher von Engelhardt und mir be¬
schriebenen menschenpathogenen Streptothrixart.
Kolbenbildung nach Art des typischen Aktinomyzes habe
ich weder in Ausstrichen noch in Schnitten beobachtet. „Säure¬
festigkeit“ besitzen einzelne Elemente älterer Kolonien; junge
Fadengcflechte dagegen nicht. Zur Färbung empfiehlt sich am
meisten die G r a in sehe Methode.
Die Prüfung der Pathogenität für Tiere erfolgte an
einem Hunde, mehreren Kaninchen und Meerschweinchen.
Der Hund, ein kräftiger Dachshund, erhielt in den peri¬
pheren Teil der freigelegten linken Arteria carotis communis
eine Dosis von 1,5 ccm einer dicken Emulsion von mehrtägiger
Agarkultur, zeigte aber — nach dem Ueberstehen der ersten
Folgen des Eingriffes — dauernd keine Symptome (ßeobach-
tungsdaucr 6 Wochen). Eine zweite Injektion einer noch grös¬
seren Dosis (über 2 ccm) in die andere Karotis hatte ebenfalls
dauernd keine nachweisbaren Folgen. Pathogenität der Strep¬
tothrix für Hunde kann danach jedenfalls nicht behauptet
werden.
Die Versuche an Kaninchen und Meerschweinchen da¬
gegen führten zu positiven Resultaten, die in allen wesentlichen
Einzelheiten den von E p p i n g e r mit seinem Pilz erzielten
analog sind, d. h. es kam bei intravenöser, subkutaner und
intraperitonealer Injektion etwas grösserer Dosen zur Aus¬
bildung einer ausgesprochenen „Pseudotuberkulose“, die bei
intravenöser Injektion ganz generalisiert war.
Zwei mittelgrosse Kaninchen, die am 21. XII. 06 je 2 ccm einer
Emulsion von 14 Tage alter Agarkultur intravenös (Vena jugularis
externa) erhalten haben, starben am Morgen bezw. Nachmittag des
24. XII. Bei der Autopsie von Kaninchen I zeigten die Lungen
etwas vermehrten Blutgehalt und vermehrte Konsistenz, einzelne
hämorrhagische Fleckchen und zahlreiche mit blossem Auge eben -
sichtbare graue und mehr graugelbliche, im Parenchym unregelmässig
verteilte Herdchen. In der Wand beider Herzventrikel zahllose
kleinste und bis stecknadelkopfgrosse graugelbliche oder intensiv
gelbliche Herdchen, die Leber ganz durchsetzt von kleinsten gelb¬
lichen Knötchen, die Milz, stark geschwollen, zeigte auf der Schnitt¬
fläche grosse unregelmässige, zu eichblattförmigen Figuren kon-
fluierende opake gelbe Herde. In der Wand des Uterus zahlreiche
tautropfenähnliche stark prominente kleine Knötchen, in beiden Nieren
sehr zahlreiche teils rundliche, teils unregelmässiger gestaltete gelb¬
liche Herde, besonders in der intermediären Zone.
Von den mikroskopischen Befunden sollen nur einige Einzelheiten
kurz hervorgehoben werden. In den Lungen finden sich einmal im
Anschluss an Pilzembolien kleinerer Arterienäste, die zweifellos als
unmittelbare Folge der Injektion entstanden sind, sehr zellreiche
Herdchen mit dichten Pilzgeflechten im Zentrum, die im wesentlichen
aus polymorphkernigen Leukozyten und Rundzellen bestehen, ferner
finden sich an vielen Stellen in grosser Ausdehnung die Kapillaren
vollgepropft von Pilzgeflechten, zwischen denen mehr oder weniger
zahlreiche Leukozyten liegen, endlich finden sich in Lungenvenen¬
ästen häufig, und zwar besonders an der Einmündungsstelle kleinerer
in grössere Aeste pilzförmig ins Lumen vorspringende Thromben,
die zuweilen massenhafte Streptothrixfäden enthalten. Die Herd¬
chen im Herzmuskel besitzen ein oft von dichten Pilzgeflechten teils
umgebenes, teils durchwuchertes, meist in der Faserrichtung länglich,
gestrecktes, nekrotisches Zentrum, das von einer schmalen, hauptsäch¬
lich aus polymorphkernigen Leukozyten gebildeten Infiltrationszone
umgeben ist. Ganz ähnlich verhalten sich die Herdchen in der Leber.
In der Milz erweisen sich die opaken gelblichen Herde gleichfalls
als homogene nekrotische Partien. Zahlreiche ganz ähnliche Herd¬
chen, die makroskopisch nicht erkennbar waren, finden sich auch in
den Nebennieren. An Schnitten der Uteruswand zeigten sich in allen
Schichten' derselben auf der Schnittfläche kreisrunde, nach dem Lumen
bezw. nach der Serosaseite zu oft halbkugelig prominente, sehr zell¬
reiche Knötchen mit massenhaften im ganzen radiär angeordneten
Pilzelementen. In den Nieren finden sich ungemein zahlreiche Ka¬
pillarembolien, einerseits in den Kapillaren der Rinde, wo ausgedehnte
Gitterfiguren von den ganz durch gewucherte Pilzelemente erfüllten
Rindenkapillaren gebildet werden, andererseits in den Schlingen der
Glomeruli, die schwere Veränderungen aufweisen, deren Schilderung
im einzelnen zu weit führen würde.
Der Befund bei dem zweiten Kaninchen war nur insofern etwas
abweichend, als hier die Beteiligung des Uterus fehlt — aus der Milz
und den Nieren von Kaninchen II wurden Reinkulturen der Strepto¬
thrix gezüchtet.
Ein Meerschweinchen, das inträperitoneal mit 1la ccm einer
Emulsion von 10 Tage alter Bouillonkultur injiziert war, starb nach
5 Tagen mit ausgedehnter „Pseudotuberkulose“ von Netz und Peri¬
toneum (parietale und viszerale) und einzelnen grösseren gelb¬
lichen Knoten in Nieren und Milz. In Ausstrichen der Knoten Hessen
sich zahlreiche charakteristische Pilzelemente nachweisen, auch die
Kultur war positiv.
Auch die subkutane Infektion eines Meerschweinchens unter der
Bauchhaut mit einer gleichen Dosis führte zum Exitus nach 9 Tagen,
an der Injektionsstelle fand sich ein zehnpfennigstückgrosser Herd
von käseähnlicher Beschaffenheit in der Bauchwand. Zahlreiche
Stecknadelkopf- bis reiskorngrosse gelbliche Knoten fanden sich sub¬
peritoneal und subpleural, kleinere und grössere ähnliche Knoten in
beiden Nieren, vereinzelte in den Lungen. Die Milz geschwollen, aber
makroskopisch frei von Herden.
Die wenigen Tierversuche gestatteten den Schluss, dass
eine Wucherung der Streptothrix im Körper des Kaninchens
und Meerschweinchens zweifellos zustande kommt und dass
der Organismus dieser Tiere entsprechend den Angaben E p -
p i n g e r s mit einer „Pseudotuberkulose“ auf den Eindringling
reagiert. Dass es sich dabei nicht um eine einfache „Fremd¬
körperreaktion“ handelt, sondern dass die Streptothrix im Tier¬
körper zu lebhafter Wucherung fähig ist, scheint mir nach den
mitgeteilten Befunden hinreichend bewiesen. Kolbenbildung ist
in diesen wenigen Versuchen nicht beobachtet worden. Dass
sie unter Umständen bei der E p p i n g e r sehen Streptothrix
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1535
vorkommt, ist nach den Beobachtungen von Lu barsch und
von M a c C a 1 1 u m sichergestellt. c
Das Gesamtergebnis der Beobachtungen ist dahin zusam¬
menzufassen, dass ein vollkomm er Parallelfall zu
der ersten einschlägigen Beobachtung Ep-
p i n g e r s v o r 1 i e g t, da es sich hier wie dort um die Ent¬
stehung emboliseher Abszedierung im Gehirn durch eine nach
ihren morphologischen, kulturellen und tierpathogenen Eigen¬
schaften sicher zu identifizierende Streptothrix handelt. Eine
vollkommen analoge Beobachtung ist seit der ersten Mitteilung
von E p p i n g e r von Horst veröffentlicht worden. Die¬
selbe Streptothrixart ist ferner beim Menschen von, A oyama
und M y a m o t o (Empyem), S c h a b a d (Empyem) und Mac
Call um (postoperative Peritonitis) gefunden worden. Auf
die sehr umfangreiche Literatur von Streptothrixerkrankungen
des Menschen soll im übrigen nicht eingegangen werden1), zu¬
mal da neuerdings umfassende Zusammenstellungen der ein¬
schlägigen Angaben erschienen sind. Ich möchte aber die Ge¬
legenheit benutzen, um eine von Engelhardt und mir vor
mehreren Jahren eingehend beschriebene einschlägige Mit¬
teilung in Erinnerung zu bringen, die den meisten späteren
Bearbeitern ähnlicher Fälle entgangen zu sein scheint, um¬
somehr, als es sich nach der Schwere des Krankheitsverlaufes
und dem anatomischen Befund um eine exzeptionelle Beob¬
achtung handelte. In dem betreffenden Falle fanden sich näm¬
lich, verursacht durch eine von der hier beschriebenen ab¬
weichende Streptothrix, massenhafte, zum Teil sehr grosse Abs¬
zesse in allen lebenswichtigen Organen: das Gehirn war ganz
durchsetzt von Abszessen, sehr grosse Abszesse fanden sich in
der Leber, kleinere in beiden Lungen, im Myokard, in der
Milz. Es handelte sich also um eine generalisierte Pyämie von
einer Schwere, wie sie überhaupt selten zur Beobachtung
kommt.
Bei der grossen Unsicherheit, die bezüglich der Nomen¬
klatur in den einschlägigen Mitteilungen herrscht, möchte ich
nur bemerken, dass ich aus praktischen Gründen hier, wie in
meiner erwähnten früheren, mit Engelhardt gemeinschaft¬
lich veröffentlichten Mitteilung an der Bezeichnung „Strepto-
thrixinfektion“ festhalte. Die erste Bedingung für eine ein¬
heitliche Bezeichnung der hierher gehörigen Krankheitsfälle
scheint mir eine Einigung über die Bezeichnung des botanischen
Genus — Streptothrix oder Aktinomyzes — zu sein. Von bo¬
tanischer Seite tritt man aus historischen Gründen für den Gat¬
tungsnamen Aktinomyzes ein. In der medizinischen Literatur
wird man bis zur endgültigen Entscheidung dieser Frage am
besten wohl an der auch hier gewählten Bezeichnungsweise
Streptothrix festhalten.
Literatur:
A o y a m a und M i y a m o t o: Mitt. a. d. Mediz. Fakult. z. Tokio,
Bd. 4, p. 231 f. — MacCallum: Zentralbl. f. Bakteriol., Bd. 31,
p. 529. — Engelhardt und L ö h 1 e i n : Deutsch. Arch. f. klin.
Med., 75, p. 112. — Epp in ge r: Zieglers Beitr., Bd. 9, p. 287. —
Horst: Ztschr. f. Heilk., 24, Heft 4. — Lu barsch: Ztschr. f. Hyg.,
Bd. 31, p. 187.— Sch ab ad: Ztschr. f. Hyg., Bd. 47, p. 41.
Was berechtigt uns, auf Grund der funktionellen Hör¬
prüfung Simulation bezw. Uebertreibung als vorliegend
anzunehmen? Wie verfahren wir am besten, um bei
dem der Simulation bezw. Uebertreibung Ueberführten
einen Einblick in das wirklich vorhandene Gehör zu
erlangen?
Von Dr. Robert D ö 1 g e r,
Stabsarzt und Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Halskrank¬
heiten in Frankfurt a. M.
Zur Entlarvung der Simulation bezw. Uebertreibung von
Schwerhörigkeit existieren zahlreiche besondere Methoden und
tauchen immer wieder neue auf. Sie sind aber oft recht unzu¬
verlässig und richten dadurch mehr Schaden an als sie nützen.
1) Auf eine, wie mir scheint, bisher einzig dastehende Beobach¬
tung, die von zur Nedden stafnmt, möchte ich aufmerksam machen
(Klin. Monatshefte für Augenheilkunde, 1907, pag. 152): Es handelt
sich um eine beim Menschen spontan entstandene, durch eine Strepto¬
thrix verursachte Keratitis.
Mir kam ein Fall vor, in welchem auf Grund einer dieser Me¬
thoden (des bekannten, vielfach angewandten doppelseitigen
Hörrohrversuches) die Diagnose „einseitige Taubheit“ gestellt
worden war, während die nun vorgenommene funktionelle Prü¬
fung den Untersuchten als Simulanten entlarvte.
Anderseits sind mir Fälle begegnet, in welchen der Simu¬
lation verdächtige Leute durch die funktionelle Prüfung von
diesem Verdacht gereinigt werden konnten.
Wir haben also in der funktionellen Hörprüfung ein sicheres
Hilfsmittel nicht nur zur Begründung vorhandener, auf krank¬
hafter Grundlage beruhender Schwerhörigkeit, sondern auch
zur Entlarvung vorgetäuschter Schwerhörigkeit.
Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit dieser Frage sowohl im
Militär- wie im Zivilleben erscheint es mir zweckdienlich, die
funktionellen Befunde, welche die Annahme von Simulation
oder Uebertreibung berechtigt erscheinen lassen, einmal kurz
zusamenzufassen.
Wir sind berechtigt, Simulation bezw. Uebertreibung als
vorliegend anzunehmen
1. wenn der Untersuchte bei der Hörprüfung für Sprache
wohl die entsprechende Lippenbewegung des Anlautes der vor¬
gesprochenen Prüfungsworte macht, dieselben aber gar nicht
oder nur zögernd ausspricht.
Beobachtung der Lippen durch den das Ohr verschliessen-
den Assistenten ist deshalb notwendig.
2. wenn der Untersuchte bei wirklichem oder nur schein¬
barem Verschluss des einen normalen oder annähernd normalen
Ohres in nächster Nähe des anderen Ohres forcierte Flüster¬
sprache, Umgangssprache oder Töne der Bezold-Edel-
m a n n sehen Tonreihe von c” = 512 Doppelschwingungen an
nach aufwärts angeblich überhaupt nicht hört.
Wir sind nämlich nicht in der Lage, selbst durch festesten
Verschluss eines Ohres das andere normale oder annähernd
normale Ohr für die Sprache wie auch für den oberen Teil der
Tonreihe ganz vom Hörakt auszuschliessen.
3. wenn der Untersuchte bei einseitig normalem oder an¬
nähernd normalem Gehör die auf den Scheitel aufgesetzte
Stimmgabel A, c’ oder a’ angeblich überhaupt nicht hört.
Die Knochenleitung fällt erfahrungsgemäss gänzlich nur aus
bei doppelseitiger Taubheit oder bei hochgradiger, der Taub¬
heit nahekommender doppelseitiger Schwerhörigkeit.
4. wenn der Untersuchte die auf den Scheitel aufgesetzte
Stimmgabel A, c’ oder a’ angeblich in das normale oder an¬
nähernd normale Ohr hört, bei wirklichem oder auch nur schein¬
barem Verschluss desselben aber überhaupt nicht mehr; oder
wenn er die auf den Scheitel aufgesetzte Stimmgabel angeblich
in beiden Ohren hört, bei Verschluss des einen Ohres aber an¬
geblich im anderen, bei Verschluss der beiden Ohren angeblich
überhaupt nicht mehr.
In Wirklichkeit müsste die Stimmgabel bei Verschluss des
Ohres, auf dem sie zuerst gehört wurde, verstärkt gehört
werden.
5. wenn der Untersuchte die unbelasteten Stimmgabeln
a’ und c” längere oder kürzere messbare Zeit (20 Proz. ihrer
Hördauer nach stärkstem Anschlag oder länger) per Luftleitung
auf einem Ohr bei gutem Verschluss des anderen Ohres hört,
Flüsterlaute oder Umgangssprache (bei event. doppelseitiger
Schwerhörigkeit) auch aus nächster Nähe des Ohres angeblich
nicht.
Der Stimmgabelton a’ grenzt unmittelbar an die von B e -
z o 1 d für das Sprachverständnis als unbedingt notwendig be-
zeichnete Tonstrecke b’— g" der Bezold-Edelmann-
schen Tonreihe; c” ist in ihr enthalten. Bei genügendem Ge¬
hör für diese Töne (Hördauer 20 Proz. und mehr) ist auch ge¬
nügendes Gehör für Sprache vorhanden.
6. wenn bei öfterer Wiederholung der funktionellen Prü¬
fung die Angaben des Untersuchten über perzipierte 'Ion¬
strecken, Hördauer einzelner Töne und Hörweite für Sprache
jedesmal wesentlich andere Ergebnisse zeitigen.
Umgekehrt dürfen wir in dem völligen Gleichbleiben der
Angaben des Untersuchten den Gegenbeweis erblicken in den
etwa zu Unrecht der Simulation oder Uebertreibung geziehenen
Fällen.
Gelingt es uns so im allgemeinen leicht, im Verlaui einer
exakten funktionellen Hörprüfung einen Simulanten als solchen
1526
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
zu entlarven, so gestaltet sich unsere weitere Aufgabe, einen
Einblick in das wirklich vorhandene Gehör eines Simulanten
zu erlangen, oft sehr viel schwieriger.
Die psychologischen Vorgänge im Innern eines Simulanten
berücksichtigend, werden wir im allgemeinen um so eher zum
Ziele gelangen, je mehr wir ihm den Weg zur Wahrheit zu er¬
leichtern suchen und ihm über das beschämende Gefühl des
Eingestehens einer bewussten Unwahrheit hinweghelfen. So
werden wir bei vielen derartig entlarvten Simulanten ein dank¬
bares Verständnis finden, wenn wir das unglaubwürdige Unter¬
suchungsergebnis zu erklären versuchen durch wohl vor¬
handene grosse Schwankungen des Gehörs zu verschiedenen
Zeiten, ev. bei Witterungswechsel und — mit der Begründung
der angeblich immer hörverbessernden Wirkung einer Luft-
eintreibung in solchen Fällen — eine Uufteintreibung vornehmen
(ganz abgesehen natürlich von den mit Einsenkungserschei¬
nungen am Trommelfell einhergehenden Prozessen, bei welchen
Uufteintreibungen zur Diagnosestellung überhaupt gehören).
In einem grossen Prozentsatz der Fälle erlangen wir bei der
nun folgenden Hörprüfung richtige Angaben.
In anderen Fällen hinwiederum bedarf es unserer ganzen
Ruhe, Ausdauer und Geduld, um erst nach wiederholten Uuft¬
eintreibungen in grösseren oder kleineren Zwischenpausen
(Tage oder Wochen) unter allmählichen Zugeständnissen ein
richtiges Hörrelief zu bekommen.
Als wichtigste Zugeständnisse dürfen wir stets betrachten
die längere oder kürzere Perzeption der Stimmgabel a’ per Luft-
leitung, weil dies einen Schluss auf das vorhandene Sprach-
gehör auf dem betreffenden Ohr zulässt (siehe oben 5.), §owie
natürlich vor allem das Hören von Flüstersprache selbst (oder
bei doppelseitiger Schwerhörigkeit auch Umgangssprache),
wenn auch zunächst nur unmittelbar vor dem Ohre. Haben
wir dies erreicht, so verfahren wir fortan am besten in folgender
Weise bei der Hörprüfung für Sprache: Wir verbinden die
Augen des Untersuchten mit einem undurchsichtigen Tuche;
ein Assistent verschliesst das eine Ohr, indem er einen ange¬
feuchteten Wattepfropf mit dem Zeigefinger fest in den Gehör¬
gangseingang drückt und beobachtet unauffällig gleichzeitig die
Uippenbewegungen. Wir stellen uns nun in einer Entfernung
von 3 m, nicht wie gewöhnlich mit zugewandtem, sondern mit
abgewandtem Munde auf und flüstern die Prüfungsworte in den
Raum. Wenn nicht nachgesprochen wird, machen wir kehrt
und flüstern jetzt wie gewöhnlich, den Mund gegen das Ohr des
Untersuchten gewandt. Der Untersuchte hat jetzt den Ein¬
druck, als ob wir uns ihm genähert hätten. Wird auch jetzt
nicht nachgesprochen, so nähern wir uns ihm leise auf 2 m,
event. 1 m und schliesslich event. soweit, dass wir mit dem
Rücken bezw. mit der Brust die Seite des Untersuchten be¬
rühren, immer zunächst mit abgewandtem, dann mit zuge¬
wandtem Munde prüfend. Die so gewonnene Hörstrecke
messen wir jedesmal von Ohr zu Mund genau aus und notieren
sie. Bei der nächstfolgenden Untersuchung beginnen wir die
Prüfung in der eben beschriebenen Weise aus einer Entfernung
von 4 m, dann event. 5 und 6 m, bis wir schliesslich den wirk¬
lich vorhandenen Grad der Hörweite festgestellt haben. Wenn
Flüstersprache mit abgewandtem Munde z. B. auf 3 m gehört
wird, so muss Flüstersprache mit zugewandtem Munde min¬
destens auf 4 m gehört werden usf. Falls Flüstersprache bei an¬
geblich doppelseitiger Schwerhörigkeit überhaupt nicht gehört
wird, verfahren wir in derselben Weise nur zunächst unter
Anwendung der Umgangssprache.
Bei dieser Art Untersuchung wird es dem Simulanten un¬
möglich gemacht, die ungefähre Entfernung des Untersuchenden
abzuschätzen, wie dies beim gleichmässigen Nähern oder Ent¬
fernen leicht gelingt. Wichtig ist die Beobachtung der Uippen.
Wenn der Simulant das Gehörte mit den Uippen richtig pronon-
ziert, so ist dies für uns gleichbedeutend mit der Feststellung
der Hörweite.
Zuweilen führt auch plötzliche Ueberraschung oder Ueber-
listung bei angeblich doppelseitiger Taubheit zum Ziele. Der¬
artige Simulanten wurden schon dadurch überführt, dass man
z. B. sagte: „Der Hosenlatz steht offen“. Der Simulant griff so¬
fort hin, um sich zu überzeugen; oder „sie können jetzt gehen“;
der Simulant entfernte sich. Natürlich muss hiebei ausge¬
schlossen sein, dass der Untersuchte die Bemerkungen von den
Lippen ablesen konnte. Wir können dies verhüten, wenn
wir im Sitzen unauffällig unsere Hand vor den Mund halten.
Bleibt ein notorischer Simulant bei mehrfachen Unter¬
suchungen oder Ueberlistungen völlig renitent, wie dies verein¬
zelt geschieht, sodass ein Zugeständnis nach keiner Richtung
hin zu erzielen ist, so empfiehlt es sich, bei simulierter doppel¬
seitiger Schwerhörigkeit oder Taubheit Erhebungen in der
Heimat (bei Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer, Arzt, letzten
Arbeitgebern) anzustellen, um ihn schliesslich noch durch die
Wucht dieser Argumente zur Wahrheit zu bewegen. Gelingt
dies auch jetzt noch nicht, so verfahren wir hier, ebenso wie
auch bei simulierter einseitiger Schwerhörigkeit oder Taub¬
heit am besten in der Weise, als ob volle Hörschärfe vorhanden
wäre, d. h. event. geltend gemachte Rentenansprüche unter- -
stützen \vir nicht; einer event. beabsichtigten Befreiung vom
Militärdienst begegnen wir durch Einstellung oder Belassung
bei der Truppe. Macht der Simulant auch jetzt noch weitere
Schwierigkeiten, so überliefern wir ihn dem Gericht zur Be¬
strafung.
Dass wir in allen derartigen Fällen auch die Möglichkeit
psychischer Defekte im Auge behalten müssen, brauche ich
wohl nicht näher zu erörtern.
Glücklicher Weise gehören diese letzteren Fälle zu den
allergrössten Seltenheiten, wie überhaupt die Simulation
doppelseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit.
Bei der letzten Einstellung der Rekruten sind mir 2 Fälle vor¬
gekommen, die Umgangssprache anfänglich nicht verstehen
wollten, bei denen ich aber mit Hilfe der oben angeführten
Hörprüfungsmethode rasch normale Hörweite feststellen konnte.
Verhältnismässig häufiger wird der Versuch gemacht, ein¬
seitige Schwerhörigkeit vorzutäuschen, in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle aber handelt es sich um plumpe Ueber-
treibungen.
Herrn Hofrat Prof. Dr. B e z o 1 d sage ich für gütige Durch¬
sicht der Arbeit meinen verbindlichsten Dank.
Antikritisches zu meiner Tripperstatistik.
Von Prof. Dr. Wilhelm Erb in Heidelberg.
Die. am Schlüsse meines Aufsatzes „Zur Statistik des
Trippers etc.“1) ausgesprochene Erwartung, dass lebhafter
Widerspruch gegen meine Untersuchungsresultate sich erheben
würde, hat mich nicht getäuscht; er ist bereits von mehreren
Seiten, aber soweit ich sehe nur von Venereologen und Gynäko¬
logen erhoben worden.
Was aber bisher geäussert wurde, hat mich sehr ent¬
täuscht; statt der gehofften Belehrung, der Bestätigung oder
Widerlegung durch Tatsachen und ad hoc angestellte Rontroll-
untersuchungen sind nur die bisher aufgestellten Statistiken
und Behauptungen wiederholt und verteidigt, allerlei Ueber-
legtmgen und Einwände vorgebracht worden, die schliesslich
nur auf ein Hin- und Herreden hinauslaufen und zum Teil ge¬
radezu an dem, was ich gesagt und verteidigt habe, Vorbei¬
gehen. Aber keine neue Tatsachen, keine Spur fester Grund¬
lagen für die Behauptungen und die allgemeinen Eindrücke sind
erschienen !
Ich könnte also ruhig ein genaueres Eingehen auf diese
Kritiken ablehnen; das wäre ja das Bequemere; habe ich doch
auch schon in der an meinen Vortrag sich anschliessenden Dis¬
kussion 2) das Wesentliche gegen die mir dabei gemachten und
von anderen später wiederholten Einwände gesagt!
Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes erscheint es mir aber
doch nicht zweckmässig, die Sache ruhig weiter laufen zu
lassen und auf die bestätigenden Ergebnisse der Unter¬
suchungen von anderer, nicht beteiligter Seite zu warten. Ich
äussere mich also noch einmal. Und dabei muss ich von vorn¬
herein erklären, dass ich die Tripperspezialisten und die Gynä¬
kologen wegen der Einseitigkeit ihres Materials am wenigsten
für geeignet halte, hier das entscheidende Wort zu sprechen,
ebenso wenig, wie ich mich selbst für geeignet halten würde,
etwa über die Häufigkeit der Tabes oder der Neurasthenie in
1) Siehe diese Wochenschr. 1906, Nr. 48.
2) Siehe diese Wochenschr. 1906, Nr. 52, S. 2582.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1527
der Bevölkerung statistische Untersuchungen an meiner Privat-
klicntel anzustellen.
In der Oeffentlichkeit haben sich bisher fast nur die
Gegner geäussert; ich brauche deshalb nicht zu verschweigen,
dass mir eine ganze Anzahl von brieflichen und mündlichen
Mitteilungen zugegangen ist von Kollegen, die meine Angaben
durchaus zustimmend begrüsst haben und sogar von „er¬
lösenden Worten“, von einer „errettenden Tat“ sprechen, die
sie in meiner Publikation gefunden haben. Einer unserer her¬
vorragendsten Gynäkologen schrieb mir noch vor kurzem ge¬
legentlich: „Er erkläre mir seine volle Uebereinstimmung mit
meinen aus der Gonorrhöebeobachtung gezogenen Schlüssen;
meine Mitteilung sei im höchsten Grade zeitgemäss und er¬
wünscht gewesen!“
In der Tat sind doch nicht wenige Aerzte über die er¬
schreckenden Zahlen von B lasch ko und die daraus von
anderen in Bezug auf die Gefährdung der Ehefrauen gezogenen
Schlüsse erstaunt gewesen. G. Berg3) z. B„ der allerdings
meine Tripperstatistik für die Männer etwas skeptisch be¬
trachtet, erklärt die Statistik der Ehefrauen für eine „errettende
Tat“. — Und von nicht wenigen hervorragenden und viel¬
beschäftigten Familienärzten habe ich die schon in meiner Arbeit
erwähnte Tatsache, dass in ihrer Klientel sich nur sehr
wenige Frauen befänden, die unter dem Verdacht einer Tripper¬
infektion bezw. schwerer Folgen einer solchen ständen, durch¬
aus bestätigt bekommen.
Trotzdem scheinen mir einige Bemerkungen zur Recht¬
fertigung meines Standpunktes und zur Beseitigung von Miss¬
verständnissen und grundlegenden Irrtümern in den Kritiken
meiner Arbeit angebracht.
Ich habe zwar sehr deutlich gesagt, was ich mit meiner
kleinen statistischen Untersuchung erreichen wollte und was
ich für erreichbar hielt. Das ist vielfach von meinen Kritikern
missverstanden und ignoriert worden. Ich halte ihnen
gegenüber meinen Standpunkt völlig auf¬
recht, ja geradezu für unanfechtbar, trotz der mehrmals
wiederkehrenden freundlichen Behauptung, dass meine Methode
„absolut falsch“, dass meine Ergebnisse völlig unzuverlässig
und unzutreffend sind.
Ich habe zwei verschiedene Statistiken gebracht: die
eine über die Häufigkeit des Trippers bei Männern, die
andere über die Häufigkeit schwerer Folgen dieses
Trippers für die Ehefrauen früher tripperkranker Männer;
(nicht über die Häufigkeit der Ansteckung der Ehefrauen
überhaupt!). Speziell die erstere Statistik ist Hauptgegenstand
der Kritik geworden. Man kann die Häufigkeit des I rippers
in der männlichen Bevölkerung auf verschiedenen Wegen fest¬
stellen. Während man früher sich mit den ganz unzuver¬
lässigen „Schätzungen“ und „Eindrücken“ der Venereologen
begnügte, hat man dann durch direkte Zählung der in ärztlicher
Beobachtung stehenden Tripper dieser Feststellung näher zu
kommen gesucht. Das wäre ja wohl das sicherste, wenn es
nur in weitem Umfange durchführbar und nicht von einer
Unzahl der gröbsten Fehlerquellen umgeben wäre. Blaschko
hat darin jedenfalls ein unbestreitbares Verdienst; es fragt sich
nur, ob diese Methode zuverlässig genug ist; und das be¬
streite ich ganz entschieden.
Auf Grund einer sogen. „Eintagsstatistik“ — einer ein-
z i g e n (!) am 1. April — (die übrigens von Blaschko selbst
in ihrer ganzen Anordnung sehr bemängelt wird), ermittelt man
eine bestimmte Zahl von Tripperkranken. Das ist doch eine
ganz unzuverlässige Sache; gerade der 1. April, kurz nach dem
Ablauf der an sexuellen Exzessen so reichen Karnevalszeit, ist
wohl nicht der geeignetste Zeitpunkt; man hätte mindestens
noch 3 — 4 andere Tage im Jahr einmal kontrolieren müssen!
Die weiteren Annahmen, auf Grund deren Blaschko dann die
gefundene Zahl vervielfacht, sind mehr oder weniger unzuver¬
lässig; es würde viel zu weit führen, ihre zahlreichen Fehler¬
quellen undUnsicherheiten im einzelnen nachzuweisen. Hat doch
Blaschko selbst schon zugegeben4), dass die Verdoppelung der
*) G. Berg: Therapie d. Gegenwart. März 1907, S. 125.
4) Ueber die Häufigkeit des Trippers in Deutschland. Münch,
med. Wochenschr. 1907, Nr. 5 und Zeitschr. f. Bekämpfung d. Ge-
schlechtskr. VI, 'S. 5, Febr. 1907.
rechnerisch ermittelten Zahl auf Grund der Tatsache, dass nur
52 Proz. der Aerzte Angaben gemacht haben und dass manche
Kranke auch zu den Kurpfuschern gehen oder gar nicht be¬
handelt werden — wohl unrichtig sei; in der Tat werden unter
den 48 Proz. der Berliner Aerzte, die k e i n e Angaben gemacht
haben, doch wohl zumeist nur solche sein, die k e i n e n Tripper
behandelt haben! Man bedenke die Unzahl der „Spezialisten“
z. B. für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (deren es, wie
ich jüngst gelesen, in Berlin allein 141 gibt!), für Augenkrank¬
heiten, Nerven-, Frauen-, Magen- und Darmkrankheiten, für
Chirurgie, Orthopädie usw. — alle diese haben doch keine
Tripper zu behandeln! Und es ist auch nicht sehr wahrschein¬
lich, dass viele Tripperkranke zu den Kurpfuschern laufen, da
es doch so viele Spezialärzte und Polikliniken für Geschlechts¬
kranke gibt! Diese Verdoppelung ist also jedenfalls nicht
am Platze!
WennBla.schko trotzdem meint, dass seineErgebnisse sich
nicht viel ändern würden, und dass er seinen Ausspruch5) — der
übrigens ganz explizite gemacht und an dem nichts zu deuteln
ist, wie K o p p 6) entschuldigend glauben machen möchte —
„dass jeder junge Mann, der mit 30 Jahren in die Ehe tritt,
zweimal Tripper gehabt habe“, aufrecht erhalten könne, so
geht das doch wohl nach dieser Korrektur nicht gut an, selbst
wenn dieser Satz auf die Grossstadt Berlin eingeschränkt wird.
Jedenfalls muss ich gestehen, dass die weitläufigen Aus¬
einandersetzungen Blaschkosin seiner Kritik, behufs Recht¬
fertigung seiner Methode, mich nicht überzeugt haben.
Das wäre ja am Ende gleichgültig — ich bin vielleicht sehr
schwer zu überzeugen! Aber — nehmen wir einmal an, dass
Blaschko mit seinem Ergebnis im Rechte ist, so muss
dasselbe doch auch auf anderem Wege zu er¬
weisen sein!
Und hier tritt meine Methode ein; dieselbe ist bestimmt
und geeignet, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Blaschko-
schen Ergebnisse zu kontrollieren ; ich will einmal die
Probe machen auf das Rechenexempel, das
Blaschko aufgestellt hat.
Wenn alle, oder auch nur die meisten jungen, noch unver¬
heirateten Männer bis zum 30. Lebensjahr mindestens einen
oder gar zwei und mehr Tripper gehabt haben, so muss durch
genaue Befragung der Männer nach dem 30. Lebensjahr oder
später zu ermitteln sein, ob dies wahr ist oder nicht, wenigstens^
bis zu einem der völligen Richtigkeit sich nähernden Grade!
Diese Probe habe ich in meiner Statistik gemacht und sie ist
zu Ungunsten von Blaschko ausgefallen. Die Rechnung
stimmt nicht.
Ich will nicht dabei verweilen, dass Blaschko mir deut¬
lich zu verstehen gibt, dass ich von der Statistik eigentlich nichts
verstehe oder wenigstens die statistische Ausdrucksweise nicht
recht begriffen hätte; dass es für den Statistiker gar nichts Be¬
fremdendes habe, wenn sich unter einer gewissen Anzahl von
Menschen 150 oder 200 Proz. Tripper finden! Gewiss! Aber
diese Angaben werden falsch verstanden und in der Diskussion
und Agitation verwendet, und sind für den „gewöhnlichen“
Verstand durchaus irreführend.
Es liegt eben hier ein grosses Missverständnis vor, das
auch Blaschko entgangen zu sein scheint. Die Statistik
zählt eben die „Tripper“ als Einzelindividuen, sie zählt, wie
viele einzelne Tripper1' bei einer bestimmten Anzahl von
Menschen Vorkommen können, während ich nur die Anzahl
der Männer feststellen will, die Tripper gehabt haben,
mögen sie nun 1 oder 3 oder 5 oder mehr Einzelerkrankungen
durchgemacht haben. — Also eine falsche Fragestel¬
lung des Statistikers, daher auch die falsche Antwort!
Die Zahl der Tripper e r k r a n k u n g e n hat nur für die all¬
gemeine Pathologie und vielleicht für den angehenden Tripper¬
doktor Interesse, aber nicht für den Hygieniker und Gynäko¬
logen — die wollen nur wissen, wie viel Tripper k r a n k e
existieren. Deren Zahl kann nie über 100 Proz. hinausgehen,
wird vielmehr stets mehr oder weniger darunter bleiben.
Wo bleiben denn in der Statistik Blaschkos diejenigen
Leute, die — wie ja Blaschko selbst zugibt — nie einen
5) Mitteil. d. deutsch. Ges. z. Bek. d. Geschl., Bd. I, S. 15.
6) Siehe diese Wochenschr. 1906, Nr. 51, S. 2534.
528
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Tripper gehabt haben? Die gibt es doch; aber für sie ist kein
Raum mehr übrig in dieser Art von Statistik; sie fallen einfach
unter den Tisch.
Die statistische Zählmethode des „Trippers“ ist also für
unsere Zwecke ganz falsch, denn wir wollen nicht wissen, wie
viele Tripper es überhaupt gegeben hat, sondern wie viel
tripperkrankeMänner. Ich kann mir sehr wohl denken
— das kommt ja alle Tage vor, — dass 25 Männer zusammen
100 Tripper gehabt haben; wenn ihnen 75 o h n e Tripper gegen¬
überstehen, haben diese 100 dann 100 Proz. Tripper?
Es ist für die Ehefrau schliesslich ganz gleichgültig, ob ihr
Mann einige Jahre vor der Ehe den fünften und letzten
oder ob er damals den ersten lind letzten Tripper gehabt
hat; wichtig ist für dieselben* nur, ob der Mann überhaupt
Tripper gehabt hat oder nicht (natürlich noch mehr, ob der
Tripper g e h e i 1 1 ist oder nicht!).
Nur ein kritisches Wort über die statistische Zählmethode
und die Multiplikation der gefundenen Jahresziffern sei mir
noch gestattet!
Wenn unter 100 jungen Männern, die etwa mit 20 Jahren
in das Leben eintreten, z e h n die Chance haben, an Tripper zu
erkranken, so sollen in 10 Jahren, bei unveränderten Bedin¬
gungen hundert diese Chance haben; man brauche nur
ruhig die im ersten Jahr gefundene Zahl mit 10 zu multipli¬
zieren; da kommen also glatt 100 Proz. heraus! Aber woher
weiss man denn, dass in jedem Jahr neue zehn Männer in¬
fiziert werden und dass es nicht immer die gleichen oder
welcher weitere Bruchteil von vorher verschont Gebliebenen
sind, die jetzt erkranken? Es ist doch ganz gut denkbar, —
und Blaschko selbst weist auf ein solches Beispiel hin — -4 dass
von diesen hundertMännern nur50 oder40 oder nochweniger er¬
kranken, wenn etwa jeder von diesen 2 oder 3 oder 5 Tripper in
10 Jahren akquiriert, und wo bleiben dann in dieser Statistik
50 oder 60 und mehr Prozent, die dieser „Chance“ entgehen?
— Und wenn die Statistik bei ihrer Methode bei 100 Männern
z. B. 200 Mal Tripper konstatiert, so hat sie doch nicht das
mindeste Recht, dieselben gleichmässig auf die 100
Männer zu verteilen und zu sagen, es hat j e d e r 2 Tripper ge¬
habt, wie man das getan hat. Es kann auch ebenso gut anders
sein, 40 oder 50 können ja 2 — 4 Tripper gehabt haben, viele
nur eine n und vielleicht 20 oder 30 oder mehr garkeinen.
Es ist doch gänzlich unerlaubt, die Verteilung hier nach Gut¬
dünken zu machen! Man denke dies nur einmal genau durch!
Das führt zu ganz abenteuerlichen Resultaten und dabei be¬
hauptet Blaschko, dass diese Methode „wissenschaftlich
vollkommen einwandsfrei“ sei! Ich verstehe das nicht; eine
Methode, die zu ganz unmöglichen Ergebnissen führt und von
der objektiven Beobachtung und praktischen Erfahrung sofort
widerlegt wird, eine Methode, welche die gesund Gebliebenen
einfach ausschaltet, ist wissenschaftlich — wenigstens für
unseren Zweck — im höchsten Grade anfechtbar, und mit ihr
kann man leicht dazu kommen, unter 100 Männern 150 — 200
Proz. Tripper zu finden!
Wenn Blaschko betont, dass dies nur für gewisse Be¬
völkerungsschichten der Grossstädte Geltung haben solle, so ist
auch dies — gottlob! — gewiss nicht richtig; es gibt doch auch
in Berlin und anderen Grossstädten ganz gewiss eine grosse
Anzahl von Männern, die nie einen Tripper gehabt haben; man
möge sich nur einmal nach ihnen umsehen!
Die Dinge verlaufen eben im Leben nicht mit der mathe¬
matischen Gleichmässigkeit, wie sie manche Statistiker an¬
nehmen; es bleibt bei diesen „Berechnungen“ doch eine ganze
Menge von Instanzen, von zufälligen entgegenwirkenden Ein¬
flüssen, von schützenden Momenten, die gar nicht gezählt
werden können, ausser Betracht; ich muss also energisch gegen
diese „wissenschaftlich einwandsfreie“ Methode protestieren;
sic geht über meinen Horizont.
Es ist wohl überflüssig, darüber noch viel weiteres zu
reden.
Die Deduktionen meiner Herren Kritiker laufen ja doch
wieder im Wesentlichen darauf hinaus — gerade wie früher
bei meinen I abes-Syphilisstatistiken — , dass ich es nicht recht
\ erstehe, Anamnesen aufzunehmen und dass mein Material
nicht genügende Garantien der Zuverlässigkeit biete.
Dabei ist es aber höchst drollig, dass man mir, wenn es
meinen Gegnern passte, bei der Tabes stets vorwarf, dass ich
zuviel Infizierte gefunden hätte und jetzt bei der Gonorrhoe,
wo meinen Gegnern das Umgekehrte passt, schlankweg be¬
hauptet, ich fände viel zu wenig! Ich ziehe daraus den
beruhigenden Schluss, dass ich in beiden Fällen annähernd
das richtige finde, die unvermeidlichen kleinen Fehler
Vorbehalten !
Es ist ja recht deprimierend für mich zu sehen, dass ich
nach einer mehr als 40 jährigen und wohl auch vielfach aner¬
kannten wissenschaftlichen Arbeit mir so wenig wissenschaft¬
lichen Kredit erworben habe, dass solche Zweifel laut werden
dürfen! Und dies um so mehr, als ich doch mit meiner früher
so endlos angefochtenen Tabes-Syphilisstatistik schliesslich,
einen glänzenden Sieg erfochten habe! — Nun, ich bin darüber
nicht sehr beunruhigt. Als ich vor 45 Jahren in die klinische
Schule Friedreichs eintrat, der besonderen Wert auf ge¬
naue Anamnesen legte, habe ich schon zu einer Zeit, wo meine
heutigen Gegner zum Teil noch nicht das Licht der Welt er¬
blickt hatten, gelernt, sorgfältige und gute Anamnesen aufzu¬
nehmen. Meine Tabes-Syphilisstatistik dürfte das beweisen.
Ich habe keineswegs, wie Blaschko behauptet, erst nach
und nach gelernt, die Syphilis in der Vorgeschichte der Tabes
zu finden, und bin nicht zu allmählich steigenden Prozentzahlen
gekommen ; hätte Blaschko noch einmal einen Blick in meine
letzte Arbeit7) darüber geworfen, die ihm sicher bekannt ist und
eine bequeirteZusammenstellung meinerZahlen enthält, so würde
er gesehen haben, dass ich in den ersten dreihundert Tabesfälleu
(1879 — 83) 88 — 91 Proz. und in den letzten dreihundert (1899
bis 1903) 88 — 90 Proz. Infizierte, — - also genau dieselben Zahlen!
— gefunden habe. Ich habe das also von vornherein gekonnt;
andere mussten es freilich nach und nach erst lernen und
manche haben dies auch heute noch nötig.
Blaschko hätte auch besser unterlassen, das alte anti¬
kritische Paradepferd mit den ausserordentlich wechselnden
— von 6—94 Proz. schwankenden — Angaben über die Syphi¬
lis in der Vorgeschichte der Paralyse wieder vorzureiten. Die
ganz niederen Zahlen beweisen nur, dass man es vielfach gar
nicht versteht, die anamnestischen Daten zu erheben, oder dass
man gänzlich unbrauchbare Fälle, mit den bei Paralytikern ja
oft ganz unzuverlässigen Angaben für die Statistik verwertet.
— Denn 6—12 Proz. Syphilis bei Paralytikern — wer lacht da
nicht? Das ist ja rein unmöglich! Freilich — was ich meinen
Gegnern schon so oft sagen musste — ist es immer wesentlich
leichter, nichts zu finden, als Positives und Richtiges zu er¬
mitteln! Ebenso muss ich, wie auch schon früher bei der
Tabes, gegen die Heranziehung der Anträge bei Lebensver¬
sicherungen gegen mein Material protestieren; schon die An¬
gaben, die Blaschko selbst mitteilt: 7,58 Proz. Tripper, sind
so lächerlich und unmöglich, dass sie nur auf Unwahrhaftigkeit
beruhen können; das ist ja auch längst bekannt.
Das ist doch ein ganz anderes Material, als das in meiner
Sprechstunde, an dem ich seit Jahrzehnten gewohnt bin, die
betr. Anamnese mit der grössten Sorgfalt und mit Schonung
für die Kranken aufzunehmen! Ich muss es deshalb auch ab¬
lehnen, von meinen Kritikern weitere Belehrung darüber ent¬
gegenzunehmen, wie man solche Anamnesen aufzunehmen und
welcher Täuschungen man sich zu versehen habe.
Ich bestreite gewiss nicht, dass auch ich solchen Täu¬
schungen gelegentlich unterliege, dass in einzelnen Fällen der
Tripper verschwiegen oder geleugnet, dass er wohl auch einmal
vergessen wird. Aber so häufig ist das gewiss nicht. Die
anekdotischen Beispiele, die V ö r n e r 8) anführt, von dem ver¬
logenen Couleurstudenten, dem besserwissenden Lehrer, von
indolenten Individuen, von den schamhaften Jünglingen, die
den „unsittlichen“ Verkehr nicht eingestehen wollen, sind mir
aus meiner Jugend auch bekannt und gewiss eine Quelle von
Irrt ümern ; es fragt sich nur wie häufig dieselben sind. Ich
wäre Herrn V ö r n e r sehr verbunden, wenn er mir genau
und sicher angeben wollte, wieviel Prozent solcher
Fälle ihm in seiner anscheinend recht grossen Tripperpraxis
' ) Syphilis und I abes. Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 1 — 4.
8) Siehe diese Wochenschr. 1907, Nr. 5, S. 219.
30. Juli 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1529
jährlich Vorkommen; ich wäre gerne bereit entsprechende Kor¬
rekturen an meinem Material vorzunehmen.
Bis auf weiteres muss ich aber mein fast ausschliesslich
den gebildeten Ständen und dem reiferen Mannesalter ange¬
höriges Material noch als recht zuverlässig ansehen. Dasselbe
ist keineswegs den Bevölkerimgsschichten entnommen, die
verhältnismässig wenig venerisch durchseucht sind, wie
Blas ch ko den Leser glauben machen möchte; es besteht
in der übergrossen Mehrzahl der Fälle aus Kaufleuten (zumeist
aus Deutschland), dann aus akademisch gebildeten Kreisen
(früheren Studenten!) und ziemlich zahlreichen Offizieren —
nun, das sind doch wohl gerade die Berufskreise, bei denen
nach allgemeiner — auch Blaschkos Ansicht — der Tripper
am meisten verbreitet ist!
Zum Beweis habe ich aus den letzten 6 — 7 Monaten meiner
Sprechstunde die Berufsarten von 300 mich konsultierenden Männern
zusammengestellt; es fanden sich darunter:
Kaufleute, Fabrikanten, Bankiers etc. etc . 150
Frühere Studenten: Professoren, Richter, Beamte,
Chemiker, Theologen etc . 87
Militärs . 17
Grossgrundbesitzer . 11
Subalternbeamte verschiedener Art . 6
Handwerker, üewerbtreibende . 12
Künstler . 5
Gastwirte, Kellner . 8
Landwirte, Oekonomen . 4
300
Also von 300 Männern gehörten nicht weniger als 25-4, also weit
über 80 Proz., den 3 am meisten gefährdeten Bevölkerungsschichten:
Kaufleute, frühere Studenten und Offiziere an! — Unter diesen 300
Kranken waren etwa 60 Ausländer: Russen (20), Amerikaner (21), der
Rest alle möglichen Nationalitäten; im Sommer sind es deren wohl
etwas mehr; aber im Grossen und Ganzen bezieht sich, wie man
sieht, meine Statistik doch wesentlich auf deutsche Verhältnisse und
auf den sogen. Mittelstand.
Ich finde fast nie Schwierigkeiten in der Anamnese; wenn
reifere Männer in die Sprechstunde einer ärztlichen Autorität
kommen und in der richtigen Weise gefragt werden, pflegen sie
absolut nicht mit der Wahrheit zurückzuhalten, obgleich viele
den Tripper nicht für eine „Geschlechtskrankheit“ halten und
erst auf die Frage, ob sie „nicht wenigstens einen kleinen
Tripper gehabt“, mit der bejahenden Antwort kommen. Den¬
jenigen, die bewusst die Unwahrheit sagen und leugnen, kann
man dies meist schon am Gesicht, an den zögernden Antworten
anmerken und man wird dann durch eindringliches Zureden
die Wahrheit erfahren.
In der Tat, wenn meine ca. 50 Proz. Tripper in diesen
Schichten so weit hinter der Wahrheit zurückblieben, wie meine
Gegner behaupten, wenn es in der Tat 80—90 Proz. oder gar
100 Proz. Tripper gäbe, so müssten mich ja von meinen
2000 Kranken nicht weniger als 600 oder 800 oder gar 1000
direkt und dreist angelogen haben! Halten das meine
Herren Kritiker wirklich für möglich? Ich halte das geradezu
für ausgeschlossen; ein alter Arzt und Beobachter wie ich
hat doch auch am Ende ein Urteil über die Zuverlässigkeit
seiner Kranken!
Somit sind meine Zahlen — natürlich mit einigen Irr-
tiimern und Fehlern 9) — wohl doch als recht zuverlässige zu
betrachten, wenigstens, wie ich das immer und immer wieder
betonen muss, für die von mir untersuchten Bevölkerungs¬
kreise; das sind aber, der allgemeinen Ansicht nach, gerade
diejenigen, in welchen die Geschlechtskrankheiten am meisten
verbreitet sind (vergl. Blaschko: Mitteil. d. Deutsch. Ge-
sellsch. z. Bekämpf, d. Geschlechtskrankh., Bd. I, S. 15 u. 16).
Und deshalb halte ich auch, was Kossmann nicht verstehen
will, die Untersuchung in diesen Kreisen gerade für sehr
wichtig, weil sie am meisten gefährdet sind, weil bei ihnen die
Ermittelungen am wenigsten auf Schwierigkeiten stossen, weil
sie doch wohl mehr Verständnis für die Bedeutung der Ge¬
schlechtskrankheiten haben und weil sie einer entsprechenden
Belehrung am meisten zugänglich sein werden.
ll) Die zum Teil wohl dadurch kompensiert werden, dass manche
nicht gonorrhoische Harnröhrenausflüsse für Tripper gehalten
werden. Das kommt, nach E. R. W. Frank (Dermatol. Zentralbl.
19U7, S. 103) gar nicht so selten vor.
No. 31.
Ich will hier kurz eine kleine Fortsetzung meiner Statistik ein¬
schalten, die lehrt, dass die Zahlen sich völlig gleich bleiben:
Schanker
allein
Sekundäre
Syphilis
Tripper
Keinerlei
Infektion
Im 21. Hundert
6
23
55
40
„ 22. „
4
20
46
46
„ 23. „
9
16
51
45
* 24.
9
14
52
46
Summe
28
73
204
177
In Proz.
7
18
51
44
Ausserdem, . als belehrendes Kuriosum, eine kleine Statistik,
welche eine Gesellschaft von 31 jungen Aerzten, durch geheime, aber
garantiert ehrliche Abstimmung festgestellt hat: es fanden sich dar¬
unter nur 10 = 30 Proz., die einmal Tripper gehabt haben. Und die
waren doch alle auch Studenten!
Ich halte somit meine Zahlen vollkommen aufrecht, meine
Methode für durchaus brauchbar, wenn sie auch keine ab¬
solut richtigen Zahlen gibt und geben kann. Ich stelle es der
kontrollierenden Prüfung anderer, unbefangener Beobachter an¬
heim, zu entscheiden, ob ich erheblich geirrt habe, oder ob die
„kalkulatorische“ Statistik auf der Basis völlig unzuverlässiger
Grundzahlen zu sichererem Ergebnisse führt.
Ich wiederhole ausdrücklich und bitte dringend, das nicht
wieder zu ignorieren, dass meine Zahlen n u r f ii r e i n e n be¬
stimmten Beobachtungskreis, für gewisse Be¬
völkerungsschichten Geltung beanspruchen, und dass ich es
nach wie vor für unbedingt nötig halte, dass auch in zahlreichen
anderen Beobachtungskreisen solche oder ähnliche Statistiken
aufgestellt werden; dann wird man der Wahrheit allmählich
näher kommen.
Und ich betone wiederholt, dass es mir nicht einfällt, den
Tripper für eine gleichgültige und nicht ernst zu nehmende
Krankheit zu halten; ich bin durchaus nicht Optimist in dieser
Beziehung, wie man mir mehrfach vorwirft! 50 Proz. Tripper
unter den Männern gewisser Kreise ist schon eine ganz er¬
schreckend hohe Zahl, und das Elend, das dadurch herbei¬
geführt werden kann, ist beklagenswert genug! Wir müssen
alles daran setzen, es zu mindern, den Tripper zu verhüten und
ihn rasch und gründlich zu heilen. Dazu besitzen wir ja die
Mittel, und wenn die jugendliche Männerwelt sich der Be¬
lehrung mehr zugänglich erweisen und sich mehr Selbst¬
beherrschung und Zurückhaltung angewöhnen wird, ist davon
grosser Erfolg zu erwarten.
Der Zweck meiner Untersuchung war lediglich die Er¬
forschung der Wahrheit, die Bekämpfung der mass-
losen Uebertreibungen, welche sich in der Diskussion breit
machten und die Zurückführung der Unruhe und Unsicherheit,
welche sich weiter Kreise gerade in der Tripperfrage be¬
mächtigt haben, auf das gerechtfertigte Mass.
Meine zweite Statistik, welche sich mit den schwe¬
ren Folgen des Trippers der Männer für deren Ehefrauen
beschäftigte, hat viel weniger Widerspruch gefunden. Im
Gegenteil, man hat sie mit ihren Ergebnissen geradezu als eine
„errettende“ Tat bezeichnet.
Die Gynäkologen sind ja schon vielfach von den Nög-
g e r a t h sehen übertriebenen und geradezu unverständlichen
Behauptungen zurückgekommen, wie schon aus der Diskussion
über meine Vorträge (v. Rosthorn, Schaeffer10) her¬
vorgeht. Ich ersehe nachträglich Genaueres darüber in der
Abhandlung von B u m m u) aus dem Jahre 1897, welcher diese
Angaben für hochgradig übertrieben erklärt; er behauptet, dass
Nöggerath die Heilbarkeit des Trippers weit unterschätzt
habe und glaubt, dass frische Gonorrhöen bei Frauen (wenn
nicht besondere Schädlichkeiten einwirken) gewöhnlich — mit
oder ohne Behandlung! — vollständig ausheilen.
10) Siehe diese Wochenschr. 1906, Nr. 52, S. 2582, auch ebenda:
1904, Nr. 13, S. 585.
11 ) Ueber die gonorrhoischen Erkrankungen der weiblichen Harn-
und Geschlechtsorgane. Handb. d. Gynäkol. I, S. 496 ff. 1897.
3
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Ebenso ist es mit der von Nöggerath behaupteten gonor¬
rhoischen Sterilität der Frauen; Bumm fand unter 110 Fällen
primärer Sterilität allerhöchstens 30 Proz. durch Gonorrhöe
bedingt (eine etwas grössere Rolle spielt diese bei der sogen.
Einkindersterilität“). Aber die primäre Sterilität wird von den
Gynäkologen auf ca. 12 Proz. aller Ehen geschätzt; nach
B u m m würde also % — Ya davon, d. h. also 3 — 4 Proz. aller
Ehen, durch Gonorrhöe steril sein; das entfernt sich gar nicht
weit von den von mir gefundenen (für die Sterilität ja doch
im ganzen sehr unsicheren) Zahlen.
Aber wenn das so ist, warum äussern sich dann die Herren
Gynäkologen gar nicht über die Behauptungen, „dass fast alle
Ehen vergiftet“, „dass die Volksvermehrung — besonders durch
den Tripper — bedroht sei?“ Mir wenigstens ist davon nichts
zur Kenntnis gekommen. — Ja, Pfannenstiel hat noch vor
kurzem, unmittelbar vor dem Erscheinen meiner Abhandlung,
in einem Vortrag ia) die Folgen der Gonorrhöe bei Mann und
Weib in sehr düsteren Farben geschildert, besonders auch in
Bezug auf die Fruchtbarkeit der Ehen. Er erklärt die Häufig¬
keit der Sterilität durch Tripper bei den Frauen für sehr gross,
besonders für die Einkindersterilität; aber er macht gar keine
Zahlenangaben über die absolute Häufigkeit der Sache und
überschätzt dieselbe jedenfalls ganz erheblich, wie meine
Statistik zeigt; das ist ja bei einem Gynäkologen wohl ver¬
ständlich, da dieser ja begreiflicherweise keinen Massstab für
die Zahl der gesunden Frauen, also für den Prozentsatz der
tripperkranken hat.
Es wäre hier der Ort, die Fortsetzung meiner Statistik über die
Ehefrauen einzufügen; es lohnt nicht, da ich bisher nur weitere 60
Fälle gesammelt habe; das Ergebnis ist mit dem früheren (von 400
Fällen) übereinstimmend. Ich bemerke nur, dass in den 60 Fällen
nicht weniger als 58 mal die Frauen unterleibsgesund er¬
schienen, nur zwei erkrankt, davon die eine noch zweifelhaft, ob
gonorrhoisch; (sie hatte 2 mal abortiert, wurde kurettiert und hatte
dann noch 2 gesunde Kinder). 32 Frauen hatten 2 — 6 Kinder; 12 nur
eines: davon 5 absichtlich, 3 wegen zu kurzer Ehe, 2 wegen ander¬
weitiger Erkrankung (Basedow, Tuberkulose) und nur 2 aus unbe¬
kannter Ursache; 14 Frauen hatten keine Kinder (4 wegen noch zu
kurzer Ehe, 3 wohl wegen Syphilis des Mannes, 2 wegen Sterilität und
mangelhafter Potenz des Mannes, 2 wegen Zervixstenose und nur 3
aus unbekannter Ursache). — Es ist überflüssig, dazu weiteren
Kommentar zu machen.
In parenthesi will ich hier noch anfügen, dass meine
Statistik einen gewissen Rückschluss auf die durch Gonorrhöe
bedingte Zeugungsunfähigkeit des Mannes gestattet, die jeden¬
falls auch stark überschätzt wird. Wenn unter 370 Ehen früher
tripperkranker Männer, deren Frauen gesund blieben, sich nur
40 (nicht absichtlich) kinderlose Ehen finden, unter welchen
für viele doch noch andere Ursachen (Syphilis, zu kurze Ehe¬
dauer, Myome, Zervixstenose, Retroflexio uteri etc.) in Frage
kommen, so bleiben nur wenige Prozent übrig, bei welchen die
männliche Sterilität als Ursache der Kinderlosigkeit beschuldigt
werden kann. Auch diese Frage auf statistischem Wege, unter
Zuhilfenahme möglichst sorgfältiger Ermittelungen zu lösen,
liegt hier sehr nahe.
Was der Gynäkologe Kossmann13) vorbringt, berührt
eigentlich meine Sache nur sehr wenig. Er erklärt meine
Statistik als durchaus unzuverlässig, glaubt aber, dass eine
Statistik, die er selbst etwa aufstellen wollte, ebenso unzuver¬
lässig sein würde; diesen Glauben will ich ihm nicht rauben,
aber er beirrt mich keineswegs in der Ueberzeugung, dass
meine Statistik doch einen recht hohen Grad von Zuverlässig¬
keit besitzt, aber natürlich n u r für die Vorkommnisse, auf
welche ich sie angewendet habe und angewendet sehen will.
Kossmann vergisst, dass ich ausschliesslich die
schweren Folgen des Trippers bei der Frau (die
schweren Unterleibsentzündungen, Metritis, Para- und Peri¬
metritis, Pelveoperitonitis etc. — und die Unfruchtbarkeit) zu
fassen suche. Dass ich gonorrhoische Erkrankungen der Frau
überhaupt, auch in ihren leichten, heilbaren, fast symptomlosen
Formen nicht durch Befragung der Frau oder gar nur des
Mannes feststellen wollte, ist doch ganz selbstverständlich; so
töricht bin ich doch nicht.
'-) Zeitschr. f. Bekämpfung d. Qeschlechtskrankh. VI, S. 64.
13) Zur Statistik der Gonorrhöe. Diese Wochenschr. 1906, No. 51,
S. 2535.
Das, was ich wissen wollte, und worauf es überhaupt in
dieser Diskussion allein ankommt, das kann schliesslich auch
der harmloseste und einfältigste Ehemann mit Sicherheit an¬
geben! — ob seine Frau Kinder hat und Wie viele? — und ob
sie etwa einmal schwer unterleibsleidend, bettlägerig war,
operiert wurde usw.? Es ist recht betrübend, dass ich das
immer wiederholen muss.
Es fällt mir nicht ein, den Angaben von Kossmann über
die Erscheinungen der akuten Gonorrhöe bei Frauen, über die
gonorrhosiche Erkrankung des Uterus, der Tuben, der Bauch¬
höhle etc. als Nichtgynäkologe zu widersprechen; wenn ihre
Erscheinungen so unbedeutend sind, dass sie übersehen und
vergessen werden können, so entziehen sie sich natürlich
meiner Statistik; ebenso ist es mit der angeblich sehr grossen
Zahl von Frauen mit gonorrhoischer Entzündung der Bauch¬
höhle, die angeblich nur an Obstipation, an Unterleibsschmerzen
u. ähnl. leiden oder vielleicht nur für nervös und „unliebens¬
würdig“ gelten; ihre Zahl ist statistisch gar nicht festzustellen.
Kossmann glaubt aber, dass sie recht gross sei; man
kann aber auch vielleicht einen anderen Glauben haben und
ich möchte gerne die Ansichten anderer Gynäkologen darüber
hören.
Auch die kasuistischen Mitteilungen von V ö r n e r (1. c.)
über die Erkrankung der Ehefrauen in wahrscheinlich nicht
tripperreinen Ehen sind ja ganz interessant, geben aber gar
keinen Anhaltspunkt für die Häufigkeit von Erkrankungen
ernsterer Art in solchen Fällen.
Wenn endlich K o p p 14) aus meinen Angaben heraus¬
rechnet, dass in Deutschland selbst bei der Annahme von nur
2,125 Proz. schwerer gonorrhoischer Erkrankungen jährlich
zwischen 8000 und 9000 junge Ehefrauen durch die Ehe schwer
geschädigt werden, so ist das ja erschreckend genug; er hätte
aber doch hinzufügen dürfen, dass nach den früheren und all¬
gemein anerkannten Annahmen diese Zahl wohl zehnmal .so
gross oder noch höher zu schätzen wäre!
Wenn Blaschko auch im allgemeinen meiner Statistik
für die Frauen mehr Berechtigung zugesteht, so hat es mich
doch etwas peinlich berührt, wenn er in seinem Schlusspassus
(I. c.) meine Ergebnisse geradezu als betrübend hinstellt und
sie den Vorkämpferinnen der Frauenbewegung als ein wirk¬
sames Agitationsmittel an die Hand gibt. Er hätte nicht ver¬
schweigen dürfen, dass diese 25 bezw. 17 Ehen, die von dem
Tripper „vergiftet“ waren, die einzigen unter 400 nicht tripper¬
reinen Ehen sind und dass, wenn ich 50 Proz. tripperkranke
Ehemänner finde, diese Zahl noch ungefähr verdoppelt werden
muss, dass also auf ca. 800 Ehen nur 25 bezw. 17 vom Tripper
ernstlich geschädigte Frauen kommen15).
14) Siehe diese Wochenschr. 1906, S. 2534, Nr. 51.
15) Erst nachdem das Vorstehende längst niedergeschrieben war.
kam mir — durch Zufall sehr verspätet — der Aufsatz von A. Neisser
„Ueber die Behandlung der Gonorrhoe“ in der „Med. Klinik“ 1907,
Nr. 14 zu Gesicht, in welcher sich der Autor auch in einer grossen
Anmerkung gegen meine Tripperstatistik wendet.
Leider kommen auch von dieser von mir so hochgeschätzten
Seite im Wesentlichen nur dieselben Ansichten und Bedenken zum
Ausdruck, wie bei meinen anderen Gegnern; ich hoffe, sie im Vor¬
stehenden genügend widerlegt zu haben.
Neisser berührt zum Teil Dinge, die gar nicht hierher ge¬
hören, die aber auch mir sehr wohl bekannt sind, nämlich die üblen
Folgezustände der .akuten und chronischen Gonorrhoe bei Männer n.
Nur auf die im 3. Absatz seiner Anmerkung getanen Aeusserungen
muss ich etwas eingehen, da sie auf Missverständnissen beruhen.
Die in ihrer Richtigkeit bemängelten Zahlen über 4,25 .bezw. 6,25 Proz.
schwer erkrankten Frauen in „Tripperehen“ betreffen ja keineswegs
die Ansteckung .an sich, sondern nur die schweren Folgen
derselben für die Frau! Das ist doch ein gewaltiger Unterschied!
Dass wahrscheinlich sehr viel häufiger eine Ansteckung mit
Tripper in diesen Ehen erfolgt, die aber rasch heilt oder nur leichtere
Folgen hinterlässt, das weiss ich selbst; die wollte und konnte ich
aber mit meiner Statistik gar nicht fassen. Im Schlussatz dieses
Alinea ist meinem verehrten Freunde aber noch ein erheblicher Irr¬
tum passiert; er vergisst, dass die 4,25 Proz. erkrankter Frauen sich
lediglich in den Ehen von tripperkranken Männern finden, es also
falsch ist, diese Zahl zu verdoppeln. Wenn es in der männlichen
Bevölkerung 50 Proz. Tripper gibt, so stehen eben 100 infizierten
Ehenmännern (ungefähr) 100 nichtinfizierte gegenüber und unter
diesen 200 Ehen finden sich dann 4,25 erheblich an Tripper erkrankte
Frauen, d. h. also 2,125 Proz. und nicht 8,5 Proz., wie N. aus-
30. Juli 1907.
MUfiNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 153t
Ich bin gewiss kein Optimist in dieser Frage und will ge¬
wiss nicht abwiegeln, oder die Bestrebungen der Aerzte, die
dem Tripper eine ernstere Bedeutung zuschreiben und ihn für
ein das Volkswohl erheblich schädigendes Uebel erklären,
irgendwie durchkreuzen. Ich wiederhole, dass, auch wenn man
bei der Wahrheit bleibt, die Dinge noch traurig genug sind und
noch reichlich Agitationsstoff übrig bleibt; aber man darf den
Bogen auch nicht überspannen, sonst schadet man der Sache
mehr als man ihr nützt. Und schliesslich: Die Wahrheit über
alles !
Mir selbst wird es ja voraussichtlich bald versagt sein,
viel weiteres Material zur Fortsetzung dieser statistischen
Untersuchungen, die ja hach manchen Richtungen noch aus¬
gedehnt und verfeinert werden können, beizubringen. Darum
möchte ich dringend bitten, dass Beobachter mit ähnlich
günstigem Material wie das meinige — Kliniker, auch chirur¬
gische, gesuchte Consiliarii, beschäftigte Familienärzte usw. —
sich der nicht ganz mühelosen Arbeit des Sammelns geeigneter
Notizen unterziehen und so die Resultate solcher Statistiken auf
eine breitere Unterlage stellen möchten.
Ein neuer Harnfänger für männliche Säuglinge.*)
Von Dr. Ernst Teuffel, Kinderarzt in Dresden.
Für die Herstellung von Säuglingsurinalen ist die moderne Tech¬
nik mehr und mehr vom Gummi zum Glas übergegangen. Der Grund
hieftir lag hauptsächlich in der leichteren Zersetzlichkeit und Trü¬
bung des Urins durch Gummistoffe. Ganz hat man sich, wie ver¬
schiedene Rezipienten neueren Datums beweisen, noch nicht davon
zu befreien gewusst. Auch der von Gross mann wohl zuletzt
(1905) angegebene, besonders für Chirurgen und praktische Aerzte
bestimmte Urinfänger kann des Gummis nicht entraten, insofern ein
Schlauch die Verbindung zwischen dem zu passierenden und dem
eigentlichen Aufnahmeglas vermittelt. Zum dichten Abschluss dieses
Rezipienten ist ausserdem eine grössere Fläche Heftpflaster nötig,
die beim männlichen
Säugling Skrotum und
Regio pubica bekleben
soll. Manches hat der
Apparat dennoch vor
der üblichen Methode,
mit Reagenzrohr oder
Kölbchen den Urin ab¬
zufangen, voraus. Er
ist ein Fortschritt.
Das Reagensglas ist
für die kleinen laufenden
Untersuchungen ohne
Zweifel genügend, mutet
aber, wie ich glaube, mit Recht etwas primitiv an. Auch hier ist das
Glas mit Heftpflaster und mit den Windeln des Kindes zu fixieren.
Jede Erektion würde ohne diese Hilfe den Rückfluss von Urin her¬
beiführen. Diese ganze Art der Fixation kann auch für den Säugling
kaum angenehm sein, um so weniger, wenn sie öfter wiederholt
werden muss.
Unser Bestreben muss auch in dieser Beziehung sein, Rezipienten
zu finden, welche nicht nur im stände sind, in einwandfreier und
einfacher Weise eine grössere Menge Harn — also auch für quan¬
titative Bestimmungen, abgesehen von Stoffwechseluntersuchungen
— aufzufangen, sopdern auch möglichst mühelos und für den Säug¬
ling möglichst schonend befestigt werden können, und welche nicht
teuer sind.
Eine nicht unwichtige Frage für dieses Ziel ist auch die nach
der Form des Rezipienten. Unter den bisherigen Formen vermisste
ich ganz die stabile, d. h. auf der Unterlage zwischen den Beinen
sicher ruhende Form,, welche dem Rezipienten die Gestalt eines
rechnet. Hier liegt offenbar eine Verwechslung vor; es ist übersehen
worden, dass meine Statistik sich nur auf 400 verheiratete Männer
m i t Tripper bezieht. — Und ich finde, dass man über diese 2,125 Proz.
schwere Tripperfolgen in der Gesamtzahl der Ehen doch nicht so
sehr erschreckt zu sein braucht, wenn man bedenkt, wie viel grössere
Zahlen man bisher als richtig ansah!
Ueber die Bedeutung des Trippers für die Sterilität bezw.
Impotenz des Mannes, die N e i s s e r ebenfalls berührt, kann ich auf
meine oben gemachten Bemerkungen verweisen.
Jedenfalls will ich auch an dieser Stelle den Vorwurf des
„Optimismus“ zurückweisen. Ich halte, wie wiederholt ausge¬
sprochen, die Sache noch für schlimm genug, wenn auch nicht für s o
schlimm, wie man sie vielfach darzustellen beliebt.
*) Nach einer Demonstration in der Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde in Dresden vom 16. März 1907.
wirklichen Harnglases gibt. Eine solche Form gestattete das Glas
grösser zu bauen und ihm mehr Gewicht zu geben, so dass für die
Fixation nur diejenige an den Rumpf in Betracht kam.
Aus solchen Erwägungen heraus habe ich es der Mühe wert
gefunden, das beistehend abgebildete Modell herstellen zu lassen.
Dasselbe ist nur aus Glas, leicht zu reinigen und aüskochbar. Sein
Halsteil dient der Aufnahme des Penis. Vom Halse an fällt die
Vorderwand des Glases steil und mit Rücksicht auf das Skrotum in
leicht nach innen konvexem Bogen ab. So kann der Harn gleich
nach abwärts fliessen. Der Boden ist flach und breit. Besonders
hingewiesen sei auf die von oben vorn nach unten und hinten schräg
verlaufende Ebene der Einflussöffnung. Der obere freie Rand des
Halses überragt also den unteren wesentlich. Hiedurch soll das bei
anderen Gläsern oft beobachtete Herausgleiten des Penis nach oben
verhütet und die Befestigung mit Heftpflaster überflüssig werden.
Die Befestigung am Leib geschieht mit einfachem Durchzugsband,
welches je an einer der seitlich am Halsteil befindlichen kräftigen
Glasösen angeknotet und von da um die Hüften geführt unter leichtem
Zug seitlich zu einer Schleife verbunden wird.
Masse des Glases: Höhe (bis zum unteren Rand der Oeffnung)
7 cm, Länge (über den Rücken) 15 cm, Boden 7:9 cm, Oeffnungs-
durchmesser 1,5 : 2,1 cm (grosses Modell).
Mit Rücksicht auf das Alter des Säuglings sind 2 Gläsergrössen
vorgesehen, das eine 160, das andere 200 ccm fassend. Diese Ka¬
pazität macht ein häufiges Abnehmen des Glases bei quantitativen
Untersuchungen unnötig. Eine Skala für die Zahl der Kubikzenti¬
meter ist leicht anzubringen. Auch das jeweilige Umgiessen des
Harns ist durch die einfache Art der Befestigung ohne Schwierig¬
keit auszuführen und das Glas mühelos auszuwechseln. Indem dieses
ferner sicher auf seiner Unterlage steht und die Fixation am Körper
eine leichte ist, erscheint die Belästigung für den Säugling sehr
gering. Ein Zug findet ja kaum statt.
Meine persönliche Erfahrung mit dem Rezipienten, den ich in
einer ganzen Reihe von Fällen, besonders bei älteren, unruhigeren
Säuglingen angewendet habe, geht dahin, dass derselbe für den
klinischen Bedarf im Krankenhaus, wie draussen
für den p-rak tischen Arzt seine Aufgabe vollkommen erfüllt.
Er ist mir aber auch bei Zuständen von Anurie, wo es auf die
approximative Bestimmung der täglich abgesonderten Harnmenge
sehr wesentlich ankommt, von grossem Werte gewesen.
Ueber die Verwendung bei Stoffwechselversuchen steht mir
keine Beobachtung zu Gebote; ich kann mich aber der Ueber-
zeugung nicht verschliessen, dass auch hier das Glas, wenn es sich
nur um Harnbestimmungen handelt, zu brauchen sein wird. Hier
mag es sich ja der Sicherheit wegen empfehlen, Heftpflaster zu Hilfe
zu nehmen. Mir selbst ist es einige Male gelungen, Harn von 12
bis 24 Stunden ohne Verlust aufzufangen. In diesem Punkt bin ich
für eine erweiterte Prüfung von berufener Seite nur dankbar.
Ein entsprechendes Glas für den weiblichen Säugling hoffe ich
bald demonstrieren zu können.
Der Preis des Urinals beträgt M. —.70. Es ist von dem optischen
Institut Carl Wi e g a n d in Dresden-N hergestellt, welche Firma auch
den Vertrieb übernommen hat.
Heisse Luft als Behandlungsmittel der Frostbeulen in
der Volksmedizin.
Von Dr. Hornung- Schloss Marbach a/Bodensee.
Die Artikel der Herren Prof. Ritter und Dr. Mirt in dieser
Wochenschrift, welche über die Behandlung von Frostschäden be¬
richten, veranlasst mich, folgendes eigene Erlebnis auf diesem Ge¬
biete hier mitzuteilen, welches zeigt, dass in der Volksmedizin die
heisse Luft schon längst zur Behandlung der Frostbeulen verwandt
wurde, und zwar mit bestem Erfolg.
Als ich ein Junge von 9 oder 10 Jahren war, hatte ich die Fiisse
voll Frostbeulen, die im Winter durch das fortwährende Jucken
eine Qual waren und auch dadurch Beschwerden hervorriefen, dass
einzelne aufbrachen. Als ich einst im väterlichen Pferdestall wieder
den einen Fuss mit dem Absatz des anderen bearbeitete,
um das Jucken zu vertrcioen, sah das der alte Kutscher,
ein ehemaliger Postillon, und fragte, was ich hätte. Als
ich ihm mein Leid geklagt hatte, sagte er, das wolle
er schnell wegschaffen. Als anno 48 die grosse Strasse
nach Erfurt gebaut wurde, habe er mitten im Winter die Messkette
durch die Unstrut schleppen müssen und sich dabei beide Füsse er¬
froren. Da habe ihm einer gesagt, er solle die Füsse mit gereinig¬
tem Steinöl einreiben und sie ans Ofenfeuer halten, so lange er
könne und so nahe an die Flamme, als möglich. Er habe es getan,
und seine Füsse seien gesund geworden. — Es wurde also für 10 1 i.
Steinöl beschafft, meine Fiisse wurden eingerieben und ich brachte
einen Nachmittag damit zu, nach dem angegebenen Verfahren zu
arbeiten. Es wurde mir manchmal brenzlich heiss; aber ich hielt
aus. In ein paar Tagen waren die Frostbeulen verschwunden und
ich blieb für immer davon befreit.
Als Erklärung für die Wirksamkeit dieser I rozedur sagte dei
Alte, dass das Feuer mit ‘Hilfe des brennbaren Steinöls den Frost
herausziehen müsse. Selbstverständlich würde die Hitze wohl ohne
Steinöl auch wirksam geworden sein. Ich vermute, dass dies an-
3*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. M.
gewendet wurde, weil in der Volksmedizin immer das Bestreben
vorhanden ist, die gute Wirkung natürlicher Heilmittel, wie trockene
oder feuchte Wärme etc., nicht diesen Faktoren selbst zuzuschreiben,
sondern den Hilfsmitteln, mit denen sie dem Körper übermittelt
werden. So macht man heisse Umschläge mit Heublumen, badet
in heissem Kamillenthee usw.
Nur kurz möchte ich eine andere Behandlungsweise der Frost¬
beulen erwähnen, die auch der Volksmedizin angehört: Man bestreicht
Frostbeulen mit heissem Tischlerleim. Ich würde, wenn ich in die
Lage käme, noch einmal Frostbeulen an mir behandeln zu müssen,
die erste Methode vorziehen, die gestattet, die Füsse wegzuziehen,
wenns im Ofen zu heiss wird. Bei der zweiten ist man denn doch
dem Gefühl für den richtigen Hitzegrad von seiten des Heilkünstlers
zu sehr ausgeliefert.
Zur Differentialdiagnose der menschenpathogenen
Streptokokken.
Erwiderung auf die Bemerkungen von H. Beitzke und
(). Rosenthal zu meiner Arbeit in Nr. 24 dieser Wochen¬
schrift.
Von W. H. Schultze in Qöttingen.
Beitzke und R o s e n t h a 1 glauben sich auf Grund meiner
Ausführungen zu der Annahme berechtigt, dass auch das Eppen-
dorfer Institut nicht in der Lage sei, eine genaue Vorschrift zur Be¬
reitung des Lackmusmilchzuckeragars zu geben. Sie schliessen dies
aus meinem Satze: „Es kommt auch im Eppendorfer Krankenhause
vor, dass auf einer Abkochung des Nutroseagars die Stämme nicht
ordentlich wachsen, während sie auf einer anderen sehr gut ge¬
deihen.“ Aus dem Zusammenhang gerissen, könnte dieser Satz zu der
Annahme von Beitzke und Rosenthal führen. Ich fahre aber
ausdrücklich fort: „Es war dies immer nur dann der Fall,., wenn
der Nährboden nicht gengiiend alkalisiert war und keinen rein blauen,
sondern etwas ins rötliche spielenden Farbenton aufwies“. Auch
erwähne ich besonders, dass dieser Nährboden „von der Benützung
ausgeschaltet“ wurde, und habe nachdrücklich betont, dass „auf dem
richtig alkalisierten Agar stets gutes Wachstum vorhanden“ war.
Auch vorher sage ich wörtlich: „Es ist niemals vorgekommen, dass
über Nichtwachsen eines Streptokokkenstammes auf richtig zube¬
reitetem Drigalkiagar berichtet worden wäre.“ Wo ich also „etwas
zugebe, was ich einige zwanzig Zeilen vorher bestreite“, wie B. und
R. schreiben, ist mir nicht ersichtlich. Dass auch in dem best ge¬
leiteten Institut einmal Ungenauigkeiten in der Zubereitung der
Nährböden Vorkommen können, ist wohl selbstverständlich.
Da Beitzke und Rosenthal für alle ihre Stämme nur ein-
und denselben Agar verwandt haben, ist die Möglichkeit, dass ge¬
rade dieser eine Agar nicht richtig zusammengesetzt war, noch viel
wahrscheinlicher, als wenn sie mehrere Abkochungen benützt hätten,
und ich halte meine Ansicht, dass sich die Differenzen zwischen den
Resultaten von Beitzke und R o s e n t h a 1 und meinen Ergebnissen
und den sich darauf aufbauenden Erwägungen am besten aus einer
verschiedenen Zusammensetzung der benützten Nährböden erklären
lassen, vollkommen aufrecht.
Ueber die Behandlung der angeborenen Lebensschwäche.
Von Prof. Meinhard Pfaundler.
(Schluss.)
Eine ganz andere Indikation für die Anwen¬
dung der Couveuse, als bisher berücksichtigt, wurde
insbesonders von französischen Autoren ins Auge gefasst, näm¬
lich die Verhütung der abnor m starken initia¬
len Abkühlung frühge*borenerKinder nach der
Geburt. Bei neugeborenen Kindern kommt es bekanntlich
infolge der Labilität ihrer Körpertemperatur und dem allenthal¬
ben üblichen ersten Reinigungsbade 1 — 2 Stunden post partum
zu einer kurzdauernden physiologischen Temperaturremission
um etwa VA bis 2K> °. Bei Frühgeborenen erreicht diese ini¬
tiale Abkühlung sehr häufig höhere Grade und persistiert durch
längere Zeit. E r ö s s fand zwar, dass die Hypothermie bei
Frühgeburten keine so häufige sei und dass nur der kleinste
Teil, etwa ein Viertel, aller Frühgeborenen einer künstlichen
Erwärmung bedürfe, doch beziehen sich seine Erhebungen auf
Kinder, die andauernd im Bette der Mutter gepflegt wurden,
w as auf die Temperaturverhältnisse ohne Zweifel grossen Ein¬
fluss hat und was weder als ein „gewöhnliches“ noch als ein
zweckmässiges heute in Betracht kommendes Regime bezeich¬
net werden kann.
Die (mitunter exzessive) Abkühlung der Debilen (auf 32 bis
30° C) scheint nun aber als solche mit Schaden einher¬
zugehen; dafür sprechen insbesonders Letalitätsdaten, wie sie
beispielsweise von B u d i n gewonnen wurden. Die Mortali¬
tät innerhalb der einzelnen Geburtsgewichtsklassen war unter
sonst gleichen Umständen eine weit geringere, wenn die ini¬
tiale Abkühlung hatte vermieden werden können, ja sie diffe¬
rierte noch bis zu 12 Proz. zu Ungunsten der unter 32° C
Abgekühlten im Vergleiche zu den nur bis zu 32° C Abgekühl¬
ten. Worauf dieser Schaden der vermehrten initialen Ab¬
kühlung beruht, kommt in der französischen Literatur m. W.
nicht zum Ausdrucke; doch ist es vielleicht nicht schwer, sich
darüber eine plausible Vorstellung zu machen. Die Wieder¬
erwärmung, welche der physiologischen Abkühlung der Neu¬
geborenen gesetzmässig am 2. Lebenstage folgt, kommt unter
gewöhnlichen Verhältnissen mangels an Nahrungsmaterial
offenbar auf Kosten von Heizstoffen des Körperbestandes zu¬
stande, die aus dem fötalen Leben stammen und deren Konsum
nach E r er s s den initialen Gewichtsabsturz z. T. wenigstens er¬
klärt. Nun führt der erhöhte Heizstoffbedarf nach ver¬
mehrter Abkühlung bei Debilen möglicherweise zum Angriffe
auf mehr oder „höherwertiges“ Körpermaterial, dessen Aus¬
fall nicht ohne Schaden für das spätere Leben bleibt.
Wenn es sich bloss darum handelt, diese initiale Abkühlung
zu verhindern, dann genügt eine viel kürzere Aufenthaltsdauer
im Wärmschranke. Tastweises Herabmindern der Couveusen-
temperatur lässt meist schon nach wenigen Tagen erkennen,
dass das Kind in diesem Sinne nicht mehr couveusenbedürftig
ist. Marfan hält die Couveuse für nicht mehr nützlich, wenn
das Neugeborene in gewöhnlichem Milieu 2 Tage lang nicht
unter 37° C temperiert bleibt. In der französischen Literatur
begegnet man Angaben dahingehend, die „Inkubation“ dauere
bei einem gewissen Grade von Unreife oder Debilität so und
so lange. Derartige Angaben bleiben uns unverständlich, wenn
wir nicht eben damit rechnen, dass diese Autoren eine andere
Indikation der Couveuse im Auge haben, als jene, von der
unsere Erörterung ihren Ausgang genommen hat.
Die Vertreter dieser Auffassung von Nutzen und Anzeige
des Wärmeschrankes beklagen mit Recht die mancherorts
übliche Vernachlässigung des neugeborenen Kindes unmittelbar
nach der Geburt und geben dieser an der hohen Sterblichkeit
der Debilen mit Schuld. Es mag wohl zutreffen, dass in Privat¬
häusern wie in Anstalten zuweilen die Aufmerksamkeit vom
Kinde durch Sorgen um die eben entbundene Mutter abgelenkt
wird oder eine allzu umständliche Erhebung von Körpermassen
und sonstige Manipulationen an dem unbekleideten Neu¬
geborenen dieses übermässig abkühlen lassen und derart ge¬
fährden. Solche Abkühlung in den ersten Lebensstunden tun¬
lichst zu vermeiden wird auch in Fällen, wo keine Couveuse
verfügbar ist, Aufgabe des Arztes sein. Es ist allgemein be¬
kannt und namentlich von E r ö s s mit vielen Daten belegt
worden, dass der Transport von Neugeborenen durch kältere
Räume, ins Freie etc. selbst bei sorgsamster Be¬
kleidung die Körpertemperatur ganz beträchtlich herab¬
setzen und Schaden stiften kann. So fordert der Taufgang —
unter ungünstigen Umständen, besonders am Lande und in der
kalten Jahreszeit — sicher namhafte Opfer unter den Debilen.
Manche Aerzte, insbesonders Schmidt, haben an eigenen
frühgeborenen Kindern auch noch jenseits der ersten Lebens¬
woche die Schäden von Ausgängen ins Freie mit grosser Prä¬
zision beobachten können.
Wenn man den (debilen) Neugeborenen bald nach der Ge¬
burt ins Freie bringt, dann ist nach Edwardo und Vil-
1 e r m e 18) — wie Lachs zitiert — die Mortalität geradezu
eine Funktion der Lufttemperatur: im Winter grösser als im
Sommer, im Norden grösser als im Süden. In Italien überleben
nach T r e v i s o n 18) das erste Lebensjahr von den im Sommer
Geborenen (offenbar sind Debile gemeint) 83 Proz., von den
im Winter Geborenen nur 19 Proz.! Groth konnte zeigen,
dass die Sterblichkeitskurve der Debilen nach Jahresmonaten
in München ein der Gesamtsäuglingssterblichkeit geradezu
konträres Verhalten zeigt, nämlich in der heissen Jahreszeit
den tiefsten Punkt erreicht, in der kalten mächtig ansteigt.
18) Zitiert nach Lachs: Die Temperaturverhältnisse bei den
Neugeborenen in ihrer ersten Lebenswoche. Volkmanns Sammlung
I klin. Vorträge, N. F„ No. 307.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1533
In Frankreich sorgt die „Assistance publique“, deren Säug¬
lingsschutzbestrebungen uns in vieler Hinsicht vorbildlich sein
können, u. a. dafür, dass Ammen (,,Fernammen“), die mit neu¬
geborenen Pflegekindern von Paris nach der Provinz reisen,
besonders gewärmte Eisenbahnabteile erhalten und dieselben
bis zur Erreichung der Endstation nicht verlassen, woselbst
ihnen Wärmevorrichtungen für die Kinder verfügbar sind.
Der Transport frühgeborener Findelkinder aus der Grazer
Gebärklinik nach der Krankenabteilung der Findelanstalt im
klinischen Spitale liess mich oft die Schäden der Abkühlung
gewahr werden, was mich veranlasste, ein Projekt für eine
fahrbare Couveuse auszuarbeiten. Wo eine solche nicht ver¬
fügbar ist, sollen Frühgeborene unbedingt frühestens nach ein¬
tägigem Verweilen in dem Wärmschranke an der Gebäranstalt
verbleiben.
Ich möchte nicht verfehlen, hier ein prinzipielles
Bedenken, das gegen die Verhütung jeglicher
initialer Abkühlung erhoben werden könnte,
zu berücksichtigen. Hat die initiale Abkühlung, bezw. die sie
verursachende Kältewirkung nicht etwa eine gewisse Bedeu¬
tung für physiologische Vorgänge nach der Geburt und kann
die Vermeidung dieser Kälteeinwirkung nicht etwa auf diesem
Wege Schaden verursachen? Es ist hier zu erwägen, dass die
Wärmeökonomieverhältnisse des Körpers in utero und extra
uterum ganz ausserordentlich verschiedene sind; dort ein mini¬
males Temperaturgefälle vom Körper nach der Umgebung,
daher minimale Wärmeverluste, dafür auch nur minimale
Wärmeproduktion, hier durchweg das Gegenteil. Es kann
nicht wundernehmen, dass die zwischen der Wärmeein¬
nahme und -ausgabe gleich dem Zeiger der Wage spie¬
lende Körpertemperatur bei dieser gewaltsamen, urplötz¬
lichen Umwälzung einen Ausschlag ergibt. Es ist offenbar
sehr zweckmässig, dass das Kind in dem Momente, in dem
es aus dem warmen Fruchtwasserbade kommt, auch ge¬
zwungen wird, mit eigener Körperarbeit zu beginnen, d. h.
Wärme zu produzieren. Derart koordinierte Vor¬
gänge pflegen in der organischen Welt durch
Reflexe miteinander verknüpft zu sein, und so
war auch a priori anzunehmen, dass der auf das Neugeborene
wirkende Kältereiz bei der Auslösung des ersten Atemzuges
auf Reflexbahnen mitarbeite, dass der beginnende Wärme¬
abfluss direkt die Wärmeproduktion in Gang bringe. Solche
Anschaungen wurden in der Tat nicht allein mehrfach
geäussert, sondern auch experimentell und anderweitig ge¬
stützt; dass der Kältereiz beim Neugeborenen als zum minde¬
sten unterstützendes Moment für das Zustandekommen des
ersten Atemzuges wirke, kann kaum bezweifelt werden, wenn
man an die Wirkung kalter Uebergiessungen und kalter Bäder
in jedem Lebensalter denkt. E r ö s s und M e i n e r t, die über
Couveusen keine Erfahrungen zu machen Gelegenheit hatten,
meinen, dass insbesonders die Einatmung relativ kühler Luft,
wegen deren Einfluss auf die Atmungstiefe, bei aller Wärme¬
versorgung Debiler „unerlässlich“ bleiben werde; und
P o 1 a n o hat — um dieser Forderung zu entsprechen — einen
Wärmschrank gebaut, bei dem der Kopf des Kindes ausserhalb
der erwärmten Zone liegt. Heute wissen wir nicht allein auf
Grund von tausenderlei Beobachtungen an Couveusenkindern,
dass diese Vorsorge überflüssig ist, es ist uns auch durch
A h 1 f e 1 d s bemerkenswertes Experiment der Geburt in das
warme Bad bekannt, dass unter den hiedurch geschaffenen Be¬
dingungen der erste Atemzug wider Erwarten ebenso prompt
erfolgt, wie sonst. Richtig ist, dass in dem warmen Bade die
Pulsation der Nabelschnur bestehen bleibt, bezw. ihre Kon¬
traktion ausbleibt. Aber auch dieses Bedenken ist sicher kein
schwerwiegendes, zumal örtliche Eiskiihlung des Nabelstranges
den Puls sogleich unterdrückt.
Die Indikation für die Anwendung der Couveuse wird sich
im Einzelfalle aus dem äusseren Gehaben des Kindes, aus
seinen Körpertemperaturen, allenfalls auch aus mangelhafter
Gewichtszunahme ergeben, soferne diese durch das Er¬
nährungsregime und den Zustand des Verdauungstraktes nicht
motiviert erscheint. Eine generelle Kontraindikation der Cou¬
veuse bei debilen Kindern der ersten Lebenstage und -Wochen
kenne ich nicht; insbesonders können als solche infektiöse,
fieberhafte Prozesse an sich m. E. nicht gelten. Ueber die
Dauer der Couveusenbehandlung entscheidet in jedem Einzel¬
falle die fortlaufende Beobachtung der als Indikationen genann¬
ten Zeichen.
Anschliessend seien einige andere auf den Wärmehaushalt
des Debilen bezügliche Massnahmen zu erwähnen.
Ungefähr zur Zeit, da T a r n i e r die erste Couveuse baute,
befasste sich W i n c k e 1 19) in Dresden mit Versuchen über eine
Vorrichtung, die in gleicher Weise den Zweck hat, durch Her¬
stellung eines niederen Temperaturgefälles die Wärmeabfuhr
aus dem kindlichen Körper tunlichst einzuschränken. Winckel
aber wählte — vielleicht in Anpassung an die im Mutterleibe
gegebenen Verhältnisse — an Stelle des konstanten warmen
Luft bades das konstante warme Wasser bad. Dieses
diente ihm zur Behandlung der Lebensschwäche, sowie einiger
anderer Affektionen bei Neugeborenen. Winckel ging in
der Weise vor, dass er Rumpf und Extremitäten des Säuglings
in eine diesem Zwecke durch ihre Form und durch besondere
Vorkehrungen angepasste Badewanne lagerte, die mit warmem,
nämlich auf 35 — 37 0 C temperiertem Wasser bezw. Salzwasser
(allenfalls mit medikamentösen Zusätzen) gefüllt war. Die Ver¬
suche, über welche Winckel — im Vereine mit W e i s s —
berichtete, hatten in einigen, Debile betreffenden Versuchen,
die durch Stunden und Tage ausgedehnt worden waren, ein
recht günstiges Ergebnis und noch 1893 berichtet v. W i n c k e 1
über frappante Erfolge, die er mit dem warmen Dauerbade
bei Neugeborenen (mit Atelektasen) erzielen konnte. Dennoch
scheint das Verfahren nicht viele Anhänger gefunden zu haben,
vermutlich deshalb, weil sich gewisse prinzipielle und prak¬
tische Bedenken nicht ganz von der Hand weisen lassen. Die
Bedienung des Apparates gestaltet sich ziemlich umständlich,
insoferne alle halben bis ganzen Stunden je ein halber Liter
kochenden Wassers bereit gehalten und (vorsichtig!) nach¬
gefüllt werden muss. Drei- oder viermal am Tage ist das ganze
Wasser durch frisches zu ersetzen, was aber doch wohl nicht
völlig verhindern wird, dass Teile der Körpersekrete und -ex-
krete über die ganze Körperoberfläche sich verbreiten und
Keime ausstreuen. Darunter, sowie unter der ständigen Feucht¬
haltung dürfte aber insbesondere die Pflege des Nabelstrang¬
restes und der Nabelwunde leiden. Das Kind muss natürlich
in der Wanne fixiert werden; jede fixierte Lage aber wird auf
die Dauer qualvoll und gerade von Säuglingen im allgemeinen
schlecht ertragen, wie man von Stoffwechseluntersuchungen
weiss.
Winckel empfiehlt eine Temperatur des Badewassers,
die der des Fruchtwassers nahezu oder völlig gleichkommt.
Es ist zu erwägen, dass dadurch auf die Dauer Wärmestau¬
ungen bedingt werden können, weil das Neugeborene im Gegen¬
satz zum Fötus unter allen Umständen ein Wärmeproduzent ist.
Das Wasser ist ein viel besserer Wärmeleiter als die Luft,
daher geringe Ausschläge der Temperatur des Bademediums
nach oben oder unten sich beim Wasserbade in viel höherem
Masse störend bemerkbar machen müssen, wie beim Luftbade.
Inwieweit die beim Erwachsenen gemachten Erfahrungen über
die gewaltsame Beeinflussung des Stoffwechsels durch wärmere
und kühlere Wasserbäder auf den Neugeborenen übertragen
werden können, steht dahin.
Ohne über die einzig entscheidenden persönlichen Er¬
fahrungen betr. das Win ekel sehe Dauerbad zu verfügen,
möchte ich vermuten, dass dasselbe sich vielleicht weniger zur
längerwährenden Behandlung einfacher angeborener Lebeus-
schwäche, als vielmehr zur Behandlung gewisser anderer Zu¬
stände, namentlich jener bewähren dürfte, in denen eine Ent¬
blutung innerer Organe nach dem Hautbereiche zu erstrebt
wird. Zu diesem Behufe werden durch etliche Stunden höch¬
stens andauernde Bäder ausreichen, wie sie jüngst auch
B u d i n empfahl.
Kühlere Bäder (zu Reinigungszwecken) anzuwenden, ist
bei Debilen nicht Tätlich. Die Zimmertemperatur wird man
zweckmässig höher als sonst üblich, auf etwa 24—25 " C ein¬
stellen. Man wird es vermeiden, das debile Kind ins Freie zu
bringen, soferne nicht ganz besonders günstige atmo¬
sphärische Bedingungen gegeben sind (conf. S c h m i d t).
19) Winckel: Ueber die Anwendung permanenter Bäder bei
Neugeborenen. Zentralbl. f. Gynäkol. 1882, VI. Jahrg.
lo34
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
In Anstalten kommen heizbare Wickeltische für Debile in
Verwendung; eine zweckmässige Fürsorge ist endlich die Ver¬
wendung vorgewärmter frischer Wäsche.
13. Die Diätetik; die Vermehrung der Ein¬
nahmen.
Eine vermehrte Nahrungszufuhr, die den vermehrten Kraft¬
ausgaben beim Debilen das Gleichgewicht leisten soll, wird
diesen Effekt nur dann haben können, wenn das Kind die ver¬
mehrte Nahrungsmenge zu bewältigen imstande ist. Vermag
nun das Debile eine — selbstverständlich relativ — grössere
Nahrungsmenge, als das reif Geborene zu bewältigen? Die
Frage ist — wenigstens in Bezug auf die einfache Früh¬
geburt — zu bejahen. Wenn wir die Nahrungsmenge nach
energetischem Masse messen und auf Körpergewicht be¬
rechnen, mit anderen Worten, wenn wir nach Heubners
Energiequotienten urteilen, so finden wir tatsächlich die Früh¬
geborenen im Durchschnitte leistungsfähiger, toleranter, den
Schäden der Ueberernährung unter sonst gleichen Umständen
weniger ausgesetzt als normal Geborene. Diese Tatsache wird
weniger befremdlich erscheinen, wenn man bedenkt, dass
Nahrungsmenge und Nahrungsbedarf pro Körpergewichtseinheit
im Laufe des extrauterinen Lebens allmählich gesetzmässig
abnehmen und das Frühgeborene eben in jedem Alter auf einer
Entwicklungsstufe steht, die das Reifgeborene um Wochen oder
Monate früher erreicht hat. Man begegnet hier bei der „Ver¬
dauungskraft“ — wie ersichtlich — eben ganz analogen Ver¬
hältnissen, wie sie die „Lebenskraft“ betreffend eingangs dar¬
gelegt wurden.
So wie sich die Kraftausgaben beim gesundeh Früh¬
geborenen hochstellen, wenn man sie auf das (niedere) Körper¬
gewicht, hingegen normal, wenn man sie auf die relativ grosse
Körperoberfläche berechnet, so findet man auch die Nahrungs¬
menge, also die Energiezufuhr, beim Frühgeborenen hoch in
Bezug auf das Gewicht, normal in Bezug auf die Körperober¬
fläche (Oppenheimer 2Ü). Es illustriert dies den bekannten
R u b n e r sehen Satz von der Bedeutung der Körperoberfläche
für den Krafthaushalt.
Das Gesagte gilt von der natürlichen Ernährung. Der Be¬
trieb bei der unnatürlichen Ernährung gestaltet sich — wie
Camerer angenommen und He u b n e r aus Versuchen ge¬
schlossen hatte — wesentlich wirtschaftlicher. In der Gleichung
n — e + a wird das e ceteris paribus beim Flaschenkinde
grösser. Die Verdauungsarbeit (bei Einschluss der Leistungen
im intermediären Stoffwechsel) wird von der Muttermilch in
geringerem Masse beansprucht, als von der artfremden Milch.
Die hiernach besonders dringliche Forderung, frühgeborene
Kinder natürlich zu ernähren, ergibt sich auch schon aus
der Ueberlegung, dass der Frühgeborene als gewissermassen
noch „intrauterin Heimatberechtigter“ und der Aussenwelt
Fremder in besonderem Masse Anspruch auf die von der
Natur in der ganzen Säugerreihe vorgesehene Periode der
extrauterinen Abhängigkeit hat. Um die Nettoeinnahmen des
Debilen möglichst zu vermehren, muss jene Nahrung gewählt
werden, welche die geringsten Regieauslagen bei ihrer Ver¬
arbeitung macht, das ist die Frauenmilch.
Leider ergeben sich nun bekanntlich bei debilen Kindern
sehr häufig Schwierigkeiten in der natürlichen Ernährung. Sie
sind insbesonders darin begründet, dass die sogen. Saugfähig¬
keit im Gegensätze zu den übrigen Ernährungsfunktionen sehr
oft insuffizient wird. Dies kann nicht wundernehmen, da die
„Saugfähigkeit“ die einzige Funktion ist, an die in gewissem
Sinne stets ein absoluter (nicht ein relativer) Massstab
angelegt werden muss. Auch um relativ wenig Nahrung zu ge¬
winnen, muss das debile Kind die mütterliche Brust erschliessen
und erhalten; dieser Forderung aber, die an das Debile in
gleichem Ausmasse herantritt, wie an das reife Kind, vermag
das erstere eben vielfach nicht zu entsprechen. Insbesonders
die E r h a 1 1 u n g der Brustdrüsensekretion, die bekanntlich
eine regelmässige und zureichende Entleerung voraussetzt,
übersteigt oft die Kräfte des lebensschwachen Kindes, das sich
ja auf einer Entwicklungsstufe befindet, auf der normalmässig
die Saugleistung noch in keiner Weise angesprochen wird.
Diesen Schwierigkeiten zu begegnen, sollen die verschie¬
denen Methoden der „indirekten natürlichen Ernährung“21)
dienen; hierbei wird die mütterliche Brust künstlich entleert
und die gewonnene Milch dem Kinde, wie bei der künstlichen
Ernährung verfüttert.
Die Methodik der Brustentleerung ist eine noch sehr
mangelhafte. Bei der Konstruktion der Apparate, die diesem
Zwecke dienen sollen, den sogen. Milchpumpen (Teterelles) ist
man von einer falschen Voraussetzung ausgegangen, nämlich
von der, dass das Wesentliche bei der natürlichen Mechanik
der Nahrungsaufnahme das Saugen im engsten Sinne des
Wortes, d. h. die Herstellung eines luftverdünnten Raumes
vor den Mündungen der Milchausführungsgänge ist. Wir
wissen aber lange, dass dies nicht zutrifft, dass das eigentliche
Saugen eine untergeordnete Rolle spielt, keinesfalls den Aus¬
tritt der Milch aus den Milchgängen bewirkt, und können uns
daher durchaus nicht wundern, dass man mit Apparaten, die
nichts anderes machen, als saugen, sehr häufig nichts oder
nichts Befriedigendes und Ausreichendes erzielt: tausende der
schönsten Brüste wurden durch Milchpumpen schon zugrunde
gerichtet. Vor die Aufgabe, volle Brüste zu entleeren, ist die
Menschheit schon viele Jahrhunderte lang im Kuhstall gestellt
und hat sich dieser Aufgabe dort auch mit sehr zufrieden¬
stellendem Erfolge — aber ohne Milchpumpe! — • entledigt.
Warum man wohl diese Erfahrungen nicht verwertet hat, viel¬
mehr mit unverkennbarer Naivität an die Lösung der analogen
Aufgabe bei der menschlichen Brust herangetreten ist? Ohne
Zweifel liegen die Verhältnisse bei der menschlichen Brust
schwieriger, wegen der anderen Formation, wegen der höheren
Empfindlichkeit und Verwundbarkeit des Organes. Trotzdem
Hesse sich vermutlich ein der Melkung ähnlicher, für die
mütterliche Brust geeigneter Modus der Entleerung finden, der
den in Betätigung angeborener Reflexe vom Kinde geübten
Mechanismus weit besser nachahmt, als es die Milchpumpe ver¬
mag, der vor allem zu einem — wie es scheint — wesentlichen
Effekt des kindlichen „Saugens“ führt, nämlich zur Warzen¬
erektion. Manche Frauenbrüste sind übrigens ganz gut und
schadlos gleich einem Kuheuter melkbar und leistet das Aus¬
drücken oder Abdrücken der Milch im Durchschnitt, wo es an¬
wendbar ist, immer noch Besseres als die Milchpumpe. Dass
man in' einzelnen Fällen und durch gewisse Zeit auch mit Milch¬
pumpen etwas erzielen kann, ist mir bekannt; Anzeige dafür
liegt bei besonders empfindlichen Brüsten vor.
Was die Milchpumpenmodelle betrifft, so sind alle jene
Typen von vorneherein auszuscheiden, welche ohne vor¬
gelegten Speichelfänger (Schmidt 22) mit Mundsaugen ar¬
beiten, und alle jene, die eine ausreichende und bequeme Säube¬
rung nicht zulassen. Eines der wenigen übrig bleibenden Mo¬
delle ist jenes von Ibrahim 23). Die jüngst von Kaupe
daran angebrachte Modifikation scheint mir weder nötig noch
zweckmässig. Das, was Kaupe durch seine viel zu umständ¬
liche Vorrichtung erzielen wollte, dass man nämlich die Milch
aus dem Rezipienten durch eine mit Gummistopfen ver¬
schlossene Oeffnung direkt entleeren könne (Ibrahim ent¬
leert über die Mündung der Saugtrompete), das Hesse sich viel
einfacher und praktischer durch eine stärkere Ausbauchung des
Rezipienten selbst erreichen.
Bei Säuglingen, die auch aus der Flasche unzureichend
Nahrung nehmen, kommt das Eingiessen durch Mund und
Nase, allenfalls die systematische Sondenfütterung (Gavage)
in Betracht.
Das ideale Verfahren in dem so häufig begegnenden Falle,
dass eine sonst gesunde Mutter ihr frühgeborenes Kind aus
den angegebenen Gründen nicht selbst zu stillen vermag, ist
der temporäre Kindertausch: die Wöchnerin stillt
ein älteres, gesundes, kräftiges Kind, dessen Mutter das debile
übernimmt; der Milchbruder aber kann im Bedarfsfälle dem
Frühgeborenen auch bei der Erhaltung der Ammenbrust be¬
hilflich sein. Dieses Verfahren, das den Interessen aller Be¬
teiligten gerecht wird, ist durchführbar, wenn die Partei die
21 ) Gegenstück zur „direkten künstlichen Ernährung“ (am Euter
des Milchtieres).
22) Schmidt: Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 42.
23 ) Ibrahim: Münch, med. Wochenschr. 1904, S. 1056 und
Kaupe: ebenda 1907, S. 126.
20) Oppenheimer: C. Voitsche Festschrift.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1535
Amme und deren Kind ins Haus nimmt oder wenn sich die
Wöchnerin mit ihrem Kinde in eine geeignete Anstalt auf¬
nehmen lässt. Die Mitaufnahme des Ainmenkindes ins Haus
der Partei wird vermutlich auf Widerstand stossen, den zu
überwinden das Argument dienen muss, dass das Ammenkind
eigentlich die wichtigere Aufgabe zu erfüllen habe, als die
Amme selbst, nämlich die Brust der Wöchnerin für die künftige
Leistung zugunsten des eigenen Sprösslings zu erschliessen
und zu entwickeln. Unter günstigen Umständen wird dies in
ebenso viel Wochen geschehen sein, als andernfalls Monate der
Ammenwirtschaft im Hause erforderlich sind. Auch die gleich¬
zeitige Fütterung des debilen neben dem kräftigen Kinde an
beiden Brüsten von Mutter oder Amme leistet oft sehr Gutes;
gibt es doch viele Brüste, welche spontan tropfen, wenn ein
kräftiger Sauger an der anderen Seite angelegt wird. Mit dem
blossen Abdrücken oder Absaugen kann man binnen weniger
Wochen die schönste Ammenbrust versiegen oder aber er¬
kranken machen; diese Mittel sollen daher nur als Notbehelfe
dienen.
Der Nahrungsbedarf, beurteilt nach der Beobachtung der
von gesunden und gesund bleibenden, gute Entwicklung auf¬
weisenden Frühgeburten spontan aufgenommenen Nahrungs¬
mengen, beträgt nach den wertvollen Untersuchungen von
B u d i n (übereinstimmend mit älteren Daten) für den Debilen
jenseits der ersten Lebenstage im ersten Lebensquartal etwa
den fünften Teil seines Körpergewichtes pro Tag an Mutter¬
milch (gegen den siebenten Teil bei reifen Neugeborenen), also
V = y Heubner, Finkeistein berechnen den Energie¬
quotienten für Debile dieses Alters auf 120 — 140 (Mittel 130);
beim reifen Neugeborenen 100. Die beiden, auf verschiedenen
Wegen gewonnenen Daten sind, unter Zugrundelegung eines
Kalorienwertes der Frauenmilch von 650 pro Liter, einander
P
mathematisch entsprechend, denn y X 650 = PX 130.
Im zweiten und dritten Quartal sinkt das Nahrungs¬
bedürfnis, ähnlich wie beim normalen Kinde.
Viele debile Kinder müssen zu den Mahlzeiten aus dem
Schlafe geweckt werden, da Nahrungsbedürfnis spontan viel¬
fach gar nicht geäussert wird. Auf der ganzen Welt hat man
es als zweckmässig erkannt, lebensschwachen Kindern kleinere
und häufigere Mahlzeiten zu reichen, als normalen Kindern; nur
die Breslauer Schule plädiert für Beibehaltung von 5—6 Mahl¬
zeiten in 24 Stunden auch bei Frühgeburten. Nach dem Ge¬
sagten würde die Einzelmahlzeit für ein frühgeborenes Kind
von etwa 2 Wochen mit einem Körpergewichte von 2500 g
bei nur 5 maliger Fütterung pro Tag = 100 g betragen.
Wer öfters Leichenmagen, von jüngsten Frühgeburten stam¬
mend, zur Hand genommen hat, der wird Bedenken dagegen
nicht unterdrücken können, dass ein solcher Magen binnen
weniger Minuten dem Durchtritte von 100 g Milch dienen oder
— nach anderer Lehre — den Labkuchen einer solchen Menge
umfassen und bearbeiten soll. Man erinnert sich hierbei an die
von Finkeistein im späteren Lebensalter bei ebenfalls de¬
bilen Kindern beobachteten Magenatonien.
Eine überaus schwierige Aufgabe erwächst dem, der ge¬
zwungen ist, ein debiles Kind von den ersten Lebenstagen ab
künstlich zu ernähren. Wir besitzen zurzeit nicht allein keine
Methode der künstlichen Ernährung, die auch nur einigermassen
günstige Chancen für ein ungestörtes Gedeihen debiler Kinder
bieten würde, sondern es fehlen uns auch die Leitgedanken,
die für eine rationelle Diätetik auf diesem Gebiete massgebend
sein könnten. Wohl wurde gesagt, dass beim debilen Kinde
eine Insuffizienz der Verdauungsorgane in funktioneller Hin¬
sicht vorliege und dass man daher mit künstlich vorverdauter
Nahrung und mit Verabreichung von Verdauungsfermenten vor¬
zugehen habe; doch ist das Fundament dieser Empfehlung —
wie Czerny und Keller mit Recht betonen — eine unbe¬
wiesene Annahme. Manche praktischen Erfahrungen sprechen
übrigens für die Verwendbarkeit vorverdauter Kuhmilch¬
mischungen, zu denen ich im weiteren Sinne auch die Butter¬
milch rechne. Die Frage, in welches gegenseitige Mengen¬
verhältnis die einzelnen Nahrungsbestandteile am besten ge¬
setzt werden, wird von erfahrenen Autoren geradezu wider¬
sprechend beantwortet. Wenn ich mich an die Resultate er¬
innere, die an den steiermärkischen Findelkindern unter
Escherich und auch späterhin erzielt wurden, so möchte
ich im grossen und ganzen doch entschieden für relativ fett¬
reiche, bezw. eiweissarme Kuhmilchmischungen plädieren; mit
Fettmilch und verdünnter Fettmilch wurde — allerdings zumeist
im Allaitement mixte — doch oft überraschend Gutes erzielt
(vergl. auch F i n k e 1 s t e i n). Von Verdauungsfermenten habe
ich persönlich nur eines in grösserem Massstabe nachgeprüft:
nämlich die Frauenmilch. Ueber die Rolle der Frauenmilch als
„Ferment“ habe ich an anderer Stelle dieser Wochenschrift
jüngst einiges mitgeteilt.
Eine ganz untergeordnete Rolle gegenüber der physi¬
kalischen und der diätetischen Therapie der angeborenen
Lebensschwäche spielen bisher gewisse andere Massnahmen,
wie beispielsweise die Massage, die Salzwasserinfusion (Hypo-
dermoklysmen), der Aderlass. Möglicherweise wird man die
Anwendung solcher Massnahmen künftig besser studieren, ihre
vielleicht einheitliche Wirkungsweise erforschen und die Wir¬
kung selbst besser schätzen lernen. Zum mindesten unnütz
sind wohl die meisten medikamentösen Exzitantien, insbeson¬
dere der Alkohol (in Form von Milch-Rummischungen noch
mancherorts gebräuchlich!), die Tinctura moschi u. a. m.
Als drittes massgebendes Moment neben der Wärme¬
ökonomie, der Diätetik, muss die Pflege des debilen Kindes
genannt werden. Ein lebensschwaches Kind fordert eine
Pflegeperson für sich allein. Zahllose Details betreffend die
ganze Wartung, das Trockenlegen, das Baden, das Füttern, das
Lagern, das Anregen zur Lungenlüftung können von einer acht¬
samen, verständigen und hingebenden Pflegerin zu einem das
Wohl des Kindes am besten garantierenden System aus¬
gebildet werden. In Anstalten kommt als weiteres hochwich¬
tiges Pflegemoment noch die Isolierung des gesunden Debilen
von ansteckenden und verdächtigen Kranken hinzu.
Dass für das Wohl des lebensschwachen Säuglings durch
zweckmässiges Vorgehen sehr viel geleistet werden kann, steht
ausser Zweifel. Nach Auvards Bericht konnte unter sonst
gleichbleibenden Umständen durch Einführung der Couveuse
(und besserer Pflegeverhältnisse) die Sterblichkeit der Debilen
von 66 auf 38, ja auf 14 Proz. herabgesetzt werden; ähnliche
Daten geben H u t i n e 1 und D e 1 e s t r e, B u d i n, P o t e 1,
M a i 1 1 a r t, R o u x in Frankreich, Noacku.a. in Deutschland
an. Auch in Graz wurde es unter Escherich-Schmid
erreicht, dass gesunde Frühgeburten von etwa 1500 g Ge¬
burtsgewicht an aufwärts zumeist davongebracht wurden. Es
ist klar, dass die Herabsetzung der Debilensterblichkeit einen
grossen Einfluss auf die Minderung der Säuglingssterblichkeit
im Ganzen hat, denn sie macht sogar einen sehr beträchtlichen
Teil der Gesamtsterblichkeit aus. Nach amtlichen Statistiken
(denen allerdings in diesem Punkte ein gewisses Misstrauen
entgegengebracht werden muss) macht die Debilenmortalität
bis zu 10 Proz. der Gesamtmortalität aus, in München z. B.
8,2 Proz.
Von 16 europäischen Städten, über deren Mortalitätsver-
hältnis E röss (im Jahrbuch für Kinderheilkunde, Bd. 35) be¬
richtet, marschiert München betreffend Sterblichkeit in den
ersten 4 Lebenswochen an der Spitze. Diese Sterblichkeit in
den ersten 4 Lebenswochen beträgt in München ca. ein Drittel
der Säuglingssterblichkeit und zwei Dritteile dieser Sterbefälle
sollen auf „Lebensschwäche“ entfallen; das wären etwa 800
Kinder pro Jahr oder mehr als in jedem Lebensalter an bös¬
artigen Geschwülsten, mehr als an allen Erkrankungen der
Atmungsorgane mit Ausnahme der Tuberkulose, halb so viele
als an Tuberkulose in jeder Form und jedem Alter sterben! Es
ist sicher, dass unter diesen 800 Kindern auch viele von kranken
Müttern abstammende und nicht rettbare sind; ferner würde
auch eine Kritik jener offiziellen Zahlen (die dem 1 hema dieses
Vortrages zu ferne liegt) wahrscheinlich ergeben, dass die An¬
gabe „Debilitas vitae“ am Totenscheine zahlreiche Fehldia¬
gnosen deckt. Immerhin wird die Fürsorge für Debile stets einen
Hauptprogrammpunkt der Säuglingsschutzbewegung bilden.
Den Gebäranstalten fällt in dieser Hinsicht eine sehr dankbare
Arbeit, aber auch eine sehr grosse Verantwortung zu. Die
wesentlichsten Bedingungen für die Erzielung günstiger Er¬
gebnisse liegen — wie erwähnt — in der Personal- und Real-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
ausstattung. In letzterer Hinsicht stehen leider die deutschen
Gcbäranstalten vielfach hinter jenen des Auslandes, namentlich
hinter jenen Frankreichs zurück. Eine Umfrage, die
Deutsch 24) im Jahre 1899 anstellte, ergab z. B., dass 20 Jahre
nach der Erfindung der Couveuse noch in keiner einzigen
deutschen Gebärklinik eine solche in Gebrauch stand! Seither
mag sich ja allerdings manches zum Besseren gewendet haben.
Eine weitere Bedingung für die Erzielung von Dauer¬
erfolgen bei Debilen wird die sein, dass die Kinder nicht etwa
am 7. — 10. Lebenstage entlassen, sondern mit ihrer Mutter als
der Ernährerin durch Wochen, eventuell durch Monate an der
Gebärklinik oder — weit zweckmässiger — in einer mit Ammen¬
betrieb und Wärmeschränken, sowie Wärmkammern ausge¬
statteten richtigen Säuglingsklinik Unterkunft finden, bis ihr
Zustand weiteres Gedeihen auch unter minder günstigen Be¬
dingungen erhoffen lässt.
- -0©CS- -
Zur dritten Jahrhundertfeier der Universität Giessen.
Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der medizinischen
Fakultät.
Von Prof. A. J e s i o n e k in Giessen.
Nach dem Tode des Landgrafen Ludwig von Marburg,
1604, hatten sich zwei Neffen des Verstorbenen in den Besitz
des Hessenlandes zu teilen. Stadt und Universität Marburg,
die alte hessische Landesuniversität, gegründet 1527, ward aus¬
schliessliches Eigentum des Landgrafen Moritz von Kassel.
Entgegen den Testamentsbestimmungen begann dieser Fürst
alsbald in dem neugewonnenen Lande seine Zugehörigkeit zur
kalvinistisch-reformierten Kirche zu betätigen.
Den Widerstand der strengen Lutheraner Oberhessens schlug
er mit Waffengewalt nieder; die ihrem Glauben treu bleibenden
Mitglieder der Geistlichkeit und der theologischen Fakultät
entsetzte er ihrer Aemter. Auf den Lehrstühlen der hessischen
Landesuniversität herrschte K a 1 v i n s Lehre.
Ludwig V., Landgraf von Hessen-Darmstadt, streng-
lutheranischer Richtung, stand auf dem Boden des Rechtes,
als er es sich angelegen sein Hess, seinen Untertanen die alte
Lehre zu erhalten. Sein Glaube, der Glaube seiner Stamm¬
lande, der Glaube, für welchen die Vorfahren auf den Schlacht¬
feldern Gut und Leben eingesetzt hatten, war von Marburg
her schwer bedroht. Dem Ketzertum des Kasseler Vetters
und der Marburger Universität musste ein Bollwerk entgegen¬
gestellt werden. Eine neue eigene Hochschule sollte der
lutherischen Religion Rückhalt geben und Hessen-Darmstadt
vor der Irrlehre bewahren. Politische Erwägungen unter¬
stützten die religiösen Gesichtspunkte. Aus Marburg waren
Flüchtlinge zur Stelle, die Theologen Winkelmann und
Mentzer, der Jurist Antoni, die Philosophen Dietrich und
Fink, Männer, welche geeignet waren, die ehrgeizigen Wünsche
des Fürsten zu verwirklichen und eine neue Hochschule ins
Leben zu rufen.
An den Grenzen der darmstädtischen und der kasseler
Lande, in Giessen, wurde im Oktober 1605 die neue Hoch¬
schule, das „G ymnasi u m“ eröffnet. Im alten Rathause ward
sic untergebracht; das „Pädagog“, eine Vorschule, welche dem
heutigen Gymnasium entspricht, war ihr angegliedert. Die
finanzielle Frage war durch eine „Schulsteuer“ geregelt und
durch die Zuweisung des Grundbesitzes, welchen die Mar¬
burger Universität auf dem nunmehr darmstädtisch gewor¬
denen Gebiet zu eigen gehabt hatte. Der Lehrkörper setzte
sich aus den genannten Professoren der Theologie, Juris¬
prudenz und Philosophie zusammen, welche aus Marburg ins
lutherische Gebiet geflohen waren. Ein Mediziner war nicht
darunter. Erst 1606 gelang cs durch die Vermittelung der
I übinger Universität für das Giessener „Gymnasium“ einen
\ crtreter der medizinischen Fakultät zu gewinnen. Johannes
Münster, geboren 1501 in Heilbronn, Poeta laureatus, Arzt
in Wimpfen, war dem Rufe nach Giessen gefolgt, erlag aber
nach wenigen Wochen der Pest.
Das „Gymnasium“ zur Universität zu erheben, dazu be¬
durfte es des kaiserlichen Privilegiums. Ludwig V. hatte
- ) Deutsch: Die Lacre der Frühgeborenen in den Gcburts-
anstalten. Arch. f. Kinderheilk., Bd. 28.
manchen schweren Schritt zu tun, bis es ihm gelungen war,
Kaiser Rudolf II. für sein Vorhaben zu gewinnen. Als aber
post impetrata privilegia caesarea der Landgraf aus Prag
seinen Untertanen die frohe Botschaft bringen konnte, dass
den lutherischen Hessen die eigene Universität gesichert sei,
herrschte Freude und Jubel im ganzen Lande. Unter grossem
Gepränge feierte Ludwig V. am 7. Oktober die Eröffnung
seiner Universität; kurze Zeit zuvor war die Grundsteinlegung
des Universitätsgebäudes festlich begangen worden. Der Uni¬
versität Marburg war in Giessen eine ebenbürtige Gegnerin
erstanden. Nicht nur in religiös-theologischen Fragen, auf
allen Gebieten akademischer Wissenschaft hat die neue Hoch¬
schule trotz mancher Fährnisse der ersten Zeiten trefflich es
verstanden, im Wettstreit mit den anderen deutschen Uni¬
versitäten in würdiger Weise sich zu behaupten. Der Ruhm
der neugegründeten Academia Giessena drang rasch über die
Grenzen des Hessenlandes; anfangs nur auf die Bedürfnisse
des engeren Vaterlandes bedacht, zählte die junge Ludo-
viciana bald eine grosse Anzahl von Ausländern zu ihren
Schülern. Besonders die medizinische Schule Giessens scheint
eine grosse Zugkraft auf die Studierenden aus aller Herren
Länder ausgeübt zu haben.
Unter den Professoren, welche bei der Eröffnung der Uni¬
versität zugegen gewesen waren, repräsentierte einer die
medizinische Wissenschaft: Joseph Lautenbach. Ihn
dürfen wir als den ersten Lehrer der Medizin an der Uni¬
versität Giessen bezeichnen. 1569 im Eisass geboren, hatte
er an den Universitäten Helmstädt und Strassbnrg studiert,
und war Arzt der kaiserlichen Truppen und der Bürgerschaft
im benachbarten Friedberg, als der ehrenvolle Ruf nach
Giessen an ihn erging. Mit einer Rede de medicinae dignitate
utilitate et necessitate begann er im „Gymnasium“ am 2. März
1607 seine Lehrtätigkeit, welcher er auch während des schreck¬
lichen Pestjahres 1613 bis zu seinem Tode 1614 treu verblieb.
Docendo ac disputando academiae non mediocriter profuit.
Neben ihm wirkte von 1608 an Gregor Horst aus Torgati.
Dieser war vor seiner Berufung nach Giessen in Wittenberg
Professor gewesen, ein Mann von Energie und Fleiss und um¬
fangreichem Wissen. Ein französischer Autor älterer Zeiten
nennt, ihn den Aeskulap der Deutschen. Er war es, der in
Giessen die ersten Sektionen vorgenommen hat. Oeffentliche,
festliche Ereignisse scheinen es gewesen zu sein, als Horst
1615 eine weibliche Leiche, etwas später eine gravide Hirsch¬
kuh, 1617 zum ersten Male einen männlichen Körper obduzierte.
Horst hat trotz seiner Stellung als Leibarzt des Landgrafen
Müsse gefunden, sich literarisch in grossem Massstabe zu be¬
tätigen. Aus seinen Werken und aus den Abhandlungen seiner
Schüler spricht eine staunenerregende Vielseitigkeit seiner
wissenschaftlichen Interessen. Ich nenne seine Libri obser-
vationum medicinalium singularium de febribus, de morbis
capitis, de morbis pectoris, de morbis viscerum concoctionis,
des ferneren Pharmaceuticarum exercitationurn Decas mit
einer grossen Anzahl von Tabellen, auf welchen sich eine Un¬
masse von Syrupen, Pillen, Salben, Oelen und anderes ver¬
zeichnet findet, sein Buch de morbis mulierum, de morbis
puerorum, seine Informatio de variolis et morbillis. Für den
Syphilidologen von besonderem Interesse ist sein Buch de
morbis contagiosis et malignis. Prächtige Beobachtungen
finden sich hier: Lues venerea a communi lecto contracta,
Lues gallica in prägnante, Lues gallica post scarificationem in
balneo publico contracta, Puellus sex mensium toto corpore
pustulosus, Curatio morbi gallici per modum salivationis ex-
liibito Mercurio, per inunctionem aquae mercurialis, des fer¬
neren über eine Reihe von Hautkrankheiten. H o r s t s Brief¬
wechsel mit seinen gelehrten Freunden und Kollegen enthält
eine Fülle von interessanten Mitteilungen. Sehr ergötzlich zu
lesen ist auch seine Abhandlung de tuenda sanitate studiosorum
et literatorum; alle möglichen guten Rezepte finden sich darin,
unter anderem gegen die Schuppen, gegen die Pedikuli, gegen
den Haarausfall, gegen „das Zittermahl“, gegen „das rothe
Finnechte Angesicht“, gegen Gedächtnisschwäche, gegen
Melancholia usw.
Den Wirren des grossen Krieges entzog sich Horst durch
den Verzicht auf seine akademische Laufbahn in Giessen und
durch die Uebersiedclung nach Ulm 1622; 1612 und 1616 war
er Rektor gewesen.
30. Juli 190?.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Als Dritter im medizinischen Kollegium sass neben
Lantenbach, dem ersten Dekane der Fakultät, und
neben Horst Michael D o e r i n g, ein geborener Breslauer,
1609 aus Wittenberg nach Giessen berufen. Er veröffentlichte
Studien über Parazelsus und Hippokrates und über pharmako¬
logische Fragen. Doch verblieb er nicht lange in Giessen;
Heimweh führte ihn 1612 nach Breslau zurück. Seinen Lehr¬
stuhl bestieg 1614 Ludwig Jungermann, in Leipzig ge¬
boren, der in Giessen schon als Kandidat der Medizin Vorstand
des 1609 gegründeten botanischen Gartens gewesen war.
Neben der Medizin lehrte er Botanik, vir botanicorum suo
aevo nemini secundus. Seine Antrittsvorlesung hatte die
dignitas studii botanici zum Gegenstand gehabt. Die Flora
von Giessen und Umgebung hat er in mehreren Werken be¬
schrieben; auf seine Veranlassung wurde der botanische
Garten in die Nähe der Universität verlegt. Auch die Er¬
richtung eines chemischen Laboratoriums scheint sein Ver¬
dienst zu sein, 1617. Nachdem er 1624 Rektor gewesen war,
übersiedelte er 1625, in der Zeit, da die Giessener Universität
nach Marburg zurückkehrte, an die Universität Altdorf, wo
er seine botanischen Studien weiterpflegte und in hohem Alter
verstarb.
Lautenbachs Nachfolger wurde wieder ein Württem-
berger Samuel Stephani. Die nahen Beziehungen zwischen
den Höfen von Darmstadt, Württemberg und Sachsen haben
auf die Besetzung der Giessener Professuren in jenen Zeiten
einen unverkennbaren Einfluss ausgeübt. Stephani begann
seine Giessener Lehrtätigkeit mit einer Rede de Pseudo-
medicis 1616. Abgesehen von seinen theoretischen Vorlesungen
scheint er anatomische Studien getrieben zu haben. Ausserdem
war er Stadtarzt in Giessen. Religiöse Meinungsverschieden¬
heiten haben ihn bei Hofe unbeliebt gemacht; 1625 zog er
sich nach Hanau ins Privatleben zurück.
Das Jahr 1625 bedeutet einen traurigen Wendepunkt in der
Geschichte der Universität Giessen. Den Erbstreitigkeiten
zwischen Kassel und Darmstadt hatte Kaiser Ferdinand II.
1623 ein Ende bereitet; die Hoheitsrechte der Darmstädter
Linie über Land und Universität Marburg hatten die lang er¬
strebte Anerkennung gefunden. Damit aber schien das Ende
der Universität Giessen gekommen; denn Ludwig V. hatte
1607 für den Fall der Würdigung seiner Ansprüche auf Mar¬
burg sich verpflichtet, die neue Hochschule in Giessen zu
schliessen. 1625 erfolgte sub auspiciis Ludovici die Vereini¬
gung der Universitäten Marburg und Giessen. Die Marburger
Professoren verliessen die Universität und folgten ihrem
Fürsten nach Kassel. Sie wurden durch die Giessener Pro¬
fessoren ersetzt. Unter den wenigen, welche zurückgeblieben
sind, war der bejahrte Professor der Physik und Medizin,
Nikolaus Brau n, ein geborner Marburger. Seine Abhandlung
de fumo tabaci und botanische Studien haben seinen Namen
bekannt gemacht. Er starb in hohem Alter 1639. Ein wenig
rühmliches Ende fand der zweite Professor der Medizin,
Johannes K e m p f, gleichfalls ein Marburger, Professor der
Botanik und landgräflicher Leibarzt. Giessae, ubi in aula Prin-
cipis plerumque commoratus est, casu fatali occubuit, cum in
domo sua a rustico quodam nefando Watzenbornensi e scala
dejectus post paucos dies exspiraret. Der dritte Mediziner der
vereinigten Marburger und Giessener Universität Jakob
Müller aus Torgau war ein grosser Mathematiker. In seiner
Antrittsrede bespricht er utilem et jucundum medicinae et
matheseos conjunctionem. Er bekleidete beide Professuren,
bis er 1636 als rei tormentarii director einen Feldzug nach
Meissen mitmachte und dabei seinen Tod fand.
Ein berühmter Arzt seiner Zeit war Johann Daniel Horst,
der Sohn des obengenannten Professor Horst, ein Giessener.
Er wurde 1637 Professor der Medizin in Marburg und war dann
nach der Neueröffnung der Universität in Giessen, 1650, hier als
Professor tätig bis 1663. Aber in seiner Stellung als Leibarzt
hielt er sich meistens am Hofe in Darmstadt auf. Er hat seine
Tage inter praxeos opulentae negotia in Frankfurt beschlossen.
Nach Mascagnis Zeugnis ist er der Entdecker der Lymph-
gefässe des Herzens (Eckhard). Sein Kollege, Johannes
T i 1 e m a n aus Wertheim, verblieb 1650 in Marburg; er wurde
Kalvinist, später Jude, war ein Liebhaber der Astrologie und
gab die Aphorismen des Hippokrates heraus. In die Marburger
No. 31.
1537
Zeit fällt auch die Tätigkeit des Nachfolgers Brauns, Johannes
Peter Lot ich ins; dieser war geborener Nauheirner; scrip-
tor historicus, philologicus, poeticus, satiricus insignis, nec in
medicis prorsus ignotus.
Die Marburger Zeit war eine äusserst traurige; die
Schrecken des Krieges, die verheerenden Seuchen herrschten
in Marburg wie allüberall in Deutschland. Die Frequenz der
Universität war eine äusserst geringe. Franzosen und Schwe¬
den wüteten im Lande und schliesslich kam auch der Streit
zwischen Kassel und Darmstadt neuerdings zum Ausbruch.
Die Landgräfin Amalie Elisabeth von Kassel liess es sich an¬
gelegen sein, Marburg wieder in den Besitz ihres Hauses zu¬
rückzubringen; Stadt und Schloss fielen ihr in die Hände, aber
die Professoren der Universität hielten ihre Treue zu Darm¬
stadt. Wiederholte Belagerungen und Zerstörungen hatten
Marburg fast völlig zerstört, bis endlich der Frieden von
Osnabrück und Münster Ruhe brachte und gleichzeitig eine
neue Trennung der Universitäten zur Folge hatte. Nachdem
noch die Frage, ob die hessendarmstädtische Universität nach
Darmstadt oder nach Giessen verlegt werden solle, für Giessen
in günstigem Sinne erledigt war, erfolgte 1650 die Neueröffnung
der Giessener Universität. Aber es hat noch einige Jahrzehnte
gedauert, bis die Universität von den Schäden des Krieges und
seinen Folgen sich erholt hat. 1657 scheinen nur 2 Studenten
sich der Medizin befliessen zu haben; aus dem Jahre 1667 liegt
ein Beschluss vor, dass die Professuren der Medizin auf zwei
zu beschränken seien, während sonst gewöhnlich drei Lehr¬
stühle dem medizinischen Unterrichte eingeräumt waren.
Johannes Tack aus Wetzlar war der erste Professor der
Medizin, der nach der Marburger Zeit seine Antrittsvorlesung
wieder in Giessen gehalten hat, 1650, über die Quadratur des
Kreises. Ausserdem war er Professor der Beredsamkeit und
der Physik. Als Leibarzt des Landgrafen hielt er sich meist in
Darmstadt auf. Tack scheint nicht unschuldig daran gewesen
zu sein, dass 1651 ein landgräflicher Erlass die Universitäts¬
professoren mahnen musste, fleissiger zu sein und ihre Vor¬
lesungen gewissenhaft zu halten. Derartige Tadelsäusserungen
der Regierung finden sich übrigens wiederholt in den Akten der
Universität verzeichnet. 1651 wurde Christian B u n c k e Pro¬
fessor der Medizin; er lehrte hauptsächlich Botanik. Georg
Balthasar Metzger aus Schweinfurt war Professor der
Anatomie, Botanik und Physik, bis er 1661 nach Tübingen ging.
Sein Nachfolger, Lorenz S t r a u s s, Professor der Medizin und
Physik, wurde berühmt durch seine Schrift de foetu extra
uterum retento.
Des renommierten Horst Weggang von Giessen, die
häufige Abwesenheit T a c k s in Angelegenheiten seiner Praxis
bei Hofe scheinen die medizinische Fakultät schwer geschädigt
zu haben. Michael Heiland, Professor der Medizin in
Leipzig, ward dazu auserwählt, der Fakultät das alte Ansehen
wieder zu verschaffen. Nach Giessen berufen, rechtfertigte er
in 30 jähriger Lehrtätigkeit, wobei er die Anatomica, Chirurgica
und Botanica zu vertreten hatte, das Vertrauen, welches man
seiner berühmten Persönlichkeit entgegengebracht hatte. 4 mal
war ihm das Rektorat, 16 mal das Dekanat zu Teil. 9 Doktoren
und 31 Lizentiaten verdanken ihm ihre akademischen Grade.
Ein treuer Verehrer Galens war er ein Feind der Karthesianer.
Ein würdiges Denkmal hat er sich in seinen Stiftungen ge¬
setzt, darunter ein Legat von 1000 Gulden für die Witwen der
Professoren, ein Legat von 50 Gulden für die Erbauung eines
Theatrum anatomicum und bestimmte Summen für die Mit¬
glieder der Fakultät. Seine Hochherzigkeit verdient es, dass
aus seinem Testamente folgender Passus hier wiedergegeben
sei: So ich beyden Fakultaeten hiemit legirt haben vill, der
gestalt, dass die von solchen Capitalien erhobene pensiones
jaehrlich am Tage Michaelis, bei angestelltem conventu facul-
tatis unter deren Membra praesentia ausgeteilet und dabei
meiner, als eines vordem gewesenen Mitglieds, in bestem ge¬
dacht verden moege. Heiland starb 1693. Hieronymus
R o e t e 1 ist als erster Professor extraordinarius genannt, 1663.
Eine Vorlesung, welche er angekündigt hat, befasste sich mit
der Explicatio medicamentorum officinalium. Ein zweiter
Extraordinarius, Ludwig Christian Tack, der Sohn des oben
erwähnten Professor Tack, der mit der Quadratur des Kreises
sich beschäftigt hatte, ist innerhalb eines Jahres Ordinarius ge-
4
1038
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _ _ No. 31.
worden. Aber: laboribus praecocibus et iniprobis adeo sani-
tatem fregit, ut melancholia confectus 30 annos et ultra delirus
et mentis impos hic viveret.
Justus Friedrich D i 1 1 e n i u s, mit einer Rede de ortu et
progressu anatomes 1688 in den Lehrkörper eingetreten be¬
tätigte sich auf dem Gebiete der Anatomie, der Botanik, der
Pathologie und der praktischen Medizin. Die Bürde des Rek¬
torates scheint ihn seiner Lehraufgabe vorübergehend be¬
denklich entfremdet zu haben. Für das Wintersemester 1701
hatte er Physiologie und Pathologie des Auges angekündigt,
für das Wintersemester 1707 eduliorum facultas ac natura. Er
ist 1720 gestorben. Von Johann Christophorus He rt wird er¬
zählt, dass er bei einer ganzen Reihe von Fürstlichkeiten hoch¬
angesehener Leibarzt gewesen ist. Auch Michael Bernhard
V a 1 e n t i n i, ein Giessener, Professor der Physik, Pathologie
und praktischen Medizin hat es verstanden, trotz seines ge¬
brechlichen Körpers, grosser Ehrungen teilhaftig zu werden;
unter anderem war er Mitglied der Akademien zu Padua, Ber¬
lin, London. Im Vorlesungsverzeichnis verspricht er Casus
non ubique obvios e praxi zu demonstrieren. In einer seiner
Schriften rühmt er den hortus medicus, das Laboratorium
chymicum und das Amphiteatrum sectionibus anatomicis
destinatum, wodurch Giessen anderen Universitäten voraus sei.
Gleichzeitig mit V a 1 e n t i n i wirkte eine zeitlang Georg
Christophorus M o e 1 1 e r, 1700 Mitglied der Fakultät ge¬
worden. Seinen Lehrberuf scheint er nicht sehr strenge auf¬
gefasst zu haben, obwohl er klinische Demonstrationen ange¬
kündigt hat; er verspricht im Vorlesungsverzeichnis candidatos
hactenus sibi concreditos ad lectos aegrorum zu führen, 1704.
1717 wurde er Arzt am Reichskammergericht zu Wetzlar.
Böttichers Nachfolger wurde Georg Theodor B a r t h o 1 d
mit einer Antrittsvorlesung de existentia Dei et admiranda
sapientia ex re herbaria cognoscenda. Er beginnt im Oktober
1709 die Demonstrationen im Theatro anatomico noviter
instructo.
Johann Kasimir Hert, promoviert bei der ersten Jahr¬
hundertfeier der Universität 1707, wurde der Nachfolger seines
Vaters, des vielbegehrten Hofarztes. Er war in Giessen ge¬
boren, war Kreisarzt in dem benachbarten Nidda. Als Pro¬
fessor pauca scripsit, ea tarnen ab Hallero non sine laude
memorata. Von seinen Schülern wurden vier berühmte Uni¬
versitätslehrer. Johann Melchior V e r d r i e s, gleichfalls ein
geborener Giessener, Professor philosophiae naturalis, wurde
Ordinarius der Pathologie 1714. Seine Physik, seine Abhand¬
lungen über medizinische und physikalische Themata prae-
sertim de aequilibrio mentis et corporis haben unter seinen
Zeitgenossen seinen Namen berühmt gemacht. Chemiker —
Alchymiae autem osor — war Johann Thomas Hen sin g,
Vorstand des chemischen Laboratoriums, Professor der
Medizin und der Chemie; 1717 kündigte er an: Vegetabilium
atque animalium historia et theoria chemica absoluta; 1724 las
er über Frauenkrankheiten.
Von den anderen Mitgliedern der Fakultät während des
18. Jahrhunderts seien noch genannt: L. H. L. H i 1 c h e n, eine
geraume Zeit einziger Vertreter der Medizin an der Univer¬
sität, in Fragen der forensen Medizin bewandert; Anfang der
50er Jahre hat er auch Physiologie gelesen; Garnisons¬
medikus Fr. W. H e n s i n g, 1742 zum Prosektor deklariert
mit einem Gehalt von 50 Gulden, wohl der erste Prosektor
der Anatomie in Giessen. 1743 Professor der Anatomie ge¬
worden, starb er schon 1745. Er hat eine eigene Sammlung
von anatomischen Präparaten besessen, welche nach seinem
Tode von der Universität angekauft worden ist; sie ist im
französischen Kriege zu Grunde gegangen. Fr. A. Carteuser
hat ausser der medizinischen auch noch der philosophischen
und der 1777 ins Leben getretenen ökonomischen Fakultät
angehört, hat neben Medizin Botanik, Chemie und Physik
gelehrt. Johann Wilhelm B au m e r wurde 1765 Professor der
Medizin, nachdem er zuerst Theologe gewesen war. Er war
der erste, der hier in Giessen eine Vorlesung über venerische
Krankheiten angekündigt hat. Allerdings hat er auch ein
Collegium styli latini purioris privatim gehalten. (Als ersten
Vertreter meiner Spezialdisziplin muss ich den älteren Horst
bezeichnen, insofern dieser literarisch wenigstens, wie ange¬
geben, mit syphilidologischcn und dermatologischen Fragen
sich viel beschäftigt hat.)
Christophorus Ludwig Nebel, 1766 Prosektor am Thea¬
trum anatomicum, zum a. o. Professor ernannt auf Grund einer
Abhandlung de analysi aquarum Giessensium, übernahm nach
Alefelds Tod 1774 das Ordinariat für Chirurgie und Ge¬
burtshilfe; Dietz wurde Alefelds Nachfolger auf dem
Lehrstuhle für Anatomie. Ferdinand Georg Danz lebte im An¬
fänge der 90 iger Jahre des 18. Jahrhunderts als Prosektor und
a. o. Professor. Seine literarische Tätigkeit befasst sich viel
mit geburtshilflichen Fragen, obwohl er, wie es scheint, diesem
Fache praktisch nicht nachgegangen ist. Besonders bekannt
geworden ist sein Grundriss der Zergliederungskunst des neu¬
geborenen Kindes, welches Werkchen Sömme rings Einfluss
deutlich erkennen lässt. „Wenn man diesen Grundriss liest,
bekommt man, abgesehen davon, dass wir jetzt in der Er¬
kenntnis weiter sind, den Eindruck eines sorgfältig und me¬
thodisch gearbeiteten Buches, in welchem neben der Anatomie
auch physiologische Fragen besprochen werden und die bis
dahin auf den Gegenstand bezügliche Literatur sorgfältig be¬
rücksichtigt ist, sodass er als ein schönes Zeichen schrift¬
stellerischer Tätigkeit in Giessens Vergangenheit angesehen
werden kann“ (Eckhard). \
Dietz’ Nachfolger als Professor der Anatomie wurde
der frühere Prosektor, Ernst Ludwig Wilhelm Nebel, 1805,
der Sohn des oben genannten Professor Nebel, unter den
Giessener Professoren der älteren Zeit wohl einer der be¬
deutendsten und verdientesten. Er scheint auf allen mög¬
lichen Gebieten der medizinischen Wissenschaft sich betätigt
zu haben. Jahrelang hat er Geschichte der Medizin gelehrt.
Von seinen anderen Vorlesungen will ich erwähnen: Grund¬
züge der Psychologie mit Hinsicht auf Entstehung und Heilung
von Krankheiten. Die Tierarzneikunde hier in Giessen darf ihn
als ihren ersten Vertreter bezeichnen. Wir verdanken ihm
eine Reihe vortrefflicher historischer Abhandlungen über die
Universität Giessen und ihre Lehrer. Seinem Buche über die
Professoren der Medizin und über den medizinischen Unter¬
richt im 17. und 18. Jahrhundert sind meine Mitteilungen
grösstenteils entnommen: E. L. W. Nebel Clarissimos doctis-
simosque aliquot candidatos summis in medicina honoribus
condecoratos commendat atque Professorum qui medicinam
in academia Giessensi docuerunt conspectum prämittit,
Giessae 1802.
Ich muss darauf verzichten, die Namen aller Mediziner
aus dem 18. und 19. Jahrhundert aufzuzählen — nicht als ob
nicht alle ebenso sehr der Erwähnung würdig wären wie die
bereits genannten. Aber viel Neues und Bemerkenswertes liegt
aus dieser Zeit nicht vor. Die wissenschaftlichen Bestre¬
bungen der Einzelnen haben sich in den engen hergebrachten
Grenzen gehalten, selbständiges Forschen war damals noch
nicht so vorhanden wie heutzutage. Bis zum Anfang des
19. Jahrhunderts blieb hier in Giessen der medizinische Unter¬
richt im wesentlichen auf theoretische Vorlesungen beschränkt;
auch die klinische Erziehung der Studierenden war eine rein
theoretische und dogmatische geblieben. In den Vorlesungs¬
verzeichnissen jener Zeiten finden wir Kollegien über In-
stitutiones medicinae, Praxis medica, Praxis specialis, In-
stitutiones chirurgicae, Elementa artis obstetriciae, Ars obste-
tricia usw. Eigentümlich berührt uns auch folgendes: Sommer¬
semester 1811 : Entbindungskunde trägt nach E. v. S i e b o 1 d s
Lehrbuch Prof. Dr. Nebel vor, oder 1811/12: Vorlesungen
über theoretische und praktische Geburtshilfe wird auf Ver¬
langen Prof. N. geben. Im grossen und ganzen haben die
Schriften von Hippokrates und Galen, die alten medizinischen
Klassiker, die unerschöpfliche Quelle gebildet, aus der alle medi¬
zinische Wissenschaft wie ein träger Strom durch die Jahr¬
hunderte hin sich ergossen hat. Erfreulich ist es, zu sehen,
dass schon frühzeitig und in nicht geringem Umfange in
Giessen das Interesse und die Liebe zu den Naturwissen¬
schaften, für Botanik und Mineralogie vor allem, für Physik
und Zoologie sich Geltung zu verschaffen gewusst hat. Die
meisten Mediziner haben gleichzeitig ein naturwissenschaft¬
liches Fach oder auch mehrere vertreten, ein gewisses Streben
nach eigener Beobachtung, eigener Erkenntnis ist neben all dem
Wust der alten Scholastik doch da und dort nicht zu ver¬
kennen. Wohltuend wirkt es, wenn wir im Vorlesungsver¬
zeichnis von 1811/12 von einem Professor der Medizin lesen,
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1539
dass er Samstag nachmittags Unterricht in der Botanik und
Mineralogie auf Spaziergängen erteilen wolle.
Vor allem der Anatomie ist in Giessen eine aufmerk¬
same Pflege zuteil geworden. Frühzeitig war die Bedeutung
dieses Fundamentum, wie es in einer gedruckten Einladung zu
einer öffentlichen Sektion aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts
heisst, klar erkannt worden. Gerade in der ersten Zeit ihres
Bestehens war die Universität Giessen durch ihre anatomische
Schule, so kann man wohl sagen, anderen Universitäten voraus.
Allerdings in der 2. Hälfte des 17. und in der 1. Hälfte des
18. Jahrhunderts weisen die auf Anatomie bezüglichen Vor¬
lesungen grosse Lücken auf, und für die Physiologie gilt
das gleiche. Es kommen Semester vor, in welchen weder
Anatomie noch Physiologie gelesen worden sind. In dieser
Zeit hat es auch Semester gegeben, in welchen der gesamte
medizinische Unterricht auf eine einzige Vorlesung sich be¬
schränkte; manchmal finden sich in den Ankündigungen auch
zwei Vorlesungen, von welchen aber die eine nur unter ge¬
wissen Umständen gehalten werden soll. Der Grund für diesen
lückenhaften Unterricht ist wohl in dem damaligen Verfall
unserer Universität gelegen. Dass ein solcher bestanden hat,
darüber kann kein Zweifel bestehen; denn er ist zur Kenntnis
der Regierung gekommen und diese hat ihn beachtet und Ab¬
hilfe zu schaffen gesucht.
Eine „kurze Geschichte des anatomischen und physio¬
logischen Unterrichtes an der Universität Giessen während der
drei ersten Jahrhunderte ihres Bestehens“ hat der hochver¬
diente, jüngst verstorbene Physiologe Eckhard handschrift¬
lich unserer Universitätsbibliothek hinterlassen. Sie war 1904
für die Zwecke der gegenwärtigen Jahrhundertfeier geschrie¬
ben. So gebührt es sich, ihrer hier ausdrücklich zu gedenken,
und den bisherigen Zitaten aus derselben darf ich wörtlich noch
folgende Abschnitte anreihen: Die Formen des anatomischen
Unterrichtes gliederten sich in theoretischeVorlesungen übendie
gesamte menschliche Anatomie oder über einzelne Abschnitte
derselben, in Sezierübungen und in solenne öffentliche Demon¬
strationen. Inwieweit die Vorlesungen von Demonstrationen
haben begleitet werden können, entzieht sich einer genauen Be¬
urteilung; denn über die Existenz einer anatomischen Samm¬
lung sind wohl Notizen vorhanden, aber über den Inhalt einer
solchen durch einen Katalog ist keine Andeutung zu machen.
Nur von den Präparaten der erwähnten H e n s i n g sehen
Sammlung ist ein Verzeichnis vorhanden, welches 27 Nummern
enthält. Anleitungen zu den Sezierübungen erscheinen in den
Vorlesungsverzeichnissen unregelmässig und haben sich sicher
in bescheidenen Grenzen gehalten; das Material war sparsam.
Nachweislich haben sie sich mehrfach an die öffentlichen so¬
lennen Demonstrationen angeschlossen. Ueber diese klären
uns einzelne, in Plakatform erhaltene Blätter, teilweise auch die
Dekanantsbücher auf. Unsere Universitätsbibliothek bewahrt
von diesen Einladungen noch 8 Stück aus den Jahren 1663,
1669, 1677, 1698, 1703, 1704, 1706 und 1709. Die bei den Sek¬
tionen zur Verwendung gekommenen Kadaver waren zumeist
von dem Landesherrn der Universität überwiesen und stamm¬
ten von dem Henker verfallenen Verbrechern. Eine Verord¬
nung aus dem Jahre 1770 besagt, dass die Leichen aller hin-
gerichteten Delinquenten, aller im Oberfürstentum sterbenden
L.andstreicher und der im Giessener Spital sterbenden Armen
in die Anatomie zu liefern seien. Die Einladung zu den Sek¬
tionen erfolgte entweder durch den Dekan und die gesamte
medizinische Fakultät oder durch den jeweiligen Professor
der Anatomie. Meist geht eine längere Einleitung voraus,
die bald mehr historischer Art ist, bald die Wichtigkeit und
Notwendigkeit der eigenen anatomischen Anschauung betont.
Das Publikum, welches eingeladen wurde, ist nicht in jeder
Einladung dasselbe, meist aber sind es die Studierenden der
Anatomie, die akademischen Bürger überhaupt, die Liebhaber
der Naturwissenschaft und Heilkunde, S. Magnificenz der Herr
Rektor, der sehr gestrenge Regierungsprokanzler, die Obersten
des Gerichtes, die Hochberühmten und Ausgezeichneten Herren
der Akademie usw. Die Plakate machen auch darauf aufmerk¬
sam, dass man sich mit Eintrittskarten versehen möge, die zu
massigem Preise in der Engelapotheke (das war schon seit den
ersten Zeiten, wie es heutzutage noch ist, die Universitäts¬
apotheke) zu haben seien. Feierlich ging es dabei her, wie es
die Natur des geladenen Publikums erforderte. In einem der
Plakate kommt die Bemerkung vor: „Befleissiget Euch mit mir
dabei einer ehrfuchtsvollen Ruhe.“ Uebrigens sind die Leichen
nicht nur zum Zwecke von Sezierübungen, sondern auch zur
Ausführung chirurgischer Operationen ausgewertet worden.
Es mag noch bemerkt werden, dass wir höchstwahrscheinlich
in diesen solennen Demonstrationen keineswegs eine der
hiesigen Universität allein zukommende Einrichtung zu sehen
haben; denn nach Büchner: „Aus Giessens Vergangenheit“,
ist im Jahre 1708 von Marburg aus eine ähnliche Einladung an
die hiesige medizinische Fakultät ergangen. Bezüglich des
Unterrichtes in der Physiologie ist wenig zu sagen. Man
kann, meint Eckhard, aus der Zeit nach der Rückkehr der
Universität von Marburg einen ersten Abschnitt mit dem Jahre
1809 abgrenzen, als dem Zeitpunkte, bis zu welchem Anatomie
und Physiologie von verschiedenen Professoren gelehrt
worden ist, und im Gegensätze dazu eine Periode aufstellen,
von 1809 — 1891, während welcher hier in Giessen Anatomie
und Physiologie nur von einem einzigen Professor vertreten
worden ist. Diese langdauernde Kombination der beiden Lehr¬
fächer war bedingt durch das Zusammenwirken einer Reihe
besonderer Umstände. Die in Rede stehende Zeit wird aus¬
gefüllt durch die Tätigkeit von Johann Bernhard W i 1 b r a n d,
Theodor Ludwig Wilhelm B i s c h o f f und Konrad Eck¬
hard.
B. W i 1 b r a n d hat neben Anatomie und Physiologie auch
noch Zoologie und vergleichende Anatomie, Botanik, allgemeine
Naturgeschichte und Naturphilosophie gelesen. Von seinen
Arbeiten hat eine Studie über den Kreislauf zur Zeit ihres Er¬
scheinens grosse Beachtung gefunden. Als Prosektor stand
ihm Wernekinck zur Seite, der die Sezierübungen ge¬
leitet und über verschiedene Zweige der Anatomie, u. a. Ge¬
hirnanatomie, Vorlesungen gehalten hat. Ihm und W i 1 b r a n d
dankte die Universität eine gute anatomische Sammlung.
W i 1 b r a n d s Sohn, Franz Joseph Julius W i 1 b r a n d, nach
Wernekinck s Tod Prosektor bei seinem Vater, hat als
Ordinarius später durch viele Jahre hindurch gerichtliche
Medizin gelehrt.
Unter B i s c h o f f, 1843, blieb der anatomische und physio¬
logische Unterricht noch in einer Person vereint, aber in den
Personalbeständen der Universität erscheint jetzt ein be¬
sonderes physiologisches Institut neben dem anatomischen
Theater. Die Vorlesungen über Entwicklungsgeschichte und
über Histologie fangen jetzt an regelmässig zu werden und
mikroskopische und physiologische Uebungen bilden jetzt einen
regelmässigen Bestandteil des Unterrichtes. Mit B i s c h o f f
beginnt in Giessen die Zeit, in welcher die wissenschaftliche
Forschung in Anatomie und Physiologie die modernen Bahnen
betritt. B i s c h o f f s Prosektor war Heinrich Adolf Barde-
leben, der spätere berühmte Berliner Chirurg.
Als B i s c h o f f 1854 nach München gegangen war, wurde
Bruch zum Direktor beider Institute ernannt; Physiologie
aber hat er nicht gelesen. Eckhard, bis dahin Prosektor,
wurde als Extraordinarius aufgestellt mit der Weisung, Physio¬
logie zu lehren, wozu ihm die Räume des physiologischen In¬
stitutes zur Verfügung estellt wurden. Kurze Zeit darauf zum
Ordinarius ernannt, übernahm er 1859 die Direktion beider In¬
stitute und las Physiologie und Anatomie. Schon in den 80 er
Jahren machte er darauf aufmerksam, dass eine Trennung der
beiden Professuren und ihrer Institute zeitgemäss sei. Diese
erfolgte aber erst 1891. Für die Anatomie wurde Bonnet
berufen; das anatomische Institut verblieb in seinen Räumen ‘),
1) In den ersten Zeiten nach der Gründung der Universität hat
der medizinischen Fakultät für ihre sämtlichen Vorlesungen und Ar¬
beiten das alte Universitätskollegienhaus gedient, dessen Grundstein¬
legung oben erwähnt ist. Es stand an der Stelle, wo später jenes
Gebäude errichtet worden ist, welches im Laufe der Jahre verschie¬
denen Zwecken, zuletzt bis Herbst 1904 der Universitätsbibliothek
gedient hat. Jenes alte Kollegium ist erst 1838 beim Neubau des
eben genannten Gebäudes abgerissen worden. Das_ öfter genannte
Theatrum anatomicum scheint in den Jahren 1704 — 1709 hergerichtet
worden zu sein und ist im Jahre 1849 verlassen worden; es war in
der Gegend der jetzigen Brandgasse gelegen. Das dritte in Betracht
kommende Gebäude ist das hier genannte, das noch heute der Ana-
tomie und dem zoologischen Institute dient; es ist im Herbste 1849
bezogen worden.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
540
während dem physiologischen Institute die Räume der
früheren Enbindunganstalt zugewiesen worden sind. „Wie alle
Institute, welche aus der Umänderung von Gebäulichkeiten ent¬
standen, die ursprünglich für andere Zwecke bestimmt waren,
hat auch unseres seine grossen Mängel“, klagt Eckhard.
„Die Räume sind sehr unzweckmässig mit einander verbunden
und haben unzureichendes Licht; sehr empfindlich ist der
Mangel an Tierställen; ich behelfe mich so gut es geht, weil
ein Neubau eines physiologischen Institutes von der Fakultät
beantragt ist.“ Auch der Nachfolger Eckhards, Professor
F r a n k, ist in diesem Institut noch tätig. Von den
Prosektoren, welche Eckhards Schüler gewesen waren,
nenne ich die späteren Professoren W e 1 c k e r - Halle,
Kehrer- Giessen und Heidelberg, Braun- Göttingen,
K n o 1 1 - Wien. Ueber die wissenschaftliche Bedeutung Eck¬
hards, über seine Lehrtätigkeit an hiesiger Universität will
ich keine weiteren Worte verlieren; das Andenken dieses un¬
ermüdlich fleissigen, bis in sein hohes Alter hinein arbeits¬
freudigen und arbeitsfähigen Marines ist bei allen lebendig.
B o n n e t ist 1895 nach Greifswald übergesiedelt. Sein Nach¬
folger wurde Prof. Strahl.
Was die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft in
den klinischen Disziplinen betrifft, muss mit Bedauern ge¬
sagt werden, dass Giessen in dieser Beziehung hinter den
anderen Universitäten um ein Beträchtliches zurückgeblieben
ist. Lange hat es gedauert, bis hier in Giessen der moderne
klinische Unterricht sich Eingang verschaffen konnte. Ueberall
an deutschen und ausserdeutschen Hochschulen sind im Laufe
des 18. Jahrhunderts klinische Lehranstalten ins Leben ge¬
treten, welche dem allseits sich regenden Bedürfnis nach der
exakten Erforschung der krankhaften Veränderungen im
menschlichen Organismus zu entsprechen gesucht haben und
den Forderungen der mächtig vorwärtsschreitenden natur¬
wissenschaftlichen Erkenntnis gerecht zu werden beflissen
waren. In Giessen entstand die erste Klinik erst im Jahre
1814. Es war die geburtshilfliche Klinik. Die erste
Anregung zur Errichtung einer solchen ging, wie ich einem
handschriftlichen Beitrage zur Chronik der Universität seitens
des Herrn Geheimrat Pfannenstiel entnehme, in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ziemlich gleichzeitig von
dem damaligen Extraordinarius Prof. Nebel — dem die Uni¬
versität ued die medizinische Fakultät nicht wenig zu danken
haben — und von den Studierenden der Medizin aus, von
ersterem durch einen Bericht an die Regierung zu Darm¬
stadt, von letzteren durch eine Bittschrift an den Rektor, 1772.
Hand in Hand mit diesen Wünschen gingen die Bestrebungen
der Staatsregierung, das Hebammenwesen zu organisieren.
1790 hatte Landgraf Ludwig bei seinem Regierungsantritte
10 000 Gulden für die Erbauung einer Hebammenlehranstalt
geschenkt. Aber erst 1807 erfolgte ein wesentlicher Fortschritt
in dieser Angelegenheit, als bei Niederlegung des Festungs¬
walles der Stadt das dadurch frei werdende Gelände, soweit
es an die Universität grenzte, dieser überlassen wurde und
teilweise als Bauplatz für die Entbindungsanstalt Verwendung
finden konnte. Erbaut wurde das Gebäude in den'Jahren 1809
bis 1813. In letzterem Jahre wurde die Direktion der „Geburts¬
anstalt“ neben der Professur für Chirurgie und Geburtshilfe
dem „besonders als Operateur viel versprechenden“ Dr.
H e g a r übertragen. Da brachten aber die kriegerischen Zeiten
eine neue Störung. Nach der Schlacht bei Leipzig wurde die
Entbindungsanstalt als Lazarett für russische und französische
Soldaten verwendet. Inzwischen war den Studierenden, seit
1809, Gelegenheit geboten, im Zucht- und Stockhaus der Stadt
Hebungen in der Geburtshilfe vorzunehmen. Der Unterricht der
Hebammen war 1799 dem Physikus, Professor Schwabe
übei Lagen worden. Hegar starb 1814 „als Opfer seiner Be¬
mühungen um die Lazarette“.
Sein Nachfolger wurde Ferdinand Franz August von
R i t g e n, wohl einer der hervorragendsten und am meisten
verdienten Vertreter der medizinischen Wissenschaft zu
Giessen. Unter seiner Leitung gedieh die innere Einrichtung
des Gebäudes schliesslich soweit, dass am 15. November 1814
die Eröffnung der Entbindungsanstalt erfolgen und die erste
Schwangere aufgenommen werden konnte. In der Verwaltung
clei Anstalt vai dem Direktor ein Deputierter der Universität
und der Regierung zur Seite gestellt, da die Anstalt zugleich
Landeshebammenschule war. Ins Jahr 1816 fällt der Beginn
der regelmässigen Unterrichtskurse für Hebammenschülerinnen.
Einen beachtenswerten Beitrag zum Studium der Frauen¬
frage an der Giessener Universität liefert die Tatsache, dass
bereits in den ersten Jahren des Bestehens dieser geburtshilf¬
lichen Klinik weibliche Studenten hier tätig waren; im Jahre
1815 erfolgte die Promotion der Frau Regina Josepha von
S i e b o 1 d zum Dr. artis obstetriciae, und im Jahre 1817 die
Promotion von Fräulein Charlotte Heiland. Karoline
Zimmer mann aus Darmstadt wurde 1831 immatrikuliert
als Studierende der Geburtshilfe und der Pharmakodynamik.
Bis 1890 unterstand die Verwaltung der Entbindungsanstalt
der Provinzialdirektion von Oberhessen. 1890 wurde sie als
geburtshilflich-gynäkologische Klinik in einem neuen zweck¬
entsprechenden Gebäude untergebracht und der Universität
angegliedert. Neben der geburtshilflichen Abteilung war 1871
eine eigene gynäkologische Abteilung geschaffen worden.
Nach dem Tode des vielverdienten Professors von R i t g e n,
1868, übernahm Fr. Birnbaum das Direktorat der Klinik,
den Hebammenunterricht und den Lehrauftrag für praktische
Geburtshilfe, während A. Kehrer der Lehrauftrag für theo¬
retische Geburtshilfe übertragen ward. 1872 wurde Kehrer
o. ö. Professor und Direktor der ganzen Klinik und der He¬
bammenanstalt. Nach seiner Berufung nach Marburg war Fr.
Ahlfeld hier tätig, 1881 — 1883. Dessen Nachfolger war R.
Kaltenbach, bis 1887 ; 1887 und 1888 war M. Hof meier
hier. Ein reges wissenschaftliches Leben hat unter den Ge¬
nannten, noch im alten Gebäude, geblüht. Selbst in jenen unzu¬
länglichen Räumen haben sie es verstanden, an dem Auf¬
schwünge der modernen operativen Geburtshilfe und Gynä¬
kologie sich rühmlichst zu beteiligen. Aber erst die neue
Klinik, welche 1890 unter Hermann L ö h 1 e i n eingeweiht
worden ist, sicherte Giessens Plaz neben den ersten gynä¬
kologischen Kliniken des In- und Auslandes. L ö h 1 e i n s Ver¬
dienste um die neue Klinik, um den geburtshilflich-gynäkolo¬
gischen Unterricht, seine Verdienste um die Universität, seine
grundlegenden Bestrebungen um das Hebammenwesen sind in
einem Nekrologe in dieser Wochenschrift gewürdigt worden
(1901', No. 52). L ö h 1 e i n s Nachfolger war Pfannenstiel.
An den Namen v. R i t ge n knüpft sich auch die Ge¬
schichte der übrigen Kliniken. Was wir aus dem Anfänge des
19. Jahrhunderts über den klinischen Unterricht in der Medizin
und Chirurgie wissen, beschränkt sich auf die Mitteilung der
Chronik, dass den Studierenden 1809 unter Nebel die Ge¬
legenheit geboten war, im Militärhospitale in der medizinischen
und chirurgischen Praxis sich zu üben, und dass seit diesem
Jahre Baiser täglich ein Klinikum gehalten habe. Dies aber
war eine private Veranstaltung, und erst 1816 wurde dieses
Klinikum zu einer akademischen Anstalt mit einem Staats¬
zuschuss umgewandelt. 1824, so heisst es in der Chronik, er-
öffnete von R i t g e n im Bürgerspitale eine medizinisch¬
chirurgische Klinik. In einer Festrede, welche Ge¬
heimrat Riegel 1890 aus Anlass der Enthüllung des Liebig-
denkmal und der Einweihung der neuen Kliniken gehalten hat,
wird über die Entstehung der alten Giessener Klinik Folgendes
berichtet: Für die innere Medizin und Chirurgie waren nur
einige Betten in dem sogenannten städtischen Hospitale, einem
selbst damals bescheidensten Ansprüchen nicht genügenden
Hause untergebracht. Erst im Jahre 1831 — nach dem 1829
beendeten Umbaue der früheren Kaserne auf dem Seltersberge
— erhielt die Universität ein Krankenhaus, insoferne dem medi¬
zinisch-chirurgischen Unterrichte die eine Hälfte der Kaserne
zur Verfügung gestellt worden ist; in der anderen Hälfte waren
die Bibliothek und die Sammlungen der Universität unterge¬
bracht. Das Direktorium dieses Universitätskrankenhauses
führte Professor Baiser, Vertreter der inneren Medizin und
der Augenheilkunde. 1834 wurde eine Poliklinik der Klinik un¬
gegliedert. Für die Chirurgie, welche zunächst mit der Geburts¬
hilfe vereinigt geblieben war, wurde erst im Jahre 1837 eine
eigene Klinik neben der medizinischen Klinik im gleichen Ge¬
bäude errichtet. Direktor dieser ersten chirurgischen Klinik war
Professor Wernher. Nach Baisers Tode wurden die
Augenkranken zum I eil der inneren, zum Teil der chirurgischen
Klinik überwiesen. Baisers Nachfolger als Direktor der
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1541
medizinischen Klinik wurde Professor Vogel, welchem Pro¬
fessor S e i t z gefolgt ist. Dessen Nachfolger, Franz Riegel,
wird die Nachwelt als den eigentlichen Begründer der kli¬
nischen Medizin in Giessen rühmen. Das Verdienst dieses ziel¬
bewussten, rastlos tätigen Mannes ist es, dass zunächst in der
alten Klinik nicht unwesentliche Verbesserungen vorgenommen
worden sind, dann aber, dass endlich eine den modernen For¬
derungen nach allen Seiten hin entsprechende neue medi¬
zinische Klinik ins Leben getreten ist. Am 28. Juli 1890 ist
deren Eröffnung erfolgt. 25 Jahre hat Riegel als Leiter der
medizinischen Universitätsklinik gewirkt. Seine Verdienste
hier zu besprechen, ist nicht der Platz. Ich verweise auf die
Nekrologe in der Fachpresse 1904 und auf den Jubiläumsartikel
in dieser Wochenschrift, 1904, No. 20. Riegels Nachfolger
sind Moritz und V o i t.
Als Begründer der chirurgischen Klinik muss
Wernher angesprochen werden. 1835 wurde er, damals
Physiaktswundarzt zu Offenbach, zum Extraordinarius er¬
nannt und als Assistenzarzt der chirurgischen Klinik dem Pro¬
fessor der Geburtshilfe v. Ritgen unterstellt. 1837 Ordi¬
narius und Direktor der chirurgischen Klinik geworden, erhielt
er 1845 auch die Professur der pathologischen Anatomie und
ward Konservator der pathologisch-anatomischen Sammlung,
welche aus der 1837 von der Universität angekauften Söm-
meringschen Sammlung hervorgegangen war. 1856 wurde
er von der Nominalprofessur der pathologischen Anatomie
entbunden, gab jedoch die Direktion der pathologisch-ana¬
tomischen Sammlung erst ab, als 1872 eine eigene Professur
für pathologische Anatomie errichtet war. Nach 43 jähriger
Tätigkeit an seiner Klinik trat er 1878 in den Ruhestand. Seine
Verdienste um die Universität nicht minder wie um die Wissen¬
schaft, in der er sich auf chirurgischem und pathologischem
Gebiete in reichem Umfange betätigt hat, stellen ihn in die
erste Reihe der Giessener Mediziner. Sein Nachfolger Bose,
ein Schüler Langenbecks, bekleidete die Professur für
Chirurgie und das Direktorat der chirurgischen Klinik bis 1899.
Dessen Nachfolger, Professor P o p p e r t, wird es vergönnt
sein, die chirurgische Klinik in nächster Zeit in ein neues, wür¬
diges Heim überzuführen.
Als Lehrer der Ophthalmologie waren nach Baisers
Tode Professor Vogel, die Dozenten Weber und R a u,
Professor Trapp, Wernher, der a. o. Professor Wetter
und Professor Dr. Alexander W i n t h e r, Dr. Carl Wern¬
her, der Sohn des Chirurgen, und Professor Gerold tätig.
1877 erfolgte die Gründung einer ophthalmologischen Klinik und
die Schaffung eines Ordinariates, welches bis 1879 Sattler
inne hatte, ein Schüler B i 1 1 r o t h s und A r 1 1 s. Als sein Nach¬
folger wirkte A. von Hippel, bis 1890. In diesem Jahre
wurde Vossius von Königsberg als Ordinarius der Ophthal¬
mologie und Direktor der Universitäts-Augenklinik nach
Giessen berufen. Ein umfangreicher schöner Neubau für die
Zwecke der Augenklinik wird in den nächsten Monaten voll¬
endet sein.
Begründer der modernen pathologischen Anatomie in
Giessen ist L a n g h a n s, welcher, von Marburg nach Giessen
berufen, als Professor der pathologischen Anatomie neben
Wernher von 1868 bis 1872 hier tätig war. Als o. Pro¬
fessoren der pathologischen Anatomie und allgemeinen Patho¬
logie waren seine Nachfolger Köster, 1872 — 1874, P e r 1 s,
1874 — 1881, Marchand, 1881 — 1883. Seit diesem Jahre
vertritt hier B o s t r ö m die pathologische Anatomie und die
forense Medizin. Das neue pathologische Institut ist 1890 er¬
öffnet worden, nachdem bis dahin die Arbeitsräume und die
Sammlungen in der Anatomie untergebracht gewesen und die
Sektionen in einem Anbau der alten Kliniken abgehalten
worden waren.
v. R i t g e n s bahnbrechende Bestrebungen haben sich
auch auf die Entwicklung der Irrenpflege und des psychi¬
atrischen Unterrichts erstreckt. Als Professor der Psychiatrie
für das Irrenwesen unermüdlich tätig, hat er es verstanden,
die Fakultät ebensowohl wie die Ständekammer für die Idee
einer psychiatrischen Klinik zu gewinnen. Sein Schüler
Ludwig, der jetzige Senior der hessischen Psychiater, hat
seine Gedanken übernommen und weiter entwickelt. Ich er¬
innere an v. R i t g e n s Lehrbuch von den Persönlichkeits¬
krankheiten und Ludwigs diesbezügliche Dissertation.
Ludwig, den früheren Direktor der Anstalt in Heppenheim,
dürfen wir als den modernen Reformator des Irrenwesens in
Hessen feiern. Von ihm stammt auch die erste Skizze für eine
psychiatrische Klinik in Giessen. Diese hat Sommer gebaut,
1895 aus Würzburg als a. o. Professor berufen, 1896 zum Ordi¬
narius ernannt. 1896 ist die Klinik eröffnet worden.
Die Gründung des Pharmakologischen In¬
stitutes ist 1844 erfolgt. Der erste Direktor war Prof.
P h o e b u s. Aus dessen Zeit besitzt das Institut eine ziemlich
bedeutende pharmakognostisehe Sammlung. 1868 — 1879 war
Buchheim tätig. Unter Prof. Gaethgens war das In¬
stitut in der Universität untergebracht. Als Prof. Gaeth¬
gens 1898 sein Amt niederlegte, wurde für das Institut ein
eigenes Heim erworben, das frühere Schwesternhaus, und Prof.
G e p p e r t mit dem Ordinariat betraut. Ein Neubau ist in
Aussicht genommen.
v. R i t g e n kann als derjenige bezeichnet werden, welcher
als erster hier in Giessen mit der öffentlichen Gesundheitspflege
^sich eingehend und in modernem Sinne beschäftigt hat. Als
o. ö. Professor der medizinischen Polizei, Psychiatrie und Ge¬
burtshilfe hat er nicht nur auf allen klinischen Gebieten eine
grundlegende Tätigkeit entfaltet, aus seinem umfangreichen
Werke über das Medizinalwesen des Gr. Hessen mit ausführ¬
lichen Kapiteln über die Gesundheitspolizei und Impfung ist er¬
sichtlich, dass er auch als Vorläufer der modernen Hygiene in
Giessen zu bezeichnen ist. Als erster offizieller Vertreter der
Hygiene wirkte hier seit 1888 Gaffky. Das hygienische In¬
stitut war ursprünglich im alten L i e b i g sehen Laboratorium
untergebracht, seit 1896 besitzt es ein eigenes treffliches Ge¬
bäude, dessen Direktorium seit 1904 Prof. K o s s e 1 innehat.
Das alte L i e b i g sehe Laboratorium, mit den Erinnerungen an
die zwei berühmten Gelehrten, die nicht wenig zum Ansehen
der Giessener Universität beigetragen haben, so hoffentlich
bleibt es der Nachwelt erhalten als Wahrzeichen des wissen¬
schaftlichen Ruhmes der Ludoviciana! Vielleicht erbarmt sich
seiner anlässlich der gegenwärtigen Jubelfeier der Verein zur
Denkmalspflege.
Die O t i a t r i e vertrat als erster in Giessen Dr. Hermann
Stein brügge. Dieser hatte sich 1885 als Privatdozent für
Ohrenheilkunde hier habilitiert und zur Ausübung seiner Lehr¬
tätigkeit und Abhaltung einer Poliklinik 3 Zimmer im -alten
Universitätskanzleigebäude zugewiesen erhalten. 1887 zum
a. o. Professor ernannt, erhielt er den Lehrauftrag 1889; 1891
wurde ihm ein Kredit von 800 M. für die von ihm gegründete
und bis dahin aus eigenen Mitteln unterhaltene Ohrenpoliklinik
eröffnet. 1892 wurde diese Poliklinik in einem Nebengebäude
der Alten Klinik untergebracht. 1898 zum etatsmässigen
a. o. Professor ernannt, starb dieser verdiente Vertreter seines
Spezialfaches 1901. Sein Nachfolger ist Prof. Leutert, der
in den gleichen unzureichenden Räumen seine Poliklinik aus¬
übt. Ihm sowie dem Extraordinarius für Dermatologie sollen
in absehbarer Zeit in der „Alten Klinik“, wenn diese von der
chirurgischen und ophthalmologischen Klinik verlassen sind,
Räume für Klinik und Poliklinik zur Verfügung gestellt werden.
Mit dem Lehrauftrage für Haut- und Geschlechtskrankheiten
ist eine Poliklinik verbunden, im vorigen Jahre errichtet und
zurzeit in einem Raume der medizinischen Klinik untergebracht.
Die Kinderheilkunde als Spezialfach ist durch Privat¬
dozenten Dr. K o e p p e vertreten, der sich aus eigenen
Mitteln eine Poliklinik für den pädiatrischen Unterricht ein¬
gerichtet hat.
Mit der Universität in Giessen von alters her verbunden
ist das Studium der Veterinärmedizin. Ursprünglich
bildete die Tierheilkunde einen Bestandteil der 1777 gestifteten
ökonomischen, der V. Fakultät. Als diese 1785 wieder ein¬
gegangen war, wurde die Tierarzneischule der medizinischen
Fakultät angegliedert, und als in den Jahren 1826—1829 die
alte Kaserne für die Zwecke der entstehenden Kliniken um¬
gebaut wurde, wurde die Tierarzneischule in der alten Gen¬
darmeriekaserne daneben untergebracht. Seit 1828 bildet die
Tierheilkunde einen fortlaufenden Bestandteil des Lehrplanes
der Universität. Prof. Vix hatte den Auftrag erhalten, Vor¬
lesungen aus dem Gebiete der Tierheilkunde zu halten. 1829
wurde das Tierarzneiinstitut eröffnet, zunächst als eine Privat-
MUENCHENER ^MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 31.
* 42
anstalt von Prof. V i x mit Staatszuschuss. 1829/30 kündigte
V i x an, dass er auf ausdrückliches Verlangen Vorträge über
physiologische und pathologische Anatomie der Tiere für
jüdische Theologen halten werde. Im Jahre 1830 verlangte eine
Verordnung der Regierung über das Studium der Tierarznei-
k'unde den Nachweis der Gymnasialmaturität, worauf von
1832 an den nach 3 jährigem Universitätsstudium promovieren¬
den Tierärzten die Würde eines Dr. med. vet. verliehen wurde.
Diese Zugehörigkeit des aus den 3 ordentlichen Professoren
der Tierheilkunde bestehenden veterinär-medizinischen Kol¬
legiums zur medizinischen Fakultät findet seit den letzten
Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Ausdruck im
wesentlichen darin, dass der „vereinigten“ medizinischen
Fakultät bezüglich der tierärztlichen Promotionen und Habili¬
tationen gewisse Rechte zustehen, während die eigentlichen
tierärztlichen Angelegenheiten und auch die Berufungen von
dem veterinär-medizinischen Kollegium selbständig behandelt
werden. Von den Professoren der letzten Zeit haben Pflug
Klinik und Pathologie, Eichbaum Anatomie, Preusse
und Win ekler die Veterinärpolizei und die Poliklinik ver¬
treten. 1899 ist P f e i f f e r der Nachfolger Pflugs geworden,
und seit 1901 lehrt Martin die Anatomie, Olt die Patho¬
logie, der a. o. Prof. G m e i n e r die medizinische Klinik, und
als Nachfolger Wincklers wirkt seit vorigem Jahre der
mit Lehrauftrag versehene Kreisveterinärarzt Dr. K n e 1 1.
Die Anstellung einer grösseren Anzahl von Professoren
und der Neubau prachtvoller Institute in den letzten Jahren
haben dem Studium der Tierheilkunde ‘in • Giessen einen be¬
deutenden Aufschwung verliehen, so dass die Veterinärmedizin
hier durchaus würdig dasteht, namentlich seit als Vorbildung
für die Tierärzte des deutschen Reiches allgemein die Uni¬
versitätsreife verlangt wird.
Im Laufe der letzten zwei Dezennien ist hier in Giessen
für die Zwecke des medizinischen Unterrichts sehr viel
Schönes und Gutes geschaffen worden. Die Ausgaben, welche
dem kleinen hessischen Staate in dieser Zeit aus Neubauten und
Einrichtungen erwachsen sind, sind sehf beträchtliche. Die
noch vorhandenen Mängel und Lücken auszugleichen, bleibt der
nächsten Zeit überlassen. Die Reichhaltigkeit und Vortrefflich¬
keit des Lehr- und Lernmateriales sichert der medizinischen
Wissenschaft an der Ludoviciana ein herrliches Arbeitsfeld.
Referate und Bücheranzeigen.
R. H ö b e r - Zürich: Physikalische Chemie der Zelle und
der Gewebe. Zweite neubearbeitete Auflage. 460 Seiten mit
38 Textfiguren. Verlag von W. E n g e 1 m a n n. Leipzig 1906.
Preis 14 M.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Weg zur Physio¬
logie abgesehen von der Morphologie über'Physik und Chemie
und insbesondere über das den beiden letzteren Disziplinen
gemeinsame Gebiet der physikalischen Chemie führen muss.
Aus dieser Ueberzeugung heraus hat H ö b e r vor vier Jahren
sein Buch erscheinen lassen. Das Buch musste Anklang finden
und hat ihn auch in dem Masse gefunden, dass schon jetzt eine
neue Auflage notwendig wurde.
Die vielfache Anwendung physikalisch-chemischer Me¬
thoden auf physiologische Probleme hat in den letzten Jahren
zur Anhäufung eines gewaltigen Tatsachenmaterials geführt,
insbesondere auf den speziellen Gebieten der physikalischen
Chemie der Salze, Fermente und Kolloide. H ö b e r hat das
Wichtigste davon in das Buch aufgenommen und so den Um¬
fang um fast ein Drittel des früheren vermehrt. Auch sonst
wurden vielfach Umstellungen und Ueberarbeitungen vorge¬
nommen, sodass nunmehr in dreizehn Kapiteln nacheinander
behandelt werden: Der osmotische Druck und die Theorie der
Lösungen — Der osmotische Druck der Organismen — Die
Ionentheorie — Die Gleichgewichte in Lösungen — Physi¬
kalisch-chemische Analyse organischer Flüssigkeiten — Die
Permeabilität der Plasmahaut — Die Kolloide — Die Wirkungen
reiner Elektrolytlösungen — Die Wirkungen von Elektrolyt¬
kombinationen — Ionenpermeabilität — Die Permeabilität der
Gewebe — Die Fermente — Zur physikalischen Chemie des
Stoff- und Energiewechsels. Den Schluss bildet ein Autoren-
und Sachregister.
Der Praktiker, welcher sich mit den Grundlagen der physi¬
kalischen Chemie bekannt gemacht hat, wird nicht nur in dem
Buche in einer ausgezeichneten Weise orientiert über das,
was bisher die physikalische Chemie der Physiologie geleistet
hat, er wird auch die reichste Anregung zur Betätigung auf
diesem 'Gebiete finden. Jedenfalls gebührt Höber der be¬
sondere Dank der Mediziner dafür, dass er die grosse Mühe
nicht gescheut hat, das Physikalisch-Chemische aus den medi¬
zinischen Wissenschaften zusammenzutragen und in einer so
anregenden Weise zur Darstellung zu. bringen.
K. Bürker - Tübingen.
Dr. Hermann Schridde: Die Entwicklungsgeschichte
des menschlichen Speiseröhrenepithels und ihre Bedeutung für
die Metaplasielehre. Wiesbaden. Verlag von J. F. Berg-
m a n n, 1907. 101 Seiten und 23 Abbildungen auf 4 Tafeln.
Preis 4 Mk.
Verfasser gibt die Resultate seiner Untersuchungen über
die Entwicklung des menschlichen Speiseröhrenepithels, denen
mit allen Hilfsmitteln der modernen Technik hergestellte Prä¬
parate von Embryonen (Länge 13 — 300 mm, Alter 5—36 Wo¬
chen), Neugeborenen, Kindern und Erwachsenen zu gründe
liegen (darunter auch Fälle von angeborener Oesophagusatre-
sie). Er unterscheidet verschiedene Stufen der Entwicklung
des Speiseröhrenepithels, die jedoch nicht bestimmten Stadien
der äusseren Körperentwicklung entsprechen, sondern sehr va¬
riieren, so dass das Alter oder die Länge eines Embryos durch¬
aus nicht als Massstab der Entwicklung des Epithels betrachtet
werden kann. Aus dem ursprünglich einreihigen entodermalen,
kurzzylindrischen oder kubischen Epithel wird ein zweischich¬
tiges, aus hohen hellen Zellen bestehendes Zylinderepithel, dünn
treten auch Flimmerzellen auf, und weiterhin ein vielschich¬
tiges, aus hellen polygonalen Zellen gebildetes Epithel; schliess¬
lich werden diese Zellen allmählig ersetzt durch typische Faser¬
zellen, die, von der Basalschicht immer weiter vordringend,
schliesslich beim Erwachsenen eine im Durchschnitt 24-schich-
tige Lage bilden. Eine fünfte Richtung, in welcher sich das ur¬
sprünglich entodermale Epithel, allerdings nur in abnormen
Fällen, entwickeln kann, ist durch schleimbildende Zylinderzellen
gekennzeichnet. Faserzellen und Schleimzellen sind Dauer¬
bildungen, im Gegensatz zu den ersten drei Zellsorten, welche
„Zeitbildungen“ darstellen.
Diese Befunde zieht Verf. zur Erklärung gewisser, als Ano¬
malien der Entwicklung zu deutender pathologischer Zustände
des Oesophagus heran: der Zysten mit Flimmer- und Faser¬
epithel, der Divertikel mit Flimmer- und Becherzellen und der
bekannten, in der. Höhe des Ringknorpels vorkommenden
sogen. Magenschleimhautinseln.
Bei der Erörterung der Beziehung seiner Befunde zu der
Lehre von der Metaplasie weist Verf. darauf hin, dass die wäh¬
rend des Embryonallebens im Oesophagus auftretenden Zell¬
arten niemals ineinander übergehen; es handelt sich vielmehr
lediglich um eine Differenzierung der ursprünglichen ento¬
dermalen Stammeszellen in verschiedene, aber selbständige
Formen. Als Grundlage hiefür nimmt Verf. die Gegenwart ver¬
schiedener „strukturbildender Substanzen“ im Plasma der
Stammeszelle an und glaubt, dass hiebei (durch stammesge¬
schichtliche Vererbung bestimmte) Qualitäten sowohl in der Ein¬
zellzelle als im Bereich des ganzen Epithelverbandes in den
Kampf geraten, derart, dass die phylogenetisch älteren Quali¬
täten schliesslich überwunden werden. Demnach handelt es
sich bei der normalen Entwicklung des Oesophagusepithels
nicht um eine echte Metaplasie; Verf. spricht hier von Nor¬
mo p 1 a s i e, und meint damit eine Differenzierung, welche
für den normalen Standort einer Zelle spezifisch ist und die
für diesen Ort die typische Ausdifferenzierungszone
nicht überschreitet. Verf. geht dann auf die Epithel¬
metaplasien überhaupt ein, die in den verschiedensten
Organen als einfache Anomalien, ferner bei chronischen Ent¬
zündungen und Geschwülsten beobachtet werden, und stellt
auch hier eine echte Metaplasie im Sinne V i r c h o w s in
Abrede. Er nimmt vielmehr eine von ihm sogen, indirekte
Metaplasie an, in dem Sinne, „dass eine differenzierte
Zeile der Keimzonen der Epithele als solche oder in ihren
Tochterzellen durch endliche Aufgabe der spezifischen Attribute
30. Juli 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1543
sich zurückbildet zu einer Form, der die Potenzen der Stammes¬
zelle wieder zufallen“.
Solche Entdifferenzierungen sollen vor allem durch <Aen-
derung der funktionellen Reize zustande kommen. Aus der
entdifferenzierten Zelle kann dann eine für den Standort hetero-
type Zelle entstehen; jedoch meint Verf., dass hier durch Onto-
genie und Phylogenie gezogene Grenzen der heterotypen
Differenzierungsmöglichkeit bestehen. Daneben nimmt Verf.
noch eine Heteroplasie an, in dem Sinne, dass sich
aus undifferenzierten Stammeszellen schon im embryo¬
nalen Leben für den Standort atypische Elemente ent¬
wickeln, oder dass sich undifferenzierte Stammeszellen in
das postembryonale Leben hinüber erhalten v (besonders
in den Keimzonen der Epithele) und dass' sich dann aus
solchen Zellen (heterochron) für den Standort atypische Ele¬
mente entwickeln. Die oben erwähnten Grenzen gelten
auch für diese Heteroplasie. Unter Prosoplasie —
ein Ausdruck, der allerdings schon anderweitig in Be¬
schlag genommen ist — versteht Verf. eine über die
Normoplasie (s. o.) hinausgehende Entwicklung, eine das
„physiologische Mass überschreitende Weiterdifferenzierung“,
und rechnet hierher z. B. das Auftreten verhornen¬
den Faserepithels in der Speiseröhre, Harnröhre, Vagina,
Mundschleimhaut usw., endlich auch die Bildung typischer
Becherzellen in der Gallenblasen- und Uterusschleimhaut.
Die Annahme von Keimverlagcrungen wird als unnötig erklärt.
Als Pseudometaplasie endlich gelten jene, durch äussere
mechanische Momente hervorgerufene Formveränderungen der
Epithelzellen, bei welchen die innere spezifische Struktur der
Zellen in ihren Grundzügen unverändert bleibt.
Das letzte Kapitel der Sehr. Ausführungen gilt der „B i n -
degewebsmetaplasie“. Hier kann Verf. die Möglich¬
keit einer echten direkten Metaplasie, z. B. von Bindegewebe
in Knochen, nicht abstreiten, hofft aber, dass es vielleicht einmal
noch gelingen wird, für die heterotypen Bildungen des Binde¬
gewebes die gleichen Grundsätze aufzustellen, wie für die des
Epithels.
Die gründlichen Untersuchungen Schriddes sind sehr
wertvoll und für die Lehre von der ■ Metaplasie von grosser
Bedeutung; sie werden auch sicher in hohem Masse anregend
wirken. Dem Ref. scheint nur der Gegensatz, den S c h r i d d e
zwischen seiner eigenen Auffassung und der Metaplasielehre
V i r c h o w s findet (cf. p. 68 und 79 bei S c h r i d d e) nicht so
scharf. V i r c h o w versteht unter Metaplasie „Persistenz der
Zellen bei Veränderung des Gewebscharakters“; aber es geht
aus seinen Abhandlungen über Metaplasie (Zellularpathologie
IV. Aufl., pag. 70 und 98, V i r c h o w s Archiv, Bd. 97, pag.
416 ff.) sehr deutlich hervor, dass er darunter auch ähnliche
Vorgänge begreift, die S c h r i d d e unter dem Begriff der „in¬
direkten Metaplasie“ zusammenfasst.
In seinem berühmten Vortrag über Metaplasie z. B. schreibt
V i r c h o w: „Ein Motiv zu Missverständnissen liegt nur darin,
dass diese Wechsel nicht selten eingeleitet werden durch ein¬
fache plastische Vorgänge, namentlich durch Vermehrung der
Zellen im Wege der Proliferation, so dass der Gesamtvorgang
in zwei Akte oder Stadien zerfällt: ein erstes einfach plastisches
und ein zweites metaplastisches“. V i r c h o w spricht also
nicht nur dann von Metaplasie, wenn Zellen einfach persi-
stieren und sich umwandeln, sondern auch wenn sie sich vor¬
her teilen und vermehren und dann nach einer neuen Richtung
differenzieren. Borst- Würzburg.
Frankl-Hochwart und O. Zuckerkandl: Die
nervösen Erkrankungen der Harnblase. 2. umgearbeitete Auf¬
lage. Wien, Holder, 1906. 137 S. Preis 4 M.
Die nervösen Erkrankungen der Blase sind in der Regel
keine Krankheit für sich, sondern Teilerscheinungen einer
anderen Erkrankung des Nervensystems. Trotzdem oder viel¬
leicht gerade deswegen ist es wichtig, ihre Pathologie und
Symptomatologie genau zu kennen, um im gegebenen Fall der
richtigen Erkennung sicher zu sein.
In der physiologischen Einleitung geben die Verfasser zu¬
nächst eine Darstellung der noch nicht völlig geklärten Blasen¬
sensibilität und Blasenmotilität. Den Harndrang erklären sie
vorwiegend als Kontraktionsgefühl; aber auch die besondere
Empfindlichkeit der Schleimhaut des prostatischen Teiles muss
zu seiner Erklärung mit herbeigezogen werden.
Bei der Erörterung der allgemeinen Symptomatologie
werden die einzelnen Erscheinungen, insofern sie für die Er¬
kennung des nervösen Charakters des Leidens von Bedeutung
werden, eingehend geschildert. Nervöse Blasenschmerzen
dürfen nur dann angenommen werden, wenn man ein Grund¬
leiden findet, das mit solchen Beschwerden einhergehen kann.
Vermehrter Harndrang hat kaum eine diagnostische Bedeutung.
Herabgesetzter Harndrang spricht mit Wahrscheinlichkeit für
ein nervöses Leiden. Grosse Vorsicht erfordert die Diagnose
des nervösen Sphinkterkrampfes, der nervösen Blasenlähmung
und der nervösen Harnretention. Die Erscheinungen der ner¬
vösen Inkontinenz, des Harnträufelns, des Harndurchbruches,
der ausdrückbaren Blase erfahren eingehende Würdigung.
Im speziellen Teil des Buches werden die Blasenstörungen
bei den verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems (spi¬
nalen, peripheren, zerebralen Erkrankungen, Neurosen) im ein¬
zelnen beschrieben. Zahlreiche eingestreute Einzelbeob¬
achtungen beweisen, wie wichtig oft die Art der Blasenstörung
Tür die Frühdiagnose des Grundleidens ist.
In dem Abschnitt über Therapie ist selbstverständlich nur
die Lokalbehandlung berücksichtigt: Einführung von Sonden,
Elektrisation, Einspritzungen, Hydrotherapie, Massage u. dgl.
Bemerkenswert erscheint, dass den epiduralen Injektionen bei
der Enurese ein grossej Erfolg zuerkannt wird.
K r e c k e.
Georges Luys: Exploration de l’appareil urinaire. Paris
1907. Masson & Cie. 511 S. Preis 15 Frs.
Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass der Aufschwung,
den die urologische Spezialwissenschaft in den letzten 20
Jahren genommen, auf die grossartigen Verbesserungen der
Untersuchungsmethoden zurückzuführen ist; in manchen
Punkten erlebten sie eine solche Wandlung, dass nur ganz
entfernte Beziehungen zu bestehen scheinen.
L. hat nun in einem stattlichen Werke alle Untersuchungs¬
methoden des Harnapparates, alte und neue, ausführlich und
zugleich präzis zusammengestellt und so jedem, auch dem in
urologischen Untersuchungen weniger geübten Chirurgen einen
Berater an die Hand gegeben, der ihm aufs leichteste wie aufs
eingehendste urologische Fragen zu klären im Stande ist.
Aus dem ausserordentlich mannigfachen Inhalt seien nur
kurz die Abschnitte hervorgehoben, denen L. durch eingehende
Behandlung eine besondere Aufmerksamkeit schenkt.
So widmet der Verfasser in dem Kapitel „Harnröhren-
untersuefipng“ einen grösseren Abschnitt der Urethroskopie,
die bis vor ganz kurzer Zeit in Frankreich wenig geübt und
geschätzt war. Bei dieser Gelegenheit zeigt L. an der Hand
von Krankengeschichtsauszügen den Wert des von ihm ver¬
besserten Endoskops, das auch Ref. aus persönlicher Erfahrung
als eines der einfachsten und zugleich am besten die Details
zeigenden empfehlen zu können glaubt.
Bei der Erörterung der Blasenuntersuchung beschäftigt
sich ein leider etwas kurz ausgefallener Abschnitt mit der
Kystoskopie, wie sie mit den bei uns gebräuchlichen optischen
Instrumenten vorgenommen wird. L. ist ein eifriger Verfechter
des bei Frauen jedenfalls recht gut brauchbaren linsenlosen
Kystoskops, das in der Hauptsache in einer Abart seines Harn¬
röhrenendoskops besteht, dein noch eine Absaugvorrichtung
beigegeben ist.
Der Abschnitt der Ureteren- und Nierenbeckenunter¬
suchung bringt die verschiedenen Methoden, den Katheterismus
der Ureteren zu betätigen.
Im letzten Teil endlich über Nierenuntersuchung zeigt L.
neben der Darstellung der bis jetzt gebrauchten Methoden die
Leistungsfähigkeit seines Harnsegregators. Es unterliegt
keinem Zweifel, dass derselbe in geeigneten Fällen ab¬
solut sichere Resultate gibt; dies tut nicht nur die grosse
Reihe seiner mitgeteilten Untersuchungen überzeugend dar,
sondern es bestätigen dies auch eine beträchtliche Anzahl von
Untersuchern (auch Ref.); dabei hat das Instrument noch den
Vorteil der Möglichkeit einer absoluten Asepsis bei relativ ge¬
ringer Schmerzhaftigkeit der Anwendungsweise.
Die Ausstattung des Buches ist eine ganz vorzügliche.
165 Figuren im Text und 5 farbige Tafeln, die leider nur Harn-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
15-44
No. 31.
röhrenbilder und einige Blasenbilder (aufgenommen mit dem
Loschen Endoskop) geben, erhöhen das Verständnis des Textes.
Kielleuthner - München.
R. W o h 1 a u e r: Urologisch-kystoskopisches Vademekum.
Wiesbaden 1907. 179 Seiten. Preis Mk. 3.60.
Verf., ein langjähriger Schüler N i t z e s, hat in recht glück¬
licher Weise die Aufgabe, in knapper Kürze einen Abriss der
Erkrankungen der Harnorgane, ihrer kystoskopischen Unter¬
suchung und ihrer Therapie zu geben, gelöst. Das kleine, in¬
haltsreiche Büchlein wird manchem Praktiker als Nachschlage-
buch, vielen Studierenden als Anleitung sehr willkommen sein.
Kielleuthner - München.
Praktischer Führer durch die gesamte Medizin mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Diagnose und Therapie. Nach-
schlagebuch in allen Fragen für den praktischen Arzt und
Studierende. Herausgegeben von Sanitätsrat Lorenz in
Scharley O/S., Knappschaftsarzt. 2. vollständig überarbeitete
und vermehrte Auflage. 2. Band. Verlag von Benno
Kor. egen. Leipzig 1907. Seitenzahl 516.
Bereits bei Erscheinen des ersten Bandes haben wir auf
die ausschliesslich für den Gebrauch des Praktikers berechnete
Einrichtung des Werkes hingewiesen, das sich diesem Zwecke
zu Liebe aller literarischen Nachweise und theoretischen Er¬
örterungen enthält. Der vorliegende Band bringt die Kapitel
über Menstruation, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, so¬
dann Krankheiten der Neugeborenen. Ferner enthält er die
Kapitel über die Krankheiten der oberen und unteren Glied¬
massen und des Beckens, über die Hautkrankheiten, ferner ein
eigenes Kapitel über die Gebrechen und Krankheiten des
Greisenalters. Den Schluss des Bandes bildet eine Darstellung
der Anwendung der Hyperämie als Heilmittel. Ein sehr aus¬
führlich gearbeitetes Sachregister schliesst den Band ab.
Grassmann - München.
Jahrbuch der praktischen Medizin. Kritischer Jahres¬
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte, heraus¬
gegeben von Prof. Dr. J. Schwalbe- Berlin. Jahrgang
1907. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1907. 622 Seiten.
Preis 13 M.
Mit Genugtuung, deren Berechtigung wir mit Vergnügen
anerkennen, hebt der Herausgeber im Vorwort hervor, dass
das Jahrbuch auch heuer wieder als erster der verschiedenen
erscheinenden Jahresberichte auf dem Plane erscheint. Der
Jahresbericht, dessen Bearbeiter die nämlichen sind, wie im
Vorjahre, nur dass Prof. P. F. R i c h t e r - Berlin den Bericht
über die Stoffwechselkrankheiten erstattet hat, bringt, in Form
und Umfang sich seinen bisherigen bewährten Traditionen an¬
schliessend, knapp gehaltene Zusammenfassungen, auch mit
kritischer Sichtung, der im letzten Jahre erschienenen Publi¬
kationen und ermöglicht dem Praktiker eine rasche und zuver¬
lässige Uebersicht über die Fortschritte und Streitfragen auf
den verschiedenen Gebieten der Medizin. Ein gutes Sach- und
Autcrenregister erleichtert, wie bei dem S c h w a 1 b e sehen
Jahrbuch herkömmlich, den raschen Gebrauch des verdienst¬
vollen Werkes. G r a s s m a n n - München.
Die preussische Gebührenordnung für approbierte Aerzte
und Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Für die Bedürfnisse der
ärztlichen und zahnärztlichen Praxis erläutert von Justizrat
A. J o a e h i m, Rechtsanwalt am Kammergericht und Notar
und Dr. H. Joachim, prakt. Arzt. Zweite vermehrte und
verbesserte Auflage. — Anhang: A. Das Gebührengesetz vom
9. März 1872, B. Gerichtliche Geltendmachung des Honorars
(nebst Formularen), C. Praktische Beispiele für die Bemessung
der Gebühren. — Berlin W. 30. Verlag von O. C o b 1 e n t z
1907. 254 Seiten. IJreis 6 M.
In vorliegendem Werkchen sind in gemeinsamem Zu¬
sammenarbeiten von einem Juristen und Arzt eingehende Er¬
läuterungen zu der „Bekanntmachung betreffend den Erlass
einer Gebührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte
vom 15. Mai 1896 nebst Ergänzung vom 13. März 1906“ ge-
gcbeii; es sind darin erschöpfende Erklärungen zu richtiger
Handhabe der Gebührenordnung enthalten, sodass der Rat
suchende Arzt fast überall den erwünschten Aufschluss er¬
hält. Da ein Bedürfnis nach solchen Aufschlüssen unter den
Aerzten besteht, wie sich aus den zahlreichen Anfragen ergibt,
denen man in dieser Hinsicht in verschiedenen medizinischen
Zeitschriften begegnet, und da die Auskunftserteilung in dem er¬
wähnten Werkchen fast durchweg eine recht befriedigende ist,
so kann dieses allen preussischen Kollegen aufs beste empfohlen
werden. S p a e t - Fürth.
Neueste Journalliteratur.
Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Herausgeg. von
Prof. L. Brauer. Band VII. Heft 4.
H. Herzog: Klinische Beiträge zur Tuberkulose des mittleren
und inneren Ohrs.
Inhaltreiche und klinisch und anatomisch interessante Darstel¬
lung des wichtigen Kapitels an der Hand des Materials der Münchener
Ohrenklinik, zu kurzem Referat nicht geeignet.
C. Hart: Die Beziehungen des knöchernen Thorax zu den Lungen
und ihre Bedeutung für die Genese der tuberkulösen Lungenphthise.
Ganz auf dem Boden der W. A. Freund sehen Lehre stehend
gibt Verf abermals interessante Beiträge zu diesem Kapitel. Bei in
Bezug auf ihre Thoraxform nicht zur Phthise disponierten Diabetikern
beginnt die Krankheit auch nicht in den Spitzen, sondern im Mittel¬
und Unterlappen. Bei Thoraxverengerungen anderer Lokalisation
(Narbenverziehung, Kyphoskoliose) lokalisiert sich der Prozess genau
unter diese (weniger durchatmeten) Lungenteile. „Jede Lungenpartie
ist unmittelbar von der sie räumlich umschliessenden und ihr funk¬
tionell vorstehenden Partie des knöchernen Thorax abhängig.“ Als
„Thorax phthisicus“ betrachtet Verf. eine ganz spezifische Form des
Brustkorbs, welche als Folge von Entwicklungshemmungen im Be¬
reich der oberen Brustapertur zu betrachten ist. Von einer The¬
rapie dieser Anomalie ist naturgemäss nichts zu erwarten, um so
mehr von einer Prophylaxe in Gestalt von Atemübungen von Kind auf,
die Verf. dringend empfiehlt (vergl. dazu die ausserordentliche Sel¬
tenheit der Phthise bei Sängern und Bläsern. Referent.)
E. Masing: Ueber Bronchophonie der Flüsterstimme.
In Uebereinstimmung mit M o s e s (diese Zeitschrift, Bd. IV, H. 2)
führt Verf. an der Hand einiger eigenen Beobachtungen aus, wie
wichtig die Auskultation der Flüsterstimme für die Frühdiagnose der
Spitzenaffektionen ist, deren allererstes und von anderen un¬
abhängiges Symptom die Bronchophonie der Flüsterstimme oft dar¬
stellt. Auch als Finalsymptom bei der Heilung kann sie wieder auf-
treten, nachdem sie vorher verschwunden war.
Hans Curschmann - Mainz.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 85. Band. Leipzig.
Vogel.
1) Bardenheuer: Zur Frage der radikalen Frühresektion
des tuberkulösen Ellenbogengelenkes überhaupt sowie besonders
im kindlichen Alter. (Bürgerhospital Köln.)
Nach einer jahrelang beobachteten konservativ-exspektativen
Behandlung der Gelenktuberkulose, deren Resultate keineswegs gün¬
stige vaien, ist B. besonders auch am Ellbogengelenke zu seiner
alten Methode der frühzeitigen, extrakapsulären, radikalen Resektion
zui ückg.ekehrt, wobei er unter radikal lediglich die Entfernung alles
Tuberkulösen versteht; er will die Gelenktuberkulose als eine bös¬
artige Neubildung betrachtet wissen und legt darum die Resektions-
fiächen völlig ins Gesunde. Dabei soll am Ellbogen auf die Epiphysen¬
linien um so weniger Rücksicht genommen werden, als etwa ein¬
tretende Wachstumsstörungen sich an der oberen Extremität weit
wenigei unangenehm fühlbar machen, als an der unteren. Auch die
Möglichkeit, ein Schlottergeienk zu erhalten, soll nicht die gründ¬
liche Entfernung alles Kranken scheuen lassen. Wie diese von einem
bogenförmig das Olekranon umgreifenden Schnitt am besten extra¬
kapsulär zu ei i eichen ist, wird näher beschrieben; zur Erläuterung
dienen 3 Zeichnungen. Für aseptischen Wundverlauf und damit fistel¬
lose Heilung wichtig hält B. die völlige Ruhigstellung der Resektions¬
enden, die am besten durch Vernagelung erreicht wird. Der Nagel
sicht zum Gipsveibande heraus und wird nach 8 Tagen entfernt; zur
ordentlichen Festlegung der Ulna muss der Arm am Thorax durch
den Verband fixiert werden. Es empfiehlt sich besonders am Ell¬
bogengelenke nicht lange mit der Resektion zu warten, weil dadurch
die Heilungsbedingungen ungleich ungünstiger werden, örtlich wie
allgemein, bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen.
2) Barth: Ueber Niereneiterungen in der Schwangerschaft.
(Stadtlazarett Danzig.)
um die jvnue aer bcinvangerschaft kann durch Hyperämie der
Schleimhaut, namentlich in dem die Iliaka im Winkel kreuzenden
rechten Harnleiter, ein relativer Verschluss eintreten, der zur Harn-
stauung im Nierenbecken führt. Diese kann weiterhin hämatogen
nnt Kolibakterien infiziert werden, es kommt zur reinen Kolipyelitis
ohne Beteiligung der Niere. Viel seltener und ernster sind Infek-
tioncn mit Eitererregern, wobei auch die Niere 'in Mitleidenschaft ge-
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1545
zogen wird. Die durch die Pyelitis hervorgerufenen Erscheinungen
verschwinden fast sogleich, wenn man dem gestauten und infizierten
Harn Abfluss verschafft: entweder mit dem Ureterenkatheterismus
oder mit der Nephrotomie (in besonders schweren Fällen auch mit
dem künstlichen Abort). Die Nephrotomie hat keine Gefahren, weder für
die Mutter, noch für das Kind, das vielmehr bei längerem Bestehen der
Pyelitis meist verloren ist. Der Ureterenkatheterismus ist für das
Kind gefährlicher als die Nephrotomie, da er durch krampfhaftes
Zusammenziehen des Harnleiters reflektorisch Wehen und damit
Abort hervorrufen kann. Nach Entleerung des infizierten Harns
künstlich oder durch Ausstossung der Frucht tritt baldige Heilung
ein, jedoch nur im klinischen Sinne. Kolibakterien bleiben meist im
Nierenbecken liegen.
3) Borchard: Zur Frage der deformierenden Entzündung
(Arthritis deformans) des Hüftgelenkes bei jugendlichen Individuen.
(Diakonissenhaus Posen.)
Mitteilung dreier Fälle von Hüftgelenkserkrankungen bei
jüngeren Personen (darunter einmal doppelseitig), die alle mit der
Resektion behandelt wurden. Alle zeigten mehr oder weniger ab¬
gelaufene Erscheinungen von Osteomyelitis des Schenkelhalses, da¬
neben aber am Rande des Schenkelkopfes knöcherne Wucherungen,
wie sie sonst der Arthritis deformans .zugeschrieben werden.
4) Tilmann: Zwei Fälle von Hirntumor. (Akademie für prakt.
Medizin in Köln.)
Auch bei jenen Hirntumoren, deren exakte topische Diagnose
unmöglich ist, erscheint die Vornahme einer Trepanation dann be¬
rechtigt, wenn es sich darum handelt, heftige subjektive Beschwerden
des Patienten, die auf Hirndruck zurückzuführen sind (Kopfschmer¬
zen, Sehstörungen) zu beseitigen. Mitteilung zweier Fälle von
Gliom, eins im Gyrus centralis, das andere im Kleinhirn gelegen, bei
denen solch eine Palliativtrepanation vorgenommen wurde; im ersten
Falle gelang es weiterhin, den Tumor auszulösen mit leidlich be¬
friedigendem Erfolge.
5) v. Mangoldt: Aphorismen zur Appendizitis. (Karolahaus
Dresden.)
Die Schwierigkeit in der Beurteilung eines Appendizitisfalles
beruht darauf, dass bei leichten klinischen Erscheinungen schwere
anatomische Veränderungen vorliegen können und umgekehrt. Unter
175 Fällen hat Verf. bei 10 Früh- und 105 Intervalloperationen keinen
Todesfall erlebt; bei Intermediäroperationen (3. — 5. Tag) verlor
er 6 von 8 Patienten, bei Spätoperationen 8 von 52. Frühoperationen
müssen in den ersten 2 mal 24 Stunden vorgenommen werden; andern¬
falls bedeuten sie eine erhebliche Gefahr für das Leben des Patienten.
Die auf den anatomischen Befunden beruhende Einteilung B ii n g -
ners ist in praxi kaum anwendbar. Bei Appendicitis simplex und
Appendizitis mit umschriebener Abszessbildung ist Zuwarten unter
genauer Kontrolle statthaft. Gehen die Erscheinungen nicht zurück,
verschlimmern .sie sich gar, so muss operiert werden. Von den
schwersten mit freier Peritonitis einhergehenden Fällen von Appen¬
dizitis sind am 1. Tage 4/s, am 2. 2U der Kranken durch die sofortige
Operation zu retten; später sind sie meist verloren. Als Grundlage
für die als chronische Appendizitis gedeuteten Erscheinungen finden
sich katarrhalische Schwellungen, Schleimhautblutungen, Stenosen
u. a. m. — Differentialdiagnostisch kommt namentlich bei Frauen
Tubengravidität, Pyosalpinx, Ovarialtumor mit Stieldrehung in Be¬
tracht. Für die Frühoperationen ist der Steilschnitt am Rektusrande,
für die Intervalloperationen der Wechselschnitt angebracht. Als Naht-
material empfiehlt sich dünne Seide. Bei der Eröffnung von Blind¬
darmabszessen ist sorgfältige Tamponade von entscheidender
Wichtigkeit, besonders dann, wenn der Abszess durch die freie
Bauchhöhle hindurch eröffnet wurde. Für die sich retrozoekal ent¬
wickelnden Abszesse gibt M. als charakteristisch das bei Perkussion
der Zoekalgegend erhältliche bruit de pot feie an. Bei der Heraus¬
nahme einer perforierten Appendix ist darauf zu achten, dass nicht
ein Stück der Appendix zurückbleibt, das später wieder apoendizi-
tische Erscheinungen machen könnte. Unter den späteren Kompli¬
kationen bei Appendizitis sind namentlich die nicht selten zu be¬
obachtenden Herzstörungen wichtig. Zur Vermeidung der für den
Patienten gegebenen Falles sehr störenden postoperativen Ver¬
wachsungen ist es gut, den Stumpf des Mesenteriolum mit Serosa
zu übernähen, Blutungen sehr sorgfältig zu stillen, kein Opium zu
geben, bald abfiihren zu lassen und nicht zu spät konsistente Kost zu
geben.
6) Müller: Transperitoneale Freilegung der Wirbelsäule bei
tuberkulöser Spondylitis. (Chir. Klinik Rostock.)
Verfasser rühmt dieser Methode, die er an der Hand eines Falles
von Karies des letzten Lenden- und ersten Kreuzbeinwirbels aus¬
führlich beschreibt, besonders die vorzügliche Uebersicht und gute
Zugänglichkeit des Frkrankungsherdes bei völliger Ungefährlichkeit
nach.
7) Neu mann: Ueber den Volvulus des Magens. (Kranken¬
haus im Friedrichshain-Berlin.)
Beschreibung eines Falles von Magenvolvulus. der in anisoperi-
staltischem Sinne erfolgt war; Magen und Anfangsteil des Duodenum
hatten eine Drehung um 180° erfahren, das Duodenum war in der Pars
descendens vollkommen zugedreht. Die Grundbedingung für diese
Erkrankung, von der aus der Literatur noch 8 weitere Fälle erwähnt
werden und zu der Verf. einige in Abbildungen wiedergegebene
Lcichenversuche ausgeführt hat, ist die Gastroptose. Als Kardinal¬
symptom für den Magenvolvulus kommen akut entstandener Magen¬
meteorismus, Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Sondenunter¬
suchung, fruchtloser Singultus bei ileusartigen Erscheinungen in Be¬
tracht. Nach der Reposition des Magens nimmt man zur ferneren
Vermeidung von Flüssigkeitsansammlung im Magen, die für das Ent¬
stehen des Volvulus teilweise verantwortlich gemacht werden muss,
die Gastroenterostomie vor. Verf. glaubt, dass der akute Magen¬
volvulus häufiger ist, als man gemeinhin annimmt, um so mehr, als
er spontan zurückgehen kann.
8) Lennander: Akute Magenerweiterung bei angeborenem (?)
zu engem Pylorus und Drehung der distalen zwei Drittel des Dünn¬
darms. (Chir. Klinik Upsala).
Der geblähte Darm wurde reponiert, zu seiner Entleerung die
Enterostomie gemacht. Gastrostomie, Jejunostomie. Nachdem Magen
und Dünndarm einigermassen entleert waren, kontrahierten sie sich
wieder selbsttätig. Heilung nach späterer Ausführung der Gastro-
jejunostomie nach Roux. Während der Operation wurde Kochsalz¬
lösung mit etwas Adrenalin intravenös injiziert; der Zusatz des
Adrenalins soll den Schock bekämpfen. Verf. bespricht nebenbei die
in ihrer Entstehung nicht ganz klare akute postoperative Magen¬
dilatation, der man am besten durch Erhöhung des Fussendes des
Bettes begegnet; bei Verdacht auf akute Magenerweiterung ist so¬
fort die Magenausspiilung zu machen.
9) Enderlen: Ein Beitrag zum traumatischen extraduralen
Hämatom. (Chir. Klinik Basel.)
Kritische Besprechung der für die Diagnose wichtigen Sym¬
ptome: freies Intervall, kontralaterale Hemiplegie, Druckpuls, Stau¬
ungspapille, Erbrechen, kontralaterale Sensibilitätsstörungen usw.,
die alle mehr oder weniger durch gleichzeitige anderweitige Ver¬
letzungen im Bereiche des Schädels verdeckt oder verwischt sein
können. Das Fehlen der Stauungspapille, nach Bergmann das
wichtigste diagnostische Hilfsmittel, beweist nichts gegen ein extra¬
durales Hämatom. Punktion des Schädels nach Neisser - Pollack
ist auch nicht sicher; noch weniger die Lumbalpunktion. Für die
Differentialdiagnose in Erwägung kommen Pachymeningitis haem.
int., Apoplexie, namentlich in Form der traumatischen Spätapoplexie,
thrombotische Enzephalomalazie, Rindenabszess, endlich Intoxi¬
kationen durch Alkoholismus, Uraemie, Diabetes. Die Indikation für
frühzeitige Trepanation ist dann gegeben, wenn nach einem Schädel¬
trauma bleibende und zunehmende Zeichen schwerer Funktionsstörung
vorhanden sind, auch dann, wenn nichts anderes als die direkten
Herdsymptome vorliegen (Kocher).
10) Perthes: Ueber Operationen bei habitueller Schulter¬
luxation. (Chir. poliklin. Institut Leipzig.)
Die bei habitueller Schulterluxation im Gelenke Vorgefundenen
Störungen sind der Hauptsache nach: Abriss der Muskeln am Tuber¬
culum majus, Abrisse und Absprengungen am inneren Pfannenrande.
Erweiterung der Kapsel. Dementsprechend hat P. nach temporärer
Ablösung der benachbarten Muskelansätze die abgerissenen Sehnen
bezw. das am inneren Pfannenrande abgerissene Labrum glenoidale
mit u-förmig gestalteten Nägeln wieder angenagelt; zur Verkleine¬
rung der erweiterten KaDsel wurde die von Lange zur Sehnen¬
verkürzung angegebene Raffnaht angewendet. Der Erfolg war in
mehreren mitgeteilten Fällen vorzüglich.
11) W i t z e 1 - Düsseldorf : Die postoperative Thromboembolie.
Sofern die Thrombose in bestimmten engen Grenzen bleibt, stellt
sie einen jeder Wundheilung eigentümlichen Vorgang dar. Erst
die progressive Thrombose ist als wirkliche Störung zu bezeichnen
und bringt die Gefahr der Embolie. So wenig gegen die einmal vor¬
handene ausgedehnte Thrombose ausgerichtet werden kann, so
wichtig ist es, ihrem Auftreten vorzubeugen. Nachdem als erwiesen
gelten darf, dass nach grösseren plötzlichen Blutverlusten die Gerinn¬
barkeit des Blutes steigt, dass Quetschungen und Zerrungen der Ge-
fässwände zur Blutgerinnung führen können, die um so leichter er¬
folgen wird, je schwächer das Herz arbeitet und je geringer die
für die Blutbewegung in den Venen wichtige Muskeltätigkeit ist,
wird man als prophylaktische Massregeln gegen die progrediente
Thrombose folgende beobachten müssen: Stärkung des Gesamt¬
organismus und des Herzens vor der Operation. Blutsparung. Ver¬
meidung gröberer Zerrungen und Quetschungen der Venen während
der Operation. Baldige Muskelbewegungen, Aufstehen oder wo dies
nicht angängig, ausgiebige Atemgymnastik nach der Operation. Auch
die sofortige Anregung der Darmtätigkeit gehört hierher. Erfolgt
trotz alledem eine fortschreitende Thrombose, so meldet sich diese
durch staffelförmiges Ansteigen der Pulszahlen bei annähernd nor¬
maler Temperatur an (Mahlersches Symptom).
12) Z i e g 1 e r - München: Studien über die feinere Struktur des
Röhrenknochens und dessen Polarisation nebst einem Anhang: We-
b e r : Ueber Doppelbrechung und Polarisation.
Z. hat nachgewiesen, dass der Knochen positiv einachsig doppel¬
brechend ist; die Doppelbrechung liegt zum grösseren 'Feil in der or¬
ganischen. zum geringeren in der anorganischen Substanz. Chi¬
rurgisch besonders interessant ist die Tatsache, dass junges, nach
einer Fraktur sich entwickelndes Knochengranulationsgewebe schon
am 5. Tage nach der Fraktur zu polarisieren anfängt.
13) La u e n .s t e i n - Hamburg: Ueber einen Fall von solitärem
Fibromyom im Querkolon.
Der 'walnussgrosse Tumor sass der Darmwand entsprechend
dem Mesenterialansatze gestielt auf und wurde einfach abgetragen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Die klinischen Erscheinungen bestanden in zeitweilig auftretenden
heftigen Schmerzanfällen mit Verhaltung von Stuhl und Winden.
14) R o s e n b e r g e r - Wiirzburg: Ueber Choledocho-Duo-
denum-Anastomose.
Es handelte sich um einen nahezu vollständigen, höchst wahr¬
scheinlich narbigen Verschluss der Papille, der die gedachte Ope¬
ration durch chronischen Ikterus mit schweren Ernährungsstörungen
notwendig machte. Heilung.
15) Kappeier: Ein Beitrag zur chirurgischen Behandlung der
Epityphlitis im Bruchsack. (Krankenhaus Konstanz.)
Bei einem mit der Diagnose „eingeklemmter Bruch“ eingeliefer¬
ten Patienten fand sich im Bruchsacke eine perforierte Appendix mit
Abszessbildung, sowie unauflösbar verklebt Zoekum und unterer Teil
des Ileum. Resektion dieses ganzen Darmknäuels; Verschluss des
Kolon; seitliche Einpflanzung des Dünndarmendes in den Kolon¬
stumpf. Heilung. Besprechung der übrigen 32 in der Literatur be¬
kannt gewordenen wegen Epithyphlitis im Bruchsacke vorgenom¬
menen Operationen. Primäre Reposition des Bruchinhaltes pflegt ver¬
hängnisvoll zu werden.
16) Rosenbach: Ueber die Luxation des Ulnarnerven. (Chir.
Poliklinik Qöttingen.)
Dieses seltene Vorkommnis scheint in erster Linie abhängig
zu sein von einer abnormen Schwäche der den Nerven befestigenden
Aponeurose und kommt lediglich in Beugestellung des Armes dadurch
zu stände, dass der tiefer tretende Trizeps den Nerven aus seinem
Lager im Sulkus verdrängt. Die ausgelösten Erscheinungen sind die
der umschriebenen Neuritis. Einen dauernden Erfolg verspricht meist
nur die blutige Reposition und Fixation des Nerven.
17) Burkhardt: Zur Aetiologie aseptischer Eiterungen. (Chir.
Klinik Wiirzburg.)
Versuche haben gezeigt, dass zermalmtes Muskelgewebe chemo¬
taktisch wirkende Stoffe enthält, die unter Umständen zu einer
aseptischen Eiterung führen können; besagte Stoffe stellen eiweiss¬
artige Substanzen dar, die beim Zerfall der Zellen bezw. ihrer
Kerne frei werden und ausser der chemotaktischen auch bei ihrer
Resorption eine fiebererregende Wirkung ausübend Man ist somit
berechtigt, ausser der bakteriellen und chemischen auch eine rein
traumatische Eiterung anzunehmen.
18) Klaussner: Ueber Luxation der Zehen. (Chir. Poli¬
klinik München.)
Zusammenstellung der interessanteren diesbezüglichen Fälle
nebst einer eigenen Beobachtung, wo wegen starker Verkürzung des
I. Metatarsus (alte Karies) bei heftigem Abspringen mit dem Fusse
eine Luxation im II. Metatarsophalangealgelenke eingetreten, nicht
im I., wie es meist der Fall zu sein pflegt.
19) Franke: Das Influenzaknie. (Diakonissenhaus „Marienstift“
Braunschweig.)
Verf. gibt den Namen Influenzaknie einer häufig von ihm und
anderen beobachteten in der Gefolgschaft der Influenza auftretenden
chronisch entzündlichen Affektion des Kniegelenkes, die mit einem als
typisch zu erachtenden Schmerzpunkt am inneren Condylus femoris,
Gelenkschmerzen, Steifigkeit und Schwäche in dem befallenen Knie,
besonders beim Treppensteigen einhergeht. Zu gründe liegt vornehm¬
lich eine Knochenerkrankung, eine „gutartige Epiphysenosteomyelitis“.
Die Therapie ist die bei anderweitigen Arthritiden übliche; der Erfolg
ist meist, wenn auch erst nach längerer Zeit, günstig; doch können
in seltenen Fällen auch Gelenkversteifungen eintreten.
20) Flörcken: Die Fraktur des Collum radii. Chirurgische
Klinik Wiirzburg.)
Die ziemlich seltene Verletzung der Fraktur des Collum radii
kommt in 60,9 Proz. der Fälle isoliert vor und kann ebensowohl
direkt wie indirekt entstehen. Differentialdiagnostisch am nahe¬
liegendsten ist die Fractura capiluti radii; die Entscheidung ist wohl
nur mit der Radioskopie möglich. Für die Therapie kommen baldige
Massage und aktive wie passive Bewegungsübungen zur Anwendung.
21) Klemm: Ueber die akute Darminvagination im Kindes¬
alter. (Kinderkrankenhaus Riga.)
Die Diagnose der akuten Darminvagination gründet sich am
sichersten auf den grundsätzlich in der Narkose festzustellenden
Nachweis des Invaginationstumors und Abgang von blutigem Schleim
aus dem After. Zur einzig notwendigen Wiederherstellung der be¬
hinderten mesenterialen Blutzufuhr ist allein die sofort nach fest¬
stehender Diagnose vorzunehmende Laparotomie mit anschliessender
Desinvagination bezw. Resektion geeignet. Alle internen Mass¬
nahmen sind vom Uebel.
22) Payr-Graz: Weitere experimentelle und klinische Bei¬
träge zur Frage der Stieldrehung intraperitonealer Organe und Ge¬
schwülste.
Auf die wichtigen Einzelheiten dieser interessanten Unter¬
suchungen kann hier leider auch nicht annähernd eingegangen wer¬
den; diese wollen in der Urschrift gelesen sein; zur Erleichterung des
Verständnisses dienen eine ganze Reihe instruktiver Abbildungen.
Das wesentliche Ergebnis dieser Experimente geht dahin, dass Stiel¬
torsionen durch Blutdruckdifferenzen im Gefässystem des betreffen¬
den Organstieles zu stände kommen („hämodynamische Torsion“).
23) Stieda: Zur Aetiologie der Belastungsdeformitäten und
über verwandte Gelenkerkrankungen. (Chir. Klinik Königsberg.)
Die im späteren jugendlichen Alter mit Vorliebe in der Gegend
der Epiphysenfugen auftretenden, nicht nachweisbar durch Rhachitis
bedingten Belastungsdeformitäten sind als die Folgeerscheinungen
einer konstitutionellen Anomalie aufzufassen, zu deren weiteren
Aeusserungen Hyperplasien im Bereich des lymphatischen Rachen¬
ringes mit abnormer Gaumenbildung, Schilddrüsenschwellung, Zy¬
anose der peripheren Extremitätenabschnitte, Steigerung der Sehnen¬
reflexe und Neigung zu Spasmen zu rechnen sind. Die Deformitäten
an Wirbelsäule und Thorax sind oft mehr sekundärer Art und durch
Beeinträchtigung der Nasenatmung hervorgerufen. Als verwandte
Erkrankungen sind nach Verf. auch die juvenile Arthritis deformans
im Hüftgelenk (analog mit Coxa vara?) und Ellbogengelenk (Cubitus
valgus), die Madelung sehe Handdeformität und eine eigentüm¬
liche vom Verf. beobachtete Beugekontraktur im ersten Interphalan-
gealgelenke der Finger zu rechnen. Die erkrankten Gelenke sind
neben Anwendung der Massage lediglich zu schonen, nicht voll¬
kommen ruhig zu stellen.
24) F e s s 1 e r - München : Der Wundverband im Kriege.
Zusammenstellung der bezüglich des Wundverlaufes interes- -
santcren Schussverletzungen aus dem türkisch-griechischen Feldzug
(1897), welche durch 11 mm - Weichbleigeschosse gesetzt wurden.
Verf. ist zu der Ueberzeugung gekommen, dass weniger die durch
das grosse Kaliber verursachte grosse Wunde, noch der Umstand,
dass viele Verwundete lange Zeit bis zum ersten Verband warten
mussten (gerade diese pflegten ungeahnt gut zu heilen) daran schuld
war, wenn so häufig Eiterung eintrat, dass hierfür vielmehr die
Unzweckmässigkeit des ersten Verbandes (nasse Karbolwatte) und
das damals beliebte Sondieren verantwortlich zu machen waren.
Verf. erinnert schliesslich an die Bergmann sehe Regel, nur die
Umgebung der Schusswunden zu reinigen, die Wunden selbst anti¬
septisch oder aseptisch zu bedecken, bei Knochenfrakturen die be¬
treffenden Glieder nach Möglichkeit durch Gipsverband ruhig zu
stellen; wenn die Kugel nicht unmittelbar zu erreichen ist, bleibt
sie liegen.
25) Hochenegg: Winke für die Nachbehandlung der wegen
Rektumkarzinom sakral Operierten.
Bei den wegen Mastdarmkrebs radikal operierten Patienten
ist die Nachbehandlung ebenso wichtig wie die Operation selbst
und unendlich schwieriger, als nach allen anderen Operationen. H.
rät auf Grund von kurz mitgeteilten Beobachtungen, sakral Operierte
nicht auf dem Rücken, sondern auf der Seite liegen zu lassen, das
Becken nie höher zu stellen als das Abdomen (Ausnahme: venöse
Nachblutungen, Prolaps der Därme in die Wunde) gewissenhafte
Sorge für regelmässige Urin- und Stuhlentleerung, welch letztere
erst mit etwas Opium zurückgehalten werden kann, später durch Ein¬
läufe herbeigeführt werden soll, nicht mit Abführmitteln, da ver¬
flüssigter Stuhl ungleich infektiöser ist, als fester.
26) Friedrich: Die operative Stellungnahme zur akuten,
progredienten infektiösen Enzephalitis. (Chirurg. Klinik Greifswald.)
Diese seltene Form der rasch fortschreitenden Infektion eines
traumatisch entstandenen Zertrümmerungsherdes im Hirn ohne
gleichzeitige Meningitis erfordert unter allen Umständen die schleu¬
nige operative 'Eröffnung des infizierten Erweichungsherdes. Die
somit ausserordentlich wichtige Diagnose stützt sich am ehesten auf
das Eintreten schwererSymptome „nach einem Intervall, welches durch¬
schnittlich länger als das des Meningeahämatoms, kürzer als das des
Hirnabszesses ist, ferner auf den rasch lebenbedrohenden Charakter
in der Zunahme der schweren Symptome und auf die Möglichkeit
primärer oder sekundärer Bakterieninvasion ins zerebrale Zertrüm¬
merungsgebiet.“
27) Martens: Zur Kenntnis der Oesophagusdivertikel. (Kran¬
kenhaus Bethanien Berlin.)
3 Röntgenbilder nebst Krankengeschichte eines verhältnismässig
grossen, bislang noch nicht operierten Oesophagusdivertikels.
28) Payr und Martina- Graz: Ueber wahre laterale Neben¬
kröpfe. Pathologisch-anatomische und klinische Beiträge.
Echte, also isolierte laterale Nebenkröpfe sind ein seltener und
wegen ihrer äusseren Aehnlichkeit mit den alltäglichen Lymphomen
kaum ante operationem diagnostizierbarer Befund; da mit den Hals¬
organen in keinem Zusammenhänge, bewegen sie sich nicht beim
Schluckakt; doch können sie bei starkem Wachstum Schling- und
Atembeschwerden oder Parästhesien im Arm durch Druck auf den
Plexus hervorrufen. Histologisch sind die bei demselben Individuum
gern mehrfach auftretenden Nebenkröpfe meist als papilläre Adenome
und Zystadenome, auch als fötale Adenome zu bezeichnen, in denen
häufig trotz der meist sehr reichlichen Vaskularisation der Neben¬
kröpfe, also auf Grund umschriebener Ernährungsstörungen Ablage¬
rung von Kalk in Gestalt der aus den Psammomen bekannten Körnern
stattfindet. Vor der operativen Entfernung von Nebenkröpfen ver¬
gewissere man sich, ob die Schilddrüse gesund und überhaupt vor¬
handen ist, da sonst mit Exstirpation des Nebenkropfes die Ge¬
fahr des Myxödems gegeben wäre.
29) Saigo: Traumatische Aneurysmen im japanisch-russischen
Kriege.
Durch das moderne klein kalibrige Geschoss wird ziemlich häufig
Gelegenheit zur Ausbildung von Aeurysmen gegeben, die langsam
innerhalb von 2 — 5 Wochen nach der Gefässverletzung erfolgt. Die
augenblickliche Nachblutung ist meist gering im Gegensätze zu
schweren Nachblutungen auf dem Transporte; für diesen empfiehlt sich
daher möglichste Immobilisierung. Die Exstirpation des Aneurysmas,
die einzig rationelle Behandlungsweise, geschieht am besten erst
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1537
nach völligem Ausheilen der Schusswunde, vorausgesetzt, dass nicht
durch Druck des Aneurysmas auf Nerven diese gelähmt zu werden
drohen; auf die Esmarchsche Blutleere verzichtet man am besten
bei der’ Operation. 36 Krankengeschichten.
30) Armknecht: Heilungsergebnisse beim Lippenkrebs. Ein
Beitrag zur Technik der radikalen Lymphdrüsenexstirpätion. (Kran¬
kenhaus Worms.) , ....
Nach grundsätzlich ausgeführter Entfernung der Lymphdrusen
in der Submentalgegend, sowie beiderseits in den Submaxillargruben
und den Halsseiten bis hinab zu den Supraklavikulargruben, welche
Drüsenentfernung der Exstirpation des Lippenkrebses voi ausge¬
schickt wurde, erhielt Verf. eine Heilungsziffer von 93 Proz gegen¬
über 662/s Proz. in den Fällen, wo nur das Karzinom entfernt wuide.
31) M e y e r - Zürich; Beitrag zur Kenntnis der Längsfrakturen
der Pätdlä*
Längsfrakturen in der Patella sind anscheinend nicht so ganz
selten wie man bisher anzunehmen geneigt war. Verf. teilt 7 inner¬
halb dreier Jahre selbst beobachteter und mit Röntgenstrahlen be¬
stätigter Fälle mit; 4 mal nimmt Verf. eine indirekte Entstehung in
der Weise an, dass die Patella durch Zug der seitlichen Muskeln,
namentlich des Tensor fasciae latae über den Condylus lateralis ver¬
zogen und hier entzwei gerissen wird. Die Symptome, besondeis die
Funktionsstörung, sind weit weniger schwer als beim Querbruch;
eine Diastase der Bruchstücke wird nur unter günstigen Umstanden
bei starker Beugung des Kniegelenkes fühlbar sein. .
32) Thelemann: Ueber akzessorisches Pankreas in der Ma¬
genwand. (Chir. Klinik Marburg.) , ,
Fall von haselnussgrossem, isoliertem, aus Pankreasgewebe be¬
stehendem Tumor in der vorderen Pyloruswand. Kasuistischei Bei¬
trag nebst kurzen Auszügen aus anderweitigen Veröffentlichungen.
33) Nieder stein: Die Zirkulationsstörungen im Mesenterial-
gebiet. Eine experimentelle Studie nebst klinischen Schlussbemer-
kungen von Prof. W. Sprengel. (Krankenhaus Braunschweig.)
‘ Diese ausserordentlich lehrreichen Versuche beim Hunde können
mit ihren Resultaten auch nicht annähernd in kurzem Referate wieder¬
gegeben werden. Andeutungsweise sei Folgendes erwähnt^ Unter¬
bindung des Hauptstammes der Arteria mesenterica superior — reiner
Embolie führt zu hämorrhagischem Infarkt in der Darmwand, Gjeich-
zeitiger partieller oder totaler venöser Verschluss bewirkt hämor¬
rhagische Gangrän. Klinisch kommt es in beiden Fällen zu profusen
Darmblutungen. Paraffinverschluss eines arteriellen Haupt- oder
Nebengefässstammes — Embolie der Hauptarterie + thrombotischem
Verschluss der arteriellen Kollateralen ergibt anämischen Infarkt mit
hämorrhagischer Randzone. Paraffinverschluss eines aiteiiellen
Haupt- oder Nebengefässstammes nebst Verschluss des ganzen ent¬
sprechenden Venengebietes (durch Paraffin nicht zu erreichen)
embolisch-thrombotischem Verschluss eines arteriellen Gebietes
4- Thrombosierung des zugehörigen Venengebietes (experimentell
durch Ablösung des Mesenteriums auf weitere Streckern nachgeahmt)
liefert die anämische Gangrän. Klinisch liegt in den beiden letzten
Fällen das Bild des Ileus ohne Blutung vor.
34) Schul tze: Beitrag zur Kenntnis des angeborenen Nabel-
schnurbruches. (Evangelisches Krankenhaus Dtisseldoif.)
Verf. ist der Ansicht, dass für die breitbasige Form der ange¬
borenen Nabelschnurbrüche eine Hemmung im Randwachstum der
Rumpfplatten verantwortlich zu machen ist, ,für die mehr gestielte Form
dagegen ein zeitliches Missverhältnis im Randwachstum der Rumpf¬
platten zur Entwicklung der Darmschlingen; Beschleunigung dei
ersteren oder Verzögerung der letzteren. Die Therapie besteht in
sofortiger Operation nach der Geburt unter Chloroformnarkose; in
einem von zwei mitgeteilten, also behandelten Fällen musste Vcif.
ausserdem eine Stenose des Darmes durch Resektion beseitigen.
Heilung. . , _
35) Riedinger- Würzburg: Beitrag zur Lokalisation der Exo¬
stosen im Kniegelenk.
Bei einem 22 jährigen Mädchen fand sich eine Exostose an der
Vorderfläche des Femur dicht oberhalb der Patella; bei der Operation
zeigte sich, dass die Exostose intrakapsulär im oberen Rezessus
gelagert war, nicht, wie gewöhnlich, extrakapsulär.
Baum- München.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 29.
M. Schwab -Erlangen: Zur Histologie der chronischen Endo¬
metritis. . ,
Hitschmann, Adler und Theilhaber haben bereits da¬
rauf hingewiesen, dass die bisherige Lehre von der Histologie der
chronischen Endometritis einer gründlichen Revision bedarf. Alle
drei leugnen die E. glandularis hypertrophica und hyperplastica, die als
prämenstruelle Veränderungen zu deuten sind. Sch. äussert sich in
ähnlichem Sinn. Auf Grund von 40 Nachuntersuchungen, die an aus¬
geschabter Mukosa angestellt sind, folgert er, dass die Veränderungen
der letzteren ebenso bei klinisch gesunden als kranken Uterusschleim¬
häuten im Sinne der einzelnen Endometritisformen gefunden werden
können. Für die Diagnose entscheidet hier nicht der histologische,
sondern der klinische Befund. _
D. v. V e 1 i t s - Pressburg: Ueber Adrenalinwirkung bei Osteo¬
malazie.
Angeregt durch B ossis Veröffentlichung versuchte v. V. in
2 Fällen schwerer Osteomalazie das Adrenalin (Vs ccm einer Lösung
von 1:1000). Die Knochenschmerzen wurden zwar geringer, aber
beide Patienten bekamen Fieber und alarmierende Herzerscheinungen,
die eine Fortsetzung der Kur verboten.
E. S 0 n n t a g -Freiburg i. B.: Erwiderung auf den Artikel des
Herrn Dr. K- Bai sch: „Nochmals über die Einteilung des engen
Beckens und die Prognose der einzelnen Formen“ in No. 22 d. Bl.
Modest P o p e s c u 1 - Czernowitz: Die Zange am Steiss.
Auf Grund eines glücklich verlaufenen Falles empfiehlt P. die
Anlegung der Zange am Steiss für gewisse Fälle. Von den sonst üb¬
lichen Extraktionsmethoden, stumpfer Haken. Schlinge und ge¬
krümmter Finger, ist nur die letztgenannte, weil ungefährlich, zu emp¬
fehlen. Bei grossen Widerständen gelingt aber die Extraktion mit dem
Finger oft nicht und dann ist die Zange von grossem Nutzen.
P. 'Steffeck - Berlin : Eine neue Leibbinde,
Die Binde ist nach dem Modell einer männlichen Badehose ge¬
arbeitet und besitzt als Material ein Geflecht von unnachgiebigen
Gurten. Jede Binde muss nach Mass angefertigt werden; ihr Preis
stellt sich auf 20 M. Zu haben bei K ü c h m a n n - Berlin.
J a f f e - Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. VI. No. 3. (Juni
1907.)
1) Arthur Keller: Milchwirtschaftliches.
Der Autor hat im Aufträge des preussischen Ministeriums der
Medizinalangelegenheiten eine Anzahl neuer Milchküchen und Mu¬
sterstallungen in Norddeutschland besucht und berichtet nun über die
Erfahrungen dieser Studienreise. Es wird geschildert, mit welchen
Schwierigkeiten der Milchwirt zu kämpfen hat, um die Tuberkulose
aus seinen Viehbeständen auszuschalten. Der Wert der Tuberkulin¬
prüfung und die bei ihrer Vornahme notwendigen Kautelen werden
besprochen. Der Unterschied zwischen Milchwirtschaften mit Zucht¬
betrieb und den sogen. Abmelkwirtschaften wird dargelegt; deren
verschiedenartige Stellung zur Tuberkulosefrage begründet. Die Pro¬
duktionskosten der Milch werden angegeben, die Frage, der „Vor¬
zugsmilch“ oder „Säuglingsmilch“ wird eingehend erörtert. Das
Verlangen v. Behrings, die Säuglinge mit roher Milch zu er¬
nähren, wird kritisiert. Die Kontrolle des Gesundheitszustandes der
Milchtiere und die eigentliche Stallhygiene erfahren eine eingehende
Besprechung. Insbesondere wird gegen das holländische System der
Aufstallung Front gemacht und dafür eine einfachere gesunde Stal¬
lung, verknüpft mit besonderem Abwasch- und Melkraum empfohlen.
2) Julius Peiser: Wabenlunge im Säuglingsalter. (Aus der
Kgl. Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.)
Schilderung und Abbildung eines Falles von angeborener Bronchi-
ektasie mit sekundärer katarrhalischer Pneumonie und Abszessbil¬
dung.
3) Robert S c h 1 ii t e r - Magdeburg: Erstes Sanimelreferat über
Arbeiten aus der Lehre von der Tuberkulose.
Auf über 25 Seiten sind eine grosse Anzahl von Arbeiten referiert.
Das Kapitel „Infektion, Infektionswege“ hat aber durch Weglassung
wichtiger Publikationen eine zu einseitige Bearbeitung gefunden.
Referate, Albert Uff enheimer - München.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 43. Band.
1. Heft. 1907.
E. Meyer: Klinisch-anatomische Beiträge zur Kenntnis der
progressiven Paralyse und der Lues cerebrospinalis, mit besonderer
Berücksichtigung der Rückenmarksveränderungen. Hierzu 3 I afeln.
Von 3 klinisch, pathologisch-anatomisch und besonders diffe¬
rentialdiagnostisch sehr interessanten Fällen sprach der erste klinisch
mehr für Lues cerbrospinalis, war aber anatomisch sicher Paralyse.
Im zweiten Fall wurde klinisch mit Sicherheit die Diagnose Para¬
lyse gestellt, die anatomische Untersuchung ergab zweifellos Lues
cerebrospinalis. Dabei wurde die Lues cerebri nicht etwa nur aus
dem Fehlen der pathologischen Rindenveränderung, sondern auch aus
typisch syphilitischen Befunden, wie Gummi, H e 11 b n e r scher Etid-
arteriitis usw. erschlossen. Der dritte Fall liess klinisch zwei Deu¬
tungen zu, Paralyse oder Alkoholismus, event. beide, erwies sich
aber anatomisch auch als Lues cerebri. Die Untersuchung des
Rückenmarks der genannten 3 Fälle und weiterer 9 Fälle von Para¬
lyse, Tuberculosis cerebri, Meningitis tuberculosa und Autointoxi¬
kationspsychose zwingt dazu, die Frage, ob bei der Paralyse im
Rückenmark die gleichen chronisch entzündlichen Veränderungen wie
in der Hirnrinde sich finden, zu bejahen.
Drei Arten von paralytischen Erkrankungsformen des Rücken¬
markes werden unterschieden: 1. Primäre strangartige Degeneration
ohne nachweisbaren Zusammenhang mit einer Hirnerkrankung. 2. Se¬
kundär absteigende Degeneration von Hirnherden, speziell Rinden¬
herden aus. 3. Diffuse adventitielle Plasmazellen und Lymphozyten¬
infiltration als Ausdruck eines chronisch entzündlichen Prozesses.
„Der Nachweis des chronisch entzündlichen Prozesses im Rücken¬
mark vervollständigt, so geringfügig die Veränderungen meist auch
sind, doch die Kette der Beweise, dass das ganze Nervensystem bei
Paralyse Sitz ein und desselben chronischen Entzündungsprozesses
ist.“ '
H. di Gaspero: Der psychische Infantilismus. Eine klinisch¬
psychologische Studie. (Aus der neurologisch-psychiatrischen Uni¬
versitätsklinik in Graz.) Hierzu 2 Abbildungen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1548
Auf Grund von 5 eigenen Fällen und deren genauer psychologisch¬
klinischer Analyse werden zwei Gruppen aufgestellt: Der echte
psychische Infantilismus als Persistenz des kindlichen Seelenlebens
— die hierhergehörigen Individuen sind reife Kinder und gänzlich
unreife Erwachsene — und der kleindimensionale Entwicklungsgrad
— es besteht eine „Miniaturpsyche“. Die betreffenden Individuen sind
halb Erwachsene und halb Kinder. — Weiter werden die Differential¬
diagnose, die Pathologie (die infantilen Erinnerungsfälschungen, der
infantile Verstimmungszustand, infantile Psychosen), der Verlauf und
die Ausgänge des psychischen Infantilismus an der Hand eigener
Beobachtungen eingehend erörtert. Im übrigen sei auf das Ori¬
ginal der umfangreichen Arbeit verwiesen.
Wassermeyer: Zur Pupillenuntersuchung bei Geistes¬
kranken. (Aus der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel.)
Nachdem B u m k e das Fehlen der Pupillenunruhe, der Psycho-
reflexe und der Erweiterung der Pupillen auf sensible Reize geradezu
als typisch für Dementia praecox erklärt hat — ein ungemein wich¬
tiges Symptom, wenn es in der Fassung zu Recht bestände — , sind
die sorgfältigen Nachuntersuchungen des Verf. an 100 Geisteskranken
und Kontrolluntersuchungen an 174 Soldaten, die er abweichend von
anderen Untersuchern mit dem vorzüglichen Z e i s s sehen binoku¬
laren Mikroskop vornahm, als besonders wertvoll zu begrüssen.
Das Fehlen von Pupillenunruhe und Psychoreflexen kommt nach
des Verfassers Beobachtungen allerdings vorwiegend bei geistigen
Schwächezuständen, wie Imbezillität und epileptischer Demenz,
ausserdem bei den von Bumke unter dem Begriff der Dementia
praecox zusammengefassten funktionellen Psychosen vor. Die Be¬
hauptung B u m k e s, dass Psychoreflexe und Pupillenunruhe bei
Dementia praecox auf der Höhe der Erkrankung stets fehlen, geht
entschieden zu weit. Dass Verf. vor allem zunächst ausgedehnte,
systematische Untersuchungen an Gesunden als notwendig verlangt,
bei denen er vereinzelt bereits das Fehlen dieser Zeichen bis zu einem
gewissen Grade fand, kann man nur gutheissen.
.Toh. Longard: Ueber „moral insanity“. Hierzu eine Ab¬
bildung.
4 einschlägige Beobachtungen werden in extenso mitgeteilt und
besprochen. Unter „moral insanity“ versteht Verf. auf erblich de-
generativem Boden erwachsene Formen geistiger Abnormität, die
Degenerationszustände vorstellen. Diese Formen sind wegen der an¬
geborenen, teilweise idiotischen Veranlagung der Idiotie oder deren
leichterem Grade, der Imbezillität, unterzuordnen, wobei man gut tut,
noch eine die Haupteigenschaft kennzeichnende Bezeichnung hinzu-,
zufügen und' von „moralischer Idictie“ oder „moralischer Imbezillität“
zu sprechen.
Karl Heilbronner: Zur Symptomatologie der Aphasie, mit
besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Sprachver¬
ständnis, Nachsprechen und Wortfindung. (Aus der psychiatrischen
Klinik der Reichsuniversität Utrecht.) (Schluss folgt.)
Bo ege: Die periodische Paranoia. Eine kritische Studie zur
Paranoiafrage.
Von allen (26) als periodische Paranoia in der Literatur ver¬
öffentlichten Fällen fanden sich nur 4, bei denen nach Verfassers
Ansicht die Diagnose auf Grund der heutigen klinischen Kenntnisse
nicht bestritten werden konnte. Die anderen von der Paranoia aus-
zuschliessenden Hessen sich meistens anderen klinischen Krankheits¬
bildern zwanglos beifügen.
Renkichi Moriyasu: Das Verhalten der Fibrillen bei progres¬
siver Paralyse. (Aus der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel.)
Hierzu 2 Abbildungen im Text.
30 Fälle von progressiver Paralyse wurden zur Untersuchung
herangezogen. Die Ganglienzellen der Grosshirnrinde erscheinen bei
der progressiven Paralyse in grosser Ausdehnung krankhaft ver¬
ändert (besonders in Fibrillenpräparaten). Die Zerstörung der Neuro¬
fibrillen beginnt im Zelleib, besonders in der perinukleären Zone und
breitet sich dann auf die Fortsätze aus. Zu gründe gehen zuerst die
zarten Fortsätze, später erst die Spitzenfortsätze. Auch die extra¬
zellulären Fibrillen sind gelichtet. In Fällen, in denen der Mark¬
scheidenschwund bei Weigertfärbung sehr stark erscheint, können die
I i br i I len überall noch ziemlich gut erhalten bleiben. Im Hinterhaupt¬
lappen ist der Faserschwund in der Regel am schwächsten aus¬
gesprochen.
Im Kleinhirn nehmen die. Purkinje sehen Zellen an Zahl stark
ab und verlieren (auf Fibrillenbildern) frühzeitig ihre Fortsätze. Es
pflegen in ihrer Umgebung die korbartigen Geflechte zugrunde zu
gehen und die Parallelfasern am Rande der Körnerschicht zu ver¬
schwinden. Die Fibrillen der Körnerschicht sind besonders in den
ausseren Abschnitten vermindert.
In der grauen Substanz des Rückenmarks können die Fibrillen
gut erhalten bleiben. Bei sekundärer Strangdegeneration sieht man ge-
lctfentlich die Fibrillen stärker betroffen als die Markscheiden.
W . La r io n off: Die feine Struktur und eine neue Färbungs-
methode des Gehirns des Menschen und der Tiere. Hierzu Tafel IV
V und VI.
Vereinfachte Modifikation der G o 1 g i sehen Methode. Gewin¬
nung grossei demonstrativer durchsichtiger Präparate aus dem gan¬
zen Gehirn oder Teilen desselben durch Uebergiessen von dicken
Mikrotomschnitten mit weissem Spiritus-Sandarak-Lack und noch-
maligem Uebergmssen nach dem Trocknen mit Kanadabalsam in
A}!oi. Die Einzelheiten müssen im Original nachgelesen werden.
Raecke: Ueber epileptische Wanderzustände (Fugues, Porio-
manie. (Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität
Kiel.)
„Die epileptischen Wanderzustände stellen kein eigentliches
Krankheitsbild dar. Es sind scharf zu trennen das Wandern im epi¬
leptischen Dämmerzustände und das Wandern ohne Bewusstseins¬
trübung im Verlaufe einer epileptischen Verstimmung. Endlich darf
als dritte Gruppe der Hang zu impulsivem Fortlaufen bei epilepti¬
schem Schwachsinn abgegrenzt werden.
Beim Wandern im epileptischen Dämmerzustände finden sich Er¬
scheinungen weitgehender Störung der Ideenassoziation, wie sie im
allgemeinen bei Hysterischen nicht vorhanden sind.
In forensischen Fällen muss man stets versuchen, durch Ver¬
nehmung von Augenzeugen direkte Anhaltspunkte für das Bestehen
eines epileptischen Dämmerzustandes zur Zeit .der Tat zu erlangen.
Der Nachweis epileptischer Antezedentien genügt an sich noch nicht.
Die Amnesie ist kein einwandsfreies Symptom. Dauernd geordnetes ~
Verhalten ohne Verkehrtheiten in Wort und Tat, abgesehen von dem
Delikte selbst, spricht zunächst gegen einen Dämmerzustand.“
Nekrolog: Paul Möbius.
Anton- München : Bemerkung zu Podest äs Aufsatz:
Häufigkeit des Selbstmordes in der Marine, in dieser Zeitschrift,
Bd. 42, 1. Heft, S. 32 ff.
Podestä: Entgegnung auf vorstehende Bemerkung.
Referate. Germanus F 1 a t a u - Dresden.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 28 u. 29, 1907.
1) H. Oppenheim und M. B o r c h a r d t - Berlin: Ueber
2 mit Erfolg operierte Fälle von Geschwulst am Kleinhirnbrücken¬
winkel.
H. Oppenheim berichtet über die Krankengeschichte und
neurologischen Befund der beiden Fälle, von denen der erste, ein
26 jähriger Mann, nach Entfernung eines zirka eigrossen Fibrosarkoms
an der diagnostizierten Stelle trotz vorhandener schwerer Symptome
geheilt wurde, während beim zweiten, der bereits Sehnervenatrophie
darbot, das Leben erhalten und einzelne Symptome zum Verschwin¬
den gebracht werden konnten. — Borchardt bespricht die zur
Anwendung gebrachten Operationsmethoden, mit Beigabe einer Zeich¬
nung.
2) V. Babes und A. V a s i 1 i u- Bukarest: Die Atoxylbehand-
lung der Pellagra.
Nach einem kurzen Ueberblick über die derzeitigen, wenig be¬
friedigenden Behandlungsmittel der für Rumänien eine sehr grosse
Rolle spielenden Pellagra werden die Ergebnisse der Atoxylinjek-
tionen an leichteren und schwereren Fällen geschildert. Mit Aus¬
nahme der schweren zerebralen Zustände und der Tachykardie
werden selbst durch geringe Dosen des Mittels die Pellagrasym¬
ptome oft mit einem Schlage gebessert oder zum Verschwinden ge¬
bracht. Ueber die Dauererfolge sprechen sich die Verfasser zu¬
rückhaltend aus — jedenfalls leistet die Atoxylbehandlung bisher das
Beste.
3) K. W a 1 1 i c z e k - Breslau : Ueber Hyperostose der Ober¬
kiefer.
Unter Zugrundelegung eines von ihm operierten Falles — es
finden sich in der Literatur nur noch 5 ähnliche — bespricht Verfasser
die seltene, auf chronisch entzündlicher Ostitis beruhende Affektion.
In dem mitgeteilten Falle (27 jähriger Gasarbeiter), dessen Heilung
unter Komplikationen erfolgte, war der Entzündungsprozess vom
Alveolarfortsatz beider Oberkiefer ausgegangen. Die Veranlassung
der ätiologisch unklaren Krankheit ist wiederholt ein Trauma ge¬
wesen.
4) O. G r o s s e - München: Improvisierte Asepsis.
G. sterilisiert mittels Wasserdampfes in zwei ineinandergestellten
Töpfen (nur die Messer in Glasröhren eingeschlossen) und hält nach
seinen Untersuchungen auch für die Verbandstoffe 10 Minuten langes
Durchströmen des Dampfes für ausreichend. Ueber die Einzelheiten
ist das Original zu vergleichen. Für die Hautdesinfektion wird 3 Mi¬
nuten langes Abreiben mit Brennspiritus auch von G. empfohlen.
5) L. B 1 u m r e i c h - Berlin : Zur Frage spontaner Zervixver-
letzung beim Abort und dessen forensische Bewertung.
In dem von B. gesehenen und zwar im ganzen Verlaufe be¬
obachteten Falle (junge Primipara) erfolgte während des Abortus
(4. Monat) eine Abreissung der hinteren Hälfte der Port, vaginal,
von der Scheidenwand. Die Ursache ist wahrscheinlich in abnormer
Rigidität der Muttermundspartie zu suchen. Unter anderen Ver¬
hältnissen hätte man sicher an einen kriminellen Eingriff denken
müssen. Verf. referiert über ähnliche Fälle aus der Literatur.
6) H e 1 b r o n - Berlin: Die Tuberkulose des Auges und ihre Be¬
handlung.
In der Berliner Universitäts-Augenklinik beträgt die Häufigkeit
der Tuberkulose der Augen ca. Vz Proz., also gegenüber anderen
Statistiken sehr viel. Verf. referiert über die verschiedenen Formen
und Lokalisationen der Augentuberkulose, die Diagnose derselben.
Die Prognose ist doch nicht so ernst, als meist angegeben wird. In
der Behandlung spielen Injektionen mit Tuberkulin T. R. eine Rolle,
die Erfahrungen darüber, ebenso jene mit v. Behrings Tulase, be¬
rechtigen aber noch nicht zu einem bestimmten Urteil.
No. 29. I ) S. P 1 a c z e k und F. K r a u s e - Berlin : Zur Kenntnis
der umschriebenen Arachnitis adhaesiva cerebralis.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1549
Cf. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung der
Berl. med. Gesellschaft vom 10. Juli 1907.
2) J. P e i s e r - Breslau: Ueber das habituelle Erbrechen der
Säuglinge („Speikinder“).
ln einer Reihe solcher Fälle handelt es sich um Ueberernahrung
und zu kurze Trinkpausen, -in anderen um eigentliches nervöses Er¬
brechen bei neuropathisch veranlagten Kindern, wobei vielleicht ein
reflektorischer Pylorospasmus zugrunde liegt. In beiden Gruppen
leidet die Ernährung meist nicht, wohl aber bei einer weiteren Kate¬
gorie von Säuglingen, welche nur speien, wenn man sie nach dem
Trinken nicht ruhig liegen lässt. Wie dem Verf. Röntgendurchleuch¬
tungen zeigten, ist bei diesen „schlaffen“ Kindern die Magenperistaltik
vermindert. Manche Kinder speien auf jede milch- resp. milchreichere
Nahrung. In -einem zur Operation gebrachten Falle habituellen Er¬
brechens fanden sich als Gründe desselben Reste einer fötalen Peri¬
tonitis. Das Kind genas.
3) M. Lewandowsky - Berlin : Ueber Apraxie des Lid¬
schlusses.
In einem Falle typischer linksseitiger Hemiplegie (64jähr. Mann)
konnte bei bestehender unbedeutender Fazialisparese der aktive Lid¬
schluss beiderseits nicht mehr vollzogen werden, dagegen war der
Blinzelreflex erhalten. Hysterie wird ausgeschlossen. Es handelt sich,
wie L. in der Epikrise dartut, um einen durch sogen. Seitenlähmung
bedingten Motilitätsausfall. Apraxie des Lidschlusses kann auch auf
organischer Basis Vorkommen.
4) C. Funck-Köln: Zur Biologie der perniziösen Blutkrank¬
heiten und der malignen Zellen.
F. führt aus, dass bei gewissen Krankheiten des Blutes Kate¬
gorien von Zellen desselben den Charakter maligner Zellen annehmen,
die gegen gewisse -Noxen widerstandsschwächer sind als physio¬
logische Zellen. Die Ptomaine, besonders das von C o 1 e y isolierte
Ptomain haben die stärkste Wirkung auf die maligne Zelle.
5) H. Ne u m an n -Potsdam: Zur Behandlung des Erysipels mit
Metakresolanythol.
Bei 23 Fällen hat Verf. die Substanz mittels Aufpinseln aut -die
Haut angewendet und konnte, wie die Krankengeschichten zeigen,
meist rasche Heilung herbeiführen. Das Präparat ist reizlos und un¬
giftig.
6) F. M o s e s - Berlin: Der heutige Stand der Atoxylbehandlung
der Syphilis, unter Mitteilung eigener Beobachtungen.
M. referiert in Kürze über die bisher -betr. der Syphilistherapie
mit Atoxyl gemachten Mitteilungen. Das Atoxyl ist kein Mittel, das
heute schon sorglos dem Praktiker übergeben werden könnte, es ist
vor allem auch stark giftig und entfaltet häufig unangenehme Neben¬
wirkungen. Verf. kann über 19 Fälle eigener Beobachtung berichten.
Von diesen wunden 5 durch Atoxyl allein geheilt, 7 wurden gebessert,
in 4 Fällen musste die Kur wegen Nebenerscheinungen abgebrochen
werden; überhaupt blieben nur 7 Fälle ohne Nebenwirkungen. In
Fällen, die sich gegen Hg intolerant oder refraktär verhalten, kann
vom Atoxyl mit Vorteil Gebrauch gemacht werden.
Grassman n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 29.
1) Bier-Berlin: Beeinflussung bösartiger Geschwülste durch
Einspritzung von artfremdem Blut.
Die vorsichtige Injektion artfremden Blutes ist nach B. das un¬
schädlichste Mittel, um eine Entzündung und Fieber beim Menschen
hervorzurufen. Die -damit einhergehenden Lösungs- und Einschmel¬
zungsprozesse versuchte er für bestimmte Heilzwecke auszunützen;
so injizierte er Schweineblut in inoperable Karzinome und deren Um¬
gebung. Die günstige Wirkung zeigte sich darin, dass die erreich¬
baren Geschwulstabschnitte einer trockenen Nekrose verfielen, ähn¬
lich wie nach Einspritzung des neuen v. Leyden- und B e r g e 1 1 -
sehen Leberferments; oder er beobachtete eine heftige entzündliche
Reaktion und Bindegewebsneubildung in der Umgebung, durch welche
das Karzinomgewebe erdrückt wurde. Einspritzung artfremden Blutes
wirkte auch günstig bei Prostatahypertrophie.
2) Felix F r a n k e - Braunschweig: Diagnose und Behandlung
der chronischen Gelenkerkrankungen. Klinischer Vortrag.
3) Jul. C i t r o n - Berlin : Ueber Komplementbindungsversuche
bei infektiösen und postinfektiösen Erkrankungen (Tabes dorsalis etc.)
sowie bei Nährstoffen.
Vortrag im Verein für innere Medizin am 3. VI., ref. M. m. W.
1907, No. 24, S. 1203.
4) H. Strauss und J. Leva-Berlin: Ueber eine neue Form
der Motilitätsprüfung des Magens.
Probefrühstück, bestehend in -einer bestimmten Menge eines fett¬
haltigen Zwiebacks von gleichartiger Zusammensetzung und 400 ccm
Thee. Nach 1 Stunde Ausheberung, dann Reinwaschung des Magens
mit 2 Spülungen. Die Filterrückstände werden teilweise eingedampft,
dann Fettbestimmung auf refraktometrischem Wege nach Wollny.
Das Fettzwiebackprobefrühstück gestattet nicht nur Schlüsse auf die
Motilität, sondern ist auch für die Sekretionsprüfung gleichzeitig zu
verwerten.
5) M a r c u s - Pyrmont: Untersuchungen bei 2 Fällen von Gicht.
Bei 2 Fällen von chronischer Gicht beobachtete M. beträchtliche
Mehrausscheidung von gelösten Harnbestandteilen und von N nach
Gebrauch Pyrmonter Salzbrunnens — im Vergleich zu destilliertem
Wasser.
6) L. Caro -Posen: Heilung eines Falles von vorgeschrittener
B a n t i scher Krankheit durch Milzexstirpation.
Nach -der Operation Besserung des Hb-Gehalt-es, Anstieg der
roten und weissen Blutkörperchen; nach einem Jahre waren die Ver¬
hältniszahlen einigermassen normal. Die vor der Operation zeit¬
weise auftretenden Temperaturerhöhungen verloren sich einige
Wochen nach derselben.
7) H. V ö r n e r - Leipzig: Ein Fall von Oedema cutis factitium.
Bei einem 25 jährigen Mann zeigte sich auf mechanische Einflüsse
hin vorübergehend Oedem der betr. Hautpartien; die prominenten
Hautbezirke waren zuerst blass, dann oft rot umrändert, schliesslich
von gleichmässiger Rötung, die sich nach Abschwellung langsam ver¬
wischte, an den Extremitäten öfters livide werdend. Die Schleim¬
häute blieben frei, während sie beim akuten zirkumskripten Haut¬
ödem Quinckes öfters befallen werden. Ein gewisse Aehnlichkeit
bestand mit Urticaria gigantea.
8) W. B ö c k er - Berlin: Ueber paralytische Luxationen der
Hüfte, ihre Entstehung und Behandlung. (Schluss.)
Verf. bringt aus der H o f faschen Klinik 4 Fälle von permanenter
Hiiftluxation bei spinaler Kinderlähmung. Das Röntgenbild zeigte
den Kopf deutlich nach oben verlagert (Lux. para- bezw. supra-
cotyloidea), oder nach vorne unter den horizontalen Schambeinast
getreten (Subluxatio infrapubica mit Nearthrosenbil-dung, d. h. Ver¬
schiebung und Ausweitung der Pfanne nach vorn und unten). Bei
frsichen Fällen von Luxation empfiehlt Verf. Tenotomie und Re¬
dressement, bei älteren blutige Reposition.
R. Grashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 14. 1907.
A. Siegrist-Bern: Ueber die Notwendigkeit, die Augen der
schulpflichtigen Kinder vor dem Schuleintritt untersuchen zu lassen
und über die Beziehungen des Astigmatismus zur Myopie. (Schluss
folgt.)
O. T e u t s c h 1 ä n d e r - Bellelay; Zur Kasuistik des Echino¬
coccus alveolaris (pathologisch-anatomische un-d klinische Notizen
über drei neue Fälle). (Schluss.)
Einmal nur in der Leber Herde, einmal zahlreiche grosse Herde
in Gehirn, Lunge, Leber (in beiden Organen Kavernen), Nebenniere
(wohl Kontinuitätsmetastase von -der Leber), einmal Kombination
mit Bauchfelltuberkulose.
Im Kanton St. Gallen ist Alveolarechinococcus endemisch.
P i s c h i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 29. Th. vande Velde - Haarlem: Neueres über die Hebo-
tomie.
Der Artikel, welcher durch eine Reihe von Abbildungen über
die beckenerweiternden Operationen ergänzt wird, befasst sich haupt¬
sächlich mit der dauernden Beckenerweiterung nach Hebotomie. Die
Erweiterung, nicht nur bei Beckeneingangs- sondern auch Beckenaus¬
gangsverengerung lässt sich in vielen Fallen in genügendem Masse
erzielen, wenn man nach der Hebotomie von dem gebräuchlichen
Kompressionsverband absieht. Drei so behandelte Frauen haben
später spontan und relativ leicht Kinder geboren, welche schwerer
waren als das mit Hilfe der Hebotomie geborene. Demnach scheint
es überflüssig weiter nach besonderen komplizierten Operationen zur
Beckenerweiterung zu suchen.
E. -F r i e d b e r g e r - Königsberg i. Pr.: Hat die Methode der
Komplementablenkung eine Bedeutung für die Diagnose der Lyssa r
In Ueber-einstimmung mit Heller und Tomaskin fand Verf.,
dass das Komplementablenkungsverfahren bei Lyssa kein positives
Ergebnis liefert.
J. Ri c h t e r - Wien: Entzündung um Fremdkörper als Tumor
operiert.
Zwei Fälle: Ein grosser Bauchdeckentumor um eine Blasenwand¬
geschwulst. Nach -der Exstirpation fanden sich beim ersteren in der
Mitte mehrere Eisendrahtstücke, in letzterem ein Holzsplitter. Die
Herkunft der Fremdkörper war nicht zu eruieren, wahrscheinlich
dürften sie aus dem Darmkanal an Ort und Stelle gelangt sein.
E. S t o e r k und O. Hahn-del - Wien: Ein Fall von Taenia nana
in Oesterreich.
Krankengeschichte. Bei der Kleinheit des Parasiten wird der¬
selbe vielleicht oft übersehen. Nach Extract. filic. gingen Tausende
von Exemplaren ab. Nach lVz Jahren Rezidiv und neuerliche Kur.
Es ist wahrscheinlich, dass die Taenia nana keines Zwischenwirtes
bedarf und als Zystizerkoid in -demselben Wirte lebt wie die 'I aenie.
Versuche, an weissen Ratten das Zystizerkoidstadium zur Entwicklung
und Beobachtung zu bringen, fielen negativ aus.
Wiener medizinische Presse.
No. 19. M. O p p e n h e i m - Wien: Zur Behandlung der Haut-
und Geschlechtskrankheiten mit Bier scher Stauung.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1550
No. 31.
Die Stauungsbehandlung zeigte sich einflusslos bei Psoriasis,
Alopecia areata und seborrhoica und chronischem Ekzem; dagegen
ist sie wirksam bei allen akut eitrigen Affektionen wie bei Abs¬
zessen, Furunkeln, Lymphdrüsenentzündungen; lebhaft empfiehlt sie
Verf. bei der Arthritis gonorrhoica und Ulcus gummosum cruris. Die
Resultate bei Epididymitis gonorrhoica oder tuberculosa sind noch
zweifelhaft.
No. 19. A. S o n n e n s c h e in -Liebau: Einiges über Keuch¬
husten.
S. empfiehlt als relativ wirksame Therapie ausser der Luftver¬
änderung und der Ruhigstellung des Kehlkopfes (nur bei älteren
Kindern durchführbar) die Inhalation von Wassendämpfen mit Zu¬
satz von etwas Kochsalz und einiger Tropfen Aqu. lauroceras. (10
bis 20 auf 1 Liter) und innerlich 12 — 20 Tropfen Tinct. Belladonna
auf 70 -Wasser event. mit Codein. hydrochl. 0,01 — 0,02, tagsüber zu
nehmen.
No. 21. J. Pal -Wien: Angeborene Dextrokardie (Dextroversio
cordis) mit Aortenstenose.
Krankengeschichte und Obduktionsbefund eines von der Geburt
bis zum 49. Jahr ärztlich verfolgten Falles. Fötale Endokarditis am
Konus der Aorta mit hochgradiger Aortenstenose und Hypertrophie
des linken Ventrikels während des foetalen Lebens haben die schon
nach der Geburt konstatierte Dextroversion herbeigeführt.
No. 22. F. T u t s c h - Unterlangendorf: Das Autan in der Land¬
praxis.
f. empfiehlt die Desinfektion von Wohnräumen durch Autan
als ein sicheres, leicht ausführbares, unschädliches und verhältnis¬
mässig billiges Verfahren.
No. 24. M. v. Z ei s s 1 - Wien: Die Behandlung der Syphilis mit
Atoxyl.
Verf. fasst nach 4 jähriger Anwendung des Atoxyls sein Urteil
vorläufig dahin zusammen, dass das Mittel kaum ein wirkliches Anti-
syphiliticum ist, möglicherweise aber durch die roborierende Arsen¬
wirkung sich eine Bedeutung in dem Sinne verschaffen wird, dass
die .Syphilisbehandlung mit einer geringeren Menge der eigentlichen
Antisyphilitica auskommen kann. Nebenbei Erwähnung verdient die
prompte Wirkung, welche in manchen Fällen das Arsen bei häufigen
Pollutionen jugendlicher Individuen hat.
No. 23/25. P. P r e g o w s k i - Warschau-München ; Zum Kapitel
der Tuberkulosebehandlung.
P. gibt die Krankengeschichten von 20 Fällen, die er einer lo¬
kalen Fhermophorbehandlung unterzogen hat; bei den 15 Kranken
mit lokalisierter Tuberkulose lauten die Erfahrungen ziemlich er¬
mutigend, im allgemeinen trat eine günstige Beeinflussung zu tage.
. No. 26. J. Strasser - Wien : Das v. G r a e f e sehe Zeichen bei
einer traumatischen Neurose.
Das Zeichen wurde bei der ersten Untersuchung durch den Ver-
tasser ein halbes Jahr nach einer heftigen Commotio cerebri mit ge¬
kreuzter Hemiparese als ein Begleitsymptom im Bilde der trau¬
matischen Neurose festgestellt.
K. Bi oschniowski-St. Petersburg: Gehirnabszess otiti-
schen Ursprunges, Operation, Genesung.
Kasuistische Mitteilung. Bergeat - München.
Dänische Literatur.
H. J. Bing: Ueber die Bestimmung der Grenzen des Herzens
bei Perkussion. (Bibliotek for Läger 1907, H. 3—4.)
Der Verfasser hat^ die Goldscheider sehe Perkussion nach
Lurschtnann und iSchlayer (D. med. Wochenschr. 1905) an¬
gewandt. Durch Vergleich mit der orthodiagraphischen Methode
fand er in 106 Fällen die rechte Grenze richtig in 71 Proz., die linke
richtig in 70 Proz., beide Grenzen richtig in 54 Proz., beide Grenzen
unrichtig in 10 Proz, Als richtig wird die Grenze bezeichnet, wenn
sie nicht mehr als Vs cm von der bei der Orthodiagraphie gefundenen
abwich. Nach Erörterung der Fehlerquellen, von welchen die wich¬
tigste Lungenemphysem ist, resümiert der Verfasser seine Anschau¬
ungen lolgendermassen : Zur Bestimmung der Grösse des Herzens
ist die beste klinische Methode die Orthodiagraphie. Wenn man
diese nicht anwenden will, soll man bei der Perkussion ausser der
a isoluten Herzdämpfung auch die totale bestimmen. Zu diesem
Zwecke ist die G o Ed s c h e i d e r sehe Methode zu empfehlen, die
jedoch vollständige Ruhe in dem Zimmer erfordert. Wenn Unruhe im
immer ist, kann die abgedämpfte Perkussion und Pettersons
schwache I erkussion gute Hilfe zur Bestimmung der Herzgrenzen
leisten Die Bezeichnung „relative Dämpfung“ und die Bestimmung
derselben .sind entbehrlich.
1907^No^ 14^) 3 * U m’ neues Saccharimeter. (Hospitalstidende
Dei \ ertasser hat ein Saccharimeter konstruiert, das sehr genau
und einfach ist, und durch welches man im Verlaufe von 5 Minuten
die quantitative Zuckerbestimmung im Harn machen kann. Der
Apparat ist bei Paul Altmann, Berlin, Luisenstr. 47 zu erhalten.
1 liorvald Kiär: Ein Fall von angeborenem totalen Mangel an
permanenten Zähnen. (Ibidem, No. 15.)
Es handelte sich um einen 25 jährigen Mann, der seine bleiben¬
den Zähne nie gehabt hatte. Bei der Untersuchung fanden sich noch
5 Milchzähne im Oberkiefer; das Röntgenbild zeigte, dass weder
Zahnkeime noch bleibende Zähne in den Kiefern vorhanden waren.
sowohl die Processus alveolares der Maxilla inf. als der Maxilla sup.
waren atrophisch; der Angulus mandibulae war normal, mass
ca. 90 Grade. Der Patient wog bei der Geburt 4 kg; die Nägel fehl¬
ten sowohl an Händen als Füssen. Die Mut-ter war während der
Schwangerschaft gesund, sie hatte nie abortiert. Die Eltern ver¬
neinten Syphilis und Tuberkulose. In den ersten Lebensjahren war
er sehr klein und anämisch, entwickelte sich langsam. Er hatte
die Masern und den Keuchhusten im 3., die Diphtherie im 9. Lebens¬
jahre ohne Komplikationen durchgemacht, hat keine Kieferkrank¬
heiten gehabt. Die Ursache der Deformität muss in einer Entwick-
lungsstörung im Fötalleben gesucht werden.
V. Saxtorph Stein: Eine neue Paraffinspritze und Bemerkungen
über die Paraffinsclnnelzpunkte. (Ibidem, No. 18.)
Die von dem Verfasser konstruierte Paraffinspritze für hartes
Paraffin wird abgebildet und ihre Vorteile gegenüber den landläufi¬
gen Spritzen erklärt.
Louis Bramson: Pneumatische Einlegesohlen bei Plattfuss.
(Ibidem.)
Der Verfasser empfiehlt zur Behandlung von Plattfuss pneu¬
matische Einlegesohlen. Die Stiefel werden in der HöhLung der
Fussohle mit einem kleinen Luftkissen versehen, das ein weiches
elastisches Lager für den abnormen Teil des Fusses bildet und gleich¬
zeitig* einen gleichförmigen Druck gegen denselben ausübt. Ver¬
mittels eines Luftschlauchs steht das Luftkissen in Verbindung mit
einem hinter der Ferse angebrachten Ventil, so dass man das Luft¬
kissen mit einer gewöhnlichen Radpumpe aufblasen kann. Die Hülle
des Luftkissens besteht aus Streckleinwand und ist so eingerichtet,
dass das Kissen an der inneren Seite des Fusses stärker als an der
äusseren Seite aufgeblasen wird.
Kr. Po u Isen: Luxatio ossis lunati. (Ibidem, No. 19 u. 20.)
Die Abhandlung wird in extenso in deutscher Sprache veröffent¬
licht werden.
Jörgen Jensen: Fractura tuberositatis tibiae. (Ibidem, No. 23
u. 24.)
Bisher wurden 40 Fälle dieses Bruchs veröffentlicht, der Ver¬
fasser teilt 10 neue Fälle mit und gibt, zum Teil auf Röntgenbilder
gestützt, eine eingehende Darstellung des Leidens. Aus seinen Unter¬
suchungen geht u. a. hervor, dass die Tuberositas tibiae immer ihren
eigenen selbständigen Knochenkern hat, die Ossifikation findet vor
dem 11. Jahre nur ausnahmsweise statt, am häufigsten im 13. Jahre;
im 15, Jahre ist die Tuberositas gewöhnlich mit der Epiphyse zu¬
sammengewachsen, während die Knorpellinie zwischen der Diaphyse
und der Tuberoepiphyse bis zum 18. bis 25. Jahre bleibt. Die
Tuberositas des rechten Beines ist am häufigsten gebrochen. Die
Behandlung der leichteren Fälle der unvollständigen Frakturen kann
ambulant geschehen; bei den schwereren Fällen der unvollständigen
Fraktur muss der Patient 8 — 14 Tage im immobilisierenden Verband
liegen bleiben oder in schräger Elevation mit Eisbeutel oder Um¬
schlag um das Knie, nach einigen Tagen Massage. Bei den voll¬
ständigen Frakturen wird es von der Dislokation des Fragmentes
abhängen, ob man konservative oder operative Behandlung zur Re¬
position anwenden soll.
Chr. Sau gm an: Ueber die Bedeutung der Tröpfcheninfektion
für die Verbreitung der Tuberkulose. (Ugeskrift for Läger 19U7,
No. 15.)
Der Verfasser behauptet gegenüber der von Flügge vor der
5. Tuberkulosekonferenz zu Haag am 6. September 1906 ausge¬
sprochenen Kritik seiner in der Zeitschr. f. Tuberkulose Bd. VI, H. 2.
S. 215 veröffentlichten Abhandlung, dass Einatmen von
tuberkelbazillenhaltigen Tropfen für erwachsene,
gesunde Menschen ohne Bedeutung für die Ver¬
breitung der Tuberkulose ist oder jedenfalls
nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt.
E. Schmiegelow: Ueber Oesophago-, Tracheo- und
Bronchoskopie. (Ibidem, No. 20, 21, 22 u. 23.)
Der Verfasser beschreibt die Methoden und teilt seine grosse
klinische Erfahrung über dieselben mit. Die Abhandlung ist gleich¬
zeitig in extenso in deutscher Sprache in Nordiskt medicinskt Arkiv
1906, H. 4 (innere Medizin) erschienen.
Klinische Untersuchungen aus der Abteilung B des Kgl. Fre-
deriks Hospital (von Prof. Knud Fab er anlässlich des 150jährigen
Jubiläums des Hospitals herausgegeben). Die Festschrift enthält
folgende 4 Abhandlungen:
1. Knud Fab er und C. Lange: Die chronische Achylia
gastrica. Pathogenese und Aetiologie.
Die Verfasser sind der Ansicht, dass die chronische Achylia
gastrica immer von einer Gastritis äbhängt, und stützen ihre An¬
schauung auf eingehende anatomische Untersuchungen in 12 Fällen.
(Vgl. diese Wochenschrift 1906, iS. 327 und 833.)
2. P. Lieb mann: Eine neue Methode zur quantitativen
Pepsinbestimmung.
Nach kritischer Besprechung der landläufigen Methoden zur
Pepsinbestimmung gilbt der Verfasser eine Darstellung seiner
Methode, deren Prinzip im Vergleich des optischen Verhältnisses von
zwei Flüssigkeiten besteht. Er benützt eine Emulsion von koagu¬
liertem Hühnereiweiss; wenn man zu dieser Emulsion Pepsin und
Salzsäure zusetzt, wird sie nach und nach aufklären, bis die Flüssig¬
keit beinahe waserklar wird. Die Schnelligkeit der Aufklärung ist
ceteris paribus von der Pepsinmenge abhängig. Je nach der Auf-
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1551
30. Juli 1907.
klärung, die in einem bestimmten Zeitraum stattfindet, lässt sich die
Pepsinmenge bestimmen. Der Apparat ist sehr einfach, die Methode
verlangt keine Vorbereitungen noch Laboratorium, lässt sich bei ge¬
wöhnlicher Zimmertemperatur im Verlaufe von 20 — 45 Minuten an¬
stellen. Die Bedeutung der gefundenen Zahlen findet man in der
beigefiigten Tabelle, die auf Versuche mit Lösungen von bekannter
Konzentration von Armours Pepsin gestützt ausgearbeitet ist.
3. Fr. Vogelius: Enteritis membranacea.
Eine auf 17 Fälle gestützte klinische Studie. Der Verfasser ist
der Ansicht, dass es sich um einen Katarrh, gewöhnlich um einen
schweren Fall von Kolitis handelt.
4. V. Rubow: Untersuchungen über die Respiration bei Herz¬
krankheit. Ein Beitrag zum Studium der Pathologie des kleinen
Kreislaufes.
Die Untersuchungen der Total- und Mittelkapazität der Lungen
wurden in dem physiologischen Laboratorium (Prof. Bohr) vor¬
genommen, und aus den Versuchen scheint hervorzugehen, dass in
gewissen Fällen von Herzkrankheit eine Dyspnoe eintreten kann, die
nicht eine vermehrte Lungenventilation intendiert oder verursacht,
sondern eine starke Ausdehnung der Lungen, die kompensatorische
Bedeutung bekommen kann, wenn der kleine Kreislauf beschwert ist.
Der günstige Einfluss von systematischen Respirationsübungen auf
das Herz wird wahrscheinlich auch grösstenteils dadurch verursacht,
dass diese Uebungen den Patienten die obenerwähnte Dyspnoe er¬
leichtern. Adolph H. M e y e r - Kopenhagen.
Spanische Literatur.
C. Calle ja: Modifikationen histologischer Methoden. (Rev.
de Cienc. Med. de Barcelona, April 1907.)
Verf. bringt zuerst eine Modifikation der Henke-Zeller-
schen Einbettungsmethode, dann eine Gefrierschnittmethode unter
Verwendung von Chloräthyl. Den Schluss bildet eine Modifikation
der Cox sehen Imprägnationsmethode für das Nervengewebe, bei
der ein Teil der Imprägnation unter Körpertemperatur vor sich geht.
Die Einzelheiten sind in einem kurzen Referat nicht wiederzugeben.
A. Pi y Sun er: Die antitoxische Funktion der Niere. (Gac.
Med. Catalan, No. 1 — 8, 1907.)
In einer umfangreichen Abhandlung sucht Pi y S u n e r an der
Hand der Literatur (92 Literaturangaben) wie zahlreicher eigener
Tierversuche, den Nachweis zu liefern, dass das Vorhandensein einer
„inneren Sekretion“ der Niere nicht bewiesen ist, Das was man als
Wirkung einer inneren Sekretion betrachtet, ist vielmehr die Wir¬
kung einer antitoxischen Funktion der Nierenepithelien, eine Bindung
und Umwandlung toxischer Substanzen, die dann eventuell ausge¬
schieden werden. Da die antitoxische wie die sekretorische Funktion
an die gleichen Elemente, die Nierenepithelien, gebunden sind, so
bestehen enge Beziehungen zwischen normalem bezw. pathologischem
Ablauf der Urinabscheidung und der antitoxischen Funktion,
und deshalb wirkt auch die Verabreichung von Nierenextrakten gün¬
stig auf den Entgiftungsprozess. „Antitoxie“ wie Sekretion sind
zwei verschiedene „Aspekte“ der gleichen Drüsenfunktion. Der Be¬
griff „innere Sekretion“ ist also durch den der „antitoxischen Funk¬
tion ‘ der Niere zu ersetzen.
Manuel de Foronda: Das rote Licht bei exanthematischen
Krankheiten. Historische Bemerkung. (Rev. de Med. y Cir. Präct.,
7. Juni 1907.)
An der Hand eines im Archiv zu Lille befindlichen Aktenstückes
aus dem Jahre 1509 berichtet Verf., dass der damals 9 jährige
Karl V., an Variola erkrankt, Bettdecke und Nachthemd von hochroter
Wolle bekam, und sogar sein Bett mit rotem Stoff umgeben wurde,
damit sein Auge darauf ruhe — ein Beweis, dass man damals schon
der roten Farbe einen gewissen günstigen Einfluss zuschrieb.
Martinez Var gas: Die akute Myositis. (La Med. de los ninos
No. 1—2, 1907.)
Monographische Darstellung mit mehreren eigenen Beobach¬
tungen und Literaturangaben. Zu kurzem Referat eignet sich die
Arbeit nicht, Interessenten seien auf sie hingewiesen.
Pedro Ramön y Cajal: Ein Fall von diabetischer Chorea.
(La Clinica Moderna, Ref.: Rev. de Med. y Cir. Präct., 28. April 1907.)
Verf. berichtet über einen Fall von vernachlässigtem Diabetes,
bei dem die Glykosurie trotz Diät und Medikamente nicht unter
6 Prozent sank. Plötzlich setzte eine heftige Hemichorea der
ganzen rechten Seite ein, die seitdem 5 Monate lange fortbesteht.
Sehr eigentümlich war ihre Wirkung auf die Glykosurie. Sofort sank
dieselbe binnen 2 Wochen auf 0, um seitdem nur dann wieder in ge¬
ringem Grad sich einzustellen, wenn die Chorea etwas nachlässt.
Verf. glaubt, dass die durch die Chorea bedingte starke Muskelarbeit
die Glykosurie nicht aufkommen lässt. Zur Zeit besteht starke Poly¬
urie (6 — 7 1) ohne Glykosurie.
Perez V ento: Das Vorkommen der Chorea in Cuba. (La Rev.
de Med. y Cir. de la Habana, ref.: Gac. Med. Catalan. No. 4, 1907.)
Gegenüber der vielfach verbreiteten Ansicht, dass die Chorea
in den Tropen so gut wie nie vorkomme, wird festgestellt, dass auf
Cuba die Krankheit gar nicht so selten ist, besonders gern, wie bei
uns, sich anschliessend an rheumatische Affektionen.
J. Codina Castell vi: Intermittierende Chylurie und Lungen¬
tuberkulose. (Gac. Med. Catalan. No. 7, 1907.)
Interessante kasuistische Mitteilung: bei einem 51jährigen Mann
besteht seit seinem 18. Lebensjahr Chylurie, und zwar mit Unter¬
brechungen: es war zuerst 4 Jahre Chylurie vorhanden, dann 6 Jahre
keine, 2 Jahre Chylurie, 1 Jahr Pause, 6 Jahre Chylurie, 4 Jahre
Pause; jetzt seit 10 Jahren beständig Chylurie. Der Mann war nie
in den Tropen, Filaria war keine zu finden. Sonst war an ihm nichts
nachzuweisen als eine chronische Tuberkulose. Eine Erklärung des
Falles lässt sich nicht geben; der Tuberkulose ging die Chylurie
lange voraus.
U b e d a und De P r a d a : Das v. Ruck sehe Tuberkulin bei
der Lungentuberkulose. (El Siglo Medico, 13. April und 11. Mai 1907.)
Die Verff. haben im Dispensario antituberculoso zu Madrid das
v. R u c k sehe Tuberkulin, einen wässerigen Auszug des Tuberkel¬
bazillus, an 13 Patienten verwendet, von denen 4 gebessert, 3 ge¬
heilt wurden, 4 unbeeinflusst blieben, 2 verschlechtert wurden und
1 starb. Das Präparat ist kostspielig und schwer dosierbar. Es macht,
am Arm injiziert, wenig oder keine Lokalerscheinungen; Allgemein¬
reaktion kommt bei Lösung 1 und 10 nicht vor, während Lösung
100 leichte Temperatursteigerung macht. Fieber und Gewicht wer¬
den günstig, Husten und Auswurf nicht beeinflusst. Bei Fällen des
I. Stadiums befördert es die Indurationsprozesse; im II. Stadium sind
die Resultate weniger günstig. Im ganzen ist der Eindruck, den die
Verff. von dem Tuberkulin haben, günstig.
- Behandlung der Pneumonie mit metallischen Fermenten. (Real
Acad. de Med. de Madrid, Sitzungen vom 6., 13. und 27. April, Rev.
de Med. y Cir. Präct., 21. u. 28. Mai, 21. Juni 1907.)
In den Sitzungen der Madrider Akademie vom 6., 13. u. 21. April
kam es zu einem ausgedehnten Meinungsaustausch über die Be¬
handlung der Pneumonie mit subkutanen Injektionen von Palladium¬
lösung (5—10 ccm, enthaltend 0,2— 0,9 mg Metall) nach dem Vor¬
gang R o b i n s. Das zur Besprechung stehende Krankenmaterial war
aber ein nur sehr kleines, da im ganzen von drei Mitteilenden
(Cortezo, Espina und S a n u d o) nur 15 Fälle nach der Methode
behandelt worden waren. Die kurzen Mitteilungen lassen Einzel¬
heiten nicht erkennen, doch macht es kaum den Eindruck, als ob
die Deferveszenz unter dem Einflüsse der Injektionen etwa früher er¬
folgte. Alle behandelten Fälle kamen zur Heilung, und alle, die sich
mit oder ohne eigene Erfahrung zu der Frage äusserten, erklärten
sich geneigt, die Methode bei den weiter in Behandlung kommenden
Pneumoniefällen anzuwenden, da sie modernen theoretischen An¬
schauungen entspreche und dabei völlig unschädlich sei.
P. Altes: Behandlung der Milzbrandpustel. (La Medicina de
los ninos No. 1 — 3, 1907.)
Verf. bringt die Krankengeschichten zweier Geschwister von
6 und 8 Jahren, bei denen er die Milzbrandpustel mit Exzision und
Kauterisation der Pustel selbst, kaustischer Stichelung der öderna-
tösen Umgebung und 4 Injektionen ä 1 ccm einer 2 proz. Karbol¬
lösung, dazu antiseptischen Umschlägen (von Phenol mit Kampher)
und innerlicher Verabreichung von Tonicis (Chinin) behandelt hatte.
Er legt in längeren Ausführungen die Richtigkeit dieser Methode dar
und hält die Bedenken vieler Kollegen gegen die Karbolinjektionen
nicht für gerechtfertigt; immerhin ist der Urin dabei genau zu be¬
obachten.
J. Gonzalez Castro: Klinische Beobachtungen über Protargol.
(El Siglo Medico, 8. Juni 1907.)
Gonzalez Castro bringt 4 Fälle von Protargolbehandlung mit
sehr günstigem Erfolg: ein seit 14 Jahren bestehendes Ulcus cruris,
bei dem von anderer Seite die Amputation vorgeschlagen war (Pro-
targolpulver und 10 proz. Salbe), ein infektiöses Ulcus corneae (In¬
stillation von 5 proz. Lösung), eine tuberkulöse Osteomyelitis und
Keratoblepharokonjunktivitis (Verband mit 2 proz., bezw. Instillation
von 5 proz. Lösung), eine schwere Vejbrennung (10 proz, Salbe).
Auch sonst hat er gerade bei Verbrennungen jeden Grades Um¬
schläge mit 2 proz. Protargollösung mit vorzüglichen Resultaten
verwendet. Seiner Ansicht nach hat das Protargol eine spezifische
Wirkung auf die Eiterbakterien, ganz besonders allerdings auf die
Gonokokken. Es wirkt sehr gut keratoplastisch und erzeugt ideale
Narben. Seine Anwendung auf der Haut sowohl wie auf Schleim¬
häuten ist wenig schmerzerregend. Es dringt sehr tief in die Ge¬
webe ein und wirkt dadurch resorbierend auf eitrige Exsudate. Man
verwendet je nach Art des Prozesses 5 — 50 proz. Konzentrationen;
am besten hält man eine 50 proz. Stammlösung vorrätig und ver¬
dünnt sie erst im Moment des Gebrauches.
P. Vilanova: Der Zungenkrebs bei syphilitischen Rauchern.
(Rev. de Cienc. Med. de Barcelona, Mai 1907.)
Der Zungenkrebs beruht immer oder doch fast immer auf
Syphilis und Tabakmissbrauch. Durch eine gewissenhafte Behand¬
lung der Syphilis wird mancher Zungenkrebs zu verhüten sein; fer¬
ner sollte allen Luetischen der Tabak sowohl wie konzentrierte
Alkoholika verboten werden, ganz besonders der Tabak, ohne den
es keinen Zungenkrebs gibt. Die präkanzerösen Veränderungen der
Mundhöhle, die Leukoplakie der Luetischen, Rhagaden und Fissuren,
sind energisch zu bekämpfen, eventuell durch eine erneute antilue¬
tische Kur (Kalomelinjektionen), durch Aetzung mit Chromsäure oder
den Thermokauter. Ein sich entwickelndes Epitheliom ist bei recht¬
zeitiger Diagnosenstellung nicht selten noch blutig zu entfernen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3l.
1552
Blanc: Die Bi er sehe Stauung bei Gelenkaffektionen der Kin¬
der. (Soc. Ginec. Espan., 28. Nov. 1906, Rev. de Med. y Cir. Präct.,
7. April 1907.)
Blanc berichtet über 45 Fälle von mit Stauung behandelten
kindlichen Gelenkaffektionen. Er teilt sie in 4 Gruppen: 1. Synovitis
tuberculosa. Hier verschwinden nach 2 Tagen die Schmerzen; nach
10 — 12 Tagen vermindert sich die Spannung; nach etwa 1 Monat
ist die Funktion wieder fast normal, doch ist die Wiederherstellung
keine vollständige, es bleibt stets etwas ödematöse Schwellung und
Bewegungsstörung zurück. 2. Epiphysitis tuberculosa. Auch hier
vermindern sich Schmerz und Bewegungsstörung innerhalb 10 bis
12 Tagen, dann aber setzt eine Periode ein, wo die Epiphyse an¬
schwillt unter Vermehrung der Schmerzen und der Bewegungs¬
störung; in einigen Fällen kam es sogar zur Fistelbildung, die unter
geeigneter Behandlung zur Ausheilung kam, jedoch war der Zustand
des Gelenks nur wenig besser als vor der Stauungsbehandlung.
3. Panarthritis ohne Fistelbildung, meist Mischinfektionen von Tu¬
berkelbazillen und Streptokokken. Hier waren die Resultate mit
2 Ausnahmen ungünstig. 4. Panarthritis mit Fistelbildung. In den
ersten Tagen war die Eiterung sehr stark, dann wurde sie ge¬
ringer, mehr sanguinolent, aber eine wesentliche Aenderung trat erst
ein, als eine aktivere Therapie eingeleitet wurde; die Stauungs¬
behandlung verschlimmerte jedenfalls in diesen Fällen nichts.
A. Rodriguez y Rodriguez: Verletzung des Perikards
mit Zurückbleiben eines Fremdkörpers (Glasstück von 4 cm Länge
und 2 cm grösster Breite). Hämothorax, Hämoperikard. Extraktion
des Fremdkörpers und Naht des Perikards. Günstiger Ausgang. (El
Siglo Medico, 1. Juni 1907.)
Kasuistische Mitteilung zur Herzchirurgie.
J. Goyanes: Ueber laterale und zirkuläre Venennaht. (Rev.
de Med. y Cir. Präct., 14. Juni 1906.)
Schon mehrfach hatte ich Gelegenheit, in dieser Wochenschrift
die Arbeiten des Verf. über Gefässchirurgie zu referieren. In der
vorliegenden Arbeit berichtet er zunächst über die Literatur der
lateralen Venennaht, dann kurz über 5 eigene Fälle. 3 betrafen die
Axillarvene bei Operationen von Mammakarzinomen; die genähten
Wunden waren bis 1 cm lang, es kam niemals zu Nachblutungen,
noch zu Zirkulationsstörungen. Die beiden anderen betrafen die
Jugularis communis bei Operationen am Hals und waren ebenso er¬
folgreich. Die zirkuläre Venennaht ist bis jetzt an Menschen sehr
selten gemacht worden. Sieht man von den auf dem letzten fran¬
zösischen Chirurgenkongress von Doyen und U 1 1 m a n n mit wenig
Details erwähnten 9 Fällen ab, so sind nur 3 Fälle eingehender be¬
schrieben, einer von Kümmell (Bruns Beitr. Bd. 26), einer von
Krause (D. med. Wochenschr. 1900, Vereinsbeil., p. 82) und einer von
Payr (Archiv f. klin. Chir. Bd. 64). Verf. selbst fügt diesen Fällen
einen neuen, von ihm selbst operierten hinzu, von Resektion und
Zirkulärnaht der Vena subclavia. Es handelte sich um eine Drüsen¬
metastase von einem Mammakarzinom aus, die fest mit der Vene
verwachsen war, so dass ein keilförmiges Stück der Vene entfernt
werden musste, von einer Grösse von 12 mm vorn, 6 mm hinten. Die
Zirkulärnaht wurde in der Weise angelegt, dass zuerst 3 Hauptnähte
in gleichen Zwischenräumen gesetzt wurden, so dass die klaffen¬
den Lumina in gleichseitige Dreiecke verwandelt wurden. Jede
der 3 Seiten wurde dann für sich mit fortlaufender, ebenfalls die
ganze Gefässwand perforierender Naht genäht, je 1 mm vom Rand
und ebensoweit eine von der anderen entfernt, so dass für jede Seite
6 — 7 Nähte erforderlich waren. Als Nahtmaterial diente Seide.
Gleich nach Lösung der Klemmpinzetten floss das Blut durch die ge¬
nähte Stelle durch, wobei durch einige Nahtstellen etwas Blut
sickerte. Die Heilung war eine vollständige.
J. Rabasa Fontsere: Beitrag zum Studium der Tracheo¬
tomie bei Larynxtuberkulose. (Rev. Barcel. de enf. de oido etc.,
April — Juni 1907.)
Verf. berichtet über 4 Fälle von mit Tracheotomie behandelter
Larynxtuberkulose, von denen einer im Anschluss an die Operation
starb, einer (quoad Larynx wenigstens) geheilt und 2 wesentlich
gebessert wurden. Was die Indikationen der Tracheotomie bei
Larynxtuberkulose anlangt, so sind Extreme nach beiden Richtungen
hin zu vermeiden. Wo die Deglutition erschwert ist, würde man mit
der Kanüle dem Kranken nur eine neue Unbequemlichkeit ohne
entsprechenden Nutzen schaffen; ebenso würde man bei der in¬
filtrierenden Form und bei starkem Mitergriffensein der Lunge durch
die Erschwerung der Atmung nur schaden. Viel nützen kann man
dagegen mit der frühzeitigen Operation bei der fibrösen Form, die
zu Stenosierung neigt und doch in kürzerer oder längerer Zeit eine
Tracheotomie notwendig machen würde.
Avelino Martin: Bemerkungen über die Prognose der In¬
fluenzaotitis. (Rev. Barcelon. de enferm. de oido etc., April— Juni
1907.)
Die Influenzaotitis pflegt sich am 3. bis 8. Tag der Infektion
im Anschluss an den konstant vorhandenen akuten Nasenrachen¬
katarrh einzustellen. Bei der reichlichen Gelegenheit zu Misch¬
infektion braucht die Otitis durchaus nicht eine Manifestation des
spezifischen Influenzaerregers zu sein. Eine bessere Prognose bieten
gerade die Formen, die auf der Tätigkeit eines anderen Bazillus
beruhen; sie finden sich meist bei Individuen, die schon früher
am Mittelohr gelitten hatten. Die durch den Pfeiffer sehen Ba¬
zillus selbst hervorgerufene Otitis ähnelt in ihrem Verlauf sehr
den bei akuten Exanthemen vorkommenden Formen. Ganz be¬
sonders sind jene im Gefolge der Influenza auftretenden Formen der
Otitis media zu fürchten, in denen es ohne akute Erscheinungen
zu chronisch-indurativen Prozessen, zu typischen Mittelohrsklerosen
mit mehr oder minder hochgradigem Verlust des Hörvermögens
kommt. Martin hat Fälle gesehen, in denen während der In¬
fluenza Otalgien auftraten, die ohne jede Eiterung zu Taubheit führ¬
ten, und seiner Ansicht nach ist jede Otalgie bei Influenza auch
ohne Eiterung als prognostisch ungünstig zu betrachten. Die eitrige
Influenzaotitis tritt, wie bemerkt, zu einer Zeit auf, wo die übrigen
Influenzasymptome schon im Schwinden sind; die Beteiligung des
Warzenfortsatzes und Antrums sind bei ihr die Regel und deletäre
Komplikationen nicht selten. Jedenfalls ist jede Influenzaotitis als
schwere Krankheit zu betrachten; ihrem Eintritt vorzubeugen kann
man wenigstens versuchen durch richtige Behandlung des Nasen¬
rachenkatarrhs in den ersten Stadien der Influenza.
M. Kaufmann- Mannheim.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztiicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzung vom 6. Mai 1 907, abends
7 Uhr im grossen Hörsaal der Senckenbergischen Bibliothek.
Vorsitzender: Herr S i p p e 1.
Schriftführer: Herr S e 1 i g m an n.
Protokoll Verlesung.
Demonstrationen aus dein pathologischen Institut:
Herr A I b r e c h t demonstriert 1. einen Fall von Metastasen
eines Rektalkarzinoms, bei welchem ein Knoten sowohl in einen
Hauptbronchus als in eine Lungenvene durchgebrochen war und zu
weiteren Verschleppungen auf dem Wege des Blutkreislaufes geführt
hatte. Exstirpation des tiefsitzenden Rektalkarzinoms vor 5 Jahren;
kein lokales Rezidiv.
Zu einer grösseren Anzahl von Präparaten tuberkulöser
Lungen erläutert der Vortragende die Möglichkeiten einer für
die Klinik brauchbaren und gleichzeitig pathologisch-ana¬
tomisch einwandsfreien Einteilung der tuberkulösen Prozesse
der Lunge. A. F r ä n k e 1 hat mit v. R o s t h o r n vor kurzem
ein Schema hierfür vorgeschlagen, welches unterscheidet:
1. Spitzenprozesse, ein- oder doppelseitig;
2. Oberlappenprozesse, ein- oder doppelseitig, und zwar
a) infiltrative; b) zirrhotische; c) kavernöse Prozesse (unter
letztere einbegriffen die käsig pneumonischen Herde).
3. Tuberkulose 'des Oberlappens mit gleichzeitiger Beteili¬
gung von Mittel- oder Unterlappen.
Diese Einteilung ist jedenfalls den bisherigen vorzuziehen,
lässt sich aber auch jetzt schon in mancher Hinsicht verbessern.
Voraussetzung für eine derartige Einteilung ist, dass gewisse,
in Hinsicht auf Prognose und Therapie zu unterscheidende
Formen genügend häufig rein oder weitaus überwiegend den
tuberkulösen Prozess repräsentieren. Das trifft denn auch in
der Tat für eine grosse Zahl von Fällen zu, wenn man das
folgende Einteilungsprinzip annimmt:
A) Solitäre Herde (bei Erwachsenen am häufigsten in den
Oberlappenspitzen, bei Kindern häufig, aber auch gelegent¬
lich bei Erwachsenen, an anderen Stellen, namentlich im oberen
Drittel der Unterlappen.
B) Oberlappenprozesse, d. h. einigermassen ausgedehntere
und fortschreitende tuberkulöse Herde im Oberlappen. Bei
diesen ist indes fast regelmässig bereits die Spitze
des Unterlappens der betreff! enden Seite in
geringem Grade mitbefallen, sodass eine strenge Scheidung
nach dem F r ä n k e 1 sehen Schema nicht möglich ist. Die
Oberlappenprozesse (und die Prozesse der Gruppe C) lassen
sich wieder einteilen in
1. zirrhotische: überwiegend oder ausschliesslich
fibröse Umwandlung, a) ohne oder b) mit Kavernen;
2. knotige Tuberkulose, a) ohne oder b) mit Ka¬
vernen: Bronchiolitis und Peribronchiolitis nodosa mit Tendenz
zum zentralen Abheilen, im ganzen langsam fortschreitend, bei
geringer Zahl der Knoten häufig zur Abheilung gelangend.
Klinisch verhältnismässig geringfügige Symptome; häufig
wegen der Kombination mit Emphysem (lokalem oder allge¬
meinem) übersehen oder nach Ausdehnung geringer einge¬
schätzt als sie in Wirklichkeit sich erweisen;
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1553
3. käsig-pneumonische Tuberkulose, a) ohne
oder b) mit Zerfall und Kavernenbildung. Unter diese letztere
Rubrik gehört die Mehrzahl der flori’den Phthisen, sei es, dass
der käsig-pneumonische Prozess von Anfang an das Bild be¬
herrscht, oder sich unter rascher Verschlimmerung an eine
der Formen sub 1 oder 2 anschliesst.
C) Ausgedehntere Prozesse in 2 oder mehr Lappen, mit
den gleichen 3 bezw. 6 Unterabteilungen.
Relativ häufiger ist, als durch käsige Tuberkulose (siehe
sub B) der Ausgang der beiden ersteren Formen, zumal bei
älteren Individuen, durch nichtkäsige Pneumonie oder durch
eine andere Komplikation (Pneumothorax, Pleuritis etc.) her¬
vorgebracht.
Diese drei Hauptgruppen (1, 2, 3) erlauben dann eine an die
ältere anschliessende weitere Klassifikation nach der Aus¬
dehnung, je nachdem sie einen Oberlappen, zwei Oberlappen,
Ober- und Unterlappen der gleichen Seite in ausgedehnterem
Masse, oder drei Lappen befallen haben. Für die erstere
Gruppierung stellt sich die Reihenfolge der Bösartigkeit in der
angegebenen Weise (zirrhotische, knotige, käsige Prozesse).
Hier kommt dann noch die Frage, ob Kavernen vorhanden sind
oder fehlen, prognostisch zur Bedeutung, jedoch in verschie¬
denem Masse für die verschiedenen Gruppen; denn im Falle
der zirrhotischen Herde sind Kavernen sehr häufig belanglos,
ausgeheilt; im Falle der knotigen Tuberkulose begünstigen sie
in hohem Masse das Fortschreiten sowohl im Bereich des be¬
treffenden Bronchus als des gleichseitigen Unterlappens,
ferner auch das Befallenwerden des Darmes, event. des Kehl¬
kopfes. Bei der dritten Form endlich, den käsig-pneumonischen
Prozessen, stellen die Kavernen eine Komplikation dar, welche
den ohnehin meist rapiden Verlauf nur um weniges be¬
schleunigt. Ihre prognostische Bedeutung ist also am grössten
in den Fällen der zweiten Gruppe (B 2 b).
Die vorgeschlagene Einteilung basiert im wesentlichen
auf der von Orth immer vertretenen Einteilung der tuber¬
kulösen Prozesse in überwiegend exsudative, also hier pneu¬
monische Formen und überwiegend produktive, knötchen¬
bildende Formen (natürlich ohne absolut scharfe Trennung der
Prozesse). Der zunächst naheliegende Einwand, dass die
Formen sich regelmässig kombinieren, trifft, wie die Beob¬
achtung zeigt, nur für die geringere Zahl der Fälle zu, indem
z. B. in den letzten Stadien die knotige Form zu kleineren oder
grösseren käsig-pneumonischen Herden auswächst, aber fast
nie im umgekehrten Sinne. In diesen letzteren Fällen hat aber
die genaue Diagnose- und Prognosestellung in der Regel nur
mehr theoretischen Wert. Zu beachten ist noch, dass die
peribronchialen Knötchen bei subakutem Verlauf in ausser¬
ordentlich grossen Mengen aufzutreten pflegen, entsprechend
der Entstehung sehr reichlicher käsig-bronchiolitischer Herde,
eine Veränderung, der eine sehr rasche Ausdehnung der
katarrhalischen Prozesse (umschriebene Atelektasenbildung
usw.) parallel läuft.
Der Vortragende glaubt, dass unter Zugrundlegung dieses
Schemas in Form einer Fragestellung und unter Be¬
rücksichtigung der übrigen Organ- und Gesamterscheinungen
eine wirklich brauchbare und mit den pathologischen Ver¬
änderungen zusammenstimmende klinische Diagnostik der
Lungentuberkulose geschaffen werden kann.
Herr Otto Rothschild: Demonstration eines retrobulbären
Teratoms.
Herr Ferd. Becker: Ein mit Radium behandelter Fall von
Epitheliom.
Der 78 jährige Patient, der sich Ihnen vorzustellen die Freund¬
lichkeit hat, zeigte am 18. IX. 06, als ich ihn zum ersten Mal sah,
folgenden Befund: Auf dem linken Jochbogen ein etwa markstück¬
grosses Epitheliom mit Neigung zur Narbenbildung im Zentrum, ge-
schwiirigem Zerfall und derber infiltrativer Wucherung in der Peri¬
pherie. Ein etwa erbsengrosses Gebilde von gleicher Beschaffen¬
heit fand sich unter dem linken Auge etwa der Lage des Foramen
iufraorbitale entsprechend. In symmetrischer Weise zeigte die rechte
Seite Läsionen von minderer Bedeutung, nämlich unter dem rechten
Auge ein linsengrosses gelbliches mattglänzendes, in der Haut liegen¬
des, nur wenig prominentes Knötchen. Endlich auf dem rechten
Jochbogen eine lebhaft gerötete, diffus infiltrierte schuppende Stelle.
Es fiel mir zunächst die Symmetrie der Hautläsionen auf, die
ich auf den Druck eines Brillengestelles zurückführen zu dürfen
glaubte, Patient wusste von einer solchen Genese nichts, leitete
vielmehr das markstückgrosse Ulcus links von Rasierverletzungen
her. Dieses Gebilde hat sich angeblich in 7 Jahren langsam ent¬
wickelt.
Der Hausarzt hatte bereits Solut. fowler. ars. gegeben, eine
Medikation, die ich noch 4 Wochen beibehielt. Daneben wurden
die Epitheliome mit Radium behandelt, und zwar 5 mg Radiumbromid
von 2 000 000 Uraneinheiten an 12 verschiedenen Stellen je 30 — 60
Minuten. Im ganzen wurden so 23 Bestrahlungen in 15 Sitzungen
verabreicht, 1 Stelle (unter dem rechten Auge) wurde einmal, das
Randinfiltrat der obersten Spitze des grössten Ulcus dreimal, alle
anderen Stellen je zweimal in Intervallen von etwa 6 Wochen der
Radiumwirkung ausgesetzt.
Am 18. I. 07 erhielt der Herr wegen einiger nachträglich auf¬
getretener seborrhoischer Warzen an der Stirne nochmals Fowler-
sche Lösung.
Vortrag des Herrn A. Homburger: Zur Diagnose der
Kleinhirngeschwülste.
H. berichtet über 3 Fälle von Kleinhirntumor: I. Angiosarkom
beider Hemisphären und des Wurms, Exitus Vz Jahr nach Auftreten
der ersten Erscheinungen. II. Gliom medial vom linken Nucleus
dentatus an den Ventrikel heranreichend, erzeugte beiderseitige
Basalnervensymptome neben homolateralen Hemisphärenerschei¬
nungen; die ersteren blieben auch nach Entlastungstrepanation nebst
-•Ventrikelpunktion bestehen. Exitus 3 Monate nach Auftreten der
ersten Erscheinungen. III. Zyste der rechten Hemisphäre: rechts¬
seitige Fazialis-, Akzessorius-, Hypoglossusparese, Hemihypotomie.
Operation und Heilung. Patient, 23 Jahre alt, arbeitet als Weber
10 Stunden täglich. Von Allgemeinerscheinungen bestanden in allen
drei Fällen Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel ohne Richtungsmerk¬
male; beiderseits Stauungspapille; ausserdem in allen dreien Ny¬
stagmus; in keinem zu irgendwelcher Zeit Pulsverlangsamung. Alle
drei Fälle verliefen in typisch sich abgrenzenden Schüben. (Ausführl.
Veröffentl. i. d. Z. f. d. Grenzgeb.)
Diskussion: Herr Brodnitz: Der Fall von geheilter
Kleinhirnzyste, den ich Ihnen hier vorstelle, wurde von mir am 10.
Januar 1907 operiert. Es wurde ein Weichteillappen gebildet, ent¬
sprechend der rechten Hinterhauptsschuppe, mit der Basis nach
unten; Skelettierung des Knochens bis zum Foramen magnum; Tre¬
panation mit Handtrepan dicht unterhalb der Linea semicircularis,
Entfernung des Knochens mit der Liier sehen Zange, nach unten bis
Foramen magnum, nach oben bis 1 cm oberhalb des Sinus trans-
versus. Dura stark gespannt, nicht pulsierend. Der erste 1 eii der
Operation ist beendet; der Knochendefekt wird mit einer Kompresse
bedeckt, der Weichteillappen darüber vernäht. Nach 5 Tagen zweiter
Teil der Operation. Nach Spaltung der Dura drängt sich die rechte
Kleinhirnhemisphäre stark hervor; bei vorsichtigem Zurückdrängen,
um den Duraspalt zu verlängern, spritzt aus der rechen Hemisphäre
ein feiner Strahl klarer, gelblicher Flüssigkeit, die Oeffnung wird
erweitert und man befindet sich in einer pflaumengrossen Zyste,
deren Spitze nach dem Canal, hypogloss. gerichtet ist; die Zysten¬
wandung ist deutlich zu übersehen, kann ejdoch nur stückweise ent¬
fernt werden, daher Einlegen eines Drainrohres, im übrigen völliger
Verschluss des Lappens. Eingriff wird gut überstanden. Reichlicher
Abfluss von Zerebrospinalflüssigkeit auch nach Entfernung des Drains,
welcher 8 Tage liegen blieb. Nach 4 Wochen völlige Vernarbung.
Subjektiv gar keine Beschwerden, objektiv leichtes Schwanken, wel¬
ches durch systematische Gehübungen in weiteren 2 Wochen ganz
gehoben wurde. Gegenwärtig zeigt nur die Narbe die frühere
schwere Erkrankung; durch die Nackenfaszien und Muskulatur ist ein
völliger Abschluss erzielt, es besteht kein Prolaps. Der Patient ist
in seiner früheren Stellung als Weber mit lOstündiger Arbeits¬
zeit tätig.
Herr Kohnstamm: Angesichts der Verfeinerung der Klein¬
hirndiagnostik, von der wir eben wieder eine Probe erfahren haben,
ist die Zurückführung jedes Symptoms auf sein anatomisches Sub¬
strat von Bedeutung. Die Oppenheim sehe A r e f 1 e x i e der
Kornea ist ein Lähmungssymptom des sensiblen Trigeminus, dessen
Wurzeln dieselbe Dreiteilung ihres Verlaufes erfahren, wie die Hin¬
terwurzeln des Rückenmarkes. Der kinästhetische Anteil derselben
verläuft bekanntlich ungekreuzt in den Hintersträngen, um dann
von den Hinterstrangskernen ab den Weg zur gekreuzten medialen
Schleife einzuschlagen. Diesem Anteil entsprechen diejenigen Tri-
geminuswurzeln, die im sensiblen Trigeminuskern dei Brücke en-
digen. Der 2. Anteil der Spinalwurzeln tritt in die graue Substanz
des Eintrittniveaus ein, setzt sich zum Teil zum gekreuzten Go-
w e r sehen Strang fort, dem Leiter des Temperatur- und Schmerz¬
sinns, teils dient er der Reflexvermittlung. Diesem Anteil entspricht
die spinale Trigeminuswurzel in ihrer ganzen Länge. Selbst Er-
weichungsherde im kaudalen Drittel derselben machen Aieflexie
der Kornea (ein Primum movens!). Dem 3. Kl.-S.-B.-Anteil
der Spinalwurzeln entsprechen nach meiner Anschauung Fasern, die
sich aus dem ventralen Zipfel des Graus der spinalen Trigeminuswurzel
entwickeln und sich dem Corp. restif. kleinhirnwärts anschliessen.
(Psych.-neurolog. Wochenschr. 1905, 24.)
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
1554
Berliner medizinische Gesellschaft siehe S. 1558.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 1. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Schriftführer: Herr Herrschei.
rlerr W i n t e r n i t z teilt als Nachtrag zu seinem Demon¬
strationsvortrag vom 20. März 1907 (vergl. Bericht in dieser Zeitschr.
Nr. 21) über den Fall Schneider, bei dem die Differentialdiagnose
liernia diaphragmatica bezw. Eventeratio diaphr. zur Diskussion
stand, mit, dass seither R i s e 1 - Leipzig in einem ähnlichen Fall, der
zur scheinbar wohlbegründeten Diagnose einer Eventeratio diaphrag¬
matica geführt hatte, bei der Autopsie eine geheilte traumatische
Hd'rnia diaphragmatica spuria sinistra feststellen konnte. Man wird
unter diesen Umständen zugeben müssen, dass selbst mit Hilfe der
Röntgendurchleuchtung intra vitam eine sichere Diagnose nicht zu
stellen ist. Es ist daher sehr wohl möglich, dass schliesslich C.
Hirsch im Falle Schneider mit seiner Annahme einer Hernia
diaphragmatica gegenüber der jetzt vorherrschenden Auffassung einer
Eventeratio diaphragmatica doch Recht behält.
Herr Leo: Geschichtliches aus Geburtshilfe und Gynä¬
kologie.
Unter Vorlegung der Originalien bespricht Vortr. die
Eigenarten der verschiedenen geburtshilflichen und gynäko¬
logischen Schriftsteller seit der Renaissancezeit.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Mohr:
Demonstration von Herzkranken.
Herr v. ßramann berichtet genaueres über die Indikations¬
stellung und die Technik der Kardiolyse.
V
Sitzung vom 15. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Herr Käthe: Ueber den Befund von Luft in den Lungen
eines intrauterin abgestorbenen Kindes.
Ausgehend von der Bedeutung, welche die Lungen¬
schwimmprobe, zum ersten Male praktisch verwertet durch
den Physikus Johann Schreyer, gelegentlich des Pegauer
Kindsmordprozesses im Jahre 1681, seither in der gerichtlichen
Medizin erlangt hat, erörterte Vortragender die verschiedenen
Momente, welche den Ausfall der Probe zu beeinflussen ver¬
mögen, sei es nach der negativen, sei es nach der positiven
Seite hin. In ersterer Beziehung kommt hauptsächlich die
Tatsache in Betracht, dass Lungen von Neugeborenen, welche
durch Atmung entfaltet gewesen sind, wieder völlig atelek-
tatisch werden können. Andererseits ist aber auch mit der
Möglichkeit zu rechnen, dass die Probe bei Lungen, die nach
der Geburt bestimmt nicht geatmet haben, deswegen positiv
ausfällt, weil ihnen künstlich (durch Schnitze sehe Schwin¬
gungen etc.) Luft zugeführt ist, oder weil sich in ihnen Fäulnis¬
gas entwickelt hat oder aber schliesslich deswegen, weil die
Frucht bereits intrauterin Luft bezw. Gas (Tympania uteri) ge¬
atmet hat. Nach Darlegung der einzelnen Bedingungen, unter
denen es zur Ansammlung von Luft bezw. Gas in der Gebär¬
mutterhöhle und zur Aspiration durch das Kind kommen kann,
besprach Vortr. einen Fall von intrauteriner Luftatmung, den
er seziert hatte und bei dem der Eintritt von Luft in das Cavum
uteri durch Anlegen der hohen Zange ermöglicht war. Gleich¬
zeitig legte er makroskopische und mikroskopische Präpa¬
rate vor.
Diskussion. Herr Schulz: Ich kann den Ausführungen
des Herrn Vortragenden in allen Punkten beistimmen. Auch ich bin
der Ansicht, «dass der Luftgehalt in den Lungen herriihrt von einem
Atmen während der Geburt. Die Gelegenheit hierzu war gegeben
bei den FZxtraktionsversuchen, die vor Einlieferung der Kreissenden
in die Klinik angestellt worden sind.
Im übrigen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen
Punkt lenken. Als ich die Brustorgane des Neugeborenen vor einigen
I agen sah, fand ich in der Nachbarschaft des lufthaltigen Lungen¬
herdes ein subpleurales Emphysem. Ein interstitielles und subpleurales
Emphysen werden häufig bei intrauteriner Erstickung, aber auch bei
1 od aus anderen Ursachen an den Lungen Neugeborener gefunden.
Puppe wollte sie als ein besonderes Zeichen der gewaltsamen Er¬
stickung durch weiche Bedeckungen angesehen wissen. Auf der vor¬
jährigen Naturforscher- und Aerzteversammlung in Stuttgart be¬
richtete er über einschlägige Beobachtungen anLeichenNeugeborener :
Es konnte ihm aber entgegengehalten werden, dass auch bei anderen
1 odesarten Emphysem dieser Art sich fände. Ich bringe diesen von
dem Herrn Vortragenden nicht erwähnten Befund deshalb vor, weil
er hier von neuem beweist, dass er auch bei anderen Todesarten an¬
getroffen wird.
Herr Veit sprach die Vermutung aus, dass infolge der ungün¬
stigen äusseren Verhältnisse, unter denen die Geburt stattfand, und
• infolge ihres protrahierten Verlaufes gasbildende Bakterien in den
Uterus eingeschleppt seien und zu einer Tympanie geführt hätten.
Vortragender widersprach dem mit dem Hinweis darauf,
dass sich dann in den Alveolen, die stellenweise Fruchtwasserbestand¬
teile enthielten, auch die Bakterien hätten finden müssen, dies war
jedoch nicht der Fall.
Herr Schepel mann sprach über Syringomyelie; nach einer
historischen Einleitung erörterte er die pathologische Anatomie, Sym¬
ptomatologie, den Verlauf und die Differentialdiagnose; besondere Be¬
rücksichtigung fanden die Lepra und die M o r v a n sehe Krankheit.
Sodann demonstrierte er einen 40 jährigen Patienten, der schon 1901
und 1904 in der medizinischen Klinik behandelt war. Patient hatte
von 1890 — 1895 der Fremdenlegion angehört und war in Afrika an der
Syringomyelie erkrankt. Der Herd musste — wie typisch — im mitt¬
leren und unteren Hals- sowie obersten Brustmark liegen und ziem¬
lich symmetrisch angeordnet sein. Die Medulla oblongata sowie die
Hinterstränge waren nur wenig befallen. An der Hand der früheren
Krankengeschichten Hess sich nachweisen, dass mit Sicherheit seit 6,
wahrscheinlich aber schon seit 9 Jahren ein ziemlich stationärer Zu¬
stand eingetreten war.
Herr Pfeifer: Herr Dr. Schepel mann erwähnte bei der
Beschreibung der Symptomatologie der Syringomyelie auch Störungen
der Schweissekretion und okulo-pupilläre Symptome. Einen der¬
artigen Fall, der uns vor etwa Vt Jahr von seiten der medizinischen
Poliklinik überwiesen wurde, hatte ich Gelegenheit, zu untersuchen.
Der Kranke hatte im Jahre 1897 ein Schädeltrauma erlitten. Im An¬
schluss hieran trat vermehrtes Schwitzen am Kopf, anfangs beider¬
seits, später nur auf die linke Kopfseite beschränkt, auf. Ferner ent-
wicklte sich eine Schwäche der Arme und schliesslich auch der
Beine. Luetische Infektion wurde negiert.
Die Untersuchung ergab starke, nur auf die linke Gesichts- und
vordere Kopfseite beschränkte Schweissekretion, Erweiterung der
linken Pupille und der linken Lidspalte, Atrophie der kleinen Hand¬
muskeln besonders links, sowie eine spastische Parese beider Beine.
Eine deutliche dissoziierte Empfindungslähmung war an der linken
oberen Extremität nicht nachweisbar. Sehr wahrscheinlich hat es
sich bei diesem Falle ursprünglich um eine durch das Trauma be¬
dingte, im 8. Zervikal- und 1. Dorsalsegment lokalisierte Hämato-
myelie gehandelt, aus welcher sich später eine Syringomyelie ent¬
wickelte.
Was die Beziehung der Syringomyelie zur M o r v a n sehen
Krankheit angeht, so herrscht heute fast allgemein die Anschauung,
dass es sich um ein und dieselbe Erkrankung handelt. Der Ausfall
sämtlicher Empfindungsqualitäten bei der M o r v a n sehen Krankheit
ist dadurch zu erklären, dass die Höhle, oder die dieselbe umgebende
Gliamasse sehr weit in das Gebiet der Hinterstränge sich hinein er¬
streckt und diese zerstört.
Herr Fries fragt, ob das Röntgenbild bei dem vorgestellten
Kranken an den Knochen der oberen Extremitäten, insbesondere an
den Fingerphalangen trophische Störungen aufweist.
Herr Schepelmann verneint dies.
Herr Mohn weist auf den Thorax en bateäu bei Syringomelie-
kranken hin, der nach seiner Ansicht auch bei diesen Kranken in Ent¬
wicklung begriffen ist.
Medizinische Gesellschaft in Kiel.
( Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Februar 1907 im Marinelazarett in Kiel.
Herr Rüge: Ueber Schlafkrankheit (gegenwärtiger Stand un¬
seres Wissens) mit Demonstrationen.
Sitzung vom 2. März 1907 in der Klinik für Hautkrank¬
heiten.
Herr Pfeiffer: Demonstration eines Falles von multipler
Periostitis typhosa.
23 jähriges Mädchen. Vor 8 Monaten schwerer Typhus. In der
6. Krankheitswoche Schwellungen und Schmerzen am linken Ober¬
schenkel, linken Unterschenkel und linken Orbitalrand, vor jetzt 5
Wochen schmerzhafte Schwellung am linken Unterarm. Bei der Auf¬
nahme am 26. I. 07 fanden sich periostale Schwellungen am linken
Unterarm, linken Unterschenkel (hier Ulzeration), rechten Unter¬
schenkel (von Patientin gar nicht bemerkt), linken Orbitalrand. Eiter
mit Typhusbazillen wurde am rechten Unterschenkel und linken
Unterarm nachgewiesen. Im Stuhl fanden sich keine Typhusbazillen.
Die Therapie bestand in Inzisionen, darnach schnelle Heilung,
am linken Unterschenkel unter Abstossung eines kleinen Knochen¬
sequesters.
Herr Klingmüller demonstriert 2 Fälle von schwerer ma¬
ligner Lues.
Bei dem einen Fall, 29 jährigen Mann, hatte bereits der Primär¬
affekt den Charakter eines schnell zerfallenden Geschwüres und
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1555
ebenso ulzerierten alle späteren Rezidive der Haut und Schleimhaut.
Besonders entwickelte sich im Rachen ein Geschwür, welches auf
weichen Gaumen, Gaumenbögen, Tonsillen, hintere Rachenwand und
bis auf die Epiglottis Übergriff. Besonders bemerkenswert war ferner,
dass sich an den Stellen von Hydrarg. oxycyanat. -
Einspritzungen (Injektion Hirsch) ebenfalls r u p o i d e Ge¬
schwüre entwickelten von demselben Charakter wie die
auch anderwärts auftretenden. Quecksilber wurde vertragen in
Form von Salizyleinspritzungen und Einreibungen, hatte aber keinen
endgültigen Heilerfolg, während Kalomelinjektionen prompt wirkten.
Jod und Zittmanndekokte wirkten verschlechternd. Das ausgedehnte
Geschwür im Rachen zeigte aber bald wieder die Neigung zur
Ausbreitung und führte zu einer Arrosion der Arteria thyreoidea Su¬
perior und einer Blutung, welcher der sehr heruntergekommene
Patient erlag. ( iVz Jahr nach der Infektion). Die Sektion ergab:
Amyloide Herde in der Leber und ulzeröse Veränderungen
im Rachen und Kehlkopfeingang.
Beim 2. Fall, 23 jähriges junges Mädchen, extragenitale Infektion,
Primäraffekt an der linken Tonsille, disseminierte ulzeröse Herde
und ausgedehntes talergrosses Geschwür an der hinteren Rachen¬
wand, sehr heruntergekommen, anämisch (60 — 65 Hgb.), wirkte Ka-
lomel prompt und sicher. Hydrarg. oxycyanat. (Injektion Hirsch)
hatte gar keinen spezifischen Erfolg und machte lang bestehende
Infiltrate mit langdauernden ausstrahlenden Schmerzen in den unteren
Extremitäten.
Im Anschluss an diesen Fall wird das hier nicht sehr seltene
Krankheitsbild der malignen Lues besprochen.
Herr Bering demonstriert die Kromayersche Ouarzlampe
und berichtet über günstige Wirkungen bei Lupus vulgaris, Lupus
erythematodes, Alopecia areata, Epheliden, Folliculitis barbae, Der¬
matitis lichenoides pruriens, Strophulus, Trichophytie, parasitären
und chronischen Ekzemen und Teleangiektasien.
Nach den bisherigen Erfahrungen scheint die Quarzlampe den
Finsenlampen in ihrer Wirkung überlegen zu sein.
Herr Bering: Ueber die Penetrationsfähigkeit des
Quarzlichtes, über die oxydierende und reduzierende Wirkung
des Lichts und über seinen Einfluss auf den Gesamtorganismus.
(Erscheint ausführlich im med. naturw. Archiv.)
Herr K li n g m ü 1 1 e r demonstriert einen Fall von Hydroa vac-
ciniforme mit ausgedehnten narbigen Veränderungen im Gesicht und
fast gänzlicher Erblindung, frische Blasen an den Händen: 2 Fälle
von Xeroderma pigmentosum aus der Familie, welche von
Nereer (Dissertation Kiel 1906) genauer beschrieben ist. Der
eine Fall zeigt multiple Kankroide im Gesicht.
Herr Bering demonstriert 2 mit Röntgenstrahlen behandelte
Fälle von Kopffavus, 2 Fälle von ausgedehnter Trichophytie am
Körper, welche mit der Quarzlampe auffallend günstig
beeinflusst und geheilt wurden, einen Fall von Lichen ruber atrophi¬
cans universalis und einen Fall von Lichen ruber planus universalis
mit ausgedehnten Pigmentierungen und Atrophien.
Herr K 1 i n g m ü 1 1 e r spricht über Therapie der Gonorrhöe
und setzt an einer sorgfältigen Statistik die Ueberlegenheit von mög¬
lichst früh einsetzender energischer Behandlung mit Protargol aus¬
einander. Vorzüge: Schnelles Dauerresultat. Verhütung von Kompli¬
kationen. (Wird an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht.)
Sitzung vom 4. Mai 1907 im Anschar-Krankenhaus.
Herr Ferd. Petersen stellt vor:
1. Einen Mann mit Oesophaguskarzinom, bei dem er vor bald
einem Jahre die Gastrotomie gemacht hat, und der sich nun teils
durch die Magenfistel, teils durch den Oesophagus sehr gut ernährt.
Im Anschluss daran werden noch andere Fälle von Karzinom des Ver¬
dauungskanals besprochen, bei denen die Kranken nach Ausschaltung
des Karzinoms noch jahrelang in leidlichem Wohlbefinden gelebt
haben.
2. Eine 28 jährige Plätterin, bei der ein Sanduhrmagen infolge
Ulcusnarbe bestand und die nun nach Beseitigung der nur eine Finger¬
kuppe durchlassenden Striktur und Ausführung der Gastroentero-
stomia antecolica wegen zugleich bestehender Verengerung des Py-
lorus sich sehr wohl befindet. Der Verf. setzt seine eigene Opera¬
tionsmethode auseinander.
3. Ein mikrozephales Kind mit doppelter Kieferspalte, Verwach¬
sung von Ober- und Unterkiefer, bei dem die zugleich bestehenden
Flügelhäute an den Beinen operativ entfernt worden waren.
Derselbe spricht dann über die Operation der Hasenscharte. Er
ist für möglichst frühzeitige Operation, weil dann die Kinder am
besten noch bei Kräften sind, die Missbildungen am vollständigsten
zurückgehen, die Kinder am ruhigsten sind und am wenigsten leiden
und macht sie am liebsten ambulant, damit die Kinder in ihren ge¬
wohnten Verhältnissen, bei derselben Ernährung etc. bleiben. Die
Blutung ist möglichst einzuschränken, was durch Kompression leicht
gelingt. P. schildert die verschiedenen Operationsmethoden und zu¬
letzt sein eigenes, modifiziertes H a g e d o r n sches, Verfahren. _
Die Kinder werden festgewickelt in aufrechter Stellung operiert,
Neugeborene und Kinder in den ersten Lebenswochen ohne Narkose.
Herr Hoppe-Seyler zeigt :
1. von ihm und Tollens angegebene Troikars und Hohl¬
nadeln für Brust-, Bauch- und Lumbalpunktion, welche mit einem
Schlauchansatz versehen sind und so die Druckmessung und Ent¬
leerung von Flüssigkeitsergüssen erleichtern, und spricht
2. über länger dauernde Entleerung der Zerebrospinalflüssigkeit
bei Meningitis mit Hilfe einer in die Lumbalgegend eingeführten Ka¬
nüle, durch die die Flüssigkeit unter konstantem Druck abfliesst.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 18. Februar 1907.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr Goldberg: a) Ueber Blutungen der Harnwege.
(Wird anderweitig publiziert.)
b) Bericht über die letzten 25 harnchirurgischen Opera¬
tionen.
Als „harnchirurgische“ Operationen fasst G. diejenigen zu¬
sammen, welche ohne Eröffnung der äusseren Bedeckungen im
Inneren der unteren Harnwege vorgenommen werden. Seine letz¬
ten 25 umfassen:
1. 10 interne Urethrotomien.
Alle Patienten hatten sehr alte, filiforme Strikturen; chronische
hochgradige Retentio urinae und meist auch Infektion; alle \yaren
erfolglos mit den Dilatationsmethoden vorbehandelt. Durchschnitts¬
alter 50 Jahre. Alle ohne Komplikation, vollständig, und — bei spä¬
terer Bougierung — dauernd heil. (Vergl. frühere Operationen
in D. Zeitschr. f. Chir. 19, wo Indikationen und Technik erörtert.)
2. 2 Extraktionen von Harnröhrensteinen.
3. 2 Bottinische Operationen, nach den in D. med.
Wochenschr. 1906 entwickelten Indikationen. 1 heil, 1 +.
4. 11 Litholapaxien.
Das Durchschnittsalter der Patienten — nur Männer — beirug
55 Jahre, über 60 waren 4, unter 60 — 6.
Kompliziert war die Lithiasis — abgesehen von den gewöhn¬
lichen Erscheinungen der Diathese — 2 mal mit Arteriosklerose,
1 mal mit Myokarditis, 1 mal mit Dialbetes mellitus.
In Narkose operierte ich 5, ohne Narkose 6 Patienten.
1 Patient (Myokarditis) starb 8 Tage p. op. an Apoplexie;
1 Operation blieb unvollendet; 9 wurden geheilt, nach einem Kranken¬
lager von durchschnittlich 2 — 3 Tagen, ohne andere postoperative
Komplikationen, als: 1 mal Blutung. 4 mal vorübergehende Harnver¬
haltung. Alle, bis auf 2 mit präexistenter chronischer schwerer
Zystitis, wurden mit klarem, eiterfreiem Harn entlassen.
Herr Vorschütz: Ueber schwere Distorsionen des
Fussgelenkes mit Demonstration von entsprechenden Röntgen¬
bildern. (Die Arbeit ist erschienen in der Deutsch. Zeitschr. f.
Chirurgie, Bd. 80, 1905, ref. d. W. 1906, No. 14, S. 665.)
Bei schweren Distorsionen im Fussgelenk kommt es nicht sel¬
ten zu einer messbaren Diastase zwischen Tibia und Fibula. Die
Messung geschieht mittels einer Schubleere, deren Branchen senk¬
recht auf den zum Unterschenkel im rechten Winkel stehenden Fuss
aufgesetzt werden müssen, um die Messung exakt vornehmen zu
können, da es sich nur um Grössen in Millimeter handelt. Auch
ist die Anfertigung eines Röntgenbildes sehr sorgsam und ge¬
nau vorzunehmen, da bei falscher Lagerung des Fusses Täu¬
schungen Vorkommen können. Diese schweren Distorsionen mit einer
Diastase sind so zu behandeln, als ob es sich um einen Knöchelbruch
handelte, da im Grunde genommen die Verhältnisse bezüglich der
später zu entstehenden Plattfiisse genau dieselben sind. Es bleibt
sich gleich, ob die Knochen oder die Bänder verletzt sind, auf
jeden Fall ist der Halt des Gelenkes durch die weite Bewegungs¬
möglichkeit der Talusrolle geschwunden und so dem Entstehen, des
Plattfusses Vorschub geleistet. Die Behandlung besteht am besten in
der Extension nach Bardenheuer, welche 12 Tage lang angelegt
wird und vom 6. Tage ab in der Strecke aktive und passive Be¬
wegungen empfiehlt. Die weitere Behandlung besteht in aktiven
Bewegungen vornehmlich in Supinationsübungen des Fusses und in
der Anwendung der heissen Luft. Auf Grund längerer Erfahrungen
wird angeraten, den Fuss 3 Wochen nicht zu belasten. Diese Dia-
stasen kommen für die Unfallheilkunde vor allem dort in Frage,
wo bei Distorsionen später ein Plattfuss eingetreten ist. ohne einen
Knochenbruch nachweisen zu können. Das Röntgenbild sichert in
solchen Fällen am besten die Diagnose.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. Mai 1 907.
Vorsitzender: Herr B a h r d t.
Schriftführer: Herr Ri ecke.
Herr S. Köster demonstriert:
1. Einen Fall von beginnender multipler Sklerose mu initialen
Augensymptomen (einseitigem zentralem Skotom).
B. Ernst, 25 Jahr, Postbote, wurde mit folgendem von der
Universitäts-Augenklinik (Prof. Birch - Hirsch fei d) erhobenen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Augenbefund zum Vortragenden geschickt: B. leidet an einem zen¬
tralen Skotom des linken Auges für Weiss und für Farben, Nystagmus
und Amblyopie. Peripheres Gesichtsfeld frei. Vielleicht besteht eine
geringe Hyperämie der Papille. Ich vermute Sclerosis multiplex.
Die Anamnese ergibt, dass die Augenstörungen seit dem 1-4. Lebens¬
jahr bestehen und dass sie besonders nach Schliessung des rechten
Auges auffällig werden. Wenn er scharf nach etwas sehen will,
muss er von der linken Seite sehen. Erst auf Befragen gibt Patient
an, dass er bei kaltem und feuchtem Wetter Steifigkeit in den Beinen,
besonders im rechten Beine verspüre. Sonst keine Beschwerden.
Objektiv ist, abgesehen von den sehr charakteristischen Augen¬
symptomen nur eine Steigerung der Patellarsehnenreflexe, Andeu¬
tung von Fussklonus und ein leichter Grad von Spasmus in beiden
Beinen, besonders dem rechten, vorhanden. Der Gang ist nicht
ausgesprochen spastisch, die Stiefel werden an den Spitzen zuerst
abgenützt. Vortragender betont unter Hinweis auf die Literatur
die Bedeutung des Augenbefundes für die Diagnose der multiplen
Sklerose zu einer Zeit, wo die ausgesprochenen anderweitigen Ner-
vensymptome (Zittern, Sprachstörung usw.) noch völlig fehlen
können.
2. Einen Fall von spastischer zerebrospinaler Paralyse mit zen¬
tral bedingter Amblyopie.
Kr. Martha, 12 Jahr, Brauerskind, wurde von der Universitäts-
Augenklinik mit dem Befunde des Herrn Prof. Bielschowsky
zugeschickt, dass die Kranke „höchstgradig amblyopisch ist, ohne
dass der Augenbefund eine entsprechende Unterlage dafür gibt“.
Der Vater ist an Lungentuberkulose gestorben, soll nicht luetisch
gewesen sein, die Mutter und eine 14 jährige Schwester sind körper¬
lich und geistig gesund. Als das rechtzeitig und glatt geborene
Kind ca. Ws Jahr alt war, fiel den Angehörigen die Steifigkeit der
unteren Extremitäten und des linken Armes auf. Schon im Jahre
1896 wurde in der Augenklinik festgestellt, dass die nur etwas
blassen und von Pigment umsäumten Papillen kefne pathologische
Veränderung aufwiesen und dass vorgehaltene Gegenstände richtig
erkannt wurden. Nach nunmehr 11 Jahren ist derselbe Augen¬
befund zu erheben. Sie kann über die Strasse herüber keinen Gegen¬
stand erkennen, wohl aber farbige Eindrücke auf 1 — 2 m wahrnehmen.
Sehr grosse Buchstaben erkennt sie mit Mühe, macht aber wegen
ihrer Amblyopie im Schreiben nur geringe Fortschritte. Die Glieder¬
steifigkeit hat mit der Zeit zugenommen und seit Vs Jahr treten
nach Aufregungen Krämpfe von 3 — 5 Minuten langer Dauer auf, bei
denen das Bewusstsein erhalten bleibt. Der Mund und der Kopf
werden zuerst ruckweise nach links verzogen und dann fangen die
Extremitäten an zu zucken. Kein Zungenbiss, kein Urinabgang. Nach
dem Anfall Müdigkeit aber keine Amnesie. Objektiv findet sich
ausser der Amblyopie eine leichte Erweiterung und etwas trägere
Reaktion der linken Pupille und ein irregulärer Nystagmus. Dazu
kommt die mit Steigerung aller Sehnenreflexe verbundene spastische
Versteifung aller Glieder, die durchaus dem gewöhnlichen Bilde ent¬
spricht. Nur der rechte Arm hat etwas geringere Spasmen. Das
Kind ist so steif, dass es nicht gehen und stehen kann, sondern
getragen werden muss. Auffallend ist die Hyperextension der grossen
Zehen. Das B a b i n s k i sehe Phänomen ist schön vorhanden. Psy¬
chisch ist die Kranke als imbezill zu bezeichnen, doch ist ihre psy¬
chische Inferiorität nicht grösser als bei vielen anderen Kranken mit
angeborener oder erworbener spastischer Zerebrospinalparalyse. Es
ist diese Feststellung wegen der differentialdiagnostisch allein in Be¬
tracht kommenden Sachs sehen familiären Idiotie von Wert. Bei
dieser ist aber ausser einer spastischen oder schlaffen Lähmung
der Glieder stets eine Optikusatrophie die Ursache der Erblindung
bei den idiotischen Patienten. Im vorliegenden Fall fehlt erstens der
familiäre Charakter des Leidens und zweitens besteht keine Optikus¬
atrophie, sondern die peripheren Verhältnisse sind an beiden Augen
ophthalmoskopisch normal. Die Sehstörung muss also zentral be¬
dingt sein und es liegt bei Würdigung des dem klinischen Bilde zu
gründe liegenden anatomischen Substrates nahe, die Ursache der
Amblyopie in kortikalen resp. subkortikalen enzephalitischen Hirn¬
veränderungen zu suchen. Vortragender weist auf die ausserordent¬
liche Seltenheit der demonstrierten Augenkomplikation hin, für die
er bisher noch keinen analogen Fall in der Literatur gefunden hat.
3. Einen Fall von Tabes dorsalis mit doppelseitiger Abduzens¬
lähmung, beginnender Optikusatrophie und Insuffizienz und Stenose
der Aorta.
K., 40 Jahr, Arbeiter. Im Jahre 1892 luetische Infektion. Fast
nicht mit Hg behandelt. Nach Jahren langsame Entwicklung einer
Tabes. Subjektiv lanzinierende Schmerzen, grosse Unsicherheit beim
Gehen, Abnahme der Sehkraft. Keine Störung der Blase und der
Potenz.
Seit Januar 1907 Doppeltsehen beim Blick nach links und nach
rechts. Dazu öfters Herzklopfen. Objektiv Verlust der Patellar-
reflexe, Analgesie der Unterschenkelhaut, Hackengang, Romberg, re¬
flektorische Pupillenstarre, beginnende Optikusatrophie, doppelseitige
Abduzenslähmung (Augenklinik, Prof. Bielschowsky).
Hebender und nach aussen von der Mammillarlinie verlagerter
Spitzenstoss im 5. Interkostalraum, typisches Sägegeräusch über der
Aorta. Pulsus celer.
Vortragender bespricht die Vorliebe des luetischen Giftes für
die Aorta und hält unter Berücksichtigung der in der Literatur nie¬
dergelegten Erfahrungen die Koinzidenz von Tabes mit Insuffizienz
und Stenose der Aorta auch im vorliegenden Fall nicht für etwas
Zufälliges.
4. Einen Fall von postdiphtherischer multipler Neuritis bei einem
24 jährigen Landwirt.
B. Kurt. Vom 1. — 27. Januar 1907 eine so mild verlaufende
Diphtherie des Gaumens und der Tonsillen, dass der behandelnde
Arzt von der Heilserumeinspritzung absah. Mitte Februar näselnde
Sprache und Unfähigkeit zu lesen. Anfang März verschwanden diese
Beschwerden. Den ganzen Februar hindurch bis zum 12. März hatte
Patient wieder gearbeitet. In der 2. Märzwoche stellte sich eine
rasch zunehmende grosse Schwäche in den Armen und Beinen ein,
sodass er am 12. März die Arbeit niederlegen musste. Gleichzeitig
mit der Parese der Extremitäten stellten sich heftige Schmerzen in
beiden Waden und Gefühlsvertaubungen in den Füssen sowie in
beiden Händen (besonders intensiv in beiden Ulnarisgebieten) ein.
Die vom N. ulnaris versorgte Handmuskulatur zeigte deutlichen
Funktionsausfall. Keine Blasenstörung. Objektiv bestand Ende März
grosse motorische Schwäche (er konnte nicht 5 Minuten gehen und
mit den Händen nichts festhalten). Druckempfindlichkeit der M.
tibiales in beiden Waden und hinter dem inneren Knöchel, Verlust
der Patellar- und Achillessehnenreflexe und starkes Schwanken bei
Augenfussschluss. Damals wie auch noch heute waren objektiv
keine 'deutlichen Gefühlsstör-ungen nachweisbar, ebenso fehlten bis
heute Erscheinungen von Seiten des Herzens. Das Romberg-
sche Phänomen und die Gliederschwäche haben durch Anwendung
von Bädern und Elektrizität zwar abgenommen, sind aber noch vor¬
handen. Die Patellar- und Achillessehnenreflexe fehlen noch. Vor¬
tragender weist darauf hin, dass die toxischen Nacherkrankungen am
Nervensystem und am Herzmuskel bei Diphtherie sich einstellen, ob
mit Heilserum behandelt worden ist oder nicht.
5. Einen Fall von Lähmung des rechten N. accessorius, des
rechten N. sympathicus bei gleichzeitiger, durch Aortenaneurysma
bedingter rechtsseitiger Rekurrenslähmung.
K. Henriette, 54 Jahr. Arbeiterin. Im August 1906 bei Feldarbeit
Erkältung mit unmittelbar nachfolgenden heftigen Schmerzen in der
rechten Halsseite. Nach 4 Wochen deutlicher Muskelschwund am
Halse und der rechten Schulter. Im November durch Laryngologen
(Herr Dr. T h i e s) Feststellung einer rechtsseitigen Rekurrensläh¬
mung. Jetzt Klagen über Heiserkeit, Atemnot bei jeder Anstrengung,
Funktionsbehinderung bei Seitwärts- und Vorwärtsheben des rechten
Armes und Schweregefühl in der rechten Schulter. Augenblick¬
licher Befund: Typische Lähmung des ganzen rechten M. cucullaris
mit Schaukelstellung des Schulterblattes, Vorwärtsdrängung der
rechten Klavikula; Abstand des rechten Angulus scapulae von der
Mittellinie 11cm, der des linken 7 cm. Verbreiterung des Rückens.
Zurückbleiben der rechten Schulter bei der Atmung. Vikariierende
Hypertrophie des rechten M. levator anguli scapulae. Völliger
Schwund des auch elektrisch nicht mehr erregbaren M. sternocleido-
mastoideus. Der M. cucullaris ist bei promptem Zuckungsablauf
herabgesetzt erregbar. Erschwerung der Schulter- und Arm-*
hebungen. Dazu kommt eine Verengerung der rechten Pupille und bei
schroffem Temperaturwechsel Hitzegefühl und Rötung der beständig
trockenen rechten Wange. Ueber dem oberen Sternum eine Dämp¬
fung, Pulsation im Jugulum, rauhes systolisches Geräusch über der
Aorta, differenter Puls. Vortragender führt die rechtsseitige Re¬
kurrenslähmung auf die aneurysmaähnliche Erweiterung der Aorta
zurück. Die Lähmungen des N. accessorius und des Sympathikus
der rechten Seite haben ihre gemeinschaftliche Ursache wahrschein¬
lich in einem chronisch neuritischen Prozess rheumatischen Ur¬
sprunges. Dafür spricht ausser den anamnestischen Angaben der Um¬
stand, dass sich die Halsnerven und der Plexus brachialis der rechten
Seite noch jetzt als druckempfindlich erweisen. Tumoren am Fo-
ramen jugulare oder an der Schädelbasis waren auszuschliessen.
6. Einen Fall von syphilitischer Epilepsie.
R. Arthur, 34 Jahre, Schlosser. Infektion und Potatorium negiert,
ist unverheiratet. Im Jahre 1905 zum ersten Mal Krämpfe mit Hitze-
gefiihl im Kopf und Ucbelkeit als Aura. Bei einem Anfall im Warte¬
zimmer der Poliklinik plötzliches Hinstürzen, tonisches Stadium mit
Zyanose und Eintritt vieler kleiner Hautblutüngen im Gesicht und am
Halse und einer grösseren konjunktivalen Blutung, dann klonisches
Stadium. Während des ganzen, 5 Minuten dauernden, Anfalles Ver¬
lust des Pupillar- und Sehnenreflexes und tiefe Bewusstlosigkeit.
Nachher Müdigkeit und Kopfschmerz. Seither im ganzen 6 Anfälle
zuweilen mit Zungenbiss und einmal mit Fraktur des Nasenbeines.
Anfang Januar 1906 plötzlicher Verlust der Potenz und völlige Blasen¬
lähmung. Der Urin geht Tag und Nacht unfreiwillig ab. Objektiv
mässiger Stupor, Bissnarbe quer über die Zungenspitze, verbogenes
Nasenbein, Steigerung der Patellarreflexe und Erhaltensein der Kre-
masterreflexe. Durch Jodkali Rückgang der Blasenlähmung, sodass
die Hose tageweise trocken ist und leichteres Auftreten der letzten
2 Anfälle. Vortragender setzt auseinander, dass die sogen, syphi¬
litische Epilepsie sich von der genuinen symptomatologisch nicht
unterscheidet. Das erstmalige Auftreten der Krämpfe im 30. Lebens¬
jahr schliesst die Anwesenheit einer genuinen Epilepsie von vorn¬
herein aus. Für eine traumatische Aetiologie fehlte jeder Anhalts¬
punkt, Blei oder andere epileptogene Gifte haben nicht eingewirkt.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1557
für Alkoholmissbrauch fehlen alle Anhaltspunkte. Dagegen spricht
das plötzliche Auftreten von Harn- und Potenzverlust nach ein¬
jährigem Bestehen der Epilepsie bei dem 33 jährigen Manne für die
luetische Natur sowohl der spinalen Symptome als auch der Epi¬
lepsie. Die Neigung der Syphilis, sich zugleich an mehreren Stellen
des Nervensystems und in verschiedener Weise zu äussern, ist be¬
kannt. Ob die Epilepsie im vorliegenden Falle nur toxischen Ur¬
sprungs ist, oder ob ein Zusammentreffen mit organisierten Störungen
in Frage kommt, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Für das aus¬
gezeichnete Ausfallssymptom der Blasenlähmung ist jedenfalls ein
spezifischer spinaler Herd als Ursache anzunehmen. Für die luetische
Natur des gan2ife!^i Symptombildes spricht schliesslich seine glückliche
Beeinflussung Uürch Jodkali.
Herr R o 1 1 y spricht über die Ursache des scheinbar
aeroben Wachstums von Anaerobiern in flüssigen Medien,
welche Organstückchen enthalten, und den Wert solcher
Untersuchungsweisen für die pathologische Diagnostik.
Untersuchungen, welche R. in früheren Jahren angestellt
hat, haben ihm gezeigt, dass es nicht gelingt, die Anaerobier
bei Anwesenheit von O zu züchten. Um so auffallender waren
ihm die in letzter Zeit über diesen Gegenstand publizierten
scheinbar positiven Erfolge anderer Autoren. Die Versuche
dieser (z. B. Harras: Münch, med. Wochenschr. 1906, p. 2237)
waren u. a. so angeordnet, dass zu steriler Bouillon Stückchen
tierischen, aber auch pflanzlichen Gewebes hinzugegeben
wurden.
R. demonstriert diese Versuche, welche zeigten^ dass in der
Tat in derartig steriler Bouillon, welche Kartoffel- oder Organ¬
stückchen enthielt, verschiedener Anaerobier sehr gut gediehen,
während in Kontrollröhrchen ohne diese Zutaten keine Anaero¬
bier fortkamen. Auch bei öfters vorausgegangener Sterilisation
der Bouillon mit den Kartoffelstückchen kamen die Anaerobier
sehr gut zur Entwicklung.
Nun ist seit Ehrlich (1885) bekannt, dass die Reduktions¬
kraft eine Fundamentaleigenschaft des Protoplasma ist. Es
war nicht ausgeschlossen, dass derartige Kartoffel- oder Organ¬
stückchen in der Bouillon reduzierend wirken und für die
Aerobier alsdann anaerobe Bedingungen hersteilen würden.
In der Tat zeigte sich, dass bei Verwendung von Lackmus
und Methylenblau eine deutliche Reduktion in der Organ- oder
Kartoffelbouillon bei ruhigem Stehen der mit Watte verschlos¬
senen Röhrchen hervorgerufen wurde. Die Entfärbung des
Methylenblau und Lackmusfarbstoffes infolge der Reduktion
wurde zuerst manchmal schon nach ein paar Stunden am
Boden des Gläschens sichtbar, breitete sich von da im Verlaufe
der nächsten Stunden und Tage nach der Oberfläche des Röhr¬
chens zu aus, um alsdann nach 2 — 3 Wochen wieder langsam
zurückzugehen. Die oberflächliche Schicht wird niemals ent¬
färbt, sondern hier wirkt der O der Luft den Reduktionspro¬
zessen in der Flüssigkeit entgegen, indem derselbe nach der
Tiefe zu diffundiert.
Sogar nach 4 monatlichem ruhigem Stehen der Röhrchen
(Demonstration), wobei stets durch den Wattepfropf leicht der
0 der Luft zutreten kann, kann man sehr oft eine Reduktion
des Methylenblau in der Tiefe der Flüssigkeit noch nachweisen.
Schliesst man ein Kartoffelbouillonröhrchen, welches man
vorher mit Methylenblau versetzt hat, mit einer dicken Schichte
Paraffin oben ab, so wird allmählich fast sämtliches Methylen¬
blau reduziert (Demonstration von solchen Röhrchen, welche
3 Monate alt sind); öffnet man alsdann derartige Röhrchen und
schüttelt mit Luft, so wird die Bouillon wieder blau, was Vor¬
tragender demonstriert.
Ferner zeigt R. Kulturen von Bact. phosphoreum, welche
im Dunkeln in gewöhnlicher Bouillon leuchten, verimpft man
dieselben aber in Bouillon, welche Stückchen von Kartoffeln
oder Organteilen enthalten, so leuchten sie nicht.
Wurde Bouillon mit Kartoffelstückchen mit einem An¬
aerobier geimpft und vermittels eines Schüttelapparates oder
durch Einblasen von O behandelt, so blieb das Wachstum aus.
Bei gleichem Verfahren gediehen Aerobier ausgezeichnet.
Es steht mithin durch diese Versuche fest, dass die Ge¬
websstückchen in der Bouillon reduzierende
Eigenschaften besitzen, infolgedessen es
den Anaerobiern möglich ist, sich zu ent¬
wickeln. Fangen letztere an, sich zu vermehren, so dürfte
alsdann in einem derartigen Röhrchen das weitere Wachstum
sehr ausgiebig von statten gehen, insofern z. B. in der Kartoffel¬
bouillon die Anaerobier die Stärke der Kartoffel rasch zer¬
setzen und u. a. besonders CO-> bilden. Es wird sich die ganze
Bouillon mit COa sättigen, ausserdem auf der Oberfläche der¬
selben sich die schwerere CO2 auflegen. Auf diese Weise
dürfte in solchen Kulturen das anaerobiotische Wachstum
weiterhin sehr befördert werden.
Ferner wird demonstriert, dass eine reduzierende Eigen¬
schaft — sichtbar an der Entfärbung des Methylenblau
den Kartoffelstückchen in festen Nährböden (Agar) nicht inne¬
wohnt. Es ist infolgedessen auch unmöglich, die Anaerobier
auf derartig festen Nährböden in Petri sehen Schalen etc. zu
züchten. Scheinbar ist die reduzierende Wirkung an einen ge¬
wissen Flüssigkeitsgehalt des umgebenden Mediums gebunden.
Was die Bedeutung dieser Züchtung der Anaerobier für
die menschliche Pathologie anlangt, so wird darauf hin¬
gewiesen, dass die Züchtung in der Kartoffelbouillon sehr ein¬
fach gegenüber den anderen jetzt gebräuchlichen anaerobio-
tischen Züchtungsmethoden ist, dass es allerdings nicht gelingt,
die Bakterien von einander zu isolieren. Immerhin ist es zu
empfehlen, die so einfache Methode in der Pathologie anzu¬
wenden und R. berichtet von einem Fall von puerperaler
Sepsis, woselbst es gelungen ist, den Bac. emphysem. Fränkel,
einen obligaten Anaerobier, auf diese Weise aus dem Blute
der Patientin intra vitam zu züchten.
Herr v. Criegern demonstriert:
1. Einen Fall von Morbus Addisorti. Behandlung mit synthe¬
tischem Suprarenin.
2. Einen Fall von Hemiplegie. Besserung im Spätstadium. The¬
rapeutische Anämisierung durch Stauungsbinde.
3. Einen Fall von rezidivierender Pleuritis mit Anwendung eines
Druckapparates.
4. Einen Fall von Struma: Mediastinaltumor. Rückbildung durch
Radium.
5. Einen Fall von Gesundheitsschädigung durch Falkenberger
Gichtwasser.
Herr Rille: Demonstration eines Falles von Favus.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 12. Juli 1907.
Da die Eingabe an das Staatsministerium vom 16. März 1906
zum Teil missverstanden, zum Teil als zu weitgehend erachtet wor¬
den war, wurde die Gesellschaft zur Ausarbeitung neuer Vorschläge
in Sachen der Hebammenausbildung seitens des Obermedizinalaus¬
schusses aufgefordert. Diese Neubearbeitung durch eine Kommission
war Gegenstand der letzten Sitzung und gelangte zur Annahme nach
einer kurzen erläuternden Generaldiskussion.
Die Durchsprechung der früheren Eingabe im Obermedizinal-
ausschusse in Gegenwart der Herren Prof. S e i t z und Pfaundler
und die bekannt gewordenen Gutachten von Leitern von Gebär- und
Hebammenanstalten dürfen eine gewisse Denkwürdigkeit bean¬
spruchen — nicht durch die Grösse und Fortschrittlichkeit in den An¬
schauungen der letztgenannten.
Die Regierung bekundete offenbar grösseres Verständnis und
Entgegenkommen gegenüber den Forderun'gen der Kinderheilkunde,
welchen in ihrer neuen Fassung voraussichtlich ein günstigeres Ge¬
schick beschieden sein wird.
Im Verlaufe der Sitzung stellte Mennacher: 1. einen typischen
Fall von Myxödeme fruste (4 jähr. Mädchen) vor, 2. anatomische Prä¬
parate eines früheren Krankheitsfalles, 3. Lumbalhernie durch Faszie
und Muskulaturdefekt links (Kolon und Niere). Spiegel b erg.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Januar 1907.
Herr Weygandt: Ueber die Frage syphilitischer Anti¬
stoffe in der Zerebrospinalflüssigkeit bei Tabes dorsalis.
Anschliessend an die Untersuchungen von Wasser-
m a n n und Plaut, welche bei Paralytikern in der Spinal-
f Rissigkeit durch die Methode der Komplementablenkung spe¬
zifisch-syphilitische Antistoffe nachweisen konnten, ist Wey¬
gandt diesem Problem bei der Tabes dorsalis in einer einst¬
weilen allerdings nur beschränkten Zahl von Fällen näher ge¬
treten. Bei Weygandts Versuchen war der Ambozeptor
wirksam für Rinderblutkörperchen, als Komplement diente
Meerschweinchenserum. Das Komplement wurde in 13 fach
abgestufter Verdünnung (0,004 bis 0,07) zugesetzt, ein Zusatz
1 558
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
von Karbol, der stören kann, vermieden. Zur Kontrolle wurden
neben der Spinalflüssigkeit die Versuche auch mit normaler und
luetischer Milz angestellt. Auf Grund der Versuche liess sich
einp irgendwie spezifische Reaktion nicht erkennen. Es
ist vielmehr zu vermuten, dass in normaler Milz schon irgend
welche Eiweisskörper vorhanden sind, die die Hämolyse
hemmen und vor allem unter Zusatz von Spinalflüssigkeit in
ausgedehntem Masse hemmen können. Das bedingt eine
Mahnung zur äussersten Vorsicht bei ähnlichen Versuchen.
Sitzung vom 28. Februar 1907.
Herr J. Müller: IJeber Blutbrechen bei Hysterischen.
Fine 27 jährige Gutsbesitzerstochter, in deren Familie Nerven¬
krankheiten nicht stark hervorgetreten waren, litt als Kind an häufi¬
gen „Ohnmächten ‘, die regelmässig beim sonntäglichen Besuch der
Kirche aufzutreten pflegten, so dass man sie stets hinaustragen
musste. Ferner bestand Neigung zu Kopfweh und halbseitigem Ge-
sichtsschrnerz. Mit 20 Jahren zum ersten Mal typischer hysterischer
Anfall mit allgemeinen Krämpfen, der sich seither jedes Jahr ein
oder mehrere Male wiederholte und ausnahmslos spät abends ein¬
trat. Das Bewusstsein war während der Anfälle wohl getrübt, aber
nicht völlig aufgehoben.
Der Appetit war stets gering, nicht selten wurden die ge¬
nossenen Speisen erbrochen, und zwar ebenfalls in der Regel spät
abends. Der Schlaf ist von jeher sehr schlecht. Meist liegt die
Patientin den grössten Teil der Nacht wach, hat aber trotzdem am
läge keine besondere Müdigkeitsempfindung. Vor 4 Jahren trat im
Anschluss an die Menses zuerst eine Hämatemesis und Schwarz¬
färbung des Stuhls ein, worauf eine Ulcuskur verordnet wurde. Die
Hämatemesis wiederholte sich seither 3 — 4 mal, wie früher stets
aberids. In den Zwischenzeiten funktionierte der Magen ohne be¬
sondere Beschwerde, im Gegensatz zu sonstigen Ulcuskranken wirkte
lebhafte Bewegung in frischer Luft, ja sogar Reiten stets günstig.
Januar 1907 Lintritt in die Behandlung des Vortragenden: Im
Anschluss an die Menstruation stellt sich ein typischer hysterischer
Krampfanfall mit allgemeinen Konvulsionen ein, einige Tage später
abends, nach vorausgegangenem Globusgefühl, unter heftigem lang¬
dauernden Würgen Erbrechen von ca. % Liter einer Flüssigkeit, die
zum grösseren Teil aus Speichel besteht, daneben aber beträchtliche
Mengen eines mit Blut gleichmässig durchsetzten Schleims enthält.
Das Blut ist zum Teil in Hämatin übergeführt, stammt also aus dem
Magen. Wiederholung der gleichen Anfälle von Hämatemesis an
3 Abenden, dann gelingt eine Unterdrückung des Erbrechens durch
Belladonna-Morphium-Suppositorien. Die Kranke erholt sich rasch,
die zunächst noch vorhandenen Magen- und Oesophagusschmerzen
verschwinden in wenigen Tagen und abgesehen von Mangel an
Esslust, beträchtlicher Oligurie und der alten Schlaflosigkeit bestehen
keine Beschwerden mehr, bis beim Eintritt der nächsten Menses sich
Krampfanfälle und Hämatemesis wiederum einstellen. Es wird die
1 athogenese dieser zweifellos hysterischen Magenblutungen er¬
örtert und über ähnliche Beobachtungen aus der Literatur berichtet.
Sitzung vom 6. Juni 1907.
^rr E 1 ö r c k e n : Zur Kasuistik der Extremitätenmissbildungen.
(Mit Demonstrationen.)
Fl. demonstriert eine Reihe von Extremitätenmissbildungen, z. T.
epidiaskopisch, z. I . in vivo. Nach Demonstration zweier Fälle von
Hexadaktylie (54 jährige Frau mit Doppelbildung beider Phalangen
des rechten Daumens und 2 jähriger Junge mit analoger Doppelbil-
duni»; beider grosser Zehen) zeigt Vortragender Photographie und
Rontgembild einer Oktodaktylie des linken Fusses (4 Monate altes
Mädchen). Das aus gesunder Familie — keine kongenitalen Missbil¬
dungen sonst bekannt — stammende Kind hat am linken Füsschen
N \ unentwickelte Zehen; jeder Zehe entspricht ein gut ausgebildeter
Metataisus, auf den bei der 1. und 4. Zehe je 2, bei den übrigen
je 3 Phalangen folgen. Nach Messung und Palpation musste eine
Ueberzahl auch der I arsalknochen vorhanden sein, das Röntgenbild
gibt wegen noch fehlender Ossifikation leider darüber keinen Auf¬
schluss. Funktion aller Zehen gut. Durch eine Art Ovalärschnitt
exartikulierte Fl. die 3 tibialen Zehen im Metatarsotarsalgelenk und
schrägte das vorspringende Tarsalstück ab; das kosmetische Resultat
war danach ein sehr gutes.
-n ,,Kin Fall von totaler Syndaktylie der rechten Hand bei einer
-U jährigen 1 atientin mit hereditär absolut negativer Anamnese be-
schliesst die epidiaskopische Demonstration. Die drei radial ge¬
legenen Finger tragen gemeinschaftlichen Nagel, der 4. und 5. Finger
sind durch je eine ganz seichte Furche von den übrigen getrennt
Das Röntgenbild zeigt eine Synostose am Ende der Nagelphalangen
bt_i den 3 radialen 1 ingern, die Syndaktylie mit den übrigen Fingern
ist eine kutane. Ausserdem fehlt bei sämtlichen 4 ulnaren Fingern
je eine 1 halanx, die Grundphalanx des 3. Fingers zeigt noch einen
Defekt der ganzen proximalen Hälfte.
Vortragender geht dann auf die Kasuistik, Genese und Therapie
(.Ili o,\ dakt\ lie ein und bespricht besonders die auf die meisten der
demonstrierten Fälle anwendbare amniogene Genese an der Hand
der Experimente von T o u r n i e r und von B a r f u r t h. Die von
anderen Autoren beobachtete Erblichkeit bei derartigen Missbil¬
dungen spielt in keinem einzigen der demonstrierten Fälle eine Rolle
Chirurgisch-therapeutisches Vorgehen ist geboten nur bei
arger Verunstaltung der Fuss- oder Handformen (Oktodaktylie),
Hexadaktylien können gut unoperiert bleiben, werden aber gewöhn¬
lich auf Drängen der Angehörigen operativ angegriffen.
Bei der Genese der seltenen totalen Syndaktylie haben intra¬
uterine Druckverhältnisse wohl eine Rolle gespielt.
Es folgt sodann die Demonstration zweier Patienten, eines ein-
jährigen Jungen mit Doppelbildung der Endphalanx der linken grossen
Zehe und Crus varum cong. derselben Extremität, sowie eines
/s jährigen Mädchens mit kongenitalem totalem Fibpladefekt, par¬
tiellem Defekt des fibularen Tarsus sowie der fibularen Zehen.
Für die Genese der kongenitalen Strahldefekte sind ebenfalls
intrauterine Druckverhältnisse verantwortlich gemacht, eine Art
Längsnarbe an der Tibia im vorliegenden Falle deutet auf ein intra¬
uterines Trauma hin.
Die auch beim Fibuladefekt beobachtete Heredität (R i d d e r)
ist hier wiederum negativ.
Stellt sich später eine Verkürzung ein, so kann man nach
Franke eine Arthrodese zwischen hinterer Kalkaneusfläche und
distaler Tibiaepiphyse in Equinusstellung machen.
L Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 24. Juli 1907.
Demonstrationen:
Herr Gräffner: Frau mit Ochronose, der erste Fall dieser
Krankheit, der lebend demonstriert wird, während von dem ersten in
vivo von L. Pick diagnostizierten nur die Leichenorgane vor Wz
Jahrer in dieser Gesellschaft gezeigt worden waren.
Diese von V i r c h o w bekanntlich zuerst beschriebene Affektion
besteht in einer Braunfärbung der Knorpel und der Haut, zuweilen
mit schwarzen Flecken in den Schleimhäuten und auf der Kornea.
Ihre Ursache war unaufgeklärt, bis Pick die Ansicht aufstellte, dass
es sich um Folgen einer chronischen Karbolintoxikation
handelt; denn sowohl in P i c k s Falle, wie vorher in einem englischen
(Pope), als auch in dem Falle Graeffners hatten die Patienten
Unterschenkelgeschwüre, die sie jahrzehntelang mit Karbolumschlägen
behandelt hatten. In den Fallen von Ochronose, in welchen auch
Alkaptonurie bestand (Nachdunkelung des Harns) war Karbolsäure
nicht im Spiele.
Diskussion: Herr v. Hansemann: In seinem Falle, in
dem der Urin tintenschwarz wurde, spielte die Karbolsäure sicherlich
keine Rolle. Es müsse also mindestens 2 Arten von Ochronose geben.
Herr L. Pick: Man müsse eine endogene und eine exogene
Ochronose unterscheiden. Bei letzterer ist die Karbolsäure das zur
Pigmentierung führende Moment, wie er dies vor Wz Jahren näher
ausgeführt.
Herr Westenhoefler: Unter Hinweis auf Goldschei¬
ders Vortrag vor 8 Tagen demonstriert er mehrere Thoraces, aus
welchen hervorgeht, dass die Lungentuberkulose niemals
vorn beginnt, sondern immer hinten (B i r c h - H i r s c h f e 1 d s
Bronchialgeschwür im hinteren apikalen Bronchus), dass die Anfänge
also durch die Goldscheider sehe Methode der Perkussion gar
nicht erreicht werden, diese also der Auskultation bei beginnender
Phthise nicht überlegen sein könne.
Diskussion: Herr Goldscheider: Gerade die hinten
sitzenden Anfänge der Tuberkulose sollten durch seine Methode nach¬
gewiesen werden, wie e# auf Grund eingehender anatomischer Er¬
wägungen und Beobachtungen für möglich halte; natürlich lasse sich
das Birch-Hirschfeld sehe Bronchialgeschwür nicht per-
kutieren, wohl aber seine nächsten Folgezustände. Von den Lymph-
drüsen, die Western hoeffer in letzter Sitzung erwähnt, habe
dieser heute ganz geschwiegen. Sie dürften also als erledigt betrachtet
werden.
Herr Westenhoeff er: Keineswegs. Der eine Thorax zeige
eine unter dem Muse, sternocl. sitzende geschwollene Lymphdriise,
die in vivo nicht zu fühlen war und doch die Perkussion beeinflussen
konnte.
Herr Milchner: Anguillulae intestinales aus dem Stuhlgang
eines an Cochin china diarrhöe leidenden, seit 4 Jahren
kranken, seit 2 Jahren aus Atchin zurückgekehrten Mannes. Tannin-
klystiere beseitigten schnell die Diarrhöe und verminderten die Zahl
der Würmer, woraus auf die ätiologische Bedeutung derselben zu
schliessen sei.
Herr G. Klemperer: Einige Nierensteine, darunter eine
Serie kleiner Steine, die bei einem Kollegen nach Einnahme von
200 g G 1 y z e r i n abgegangen waren. Er habe sonst vom Glyzerin
keine solche Wirkung gesehen, in diesem Falle könne man dies wohl
nicht einfach absprechen.
Ferner den Magen eines mit Escalin behandelten Hundes, an
welchem die von Bickel in letzter Sitzung erwähnten üblen Folgen
des Escahns nicht zu sehen sind. Was die angeblich schädliche saft-
befordernde Wirkung des Escalins betrifft, so zeige das Bismuth diese
noch viel mehr.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1559
Er habe sich natürlich vor Empfehlung des Escalin an zahl¬
reichen Menschen von seiner guten Wirkung überzeugt.
Diskussion: Herr Biickel: Das Escalin entspreche nicht
den Anforderungen eines Ulcusmittels, wie er neulich schon aus-
gefiihrt.
Herr Senator: Mit Glyzerin innerlich müsse man vorsichtig
sein (Blutharnen); 50 g halte er für die zulässige Dosis.
Herr J. Israel: Zwei Ureterensteine von ganz enormer
Grösse, beide durch Operation entfernt. Solche sind
immer aus primären Nierensteinen entstanden, die in den
Ureter gerutscht sind und dort allmählich sich vergrössert
haben. In einem begannen die Beschwerden im 4. Lebensjahre und
führten nach beschwerdefreien Zeiten im 34. J. zur Operation. Das
Konkrement ist ca. 15 cm lang, 2 cm dick, sehr zerbrechlich; am
unteren Ende löste sich der primäre kleine Stein ab. Im zweiten
Falle, wo die Niere mitentfernt wurde, ist das Konkrement noch etwas
grösser; Beginn der Beschwerden im 24. Jahr, Operation im 31.
Herr J. CItron: Einige Patienten, an welchen er die von
Wolff-Eisner angegebene Tuberkulinreaktion durch Einträufe¬
lung ins Auge, und zwar in der von C a 1 m e 1 1 e angegebenen
starken Verdünnung (ein Tropfen der 1 proz. Lösung), angestellt hatte.
Es ergab sich, dass von 45 klinisch Tuberkulosefreien 44 nicht
reagierten, 1 war positiv (Rötung der Konjunktiva); von 31 klinisch
sicher Tuberkulösen waren 25 positiv, 6 negativ (davon 2 kachektisch,
1 moribund). Auf das Fehlen der Reaktion bei zu weit vorgeschrit¬
tenen oder Miliartuberkulosen hatte v. Pirquet schon bei seiner
kutanen Reaktion hingewiesen. Von 14 Verdächtigen 11
positiv, 3 . negativ. Die Reaktion in dieser Verdünnung
mit glyzerinfreiem Tuberkulin (C. nahm Alttuberkulin) ist so
milde, dass die Patienten sie manchmal gar nicht merken; sie tritt
nach 3 — 12 Stunden ein.
Herr Jakobsohn: Kleines Mädchen, das eine Bleiplombe ver¬
schluckt hatte, die Israel nach Bronchoskopie und Durchleuchtung
entfernte.
Herr Martens: Eine Filaria sanguinis, die er einem aus Afrika
zurückgekehrten Herrn aus dem Augenlid unter Lokalanästhesie ent¬
fernte.
Tagesordnung:
Herr J. Orth: Zur Frage der Immunisierung von Meer¬
schweinchen gegen Tuberkulose.
Vortr. will heute nur von Experimenten sprechen, die eine
Prüfung der von F. F. Friedman n angegebenen Immuni¬
sierung von Meerschweinchen gegen Tuberkulose mit Hilfe
der von Fr. gefundenen Bazillen der Schildkrötentuber¬
kulose bezwecken. Das Meerschweinchen ist dafür deshalb
besonders geeignet, weil es für Tuberkulose so ausserordentlich
empfänglich ist, ein positiver Erfolg bei ihm also besonders zu
beachten wäre und zu Hoffnungen bei weniger empfänglichen
Tieren, eventuell beim Menschen, einige Berechtigung gäbe.
Die Tiere wurden ihm von Fr. schon vorbehandelt, d. h.
also mit Schildkrötenbazillen infiziert, übergeben und sie soll¬
ten dann gegen Tuberkelbazillen anderer Herkunft (Tier und
Mensch) widerstandsfähig sein.
Er hob zunächst eine Beobachtung hervor, die für die
Natur dieser Schildkrötenbazillen von Bedeu¬
tung ist. Ein in genannter Weise mit Schildkrötenbazillen ge¬
impftes Tier kam erkrankt an, erholte sich aber wieder und
nahm zu; 1 Jahr 12 Tage später tötete Vortragender das Tier
und fand tuberkulöse Veränderungen auf dem Peri¬
toneum, welches die Hoden überzieht; deutliche Knötchen, die
auch mikroskopisch typische Tuberkeln mit 'Riesenzellen
waren; Bazillen waren nicht darin aufzufinden, auch blieb die
Kultur negativ. Aber in einem 2. Meerschweinchen, das mit
Stückchen obiger tuberkulösen Veränderungen subkutan
infiziert worden, fanden sich trotz fortwährender Gewichts¬
zunahme und Fehlens jeglicher Krankheitserscheinungen nach
der nach 10 Monaten vorgenommenen Tötung nicht nur die obi¬
gen tuberkulösen Veränderungen (sowohl in regionären, als
entfernteren Lymphdrüsen, in den Nieren usw.), sondern auch
Bazillen, freilich in geringer Zahl. Die Kultur ging ganz
spärlich an.
Aus diesem Befund ergibt sich zunächst die wichtige Tat¬
sache, dass die Schildkrötenbazillen wirklich in
die Gruppe der Tuberkelba zillen gehören, dass
sie im Meerschweinchen nicht abgetötet werden, sondern über
Jahr und Tag lebendig bleiben und eine, freilich wenig progre¬
diente tuberkulöse Affektion erzeugen. — Die übrigen
Tiere wurden, wie erwähnt, mit bovinen und
menschlichen Tuberkelbazillen infiziert und
es ergab sich als Qesamtresultat, dass alle Tiere
gleichmässig tuberkulös wurden, dass aber
die vorbehandelten etwas länger lebten, als
die Kontrolltiere. Vortragender macht dabei auf einen
oft gemachten Fehler aufmerksam, dass man bei solchen Ver¬
suchen mit Tuberkelbazillen die Tiere zu früh tötet; die Tuber¬
kulose braucht Zeit und er habe deshalb die Tiere so lange
leben lassen, bis sie von selbst starben. Nur einzelne Tiere
tötete er vorher, um das Verhalten der Tiere nach der Infektion
studieren zu können. Da fanden sich denn in einem nach
18 Tagen getöteten Tiere bereits überall tuberkulöse Erup¬
tionen (also trotz der Vorbehandlung). Ferner fand sich,
dass die vorbehandelten Tiere zum Teil nicht die
übliche Allgemeininfektion bekamen, sondern eine typische
Lungenschwindsucht (mit Kavernen), wie er
schon früher einmal demonstrierte. (Cave: Verwechslung söl-
cher ulzeröser Kavernen mit Emphysemblasen peripher von
tuberkulös erkrankten und verengten Bronchiolen!) Der Ein¬
wand, dass diese Tiere deshalb Kavernen bekommen hätten,
weil sie infolge der Vorbehandlung länger gelebt haben, ist
nicht zutreffend, denn wenn sie auch im Durchschnitt länger
lebten, so trifft dies nicht gerade auf die mit Kavernen befun¬
denen zu. Er glaubt daher, dass, wenn auch die Lebensdauer
eine Rolle dabei spielen mag, doch die wesentliche Ursache der
Kavernenbildung in der Vorbehandlung zu suchen sei. Aehn-
liches haben L i b b e r t z und R u p p e 1 1905 mitgeteilt.
Es fand sich auch, wie Baum garten und Orth schon
früher erwähnt, in diesen Versuchen, dass beim Meerschwein¬
chen die Lungen' verhältnismässig spät erkranken, Milz und
Leber viel früher. Als Kuriosum zeigt Orth eine kavernöse
Meerschweinchenlunge, in deren einer Kaverne sich neben
reichlichsten Tuberkelbazillen auch eine Aspergilli! s-
mykose fand.
Die Vergleichszahlen der Lebensdauer sind etwa so: In
einer Serie lebten die Nichtvorbehandelten im Durchschnitt
98 Tage, die Vorbehandelten 113 Tage; in einer 2. Serie war
das Verhältnis 39:57 bezw. (anderer Infektionsmodus)
59: 131 Tage; in einer 3. Serie 33; 119 (1 Tier) bezw. 54: 173
(1 Tier).
Es sei also ein Resultat zu gunsten der
vorbehandelten Tiere da, ob man es ein schö-
nes Resultat nennen wolle, sei subjektiv. Jeden¬
falls könne man die Versuche daraufhin fortsetzen.
Zur Frage, wodurch die nicht in Abrede zu stellende Wir¬
kung der Vorbehandlung erzielt wird, meint Vortragender,
dass es sich nicht wohl um eine Abschwächung der Virulenz
handelt (schon am 18. Tage fand sich ja allgemeine Erkran¬
kung), sondern um die Wirkung von toxischen Antikörpern,
die auf die Körperzellen einwirken und nur vom zellularpatho¬
logischen Standpunkt vielleicht einmal zu erklären sein
werden.
D i s k u s s i o n : Herr K 1 e b s; Herr Friedman n, der darauf
hinweist, dass die I iere Orths meist nur einmal vorbehandelt
worden sind, und dass mit mehrfach vorbehandelten bessere Re¬
sultate zu erzielen seien; Herr Wassermann, der es als zwei¬
felhaft hinstellt, ob man in solchen Fällen von Immunisierung
sprechen dürfe und nicht vielmehr von einer erschwerten
Superinfektion; wissen wir doch, dass wenn ein Organismus
einen tuberkulösen Herd aufweist, es schwer ist, ihn aufs neue zu
infizieren. Hans Kohii.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 28. Mai 1907.
Die kongenitalen heredo-syphilitischen Herzgefässaffektionen.
Wenn auch die Rolle der kongenitalen Syphilis bei den Gefäss-
und Herzaffektionen nicht mehr bezweifelt wird, so sind doch die
Fälle, wo diese Aetiologie eine unzweifelhafte ist, ziemlich selten.
Landouzy und Laederich bringen nun den typischen Fall eines
rechtzeitig zur Welt gekommenen Kindes, das mit einer charakteristi¬
schen Eruption sekundärer Syphilis ins Spital gebracht wurde und
im Alter von 10 Wochen an Bronchopneumonie verstarb. Die
Autopsie allein ermöglichte die Herz- und Aortenveränderung fest¬
zustellen (beträchtliche Hypertrophie des rechten Ventrikels, unvoll¬
ständiger Verschluss zwischen den beiden Herzohren, Aplasie der
Aorta), während zu Lebzeiten kein Herzgeräusch, Zyanose u. a.
vorhanden war. Nieren und Nebennieren zeigten gleicherweise Ver¬
änderungen von Dystrophie, die mit kongenitaler Syphilis Zusammen¬
hängen. Landouzy glaubt, dass Fälle dieser Art, mit klinisch
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. M.
560
wenig oder gar nicht ausgesprochenen Veränderungen, häufiger sind
als inan allgemein annimmt. St.
Zur Behandlung des Strabismus.
De Lapersonne fasst auf Grund von 190 Beobachtungen
die Indikationen dieser Behandlung folgendermassen zusammen. Un¬
ter 10 Jahren ist jeder chirurgische Eingriff kontraindiziert. Wenn
die Sehschärfe beiderseits ziemlich gleich und der Strabismus alter¬
nierend ist, muss man Korrektionsgläser verschreiben und nötigen¬
falls die Akkomodation durch Atropin lähmen. Ist die Sehschärfe auf
einer Seite viel geringer, mit fixem Strabismus, so muss man auf das
gesunde Auge eine Abschlussbinde legen, was viel Geduld erfordert.
Diploskop und Stereoskop geben in diesem Alter wenig Erfolge. Im
Alter von 10 bis zu 12 Jahren muss man in folgender Weise operieren:
1. einfache, einseitige Tenotomie bei Strabismus unter 10°, 2. Teno-
tomie der beiden M. recti interni über 10°, 3. muss man die Kapsel
des einen oder der beiden Recti interni versetzen, bei Strabismus
über 20 0 und 4. bei solchen von 30 — 35 0 letztere Operation mit der
Tenotomie verbinden. Diese allgemeinen Regeln können je nach
dem Zustand der Muskulatur modifiziert werden. Sofort nach der
Operation ist die optische Behandlung von grosser Wichtigkeit: Kor¬
rektion mit Gläsern; Uebungen mit dem roten Glase, mit dem Diplo¬
skop von R e m y und am Ende der Behandlung Stereoskopie.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Pathological Society of London.
Sitzung vom 7. Mai 1907.
Die pathologische Anatomie der Nebennieren.
F. A. B a i n b r i d g e und P. R. Parkinson haben eine Serie
von 50 Fällen der Reihe nach, wie sie zur Obduktion kamen, nach
dem K o h n sehen Verfahren untersucht, mittels dessen die vor¬
handene Quantität von Adrenalin sich abschätzen lässt an der Tiefe
der bewirkten Chromaffinfärbung im Marke der Drüsen. Ihre Kon-
trolliintersuclningen ergaben, dass keine erhebliche Veränderung in
der Menge der Chromaffinsubstanz in dem zwischen dem Eintritt des
Todes und der Ausführung der Obduktion verlaufenen Zeitraum ein-
tritt. Ein vollständiges Verschwinden des Adrenalins konstatierte
man bei denjenigen Fällen, wo der Tod infolge akuter Allgemein-
infektion oder durch operativen Schock herbeigeführt worden war;
in normaler oder fast normaler Menge wurde es dagegen angetroffen
bei chronisch verlaufenen Leiden. Besonderes Interesse boten einige
Fälle dar, bei denen bei der Autopsie eine Arterienerkrankung nach¬
gewiesen wurde, und bei denen intra vitam der Blutdruck erhöht
gewesen zu sein scheint. Unter diesen boten etliche eine mässige
Vergrösserung der Nebennieren dar, adenomatöse Gewächse fanden
sich aber nicht vor; hierbei erreichte die Tiefe der Chromaffinfärbung
einen sehr hohen Grad, und die Menge des in der Marksubstanz an-
gesannnelten Adrenalins scheint enorm gewesen zu sein. Aus diesen
Beobachtungen dürfte der Schluss zu ziehen sein, dass bei akuten
Erkrankungen und bei niedrigem Blutdruck die Nebennieren ihren
Gehalt an Adrenalin abgeben, während andererseits letzteres bei
hohem Blutdruck sich in den Nebennieren in normaler oder gar in
vermehrter Menge anhäuft.
Impfung eines Schimpansen mit Syphilis.
A. S. Grün bäum berichtete über ein positives Ergebnis der
Uebertragung des Syphilisvirus auf einen Affen. Es entwickelte sich
an der infizierten Stelle an der rechten Augenbraue 14 Tage nach der
Inokulation ein Schanker, und 9 Wochen nachher konstatierte man
vorwiegend am Gesicht einen Sekundärausschlag. An diesen beiden
Läsionen wurde Treponema pallidum nachgewiesen, aber nicht länger
als bis zur 13. Woche. Genau 11 Monate nach der Impfung ging das
Tier ein. Etwa 2 Monate vor dem Tode traten 2 Attacken von
Jackson scher Epilepsie auf. Parese der linken Seite und Störung
der Lautbildung traten während einiger Stunden hervor, und Parese
sowie Zuckungen der Extremitäten sah man mehr oder minder stark
bis zuletzt sich geltend machen. Die Sektion ergab zahlreiche mini¬
male Hämorrhagien. im Gehirn, welche aber fast ausschliesslich die
rechte Hälfte und vorwiegend die Rinde betrafen und sich auf der
Scheitelhöhe von vorne bis hinten erstreckten. Sie waren entstanden
durch Einrisse der kleinen Gefässe, wahrscheinlich nach vorheriger
Thrombosierung in den allerkleinsten Gefässen. An einigen fand man
fibroide Entartung und in ihrer Umgebung kleinzellige Infiltration.
Meningitis war nicht nachzuweisen. An der Leber fanden sich kleine
Gebiete beginnender Infiltration und Fibrose. Die Hoden wiesen
typische syphilitische Fibrose auf. Eine Serumprobe, welche in
Neissers Laboratorium in Breslau untersucht wurde, enthielt laut
dem dort gelieferten Berichte syphilitische Antikörper. In der
Zerebrospinalflüssigkeit und in den anderen Organen fanden sich keine
Treponemata vor.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg.
Sitzung vom 25. Juli 1907.
Vorsitzender: Hofrat W. B e c k h.
Ueber den A e r z t e t a g erstattet Hofrat L. Schuh einen ein¬
gehenden Bericht. Vortr., sowie Neuberger beuauern, dass es
durch den Schluss der Debatte den Delegierten des Bezirksvereins
Nürnberg nicht mehr möglich war, den in letzter Sitzung angenom¬
menen Antrag auf allgemeine Aufhebung der Karenz¬
zeit bei allen Krankenkassen zu vertreten. Ueber die freie Arzt¬
wahl und deren weiteren Ausbau, speziell mit Rücksicht auf die
bayerischen Verhältnisse, soll in einer späteren Sitzung des Bezirks¬
vereins ausführlich diskutiert werden.
Ein vorgelegter Vertragsentwurf zur Besserung der
Honorare und allgemeinen Regelung der ärztlichen Tätigkeit bei
den hiesigen freien F a ml iienkrankenkassen findet fast ein¬
stimmige Annahme.
C n o p f gibt ein Referat über die Errichtung einer
städtischen Milchanstalt.
Nach Anregung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
waren in einer aus der Vorstandschaft des genannten Vereins, Aerzten,
Kinderärzten und Laien gebildeten Kommission die Grundzüge zur
Einrichtung von Mütterberatungsstellen, Stillprämien und Ver¬
abreichung einwandfreier Kindermilch beraten worden. Neu¬
berger hatte dann Ende 1905 in den städtischen Kollegien einen
entsprechenden Antrag gestellt. Die Sache hat sich jetzt soweit ver¬
dichtet, dass der Bezirksverein Stellung zu genannten Vorschlägen
nehmen soll. Nach eingehender Diskussion wird beschlossen, den
1. und 2. Vorstand des Bezirksvereins in oben genannte Kommission
zu delegieren.
Zum Schlüsse werden die anlässlich des Besuches fran¬
zösischer Aerzte zu treffenden Veranstaltungen beraten.
Auswärtige Briefe.
Römische Briefe.
(Eigener Bericht.)
Schloss Marbach am Bodensee, 15. VII. 07.
Jubiläumsfeier Maraglianos. — Fortbildungskurse in
Pavia. — Muss der Arzt dem Rufe einer Behörde Folge leisten?
— Sind hypodermische Injektionen als chirurgische Operation
zu betrachten?
Die Feierlichkeiten, mit denen das Jubiläum Professor M a-
r a g 1 i a n o s in Genua begangen wurde, waren wahrhaft gross¬
artig und erhebend; alle Schulen Italiens nahmen daran teil
und auch vom Ausland trafen zahlreiche Abgesandte und Be¬
glückwünschungen ein. Ganz Genua war in Feststimmung, um
seinen grossen Sohn zu feiern. Am Morgen des Festtages hielt
der Professor seine Schlussvorlesung, in der er flüchtig die
während des scholastischen Jahres in der Klinik durchgeführten
Arbeiten aufzählte. Nach der Vorlesung wurde die Büste M a-
raglianos enthüllt, sowie die Tafel, welche die Namen der¬
jenigen Schüler des I^rofessors enthält, die sich in der Uni¬
versitätskarriere besonders hervorgetan haben. Am Nachmittag
wurde dann in der Aula magna der Universität die Gründungs¬
tafel des Maraglianopreises überreicht, einer jährlichen Prämie
für die beste Arbeit über die Tuberkulose.
Aus der bemerkenswerten Rede Maraglianos möchte
ich hier ein Bruchstück anführen, in welchem der Professor die
Stellung des Klinikers gegenüber den Studenten erläutert und
von der von ihm gegründeten Schule spricht.
,,. . . Die ausserordentlich liebenswürdigen und gütigen
Worte, die an mich gerichtet wurden, sind eine andere Be¬
lohnung meines Wirkens, eine Belohnung, auf die ich eigentlich
keinen Anspruch habe, denn man hat mir die Erfüllung einer
Pflicht als Verdienst anrechnen wollen. Wenn ich der Schule
die ganze Begeisterung der Jugend, alle Kräfte des Mannes¬
alters, meine Hoffnungen, meinen Glauben, mein ganzes Selbst
gab, so geschah das, weil es meine Ueberzeugung war und
ist, dass es die Pflicht eines Professors und vor allem eines
Klinikers sei, so zu handeln. Er muss das tun, weil die prak¬
tische Erziehung der jungen Aerzte seine Verantwortlichkeit
ist, weil es seine Aufgabe ist, in den Schülern das Fieber der
Arbeit und der wissenschaftlichen Forschung zu erwecken,
seine Pflicht, zu produzieren und die anderen zur Produktion
anzuregen, dem hohen Ziele zustrebend, dadurch das wissen¬
schaftliche Nationalvermögen zu bereichern.
30. Juli 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1561
Das waren die Pflichten, die mir das Amt auferlegte, wel¬
ches ich in der Jugend ersehnte und mir eroberte. Es konnte
mir nicht schwer fallen, diese Pflicht zu erfüllen, mit dem Bei¬
spiel meines Vorgängers und Lehrers de R e n z i und dem
meiner tüchtigen Kollegen der Fakultät, die mit ihrer Arbeit¬
samkeit das heimatliche Athenäum zieren, vor Augen.
Und ausserdem bin ich ja für diese Mühen reichlich ent¬
schädigt worden, entschädigt durch die Liebe von fünfund¬
zwanzig Jahrgängen junger Leute, die durch mich für die Wis¬
senschaft und die ärztliche Kunst erzogen wurden, entschädigt
durch die Genugtuung, die es mir gibt, unter meinen Schülern
einen Queirolo, Livierato, Devot o, Castellino,
Lucatello, Jemma zu zählen, die sich die Katheder der
besten Universitäten des Landes errungen haben, entschädigt
durch so viele meiner Schüler, die sich im Lehrfach wie in den
Hospitälern oder der Privatpraxis auszeichnen, durch ihre
Tüchtigkeit der Schule und dem Lehrer Ehre machen, ent¬
schädigt auch durch das Glück, dass es mir vergönnt war, eine
Schule zu gründen.
Eine Schule zu gründen?
Aber das bedeutet eine Reihe von Arbeitern finden, die sich
um den Meister gruppieren, die alle ihre Kräfte zu einer zu-
sammenfassen, die nicht die eigene Individualität hervorheben,
sondern sie beinahe unterdrücken, zur Ehre des Gesamtwesens,
das befruchtet durch ihre Arbeit entstehen soll. Und es ist
nötig, dass von dieser Fusion der Intelligenzen ein solcher
Zauber ausgeht, dass immerzu und immerzu andere angezogen
werden, die sich dem gleichen Ziel widmen und die von dem
Kultus für das gemeinsame Ideal zusammengehalten werden.
Auf diese Weise lassen alle Generationen, die sich folgen,
ein Atom ihres Geistes in der Schule, durch die sie gegangen
sind und es entsteht die Tradition und erzeugt mit ihnen dieses
Netz von unsichtbaren, aber doch festen Fäden, welche die
Gegenwärtigen mit den Vergangenen verbinden, welche die
Schule stolz sein lässt auf jeden Erfolg ihrer Jünger und diese
frohlocken macht, bei jedem Triumph der Schule, aus der sie
hervorgegangen sind.
Und eine solche Schule hatte ich das Glück bei mir ent¬
stehen zu sehen, Dank des Wetteifers starker, uneigennütziger
Geister, und die 1150 Arbeiten, die in diesem Vierteljahrhundert
veröffentlicht wurden, legen Zeugniss ab von ihrem blühenden,
fruchtbaren Leben. . . .“
Maragliano wurde zu Genua am ersten Juni 1849 ge¬
boren, er promovierte im Jahre 1870, wurde dann Assistent in
der medizinischen Klinik Genuas und 1875 der Erste in dem
Konkurs für den Lehrstuhl der klinischen Medizin an der Uni¬
versität zu Cagliari. Im Jahre 1877 bekam er den Lehrstuhl
für die allgemeine Pathologie und im Jahre 1882 wurde er zum
Leiter der medizinischen Klinik ernannt, welches Amt er noch
inne hat. Er war viele Jahre lang Dekan der Fakultät und ver¬
trat wiederholt bei verschiedenen Gelegenheiten Italien im Aus¬
lande. Seit dem Jahre 1900 gehört Maragliano auch dem
Senat an. Seiner Tatkraft und Ausdauer verdankt die medi¬
zinische Klinik Genuas, die er in ungeordnetem und herabge¬
kommenen Zustand übernommen hatte, den gewaltigen Auf¬
schwung; er stellt hohe Ansprüche an seine Schüler, wer nicht
tüchtig und arbeitsam ist, muss seine Klinik verlassen. Eng
verbunden ist Maraglianos Name mit dem wissenschaft¬
lichen Kampf gegen die Tuberkulose; schon im Jahre 1895
sprach er in Bordeaux über die Existenz spezifischer antituber¬
kulöser Substanzen und die Möglichkeit, diese im lebenden Tier
zu erzeugen, um sie in der Klinik bei der Behandlung der Tu¬
berkulose zu verwenden. Zahlreiche Arbeiten und Mitteilungen
Maraglianos behandeln dieses Argument, aber auch mit
den Erkrankungen des Blutes, der Leber, des Stoffwechsels,
des Nervensystems und der Lungenentzündung beschäftigte er
sich mit besonderem Interesse. Auch das Institut für das Stu¬
dium der Infektionskrankheiten ist seine Gründung.
Unübertrefflich ist er als Lehrer, klar und präzis in der
Darstellung, genau und wohl überlegt im Diagnostizieren, er¬
fahrungsreich und tüchtig in der Behandlung. Seine Klinik
steht der Ordnung und reichen Produktivität wegen unter denen
Italiens zweifelsohne an einem der allerersten Plätze.
Eine andere Klinik, in der ebenfalls eine überaus rege Tä¬
tigkeit sich entfaltet, ist jene des Prof. T a n s i n i, Inhabers
des Lehrstuhls für Chirurgie an der Universität Pavia. Der von
ihm vor drei Jahren ins Leben gerufene Fortbildungskursus er¬
freute sich auch in diesem Jahre des regsten Zuspruches. Es
waren 49 Aerzte aus den verschiedensten Gegenden Italiens
eingeschrieben, sogar aus Kalabrien und Sizilien waren sie nach
Pavia gekommen. Die Zahl der Operationen belief sich auf 260
und die Hörer des Kurses konnten sich an denselben als Assi¬
stenten beteiligen. Die Teilnehmer dieses Kurses können auf
diese Weise ihre Kenntnisse auffrischen und bereichern, sich
grössere Fertigkeit aneignen und stets die neuesten Methoden
kennen lernen, was gewiss vom grössten Vorteil sowohl für sie
selbst als wie für die ihrem Arbeitsgebiet angehörenden Kran¬
ken ist. Es wäre aus diesem Grunde auch sehr zu wünschen,
dass in jeder Universität derartige Kurse für die praktischen
Aerzte eingeführt würden.
Zwei interessante ärztliche Rechtsfragen sind vor kurzem
an italienischen Gerichtshöfen zur Entscheidung gekommen.
Die eine: „Muss der Arzt dem Rufe einer Behörde Folge
leisten?“ kam in Mailand zum Austrag. Dort war am 29. April
spät abends (10 Uhr) ein Polizist in Zivil auf der ärztlichen
Nachtwache erschienen und hatte einen Arzt verlangt. Aber
als der wachhabende Arzt erfuhr, dass er sich auf die Polizei
begeben sollte, um einen Arrestanten zu untersuchen, dessen
Uebahren auf Wahnsinn schliessen liess, telephonierte er erst
in die Polizei und fragte an, wer ihn für seine Tätigkeit ent¬
schädigen würde. Da die telephonische Antwort unbefriedi¬
gend ausfiel, weigerte sich der Arzt dem Rufe Folge zu leisten.
Daraufhin wurde (gegen ihn Anzeige erstattet. Vor dem
Dichter wies der Arzt vor allem darauf hin, dass er mit seiner
Weigerung beabsichtigt habe, eine prinzipielle gerichtliche Ent¬
scheidung herbeizuführen, da die Polizeibehörde sich bisher
stets geweigert hatte, die Aerzte für ihre Besuche zu ent¬
schädigen. Ausserdem sei er der Ansicht, dass es kein Gesetz
gebe, welches den Arzt verpflichte, einem jeden Ruf Folge zu
leisten. Der Richter gab ihm darin Recht, denn es sei in
keinem Gesetzesparagraphen vorgesehen, dass der frei prak¬
tizierende Arzt die Pflicht habe, dem Ruf einer Behörde zu
folgen, nur die Gemeindeärzte seien verpflichtet, sich auf Auf¬
forderung den Behörden zur Verfügung zu stellen. Die Ver¬
handlung endete daher auch mit einem Freispruch des be¬
treffenden Arztes.
Die zweite Streitfrage war die, ob hypodermische Injek¬
tionen als chirurgische Operationen zu betrachten seien. Der
Fall war folgender: Ein Barbier in einem kleinen Ort hatte
einer Frau hypodermische Injektionen gemacht und obwohl
ihm der dortige Gemeindearzt und Sanitätsbeamte dies unter¬
sagte, hatte er diese lukrative Nebenbeschäftigung nicht auf¬
gegeben. Der Sanitätsbeamte erstattete nun Anzeige gegen den
Barbier, die er damit begründete, dass hypodermische Injek¬
tionen chirurgische Operationen und daher nur von approbier¬
ten Aerzten auszuführen seien. Aber auch hier kam das Ge¬
richt zu einem freisprechenden Urteil, indem es die Ansicht aus¬
sprach, dass hvpodermische Injektionen unter jene leichten
mechanischen Operationen zu zählen seien, die jedermann,
ohne Arzt zu sein, ausüben könne und dürfe. Prof. G a 1 1 i.
Verschiedenes (gerichtliche Entscheidungen, therapeutische
Notizen etc.), Personalnachrichten. Korrespondenz, Statistik
siehe S. 1568.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 29. Juli 1907.
— Die neuen Vorschriften über den Verkehr mit
G e h e i m m i 1 1 e 1 n und ähnlichen Arzneimitteln, wie sie durch Bun¬
desratsbeschluss vom 27. Juni 1. J. festgesetzt wurden, werden jetzt
bekannt gegeben. Die Zahl der auf die Geheimmittellisten gesetzten
Mittel beträgt jetzt 153, gegen bisher 95. Von Bedeutung ist. dass den
häufigen Umgehungsversuchen, die darin bestanden, dass durch Acnde-
rung des Namens und Variation der Zusammensetzung M'ttel der
Verordnung entrückt wurden, durch folgenden Zusatz zu § 1 vor¬
gebeugt wird: „Die Anwendung der nachstehenden Vorschriften auf
diese Mittel wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass deren Be¬
zeichnung bei im wesentlichen gleicher Zusammensetzung geändert
wird.“ Wir werden den Wortlaut der neuen Vorschriften, die ab
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
502
1. Oktober 1. J. in allen Bundesstaaten in Kraft treten, demnächst
mitteilen.
— Am städtischen Gesundheitsamt in Berlin sind
zu Abteilungsvorstehern gewählt: Prof. Dr. Sobernheim, Priv.-
Doz. f. Hygiene in Halle, und Dr. Pendle r, I. Assistent und Leiter
der Abteilung für Nahrungsmittelchemie am Pharmazeutischen Institut
in Dahlem.
— Eine orthopädische Schularztstelle hat die Stadt
Charlottenburg errichtet und dem praktischen Arzte Dr. med. Jakob
T a e n d 1 e r übertragen. Zweck dieser Neueinrichtung ist die sach¬
verständige Untersuchung und Kontrolle der mit Wirbelsäulenver¬
krümmungen etc. behafteten Schulkinder. Im Anschluss hieran wer¬
den orthopädische Turnkurse in den Turnhallen der Schulen abgehalten
werden.
— Man schreibt ans aus Wien: In dem Prozesse, welchen der
gewesene Krakauer Universitätsprofessor Dr. Albert Adam-
k i e w i c z gegen den Inhaber der chemischen Fabrik E. Merck in
Darmstadt führte, ist nunmehr auch das Urteil des Wiener Ober¬
landesgerichtes, der Berufsinstanz, erflossen. Es lautete auf kosten¬
pflichtige Abweisung des Klägers. Wir haben seinerzeit
berichtet, dass Prof. Adamkiewicz die obgenannte Firma auf
Zahlung von 250 000 Kronen Konventionalstrafe geklagt hatte, weil
sie schon nach 5 Jahren vom Vertrage zurückgetreten war, welchen
sie 1891 auf 25 Jahre geschlossen hatte. Sie war zurückgetreten, weil
das Kankroin des Herrn Prof. Adamkiewicz sich nicht als Heil¬
mittel gegen den Krebs bewährt hatte und weil die Erzeugung und der
Vertrieb des Mittels der Firma materiellen Schaden brachte. In der
ersten Instanz, beim Handelsgerichte, hatten die Professoren
v. N e u s s e r und v. Eiseisberg als Sachverständige ihr Gut¬
achten dahin abgegeben, dass dass Kankroin nach den Erprobungen
zahlreicher erster Kliniker den Krebs nicht im geringsten günstig be¬
einflusse. Diesem Gutachten sprach auch das Oberlandesgericht die
entscheidende Bedeutung zu für die Frage des Bestandes oder Nicht¬
bestandes des Vertrages. Die Persönlichkeiten der Sachverständigen
bieten dem Gerichte die volle Gewähr für die richtige Beurteilung
der fachwissenschaftlichen Frage nach dem Heilwerte des Kankroins;
sie haben zwar das Kankroin nicht selbst angewandt, sie beriefen sich
aber auf eine Reihe wissenschaftlicher Kapazitäten, welche das Heil¬
mittel an Kranken erprobt haben. Es kann ihnen auch nicht zuge¬
mutet werden, selbst ein Heilmittel anzuwenden und zu erproben,
welches zufolge der Erprobung durch andere Kapazitäten nicht auf
wissenschaftlichem Fundament beruhe. Wissenschaft und Erfahrung
sprechen dagegen, dass Adamkiewicz mit Kankroin wirkliche
Heilerfolge erzielt habe. Auch die vom Kläger Adamkiewicz
gegen die Höhe der den zwei medizinischen Sachverständigen zu¬
gesprochenen Gebühr von je 2000 Kronen erhobene Beschwerde sei
nicht stichhaltig, da es sich hier um eine Fachprüfung handle, die
den Charakter einer wissenschaftlichen Leistung besitze und eine
längere Untersuchung und ein eingehendes Studium erforderlich
machte.
— Das Organisationskomitee des 5. internationalen Gy¬
näkologenkongresses teilt mit, dass es auf Grund vielfacher
Aeusserungen über die Unzeitigkeit eines Kongresses in Russland und
in Uebereinstimmung mit dem Generalsekretär des Ständigen Ko¬
mitees, Herrn Dr. Jacobs, beschlossen hat den Kongress in St. Pe¬
tersburg zu verschieben. Die Frage über Ort und Zeit des bevor¬
stehenden 5. Kongresses ist deshalb dem Generalsekretär überlassen.
Das russische Organisationkomitee hegt die Hoffnung den nächsten,
sechsten internationalen Kongress bei günstigeren Zeiten in St. Pe¬
tersburg abhalten zu können.
— Am 8. Juli (25. Juni) d. J. ist ein halbes Jahr¬
hundert vollendet, seit Seine Exzellenz Geheimrat Dr. Karl
Rauchfuss in St. Petersburg seiner ausgebreiteten und
fruchtbringenden ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit
obliegt. Der Verein der Kinderärzte in St. Petersburg rüstet
sich, dieses Jubiläum seines einstigen langjährigen Präsidenten und
jetzigen Ehrenmitgliedes durch eine Festsitzung zu begehen. Die
Feier ist auf den 10. November (28. Oktober) festgesetzt. Diejenigen
Aerzte und Vereine, die sich an derselben zu beteiligen wünschen,
werden ersucht, sich bei dem Präses des Vereins, Prof. Dr. A. Rus-
s o w, Direktor des Elisabeth-Kinderhospitals, Fontanka 152, zu
melden.
— Der Aerztliche Verein München hat an Herrn
Prof. v. Müller, der vor kurzem einen glänzenden Ruf nach Berlin
abgelehnt hat, eine Adresse gerichtet, in welcher der Freude der
Münchener Aerzte über das Verbleiben des ausgezeichneten For¬
schers und Lehrers in unserer Stadt Ausdruck gegeben wird.
— Mit Bezug auf unsere Notiz „Aerztetag und Lebens¬
versicherungsgesellschaften“ in No. 29 dieser Wochen¬
schrift teilt uns der Generalsekretär des Deutschen Aerztevereins-
bundes, Herr Dr. Heinze mit, dass die Kündigung des Vertrags mit
dem Verbände Deutscher Lebensversicherungsgesellschaftcn noch
nicht perfekt geworden sei; die bevorstehende Kündigung, welche
auf Grund des Beschlusses des Aerztetags allerdings erfolgen müsse,
sei vielmehr lediglich der anderen Partei avisiert worden. Bis zur
erfolgten Kündigung seien beide Parteien an die noch bestehenden bis¬
herigen Vereinbarungen gebunden.
Die Notizen über Pest, Genickstarre, Mortalität in Deutschland
s. S. 1568.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Aus der Jagorstiftung wurden dem Privat¬
dozenten für innere Medizin an der Berliner Universität, Prof. Dr.
Leonor Michaelis, zu Studien über die Wirkungsweise der Fer¬
mente 1200 Mark und dem Privatdozenten für Psychiatrie der Uni¬
versität Freiburg i. Br., Dr. Walter Spielmeyer, zu Studien über
Beziehungen zwischen Trypanosomiasis-Schlafkrankheit einerseits
und Syphilis-Paralyse-Tabes andererseits 1500 Mark bewilligt, (hc.)
Der bisherige Privatdozent für Chirurgie an der Bonner Universität,
Dr. Viktor Schmieden, der mit Beginn dieses Semesters seinem
Chef, Geheimrat Bier an die Bergmann sehe chirurgische Klinik
in Berlin als Assistenzarzt folgte, hat sich am 23. ds. mit einer An¬
trittsvorlesung über „Die chirurgische Behandlung des Morbus Ba¬
sedow“ als Privatdozent in der Berliner medizinischen Fakultät nie¬
dergelassen. Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. August Bier,
v. Bergmanns Nachfolger an der Berliner Universität, ist zürn
etatsmässigen Mitgfiede des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser
Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen ernannt
worden, (hc.)
Bon n. Der Charakter als Geheimer Obermedizinalrat mit dem
Range der Räte zweiter Klasse ist dem ordentlichen Professor und
Direktor der Frauenklinik an der hiesigen Universität, Geh. Med.-
Rat Dr. med. Heinrich Fritsch, verliehen worden, (hc.)
Breslau. Prof. Dr. Hermann K ü 1 1 n e r, Direktor der chirur¬
gischen Universitätsklinik, wurde zum Medizinalrat ernannt.
F r e i b u r g i. Br. Die Doktorwürde haben an der hiesigen Uni¬
versität im verflossenen Jahre 64 Mediziner erworben. Die ärztliche
Staatsprüfung bestanden 37, die ärztliche Vorprüfung 61, die zahn¬
ärztliche Prüfung 13. Die medizinische Fakultät hat Se. Exzellenz
Staatsminister Dr. Freiherrn Alex. v. Dusch zum Ehrendoktor er¬
nannt. (hc.)
Giesse n. Dr. med. Hans K o e p p e, Privatdozent für Kinder¬
heilkunde an der hiesigen Universität ist zum ausserordentlichen Pro¬
fessor ernannt worden, (hc.)
G ö 1 1 i n g e n. Der Privatdozent für Psychiatrie an der Uni¬
versität Göttingen, Dr. med. H. Vogt, Arzt an der Provinzialheil-
anstalt in Langenhagen, wird sich am 1. Oktober d. J. für ein Jahr
an das neue Dr. Senckenbergische neurologische Institut nach Frank¬
furt a. M. begeben und wird für diese Zeit die Leitung der hirnpatho¬
logischen Abteilung des Institutes übernehmen.
Heidelberg. Der Assistent der chirurgischen Klinik
Dr. Georg H i r s c h e 1, hat sich habilitiert mit einer Probevorlesung
über „Das Magengeschwür in seiner chirurgischen Bedeutung“.
J e n a. Der Assistent am anatomischen Institut, Privatdozent
Dr. Lubosch, ist zum a. o. Professor ernannt worden.
Marburg. Zum Rektor der hiesigen Universität für das Stu¬
dienjahr 1907/08 wurde der Direktor der psychiatrischen Klinik, Geh.
Med. -Rat Prof. Dr. med. Franz Tuczek gewählt, (hc.) — Der Ober¬
arzt der chirurgischen Klinik, Privatdozent Dr. D a n i e 1 s e n, wird
zum 1. X. seinem Chef, Herrn Prof. Dr. Küttner nach Breslau
folgen.
Münche n. Dem an Stelle v. W i n c k e 1 s zum ordentlichen
Professor und Direktor der Frauenklinik an der hiesigen Universität
berufenen Prof. Dr. Albert D öder lein wurde die Funktion eines
Direktors der Münchener Hebammenschule übertragen, (hc.)
Tübingen. Stabsarzt z. D. Dr. S c h 1 a y e r, Assistenzarzt
an der medizinischen Klinik, hat sich mit einer Arbeit: „Ueber
nephritischesOedem“ und einer Probevorlesung: „Ueber die diagnosti¬
sche Bedeutung der Röntgendurchleuchtung für die innere Medizin“
habilitiert. — Dr. Merzbacher, II. Assistenzarzt an der psych¬
iatrischen Klinik, hat sich mit einer Probevorlesung über „den Wert
der frühzeitigen Diagnose in der Psychiatrie“ habilitiert.
Würzburg. Zum Rektor der hiesigen Universität für das
Studienjahr 1907/08 wurde der Professor der Anatomie, der Histologie
und Embryologie, sowie Vorstand des anatomischen Instituts, Dr. med.
Philipp S t ö h r gewählt, (hc.)
Graz. An erster Stelle zum Nachfolger des nach Marburg be¬
rufenen Professors Dr. P. Friedrich vorgeschlagen, hat Prof. Dr.
Erwin Payr, Vorstand der chirurgischen Abteilung am städtischen
Krankenhause in Graz die Berufung als ordentlicher Professor der
Chirurgie und Direktor der Kgl. Chirurg. Klinik in Greifswald er¬
halten und angenommen. — Der Privatdozent für Chirurgie und Assi¬
stent der chirurgischen Universitätsklinik Dr. Max Hof mann wurde
vom Gemeinderat der Stadt Meran zum chirurgischen Primarius des
dortigen Krankenhauses gewählt.
Ofen-Pest. Als Priivatdozenten wurden in der medizinischen
Fakultät der hiesigen Universität zugelassen und bestätigt: Dr. Eugen
Kollarits für Nervenpathologie und Dr. Paul Hari für experi¬
mentelle Chemie, (hc.)
Berichtigung. In den Demonstrationsbemerkungen von Dr.
Lieblein in der wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Aerzte
in Böhmen in No. 29 ist auf Seite 1460, Spalte 1, Zeile 29 von oben
folgender Satz einzuschalten: Ferner demonstriert der Vortragende
eine Patientin, bei welcher derselbe wegen einer akuten Blutung
aus einem Magengeschwür im Stadium der akuten Blutung die hintere
Gastroenterostomie mit dem Murphyknopf ausgeführt und Heilung er¬
zielt hat. Im Anschluss daran bespricht der Vortragende die operative
Behandlung der akuten Blutungen beim Magengeschwür.
Beilage zu No. 31 der Münehener medizinischen Woehensehrift.
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Dresden
vom 15. bis 21. September 1907.
Allgemeine Tagesordnung.
Sonntag, den 15. September. Vormittags: Sitzung des
Vorstandes. Eröffnung der Ausstellung. Abends 8 Uhr: Begriissung
in der Ausstellungshalle.
Montag, den 16. S e p t e m b e r. Vormittags 914 Uhr : Erste
allgemeine Versammlung (Ausstellungshalle). 1. Begriissungsan-
sprachen. 2. Vorträge. Nachmittags 3 Uhr: Konstituierung der Ab¬
teilungen. Abends 8 Uhr: Gartenkonzert mit festlicher Beleuchtung
(Belvedere).
Dienstag, den 17. September. Vor- und nachmittags:
Sitzungen der Abteilungen. Abends 7 Uhr: Festvorstellung im Kö¬
niglichen Opernhaus.
Mittwoch, den 18. September. Vor- und nachmittags
Sitzungen der Abteilungen. Abends 7 Uhr Festmahl (Ausstellungs¬
halle).
Donnerstag, den 19. September. Vormittags 814 Uhr :
Geschäftssitzung der Gesellschaft. Vormittags 10 Uhr: Sitzung der
beiden Hauptgruppen (Ausstellungshalle). Nachmittags 3 Uhr: Einzel¬
sitzungen der beiden Hauptgruppen. 1. Naturwissenschaftliche Haupt¬
gruppe in der Aula der Technischen Hochschule. 2. Medizinische
Hauptgruppe im Ausstellungsgebäude. Abends 8 Uhr: Empfang in
den Räumen des Ausstellungsgebäudes, veranstaltet von der Stadt¬
verwaltung.
Freitag, den 20. September. Vormittags 914 Uhr : Zweite
allgemeine Versammlung, Vorträge. Nachmittags: Besichtigungen,
bez. Sitzungen der Abteilungen.
Sonnabend, den 21. September. Tagesausflüge: 1. Nach
Freiberg (Muldenhütten, Bergakademie). 2. Nach Meissen. 3. Nach
Schandau. 4. Nach der Bastei. — Ausserdem hat die Kgl. Bade¬
direktion von Bad Elster zu einem Besuche dieses Bades eingeladen.
Näheres ist noch zu vereinbaren.
Erläuterungen und Mitteilungen.
Die Jahresversammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
wird von der „Gesellschaft Deutscher Naturforscher
und Aerzte“ einberufen.
Mitglied der Gesellschaft kann jeder werden, welcher sich wis¬
senschaftlich mit Naturforschung oder Medizin beschäftigt.
Der Mitgliedsjahresbeitrag beträgt Mk. 5. — . Diejenigen Mit¬
glieder, welche die von der Gesellschaft herausgegebenen „Verhand¬
lungen“ zu beziehen wünschen, haben ausserdem Mk. 6. — , also
zusammen Mk. 11. — , zu zahlen.
Anmeldungen zur Mitgliedschaft vor der Versammlung haben
schriftlich beim Schatzmeister der Gesellschaft, Verlagsbuchhändler
Karl Friedrich Lampe, per Adr.: F. C. W. Vogel in Leipzig,
Dresdner Strasse 3, bis zum 9. September 1907 zu erfolgen, später
und während der Versammlung bei der Hauptgeschäftsstelle (in der
Kgl. Technischen Hochschule, Dresden, Bismarckplatz).
Teilnehmer an der Versammlung kann auch, ohne Mitglied der
Gesellschaft zu sein, jeder werden, der sich für Naturwissenschaft
und Medizin interessiert. \
Jeder Besucher der Versammlung hat eine Teilnehmerkarte zu
lösen zum Preise von Mk. 20. — .
Die Mitglieder der Gesellschaft aber, welche für ihre Mitglieds¬
karte bereits den Jahresbeitrag von Mk. 5. — oder Mk. 11 bezahlt
haben, erhalten die Teilnehmerkarte äuf Vorlegen der Mitglieds¬
karte für Mk. 15. — oder Mk. 9. — .
Damenkarten werden zum Preise von Mk. 6. — zugleich mit
der Teilnehmerkarte bezw. gegen Ausweis einer solchen ausgegeben.
Bei der sehr wünschenswerten gleichzeitigen Entnahme
der Karten für das Festmahl erhöhen sich diese Beiträge um je
Mk. 5.—.
Die Ausgabe der Teilnehmerkarten und der
Damenkarten erfolgt gegen Einzahlung der dafür angegebenen
Beträge. Wenn diese Beträge bis zum 11. September in Dresden
eingehen, werden die Karten den Bestellern durch die Post über¬
sandt an die bei der Einsendung des Betrages angegebene Adresse,
um deren deutliche Angabe gebeten wird.
Die Ausgabe der Karten geschieht, bezw. Geldsendungen und
Bestellungen werden angenommen: durch die Dresdner Bank,
Dresden, König Johannstrasse in1 der Zeit vom 20. AugusGbis 9. Sep¬
tember einschliesslich, durch die HauptgeschäftsstelleDres-
d e n (Technische Hochschule, am Bismarckplatz) in der Zeit vom
9. September an. Teilnehmer- und Damenkarten, für welche in der
Zeit vom 11. — 15. September die Beträge durch Postanweisung ein¬
gehen, werden als vorbestellte Karten an einem besonderen Schalter
der Hauptgeschäftsstelle gegen Ausweis des Postscheines
ausgegeben.
Mitglieder haben bei Vorausbestellung ihre
Mitgliedskarte oder die Quittung über gezahlte Mk.
11. — einzusenden und erhalten beide mit der Teilnehmerkarte
zurück.
Da erfahrungsgemäss der Andrang an den beiden ersten Tagen
der Versammlung ein sehr grosser ist, wird im Interesse der Ver¬
sammlungsbesucher dringend empfohlen, von der Möglichkeit der
Vorausentnahme von Teilnehmer- und Damenkarten möglichst grossen
Gebrauch zu machen. Um die Vollständigkeit des Teilnehmerver¬
zeichnisses zu sichern, wird in diesem Falle gebeten, bei der Karten¬
bestellung auch die voraussichtliche Wohnung während der Ver¬
sammlung anzugeben.
Auskünfte. Anfragen in geschäftlichen bezw. wissenschaftlichen
Angelegenheiten allgemeiner Natur sind an die „Geschäfts¬
führung der 79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte,
Dresden, Lindenaustrasse 30, 1.“ zu richten. — Auskünfte betreffs
der einzelnen wissenschaftlichen Abteilungen werden
ausschliesslich durch die bezüglichen Einführenden erteilt. Alle
derartigen Anfragen, sowie weitere Vortragsanmeldungen sind nur an
diese Herren zu richten. — Alle übrigen Anfragen, wie hinsichtlich
der Festlichkeiten, Vergnügungen, Wohnungen etc. wolle man un¬
mittelbar an die betreffenden Unterausschüsse richten.
Zur Vermittelung von Wohnungen ist ein Ausschuss in Tätigkeit
getreten, der Anmeldungen entgegennimmt. Die Adresse ist aus¬
schliesslich : „W ohnungsausschuss der 79. V ersaminlung
Deutscher Naturforscher und Aerzte, Dresden, Hauptbahnhof
(Fremdenverkehr).“ Eine möglichst frühzeitige Be¬
stellung von Zimmern ist dringend erwünscht.
Mit der Versammlung ist eine Ausstellung naturwissenschaftlicher
und medizinisch-chirurgischer Gegenstände, sowie chemisch-pharma¬
zeutischer Präparate und naturwissenschaftlicher Lehrmittel ver¬
bunden, die in erster Linie Neuheiten der letzten Jahre auf diesem
Gebiet umfassen soll. Die Ausstellung findet im städtischen Aus¬
stellungsgebäude statt. Ueber diese Ausstellung wird ein Katalog
erscheinen.
Die Stadtverwaltung wird auf ihre Kosten einen wissenschaftlichen
Führer durch Dresden und Umgebung herstellen lassen, welcher allen
Teilnehmern der Versammlung als bleibendes Erinnerungszeichen
überreicht werden wird.
Plan der wissenschaftlichen Verhandlungen.
I. Allgemeine Versammlung in der Halle des Ausstellungspalastes.
Montag, den 16. Septem be r, vormittags 9/4 Uhr : B c -
grüssungsansprachen. A. Gutzmer - Halle a. S. und F.
Kl ein -Göttingen: Bericht' der Unterrichtskommission der Gesell¬
schaft Deutscher Naturforscher und Aerzte. W. H e in p e 1 - Dresden:
Die Behandlung der Milch (mit Demonstrationen). Ho che -Frei¬
burg: Moderne Analyse psychischer Erscheinungen.
Freitag, den 20. September, vormittags 9!4 Uhr : H.He r-
gese! 1- Strassburg i. E.: Die Eroberung des Luftmeeres (mit Licht¬
bildern). O. zur Strassen- Leipzig: Die neuere Tierpsychologie.
M. Wolf-Heidelberg: Die Milchstrasse (mit Lichtbildern).
II. Gesamtsitzung beider Hauptgruppen in der Halle des Ausstellungs¬
palastes.
Donnerstag, dem 19. September, vormittags 10 Uhr:
R. Hesse - Tübingen: Ueber das Sehen der niederen Tiere. L.
H e i n e - Greifswald : Ueber das Sehen der Wirbeltiere und dei Kopf-
fiissler.
Sitzung der medizinischen Hauptgruppe.
Donnerstag, den 19. September,'1 nachmittags 3 Uhi
in der Halle des Ausstellungspalastes: Chr. B o h r - Kopenhagen und
N. Ph. Tendeloo- Leiden: Die funktionelle Bedeutung des Lungen¬
volums in normalen und pathologischen Zuständen.
No. 31.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
Medizinische Hauptgruppe.
H. Abteilung: Anatomie, Physiologie, Histologie und Embryologie.
1. B a u m - Dresden : Ueber die Benennung der Hand- und Fuss-
arterien. — 2. Fröhlich - Chemnitz: Ueber die intermediären Zonen
der Magenschleimhaut. — 3. 1 1 1 i n g - Berlin: Ueber den Verdauungs-
traktus von Cricetus vulgaris. — 4. I m m i s c h - Dresden: Ein Bei¬
trag zum Studium des Herzstosses an einem Exokardiakus. — 5.
K I c m m - Dresden : Vergleich der Nahrungsmengen natürlich ge¬
nährter Neugeborener der Menschen und einiger Säugetiere. — 6.
K u n z - K r a u s e - Dresden: Neue Beiträge zur Chemie und Physio¬
logie der höheren Fettsäuren. — 7. L u b o s c h - Jena: Das Kiefer¬
gelenk der Säugetiere (mit Demonstration). — 8. Scheunert-
Dresden: Ein Beitrag zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. —
9. S t i e d a - Königsberg i. Pr.: Gehirn eines Sprachkundigen.
15. Abteilung: Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Zugleich Tagung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft.
Referatthema:
Teratome und ihre Stellung zu anderen Geschwülsten. Re¬
ferent: Askanazy - Genf und Borst- Wiirzburg.
Angemeldete Vorträge:
1. A 1 b r e c h t - Frankfurt a. M.: Zur Pathologie der farblosen
Zellen des Blutes. — 2. A x e n f e Ld - Freiburg: Zur Pathologie des
briihjahrkatarrhs. — 3. B a b e s - Bukarest: Die Nebennieren bei
Tuberkulose und bei akuten Allgemeininfektionen. — 4. Derselbe:
I opographie des Fettes in den Nieren bei verschiedenen Erkran¬
kungen derselben. — 5. v. B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die
durch Alkohol hervorzurufenden pathologisch-histologischen Ver¬
änderungen (nach gemeinschaftlich mit Herrn Dr. Rumpel ange-
stellten Experimenten). — 6. B o r r m a n n - Braunschweig: Vortäu¬
schung primärer oder implantierter Karzinome im Digestionstraktus
infolge Einbruches karzinomatöser Drüsen. — 7. C h i a r i - Strass¬
burg: Ueber die Genese der Amyloidkörperchen des Zentralnerven¬
systems. — 8. Derselbe Demonstration eines vollständigen Defekts
der Concha auriculae. — 9. D a v i d s o h n - Berlin: Zur Pathologie
der Venen. — 10. D i b b e 1 1 - Tübingen: Ueber experimentelle Ra¬
chitis. — - 11. D i e t r i c h - Charlottenburg: Der Fettgehalt pathologi¬
scher Nieren. — 12. D ii r c k - München: Untersuchungen über die
Zwischenzellen des Hodens. — 13. Derselbe: Ueber die feineren
histologischen Veränderungen besonders des Nervensystems bei Beri-
Beri. — 14. E b e r - Leipzig: Die Beziehungen zwischen Menschen-
und Rindertuberkulose, erläutert an der Hand der im Veterinärinstitut
Leipzig zur Ausführung gelangten Uebertragungsversuche (mit De¬
monstration). — 15. H e n k e - Königsberg: Weitere Beiträge zur
Frage der primären Darmtuberkulose. — 16. Derselbe: Thema
Vorbehalten. — 17. J o e s t - Dresden: Untersuchungen zur Frage der
Latenz der Lymphdrüsentuberkulose beim Rind. — 18. Kaiser¬
in g - Charlottenburg: Fettige und lipoide Degeneration? — 19.
K 1 e b s - Berlin : Neue Versuche über die Infektionswege der Tuber¬
kulose. — 20. Derselbe: Zur Immunitätsfrage bei Tuberkulose. —
21. Ko c h - Elberfeld: Spirochätenbefund bei kavernöser Lungen-
svphilis und Pachymeningitis interna hämorrhagica productiva. —
22. Kretz- Wien: Ueber Appendizitis. — 23. M a r e s c h - Wien:
Zur Kenntnis der T ubenwinkelmyome. — 24. Derselbe: Zur Kennt¬
nis der J rachealdivertikel. — 25. Derselbe: Bakteriologischer Bei¬
trag zur Aetiologie und Pathogenese der Appendizitis. — 26.
M ö n c k eb e r g - Giessen: Die angeborene Stenose des Aorten-
ostiums und die angeborene Stenose der Aorta jenseits des Isthmus.
27. M o r p u r g o - Turin: Ueber die infektiöse Osteomalazie und
Rachitis der weissen Ratten (mit Demonstration von makroskopischen
und mikroskoDischen Präparaten). — 28. Derselbe: Ueber häma¬
togene Tuberkulose (mit Demonstration von mikroskopischen Prä¬
paraten). — 29. Mühlmann - Balachanv: Das Wesen der N i s s 1 -
sehen Körper. — 30. O e s t re i ch - Berlin: Ueber Angina pectoris.
— 31. Bai tauf- Wien: Demonstration. — 32. R ö s s 1 e - München:
Beiträge zur histologischen Pathologie der Leber: a) Epitheliale Rie¬
senzellen bei J uberkulose. b) Ueber herdweise Zirrhose, c) Porto-
cene betfembolie der Leber, d) Ueber die Lokalisation des Fettes
in der Leber, e) Ueber die Leber beim Diabetes. — 33. Schlagen-
h auf er- Wien: Eine menschliche Infektion durch den Bacillus pseu-
dotuberculosis rodentium. — 34. D e r s e 1 b e: Ueber das Vorkommen
donpelbrechender fettähnlicher Substanz. — 35. S ch ii 1 1 e r -Berlin:
Eine Demonstration am Projektionsmikroskop mit einem kurzen Ver¬
tröst über die nrotozoischen Parasiten der Syphilis. — 36. Der¬
selbe: Eine Demonstration am Projektionsmikro.skop mit einem
kurzen Vortrag über die protozoischen Parasiten des Krebses und
Sarkomes beim Menschen. — 37. S c h w n 1 b e - Karlsruhe Thema
Vorbehalten. — 38. S t e r n b e r g - Brünn : Experimentelle Erzeugung
von Magengeschwüren bei Meerschweinchen. — 39. Derselbe:
Demonstration über primäre Lymphosarkomatose des Magens.
16. Abteilung: Innere Medizin, Pharmakologie, Balneologie und
Hydrotherapie.
1. B r i e g e r - Berlin: Hydrotherapie und innere Medizin. — 2.
E n g e 1 - Nauheim: Orthotische Albuminurie bei Nephritis. — 3. Theo
Groedel II und Franz Groedel III (Nauheim): Die Form der
Herzsilhouette bei verschiedenen Herzaffektionen. — 4. J o 1 1 e s -
Wien: Die Bedeutung der Pentosen in den Fäzes und deren quanti¬
tative Bestimmung. — 5. Köster - Leipzig: Ueber Fettresorption des
Darmes und die Beeinflussung der Gallenabsonderung durch Fett¬
darreichung. — 6. Kraus - Sanatorium Wienerwald b. Pernitz: Ueber
tuberkulösen Pneumothorax. — 7. K u n z - Leipzig-Plagwitz: Ueber
die Verschleppung ansteckender Krankheiten durch Krankenkassen¬
bücher. — 8 Laqueur-Ems und Löwenthal-Braunschweig: Ueber
die Aufnahme von Radiumemanation bei Bade- und Trinkkuren. —
9. Arnold L o r a n d - Karlsbad: Klinische Beiträge zur Frage über
die Beziehungen der Schilddrüse zum Diabetes. — 10. Lustig-
Meran: a) Die Diätetik bei Arterienverkalkung; b) Ueber einen durch
Röntgenstrahlen geheilten Fall von multiplen Lymphomen. — 11.
Wilhelm Mager -Brünn: Zur Klinik der Erkrankungen des lympha¬
tischen Apparates. — 12. M e i n e r t z - Rostock: Tuberkulose und
Thrombose, ein Beitrag zur Kenntnis des Verlaufes der experimen¬
tellen Tuberkulose in der venöshyperämischen Niere. — 13. Hermann
M e y e r - Dresden : Die intestinale Gärungsdyspepsie. — 14. Rie-
b o 1 d - Dresden : Ueber periodische Fieberbewegungen mit rheu¬
matischen Erscheinungen bei jungen Mädchen (sogen, rekurrierendes
rheumatoides Ovulationsfieber). — 15. R ö s e - Dresden : Zur Patho¬
logie und Therapie der Kalkarmut. — 16. R o s e n b a u m - Dresden:
Blutuntersuchungen beim Krebse des Verdauungskanals. — 17. Ro¬
se n f e 1 d - Breslau): Ueber Hauttalgabsonderung. — 18. Roth¬
schild - Aachen- Die Selbstbehandlung der zentralamerikanischen
Indianer bei rheumatischen Erkrankungen. — 19. S c h e r e r - Brom¬
berg: Gefährdung eines gesunden Ehegatten durch einen tuberkulösen.
— 20. S c h e n k e r - Aarau: Meine Beobachtungen in der Tuber¬
kulosetherapie bei der Anwendung von Marmorekserum. — 21.
Schmidt und L o h r i s c h - Halle a. S.: Die Bedeutung der Zellu¬
lose für den Stoffhaushalt schwerer Diabetiker. — 22. Sc h ii c k i n g -
Pyrmont: Zur Genese der Bleichsucht. — 23. Schürmayer-
Berlin: Zur physikalischen Therapie der Erkrankungen der Leber
und Gallenwege. — 24. S k a 1 1 e r - Görlitz: Zur Behandlung der Gal¬
lensteinleiden. — 25. S t r u b e 1 1 -Dresden: Beiträge zur Immuni¬
tätslehre. — 26. Hans W e i c k e r - Görbersdorf : Das Tuberkulin in
der Hand des praktischen Arztes. — 27. Z i e m s s e n - Wiesbaden:
Heilung der Ischias.
17. Abteilung: Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften.
1. A r c h e n h o 1 d - Treptow: Geschichtliches aus dem Astrono¬
mischen Museum der Treptower Sternwarte. — 2. Fuchs- Dresden:
I hema Vorbehalten. — 3. G e r s t e r - Braunfels: Zur Bibliographie
der Iatrohygiene. — 4. G ü n t h e r - München: Die kartographischen
und geophysikalischen Arbeiten des Schweizers M. A. C a p p e 1 e r. —
5. v. G y ö r y - Budapest: Thema Vorbehalten. — 6. Heintze-
Meissen: Thema Vorbehalten. — 7. K o s s m a n n - Berlin: Die wis¬
senschaftliche Universalsprache in ihrer Beziehung zu der Geschichte
der Wissenschaften. — 8. M a r t i n - Zürich: Thema Vorbehalten. —
9. M u 1 e r t - Meissen: Bäder und Badewesen in Altmeissen. — 10.
Nägeli-Akerblom - Genf: Kopro- und Organtherapie in Genf
um 1700. — 11. N e u b u r g e r - Wien: Thema Vorbehalten. — 12.
P a g e 1 - Berlin: Eine Aufgabe der Gesellschaft für Geschichte der
Medizin. — 13. Derselbe: Demonstration und Erläuterung eines
Liber rarus (Festschrift an Hanut iKamintus]). — 14. Derselbe:
Neue Beiträge zur medizinischen Kulturgeschichte. — 15. Reber-
Genf: Thema Vorbehalten. — 16. Derselbe: Thema Vorbehalten.
— 17. R i c h t e r - Berlin: Beitrag zur Geschichte des Scharlachs. —
18. S chelenz- Wehlheiden-Kassel: Zur Geschichte des Naturselbst-
d.ruckes (Physiotypie). — 19. Derselbe: Zur Geschichte des „Ske-
lettierens“ von Pflanzenblättern (mit Vorführung von Beispielen). —
20. Sb i de 1 - Oberspaar: Thema Vorbehalten. • — 21. Sudhoff-
Leipzig: Die Aufgaben und Hilfsmittel einer medizinischen Archä¬
ologie. — 22. Derselbe: Die Miniaturen des Dresdner lateinischen
Galenkodex und andere Miniaturen mittelalterlicher Handschriften zur
Geschichte der Heilkunde. — 23. Derselbe: Die „Wanderbücher“
Hohenheims. — 24. v. T ö p 1 y - Wien : Brillen und Brillenfuterale
im Mittelalter. — 25. Tr e p t o w - Freiberg: Die älteste Geschichte
des Bergbaues und die geschichtliche Sammlung für Bergbaukunde in
der Kgl. Sächs. Bergakademie Freiberg.
18. Abteilung: Chirurgie.
1. v. Aberle-Wien: Thema Vorbehalten. — 2. Axenfeld-
Freiburg: Exstirpation des Halssympathikus bei Glaukom. — 3. B a d e-
Hannover: Die Indikation zu Sehnenoperationen bei spinalen und zere¬
bralen Lähmungen. — 4. B e c k e r - Rostock: Zur Frage der opera¬
tiven Behandlung von Venenthrombosen (mit Demonstration von
Präparaten). — 5. Derselbe: Die endemische Verbreitung der
Ecchinokokkenkrankheit in Mecklenburg. — 6. Borchardt - Posen :
Thema Vorbehalten. — 7. B o s s e - Berlin: Ueber Lumbalanästhesie.
— 8. Ceci-Pisa: Originalverfahren für kineplastische Amputation
der obereh Gliedmassen. — 9. E h r 1 i c h - Frankfurt a. M.: Wird sich
vielleicht an einer Karzinomdiskussion beteiligen. — - 10. Feder¬
mann-Berlin: Wert und Bedeutung der Leukozytenuntersuchung
für Beurteilung und Behandlung von Abdominalerkrankungen. — 11.
F r i e d r i c h- Greifswald: Thema Vorbehalten. — 12. Glück-
mann -Berlin: Die Spiegeluntersuchung der Speiseröhre und ihre
Ergebnisse (mit Projektionsdemonstrationen). — 13. Derselbe: Die
Öeilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
1565
30. Juli 1907.
Spiegeluntersuchung der unteren Darmabschnitte und ihre Ergebnisse.
— 14. Goldmann - Freiburg: Die Beziehungen des Gefässystems zu
den malignen Neubildungen (mit Projektionsdemonstrationen). — 15.
Goldschmidt -Berlin: Galvanokaustische Eingriffe bei Affek¬
tionen der Urethra posterior. — 16. G r u n e r t - Dresden: Chirur¬
gische Behandlung der Prostatahypertrophie. — 17. Hacken¬
bruch-Wiesbaden: Zur Radikaloperation der Leistenbrüche. — 18.
H a a s 1 e r - Halle a. S.: Beiträge zur Leberchirurgie. — 19. v. Ha-
b e r e r - Wien: Ueber Appendicitis adhaesiva. — 20. H a e n e 1 - Dres¬
den: Chirurgische Behandlung des Ulcus duodeni. — 21. Hauser-
Erlangen: Wird eventuell an einer Karzinomdiskussion teilnehmen,
vielleicht Präparate demonstrieren. — 22. H e n k e - Königsberg: Ist
eventuell bereit, sich mit einem Vortrage über Karzinompathologie
zu beteiligen. — 23. H e u s n e r - Barmen: Ueber Jodbenzindesinfek¬
tion. — 24. Derselbe: Harzklebeverbände. — 25. Hoennicke-
Dresden: Experimentell erzeugte Missbildungen. — 26. Kelling-
Dresden: Ergebnisse serologischer Untersuchungen bei Karzinom. —
27. Derselbe: Mitteilungen über Oesophagoskopie. — 28. Der¬
selbe: Thema Vorbehalten. — 29. K o 1 1 m a n n - Leipzig: Thema
Vorbehalten. — 30. Kuhn -Kassel: Fabrikation des Sterilkatgut.
— 31. Derselbe: Ueberdruck mit weicher Maske bei Lungen¬
operationen. — 32. Derselbe: Operation des Wolfsrachens mittelst
peroraler Tubage. — 33. K o e 1 1 i c k e r - Leipzig: Diagnostische und
therapeutische Erfolge der Oesophagoskopie. — 34. K o e n i g - Altona:
Studien aus dem Gebiet der Knochenbrüche. — 35. Krämer - Böb¬
lingen: Tuberkulinnachbehandlung der chirurgischen Tuberkulose. —
36. L i n d n e r - Dresden: Thema Vorbehalten. — 37. Lorenz-
Wien: Arthrodese und Arthrolyse. — 38. v. M a n g o 1 d t - Dresden:
Endschicksale des transplantierten Knorpels. — 39. Derselbe:
Funktionelle Erfolge operativer Eingriffe bei Gelenkfrakturen (be¬
sonders am Ellbogen). — 40. M ü 1.1 e r - Rostock: Demonstration von
Präparaten. — 41. N ö s s k e - Dresden: Thema Vorbehalten. — 42.
P le 1 1 n e r - Dresden: Ueber Darminvagination. — 43. Payer-
Graz: Wil zur Frage der Organtransplantation sprechen. — 44. Der¬
selbe: Thema Vorbehalten. — 45. R a d m a n n - Laurahütte (Ober¬
schlesien): Chirurgische Behandlung bei epidemischer Genickstarre.
— 46. R e h n - Frankfurt a. M.: Thema Vorbehalten. — 47. R i e d e 1 -
Jena: Die Appendizitis der kleinen Kinder. - — 48. S e y d e 1 - Dresden:
Rationelle Behandlung des Pleuraempyems mit besonderer Berück¬
sichtigung des Aspirationsverfahrens (Bühlau, Perthes, eigenes Ver¬
fahren). — 49. Sc h a n z - Dresden: Zur Skoliose. — 50. Schür¬
mayer- Berlin: Röntgenologie des Abdomens (Projektionsvortrag). —
51. S c h u 1 1 z e - Duisburg: Behandlung der Frakturen des Ellbogen¬
gelenkes durch Autoextension (ohne fixierenden Verband). — 52.
S t i c h - Breslau: Neue Versuche mit Gefäss- und Organtransplan¬
tationen. — 53. T i 1 1 m a n n s - Leipzig: Thema Vorbehalten.
19. Abteilung: Geburtshilfe und Gynäkologie.
1. Falk -Berlin: a) Pathologische ßeckenformen bei Neuge¬
borenen mit Demonstrationen am Projektionsapparat, b) Demon¬
stration von Präparaten von Extrauteringravidität. — 2. G e 1 1 h o r n-
St. Louis: Die Behandlung des inoperablen Uteruskarzinoms mit
Azeton. — 3. Gerstenberg und Hein- Berlin : Beiträge zur Ana¬
tomie der Rückenmarksanästhesie. — 4. H e i n s s - Weimar : Lin
neues Ozoninhalationsverfahren zur Therapie der Tuberkulose,
Anämie, Chlorose, Diabetes, Malaria und Neurasthenie. — 5. v. Holst-
Dresden: Prolapsoperation. — 6. Mueller - München: aj Ueber die
Beziehungen zwischen Darmkrankheiten und Frauenleiden, b) Zur
Kenntnis der Kopfformen bei Neugeborenen. — 7. Rosenfeld-
Wiien: Kraurosis vulvae. (Mit Demonstration von mikroskopischen
Präparaten. — 8. Sauer - Bad Steben: Eignung und Wert der physi¬
kalischen Hilfsmittel in der Gynäkologie. — 9. Tuszkai - Marien¬
bad: Untersuchung und Behandlung von Frauenleiden unter Wasser.
— Nachträglich eingegangen : 1U. Schenk und Scheib- Prag :
Vergleichende bakteriologische und klinische Untersuchungen von
Laparotomie wunden bei gewöhnlichem und verschärftem Wund¬
schutz. — 11. W a gne r - H o h e n l o b b e s e - Dresden: a) aus
den Grenzgebieten der mechanischen und operativen Gynäkologie
(mit Demonstrationen), b) die Bauchnaht (mit Demonstrationen und
praktischen Vorführungen in der Privatklinik Georgstr. 4). —
12. W e i nd 1 e r -Dresden: Zur Geschichte der anatomischen Ab¬
bildung der weiblichen Generationsorgane. — 13. L e o p o 1 d -Dres¬
den: Neue Erfahrungen über die beckenerweiternde Operation (Hebo¬
steotomie) und ihre Stellung zur praktischen Geburtshilfe. —
14. Lichtenstein - Dresden : Demonstration einiger seltener ge¬
burtshilflicher und gynäkologischer Präparate. — 15. Steffen-
Dresden: Ist die Skopolamin-Morphium-Anwendung in der geburts¬
hilflichen Privatpraxis empfehlenswert?
20. Abteilung: Kinderheilkunde.
Referatthema: „Milchküchen und Säuglingsfiirsorge-
stellen.“ Referenten: T r u m p p - München und S a 1 g e - Göttingen.
— Angemeldete Vorträge: 1. B a r o n - Dresden: Zur Klinik der Plaut-
Vincentschen Angina. — 2. B e r n h e i m - K a r r e r - Zürich: Thema
Vorbehalten. — 3. B r ü n n i n g - Rostock i. M.: Zur Geschichte der
Kindertrinkflasche. — 4. Buttermilch - Berlin : Puls, Blutdruck
und Temperatur bei gesunden und kranken Säuglingen. — 5. Esche-
r ich -Wien: Zur Diagnose des tetanoiden Zustandes im Kindesalter.
— 6. Fischl-Prag: Thema Vorbehalten. — 7. F 1 a c h s - Dresden:
Fieberhafte Exantheme im Kindesalter. — 8. H e i m a n n - München:
Der Komplementbestand des jugendlichen Organismus bei natürlicher
und künstlicher Ernährung. — 9. Hoch sing er - Wien : Seitliche
Thoraxlymphknoten im frühen Kindesalter. — 10. H o h l f e 1 d - Leip¬
zig: Ueber Säuglingstuberkulose. — 11. K n ö p f e 1 m a c h e r - Wien:
Subkutane Vakzineinjektionen. — 12. K r ä m e r - Böblingen: Die kon¬
genitale Tuberkulose und ihre Bedeutung für die Praxis. — 13. L ei¬
ne r- Wien: Ueber eine eigenartige universelle Dermatose bei Brust¬
kindern. — 14. M o r o - München: a) Das Verhalten des Serumalexins
beim Säugling, b) Experimentelle Beiträge zur Frage der künstlichen
Säuglingsernährung (nach Untersuchungen, ausgeführt in Gemein¬
schaft mit Frau Dr. E n g e 1 h a r d t - München-Solln). — 15. Neu¬
mann -Berlin: Die Bedeutung des Geburtsmonats für die Lebens¬
aussicht der Säuglinge. — 16. N i e m a n n - Berlin: Die Biogenie des
Keuchhustenerregers. — 17. Pfaundler- München : Säuglings¬
ernährung und Seitenkettentheorie. — 18. v. P i r q u e t - Wien: Dia¬
gnostische Verwertung der Allergie. — 19. P e i s e r - Breslau: Osteo-
psathyrosis im Kindesalter. — 20. Ritter- Berlin: a) Das Säuglings¬
krankenhaus Gross-Berlin nach zweijährigem Bestehen, b) Die Mye¬
litis acuta im Säuglings- und Kindesalter. — 21. Sch ick -Wien:
Ueber Herzstörungen bei Scharlach. — 22. Schlesinger - Strass¬
burg: Das Körpergewicht kranker Säuglinge. — 23. Schloss¬
mann-Düsseldorf: Die Klinik für Kinderheilkunde in Düsseldorf. —
24. S i e g e r t - Köln: Der Nahrungsbedarf, speziell der Eiweissbedarf
auf Grund von Stoffwechselversuchen. — 25. S o 1 1 m a n n - Leipzig:
Thema Vorbehalten. — 26. S w o b o d a - Wien: Thema Vorbehalten.
— 27. T e u f f e 1 - Dresden: Enteritis im Säuglingsalter. — 28. Tob-
ler- Heidelberg: Untersuchungen über die Magenverdauung der Milch.
— 29. Uffenheimer und M o r o - München : Die Einwirkung
menschlicher Lymphe auf den Tuberkelbazillus. — 30. Uffen-
h e i m e r - München: Zur Scharlachfrage. — 31. Z a p p e r t - Wien:
Der Hirntuberkel im Kindesalter. — R i e t s c h e 1 - Dresden: Be¬
sichtigung des städtischen Säuglingsheims und der Waldstation an
noch zu bestimmenden Tagen.
21. Abteilung: Neurologie und Psychiatrie.
1. Anton-Halle a. S.: Ueber geistigen Infantilismus. —
2. B e t h e - Strassburg und Spitzy-Graz: Ueber Nervenregenera-
tion und Heilung durchschnittener Nerven. — 3. Bum- Wien: Peri¬
neurale Infiltrationstherapie der Ischias. — 4: F i s c h e r - Prag:
Ueber den fleckweisen Markfaserschwund in der Hirnrinde bei pro¬
gressiver Paralyse. — 5. G r a b 1 e y - Kurhaus Woltersdorfer
Schleuse: Die therapeutische Bedeutung der Luftbäder bei der Be¬
handlung der Neurasthenie, Anämie und Chlorose. — 6. Haenel-
Dresden: Ueber eine typische Form der tabischen Gehstörung. —
7. H i r s c h - Niederwalluf, Rheingau: Ueber die Bedeutung turne¬
rischer Uebungen im Luftbade, insbesondere für Nervenheilanstalten.
— 8. Hirsch e 1 - Wien: Ueber zerebrogenen Diabetes. — 9. H o p p e-
Uchtspringe, Altmark: Die Bedeutung der Stoffwechselunter¬
suchungen für Geistes- und Nervenkranke. — 10. Kal man- Graz:
Zur Physiologie und Pathologie der Wasserdampfabgabe durch die
Haut. — 11. K r o n f e 1 d - Wien: Zur Geschichte der Epilepsiebehand¬
lung (mit Ausschluss der jetzt üblichen Verfahren). — 12. Liep-
mann-Berlin: Ueber die Wahnrichtungen, insbesondere Grössen-
und Kleinheitswahn. — 13. Mayr -Graz: Ueber das Verhalten der
Eab- und Pepsinsekretion und deren Bedeutung in der Symptomatik
einzelner Gehirnkrankheiten. — 14. Mattausche k -Wien: Ueber
einige Rasseneigentümlichkeiten der Wehrpflichtigen Bosniens und
der Herzegowina. — 15. N i e s s 1 - Osnabrück: Ueber die Lokalisation
der optischen Erinnerungsbilder. — 16. Q u e n s e 1 - Leipzig: Beiträge
zur Aphasielehre. — 17. R e i c h e r - Berlin: Kinematographie in der
Neurologie. — 18. R o h d e - Königsbrunn: Gegenwartsfragen und
Zukunftsaufgaben im Hinblick auf die Behandlung Nervenkranker in
offenen Heilstätten. — 19. Derselbe: Das Vererbungsproblem in
der Neuro- und Psychopathologie. — 20. R o t h m a n n - Berlin: Zur
Funktion des hinteren Vierhügels. — 21. Schröder: Hirnrinden¬
veränderungen bei arteriosklerotischer Demenz. (Mit Demonstra¬
tion.) — 22. S c h u 1 z e - Sorau: Ueber den Einfluss der Psychiatrie
auf die moderne Weltanschauung. — 23. Stadelmann - Dresden :
Erlebnis und Psychose. — 24. Stern- Wien: Gegenwärtige Endziele
aller bewussten Menschenarbeit. — 25. S t r a n s k y - Wien: Zur
Methode der Intelligenzprüfung. — 26. T r ö m n e r - Hamburg: In¬
dikationen der Hypnotherapie. — 27. Z i e h e n - Berlin: Thema Vor¬
behalten. — Während des Druckes angekündigt: 28. Dülken- Leip¬
zig: Die ersten Bahnen im Grosshirn.
22. Abteilung: Augenheilkunde.
Angemeldete Diskussionen: 1. Bach -Marburg und Bumke-
Freiburg i. B.: Die Pathologie der Pupille. — 2. Bieilschowski
und Steinert-Leipzig: Die Bedeutung der Störungen im okulo-
motorischen Apparat für die Lokalisation zerebraler Herderkran¬
kungen. — 3. Birch-Hirschfeld - Leipzig und R. Hoffmann-
Dresden: Die Beziehungen der entzündlichen Orbitalerkrankungen zu
den Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase. — 4. Hess -Würz¬
burg: Die verschiedenen Methoden und Erfolge der Star- und Nach¬
staroperation. — 5. P e t e r s - Rostock und S a 1 1 1 e r - Leipzig. Die
Pathologie und Therapie der einfachen chronischen Bindehautentzün-
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
566
düng. — 6. U h t h o f f - Breslau : Augensymptome bei Hirnsinus-
thrombose. — 7. Z a d e - Leipzig und F. Schanz- Dresden : Die
Aetiologie und Behandlung der eitrigen Bindehautentzündung der Neu¬
geborenen. — Angemeldete Vorträge und Demonstrationen:
8. A x e n f e l d - Freiburg i. B.: Die Exstirpation des Halssympathikus
beim Glaukom. — 9. Derselbe: Die Pathologie des Frühjahrs¬
katarrhs. — 10. B a e u m 1 e r - Dresden: Ueber Glaukoma adolescen-
tium. — 11. Franz B e c k e r - Düsseldorf : Zur Frage der Amblyopia
ex Anopsia. — 12. Hermann B e c k e r - Dresden: Je ein
Fall von wahrem und falschem Gliom der Netzhaut. —
13. Derselbe: Demonstration mikroskopischer Präparate. —
14. B e s t - Dresden : Ektropionoperation. — 15. Derselbe: De¬
monstration mikroskopischer Präparate von Mikrophthalmos. —
16. B o n d i - Iglau : Augenbefunde bei Geisteskranken. — 17. E 1 s c h -
nig-Prag: Thema Vorbehalten. — 18. F 1 e i s c h e r - Tübingen:
Ueber Reste des Musculus retractor bulbi beim Menschen. —
19. G r e e f f - Berlin: Thema Vorbehalten. — 20. Heymann-
Dresden: Beitrag zur Kasuistik des Melanosarkoms. — 21. Kriick-
m a n n - Königsberg: Ueber einige sog. rheumatische Augenerkran¬
kungen. — 22. L e s k i e n - Leipzig: Ueber die Verbreitung des
„pathologischen“ Astigmatismus nach dem Materiale der Leipziger
Universitätsklinik. — 23. L i e b r e c h t - Hamburg: Weitere Be¬
obachtungen über Schädelbruch und Auge. — 24. Otto Meyer- Bres¬
lau: Hat die Serumbehandlung einen Einfluss auf das Vorkommen
postdiphtheritischer Augenerkrankungen? — 25. Waldemar Lothar
Meyer- Dresden : Ueber eitrige Keratitis. — 26. P e t e r s - Rostock :
Thema Vorbehalten. — 27. v. P f 1 u g k - Dresden: Jodkalium und
Linsenepithel; dazu Demonstration mikroskopischer Präparate. —
28. Derselbe: Ueber ölige Kollyrien. — 29. Raehlmann-
Weimar: Die Theorie der Licht- und Farbenempfindung auf ana¬
tomisch-physikalischer Grundlage. — 30. S a 1 1 1 e r - Leipzig: De¬
monstration mikroskopischer Präparate. — 31. Fritz Schanz und
S t o c k h a u s e n - Dresden: Wie schützen wir die Augen vor den
ultravioletten Strahlen unserer künstlichen Lichtquellen? —
32. S c h i e c k -Göttingen: Ueber spontane Tumorimplantation am
menschlichen Auge. — 33. Schmidt-Rimpler- Halle a. S. :
Ueber Sehnervenatrophie mit Drucksteigerung. — 34. Seefelder-
Leipzig: Ueber die Verbreitung des Hornhautastigmatismus in der
Armee. — 35. Uhthoff - Breslau : Thema Vorbehalten. — 36. V ei¬
lt a g e n - Chemnitz: Demonstration von Schnitten durch eine alte
T enotomienarbe. — 37. Wicherkiewicz- Krakau : Ueber die kos¬
metische und prophylaktische Bedeutung der Tenotomie sämtlicher
Reeti bei Phthisis bulbi. — 38. Hugo W o 1 f f - Berlin : Zur Photo¬
graphie des menschlichen Augengrundes. — 39. Wolfrum - Leip¬
zig: Ueber die feinere Anatomie der Regenbogenhaut. — 40. Z im¬
mer m a n n - Görlitz: Thema Vorbehalten. — Während des Öruckes
angekündigt: 4L H. F r e u n d - Reichenberg: Missbildungen des
Auges.
23. Abteilung: Hals- und Nasenkrankheiten.
Angemeldete Diskussionen: B i r c h - H i r s c h f e 1 d - Leipzig
und R. H o f f m a n n - Dresden: Die Beziehungen der entzündlichen
Orbitalerkrankungen zu den Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase.
— 1. B a r t h - Leipzig: a) Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenheilkunde sind
beim Unterricht, auf wissenschaftlichen Kongressen und in der Litera¬
tur grundsätzlich gemeinsam, nicht getrennt zu behandeln, b) Die
Atmung, insbesondere die Veränderung der Körperoberfläche bei der¬
selben. — 2. B 1 a u - Görlitz: Thema Vorbehalten. — 3. Blumen¬
feld-Wiesbaden: Adenoide Vegetationen und intrathorakale Drüsen.
— 4. G e r b e r - Königsberg: Komplikationen der Stirnhöhlenentzün¬
dungen. — 5. G u t z m a n n - Berlin: a) Ueber normale und patho¬
logische Sprachakzente. b) Zur Diagnose und Therapie der Sigma¬
tismen. — 6. Hajek-Wien: Ueber Indikationen zur operativen Be¬
handlung der chronischen Stirnhöhleneiterung. — 7. Heymann -
Berlin: Thema Vorbehalten. — 8. Hoffmann - Dresden: Kranken-
vorstellung. — 9. I m h o f e r - Prag: Musikalisches Gehör bei
Schwachsinnigen. — 10. Kahl er- Wien: Demonstrationen: a) ein
Sarko-Karzinom des Sinus pyriformis; b) ein Cholesteatom des Stirn¬
bein. — 11. Kuhn -Kassel: Weiteres zur peroralen Tubage, mit
Demonstrationen. — 12. M a n n - Dresden: a) Ein Fall von Laryngo¬
zele; b) Vorstellung tracheo-bronchoskopischer Fälle. — 13. P a n s e -
Dresden: a) Ueber Nasenspülungen; b) Erklärung von Instrumenten.
— 14- R o s e n b e r g - Berlin: Ueber kalten Abszess des Kehlkopfes.
— 15. R u d 1 0 f f - Wiesbaden: Demonstration a) eines Falles von
Drucknekrose an der Hinterwand des Kehlkopfes; b) eines Falles von
Myxochondrom im Nasenrachenraum. — 16. S a 1 z b-u rg -Dresden:
a) Erkrankung der Singstimme und ihre Behandlung; b) Vorstellung
geheilter Fälle: Nasenkarzinom, Larynxsarkom.
Zur Zeit der Naturforscherversammlung wird die Deutsche La-
ryngologische Gesellschaft in Dresden tagen. Die Vorträge derselben
werden in den Sitzungen der Laryngologischen Sektion gehalten
werden.
24. Abteilung: Ohrenheilkunde.
1. Alexander - Wien: a) Zur Kenntnis der Labyrintheiterung;
b) das Gehörorgan der Kretinen. — 2. B a r t h - Leipzig: Kehlkopf-,
Nasen- und Ohrenheilkunde sind beim Unterricht, auf wissenschaft¬
lichen Kongressen und in der Literatur grundsätzlich gemeinsam,
No. 3t.
nicht getrennt zu behandeln. — 3. B 1 a u - Görlitz: Thema Vorbehalten.
— 4. Hinsberg - Breslau: Thema Vorbehalten. — 5. M a n n - Dres¬
den: Orbitalphlegmone im Verlauf einer akuten Otitis media. — 6.
Nager -Basel: Demonstrationen zur pathologischen Anatomie des
Labyrinths. — 7. P a n s e - Dresden: Präparate zur Histologie der
Labyrintherkrankungen. — 8. Re i n k r u g - Breslau: Thema Vorbe¬
halten. — 9. R u d 1 0 f f - Wiesbaden: Ueber Plastik nach Radikal¬
operation.
25. Abteilung: Dermatologie und Syphilidologie.
Angemeldete Vorträge:
1. B r u h n s - Berlin: Beiträge zur Kenntnis des Syphilisverlaufs
und seine, Beeinflussung durch die Behandlung. — 2. Delbanco-
Hamburg:' Lupus follicularis disseminatus (Lupus miliaris) geheilt
durch Neutuberkulin. — 3. Derselbe: Ein bezüglich der tuberkulösen
Aetiologie bemerkenswerter Fall von Lupus erythematodes. — 4.
Derselbe: Kraurosis glandis et praeputii penis. — 5. Derselbe:
Anatomische Mitteilungen. — 6. Dommer - Dresden: Demonstration
urologischer Apparate. — 7. Ehrmann-Wien: Weitere Versuche
über die Autoinokulation bei Syphilis (mit Demonstration). — 8. D e r -
selbe: Ueber die Wirkung von Licht- und Röntgenstrahlen bei Pig¬
mentatrophien und Hypertrophien (mit Demonstration). — 9. Ep¬
stein - Nürnberg: Die Exfoliatio areata palmaris. — 10. Frank-
Berlin: Ueber die Einwirkung des Atoxyl auf die Bakterien der Harn¬
wege. — 11. Galewsky - Dresden: Demonstrationen. — 12. Der¬
selbe Ueber kongenitale Talgdrüsen bei Neugeborenen (mit mikro¬
skopischen Demonstrationen). — 13. Derselbe: Häufigkeit und
Therapie der nichtgonorrhoischen Urethritis. — 14. Derselbe: Vier
Fälle von Tabes in den ersten Jahren nach der Infektion. — 15.
Heyma n n - Dresden : Erfahrungen mit der Quarzlampe. — 16. H o p f-
Dresden: Ueber extragenitale Sklerosen. — 17. Juliusberg - Ber¬
lin: Ueber einen eigentümlichen Tumor der Bauchhaut. — 18. K 1 in g -
m ii 1 1 e r - Kiel : Therapie der Gonorrhoe des Mannes. — 19. Krau s-
Prag: Ueber positive Impfergebnisse mit Rhinosklerom. — 20. Krei-
b i c h - Prag: Zur Quecksilberwirkung. — 21. Lassar - Berlin: Haut¬
krankheiten und Stoffwechsel. — '22. L ed e r m a n n - Berlin: Thema
Vorbehalten. — 23. M a n n - Dresden: Syphilisähnliche Menstruations¬
exantheme. — 24. D e r s e l b e: Ein Fall von Pemphigus traumaticus.
— 25. M e i r 0 w s k y - Graudenz: Ueber eine Methode der vollstän¬
digen Beseitigung von Tätowierungen mit Demonstrationen. — 26.
Nagelschmidt - Berlin : Zur Indikation der Röntgenbehandlung.
— 27. .Derselbe: Heutiger Stand der Radiotherapie und deren
Indikation. — 28. No bl -Wien: Die diagnostische Bedeutung organi¬
sierter Syphilisprodukte. — 29. Derselbe: Zur Aetiologie der Pi¬
tyriasis lichenoides chronica. — 30. O p p e n h e i m - Wien: Beitrag
zur Hautresorption. — 31. Derselbe: Ueber Pityriasis rosea. — 32.
Derselbe: Eine eigenartige Hauterkrankung. — 33. Pinkus-
Berlin: Ueber Naevus acneiformis. — 34. R i 1 1 e - Leipzig: Thema
Vorbehalten. — 35. R 0 t h s c h u h - Aachen: Gichttripper und Penis¬
gicht. — 36. Schiff- Wien: Die Grenzen der Röntgentherapie. —
37. S i e g e 1 - Berlin : Ueber die Aetiologie der Syphilis. — 38. S p i e g-
ler- Wien: Neue Untersuchungen über die chemische Natur des Haar¬
pigmentes und der menschlichen Haut. — 39. S t e i n - Görlitz: De¬
monstration von Kranken. — 40. D e r s e 1 b e: Ein schwerer Fall von
Hg-Intoxikation. — 4L Ster n - Düsseldorf: Die Behandlung der Epi-
dydimitis und der Bubonen mit Hyperämie. — 42. S t r e b e 1 - Mün¬
chen : Ozonbehandlung der Gonorrhoe. — 43. Tornas zewsky-
Halle: Ueber Impfungen mit Syphilis am Kaninchenauge. — 44.
W a e 1 s c h - Prag: Ueber die Epididymitis sympathica. — 45. Wer¬
th e r - Dresden : Demonstrationen. — 46. Derselbe: Ueber Lym-
phangioma tuberosum multiplex. — 47. Derselbe; Atrophia cutis
maculosa. — 48. Derselbe: Tuberkulide. — 49. Derselbe: Ka¬
suistische Mitteilungen zur operativen Behandlung der Prostata¬
hypertrophie. — 50. Winkler- Wien: Experimentelle Studien über
die Schweissekretion. — 51. Zie 1 e r - Breslau: Neuere Methoden der
Quecksilberanwend.ung bei Syphilis. — 52. Derselbe: Demon¬
stration von Moulagen aus der Breslauer Hautklinik.
Im Zimmer 71 der Technischen Hochschule befindet sich die Aus¬
stellung von Moulagen, Photographien etc.
26. Abteilung: Zahnheilkuiide.
1. B r and t -Berlin: a) Ueber die Beziehungen zwischen Zahn,
Oberkiefer und Nasenscheide; b) In wie weit entspricht die Behand¬
lung der Blutung nach Zahnextraktionen den Anforderungen der heu¬
tigen Chirurgie. — 2. Bruhn - Düsseldorf: a) Zur Frage der Devitali-
sation der Zähne vor ihrer Ueberkappung; b) Eine Demonstration von
Vorrichtungen zur Befestigung loser Zähne. — 3. F e n c h e 1 - Ham¬
burg: a) Elektromotorische Kraft von Strömen im Munde; b) Kontroll-
methoden für zahnärztliche Amalgame. — 4. Hasse - Koblenz: Ueber
Krystallgehalt und Lösungsdruck als Ursachen der Formverände¬
rungen unserer Amalgame. — 5. H e r b s t - Bremen; Zahnärztliche
Orthopädie im Dienste der Chirurgie. — 6. K r 0 n f e 1 d - Wien:
Schwere Folgezustände nach Erkrankung von Milchzähnen. — 7.
K ü h n a s t - Dresden: Die Rechtslage in der zahnärztlichen Behand¬
lung für Krankenkassen. — 8. K u 1 k a - Wien: Ueber die wichtigsten
mechanischen und einige chemische Eigenschaften der Silikat- und
Zinkphosphatzemente. — 9. K u n e r t - Breslau: Demonstration der
Ullendorf sehen Gussmethode. — ~S). Kunstmann - Dresden ;
30. Juli 1907.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
1567
Wurzelspitzenresektionen mit Demonstrationen. — 11. Lunia-
ts c h e k - Breslau: a) Welchen Wert hat die interne Medikation für
die Entwicklung der harten Zahnsubstanz? b) Demonstration: Auf
welche Weise kann man einzelstehende Eckzähne als Stützpunkte für
Brückenarbeiten verwenden? — 12. M e y e r - Dresden: Ueber mehr¬
jährige Erfahrungen der Behandlung irregulärer Zahn- und Kiefer¬
regulierungen nach Pf aff scher Methode. — 13. M e t z - Meran in
Tirol: Pflege des Kindergebisses. — 14. P f a f f - Dresden: a) Zwölf¬
jährige Erfahrungen über Kronen- und Brückenarbeiten mit Demon¬
strationen; b) Regulierungsmethoden in ihrer geschichtlichen Entwick¬
lung mit besonderer Berücksichtigung ihrer Vor- und Nachteile. —
15. P o 1 s c h e r - Dresden: Einfluss des künstlichen Zahnersatzes auf
Kauen und Kiefergelenk. — 16. R e i c h - Marburg: a) Einiges über
irreguläres Dentin; b) Demonstration des irregulären Dentins an mi¬
kroskopischen Präparaten. — 17. R ö s e - Dresden: a) Ueber den
Durchbruch der bleibenden Zähne des menschlichen GebLses; b)
Ueber Kupferamalgam mit Demonstrationen. — 18. Schachtel-
Breslau: Der Zahnarzt und die Hygiene. — 19. S t e h r - Roermond:
a) Beiträge zur Ernährungsfrage; Demonstration von 3 für die Zahn-
und Kieferregulierung ungeeigneten Fällen. — 20. Windmüller-
Hamhurg: Ueber chirurgische Instrumente des Altertums mit De¬
monstrationen und Lichtbildern. — 21. Z i e g e 1 - Görlitz: a) Herstel¬
lung schwer fliessender Emailblöcke mit dem Trottner sehen Ofen;
b) Demonstration des O 1 1 e n d o r f sehen Giessverfahrens zur An¬
fertigung von Brücken- und Plattenprcthesen mit dem Trottner-
schen Ofen.
27. Abteilung: Militärsanitätswesen.
Angemeldete Vorträge.
1. S c h i 1 1 - Dresden: Die erste Hilfe der Verwundeten. — 2.
Derselbe: Die Bruchfrage in der Armee. — 3. Steinhausen-
Danzig: A typische Hitzschlagformen. — 4. Mann -Krakau: Hy¬
sterie des Soldaten. — 5. N a e t h e r - Leipzig: Praktischen Erfah¬
rungen entstammende Winke für die militärärztliche Sachverstän¬
digentätigkeit vor den Militärgerichten. — 6. N u e s s e - z. Zt. Hoyer-
Nordsee: Das Institut und die Methode Finsen. — 7. Häring-
Dresden: Aussergewöhnliche Körpertemperaturen. — 8. Blau-
Berlin: Vortäuschung von Fehlern und Gebrechen von seiten der
Militärpflichtigen. — 9. S i c k i n ge r - Brünn: Bisherige Erfolge der
zahnärztlichen Behandlung in Armee und Schule mit weiteren Vor¬
schlägen. — Während des Druckes angekündigt: 10. H. Freund-
Reichenberg: Der erste Kriegsverband. — 11. Derselbe: Kokain
als Gegenmittel des Erbrechens bei allgemeiner Narkose.
28. Abteilung: Gerichtliche Medizin.
Angemeldete Diskussionen:
1. Z a n g g e r - Zürich und S c h w a b e - Saarbrücken: Tod im
Bergwerk vom gerichtlich-psychiatrischen Standpunkt. — 2. Men¬
del-Berlin und Fritz S t r a s s m a n n - Berlin : Familienmord in
gerichtlich-psychiatrischer Beziehung.
Angemeldete Vorträge:
1. B e u m e r - Greifswald: Nochmals die Lungenfäulnis Neu¬
geborener. — 2. K e n y e r e s - Klausenburg: Anschuldigung wegen
Ritualmord. — 3. K o c k e 1 - Leipzig: Mikroskopische Untersuchung
von Blutflecken. — 4. K r a 1 1 e r - Graz: Blutprobe van Deen;
Schädelbruchformen. — 5. L e e r s - Berlin: Exhibitionismus. —
6. L. i n i g e r - Düsseldorf : Wann sind Amputierte erwerbsunfähig etc.
— 7. O p p e - Dresden: Zyankalivergiftung. — 8. P u p p e - Königs¬
Verschiedenes.
Gerichtliche Entscheidungen.
Von der Verantwortlichkeit des Arztes.
Die Frau des Schuhmachermeisters A. aus einem Dorfe bei
U 1 m begab sich eines Tages zu einem Arzt in Ulm, der ihr zum
Schwitzen ein Kastendampfbad gab. Infolge der zu langen Aus¬
dehnung des Schwitzbades ist die Frau au einem Ohnmachtsanfall
mit nachfolgender Herzlähmung verstorben. Der Arzt wurde darauf¬
hin wegen fahrlässiger Tötung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
In dem gegenwärtigen Rechtsstreit machen nun der Ehemann der
Verstorbenen und dessen Kinder gegen den Arzt Schadensersatz¬
ansprüche geltend, weil der Tod der Verstorbenen durch die Fahr¬
lässigkeit des Arztes herbeigeführt worden ist. Der Beklagte schil¬
dert jetzt den Vorgang in der Weise, dass er der Frau das Kasten¬
dampfbad verabreicht habe und dass er nach Ablauf der Badezeit
das um den Hals liegende Tuch weggenommen und die Frau auf¬
stehen geheissen habe. Nachdem er noch den Deckel selbst geöffnet,
habe er dann die Zelle wegen der grossen Schamhaftigkeit der Frau
auf deren Bitten verlassen. Als er dann nach einer dem Ankleiden
entsprechenden Zeitspanne und noch einigem Warten die Zelle
öffnete, habe die Frau bereits tot im Dampfkasten gesessen. Dem¬
nach habe sie von selbst den Kastendeckel wieder heruntergeschlagen,
um das Bad weiter auszudehnen, oder sie müsse nach dem vor¬
berg: Erwerbsfähigkeit der Bettler und Vagabunden. — 9. Reven-
s t o r f - Hamburg: Aspiration flüssiger Medien in bewusstlosem Zu¬
stande. — 10. Ungar -Bonn: Säuglingssterblichkeit und gericht¬
liche Medizin. — 11. Ziemke-Kiel: Tod durch Herzverletzung.
Vergiftung durch verdorbenen Weizen. — 12. I p s e n - Innsbruck:
Ueber Pankreasblutung in ihrer Beziehung zum Tode der Neuge¬
borenen. — 13. M o 1 i t o r i s - Innsbruck: Zur gewichtsmässigen Er¬
mittelung von Pflanzengift.
Die Sitzungen werden gemeinschaftlich mit der Deutschen Ge¬
sellschaft für gerichtliche Medizin (Vorsitzender: Herr Prof. Krat-
t e r - Graz) abgehalten.
29. Abteilung: Hygiene und Bakteriologie.
Angemeldete Vorträge:
1. Ditmar-Graz: Ueber die Zulässigkeit von Regeneraten zu
Gummimischungen, aus welchen hygienische Gummiartikel hergestellt
werden sollen. — 2. v. D r i g a 1 s k i - Hannover: Aetiologie und
Pathologie der Ruhr, einschliesslich der Tropendysenterie. —
2. F r i e s e - Dresden: Ueber einige neue Reaktionen auf Formal¬
dehyd in Milch. — 4. G a s c h - Dresden: Die Hygiene der Schul¬
turnhalle. — 5. H e f f t e r - Duisburg a. Rh.: Gewerbehygiene und
Arbeiterwohlfahrt (die Teilnahme des Arztes an der Gewerbe¬
inspektion). — 6. H e s s e - Dresden: a) Methodik der bakteriologi¬
schen Stuhluntersuchung, mit besonderer Berücksichtigung der Ty¬
phusbazillen; b) Methodik der Bestimmung der Zahl der Keime (Bak¬
terien) in Flüssigkeiten. — 7. K u n z - Leipzig-Plagwitz: Die Ver¬
breitung menschlicher Seuchen durch Krankenkassenmitgliedsbücher.
— 8. Lange - Dresden : Thema Vorbehalten. — 9. L u f f t - Dresden :
Die Gefahren der elektrischen Starkströme. — 10. R e n k - Dresden :
Ueber die Russgefahr der Luft. — 11. S t o c k h a u s e n - Dresden:
Die Beleuchtung von Arbeitsplätzen und Arbeitsräumen. — 12. W a g -
ner-Hohenlobbese - Dresden : Physiologie und Psychologie
der Leibesübungen und ihre Anwendung auf das Turnen. — 13. Weyl-
Charlottenburg: Thema Vorbehalten. — 14. H a n a u e r - Frank¬
furt a. M.: Historisches zur Frankfurter Medizinalstatistik.
30. Abteilung: Tropenhygiene.
1. v. B a e 1 z - Stuttgart: Ueber japanisches Ueberschwemmungs-
fieber. — 2. P 1 e h n - Berlin: Ueber die Methodik der Malariabehand¬
lung mit Chinin. — 3. B o h n e - Hamburg: Ueber klinische Wirkung
des Chininum basicum. — 4. Viereck - Hamburg: Ueber fieberhafte
Anaemie im Anschluss an Malaria. — 5. Mü hl e ns - Wilhelmshafen:
Die Schlafkrankheit und deren Behandlung. — 6. Böse-Kiel: Er¬
fahrungen bezüglich der Dysenterie in Ustasien. Mit epidiaskop. Pro¬
jektion. — 7. Sticker - Köln a. Rh. : Demonstrationen. — 8. Maye r-
Hamburg: Ueber Malariaparasiten beim Affen. — 9. Kaisselitz-
Hamburg: Ueber durch Sporozoen (mit Susporiden) hervorgerufene
pathologische Veränderungen. — 10. F ü 1 1 e b o r n - Hamburg: Ueber
den Stand unserer Kenntnisse von den Blutfilarien des Menschen. —
11. W e r n e r - Hamburg: Ueber Schwarzwasserfieberniere. —
12. B e n d a und P 1 e h n - Berlin: Zur mikroskopischen Anatomie der
Framboesia. — 13. R o t h s c h u h - Aachen: Die Syphilis in Zentral¬
amerika. — 14. Z i e m a n n - Kamerun: Ueber Trypanosomen bei
Mensch und Tier in Westafrika. — 15. M a u r e r - München: Krank¬
heiten, welche bei Tropenbewohnern nicht Vorkommen oder selten
sind. — 16. S c h 1 e n d e r - Bromberg: Beiträge zu den im Herero¬
feldzuge beobachteten Erkrankungen des Intestinaltraktus. —
17. K r a u s e - Berlin: Ueber Tier- und Pflanzengifte aus den
deutschen Kolonien. — 18. N i e u w e n h u i s - Leiden: Ueber Züch¬
tung des Pilzes Tinea albigena.
geschriebenen Wannenbad nochmals in den Kasten gegangen sein,
um sich zu wärmen, was beides gegen seine Vorschriften verstossen
habe.
Das Landgericht Ulm, wie auch das Oberlandes-
ge rieht Stuttgart nahmen jedoch ein fahrlässiges Verschulden
des Beklagten an dem Tode der Frau an und verurteilten den¬
selben zu einer entsprechenden Schadloshaltung für die Dienste, die
die Frau dem Haushalt geleistet hatte. Das Oberlandesgericht führt
in seiner Begründung hierzu aus, dass die Frau nach dem Gutachten
der Sachverständigen nicht plötzlich durch einen Schlaganfall ver¬
storben sei, sondern im Schwitzkasten einen Ohnmachtsanfall er¬
litten habe, zu dem später Herzlähmung getreten sei. Wenn der
Ohnmachtsanfall rechtzeitig bemerkt und die Frau aus dem Kasten
entfernt worden wäre, so wäre der Tod zweifellos vermieden worden.
Als der Beklagte die Frau aus dem Kasten gehen hiess und wieder
aus der Zelle ging, so hätte er unbedingt darauf merken müssen, ob
sie seinen Anordnungen Folge leistete. Er hätte sich davon auch
durch Klopfen oder Rufen überzeugen können. Dies
habe er aber nicht getan. Dazu komme auch noch, dass er die
Flammen der Heizrohre habe brennen lassen. Hiermit habe er aber
fahrlässig gehandelt. Denn er hätte damit rechnen müssen, dass das
Entfernen des Tuches vom Halse und das Ausströmen der heissen
Luft aus dem Kasten einen Ohnmachtsanfall bei der Frau hervor-
rufen könnte. Etwaige Erwägungen, das Schamgefühl der Frau zu
schonen, spielten hier keine Rolle. Dass die Frau das Bad benutzt
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
1563
Mo. 31.
und dann wieder in den Kasten gegangen sei, sei unwahrscheinlich,
da die Badewanne keinerlei Spuren davon aufgewiesen habe. Ebenso
unwahrscheinlich sei die Einwendung des Beklagten, dass er bei
der Rücksichtnahme auf das Schamgefühl der Frau den Deckel selbst
geöffnet habe. Demgegenüber sei die Möglichkeit nicht von der
Hand zu weisen, dass die Frau ohnmächtig geworden ist, ehe sie den
Deckel öffnen konnte.
Gegen dieses Urteil hatte der Beklagte Revision eingelegt. Der
VI. Zivilsenat des Reichsgerichts erkannte jedoch auf Zurück¬
weisung der Revision.
Therapeutische Notizen.
In einer Arbeit aus der 3. medizinischen Abteilung des Kaiser-
Franz-Josef-Spitals in Wien (Prof. H. Schlesinger) berichtet
Hugo Einhorn über Kephaldol, ein neues Antipyretikum
und Antineuralgikum. Ueber das Mittel liegen bisher auch
einige andere vertrauenswürdige Arbeiten aus österreichischer Quelle
vor, in dienen seine Brauchbarkeit als Antipyretikum und Antineural¬
gikum bestätigt wird. Das Kephaldol ist ein gelblich-weisses,
ziemlich feines, etwas bitter schmeckendes Pulver, das in Wasser
fast unlöslich, leichter in Alkohol löslich ist. Seiner chemischen Zu¬
sammensetzung nach ist es ein durch eine unter bestimmten Verhält¬
nissen erzielte Einwirkung von Zitronensäure und Salizylsäure auf
Phenetidine resultierendes Reaktionsprodukt. Verordnet wird
Kephaldol am besten in Oblaten. Die Dosen betrugen 1 — 5 g
täglich. Der Temperaturabfall tritt bald ein. Das Mittel wurde an
einer grossen Zahl von Patienten erprobt, die an den verschiedensten
fieberhaften und neuralgischen Affektionen litten. Seine Indikation
als Antineuralgikum betrifft vor allem echte neuralgische und neuri-
tische Beschwerden; weniger prompt wirkt es bei akuten, besser bei
chronischen artikularen Ariektionen. (Zentralbl. f. d. ges. Therapie
1907, H. 2.) F. L.
Ueber Sajodin berichtet Otto Anacker in einer Würz¬
burger Dissertation (1907). Er hat genaue Untersuchungen — auch
Selbstversuche — über die bei der krage der Bewertung eines Jod¬
präparates so wichtige Resorptionsfrage angiestellt und gefunden,
dass bei nüchterner Verabreichung die Resorption verhältnismässig
spät beginnt und die Ausscheidungsdauer keine lange ist. Anders ge¬
stalten sich aber die Verhältnisse, wenn das Sajodin eine halbe
Stunde nach der Mahlzeit verabreicht wird: in diesem Falle ist die
Resorption eine schnelle und die Ausscheidung dauert sehr lange;
dabei soll man keine ausgiebige Stärkediät geben, weil diese die Re¬
sorption des Jods verhindert, und ebenso soll man den Alkoholgenuss
einschränken, weil der Alkohol beschleunigend auf die Jodausschei¬
dung wirkt und so teils die Wirkung schwächt, teils die Gefahr des
Jodismus steigert. Anackers Arbeit liegen 67 Fälle zu gründe.
Das Sajodin wurde meist in Dosen von 1 g 3 mal täglich gegeben,
nur bei Lues bis 6 g. Als Vorzüge des Saj odins bezeichnet
Verf. die Geruch- und Geschmacklosigkeit und das Fehlen von
Magenerscheinungen (wegen der erst im Darm erfolgenden Spal¬
tung). Wenn auch nicht alle Symptome von Jodismus bei seinem
Gebrauche fehlen, „so sind sie doch so wenig ausgesprochen und
gehen in einer so milden Form vorüber, dass die Behandlung nicht
deshalb ausgesetzt zu werden braucht“. Interessant ist die mehrfach
gemachte Beobachtung, dass in Fällen, in welchen zuerst die Jod¬
alkalien auch in kleinen Gaben schon Jodismus hervorrufen, eine
vorhergehende Medikation von Sajodin bewirkt, dass darnach
selbst grössere Jodkaligaben gut vertragen werden. Auch bei Ner¬
venkrankheiten und Arteriosklerose schien die S a -
jodindarreichung keineswegs der Darreichung von Jodkali
nachzustehen; luetische Erscheinungen gingen nach Sa¬
jodin ebenso prompt zurück, wie nach Jodalkalien. Schwerere Er¬
scheinungen von Jodismus wurden in den 67 Fällen nie, leichtere
4 mal beobachtet. F# L,
Pepsort hin (/ teipis = Verdauung, 6(>&6w = verbessern) ist
ein nach den Angaben von R o d a r i hergestelltes Stomachikum,
welches als wirksame Bestandteile den zu Pulver verarbeiteten
Milchsaft der Carica Papaia, das P a p a i n oder Papayotin, ferner
Magnesiumperoxyd und Benzonaphthol (von Ewald
zur Bekämpfung der Darmfäulnisprozesse eingeführt) enthält. Das
Mittel wird von Sauters Laboratorium in Genf hergestellt. In
diesem Präparat kommt neben der mächtigen eiweissverdauenden
Kraft des Papa in (1 g dieses künstlichen Fermentes kann bis zu
2UÜ g Eiweiss peptonisieren — 100 Tropfen von Acidum hydrochlori-
cum dilutum vermögen nur 18 g Eiweiss zu verdauen) die antifer¬
mentative, gärungswidrige und antiseptische Wirkung des
Sauerstoffes in statu nascendi, daneben noch die
Benzonaphtholwirkung zur Geltung. R o d a r i, dem wir
eine Reihe wertvoller Arbeiten über die Pathologie und Therapie der
Verdauungskrankheiten verdanken, berichtet über dieses Pepsor¬
th i n, mit dem er sehr günstige symptomatische Erfolge erzielt hat.
im Zentralbl. f. d. ges. Therapie No. 5, 1907. F. L.
mannschaft des „Caesarewitsch“ ist nach Desinfektion ihrer Kleider
und Habseligkeiten abgesondert worden und befindet sich unter fort¬
gesetzter ärztlicher Beobachtung. Bis zum 16. Juli waren weitere
Pestfälle dort nicht beobachtet. — Aegypten. V-om 6. bis 13. Juli wur¬
den 23 Erkrankungen (und 7 Todesfälle) an der Pest festgestellt.
Während der ersten 6 Monate des laufenden Jahres — bis zum
11. Juli — sind in ganz Aegypten 973 Erkrankungen (und 745 Todes¬
fälle) an der Pest vorgekommen, also im zweiten Vierteljahr fast dop¬
pelt so viele wie im ersten. — Britisch-Ostindien. In Madras ist
in der Zeit vom 9. bis 15. Juni eine von ausserhalb krank eingetroffene
Person an der Pest gestorben. In Kalkutta starben vom 9. bis
15. Juni 62 Personen an der Pest. — China. Zufolge einer Mitteilung
vom 10. Juni waren letzthin in der Umgegend von Swatau mehrere,
bis dahin vereinzelte Pestfälle unter der einheimischen Bevölkerung
vorgekommen. — Mauritius. In der am 6. Juni abgelaufenen
Woche wurde wieder 1 Erkrankung und 1 Todesfall an der
Pest angezeigt, nachdem während der vier vorangegangenen Wochen
angeblich kein Pestfall vorgekommen war. — Zanzibar. Seit dem
8. Juli ist in der Stadt Zanzibar das Auftreten der Pest amtlich fest¬
gestellt. — Britisch-Siidafrika. In King Williamstown ist in der am
15. Juni abgelaufenen Woche ein neuer Pestfall festgestellt worden.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 7. bis
13. Juli sind 55 Erkrankungen (und 21 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 28. Jahreswoche, vom 7. bis 13. Juli 1907, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Posen mit 32,9, die geringste Dtsch. Wilmersdorf mit 6,3 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestor¬
benen starb an Scharlach in Königsberg, Spandau, an Masern und
Röteln in Aachen, Heidelberg, Lübeck, an Keuchhusten in Hildesheim.
V. d. K. G.-A.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
V erzogen: Dr. med. Fritz S e i d e r e r von Murnau als Bahn¬
arzt nach Ingolstadt. Dr. H. Denzinger von Schiitberg nach
Murnau.
Auszeichnung: Dem Generalarzt Dr. Herrmann, Vor¬
stand des Operationskurses für Militärärzte, wurde das Kommandeur-
kreuz 2. Klasse des Kgl. Dänischen Danebrogordens und des Kgl.
Schwedischen Wasaordens verliehen.
Korrespondenz.
Berichtigung zu der Arbeit Serodiagnose bei Lues, Tabes
und Paralyse durch spezifische Niederschläge von Dr. Fornet und
J. Schere schewsky.
Die Tabelle I der in der vorigen Nummer dieser Wochenschrift
erschienenen Arbeit ist infolge eines Druckfehlers unverständlich;
sie muss folgendermassen lauten:
1’ a b e 1 1 e I.
Pest. Russland. In Odessa ist am 12. Juli in das städtische
Krankenhaus ein Heizer des Dampfers „Caesarewitsch“ eingeliefert
werden, dessen am 14. Juli erfolgter Tod, wie die bakteriologische
Untersuchung zeigte, durch Pest herbeigeführt wurde. Die Schiffs¬
No.
Syphilitisch.
Leberauszug
Normaler
Leberauszug
Syphilitisch.
Äntiserum
(64)
Nichtsyphil.
Antiserum
Resultat
1
X
X
positiv
X
X
negativ
o
X
X
negativ
4
X
X
negativ
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 28. Jahreswoche vom 7. bis 13. Juli 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 14 (14*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 3 (7), Kindbettfieber 1 ( — j, and. Folgen der
Geburt 1 (1), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln 2 (2), Diphth. u.
Krupp 4(1), Keuchhusten — (2), Typhus — ( — ), iibertragb. Tierkrankh.
— (-), Rose (Erysipel) — (—), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 2 (1), Tuberkul. d. Lungen 27 (28), Tuberkul. and.
Org. 6 (7), Miliartuberkul. 1 (— ), Lungenentziind. (Pneumon.) 5 (7),
Influenza ( ), and. iibertragb. Krankh. 1 (2), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 2 (3), sonst. Krankh. derselb. — (2), organ. Herzleid. 12 (16),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 5 (6), Gehirnsclilag
6 (8), Geisteskrankh. — (— ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 1 (4), and.
Krankh. d. Nervensystems 1 (5), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 36 (28), Krankh. d. Leber 5 (5), Krankh. des
Bauchfells 1 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (2), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 7 (2), Krebs (Karzinom Kankroid) 13 (14),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 3 (2), Selbstmord 4 (2), Tod durch
fremde Hand — ( — ), Unglücksfälle 5 (4), alle übrig. Krankh. 4 (5).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 175 (181). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 16,6 (17,2), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,1 (12,2).
_ Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. - Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Artuni-
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/*— 1 Uhr. • Für
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MÜNCHENER
Herausgegeben von
München. Freiburg i. B. München. Leipzig. Kiel. Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München.
No. 32. 6. August 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Originalien.
Aus der med. Klinik in Heidelberg (Geh. Rat E r b).
Ueber Erfolge und Gefahren der Alkoholinjektionen bei
Neuritiden und Neuralgien.
Von Privatdozent Dr. F i s c h 1 e r.
Das Interesse an der Neuritis und ihrer Behandlung stand
in letzter Zeit im Vordergrund der allgemeinen ärztlichen Auf¬
merksamkeit, sodass sich sogar der letzte Kongress für innere
Medizin in ausführlichen Referaten und Diskussionen damit be¬
schäftigte. Und gewiss mit gutem Recht. Ist doch die thera¬
peutische Beeinflussbarkeit dieser oft so langwierigen und
schmerzhaften Erkrankungsformen eine relativ grosse und
unter Umständen sehr dankbare, gelegentlich aber auch gerade
das Gegenteil davon. Daher nun die vielen therapeutischen
Neuerungen auf diesem Gebiet, daher auch die Unklarheit in
den Indikationen der einzelnen Mittel, daher endlich eine grosse
Reihe verfehlter, oder gar gefährlicher Mittel. Wenn nun, wie
es scheint, die Gefahren aktiven Vorgehens überschätzt
wurden, so dass man z. B. von der Injektionstherapie gänzlich
abgekommen war, so bedurfte diese Ansicht einer Revision
und es war zunächst Schlösser, der Alkoholinjektionen
gegen alle möglichen akuten lind chronischen Reizzustände
der Nerven wieder empfahl, erstmals auf dem Ophthalmologen¬
kongress Heidelberg (1902), seitdem wiederholt, zuletzt auf dem
25. Kongress für innere Medizin in Wiesbaden.
Die vorzüglichen Erfolge, welche Schlösser bei seiner
Behandlungsmethode erzielt hatte, veranlassten schon seit
langer Zeit die medizinische Klinik des Herrn Geh. Rat Erb in
Heidelberg, eine Nachprüfung dieser Methodik vorzunehmen,
und es wurden namentlich schwerere Formen von Ischias- und
Trigeminusneuralgien, die anderer Behandlung bisher getrotzt
hatten, mit Alkoholinjektionen behandelt.
Warum die Versuche nicht in grösserem Umfange weiter¬
geführt wurden, wird sich sogleich ergeben.
Im folgenden sei in Kürze das verwendete Material und
die Art der Anwendung skizziert.
Fall 1. Frau D., 26 Jahre. Ischias dextra scoliotica. Seit
% Jahre krank. Plötzlicher Schmerz im rechten Bein direkt nach
der letzten Geburt entlang der Hinterseite des Oberschenkels und
an der Wade. Formikation in der Fussohle, öfteres Eingeschlafensein
der 4. und 5. Zehe.
Objektiver Befund: Links-Skoliose, stark hinkender Gang, Hüft¬
gelenk frei, deutliches 'Ischiasphänomen. Typische Druckschmerz¬
punkte. Rechts Achillesreflexe < Links. Keine elektrischen Verände¬
rungen, keine sicheren Sensibilitätsstörungen. Genitalorgane frei.
Früher behandelt mit Jod, Ableitungen auf 'die Haut, Wärme¬
applikationen. Bei uns 8 Tage mit Wärmekrügen, Aspirin, Misch¬
pulvern von Phenazetin, Chinin und Morphin ohne Erfolg.
3 Injektionen von 1 — 1,5 ccm 70proz. Alkohol im Abstand
weniger Tage am Austritt des Ischiadikus bewirkten völlige Heilung.
Nach Vs Jahr stellt sich die Frau wieder vor, vollkommen wohl.
Fall 2. H. Sch., 26 Jahre, Bahnarbeiter. Ischias dextra
scoliotica. Sehr schwerer hartnäckiger Fall. Krank seit Ja¬
nuar 1904 imit typischen Schmerzen entlang der Hinterseite des
Oberschenkels und der Wade, Formikationsgefühl in der Wade und
der Fussohle. Seit Ende März 1904 Gang nur unter grossen Schmer¬
zen und hinkend, wurde ganz „krumm gezogen“.
Objektiver Befund Ende April 1904: Abmagerung des Beines um
1 — 2 cm. Positives Ischiasphänomen, typische Druckschmerzpunkte.
Ach.-Reflexe links und rechts gut auslösbar. Sensibilität nicht ver-
No. 32.
ändert, elektrisches Verhalten normal. Starke Links-Skoliose. Hüft¬
gelenk frei, per rectum leichte Empfindlichkeit der rechten Kreuz¬
beingegend. Kein Tumor.
Bei uns behandelt von Ende April bis Ende Juli 1904 mit Wärme¬
applikationen, Dampfbädern, Aspirin, galvan. Strom, Salizyl, Vesi-
cans etc. Dann nach dem Landesbad in Baden-Baden gesendet. Nur
wenig gebessert entlassen. Wiederaufnahme 24. I. 05 bis 18. II. 05
zur Alkoholinjektion: 3 mal 1,0 ccm 70 proz. Alkohol, 3 mal 2,0 ccm
70 proz. Alkohol an die Austrittsstelle des Nervus ischiadicus im
Abstand weniger Tage. Keine durchgreifende Besserung, ganz
vorübergehende Schmerzlinderung. Mit Eukaininjektionen auch kein
Erfolg. Ungebessert entlassen.
Fall 3. S. O., 53 Jahre, Taglöhner. Ischias dextra. Schon
vor 6 — 7 Jahren hatte Pat. dasselbe Leiden gehabt. Jetzt krank
seit !4 Jahr in typischer Weise. Bisherige Behandlung mit Wärme¬
applikationen, Ableitungen auf die Haut. Bei uns mit Fango und
Aspirin zunächst ohne Erfolg behandelt. Es wurden die typischen
Ischiassymptome konstatiert, die Druckpunkte, das Ischiasphänomen:
Hüftgelenk frei, im Rektum nichts krankhaftes. 2 Injektionen mit
70 proz. Alkohol wurden gemacht. Nach 0,6 ccm trat sehr starkes
fibrilläres Zucken im Peroneusgebiet auf. Daraufhin sofortige Unter¬
brechung der Injektion. Beim II. Versuch der Injektion trat das¬
selbe schon bei 0,3 ccm auf, sowie ein gewisses Schwächegefühl.
Auch darnach Aufhören mit der Injektion. Keine Beeinflussung der
Schmerzen.
F a 1 1 4. L. N., 44 Jahre, Händler. Ischias dextra seit % Jahr.
Typische Schmerzen bei Bewegungen, hinkender Gang, Druckpunkte,
Achillessehnenreflex rechts kaum auslösbar, links gut, Ischiasphä¬
nomen positiv, keine Sensibilitätsstörungen, Hüftgelenk frei. Leichte
Skoliose der Wirbelsäule. Schon vielfach behandelt, bei uns zuerst
mit Wärmekrügen, Aspirin und Dampfbädern.
Dann 1. Alkoholinjektion 3 ccm 70 proz. in den Glutaeus. Mo¬
mentan starker Schmerz, pelziges Gefühl im ganzen Bein. Alsbald
kein Schmerz mehr. In den nächsten Tagen Schmerzen im Unter¬
schenkel, aber gering. Geht nach Hause, lässt sich keine Injektionen
mehr machen, da er .sich gesund fühlte.
Fall 5. Frau H., 46 Jahre. Ischias dextra scoliotica. Ein
Bruder hatte Ischias, vor 10 Jahren hatte Pat. ebenfalls schon einmal
Vs Jahr lang Ischias im rechten Bein. Seit fast 1 Jahr infolge Er¬
kältung (Durchnässung beim Gewitter) typische Ischias mit Schmer¬
zen, Skoliose, Druckpunkten, Ischiasphänomen, deutlich etwas abge¬
schwächtem Achillessehnenreflex, leichter Atrophie der Wade. Hüft¬
gelenk frei, Beckenorgane desgleichen. Pat. hatte alle möglichen
Kuren angewendet. Auch bei uns mit Fango, Wärmekrügen, Misch¬
pulver keine Besserung. Daher Alkoholinjektionen. Im ganzen 6
Injektionen, 3 ä 1,0 ccm, 2 ä 2 ccm und 1 ä 3 ccm 70 proz. Alkohol,
meist an die Austrittsstelle des Ichiadikus, einmal in die Glutaeus-
druckpunkte. Voller Erfolg. Heilung.
F a 1 1 6. A. M., 39 Jahre, Taglöhner aus Florenz. Ischias
sinistra. Im August 1904 hatte Pat. schon einmal Ischias am selben
Bein. Seit Januar 1905 wieder Ischias mit Druckpunkten, Ab¬
schwächung des Achillessehnenreflexes, Ischiasphänomen, Hüftgelenk
frei, Beckenorgane gesund. 2 Injektionen mit 80 proz. Alkohol
ä 2 ccm. Jedesmal starker sofortiger Schmerz im ganzen Bein. Nach
der zweiten Injektion Heilung.
Fall 7. Karl B., 29 Jahre. Ischias sinistra. Seit 4 Monaten
krank. Typische Ischias. Druckpunkte, abgeschwächter Achilles¬
sehnenreflex, keine sensiblen und keine elektrischen Veränderungen.
Fango und Aspirin ohne Erfolg. Bekommt 2 Injektionen 70 proz.
Alkohol 2 und 3 ccm in die Glutäalmuskulatur, Ort des grössten
Druckschmerzes. Beide ohne Erfolg. Pat. verlässt die Klinik, will
keine Injektionen mehr.
Fall 8. J. B., 26 Jahre, Zigarrenarbeiter. Ischialgia dextra
scoliotica. Seit 3 Wochen erkrankt in typischer Weise. Ischias¬
phänomen positiv, Skoliose, Druckpunkte, hinkender Gang, sonstige
Veränderungen. Hatte Dampfbäder, Fango, Wärmekrüge, Salizyl,
Jodpräparate, Vibrationsmassage, Ableitung auf die Haut. Erhält 3
Injektionen, 1 mal 1 ccm, 2 mal 4 ccm 70 proz. Alkohol, teils an die
Austrittsstelle, teils in die Glutaeusdruckpunkte. Sofort Besserung,
schliesslich völlige Heilung mit Massage.
■ 1
i 570
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Fall 9. Frau St., 47 Jahre, Landwirtsfrau. Seit ca. !4 Jahr
leicht krank, seit 3 Wochen schwere Ischialgia dextra, typisches
Verhalten. Hüftgelenk und Beckenorgane frei. Bekommt 8 In¬
jektionen 1 — 3 ccm 70 proz. Alkohol. Fast vollkommene Heilung.
Da traten starke Menses auf, damit wieder mehr Schmerzen. Ge¬
bessert entlassen nach Abklingen der Menses.
F a 1 1 10. K. M., 42 Jahre, Arbeiter. Ischias sinistra. Vor
2 Monaten typische schwere linksseitige Ischias. Hüftgelenk und
Beckenorgane frei, deutliches Ischiasphänomen, abgeschwächter
Achillessehnenreflex links, Druckpunkte, hinkender Gang, leichte Sen¬
sibilitätsstörungen am Fuss, Gegend der grossen Zehe. Keine elektri¬
schen Veränderungen. Bekommt im ganzen 10 Injektionen von 1
bis 2 ccm 70 proz. Alkohol ohne jeden Erfolg. 5 Eukaininjektionen
ebenfalls erfolglos, oder nur wenig bessernd. Schliesslich Heilung mit
Fango und Suspension.
Fall 11. P. A., 39 Jahre, Gipser. Ischias dextra. Hatte
schon vor 3 — 4 Jahren einmal Ischias. Krank seit 2 Monaten an
typischer Ischias. Ischiasphänomen, fehlender Achillessehnenreflex,
Druckpunkte. Hüftgelenk frei, Beckenorgane desgleichen; keine
elektrischen und keine sensiblen Störungen. Auf 2 Injektionen 80 proz.
Alkohol ä 2 ccm vollkommene Heilung innerhalb 8 Tagen.
F a 1 1 12. E. W., 18 Jahr, Fuhrmann. Ischias sinistra. Er¬
krankte Vz Jahr vor der Aufnahme ohne bekannte veranlassende
Ursache mit Schmerzen im linken Gesäss, entlang der Hinterseite des
Oberschenkels und entlang der Wade. Hinkender Gang. Skoliose
der Lendenwirbelsäule nach links. Ischiasphänomen, Druckpunkte.
Achillessehnenreflex links schwächer als rechts. Sensibilität intakt.
Elektrische Erregbarkeit intakt. Hüftgelenk frei, per rectum kein
abnormer Befund. Fangopackung und Aspirin ohne Erfolg.
1. Alkoholinjektion 10. Januar, 3 ccm 80 proz. Alkohol in den
Hauptschmerzpunkt am Glutaeus, 2 Stunden lang heftige Schmerzen.
Am nächsten Morgen sehr grosse Besserung. Die Skoliose ist
verschwunden. Nur noch auf Druck Schmerzen im Bein.
13. Januar zweite Alkoholinjektion 70 proz. 2 ccm an die Austritts¬
stelle des Nervus ischiadicus. Weniger Schmerzen, doch entlang
des Nervus peroneus ausgeprägte Schmerzempfindungen. 3. Alkohol¬
injektion 70 proz. am 20. Januar an die Austrittsstelle des Nervus
ischiadicus. 4. Alkoholinjektion 21. Januar in den Glutaeus 4 ccm.
Am nächsten Morgen alle Schmerzen weg. Nur in der Wade resp.
an der lateralen ^eite des Unterschenkels noch Schmerzen. 5. Al¬
koholinjektion am 26. Januar, 1 ccm 70 p r o z. an den
Nervus peroneus. Keine besondere Schmerzemp¬
findlichkeit darnach. Am nächsten Morgen hochgradige Pero-
neusparese, die sich alsbald in eine völlige Paralyse des
Nervus peroneus sin. um w a n d e 1 1. Schon am 6. Februar
vollkommene Entartungsreaktion in dem betroffenen Gebiet. Am
Fussrücken Herabsetzung für alle Gefühlsqualitäten, wenn auch nur
sehr gering. Die nähere Analyse ergibt, dass die Wirkung der
M. peronei erhalten ist, dass aber der Tibialis anticus, Extensor
hallucis longus und die langen Extensoren der Zehen völlig gelähmt
sind. Es handelt sich hier also um eine toxische Lähmung
des Nervus peroneus profundus. Es traten nun wieder gelegentlich
Schmerzen im Oberschenkel auf, die aber nicht sehr heftig waren.
Nach 9 Monaten war der Kranke erst im stände wieder
längere Zeit zu gehen. Eine deutliche Parese im Peroneusgebiet
war auch dann noch vorhanden. Die Entartungsreaktion bestand
noch im Juli vollkommen, also nach 6 Monaten. Dann wurde Pat.
nach Hause entlassen. Erst nach 1 Jahr Hessen sich keine
elektrischen Veränderungen mehr konstatieren. Pat.
war bis November völlig arbeitsunfähig wegen seiner Lähmung.
Es versteht sich von selbst, dass wir therapeutisch alles aufboten,
um die Lähmung günstig zu beeinflussen, ohne jeden Erfolg.
Die Alkoholinjektionen bei Ischias wur¬
den daraufhin unterlassen;
Ueber unsere Erfahrungen über die Alkoholinjektionen bei
Trigeminusneuralgie kann ich summarisch dahin be¬
richten, dass sie recht günstige sind. Wir haben sie nur bei
recht lange bestehenden und schweren Fällen angewendet, bei
Supra- und Infraorbitalneuralgien. Neuralgien des 3. Astes des
Trigeminus habe ich noch nicht in Angriff genommen, da mir
eine genaue Beherrschung der Technik mangelt. Die 6 Fälle
von Supra- und Infraorbitalneuralgie, welche mit Alkoholinjek¬
tionen behandelt wurden, wurden alle geheilt, resp. so ge¬
bessert, dass man füglich von Heilung sprechen kann. Das im
Gefolge der Alkoholinjektionen auftretende Oedem der Lider
bleibt einige I age bestehen, um dann meist spurlos sich zu-
jückzubilden.
Dagegen muss ich noch berichten, dass in einem Falle
von Amputationsneuromen die Alkoholinjektionen im Stiche
liessen. Vielleicht hätte aber auch da eine forciertere und
länger durchgeführte Behandlung zum Ziele geführt.
Ich komme nun zur Diskussion der Resultate.
Unter 12 mit Alkoholinjektionen behandelten Fällen von
Ischias und Ischialgie finden wir bei 8 einen Erfolg, der bei 4
als vollkommen, bei 4 als partiell bezeichnet werden muss. Bei
4 Fällen fehlt der Erfolg. Die Abhängigkeit der guten Erfolge
von den Alkoholinjektionen darf in Hinsicht auf die unmittel¬
bare Wirkung und bei dem Vermeiden anderweitiger thera¬
peutischer Beeinflussungen als sichergestellt betrachtet werden.
Wichtig ist nun, die Misserfolge ins Auge zu fassen. Ich
glaube, 2 derselben für die kritische Würdigung des Verfahrens
von vornherein ausschliessen zu sollen, das sind Fall 3 und 7.
In dem einen konnten nur sehr kleine Mengen Alkohol injiziert
werden wegen der sofort auftretenden fibrillären Zuckungen,
beim anderen wurde die Injektion mehr in die Glutäalmuskulatur
gemacht, so dass unsicher ist, ob der Alkohol in der verlangten
Weise mit den Nerven in Berührung kam.
Im Fall 2 handelte es sich um einen ausserordentlich hart-'
näckigen Fall, der dem Verdachte Raum geben musste, dass
eine Affektion der Nerven noch im Spinalkanal vorliege. Da¬
gegen dürften sich in Fall 10 die Alkoholinjektionen als wir¬
kungslos erwiesen haben, zumal, da spätere andersartige Medi¬
kationen zur Heilung führten.
Die partiellen Erfolge sind zum Teil dadurch bedingt, dass
die Patienten zu rasch aus der Behandlung sich entfernten,
vielleicht auch dadurch, dass bei aller darauf verwendeten
Sorgfalt es doch nicht immer gelang, den Alkohol an die rich¬
tige Stelle zu applizieren, zum grossen Teil dürften aber noch
unbekannte Einflüsse dafür massgebend gewesen sein.
Ich darf vielleicht gerade hier ein Wort über die Technik
der Alkoholinjektionen sagen. Es wurde bei Ischiasfällen un¬
gefähr in der Mitte zwischen Trochanter major und Tuber ossis
ischii eingegangen resp. etwas tiefer in der Lotlinie der Tei¬
lungsstelle obiger Linie, häufig geleitet von dem Punkte
grössten Druckschmerzes. In der Tiefe wurde mit der Nadel
nach dem Nerv, ischiad. gesucht, bei dessen Berührung der
Patient einen ausstrahlenden Schmerz im ganzen Bein an¬
gibt. Dann wurde die Nadel etwas zurückgezogen und an¬
gesaugt zur Vergewisserung, dass man nicht in einem Gefässe
war. (Dort vorkommende Varizen!) Es wurde dann langsam
injiziert unter Beobachtung des Patienten. Bei richtiger Ap¬
plikation erfolgte meist sofort ein heftiger Schmerz im ganzen
Bein, oder ein Gefühl von Brennen, Wimmeln, oder Taubheits¬
gefühl, das nach kürzerer oder längerer Zeit — wenigen Mi¬
nuten, mehreren Stunden - — verschwand und der Schmerz
mit ihm. Oft werden damit sofort die Bewegungen freier,
gelegentlich verschwand die Skoliose oder das Ischiasphäno¬
men, oder verminderte sich doch sehr. In gleicher Weise
wurde dann im Abstand weniger Tage (2 — 8) wiederholt in¬
jiziert.
Die Technik lehnt sich also vollkommen an die Vorschriften
bei der Trigeminusneuralgie an. Strenge Asepsis ist selbst¬
verständlich. Temperatursteigerungen oder Infitrate sah
ich nie.
Ich war nun geneigt, die Methode in grossem Massstabe
weiter anzuwenden, bis mich Fall 12 in der geschilderten
unangenehmen Weise auf die Gefahren derselben hinwies.
Herr Geh. Rat Erb hat nun in seiner Privatpraxis 3 wei¬
tere Fälle übler Wirkung der Alkoholinjektionen gesehen und
sie mir zur Mitteilung überlassen, wofür ich ihm hier bestens
danke. Ueber den einen dieser Fälle verdanke ich auch noch
Herrn Dr. Dambacher in Karlsruhe näheren Bericht.
Fall I. Frl. H., 39 Jahre. Neuritis facialis sin. durch Alkohol¬
injektion. 2. II. 03. Seit 10 Jahren leichter linksseitiger Tic facial;
verschwand zeitweilig, kam aber immer wieder. Seit 2 Jahren
stärker, stört sehr.
Im Frühjahr 1902 von Herrn Prof. Schlösser Alkoholinjektion
im Gesicht mit gutem Erfolg. Im Herbst Rezidiv.
Am 20. XI. 02 wieder von Schlösser eine Alkoholinjektion
hinter dem Ohr; darauf sofort Lähmung des linken Nervus facialis,
die noch besteht, aber etwas besser sein soll. Auch das Gefühl soll
gelitten haben, ist aber wiedergekehrt. Geschmack und Gefühl auf
der Zunge nicht gestört, Kaumuskeln gut.
Objektiver Befund: Typische schwere linksseitige Fazialis¬
lähmung mit kompletter Entartungsreaktion. Auge kann nahezu ge¬
schlossen werden. Platysma frei. Gaumensegel und Zunge frei.
Kaumuskeln gut. Leichte subjektive Hypästhesie im Gesicht links.
Therapie: Galvanisation, Jodvasogen, warme Umschläge, Bäder.
7. III. 03. Minimale Besserung am Mund und Kinn.
2. VII. 03. Erhebliche Besserung. Mundbewegung fast normal.
Augenschluss, Stirnrunzeln noch mangelhaft, elektr. Erregbarkeit noch
stark herabgesetzt.
6. August 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1571
Also nach 7 Monaten noch keine völlige Heilung.
Fall II. Frau J., 42 Jahre. April 1904 erkrankt vermutlich
durch Auftreten des überhitzten Fusses auf kalten Steinplatten. So¬
fort Schmerzen in der rechten Ferse, die zunächst als periostitische
angesehen wurden. Im Oktober 1904 Injektion mit Alkohol von Prof.
Schlösser, offenbar längs des Nervus tibialis oberhalb der Ferse.
Im ganzen ca. 10 — 12 Injektionen. Nach der letzten Injektion ober¬
halb des Malleolus internus momentane Gefühllosigkeit des ganzen
Fusses. Die Schmerzen waren verschwunden. Schwer¬
beweglichkeit des Fusses. Die Anästhesie besserte sich, aber damit
traten nach einiger Zeit erneute heftige Schmerzen an¬
derer Art, als die bisherigen, auf. Gehen nur auf ganz kurze Di¬
stanz möglich.
Objektiver Befund: 9. III. 05 Druckempfindlichkeit von der Mitte
der Wade bis zum Malleolus internus. Keine Ischiasdruckpunkte.
Deutliche Hyperästhesie im vorderen äusseren Drittel der Fussohle,
sowie am äusseren Fussrand. Hyperästhesie in den Zehen. Grobe
Kraft und Bewegungsfähigkeit der Zehen nach unten geschwächt.
Gang unsicher, hinkend. Elekt. Befund: Komplette Entartungsreaktion
aller -Muskeln an der Fussohle und der M. interossei. Achillessehnen¬
reflexe rechts = links gut auslösbar.
Also Neuritis tibialis toxica. Nachuntersuchung Mai 1906. Noch
immer keine Heilung nach mehr als l/z Jahren! Immer noch
Schmerzen, erhebliche Gehstörung. Der rechte Fuss poch hyper¬
ästhetisch — Parese der kleinen Fussmuskeln. An der Injektions¬
stelle noch ein haselnussgrosser, mässig schmerzhafter Knoten.
Fusspulse gut.
Fall III. Herr Z., 37 Jahre, Kaufmann: Wiederholt rückfällige
schwere Ischias.
Am 26., 28. und 30. VIII. 04 auf Verlangen je eine Alkoholin¬
jektion in die Nähe des Stammes des Nervus ischiadicus. Nach
der letzten sofortige komplette Lähmung der Wade mit Anästhesien.
Dann traten im Beine heftige sensible Reizerscheinungen, Schmerzen
und Parästhesien auf. Eine Untersuchung am 25. X. 04 ergab heftige
Schmerzen an der Fusssohle, Lähmung und Anästhesie im Gebiet
des Nervus tibialis sin. mit kompletter Entartungsreaktion. Fehlen
des Achillessehnenreflexes. Nervus peroneus frei. Zehenstand un¬
möglich, Anästhesie der Sohle und Zehen. Im Februar 1905 war
Entartungsreaktion nicht mehr nachweisbar, es trat Heilung ein.
Diese 3 Fälle haben mit dem meinigen die kompletten Läh¬
mungen mit Entartungsreaktion gemeinsam und demonstrieren
typisch die toxische degenerative Neuritis im Anschluss an die
Alkoholinjektionen. Es sind quasi Experimente am Menschen
analog dem Ausfall der Finkelnburg sehen Experi¬
mente am Tier, die S c h u 1 1 z e in seinem Neuritisreferat er¬
wähnte. Es geht daraus unmittelbar hervor, dass unter Um¬
ständen die toxische Wirkung der Alkoholinjektionen unbe¬
rechenbar zur Geltung kommt und auch in den Händen des
erfahrensten Injektionstechnikers sich nicht sicher vermeiden
lässt. Man könnte mir einwenden, dass nicht allein die toxi¬
sche, sondern auch die mechanische Seite einer ungünstigen
Einwirkung in Betracht käme. Dem wäre entgegenzuhalten,
dass die an mechanischen Einwirkungen durch die grossen
Mengen der angewendeten Injektionsflüssigkeiten viel reicheren
perineuralen Infiltrationen mit Kochsalz, Eukainlösungen, Me¬
thylenblaulösungen etc. derartige Störungen offenbar nicht
machen. Gerade die degenerativen Wirkungen der Alkohol¬
injektionen sind nach Schlossers neuesten Darlegungen
auf dem inneren Kongress in Wiesbaden geeignet, die Resek¬
tion des Ganglion Gasseri zu ersparen, gerade bei den wirk¬
samsten Anwendungsweisen der Alkoholinjektionen soll die
degenerative Wirkung hervortreten, mit anderen Worten, man
hat das Wesen der Wirkung des Alkohols neuerdings genauer
kennen gelernt. Daraus wird eine genauere Präzisierung der
Indikationen zur Anwendung von Alkoholinjektionen bei den
verschiedensten Reizzuständen der Nerven resultieren. Jede
neue Heilmethode erfährt durch nicht beabsichtigte Neben¬
wirkung ihre Korrektion, und so zweifellos die Alkoholinjek¬
tionen, wie es scheint, schon jetzt berufen sind, als Heilmittel
bei den schweren Neuralgien der sensiblen Nerven eine grosse
Rolle zu spielen und vielleicht noch eine grössere zu erringen,
so dürfte ihre Anwendung bei Erkrankung gemischter oder rein
motorischer Nerven nur mit grosser Vorsicht und quasi als
ultimum refugium angewendet werden dürfen wegen der Ge¬
fahr einer gleichzeitigen Nervendegeneration.
Ich habe mich seit diesen Erfahrungen nicht mehr ent¬
schlossen können, Patienten zu Alkoholinjektionen bei Er¬
krankung der gemischten Nerven ernstlich zuzureden, obwohl
ich in einzelnen Fällen überaus schnelle und günstige Heil¬
wirkung gesehen habe. Das Omen einer durch den ärztlichen
Eingriff verursachten Nervenläsion liegt nicht allein in dem
für Arzt und Patient gleich unangenehmen Ereignis an sich,
sondern auch in der eventuell möglichen Haftbarmachung des
Arztes. Es ist nicht zum wenigsten dieser Grund, der uns be¬
wogen hat, unsere Erfahrungen hier mitzuteilen. Zum Glück
scheinen sich ja die toxischen Neuritiden wieder zurück¬
zubilden. In 3 von 4 Fällen trat Heilung ein, in einem waren
allerdings noch nach VA Jahren deutliche Krankheitssymptome
vorhanden, seitdem fehlen Nachrichten. Mit der Regeneration
der Nerven ist aber das Wiederauftreten der Neuralgien mög¬
lich und sogar beobachtet. Auch in dieser Hinsicht bedarf die
Methodik also noch der Vervollkommnung.
Es wäre unrichtig, aus diesen Erfahrungen und Er¬
wägungen den Schluss ableiten zu wollen, dass die Alkohol¬
injektionen ein für die allgemeine Anwendung zu gefährliches
Remedium sei und ich möchte nicht dahin falsch verstanden
sein, als ob ich dessen Anwendung hiermit widerrate.
Hoffentlich gelingt es durch Variation der Methodik und genaue
Indikationsstellung ihre Gefahren noch zu beseitigen, so dass
wir das an und für sich so aussichtsreiche Verfahren in
grösserem Massstabe anwenden können.
Aus dem hygien. Institut der Universität Freiburg i. B.
(Direktor: Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. Schottelius).
Untersuchungen über ein bei Anwendung von Dauer¬
bädern beobachtetes Ekzem.
Von Dr. med. Küster, Privatdozent, I. Assistent des Instituts.
Die ausgedehnte Anwendung, welche die Dauerbadbehand¬
lung in den letzten Jahren auf den verschiedenen Kliniken ge¬
funden hat, führt häufig zur Beobachtung einer eigentümlichen
Form von krankhaften Hautveränderungen, die man bis dahin
noch nicht gekannt hatte und deshalb mit Recht als eine Folge
und störende Nebenwirkung des Dauerbades ansieht.
Dieses Badeekzem wurde bereits in klinischer und thera¬
peutischer Beziehung von Jakobi gewürdigt und ich will
deshalb hier nur in kurzen Zügen das gesamte Krankheitsbild
rekapitulieren.
Das Ekzem tritt vorzüglich bei heruntergekommenen,
marantischen Patienten (vielfach bei Paralytikern) auf, doch
bleiben auch kräftige Individuen durchaus nicht immer davon
verschont. Die Zeit innerhalb der die Hautveränderungen
nach Beginn der Dauerbadebehandlung eintreten, ist ver¬
schieden; häufig zeigen Patienten, die erst 3 — 4 Tage im Bade
weilen, die ersten Symptome, während in anderen Fällen
2 — 3 Wochen darüber hingehen.
Die Erkrankung beginnt mit einer flächenhaften Rötung,
meist an der Innenfläche der Oberschenkel oder in der Um¬
gebung der Achselhöhle. Kleinste, hochrote Knötchen, welche
an ihrer Kuppe bald abschilfern (erweichen?) und sich mit
einem schmierigen Epithelschuppenbelag bedecken, stehen
hier dichtgedrängt aneinander und bringen eine Hautver¬
änderung zuwege, wie wir sie sonst nirgends zu sehen gewohnt
sind, weil eben für ihr Zustandekommen der eigentümliche
mazerierende und doch wieder vor der Einwirkung der Um¬
gebung (Luft, Berührung) schützende Einfluss des Dauerbades
massgebend ist.
Die Patienten leiden subjektiv unter dieser Veränderung
zunächst offenbar sehr wenig, denn Schmerzensäusserungen
und Kratzeffekte fehlen, auch ist es leicht, die Anfangsstadien
der Erkrankung zum Abheilen zu bringen, wenn der Allgemein¬
zustand des Patienten gestattet, ihn für einige Tage aus dem
Bad herauszunehmen und einer Bettbehandlung zu unterziehen.
Hier trocknen die Knötchen ohne weiteres Hinzutun rasch
ein, die Oberfläche schuppt sich ab und darunter kommt wieder
normale Haut zum Vorschein.
Kann die Dauerbadebehandlung aber nicht unterbrochen
werden, so waren bis jetzt alle Versuche, das Ekzem zur
Heilung zu bringen, ohne Erfolg, ebenso wie es nicht gelingt,
prophylaktisch bei disponierten Personen den Ausbruch zu
verhindern.
Bleibt nun der Patient weiter im Bade, so nehmen die
Hautveränderungen rasch an Umfang zu und bedecken schliess¬
lich fast die ganze Körperoberfläche, ein Zustand, -der natürlich
P
1572
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
für das Gesamtbefinden der meist schon geschwächten Kranken
von den verderblichsten Folgen sein muss.
In diesem Stadium kann auch eine Bettbehandlung dem
Patienten nicht mehr nützen, denn bei dem Abtrocknen der
Hautveränderungen treten jetzt so intensive Hautspannungen
auf, dass trotz therapeutischer Gegenmassregeln (Salbenbehand¬
lung etc.) ausgedehnte tiefe Schrundenbildung die Patienten
derartig peinigt, dass man sie zur Linderung ihrer Schmerzen
wieder in das Bad zurückbringen muss.
So harmlos demnach das Badeekzem in leichteren Fällen
verläuft, so schwerwiegend ist sein Auftreten für solche Pa¬
tienten, die lange Zeit im Wasser gehalten werden müssen und
wenn es auch für sich allein nicht zum Tode führt, trägt es bei
den geschwächten Kranken doch wesentlich zur Beschleunigung
des Exitus letalis bei.
Dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen des Direktors
der psychiatrischen Universitätsklinik, Herrn Geh. Hofrat
Prof. Dr. Ho che, der mir Fälle von Badeekzem zur Ver¬
fügung stellte, habe ich mich einer Anregung des Herrn Prof.
Jakobi folgend, seit längerer Zeit mit dem Studium der
Aetiologie des Badeekzems beschäftigt und bin zu folgendem
Resultat gekommen.
Wenn man von den erkrankten Hautpartien mit dem
Skalpell nur wenig Material von der Oberfläche abkratzt und
unter Zusatz von Kalilauge bei schwacher Vergrösserung
untersucht, so sieht man massenhaft Mycelfäden, welche nur
spärlich Querwände und Verzweigungen erkennen lassen und
in ihrem Innern helle Pünktchen, zuweilen auch kernartige Bil¬
dungen aufweisen.
Daneben erblickt man Häufchen von hefeartigen Zellen,
ohne dass in dem frischen Präparat ein Zusammenhang
zwischen beiden Formen ersichtlich wäre.
Da in allen untersuchten Fällen immer die gleichen Pilz¬
formen in grossen Massen zu finden sind, wie man sie in
ähnlich bei anderen Hauterkrankungen (Favus, Herpes ton-
surans etc.) anzutreffen gewohnt ist, so ist wohl schon aus
diesem Grunde der Schluss erlaubt, dass die beobachteten Pilze
mit dem Badeekzem in ursächlichem Zusammenhang stehen.
Eine Vermehrung des Erregers ausserhalb der mensch¬
lichen Haut, auf künstlichen Nährsubstanzen — es wurden so¬
wohl die gewöhnlichen bakteriologischen Nährmedien als auch
die besonderen Mycelnährböden angewandt — wollte bislang
nicht gelingen; wohl erhielt ich zuweilen hefeartige Kolonien,
aber niemals Mycelvermehrung und meist wurden die Nähr¬
böden von massenhaft vorhandenen Wasserbakterien über¬
wuchert. Auch Züchtung in sauerstofffreier Atmosphäre und
serienweise Abstufung der Reaktion saurer und alkalischer
Nährsubstrate führte nicht zum Ziel, ebensowenig wie ein
Haften des Krankheitserregers auf der Haut von gesunden
Menschen oder auf Tieren gelang.
Es wurde deshalb ein Kulturverfahren versucht, welches
nach Möglichkeit den natürlichen Wachstumsverhältnissen des
Erregers angepasst war. In Reagensröhrchen, in denen Gly¬
zerinpferdeblutserum bei 100° schräg erstarrt war,, wurde bis
zum Wattepfropf steriles Leitungswasser (wie es auch zu den
Bädern Verwendung findet) eingefüllt. Diese Röhrchen wurden
nun in Serien mit steigenden Mengen Formalin (von 1:500. bis
1 : 100 000) versetzt und alle mit der gleichen Menge einer Ver¬
reibung des Hautmaterials mit steriler Kieselguhr geimpft.
Diese Kulturen wurden entsprechend der Temperatur des
Dauerbades bei 37° im Brutschrank gehalten.
Durch diese Anordnung waren bezüglich Wärme und
Sauerstoffspannung die natürlichen Wachstumsbedingungen
wiedergegeben; in dem festerstarrten Pferdeblutserum glaubten
wir ein der Oberhaut ähnliches schlechtes Nährsubstrat zu
bieten, dessen Nährwert durch die Formalineinwirkung noch
verringert wurde und endlich musste bei einer der verschie¬
denen Formalinzugaben eine Desinfektionswirkung erzielt
werden, bei der alle bakteriellen Verunreinigungen des Impf¬
materials vernichtet wurden, während die widerstandsfähigeren
Hefen und Mycelfäden noch wuchsen.
Der Erfolg bewies, dass diese Ueberlegungen im Prinzip
richtig waren; wir erhielten von einer bestimmten Formalin¬
verdünnung ab ein Wachtum von hefeartigen Zellen und langen
Mycelfäden, die morphologisch und tinktoriell den im Ausstrich¬
material gesehenen identisch waren. Von diesen Formalin¬
wasserkulturen wurden nun Uebertragungen auf feste Nähr¬
medien vorgenommen und es zeigte sich, dass die als Hefe¬
zellen gedeuteten rundlichen Gebilde lediglich das Konidien¬
stadium des Mycels darstellten. Die weitere Untersuchung der
Reinkultur ergab, dass der gezüchtete Mikroorganismus den
Askomyzeten zugerechnet werden muss. Er bildet besonders
schön auf glyzerinfreiem Agar lange Mycelfäden, an denen sich
an der Spitze und je an der Stelle der Querwände die Konidien
abschnüren. Diese Konidien wuchsen in der Einzellenkultur
nach Hansen wieder zu Fäden aus.' Findet ein sehr üppiges
Wachstum des Erregers statt, z. B. auf Glyzerinagar, so werden
nur wenige und kurze Mycelien getrieben, diese zerfallen alsr
bald in Konidien, so dass die Kolonie bei oberflächlicher Unter¬
suchung durchaus den Eindruck einer Hefekultur macht.
Das beschriebene Formalinwasserkulturverfahren wurde
für alle untersuchten Fälle in Anwendung gebracht und führte
stets zu dem gleichen Resultat. Für die Identität des ge¬
züchteten Pilzes mit den in den Krankheitsherden der Haut ge¬
sehenen Erregern spricht besonders auch die Untersuchung von
Hautschnitten. Die Konidienformen und Mycelfäden lassen sich
in den nach Leishmann gefärbten Schnitten in allen Ein¬
zelheiten wieder erkennen. Da eine spätere ausführliche Ver¬
öffentlichung der Histologie der Hautveränderung vorgesehen
ist, so sei hier nur das Ergebnis meiner Untersuchungen in
folgendem kurz zusammengefasst.
Der Askomyzet wuchert im Stratum corneum der Haut,
doch gelangt er in den Ausführungsgängen der Hautdrüsen
sowie in den Haarbälgen auch in tiefere Schichten. Aus den
Kapillaren des Stratum papillare findet nach den Pilzansiede¬
lungen hin eine reichliche Leukozytenwanderung statt, die zu
einer Auflockerung des Stratum Malpighi und zu einer Pustel¬
bildung führt.
Auf der Haut kleiner Laboratoriumstiere konnte ich die
Reinkultur bis jetzt nicht zum Haften bringen, doch entwickelt
der Pilz, in den Körper injiziert, echt pathogene Eigenschaften.
Besonders charakteristisch sind gewisse Herdbildungen in
Niere und Lunge, sowie Veränderungen im Auge (Netzhaut,
Aderhaut, Glaskörper).
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Breslau (Direktor:
Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. v. Strümpell).
Zur Methodik der bakteriologischen Blutuntersuchung.
Von Marinestabsarzt Dr. Wiens, kommandiert zur Klinik.
Bei Untersuchungen über das Vorkommen von Bakterien
im Blute bei der kruppösen Pneumonie erschien es mir not¬
wendig, neben dem häufig negative Resultate ergebenden
Agar einen flüssigen Nährboden anzuwenden. Zwar haben
Autoren wie Schottmüller [l] und Jochmann [2]
speziell bei der Pneumonie keinen Vorteil der flüssigen Nähr¬
böden vor den festen gesehen, es finden sich in der Literatur
jedoch eine ganze Reihe von Tatsachen, aus denen die Zweck¬
mässigkeit der Züchtung von Bakterien im allgemeinen,
Pneumokokken im besonderen, in flüssigen Nährböden hervor¬
geht. N e u f e 1 d [3] schwemmte bei der Züchtung der Typhus¬
bazillen das aus Roseolen gewonnene Blut in Bouillon auf, um
die schädliche Einwirkung der bakteriziden Kräfte des Blutes
hintanzuhalten. Diese Bouillonaufschwemmung wurde auf
37 0 gehalten, und erst, wenn ein wesentliches Wachstum ein¬
getreten war, wurde das Plattenverfahren zur Differenzierung
der gewachsenen Kolonien verwandt. Der frühere Misserfolg,
Typhusbazillen aus Roseolen zu züchten, beruhte nach Neu-
f e 1 d auf der Verwertung fester Nährböden, welche nicht in
gleicher Weise wie Bouillon eine Verdünnung der bakterien¬
feindlichen Stoffe gewährleisten. Hauser [4] verwandte
Bouillonkulturen als Kontrolle seiner festen Nährböden bei den
Untersuchungen über den Keimgehalt der Organe. Er führt
das bessere Wachstum auf den reichlichen Wassergehalt der
flüssigen Nährmedien zurück. Dann hat vor allem Wilhelm
Müller [5] auf die Vorzüge der flüssigen Nährböden hin¬
gewiesen. Nach seinen Untersuchungen lässt sich ein Stadium
feststellen, in dem vereinzelte Organismen noch imstande sind,
in der Bouillon sich weiter zu entwickeln, während ein Wachs-
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1573
tum unter den gleichen äusseren Bedingungen auf Agar aus¬
bleibt. Den Grund sieht er in den osmotischen Verhältnissen
beider Nährböden. In der Bouillon ist die ganze Bakterienzelle
direkt mit Flüssigkeit umgeben; da ihre Nahrungsaufnahme
durch Osmose an ihrer ganzen Oberfläche erfolgt, kann sie
leicht schädliche Stoffe nach aussen hin abgeben und andere,
für ihr Wachstum geeignete, aufnehmen. In dem einmal er¬
starrten Agar dagegen sind kaum Flüssigkeitsteile noch frei, um
von den Keimen noch aufgenommen werden zu können. Schon
normalerweise wachsen die meisten Bakterien auf Agar
weniger üppig als auf Bouillon, in abgeschwächtem Zustand
macht sich dieser Nachteil noch deutlicher bemerkbar.
Ein weiterer Umstand, der auf die Entwickelung der Bak¬
terien sowohl in festen, wie in den gewöhnlichen flüssigen Nähr¬
böden nachteilig einwirkt, ist die Gerinnung des Blutes.
Während das aus der Vene entnommene (gerinnende) Blut
eine starke bakterizide Kraft entwickelt, ist diese in dem in
den Gefässen zirkulierenden (nicht gerinnenden) Blut nur ge¬
ring. C o n r a d i [6, 7] (daselbst auch weitere Literatur) hat
unter Berücksichtigung dieser Tatsache die von ihm schon
1901 festgestellte gerinnungswidrige Einwirkung der Galle be¬
nützt, um den bakteriologischen Nachweis der Typhusbazillen
im Blute zu erleichtern; der Vorteil der Gallenblutkultur besteht
nach seinen Untersuchungen darin, dass die Galle die Wirkung
der bakteriziden Kräfte des Blutes ausschaltet.
Es handelte sich also darum, einen Nährboden herzustellen,
der 1. flüssig, 2. für das Wachstum der Pneumokokken geeignet
und 3. gerinnungshemmend ist.
Eine Anwendung der Gallenblutkultur für die Züchtung der
Pneumokokken, wie Conradi empfohlen hat, zu probieren,
erschien von vornherein nicht sehr aussichtsvoll. Durch die
Untersuchungen von E. F r ä n k e 1 und P. K r a u s e [8] wissen
wir, dass Pneumokokken, in Galle gebracht, in der Regel schon
nach 24 Stunden absterben. Auch nach B a b e s [9] stellt die
Galle für Pneumokokken einen ungünstigen Nährboden dar;
nach Corrado [10] ist sie für Pneumokokken indifferent.
Ich habe in 6 Fällen von Pneumonie die Gallenanreicherung
des Blutes vorgenommen, sämtliche Kulturen blieben steril,
während mittels der gewöhnlichen Blut-Agarmischkultur 4 mal
Pneumokokken nachgewiesen werden konnten.
Ich habe sodann Versuche angestellt mit Nährböden, die
als wesentlichen Bestandteil nur Pepton enthalten, ausgehend
von der Tatsache, dass Pepton auf das Blut einen gerinnungs¬
hemmenden Einfluss hat. Um die Wachtumsbedingungen für
Pneumokokken möglichst günstig zu gestalten, wurdte den
Nährböden auch Dextrose zugesetzt.
Nach verschiedenen Versuchen habe ich die folgende Me¬
thode als die praktischste und zweckmässigste ausprobiert:
Nach den gewöhnlichen Methoden hergestelltes 10 proz.
(leicht alkalisches) Peptonwasser, das ausserdem 1 Proz. Dex¬
trose enthält, wird in Mengen von 10 ccm in Reagensgläser
abgefüllt. Zur Untersuchung wird das Blut in der üblichen
Weise aus einer Ellenbogenvene mittels Spritze entnommen
und in Mengen von 1 ccm in die Reagensgläser übertragen.
Die Gläser werden gründlich durchgeschüttelt und kommen
dann in den Brutschrank. Der mit Blut vermischte Nährboden
stellt eine hellrote, trübe Flüssigkeit dar; eine Gerinnung des
Blutes tritt nicht ein., dagegen setzt sich nach Verlauf einiger
Stunden ein dunkelbraunrotes Sediment ab. Durch kräftiges
Schütteln kann man dieses Sediment wieder mit der Flüssigkeit
vermischen, die dadurch ein trübes, dunkelbraunrotes Aussehen
erhält. Es ist zweckmässig, jedoch nicht durchaus notwendig,
während der Bebrütung das den Nährboden enthaltende Re¬
agensglas alle paar Stunden durchzuschütteln. Nach Verlauf
von 20 — 24 Stunden werden Teile des Sediments mittels Platin¬
öse auf Agarplatten ausgestrichen, diese werden weiter be¬
brütet. Bei positivem Ausfall wachsen die Kolonien in charak¬
teristischer Weise auf dem Agar und können dann weiter
identifiziert werden. Es ist empfehlenswert, das Röhrchen mit
dem Nährboden noch weitere 24 Stunden im Brutschrank zu
lassen und den Rest des Sediments nochmals auf Agarplatten
auszusäen, da bisweilen erst nach 48 ständiger Bebrütung ein
positives Resultat erzielt wird.
Das Verfahren ist, wie schon oben angedeutet, von mir
speziell zur bakteriologischen Untersuchung des Blutes bei
kruppöser Pneumonie verwandt worden. Es hat, mit einer
einzigen Ausnahme, bisher stets positive Resultate ergeben,
auch in einer Reihe von Fällen, wo die gewöhnliche Blutagar¬
mischkultur negativ war. Ausführlicheres über die zurzeit
noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen wird später ver¬
öffentlicht werden.
Ein grosser Nachteil haftet der Methode an: eine Zählung
der gewachsenen Kolonien, wie bei der Blutagarmischkultur,
ist nicht möglich. Ich habe verschiedene Versuche angestellt,
das mit dem Blute vermischte Peptonwasser nach einer ge¬
wissen Bebrütungszeit mit Agar zu Platten auszugiessen, um
aus der Zahl der dann auf den Platten gewachsenen Kolonien
Anhaltspunkte für die Menge der im Blute kreisenden Bak¬
terien zu gewinnen; diese Versuche haben aber zu keinem be¬
friedigenden Resultate geführt. Die Methode soll ja auch die
Blut-Agarmischkultur keineswegs ersetzen, eine prognostische
Bedeutung kommt ihr nicht zu, sie kann lediglich die Frage,
liegt bei einer Pneumonie eine Bakteriämie vor, oder nicht, noch
beantworten in Fällen, wo die Blutagarmischkultur versagt.
Ausserdem ist ihre Ausführung sehr einfach; es genügt bei
weitem, 2 ccm Blut mittels Pravazscher Spritze zu ent¬
nehmen und in 2 Röhrchen mit dem Dextrose-Peptonwasser zu
vermischen. Eine Kompression des Oberarms mit elastischer
Binde ist nicht notwendig, ein leichtes Zusammendrücken mit
der Hand genügt vollkommen, um die Kubitalvene so weit
zu stauen, dass man die Kanüle der Pravazschen Spritze
einstechen kann. Die ganze Operation nimmt, abgesehen von
der Desinfektion der Haut, 1 — 2 Minuten in Anspruch.
Ueber die Verwendbarkeit des Nährbodens bei anders¬
artigen Bakteriämien sind meine Erfahrungen noch zu gering,
als dass ich darüber berichten könnte. Beim Typhus scheint
sie (ohne Dextrosezusatz) den anderen Methoden, speziell der
Kayser-Conradi sehen Gallenanreicherung, die sich in
unserer Klinik gut bewährt hat, nachzustehen. In einem Falle
von Kolisepsis hat sie sich als recht brauchbar erwiesen, in
einer Anzahl von Erysipelfällen waren die gewonnenen Re¬
sultate negativ.
Literatur:
1. Schottmüller: Zur Aetiologie der Pneumonia crouposa.
Münch, med. Wochenschr. 1905, No. 30. — 2. Joch mann: Die
Bedeutung des intravitalen und postmortalen Nachweises von Bak¬
terien im menschlichen Blut. Lübars ch-Ostertag, Ergeb¬
nisse etc., X. Jahrgang 1904/05. — 3. Neufeld: Ueber die Züchtung
der Typhusbazillen aus Roseolaflecken nebst Bemerkungen über die
Technik bakteriologischer Blutuntersuchungen. Zeitschrift für Hy¬
giene, Bd. 30, 1899. — 4. Hauser: Ueber das Vorkommen von Mikro¬
organismen im lebenden Gewebe gesunder Tiere. Archiv für experi¬
mentelle Pathologie, Bd. 20, 1885. — 5. Wilhelm Müller: Experi¬
mentelle und klinische Studien über Pneumonie. Archiv für klinische
Medizin, Bd. 71, 1901, H. 6. — 6. C o n r a d i: Ein Verfahren zum Nach¬
weis der Typhuserreger im Blut. Deutsche med. Wochenschr. 1906,
No. 2. — 7. Ders.: Ueber Züchtung von Typhusbazillen aus dem
Blute mittels der Gallenkultur. Zentralbl. f. Bakteriolog., Beil, zu
Abt. 1, Bd. XXXVIII, 1906. — 8. E. Frankel und P. Krause:
Bakteriologisches und Experimentelles über die Galle. Zeitschr. f.
Hygiene und Infektionskrankh. XXXII. Bd., 1899. — 9. Babes:
Bemerkungen über das Verhalten gewisser Organe gegenüber spe¬
zifischen Infektionen. Berliner klinische Wochenschr. 1899, No. 17.
— 10. Corrado: Sul passagio dei germi patogeni nella bile e nel
contenuto enterico e sull azione che ne risultano. Ref. Zentralbl.
f. Bakteriolog., 1892.
Alis der Prosektur des städt. Krankenhauses München r/I.
(Prosektor: Privatdozent Dr. Oberndorfer).
Beitrag zur Kenntnis der Blasengeschwülste bei
Anilinarbeitern.
Von Dr. Ludwig Seyberth.
Schon längere Zeit rechnet man zu den Gewerbekrankheiten
auch die akuten, subakuten und chronischen Krankheitserschei¬
nungen, die bei den Arbeitern der chemischen Fabriken auf-
treten, soweit sie unmittelbar mit Anilin, Nitrobenzol,
Toluidin und nahestehenden Körpern zu tun haben. Der akute
Anfall einer Anilinvergiftung bietet ungefähr folgendes Bild:
Die Leute werden im Verlauf weniger Stunden stark zya¬
notisch. Die Zyanose wird meist zuerst an den Lippen sicht¬
bar. Wird der Kranke sofort bei den ersten Anzeichen aus
io7-4
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
dem Arbeitsraume entfernt, in ein heisses Vollbad und dann
wohlverwahrt in frische Luft gebracht, so gelingt es manchmal,
den Anfall zu unterdrücken. Geschieht das nicht, so treten
mit der zunehmenden Zyanose Mattigkeit, Brustdruck,
Schwindel, Dyspnoe und zuletzt Bewusstlosigkeit auf. Die Be¬
handlung besteht jetzt in heissen Bädern, Kochsalzinfusionen
und künstlicher Atmung, bis wieder die natürliche Atmung ein-
tritt. In den nächsten Tagen tritt dann unter allmählicher
Besserung des Allgemeinbefindens heftiger Harndrang auf und
es entleert sich blutiger Urin in grossen Mengen. Mit ab¬
nehmender Zyanose nimmt auch der Urin in einigen Tagen
wieder sein gewöhnliches Aussehen an, es erfolgt vollständige
Genesung. Die starke Hämoglobinurie entsteht durch einen
Zerfall der roten Blutkörperchen durch die Vergiftung.
Manchmal kommt es auch zu direkten Nierenblutungen. Das
Anilin wird im Körper in Anilinschwarz und diesem nahe¬
stehende wasserunlösliche Verbindungen übergeführt. Dieses
Anilinschwarz ist in jedem Blutstropfen in Gestalt kleiner
schwarzblauer Körnchen und auf der Höhe der Vergiftung auch
im Urin nachweisbar. Die endgültige Entgiftung des Körpers
erfolgt nach Engelhardt durch Bildung von Paramido-
phenylätherschwefelsäure, die als Alkalisalz im Urin erscheint.
Solche akute Anfälle kommen zustande, wenn ziemlich
rasch Anilin von dem Körper aufgenommen wird. Dass ge¬
rade das Anilin sehr rasch durch die unverletzte Haut auf¬
genommen wird, kann man öfters bei Vergiftungsfällen be¬
obachten. So erinnere ich mich eines Falles, wo ein Arbeiter
mit defekter Stiefelsohle in ein wenig verschüttetes Anilin trat.
Die Resorption der Haut durch die Fussohle genügte, um den
Mann in wenigen Stunden schwer krank zu machen. In einem
anderen Falle erkrankten zwei Arbeiter akut, die bei der Arbeit
zwei Tage lang reichlich Nitrobenzoldämpfe einatmen mussten.
Viel leichter sind die Erscheinungen der chronischen Anilin¬
vergiftung. Es besteht ein leichter Harndrang, der Harn zeigt
eine etwas dunkle Färbung, die Lippen des Patienten sind
etwas bläulich verfärbt und die Gesichtsfarbe ist etwas blass.
Der Appetit kann dabei ganz normal sein, eine Behinderung in
der Arbeitsfähigkeit tritt nicht ein. Wird der Arbeiter in einen
anderen Betrieb versetzt, so verlieren sich diese Zeichen wieder
ganz. Es braucht aber auch nicht einmal so weit zu kommen,
mancher Arbeiter merkt an sich jahrelang keine Krankheits¬
erscheinungen, bis eines Tages Blutharnen auftritt. Kommt
er dann zum Arzt und wird zystoskopiert, so wird sehr oft
ein Blasentumor als Ursache dieser Blutung festgestellt.
Was die Neigung zur Erkrankung betrifft, so müssen wir
wohl einen weitgehenden Unterschied bei den einzelnen Leuten
annehmen. ^ Es gibt ja auch Leute, die jahrzehntelang ohne
merkbare Schädigung ihrer Gesundheit in Anilinbetrieben tätig
sind. Andere wieder erwerben nach vorübergehenden
Störungen eine weitgehende Toleranz. Bei direkter Aufnahme
des Giftes auch in kleinen Mengen erkranken jedoch, soviel
mir bekannt ist, alle. Für die Leute nun, die eine so weit¬
gehende Toleranz entwickeln, besteht wie schon angeführt,
die Gefahr, mit der Zeit einen Blasentumor zu bekommen,
dessen erstes Anzeichen meistens das Blutharnen ist. Auf diese
Geschwülste hat zuerst L. R e h n die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise gelenkt. In seinem Vortrag auf dem Chirurgenkongress
zu Berlin (1895) bringt er drei Fälle zur Sprache. Drei Ar¬
beiter, die lange Jahre in Anilinräumen beschäftigt waren,
operierte er an Blasentumor. Die beiden ersten Geschwülste
wurden von Professor Weigert als Fibroma papillare und
als ödematöses Papillom diagnostiziert. Der klinisch gutartige
Verlauf entsprach der Diagnose. Im dritten Falle handelte es
sich um einen bösartigen Tumor, den Rehn als Sarkom be¬
zeichnet. Marchand untersuchte den Tumor; er schloss
einen epithelialen Charakter aus, weist nahe Beziehungen der
Geschwulstzellen zu den Gefässen nach und vergleicht die
Bildung den Alveoleasarkomen, wie sie an der Chorioidea
Vorkommen. Der Fall endete letal durch ein Rezidiv der
Geschwulst.
In neuerer Zeit brachte Karl G o e b e 1 einen beachtens¬
werten Bericht mit zahlreichen Abbildungen: „Ueber die bei
Bilharziakrankheit vorkommenden Blasentumoren mit be¬
sonderer Berücksichtigung des Karzinoms“. Die Trematode
Pilharzia haemato'fcium, die im lebenden Menschen in den
Unterleibsvenen lebt und ihre Eier in die Schleimhaut des
Intestinal- und uropoetischen Systems, besonders in der Blasen¬
schleimhaut, ablegt, verursacht dadurch bei ihren Wirten
schwere Krankheitserscheinungen. Hämaturie, Strangurie,
Albuminurie, Diarrhöen treten auf und sind durch Zystitis,
Enteritis, Ureteritis, Pyelonephritis oder durch Stein und Tu¬
morbildung veranlasst. Neben gutartigen Granulationstumoren
und einigen Zottenpolypen zeigt uns G ö b e 1 K.ankroide, Karzi¬
nome verschiedenster Form und ein Sarkom der Blase. Neben
den Tumoren besteht eine Zystitis, die Verfasser mit der sogen.
Cystitis cystica vergleicht und die er mit Recht nach ihrer
Ursache Bilharziazystitis nennt, da sie offenbar durch die
Infarzierung der Schleimhaut mit Bilharziaeiern verursacht ist.
Der Sitz der Tumoren wurde überall an der Blasenwand ge-'
funden. Ohne nun näher auf die ausführliche und genaue Ar¬
beit eingehen zu können, ist es mir aufgefallen, dass teilweise
eine grosse Aehnlichkeit der äusseren Gestaltung dieser Tu¬
moren mit den Tumoren bei Anilinarbeitern, soweit ich solche
gesehen habe, besteht. Auch histologisch werden sich bei
einem Vergleich manche Aehnlichkeiten in der Struktur finden
lassen. Im Sitz der Geschwülste besteht ein wichtiger Unter¬
schied, da alle mir bekannten Tumoren bei Anilinarbeitern im
Blasengrunde nahe den Ureterenmiindungen sassen, die Tu¬
moren bei Bilharziakrankheit dagegen an allen Stellen der
Blasenwand Vorkommen. Dieser Sitz der Neubildungen ent¬
spricht wohl der Wirkung des Reizes, der bei’ Bilharziablasc
ursprünglich wohl an der Stelle der grössten Eieransammlung,
die an jeder beliebigen Stelle der Blase auftreten kann, bei
chronischer Anilinvergiftung im Blasengrunde und an der
Ureterenmtindung, die dauernd von Urin bespült werden, am
grössten ist; denn der mit Reizstoffen beladene Urin ist im
letzteren Falle wohl zweifellos die Reizursache. Ueber Ver¬
änderung der Blasenschleimhaut kann ich nichts berichten.
Wenn Veränderungen der Schleimhaut da sind, so machen sie
doch für gewöhnlich, abgesehen von dem Urindrang, keine be¬
sonderen Symptome.
Eine weitere Vergleichsgelegenheit der beiden Tumorarten
scheint mir in der hohen Prozentzahl maligner Bildungen zu
liegen. G ö b e 1 gibt die Zahl der malignen Tumoren auf wenig¬
stens 50 Proz. aller Neubildungen an. Herr Dr. Schwerin
in Höchst a. M., dem ich für die liebenswürdige Ueberlassung
des Tumormaterials zu bestem Dank verpflichtet bin, gab mir
an, dass nach seiner Beobachtung weit mehr als die Hälfte
aller Blasentumoren bei Anilinarbeitern rezidiviert. Eine ge¬
naue Aufstellung ist, soviel ich weiss, noch nicht vorhanden
und bedarf es hierzu noch einer grösseren Reihe mikroskopisch
untersuchter Tumoren. Später hoffe ich mit Herrn Dr.
Schwerin zusammen noch über eine grössere Reihe auch
mit genaueren klinischen Daten berichten zu können. Da es,
glaube ich von allgemeinem Interesse ist, sich ein Urteil über
diese Tumoren zu bilden, so möchte ich vorläufig den von
Rehn veröffentlichten Fällen fünf weitere anschliessen. Die
mikroskopische Untersuchung von Blasentumoren stellt grosse
Anforderungen an eine genaue Beobachtung. Schuchardt
und Borst machen besonders darauf aufmerksam, dass sich
ein Tumor mit maligner Anlage oft als harmlos darstellt und
man nur an der Basis vereinzelt Stellen im Epithelüberzug der
Zotten findet, wo ein oft nur geringes destruierendes Vor¬
dringen des Epithels in die Basis der Zotten oder in die Blascn-
wand stattfindet. Deshalb soll man immer einige Serien von
jedem Tumor schneiden.
Die Krankengeschichte unserer fünf Fälle lässt sich sehr
einfach zusammenfassen. Sämtliche Leute waren schon jahre¬
lang in Anilinräumen tätig und kamen eines Tages mit Blut¬
harnen in das Krankenhaus. Durch das Zystoskop wurden
dann die Tumoren, die alle im Trigonum sassen, festgestellt und
von Herrn Dr. Schwerin durch Sectio alta entfernt. Alle
wurden anscheinend geheilt entlassen, ob Rezidive eingetreten
sind, ist mir nicht genauer bekannt.
Betrachten wir zunächst die anatomisch-histologisch gut¬
artigen Tumoren.
Tumor I ist eine klein-kirschgrosse, breitbasige Geschwulst mit
fein papillärer Oberfläche. Histologisch zeigt sie rein papillären
Bau. Die Papillen besitzen sehr wenig Stroma, da sie nur aus
spärlichem, zum Teil von Blutgefässen durchzogenen Bindegewebe
6. Augüst 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1575
bestehen. Die Papillen sind vielfach gegliedert und von einer sehr
dicken Lage vielschichtigen Epithels überzogen, das stellenweise
noch den Charakter mehrzeiligen Epithels aufweist. Die Papillen
sind vielfach miteinander verklebt und ihre Epithelüberzüge gehen
ineinander über. Die Epithelien sind von spindeliger Form und
senkrecht zur Achse des Papillenstromas gelagert. Die Geschwulst
besteht nur aus Papillen, der Boden der Geschwulst und Blasenwand¬
bestandteile fehlen, ln der Nähe der Gefässe finden sich einzelne
Herde kleinzelliger Infiltration.
Tumor II ist von breitbasiger., mandelförmiger Gestalt mit fein
papillärer Oberfläche. Er zeigt grosse Aehnlichkeit mit Tumor I.
Das Papillenstroma ist nur sehr wenig entwickelt und reich an
Blutgefässen und Kapillaren. Das Epithel, das in dicker Lage die
Papillenoberfläche bildet, ist grösstenteils vielzeilig, stellenweise viel¬
schichtig. Einzelne Papillen sind miteinander verklebt, der Rest vom
Geschwulstboden an der exstirpierten Geschwulst zeigt im lockeren
Bindegewebe eine sehr starke, rundzeilige Infiltration, die sich stellen¬
weise auch in die Papillen selbst fortsetzt.
Tumor III ist eine kirschkerngrosse Geschwulst mit schmaler
Basis und fein papillärer, sammetartiger zarter Oberfläche. Histo¬
logisch besteht er aus sehr langen feinen Papillen, die pinselhaar-
förmig zusammenstehen. Das Stroma wird nur von wenigen Binde¬
gewebsfasern, die reich an stark erweiterten Blutgefässen sind, ge¬
bildet. Es nimmt auf diese Art nahezu angiomatösen Charakter an.
Die Oberfläche der Papillen bezw. das sie überkleidende Epithel zeigt
grosse Faltungen. Das Epithel selbst ist mehrzeilig, stellenweise
mehrschichtig. Der Geschwulstboden wird von lockerem, von zahl¬
reichen Blutgefässen durchzogenem Bindegewebe gebildet. Hie und
da, meist in der Umgebung von Blutgefässen, finden sich grössere
und kleinere Herde von Rundzellen; auch in der der Mukosa an¬
grenzenden Muskulatur finden sich auffallend stark erweiterte Ge¬
fässe. Die innersten Schichten der Blasenmuskulatur sind von
reichlichem Bindegewebe durchsetzt.
Bei diesen drei in ihrem pathologisch-anatomischen Auf¬
bau gutartigen Tumoren kann man zwei Arten unterscheiden.
Tumor I und II mit der fein papillären mehr als kleinhöckerig
zu bezeichnenden Oberfläche kann man wohl als einfache Gra¬
nulationstumoren bezeichnen. Die papilläre Struktur der Ober¬
fläche wird erst unter dem Mikroskop deutlich. Tumor II
stellt einen richtigen Zottenpolyp dar, wie sie unter anderem
von Küster trefflich beschrieben worden sind. Allen drei
Tumoren gemeinsam ist eine sehr starke Entwicklung des über¬
kleidenden Epithels und so weit der Geschwulstboden vor¬
handen ist, eine starke herdförmige kleinzellige Infiltration
desselben.
Wenden wir uns nun zu den beiden bösartigen Neubildungen,
so haben wir in Tumor IV eine klein-haselnussgrosse Geschwulst
mit klein-papillärer Oberfläche. Ihr Sitz war dicht an der rechten
Uretermündung. Mikroskopisch zeigen die Randpartien der Ge¬
schwulst eine ziemlich verdickte aus lockerem Bindegewebe be¬
stehende Mukosa, die von einem dünnen mehrzeiligen Epithel über¬
zogen ist. Die Mukosa ist ziemlich gefässreich. An einzelnen Ge-
fässen zeigen die Leukozyten intravaskuläre Randstellung, zum Teil
sind sie bereits auf der Durchwanderung durch die Gefässwände be¬
griffen. In den der Tumorwucherung näher liegenden Partien
nimmt der Zellgehalt der Mukosa zu; hauptsächlich finden sich
eosinophile Zellen neben kleinen einkernigen Rundzellen. Letztere
bilden stellenweise grosse rundliche Herde von follikelähnlichem Aus¬
sehen. Das Zentrum dieser Herde wird von grösseren Rundzellen
mit rundem bläschenförmigen Kern gebildet. Das Epithel nimmt
allmählich an Dicke zu, aus dem mehrzeiligen wird ein vielzeiliges,
zum Teil vielschichtiges Epithel. Die Mukosa gewinnt starke papil¬
läre Gliederung. Die Papillen springen über das Niveau der Mukosa
vor. Die Papillen selbst zeigen vielfach sekundäre Sprossung. Das
sie überziehende Epithel zeigt zum Teil, ohne dass das Stroma sich
daran .beteiligt, Faltungen, so dass ein überaus zierlich verästeltes
Gebilde entsteht. Auch nach der Tiefe zu entsteht eine Wucherung
des Epithels, in Form schmaler, zum Teil drüsenähnlicher Züge, zum
Teil in Form solider Epithelsprossen. Einzelne dieser drüsenartigen
Epithelschläuche sind zystisch erweitert. Ihr Lumen ist ebenso
wie das mancher schmaler drüsenförmiger Epithelzüge von einer
sich mit Hämatoxylin blaufärbenden fädigen Gerinnungsmasse aus¬
gefüllt. Das zwischen dem wuchernden Epithel liegende Binde¬
gewebe ist von lockerem Bau und ziemlich stark von Rundzellen
(eosinophylen Zellen — Leukozyten — Lymphozyten) durchsetzt.
Die Epithelwucherung findet sich nur im Gebiete der Mukosa selbst,
auf die Muskularis greift sie nirgends über, doch finden' sich auch
in den tiefsten Schichten der Mukosa noch zahlreiche, schmale,
meist solide Epithelstränge. In die Basis der Geschwulst einge¬
lagert finden sich mehrere grössere follikelähnliche Rundzellen-
anhäufungen. An anderen Stellen der Geschwulst zeigen sich neben
plumpen, grösstenteils von vielschichtigem Epithel überzogenen Pa¬
pillen überaus zierliche zottenförmige Wucherungen mit nur wenigen
Bindegewebsfasern als Stroma. Ueberzogen sind diese Zotten von
einzeiligem, stellenweise auch von zwei- bis dreizeiligem Zylinder¬
epithel. Auch diese Zotten zeigen zahlreiche sekundäre Faltungen,
an denen sich das feine Stroma beteiligt.
Diese so abwechslungsreich gebaute Geschwulst möchten
wir als adenomatösen Tumor mit karzinomatösem Charakter
bezeichnen. Wenn auch das Epithel noch nicht in die Musku¬
latur der Blase vorgedrungen ist, so stellen doch die zahl¬
reichen soliden Epithelstränge in der Mukosa deu bösartigen
Charakter der Neubildung ausser Frage. Die zahlreich zu be¬
obachtende Auswanderung weisser Blutkörperchen aus den
Gefässen zeigt wohl, dass die Geschwulst sich im Zustande
einer lebhaften Entzündung befindet, vielleicht übt auch die
beginnende bösartige Epithelwucherung einen Einfluss darauf
aus. Bei der Operation machte die Geschwulst makroskopisch
einen durchaus gutartigen Eindruck.
Tumor V ist ein halbkirschgrosser breitbasiger Tumor mit grauer
kleinhöckeriger Oberfläche und von halbkugeliger Gestalt. Das
untersuchte Stück besteht nur aus Tumor. Von der Blasenwand
selbst ist am Schnitt nichts zu sehen. Mikroskopisch zeigt der Tumor
an seiner Oberfläche noch eine Andeutung von papillärem Bau. Die
Papillen sind aber grösstenteils miteinander verwachsen, indem die
benachbarten Epithelbezüge miteinander in Verbindung treten. Die
Hauptmasse des Tumors, besonders die zentralen Partien, bestehen
aus einem feinen, netzartigen Stroma, dessen Maschen dicht mit
Epithelien ausgefüllt sind. Die Epithelmassen sind in soliden Nestern
vereinigt, nur hier und da zeigt sich in den Alveolen noch eine
Anordnung des Epithels, die an die mehrzeilige Anordnung des
Blasenepithels erinnert. Unter den Zellen selbst finden sich zahl¬
reiche. mehrkernige Zellen und Zellen mit sehr grossen Kernen,
auch Zellen mit mitotischen Vorgängen in den Kernen sind zahl¬
reich zu beobachten. Die Epithelnester sind stellenweise sehr gross
und zeigen dann in ihren zentralen Partien körnigen Zerfall der
Geschwulstzellen.
Wir sehen also ein atypisches Wachstum und alveoläre
Anordnung der Epithelwucherung vereinigt. Die Geschwulst
zeigt keinen papillären Bau mehr und wir können sie mit
vollem Recht als Karzinom bezeichnen. Es fehlt zwar der
Nachweis dies destruierenden Vordringens, aber sicher nur, weil
an dem untersuchten Teile kein Geschwulstboden mehr vor¬
handen ist. So viel ich mich erinnere, hat mir auch Herr Dr.
Schwerin später mitgeteilt, dass der Mann an einem Re¬
zidiv gestorben sei.
Wir sehen in vorstehendem, wie sich die verschieden¬
artigsten Tumoren bei sonst ganz gleichen Verhältnissen ent¬
wickeln. Wir müssen unbedingt für alle die gleiche Ursache,
den chronischen Reiz des Anilinkörper führenden Harnes auf
die Blasenwand annehmen. Anders Hesse es sich doch nicht er¬
klären, warum gerade die Anilinarbeiter eines grossen Werkes
soviel häufiger von diesem Leiden befallen werden, als die
andersartig Beschäftigten. Eiir diese gemeinsame Ursache
spräche auch eine den beschriebenen Tumoren gemeinsame
Eigentümlichkeit; es ist dies die bei allen auch bei den gut¬
artigen Tumoren auffallend starke Beteiligung des Epithels.
Immer kommt es zu einer vielschichtigen Epithelentwicklung.
Ob daran die in Betracht kommenden chemischen Spezial¬
körper einen bestimmten Anteil haben, wage ich nicht zu ent¬
scheiden. Es Hesse sich vielleicht durch Versuche nach dem
Vorgänge Fischers in Bonn klarstellen. Der starken
Epithelentwicklung entspricht es auch, dass die beiden bös¬
artigen Geschwülste Karzinome sind. Auch den bösartigen
Tumor, über den Rehn berichtet, möchte ich gern zu den
Karzinomen rechnen; aus dem Berichte Marchands geht
hervor, dass die Blasenoberfläche des Tumors schon stark
zerfallen war. Die Abbildung, die er von dem Geschwulst¬
gewebe gibt, zeigt Aehnlichkeiten mit Tumor V, wo die
tiefer liegenden Geschwulstzellen auch nicht mehr als Blasen¬
epithelzellen zu erkennen wären, wenn nicht die Diagnose bei
der erhaltenen Geschwulstoberfläche viel sicherer und leich¬
ter wäre. Gemeinschaftlich sind auch allen Tumoren die
Rundzellenherde als Zeichen entzündlichen Reizes. Zur Er¬
klärung dürfen wir wohl nicht einen spezifischen Reiz des
Harnes allein annehmen, der Umstand, dass dieTumoren, deren
Körper in den freien Blasenraum hineinragen, dauernd physi¬
kalischen Reizen ausgesetzt sind, würde ja ebenfalls zur Er¬
klärung dieser Erscheinung genügen. Wenn wir den Charakter
der Tumoren betrachten, so haben wir unter acht Neu¬
bildungen drei bösartige, darunter Tumor IV, dessen Charakter
erst bei genauer histologischer Untersuchung erkennbar war.
Für ein statistisches Urteil ist das Material zu klein, aber wir
1576
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
erkennen doch daran: der Charakter dieser Tumoren ist ein
zweifelhafter in jedem zur Behandlung kommenden Fall, so¬
lange nicht die histologische Untersuchung genauen Aufschluss
gegeben hat. Die Operation soll darum in jedem Fall eine so
radikale sein, als es bei den oft sehr schwierigen Verhältnissen
im Trigonum und an den Urterenmündungen nur immer mög¬
lich ist.
Benutzte Literatur:
L. Rehn: Blasengeschwülste bei Anilinarbeitern. Vortrag v. Dr.
L. Rehn auf dem Kongr. f. Chir. zu Berlin 1895. — Ernst Küster:
Ueber Harnblasengeschwülste und deren Behandlung. Sammlung
klin. Vorträge No. 267 — 268, 1886. — F i s c h e r - Bonn: Die ex¬
perimentelle Erzeugung typischer Epithelwucherungen und die Ent¬
stehung bösartiger Geschwülste. Münch, med. Wochenschr. 1907.
— Goebel: Ueber die bei Bilharziakrankheit vorkommenden
Blasentumoren, mit besonderer Berücksichtigung des Karzinoms.
Zeitschr. f. Krebsforschung, III. Bd., H. 3.
Zur Wirkungsweise der „Scharlachöl“- Injektionen
B. Fischers bei der Erzeugung karzinomähnlicher
Epithelwucherungen.
Von Dr. M. Oscar W y s s in Zürich.
Zu den in letzter Zeit hier mitgeteilten, höchst interessanten
Versuchen Fischers, die von J o r e s und S t a h r nach¬
geprüft wurden und zu ihren weiteren Ausführungen möchte
ich im folgenden einige Bemerkungen anschliessen. Es fiel mir
nämlich in den erwähnten Mitteilungen auf, dass allem nach
weniger die Substanz in Betracht kommt, die eingespritzt die
bekannt gewordenen Epithelwucherungen, Karzinombildungen
verursacht, als ganz besonders die Art und Weise, wie die
Einspritzungen gemacht wurden. Fischer schon erwähnte,
dass die Injektionen unter starkem Druck und mit einer
grösseren Menge gemacht werden müssen, um Erfolge zu er¬
zielen. J o r e s hebt hervor, dass das Vorhandensein einer
grossen, schwer resorbierbaren Oelmasse, wenn auch in ziem¬
licher Entfernung vom Epithel, eher zur Haarbalgverdickung
führt, als wenn die Haarbälge mit Oeltropfen („Scharlachöl“)
umlagert sind. Auch S t a h r betont insbesondere, dass er bei
den Injektionen das Bindegewebe, welches sich zwischen Epi¬
thel und Perichondrium straff ausspannt, sehr prall mit der In¬
jektionsmasse anfüllte. Er bemerkt im ferneren: „Schon oben
deutete ich darauf hin, dass in der anatomischen Beschaffenheit
der Gegend, hier des Kaninchenohrs, und der Verbindung des
Epithels mit dem Knorpel ein Grund gesucht werden muss
für das prächtige Gelingen der Injektionen gerade an dieser
Stelle. Die pralle Füllung der straffen subepithelialen Binde-
gewebsschicht wird aber bei der so langsam erfolgenden Re¬
sorption des Oeles lange Zeit einen Druck auf das Epithel und
zwar dessen junge Schichten zulassen. Nie aber dürfen wir
vergessen, neben der Analyse des Reizes und der Erforschung
des schädlichen Agens auch die besondere Beschaffenheit des
Ortes ins Auge zu fassen.“
Dazu kommt nun, dass Fischer Neubildungen im Epi¬
thel auch dann beobachtet hat, wenn er Injektionen machte mit
Agar, der in einem Falle mit phosphorsaurem Kalk, im anderen
mit kohlensaurem Kalk versetzt war. Allerdings konnte er
hier die Erscheinung nur zweimal beobachten. Immerhin
spricht das dafür, dass die Neubildung nicht auf eine spezifische
chemische Einwirkung hin entsteht.
In einer Mitteilung „Zur Entstehung der Röntgenkarzi¬
nome der Haut und zur Entstehung des Karzinoms im allge¬
meinen“ in der Festschrift K r ö n 1 e i n (Beitr. z. klin. Chir.,
Bd. XLIX, März 1906) habe ich darauf hingewiesen, dass nach
meinen Untersuchungen die Ursache für die schrankenlose
Teilung der Epithelzellen, d. h. eben für die Entstehung kleiner
Hautkarzinome, in der vollständig mangelnden Ernährung einer
Epithelzellengruppe mit Blut (Blutserum etc.) zu suchen ist.
Diese mangelnde Ernährung, so schloss ich aus mikroskopi¬
schen Untersuchungen weiter, kommt dadurch zustande, dass
die Gefässe unter dem Epithel allmählich enger geworden und
obliteriert sind. Dadurch werden die Epithelzellen genötigt,
ihre Nahrung direkt aus den ihnen zunächst liegenden Zellen
oder Geweben zu entnehmen (vermöge ihres vermehrten nega¬
tiven osmotischen Druckes). Dadurch werden die Zellen
gleichsam zu Parasiten. Ob eine solche Störung im normalen
Wachstum der Zellen eventuell in einer mangelnden Zufuhr
von einem Wachstumshemmungsferment, das im Blut mit¬
geführt würde, beruhe, liess ich dahingestellt.
Nun schienen mir beim Durchlesen der Arbeit B. Fischers
seine Versuche eine Bestätigung meiner Ansicht zu sein, da
gerade Fischer diesen Ausschluss des Epithels von der
Blutzirkulation experimentell sehr schön erzeugt hatte. Er
hatte eine Zwischenschicht zwischen Epithel und Bindegewebe
eingelagert, die, unter einem erheblichen Druck stehend, beide
dauernd von einander trennte. Resorbierbare Flüssigkeiten
machen eine solche Trennung nur vorübergehend, da sie bald
wieder entfernt werden; nicht resorbierbare dagegen erfüllen
diese Bedingung, d. h. sie isolieren das Epithel von der Säfte¬
zufuhr. Dazu kommt, dass besonders J o r e s und auch S t a h r,
wie wir oben bemerkten, darauf hinweisen, dass nur „Schar¬
lachöl“, das unter Druck stehe, die gewünschte Epithelwuche¬
rung zur Folge habe (also prall eingespritzt und zwar zwischen
Knorpel und Epithel des Kaninchenohres, wodurch dann der
Knorpel einen dauernden Gegendruck ausübt). Durch diesen
andauernden Druck wird das Epithel seiner Nahrungszufuhr
durch Saftspalten, kleine Gefässe etc. beraubt und beginnt zu
wuchern; wäre der Reiz des Scharlachöls auf das Epithel ein
rein chemischer, so würde auch eine Wucherung bei Injektionen
an anderen Stellen entstehen, oder wenigstens auch dann, wenn
die Injektion sorgfältig unter geringem Druck gemacht wurde.
Aber gerade unter diesen Umständen gelingt sie, wie S t a h r
bemerkt, nicht. Es muss demnach eine mechanische Ursache
vorliegen, und da handelt es sich nach meiner Ueberzeugung
vor allem um eine Isolierung der Basalzellen vom Blut-(Säfte-)
Strom. Ob dieser Ausschluss vom Blutstrom einen Ausschluss
der betreffenden Zellpartien von einem im Blute kreisenden
Wachstumshemmungsferment zur Folge hat, das dann auf
die isolierten Zellen nicht mehr einwirken kann, oder ob es sich
mehr um veränderte osmotische Druckverhältnisse handelt,
darüber können wir natürlicherweise blosse Vermutungen auf¬
stellen. Es wäre aber denkbar, dass durch veränderten os¬
motischen Druck in den isolierten Zellen auch andere Wachs¬
tumsenergie sich entwickelt, in dem Sinne, dass bei sehr hohem
negativ-osmotischem Druck die isolierten Zellen Zellflüssigkeit
der Nachbarzellen durch Osmose in sich aufnehmen können —
dem Charakter des Parasiten entsprechend.
Es dürfte also nach meiner Ansicht die Wirkungsweise der
Scharlachölinjektionen darin zu suchen sein, dass das Schar¬
lachöl und auch andere Substanzen, wie z. B. mit Kalk ver¬
setzter Agar, einen Ausschluss des Epithels von der normalen
Ernährung mit Blut auf mechanischem Wege bedingt.
Aus dem pathologischen Institut des allgemeinen Kranken¬
hauses Eppendorf.
Ueber einen Fall von angeborener Dünndarmsyphilis
nebst Bemerkungen über die ätiologische Bedeutung
der Spirochaete pallida.*)
Von Eug. Fraenkel.
Die Berechtigung zur Mitteilung eines einzelnen Falles von
angeborener Dünndarmsyphilis bedarf eines Wortes der Be¬
gründung. Als solches möchte ich zunächst den Umstand er¬
wähnen, dass derartige Erkrankungen an sich
nicht besonders häufig sind und in durchaus ver¬
schiedener Form in die Erscheinung treten, und weiter die Tat¬
sache, dass seit der Entdeckung der Spirochaete
pallida, trotz der Fülle des danach veröffentlichten kasuisti¬
schen Materials über kongenitale Darmsyphilis
fast gar keine Beobachtungen vorliegen. In der
ausgezeichneten Bearbeitung der Spirillosen durch Sobern-
h e i m in dem zu dem Kolle- Wassermann sehen Lehr¬
buch gehörenden Ergänzungsband, welche eine erschöpfende
Zusammenstellung der auf die Spirochaete pallida bezüglichen
Veröffentlichungen enthält, habe ich gerade über das Thema
der kongenitalen Darmsyphilis und das Verhalten der Spiro-
*) Nach einer Demonstration im Hamburger ärztl. Verein am
15. Mai 1906.
6. August 1907. , _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
chaete pallida dabei Angaben vermisst. Mit Rücksicht darauf
und weiter in Erwägung des Umstandes, dass die Art der Er¬
krankung in dem gleich zu berichtenden Fall eine sehr unge¬
wöhnliche war, namentlich auch hinsichtlich der durch sie
hervorgerufenen Folgezustände, erschien es mir wünschens¬
wert, denselben eingehender zu veröffentlichen und an der
Hand der beigegebenen Photogramme die Beziehungen zwi¬
schen den im Darm lokalisierten Krankheitsherden zu den hier
angesiedelten Spirochäten zu erläutern.
Es handelt sich um einen frühreifen, 47 cm langen, von einer
28 jähr. Mutter, bei der Syphilis nicht nachweisbar war, geborenen
Knaben, der von der Mutter genährt wurde und unter den Erschei¬
nungen der Peritonitis am 5. Lebenstage zu gründe ging. Die
Sektion ergab folgenden Befund: Am Nabel nichts abnormes.
In der eröffneten Bauchhöhle finden sich 100 ccm trübrötlicher Flüs¬
sigkeit. Ein Teil der Dünndarmschlinge ist unter Bildung eines un¬
entwirrbaren Knäuels fest mit einander vereinigt. Sowohl die
Serosa dieser als der nicht unter einander verwachsenen Darm¬
schlingen zeigt graugelben, eitrigen Belag. Der Wurmfortsatz ist frei.
Milz 6:4:2, Kapsel glatt, Pulpa ziemlich fest, Follikel wenig deut¬
lich. Nebennieren nicht verändert. Niere 6:4:3, Oberfläche glatt,
Parenchym blassrot, nirgends Herde. Leber 11:9:6, im Parenchym
3 hanfkorngrosse, mikroskopisch als Gallengangsadenome erkannte
Herde. Sonst ist an dem Lebergewebe nichts abnormes. Die verwach¬
senen Dünndarmschlingen gehören dem oberen Ileum an. An den auf¬
geschnittenen Darmschlingen erkennt man auf der Schleimhaut quer
zur Längsachse des Darms gestellte, scharf abgegrenzte, zum Teil
bis an die äusserst verdünnte Serosa heranreichende Substanzver¬
luste. Die Darmwand ist hier vollkommen durchscheinend und reisst
bei leisestem Zug ein. Ausserdem finden sich auf der Schleimhaut
mehrfach beetartige, in der Farbe nur wenig gegen die der Umgebung
abstechende, Erhabenheiten, denen entsprechend an der Serosa keiner¬
lei Veränderungen erkennbar sind. Das untere Ileum, sowie das Je¬
junum und Duodenum, desgleichen der Dickdarm bieten vollkommen
normale Verhältnisse. Hoden im Skrotum. - — Die Thymusdrüse über¬
lagert den Herzbeutel. Herz frei von Veränderungen. In den Lungen
atelektatische Stellen. Auf den Gaumenmandeln schmieriger, grau-
gelber Belag. Oberflächliche Epitheldefekte auf der Schleimhaut der
Stimmbänder.
Die Deutung des Falles stösst auf keinerlei Schwierigkeiten.
Die Obduktion hat neben Zeichen einer älteren, sich
durch untrennbare Synechien zwischen obe¬
ren Jejunum schlingen dokumentierenden,
Peritonitis eine frische eitrige Bauchfell¬
entzündung zu Tage gefördert. Da der Knabe ein Alter
von nur 5 Tagen erreicht hat, die zwischen den Dünndarm¬
schlingen vorhandenen fibrösen Verwachsungen auf ein viel
längeres Bestehen des peritonitischen Prozesses hinwiesen, so
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Beginn
dieser chronischen Peritonitis in das intra¬
uterine Leben verlegt werden muss.
Auch die Aetiologie dieser chronischen
Bauchfellentzündung ist vollkommen durchsichtig.
Sie ist ausgelöst durch die über einen Teil des
Jejunum ausgebreiteten Krankheitsherde, wie sie
sich teils als tiefgreifende glattrandige Geschwüre, teils
als flache, das Niveau der Schleimhaut beetartig über¬
ragende Anschwellungen präsentieren. Zu dieser
intrauterin entstandenen chronischen Peritonitis hat sich
während des kurzen extrauterinen Lebens des Kindes, nach
erfolgter Nahrungsaufnahme, unter Vermittlung der an den
geschwürigen Stellen maximal verdünnten Darmwand, eine
akute Infektion der freien Bauchhöhle, eine frische, eitrige
Peritonitis gesellt, wodurch der Tod des Kindes herbeigeführt
worden ist.
Ueber die Natur des ulzerösen Prozesses im
Darm gab die Sektion keinen absolut sicheren Aufschluss, da
weder an den Geschwürsstellen, noch an den als Vorläufer
dieser aufzufassenden beetartigen Anschwellungen irgend
welche charakteristische Eigentümlichkeiten festgestellt wer¬
den konnten. Nichtsdestoweniger hielt ich mich, gerade mit
Rücksicht auf den zuletzt erwähnten Befund (sc. die beetartigen
Erhabenheiten), für berechtigt, die Diagnose auf kongenitale
Darmsyphilis zu stellen, obwohl an anderen Organen, speziell
des Unterleibes, als sicher syphilitisch aufzufassende Verände¬
rungen, wenigstens mit blossem Auge, nicht zu erkennen waren.
Auch die mikroskopische Untersuchung der Leber, des Pan¬
kreas, der Nebennieren ergab in dieser Beziehung keinen
weiteren Aufschluss. Dagegen liessen sich von in Müller-
No. 32.
scher Lösung unvollständig entkalkten Rippen, deren makro¬
skopische Besichtigung eine sichere Entscheidung nicht ge¬
stattete, die das erste Stadium der Osteochondritis syphilitica
charakterisierenden Veränderungen einwandsfrei feststellen.
Dadurch gewann die, auch in der geschilderten Darmaffektion
eine syphilitische Erkrankung erblickende, Annahme eine we¬
sentliche Stütze.
Immerhin erschien es wünschenswert, zur weiteren Be¬
gründung der Diagnose wenigstens den Versuch zu machen, in
den Krankheitsherden den, gerade bei der Syphilis congenita
meist mühelos gelingenden, Nachweis der etwaigen Anwesen¬
heit der Spirochaete pallida zu erbringen. Es musste das in
diesem Falle als besonders wertvoll angesehen werden, weil
man es mit einem nicht intrauterin abgestorbenen, nicht faultot
zur Welt gekommenen Kind zu tun hatte und so, falls der ange¬
strebte Spirochätennachweis positiv ausfiele, den Gegnern der
parasitären Natur der sogen. Silberspirochäte das hauptsäch¬
lichste ihrer, gegen die parasitäre Natur der Silberspirochäte
gerichteten, Argumente entzogen werden konnte.
Ich habe mich zur Darstellung der Spirochäten der Ber-
tarelli-Volpino sehen Methode bedient und in den für
dieUntersuchung verwerteten Darmstücken
Spirochäten in enormerMenge gefunden, und zwar,
um das vorweg zu nehmen, nur im Bereich der
Krankheitsherde und in deren unmittelbarster Um¬
gebung, während schon in geringer Entfernung von
dieser die Darmwand vollkommen frei von Spirochäten
war. Innerhalb der ‘erkrankten Stellen des Darmes war
nun das Verhalten der Spirochäten ein verschiedenes,
je nachdem man ein geschwüriges oder noch nicht zer¬
fallenes Darmstück durchmusterte. Um mit letzterem zu be¬
ginnen, sei erwähnt, dass die Hauptmasse der Spirochäten sich
in den an die kranken Stellen unmittelbar angrenzenden Stellen
der Darmwand, kurz ausgedrückt in den Rändern der Krank¬
heitsherde aufhielten. Hier waren sie in solcher Menge vor¬
handen, dass sie sich schon bei schwacher Vergrösserung als
ziemlich breite, die Lieberkühn sehen Drüsen und die Ka¬
pillaren der Submukosa umspinnende schwarze Säume er¬
kennen liessen. Gegen die Muskularis nahmen sie an Mäch¬
tigkeit ab, konnten in deren zirkulärer Schicht freilich nur mit
stärkeren Trockensystemen oder mit Immersion nachgewiesen
werden, während sie in dem longitudinalen Stratum vollkommen
fehlten und ebenso in den obersten Schleimhautlagen absolut
vermisst wurden. Ganz in Uebereinstimmung mit den Angaben
der zahlreichen Autoren, welche Organe kongenital syphiliti¬
scher Kinder untersucht haben, konnte ich sie auch in den Wan¬
dungen einzelner Arterienäste der Submukosa eines nicht ulze-
rierten Herdes auffinden und zwar durchsetzten sie sämtliche
Wandschichten der betreffenden Gefässe, dabei teils in der
Richtung der zirkulären Muskelfasern teils senkrecht zu diesen
verlaufend und bis an das Endothel heranreichend. Bezüglich
der in den tieferen Mukosaschichten vorhandenen Spirochäten
habe ich bereits angeführt, dass sie die Wandungen der Lie¬
be r k ü h n sehen Drüsen umkreisten. An vielen Stellen ge¬
lang es indes auch, bald nur vereinzelte, bald mehrere Exem¬
plare frei im Drüsenlumen oder zwischen den Epithelzellen
gelagert zu erblicken. An den geschwürigen Herden erwies
sich der Geschwürsgrund durchaus frei von Spirochäten, da¬
gegen waren diese in den Geschwürsrändern, auch hier haupt¬
sächlich die Drüsen umspinnend, vielfach untereinander ver¬
filzt, noch in beträchtlicher Menge vorhanden, um gegen die
tieferen . Schichten der Darmwand hin rasch an Menge ab¬
zunehmen.
Das bei weitem überwiegende Gros der, den Nachweis der
Spirochaete pallida bei Syphilis congenita betreffenden, An¬
gaben bezieht sich auf Befunde, welche bei tot oder totfaul
geborenen, meist von syphilitischen Müttern abstammenden
Kindern erhoben wurden, ohne dass in den, auf die Anwesen¬
heit von Spirochäten untersuchten Organen konstant spezifische
Läsionen aufgedeckt werden konnten. Oder aber man hatte es
mit Organen zu tun, welche, wie die Leber, diffuse Verände¬
rungen aufwiesen. Am massigsten und am regelmässigsten
wurden bekanntlich die Spirochäten in den Nebennieren ge¬
funden, welche sich fast ausnahmslos histologisch normal ver¬
hielten. Unter diesen Umständen war es von hervorragendem
Z
1578
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Wert, hier über eine Erkrankung zu verfügen, welche an dem
betreffenden Organ zur Entwicklung von Herdaffektionen Ver¬
anlassung gegeben hatte.
• Nach den sattsam bekannten Ausführungen von Saling,
Schulze und Friedenthal hätte man nun erwarten
müssen, an den Stellen des stärksten Gewebszerfalles, d. h. im
Bereich der Darmgeschwüre auch die Hauptmasse der Spiro¬
chäten aufzufinden. Sagt doch S a 1 i n g in seinen Diskussions¬
bemerkungen zu dem Vortrage von B 1 a s c h k o und Benda
in der Berliner medizinischen Gesellschaft (Berl. klin. Wochen¬
schrift, No. 10, 1907, pag. 293) „Zur Darstellung sogenannter
Silberspirochäten im Gewebe ist nichts weiter erforderlich als
ein mit Nekrose resp. Gewebszerfall verbundener Krankheits¬
prozess und nachfolgender Mazeration“. Keine einzige der von
Saling hier geforderten Bedingungen ist in dem vorstehend
von mir geschilderten Fall erfüllt gewesen. Vor allem fehlte
jede Spur von Mazeration. *) Und ferner bildeten nicht, wie
man nach den Angaben Salings erwarten musste, die Stellen
des stärksten Gewebszerfalls in der Darmwand den Ort der
wichtigsten Spirochätenansiedlung, sondern im Gegenteil die
die Nekroseherde bezw. den Geschwürsgrund begrenzenden
Abschnitte. Und diese wiederum zeigten nicht in ihrer ganzen
Dicke, sondern nur in ganz bestimmten Gewebsschichten be¬
trächtlichere Spirochätenanhäufungen. Der von Krankheits¬
herden freie Darm erwies sich schon in geringer Entfernung
von diesen vollkommen frei von Spirochäten, obwohl doch die
betreffenden Darmpartien der Einwirkung der die Silberspiro-
cliäte darstellenden Agenden in genau der gleichen Weise unter¬
worfen gewesen sind, wie die von Nekrose und Gewebszerfall
freien Randpartien der beschriebenen Herde im Darm. Hier
liegen also nach jeder Richtung klare Verhältnisse vor; ein
nicht mazerierter Fötus, sondern ein erst am 5. Lebenstage ver¬
storbenes Kind mit schweren, auf ein intrauterines Einsetzen
des Prozesses hinweisenden, bestimmte Stellen des Darmes be¬
treffenden Veränderungen und die Anwesenheit von Spiro¬
chäten ausschliesslich im Bereich der im Darm lokalisierten
Krankheitsherde. Wer vorurteilslos zu sehen, mikroskopische
Bilder zu deuten und logische Schlüsse zu ziehen vermag, der
muss auf Grund eines einzigen solchen Falles zu der Ueber-
zeugung gelangen, dass die mit der Silbermethode darge¬
stellten, spiraligen Gebilde nichts mit Gewebsbestandteilen zu
tun haben, dass sie vielmehr als etwas den Geweben fremd¬
artiges aufzufassen sind. Als besonders beweisend für die
parasitäre Natur und g e g e n die von den Berliner Spirochäten¬
gegnern immer und immer wieder angeführte Annahme, dass
die Silberspirochäten Neurofibrillen entsprächen, ist die La¬
gerung der Spirochäten im Innern der Lieber¬
kühn s c h e n Drüsen hervorzuheben. Es ist das Verdienst
von S i m m o n d s, auf diese, später auch von Verse be¬
schriebene, Lokalisation der Spirochäten in Darm syphilitischer
Föten und auf ihr Fehlen bei nichtsyphilitischen u. zw. abge¬
storbenen, mazerierten Früchten hingewiesen zu haben. Nicht
die Mazeration an sich ist es also, welche mittelst der Silber-
methode darstellbare Spirochäten in den Geweben auftreten
lässt, sondern lediglich der Einfluss der Syphilis. Die Pflicht
der Gegner dieser Anschauung ist es, den einwandsfreien Be¬
weis zu erbringen, dass sie — um bei dem uns hier beschäf¬
tigenden Organ zu bleiben — auf anderem als syphilitischem
Boden entstandene, geschwürige oder nekrotische Herde im
Darm, wie sie beispielsweise bei Typhus und Tuberkulose auf¬
treten, mit der gleichen Silbermethode dieselben spirochäten¬
artigen Bildungen nachweisen. Es ist übrigens meines Wissens
bisher von keinem Beobachter ein solcher Reichtum der Darm¬
schleimhaut an Neurofibrillen festgestellt worden, wie ihn hier
die grosse Masse der, die Lieberkiihnschen Krypten und die
Schleimhautkapillaren umspinnenden, Spirochäten vorgetäuscht
haben sollten. Vollends spricht die Lagerung der Spirochäten
zwischen den Epithelien und frei im Lumen der Krypten und ihr,
w iederum von S i m m o n d s konstatierter, oft massenhafter
Uebertritt ins Mekonium gegen eine solche Deutung.
Ich glaube nun, dass die hier absichtlich etwas eingehender
dargelegte Beobachtung auch zu der Schlussfolgerung berech-
P cf. auch Orths Diskussionsbemerkungen zu dem Blasch-
k o w -Benda sehen Vortrag in No. 11 der Berl. klin. Wochcnschr.,
pag. 319 1. unten.
tigt, dass die Spirochäten ätiologisch mit dem Auftreten der
Krankheitsherde im Darme in Verbindung gebracht werden
müssen, mit anderen Worten, dass wir in ihnen die Erreger
der Darmerkrankung zu erblicken haben. Ihre ausschliessliche
Ansiedelung an der Stelle der Erkrankung lässt meines Erach¬
tens eine andere Auffassung nicht zu. Ausserordentlich wichtig
scheint mir der Befund der Spirochäten gerade in den Rändern
der erkrankten Darmstellen. Sie bedeutet wohl nichts anderes
als die Progredienz des Prozesses. Da, wo die als Krankheits¬
erreger in Betracht kommenden Spirochäten das Gewebe ab¬
getötet und weiterhin zum Zerfall und zur Abstossung mit kon¬
sekutiver Geschwürsbildung gebracht haben, verschwinden sie,
um in die Randpartien einzudringen und hier die gleichen Ver¬
änderungen auszulösen. So erklärt es sich, dass immer weitere
Abschnitte der Darmwand in die Erkrankung einbezogen wer¬
den, so erklärt sich die in manchen Fällen auch kongenitaler
Darmsyphilis beobachtete zirkuläre Form der Darmgeschwüre.
Wie schon eingangs erwähnt, liegen Mitteilungen über Spi¬
rochätenbefunde in Därmen mit Herdaffektionen bei syphiliti¬
schen Neugeborenen so gut wie gar nicht vor. In der mir zu¬
gängigen Literatur habe ich nur bei Verse (Med. Klinik, No.
24 — 26, 1906: „Die Spirochaete pallida in ihren Beziehungn
zu den syphilitischen Gewebsveränderungen“) Angaben hie¬
rüber gefunden. Freilich war die Art der im Darm konsta¬
tierten Veränderungen von der hier geschilderten durchaus ab¬
weichend und hatte keinerlei Folgezustände nach sich gezogen.
Mikroskopisch handelte es sich um zeitige Infiltrate, die den
Sitz von Spirochäten bildeten. Ob auch die von solchen Herden
freien Teile der Darmwand Spirochäten enthielten, geht aus der
Darstellung von Verse nicht hervor. Verse fand die Spiro¬
chäten am massenhaftesten in der muskulösen Darmwand.
Freilich fehlten sie auch in den anderen Wandschichten nicht
völlig und speziell in der Mukosa umspannen sie, ganz ent¬
sprechend den von mir gemachten Angaben, die Lieber-
k ii h n sehen Drüsen. Auch insofern besteht eine, wie ich
meine, prinzipielle Uebereinstimmung zwischen Verses und
meinen Ergebnissen, als die Hauptansiedlungsstätte der Spiro¬
chäten dort wie hier nicht in den schwerst erkrankten Darm-
abschnitten, sondern in den diese begrenzden Rändern ange¬
troffen wurden.
Ich wende mich nunmehr zur Besprechung der, bei der
Untersuchung der kranken Darmstellen gewonnenen, histo¬
logischen Resultate. Die Stücke wurden mit Eosin-
Hämatoxylin, nach G i e s o n und, zwecks Darstellung der
elastischen Elemente, mit saurem Orcefn nach Unna-
Taenzer, unter Anwendung der von mir angegebenen Mo¬
difikation (Gegenfärbung mit Methylenblau bezw. mit Lithion-
karmin und Picroindigokarmin) tingiert und dabei folgendes
festgestellt.
Fig. 1- ■ Fig. 2.
Fig. 1. Schnitt durch eine beetartige Erhabenheit des Darms
mit zentraler Nekrose.
Fig. 2. Schnitt durch ein Darmgeschwür.
Im Bereich der als beetartige Erhebungen imponierenden
Partien bestand ein, die eigentlichen Schleimhautelemente be¬
treffender Defekt, unterhalb dessen die tieferen Gewebslagcn,
spez. die Submukosa, so stark geschwollen waren, dass da¬
durch der, durch das Fehlen der Mukosa bedingte, Substanz¬
verlust völlig ausgeglichen erschien, ja die Darmwand pro-
minierte hier sogar leicht über die Umgebung. Auch die Mus¬
kelschichten partizipierten an der Schwellung und ebenso das
subseröse Gewebe, während die Scrosa selbst nicht in den Pro-
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1579
zess einbezogen war. In ihr begegnet man verschiedenen,
durch einkernige weisse Elemente verstopften Lymphgefässen.
Die in den Schnitten angetroffenen Blutgefässe, welche nament¬
lich an den mit Orcei'n behandelten Schnitten besonders deut¬
lich hervortraten, erwiesen sich vollkommen frei von or¬
ganischen Veränderungen. Im Zentrum dieser Herde war es
zur Nekrose gekommen. Der nekrotische Bezirk bot exquisite
Keilform dar, mit nach der Serosaseite gerichteter Keilbasis,
während die Spitze dem Darmlumen zugekehrt war. Ihr ent¬
sprechend schien die erheblich geschwollene Submukosa aus¬
einanderzuweichen, gleichsam, als sollte hier die Exfoliation des
abgestorbenen, noch nicht aus dem Zusammenhang mit der
Umgebung gelösten Wandstücks vor sich gehen. Das Stadium
der Erkrankung, welches diesen Vorgang vor Augen führt,
habe ich nicht zu sehen Gelegenheit gehabt, wohl aber das
weitere, welches den Darm nach erfolgter Abstossung des
Wandsequesters zeigt, bei dem also das fertige Darmgeschwür
vorliegt. Hier ist die Darmwand nur durch eine dünne, der
geschwollenen, mit anhaftenden zackigen Fetzen des äusseren
Muskelstratums versehenen, Subserosa undSerosa zugehörigen*
Schicht gebildet, während die angrenzenden Ränder sich noch
im Zustand frischer Schwellung befinden. Zeitige Infiltrate
fehlen.
Wir haben es also mit einem verhältnismässig einfachen
Vorgang zu tun, der sich an den verschiedenen Stellen der
Darmwand abgespielt und zu beträchtlicher Zerstörung der¬
selben Veranlassung gegeben hat. Ganz abweichend von dem,
was man sonst in dieser Beziehung in Organen kongenital¬
syphilitischer Kinder zu sehen gewohnt ist, ist es hier zu¬
nächst zur Nekrose der Dar in wand mit kon¬
sekutiver Schwellung der, dem Nekroseherd
unmittelbar anliegenden, Darmwandpartien
gekommen, und zwar ohne dass vorgängige Gefässverände-
rungen, wie wir sie von der akquirierten Lues, spez. des Ma¬
gens und Darms kennen, zur Ischämie mit nachfolgendem Ab¬
sterben der zugehörigen Darmwandschichten geführt hätten
und ohne dass die Darmwand von, als miliare Qummige-
schwülste aufzufassenden, granulationsgewebsartigen Massen
durchsetzt gewesen wären. Man hat sich vielmehr, wie ich
meine, vorzustellen, dass unter dem Einfluss des syphilitischen
Virus, das in diesem Fall ein besonders intensiv wirkendes
gewesen sein muss, bestimmte Schichten der Darmwand un¬
mittelbar der Nekrose verfallen sind. Nach Elimination des aus
dem Zusammenhang mit der Umgebung gelösten, abge¬
storbenen Gewebes resultiert dann das keinerlei Charak¬
teristika mehr darbietende Darmgeschwür. Der anatomische
Prozess als solcher, der hier zur Geschwürsbildung geführt
hat, zeigt also nichts für Syphilis Spezifisches, und nicht am
wenigsten aus diesem Grunde scheint mir der gelungene Nach¬
weis der Spirochaete pallida in den Krankheitsgeweben von
ausschlaggebender Bedeutung für die Auffassung der geschil¬
derten Erkrankung als einer syphilitischen. Es liegen meines
Erachtens hier ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei der
Tuberkulose, 'sowohl der menschlichen als der experimentell
an Tieren erzeugten. Auch hier kennen wir an den ver¬
schiedensten Organen Veränderungen, die histologisch wegen
Fehlens charakteristischer Tuberkel nicht als tuberkulös zu
bezeichnen sind, die aber wegen ihres Gehalts an, mitunter sehr
zahlreichen Tuberkelbazillen, doch als in das Gebiet der durch
den Tuberkelbazillus bedingten Erkrankungen gerechnet wer¬
den müssen. Ich habe übrigens bei der Untersuchung zahl¬
reicher, von sogen, miliaren Gummis durchsetzten Lebern
syphilitischer Föten und Neugeborenen genau die gleichen Be¬
funde erhoben und mich davon überzeugt, dass diese „Gummis“
nichts anderes darstellten als Komplexe nekrotischer Leber¬
zellenbalken. Deshalb bot der vom Darm hier geschilderte
Befund für mich nichts überraschendes.
In den mir zugängigen Lehrbüchern der pathologischen
Anatomie und Syphilidologie habe ich Angaben über, den hier
berichteten ähnliche, Veränderungen des Darms bei kongeni¬
taler Syphilis nicht gefunden, wohlgemerkt nur, soweit die
histologischen Verhältnisse in Frage kommen. In Betreff der
makroskopisch wahrnehmbaren Darmerkrankungen bei kon¬
genital syphilitischen Kindern herrscht vielmehr eine bemer¬
kenswerte Uebereinstimmung unter den Autoren, und gerade
der makroskopische Befund im Darm des diesen Erörterungen
zu Grunde liegenden Falles, die beetartigen Schwellungen, so¬
wie die ulzerösen Herde, ihre Lokalisation im Jejunum, die
chronisch-peritonitischen Veränderungen waren es, die mich
von vornherein die Diagnose auf angeborene Syphilis des
Darms stellen liessti.
Big- 3. Fig. 4.
Fig. 3. Darmschleimhaut nach Bertarelli-Volpino be¬
handelt; im Zentrum Querschnitt durch eine L i e b e r k ü h n sehe
Drüse mit Spirochäten; in der Peripherie Teile von Kryptenquer¬
schnitten mit Spirochäten, besonders deutlich rechts oben. Auch in
Kapillarwandungen Spirochäten.
Fig. 4. Isolierte, längsgetroffene Lieber kühn sehe Drüse,
Behandlung mit Bertarelli-Volpino. Gegenfärbung mit Me¬
thylenblau; Tannindifferenzierung; tadellose Kernfärbung. Spirochäte
im Lumen, zahlreiche Spirochäten in der Umgebung.
Bezüglich der mikroskopischen Veränderungen an den
makroskopisch für Syphilis congenita charakteristischen, inte¬
stinalen Krankheitsherden ist zu erwähnen, dass es sich dabei
nach den Angaben der Autoren meist um das Auftreten granu-
lationsgewebsartiger, bisweilen durch einen gewissen Reich¬
tum an spindelzelligen Elementen ausgezeichneter, bald mehr
zirkumskripter, seltener diffuser, von der Submukosa aus¬
gehenden Neubildungen handelt, an denen es früher oder später
zu der für syphilitische Gummata so charakteristischen regres¬
siven Metamorphose kommt. Nach M r a c e k, der sich wohl
am eingehendsten mit dem Studium der hier interessierenden
Prozesse beschäftigt hat, sollen sich diese mit Vorliebe um
die Arterien herum abspielen, an denen es durch Schwellung
ihres Endothels zur Verengerung und zum Verschluss des
Lumens kommt, wodurch der Eintritt der regressiven Meta¬
morphose in der Neubildung begünstigt wird. Die Affektion
kann sich unabhängig von dem lymphatischen Apparat im
Dünndarm entwickeln, was für die Mehrzahl der Fälle zu¬
treffen dürfte, während sie andere Male ihren Ausgang von den
Solitärfollikeln und Peyer sehen Plaques zu nehmen scheint.
Die besonders von M r a c e k betonte Beziehung der Darm-
Fig. 5.
Fig. 5. Schnitt zur Demonstration der enormen Mengen vielfach
untereinander verfilzten Spirochäten. In der rechten Hälfte des Ge¬
sichtsfeldes ein Drüsenquerschnitt mit zahlreichen Fragmenten von
Spirochäten.
Fig. 6. Derselbe Schnitt bei starker Vergrösserung.
gummis zu den Arterien wird auch von Baumgarten zu¬
gegeben, wenn auch nicht in der ausschlaggebenden Weise,
wie dies von Mracek geschieht. Während das Gros der
Autoren den Ausgangspunkt der syphilitischen Neubildungen
im Darm bei den kongenital syphilitischen Veränderungen des-
2*
Fig. 6.
1580
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
selben in die Submukosa verlegt, gibt J ii rge n s an, sie meist
in der Muskularis gefunden zu haben. Auch Verse berichtet
über 2 Fälle von Herderkrankungen im Darm bei Syphilis con¬
genita, die vorwiegend in der Muskularis, einzeln auch sub-
peritoneal gelegen haben. Den von mir beschriebenen, in ge¬
wisser Beziehung nahestehenden Befund hat Lochte mitge¬
teilt (Jahrbücher der Hamb. Staatskrankenhäuser, Band VI,
pag. 273 ff.). In dem 2., der von diesem Autor geschilderten
Fälle erwiesen sich die, übrigens gleichfalls in der Darm¬
muskulatur lokalisierten, Herde als nekrotische Stellen der
Darmwand und Lochte bezeichnet sie direkt als miliare,
syphilitische Nekrosen.
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass e i n
Teil d e s s e n, was bei makroskopischer Be¬
trachtung der Darm wandin solchen Fällen
als miliares Gummi imponiert, d. h. als eine in das Ge¬
biet der Granulationsgeschwülste zu rechnende Bildung auf¬
gefasst wird, sich in Wirklichkeit als umschrie¬
bene Gewebsnekrose entpuppt, deren Zugehörig¬
keit zur Syphilis durch den Befund dier civarakte-
ristischen Spirochäten in den Nekroseherden und
deren Umgebung bewiesen ist.
Nach der übereinstimmenden Angabe aller Untersucher ge¬
langen die im Darm kongenital-syphilitischer Kinder vorkom-
menden Herderkrankungen stets zusammen mit syphilitischen
Veränderungen in anderen Organen zur Beobachtung, eine
Tatsache, die ich bei dem hier publizierten Fall durch den
Nachweis der Osteochondritis syphilit. nur bestätigen konnte.
Dabei sei erwähnt, dass es erst der mikroskopischen Unter¬
suchung der Knochen (Rippen) bedurfte, um den für angeborene
Knochensyphilis massgebenden Befund zu erheben. Man ist
also nicht berechtigt, auf Grund eines bei makroskopischer
Knochenbetrachtung negativen, Ergebnisses die Osteochon¬
dritis syphilit. auszuschliessen, man hat vielmehr in allen
zweifelhaften Fällen die Entscheidung von dem Ausfall der
mikroskopischen Untersuchung abhängig zu machen. Wie in
den Krankheitsherden des Darms gelang es auch in den er¬
krankten Rippenteilen Spirochäten, hier freilich nur in verein¬
zelten Exemplaren und nach längerem Suchen, aufzufinden.
Aus dem chemischen Laboratorium des allgemeinen Kranken¬
hauses Hamburg-Eppendorf.
Zur Frage nach dem Vorkommen von Blutfarbstoff oder
Hämatm in menschlicher Galle.
Von 0. Schümm.
Durch zahlreiche Versuche ist festgestellt worden, dass
eine sichere Entscheidung über An- oder Abwesenheit von
Blut in den Fäzes durch makroskopische und mikroskopische
Untersuchung nur in einem Bruchteil der Fälle getroffen werden
kann.
Wir wissen heute, dass oft sogar ein ganz, erheblicher
Blutgehalt der Wahrnehmung entgehen würde, wenn man sich
mit der makroskopischen und mikroskopischen Untersuchung
begnügen, eine chemische oder chemisch-spektroskopische
Untersuchung dagegen unterlassen würde. Ueber die An- oder
Abwesenheit geringster Blutbeimengungen (1 Proz. und
darunter) kann man im allgemeinen sichere Auskunft nur
durch eine bei geeigneter Kost durchgeführte chemische
Untersuchung erhalten.
In dem Masse, wie die Bedeutung der zum Nachweis ge¬
ringer Blutbeimengungen dienenden chemischen Unter-
suchungismethode, entsprechend den bei ihrer Anwendung er¬
zielten praktisch wichtigen Ergebnissen, seitens der Kliniker
Anerkennung gefunden hat, ist man bemüht gewesen, die ur-
sprunghehe, keineswegs voll befriedigende (Weber sehe)
Methode zu vervollkommnen.
In der vom Verfasser ausgearbeiteten Modifikation der
sogen, verbesserten Web ersehen Probe1), ist die Unter¬
suchungsmethode nun derartig ausgebildet worden, dass sie
als eine der zuverlässigsten klinisch-chemischen Methoden an-
P
Gustav
O Schümm: Die Untersuchung der Fäzes auf Blut.
1 ischer. S. 26 u. f. Daselbst die frühere Literatur.
Jena,
gesehen werden kann. Neben der „verbesserten Weber-
schen Probe“ ist in letzter Zeit die auch vom Verfasser ein¬
gehend bearbeitete -) A d 1 e r sehe Benzidinprobe von Schle¬
singer und Holst"’) in etwas geänderter Form als sehr
empfindlich zum Nachweis von Blut in den Fäzes empfohlen
worden. Eine Nachprüfung* * * 4) ergab, dass die Benzidinprobe
in dieser Form bei Beachtung einiger vom Verfasser als er¬
forderlich bezeichneter Kautelen recht brauchbar ist, wenn¬
gleich sie nicht so absolut zuverlässig ist, wie die „verbesserte
Weber sehe Probe“. Dabei ist freilich Bedingung, dass ein
vorzüglich wirksames Benzidin verwandt wird.
Wie ich durch Versuche festgestellt habe, kann die „ver¬
besserte Weber sehe Probe“ schon bei einem Blutgehalt der
Fäzes von 0,1 Proz. ein positives Resultat geben. Nach der
Angabe von Schlesinger und Holst, die ich habe be¬
stätigen können, ist die Empfindlichkeit ihrer Ausführungsform
der Benzidinprobe in manchen Fällen noch 3 — 5 mal so gross
als die der „verbesserten Weber sehen Probe“, so dass bei
ersterer unter Umständen schon durch eine Beimengung von
kaum einem Tropfen Blut zu der Tagesmenge Fäzes (150 g)
ein positiver Ausfall bewirkt werden kann.
Bei dieser ausserordentlichen Empfindlichkeit der Benzidin¬
probe ist es aber um so notwendiger, etwaigen Fehlerquellen
des Verfahrens nachzuspüren.
Im besonderen habe ich kürzlich die Frage
aufgeworfen5), ob infolge der Anwesenheit
von Blutfarbstoff oder ihm nahestehender
Abbau Produkte in der Galle Spuren solcher
Stoffe, sei es nor m alerweise, sei esbei Krank¬
heiten, in die Fäzes übergehen und einen posi¬
tiven Ausfall der empfindlichsten chemi¬
schen Blutproben verursachen können.
Auf Grund einer an Blasengalle von Rindern und mensch¬
lichen Leichen ausgeführten Untersuchung °) konnte ich es als
wahrscheinlich bezeichnen, dass intra vitam die menschliche
Galle normalerweise, wenn überhaupt, dann höchstens ge¬
ringste Spuren von Blutfarbstoff enthält. Von Galle aus einer
menschlichen Gallenfistel stand mir damals nur eine kleine
Probe zur Verfügung, die nur für eine Reaktion ausreichte.
Es war daher erforderlich, die dabei festgestellte Abwesenheit
von Blutfarbstoff an weiterem einwandfreien Material nach¬
zuprüfen.
Durch die Freundlichkeit des Herrn Sekundärarzt Dr.
Kotzenberg*) (I. Chirurg. Abteil., Prof. Dr. Kümmell)
wurde es mir kürzlich ermöglicht, grosse Mengen frischer
menschlicher Fistelgalle zu untersuchen.
Bei der erheblichen praktischen Bedeutung, die die Ent¬
scheidung der Frage nach dem eventuellen Vorhandensein von
Blutfarbstoff in der Galle hat, scheint es notwendig, das Ver¬
suchsprotokoll ausführlich mitzuteilen. — Zuvor seien die
Hauptdaten aus der Krankengeschichte angeführt.
43 jährige Frau. Choleiithiasis, Cholezystektomie, Hepatikus-
drainage. Als junges Mädchen Gelbsucht. Später oft Anfälle von
Magenschmerzen, die dann wieder vorübergingen. Seit März wieder
stärker gelb. Leidlich ernährte Frau mit leicht gelber Hautfarbe. Herz,
Lunge ohne Befund. Unter dem rechten Rippenbogen deutlich fühl¬
barer derber, druckempfindlicher Tumor, der sich gegen den Leber¬
rand abgrenzen lässt und offenbar die Gallenblase darstellt. Anfälle
von Gallensteinschmerzen hier mehrfach beobachtet.
Operation in Skopolamin-Morphium-Chloroformnarkose. Bajo¬
nettschnitt nach Kehrer. Die Leber wird nach oben geklappt.
Gallenblase stark mit Steinen gefüllt; Zvstikus enorm erweitert. An
der Uebergangsstelle in den Choledochus sitzt ein kirschgrosser.
J) O. Schlimm: 1. c. S. 13, ferner Z. f. Physiol. Chemie, Bd.
46, S. 510 u. f., Bd. 50, S. 374 u. f.
J) E. Schlesinger und F. Holst: Vergleichende Unter¬
suchungen über den Nachweis von Minimalblutungen in den Fäzes
nebst einer neuen Modifikation der Benzidinprobe. Deutsche med.
Wochenschr. 1906, No. 36, ferner: Ueber den Wert der Benzidinprobe
für den Nachweis von Minimalblutungen aus den Verdauungs- und
Harnorganen. Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 10.
‘) O. Schümm: Ueber den Nachweis von Blut in den Fäzes.
Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 6.
5) 1. c. Z. f. Phys. Ch., Bd. 50.
,!) 1. c.
) Genanntem Herrn sei auch an dieser Stelle bestens gedankt
sowohl für die sorgfältige Ueberwachung der Gewinnung des Ma¬
terials wie auch für die Ueberlassung der Krankengeschichte.
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1581
weder vor- noch rückwärts verschiebbarer, zapfenförmig in den
Choledochus hineinragender Stein, der sich auch nach Eröffnung der
Gallenblase nicht herausziehen lässt. Die Gallenblase wird aus ihrem
Bette stumpf gelöst und der Zystikus unterbunden. Eröffnung -des
Choledochus und Entfernung des Steins. Einlegen eines Drainrohres
in den Hepatikus und Fixation mit einem Katgutfaden. Vernähen
des Gallenblasenbettes und Tamponade der Wunde mit Vioformgaze.
Am 13. Tage war das Gummirohr gelöst und aus der Wunde
entfernt worden, die seitdem nur noch mit Vioformgaze tamponiert
wird. Zur Zeit noch ziemlich reichliche Sekretion aus der Wunde.
Zur Untersuchung wurde die in der Zeit vom 10. — 15. V. 07
inkl. aufgefangene Galle verwandt.
Versuch I. Galle vom 10. V. 07.
Fast klar, nicht fadenziehend. Spektroskopisches Verhalten:
Starke Absorption im Blau und Violett bis etwa ßß 525, schwächere
Absorption im Rot, jedoch keine scharf begrenzteiuAbsorptionsstreifen,
Farbe der mit etwas Wasser verdünnten Galle goldgelb.
a) Bei direktem Zusatz von
1) Guajaktinktur und Terpentinöl: kein Farbenumschlag,
3) alkoholischer Benzidinlösung, Wasserstoffsuperoxyd und
Essigsäure (nach Adler): kein Farbenumschlag,
3) Benzidin-Eisessiglösung und Wasserstoffsuperoxyd (nach
Schlesinger und Holst): kein Farbenumschlag. _
b) 70 ccm Galle mit der 10 fachen Menge Alkoholäther (aa p.)
gefällt. Niederschlag abfiltriert, mit Eisessig extrahiert; filtriertes
Extrakt mit dem doppelten Volumen Aether gemischt. Mischung ein¬
mal mit dem halben, einmal mit einem Drittel Volumen Wasser ausge-
schiittelt. Von der klar abgetrennten sauren Aetherlösung wurde:
1) eine Probe mit alkoholischer Benzidinlösung und Wasserstoff¬
superoxyd versetzt: kein Farbenumschlag, nur geringe gründliche
Färbung.
2) eine Probe mit Guajaktinktur und Terpentinöl versetzt: kein
Farbenumschlag,
3) die Hauptmenge zunächst direkt spektroskopiert: kein Häma¬
tinspektrum; dann mit Salmiakgeist in geringem Ueberschuss durch¬
geschüttelt, die wässerige alkalische Lösung abgetrennt, mit Schwefel¬
ammonium versetzt und spektroskopiert: kein Hämochromogen¬
spektrum.
Versuch II. Galle vom 11. V.
Etwas fadenziehend, fast klar. Farbe und spektroskopisches
Verhalten wie bei Versuch I. Spez. Gewicht 1009.
Weitere Untersuchung wie in der bei Versuch I angegebenen
Weise : Sämtliche Blutproben negativ.
Versuch III. Galle vom 12. V.
Fadenziehend, fast klar, Farbe und spektroskopisches Verhalten
wie bei Versuch I. Spez. Gewicht 1010.
Weitere Untersuchung wie bisher : Sämtliche Blutproben
negativ.
Versuch IV. Galle vom 13. V.
Fadenziehend, fast klar, Farbe und spektroskopisches Verhalten
wie bisher. Spez. Gewicht 1008,5. Weitere Untersuchung wie bisher,
jedoch werden zu der unter „Versuch I. b“ beschriebenen Probe
200 g Galle verarbeitet : Sämtliche Blutproben negativ,
nur bei der unter „I. b 1“ beschriebenen äusserst empfindlichen
Probe nach Zusatz von Benzidin und Wasserstoffsuperoxyd eine
schwache Grünfärbung der unteren Flüssigkeitsschicht.
Um dem Einwande zu begegnen, dass die von mir zum
Nachweis von Blutfarbstoff in der Galle angewandten Ver¬
fahren wegen der starken Eigenfarbe der Galle zur Auffindung
kleiner Mengen Blutfarbstoff nicht geeignet seien, wurden
folgende Versuche ausgeführt.
Versuch V. 50g Galle vom 15. V. mit 0,5g frischen de-
fibrinierten^ menschlichen Aderlassblutes gemischt, mit 500 ccm Aether-
alkohol (aa p.) gefällt und weiter in der unter „Versuch I. b 3“ an¬
gegebenen Weise spektroskopisch-chemisch untersucht: Deutliches
Hämochromogenspektrum.
Versuch VI. Wiederholung von Versuch V: Deutliches
Hämochromogenspektrum.
Versuch VII. 50 g derselben Galle mit 0,1 g frischen, de-
fibrinierten menschlichen Blutes gemischt, mit 500 g Aetheralkohol
(ää p.) gefällt und weiter in der unter „I. b. 2“ angegebenen Weise
untersucht (Guajakterpentinölreaktion): stark blaugrün, also deutlich
positive Probe.
Versuch VIII. Wiederholung von Versuch VII: Deutlich posi¬
tive Blutprobe.
Ergebnis:
I. Durch das unter „I. b2“ angegebene Verfahren lässt sich
mittels der Guajakterpentinölreaktion in menschlicher Galle
trotz deren enormen Eigenfarbe mindestens noch ein Blut¬
gehalt von nur 0,2 Proz. erkennen, wenn man 50 g der Galle
verarbeitet. Die spektroskopische Probe in der unter ,,I. b 3“
angegebenen Ausführungsform gibt bei Verarbeitung von 50 g
Galle mit einem Blutgehalt von 1 Proz. noch eine sehr deut¬
liche Hämochroinogenreaktion.
II. In der (Leber-) Galle des lebenden Menschen sind
Oxyhämoglobin, Hämoglobin, Methämoglobin und Hämatin in
nachweisbarer Menge nicht enthalten. (Dem spektroskopischen
Verhalten nach kann Hämatoporphyrin höchstens in Spuren
vorhanden sein).
III. Auch durch eine reichliche Beimengung normaler Galle
zu (blutfarbstofffreien) Fäzes kann eine positive „Blutprobe“
weder bei Anwendung der „verbesserten Weber sehen
Probe“, noch bei der von Schlesinger und Holst an¬
gegebenen Ausführungsform der Adler sehen Benzidinprobe
vorgetäuscht werden.
Ob und bei welchen Erkrankungen die Galle selbst blut¬
farbstoffhaltig sein und dadurch einen positiven Ausfall der an
den Fäzes angestellten Blutproben verursachen kann, bleibt
unentschieden. Meine praktischen Erfahrungen mit der „ver¬
besserten W e b e r sehen Probe“ haben mir zwar keinen Hin¬
weis auf derartige Vorkommnisse ergeben. Immerhin wird
man die Möglichkeit nicht ganz ausser acht lassen dürfen.
Aus der kgl. Universitäts-Augenklinik zu Kiel (Geheimrat
V ö 1 c k e r s).
Schwere, unter dem Bilde der Diphtherie verlaufende
Streptokokkenkonjunktivitis nach Masern.
Von Dr. G e r h. Schumacher.
Die durch Streptokokken bedingten schweren Formen der
Konjunktivitis beanspruchen ein besonderes Interesse wegen
ihrer Neigung, das befallene Auge dauernd schwer zu schä¬
digen oder gänzlich zu zerstören und das Leben zu bedrohen.
Zumeist findet sich eine deutliche Membranbildung auf der
Conjunctiva palpebrae, sodass früher die Erkrankung unter
die Diphtherie resp. den Krupp der Konjunktiva eingereiht
wurde. Diese beiden klinisch wohl charakterisierten, häufig
aber ineinander übergehenden Krankheitsformen (die Conjunc¬
tivitis diphtherica und die Conjunctivitis crouposa) können
durch dieselben Erreger, von denen die Löffle r sehen Ba¬
zillen und die Streptokokken im Vordergrund stehen, hervor¬
gerufen werden, sind daher ätiologisch nicht zu trennen; daher
kommt es, dass beide Formen in den letzten Jahren unter dem
Namen „Conjunctivitis pseudomembranosa“ zusammengefasst
werden. So nennt auch A x e n f e 1 d im Handbuch der patho¬
genen Mikroorganismen „Die Pseudomembranbildung ein Sym¬
ptom verschiedenartiger Infektionen“.
M o r a x, der in der Encyclopedie frangaise d’ophthalmo-
logie die Konjunktivitiden bakteriologisch mit Geschick
trennt, unterscheidet leichte und schwere Formen der
Diphtheriebazillenkonjunktivitis und bei der Strepto¬
kokkenkonjunktivitis die Conjunctivite lacrymale (Pari¬
naud) von der Conjunctivite grave ä streptocoques,
welch letztere zumeist unter dem Bilde der Diphtherie
verlaufe. Andere Lehrbücher wollen unter Conjunctivitis diph¬
therica nur die durch Löfflers Bazillen hervorgerufenen
schweren Formen verstanden wissen, wobei sie betonen, dass
andere Keime, besonders Streptokokken, dasselbe Bild hervor-
rufen können. S a e m i s c h hält auch in der letzten Auflage
des Handbuches der Augenheilkunde an der alten Benennung
nach der klinischen Erscheinung fest, indem er als Conj. diph¬
therica alle schweren Formen mit festhaftenden Membranen
bezeichnet, als Conj. crouposa leichtere Formen mit locker
aufliegenden Membranen. Sowohl diese wie jene Form kann
durch Löfflers Bazillen, aber auch durch andere Erreger
hervorgerufen werden.
Mischinfektionen sind häufig und diejenigen, welche durch
Löfflers Bazillen und Streptokokken hervorgerufen werden,
am gefiirchtesten ; hierbei sollen die Diphtheriebazillen die
Kornea durch ihre Toxine schädigen und so den Streptokokken
den Boden für ihre deletäre Wirkung vorbereiten. Doch ist
solche durch andere Bakterien bedingte Vorbereitung nicht
notwendig, die Streptokokken vermögen auch allein diese
schweren Nekrosen der Bindehaut sowohl w ie der Hornhaut
hervorzurufen.
Man ist wohl darüber einig, so weit das Auge
in Betracht kommt, dass Streptokokken keine primäre Ent¬
zündung hervorrufen, sondern erst dann im Bindehautsack ge-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
deihen, wenn die Widerstandsfähigkeit des Gesamtorganismus
durch Krankheiten herabgesetzt ist. Auch für die Rachen¬
diphtherie ist dies bekannt (ganz besonders nach Scharlach).
Nur in wenigen beschriebenen Fällen von solchen Bindehaut¬
entzündungen (Schlesinger1) ging anscheinend keine prä¬
disponierende Krankheit voraus; sonst finden sich, soweit
anamnestische Angaben gemacht werden, solche erwähnt, da¬
runter auch Scharlach (Uhthoff2), häufiger Masern (En¬
gels :‘), Pichler4), Z i a 5). Besonders betont Axen-
f c 1 d (i) unter Anführung mehrerer Fälle (allerdings von Misch-
infektionen mit Diphtheriebazillen), dass der Anwesenheit von
Streptokokken bei einer von ihm beobachteten Epidemie die
hohe Todesziffer und das häufige Vorkommen schwererer
Augenentzündungen und septischer Erscheinungen zuzuschrei¬
ben sei.
Dass im Gefolge von Masern „Diphtherie“ der Konjunktiva
auftreten kann, findet sich in fast allen Lehrbüchern erwähnt,
dass aber die Streptokokken gerade solche schwerere Prozesse
hervorrufen, finde ich auch in neueren Handbüchern nicht in
dem Masse betont, das dieser gefährlichen Komplikation zu¬
kommt. Groenouw (im Handbuch der Augenheilkunde)
nennt wohl die Pneumokokken, nicht aber die Streptokokken
als Erreger; im Handbuch der Kinderheilkunde wird im Kapitel
über Masern nur für die Halsdiphtherie der „Kokken“ als Er¬
reger gedacht, im Kapitel über Diphtherie für die „Diphtherie
der Konjunktiven“ der Streptokokken nicht Erwähnung getan.
Daher erscheint es berechtigt, unter Anführung des folgen¬
den Falles darauf hinzuweisen, dass im Verlaufe der Masern
solch schwere Konjunktivitiden, die man nach den klinischen
Erscheinungen als Diphtherie bezeichnen muss, allein durch den
Streptococcus pyogenes hervorgebracht werden können.
Wilhelm R., 2 jähriges Arbeiterkind, kommt am 1. Oktober 1906
in klinische Behandlung.
14 Tage vorher hatte das Kind Masern gehabt, woran eine ältere
Schwester vordem gelitten hatte. Gleichzeitig mit dem Masern¬
exanthem war ein Ausschlag mit Bläschenbildung an Brust, Kinn und
linker Gesichtshälfte aufgetreten, der vor 10 Tagen das linke Oberlid
ergriff. Seit 6 Tagen besteht Schwellung und Verfärbung der Lider
mit Lichtscheu und Tränenträufeln; Fieber stellte sich angeblich erst
in den letzten Tagen ein.
Der allgemeine Ernährungszustand ist gut; Masernexanthem
oder Schuppung der Haut findet sich nicht. Auf der rechten Brust¬
seite sitzt ein markstückgrosses, flaches Geschwür mit leicht wal¬
artig erhabenem stellenweise etwas unterminiertem Rande, das von
einer festhaftenden graugelblichen Borke bedeckt ist, nach deren Ent¬
fernung die blassroten, wenig gewucherten Papillen zum Vorschein
kommen, ohne dass tiefere Substanzverluste sich zeigen. Hinter der
linken Ohrmuschel ist eine ähnlich aussehende, jedoch tiefergreifende
Zerstörung der Haut mit stärkerer Unterminierung der Ränder; im
Nacken, zum Teil noch in behaarten Teilen sind kleinere flache Ge¬
schwüre und am Kinn und -der linken Backe einzelne Gruppen ober¬
flächlicher Bläschen, die zum Teil konfluiert und geplatzt sind, und
sich mit gelblicher Borke bedeckt haben: demnach das typische Bild
der Impetigo contagiosa.
Der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker; die Temperatur be¬
trägt 39 °.
Aus der Nase fliesst reichlich Sekret; der Mund und die Rachen¬
schleimhaut ist frei; an den inneren Organen nichts Krankhaftes nach¬
weisbar.
Das linke Oberlid ist stark geschwollen, blaurot verfärbt und
hängt starr über das ebenfalls geschwollene Unterlid herab. Im Lid¬
spaltenbereich liegt wenig schmutziges Sekret. Die Conjunktiva
tarsi sowohl des Unter- wie des Oberlides ist völlig bedeckt von
einer dicken schmutziggrauen Membran, die so fest haftet, dass beim
Versuch, sie zu entfernen nur wenige Millimeter grosse Stückchen sich
losreissen lassen und auch diese nur unter Blutung aus der Konjunktiva;
die Membran setzt sich noch etwas auf die Uebergangsfalten fort,
die im übrigen ein trockenes, xeroseähnliches Aussehen zeigen. Die
ganze Conjunctiva bulb'i zeigt dasselbe grau trockene Aussehen (ist
etwas verdickt, aber nicht chemotisch), nur ganz vereinzelte bräun¬
liche Striche zeigen die Stellen an, an denen man sonst die Gefässe
sieht. Die Kornea ist gleichmässig dicht grau getrübt, die Ober¬
fläche glanzlos, trocken. Das rechte Auge ist völlig frei.
0 Schlesinger: Münch, med. Wochenschr., 1901, pag. 101.
-) Uhthoff: Verhandl. d. Ges. d. Naturf. u. Aerzte, 68. Vers.
Frankfurt a. M., II. Teil, II. Hälfte, pag. 325.
3) Engels: Hygienische Rundschau, 1903, No. 11.
U Pichler: Beitr. z. Augenheilkunde von Deutschmann.
5) Zia: Inaug.-Diss. Marburg 1903.
6) Axenfeld: Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde, Bd. XLII,
pag. 576. Derselbe: Die Bakteriologie in der Augenheilkunde,
.Icna 1907 (cf. hier die Literaturangaben).
Therapie: Heisse Kamillenumschläge, daneben Sublimat¬
umschläge (stubenwarm), Atimpin. Die Impetigoeruptionen werden
dick mit Zinc. und Amylum aa bestreut.
. Schutzverband des rechten Auges.
Schon am folgenden Tage ist die Hornhaut am nasalen Rande
in der Tiefe gelblich infiltriert und es kommt nach weiteren 2 Tagen
zu ringförmiger Abszedierung. In derselben Zeit stösst sich die
Membran der Konjunktiva tarsi ab, eine granulierende Fläche zurück¬
lassend, die nur noch von einzelnen fester sitzenden Membranfetzen
bedeckt bleibt, welche sich in den nächsten Tagen ebenfalls ablösen.
Die Lider werden welcher und schwellen etwas ab. Zugleich aber
stösst sich die ganze Kornea ab und es bedeckt sich der Irisprolaps
mit dichtem fibrinösen Belag.
Am 6. X. tritt unter Temperatursteigerung und Anschwellung
der rechten Halsdrüsen eine Otitis media hinzu, die eine zweimalige
Parazentese (7. X. und 13. X.) nötig macht.
Die Impetigo heilt bis auf die Stelle hinter dem linken Ohre in
wenigen Tagen vollständig; noch lange besteht eine zunächst eitrige,
später mehr schleimig eitrige Sekretion der Bindehaut, während sich
der Ohrausfluss schnell verringert und auch der Rest der Impetigo
abheilt und sich die Sekretion der Nase verliert. Das Allgemein¬
befinden hebt sich entsprechend schnell, so dass das Kind am 30. X.
aus der Klinik entlassen werden kann. Am 10. XI. ist die schleimig¬
eitrige Sekretion der Konjunktiva nur noch gering; an Stelle der
Kornea finden sich rosarote, mit schmutzigem Sekret bedeckte Granu¬
lationen; am 8. XII. sind diese fast verschwunden, die Sklera hat sich
wie bei einem evakuierten Bulbus zusammengezogen, das Auge ist
geschrumpft, die Conjunctiva bulbi und die Uebergangsfalten sind
wulstig gerötet, die Conjunctiva palpebralis, besonders im tarsalen
Teil, ist mit dicken Granulationen bedeckt.
Während des Aufenthaltes in der Klinik bekam auch die Mutter
einen impetiginösen, sehr hartnäckigen Ausschlag im Gesicht.
Die bakteriologische Untersuchung hatte folgendes Resultat: Im
Ausstrich fanden sich massenhaft Gram-positive, kleine, runde Kokken,
die fast stets zu zweit liegen, häufig in den reichlich vorhandenen
Eiterzellen, welche teilweise mit den Kokken vollgestopft sind; selten
finden sich zwei oder mehr solcher Doppelkokken zu einer kurzen
Kette verbunden. Andere Bakterien, besonders diphtherieverdäch¬
tige Stäbchen wurden nicht gefunden. Aussaat auf Löfflerserum
20 Stunden: Einige Kolonien gelber Staphylokokken; zahllose kleine,
punktförmige bis 1 mm im Durchmesser grosse Kolonien, die fast
wasserklar sind. Mikroskopisch: Streptokokken, meist zu zweien,
oder in Ketten bis zu 6 Doppelgliedern, Gram-positiv. Keine Diph¬
theriebazillen.
Kontrollaussaat am 2. X. ergibt dasselbe Resultat, doch werden
noch 3 Kolonien von kurzen, plumpen, Gram-positiven Stäbchen, die
sicher zur Pseudodiphtheriegruppe gehören, gefunden. Leider war
es verabsäumt worden sofort Ausstrich und Kultur von der Impetigo
zu untersuchen, bevor dieser mit Zinkpuder verbunden wurde. Am
2. X. ergaben Ausstriche und Kultur von verschiedenen Stellen meist
nur gelbe Staphylokokken, in einigen wurden auch sehr vereinzelt
kurze Gram-positive Stäbchen gefunden, die durchaus als Pseudo¬
diphtherie anzusprechen waren. Die Inmetigo contagiosa wird ja
zumeist von Streptokokken oder Staphylokokken bervorgerufen. Ob
es sich hier um eine durch das Zink verursachte Abtötung der
Streptokokken handelt oder ob die in den Kulturen nachgewiesenen
Staphylokokken die Erreger des Ausschlages waren, muss dahin¬
gestellt bleiben.
Am 8. X. wurden wiederum aus dem Auge fast nur Strepto¬
kokken, jedoch nicht mehr in der enormen Menge wie vorher und
daneben vereinzelte Staphylokokken nachgewiesen ; aus dem jetzt noch
nicht geheilten impetiginösen Geschwüre hinter dem linken Ohr
wieder gelbe Staphylokokken und einige Pseudodiphtheriekolonien.
Nun wurden auch im rechten Mittelohrausfluss grosse Mengen von
Streptokokken gefunden neben vereinzelten gelben Staphylokokken
und noch selteneren Pseudodiphtheriekolonien. Kontrollaussaat er¬
gab dasselbe Resultat.
Die Prüfung der Streptokokken auf Blutagar, Gelatine und ge¬
wöhnlichem Agar ergab, dass es sich um den Streptococcus erysipe-
latos (nach Schottmüller) handelte (er wuchs bei Zimmer¬
temperatur und bewirkte auf Blutagar deutliche Hämolyse).7)
Bei der Entlassung ergab die bakteriologische Untersuchung
Abwesenheit von Streptokokken in Auge und rechtem Ohr. Auch
bei einer Nachuntersuchung am 8. XII. fehlten die Streptokokken.
Aus den Impetigobläschen der Mutter wurden nur gelbe Staphylo¬
kokken gezüchtet. Die Membran wurde in Alkohol fixiert und in
Paraffin eingebettet. Die Schnitte zeigten in dem dichten von Leuko¬
zyten und stellenweise von abgestorbenen Epithelzellen durchsetzten
Fibrinnetz grosse Mengen von Streptokokken, die häufig in schön
gewundenen Ketten bis zu 8 und mehr Doppelgliedern liegen. Stäb¬
chen wurden nicht gefunden.
Es handelt sicli demnach um einen Fall, der durchaus kli¬
nisch das typische Bild der Diphtherie der Konjunktiven bot,
ohne dass Löfflers Bazillen als Ursache nachgewiesen
werden konnten. Er schliesst sich ätiologisch völlig an die
') Die Nährböden wurden mir in liebenswürdiger Weise vom
hygienischen Institut der Universität zur Verfügung gestellt.
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1580
schon erwähnten Fälle an, bei denen Streptokokken allein die
Erreger der schweren Erkrankung waren. Der Fall ist aus¬
gezeichnet durch die Komplikationen, einmal von seiten des
Mittelohres, die entweder als vom Munde aus fortgeleitet oder
als metastatische erklärt werden müssen, ferner durch die Ver¬
änderungen der Haut, die Impetigo contagiosa; wenn auch bak¬
teriologisch der Nachweis einer ätiologisch gleichartigen Er¬
krankung nicht erbracht worden ist, so lässt doch wohl die
Anamnese den Rückschluss auf einen Zusammenhang berech¬
tigt erscheinen. Ein Zusammenhang zwischen Impetigo und
Konjunktivitis ist nach Axenfeld nicht so selten. Auffallend
war das trockene gangränöse Aussehen der Conjunctiva bnlbi,
die gewöhnlich bei ähnlichen Fällen chemotisch befunden
wurde.
Die Zerstörung der Kornea findet aus diesem Befunde ihre
Erklärung: infolge des Abschlusses der Hornhautrandgefässe
wurde den Streptokokken in ähnlicher Weise Gelegenheit zum
Eindringen gegeben, wie es bei den Mischinfektionen mit
Löfflers Bazillen der Fall ist, wo die Toxine das Epithel
und das Stroma der Hornhaut vorher schädigen sollen. Bei
den in der Literatur beschriebenen Fällen trat gewöhnlich am
3. oder 4. Krankheitstage eine Trübung der Kornea ein; im
vorliegenden Falle fand sich am 6. Tage die Kornea diffus ge¬
trübt.
Wie schon betont, gingen als prädisponierende Krankheit
Masern voraus. Nach Untersuchungen, die S c h o t Le 1 i u s s)
bei einer Masernepidemie machte, kommt den Streptokokken
bei den im Gefolge dieser Krankheit auftretenden Konjunktivi-
tiden eine erhöhte Bedeutung zu. Schottelius fand bei
Konjunktivitiden von 40 Masernkranken in 14 Proz., von
40 Masernleichen in 40 Proz. Streptokokken und A x e n f e 1 d
beobachtete bei derselben Epidemie die schon oben erwähnten
Fälle. Aus anderen Masernepidemien stammen die ebenfalls
erwähnten Fälle von Engels, Z i a und Pichler und der
hier mitgeteilte Fall.
Die Therapie wird sich zumeist auf eine lokale beschränken
müssen. Die Serumtherapie bietet einige Aussicht, von A u -
b ine au u. a. sind mit Marmorekschem Serum, von
Axenfeld mit Merck schein Serum mehr weniger gün¬
stige Erfolge erzielt worden. In allen, besonders den schweren
Fällen, bei denen nicht mit genügender Sicherheit Anwesen¬
heit von Diphtheriebazillen festgestellt ist, muss man die An¬
wendung des Behring sehen Serums verlangen, eine An¬
sicht, die auch von Axenfeld vertreten wird.
Herr Geheimrat V ö 1 c k e r s spreche ich für die Ueber-
lassung des Materials meinen besten Dank aus.
Aus der Klinik für Hautkranke im städtischen Krankenhause zu
Frankfurt a. M. (Direktor: Dr. K. Herxheim er).
Ueber Vaccina generalisata.
Von Dr. med. Felix Danziger, Assistenzarzt.
Seit Jahrzehnten ist es eine bekannte Tatsache, dass im
Gefolge der Schutzpockenimpfung mannigfache Hauteruptionen
auftreten können. Die erste zusammenfassende Darstellung
dieser „vakzinalen Hauteruptionen“ veröffentlichte 1881 B e h-
r e n d. Er beschrieb neben einer Roseola und Urticaria vac-
cinica erythematöse Exsudationsprozesse, sowie vesikulöse
Eruptionen vom Charakter des Herpes oder des gruppierten
Ekzems. Er beschrieb ferner eine von den Franzosen als Vac¬
cine generalisee bezeichnete Art von pustulösem Ausschlag, bei
dem der ganze Körper oder ein grosser Teil desselben von
Effloreszenzen bedeckt ist, deren Bau dem der Vakzinepusteln
entspricht und deren Inhalt verimpfbar ist. Diese Vaccina ge¬
neralisata, die wohl unstreitig als eine der unangenehmsten Kom¬
plikationen der Schutzpockenimpfung gelten kann, ist im Ver¬
gleich zu der ungeheuren Anzahl der jährlich vorgenommenen
Vakzinationen relativ sehr selten beobachtet worden. Während
Chauveau bei 500 000—600 000 Impfungen nur 6—8 Fälle
von generalisierter Vakzine feststellte, hatte H a s 1 u n d schon
unter 310 000 Geimpften 6 Fälle, Bondesen schon unter
39 915 Geimpften 4 Fälle. Der Vollständigkeit halber regi-
8) Schottelius: Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde, Bd. XLII,
pag. 565.
strieren wir noch die Angabe Voigts, der bei nahezu 100 000
Impfungen 17 mal Vaccina generalisata konstatierte. Wenn es
auch unmöglich ist, sich aus diesen differenten Angaben ein
genaues Bild von der Häufigkeit dieser Erkrankung zu machen,
so geht doch jedenfalls aus ihnen hervor, dass es sich um eine
sehr seltene Erkrankung handelt.
Umsomehr wird es vielleicht von Interesse sein, wenn wir
im folgenden über 6 Fälle von Vaccina generalisata berichten,
die wir gleichzeitig auf der Hautklinik des städtischen Kranken¬
hauses zu beobachten Gelegenheit hatten.
Fall I: Kind Hans W., 6 Monate alt, wird am 28. Dezember 1906
mit der Diagnose „Vaccina generalisata“ auf die Hautklinik des
städtischen Krankenhauses aufgenommen. Es wird folgende Anam¬
nese erhoben: Am 11. Dezember wurde die 1% Jahre alte Schwester
des Knaben geimpft. Am 26. Dezember erkrankte Hans W. unter
hohem Fieber an einem Gesichtsausschlag und gleichzeitiger starker
Schwellung des Gesichts.
Status: Das sehr wohlgenährte, kräftig gebaute Kind hat auf
der Stirn, auf der Nase, auf beiden Wangen und am Kinn einen
pustulösen Ausschlag. Während auf der unteren Gesichtshälfte, be¬
sonders am Kinn, der pustulöse Charakter des Ausschlags sehr aus¬
gesprochen ist, sind auf der Stirn und den oberen Partien beider
Wangen die Effloreszenzen bereits konfluiert und bilden durch Ein¬
trocknung des Sekrets eine zusammenhängende gelbe Kruste. Die
einzelstehenden Effloreszenzen sind kreisrund, meist von Erbsen¬
grösse und alle dadurch charakterisiert, dass sie eine zentrale Delle
aufweisen. Viele Pusteln haben einen deutlichen, roten Hof. Die
Farbe der Effloreszenzen ist teils weisslich, teils gelblich. Auf der
dorsalen Fläche der rechten Hand findet sich, an der Wurzel des
Daumens, eine Pustel von gleicher Beschaffenheit. Es besteht starkes
Oedem des Gesichts. Die Schwellung der linken Gesichtshälfte ist
so hochgradig, dass das Auge nicht geöffnet werden kann. Ausser¬
dem ist eine ausserordentliche Anschwellung der Lymphdrüsen an
beiden Kieferwinkeln vorhanden. Das Kind hustet etwas und leidet
offenbar an ausserordentlich heftigem Juckreiz.
30. XII. Es besteht seit heute hohes Fieber. (Abendtemperatur
40,0° C.) Die Gesichtsschwellung hat zugenommen. Am Hinterkopf
sind 12 neue Pusteln aufgetreten, von gleicher Beschaffenheit wie die
oben beschriebenen. Alle Pusteln zeigen Neigung zu schneller Kru¬
stenbildung. Das Kind ist sehr apathisch.
2. I. Auf dem linken Fussriicken sind mehrere neue Pusteln
aufgetreten. Der Husten hat zugenommen, jedoch ist das Allgemein¬
befinden offenbar besser.
6. I. Die Gesichtsschwellung nimmt ab. Das Fieber ist lytisch
abgefallen.
9. I. Das Oedem des Gesichts ist fast vollkommen geschwunden.
Die Krusten beginnen sich abzulösen. Die Drüsenanschwellungen an
beiden Kieferwinkeln bestehen noch. Ebenso ist noch ein starker
Juckreiz vorhanden. Seit heute wieder leichte Temperatursteigerung.
13. I. Es finden sich nur noch auf der linken Wange einige
wenige Krusten. Die bereits abgeheilten Pusteln haben nur sehr
flache Narben zurückgelassen. Es ist immer noch Husten vorhanden.
20. I. Die Pusteln sind sämtlich abgeheilt, jedoch ist die Schwel¬
lung der Halsdriisen, besonders rechts, noch nicht zurückgegangen.
Es bestehen immer noch abendliche Temperatursteigerungen über
38 0 C. Die Ekzembehandlung geht mit Zinkpaste weiter.
4. II. Die Drüsenschwellung am rechten Kieferwinkel zeigt
heute deutliche Fluktuation. Das Kind fiebert 'immer noch. Ver¬
legung zwecks Operation zur chirurgischen Klinik.
Nach Spaltung des Drüsenabszesses machte die Heilung schnelle
Fortschritte und das Kind wurde bald darauf entlassen.
Von Interesse ist vielleicht noch die Tatsache, dass am 30. De¬
zember. also 4 Tage nach der Erkrankung des Kindes, die Mutter des
Hans W. an ihrem linken, kleinen Finger eine Eiterpustel bemerkte,
die sich bei näherer Betrachtung als eine typische Impfpustel er¬
wies. An demselben Tage erkrankte die Grossmutter des Kindes,
indem an ihrer rechten Wange unter starker Schwellung des Ge¬
sichts mehrere Pusteln auftraten.
Fall II: Kind Eduard Sehr., 3 Jahre alt, war am 28. XII, also
am gleichen Tage wie Fall I, wegen chronischen Ekzems des Kopfes,
des Nackens, beider Ohren und der rechten Wange, in unsere Klinik
aufgenommen worden. Das sehr schwächliche Kind war bisher noch
nicht geimpft.
6. I. Das Kind klagt heute über Schmerzen im Hals und in
beiden Kniegelenken. Es wird eine geringe Rötung der rechten Ton¬
sille festgestellt. Fieber besteht nicht.
7. I. Es fällt heute auf, dass das Ekzem, das bisher unter Zink¬
paste gut abheilte, wieder stark nässt.
8. I. Seit heute besteht eine starke Schwellung am rechten
Kieferwinkel, die unter hohem Fieber aufgetreten ist. Die Schwellung
umgreift das Ohr von unten und ist so hochgradig, dass das Ohr¬
läppchen durch dieselbe in die Höhe gehoben ist. Es besteht ferner
Oedem der rechten Gesichtshälfte und des Mundbodens. Die An¬
schwellung hat eine teigige Konsistenz. Auf dieser Anschwellung
finden sich zahlreiche, kreisrunde Pusteln mit rotem Hof und zen¬
traler Delle. Zum Teil sind diese Pusteln bereits konfluiert. Einige
sind, offenbar beim Abnehmen des Verbandes, geplatzt, und ihre
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Decke ist durch das Ausfliessen des Inhalts eingesunken. Es besteht
starker Juckreiz.
10. I. Das Kind hat anfallsweise Husten. Das Oedem der rechten
Gesichtshälfte hat zugenommen. Patient ist sehr apathisch.
11. I. Es sind jetzt auch hinter dem linken Ohr, sowie an der
linken Ohrmuschel selbst, einige Pusteln entstanden. (Das Kind
hatte dort auch Ekzem.) Die Pusteln am rechten Ohr sind bereits
mit Krusten bedeckt.
13. I. Die Temperatur ist abgefallen. Das Allgemeinbefinden
ist gut, nur besteht noch ein geringer Husten. Auch die Pusteln am
linken Ohr beginnen einzutrocknen. Dagegen zeigt die Drüsen¬
schwellung am rechten Kieferwinkel noch keine Tendenz zur
Rückbildung.
18. I. Die Lymphdrüsenschwellung an der rechten Halsseite hat
in den letzten Tagen zugenommen. Heute trat spontan eine Per¬
foration ein. Aus der Perforationsöffnung entleert sich eitriger Inhalt.
24. I. Mittels der Bier sehen Saugglocke wurde der Eiter in
wenigen Sitzungen aus dem Lymphdrüsenabszesse entleert, worauf
ein rasches Zurückgehen der Driisenschwellung eintrat. Die Pusteln
auf der rechten Wange hatten sich in der Weise verändert, dass nach
Verlust der Blasendecke der Grund Vegetationen zeigte. Auch diese
Vegetationen vergehen sehr rasch und überhäuten ohne Narbenbildung.
Das Ekzem war in diesem Falle durch die überstandene Vakzine
entschieden sehr ungünstig beeinflusst worden, sodass, als am
9. III. 1907 das Kind wegen des Verdachts der Lungentuberkulose auf
die medizinische Abteilung verlegt werden musste, noch keine völlige
Heilung desselben erreicht war.
Da für uns kein Zweifel bestehen konnte, dass es sich in dem
Fall II ebenfalls um Vaccina generalisata handelte, dass also eine An¬
steckung durch Fall I stattgefunden hatte, wurden die beiden Kinder
sofort streng isoliert. Aber trotzdem die beiden Kleinen in einem
anderen Gebäude des Krankenhauses untergebracht wurden, trotz¬
dem Arzt und Pflegepersonal wechselten, vermochten wir einem
Umsichgreifen der Erkrankung nicht mehr Einhalt zu tun.
Bereits am 10. I. erkrankte:
Fall III: Emil W., 1% Jahre alt, noch nicht geimpft, der be¬
reits seit dem 20. X. wegen eines chronischen Ekzems des Gesichts
und des behaarten Kopfes und eines disseminierten Ekzems an Rumpf,
Armen und Beinen (Eczem en plaques) bei uns in Behandlung war.
An diesem Tage werden bei dem Kinde an verschiedenen Körper¬
stellen kreisrunde Pusteln mit ventraler Delle und rotem Hof festge¬
stellt. Solche Pusteln finden sich am rechten Handgelenke, auf der
Stirn oberhalb des linken Auges 'und ziemlich zahlreich auf dem
Rücken. Die Pusteln sitzen zum Teil auf Stellen, wo nie Ekzem ge¬
wesen war. Die Erkrankung geht offenbar mit heftigem Jucken ein¬
her. Ferner besteht hohes Fieber. Seit 2 Tagen war aufgefallen,
dass das Kind ziemlich stark hustete.
11. I. Es sind zahlreiche neue Pusteln im Gesicht, auf dem
Kopfe, an den Extremitäten und am Skrotum aufgetreten. Es be¬
steht starkes Oedem des Gesichts. Die Drüsen am Hals und am
Hinterkopf sind sehr geschwollen.
13. I. Abfall der Temperatur. Allgemeinbefinden besser.
20. I. Die Pusteln sind sämtlich zu Borken eingetrocknet, und
letztere zum grössten Teil schon abgefallen. Das Ekzem, das schon
fast ganz abgeheilt war, hat sich überall sehr verschlimmert und ist
an mehreren Körperstellen wieder nässend geworden.
29. I. Die Vakzinepusteln sind jetzt überall mit Hinterlassung
flacher, immerhin deutlich sichtbarer Narbe abgeheilt. Die Ekzem¬
behandlung geht weiter.
Erst am 28. II. konnte das Ekzem für geheilt erklärt und das
Kind entlassen werden.
Ebenfalls am 10. Januar erkrankte:
Fall IV : Sophie K-, 1% Jahr alt, noch nicht geimpft. Das
Kind war von der medizinischen Station am 18. XII. wegen einiger
Impetigines an beiden Unterschenkeln und Jodoformekzems an beiden
Ohren, das bei Behandlung einer doppelseitigen Otitis externa ent¬
standen war, auf die Hautklinik verlegt worden. Am Morgen des
10. I. finden sich auf dem Rücken des Kindes, das seit 3—4 Tagen
ziemlich stark gehustet hatte, vereinzelte (4—5) Pusteln mit zentraler
Delle und rotem Hof. Am Abend werden Pusteln von gleicher Be¬
schaffenheit schon an beiden Armen und vereinzelt im Gesicht fest¬
gestellt. Es besteht Temperatursteigerung.
11. I. Oedem des Gesichts, Drüsenschwellung an beiden Kiefer¬
winkeln. Ausdehnung der Pustulosis über den ganzen Körper, ohne
dass es zum Konfluieren gekommen wäre.
14. I. Die Pusteln sind fast sämtlich im Eintrocknen begriffen.
Das Kind ist heute wieder fieberfrei.
20. 1. Die Pusteln sind unter Borkenbildung und unter Hinter¬
lassung flacher Narben vollkommen abgeheilt. Die Heilung des
Ekzems hat, zumal sich fast keine Impfpusteln auf ihm lokalisierten,
gute Fortschritte gemacht.
30. I. Ekzem geheilt.
Am 11. I. hatten wir eine weitere Erkrankung zu verzeichnen.
Fa 1 1 V: Paula B., 7 Wochen alt, war am 27. XII. wegen heredi¬
tärer Lues auf die Hautklinik gebracht worden.
Das sehr elende, atrophische Kind hatte bei seiner Aufnahme ein
makulo-papulöses Exanthem an der unteren Körperhälfte, Papeln an
beiden kusssohlen, in der Rima ani und am Kinn und eine starke
Koryza.
Am 11. I. wird am linken Mundwinkel des Kindes eine typische
Vakzinepustel festgestellt. Noch am Abend desselben Tages werden
weitere Pusteln am Kinn und auf der linken Wange sichtbar. Das
Kind hustet ziemlich viel, was bisher nicht der Fall gewesen war.
12. I. Es werden heute an der Zungenspitze und auf dem
Zungenrücken mehrere Pusteln von verschiedener Grösse entdeckt.
Eine Pustel findet sich ferner am rechten Mundwinkel. Es besteht
Temperatursteigerung.
13. I. Die Pusteln auf der Zunge haben zum Teil schon die
Decke verloren und stellen kreisrunde Substanzverluste dar, die
das Kind offenbar sehr schmerzen. Die Nahrungsaufnahme ist sehr
schlecht.
14. I. Das Kind ist sehr apathisch. Fast keine Nahrungsauf¬
nahme. Die Pusteln auf der Zunge haben sich vermehrt.
19. I. Da die Nahrungsaufnahme sehr gering ist, kommt das
Kind mehr und mehr zurück. Die Pusteln am Körper sind abgeheilt.
21. I. Exitus letalis.
^er letzte Fall war im Gegensatz zu diesem letal endigenden
ein sehr leichter.
Fall V: Kind Willy M., 1 Jahr alt, ungeimpft, war wegen
Impetigo contagiosa bei uns in Behandlung und zwar hatte es bei
der Aufnahme Effloreszenzen auf der Stirn, auf beiden Wangen und
am linken Ohr.
13. I. In der Kreuzbeingegend sind heute in einem etwa hand¬
tellergrossen Bezirke zahlreiche Pusteln aufgetreten. Während einige
Pusteln das typische Bild der Vakzinepusteln aufweisen, stellen
andere nur Abortivformen dar und haben weder eine zentrale, Delle
noch einen roten Hof. Es besteht starker Juckreiz, dagegen ist keine
Temperatursteigerung vorhanden.
15. I. Am Rücken sind noch einige weitere Pusteln aufgetreten.
Die Impetigo contagiosa ist unter Zinkpaste abgeheilt. Das Allge¬
meinbefinden ist nicht gestört.
26. I. Die Effloreszenzen am Rücken sind sämtlich abgeheilt.
Narben sind kaum sichtbar. Das Kind wird als geheilt entlassen.
Ausser diesen 6 Patienten, deren Krankengeschichte im Vor¬
stehenden wiedergegeben wurde, befanden sich im Krankensaal noch
10 andere Kinder, die bis auf eins alle geimpft waren. Diese Kinder
blieben alle vor der Vakzineerkrankung verschont, auch das eine
ungeimpfte Kind, trotzdem es an einem fast universellen Ekzem litt.
Von den 9 anderen Kindern litten 2 an hereditärer Lues, die anderen
an mehr oder weniger juckenden Hautaffektionen (Ekzem etc.).
Die erste Frage nun, die sich uns beim Studium der obigen
Krankengeschichten aufdrängt, ist wohl:
Wie ist diese Epidemie entstanden? resp. wie entsteht die
Vaccina generalisata überhaupt? Die Frage nach der Ent¬
stehung der Vaccina generalisata ist schon oft erörtert worden.
Zwei Wege sind es, die für die Entstehung der Erkrankung vor
allem in Betracht kommen:
1. Die Autoinokulation resp. Inokulation.
2. Die „spontane Eruption von innen heraus“ (H a s 1 u n d).
Beide Infektionsmöglichkeiten haben warme Verteidiger
gefunden.
W e 1 1 e r e r, der sich entschieden für die Entstehung der
Vaccina generalisata durch Autoinokulation ausspricht, führt
darüber folgende Gründe als Beweis an:
1. Sei bei allen einwandsfreien Fällen von Vaccina gene¬
ralisata eine juckende Dermatose vorhanden gewesen.
2. Seien vielfach sogen. „Impfstriche“, entstanden durch
den kratzenden Fingernagel, beobachtet worden.
3. Spreche das schubweise Auftreten der Effloreszenzen
gegen eine Verbreitung der Vakzine durch die Blutbahn.
4. Kämen keine Impfpusteln an Stellen vor, die für den
kratzenden Finger nicht erreichbar oder durch einen Verband
geschützt seien. •
Ihm hält H a s 1 u n d entgegen, dass doch nicht in allen be¬
obachteten Fällen eine Hautkrankheit vorhanden war, dass
ferner relativ selten eine Verletzung der ursprünglichen Impf¬
blasen erwähnt wird. Ein schubweises Auftreten des Aus¬
schlages komme auch bei anderen Infektionskrankheiten vor.
Schliesslich sei auch der vierte Grund nicht stichhaltig, da er
schon Blasen zwischen den Schulterblättern gesehen habe.
Ohne die Möglichkeit einer Autoinfektion ganz von der Hand
zu weisen, hält Haslund die Vaccina generalisata in der
überaus grossen Mehrzahl der Fälle für eine Allgemeininfektion
mit spontanem Ausbruch der Blasen. Dafür sprechen ihm das
Fieber, der zuweilen schwere Allgemeinzustand una die oft
vorhandene grosse Anzahl von Blasen. Ebenso wie H a s 1 u n d
ist G r o t h für die Entstehung der Vaccina generalisata auf dem
Blutwege. Bei dem von ihm beobachteten Falle lag eine Haut¬
krankheit nicht vor. Gleichwohl hält er in den meisten Fällen
6. August 1907. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
eine individuelle Disposition, vor allem durch chronisches Ek¬
zem, für gegeben.
Einen neuen Gesichtspunkt in die Frage nach der Ent¬
stehung der generalisierten Vakzine bringt Paul insofern, als
er bei der Bezeichnung als generalisierte Vakzine eine vorher
ganz gesunde Haut verlangt. Dieser Forderung schliesst sich
Werner an. Die beiden Autoren schliessen damit die Ent¬
stehung der Erkrankung durch Kontaktinfektion so ziemlich
aus. Für die Entstehung der generalisierten Vakzine auf dem
Blutwege traten u. ,a. noch P 1 o n s k i und Peter ein.
Leider hat auch die von uns beobachtete Epidemie eine
Entscheidung in dieser Frage noch nicht herbeizuführen ver¬
mocht. Immerhin spricht manches für eine „Eruption von innen
heraus“. So ist es doch eine auffallende Tatsache, dass in
allen unseren Fällen, mit Ausnahme des Falles VI, der ja über¬
haupt sehr leicht verlief, Husten im Beginn der Erkrankung
konstatiert wurde. Ist da nicht die Annahme naheliegend, dass
bei der generalisierten Vakzine das Krankheitsgift, ebenso wie
das für die Variola wahrscheinlich ist, mit der Inspirationsluft
eingeatmet wird? Da die bisher mitgeteilten Fälle von Vac-
cina generalisata nicht unter klinischer Beobachtung entstan¬
den, so ist vielleicht das Befallensein der Respirationsorgane
im Beginn der Erkrankung noch nicht genügend beobachtet
und als Symptom gewürdigt worden. Vielleicht ist es der Mühe
wert, in Zukunft in dieser Richtung Nachforschungen anzu¬
stellen. Gegen eine Inokulation liesse sich ferner anführen,
dass in Fall I überhaupt keine Hauterkrankung vorhanden ge¬
wesen war und dass in Fall IV — VI die ersten Impfpusteln an
Stellen auftraten, wo nie vorher ein Ekzem gesessen hatte, dass
somit die Möglichkeit einer Autoinokulation resp. Inokulation
recht gering war. Ganz leugnen lässt natürlich die Möglichkeit
einer Inokulation sich nicht, da ja die Läsionen der Haut unseren
Augen entgangen sein könnten.
Als weiterer Faktor, der vielleicht zur Entstehung einer
Vaccina generalisata beitragen könnte, käme eine besondere
Virulenz des Vakzinekontagiums in Betracht. Man könnte bei¬
nahe geneigt sein, in unseren Fällen eine solche hochgradige
Virulenz des Impfstoffes anzunehmen, wenn man bedenkt, dass
von dem ursprünglich geimpften Kinde zunächst drei Ange¬
hörige und von einer dieser indirekt geimpften Personen wieder
5 Kinder infiziert wurden. Denn dass Fall II — VI durch Fall I
angesteckt wurden, das geht aus dem fast ganz gleichzeitigen
Auftreten der Erkrankung einwandsfrei hervor.
Es erübrigt noch, auf die Rolle, die das Ekzem bei der
Vaccina generalisata spielt, des näheren einzugehen. Selbst
wenn wir nicht, wie die Anhänger der Kontaktinfektion, das
Vorhandensein einer juckenden Dermatose als Voraussetzung
für das Zustandekommen einer Vaccina generalisata betrachten,
so müssen wir doch bei einem Studium der einschlägigen Li¬
teratur zugeben, dass Hautkrankheiten, insbesondere Ekzem,
in hohem Grade zur Entstehung einer Vaccina generalisata dis¬
ponieren. Die Haut dieser ekzemkranken Individuen bietet ent¬
schieden einen Locus minoris resistentiae dar. Ueber den Ein¬
fluss der Vakzine auf die Heilung des bestehenden Ekzems sind
die Meinungen sehr geteilt.
Während einzelne Autoren, wie Dietter, Haslund,
Kalischer, Swoboda nach Ablauf der Vaccina generali¬
sata eine schnelle Heilung des Ekzems beobachteten, ja T a i t
und G u n d a 1 1 sogar die Vakzination zur Heilung inveterierter
Ekzeme bei Kindern empfehlen, hatten andere, wie Wet-
terer, Voigt, Groth, Haslund eine wesentliche Ver¬
schlechterung zu verzeichnen.
Wir hatten in 2 Fällen (II und III), wo sich die Vakzine¬
pusteln auf dem Boden des bestehenden Ekzems lokalisierten,
eine Verschlimmerung des Ekzems zu beobachten. In zwei
anderen Fällen (IV und VI), in denen die vorher erkrankten
Stellen der Haut von Vakzinepusteln verschont blieben, ging
die Heilung der Dermatose ohne Störung vor sich.
Die Prognose der Vaccina generalisata ist im allgemeinen
günstig.
Der Exitus letalis unseres Falles V ist durch die schwere
Form der angeborenen Syphilis, wegen deren das Kind zu uns
kam, herbeigeführt.
Die Lokalisation der Vakzinepusteln auf der Schleimhaut
bei diesem letal ausgegangenen Fall verdient übrigens auch
No. 32.
1585
deshalb besonderes Interesse, als sie selbst bei einer über den
ganzen Körper ausgedehnten Vakzineeruption etwas äusserst
Seltenes ist. In der ganzen Literatur fanden wir nur 2 derartige
Fälle beschrieben, der eine von Widowitz, der bei einem
Patienten an der Schleimhaut der Unterlippe und an dem Ueber-
gang des weichen zum harten Gaumen Vakzinepusteln be¬
obachtete, der andere von d’E s p i n e und J e a n d i n. Dieser
letztere Fall ist unsicher, da die am 11. Tage nach der Impfung
auf der Mundschleimhaut erschienenen Bläschen am 12. Tage
schon wieder verschwunden waren.
Als etwas sehr Seltenes kann man auch das Auftreten
von Lymphdriisenabszessen im Gefolge der Vaccina generali¬
sata bezeichnen. Diese seltene Komplikation kam in zwei un¬
serer Fälle (Fall I und II) zur Beobachtung und vielleicht können
wir dieses Faktum als Stütze unserer oben geäusserten Ver¬
mutung verwenden, dass es sich in unseren Fällen um einen
ganz besonders virulenten Impfstoff handelte.
Was lehren uns nun die obigen Ausführungen? Sie lehren
uns vor allem, dass es eine epidemische Verbreitung der Vac¬
cina generalisata gibt.
Den Impfgegnern kann diese kleine Epidemie keine Waffe
in die Hand geben, denn keines der erkrankten Kinder hat einen
grösseren oder gar dauernden Schaden an seiner Gesundheit
genommen (Fall V ist, wie oben schon bemerkt, an der ange¬
borenen Syphilis, nicht an der Vakzine gestorben) im Gegen¬
teil, es hat sich der Impfschutz der geimpften Kinder glänzend
bewährt.
Durch das Verbot der Impfung ekzemkranker Kinder ist die
grosse Seltenheit des Auftretens der Vaccina generalisata er¬
klärt. Unsere Epidemie lehrt aber auch^ dass man in der Iso¬
lierung der erkrankten von noch nicht geimpften, ekzemkranken
Kinder nicht streng genug Vorgehen kann. ‘Wir haben zunächst
die Kontagiosität der generalisierten Vakzine unterschätzt, weil
unseres Wissens in der Literatur noch keine solche Haus¬
epidemie niedergelegt worden ist.
Gerade deshalb erschienen uns unsere Fälle mitteilungs-
wert.
Fremdkörper in der Nase als Folge von Trauma.
Von Dr. Ernst Pasch, I. Assistenzarzt der Lungenheil¬
stätte in Belzig.
Fremdkörper finden sich in der Nase aus den verschieden¬
sten Gründen; hauptsächlich sind es solche, die von Kindern
in die Nase gesteckt werden.
Bei Erwachsenen sind Fremdkörperfälle ziemlich selten,
besonders solche traumatischen Ursprungs. Es handelt sich
dabei meistens um Flinten- und Revolverkugeln, die bei einer
Explosion der Waffe in die Nase gelangen. Ganz spärlich sind
die Literaturangaben über solche Fremdkörper, die bei der
Arbeit infolge eines Traumas in die Nase gelangt sind. Um
so mehr dürfte folgender Fall allgemeines Interesse erregen,
welchen Verfasser gelegentlich einer Vertretung im ober¬
schlesischen Industriebezirk zu beobachten Gelegenheit hatte.
Simon M., Maschinenarbeiter auf der Königin-Luise-Grube,
28 Jahre alt. Patient arbeitet auf der Seilförderstrecke, in einer
Tiefe von 200 m. Die gefüllten Kohlenkästen werden mit je 3 m
langen Ketten an dem Seil befestigt und unter Schacht nach der
Förderschale befördert. Am 8. I. 07 fiel eine solche Kette, die sich
vom Seil losgelöst hatte, hinunter und hakte sich zwischen Gestänge
und Rädern fest. Als M. mit einem Schwung die Kette von unten
nach oben an sich reissen wollte, platzte sie. M. hatte dabei eine
blitzartige Lichterscheinung und empfand einen Schlag auf die Nase.
Diese schwoll sofort an, besonders rechts, und es quoll Blut aus der
rechten Nasenhöhle. Patient hatte den Eindruck, als ob durch einen
äusseren Schlag sein Nasenbein beschädigt sei, und als ob er Zähne
verloren hätte. Da M. keine grössere äussere Verletzung hatte,
machte er auf Rat des Grubenkrankenwärters Umschläge mit essig¬
saurer Tonerde. Dieselbe Therapie ordnete ein sofort nach der
Arbeit konsultierter praktischer Arzt ohne Untersuchung des Nasen-
innern an. Bis Ende der zweiten Woche verspürte jedoch Patient
keine Besserung der Nasenatmung und suchte deshalb spezialistische
Hilfe auf.
Befund am 21. II. 07: Auf der Maut der Nasenspitze eine kleine,
quer verlaufende Narbe. Rechte Nasenhälfte stark aufgetrieben,
ln der Nasenhöhle am Septum und Nasenboden schwarze, mit der
Umgebung nicht verwachsene Massen, die sich bei Sondenberührung
als vollkommen hart erweisen und Verdacht auf Fremdkörper nahe-
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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
legen. Vorsichtige Extraktion dieser schwarzen Massen, die Zu¬
sammenhängen, in vollkommen atypischer Weise; sie erweisen sich
als das Glied einer eisernen Kette, das an seinem hinteren Ende ge¬
sprungen ist. Es ist fast 20 g schwer, 38 mm lang und 22 mm
breit. Geringe Blutung, die bald steht. In der rechten Nase, die
sofort auf ihren vorigen Umfang zurückkehrt, gewahrt man keine
erheblichen Verletzungen, nur eine Rinne in der Schleimhaut der
Scheidewand, die in toto etwas nach links gebogen erscheint. Jodo¬
formpulver.
Der rechte Gehörgang ist voll von geronnenem Blut, das sich
durch Wasserstoffsuperoxyd nur schwer aufweichen lässt; somit
ist eine Besichtigung des Trommelfells unmöglich. Die Gehörgangs¬
wände sind gerötet und etwas geschwollen. Flüstersprache ad con-
cham. Weber im gesunden Ohr. Rinne negativ. Verschluss des
Ohres durch sterile Watte.
29. I. In den letzten Tagen war zur Verhütung von Verkle¬
bungen in der rechten Nase ein Jodoformgazestreifen eingeführt
worden. Die im übrigen nicht übermässig grosse Nase erweist sich
bei der heutigen Besichtigung normal. Am rechten Ohr ist das
Trommelfell sichtbar, rotbläulich verfärbt. Flüstersprache ca. 5 m,
Weber im Kopf, Rinne positiv.
Am auffallendsten ist es, auf welche Weise der Fremdkörper
in die Nase gelangt ist. Es lässt sich dies meiner Meinung nach
nur so erklären, dass beim Reissen der Kette dieses eine Glied
unter ungeheuerem Luftdruck in die nicht einmal besonders grosse
Nase geschleudert wurde, oder — was wahrscheinlicher ist — dass
es zu Boden fiel und von dort mit grosser Kraft zurückprallte,
während der Arbeiter gebückt stand. Ein seiner Entstehung nach
ganz ähnlicher Fall ist von Sinotecki mitgeteilt worden; da
er auch sonst manches mit dem unserigen Analoges aufweist, will
ich ihn nach einem Referat von Sokolowski im Intern. Zentralbl.
f. Laryngol., Rhinol, etc. 1905, S. 377 hier kurz wiedergegeben:
Ein Stück Eisen sprang beim Schmieden ab, fiel auf die Erde
und prallte mit so grosser Gewalt von dieser ab, dass es in die Nase
des gebückt stehenden Schmiedes gelangte. Die Entfernung des
Eisensplitters gelang ihm erst mittels einer Zange, er hatte eine
Länge von ca. 15 cm (soll wohl heissen 1,5 cm? Verf.) Spuren der
Verbrennung waren auf dem rechten Nasenflügel sichtbar, auf der
unteren und mittleren Muschel, sowie an den Seiten des rechten
unteren Nasenganges, der mit Krusten bedeckt war. Unbedeutende
Nasenblutung. Heilung nach kurzer Zeit.
Die Diagnose war in unserem Fall nicht ganz leicht
zu stellen; aus der Anamnese, wie sonst in den meisten
Fällen, ging sie nicht hervor. Auch waren keine Symptome
vorhanden, wie Katarrh, Schmerzen etc. Die Behinderung der
Nasenatmung allein konnte man nicht als ein spezifisches Sym¬
ptom ansehen. Es könnte vielleicht merkwürdig erscheinen,
dass ein Fremdkörper von dieser Grösse 14 Tage lang voll¬
kommen reizlos in der Nase liegen kann; es gibt aber Fälle,
wo ein Fremdkörper jahrelang keine Erscheinung zu machen
braucht, so wird z. B. von einer Flintenkugel berichtet, die
erst nach 25 Jahren in der Nase entdeckt worden ist. — Der
Sitz des Fremdkörpers bot auch nichts Charakteristisches.
Seifert teilt in Haymanns Handbuch der Rhino-
1 o g i e (W i e n 1900) mit, dass in 80 Proz. aller Fälle der
untere Nasengang Sitz der Fremdkörper ist, sonst der mittlere
Nasengang oder der Engpass zwischen mittlerer Muschel und
Septum. Das kann aber nur für Fremdkörper einer gewissen
Grösse gelten. Die Diagnose ergab sich daher hauptsächlich
aus der nach der blossen Besichtigung vorgenommenen Son¬
dierung, die einen harten Gegenstand feststellte; dessen Gestalt
konnte man erst bei der Extraktion mit Sicherheit erkennen.
Die Heilung erfolgte, besonders da keine erheblichen
Verletzungen vorhanden waren, glatt nach einigen Tagen.
Ebenso ging das durch dasselbe Trauma hervorgerufene
Hämatotympanon prompt zurück.
Dieser Fall lehrt, dass es in jedem Fall von Kopfschmerzen,
Nasenverstopfung und ähnlichen oft unbestimmten Klagen von
grosser Wichtigkeit für den praktischen Arzt ist, das Nasen¬
innere mittels eines Spekulums zu besichtigen. Man kann dann
häufig positive Befunde erheben wie in dem vorliegenden, der
wohl einzig in seiner Art dastehen dürfte.
Die Radikaloperation der Herniae permagnae mit
Reposition des Hodens in die Bauchhöhle.
(Zu Sauerbruchs Publikation : „Die Radikaloperation
übergrosser Leistenhernien.“ M. med. W. 1907, No. 24.)
Von Dr. Oskar Bernhard in St. Moritz.
In meiner früheren Stellung als Arzt des Oberengadiner
Spitales in Samaden bin ich öfters in der Lage gewesen, die
Radikaloperation übergrosser Leistenbrüche auszuüben 1). Um
einen ganz festen Verschluss zu erzielen, habe ich dabei bei
älteren Leuten, von der Mitte der 50 er Jahre aufwärts, mei¬
stens die gleichzeitige Kastration mit hoher Abtragung des
Samenstranges gemacht, ohne Rücksicht ob der Hode schon
atrophisch war oder nicht. Die betreffenden Patienten waren
mit dem Vorschläge jedesmal sofort einverstanden. Bei
jüngeren Männern habe ich davon natürlich stets abgesehen,
im Hinblick darauf, dass der andere Hode später erkranken
und dann doch absolute Impotenz eintreten könne und dass die
Aussicht auf eine solche Eventualität auf den Operierten stets
moralisch deprimierend wirken könnte. Auch in diesen Fällen
ist es aber im Interesse eines zuverlässigen Verschlusses voq
grossem Vorteile, wenn man sich vom Funikulus gänzlich
emanzipieren kann. Deshalb verlagere ich den
Hoden in die Bauchhöhle. Diese Verlagerungs¬
methode, die ich natürlich nur auf sehr grosse Brüche oder
dann etwa noch auf gewisse Fälle von Rezidiv nach Radikal¬
operation beschränke, habe ich vor 10 Jahren im Korrespon¬
denzblatt für Schweizer Aerzte veröffentlicht 2). Da ich mit der¬
selben auch fernerhin stets zufrieden gewesen bin, erlaube ich
mir, durch die Arbeit Sauerbruchs dazu veranlasst, kurz
darauf zurück zu kommen. Vor der Radikaloperation wird im
Sinne Kausch’ eine Vorbereitungskur durchgeführt. Bei
der Operation selbst wird der Bruchsack, wo es ohne zu grosse
Zerrungen und Schwierigkeiten geht, isoliert. Der Hode wird
aus dem Skrotum in die Schnittwunde hinaufluxiert und der
Samenstrang bis zum inneren Leistenring hinauf freipräpariert.
Dann wird der Bruchsack weit geöffnet und der Hode samt
den Baucheingeweiden in die Bauchhöhle reponiert. Bei den
weiten Bruchpforten fällt er gewöhnlich von selbst leicht in den
Bauch hinein. Nun Verschluss und Abschneiden des Bruchsackes.
Den Stumpf lässt man in die Bauchöhle zurückgleiten. Schluss
der Bruchpforte und Verengerung des Leistenkanales in seiner
ganzen Länge mit festen, tiefgreifenden Nähten; eventuell
können noch myo- oder osteoplastische Deckungen ange¬
schlossen werden, meistens sind sie aber bei meinem Verfahren
überflüssig. — Bei sehr stark adhärentem Bruchsacke wird der¬
selbe gleich am Anfänge der ganzen Länge nach gespalten, von
seinen Wänden so viel abpräpariert, als es eben gut geht und mit
der Schere entfernt, und dann nach Reposition der Bauchein¬
geweide und des Hodens mit tieffassenden Nähten geschlossen.
— Zum Schlüsse eine exakte fortlaufende Hautnaht. Gaze-
Kollodium-Verband.
Die Haut der leeren Skrotalhälfte wird in eine breite Falte
gefasst und durch einige tiefe Nähte die Höhle verkleinert.
Wünscht es der Patient, so kann statt dessen nach dem Vor¬
schläge Steinmanns3) ein Paraffinhode eingesetzt werden.
Was wird nun aus dem in die Bauchhöhle, in sein altes Be¬
hältnis zurückgekehrten Hoden? Atrophiert und degeneriert
1) Bei unserer schweizerischen Bevölkerung sind Leistenhernien
ein sehr häufiges Leiden (cf. Berlepsch: Schweizerkunde, 2.
Auflage, 1875, pag. 388/89), sodass zur Zeit, als die Miliz noch kan¬
tonal war, ein Schweizerkanton, um die notwendige Zahl Rekruten
zu bekommen, mit Brüchen behaftete Stellungspflichtige nicht mehr
ausmusterte, und noch jetzt wird ein Schweizersoldat, bei dem nach
seiner Rekrutenzeit, also nachdem er durch seine militärische Aus¬
bildung die schweizerische Eidgenossenschaft Geld gekostet hat.
eine Hernie austritt, nur in schwereren Fällen definitiv von fernerer
Dienstpflicht entlastet. Allerdings werden, mit Bruchschäden be¬
haftete Stellungspflichtige bei der sanitärischen Eintrittsmusterung
nicht mehr als diensttauglich erklärt. Viele solche unterziehen sich
der Radikaloperation, damit sie Soldat werden können, ich habe
öfters solche militärfreudige junge Leute operiert. Die Radikal¬
operation der Hernien erfreut sich in der Schweiz überhaupt grosser
Beliebtheit, es wird dieselbe verhältnismässig wohl in keinem Lande
so häufig ausgeführt wie bei uns. Verhältnismässig häufig kommen
auch jene Brüche vor, die wir als Herniae permagnae bezeichnen,
selbst bei noch jüngeren Individuen infolge stetiger Anstrengung der
Bauchpresse durch Tragen schwerer Lasten bergauf und bergab,
namentlich der grossen, festgeschnürten Heubürden, die wegen Ab¬
schüssigkeit der meisten Wiesen nicht zum Heuschober gefahren, son¬
dern getragen werden.
2) „Eine neue Methode der Radikaloperation der Leistenhernie“,
1897, No. 21, cf. auch Kocher: Chirurgische Operationslehre, IV.
Auflage, 1902, pag. 366, und neueste V. Auflage pag. 773.
3) Fr. Steinmann: Zur operativen Behandlung des Leisten¬
hodens. Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1905, No. 16.
6. August 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1S87
er oder bleibt er gesund und funktionsfähig? Meine sämtlichen
so Operierten leben noch und es fehlt einstweilen ein Aufschluss
durch Autopsie. Tierexperimente habe ich auch keine ange¬
stellt. So liegt nun die Frage nahe, wie verhält sich der Hode
bei angeborener abdomineller Lage? Darüber existieren
viele Beobachtungen. Gewöhnlich bilden sich der resp. die
Bauchhoden im ferneren Wachstum des Individuums nicht
weiter oder schwächer und später aus, was Befruchtungsun-
tauglichkeit oder späte Pubertätsentwicklung und geringe Sa¬
menbildung bedingt. Aber es können auch hier Textur und
Funktionsfähigkeit des Hodens vollkommen normal sich ge¬
stalten, wofür Kocher (Die Krankheiten der männlichen Ge¬
schlechtsorgane, Ferdinand Enke, Stuttgart 1887) mehrfach den
Nachweis leistet. Eine Anzahl Autoren fanden normale Hoden
im Abdomen. Von 42 Patienten K r ö n 1 e i n s 3*) mit Kryp¬
torchismus waren 3 Fälle von Retentio testis abdominalis. Da¬
bei wurde konstatiert, dass die 3 Bauchhoden sich nahezu nor¬
mal entwickelt hatten. Wo sich der Samenstrang nicht leicht
mobilisieren und der Hode sich ins Skrotum bringen lässt, ver¬
zichtet K r ö n 1 e i n prinzipiell auf die Orchidopexie und
verlagert den Hoden lieber in das properitoneale
Bindegewebe. B e i g 1 4) fand bei doppelseitigem vollständigem
Kryptorchismus eines 22 jährigen Mannes normale Spermato-
zoen im Samen. H y r 1 1 5) schreibt in seiner topographischen
Anatomie zu unserer Frage folgendes: „In der Bauchhöhle ver¬
bliebene Hoden lagern gewöhnlich in der Nähe des Leisten¬
kanals, selten vor dem unteren Nierenende, als an der Stelle
ihrer primitiven Entwicklung. Zurückbleiben beider Hoden
innerhalb der Bauchhöhle trifft mit Spaltung des Hodensackes,
hermaphroditischer Bildung der äusseren Genitalien und man¬
gelhafter Entwicklung der Hoden selbst zusammen, kommt aber
auch ohne diese und ohne Beeinträchtigung des geschlechtlichen
Vigors vor. Mangelhaft entwickelte Hoden dieser Art ge¬
winnen auch nichts, wenn sie später wirklich in den Hoden¬
sack herabsteigen.
Ist nur ein Hode im Unterleibe zurückgeblieben, so wird
der hervorgetretene grösser als gewöhnlich gefunden. Der
zurückgebliebene Hode kann auch durch Atrophie eingehen
(F o 1 1 i n), obwohl es nur selten dahinkommt. Die Idee der
Atrophie und der damit zusammenhängenden Impotentia gene-
randi machte auf einen jungen Mann mit Kryptorchismus, einen
Schüler Astley C o o p e r s, einen so tiefen Eindruck, dass er
in Melancholie verfiel und sich zuletzt das Leben nahm. Bei
der Sektion fanden sich beide Hoden von normaler Grösse und
Struktur an den Bauchöffnungen der Leistenkanäle liegend. 6)
Ein mir befreundeter Tierarzt, Herr G i o v a n o 1 i in Soglio
iin Bergell, an den ich mich um Auskunft über Bauchhoden in
der Tierwelt gewendet hatte, teilte mir aus seiner Praxis
folgende Beobachtung mit: Ein Bauer hatte einem Ziegenbock,
der nur einen Skrotalhoden hatte, denselben entfernt, und liess
das Tier mit der Ziegenherde laufen. Da stellte es sich heraus,
dass der Bock, welcher einen Abdominalhoden hatte, zeugungs¬
fähig war. Als schönes Tier benutzte man ihn sogar zur Zucht.
Pargone berichtet über einen Hengst, dessen beide
Hoden nicht sichtbar waren, unter dessen Nachkommen 5 Mo-
norchiden (Monokryptorchiden) sich befanden. Möller fand
in zwei Fällen von Kryptorchismus vollständig entwickelte be¬
wegliche Spermatozoen (zitiert in Steinmanns oben er¬
wähnter Publikation).
Also ist wohl anzunehmen, dass meine Verlagerungsme¬
thode, die einen ausgewachsenen, normalen und
leistungsfähigen Hoden betrifft, denselben auch wenig¬
stens in der Mehrzahl der Fälle anatomisch und physiologisch
intakt lasse. Dann haben wir, ohne ein Organ geopfert, d. h.
ohne die von so mancher Seite für die Operation dieser schwie¬
rigen Brüche vorgeschlagene gleichzeitige Kastration vorge¬
nommen zu haben, einen gleich guten Verschluss erzielt.
In anderer Hinsicht aber kann man der Rücklagerung des
Hodens in die Bauchhöhle ernstere Bedenken Vorhalten. Sollte
3*) Schönholzer: Ueber Kryptorchismus. Beiträge zur kli¬
nischen Chirurgie, Bd. 49, pag. 321.
4) B e i g 1: Virchows Archiv, Bd. 38.
5) Hyrtl: Handbuch der topographischen Anatomiei Bd. II,
1882, pag. 63.
6) Follin: Archives generales de med., 1851, pag. 260.
nämlich der transplantierte Hode später von Entzündungen,
Syphilis, Tuberkulose, Karzinose, Sarkomatose, Zystenbil¬
dung etc. heimgesucht werden, so ist eine frühzeitige Erken¬
nung der betreffenden Krankheit allerdings sehr erschwert,
vielleicht geradezu unmöglich gemacht. Ich habe aber in der
Literatur keine Fälle von malignem Tumor oder sonstiger Er¬
krankung eines Bauchhodens gefunden. Ein abdominaler Hode
ist durch seine geschützte Lage vielleicht sogar noch besser
daran als ein normal im Skrotum liegender und ohne Zweifel
als ein Leistenhode. Letzterer hat unter stetigem Drucke,
häufiger Einklemmung und öfters durch Samenstrang¬
torsion zu leiden und ist auch zufälligen Traumen
mehr ausgesetzt und es ist daher leicht zu begreifen, dass
er oft erkrankt und von Geschwulstbildung heimgesucht wird.
Robinson (ebenfalls zitiert bei S t e i n m a n n) macht da¬
rauf aufmerksam, dass bei gonorrhoischer Entzündung eines
Bauchhodens die Gefahr einer sekundären Peritonitis näher
liege, als beim Skrotal- oder Leistenhoden und ich möchte das¬
selbe Bedenken auch für die Erkrankung eines Bauchhodens an
Tuberkulose erwähnen. Alle solche Erwägungen aber, welche
doch nur mit Seltenheiten rechnen, erachte ich nicht als stich¬
haltig genug, die Operation zu verwerfen. Für eine Even¬
tualität bin ich prophylaktisch vorgegangen. Um der späteren
Entwicklung einer Hydrozele des dem Bauche anvertrauten
Hodens vorzubeugen, habe ich das äussere Blatt der Tunica
vaginalis propria testis gespalten und mit der Scheere abge¬
tragen.
Für meine Operationsmethode spricht der Umstand, dass
keiner meiner zehn so Operierten von seiten seines in die Bauch¬
höhle verlagerten Hodens jemals über Beschwerden zu klagen
hatte und dass bis dato sämtliche trotz Verrichtung schwerer
Arbeit rezidivfrei geblieben sind.
In neuerer Zeit hat man mein Verfahren auch auf die ope¬
rative Behandlung des Leistenhodens übertragen, und in Kon¬
kurrenz gebracht mit der Orchidopexie und Orchidectomie,
namentlich da wo bei geringer Beweglichkeit des Hodens der
Erfolg der ersteren problematisch wird und der Hode schliess¬
lich doch nur am Pecten pubis sitzen bleibt, wo er allerlei
Schädlichkeiten ausgesetzt ist und gewöhnlich nur Beschwer¬
den macht (Steinmann7), Odiorne and Simmons8),
Corner9) u. a.). Die Zukunft wird uns wohl bald Aufschluss
geben über das Schicksal der operativ in die Bauchhöhle ver¬
senkten Hoden.
Aus der I. medizinischen Klinik München (Prof. Dr. v. B a u e r).
Blutbefunde bei Nervösen.
Von Alfred Bretschneider.
In No. 47 (1906) der Münch, med. Wochenschr. teilt
Dr. G o e 1 1 Blutbefunde bei Nervösen mit, welche geeignet
sind, das Interesse auf sich zu lenken. Ich habe es mir zur
Aufgabe gemacht, an dem Material der I. med. Klinik München
ähnliche Resultate zu zeitigen, musste aber im grossen und
ganzen einsehen, dass sich in den G o e 1 1 sehen Fällen
irgendwo ein Fehler befindet. Schon äusserlich betrachtet muss
das Missverhältnis zwischen Hämoglobin und Blutkörperchen¬
zahl auffallen. G o e 1 1 erklärt seine Befunde im Sinne der
G r a w i t z sehen Lehre der Blutverdünnung oder -Verdichtung
durch thermische Applikationen und meint, dass bei Nervösen,
wie es z. B. aus dem Auftreten von zirkumskripten Erythemen
und Oedemen ersichtlich ist, grosse Schwankungen in der
Gefässinnervation an sich schon Vorkommen und dass der
ganze Apparat der Untersuchung Nervöse so sehr erregt, dass
vom Sympathikus her stark auf die Gefässe eingewirkt werde
und diese sich infolgedessen abnorm stark kontrahieren oder
dilatieren. So sei es leicht einzusehen, dass bei Gefässerschlaf-
fung — Sinken des intrakapillären Druckes — ein Uebertritt
von Gewebsflüssigkeit in die Kapillaren erfolge. Zu derartigen
Schwankungen seien Nervöse eher disponiert wie Normale.
Das ist alles wohl zuzugeben; aber das kann wohl unmög¬
lich eingesehen werden, wieso 2/4 Millionen Erythrozyten die-
7) Vergleiche oben.
8) Referiert im Zentralblatt für Chirurgie, No. 9, 1905, Referat 14.
9) Referiert im Zentralblatt für Chirurgie, No. 51, 1904, Referat 12,
3*
1588
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
selbe Färbekraft besitzen sollen, wie 5 Millionen. Da muss
ein Fehler stecken. Die einzig mögliche Erklärung wäre eben
die: Der erste Tropfen Blut, an welchem Goett den Hämo¬
globingehalt bestimmte, stammte in jedem der vier angeführten
Fälle aus einem abnorm kontrahierten Gefäss, oder aus einem
normal innervierten. Das wäre doch merkwürdig. An eine
solche Uhrwerksmaschinerie kann ich nicht glauben.
Durch das Uebertreten von Gewebsflüssigkeit in die Ka¬
pillaren findet eine Blutverdünnung statt. Es kommen somit
auf einen Kubikmillimeter Blut nunmehr weniger Erythro¬
zyten und Leukozyten. In den von Goett angeführten Fällen
fällt der Erythrozytengehalt auf den halben Wert in zwei
Fällen, in den anderen zwei Fällen auf 7/io des wirklichen Ge¬
haltes. Aber das Hämoglobin, was diese 5/io oder 7/io Menge
Erythrozyten beherbergen, sollte dasselbe sein, wie das des
ganzen wirklichen Körperchengehaltes? Bei meinen Ver¬
suchen mit Kälte- und Wärmeapplikation auf die Haut der
oberen Extremitäten — was analog sein soll den nervösen Ein¬
flüssen vom Sympathikus her — fand ich stets mit dem Steigen
der Erythro- und Leukozytenzahl bei Kälteapplikation ein
Steigen des Hämoglobingehaltes und umgekehrt mit dem Fallen
der Blutkörperchenzahl bei Wärmeapplikation ein Fallen des
Hämoglobingehaltes.
Unter normalen Verhältnissen habe ich
100 Proz. Hämoglobin*
5 050 000 Erythrozyten,
6 800 Leukozyten.
Nach der Kälteapplikation an der rechten oberen Ex¬
tremität fand ich
115 Proz. Hämoglobin,
5 750 000 Erythrozyten,
7 200 Leukozyten
und nach Wärmeapplikation
90 Proz. Hämoglobin,
4 225 000 Erythrozyten,
6 300 Leukozyten.
Ein derartiges Verhältnis von Hämoglobin zu roten Blut¬
körperchen fand ich stets bei dergleichen Versuchen. Natürlich
dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass alle die Unter¬
suchungen, mögen sie auch noch so exakt ausgeführt worden
sein, wie ich es tatsächlich von den meinen behaupte, Fehler¬
quellen in sich bergen, die wir bis zu 3 Proz. veranschlagen.
Aber selbst eine Einrechnung dieser 3 Proz. würde an meinen
Resultaten nichts ändern. — In den von Goett angeführten
Fällen mag ja wohl der Hämoglobingehalt absolut genommen
und ebenso die Blutkörperchenanzahl absolut normal sein.
Aber wenn Goett beide Faktoren auf dieselbe Weise be¬
rechnet, nämlich indem er von derselben Einstichstelle das
Blut entnimmt, dann sind beide Faktoren auch denselben Ge¬
setzen der Verdünnung unterworfen.
Was nun die Blutuntersuchung an den Nervösen selbst an¬
geht, so möchte ich zunächst vorausschicken, dass sich meine
Untersuchungen zum grössten Teil auf nervöse, sogen, „hyste¬
rische1 Mädchen erstrecken und zum geringeren Teil auf sogen,
„neurasthenische“ Männer.
Goetts vier Kranken mit Neurasthenie glaube ich mit
Recht meine Kranken gegenüberstellen zu dürfen. Was ich so
aus allen meinen Beobachtungen schliessen darf, ist folgendes:
Die vielen Mädchen, welche mit nervösen Beschwerden zu uns
in die Klinik kommen, sehen gewöhnlich etwas blass aus, zeigen
massig oder stark verringerten Hämoglobingehalt, haben bei
normalem Organbefund meistens ein ziemlich lebhaftes Sexual¬
empfinden und die Abstinenz macht bei ihnen wohl einen wich¬
tigen Faktor aus. Diese Mädchen sind gewöhnlich in solchen
Stellungen, wo sie viel zu arbeiten und wenig Erholung haben,
nicht gerade gut zu essen bekommen und bei einer etwas
schweren \ eranlagung leicht zu psychischen Störungen neigen.
Sie v erden verschlossen, scheu, leicht erregbar, hypochon¬
drisch etc. Oder es handelt sich um Männer, die keine Be¬
tt iedigung in ihrer Betätigung finden, trinken, sexuelle Exzesse
verüben und schliesslich doch allmählich zu einer Selbstein¬
sicht kommen und dann unruhig werden, unzufrieden mit sich
sei Bst, ohne Inhalt dastehen und in dieser Erkenntnis bei
felilenclei hnergie psychisch immer unsicherer und schwächer
v et den etc., sie alle sind in einer Hinsicht gleich zu be¬
werten. Ihre „Neurasthenie“ entspringt psychischen Fak¬
toren. Das ist ja längst zur Genüge bekannt und behandelt
worden. Und auf die Art der Neurasthenie kommt es ja hier
nicht sowohl an, als darauf, dass die nervösen Patienten auf
Eindruck und Einflüsse von aussen her leichter und schneller
reagieren als Normale. Und das ist bei meinen Patienten in
demselben Masse der Fall gewesen, wie bei den Patienten
Goetts. , „
Ich habe wohl Befunde erhoben, von denen Grawitz
schon spricht, indem er heftigen psychischen Einflüssen die¬
selbe Wirkung auf die Gefässinnervation und somit Blut¬
zusammensetzungen zuschreibt wie thermischen. Ich habe bei
allen meinen Patienten nur in zwei Fällen einen ausser¬
ordentlich hohen Gehalt an Hämoglobin und Blut¬
körperchen gefunden.
Marie K„ 22 Jahre alt, Diagnose: Hysterie, führt sich bei der
Untersuchung geradezu schrecklich auf, sie weint, bittet um Scho¬
nung und ist erst mit aller erdenklichen Mühe zu beruhigen, damit
sie sich durch einen Stich in die Fingerbeere etwas Blut entnehmen
lässt. Bei dem Einstich zuckt sie energisch zusammen, bleich vor
Schrecken, und jammert über furchtbare Schmerzen. Der Blutbefund
war folgender:
Hämoglobingehalt 115 Proz.,
Erythrozyten 5 275 000,
Leukozyten 8 200.
Indem ich an anderen Patientinnen im gleichen Saale dieselbe
Untersuchung vornahm, gewöhnte ich sie allmählich an die Sache
und fand schliesslich bei ihr einen
Hämoglobingehalt von 90 Proz.,
4 225 000- Erythrozyten,
4 800 Leukozyten,
und zwar zu wiederholten Malen.
Eine andere Patientin, die ebenfalls mit nervösen Beschwerden
zu uns kam und sich bei der Blutuntersuchung sehr erregt zeigte,
blass wurde, trockene Lippen und Zunge bekam etc. hatte
83 Proz. Hämoglobin,
5 700 000 Erythrozyten,
4 500 Leukozyten,
und 8 Tage später
86 Proz. Hämoglobin,
5 600 000 Erythrozyten,
9 000 Leukozyten (1 Uhr nachmittags).
Dagegen zeigte die Patientin M. V., welche ausgesprochen hyste¬
rische Symptome aufwies — sie geriet über ihr „Unglück“, nun Blut
hergeben zu müssen, in theatralisches Lamentieren und war gar
nicht zu beruhigen.
Hämoglobingehalt 90 Proz.,
4 250 000 rote Blutkörperchen,
6 500 weisse Blutkörperchen.
Ebenso erging es mir mit sämtlichen anderen Nervösen, die ich
nachher untersucht habe. Keinerlei Befunde im Goett sehen Sinne.
Und wenn, wie bei den beiden angeführten Patienten eine übergrosse
gemütliche Reaktion stattfand, dann trat eine starke Kontraktion der
Gefässe ein und es ergab sich ein gesteigerter Körperchen- u n d
Hämoglobingehalt.
Ein Fall von Myasthenia gravis pseudoparalytica ohne anatomi¬
schen Befund mit ausgesprochen nervösen Symptomen:
92 Proz. Hämoglobin,
5 225 000 Erythrozyten,
4 900 Leukozyten.
2 Fälle von Morbus Basedowii ebenfalls mit starken nervösen
Beschwerden :
84 Proz. Hämoglobin, und 58 Proz. Hämoglobin,
4 475 000 Erythrozyten 4 350 000 Erythrozyten
4 800 Leukozyten, 6 400 Leukozyten.
Einige nervöse Mädchen mit sehr gesteigerter Erregbarkeit,
lebhaftem Farbenwechsel, grosser Unruhe etc. ergaben ähnliche Be¬
funde wie:
85 Proz. Hämoglobin,
4 475 000 Erythrozyten,
6 800 Leukozyten.
Ein abgearbeiteter, durch wenig Schlaf, unhygienische Lebens¬
weise nervös stark heruntergekommener Mann: sehr labile Stim¬
mung:
104 Proz. Hämoglobin,
5 225 000 Erythrozyten,
5 900 Leukozyten.
Ein Mediziner, der schon von Jugend auf stark unter nervösen
Beschwerden zu leiden hat und namentlich in letzter Zeit infolge
angestrengter Arbeit sehr zu Klagen Anlass findet. Er ist unruhig,
meist deprimierter Stimmung, sehr leicht erregbar und schläft sehr
schlecht. Kein körperlicher Befund:
93 Proz. Hämoglobin,
5 125 000 Erythrozyten,
4 100 Leukozyten.
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1589
Paftientin W., die auf die Frage nach ihrem Befinden stets mit
unruhigen Qeberden lang und hastig von ihren Leiden erzählt, wobei
sie unruhig im Bett hin und herrückt, deren Beschwerden aber ledig¬
lich auf nervöser Basis beruhen, wie Ziehen im Rücken und im Leibe,
Stechen in der Brust (ohne jeden Befund) zeigt:
91 Proz. Hämoglobin,
4 225 000 Erythrozyten,
6 900 Leukozyten.
Es folgen wieder eine Reihe von Patientinnen, wie ich sie oben
beschrieben habe, die man gemeinhin als Hysterische zu bezeichnen
pflegt, mit ähnlichem Befund wie Marie L. :
84 Proz. Hämoglobin,
4 650 000 Erythrozyten,
4 700 Leukozyten.
2 Patienten von „neurasthenischem“ Typus, ähnlich dem Pa¬
tienten I von Q o e 1 1:
90 Proz. Hämoglobin und 78 Proz. Hämoglobin
5 125 000 Erythrozyten 5 075 000 Erythrozyten
4 100 Leukozyten 4 300 Leukozyten.
Und ein weiterer Patient, der durch körperliche Ueberanstren-
gung, unhygienischen Lebenswandel, alkoholische und sexuelle Ex¬
zesse sehr heruntergekommen und stark an nervösen Beschwerden
zu leiden hat:
83 Proz. Hämoglobin,
5 025 000 Erythrozyten,
5 300 Leukozyten.
Ich möchte die übrigen Fälle, die ich untersucht habe, nicht
anführen. Ich habe im ganzen über 50 Patienten und Patien¬
tinnen untersucht; ich würde die genannten Befunde nur
wiederholen.
Solange in der Goettschen Arbeit das Missverhältnis
zwischen Hämoglobin und Erythrozyten nicht klargestellt ist,
hat es eigentlich wenig Wert, darüber zu reden. Vielleicht er¬
gibt sich dann alles von selbst. Das einzige, was ich fest-
stellen kann, ist, dass die Psyche allerdings indirekt einen
Einfluss hat auf die Blutzusammensetzung dadurch, dass der
Gefässstatus von ihr abhängt. Ein normaler Mensch, der mit
Ruhe oder nur geringer Erregung sich den Einstich machen
lässt, zeigt wohl tatsächliche Resultate. Ein Nervöser,
welcher an sich schon auf alle Eindrücke von aussen her viel
ausgiebiger reagiert, wird diesen Untersuchungen auch mehr
Unruhe und Erregung entgegenbringen (daher die Bezeichnung
„reizbare Schwäche“ oder der Vergleich von Engelmann,
dass das System der vom Sympathikus innervierten Organe
einem Musikinstrument gleicht, welches sehr leicht anspricht,
aber auch bei grösster Inanspruchnahme verhältnismässig zu
wenig Ton gibt). Wo ich etwas derartiges konstatieren konnte,
habe ich stets eine Gefässkontraktion gefunden und somit eine
Vermehrung der Körperchen u n d des Hämoglobingehaltes.
Mir scheinen in der G o e 1 1 sehen Arbeit die Hämoglobinwerte
schon richtig, weil da selbst eine Vermehrung infolge
Gefässkontraktionen stattgefunden haben kann und in der Tat
glaube ich, dass der Ausdruck für einen Schrecken, wie ihn die
Manipulationen der Blutuntersuchung den Nervösen verur¬
sachen, eher eine Gefässverengerung als eine -erweiterung
ist — wie das ja auch meine 2 Fälle beweisen, die ich oben als
erste angeführt habe. Um es zu wiederholen: In 2 Fällen fand
ich einen aussergewöhnlich hohen Gehalt an Blutkörperchen
lind Hämoglobin infolge starker Gefässkontraktion bedingt
durch hochgradige Erregung. Die G o e 1 1 sehen Resultate
kann ich nicht bestätigen.
Zur Behandlung des Delirium tremens.
Von Prof. Aufrecht in Magdeburg.
Die Mitteilung Eichelbergs in No. 20 dieser Wochen¬
schrift veranlasst mich, auf meinen im Jahre 1890 auf der Natur¬
forscherversammlung zu Bremen gehaltenen, in den Verhandlungen
der Gesellschaft (Abteilungssitzungen, II. Teil, pag. 219) in extenso
mitgeteilten Vortrag zurückzukommen, nicht nur, weil ich dort zuerst
an einem ausreichend grossen Material nachgewiesen habe, dass die
Verabfolgung von Alkohol bei der Behandlung des unkomplizierten
Delirium tremens gänzlich unterlassen werden kann, sondern auch
darum, weil ich es für einen therapeutischen Verlust ansehen würde,
wenn das gegen dieses Leiden von mir empfohlene Chlorallwdrat in
der von mir geübten Anwendungsweise aufgegeben würde.
Wie Eichelberg aus dem allgemeinen Krankenhause Ham¬
burg-Eppendorf berichtet, wird dort von jeder spezifischen Behand¬
lung abgesehen; „denn weder von der. verschiedentlich vorgeschla¬
genen Schlafmitteln noch von den empfohlenen hydrotherapeutischen
Massnahmen ist ein Erfolg beobachtet worden. Im Gegenteil, es
machte den Eindruck, dass hierdurch nur noch die Herzkraft ge¬
schwächt wird. Das hauptsächliche Augenmerk wird auf die Er¬
haltung und Stärkung der Herzkraft gerichtet; sobald der Puls
schlechter wurde, ist von den verschiedenartigen Exzitantien Digitalis,
Strophanthus, Kampher, Kaffee reichlich Gebrauch gemacht worden.“
Von den letztgenannten Mitteln aber habe ich bei unkomplizierten
Fällen überhaupt keinen Gebrauch machen müssen, wesentlich darum,
weil bei der von mir empfohlenen Behandlungsmethode die hoch¬
gradige körperliche und geistige Erregung beträchtlich herabgemin¬
dert wird. Dass aber eine so andauernde Erregung, wie sie durch das
Delirium der Potatoren verursacht wird, an und für sich imstande ist
die Herzkraft herabzusetzen, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen.
Immerhin muss in erster Linie für die Berechtigung zu thera¬
peutischem Vorgehen gegen das Delirium tremens der Erfolg mass¬
gebend sein. Von Eichelbergs 1053 Fällen ohne Komplikationen
sind 15 gestorben, also 1,42 Proz. (nicht wie angegeben ist 1 Proz.).
Von meinen an der angegebenen Stelle aufgezählten 294 Fällen da¬
gegen 10, also 3,4 Proz. Ich habe aber daselbst hinzugefügt: „4 von
diesen 10 starben dm Jahre 1885, in welchem nur 22 Delirium-tremens-
Fälle aufgenommen worden sind“. In diesem Jahre aber war auf
anderweitige Empfehlung hin, bei Reduzierung der Dosis des Chloral-
hydrats auf die Hälfte oder zwei Drittel, jedem Gramm Chloral-
hydrat 1 cg Morphium hinzugesetzt worden. Für mich unterliegt es
keinem Zweifel, dass diese Kombination zu den ungünstigen Resul¬
taten geführt hat. Rechne ich dieses eine Jahr (22 Fälle mit 4 Todes¬
fällen) ab, dann habe ich unter 272 Fällen nur 6 Todesfälle, also
2,2 Proz. zu beklagen. Auch diese stammen aus früheren Jahren.
Vom 1. Januar 1887 bis zum 3. März 1890 sind bei möglichst sorg¬
fältiger Berücksichtigung aller sonstigen hygienischen Bedingungen
124 unkomplizierte Fälle ohne einen ungünstigen Ausgang behandelt
worden.
Ich kann auch nicht umhin, auf einen besonderen Umstand bei
der Beurteilung der günstigen Erfolge Eichelbergs hinzuweisen.
Er sagt, dass die Deliranten nach Möglichkeit im Bett im gemein¬
samen Wachsaale gehalten worden sind. Ich habe unter meinen
Kranken keinen einzigen gehabt, dessen tobsuchtähnlicher Zustand
nicht wenigstens während der Nacht eine Isolierung unbedingt er¬
forderlich gemacht hätte. Von einem Verbleib im Bett war keine
Rede.
Wenn es hiernach berechtigt erscheinen dürfte, die Frage noch
nicht als entschieden anzusehen, ob die Unterlassung jeglicher medi¬
kamentöser Behandlung begründet ist, sprechen gegen eine solche
Unterlassung recht unzweideutig die Fälle, welche mit Pneumonie
kompliziert waren. Von 173 mit Pneumonie komplizierten Fällen star¬
ben nach Eichelbergs Angabe 58, d. i. 33 Proz.
Diesen Zahlen gegenüber sind die von mir berichteten Resultate
doch weit günstigere. In meinem Werke1): „Die Lungenentzün¬
dungen“ hatte ich mitgeteilt, dass unter den vom Jahre 1880 bis zum
1. April 1896 behandelten 1501 Fällen 80 mit Delirium tremens kom¬
pliziert waren. Im Anschluss hieran hatte ferner mein damaliger
Assistenzarzt Dr. P e t z o 1 d 2) über die weiteren bis zum 1. Okto¬
ber 1901 unter meiner Leitung behandelten 261 Fälle berichtet, bei
welchen 21 mal Delirium tremens vorkam; also trat diese Krankheit
bei insgesamt 1762 Fällen 101 mal, d. i. in 5,7 Proz. der Fälle auf.
Von meinen 80 Fällen starben 22, von den 21 Fällen Petzolds 5,
also 27 von 101 Fällen, d. i. 26,7 Proz. Dabei bemerkt Petzold
noch besonders, dass von den letzten 10 gleichzeitig mit Chinininjek¬
tionen 3) und Chloralhydrat behandelten Fällen nur einer gestorben ist.
Ziehen wir in Betracht, dass meine Angaben über die Erfolge bei
unkompliziertem Delirium tremens über einen Zeitraum von 10 Jahren,
bei Delirium tremens im Gefolge von Pneumonie über einen Zeitraum
von 21 Jahren sich erstrecken und dass erst in den letzten Berichts¬
jahren die von mir eingehaltene Behandlungsmethode genau durch¬
geführt worden ist — wie das einerseits die Misserfolge bei der Be¬
handlung des reinen Delirium tremens im Jahre 1885, andererseits die
guten Erfolge bei den in den letzten Berichtsjahren 1887 bis 1890 be ■
handelten 124 Patienten mit reinem Delirium tremens, sowie die Er¬
folge bei den von P e t z o 1 d beschriebenen 10 im Anschluss an
Pneumonie aufgeführten Fällen erweisen — so dürfte doch ein direk¬
tes therapeutisches Eingreifen gegen dieses Delirium unbedingt zu
empfehlen sein.
Da ich bis jetzt keine Veranlassung gehabt habe, von meinen in
dem erwähnten Vortrage empfohlenen therapeutischen Massnahmen
abzugehen, teile ich die wesentlichen Gesichtspunkte in Kürze mit.
*) Nothnagels Pathologie und Therapie, 1894, Bd. XIV, Teil 1.
2) Petzold: Die Behandlung der kruppösen Pneumonien.
D. Archiv f. klin. Med. 1901, Bd. 70, p. 373.
3) Bezüglich der Anwendung der Chinininjektionen bei Pneu¬
monie verweise ich auf mein angegebenes Werk über die Lungen¬
entzündungen, sowie auf die Arbeit Petzolds und füge hier nur
die Bemerkung hinzu, dass ich seit jenen Publikationen zur Verringe¬
rung der zu injizierenden Quantität nicht mehr die einfache Lösung
von Chininum hydrochloricum in Wasser (1:34), sondern eine
Mischung von Chin. hydrochloricum 1,0, Urethan 0,5, Aqu. dest. ad
10,0 verwende, in welcher sich das Chinin in Lösung erhält oder
beim Ausfallen nach mehrtägigem Stehen während kälterer Jahres¬
zeit, durch leichtes Erwärmen sich wieder klar löst.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
ioyu
Die an unkompliziertem Delirium tremens Leidenden, welche
meist bei ihrer Aufnahme auf 'der Höhe der Krankheit angelangt sind,
werden, wenn eine andere Unterbringung nicht möglich ist, tags¬
über mit unheilbaren Geisteskranken zusammen untergebracht und
dürfen ihrer durch die Gesichtshalluzinationen angeregten Beschäfti¬
gung nachgehen. Von irgend welchen Zwangsmitteln ist selbstver¬
ständlich keine Rede. Nur wenn ihre Gesichtshalluzinationen schreck¬
hafter Natur sind und auf diese Weise Tobsuchtsanfälle ausgelöst
werden, müssen sie sofort in Isolierzellen gebracht werden.
Abends erhält nun jeder halbwegs robuste Patient, nachdem er
isoliert worden ist, 4 g Chloralhydrat, die in je 15 g Syr. simpl. und
Syr. cort. aur. aufgelöst sind, wodurch der kratzende Geschmack im
Pharynx auf ein Minimum reduziert wird. Bisweilen, doch kommt
dies nicht häufig vor, tritt schon in der ersten Nacht Ruhe und Schlaf
ein, in anderen Fällen bleibt der Schlaf noch aus, die Patienten sind
nur etwas ruhiger als vorher. Am nächsten Morgen können sie recht
oft unter die anderen Kranken gebracht werden, bisweilen müssen
sie isoliert bleiben. Nur in überaus seltenen Fällen erhalten sie mor¬
gens, wenn die Unruhe eine allzu hochgradige tobsuchtähnliche ist,
2 — 3 g Chloralhydrat, sonst tut man am besten, sie bei Tage ruhig
delirieren zu lassen. Ist auch am Morgen dieses Mittel nötig, dann
tritt damit noch keine rechte Ruhe ein, wohl aber, wenn sie am
zweiten Abend wiederum 4 g erhalten haben. Zum wenigsten lässt
sich am nächsten Morgen, also nach 48 ständigem Aufenthalte im
Krankenhause, ein stundenlanger ruhiger Schlaf erwarten, wenn er
eben bis dahin nicht eingetreten ist. Der Anfall ist dann als absolut
geheilt zu betrachten. In einer recht geringen Zahl von Fällen be¬
darf es 3 Abende nacheinander der genannten Dosis von 4 g. Länger
als 3 mal 24 Stunden habe ich den Anfall nie dauern sehen. Dies
ist der späteste Termin, mit welchem die Rekonvaleszenz beginnt. Es
bedarf dann des Chloralhydrats nicht mehr, nur in sehr seltenen Fällen
werden, wenn abends der Eintritt .des Schlafes sich verzögert, noch
1 — 2 Abende je 2 g Chloralhydrat verabfolgt. Die Rekonvaleszenz
ist regelmässig eine gute und durch keinen Zufall unterbrochen. Nie¬
mals habe ich von der solchergestalt gehandhabten Anwendung des
Chloralhydrats irgend eine nachteilige Folge gesehen.
Günstiger noch gestaltet sich der Erfolg in den Fällen, wo das
Delirium tremens zu einer Pneumonie, einem Erysipel, einer Lymph-
angitis oder zu einem Knochenbruch hinzutritt, vor allem, weil hier
die Krankheit schon in den ersten Anfängen beobachtet und behandelt
werden kann. Diese Patienten erhalten ausnahmslos abends 3 g
Chloralhydrat. Die Wirkung ist eher eine promptere zu nennen, als
bei den reinen Fällen. Fast stets tritt schon nach der ersten Dosis
Schlaf ein. An den nächsten Abenden wird die Gabe wiederholt.
Auch bezüglich der sonstigen roborierenden Behandlung ist von
mir ein Unterschied innegehalten worden zwischen den reinen un¬
komplizierten Fällen von Delirium tremens und solchen, wo zu einer
Pneumonie oder einer sonstigen akuten Krankheit erst im weiteren
Verlauf ein Delirium tremens hinzutritt. In diesen letzteren Fällen
macht die akute Krankheit an und für sich bei den meisten in das
Krankenhaus aufgenommenen, fast ausnahmslos dem Arbeiterstande
angehörigen Kranken eine roborierende Behandlungsweise erforder¬
lich, weil dieselben eine erstaunlich geringe Menge von Körperstoffen
für die Konsumption durch das Fieber mitbringen. Schon die ge¬
wöhnliche Wägung der diesem Stande angehörigen Menschen ergibt
zu jedermanns Ueberraschung, wie gering das Gesamtkörpergewicht
derselben gegenüber gleich grossen Menschen aus besseren Gesell¬
schaftsklassen ist. Um also bei solchen Menschen die Konsumption
möglichst hintanzuhalten, empfiehlt' sich mit dem Beginn der akuten
Krankheit die Verabfolgung von Alkoholizis. Sie erhalten täglich
esslöffelweise entweder 200 g Ungarwein oder 2 stündlich 1 Esslöffel
einer Mixtur, welche 30 Proz. eines 90 grädigen Alkohols enthält. In
neuerer Zeit habe ich letztere häufiger angewendet, nicht nur des ge¬
ringeren Preises wegen, sondern weil dieselbe von den Patienten
dem Ungarwein vorgezogen wird. Sie enthält 60 g Alkohol, 10 g
einfachen Syrup, je 1 g Tinctura amara und aromatica, 2 dg Aqu.
amygd. am. und destilliertes Wasser bis zum Gesamtgewicht von
200 g. Zur Dunkelfärbung wird etwas Sacch. tostum zugesetzt. Das
Ganze erhält die Signatur: Mixtura roborans.
Dagegen habe ich, abweichend von der vielfach geübten Methode,
in keinem Falle von reinem Delirium tremens Alkohol verabfolgt. Die
Patienten haben während ihres ganzen Aufenthaltes im Krankenhause
ohne Alkohol existiert und sie sind sehr gut ausgekommen. Wenn
sonst vielfach während des Delirium tremens Alkohol gegeben wird,
so liegt dieser Vornahme wesentlich ein gewisses Gefühl von Mitleid
zugrunde. Man glaubt, die Patienten entbehren in so hohem Grade
(.las ihnen gewohnte Getränk, dass sie physisch oder psychisch unter
der Entziehung leiden könnten. Dass aber eine solche Entbehrung
tatsächlich nicht besteht, bin ich durch meine in den letzten 10 Jahren
an den 294 Fällen gemachten Beobachtungen auf das bestimmteste
zu versichern in der Lage. Der Alkohol fehlt den Patienten so wenig,
dass sie in der 1 at, so lange sie im Krankenhause zu bleiben haben,
nicht einmal den Krankenwärtern den Wunsch danach aussprechen.
Ich habe auf diese Weise den überraschenden Unterschied zwischen
der Morphiumsucht und der Trunksucht festzustellen vermocht. Der
Moi phiumsüchtige krankt in jedem Sinne psychisch und physisch
durch eine plötzliche totale Entziehung des Morphiums. Der Trunk¬
süchtige leidet durch die Entziehung des Alkohols nicht.
Für mich war die Unterlassung der Alkoholverabfolgung eigent¬
lich von vornherein nur darauf begründet, dass ich gar keine Indika¬
tion für die Anwendung desselben finden konnte. Vor allem hatte ich
mich nie überzeugen können, dass die Entziehung des Alkohols, wie
manche meinen, den Ausbruch der Krankheit bedingt oder wenigstens
begünstigt.
Einerseits hatten nachweislich solche Gewohnheitstrinker, welche
wegen eines unkomplizierten Delirium tremens in das Krankenhaus
gebracht worden waren, bis zum Beginn ihres Deliriums regelmässig
Alkohol zu sich genommen, andererseits hatten ja Patienten, welche
wegen Pneumonie oder schweren Erysipels in das Krankenhaus auf¬
genommen waren, fast immer Alkoholika erhalten, ohne dass bei
Gewohnheitstrinkern der Ausbruch des Delirium tremens verhütet
worden wäre.
Sodann habe ich mit sehr seltenen Ausnahmen während des
akuten Stadiums des Delirium tremens nicht diejenige Indikation für
Verabfolgung von Alkoholizis resp. Exzitantien gesehen, wie sie für
akute fieberhafte Krankheiten vorhanden war. Und als ich erst bei
grösserer Bereicherung meiner Erfahrung bei den Kranken durch
Fortlassung des Alkohols weder eine Schädigung noch eine Ent¬
behrung konstatieren konnte, habe ich dabei besonders die Möglich¬
keit ins Auge gefasst, den Genesenen auch fernerhin die Enthaltung
vom Alkoholgenuss oder wenigstens eine Einschränkung desselben
als leicht durchführbar zu erweisen. Dem einen oder anderen ist
sicherlich daraus Nutzen hervorgegangen, der wohl nicht gering an¬
zuschlagen ist.
Aus der Universitäts-Augenklinik in Zürich (Direktor: Prof.
O. H a a b).
Ein neuer Apparat zur Bestimmung der Viskosität des
Blutes.
Von Dr. med. Walter Hess, Assistenten.
Auf der Milchglasplatte H sind zwei graduierte Glasröhrchen,
A und B, befestigt, welche einerends durch das Rohr G unter sich
und durch den Schlauch K mit dem Gummiballon L in Verbindung
stehen; anderends sind an dieselben je ein Glasröhrchen C und D von
sehr feiner Oeffnung, sogen. Glaskapillaren, angeschlossen. Diese
letzteren münden wiederum in E und F, Glasröhrchen vom Kaliber
der erstgenannten A und B Das Röhrchen F, das, an H angestossen.
durch die Feder N in seiner Lage gehalten wird, ist wegnehmbar und
kann durch ein anderes der in der Mehrzahl vorhandenen, metrisch
gleichen Röhrchen ersetzt werden. Durch Hahnen O ist die Mög¬
lichkeit geboten, die Kommunikation B mit G und damit auch mit dem
Ballon L aufzuheben.
Die Röhrchen A und B sind vor ihrer Einmündung in das Rohr
G rechtwinklig abgebogen, so dass sie, wie auch der Schlauch K.
von oben herab in G einmünden.
Zwischen Schlauch K und Gummiballon L ist ein Glasrohr V ein¬
geschaltet, dessen Inneres mit der Aussenluft durch das Loch P
kommuniziert.
Die Platte H ist in einem Etui befestigt, welches ausserdem das
Zubehör, nämlich eine grösser Anzahl mit F metrisch gleicher Er¬
satzröhrchen, Leinwandläppchen, ein Fläschchen Ammoniak und ein
Thermometer enthält. Die Dimensionen des Etuis sind 27 : 9 : 6 cm.
Die Untersuchung mit dem beschriebenen Apparat gestaltet sich
folgendermassen:
In den Röhren B, C und E liegt eine zusammenhängende
Wassersäule, und zwar so, dass ihr linkes Ende beim Nullpunkt der
Skala liegt. (Vergl. Skizze.)
Bevor das abnehmbare, nur durch die Feder N in seiner Lage
gehaltene Röhrchen F in die skizzierte Lage gekommen, also an D
angestossen ist, wurde es mit einem Bluttropfen in Berührung ge¬
bracht, welcher infolge der Kapillarität in dasselbe eingetreten. Beim
Ansaugen mittelst des Ballons L tritt die Blutsäule durch die Kapillare
D hindurch in die Pipette A hinein. Ist dieselbe bis zum Nullpunkt
angefüllt (wie es in der Skizze der Fall), so wird der Hahnen O senk¬
recht gestellt, d. h. geöffnet; bei dem nunmehr erneut erfolgen¬
den Ansaugen füllt sich B mit dem aus E stammenden, durch C
zufliessenden Wasser, während gleichzeitig durch den ganz analogen
Vorgang Blut in A einströmt. Sobald dasselbe bei der Marke 1
angelangt ist, unterbricht man die Saugwirkung des Ballons, so dass
Blut und Wasser stille stehen.
Die Menge des in das Röhrchen B eingeflossenen Wassers, welche
an der Skala abgelesen wird, zeigt an, wie sich die Viskosität der
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1591
untersuchten Blutprobe zu der des Wassers verhält, also direkt
die relative Viskosität.
Durch Pressen. des Ballons L werden Wasser und Blut wieder
zurückgetrieben. Ist ersteres wieder beim Nullpunkt angelangt,
schliesst man den Hahnen 0, so dass das Wasser in dieser Lage fixiert
bleibt, und entleert nun durch erneuten Druck das Blut vollständig
aus A und Q.
Das Röhrchen F wird weggenommen und bei dem nächsten Ver¬
such durch ein frisches ersetzt. Durch zweimaliges Einsaugen von
Ammoniak wird D und A ausgespült, und der Apparat ist wieder
versuchsbereit.
Die Röhrchen F werden ausgespült und in Ammoniak liegen ge¬
lassen. Wenn eine grössere Anzahl bei einander sind, trocknet man
sie auf einem erhitzten Blech oder Drahtnetz. Die Reinigung der
Röhrchen F kann man sich auch ersparen, da der Wert derselben
nur wenige Pfennige beträgt.
Der Druck wird mittelst des Ballons dadurch erzeugt, dass man
mit einem Finger das Loch P verschliesst und dabei den Ballon
presst.
Ansaugend wirkt er dann, wenn man erst nach erfolgtem Pressen
P verschliesst und dann die Pressung aufhebt.
Bei Freilassen des Loches P hört Druck oder Saugwirkung des
Ballons sofort auf.
Ist eine Blutprobe sehr dickflüssig, so wird sie nur bis zur
Marke Vz oder angesaugt; die abgelesenen Werte mit 2 oder 4
multipliziert, stellen dann die gesuchten Viskositätswerte dar.
Kontrollversuche an Flüssigkeit mit bekannter Viskosität ergeben
eine Genauigkeit des Apparates von 1 — 2 Proz.
Vz Minute nach Auffangen des eben ausgetretenen Bluttropfens
kann der gesuchte Wert abgelesen werden; nach einer
weiteren Minute ist der Apparat wieder versuchsbereit.
Der Einfluss der Versuchstemperatur drückt sich nach meinen
experimentellen Untersuchungen dadurch aus, dass mit dem Steigen
derselben um 1° der Viskositätswert um 0,8 Proz. abnimmt. Ver¬
suche, welche bei den gewöhnlich vorkommenden Temperaturen
ausgeführt worden sind, verursachen daher einen Fehler von ca.
4 Proz., der im Verhältnis zu den zur Beobachtung gelangenden indi¬
viduellen Schwankungen vernachlässigt werden kann. Eine Kor¬
rektion des abgelesenen Wertes ist deshalb über¬
haupt nur bei stärkeren Temperaturabweichungen
nötig.
Die mathematische Begründung des angewandten Prinzipes findet
sich in meiner Arbeit: Viskosität des Blutes und Herzarbeit (Viertel¬
jahrschrift der Zürch. Nat. Gesch., Jhg., 51, 1906).
Im übrigen verweise ich auf die demnächst in dieser Zeitschrift
erscheinende Arbeit.
(Der beschriebene Apparat ist zu beziehen durch die Firma;
J. G. Cramer, Glasbläserei, Spiegelgasse 7, Zürich I.)
Eine Verbesserung der Durchleuchtungsblende speziell
für die Zwecke der Magenuntersuchung.
Von Dr. med. B. Wiesner und Ingenieur Friedrich
Dessauer - Aschaffenburg.
Im Jahre 1903 veröffentlichten wir in dieser Wochenschrift
No. 32 unter dem Titel; „Ueber einen Fortschritt im Durchleuchtungs¬
verfahren“ eine Konstruktion, die in der Zwischenzeit hundertfältige
Anwendung in der Praxis erfahren hat. Sie ibetraf eine Durch¬
leuchtungsblende, die ein sehr rationelles Absuchen des Körpers,
speziell des Thorax und eine zuverlässige Anpassung der Blenden¬
öffnung an die Grösse des zu durchleuchtenden Gebietes gestattete.
Die Anwendung des Blendenverfahrens in der inneren Medizin
war damals noch neu. Holzknecht hat systematisch als Erster
in seinem Werk: „Die röntgenologische Diagnostik der Erkrankungen
der Brusteingeweide“ die Anwendung des Blendenverfahrens durch¬
geführt. Unsere damals veröffentlichte Konstruktion Hess eine gleich-
massige Bewegung des Blendenkörpers, der Röhre und des Durch¬
leuchtungsschirmes zu, die alle starr miteinander verbunden waren.
Die Blendenebene erhielt eine mit Hilfe einer Iris verstellbare Aper¬
tur. Das Licht der Röhre war durch Tuchklappen allseitig abgehalten.
Der. Patient wurde durch Armstützen fixiert. Eine Zeitlang darauf
haben wir diesen Apparat zum Orthodiagraphen ausgebaut. (Ver¬
gleiche unseren Aufsatz in No. 21, 1904 dieser Zeitschrift.)
Der nachstehend wiedergegebene Apparat (Figur) stellt einen
neuen Ausbau dieses Instrumentes dar. Seitdem Holzknecht,
Rieder u. a. mit Erfolg die Magenuntersuchung dem Röntgen¬
gebiete einverleibt haben, schien es wünschenswert, die gleichzeitige
Beweglichkeit von Röhre, Schirm und Blende auch in der hori¬
zontalen Richtung zu ermöglichen. Es ist an und für sich nicht
schwer, wird aber sofort konstruktiv ziemlich schwierig, wenn inan
eine neuere Forderung hinreichend zu erfüllen bestrebt ist, nämlich
den Schutz des Untersuchers vor X-Strahlung. Diesen genügenden
Schutz berücksichtigen die meisten Konstruktionen zu wenig. Bei
einigen ist die Blendenebene so klein, dass der Untersucher seitlich
von Strahlen getroffen wird, ibei anderen ist er bei der Verstellung
der Blende gezwungen, die Hände der Strahlung auszusetzen.
Führt man die Blendenebene hinreichend gross und undurchlässig
aus, so wird sie sehr schwer. Dennoch kann man bei der vor¬
liegenden Konstruktion die horizontale und .die vertikale Bewegung
von Blende, Röhre und Leuchtschirm leicht bewerkstelligen. Die
Vertikalbewegung ist sorgfältig ausbalanziert, die Horizontalbewe¬
gung dadurch erleichtert, dass der grosse Körper der Blendenebene
auf 4 Rädern, die in 2 Paaren übereinander angeordnet sind, hängend
läuft.
Bei der Untersuchung wird zunächst die Röhre so eingespannt,
dass die Antikathode dem Zentrum der Iris gegenüber liegt. Nach¬
dem der Patient mit Hilfe der Armstützen fixiert ist, wird der Leucht-
schinn ihm möglichst genähert, festgespannt und eventuell, wenn
man Zeichnungen machen will, mit Pauspapier bedeckt. Während
der Untersuchung hat man nur den Leuchtschirm nach rechts und
links, nach oben und unten zu bewegen. Blende und Röhre machen
diese Bewegung von selbst mit. Will man aber trotzdem — und
bei der Schwere der zu bewegenden Masse mag das Vorkommen —
mit der freien Hand nachhelfen, so kann man ungescheut an der
Blendenplatte selbst zugreifen, weil die Hand dennoch geschützt
bleibt.
Ein Kreuz von Bleidraht, das in der Irisblende eingestellt wer¬
den kann, dient dazu, die bei der Untersuchung des Magens auf¬
gefundenen wichtigsten Punkte grob orthodiagraphisch auf die Haut
oder Glasplatte aufzeichnen zu können. Man hat einfach den Kreu¬
zungspunkt ’des Bleidrahtkreuzes mit den gefundenen Punkten ^uf
dem Leuchtschirm zur Deckung zu bringen und kann dieselben dann
auf der Haut oder auf der dem Leuchtschirm aufgelegten Glasplatte
markieren.
Das Wesentliche und die Untersuchung sehr Fördernde ist dabei,
dass Röhre, Blende und Schirm in jeder Stellung bleiben, also
nie festgehalten zu werden brauchen. Man kann also jeden Moment
beide Hände frei haben, wie das ja auch schon bei unserem ersten
Modell der Fall war.
Selbstverständlich kann auch diese Vorrichtung orthodia¬
graphisch eingerichtet werden. Durch die Grösse der Blenden¬
ebene, die leichte Verstellbarkeit der Apertur (Iris) und die reichliche
Abdämmung allenfallsigen Seitenlichtes gewährleistet die Vorrich¬
tung eine sehr scharfe und detailreiche Durchleuchtung. Die direkte
Beobachtung des Hüftgelenkes auf dem Leuchtschirm, die wir in der
erstzitierten Arbeit zuerst dargestellt hatten, gelingt mit ganz leich¬
ter Mühe. .
Das Instrument wird gebaut von den Vereinigten Elektrotech¬
nischen Instituten Frankfurt-Aschaffenburg in Aschaffenburg.
Erwähnt sei noch, dass wir diese Konstruktion auf Vorschlag
des Herrn Dr. G ü n z b u r g - Frankfurt a. M. ausführten.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aerztliches und Nichtärztliches von einer Sommerreise
durch das Mittelmeer nach dem Orient.
Von Dr. Otto N e u s t ä 1 1 e r.
hine Fahrt von Genua entlang der Küste Italiens, hinein
m die herrliche Bucht von Neapel, vorüber an I s c h i a, P r o c i d a,
Stromboli und dann durch die. Strasse von Messina, wo Del¬
phine das Schiff umtanzen, vorüber an den farbenreichen, in einen
v eichen, purpurnen Duft getauchten, kahlen, zementfarbenen Bergen
der griechischen Halbinsel, vorüber an den klassischen
Statten von Salamis und Aegina nach dem Zentrum alter
griechischer Kultur, dem heute noch in Ruinen imposanten Athen,
und dann hinüber nach dem üppigen Kleinasien, nach Smyrna mit
dem schimmernden, weit hinauf ansteigenden Häusermeer in der
prächtigen, bergumgiirteten Bucht und schliesslich an Mi ty lene
vorbei nach dem H e 1 1 e s p o n t und der Königin der Städte: Kon¬
stantinopel in unvergleichlicher Umgebung, überreich an alten
und neuen prächtigen Bauten, ein Wunder an Formen und Farben,
diese Fahrt als die schönste, kulturgeschichtlich interessanteste, wei¬
teste historische Gebiete erschliessende Reise zu bezeichnen, die einem
in kurzen Ferienwochen zu besuchen durch günstige Fahrgelegen¬
heit jetzt ermöglicht ist, das wird nicht auf viel Widerspruch stossen.
Aber wenn man hört, dass jemand diese Reise nicht etwa machen
will — wie dies ja gewiss sehr schön wäre — , um in nebeligen
Herbsttagen nochmals Sonne und Wärme zu geniessen, oder dem
rauhen Winter zu entfliehen, oder die Nasskälte unseres Frühlings
zu vei meiden, sondern, dass er sie mitten in der warmen Jahreszeit
zu unternehmen gedenkt, so wird dies ein bedenkliches Schütteln
des Kopfes verursachen. Ja in den erstaunten Blicken vermöchte
man unschwer einen anachronistischen Gedanken zu lesen, einen Ge¬
danken, der der Sonne eine Wirkung auf das Gehirn zuschreibt, die
sich doch höchstens auf oder nach der Reise äussern könnte. Es
sei denn, dass schon der Gedanke an die vermeintlich zerrüttende
Sonnenhitze telepathisch das arme Gehirn verbrennen könnte Als
skeptischer Naturwissenschaftler wird man indes solche Gedanken¬
wirkung entschieden zurückweisen. Und es ist auch kein Grund zu
den angedeuteten Befürchtungen vorhanden. Man braucht nicht ein¬
mal wie der kohlpechrabenschwarze Mohr einen „Sonnenschirm“
für das Gehirn, ein Strohhut genügt. Auch die Gesundheit leidet
mclii, im Gegenteil, die Wirkung einer solchen Sommerreise ist eine
belebende, erfrischende, ja sie hat, von den Schönheiten der Natur da
unten ganz abgesehen, mancherlei Vorzüge vor einer Reise in Ge¬
genden, wo man sich wegen der grundlos so merkwürdig gefürch¬
teten Sonnenhitze lieber im Sommer hinzuwenden pflegt. Freilich,
wenn man nach einigen regnerischen, kühlen Tagen auf unserer Hoch¬
ebene die hahrt nach Genua direkt zurücklegt, so empfindet man
zunächst den Temperaturkontrast sehr ausgesprochen. Dazu trägt
auch die Ermüdung von der 20stündigen Fahrt und die einge-
scnlossene Lage Genuas mit bei. Nach 2 — 3 Tagen aber, während
deren man die Strahlen der Sonne als unbehaglich sengend auf Haut
und Kopf spürt, wo der Schweiss heiss von der Stirne rinnt und
man am liebsten alle Kleider abwerfen würde und wo sich nament-
. h Regen Abend ein gewaltiger — aber ach so schöner — Durst
einstellt, ist die Akklimatisation vollzogen. Wenn das nicht der Fall
ist dann spielt sicher der Alkoholgenuss eine Rolle. Ich erinnere
mich meiner ersten Südlandreise im Sommer, wo ich dem Wasser
ü- Lraute: *ran^ Wein oder Wein mit Wasser und empfand
die Hitze viel ausgesprochener, namentlich auch nachts. Man kann
also durch Einschränken oder Weglassen des Wein- oder Bier¬
genusses viel zum eigenen Behagen beitragen. Den „schönen Durst“
braucht man deshalb nicht zu vernachlässigen: ich weiss das Hoch¬
gefühl seiner Stillung sehr wohl zu schätzen: Mit einer der zahl-
reichen Fruchtlimonaden, oder einem gelato, oder einer granita, oder
kühlenden Früchten den lechzenden Gaumen zu erfrischen. Diesen
Genuss der Erfrischung kann man aber auch haben, ohne Alkohol zu
tunken, der einem gerade in der Wärme nur noch heisser und
schlaffer macht.
Auf dem Meere wird übrigens die Hitze nie unerträglich. Wenn
nicht gerade — was ein merkwürdiger Zufall wäre — der Wind
in gleicher Schnelligkeit von hinten her kommt, wie der Dampfer
vorwärts geht, fächelt einem der Luftzug immer Kühlung zu, und so
gelangt man zum vollen Genuss einer fortwährenden Reihe von
sonnigen schönen 1 agen, ohne dass sie schwer zu ertragen wären.
... 111 Kürze fängt man an ganz berückt zu werden von der sommer-
lichen Schonhert des Mittelmeeres. Da liegt man behaglich in seinem
Deckstuhl, die glänzende Helle erheitert das Gemüt. Der warme
Luitstrom umhüllt einen mit schmeichelnden Wogen. Tief dunkel
azurblau leuchtet das Meer. Stille ringsum. Nur unterbrochen von
dem einschläfernden Rauschen des anschlagenden Wassers. Da klin-
gen die Schwingungen der Nerven nach all der Hast des Arbeits-
-,ai! es endlich einmal aus und zur grössten Ueberraschung findet man
sich oft aus behaglichem Schlummer erwacht, wenn die Glocke
zum Mittagessen oder zum Souper läutet, oder der aufmerksame
Defc.K.ste0wart einen. sanft aufrüttelt mit der Frage: Tee oder Kaffee
gefällig? oder — ein Imbiss vor dem Zubettgehen?
Für Schlaflose könnte es wirklich keine bessere Gelegenheit
zur \ erbesserung ihres Zustandes geben, als so eine Fahrt Gestattet
doch die Temperatur, den ganzen Tag im Freien zu liegen, ja ganze
Nächte kann man ohne Befürchtung vor Erkältung im Freien schlafend
zu bringen, wenn man sich nur durch eine Decke gegen den morgens
fallenden Tau schützt.
Aber auch für allgemeine Nervosität, namentlich für solche Fälle
\yo Ruhe allein zu Depression und Grübelei führt, eignen sich diese
Fahrten im Mittelmeer vorzüglich. Einen, vielleicht zwei Tage ge-
messt man die grosse Stille der Meeresfahrt, unterbrochen durch
herrliche Ausblicke auf das stets nahe Land — die Strecke zwischen
der Strasse von Messina und Cap Malapan, wo man Land ganz
aus dem Gesicht verlor, ist jetzt durch die Fahrt durch den Busen
von Corinth ausgeschaltet — , am nächsten Tag winkt schon wieder
Abwechslung: die Möglichkeit, wieder ans Land zu gehen und an¬
regendste Eindrücke zu empfangen. Das sind Verhältnisse, wie man
sie nur bei Mittelmeerfahrten geniessen und als ideale Vereinigung
einer Ruhe- mit Zerstreuungskur bezeichnen kann.
Pt2!1- ^ann die Annehmlichkeit eines vorzüglichen Hotels. Denn
m e ^er Levantelinie, deren Passagierdienst jetzt vom
IN o rddeutschen Lloyd übernommen worden ist, selbst die
alteren, die Pera, mit der ich nach Konstantinopel und die vom
schwarzen Meer zurückkehrende Stambul, mit der ich 4 Tage danach
den gleichen Weg nach Marseille zurückfuhr, machen mit ihrer
tadellosen Reinlichkeit und ihrer bequemen Einrichtung die Reise zu
einem vollen Genuss, namentlich, wenn man bedenkt, wie wenig
oft für die Grundbedingung der Reinlichkeit in den Hotels da unten
gesorgt ist, und wie auf anderen Linien, selbst auf den guten Schiffen
oft dann zu wünschen übrig bleibt. Auch in 3. Klasse, wo die
Passagiere zu 6 und 8 Personen zusammen schlafen müssen, wo sie
aber auch Anteil an dem Promenadedeck haben und mit ihrer Be¬
köstigung fast gleich mit den Passagieren der ersten Klasse ge¬
stellt sind, herrscht soviel Reinlichkeit und Komfort, dass jungen
Leuten oder weniger anspruchsvollen, diese 3. Klasse — eine 2. gibt es
nicht — vollauf genügen wird, besonders wenn sich mehrere schon
von vornherein zusammenfinden, so dass sie nicht mit Fremden die
Kabine teilen müssen. Auf unserer Reise machten eine grössere
Zahl von Lehrern und eine Lehrerin, die alle nach Odessa An¬
stellung angenommen hatten, die Reise in der 3. Klasse mit. So
verbiingt man denn behaglich Tag für Tag an Deck kühl gekleidet in
oei schmeichelnden, warmen, bewegten Luft und erhöht sich noch den
Genuss, indem man der unbehaglichen Kälte gedenkt, die man auf ’
hoffnungsvoH, bei schönem Wetter angetretener Fahrt in nördlichen
Meeien zu ei leben bekommt und die einen, ach so oft, zwingt, den
Genuss dei herrlichen Luft sich stundenlang versagen zu müssen.
Aber am Lande? Brennt da nicht die Sonne mit fürchterlicher
Gl iji hei unter in dem schattenlosen Athen oder in Smyrna, wo die
melancholischen Zypressen nur strichförmig Schatten gewähren, wenn
man nicht gerade in das prächtige Wasser und schattenreiche Tal
des Josua hinter dem Berge gefahren ist, oder in Konstantinopel
mit den vielen steilen, beschwerlichen, steinigen, staubigen Strassen?
.l'n> behaglich warm wird es da einem gelegentlich wohl, aber dafür
gibt es dann wieder einen unbeschreiblichen Genuss: gegen Abend
leiss und staubig in die kühlenden Fluten des windbestrichenen
Meei es einzutauchen. Es gibt Menschen, die diese prächtige Ge¬
legenheit, ich möchte sagen zur tiefsten Erkenntnis der Freude am
Wasser, sich entgehen lassen! Nun, wen die tiefblauen Wogen des
Mittelmeeres an einem sonnigen glänzenden Tage nicht locken, den
hatten sich die armen Fischer der Sage als schützenden Begleiter
auswahlen sollen, die sich schon in die kühlenden Fluten nordischer
Flusse und Seen von holden Nixen haben hinabziehen lassen. Un¬
beschreiblich schön, ein ewig fesselndes Wunder der Natur ist dieses
tsiau. Als exakter Mediziner wird man sagen: Blau wie eine Kupfer-
Zuckerlosung. Als künstlerisch sehender Mensch wird man noch die
gewagtesten Farbenbekenntnisse matt dagegen erachten. Und in diesen
luten dann erst zu baden! Ich habe es nach Möglichkeit getan.
Zuerst schon benützte ich den Aufenthalt in Genua zu einem Bade-
äusf ug nach Nervi. Zwischen zackigen Felsenriffen über hellgrün
schillerndem Grunde, neben heissen Felsen im Anblick der prächtigen,
bergumrahmten Bucht schwamm ich hinaus in die goldene Abend-
sonne und hatte noch die Unterhaltung durch zwei der vielen dort
ansässigen deutschen Familien, die sich unverstanden glaubten. Dann
badete ich in Neapel in der Nähe der neuen aus früherem Gerümpel
entstehenden schönen Stadtteile bei St. Lucia, dem Sammelpunkt der
e eganten Welt am Abend, der badelustigen am Nachmittag. Dann
c! a* e 1 0 n> dem alten Hafen von Athen, mit samtig weichem
‘~andboden, moderner Badeanstalt, im Gegensatz zu vielen italieni¬
schen Badern streng geschieden für Männlein und Weiblein, im An¬
blick der Akropolis — und einigen der neuesten griechischen Kriegs¬
schule, umfächelt von herrlich duftendem frischen Bergwind aus
dem Hymettos, das schönste Bad vielleicht auf der ganzen Reise. In
ei herrlichen Bucht von Smyrna fand ich leider beim Hinweg nicht
die Zeit und auch beim zweiten Besuch auf der Rückreise war noch
so unendlich viel verlockendes und charakteristisches in Strassen
und Basaren zu sehen. Und dann war eine derartige Angewöhnung
an das Klima eingetreten, dass sich gar nicht mehr das intensive
edurfnis nach einem kühlen Bade einstellte. Schliesslich hatte
man ja immer die Aussicht auf das gewohnte Bad vor dem Abend-
tusch an Bord. Dann schwamm man noch im Bosporus. Einmal nahe
der Staat, wo die vorüberfahrenden Naphthaboote einen zarten Pe¬
troleumuberzug über das dunkelgrüne Wasser verbreitet hatten —
jcim ersten Anblick eine nicht verlockende Dreingabe, die sich aber
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHR1ET.
1593
gar nicht so störend und riechend erwies, wie ich gefürchtet — und
dann drüben bei Haidar Pascha auf dem asiatischen Ufer, der Stelle,
wo die deutsche Bagdadbahn mit ihren eleganten Wagen und Ma¬
schinen, die vorzüglichen, modernen mustergültigen, von deutschen
Ingenieuren errichteten Hafenanlagen und die schmucken, kleinen
Personendampfer aus Kiel, die den Verkehr mit Konstantinopel alle
30 Minuten vermitteln, uns Deutsche besonders freudig überraschen.
Das Wasser ist hier ähnlich wie in der Meerenge von Messina, sehr
frisch, fast etwas zu kühl; sonst hat das Mittelmeer natürlich eine
relativ hohe Temperatur, die aber bei der hohen Luftwärme noch
angenehm kontrastiert. Freilich auf den Schiffen freut man sich nicht,
wenn man Photographien entwickelt und das Wasser so warm ist,
dass es bei einigem Stehen schon Temperaturen annimmt, die die
Gelatine aufweichen. Selbst das liberalerweise zur Verfügung ge¬
stellte Eis nützt nicht lange und wer daher seine Photographien schon
unterwegs entwickeln will, was natürlich grossen Vorteil hat, dem
ist entschieden zu empfehlen, sich mit Fixiersalzzerstörer (ich hatte
den von den Bayerschen Farbenfabriken mit) auszurüsten, um das
Wässern möglichst abkürzen zu können. — So lässt sich eine Bade¬
kur ungezwungen mit der Reise vereinigen, entschieden mit eine
grosse Annehmlichkeit und von grossem gesundheitlichen Wert. Für
empfindliche Naturen, denen das Baden in unseren Breiten
nicht bekommt, weil sie immer einer gründlichen Vorwärmung und
des Aufenthaltes in behaglich warmer Luft nachher bedürfen, die
auch starke Temperaturdifferenzen im Wasser nicht vertragen, dürfte
gerade das Baden im Mittelmeer eine Erholung sein,
die noch viel zu wenig bekannt ist. Man fürchtet sich
eben immer vor der Hitze. Selbst an Land ist diese nicht halb so
unerträglich als bei uns, eine Erfahrung die von allen bestätigt wird,
die länger in warmen Ländern waren. Am besten aber vereint man
die Badetour mit einer solchen Fahrt. Da ist man auch noch der
Scherereien mit Hotels und der Unannehmlichkeit wegen Kost und
sonstiger ungewohnter Dinge im südlichen Leben, die ich nicht näher
zu nennen brauche, enthoben. Für reizbare und ruhebedürftige Na¬
turen ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil.
Da ich die Schiffe hier als schwimmende Hotels mit in Betracht
ziehe, so muss ich auch wohl noch mit ein paar Worten des Auf¬
enthaltes auf denselben gedenken. Es sind mittelgrosse Schiffe, von
ca. 3000—3500 Tonnen. Sie bieten Platz für etwa 50 Passagiere
1. Klasse. Die Kost ist ausserordentlich reichlich und bietet viel
Abwechslung. Das ist bedeutsam, gerade wenn man das Schiff als
Art Erholungsaufenthalt benützen will. Als einziger Mangel jwurde
es empfunden, dass dem Obst noch nicht jenes Verständnis entgegen-
gebracht wird, wie man es bei einer solchen Fahrt mitten durch die
üppigsten Obstländer wünschen möchte. Das wird ja wohl bald
besser werden, wenn die neu eingeführten Zahlmeister — auf der
Pera war schon einer installiert, ein prächtiger Münchener Lands¬
mann — erst die Einkaufsquellen und die Qualitäten einerseits, an¬
dererseits die Wünsche des Publikums genauer kennen gelernt haben.
Für die immer zahlreicher werdenden Freunde von alkoholfreien
Getränken wären auch noch Wünsche zu erfüllen. Zwar sind Mi¬
neralwasser zu haben, aber diese in grosser Auswahl mitzunehmen,
geht nicht an. Andererseits wäre es so leicht, einfach kohlen¬
saures Wasser herzustellen. Die Kohlensäure ist nämlich für den
Bierausschank vorhanden. Würde man dann noch einige der vor¬
züglichen Fruchtsäfte, die in Italien überall zu haben sind: Granat¬
äpfel, Orangen, Pfefferminz, Mandeln, dann eine Mischung von Mandel
und Melonensamen (Orzata), um nur einige der bei uns weniger be¬
kannten zu nennen, so wäre herrlich vorgesorgt. Es besteht die
sehr anerkennenswerte Massnahme, dass den Mannschaften kein Al¬
kohol gegeben werden darf. Aber andererseits ist nicht vorgesorgt,
dass sie kühle billige Ersatzgetränke haben können. Auch in dieser
Richtung ist die Herstellung von kohlensaurem Wasser erwünscht.
Erfreulich war es übrigens, zu sehen, dass der Alkoholkonsum der
Seeleute im grossen ganzen auch abzunehmen scheint. Es kam
wiederholt bei Tisch das Gespräch auf diese Frage und es war inte¬
ressant, zu hören, wie auch — natürlich mit individuellem Unter¬
schied — die Kapitäne und Offiziere sich mehr und mehr der Tem-
perenz, ja zeitweise voller Abstinenz zuneigen.
Immerhin bleibt der Unterschied auffallend zwischen den Trink¬
gewohnheiten der Nord- und Südländer. „Wenn ein Grieche oder
Italiener an der Tafel sitzt“, so erzählte man uns, „dann trinkt er
Flaschen Wasser leer“. Reisen dagegen Engländer oder Deutsche
oder Russen — so halten sich die mit gleicher, ja mit grösserer
Energie an Bier und Wein“.
Behält man diesen Unterschied im Auge, so fällt es einem
gar nicht mehr so besonders auf, wenn man in das Land der durch
Religionsgesetz vorgeschriebenen Alkoholabstinenz, in die 1 iirkei
kommt und da ausser in den europäischen Vierteln lauter „alkohol¬
freie“ Restaurants und Kaffeehäuser findet. Schade, dass man jene
Arbeiter nicht einmal alle dorthin schicken kann, die da immer sagen:
Ja, wer schwer arbeitet, der muss auch sein Bier oder seinen Wein
haben. Es gehört zu den auffallendsten Erscheinungen in der Tür¬
kei, welch enorme körperliche Leistungen von den Lastträgern,
Schiffern usw. dort vollbracht werden. Handkarren oder Lastwagen
gibt es z. B. in Konstantinopel nicht. Sie würden auch bei dem
elenden Strassenpflaster und den steilen Strassen kaum denkbar sein.
Die Lastenbeförderung geschieht auf dem Rücken von Pferden, Maul¬
tieren, Eseln — daneben zum grossen Teile auf menschlichen Rücken.
Da kann man verlumpte, alte, arme, hagere .Männer mit riesigen
Kisten, Ballen, Körben, Balken, ja mit vollen Kasten, die 2 — 3 mal
so hoch sind wie der Mann selbst, über die Strasse schreiten sehen.
Beim Zoll ist es Vorschrift, dass mehr als ein Träger erst bei Lasten
von über 80kg bezahlt zu werden braucht; so viel also schafft, gleichsam
als gesetzliche Norm, ein einzelner Lastträger. Wo es sich um
grössere Lasten handelt, da werden diese an 1 oder 2 lange am Ende ge¬
knotete Stangen gehängt, die 2 bezw. 4 Träger auf ihren Schultern
tragen. Nicht minder staunenerregend sind die Leistungen im Ru¬
dern, im Laufen. Im Hafen sieht man unglaublich grosse, schwer
beladene Schiffe, die von 2 oder 4 Leuten gerudert werden. So
schwer ist die Last, dass die Leute ihr Körpergewicht ausnützen
müssen, indem sie sich am Ruder hängend fallen lassen, um dann
immer wieder aufzustehen. Die Verleiher von Pferden laufen die
steilen und langen Berge hinauf neben dem trabenden Tiere her; bei
der freiwilligen Feuerwehr legen die Leute, von denen 4 während des
Rennens abwechselnd die Spritze auf den Schultern tragen, in schnell¬
stem Lauf %, % Stunden, oft noch mehr zurück. Diese Leute trin¬
ken niemals einen Tropfen Alkohol. Und wie wenig sie gar erst
essen, das übertrifft noch den bei uns als Muster der Bescheidenheit
bekannten Italiener. Einige Schnitten Melonen, etwas Trauben oder
Yaourt (Sauermilch), das genügt zur Stillung des Hungers und
Durstes. Auch Wasser trinken die Leute nicht viel, obgleich in Kon¬
stantinopel, namentlich durch die von dem jetzigen Sultan neu er¬
baute Wasserleitung, ganz vorzügliches Wasser zur Verfügung steht,
viel besseres als in Athen, dessen Wasser nicht als unbedenklich
gilt. Interessant ist es, wie um die Brunnen, namentlich gegen Abend
immer ein „Kampf ums Wasser“ entsteht. Man wird an Szenen beim
Salvator erinnert, wenn das Gerücht umgeht, der Quell beginne zu
versiegen. Die Brunnen sind umlagert von zahllosen Menschen mit
den merkwürdigsten Gefässen: Flaschen, Tonkrüge, Blechkannen, so,
wie wir sie für Oelfarben verwenden, Kupfergefässe usw. Bei einem
Teil der Brunnen ist es schwer, ausser mit kleinen Gefässen, an¬
zukommen; denn sie sind zum Schutz gegen Verunreinigung so
gebaut, dass der Wasserstrahl sich senkrecht von oben her in der
Mitte zwischen 4 von einer kleinen Kuppel gekrönten Säulen herab
ergiesst, und zwar nicht in ständigem Strahl — das würde zu viel
Verlust bedeuten — , sondern nur, wenn man gegen ein Ventil
drückt. Zwischen diese Säulen muss man mit dem Gefässe herein.
Natürlich sind nicht alle Brunnen so. Der Brunnen unseres Kaisers,
den er als Andenken an seinen Besuch zum Geschenke machte, ist
ein Kuppelbau, an dessen Sockel 8 Hähne Wasser spenden — —
würden, wenn nicht die Leitung schon längere Zeit in Unordnung und
sämtliche Hähne gestohlen wären!*) In den älteren Stadtteilen sieht
man auch die armen Teufel von Wasserträgern, die in ihren pyra¬
midenförmigen, starren, ledernen Wasserschläuchen das Wasser am
Brunnen sammeln und dann auf Mauleseln in die Häuser schaffen,
wo sie es dann gegen geringen Entgelt in die aufgestellten Eimer
füllen. Vielfach sind auch Brunnen eingerichtet ähnlich den Trink¬
hallen in Badeplätzen. Das Wasser ist von aussen nicht zugänglich,
sondern wird in Blechtassen durch die Gitter gereicht.
Doch zurück zu mehr ärztlichen Dingen! Es würde sich wirk¬
lich verlohnen, einmal genaue Stoffwechselversuche an den Leuten
da unten vorzunehmen. Ihre Ernährung mit Stoffen, die bei uns als
wenig nahrhaft gelten, und die geringen Quantitäten, die sie von den
meist vegetabilischen Nahrungsmitteln verzehren, würde lehrreiche
Aufschlüsse gerade auch in der Frage der Möglichkeit „vegetabili¬
scher“ Ernährung geben. Denn in den türkischen Garküchen sieht
man nur winzige Rationen von Hammelfleisch verzehren. Eine Por¬
tion umfasst etwa 6 — 8 Stückchen Fleisch von der Form und Grösse
unseres Würfelzuckers, die auf einen flachen kurzen Spiess auf¬
gesteckt sind und über Kohlenfeuer geröstet werden. Daneben ist
Reis, Fett und Zucker in den Hauptmahlzeiten relativ reichlich ver¬
treten. Der Kaffee wird von den Einheimischen fast immer stark
süss getrunken; auf der Strasse spielen neben den Früchten: Melonen.
Trauben, Feigen, MisDeln. hauptsächlich Kuchen verschiedener Art,
butterteigartig mit Hammelfett bereitete Fladen von gutem Ge¬
schmack. Zuckersachen, dann jenes merkwürdige, ringförmige, an
unsere Bretzeln erinnernde Gebäck und ähnliches eine Hauptrolle,
ferner ein aus Zuckermilchwasser und Reis hergestellter, flacher,
geleeartiger, zäher, aber auch sehr gut schmeckender, in drei- oder
viereckiger Form geschnittener Papp. Das berühmte Konfekt „Sul-
tanbrod“ (Lukumi) wird nur von der reicheren Bevölkerung,
namentlich von den Damen verzehrt. Es ist eine zähe, an unseren
Gummizucker erinnernde Masse mit verschiedenem Fruchtgeschmack,
die zur Vermeidung des Zusammenklebens mit feinstem Staubzucker
überstreut wird, und an der man längere Zeit die Freude des Kauens
und des vorzüglichen Geschmackes nach verschiedenen miteingekoch¬
ten Früchten haben kann. Die Zähigkeit wird durch Beigabe von
Mastix erreicht, der ja bekanntlich auch vielfach ohne Zusatz gekaut
wird, angeblich als vorzügliches Mittel zur Reinhaltung der Zähne.
Da man Zahnbürsten wenig kennt, so mag dieses Harz immerhin einen
gewissen Ersatz bilden. Ursprünglich eine bernsteinfarbige harzige
Masse, wird es während des Kauens zu einem weissen. zähen, un¬
durchsichtigen Papp und schmeckt fast, als ob man Harz kauen
würde. Auch verschiedene Körner und Kornfrüchte werden viel
*) Anmerkung bei der Korrektur: Jetzt soll er
wieder in Stand gesetzt sein.
io94
MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
gegessen: geröstete Erbsen, Melonen- und Pistazienkerne, Erdnüsse,
spanische Nüsse usw.
Die echte türkische Küche hatte ich Gelegenheit in einem der
Spitäler kennen zu lernen, allerdings — mit Ausnahme einer Schoten¬
frucht von der Form kleiner Gurken, die ich leider nicht benennen
kann, und die ich mit Tomaten verkocht versuchte — nur vom An¬
sehen. Auch in der Krankenkost spielen die Vegetabilien eine grosse
Rolle; dann gibt es allerdings auch Hammelfleisch und Geflügel,
weniger Kalb- oder Rindfleisch.
In Konstantinopel haben die sämtlichen europäischen Nationen
je ihr eigenes Hospital. Sie liegen alle in Pera auf dem Hügel
und es ist ein herrlicher Blick, der sich in vielen Krankenzimmern
hinaus auf das Meer und die Berge ergibt.
(Schluss folgt.)
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Aus den preussischen Aerztekammern.
Von Dr. Neuberger in Nürnberg.
Der vorliegende Bericht umfasst .die Jahre 1905 und 1906. Die
letzte Zusammenstellung über die Tätigkeit der preussischen Aerzte¬
kammern aus dem Jahre 1904 befindet sich in No. 25, 1905 dieser
Wochenschrift. Wenn ich somit die Verhandlungen zweier Jahre
zusammenfasse, so ist damit der Vorteil verbunden, dass die meisten
Fragen, die sämtliche Kammern beschäftigten, in gewissem Sinne
zum Abschluss gekommen sind. Es kann nämlich nicht geleugnet
werden, dass eine jährliche Berichterstattung manche Lücken dadurch
aufweist, dass das Kammermaterial von den einzelnen Kammern zeit¬
lich verschieden behandelt wird, so dass einzelne — und nicht die
unwichtigsten — Fragen oft von vielen Kammern noch gar nicht
erörtert wurden. Gewiss ist eine völlig einheitliche Behandlung in
sämtlichen Kammern unausführbar, manche Frage wird in dieser oder
jener Aerztekammer vertagt, dazu kommen die neuen Anträge, die
in den verschiedenen Kammern gestellt werden, immerhin dürfte doch
eine grössere Einheitlichkeit zu erzielen sein. Das sollte sich schon
daraus ergeben, dass bei den Beratungen im Aerztekammerausschuss,
welch letzterer doch vielfach sein zusammenfassendes Urteil gerade
auf der Grundlage der vorherigen Beschlüsse der Einzelkammern
über viele Anträge betätigen muss, sehr oft die Tatsache zu ver¬
zeichnen ist. dass diese oder jene Kammern mit der betreffenden
Materie sich noch gar nicht beschäftigt haben.
Für unsere Berichterstattung kommen 3 Sitzungen des Aerzte-
kammerausschusses in Betracht, die am 3. Dezember 1905, am
2. März 1906 und am 6. Januar 1907 stattfanden und verschiedene
bereits im vorigen Berichte erwähnte Beratungsgegenstände, wie d i e
Regelung der gegenseitigen Beziehungen der
preussischen Kammern hinsichtlich des Un¬
terstützungswesens, die Stellung der Gefängnis¬
ärzte, die Verbesserung der Stellungen der Bahn-
ii nd Bahnkassenärzte zum Abschlüsse oder zu erspriesslicher
Weiterentwicklung brachten.
Bezüglich • des Unterstützungswesens wird ein fünf¬
jähriges Provisorium beschlossen, eine Karenzzeit fällt fort, der Unter¬
stützungsbedürftige — Arzt, dessen Witwe und unmündige Kinder —
wird von der Kammer unterstützt, in der er bei Eintritt der Be¬
dürftigkeit wohnt, bei Verzug aus einem Kammerbezirk in einen an¬
deren unterstützt ersterer für den Zeitpunkt von 2 Jahren, dann über¬
nimmt der neue Kammerbezirk die Unterstützung, gegenseitige Be¬
aufsichtigung wird ebenso als Pflicht erachtet, wie die Mitteilung ein¬
getretener besserer Lebensverhältnisse des Unterstützten.
Die Stellung der Gefängnisärzte ist nach überein¬
stimmendem Urteil aller Kammern eine durchaus ungenügende. Die
Honorierung ist nur bei kleinen Gefängnissen eine entsprechende, bei
grossen Gefängnissen wird bis zu 60 Insassen in der Regel 4 Mk. pro
Kopf, darüber hinaus nur 2 Mk. bezahlt. Es wird beanstandet, dass
die Untersuchungen bei Aufnahme und Entlassung der Gefangenen,
ausführliche Gutachten, ausserordentliche Besuche ausserhalb der
Dienststunden etc., nicht besonders bewertet werden. Das sei ebenso
nötig wie eine Erhöhung des Pauschales bei entfernter Lage der An¬
stalt oder wenn mit der Anstalt eine Irren- oder grössere Kranken¬
abteilung verbunden ist. Ein angemessener Zuschuss zu den Ver¬
treterkosten sei bei längerer Krankheit und Urlaub nötig, der Arzt
müsse gegen Verletzungen, die in Ausübung des Berufes in der Anstalt
sich ereignet hätten, versichert werden, auch die Gewährung einer
Pension nach längerer Dienstzeit sei anzustreben. Der Aerztekammer-
ausschuss hat durch die Kammern einen einheitlichen Fragebogen zur
Eruierung der Lage der Gefängnisärzte versenden lassen, der Justiz-
minister war aber nicht entgegenkommend, so dass eine genaue Sta¬
tistik nicht möglich war. Immerhin genügten die Recherchen, um
obige Grundsätze aufzustellen, die von dem Vertreter der schlesischen
Kammer in einem zusammenfassenden Referate verwertet werden
sollen.
In der B a h n a r z t f r a g e erging sich der Kammerausschuss
zunächst in einer ausgiebigen Beratung des von dem Minister für
öffentliche Arbeiten aufgestellten Vertragsformulars für Aerzte und
Eisenbahndirektionen. Der Ausschuss erkannte die Verbesserungen
gegen früher durchaus an, hielt aber für ein neues Vertragsformular
noch mannigfache Aenderungen für notwendig. Als Familienange¬
hörige — um nur einige Punkte anzuführen — sollen Kinder und Stief¬
kinder gelten, die das 16. Lebensahr noch nicht überschritten haben
(nicht das 18. Jahr); ein unentgeltliches Beistehen für den be¬
nachbarten Bahnarzt, wie es im Vertragsformular steht, wird nicht
bedingungslos akzeptiert; anstatt dass der Bahnarzt den Auswurf
untersuchen muss, soll von ihm eine Untersuchung veranlasst wer¬
den; das vorher einzuholende Einverständnis der Eisenbahndirektion
bei Wohnungsänderungen soll dadurch .in eine mildere Fassung ge¬
kleidet werden, dass Wohnungsänderungen der Direktion rechtzeitig
anzuzeigen sind; auch soll der Arzt nicht „innerhalb seines Bezirkes,
und zwar möglichst in dessen Mitte wohnen müsse n“, sondern
im allgemeinen innerhalb der Grenzen seines Bezirkes wohnen; bei
länger dauernder Erkrankung des Bahnarztes sollen die Vertreter¬
kosten von der Direktion übernommen werden etc. etc. Dass die
Honorierungssätze einer zeitgemässen Abänderung — zumeist nach
den Beschlüssen der Elberfelder Aerztekommission — vom Ausschuss
unterstellt wurden, bedarf keiner besonderen Ausführung. Der Kam¬
merausschuss beschloss, in einer Denkschrift dem Verkehrsminister
durch eine Deputation diese Beschlüsse zur Benützung bei einem
neuen Vertragsformular unterbreiten zu lassen. Der Erfolg dieses
Beschlusses war nach den Angaben der Deputation resp. Kommission
— Hartmann, Herzau, Körner — durchaus befriedigend. Die
Besprechungen mit den Vertretern des Verkehrsministers führten zu
grossen Verbesserungen in den künftigen Bahn- und Bahnkassen¬
arztverträgen, sowie zur versuchsweisen Einführung — zunächst auf
die Dauer von 2 Jahren — der freien Arztwahl bei der Eisenbahn¬
betriebskrankenkasse in Frankfurt a. M. Der Kammerausschuss er¬
klärt es für notwendig, dass die Kommission auch weiterhin die er¬
forderlichen Verhandlungen führt und den Kammern von den bisheri¬
gen Ergebnissen in einem besonderen Berichte Mitteilung macht.
Einen grossen Spielraum nahmen die Vertragskommis¬
sionen in den Beratungen des Aerztekammerausschusses und der
Kammern ein. Obwohl die Resultate dieser Kommissionen, wie auch
bereits im vorigen Bericht hervorgehoben wurde, nicht unbefriedigend
waren, so waren doch die Ergebnisse in den verschiedenen Kam¬
merbezirken sehr variierend. Ein Zwang auf widerstrebende Aerzte
liess sich nicht ausüben, auch haben mancherorts (Westpreus-
sen, Hessen-Nassau etc.) die behördlichen Organe den Ver¬
tragskommissionen Hindernisse in den Weg gelegt. Das veranlasste
die Hannoversche Kammer, eine Förderung des Aus¬
baus der Vertragskommissionen durch die Re¬
gierung !zu beantragen. Gleichzeitig wurde, insbesondere durch
die Anregung Hartmanns - Hanau eine Denkschrift betr.
die einheitliche Organisation der Vertragskom¬
missionen ausgearbeitet und den Kammern zur Beschlussfassung
vorgelegt. Die Denkschrift enthält Bestimmungen betr.
Kammer- und Bezirksvertragskommissionen, wo¬
nach letzteren die Beurteilung und Genehmigung der Verträge zu¬
stehen sollte, während erstere wohl die Grundsätze für die Bezirks¬
vertragskommissionen aufzustellen, im übrigen aber als Berufungs¬
instanz zu gelten haben. Der Kammervorstand selbst ist zweite
Berufungsinstanz. Weiterhin enthält die Denkschrift allgemeine
und besondere Grundsätze für die Vertragskom¬
missionen zur Regelung des Verhältnisses der Aerzte zu den
Krankenkassen und eine Schutzbündniserklärung.
Die staatliche Anerkennung der Vertragskommissionen
wird von vielen Kammern abgelehnt, die Kammern von West¬
falen, Schleswig-Holstein, Pommern wünschen die
„Selbsthilfe“, Sachsen will bis zur gesetzlichen Regelung der
Krankenkassenfrage die Vertragskommissionen als „freie Institu¬
tionen“, die Kammer der Rheinprovinz und Hohenzollern
glaubt, dass die Regierung gar nicht darauf eingehen könne. Alle
diese Kammern lassen aber ihre Bedenken fallen — mit Ausnahme der
Rhein provinz — da der Kammerausschuss eine mündliche
Vorstellung beim Medizinalminister befürwortet, wo¬
bei nur bei einer Einheitlichkeit der Aerztekammerbeschlüsse ein
Erfolg staatlicherseits zu erwarten sei. Wenn nun auch bezüglich der
Einzelheiten der Denkschrift gewisse Vorbehalte und redaktionelle
Aenderungen von einzelnen Kammern, ebenso wie eine Streichung der
Schutzbündniserklärung — Sachsen — gemacht werden, so be-
schliesst der Kammerausschuss — trotz des ablehnenden Votums
der rheinischen Kammer — mit dem Minister in mündliche Ver¬
handlungen zu treten und dabei Einzelheiten zum Ausdruck zu
bringen.
Mit der Revision des Strafgesetzbuches beschäf¬
tigten sich unter Zuziehung der juristischen Berater der Ehrengerichte
sämtliche Aerztekammern. Eine Kommission der Brandenburg-
Berliner Kammer hat diese Materie sehr eingehend bearbeitet,
eine diesbezügliche Denkschrift erlassen und letztere der Kommission
des Bundesrates direkt überwiesen. Die Kammern schlossen sich im
grossen und ganzen den Ausführungen der Kammer von Berlin-
Brandenburg an und der Kammerausschuss hat das gesamte
Material der einzelnen Kammern dem Minister übermittelt. Es han¬
delt sich hauptsächlich um die Aenderung von Paragraphen, die
sich auf Körperverletzung, Verbrechen und Vergehen gegen das
Leben, Berufsverschwiegenheit und wissentliche Verletzung von
Absperrungsmassregeln beziehen. Eine Aenderung wird mit der
die ärztliche Tätigkeit erschwerenden Rechtsunsicherheit neben der
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1595
Schädigung der öffentlichen Gesundheit begründet. Es ist nicht an¬
hängig hier die einzelnen in Betracht kommenden Gesetzespara-
craphen und die Abänderungsvorschläge der Kammern anzuführen,
nur folgende Fassung möge Platz finden, wonach eine strafbare Hand¬
lung nicht zutrifft, wenn die Handlung von einem approbierten Arzte
in Ausübung seines Berufes innerhalb der Regeln der ärztlichen
Wissenschaft begangen wird und nicht in bewusstem Widerspruch
steht mit der freien Willensbestimmung desjenigen, an welchem die
Handlung begangen wird oder seines gesetzlichen Vertreters, und
wenn sie zur Rettung eines anderen aus einer gegenwärtigen, auf
ungefährlichere Weise nicht zu beseitigenden Gefahr für Leib oder
Leben bestimmt ist. Bezüglich der unbefugten Offenbarung von Pri¬
vatgeheimnissen — § 300 — soll die Mitteilung straflos bleiben, wenn
sie mit Genehmigung der anvertrauenden Person oder in Wahr¬
nehmung berechtigter Interessen erfolgt etc.
Der Antrag der sächsischen Kammer, den Medizinalminister
zu bitten, beim König die Leitung der wissenschaftlichen
Deputation für das Medizinal wesen durch ein ärzt¬
liches Mitglied derselben als Direktor und die Leitung der
Medizinal ab teilung des Ministeriums durch einen ärztlichen
Vortragenden Rat als Ministerialdirektor zu erwirken, sobald die jetzi¬
gen Inhaber dieser Stellen ausscheiden, wird von sämtlichen Kammern
akzeptiert und vom Ausschuss ausgeführt. Eine gleiche Anregung
war übrigens bereits im Jahre 1898 von seiten mehrerer Aerzte-
kammern und dem Ausschuss ergangen. Interessant ist, dass in der
Berlin-Brandenburger Kammer darauf aufmerksam ge¬
macht wird, dass trotz der alljährlich stattfindenden Wahlen seit
13 Jahren kein Kammermitglied zur Sitzung des Medizinalkollegiums
und seit 4 Jahren keines für die wissenschaftliche Deputation ein¬
berufen sei. ... •* r , , , , ,
Gemäss dem Anträge der rheinischen Kammer beratschlagten
Kammern und Ausschuss über die Verschmelzung der so¬
zialen Versicherungsgesetze. Auch hierüber herrschte
in fast allen Kammern Uebereinstimmung. Zumeist wurde die Ver¬
schmelzung der Kranken- und Invaliditätsversicherung für zweck¬
dienlich erachtet, nur Schlesien hielt sie für nicht dringlich und
zurzeit nicht einmal ratsam. Die Vorschläge bewegten sich in be¬
kannten Bahnen: gesetzliche freie Arztwahl, Honorierung der Ein¬
zelleitungen nach der Minimaltaxe, paritätische Einigungskommis¬
sionen, Berufungsinstanz mit unparteiischem Vorsitzenden, ärztlicher
Beirat im Kassenvorstande, Versicherungspflicht bis zur Einkommens¬
grenze von 2000 M., Ausbau der Krankenversicherung durch _ Ein¬
beziehung der Dienstboten, der landwirtschaftlichen, hausindustriellen
und unständigen Arbeiter. B e rlin -B r and e nb u r g will Be¬
seitigung der 13 wöchigen Karenzzeit bei der Unfallversicherung,
Schleswig-Holstein tritt für Errichtung von Lehrstühlen der
sozialen Medizin und Gewerbehygiene ein, Westpreussein for¬
dert bei Abänderung des Unfallversicherungsgesetzes, dass Unfall¬
rente und Lohn zusammen bei arbeitsfähigen Rentnern nicht höher
sein soll als der Lohn vor dem Unfälle, auch wünscht die gleiche
Kammer eine gesetzliche Fixierung des ärztlichen Sachverständigen¬
honorars für die Schiedsgerichtsverhandlungstermine. Die west¬
fälische Kammer beantragt, um die Anschauungen der gesamten
Aerzteschaft darzulegen, Verhandlungen über die Verschmelzung der
drei sozialen Gesetze auf dem deutschen Aerztetage. In diesem
Sinne fällt auch die Entscheidung des Kammerausschusses aus. Da¬
bei wird kn Sinne der Kammer von Hessen-Nassau der Mini¬
ster ersucht, für die Mitwirkung von Aerzten bei der -Vorberatung
Sorge treffen zu wollen. Die Kammer Berlin-Brandenburg
ist mit dem Beschlüsse des Ausschusses nicht einverstanden und
übergibt ihre Verhandlungen und Beschlüsse durch den Oberpräsi¬
denten dem Kultusminister, damit die preussische Regierung im Sinne
dieser Beschlüsse auf die deutsche Reichsregierung einzuwirken ver¬
möge.
Der- bereits im vorigen Berichte erwähnte Antrag der Kam¬
mer von Schleswig-Holstein: Beseitigung des
Selbst dispensierungsrechtes der Homöopathen
wird von allen Kammern und vom Ausschüsse gutgeheissen. Ber¬
lin-Brandenburg macht besonders darauf aufmerksam, dass
die Herstellung homöopathischer Medizin von seiten der Aerzte auf
unüberwindliche technische Schwierigkeiten stosse. Von manchen
Kammern wird auch hervorgehoben, dass mit der Aufhebung dieses
Sonderrechtes und der Bezeichnung -als Homöopath den homöo¬
pathisch ordinierenden Kollegen kein Hindernis mehr für den An¬
schluss an die Standesvereine im Wege stünde.
Ablehnung erfährt von den meisten Kammern und vom Aus¬
schüsse der Antrag Hannover: die Vertretung der prak¬
tischen Aerzte durch Praktikanten, mit der Motivierung,
dass die Aerzteschaft das praktische Jahr 'selbst verlangt habe und
der Antrag ungesetzlich sei. Ostpreussen hatte zum Antrag
keine Stellung genommen, da der Verband ostpreussischer Aerzte eine
dem Antrag der hannoverschen Kammer analoge Petition ein¬
gereicht hatte, deren Beantwortung abgewartet werden sollte.
Schleswig-Holstein war für den Antrag eingetreten, unter
Anerkennung der Schwierigkeit, Vertreter zu bekommen. In letzterer
Hinsicht wird in den Kammern Schlesien und Sachsen hervor¬
gehoben, -dass die Aerzte sich gegenseitig vertreten müssten.
Ebenso wird vom Ausschuss der Antrag der Aerztekammer
Leipzig auf Herausgabe einer Reichs-Hand ver¬
kauf staxe mit der Begründung abgelehnt, dass die Taxe einer
ständigen Aenderung wegen des raschen Wechsels des Einkaufs¬
preises der Handverkaufsartikel unterliege, und dass die staatliche
Taxe voraussichtlich höher als die der freien Vereinbarung über¬
lassene sei. Von den Kammern hatten nur Westfalen und
Schleswig-Holstein sich zustimmend verhalten.
Ueber Zusätze zur Gebührenordnung hat der Minister
die Kammern befragt. Dem Votum sämtlicher Kammern gemäss
beschloss der Kammerausschuss, dass Einspritzungen von
Heilmitteln direkt in eine Blutader ausser dem Betrag für das
Heilmittel mit 3 bis 20 M. und dass telephonische Beratung
im Hause des Arztes als Konsultation, beim Rufen des Arztes zu dem
öffentlichen Fernsprecher als Besuch zu honorieren ist.
Die Kammer Berlin-Brandenburg schlug vor, dass alle
Rezepte, die Morphin oder dessen Salze zur subkutanen Ein¬
spritzung enthalten, vom Apotheker zurückzubehalten und bei jeder
Revision vorzulegen seien und auch deutlich mit Namen und Wohnung
des Arztes versehen sein müssen. Auch sei Veronal unter die
stark wirkenden Drogen aufzunehmen. Letzterem Wunsche
entsprach der Minister, an den sich die Kammer direkt gewandt hatte;
hinsichtlich der anderen Anregung entschied der Minister, dass Re¬
zepte gesetzlich nicht zurückbehalten werden dürfen, dass die Apo¬
theker an und für sich bei stark wirkenden Rezepten die Unterschrift
prüfen müssen und dass die Aerzte selbst die verlangten Bedingungen
erfüllen könnten. Die meisten Kammern hatten sich der antrag¬
stellenden Kammer angeschlossen, Hessen-Nassau ersuchte den
Ausschuss, -an zuständiger Stelle dafür einzutreten, dass alle neuen
beim Menschen zu verwertende Präparate zunächst als starkwirkende
Arzneimittel zu betrachten seien, bis sie dem freien Verkehr über¬
geben würden. Der Ausschuss hielt durch den ministeriellen Be¬
scheid die Sache für erledigt.
Die wesentlichsten Beratungsvorlagen des Kammerausschusses
sind damit erörtert. Der Vollständigkeit halber soll noch angefügt
werden, dass betr. die Gebührenordnung für Medizinal¬
be amte der Abgeordnete Dr. Rügenberg vom Ausschuss mit
dem weiteren Eintreten in dieser Frage betraut wurde, wobei hervor¬
gehoben wurde, dass die Tierärzte in der vorbereiteten Gebühren¬
ordnung mehrfach besser gefahren seien als die Aerzte, ferner, dass
den Aerztinnen die gleichen Rechte und Pflichten
zustehen, wie den Aerzten, dass die An - und Abmeldungen
der Aerzte durch den Erlass von Polizeiverordnungen zu regeln
seien, dass die Kammerbeiträge gleichzeitig auszu¬
schreiben seien, dass die Vorsitzenden der Ehrengerichte in den
ehrengerichtlichen Urteilen die Vorstrafen der verurteilten
Aerzte aufführen sollen, dass durch Abänderung des § 8 der
Allerh. Verordnung vom 25. Mai 1887 die Wahlen durch Akklama¬
tion statt durch Stimmzettel vorgenommen werden dürfen. Schliess¬
lich soll nicht unerwähnt bleiben, dass von seiten der Berlin-
Brandenburger Kammer dem Ausschüsse in der Protokoll¬
führung, Bilanzaufstellung etc. Einwürfe zuteil wurden, die zu län¬
geren Erörterungen führten, wobei aber die sämtlichen Vertreter der
anderen Kammern die Beschwerden als unberechtigt zurückwiesen.
Die beschwerdeführende Kammer beklagt sich ferner über ihren ge¬
ringen Einfluss im Ausschüsse, der ihrer Grösse und Bedeutung nicht
entspräche, auch sei ihr Beitrag zum Ausschuss zu hoch. Auch mit
der Geschäftsführung des Aerztekammerausschusses ist
Berlin-Brandenburg nicht einverstanden, der Ausschuss habe
eine vorbereitende, die Beschlüsse sammelnde und an den Minister
übermittelnde Tätigkeit, diese habe der Ausschuss durch selbständige
Beschlüsse in der Bahnkassenfrage und durch Uebergabe -der Be¬
ratung der Verschmelzung der sozialen Gesetze an den Aerztevereins-
hund überschritten. Die Kammer bittet daher in einer Eingabe den
Minister, dass in Zukunft der Ausschuss sich strikt an seine Auf¬
gaben halten möge, dass durch ein ausführliches Protokoll ein klares
Bild der Verhandlungen des Ausschusses gegeben werde und dass er
in der Regel zweimal im Jahre zu bestimmter Zeit zusammentreten
möge, damit die Kammern rechtzeitig die vorher bekannt zu gebenden
Gegenstände beraten können. Was den letzteren Punkt anbetrifft, so
verweise ich auf meine diesen Bericht einleitenden Bemerkungen.
Ich bin der Ansicht, dass mit der Ein- und Durchführung der letzten
Anregung die Kammer- und Ausschussverhandlungen an Einheitlich¬
keit und Bedeutung wesentlich gewinnen würden.
Wenn ich nun zu den Verhandlungen übergehe, die in den ein¬
zelnen Kammern gepflogen wurden, so verdient zunächst die Stellung¬
nahme der Kammern zu -den Landesver siche r u ngs-
anst alten eine Würdigung. Die schon im vorigen Bericht er¬
wähnte Beschuldigung gegen -die Aerzte, dass sie vielfach scl*-chte
und ungenügende Atteste ausstellen, veranlasste in mehreren Kam¬
mern eine lebhafte Diskussion. Dabei wurde besonders betont, so
in den Kammern von Westfalen, Schlesien, Schleswig-
Holstein, dass die Honorierung der Atteste sehr zu wünschen
übrige Hesse und eine entsprechende Bezahlung auch bessere Zeug¬
nisse im Gefolge haben würde. Dass ein gegenseitiges friedliches
Zusammenarbeiten unbedingt erforderlich sei, konstatiert in beson¬
derem Masse Hannover und Hessen-Nassau; Os t -
preussen ersucht die Landesversicherungsanstalt, dass ihr Ubei-
vertrauensarzt unvollständige oder ungenügende Atteste an den Aus¬
steller zuriiekschickt; die Kammer von W e s t p r e us s e n, deren
Landesversicherungsanstalt mit der Anstellung von \ ertrauensaizten
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
1596
droht, falls nicht bessere Gutachten ausgestellt würden, will gegen
nachlässige Aerzte ehrengerichtlich vorgehen. In Pommern sind
Vertrauensärzte bei der Landesversicherungsanstalt angestellt; die
Anregung, von neuem Verhandlungen anzubahnen, wird als aus¬
sichtslos von der Kammer abgelehnt; in der Rheinprovinz wird
der Vertrag zum 1. April 1907 gekündigt, da die Anstalt nur 3 M.
Honorar zahlen will und die Aerzte Zuschusshonorar von Kranken
verlangen sollen; Schleswig-Holstein erzielt ein Abkommen,
wonach unter Ausschluss eines Zusatzhonorars von Rentenbewerbern
6 M. für ein Gutachten zugebilligt wird; Schlesien nimmt Rück¬
sicht auf die finanzielle Lage der Anstalt, sieht, um die freie Arztwahl
aufrechtzuerhalten, von der Forderung der Mindesttaxe ab und ge¬
nehmigt 6 M. für Gutachten ; Hessen-Nassau trifft ein 5 jähriges
Abkommen, wonach ein „weiteres“ Gutachten statt mit 3 M. mit 6 M.
honoriert wird. Hannover fordert eine Erhöhung, falls die Her¬
stellung des Attestes durch Aufsuchen des Rentenbewerbers in dessen
Wohnung erfolgen muss. Die meisten anderen Kammern führen er¬
folglose Verhandlungen mit der Landesversicherungsanstalt. Eine
einheitlichere Gestaltung der Verhältnisse zu den Anstalten wäre
meines Erachtens dringendes Bedürfnis.
Mit der landwirtschaftlichen Berufsgenossen¬
schaft haben Schlesien und Hessen-Nassau Verträge ab¬
geschlossen, Schlesien zu 5 M., Hessen -Nassau zu 6 M.
pro Gutachten. Auch Pommern hat erfolgreiche Verhandlungen
geführt.
Ostpreussen hat in Unfallsachen eine Beschwerde an den
Obenpräsidenten eingereicht, weil in 7 Kreisen kein Gutachten des
behandelnden Arztes eingeholt und somit der Begriff des „Hörens
des Arztes“ verletzt wird. Als Antwort erfolgt, dass die Kammer
nicht zuständig sei, nur durch Beschwerde des Unfallverletzten im
Einzelfalle sei eine Erledigung möglich.
Krankenkassen - Angelegenheiten spielten — ab¬
gesehen von der besonderen Tätigkeit der Vertragskommissionen in
dieser Beziehung — in den Kammerverhandlungen manche Rolle. In
der schlesischen Kammer wurde das Verhalten des Landrats
bei dem Streite mit der Ortskrankenkasse des Kreises Oh lau einer
scharfen Kritik unterzogen und das Nichteingreifen der Aufsichts¬
behörde trotz ungenügender Aerzteversorgung getadelt. Die Kammer
Hannover wandte sich beschwerdeführend an den Oberpräsi¬
denten gegen einen Landrat, der ohne Grund, um einen ansässigen
Arzt zu schädigen, einen zweiten Arzt zur Niederlassung veranlassen
wollte und deshalb sich an die Göttinger medizinische Fakultät ge¬
wandt hatte. Das Dekanat hatte die Zuschrift der Kammer über¬
geben. In Schleswig-Holstein kam es zu einem Konflikt mit
dem Kaiserl. Kanalamt und zur Sperre der Kanalarztstelle. Der Ver¬
such, Aerzte für Krankenkassen von Postunter beamten an¬
zustellen, führte in Hessen-Nassau zu einer Korrespondenz mit
der Frankfurter Oberpostdirektion. Auch andere Kammern beschäf¬
tigten sich mit dieser Angelegenheit und stellten als notwendige Be¬
dingung für solche Kassen die Einführung der freien Arztwahl, Be¬
zahlung der Einzelleistungen nach der Gebührenordnung etc. auf. Zu
einhelligen Beschlüssen kam es bezüglich des Antrags des deutsch-
nationalen Handlungsgehilfen tags über Aufstel¬
lung von Vertrauensärzten einzelner Firmen, wonach nur
in Gemeinschaft mit dem behandelnden Arzte eine Untersuchung
durch den Vertrauensarzt erfolgen dürfe.
Der Antrag der hannoverschen Kammer, dass das
Nie htvor legen von Kassen vertrügen gegen die
Standessitte verstosse, findet fast allgemeine Zustimmung.
Die Entwicklung der Unterstützungskassen der
Kammern macht zum Teil sehr erspriessliche Fortschritte. So hat die
Unterstützungskasse der Rheinprovinz anfangs 1907 ein Ver¬
mögen von 237 666 M„ W e s t f a 1 e n Ende 1906: 94 186 M., H e s s e n-
Nassau Ende 1906: 52000 M. Andere Kammern besitzen hin¬
gegen nur kleine Kapitalgrundstöcke ihrer Unterstützungskassen, so
ziJT Westpreussen: 10 800 M. (Ende 1906), Pommern:
1/ 789 M. (Ende 1906) [dazu kommt für Pommern die Runge¬
stiftung mit 36 909 M. Vermögen], Schlesien mit 20300 M. (Ende
1906). Nach einer Aeusserung in der westfälischen Kammer
hofft man im Jahre 1923 dort die Unterstützungskasse in eine Rechts¬
kasse umwandeln zu können, in der Rheinpro vinz hält man
diesen Zeitpunkt für noch nicht nahe; die Anregung, die Zahlung eines
Sterbegeldes aus dem Vermögen der Kammerkasse zu ermöglichen,
wird daher auch nicht weiter verfolgt, um den Zeitpunkt nicht noch
mehr hinauszuschieben. Hannover beschliesst die Bildung einer
Kommission behufs Gründung einer Zwangswitwenkasse, wie z. B.
im Königreich Sachsen, obzwar ein früher zu gleichem Zwecke ein¬
gesetzter Ausschuss kein positives Ergebnis zeitigen konnte. Von
Interesse scheint mir die Angabe zu sein, dass in der Provinz Hes-
sen-Nassau, die neben derjenigen der Kammer noch andere Unter¬
stützungskassen besitzt, nach Erklärungen in der Kammer über die
Verwendung des sogen. Pfeiffer sehen Unterstützungsfonds der
Kammervorstandschaft nichts bekannt ist. Das müsste abzuändern
sein, um etwaigen Ungleichheiten in der Gabenverwendung Vor¬
beugen zu können. Bemerkenswert ist auch, dass wegen der
Sterbekasse von Hessen-Nassau, die bei 167 Mitgliedern
einen Vermögensstand von 7769 M. besitzt, Verhandlungen mit der
Versicherungskasse der Aerzte Deutschlands zwecks Auflösung und
Uebergang in letztere beschlossen wurden.
Die von der Kommission des Aerztetages für das
ärztliche Unterstütz ungs- und Versicherungs¬
wese n gestellten Fragen hinsichtlich der Mitwirkung der
Kammer n wurden in verschiedenen Kammern einer Beratung
unterzogen. Pommern und Hessen-Nassau bejahen die
Fragen. Die örtlichen Einrichtungen betreffend Auskunftsstellen und
Beschäftigungsnachweisen etc. werden von den Kammern West¬
preussen, Schlesien, Westfalen für undurchführbar oder
als nicht Erfolg versprechend abgelehnt. Auch die Erzielung von Ver¬
günstigungen bei Versicherungen, Bädern, Badekuren etc. für alle
Aerzte wird verschieden beurteilt. Sachsen ist dafür, West¬
falen und Schlesien lehnen es ab.
Anregungen zu Aenderungen der Gebührenordnung
A und B ergingen von Hannover und Westfalen aus und
wurden in den einzelnen Kammern durch bestimmte Kommissionen
in Angriff genommen. Westfalen hält die gesamte Gebühren¬
ordnung für revisionsbedürftig und ersucht den Kammerausschuss, zur
Ausführung geeignete Schritte einzuleiten.
Die Kammern der Rheinprovinz, von Westfalen und
Hessen - Nassau haben zur Frage der Gründung von Aka¬
demien Stellung genommen, indem sie von der Errichtung weiterer
Akademien Abstand zu nehmen bitten, bis Erfahrungen über die
Kölner vorliegen, und bedauern, dass die Vertretung der Aerzteschaft
in dieser Angelegenheit nicht befragt wurde.
Die S p e z i a 1 a r z t f r a g e beschäftigte besonders die schles-
wig-holsteinsche Kammer. Die Bezeichnung : „praktischer
Arzt und Arzt für“ wurde kritisiert, eine Beschlussfassung aber aus¬
gesetzt, da der Aerztetag späterhin sein Votum abgeben würde. Die
Bezeichnung: „Spezialarzt für Zahn- und Mundkrankheiten“ ist nach
der Anschauung einzelner Kammern (Westpreussen, Han¬
no v e r) dem praktischen Arzt gestattet, der sich eine ausreichende
Vorbildung für dieses Fach erworben hat.
Der in der westfälischen Kammer eingebrachte Antrag
(von M ü 1 1 e r - Hagen), dass der Arzt sich nicht nach einer be¬
stimmten Heil m ethode bezeichnen dürfe (Naturarzt, Homöo¬
path etc.), dringt nicht durch, da der Kammer zur Durchführung
des Beschlusses keine Macht zur Seite stände.
Das fortgesetzte Annoncieren von Inhalatorien
wird in der Rh'einprovin;z und Westfalen für eine Ver¬
fehlung gegen die Standesehre betrachtet.
Hinsichtlich der Verleihung von Orden und Titeln
an Aerzte, die den ärztlichen Ehrengerichten unterstehen, soll
durch den Kammerausschuss auf Antrag der rheinischen Kam¬
mer nach Beschlussfassung der übrigen Kammern dahin gewirkt
werden, dass eine Befragung stattfindet, ob die zur Auszeichnung
vorgeschlagenen Aerzte eine ehrengerichtliche Verhandlung zu über¬
stehen hatten.
Ausschreitungen der in der Gemeindepflege
auf dem Lande beschäftigten Schwestern verur¬
sachte eine -umfangreiche Enquete der schlesischen Kammer,
deren Ergebnisse für den Regierungsbezirk Breslau — mit Ausnahme
der Stadt Breslau selbst — von P a r t s c h der Kammer unterbreitet
wurden. Dass die Krankenpflege auf dem Lande noch vielfach zu
Verbesserungen Anlass gäbe, wurde von vornherein zugestanden.
Die Resultate wiesen aber sehr schlimme Schäden auf. insbesondere
auf dem Gebiete der Kurpfuscherei. Die Kammer stellte bestimmte
Forderungen auf, die vorzugsweise darin gipfeln, dass die Kranken¬
pflegestationen einer Aufsicht durch den Kreisarzt zu unterstellen sind,
'die sich auf die Einrichtung der Station, die Dienstanweisung der
Schwestern, die Desinfektion der Gerätschaften, die Abgabe der Medi¬
kamente und den Befähigungsnachweis der Schwestern zu beziehen
habe. Die Tätigkeit der Schwestern habe sich auf die Pflege und die
erste Hilfe bei Notfällen zu beschränken, auch sollen sie, wenn ärzt¬
liche Beratung am dritten Tage nicht zugezogen wird, von der
Weiterpflege Abstand nehmen müssen. Als Medikamente dürfen nur
die Handverkaufsartikel von den Pflegerinnen abgegeben werden.
Sehr beachtenswert dürfte der Beschluss der Kammer von Ost¬
preussen sein, durch eine Kommission eine Broschüre: Was
muss der ostpreussische Arzt bei seiner Nieder¬
lassung von Standeseinrichtungen wissen? her-
stellen zu lassen. Die Kosten des Drucks will die Kammer über¬
nehmen.
Eine ganze Reihe von Anträgen : Die Wahl sachver¬
ständiger Aerzte für die Schiedsgerichte (Hessen-
Nassau), die Haftpflicht des Staates bei Beschädi¬
gung von ihm beauftragter Aerzte (Westpreussen),
E r 1 a s s einer Reichsmedizinalverordnung (Berlin-
Brandenburg), einheitliche Gestaltung dei Stan¬
desordnungen ider preussischen Aerztekammern
(Hessen-Nassau) etc. ist bisher nur von einem kleinen Teil
der Kammern in Erwägung gezogen worden, so dass es zwreckmässig
ist, über diese erst im nächstjährigen Bericht sich zu äussern.
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1597
Referate und Bücheranzeigen.
Kurt Ziegler: Experimentelle und klinische Unter¬
suchungen über die Histogenese der myeloiden Leukämie. Ver¬
lag von Q. Fischer, Jena 1906. 125 Seiten. Preis Mk. 4.50.
Durch die Untersuchungen Heinekes haben wir er¬
fahren, welche schädigenden Einflüsse die Röntgenstrahlen auf
verschiedene tierische Organe ausüben. Die Nachprüfungen
von Krause und Ziegler haben im grossen ganzen diese
Lehren bestätigt. Von Bedeutung für die später noch zu be¬
sprechenden Fragen war es, dass bei der Röntgen¬
bestrahlung der Milz allein das lymphatische Gewebe
dieses Organes zerstört wurde, während das Milz¬
stroma erhalten blieb. Ziegler hat diese Versuche
weiter fortgesetzt und erweitert und sich vor allem die
Aufgabe gestellt, festzulegen, welche späteren zelligen Ver¬
änderungen die Milz erfährt, und welche morphologische Zu¬
sammensetzung das Blut hierbei darbietet.
In erster Linie wurden die Experimente, über die in der
vorliegenden Habilitationsschrift berichtet wird, an Mäusen vor¬
genommen. Es wurden einmal die Milz und die Lymphknoten
der Gelenkbeugen, ferner die Milz allein, und in einer dritten
Versuchsreihe Milz und Knochenmark unter Ausschluss des Rip¬
penmarkes einer langdauernden Bestrahlung mit Röntgen¬
strahlen unterworfen. Ferner wurden bei zwei Meerschwein¬
chen und fünf Kaninchen die Milzen bestrahlt.
Die Befunde bei den Mäusen waren bei den verschiedenen
Versuchsanordnungen fast völlig gleiche. Das Blutbild wies in
der ersten Zeit nach der Bestrahlung einen rapiden Lympho¬
zytensturz auf. Ganz besonders auffällig aber war das Ver¬
halten der schon normalerweise zu durchschnittlich 9 Proz. im
Mäuseblute vorhandenen Myelozyten. In den ersten Tagen
trat eine geringe Verminderung dieser Elemente ein, die jedoch
bald von einer mehr oder minder starken Vermehrung, die oft
sehr hohe Werte zeigte, gefolgt war. Ausserdem führte dann
das Blut vereinzelte, kernhaltige Erythrozyten. Es entstand
also ein Blutbild, welches mit dem der myeloiden Leukämie
grosse Aehnlichkeit hatte. In einem Falle, der 83 Tage be¬
obachtet wurde, verschwanden jedoch schliesslich die hohen
Werte der Myelozyten, und allmählich bildete sich ein völlig
normales Blutbild wieder heraus.
Sehr bemerkenswert waren die histologischen Befunde an
der Milz, die in manchen Fällen eine hervorragende Vergrösse-
rung aufwies. Bei geringerer Strahlenschädigung war nur die
Peripherie der Milzfollikel vernichtet, und hier fanden sich nun
an Stelle der ursprünglichen, lymphozytären Elemente Myelo¬
zytenlager. Waren jedoch infolge der Bestrahlung die Follikel
anscheinend völlig zu gründe gegangen, so bot die gesamte Milz
ein fast völlig myeloides Aussehen dar. In diesen Fällen war
es ferner zu einer weitergehenden Wucherung der Myelozyten
gekommen, so dass die Milz bis auf das Doppelte ihrer normalen
Grösse angeschwollen war.
Zur Beurteilung der im vorstehenden skizzierten Verände¬
rungen ist natürlich die histologische Beschaffenheit des Kno¬
chenmarkes von ausschlaggebender Bedeutung. Ich habe die
einzelnen Notizen auf das peinlichste studiert und nebeneinan¬
dergestellt: ausser der am ungeschützten Knochenmarke ein¬
getretenen Rarefikation zeigen sämtliche Fälle abgesehen von
einigen, in denen reichlich Leukozyten vorhanden waren, ein
ganz normales Verhalten. Nirgends ist aus den Beschrei¬
bungen irgendwie ersichtlich, dass eine über die Norm hinaus¬
gehende Vermehrung der Myelozyten hätte konstatiert werden
können. Ja, in vielen Fällen ist in den Protokollen ausdrücklich
vermerkt, dass das Mark normale Verhältnisse dargeboten
habe.
Aus den im Vorstehenden wiedergegebenen Befunden zieht
der Verfasser folgende Schlüsse, von denen die hauptsächlich
in Betracht kommenden hier wörtlich wiedergegeben werden
sollen. „Durch die Bestrahlung mit Röntgenstrahlen verfällt
der follikuläre Apparat der Milz in mehr oder minder grossem
Masse der Nekrose. Nach kurzer vorübergehender entzünd¬
licher Leukozytose kommt es zu einer andauernd hochgradigen
Verminderung der Lymphozytenzahl und ferner konstant nach
einigen Tagen zu einem vermehrten Auftreten mononukleärer
myeloider Zellen, sowie vereinzelter kernhaltiger roter Blut¬
körperchen. Man gewinnt den Eindruck einer überhasteten
Produktionstätigkeit des Knochenmarkes, welche zur Aus¬
schwemmung normal nicht vorhandener oder nur in geringer
Zahl vertretener Zellen in das Blut führt. Zu gleicher Zeit lagern
sich nun in das verödete Milzgewebe diese pathologisch ver¬
mehrten Zellformen ein. Myelämischer Blutbefund, Knochen¬
markshyperplasie und totale myeloide Umwandlung der Milz
mit Vergrösserung des Organs berechtigen, hier von einer
akuten myeloiden Leukämie zu sprechen. Diese Verhältnisse
weisen mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass zwi¬
schen Milz und Knochenmark gewisse zelluläre Gleichgewichts¬
verhältnisse bestehen, deren Störung zu ungunsten der Milz
hyperplastische Vorgänge im Knochenmark verursacht. Da zu
gleicher Zeit das Milzstroma gute Wachstumsbedingungen auch
für das myeloide Gewebe bietet, so kann es sekundär zur An-
siedlung und üppigen Vermehrung dieser Zellen in der Milz und
schliesslich zur Ausschwemmung von hier aus in die Blut¬
bahn kommen. Man muss also einen gewissen Antagonismus
zwischen Lymphozyt und Myelozyt wenigstens in Milz und
Knochenmark annehmen, welcher die Erhaltung normaler zellu¬
lärer Blutbeschaffenheit bedingt.“
Die Experimente an Meerschweinchen und Kaninchen
zeigten im Wesentlichen die gleichen Ergebnisse wie bei den
Mäusen. Auch die histologischen Befunde an Milz und Kno¬
chenmark wäre” völlig identische. Leider liegt hier keine lange
genug andauernde Beobachtung dafür vor, ob auch bei diesen
Tieren schliesslich die Myelozyten wieder aus dem Blute ver¬
schwinden, und eine normale Blutbeschaffenheit wieder eintritt.
Auf die Schilderung der in der Arbeit zum Schlüsse be¬
schriebenen menschlichen Leukämiefälle werde ich nicht näher
eingehen, da mir vor allem der experimentelle Abschnitt der
Monographie von Wichtigkeit zu sein scheint. Einer be¬
sonderen Beachtung bedürfen jedoch die Ziegler sehen
Schlussfolgerungen, die er aus dem von ihm experimentell und
klinisch bearbeiteten Materiale zieht.
Danach ist seiner Ansicht nach zur Entstehung der
myeloiden Leukämie erforderlich : „1. eine Schä¬
digung der Milz, welche zu einem Verlust oder zu funk¬
tionellem Versagen der follikulären Apparate führt, ohne dass
jedoch Stroma und Gefässanordnungen wesentliche Verän¬
derungen erleiden. Diese Veränderungen sind, gleichviel auf
welche Weise sie entstanden, die Bedingung für das Zustande¬
kommen der Erkrankung. Diese besteht 2. in myeloider
Reaktion des Knochenmarks, d. h. vermehrter
Produktion und Ausschwemmung einkerniger
proliferationsfähiger Zellen; 3. Einlagerung
dieser Zellen in das verödete Milzgewebe und
ungehemmtes Wachstum derselben unter gleich¬
zeitiger Hyperplasie des Knochenmarks; 4.
Ueberschwemmung des Blutes mit myeloiden
Zellen aus Milz und Knochenmark (Leukämie);
5. sekundäre Organveränderungen event. -Bildungen tumor¬
artiger Markzellenherde“.
Es ist mir nicht klar geworden, wie Ziegler zu diesen
Anschauungen auf Grund seiner Experimente hat kommen
können. Ich habe oben schon hervorgehoben, dass auf Grund
der Notizen über die histologische Beschaffenheit des Knochen¬
markes in den einzelnen Fällen niemals von einer be¬
sonderen Hyperplasie, einer myeloiden Re¬
aktion, geschweige denn leukämischen Be¬
schaffenheit gesprochen werden kann. Damit
ist natürlich auch die Hypothese hinfällig, dass eine
bestimmte Korrelation zwischen Milz u n d K n o-
chenmark bestehe. Besonders aber muss die noch
weitergehende Schlussfolgerung Zieglers zurückgewiesen
werden, dass aus einer Störung dieser zellulären Gleich¬
gewichtsverhältnisse — in diesem Falle zu ungunsten der Milz
— eine Leukämie entstehen solle. Hier ist vor allem die Frage
aufzuwerfen: handelt es sich bei den an den Tieren erhobenen
Befunden überhaupt um Leukämie? In der Arbeit wird ein Fall,
der genügend lange beobachtet wurde, erwähnt, bei dem das
Blutbild zum Schlüsse wieder ein völlig nor-
m ales wurde. Diese Tatsache aber bedeutet
einen f u n d a m e n t a 1 e n Unterschied zwischen
diesen Blutveränderungen und der Leukämie.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Und ferner : Dass bei den Ziegler sehen Versuchen
keine myeloische Leukämie vorliegt, geht
mit Bestimmtheit allein schon daraus hervor,
dass bei keiner Beobachtung von einer 1 e u -
Kä mischen Beschaffenheit des Knochen¬
markes die Rede sein kann. Eine myeloide
Leukämie ohne spezifische Knochenmarks¬
veränderung gibt es aber bekanntlich über¬
haupt nicht.
In der gleichen Weise ist auch der allerdings rein hypo¬
thetische Gedanke Zieglers abzulehnen, dass auch bei
der lymphatischen Leukämie eine p r i m ä r e Schä¬
digung des Knochenmarks die auslösende Ur¬
sache sei. Ich kann gleich an dieser Stelle einen schlagenden
Beweis gegen eine derartige Ansicht anführen. Vor einiger
Zeit habe ich einen Fall von typischer lymphatischer Leukämie
beobachtet. Hier war das gesamte Knochenmark ab¬
solut intakt und nur allein das lymphatische
Gewebe des übrigen Körpers leukämisch ver¬
ändert. Das beweist, glaube ich, genug oder alles gegen die
Ziegler sehe Anschauung.
Meiner Ansicht nach sind die interessanten Versuche
Zieglers in ganz anderer Weise auszulegen und bedeuten
für eine andere Lehre einen sehr bedeutungsvollen Fortschritt.
Sie bringen meines Erachtens nämlich den besten Beweis dafür,
dass auch bei der myeloiden Leukämie die
■myeloide Umwandlung der Milzautochthon
aus präexistierendem myeloiden Gewebe ge¬
schieht und nicht zurückgeführt werden darf auf aus dem
Knochenmarke stammende, in die Milz eingewanderte Zellen.
Dafür spricht in evidenter Weise die schon mehrfach hervor¬
gehobene Tatsache, dass bei den Z i e g 1 e r sehen Experi¬
menten das Knochenmark niemals leukämisch
verändert war.
Was Ziegler durch seine Untersuchungen festgelegt
hat, sind die bemerkenswerten Tatsachen, dass auf die
Einwirkung der Röntgenstrahlen hin der
lymphatische Teil des M i 1 z p a r e n c h y m s
zu gründe geht, und daraufhin eine myeloide
Substitution statt hat, und ferner, dass durch
diese Ueberschussbildung an myelozytären Ele¬
menten eine mehr oder minder starke Ueber-
schwemmung des Blutes mit Myelozyten ein-
tritt. Soweit es der eine obenerwähnte, genügende Zeit hin¬
durch beobachtete Fall beweist, verschwinden diese weit über
die Norm vermehrten Myelozyten endlich aber wieder voll¬
ständig aus dem Blute. Da wir, wie ich das dargelegt habe,
keine Leukämie in dieser Blutveränderung erblicken dürfen,
so wird es angebracht sein, für derartige, wie man wohl an¬
nehmen darf, vorübergehende Veränderungen des Blutbildes
den Namen Myelozytosen zu gebrauchen.
Ich habe geglaubt, die Ziegler sehe Arbeit besonders
ausführlich besprechen zu müssen, einmal weil ich die von
Ziegler gefundenen Tatsachen für sehr wertvoll und als
Grundlage einer neuen Forschungsrichtung erachte und zwei¬
tens, weil ich der Ansicht bin, dass jedoch die aus diesen Be¬
funden gezogenen Schlüsse und Lehren irrige sind und ver¬
wirrend wirken können. Deshalb habe ich auch eine ein¬
gehende Kritik für nötig gehalten.
' _ ‘ S c h r i d d e - Freiburg.
i
Dr. Hugo Schulz, ord. Professor und Geheimer Medi¬
zinalrat: Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der un¬
organischen Arzneistoffe für Studierende und Aerzte. Leipzig
1907. Verlag von G. T h i e m e. Preis 8 Mark.
Vorliegendes Buch, das in Form von Vorlesungen ge¬
schrieben ist, bringt, wie im Vorworte mitgeteilt ist, in etwas
erweiterter Gestalt das, was Verfasser seit 24 Jahren im Kolleg
vorzutragen pflegt. Es soll vor allem die Kenntnisse vermitteln,
die der praktische Arzt am Krankenbett benötigt.
Ausführlicher ist auf die erste Vorlesung einzugehen, da sie
den Leser über die eigenartigen Schulz sehen Anschauungen
über Arzneiwirkung orientiert: Dieselbe beruht stets in einer
Reizung. Die Erstwirkung jeglichen Reizes ist das Auftreten
stärkerer Blutfüllung und diese zeitigt Heilerfolge genau so,
wie Bier bewiesen hat, dass künstlich erzeugte Hyperämie
krankhaft hyperämische Organe zur Heilung bringen kann.
Somit muss der Arzt vor allem wissen, welcher Arzneistoff ge¬
rade für ein bestimmtes Organ das beste Reizmittel ist. Die
Kenntnis der Arzneimittelwirkung muss dem Arzte ermög¬
lichen, den Reiz an eine bestimmte Stelle des Organismus zu
dirigieren. Die Bier sehen Arbeiten führt Schulz als Be¬
weis für die Richtigkeit des . leitenden Grundgedankens der
Hahnemann sehen Schule an : Similia similibus curentur.
Diesem Leitsätze steht auch Schulz freundlich gegenüber
und die Art und Weise, die Arzneikräfte kennen zu lernen und
sie für die Therapie auszunützen, verrät eine Anlehnung der
Schulz sehen Anschauungen an die von Hahnemann auL
gestellten Prinzipien. Doch verwahrt sich Schulz vor der
Ansicht, als sei er ein Vertreter der homöopathischen Schule,
die nur diese Prinzipien ausgebaut hat. Den Ausgangspunkt
seiner Ueberlegungen bilden die von den Physiologen -aufge-
stellten Gesetze vom Verhalten der Organe unter dem Einflüsse
eines Reizes, insbesondere des von Rudolf Arndt aufgestellten
, biologischen Grundgesetzes“: „Schwache Reize fachen die
Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern sie, starke hemmen sie
und die stärksten heben sie auf; aber durchaus individuell ist,
was sich als einen schwachen, einen mittelstarken, einen starken
oder sogenannten stärksten Reiz wirksam zeigt“.
Uebergehen möchte ich auch nicht die Stellungnahme des
Verfassers zu den Tierexperimenten. Ihnen misst S c h u 1 z für
die Bestimmung der Angriffspunkte der Arzneistoffe im Or¬
ganismus nur geringen Wert bei: „Meist sind es toxikologische
Momente, die wir durch sie kennen lernen“. „Der menschliche
Organismus ist in seiner ganzen Eigenart doch zu weit ver¬
schieden von dem des Tieres, als dass es erlaubt sein könnte,
von dem, was wir unter dem Einfluss eines Arzneistoffes am
Tiere gesehen haben, gleich weitere Schlüsse auf ein entspre¬
chendes Verhalten des menschlichen, aber erst recht des er¬
krankten menschlichen Organismus zu ziehen“.
Der Referent vertritt in diesen Fragen einen anderen
Standpunkt; doch dürfte für eine diesbezügliche Erörterung hier
nicht der Raum sein.
Die Schulz sehen Anschauungen waren ausführlich zu
besprechen, da sie für die Behandlung des ganzen Stoffes mass¬
gebend sind. Die Anordnung des Stoffes ist folgende: Die Wir¬
kung der Halogenverbindungen einschliesslich der organischen
halogenhaltigen Körper, des Schwefels und der schwefelsauren
Salze, der Salpetersäure und der Nitritverbindungen, des Phos¬
phors und der Phosphorsäure, des Arsens, Antimons, Wismuts,
der Kieselsäure, des Ammoniaks, der Alkalimetalle, der Alkali¬
erdmetalle und der Schwermetalle.
Zum Schlüsse weist Verfasser darauf hin, dass bei der
Verordnung anorganischer Heilmittel der Arzt ein viel grös¬
seres Gefühl der Sicherheit haben kann, als bei der von or¬
ganischen Verbindungen — insbesondere die neueren Mittel
— da die Wirkungen ersterer durch ihre jahrelange Verwen¬
dung am Krankenbette sichergestellt sind.
A. Jodlbauer.
Prof. Dr. W. Dönitz: Die wirtschaftlich wichtigen
Zecken, mit besonderer Berücksichtigung Afrikas. Mit 38 Ab¬
bildungen auf 6 Tafeln. Leipzig 1907. Verlag von Johann
Ambrosius Barth. 127 S. Preis 5 Mark, geb. 5.80 Mark.
Mücken, Tsetsen und Zecken sind die Tiergruppen, die
durch ihre Bedeutung für die menschliche und tierische Patho¬
logie seit Erkenntnis derselben zu einer intensiven Beschäfti¬
gung mit ihnen angeregt haben. Verfasser bringt seit dieser
Erkenntnis die erste umfassende Bearbeitung der Zecken in
deutscher Sprache, und zwar steht ihm die Wichtigkeit ein¬
zelner Züge im Leben der Zecken für die Krankheits¬
übertragung an der Spitze seiner Ausführungen; es han¬
delt sich also nicht um eine zoologische Darstellung als Selbst¬
zweck, sondern um angewandte Zoologie. Der Besprechung
der Biologie, der allgemeinen Anatomie und Physiologie, des
Vorkommens der Wirtstiere und des zuträglichen Klima wird
die Systematik angeschlossen, bei der Verfasser im wesent¬
lichen der 1844 von C. L. K o c h aufgestellten treu blieb. Ein¬
gehend behandelt sind nur die für die1 tierische und menschliche
Pathologie — also wirtschaftlich — wichtigen Zecken, deren
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1599
Darstellung, da sie über die ganze Erde verbreitet sind, nicht
nur für Europa und Afrika Interesse haben wird. Die übrigen
Zecken sind kurz gekennzeichnet. Sämtliche Arten sind in die
Bestimmungstabellen aufgenommen. Die bei der Beschrei¬
bung der Arten befolgte Methode, das Wesentliche und Unter¬
scheidende hervorzuheben und die rein schematische Neben¬
einanderstellung zu durchbrechen, darf als grosser Vorzug des
Buches bezeichnet werden.
Angefügt ist der zoologischen Beschreibung eine kurze
aber umfassende Besprechung der Krankheiten der Menschen
und Tiere, bei denen Zecken als Ueberträger erkannt sind,
sowie ihre Prophylaxe und Therapie. Ergänzt wird der zoo¬
logische Teil durch 38 recht gute und deutliche Abbildungen auf
6 Tafeln.
Das Buch arbeitet durch zoologische Darstellung der
Zecken und Zusam menfassung alles über die Zeckenkrankheiten
Bekannten dem grossen und wirtschaftlich wichtigen Ziele der
Ausrottung dieser Krankheiten vor. zur Verth - Berlin.
Dr. M. S i m m o n d s: Ueber Form und Lage des Magens
unter normalen und abnor nen Bedingungen. Mit 10 Abbil¬
dungen im Text und 12 Tafei i. Jena 1907. Gustav Fischer.
54 S. 3 Mark.
Von der Tatsache ausgehend, dass die pathologischen Ana¬
tomen zur Bearbeitung der d* m Kliniker so wichtigen Frage
von der Form und Lage des Magendarmkanales und seiner
Anomalien bisher nur wenig beigetragen haben, bestimmte
Verf. in den letzten Jahren gai z systematisch bei Hunderten
von Leichen den Situs der Baue» 'Organe mit Hilfe der Kamera.
Der erste Abschnitt behandelt f orm und Lage des normalen
Magens und zieht S. aus sein n Photogrammen folgenden
Schluss: Es gibt weder eine no.male Magenform, noch eine
normale Magenlage. Sowohl der H o 1 z k n e c h t sehe Typus
des engen, schräg gestellten, einem Rinderhorn vergleichbaren
Magens, dessen Pylorus in aufrechter Körperhaltung den tief¬
sten Punkt einnimmt, als auch der Rieder sehe vertikal ge¬
stellte Magen mit leicht hackenförmiger Gestalt, wobei nicht
der Pförtner, sondern Teile der grossen Kurvatur am tiefsten
stehen, haben als normal zu gelten, sofern nur der Magen so
gelagert ist, dass der Pylorus und die kleine Kurvatur von der
normal geformten Leber ganz bedeckt sind. Die folgenden
vier Abschnitte beschäftigen sich dann mit den Dislokationen
und Deformitäten des Magens. Es sind dies: Gastroptose,
Magenverlagerung bei Kolonanomalien und Dislokationen in¬
folge krankhafter Veränderung der Nachbarorgane (Leber,
Milz, Niere), ferner Sanduhrmagen und kongenitale Pylorus¬
stenose. Zur Gastroptose möchte ich kurz bemerken, dass
S.s Annahme einer klinisch allgemein gültigen Voraussetzung,
die Ptosis des Magens sei in der Regel mit Ektasien kombiniert,
keineswegs zutrifft. Bezüglich der noch immer herrschenden
Unsicherheit über die Ursache der sogen, angeborenen Pylorus¬
stenose hält Verfasser dafür, dass es sich primär um einen
Spasmus handelt, an dem sich sekundär Muskelveränderungen,
speziell der Pylorus- und Antrummuskulatur anschliessen.
Das, wodurch vorliegende Arbeit unser besonderes Inter¬
esse verdient, scheint mir ausser dem zahlreich beigegebenen
Material vorzüglicher photographischer Aufnahmen (48) der
Nachweis dessen zu sein, dass der für den Magendarmsitus
bisher hauptsächlich geübten Röntgenuntersuchung doch auch
mancherlei Mängel anhaften; denn einerseits kann der Rönt¬
genologe den Magen stets nur in einem bestimmten Füllungs¬
zustande mit Bismutbrei untersuchen, andererseits gibt der
Röntgenschatten nur die Projektion der Magenkonturen bei
der Vorderansicht, so dass dort, wo grosse Kurvatur und
untere Magengrenze nicht zusammenfallen, das Röntgenbild
nicht der tatsächlichen Magenform entspricht.
A. Jordan.
1
Max N i t z e - Berlin : Lehrbuch der Kystoskopie, ihre Tech¬
nik und klinische Bedeutung. 389 Seiten mit 11 Tafeln und 133
Abbildungen im Text. Zweite Auflage. Wiesbaden 1907. Ver¬
lag von J. F. Bergmann. Preis 18 Mk.
Seit der ersten und einzigen Auflage vorliegenden Stan¬
dardwerkes der Kystoskopie ist eine lange Zeit (18 Jahre)
verstrichen. Der Grund für diese Tatsache dürfte wohl darin
zu suchen sein, dass Max N i t z e, der Begründer der Kysto¬
skopie und ihrer klinischen Methodik, sein literarisches Lebens¬
werk nur als ein in allen Teilen völlig abgerundetes Ganzes
in die Welt schicken wollte. Der Tod hat ihm die Feder aus
der Hand genommen; seine letzte Arbeit aber lag abgeschlossen
vor. Einige seiner Schüler, vor allen Kutner, unternahmen
es in dankenswerter Weise, die Drucklegung im Geiste des Ver¬
fassers zu bewerkstelligen.
Die Einteilung des gesamten Stoffes ist im Wesentlichen
die gleiche wie die der ersten Auflage; doch hat jeder einzelne
Abschnitt eine namhafte Bereicherung oder wenigstens Neube¬
arbeitung erfahren. Einzelne Teile sind völlig neu eingefügt.
Der erste Hauptabschnitt behandelt die Theorie und Tech¬
nik der kystoskopischen Untersuchungsmethode; von beson¬
derem Interesse ist es dabei, über den Werdegang des Kysto-
skops, sowie die bedeutenden Schwierigkeiten, die zu besiegen
waren, Details zu erfahren. Ein Kapitel ist der Technik der
kystoskopischen Untersuchung gewidmet; es werden ausführ¬
lich Ratschläge gegeben, wie eine Kystoskopie erfolgreich aus¬
zuführen und zu beendigen ist. Wohl als Druckfehler wird
es aufzufassen sein, wenn hier von einer Füllung ‘der Blase
mit Oxyzyanatlösung 5 : 1000 (anstatt etwa 1 : 5000) gesprochen
wird; das reservierte Urteil, das über diese Spülflüssigkeit ab¬
gegeben wird, wäre nur zu begründet. Neu hinzugekommen
ist an dieser Stelle eine Würdigung der hervorragenden Fort¬
schritte, die durch andere Forscher auf diesem Gebiete herbei¬
geführt wurden.
Von besonderem Interesse ist für jeden Praktiker der zweite
Hauptabschnitt, der uns den endoskopischen Befund der ge¬
sunden und kranken Harnblase gibt. Eigene Kapitel widmet
hier N i t z e den zystoskopischen Bildern bei Blasentuber¬
kulose, bei Steinen und Fremdkörpern, bei Prostatahypertro¬
phie, bei pathologisch veränderten Harnleitermündungen und
endlich als willkommene Bereicherung bei Blasengeschwülsten.
Der dritte Hauptabschnitt befasst sich mit der Bedeutung
der Kystoskopie für Diagnose und Therapie der Harn- und
Blasenleiden. Wenn es auch oftmals möglich sein wird, auf
Grund einer verlässlichen Krankengeschichte, einer verstän¬
digen Berücksichtigung der Symptome und einer eingehenden
Harnuntersuchung eine sichere Diagnose der Krankheit zu
stellen, so bleiben doch noch eine überaus grosse Anzahl von
Fällen übrig, welche eine lokale Untersuchung dringend fordern.
Und da zeigt sich die Kystoskopie den übrigen Untersuchungs¬
arten weit überlegen; vereint sie doch zwei Hauptmomente
einer guten Untersuchungsmethode, Zuverlässigkeit des Be¬
fundes und Schonung des Kranken, in hervorragendem Masse.
Gänzlich neu ist hier der Teil angeschlossen, der den Harn¬
leiterkatheterismus und seine diagnostische Verwendung be¬
handelt, sodann endlich die Darstellung der intravesikalen Ope¬
rationstechnik, die N i t z e begründete und meisterhaft be¬
herrschte.
Eine besondere Sorgfalt wurde den ausserordentlich in¬
struktiven Tafeln, sowohl den photographischen wie auch den
farbigen zu Teil; die naturgetreue Abbildung geschauter Blasen¬
bilder war von jeher- das Ziel von Nitz es Wünschen. Tat¬
sächlich gehören diese Tafeln zu dem Vollendetsten, was bis
jetzt das Reproduktionsverfahren geleistet.
Kielleuthner - München.
Die Augenheilkunde in der Römerzeit von Dr. R. d e 1 C a -
stillo y Quartiellers in Madrid. Autorisierte Ueber-
setzung aus dem Spanischen von Dr. M. Neuburger, Pro¬
fessor an der k. k. Universität in Wien. Mit 26 Textfiguren.
Leipzig und Wien 1907. Franz Deu ticke. Preis 4 Mk.
Die d e 1 C a s t i 1 1 o sehe Monographie, die in fliessender
Uebersetzung Prof. Neuburgers vorliegt, bringt nach ein¬
gehender Klassifizierung der bekannt gewordenen Okulisten¬
stempel, deren Zahl über 200 beträgt, zunächst eine genaue erst¬
malige Beschreibung eines Stempels, der sich in Spanien im
Besitze des Herrn Eusebio Vaideperas befindet. Verf.
huldigt der Anschauung D e n e f f e s u. a., nach welcher die
Gepflogenheit des Kollyrienstempelns den gallisch-römischen
Augenärzten geeignet hat, und sucht den Umstand, dass der
von ihm beschriebene Okulistenstempel in Spanien gefunden
wurde, durch die Hypothese zu erklären, dass ein auf Reisen in
ibUÜ
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Spanien weilender gallischer Augenarzt vom Tode überrascht
und mit seinem Stempel bestattet worden sei, wenn man nicht
annehmen wolle, dass der spanische Stempel wie die italieni¬
schen zur Bereicherung einer Antikensammlung in der Fremde
käuflich erworben worden sei. In eingehendem Studium konnte
der Verfasser im spanischen archäologischen Museum augen¬
ärztliche Bronzegegenstände feststellen, von denen er einige
seiner Schrift in photographischen Abbildungen beigibt. Mit
grosser Ausführlichkeit werden auch die Grabsteine von römi¬
schen Augenärzten angeführt; und zwar reiht sich an die Auf¬
zählung aller eine genauere Beschreibung der beiden in Spanien
gefundenen Grabinschriften. — In weiteren Kapiteln wird die
Therapie, Materia medica und Chirurgie der römischen Augen¬
ärzte in knapper, aber übersichtlicher und kritischer Weise
dargestellt. Anhangsweise folgen eine grosse Anzahl von Kol-
Iyrienformeln, sowie ein Register der Kollyriennamen.
Im wesentlichen also handelt es sich um eine archäolo¬
gische Studie, die man umso dankbarer anerkennen muss, als
sie alles den Arzt interessierende über ophthalmologische Funde
aus der Römerzeit, das sich in einer grossen Menge oft
schwierig zu erreichender Publikationen niedergelegt findet,
übrsichtlich darstellt und in diesem Punkt eine Ergänzung
z. B. zu der klassichen und ausführlichen Geschichte der
Augenheilkunde von Hirschberg bildet.
Lohmann.
C. A r n o 1 d - Hannover: Repetitorium der Chemie. 12.
Auflage. 688 Seiten mit einzelnen Abbildungen im Text. Ver¬
lag von L. Voss- Leipzig, 1906. Preis 7 Mk.
Das im November 1884 in erster Auflage erschienene
Arnold sehe Repetitorium war vom Verfasser dazu be¬
stimmt, dem Studierenden der Medizin zur Vorbereitung auf
die naturwissenschaftliche Prüfung, als Leitfaden neben dem
Kolleg und durch das umfangreiche Register als Nachschlage-
buch in der Praxis zu dienen. Das Buch muss seiner Bestim¬
mung entsprochen haben, denn es erscheint nunmehr in
zwölfter Auflage.
In der ersten Abteilung wird die allgemeine Chemie, und
zwar Stöchiometrie und Verwandschaftslehre in einer sehr in¬
struktiven Weise behandelt. In erweiterter Bearbeitung ist
dieser Teil als besonderes Lehrbuch erschienen, das an dieser
Stelle besprochen und angelegentlich empfohlen werden konnte.
Die zweite Abteilung umfasst die anorganische, die dritte
die organische und vielfach auch physiologische Chemie. Das
für den Mediziner Wichtige ist durch Grossdruck hervorge¬
hoben, das durch Kleindruck Mitgeteilte geht mehr in die De¬
tails und ist für den Pharmazeuten und Chemiker bestimmt.
Besondere Sorgfalt wurde wieder auf das Register verwendet,
das in der Tat, wie Referent nach jahrelangem Gebrauche des
Buches bestätigen kann, nur selten im Stiche lässt und das nun¬
mehr über 6500 Stichworte enthält.
Das Buch erfreut sich ohne Zweifel mit Recht grosser Be¬
liebtheit. Auch das Ausland ist auf das Buch aufmerksam ge¬
worden, eine Uebersetzung ins Englische und Japanische ist
durchgeführt, eine solche ins Französische und Italienische
steht bevor. K. B ü r k e r - Tübingen.
Neueste Journalliteratur.
Archiv für klinische Chirurgie. 83. Band, 1. Heft. Berlin,
H i r s c h w a 1 d, 1907.
2) J o r d a n - Heidelberg: Zur Ligatur der Carotis communis.
(Line neue Methode zur Orientierung über eventuelle Zirkulations¬
störungen.)
-t) D e u t s c h 1 ä n d e r - Hamburg: Die Verrenkuugsbriiche des
Naviculare pedis und deren Folgezustände.
6) Kausch-Schöneberg: Die Schrumpf blase und ihre Be¬
handlung (Darmplastik).
N ) Bardenheuer - Köln : Die Behandlung der Frakturen des
oberen und unteren Endes des Femur mittels Extension.
9) Döring: Die Polyposis intestini und ihre Beziehung zur
karzmomatösen Degeneration. (Chirurgische Klinik in Göttingen.)
. I0) Mertens: Stichverletzuug der Lunge. Naht. Heilung.
(Chirurg. Abteilung des Allerheiligen-Hospitals in Breslau.)
12) A d 1 e r - Pankow: Leber die Torsion des grossen Netzes.
. H> .J®ncke1: Traumatische Heterotopie des Rückenmarks.
(Chirurgische Klinik in Göttingen.) *
15) Hof mann: Die Pharyngotomia suprahyoidea transversa
als Voroperation zur Entfernung von Nasenrachentumoren nebst Mit¬
teilung von zwei Fällen temporärer Resektion beider Oberkiefer nach
Kocher. (Chirurgische Klinik in Graz.)
Vortrage auf dem 36. Chirurgenkongress. Referate s. No. 16 — 20
dieser Wochenschrift.
I) Berger - Kassel: Zur Kasuistik der Bauchverletzungen durch
stumpfe Gewalt.
Kasuistische Mitteilung von 4 Fällen. 1. Milzruptur ; Splen-
ektomie; Heilung. 2. 2 Fälle von traumatischer Cholezystitis: bei
dem einen chronischer Verlauf, keine Steine, Heilung nach Zyst-
ostomie. Beim zweiten Falle akuter Verlauf mit beginnender
Peritonitis, zahlreiche Steine in der Blase, Zystostomie, Heilung.
3. Mesenterialtumor nach Trauma. Drüsenmetastase eines primären
1 1'irntumors.
3) Je nsen: Fractura tuberositatis tibiae. (Frederiksborger
Krankenhaus in Kopenhagen.)
Auf Grund eines Materials von 10 Fällen bespricht J. die kli¬
nischen und anatomischen Verhältnisse der Erkrankung. Er unter¬
scheidet partielle und vollständige Abreissungen der Tuberositas. Die
ersteren, die den von S c h 1 a 1 1 e r beschriebenen Fällen entsprechen,
entstehen nach heftigen Kontraktionen des Quadnzeps, besonders
häufig beim Fussballspielen, bei jugendlichen Individuen, bei denen
die 1 uberositas noch nicht vollkommen knöchern mit der Tibia ver¬
wachsen ist. Die Beschwerden sind anfangs oft gering, sodass das
Trauma oft vergessen wird, steigern sich aber allmählich. Die Pro¬
gnose ist im allgemeinen gut, doch bleibt eine leichte Schwäche des
Beines mitunter lange Zeit bestehen. Die Therapie erfordert nur
Schonung und kann eine ambulante sein. Die vollständigen Frak¬
turen entstehen häufiger bei Erwachsenen und sind häufig mit einem
Bluterguss ins Kniegelenk kompliziert; die Therapie muss bei
stärkerer Dislokation eine operative sein.
5) Wenglowski - Moskau : Die anatomische Begründung der
operativen Behandlung der Leistenbrüche.
V. legt vor allem Wert darauf, dass die Bruchpforte vollkommen
durch Muskeln geschlossen Wird und empfiehlt, die Muskeln durch
einen senkrechten Schnitt am äusseren Rektusrand zu mobilisieren,
wenn die Vernähurig ohne das unmöglich ist. Den Samenstrang ver¬
lagert W. nicht; den Bruchsack bindet er nur ab und durchtrennt ihn,
ohne ihn auszulösen.
7) B o c k e n h e i m e r - Berlin : Beitrag zur Beeinflussung der
k olibakterizidie des Menschenserums durch chirurgische Operationen.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
II) Busse -Posen: Ueber die Entstehung tuberkulöser Darm-
strikturen.
B. glaubt, dass die von W i e t i n g angenommene nicht geschwü-
rige, submukös verlaufende Tuberkulose des Darms durch nichts be¬
wiesen ist, dass im besonderen die Ueberziehung der Strikturen mit
Schleimhaut nichts für W i e t i n g s Auffassung beweist, da hier Aus¬
heilungsstadien längst abgelapfener Prozesse vorliegen und da die
Darmschleimhaut ein grosses Regenerationsvermögen besitzt, dass
aber im Gegenteil Epithelnester, die in der Tiefe der Narbe gelegen
sind, oft direkt auf frühere Geschwüre hinweisen. Ausser der Nar¬
benschrumpfung kommt vor allem die fehlerhafte Wirkung der Mus¬
kulatur nach Unterbrechung der Längsmuskelschicht am Darm für die
starke Einziehung und Verengerung des Darmes mit in Betracht. In¬
sonderheit veranlasst die Kontraktion der an den Wundrändern ge¬
legenen Ringmuskelfasern eine Einstülpung der am Geschwürsgrunde
erhaltenen Serosa. Es ist in hohem Masse wahrscheinlich, dass diese
Strikturen nicht lediglich aus Geschwüren sich bilden, die nur durch
die I uberkelbazillen und die von diesen bewirkte Entzündung und
Verkäsung hervorgerufen werden, sondern dass bei der Ausbildung
der Geschwüre und Narben die völlige oder teilweise Verödung der
den erkrankten Teil versorgenden Blutgefässe mit in Betracht
kommt.
13) Frangenheim: Die Spontanlösung der ypsilonförmigen
Knorpelfuge. (Chirurg. Klinik in Königsberg.)
E. beschreibt 2 Fälle von Spontanlösung der ypsilonförmigen
Knorpelfuge: bei dem einen Fall kam es im Verlaufe einer fehlerhaft
behandelten tuberkulösen Koxitis zur Lösung mit Spontanluxation
des Sitzbeines nach innen; bei dem anderen Falle lag Osteomyelitis
des Darmbeines vor, bei der infolge der Epiphysenlösung eine Spontan¬
luxation des Femurs nach hinten zustande kam.
15) I obiäsek: Ueber eine neue plastische Operation der
Phimose. (Böhmische chirurgische Klinik in Prag.)
Durch radiäre Inzisionen wurden aus dem äusseren Präputial-
blatt 3 Lappen gebildet, dann ebenso 3 Lappen aus dem inneren Blatte,
die aber um 60° gegen die äusseren Lappen verschoben sind. End¬
lich wurden die Spitzen der 6 Lappen mit den entsprechenden gegen¬
überliegenden Lappenwinkeln vereinigt.
17) Kleinere Mitteilungen.
Küster- Marburg: Ein Hilfsmittel zur schnellen Ausführung der
Kraniotomie.
K. beschreibt einen sog. Schlittenmeissei, d. h. einen Meissei,
du an der Schneide eine kleine Platte zum Schutze «der Dura zei^t.
Schanz- Dresden : Zur Behandlung der Schenkelhalsbrüche.
Sch. weist auf die häufigen, erst nach langer Zeit eintretenden
sekundären Verbiegungen des Schenkelhalses nach Frakturen und
Osteotomien hin und betont, dass diese auch durch lange fortgesetzte
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1601
Ruhelage nicht verhindert werden können. Er empfiehlt als Stütz¬
apparat für diese Fälle seine „federnde Hüftkrücke“.
Heineke - Leipzig.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 86. Band, 1. Heft,
Leipzig, Vogel.
1) L e n n a n d e r - Upsala: Ein Fall von Dünndarmvolvulus mit
einem M e c k e 1 sehen Divertikel, nebst einigen Worten über sub¬
akuten Ileus und über Gastrostomie bei Dünndarmparalyse.
Bei der Operation des vor 2 Tagen erkrankten Patienten fand
sich ein entzündetes Meckel sches Divertikel, das mit der vor¬
deren Bauchwand bis an den Nabel verwachsen war, sowie eine
Umdrehung fast des ganzen Diinndarmpacketes um wenigstens 360°.
Ausserdem freie hämorrhagische, sero-purulente Peritonitis. Ex¬
stirpation des Divertikels, Reposition des Dünndarmes. 3 W i t z e 1 -
sehe Darmfisteln. Wegen beständigen übelriechenden Erbrechens
später noch eine Magenfistel. Tod nach 5 Tagen. Sektion: Darm¬
diphtherie.
Im Anschluss an den Fall gibt L. wertvolle Anregungen für die
Diagnose und Therapie bei Ileus. Wichtig erscheint ihm vor allen
Dingen eine ausgiebige Anwendung von der Enterostomie. Bleibt
trotz der Enterostomie der Mageninhalt übelriechend, so soll man
eine Gastrostomie anlegen. L. glaubt, dass die Enterostomie und
Gastrostomie imstande sind, die Kranken mit Darmparalyse zu retten.
Die Enterostomie muss immer proximal von dem Hindernis angelegt
werden.
2) B u d d e - Bocholt i/W.: Beiträge zur Kenntnis der Topo¬
graphie der normalen Art. hepatica und ihrer Varietäten sowie der
Blutversorgung der Leber.
Von den Varietäten der Art. hepatica sind chirurgisch wichtig die
Ueberkreuzung des Ductus hepaticus durch die Art. cystica oder
sogar den ganzen Ramus dexter a. hepaticae. Bei normaler topo¬
graphischer Lage ist die Art. hepatica vor Verletzungen bei Opera¬
tionen an den Gallengängen geschützt. Häufig ist ein Ersatz eines
Teiles der Art. hepatica durch einen Ast aus der Art. mesenterica
superior.
Die zahlreichen Beziehungen der Art. hepatica und die dadurch
gegebene leichte Möglichkeit der Ausbildung eines Kollateralkreis-
laufs gestatten unbedenklich die Unterbindung des ganzen Stammes
bei vorausgegangener Thrombosen- oder Aneurysmabildung. Bei
normaler Art. hepatica ist dagegen nur die Unterbindung vor Ab¬
gabe der Art. gastrica dextra ratsam, während die Unterbindung des
Ramus sin. oder dext. unbedenklich ausgeführt werden kann.
3) Geiser: Ueber Duodenalkrebs. (Patholog. Anstalt Basel.)
Unter 11 314 Leichen aus den letzten 30 Jahren waren 909 Karzi¬
nomfälle mit 123 Darmkrebsen; 9 -davon betrafen das Duodenum.
2 Fälle waren über der Papille, 3 in der Gegend der Papille und
4 unterhalb der Papille. Die klinische Diagnose war 1 mal Pylorus-
karzinom, 3 mal Leberkarzinom, je 1 mal Pankreaskarzinom, Bauch¬
felltuberkulose, Magenkarzinom, ein Tumor war symptomenlos ver¬
laufen.
Auf Grund der eigenen und von weiteren 71 Beobachtungen
aus der Literatur gibt G. ein übersichtliches Bild der pathologischen
und klinischen Erscheinungen. Eine sichere Diagnose ist leider, wie
die eigenen Fälle lehren, nur schwer möglich.
4) G r a b o w s k i - Köln-Ehrenfeld: Ein geheilter Fall von Zygo-
matikus- und InSraorbitalneuralgie, operiert nach der Barden-
heuer sehen Methode (Neurinsarkoklese).
Das Verfahren bestand darin, dass die Nerven aus dem Knochen¬
kanal herausgemeisselt und in einen untergeschobenen Periostmuskel¬
lappen eingebettet wurden. Beide Nerven zeigten sich deutlich ge¬
rötet. Der Erfolg war 2 Vs Monate nach der Operation noch ein
vollständiger. K r e c k e.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. B r u n s.
54. Band, 3. Heft. Tübingen, Laupp. Juni 1907.
H. Hilgenreiner gibt aus der Prager Klinik experimentelle
Untersuchungen über den Einfluss der Stauungshyperämie auf die
Heilung von Knochenbrüchen. Nachdem die relativ kleinen Zahlen
der von Deutschländer, Dumreicher, Helferich etc. be¬
handelten Fälle für die betreffende Frage nicht genügen, stellte H. eine
grosse Zahl von Tierexperimenten (über 100) an jungen Hunden
an, von denen ein grosser Teil im Röntgenbild beobachtet wurde
und bei denen er die elastische Umschnürung zum grössten Teil in
sehr einfacher Weise durch Anlegen eines entsprechenden Gummi¬
bändchens effektuierte und Fälle von Gangrän und Phlegmone ver¬
meiden konnte. Er kommt danach zum Schluss, dass man zu unter¬
scheiden hat zwischen langdauernder Stauungshyperämie mit relativ
kurzen Unterbrechungen und kurzdauernder Stauung mit langen Pau¬
sen, von denen erstere infolge ihrer schmerzstillenden und kallus¬
fördernden Wirkung für die Behandlung, letztere infolge ihrer auf¬
lösenden und resorbierenden Kraft für die Nachbehandlung besonders
geeignet zu sein scheint. Auch bei der Behandlung von Frakturen
der Extremitäten mit Stauungshyperämie hat man zwischen der re¬
generativen und der resorbierenden Stauungshyperämie zu unter¬
scheiden. Die erstere ist indiziert in allen Fällen von verzögerter
Kallusbildung und Pseudarthrosenbildung, sowie bei normaler Kallus¬
bildung in der ersten Zeit der Behandlung dort, wo durch die relativ
geringe Abkürzung der anatomischen Heilung, wie sie dadurch er¬
reicht werden kann, auch eine Abkürzung der ganzen Heilungsdauer
zu erwarten ist. Die resorbierende Stauungshyperämie erscheint
mehr geeignet, durch Verhütung und Aufhebung funktioneller Stö¬
rungen eine beträchtliche Abkürzung der Heilungsdauer herbeizu¬
führen, weshalb von derselben ein ausgedehnter Gebrauch zu machen
ist. Im allgemeinen für die spätere Behandlung der Frakturen (Sta¬
dium der definitiven Kallusbildung) bestimmt, erscheint dieselbe für
manche Frakturen (Gelenkfrakturen etc.) frühzeitig und ausschliess¬
lich indiziert.
Der günstige Einfluss der Hyperämie, der aktiven wie passiven,
auf den Heilungsprozess von Frakturen erscheint durch das Tier¬
experiment und durch die Erfahrungen am Menschen sichergestellt.
Derselbe Autor berichtet über Hyperphalangie des Daumens und
gibt unter Mitteilung eines unzweifelhaften Falles von dreigliederigem
Daumen bei Doppeldaumen eine Zusammenstellung der in der Litera¬
tur mitgeteilten Fälle, diese betrafen in ca. 2/s der Hexadaktylien
sog. Doppeldaumen. Von 42 Fällen von Hyperphalangie am einfachen
Daumen war die Dreigliedrigkeit 16 mal einseitig, 2 mal beiderseitig.
Die Heredität spielt bei allen Fällen eine grosse Rolle. Von den
ebenfalls in Gruppen geordneten Fällen von Hyperphalangie am
Doppeldaumen fand H. auf 31 Doppeldaumen 40 dreigliedrige Daumen
resp. Finger. 12 mal fand sich die Dreigliedrigkeit an beiden Fingern
des Doppeldaumens. Die Behandlung, wenn solche überhaupt nötig,
muss dem speziellen Einzelfall genau angepasst sein.
Max v. Brunn gibt aus der Tübinger Klinik eine Mitteilung
über neuere Methoden der Hautdesinfektion des Operationsfeldes und
berichtet darin über das seit U/s Jahren an der betreffenden Klinik
eingerichtete bakteriologische Laboratorium (das wohl für jeden
grösseren chirurgischen Betrieb verlangt werden muss). Eine Reihe
von Verfahren, durch die Mitteilungen von D öder lein veranlasst,
verbesserten Wundschutz mittelst Gummidecken der Haut zu er¬
reichen — darunter Nachprüfungen der D öd e r 1 e i n sehen Versuche
an chirurgischem Material — werden mitgeteilt und 300 Versuche mit
6000 Einzeluntersuchungen verwertet, indem speziell Strumaopera¬
tionen, Mammaexstirpationen, Laparotomien und Hernien bei jeder
Gruppe berücksichtigt werden, und tabellarische Uebersichten über
die Methoden, bei denen ein Ueberzug über das Operationsfeld
(Gummilösung oder Chirosoter) angewendet wurde, gegeben. Als
Desinfektionsmethode für das Operationsfeld wird schliesslich die
H e u s n e r sehe (5 — 10 Minuten lange Abreibung mit lOprom. Jod¬
benzin, dem 10 Proz. Paraffinöl zugesetzt sind Imittels sterilen Gaze-
bauschesl) als einfach am meisten empfohlen. Nachdem es feststeht,
dass durch keine der mechanisch-chemischen Desinfektionsmethoden
ein keimfreies Operationsfeld zu erreichen, verdienen die Bestre¬
bungen, durch einen sterilen Ueberzug die noch vorhandenen Bak¬
terien abzudecken und für die Dauer der Operation festzulegen, alle
Beachtung. In dem sterilen Gummiüberzuge nach Döderlein
besitzen wir eine allen bisherigen überlegene Methode, welche das
Höchste an Keimverminderung, allerdings nur nach Vorbehandlung
des Operationsfeldes mit Benzin und Jodtinktur, leistet. Die Vor¬
behandlung mit Benzin empfiehlt sich jedoch nicht für alle Fälle, da
häufig Hautreizungen im Gebiet des Operationsfeldes und oberfläch¬
liche Verätzungen auch entfernter gelegener Hautstellen Vorkommen.
Jodtinktur ist besonders in der Umgebung drainierter Wunden zu ver¬
meiden.
Das Chirosoter kann durch seinen Gehalt an Tetrachlorkohlen¬
stoff Aetzwirkungen ausüben und ist daher nicht wohl zu empfehlen.
Meissner berichtet aus der gleichen Klinik über Händedes¬
infektion mit Chirosoter und diesbezüglich unternommene Versuche,
die u. a. ergaben, dass die mit Jodbenzinparaffin desinfizierte Hand
sich nicht zur Anwendung des Chirosoter eignet, wohl aber die mit
Seifenspiritus desinfizierte Hand. An trockener Hand haftet das
Chirosoter gut und gibt eine für Wasser und Blut undurchlässige
Decke. Die auf den Händen befindlichen Keime werden durch Chiro¬
soter dauernd in genügender Weise zurückgehalten. Die Trans-
spiration ist nicht beeinträchtigt, die Chirosoterdecke ist schlüpfrig
und deshalb beim Operieren unangenehm. Mit Wasser und Seife ge¬
reinigte Hände sind für Chirosoter wegen ihres Wassergehaltes un¬
geeignet. M. möchte, wenn auch der dem Chirosoter zugrunde
liegende Gedanke ein durchaus moderner ist, doch demselben als
Ersatz der Gummihandschuhe nicht bedingungslos das Wort reden;
besonders bei septischen Operationen vermag es diese kaum zu er¬
setzen, dagegen empfiehlt M. das Chirosoter bei Notoperationen und
im Felde.
Der gleiche Autor bespricht („Der Ureter als Inhalt eines Leisten¬
bruches“) einen Fall von linksseitigem, angeborenem Leistenbruch
bei 3 Vz jährigem Knaben mit angeborener Anomalie beider Ureteren
(d. h. partiellem klappenartigen Verschluss ihrer Blasenmündungen
und starker Dilatation und S-förmiger Verkrümmung ihres Verlaufes),
wobei der linke mit einer Hernie ins Skrotum herabgestiegen war.
E. Sehrt bespricht aus der Freiburger Klinik subkutane Leio¬
myome der Wange und ihre Histogenese, die nicht das geringste mit
Dermatomyomen zu tun haben und deren kritische Würdigung nach
den Fällen der Literatur und eines näher mitgeteilten Falles von
Leiomyom der Wange er gibt, bezüglich welches letzteren die Genese
der Tumoren aus der Muskularis der arteriellen Gefässe nach makro¬
skopischem und mikroskopischem Befund anzunehmen ist.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
iOÜ2
K u r z w e 1 1 y «:ibt aus dem Krankenhause zu Zwickau klinische
Erfahrungen über Medullaranästhesie, mit besonderer Berücksichti¬
gung des Alypins, gestützt auf 323 Alypinaruisthesien (bei Erwach¬
senen meist 0,04 — 0,06), wodurch meist rasch nach 2 — 3 Minuten An¬
ästhesie in grosser Ausdehnung erreicht wurde, die nur 20 mal völlig
versagte, in 84,2 Proz. nach Ausbreitung und Dauer völlig genügend
war, in 33,7 Proz. wurden Nebenwirkungen, in 27,9 Proz. Nachwir¬
kungen (Kopfschmerz, Erbrechen, Herzschwäche etc.), in 46,4 Proz.
sowohl Neben- als Nachwirkungen beobachtet, 8 mal schwere Kol¬
lapse, 3 mal Todesfälle, darunter einer bei 49 jährigem kräftigem
Manne mit Unterschenkelfraktur. K. betrachtet Art der Anästhesie,
Auftreten vo;i Neben- und Nachwirkungen im Verhältnis zu den ein¬
zelnen Operationen (an After und Damm, Extremitäten, Bauch) und
kommt besonders im Vergleich mit den im gleichen Zeiträume in dem
betr. Krankenstift ausgeführten 600 Narkosen, die ohne irgendwelche
nennenswerte Störungen verliefen, während bei den 315 Medullar-
anästhesien eine ganze Reihe schwerer, zum Teil lebensgefährlicher
Zufälle auftraten, zu einem völligen Aufgeben der weiteren Versuche
mit der Medullaranästhesie, da sie mit der Narkose nicht ernstlich
konkurrieren kann, solange nicht mit grösserer Sicherheit als bisher
das Aufsteigen eines in den Spinalkanal injizierten Anästhetikums zur
Medulla oblongata und damit seine Nebenwirkungen verhütet werden
können.
Er. Magenau bespricht aus dem Karl-Olga-Krankenhaus zu
Stuttgart innere Darmfisteln und teilt u. a. einen komplizierten Fall
innerer Darmfistel auf traumatischer Basis bei 6 jährigem Kinde mit,
der durch wiederholte chirurgische Eingriffe (zuerst Darmausschal¬
tung zur Behebung von Blutungen, dann definitiver Eingriff) zur Hei¬
lung gebracht werden konnte.
Aus der gleichen Abteilung bespricht O. Ha ist die Frühoperation
der Appendizitis im Anschluss an 186 seit 1903 operierte Fälle, von
denen 117 im Anfall, 69 im Intervall operiert wurden, und zwar von
Jahr zu Jahr zunehmend. Das Verhältnis beim männlichen und weib¬
lichen Geschlecht ist 61 Proz. zu 38.4 Proz., ist aber nahezu gleich
betr. der Kinder (von 1—15 Jahren). Bei den 53 Frühoperationen
wurden 16 mal (30,2 Proz.) Kotsteine gefunden. 33 mal handelte es
sich um App. destructiva. Die Mortalität der innerhalb der ersten
48 Stunden Operierten beträgt 1,9 Proz. Seit 1904 hatte Hof¬
meister eine fortlaufende Serie von 50 Frühoperationen ohne
Todesfall, so dass die prinzipielle Frühoperation der exspektativen
Behandlung weit überlegen. Unter 64 nach dem 2. Tag operierten
Fällen (des intermediären und Spätstadiums) fanden sich 19 Fälle von
Peritonitis, unter den 50 Frühfällen in 24,5 Proz. Je früher die Peri¬
tonitis libera zur Operation kam, um so günstiger war die Prognose.
H. vergleicht die Frühoperation mit der intermediären und Spät¬
operation und zeigt an den näher mitgeteilten Fällen den günstigen
Einfluss der Frühoperation auf Puls und Temperatur, besonders aber
die günstigen Heilungsresultate (die 64 Spätfälle zusammen hatten
15,6 Proz. Mortalität) bei der Frühoperation und das viel schwerere
Krankenlager, die häufigeren Komplikationen in den Spätfällen. Des
weiteren vergleicht H. die Frühoperationen mit den Intervallopera-
tionen und teilt betr, Differentialdiagnose 6 Fälle, die als Appendizitis
zur Operation geschickt wurden, bei denen aber andere Affektionen
(Pyosalpinx, Pyelitis, Stieldrehung einer Parovarialzyste) sich fanden,
näher mit. Bezüglich der Technik empfiehlt H. den seit Jahren von
Prof. Hofmeister benutzten Kulissenschnitt im Gebiet der Rektus-
scheide. Der mit Zwirn abgebundene und verschorfte Prozessus-
stumpf wird durch Zwirntabaksbeutelnaht eingestülpt und die Ver¬
senkungsstelle mit L e m b e r t scher fortlaufender Katgutnaht über¬
näht. Bei peritonitischer Darmparalyse und postoperativem Ileus
leistet die frühzeitig ausgeführte Enterostomie gute Dienste. Unter
den Schlussfolgerungen wird die Frühoperation (die nicht gefährlicher
und häufig leichter als die Spätoperation) als der exspektativen Be¬
handlung bezüglich der Mortalitätsziffer weit überlegen (1.54:8,3),
warm empfohlen. In einem Nachtrag wird das auf 227 Fälle an¬
gewachsene Material noch kurz angeführt, das 65 Fälle von Früh¬
operation mit 1,54 Proz. Mortalität, 27 von Intermediäroperation
(3. — 5. 1 ag) mit 48.15 Proz. und 50 Spätoperationen nach dem 5. Tage
mit 8 Proz. Mortalität, 85 Intervalloperationen mit 0 Proz. Mortalität
aufweist. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 27 u. 28.
No. 27. Fritz K ö n i g - Altona: Zur Technik der Kardiolysis.
K. teilt kurz einen Fall mit, in dem die Patientin nach sub-
periostaler Resektion bis zu ihrem 2Vs Jahre später erfolgten Tod be¬
obachtet werden und voller Erfolg für die Herzaktion konstatiert wer¬
den konnte, auch beschreibt er das Präparat und gibt entsprechendes
Röntgenogramm, aus dem ersichtlich, dass fast keine Knochenneubil-
dung eingetreten ist. Wegen der Gefahr der Pleuraverletzung emp¬
fiehlt K. eventuell nur das vordere Periost mit den Rippen zu re¬
sezieren, das hintere aber unbekümmert stehen zu lassen. Wie
Küttner rät er, 4., 5. und 6. Rippe von etwas ausserhalb der
Mammillarlinie bis einige Zentimeter in die knorpelige Rippe hinein
zu resezieren, was den Indikationen genügt, sofern nicht direkte
Schwarten weiter bis zum Sternum hin gefunden werden.
No. 28. v. A b e r 1 e - Wien: Zur operativen Behandlung des
muskulären Schiefhalses.
v. A. schildert den Standpunkt des Prof. A. Lorenz sehen Am¬
bulatoriums in der betreffenden Frage, wobei das Hauptgewicht auf
die Korrektur der Zervikalskoliose gelegt wird, das Redressement
in jedem Fall (leichten und schweren) vorgenommen wird, offene
Durchschneidung, die L. früher selbst geübt, hält er für unnötig; die
subkutane Methode bietet vielmehr die beste Möglichkeit, ausgiebi¬
ges Redressement der Halswirbelsäule sofort in unmittelbarem An¬
schluss an die Durchschneidung des Kopfnickers anzuschliessen und
die kosmetischen Resultate sprechen entschieden zu gunsten sub¬
kutaner Tenotomie. Letztere ist bei richtiger Technik leicht und
sicher auszuführen, es soll nur ein kleiner Rest der innersten Muskel¬
fasern nicht durchschnitten werden, diese geben dann dem permanen¬
ten gleichmässigen Zuge, den ein Assistent ausübt, ohne weiteres
nach. Das nun folgende Redressement muss so lange fortgesetzt
werden, bis der Kopf in der überkorrigierten Stellung spontan ver¬
harrt, was in hartnäckigen Fällen bis Vs Stunde dauern kann, aber
ohne jedes brutale Vorgehen möglich ist. Ein Gipsverband für 2 bis
3 Wochen in überkorrigierter Stellung, Nachbehandlung mit aktiven
und passiven Uebungen eventuell mit zeitweisem Tragen eines ein¬
fachen Lederdiadems mit seitlichem elastischen Zug sichern ein gutes
Endresultat.
K ö n i g - Berlin: Die subkutane Tenotomie des muskulären
Scliiefhalses.
K. begrüsst ebenfalls mit Freuden die Bestrebungen, die alte
Operation wieder zu Ehren zu bringen und verweist auf die Sei¬
ten 570 — 72 seines Lehrbuches (8. Aufl.) Sehr.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 30.
L. S e i t z - München: Ueber operative Behandlung intrakranieller
Blutergüsse bei Neugeborenen.
S. hat vor kurzem die Hirndrucksymptome, wie sie sich bei
Neugeborenen infolge intrakranieller Blutungen einstellen, näher be¬
schrieben (Arch. f. Gynäkol., 82. Bd., p. 527) und dabei vorgeschlagen,
in progressiven Fällen die Trepanation und Entleerung des Hämatoms
vorzunehmen. Er hat inzwischen Gelegenheit gehabt, die Operation
in einem Falle auszuführen, der jedoch ungünstig verlief. Die Sektion
ergab, dass .ausser dem subduralen Bluterguss, der gut entleert war,
noch eine infratentoriale Blutung über Kleinhirn und Medulla ob¬
longata bestand, der das Kind erlag. C u s h i n g hat die Operation
in 4 ähnlichen Fällen ausgeführt, von denen 2 Erfolg hatten.
G. Walcker: Zur Technik der Hebosteotomie.
W. macht auf die beiden Gruben rechts und links vom Harn¬
röhrenwulst hinter den Schambeinen aufmerksam, welche die Anhef¬
tungsstelle der Vagina markieren, deren Durchtrennung zu Prolaps
der vorderen Vaginalwand führt. Der Schnitt durch den Knochen
muss daher stets lateralwärts von dieser Scheidenanheftungsstelle ge¬
führt werden. W. empfiehlt nochmals häufigere Anwendung seiner
Hängelage bei Geburten, welche die prophylaktische Hebosteotomie
ganz verschwinden lassen wird.
E. T r u z zi - Padua: Ein Vorschlag zur Erzielung einer dauern¬
den Beckenerweiterung durch Pubotomie.
Der von Wendeier unlängst (cf. diese Wochenschr. No. 23,
S. 1142) gemachte Vorschlag, einen Fremdkörper in die Knochen-
wunde einzuführen ist von T, bereits 1905 in den „Annali di ostetrica
e di ginecoiogia“ gemacht worden.
J. Kocks: Mikrotom und Sonde.
Eine Erwiderung auf R. M e y e r s Artikel in No. 21 des Zentral¬
blattes f. Gynäkol. (cf. diese Wochenschr. No. 23, S. 1142).
J a f f e - Hamburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
57. Bd. 1. u. 2. Heft. 1907.
1) E. A 1 1 a r d - Greifswald: Ueber den zeitlichen Ablauf der
Azidosekörperausscheidung beim Diabetes.
A 1 1 a r d gewann näheren Einblick in den Verlauf der Azeton¬
körperausscheidung beim Diabetes durch Untersuchungen des Urin
in 2- bis 3 ständigen Perioden. Er konnte so den Einfluss verab¬
reichter Nahrungsmittel deutlicher als es bisher der Fall war, ver¬
folgen. Ausserdem reichte er die Nahrungsstoffe nur ein- oder zwei¬
mal täglich. Nach 200 g Butter, die als einzige Nahrung an einem
Hungertag gegeben wurden, fand er 10 — 12 Stunden später einen ge¬
waltigen Anstieg der Azetonkörperausscheidung. Ob allerdings bei
solch unphysiologischen Ernährungsversuchen nicht auch unbeab¬
sichtigte Reizerfolge am Verdauungsapparat eine Rolle spielen, lässt
der Referent dahingestellt. Eiweiss als Nutrose (100 g) hatte keinen
Einfluss, die gleiche Menge Fleisch bewirkte Verminderung der Oxy-
buttersäure und Vermehrung des Azetons. Hungertage führten zu
einem starken Absinken der Azidosekörpermengen, eine Bestätigung
älterer Naunyn scher Erfahrungen.
2) E. Starkenstein - Prag: Ueber die Wirkung des Hydroxy-
koffeins und anderer Methylharnsäuren.
Beim Kaninchen wirkt Harnsäure nach dem Verfasser diuretisch,
in grösseren Gaben nierenschädigend. 3- und 7-Monomethylharn-
säure sind Erregungsgifte für das zentrale Nervensystem und haben
vorübergehende Anurie, später Polyurie und Tod zur Folge. 1-, 3-
Dimethylharnsäure wirkt leicht diuretisch ohne Schädigung des
Organismus. 1-, 3-, 7-Trimethylharnsäure (Hydroxykoffei'n) dagegen
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1603
ist ein kräftiges, unschädliches Diuretikum, idas klinischer Piiifung
wert3rrEe; Magnus -Aisleb eil- Jena: Versuche über relative
Im Experiment gelang es Magnus-Alsleben nui untei
.ranz extremen Verhältnissen (Aortenabklemmung, Infusion grosser
Kochsalzmengen) eine Insuffizienz der Mitralis oder lrikuspidalis
yn erzielen.
4) E. M a g n u s - A 1 s 1 e b e n - Jena: Zum Mechanismus der
MltrDurchPe*geeignete Fixierung des Herzens im Augenblick dei
Systole konnte der Verf. nachweisen, dass die beiden M.tralsegel
sich unter Bildung eines Knicks, wie von Hesse und Kr eh 1 an¬
gegeben, mit ihrem unteren Teil aneinander legen. Hieibei findet
mell eine Fältelung besonders des kleinen hinteren Segels statt.
Letzteres dient allein dem Abschluss nach dem Vorhof. Das grosse
vordere oder Aortensegel hat ausserdem die Aufgabe, dem Blutstrom
die Richtung nach der Aorta zu geben, indem es wahrend der Systole
mit dem Septum ein hierhin gerichtetes Rohr bildet.
5) 0. Q r o s - Leipzig: Ueber das Auftreten der Lackfarbe in
Blutkörperchensuspensionen unter dem Einflüsse der Warme
Das Lackfarbenwerden von Blutkörperchen in dei \\aime ist
abhängig von der Konzentration der Mischflüssigkeit, von deren Blut¬
gehalt und besonders von ihrem Qehalt an Wasserstoft- und Hydroxy
ionen. Steigende Temperatur beschleunigt es.
6) A. F r a e n k e 1-Badenweiler-Heidelberg und G. S c h w a r t z-
Strassburg: Ueber intravenöse Strophanthininjektionen bei Herz-
K nnken , , .
Die* Verfasser empfehlen warm intravenöse Strophanthminjek-
tionen in Fällen plötzlicher oder chronischer Herzschwäche aus
kardialen Ursachen. Die günstige Wirkung ist oft schon nach einigen
Minuten bemerkbar und trat bei der Mehrzahl der Lalle ein. Eo
kommen aber auch Kranke vor, die sich refraktar verhalten. Vei-
wendet wurde das B ö h r i n g e r sehe Strophanthin, das in Menge von
y4_ i mg in die Kubitalvene injiziert wurde. In 24 Stunden soll
nicht mehr als 1 mg, und. wegen der Kumulationsgefahr im ganzen
nicht mehr als 2 mg verabreicht werden.
7) A. F r a e n k e 1 - Badenweiler-Heidelberg: Zur Frage der
Kumulation, insbesondere beim Digaien.
Im Tierversuch konnte entgegen C 1 o e 1 1 a s Angaben bei
Digaien eine deutliche kumulierende Wirkung festgcstellt werden.
Digaien verhält sich also in diesen wie anderen Punkten den ubngen
Digitaliskörpern durchaus analog.
8) A. Fraenke 1-Badenweiler-Heidelberg: Bemerkungen zur
internen Digitalismedikation. ..... ,
Fraenkel tritt hier für die Verabreichung des Digitalispulveis
ein, falls man im Besitze einer wirksamen Droge ist. Zur Ver¬
meidung der Kumulation gebe man 0,3 g Pulvei pio die und mache
die weitere Medikation von dem Eintritt deutlicher therapeutischer
Wirkung abhängig.
9) C. L ö w e n s t e i n-Strassburg: Ueber Beziehungen zwischen
Kochsalzhaushalt und Blutdruck bei Nierenkranken.
Verf. fand in Uebereinstimmung mit den Angaben französischer
Autoren bei Nierenkranken ein Sinken des Blutdrucks bei kochsalz¬
armer Kost. Stärkere Kochsalzzufuhr bewirkte in einzelnen Fällen
Steigen des Blutdrucks, in 2 Fällen wurde sogar Lungenödem beob¬
achtet. Dies kann durch Steigen des Blutdrucks infolge Gefässkon-
traktion und Insuffizienz des linken Herzens bedingt sein. Odei das
Kochsalz wirkt direkt auf die osmotischen Verhältnisse der Lungen-
^clässc
10) R. B a y e r - Strassburg: Ueber den Einfluss des Kochsalzes
auf die arteriosklerotische Hypertonie.
Kochsalzfütterung bewirkte bei Arteriosklerotikern und manchen
Formen von Myokarditis eine Blutdrucksteigerung. Ueber das Zu¬
standekommen derselben lässt sich zur Zeit Näheres nicht sagen.
J. Müller- Wiirzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 30, 1907.
1) E. M e y e r - Königsberg i. Pr.: Untersuchungen des Nerven¬
systems Syphilitischer.
An 74 Fällen (1 im primären, 61 im sekundären, 12 im tertiären
Stadium) hat M. das Nervensystem eingehend untersucht. Darnach
führt die Syphilis im sekundären Stadium öfter zur Steigerung vorhan¬
dener Nervosität. Die allgemeine nervöse Erregbarkeit nahm bei
Vs— Vs der Fälle zu (lebhafte Patellarreflexe, Tremor, Kopfweh etc.),
bei einigen Fällen zeigten sich die Anfänge organischen Nervenleidens.
Leichte Pupillendifferenzen fanden sich ziemlich zahlreich, auch bei
den Fällen im tertiären Stadium. Unter 30 lumbalpunktierten
Syphilitischen ergab sich 19 mal Lymphozytose: doch konnte ein Zu¬
sammenhang zwischen den Liquorveränderungen und nervösen Be¬
schwerden nicht festgestellt werden.
2) L. Brieger und M. Krause- Berlin : Neuer Beitrag zur
Konzentrierung der Immunkörper im Diphtherieserum.
Zur Reinigung und Konzentrierung des Serum benützten Ver¬
fasser die Beobachtung, dass man mit CINa einen bedeutenden Nieder¬
schlag erhält, wenn man Serum, mit sterilem Wasser verdünnt oder
auch unverdünnt, mit CINa übersättigt und dass dieser Niederschlag
keine Antikörper mehr einschliesst. Der Gang des Verfahrens muss
im Original eingesehen werden.
3) L. Pick -Berlin: Ueber Meningokokken-Spcrmatozystitis.
(Schluss folgt.)
4) G. P e r i t z - Berlin: Neuralgie, Myalgie.
P. bespricht die Differentialdiagnose dieser oft verwechselten
Affektionen. Myalgie ist ausgezeichnet durch lokalen Druckschmerz,
ferner Hyperalgesie der Haut über den schmerzhaften Muskelpartien.
Häufig klagen solche Kranke über Parästhesien an den hyperalgeti¬
schen Bezirken. Myalgische Partien sind auch in der von spontanen
Schmerzen freien Zeit druckschmerzhaft. Die Myalgie zeigt typische
Lokalisation an den einzelnen Mnskelgruppen (im Original schema¬
tische Zeichnungen!), meist Stellen, wo die betr. Muskeln exponiert
liegen. Die sehr wirksame Therapie besteht in Injektionen mit
CINa (0,2: 100 mit 0,5 Novokain).
5) K e 1 1 n e r - Berlin: Ueber Gangrän des Skrotums.
Die ausgedehnte Gangrän trat bei dem 35 jährigen Kranken im
Anschluss an Erysipel ein. Die Deckung der Hautdefekte .ist möglichst
durch Plastik anzustreben. .
6) E. Roth schuh -Aachen: Syphilitische Familiengeschichten
aus Zentralamerika.
Mitteilung der Anamnese von 14, an einem Jage gesehenen
Fällen, von denen nur einer an Lues in Behandlung war, während
bei sämtlichen (zum mindesten in der nächsten Verwandtschaft) die
Erscheinungen syphilitischer Dyskrasie bestanden.
7) M. Cohn -Berlin: Ueber den Einfluss der Röntgendiagnostik
auf die Erkennung und die Behandlung der Ellenbogenbriiche.
Die Durchleuchtung ermöglicht die genaue Erkennung intra- und
extraartikulärer Frakturen und der Beteiligung der drei das Gelenk
zusammensetzenden Knochen. Die moderne Behandlung perhoi les¬
ziert bekanntlich länger liegenbleibende feste Verbände, sie wechselt
z. B. mit Stärkeverbänden bald in Streck- bald in Beugestellung des
Gelenkes. Das ergibt das beste funktionelle Resultat. Die frühzeitige
Anwendung der Hyperämie leistet in letzterer Richtung ebenfalls sehr
gute Dienste und verdrängt zum Teil die Massage in der Nachbehand¬
lung G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 30.
1) Adolf Bi ekel -Berlin: Ueber die Pathologie und Therapie
der Hycerchlorhydrie. Ein Vortrag für praktische Aerzte.
Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Frage, wobei Verf.
auch seine eigenen Untersuchungen und Erfahrungen (Diätregimc)
anführt.
2) R. Bassenge und M.Krause - Berlin: Zur Gewinnung von
Schutzstoffen aus pathogenen Bakterien.
Zur Gewinnung von Toxinen und anderen immunisierenden
Stoffen aus Typhusbakterien bewährten sich den Verfassern auch
Schüttelextrakte mit Glyzerin (lOproz.). die Glyzerinschütteltoxine
besitzen hohe immunisierende Eigenschaften, ergeben aber nicht so
günstige Resultate wie die Schüttelextrakte der lebenden Typhus¬
bakterien mit destilliertem Wasser.
3) P. M iih 1 e n s - Wilhelmshaven: Beitrag zur experimentellen
Kaninchenhornhautsyphilis.
Die Versuche des Verfassers zeigten, dass die spezifische syphi¬
litische Keratitis parenchymatosa beim Kaninchen auch durch Impfung
mit frischem Organsaft von kongenitaler Lues entsteht.
4) A. P 1 e h n - Berlin: Zur Frage der Arteinheit der Malaria¬
parasiten.
Vortrag im Verein für innere Medizin am 29. IV. 07, ref. Münch,
med. Wochenschr. 1907, No. 19, S. 965.
5) Felix Franke -Braunschweig: Diagnose und Behandlung
der chronischen Gelenkerkrankungen. (Schluss folgt.)
6) Kettner - Berlin : Ueber Automobilverletzungen.
Ein Fall von Radiusfraktur, wie sie beim Ankurbeln in der charak¬
teristischen, mehrfach beschriebenen Weise entsteht. — Ein Fall von
Abschälung der Haut eines ganzen Beins; der Lappen Hess sich
nicht erhalten. Nach Einleitung guter Granulationsbildung wurde in
der 9. Woche wegen Auftretens von Inanitionsdelirien die hohe Am¬
putation notwendig; nach weiteren 4 Wochen Fod an Broncho¬
pneumonie.
7) Julius Hell er -Charlottenburg: Ueber Hautveränderungen
beim Diabete bronce.
Vortrag im Verein für innere Medizin am 6. V. 07, ref. Münch,
med. Wochenschr. 1907, No. 20, S. 1015. #
8) H. A x m a n n - Erfurt: Lupusbehandlung mittels der Uviol-
lampe. T , .
In einem Fall (abgebildet) von ausgedehntem Lupus vulgaris des
ganzen Gesichts, Halses, Schultern und Brust schien die Uviolbehand-
lung der mit Finsenlampe überlegen zu sein. #
9) H. C i t r o n - Berlin : Ein Saccharometer zur gleichzeitigen Be¬
stimmung beliebig vieler Zuckerharne (modifiziertes Gär-Saccharo-
skop nach C i t r o n).
Beschreibung und Abbildung des Apparats.
10) C. A. E w a 1 d - Berlin: Zur Schwellenwertsperkussion des
Herzens.
Verf. wahrt seine Priorität für dieses Verfahren, das er übrigens
den anderen Methoden für gleichwertig, aber nicht überlegen hält.
R. Grashey - München.
10U4
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 30. A. S t r u b e 1 1 - Dresden : Ueber Methoden zur Be¬
stimmung der Herzarbeit.
Antrittsvorlesung.
A. Saxl-Wien: Die Beugeadduktionskontraktur bei Koxitis.
Durch absolute oder relative Insuffizienz der Glutäalmuskulatur
wird in der Regel der Erfolg eines Redressements der Adduktions¬
beugekontraktur in Frage gestellt und es kommt zu Rezidiven. Verf.
gibt daher der subkutanen subtrochanteren Osteotomie, wie sie von
Aberle (Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie 1905, XIV) beschrieben
wurde, den Vorzug. 70 Kranke hat S. auf diese Weise ohne Kom¬
plikation operiert.
O. Kren- Wien: Ueber das Vorkommen der „Trichonodosis*
(Q a 1 e w s k i).
K. hat bei seinen Untersuchungen gefunden, dass die von
Galewski als Trichonodosis beschriebene Knotenbildung an den
Haaren keine Krankheit darstellt, sondern eine auf physikalischen
und mechanischen Einflüssen beruhende, auch bei Gesunden sehr
häufig vorkommende Erscheinung ist. Eine grosse Rolle scheinen
dabei die weitverbreiteten mechanischen Prozeduren und im Ucber-
mass angewendeten entfettenden Mittel, wie auch das zu häufige
Waschen mit Alkalien, Spirituosen und Aether zu bilden, wodurch
die Struktur des Haarschaftes verletzt und verändert wird.
Riehl -Wien: Zur Behandlung der Vergiftung mit Schlangen¬
biss.
Solange das wirksame, von Calmette hergestellte Kobra¬
antitoxin kein Analogon für die Gifte unserer europäischen Gift¬
schlangen erhalten hat, empfiehlt sich am meisten die von Calmette
vorgeschlagene Behandlung mit subkutanen Chlorkalkinjektionen in
der Umgebung der Bissstelle. Die Lösung beträgt 1 Chlorkalk auf
12 W asser, vor dem Gebrauch auf die 5 — 6 fache Menge mit destil¬
liertem W asser zu verdünnen, 10 — 20 g einzuspritzen. Verf. hat ent¬
sprechende haltbare 1 abletten hersteilen lassen und er schlägt vor,
solche labletten und Spritzen in möglichster Zahl gebrauchsfertig
in den von Schlangen heimgesuchten Gegenden zu deponieren.
Prager medizinische Wochenschrift.
No. 17. A. G a r k i s c h - Prag: Ueber Tuberkulose der Portio
vaginalis.
Mitteilung eines Falles aus der v. Franqu eschen Klinik.
Nachdem durch Probeexzision die Tuberkulose festgestellt war, wurde
die Totalexstirpation des hypoplastischen Uterus vorgenommen. Zer¬
vix, Korpus und 1 üben erwiesen sich als tuberkulös erkrankt, wie
man annehmen muss auf hämatogenem Wege; weder fand sich bei
der Patientin .selbst sonstige Tuberkulose, noch waren deren Gatte
und Eltern erkrankt.
No. 17 19. W. M o r t o n - New York: Trypsin zur Karzinom¬
behandlung.
No. 19. W. M o r t o n - New York : Ueber einen mit Trypsin be¬
handelten Fall von Krebs.
ln diesen beiden Artikeln wird über 30 Fälle von Trypsininjek¬
tionen und Amylopsinbehandlung nach Beard berichtet. In allen
scheint eine Besserung im Fortschreiten des Prozesses stattgefunden
zu haben, in einzelnen zeigte sich eine Heiltendenz durch Binde¬
gewebsbildung, Atrophie und Degeneration, bei zwei Fällen von Ge¬
sichtskrebs ist eine Heilung anzunehmen. Jedenfalls sind weitere
Versuche zu empfehlen.
No. 18/19. A. S i t z e n f r e y - Prag: Mammakarzinom zwei
Jahre nach abdominaler Radikaloperation wegen doppelseitigem
Carcinoma ovarii.
Der sehr genau beschriebene Fall zeigt ein primäres Adeno¬
karzinom des einen Ovariums mit einer Metastase im rechten
Ovarium. In der einen Mamma fand sich nach 214 Jahren ein pri¬
märer und ein möglicherweise metastatischer Karzinomknoten. Zu
beachten ist an sich die relativ lange Erhaltung des Lebens nach der
Operation des doppelseitigen Ovarialkarzinomes.
No. 24. H. R u b r i t i u s - Prag: Ueber die Frühoperation der
akuten Osteomyelitis.
8 Krankengeschichten aus der Wölflerschen Klinik. Die
i i ii h z e i t i g e Aufmeisselung bringt die akute Osteomyelitis rascher
zur Heilung und verhütet ebenso in vielen Fällen die Nekrosenbildung
w ie die Allgemeininfektion.
No. 24. v. Jaksch - Prag: Ueber ein neues radiotherapeutisches
Verfahren.
Verf. hat eine Reihe von Versuchen gemacht über die Durch¬
lässigkeit verschiedener Metalle für die Röntgenstrahlen und hat vor
ahem gefunden, dass eine Silberplatte (von 0,02 mm Dicke) imstande
ist, die für die Haut schädlichen Strahlen abzuhalten, die in die Tiefe
wirkenden Strahlen aber durchzulassen. Vielleicht lässt sich auf
Grund dieser Erfahrungen durch Verwendung verschiedener Metall¬
arten die Röntgentherapie beispielsweise der Leukämie noch weiter
verfeinern und ausbauen.
No 24. M. P e r 1 s e e - Leitmeritz: Ein therapeutischer Beitrag
zur Behandlung abnormer menstrueller Blutungen, besonders im
Klimakterium.
In 5 näher angeführten Fällen solcher klimakterischer Blutungen
teilweise verbunden mit Myomen, hat Verf. nach dem Gebrauch von
Thyreoidintabletten (dreimal täglich 1—2 Stück) ganz wesentliche
Besserungen gesehen. B e r g e a t - München.
Norwegische Literatur.
H. J. Vetlesen: Phosphorsaures Natron bei neurasthenischen
Zuständen. (Norsk Magazin for Lägevidenskaben 1907, No. 4.)
Der Verfaser empfiehlt bei Morbus Basedowii und bei Neur¬
asthenie phosphorsaures Natron in wässeriger Lösung 15:250, 1 Ess¬
löffel voll 4 mal täglich.
Olaf Scheel: Angeborene Herzfehler. (Ibidem.)
Im ersten Fall handelt es sich um einen offenen Ductus Botalli
bei einer 28 jährigen Frau, die an Pneumonie starb. Der Verfasser
sucht die Einwirkung dieses Fehlers auf die Herzfunktion näher nach¬
zuweisen. indem er sich u. a. auf Messungen der Gefässdimensionen
stützt, mit Normalzahlen von eigenen Messungen bei Frauen derselben
Altersklasse verglichen. Die starke Erweiterung der Pulmonalarterie
und die Hypertrophie der rechten Herzhälfte zeigt ein diastolisches
Ueberfliessen des Blutes von der Aorta nach der Art. pulm. zu;
systolisch muss ein Ueberfliessen in entgegengesetzter Richtung statt-
gefunden haben, denn die Aorta descendens hat unter dem Ductus
Botalli eine normale Weite, während die Aorta ascendens 1 cm über
den Klappen verengert war. Diese Enge der Aorta ascendens mit
der subnormalen Kapazität des linken Vorhofs und Ventrikels zu¬
sammengehalten, zeigt, dass ein Teil des Blutstromes der linken
Herzhälfte entgangen ist, teils durch das systolische Ueberfliessen
von der Art. pulmonalis nach der Aorta zu, teils möglicherweise durch
die herabgesetzte Lungenzirkulation wegen der Pulmonalsklerose.
Der Verfasser sucht ferner in den einschlägigen Fällen der Literatur
die Herzfunktion nach ähnlichen Prinzipien zu beurteilen und stellt
3 Gruppen auf, in denen er die die Herzfunktion und Zirkulation
betreffenden Verhältnisse näher untersucht: 1. Art. pulmonalis er¬
weitert, Aorta ascendens eng; 2. Art. 'pulmonalis erweitert, Aorta
ascendens normal; 3. Art. pulmonalis und Aorda ascendens erweitert.
Im zweiten Fall handelte es sich um Transoositio aortae et arteriae
pulmonalis bei einem 4 wöchentlichen Mädchen. Immer ein wenig
Zyanose der Lippen, die Respiration während des Saugens er¬
schwert. Die letzten 2 Tage traten Blutbrechen und Melaena auf.
Die Sektion ergab den Ursprung der Aorta aus dem rechten Ventrikel
rechts und etwas nach vorne von der Art pulmonalis, die aus dem
linken Ventrikel kommt. Rechter Ventrikel stark erweitert und
hypertrophisch, linker Ventrikel bedeutend kleiner. Die venösen
Ostien und die Vorhöfe in normaler Lage. Duct. Botalli und Foramen
ovale offen. Der Verfasser untersuchte näher die Blutzirkulation und
die Herzfunktion. Als unmittelbare Todesursache fanden sich Em¬
bolien mit Infarktbildung des Dünndarmes.
Nils Bäcker Gröndahl: Ueber Pankreas- und Fettgewebs-
nekrosen nach Gallensteinanfällen. (Aus dem pathologisch-anatomi¬
schen Laboratorium Ullevaal.) (Ibidem, No. 5.)
Auf 5 Fälle gestützt gibt der Verfasser eine genaue makro- und
mikroskopische Untersuchung der Leiden und eine klinische Ueber-
sicht der Frage. Von speziellem Interesse war der Nachweis von
charakteristischem Pigment in den Nekrosen, welches als Resultat
von Fettspaltungen aufzufassen ist und wahrscheinlicherweise aus
fettsauren Alkali- oder Erdalkalisalzen besteht.
E. H. fiansteen: Spontane Ruptur der Aorta. (Aus dem
pathologischen Institut des Reichshospitals.) (Ibidem.)
Ein 23 jähriger, bisher gesunder Mann stellte sich als Rekrut zum
Militärdienst und marschierte am ersten Tag mit seiner Kompagnie
den 15 km langen Weg nach dem Exerzierplätze, wurde dort von der
Kontrollkommission untersucht und gesund befunden. Er sollte dann
mit seinen Kameraden seine Matratze mit Stroh füllen; während
dieser Arbeit sank er plötzlich zusammen und starb. Bei der Sek¬
tion wurde eine rechtwinkelige Aortaruptur gefunden, deren horizon¬
taler Schenkel 4 cm lang und perforierend, der vertikale Schenkel
3 cm lang und nur durch die Intima dringend. Die perforierende
Ruptur führte bis an die Wand der Art. pulmonalis und neben dieser
in den Herzbeutel, der mit 500 g Blut gefüllt war. Die Aorta zeigte
sich makro- und mikroskopisch ganz normal, ohne Atheromasie oder
fibröse Entartung des elastischen Gewebes. Das Herz war ein wenig
hyper trophiert, sonst ganz normal. Bei der Besprechung der ver¬
schiedenen Möglichkeiten zur Erklärung der Ruptur spricht sich der
Verfasser gegen die Annahme einer ganz spontanen Ruptur aus und
tiii die Annahme einer traumatischen Einwirkung am vorhergehenden
läge, über die eine Aufklärung nicht zu erhalten war; dieses Trauma
bewirkte die Ruptur, mit der der Patient immerhin noch 24 Stunden
leben konnte.
.1. H. Bidenkap: Die Speckphlegmone. (Der „Speckfinger“
der norwegischen Eismeerfischer.) (Ibidem.)
Dieses Leiden tritt bei den Eismeermannschaften auf, ist eine die
inger angreifende chronische Lymphangitis mit sekundärer arthro-
gener Affektion; in den schwereren Fällen entsteht vorübergehende
Entzündung der Weichteile der Hand und des Arms, von leichter
Arthroitis des Hand-, Ellenbogen- und Schultergelenkes begleitet.
Der angegriffene Finger schwillt in toto schnell an, wird fibrös ver-
dickt und nimmt eine gelbbraune Farbe an; er steht in Extension; die
Konsistenz ist etwas elastisch, wenn man einschneidet, findet man
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1605
nie Eiter, sondern die Haut und das subkutane Gewebe ist verdickt, I
fettartig und ist Speck vollständig ähnlich; es tritt leichtes Oedern
der Hand und des Armes auf, welches schnell schwindet, während |
die Haut des Fingers nach und nach atrophiert; die Folgen der
Arthroitis der Fingergelenke sind mehr oder weniger starke An¬
kylosen. Das Leiden dauert mehrere Monate. Die Krankheit tritt
nur bei den Mannschaften auf, die beschäftigt sind, Seehunde und
Walrosse zu fangen und flensen. Das Leiden ist von infektiöser Art
und entsteht ohne Zweifel während des Zerteilens der Tiere. Im¬
munität tritt nicht ein. Die Infektion findet speziell in Wunden statt,
die im Begriff sind zu heilen. Das Leiden unterscheidet sich von der
gewöhnlichen Phlegmone dadurch, dass Rubor fehlt, keine Neigung
besteht die Gelenke anzugreifen, durch seine lange Dauer ohne
Fieber, endlich, dass die Speckphlegmone nicht erweicht wird, nicht
Eiter absondert und eine andere Behandlung erfordert. Einschnitt
hilft nie, wenn die Gelenke schon affiziert sind; die Fischer selbst
wenden warme Umschläge an. Der Verfasser empfiehlt eine 10 proz.
Ichthyolsalbe, vielleicht lässt sich das von P o u Ls e n - Kopenhagen
bei Erysipeloid empfohlene Einpinseln mit 4 proz. Chromsäurelösung
oder die Bier sehe Stauung anwenden. Die mikroskopische Unter¬
suchung des angegriffenen Fingers ergibt eine chronische, sklero-
sierende Entzündung. In sehr seltenen Fällen tritt Mischinfek¬
tion auf, so dass Periostitis und Pyarthros sich mit so heftiger
Affektion der Gewebe entwickelt, dass Amputation notwendig wird.
0. Berner: Ein Fall von Bronchialsteinen. (Aus dem patho¬
logisch-anatomischen Institut der städtischen Krankenhäuser Chri-
stiania.) (Ibidem.)
Es handelte sich um eine 43 jährige Frau, die seit 5 Jahren hustet
und ab und zu expe'ktoriert; vor 14 Tagen hustete sie ca. 200 ccm
Blut aus, später fand sich ein wenig Blut in dem Expektorat. Sie
wird moribund in das Krankenhaus überführt. Bei der Sektion wurde
in der rechten Lunge eine gangränöse Kaverne und rechtsseitiger
Pyopneumothorax gefunden, die linke Lunge war normal. Nirgends
Spur von Tuberkulose. In dem rechten grossen Bronchus wurde ein
grosser Stein, in den folgenden Bronchialästelungen zwei kleine Steine
gefunden. Um den grossen Stein herum war die Schleimhaut ulzeriert
und stark injiziert. Die Broncholithen müssen in diesem Fall als primär
betrachtet werden, sekundär hat sich die Blutung und die Infektion
mit ihren Folgen, die gangränöse Kaverne und der Pyopneumothorax,
entwickelt.
Axel Holst: I. Beri-beri. II. Untersuchungen über Schiffs-
beri-beri. Einleitung: Ueber Polyneuritis gallinarum Eijkmani. (Ibi¬
dem No. 6.)
Der Verfasser gibt zuerst eine Beschreibung der sogen. Schiffs-
beri-beri, ein Leiden, das dem Skorbut sehr ähnlich ist und wie dieser
durch frische Nahrung geheilt wird; Schiffs-beri-beri ist durch eine
allgemeine Schwäche mit Oedemen charakterisiert, Dyspnoe und
Herzschwäche kann eintreten und die Patienten können an akuter
Herzparalyse sterben. Periphere Neuritis ist bei dieser Krankheit
selten, es scheint deshalb zweifelhaft, dass sie mit der tropischen
und japanischen Beri-beri identisch ist. Als Ursache der Krankheit
wird schlechtes, ohne Hefe zubereitetes Brot, getrocknete Erdäpfel
und Nahrungsmittelkonserven angesehen. Der Verfasser veröffent¬
licht demnächst eine Reihe Versuche, die er mit Tauben und Küchlein
gemacht hat, indem er die Tiere mit solchen Nahrungsmitteln fütterte,
die bei den Menschen Schiffs-iberi-beri verursachen. Dadurch gelang
es ihm, die von Ei jk mann (Arch. f. Hygiene 1906, Bd> 58) so genannte
Polyneuritis gallinarum hervorzurufen. Es gelang ihm hier zu
zeigen, dass die Ursache des Leidens in hermetischen Nahrungs¬
mitteln (in Autoklave gekochtes Ochsenfleisch) und in schlechtem
Brot zu suchen ist, die Schädlichkeit der getrockneten Erdäpfel
zu beweisen gelang ihm nicht. Dazu kommt, dass die Polyneuritis
gallinarum mehr der japanischen als der Schiffs-beri-beri ähnlich
scheint, der Verfasser hat deshalb die Versuche mit Geflügel aufge¬
geben und wird später Versuche mit Säugetieren mitteilen.
Dreier: Ueber die puerperale Mortalität in Norwegen.
(Ibidem.)
In dieser bedeutenden statistischen Abhandlung zeigt der Ver¬
fasser die in den späteren Jahren verminderte puerperale Mortalität,
die 1866—1876 6—7 Prom., 1876—1880 5—6 Prom., 1891—1893 4,3
Prom. und 1901 — 1904 2,8 Prom. war. In den Jahren 1866 — 1880
waren 10 Proz. der im Alter von 15 — 50 Jahren gestorbenen Frauen
Wöchnerinnen, in den Jahren 1896 — 1900 nur 5 Proz. Das seltenere
Auftreten des Puerperalfiebers ist Schuld an der verminderten Mor¬
talität.
Olaf Scheel: Gefässmessungen und Arteriosklerose. (Ibidem.)
Durch Gefässmessungen zeigt der Verfasser, dass der Unter¬
schied der Gefässweite der zwei Geschlechter von der Körperlänge
abhängig ist; innerhalb der einzelnen Altersgrenzen ist die Gefäss¬
weite von dem Blutdruck abhäpgig. Das Leben lang nimmt die
Elastizität gleichmässig und progressiv aib, während die Gefässweite
zunimmt, diese Veränderungen werden von dem immer auf die Ge-
fässe wirkenden Blutdruck verursacht. Die Variationen des Blut¬
drucks sind teilweise individuell und erklären teilweise die indi¬
viduellen Veränderungen der Gefässweite, können aber nicht alle
Variationen der Gefässweite erklären; angeborene oder erworbene
individuelle Veränderungen der Widerstandsfähigkeit der Gefässe
spielen auch eine Rolle. Der Verfasser meint, dass der Elastizitäts-
Verlust und die Ausdehnung derselbe Prozess ist, der später zu
Arteriosklerose führt, und dass dieselben Gesetze für den Elastizitäts-
verlust und für die Arteriosklerose gelten, ferner dass diese Ver¬
änderung der Gefässe von der Zeit anfängt, wann der Körper ausge¬
wachsen ist, und dass sie sich unter der Wirkung des Blutdruckes
gleichmässig bis zu den höchsten Graden der Arteriosklerose fort¬
setzt. Der Verfasser behauptet, dass die Beurteilung der ätiologischen
Faktoren der Arteriosklerose mit Berücksichtigung der pathologischen
Anatomie stattfinden muss, so dass man immer Fälle innerhalb der¬
selben Altersklasse vergleicht und nicht das grösste Gewicht auf
die arteriosklerotischen Lokalveränderungen, sondern mehr auf die
Gefässweite legt. Adolph H. M e y e r - Kopenhagen.
Rumänische Literatur.
M. Manicatide: Ueber eine spezielle Form von typhösem
Fieber. (Romania medicala und Presa medicala romäna, No 1/2
1907.)
Der Verfasser beschreibt eine besondere Form von Typhus bei
Kindern, welche in der Literatur noch nicht, oder nur in ungenügender
Weise erwähnt worden ist und bringt 26 einschlägige Beobachtungen.
Es handelt sich hierbei gewöhnlich um Kinder, welche den Eindruck
machen schwer krank zu sein, hohes Fieber (39—39,5 °) haben, abge¬
schlagen, somnolent sind, bei Nacht delirieren, eine trockene Zunge
mit roten Rändern, mitunter auch Epfstaxis darbieten, kurz wie
schwer Typhuskranke erscheinen. Nichtsdestoweniger kann es
Vorkommen, dass [die Temperatur nach wenigen, meist 3 — 7 lagen,
in plötzlicher Weise abfällt und Genesung eintritt. Während der
Krankheitsperiode ist die Diazoreaktion positiv, ebenso die Agglu-
tinierung .im Verhältnisse von Wo — Woo, auch fand der Verfasser, sei
es im Pharynxschleim oder im Harne, Eberthsche Bazillen; die
Diagnose Typhus aDüominalis konnte also in allen Fällen bestimmt
nachgewiesen werden und trotzdem verlief der ganze Krankheits¬
prozess in wenigen Tagen. Die Untersuchung des Blutes auf Plas¬
modien fiel in allen Fällen negativ aus und konnte folglich Malaria aus¬
geschlossen werden.
V.Babes und Th. Mironescu: Plastische Linitis und Magen¬
krebs. (Ibidem.)
Die Untersuchungen über plastische Linitis oder Magenzirrhose,
wie die Krankheit in Deutschland genannt wird, haben noch nicht
vollkommene Uebereinstimmung der Autoren zur Folge gehabt, denn
obwohl die Mehrzahl die Krankheit als eine krebsige Entartung be¬
trachtet, bestehen doch gewisse Meinungen, denen zuiolge es sich
um einen entzündlichen Prozess handeln würde. Auf Grund eines
letzthin untersuchten Falles von plastischer Linitis, neigen die Ver¬
fasser der Meinung zu, dass es sich um einen gelatinösen Krebs
handelt.
.1. D. G h i u 1 a m i 1 a: Die Behandlung des Pes varo-equinus beim
Kinde. (Ibidem.)
Die nach den heutigen Anschauungen als rationellste Behand¬
lungsmethode erscheinende manuelle Redressierung, ohne eingreifende
blutige Operation, mit Ausnahme einer eventuellen Sektion der
Achillesferse, ist auch vom Verfasser in mehreren Fällen mit sehr
gutem Erfolge angewendet worden. Je früher die Behandlung be¬
gonnen wird, desto günstiger sind auch die zu erzielenden Resultate.
Komplizierte Apparate sind unnötig und im allgemeinen muss man
daran festhalten, dass durch methodische, wenn auch längere Zeit in
Anspruch nehmende Redressierungen, viel mehr zu erzielen ist, als
durch gewaltsame Eingriffe. Anfangs wird nur die falsche Stellung
korrigiert, später werden leichte Verbände angelegt und bei fort¬
schreitender Besserung der Fass in einen Gipsverband gelegt. Es
ist von Vorteil eine Hyperkorrektion vorzunehmen, d. h. den Varo-
equinus in einen Calcaneo-valgus zu verwandeln. Ist dies nicht gut
möglich, dann wird die Achillessehne durchschnitten. Später werden
Zelluloidapparate mit Charnieren am Sprunggelenke, die nur die
Beugung, aber nicht auch die Streckung gestatten, eventuell auch
mit elastischem Zuge versehen, um fehlerhafte Haltungen auszu¬
gleichen, angelegt. Bei Kindern die bereits gehen, ist es gut, unter
dem Kalkaneus eine dicke Watteschichte in den Kontentivverband
einzubetten; da der Fuss nicht nach vorne rutschen kann, ist der
Absatz genötigt beim Gehen immer tiefer und tiefer hinunterzusinken,
wodurch eine Selbstverbesserung der Varusstellung erzielt wird.
Mehrere photographische Abbildungen illustrieren die vom Verfasser
mit seinen Apparaten und Verbänden erzielten Resultate.
G. Marinescu und .1. Minea: Notiz über einige kleine sym¬
pathische Ganglien von mikroskopischer Grösse, in der Nachbarschaft
der Spinalganglien: sympathische Hypospinalganglien. (Romania me¬
dicala, No. 3/4, 1907.)
Die Verfasser haben nach der Methode von Cajal mit redu¬
ziertem Silbernitrat die Spinalganglien in Serienschnitten in verschie¬
denen normalen und pathologischen Fällen beim Menschen studiert
und gefunden, dass ausser den bekannten Spinalganglien noch kleine,
meist mikroskopische Ganglien vorhanden sind, die unterhalb der
Hauptganglien gelegen sind und für welche sie den Namen Hypo-
spinalganglien vorschlagen. Um dieselben zu finden, muss man bei
der Präparierung der Spinalganglien und ihrer peripheren Wurzeln,
auch das ganze Zellgewebe mit herausnehmen, welches hier eine
Fliille der subganglionären Wurzeln bildet.
Die erwähnten Ganglien stehen durch einen kürzeren oder län¬
geren Ast in Verbindung mit den Spinalganglien oder dem Spinal¬
nerven. Ihre Zahl ist eine schwankende; in einigen Fällen findet
1606
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
man nur ein einziges Ganglion, welches in anderen Fällen durch
mehrere ersetzt ist. In einem Falle von Myelitis konnte man in der
Höhe des zweiten Sakralganglions acht derartige mikroskopische
Ganglien zählen.
Was die Funktion dieser Ganglien anbetrifft, so können wohl
Vermutungen gemacht, aber keine bestimmte Meinung aufgestellt
werden.
A. Stamatiade: Beiträge zum Studium der Läsionen der
Nebennieren bei verschiedenen Krankheiten. (Inauguraldissertation,
Bukarest 1907.)
ln dieser unter der Leitung von B a b e s ausgeführten Arbeit,
gibt der Verfasser das Resultat der mikroskopischen Untersuchung
einer Serie von über 20 Nebennieren und gelangt zum Schlüsse, dass
diese Organe, im Verlaufe verschiedener Krankheiten, viel tiefgreifen¬
dere Störungen darbieten, als dies für gewöhnlich angenommen wird.
Durch Färbungen mit Scharlach-Hämatoxylin zeigt es sich, dass
namentlich das Fettgewebe der Suprarenalkapseln verschiedene Ver¬
änderungen erleidet. Dasselbe 'ist bei Hypertrophie der Organe
vermehrt, fehlt hingegen bei schweren, septischen oder putriden In¬
fektionen, sowie auch bei Abdominaltyphus. Bei Krebs der splanch-
nischen Organe besteht immer eine bedeutende Hypertrophie der
Nebennieren, in drei Fällen wurde sogar eine adenomatöse Entartung
derselben gefunden. Diese Befunde würden vielleicht für eine be¬
deutend gesteigerte antitoxische Funktion dieser Organe sprechen.
In allen Fällen von akuter und verbreiteter Tuberkulose wurden
miliare Tuberkel in den Nebennieren gefunden. Als weitere Verände¬
rungen, welche in den Nebennieren beobachtet werden können, er¬
wähnt der Verfasser: hyaline Degenereszenz, lokalisierte oder aus¬
gebreitete Lipochromatose, fibröse oder Sklerose Veränderungen des
Parenchyms und besonders gewisse nekrotische Formen.
Poenaru-Caplescu: Die Behandlung der Varikozele auf
der Klinik des Prof. Dr. Thoma Jonnescu. (Revista de Chirurgie,
April 1907.)
Der Verfasser beschreibt 30 Fälle von Varikozele, welche er auf
der Klinik von Th. Jonnescu und nach dessen Methode mit gutem
Erfolge operiert hat. Der Vorgang besteht im wesentlichen in einer
Kombination der Methode von Francesco Parona (Inzision und
Eversion der Vaginalis) mit Isolierung und Resektion des varikösen
Venenbündels und, wo notwendig, Resektion eines Teiles der Skrotal-
liaut. Als praktische Neuerung ist zu vermerken, dass die Fäden
der beiden Venenligaturen aneinander geknüpft werden, wodurch
eine solide Suspension für den Testikel geschaffen wird. Die Opera¬
tionen wurden meist unter Rhachistovainisierung vorgenommen. Die
Nähte blieben länger (9 — 11 Tage) als dies bei anderen Operations¬
wunden der Fall ist, liegen, weil die Erfahrung gelehrt hat, dass
Skrotalwunden sich viel langsamer vereinigen.
Th. Mironescu: Experimentelle Läsionen der Aorta bei Ka¬
ninchen, hervorgerufen durch Adrenalineinspritzungen. (Romania me-
dicala, No. 7, 1907.)
Es sind zahlreiche Arbeiten gemacht und veröffentlicht worden,
die sich mit den Veränderungen beschäftigen, welche durch intra¬
venöse Adrenalininjektionen in der Kaninchenaorta hervorgerufen
werden. Während die Einen der Ansicht sind, dass dieselben der
menschlichen Arteriosklerose ähnlich sind, finden die Anderen, dass
es sich nur um nekrotische Erscheinungen handelt und schlagen für
die betreffenden Veränderungen die Bezeichnung Arterionekrose statt
-Sklerose vor. Der Verfasser hat diese Untersuchungen von neuem
aufgenommen und hierzu junge Kaninchen im Gewichte von 1200
bis 1800 g benützt, welchen er im Verlaufe von 25 — 30 Tagen 3 — 4
intravenöse Einspritzungen von 2,5 — 2,8 ccm Adrenalinlösung 1 prom.
gemacht hatte. Bei der Sektion zeigte die Aorta der Versuchs¬
tiere bei Färbung mit Hämatoxylineosin eine Verdickung der Intima
mit Proliferierung der Zellen und zahlreichen Fibroblasten, Verände¬
rungen, denen eine Aehnlichkeit mit der menschlichen Arteriosklerose
nicht abgesprochen werden kann. An manchen Stellen erschienen die
elastischen Fasern wie gerissen, die Muskelfasern nekrotisch und
oft kalkig infiltriert, auch aneurysmatische Ausbuchtungen der Intima
gehörten nicht zu den Seltenheiten. Diese Veränderungen kommen
sonst bei Kaninchen nicht vor, wie dies M. in mehr als 300 Sektionen
feststellen konnte und man kann daher sagen, dass das Adrenalin die
Ursache derselben ist. Wenn also andere Forscher zu abweichen¬
den Resultaten gelangt sind, so kann dies nur auf die geringe Anzahl
von Versuchen und auf spezielle Umstände derselben zurückgeführt
werden.
Elisa Stefan esc u: Die Gegenwart der N e g r i sehen Körper¬
chen in den Speicheldrüsen wutkranker Hunde. (Ibidem.)
Die zuerst von B a b e s und dann von N e g r i näher beschrie¬
benen Körperchen, die von einer hellen Zone umgeben im Protoplasma
der Nervenzellen wutkranker Tiere auftreten, spielen in dieser Krank¬
heit gewiss eine wichtige, aber bis jetzt noch nicht näher festgestellte
Rolle. B a b e s erklärt dieselben als spezifische Körperchen, die
durch ihr Eindringen in die Nervenzellen in denselben eine Reizung
hervorrufen, worauf die Reaktion der Zelle sich dadurch kundgibt,
dass sie das fremde Körperchen mit einer Kapsel umgibt und es
auf diese Weise isoliert. Als Beweis wäre der Umstand anzuführen,
dass die N e g r i sehen Körperchen nur in den einigermassen ver¬
änderten Nervenzellen, welche also denselben noch eine Resistenz
darbieten, nicht aber in den gänzlich zerstörten Nervenzellen gefunden
werden. Die Virulenz der Speicheldrüsen hat viele Forscher ver¬
anlasst die betreffenden Körperchen auch in diesen Drüsen aufzu-
suchen, doch waren ihre Resultate negative. Der Verfasserin ist
es nun gelungen, auch in der Parotis eines wutkranken Hundes N e -
g r i sehe Körperchen aufzufinden. Die betreffenden Präparate wur¬
den in Formol gehärtet, mit dem Gefrierungsmikrotom geschnitten
und mit Eosinmethylenblau gefärbt. Die Körperchen erscheinen hier¬
bei rotviolett und sind von dem blauen Protoplasma leicht zu unter¬
scheiden. Bei demselben Tiere wurden auch im Ammonshorne, in den
Purkinje sehen Zellen und in der Hirnrinde N e g r i sehe Körper¬
chen gefunden, während dieselben im Bulbus und Rückenmarke
fehlten.
Poenaru-Caplescu: Penetrierende Wunden der Prä-
kordialgegend. (Spitalul, No. 9, 1907.)
Der Verfasser beschreibt die Fortschritte, welche die Herz¬
chirurgie in den letzten Jahren gemacht hat und empfiehlt, in An¬
betracht der guten Erfolge, die von zahlreichen Chirurgen bereits in'
dieser Beziehung erzielt worden sind, die sofortige Naht der be¬
stehenden Herzwunden. Er beschreibt einen selbstoperierten Fall,
in welchem es sich um einen 19 jährigen Selbstmörder gehandelt
hatte, der sich einen Messerstich in die Herzgegend beigebracht hatte.
Die starke Verbreiterung der Herzdämpfung, das Angstgefühl, die
Dyspnoe und bestehende Zeichen innerer Blutung deuteten auf eine
penetrierende Herzwunde hin. Durch Resektion der 4., 5. .und 6.
Rippe nahe der Mammillarlinie wurde ein thorakoplastischer U-för-
miger Knochenmuskellappen gebildet und medianwärts umgeschlagen.
Das durch den Messerstich durchbohrte Perikard wurde breit ge¬
öffnet, die Blutgerinnsel aus dem Herzbeutel und der Brusthöhle
entfernt, die Herzwunde durch mehrere Katgutnähte vereinigt, worauf
Herzbeutel und Brustlappen genäht wurden. Es erfolgte Vereinigung
per primam und der Kranke konnte das Spital geheilt verlassen, nach¬
dem auch der aufgetretene Pneumothorax vollkommen ausheilte.
Peinliche Asepsis ist Hauptbedingung für das Gelingen eines derar¬
tigen Eingriffes und macht eine Drainierung .der Perikardialhöhle über¬
flüssig.
C. Jonescu-Mihaesci: Beiträge zur Durchgängigkeit des
Darmes für inerte Pulver. (Bukarest 1907.)
Der Verfasser hat unter der Leitung von J. Cantacuzino
bei Meerschweinchen neue Untersuchungen angestellt um festzu¬
stellen, ob und in wie weit inerte Pulver durch die intakte Darm-
schleimhaut hindurchgehen und ob die Anthrakose auf eine Resorption
vom Darme aus zurückgeführt werden kann. Die verwendeten Tiere
waren Meerschweinchen, denen man mit der Oesophagussonde ver¬
schiedene Farbstoffe, wie Karmin, Zinnober, Pflanzenkohle, Rauch¬
schwarz etc. eingab. Die Versuchstiere wurden nach %, 24, 48
und 72 Stunden getötet und die aus der Lunge und den verschiedenen
in Betracht kommenden Organen hergestellten Präparate mikro¬
skopisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass in der grossen
Mehrzahl der Fälle eine Ablagerung der eingeführten pulverförmigen
Körper in den untersuchten Organen nicht stattgefunden hatte, dass
folglich von einer Durchgängigkeit der Darmwand für inerte Pulver
nicht gesprochen werden kann.
D. Calinescu: Vorschlag, anschliessend an alle ländliche
Schulen Bäder einzurichten. (Spitalul, No. 10, 1907.)
Ausgehend von dem Erfahrungssatze, dass Reinlichkeitsbegriffe
von frühester Jugend auf eingeprägt werden müssen, schlägt C.
vor, in Verbindung mit allen Landschulen Volksbäder einzurichten,
in welchen alle Schulkinder einmal wöchentlich Bäder nehmen sollen
und wo auch die sonstige Bevölkerung gegen billiges Geld solche
soll nehmen können. Auf diese Weise könnte man die bei den alten
Völkern so allgemein verbreitete Vorliebe für Bäder und Bade¬
anstalten wieder in den breiteren Volksschichten aufleben lassen.
Poenaru-Caplescu: Zwei Fälle von Gefässnaht. Heilung.
(Ibidem.)
Im Laufe zweier chirurgischer Eingriffe geschah es, dass P.-C.
einmal die Axillararterie und das andere Mal die Vena saphena in¬
terna in einer Ausdehnung von 20, resp. 12 mm und in longitudinaler
Richtung anschnitt. Die Gefässe wurden gleich mit Katgut genäht,
darüber die Gefässscheide ebenfalls mittels einiger Nähte vereinigt
und es konnte so vollkommene Heilung erzielt werden. Im ersteren
Falle blieb der Radialpuls ununterbrochen gut fühlbar und auch im
zweiten Falle war keinerlei Zirkulationsstörung zu bemerken. Die
Gefässnaht kann also heute als ein leicht ausführbarer, praktischer
chirurgischer Eingriff angesehen werden.
C. D. Severeano: Ueber Schwierigkeiten der Diagnose bei
Appendizitis. (Revista de Chirurgie, Mai 1907.)
Der Verfasser studiert in eingehender Weise alle Umstände,
welche die Diagnose bei Appendizitis erschweren, respektive in
falsche Bahnen lenken und bringt aus seiner reichen Erfahrung
mehrere einschlägige Beispiele. Nichtsdestoweniger ist die Diagnose
nicht schwer, namentlich wenn es sich um akute Fälle handelt und
man auf die Hauptsymptome: Schmerz, plötzlicher Anfang, Hyper¬
ästhesie der Zoekalgegend, muskuläre Resistenz und Entwicklung eines
Tumors innerhalb 24 Stunden achtet. Uebelkeit, Erbrechen und Ver¬
stopfung sind weitere pathognomonische Zeichen. Es können Ver¬
wechslungen .Vorkommen mit Salpingitis, doch ist der Beginn bei
derselben nicht plötzlich und die Schmerzhaftigkeit auf Druck keine
so grosse. Verschiedene Kolikschmerzen, die vom Darme, der Niere
oder Leber ausgehen, können eine Entzündung des Wurmfortsatzes
Vortäuschen, doch bestehen bei denselben noch andere Neben-
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1607
Symptome, die auf die richtige Spur leiten. Perforationsperitonitis,
Tuberkulose der Mesenterialganglien, Volvulus und Abszesse können
Appendizitis Vortäuschen. Andererseits ist es auch vorgekommen,
dass bestehende Appendizitis verkannt und als eine andere Krankheit
angesehen wurde, so z. B. als Salpingitis, Perihepatitis etc. Im all¬
gemeinen kann gesagt werden, dass am sichersten die Diagnose in
den supraakuten Fällen gestellt werden kann, dass grössere Schwie¬
rigkeiten bei der subakuten Form und der appendikulären Perfo¬
rationsperitonitis bestehen.
C. Daniel: Einige Betrachtungen über die Symphysiotomie.
(Ibidem.)
Bei guter Technik und exakter Asepsis gibt die Symphysiotomie
sehr gute Resultate und sollte durch die Hebotomie nicht verdrängt
werden. Ueble Zufälle sind im Laufe der Operation durch einige
Vorsicht zu vermeiden und was die Vereinigung der Symphysenhälften
anbetrifft, so kann dieselbe in genauer Weise immer erreicht werden,
falls man aseptisch operiert und die Teile durch Knochennaht ver¬
einigt. Hierzu schlägt D. die metallischen Klammern von D u -
jurier-Jacoel vor. Man legt deren zwei an und zwar eine
obere und eine untere.
Scarlat Ohl: Beiträge zum Studium der Balsamica im Allge¬
meinen, der gonorrhoischen Infektion und speziell des Santyls.
(Inaugural-Dissertation, Jassy 1907.)
Der Verfasser hat an der dermatologischen Klinik von Derne-
triade Versuche mit Santyl angestellt und lobt dessen gute
Wirkung in den verschiedenen Stadien der gonorrhoischen Infektion.
Das Mittel wird gut vertragen, ruft keinerlei Reizung hervor und
kann auch Kindern gegeben werden; ein 9 jähriger Knabe nahm ohne
Beschwerden bis zu 65 Tropfen pro Tag. Interessant ist es, dass
0. auch durch subkutane, resp. intramuskuläre Injektionen von San¬
tyl (in Ol Olivar. 1 : 10) gute Erfolge bei antero-posteriorer Blen-
norhöe und bei post-gonorrhoischem Rheumatismus erzielen konnte.
T.
Unfallheilkunde.
T h i e m - Kottbus: Wie schützt man sich vor der Vortäuschung
von Streckschwäche im Kniegelenk? (Monatsschr. f. Unfallheilk.
1907, No. 1.)
Durch die Aufforderung beide Beine gestreckt zu erheben, wo¬
zu eine erhebliche Kraftleistung und dementsprechend ein sehr starker
Willensimpuls gehört, wobei beim ersten Male niemand den Willen
auf eines der Beine anders dosiert, wie auf die andere Seite. Die
Probe passt auch für die Prüfung des Ileopsoas. In beiden Fällen ist
Ueberraschung des Patienten nötig, der nicht wissen darf, worauf es
ankommt (vgl. Vulpius No. 3.).
L i n i g e r - Düsseldorf : Interessante Fälle aus der Versiche¬
rungspraxis. (Ibidem No. 2.)
Arzt und Attest. I. Ein Arzt, der in einem ersten Gutachten
über die Invalidität eines Landwirtschaftsarbeiters diesem dauernde
Invalidität auf Grund ausserordentlicher Magerkeit, hohen Grades von
Mattigkeit und Hinfälligkeit, chronischen Luftröhrenkatarrhs, chro¬
nischen erheblichen Magen- und Darmkatarrhs, Verdachts des Be¬
stehens eines runden Magengeschwürs, Vergrösserung der Milz, chro¬
nischen Rheumatismus bescheinigt und damit zur Bewilligung der
Invalidenrente verholfen hatte, beantwortete über denselben Arbeiter,
der, trotz der Invalidenrente, ohne wesentliche Behinderung weiter ge¬
arbeitet hatte, ein Jahr später, in einem Unfallgutachten, die Frage:
Bestanden an dem Verletzten schon vor dem Unfall Gebrechen oder
Krankheitserscheinungen und welche? mit dem Satze: Gebrechen be¬
standen absolut nicht: ferner die Frage: War der Verletzte vor dem
Unfall voll erwerbsfähig? mit: Ja!
II. Ein ähnlicher Fall, der ebenso die „Einseitigkeit“ mancher
ärztlicher Begutachtungen und Untersuchungen in In validitäts- und
Unfallattesten dartut.
V u 1 p i u s - Heidelberg: Wie schützt man sich vor der Vor¬
täuschung von monoartikulärer Muskelschwäche? (Ibidem.)
Man lässt z. B. beide Arme gleich weit, d. h. soweit seitlich
erheben, als es dem Patienten angeblich mit dem kranken Arm ge¬
lingt und fordert ihn auf, idem nach abwärts, gerichteten Druck der
Hand des Untersuchers den bestmöglichen Widerstand entgegen¬
zusetzen. Da es ohne spezielle Uebung so gut wie unmöglich ist,
einen energischen Bewegungsimpuls asymmetrisch zu geben, fühlt man
sofort auch die etwa tatsächlich vorhandene Schwäche einer Körper¬
seite in dem ungleichen Widerstand, da während der Dauer der
Belastung, bezw. des Herabdrückens, der Arm stets die gleich grosse
Differenz aufweist. Weniger deutliche Ergebnisse liefert die Methode
für Ellbogen und Handgelenk. An den unteren Extremitäten zeigt
das Verfahren eindeutige Resultate (vgl. T h i e m, No. 1).
C. S c h m i d t - Kottbus: Die Bedeutung der prophylaktischen
B i e r sehen Stauung in der Unfallheilkunde. (Iibdem No. 4.)
Schm, befürwortet warm bei allen infektionsverdächtigen Ver¬
letzungen die prophylaktische Stauung im Verein mit einem lockeren
Verband und Katgutnaht mit (eventuell) Offenhaltung einer oder
mehrerer kleinerer Drainagelücken, besonders bei den durch Ma-
schinenverletzungen hervorgerufenen Sehnenzerreissungen und Kno¬
chenzertrümmerungen. Für komplizierte Frakturen empfiehlt sich die
sofortige Anlegung eines gepolsterten Gipsverbandes.
Trotz dieser günstigen Wirkungen der Bier sehen Stauung dür¬
fen aber in bezug auf die operative Indikation bei Verletzungen -der
Arbeiter nicht die altbewährten Grundsätze umgestossen werden,
welche einen zu weit gehenden Konservativismus, besonders für die
Behandlung von Fingerverletzungen, verwerfen, zumal da Nach¬
operationen von den Verletzten nur selten gestattet werden.
H. Hirschfeld - Berlin : Ueber einen Fall von traumatischer
Alopecia areata. (Ibidem No. 5.)
Erstmalige Beschreibung einer direkten traumatischen Alopecia
areata, entstanden durch Stoss des Kopfes gegen eine eiserne Zahn¬
stange, wodurch zunächst eine Beule entstand und ca. 14 Tage später
genau an der Stelle der Verletzung der Haarausfall.
P. S t r a s s m ann- Berlin : Körperliche Erschütterungen und
Frauenleiden. (Aerztl. Sachverstär.digenztg. 1906, No. 23.)
Nach einleitenden Bemerkungen über die Statik der inneren
weiblichen Genitalien bespricht Str. die Wirkung plötzlicher einmali¬
ger starker und der häufigen kleinen, mehr chronischen oder habi¬
tuellen Erschütterungen auf
I. ganz gesunde, nicht gravide Frauen, a) solche, die noch nicht
geboren haben, b) solche, die die Geburt mit guter Rückbildung
durchgemacht haben;
2. auf Gravide:
3. auf kranke Frauen, a) kranke Gravide, b) Frauen mit bereits
bestehenden Lageveränderungen, c) mit entzündlichen Erkrankungen,
d) mit Geschwülsten.
Als beachtenswerte Folgerungen sind festzuhalten, dass albu-
minurische Schwangere ganz besonders vor allen Erschütterungen des
Körpers zu bewahren sind, also auch nicht reisen dürfen, dass in
der Gravidität jede sportsmässige Bewegung (Tennis, Radeln, Turnen,
Reiten usw.) unterbleiben soll, dass die Menstruation und auch die
Prämenstruation eine Schonzeit für alle starken aktiven Bewegungen
sein soll.
Den Schluss bilden interessante Mitteilungen über den Einfluss
des berufsmässigen Maschinennähens auf die weiblichen Geschlechts¬
organe. Eine einmalige körperliche Erschütterung, ein Unfall ist für
Frauenleiden nur -in sehr beschränktem Masse verantwortlich zu
machen.
H. Berger - Remscheid: Mein Unfall. (Kritische Betrachtungen
über die Folgen leichter Unfälle und über Simulation.) (Ibidem No. 24.)
Die ausführliche Schilderung des am eigenen Körper beobachte¬
ten Verlaufes eines verhältnismässig leichten Unfalls und seiner
schweren Folgeerscheinungen beweisen, dass man den subjektiven
Klagen des Verletzten mehr Glauben schenken muss, und vor allem
die Diagnose Simulation noch seltener stellen soll, als häufig getan
wird. (Es ist dabei aber zu berücksichtigen, dass im allgemeinen
ein Arzt, der vor allem auch einer objektiveren Kritik seines Zu¬
standes bis zu einem gewissen Grade fähig ist, weniger unbegründete
subjektive Beschwerden haben wird als ein Laie, ein Arbeiter. Ref.)
L. W. W e b e r - Göttingen: Echte traumatische Psychose mit
tödlichem Ausgang. (Aerztl. Sachverständigenztg. 1907, No. 2.)
Mitteilung eines interessanten Falles von im Anschluss an eine
Gehirnerschütterung entstandener Psychose, -deren Diagnose gegen¬
über progressiver Paralyse differentialdiagnostisch auch durch die
mikroskopische Untersuchung des Gehirns sichergestellt werden
konnte.
O b e r n d o r f e r - München: Tumor und Trauma. (Ibidem.)
Ausgehend von dem statistischen Nachweisversuch Herz¬
fel -d s, dass ohne Trauma, d. h. ohne Reizung und Zellenverlagerung,
nahezu ausschliesslich ein Tumor nicht entstehen könne, erörtert 0.
die einzelnen Geschwulsttheorien (von denen er vor allem die para¬
sitäre verwirft) und erledigt die Vorfrage: Können Traumen, d. h.
Reize, direkt normale Zellen zu selbständiger und beschränkter
Wucherung veranlassen? im verneinenden Sinn. Aber Traumen
können durch Zellenschädigung oder -Zerstörung reaktive Vorgänge
auslösen, auf deren Boden sich eine Geschwulst entwickeln kann:
also indirekte Geschwulstentstehung durch das Trauma. Diese Unter¬
scheidung (direkte oder indirekte Entstehung) ist allerdings praktisch
ohne grosse Wichtigkeit, aber es ist dabei zu bedenken, dass diese
Reize nicht Traumen im engeren Sinn darstellen, und dass das Trauma
nicht unbedingt Geschwulstbildung veranlassen muss, dass eine
Menge Vorbedingungen hierfür erst erfüllt sein müssen, mit anderen
Worten, dass eine Disposition für die Geschwulstentstehung vorhan¬
den sein muss, deren Grund wir noch ebensowenig genau angeben
können, wie die letzte Ursache der Geschwulstentstehung selbst.
An Traumen, die imstande sind, als Reize im obengenannten
Sinne den Boden für eine Geschwulstentstehung vorzubereiten, kom¬
men solche -durch stumpfe und schneidende Gewalt, solche durch
wiederholte Gewalten in Betracht. Stumpfe Gewalteinwirkung ist am
häufigsten.
Zur Annahme eines Zusammenhanges ist ferner notwendig, dass
sich der Tumor am Orte des Trauma entwickelt und in einer auf das
Trauma folgenden bestimmten Zeitgrenze, die vielleicht auf 3 — 5 Jahre
nach dem Unfall zu setzen wäre, sowie dass von dem I rauma ab
bis zur Geschwulstmanifestierung eine Kontinuität krankhafter Er¬
scheinungen sich beobachten lässt.
Bezüglich einer wesentlichen Verschlimmerung bestehender I u-
moren durch Traumen ist ebenfalls in jedem einzelnen Fall streng zu
individualisieren. Im allgemeinen sind es Sarkome, die auf Reize, be¬
sonders solche, die lebhaftere Hyperämie bedingen, mit stärkerem
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
ioü8
Wachsturn antworten; Karzinome kommen seltener in Betracht. Das
Trauma braucht hier auch nicht direkt den Ort des Tumors zu be¬
treffen, sondern kann ihn auch indirekt beeinflussen. Dass Traumen
irgendwelchen Einfluss auf den Ort der Metastasierung haben, dafür
fehlen sichere Anhaltspunkte. Hierdurch unterscheiden sich die
Tumoren wesentlich von Infektionskrankheiten, besonders der Tuber¬
kulose.
E. Wette: Die Dauer des Heilverfahrens bei der Behandlung
Unfallverletzter. (Chirurg.-orthopäd. Klinik von Prof. Dr. Hoffa,
Berlin.) (Ibidem No. 4.)
W. hat an 201 Fällen von Unterschenkel- und Fussverletzungen
die Frage studiert, wodurch es kommt, dass bei Unfallverletzten Ar¬
beitern so häufig verhältnismässig lange Behandlungszeit und damit
übermässige Kosten für die Berufsgenossenschaft zustande kommen.
Fr erblickt die Ursache dafür in dem System der kassenärztlichen Be¬
handlung, in der ungenügenden Würdigung praktischer Erfahrungen
von seiten vieler Aerzte, infolge von Ungeschultheit und Unkenntnis
(z. B. der richtigen Auffassung und Behandlung einer Kombination
mit Pes planus bezw. Pes valgus oder einer Supinationskontraktur
des Fusses), ferner in der teilweise abnorm lange durchgeführten
konservativen Behandlung kleiner Verletzungen (abgequetschter
Zehenkuppen, Unterlassung der Transplantation grosser Hautdefekte
usw.).
In Hinblick auf die Weigerung der Patienten, sich der Operation
zu unterziehen, verlangt Verfasser die gesetzliche Handhabe für den
Arzt, kleinere operative Eingriffe, die ohne jede Gefahr, ohne Narkose
und ohne anderen als einen kosmetischen Nachteil ausgeführt werden
können, auch ohne Einwilligung des Patienten vornehmen zu dürfen.
Zum Schluss plädiert W. für den Fortfall kleinerer Renten bei
kleinen Finger- oder Zehenverletzungen, die zeitweise noch etwas
Schmerzen machen, den früheren Arbeitsverdienst aber nicht
schmälern.
E. Meyer -Königsberg i. Pr.: Die pathologische Anatomie der
Paralyse in ihrer Bedeutung für die forensische und Unfallpraxis.
(Psychiatr. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr.) (Ibidem No. 7.)
Da die pathologische Anatomie aus der anatomischen, speziell
mikroskopischen Untersuchung allein fast mit Sicherheit das Vor¬
liegen einer Paralyse diagnostizieren kann (pathognomonisch ist die
adventitielle Infiltration der Hirnrindengefässe mit Lymphozyten und
besonders Plasmazellen), so ist diese Kenntnis von grosser Wichtig¬
keit für die Beurteilung von Selbstmorden und unklaren Todesfällen,
auch um zu entscheiden, ob chronischer Alkoholismus oder Paralyse
Vorgelegen hat (z. B. in der Lebensversicherung). In der Unfall-
piaxis kommt die Abgrenzung gegenüber der Dementia posttrau-
matica, dem Alcoholismus chronicus u. a. in Frage. Dass auf trau¬
matischem Wege ähnliche Veränderungen entstehen können, ist nicht
anzunehmen. Mitteilung eines Falles, in dem bei der Sektion, 76 Stun-
Qtii nach dem lode, noch die charakteristischen Veränderungen der
Paralytikerhirnrinde gut gefärbt auf das Karste hervortraten und
dadurch das Nichtvorhandensein eines Zusammenhanges mit einem
3 Monate vorher iiberstandenen Eisenbahnunglück hervorging.
F. Kauf f mann -Ulm: Kürzung der Unfallrente und ärztliche
Begutachtung. (Ibidem No. 8.)
Bei der Kürzung der Rente und deren Begründung zeigt sich
oft eine Unsicherheit der begutachtenden Aerzte und damit ein un¬
günstiger Einfluss auf die Rentenfeststellung infolge der verschiedenen
Fassung der Formulare der B.G. und des Absatzes 5 des § 10 d-s
G.U.V.G. (Berechnung der Rente für Personen, welche vor dem Un¬
fall bereits erwerbsunfähig waren), weshalb K. folgende Sätze auf¬
stellt:
1. Die Entschädigung (Rente) muss dem Masse des Schadens
entsprechen.
2. Bei vorher schon mit Mängeln behafteten Personen ist die
Einwirkung des Unfalls in der Regel eine ungleich schlimmere als
bei gesunden Personen.
3. Bei gewei blichen Arbeiten kommt eine schon vor dem Un¬
fall vorhandene teilweise E. U. bei der Ermittlung und durch die Er¬
mittlung des Jahresverdienstes, welcher der Berechnung der Rente als
Grundlage dient, zur Wirkung und zum Ausdruck.
^ e Tu ') s d ° 1 1 un,(^ Wigand: Ueber akute Ataxie nach Hitz-
schlag. (Harenkrankenhaus und allgemeines Krankenhaus Eppendorf-
Hamburg.) (Ibidem No. 9.)
Auf Grund der Mitteilung über 2 eigene Fälle, sowie über 2
truher von Nonne berichtete muss man in der Reihe der für die
akute Ataxie in Betracht kommenden Schädlichkeiten auch die Ueber-
hitzung, den Hitzschlag, einfügen; doch scheint gegenüber den schon
niilicr bekannten Fällen von akuter Ataxie (meist nach Infektions¬
krankheiten), in denen fast immer völlige oder nahezu völlige Rück¬
bildung der Symptome eintrat, die Prognose in Fällen von akuter
Atax'e nach Ueber ntzung eine viel infaustere sein, indem in allen
4 Beobachtungen die Funktionsstörung auch im Laufe von Jahren
ziemlich stabil blieb.
t ii L' enfeld_Berlin: Zur Begriffsbestimmung des Un¬
falls. (Ibidem.)
definiert auf Grund einer Erörterung der Merkmale des Un¬
falls den letzteren als eine durch ein zufälliges plötzliches und äusser-
liCiies F re i g n i s veranlasste körperliche oder geistige Beschädi-
gung, die unter Mitwirkung von persönlichen Eigentümlichkeiten
und subjektiven Empfindungen des Verletzten die Einschränkung oder
die völlige Aufhebung der Erwerbsfähigkeit und nachhaltige, zuweilen
erst spater in Erscheinung tretende Folgen verursachen kann.
Schwab- Berlin-Schöneberg.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzung vom 3. Juni 1907, abends
7 U h r, im grossen Hörsaal der Senckenbergischen Bibliothek.
Vorsitzender : Herr S i p p e 1.
Schriftführer: Herr S e 1 i g m a n n.
Herr Al brecht demonstriert:
1. Linen Fall von akuter Lysolvergiftung bei einem etwa 45 jähr.
Mann: Suizidium, Menge des aufgenommenen Lysols unbekannt-
rasche Magenspülung; Tod nach 3 Tagen unter Erscheinungen der
hämorrhagischen Nephritis und von Bronchopneumonien.
Der unterste Teil des Oesophagus und die Kardia sind am
stärksten verändert, ihre Schleimhaut fast überall in grossen braunen
lederartigen Fetzen abgehoben, in der Magenschleimhaut allmählig
abnehmende Auflagerungen der diffus gebräunten Schleimhaut, welche
streifenförmig bis etwa zur Pylorusgegend verlaufen. Im Anfangs¬
teil des Duodenums geringe Anätzung der Schleimhaut. Geringe
Aetzung in Kehlkopf, Trachea und an den Lippen.
Der Vortragende hebt die zunehmende Häufigkeit der Lysolver¬
giftungen hervor und die Notwendigkeit, den freien Verkauf von
konzentriertem Lysol in Apotheken und Drogerien auf gesetzlichem
Wege zu verhindern.
2. Fast pflaumengrosse derbwandige Zyste mit hellbräunlicher,
etwa % cm dicker fibröser Wand, in welcher dicht verfilzte, von
Bindegewebe umwachsene Fasern eines die Lichtung ausfüllenden
Gazetampons auf der Schnittfläche hervorragen. Das Präparat wurde
durch Nachoperation entfernt bei einem Patienten, welchem vor einem
Jahre auswärts eine blutige Ischiadikusdehnung gemacht worden war.
Offenbar war der wegen Blutung eingestopfte Tampon — darauf weist
die starke Pigmentierung hin — vergessen worden.
3. Etwa halbkindskopfgrosses ödematöses Myoma submucosum
des Uterus mit starker Entwicklung der Uterinwand. Der Uterus ent¬
spricht auch in seiner Wanddicke etwa einem graviden Uterus des
dritten Monats. Auch klinisch musste die Möglichkeit einer Ver¬
wechslung ernsthaft in Betracht gezogen werden.
4. Zwei Präparate von Lungenembolie:
a) Fall von Pemphigus vulgaris universalis. Im Laufe der Be¬
handlung trat eine tödlich endende Lobulärpneumonie ein, im An¬
schluss an eine (klinisch latente) Embolie eines rechtsseitigen Unter¬
lappenastes. Als Ausgangspunkt wurden marantische Thromben der
Vena poplitea dextra gefunden, fortgesetzt von zahlreichen maran¬
tischen Thromben in varikös erweiterten, zum Teil sklerotisch ver¬
dickten Venen der Wade (Saphena minor und Muskelvenen, be¬
sonders des Gastrocnemius).
b) Lobulärpneumonie und serofibrinöse Pleuritis bei 2 jährigem
Kinde, im Anschluss an Masern entstanden. Anatomisch: in eitriger
Einschmelzung begriffener Infarkt des Unterlappens und eitrige Pneu¬
monie bei ausgedehnter embolischer Verstopfung mehrerer grosser
Aeste des Unterlappens; frische Infarktbildung im gleichen Unter¬
lappen. Marantischer Thrombus an der Linea terminalis des rechten
Vorhofes, ausgedehntere marantische Thromben in der linken Vena
femoralis.
Der Vortragende weist darauf hin, dass die beiden Fälle durchaus
nicht Ausnahmen, sondern relativ häufige, klinisch wenig beachtete
Vorkommnisse darstellen. Am meisten Beachtung haben jene häufigen
Fälle gefunden, welche in der bekannten Weise durch verstopfende
Embolie von Lungenarterien aus peripherischen Venenthromben direkt
tödlich enden. Infarktbildungen sind bekanntlich gleichfalls häufig, .aber
überwiegend bei Herzkranken klinisch feststellbar. Dagegen ist, wie
in dem ersteren Falle, der Zusammenhang blander Embolie und dadurch
hervorgebrachter Disposition des betreffenden Abschnittes für die
Ansiedlung von Pneumonieerregern, ohne alle Infarktsymptome kli¬
nisch fast unbeachtet, auch anatomisch in seiner Bedeutung und
Häufigkeit kaum genügend eingeschätzt. Neben diesen drei Möglich¬
keiten trifft bekanntlich auch die vierte nicht allzu selten zu, dass
bei hochgradig kachektischen oder anämischen Individuen Embolien
der Lunge entweder zu gar keinen anatomisch nachweisbaren Ver¬
änderungen führen (Auffindung von einfachen oder multiplen, weit¬
organisierten Embolis bei karzinomatösen (auf Basis von Krebszell¬
embolie oder von anderen Thromben aus), terminale, kleine einfache
oder multiple Embolien als häufiger Befund bei anämischen Phthi¬
sikern).
Es ist besonders hervorzuheben, dass sowohl die groben als die
kleineren Embolien häufig Vorkommen, ohne dass an ihrer Ursprungs-
stelle Oedem, Phlebitis etc. sich gezeigt hätte. Alle Patienten
mit Varizen der Unterextremitäten müssten in
allen Krankheitsfällen, welche zu längerem Liegen
führen, mit Herzschwäche einhergehen, und beson-
6. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1609
ders in allen denjenigen, bei welchen durch infek¬
tiöse Prozesse die Gerinnbarkeit des Blutes ver¬
mehrt wird, in Hinsicht auf derartige Thromben¬
bildung und Emboliegefahr besonders aufmerksam
überwacht werden. Allgemein kann nur gesagt werden, dass
die Entstehung der Thromben, soweit nicht eigentliche Thrombo¬
phlebitis in Frage kommt, am häufigsten ist, wenn konkurrieren:
Herzermüdung, (Fettherz, idiopathische Dilatation, Klappenfehler,
Verfettung des Myokards), infektiöse Erkrankungen (insbe¬
sondere Pneumonie, Typhus, ausgedehnte Eiterung), Phleb¬
ektasien (Phlebosklerose). Unter den Embolis sind in
der genannten Richtung diejenigen, welche aus maran¬
tischen Thromben des rechten Ventrikels oder Vorhofs stammen,
verhältnismässig wenig wichtig; sie führen nicht sehr häufig zu
Lungenembolien und im allgemeinen werden auch meist nur kleine
Stücke von ihnen losgerissen. Ebensowenig kommen für Embolien
die an sich ja viel häufigeren Thrombenbildungen in den Venen des
Parametriums — ausser in Puerperium und Gravidität — oder die
Venen des Plexus prostaticus, die gleichfalls häufig frühzeitig throm-
bosieren, in Frage: denn aus ihnen werden nur selten Gerinnsel ver¬
schleppt. Es ist demnach zu erwarten, dass bei genügend darauf
gerichteter Untersuchung die so häufigen Thromben in den peri¬
pherischen Venen auch klinisch häufig diagnostiziert und daraus die
Konsequenzen für die Vermeidung von Embolien gezogen werden.
Diskussion: Herr K. Herxheimer: Der Fall, worüber
Herr A 1 b r e c h t soeben sprach, ist ein Pemphigus, der im städti-
v sehen Krankenhause behandelt wurde, und der mehrfaches Interesse
bietet. Zunächst deshalb, weil er von der Mundschleimhaut aus¬
ging, eine Eigenschaft, die die Krankheit prognostisch ernster er¬
scheinen lässt. Dann aber auch, weil er auf fast allen sichtbaren
Schleimhäuten Platz griff, auf den Konjunktivae, in der Nase, am Anus.
Endlich, weil auf der Zunge sich Vegetationen zeigten, während die¬
selben auf der Haut und den übrigen Schleimhäuten fehlten. Es ist
ohne weiteres verständlich, dass die Vegetationen sich zum Pem¬
phigus der Schleimhaut eher zugesellen, als zu dem der Haut, weil
dort durch die Mazeration des Epithels die Papillen leichter aus-
wachsen können. Pathologisch-anatomisch möchte ich bemerken, dass
wohl alle Pemphiguskranken, die in den letzten 12(4 Jahren im städ¬
tischen Krankenhause starben, an Embolien nach peripheren Throm¬
bosen oder an Pneumonie zu Grunde gingen.
Herr S i p p e 1 weist darauf hin, wie schwer differenziell dia¬
gnostisch die Unterscheidung zwischen Myom und Schwangerschaft
sein kann, wenn es sich, wie bei dem von ihm operierten und von
Herrn A 1 b r e c h t demonstrierten Uterus, um völlig symmetrische
Vergrösserung des Uteruskorpus handelt, wenn die schleimige Erwei¬
chung ein verhältnismässig rasches Wachstum des Uterus bedingt und
wenn dadurch die Konsistenz des Myoms der eines graviden Uterus
gleich wird. Erschwert wird die Diagnose durch den Umstand, dass
auch beim erweichten Myom die umhüllende Uteruswand dieselben
Kontraktionen bei der Palpation eingehen kann, wie bei Gravidität.
Unter Umständen vermag nur die Beobachtung Klarheit zu schaffen.
Umgekehrt ist die schleimige Erweichung und die hierdurch bewirkte
Konsistenzveränderung geeignet, die Diagnose der seltenen Myome
des Ligamentum latum zu erleichtern, weil gerade diese infolge ihrer
ungünstigen Ernährungsbedingungen sehr oft muzinös entarten und
von keiner kontraktilen Muskularis umgeben sind, welche Verände¬
rungen in der Festigkeit der Geschwulst veranlassen kann.
Herr Edinger demonstriert das Gehirn von Tursiopsis tursio,
einem Delphin. Hier sind die Hemisphären ganz enorm entwickelt
und auch stark gefurcht. Sie übertreffen an relativer Masse sogar
die des Menschen oder erreichen sie doch. Selbst die riesigsten
Anthropomorphen, hünenhafte Gorillas, haben kaum halb so grosse
Hemisphären wie der Mensch. Da nun Alles dafür spricht, dass die
Hemisphären höherer geistiger Tätigkeit dienen und da sich mit ihrer
Ausbildung eben die Fähigkeit zu solcher steigert, so erhebt sich
die Frage nach dem Gebrauch, den der Delphin von so hoch ent¬
wickeltem Gehirne macht. Es ist aber da gar nichts bekannt und
doch dürfen wir annehmen, dass hier in der Tiefe des Weltmeers
Wesen von besonderer, unsere eigene Begabung vielleicht in vielen
Richtungen übertreffender Begabung leben. Wir
brauchen nicht mit den Romanschriftstellern künstliche Marsbe¬
wohner konstruieren, es ist vielmehr durchaus möglich, dass in den
Delphinen Wesen gegeben sind, die uns in bestimmten Beziehungen
überragen. Leider besteht gar keine Aussicht die Rätsel, welche
hier die Anatomie aufgibt, biologisch zu lösen.
Herr Scheven demonstriert:
1. 2 Fälle von Radikaloperation der Stirnhöhle. Der erste
doppelseitig operierte bietet infolge der kleinen Raumverhältnisse
der erkrankten Höhlen ein ideales kosmetisches Resultat: der 2.
Fall betrifft eine extrem grosse Stirnhöhle mit ausgedehnten Re-
zessusbildungen frontalwärts, nach dem Schläfenbein zu und einem
tiefen orbitalen Rezessus. Trotz schwerster Krankheitssymptome
glatter Verlauf; Heilung mit tiefer Impression an der Stirn. In beiden
Fällen wurde nach K i 1 1 i a n operiert und das Hauptgewicht auf
eine weite Kommunikation nach der Nase zu gelegt.
2. 5 Mandelsteine aus der oberen Mandelbucht eines 15 jährigen
jungen Mannes, die fast symptomlos getragen, nach kurzen Be¬
schwerden durch Brechakt spontan entleert wurden. Der grösste
dieser 5 Steine allein hat einen Umfang von 6 cm, ist 2(4 cm hoch,
2 cm tief; die kleineren Steine sind diesem grossen Konkrement dicht
angelagert und passen mit Kugelsegmenten in entsprechende Aus¬
schliffe des grösseren Steines hinein, so dass die ganze Masse ein
sich gelenkartig gegen einander verschiebendes Gebilde darstellt.
Auf diese Art war die Möglichkeit gegeben, dass die Steine beim
Schluckakt sich durch gegenseitige Verschiebung den sich ändernden
Raumverhältnissen der einzelnen Phasen anpassen konnten und so
erklärt sich wohl der symptomlose Verlauf. Die chemische Analyse
(Dr. Emden) ergab phosphorsauren Kalk.
3. Viel kleinerer Mandelstein ()(4I Haselnuss) von maulbeerförmigem
Aussehen, der wegen starker Beschwerden (Hustenreiz) entfernt wer¬
den musste; die umgebende Tonsille war in hartes fibröses Ge¬
webe umgewandelt.
4. Speichelstein aus dem Ductus sublingualis. Grösse die dop¬
pelte eines Kirschkernes. Die Verstopfung des Speichelganges hatte
zu einer diffusen Entzündung und harten Infiltration des Mundbodens
geführt, die nach Exzision des Steines schnell zuriiekging. Die Dia¬
gnose machte Schwierigkeiten, weil ein voraufgegangenes regionäres
Karzinom (vor 2 Jahren operiert) zunächst an Metastasen denken
liess.
Herr Emanuel: Ein Fall von Höhenschielen (Parese des
Musculus rectus superior sin.) durch Tenotomie des Musculus rectus
superior (dext.) geheilt.
21 jähriger Mann bemerkt seit (4 Jahr, dass das rechte Auge
beim Blick nach links höher steht. Nie Doppeltsehen. Der Kopf wird
nach links und etwas nach hinten geneigt gehalten. Visus beiderseits
normal. Bei Fixation des rechten Auges steht das linke tiefer, bei
Fixation des linken Auges das rechte höher. Beim starken Blick
nach oben bleibt das linke Auge etwas zurück. Prüfung nach Mad-
dox: 1 Grad Konvergenz, Bild des linken Auges 28 Grad höher als
das Bild des rechten. Die Höhendistanz wächst bei Hebung des
Blicks und beim Blick nach links, nimmt ab beim Senken des Blicks
und beim Blick nach rechts: Parese des Musculus rectus superior sin.
Operation: Durchschneidung des Musculus rectus superior dext.
nach vorheriger Einlegung eines Fadens durch den Muskel zur etwai¬
gen nachträglichen Dosierung des Effekts. Nach der Operation keine
nennenswerten Störungen durch Doppelbilder. Nach 3 J agen Beginn
der stereoskopischen Uebungen. 4 Wochen nach der Operation kos¬
metisch und funktionell ideales Resultat. Nach M a d d o x keine
Höhendifferenz beim Blick geradeaus. Hering scher Fallversuch
wiederholt prompt bestanden. Bilder im Stereoskop werden leicht
vereinigt und die Sicherheit der Tiefenschätzung nimmt fortschrei¬
tend zu.
Herr Cuno: Bericht über den Stand der unter Kontrolle des
Vereins stehenden Milchkuranstalt.
Im Auftrag der Kommission des ärztlichen Vereins zur Ueber-
wachung der Frankfurter Milchkuranstalt referiert Cuno über den
Stand der Anstalt. Durch Anlegung eines Kontumazstalles mit
Weidegang im Odenwald wurde die Anstalt erweitert, und wurde
es dem Anstaltsleiter erlaubt, 20 Kühe unter weitgehenden Kautelen
auch zu einer 2. Melkperiode zuzulassen. Von den 90 — 95 Anstalts¬
tieren wurden täglich ca. 1000 — 1050 Liter Milch gewonnen. Der
Durchschnittsmilchertrag einer Kuh betrug 12,3 Liter. Zum Ersatz
abgemolkener Kühe musste, da die Schweiz gesperrt war, auf Oden-
walder Bergkühe zurückgegriffen, und statt Schweizer Heu solches
aus der Schwäbischen Alb eingeführt werden. Die Kühlvorrichtungen
wurden verbessert, neue Melkstühle eingeführt. Die Tuberkulose
der Anstaltstiere hat abgenommen und wurde nur bei 10 Proz. der
seit Januar 1906 verkauften, geschlachteten Tiere geringgradige
Tuberkulose gefunden. Nachimpfungen mit Tuberkulin konnten bis¬
her noch nicht eingeführt werden. Die bisherige Trockenfütterung
blieb bestehen. Der Fettgehalt der Anstaltsmilch betrug fast ständig
4 Proz.; ihr Schmutzgehalt war minimal. Durch die grosse Zahl der
mit der Milch vorgenommenen Manipulationen (mehrfaches Durch-
seihen, grosse Milchgefässe) war die Zahl der Bakterien in der
Milch ziemlich gross. Bei dem jetzigen Bestreben, eine bakterien¬
arme, eventuell zum Rohgenuss geeignete Milch zu gewinnen, wird
die Kommission eine möglichst aseptische Milchgewinnung einzu¬
führen versuchen. Da die Kontrolle eines Stalles schon mit grossen
Schwierigkeiten verbunden ist, hält es die Ueberwachungskommission
nicht für angebracht, noch andere Anstalten unter Kontrolle zu
nehmen.
Diskussion: Herr Hirschberg fände es sehr bedauer¬
lich, wenn der Aerztl. Verein es ablehnen würde, fernerhin eine
Ueberwachungskommission für die Frankfurter Milchkuranstalt aus
seiner Mitte zu wählen. Mit einem solchen Beschluss wäre das
Schicksal der Anstalt besiegelt, sie würde aufhören zu existieren.
Wer aber die Verhältnisse der Kinderernährung in Frankfurt vor
Errichtung der Anstalt kannte, wer ein Menschenalter hindurch die
Vorzüge der von der Anstalt gelieferten Milch, besonders für die
Kinderernährung erprobt hat, wird für die Erhaltung der Anstalt in
der jetzigen Gestalt, allerdings vorbehaltlich gewisser Reformen, ein-
treten. Der Keimgehalt allein ist es nicht, wie selbst Herr N ei sscr
hervorhebt, der das Kriterium einer guten oder schlechten Milch ab¬
gibt. Die Hauptsache ist doch eine für die Kinderernährung, nament¬
lich im abgekochten Zustande, qualitativ geeignete Milch. Die hatten
wir seit 30 Jahren, und nun droht die Gefahr, sie zu verlieren. Des¬
halb beantrage ich, die bisherige Kommission wieder zu wählen,
ihr jedoch aufzugeben, die geeigneten Massnahmen anzuordnen, die
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
101U
dahin führen, auch im Grossbetrieb den Keimgehalt der Milch mög¬
lichst herabzudrüoken. Herr Ne iss er wird, wenn er es auch ab¬
lehnt, der Kommission anzugehören, ihr mit seinem bewährten Rat
sicherlich gerne zur Seite stehen.
Herr Flesch (zur Geschäftsordnung): Es erscheint eine Gene¬
raldiskussion vor Eintritt auf die von dem Vorsitzenden angeregten
Einzelpunkte wünschenswert, weil es vielleicht am Platze ist. dass
bei diesem Anlass der Verein sich über die Gesamtlage der Milch-
versorgung der Stadt äussert; die Beschaffung grösserer Milch¬
zufuhren aus Gebieten mit Weidehaltung ist nicht ausgeschlossen,
wenn dieselbe von ärztlicher Seite verlangt wird.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 5. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Schriftführer: Herr Herschel.
Herr Fries zeigt ein Intrauterinpessar, das als antikonzeptio¬
nelles Mittel bei einer psychisch Kranken eingelegt war und das nun
in der Anstalt entfernt ist. Die oberen Enden gehen federnd aus¬
einander, um dem Instrument Halt zu geben; vor dem Ende am
äusseren Muttermund liegt federnd eine breite Platte auf, um den
Verschluss zu bewirken.
In der Diskussion bemerkt Herr Veit, dass Konzeption
auch beim Tragen eines Intrauterinpessars erfolgt ist, wie in der
Literatur beschrieben.
Herr Pfeifer: Ueber die Diagnose von Hirntumoren
durch Hirnpunktion.
Nach einem Ueberblick über die Geschichte der Hirnpunktionen
geht der Vortragende kurz auf die Resultate seiner bis zum Sommer
des vorigen Jahres zum Zwecke der Diagnose von Hirntumoren
vorgenommenen Hirnpunktionen ein. Er betont dabei, dass es sich
bei den früheren Punktionen im wesentlichen um die Gewinnung
flüssigen Materials gehandelt hat und dass es ihm zuerst gelungen
ist, mittels der Hirnpunktionen solide Hirntumoren festzustellen. Er
demonstriert sodann sein bei der Punktion benütztes Instrumentarium
und berichtet über den weiteren Krankheitsverlauf bei den bis zum
Sommer des vorigen Jahres auf Grund der Hirnpunktion zur Ope¬
ration gekommenen Fälle. Unter 7 von diesen Fällen sind bei 5
nach einem Verlauf von 1 — 2 Jahren seit der Operation keine Allge¬
meinerscheinungen aufgetreten. Bei einem Fall trat einige Monate
nach der Operation eine Verschlimmerung ein, die zum Exitus führte.
Bei einem Fall ist die Stauungspapille noch nicht verschwunden,
während die subjektiven Hirndrucksymptome nachgelassen haben.
Sodann berichtet der Vortragende über zwei weitere Fälle von
Hirntumoren, die durch Gehirnpunktionen diagnostiziert und operiert
wurden.
Bei dem einen wurde ein Tumor, dessen Sitz klinisch in die
Umgebung der rechten motorischen Region zu verlegen war, ohne
dass jedoch eine genaue Lokaldiagnose gestellt werden konnte, mittels
der Punktion am rechten Stirnhirn 1 cm vor dem rechten Armzentrum
festgestellt, und zwar wurde dabei so viel Tumormaterial gewonnen,
dass Schnittpräparate angefertigt werden konnten. An diesen liess
sich mit Anwendung der M a 1 1 o r y sehen Gliafärbung ein Gliom
feststellen. Zugleich wurde ermittelt, dass der Tumor nicht weiter
als 3 cm von der Hirnoberfläche entfernt sein konnte, und dass die
basalen Partien des rechten Stirnhirns und der rechte Temporal¬
lappen frei von Tumor waren.
Die Diagnose wurde durch die Operation bestätigt, der Tumor
konnte jedoch, da er von erheblicher Grösse war und weit in die
I iefe ging, nicht vollständig exstirpiert werden. Nach anfänglichem
Rückgang der Hirndrucksymptome trat dann späterhin durch das
Weiterwachsen des Tumors wieder eine Verschlechterung ein; etwa
4 Monate nach der Operation erfolgte der Exitus.
Bei dem zweiten Fall wurde zunächst durch 2 Punktionen am
linken Parietalhirn eine Zyste festgestellt und zugleich durch weitere
Punktion am rechten Seitenventrikel ermittelt, dass diese Zyste nicht
mit dem Ventrikel in Verbindung stehen konnte. Die Zystenflüssig¬
keit war zähflüssig und goldgelb, die Ventrikelflüssigkeit wasser¬
klar. Der Eiweissgehalt der Zystenflüssigkeit betrug das 10 fache
von dem der Ventrikelflüssigkeit. Durch Untersuchung von Gewebs-
stiieken die zugleich mit der Zystenflüssigkeit aspiriert worden waren,
wurde ausserdem festgestellt, dass die Zystenflüssigkeit aus dem
Innern eines I umors und zwar eines Sarkoms stammte.
Auch in diesem Falle wurde die auf Grund dier Punktion gestellte
1 hagnose durch die Operation bestätigt. Leider war auch diesmal
der 1 umor zu gross, so dass eine vollständige Exstirpation nicht
möglich war. Der Kranke starb etwa 4 Wochen nach der Operation.
Der Vortragende weist schliesslich darauf hin, dass die Lokal¬
diagnose von Hirntumoren mit Zuhilfenahme der Hirnpunktion rascher
gestellt werden kann als durch die klinische Untersuchung allein,
mul hebt den wichtigen Einfluss der durch die Hirnpunktion sicher¬
gestellten Diagnose auf ein rasches therapeutisches Handeln hervor.
Bei den letzten beiden Fällen war die histologische Diagnose
dadurch verfeinert, dass mit dem verbesserten Instrumentarium so
grosse Gewebsstiicke gewonnen wurden, dass Schnittpräparate ange¬
fertigt und Spezialfärbungen vorgenommen werden konnten.
Die Diskussion wird vertagt.
Herr Veit: Ueber den Kaiserschnitt nach Frank.
Vortr. berichtet über zwei Fälle, in denen er nach dem Vor¬
schlag von Frank mit Erfolg den Kaiserschnitt gemacht hat. Das
erste Mal handelte es sich um eine Kreissende, die ziemlich weit
mit der Bahn hergeschickt wurde und bei der bei einem Becken mit
einer Conjugata vera von wenig über 6 cm die noch eben pulsierende
Schnur aus der Vulva heraushing. Der normale Kaiserschnitt bot
wegen der langen Geburtsdauer eine schlechte Prognose; daher wird
das Peritoneum der vorderen Uteruswand in der Gegend des unteren
Uterinsegmentes an das Peritoneum parietale genäht und so die
Bauchhöhle ganz von der Uterushöhle abgeschlossen. Kind tief as-
ohyktisch, wird belebt. Mutter genesen, wenn auch nicht ohne Fieber.
Vortr. nimmt Veranlassung, an der Hand dieses und eines zweiten
erfolgreichen Falles auf die Vorteile dieser übrigens noch vierbesse¬
rungsfähigen Methode hinzuweisen. Auch betont er die grossen
Unterschiede in der klinischen Bedeutung der Fäulniskeime von den
virulenten Keimen; handelt es sich um die letzteren, so hilft natür¬
lich der Bauchhöhlenabschluss nichts, während er bei Fäulniskeimen
von der grössten Bedeutung ist.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. Mai 1907.
Diskussion zum Vortrag des Herrn Thorbecke:
Ueber Lumbalanästhesie.
Herren Bai sch, Schoenborn und N a r a t h.
Herr Kermauner: Ich möchte doch ein Wort einlegen für
die Kombination der Lumbalanästhesie mit der Morphium-Skopolamin-
Halbnarkose, der wir neuerdings mit recht gutem Erfolge auch noch
V e r o n a 1 zugefügt haben. Ueber die pharmakologisch-toxische
Seite kann ich mich zwar weiter nicht aussprechen, ich müsste das
Fachmännern überlassen. Ich kann nur anführen, dass wir nie irgend¬
welche unangenehmen Folgen gesehen haben, die darauf zurückzu¬
führen gewesen wären. Die Zahl der Neben- und Nachwirkungen ist
bei uns jedenfalls nicht grösser als in anderen Statistiken, bei reiner
Lumbalanästhesie. Hingegen sind die Vorteile in die Augen springend;
der direkte Vergleich hat uns überzeugt. Unsere ersten Lumbal¬
narkosen, über welche V ö 1 c k e r seinerzeit hier berichtet hat, sind
ohne diese Kombination ausgeführt worden; sie halten den Vergleidi
nicht aus; unsere jetzigen Anästhesien sind — Versager infolge tech¬
nischer Fehler, welche immer noch Vorkommen, abgerechnet — weit¬
aus ruhiger, angenehmer und sicherer. Die Patientinnen machen alle
Vorbereitungen zur Operation halb oder ganz schlafend mit und
schlafen noch stundenlang nachher, verschlafen somit einen gute-'
Teil des Wundschmerzes,, der sonst regelmässig nach der Operation
recht intensiv auftritt. Während der Operation perzipiert die Pa¬
tientin meist nichts, ein Umstand, der für manchen Operateur sehr
angenehm ist; er braucht seine Worte nicht in acht zu nehmen; nicht
jedes Wort, das hier gesprochen wird, ist für das Ohr des Kranken
bestimmt. Gerade diese praktischen Vorzüge sind so gewichtig,
dass ich die Kombination, sei es bei Stovain, sei es bei Tropakokain,
zu dem wir wieder zurückkehren, nicht mehr missen möchte.
Herr Thorbecke (Schlusswort): All den Ausführungen von
heute Abend möchte ich — nachdem meine Arbeit in extenso in der
Medizin. Klinik (No. 14) erschienen ist — nur noch einmal hinzufügen,
wl_e Dr. Kermauner eben betonte, dass wir den Dämmerschlaf
bei der Lumbalanalgesie nicht mehr missen mögen vor allem aus
humanen Gründen.
Was die Pulsverlangsamung anbelangt, verweise 'ich auf die Ar¬
beit von Dir. Himmelheberin der Medizin. Klinik (No. 21), worin
auf Gi und der bei uns beobachteten Fälle ihre Erklärung versucht
wurde.
Zum Schluss möchte ich nochmals auf unsere Resultate e’ingehen.
Wir haben jetzt eine Serie von 154 Stovain-Lumbalanalgesien abge-
schlossen und fanden, dass unsere Resultate gegen früher sich noch
vervollkommnet haben; u. zw. 99 vollkommene (= 64,3 Proz.).; 37
(bezw. 32) unvollkommene Analgesien (= 24,0 Proz.) und 18 Ver¬
sager“ (= 11,7 Proz.).
Dazu ist zu bemerken, dass wir in der Dosis versuchsweise noch
weiter herabgegangen sind (für vaginale Operationen 0,02 — 0,04, für
Laparotomien 0,03—0,06 Stovain), dabei allerdings erfahren mussten,
dass die Güte und die Dauer der Analgesie öfter zu wünschen übrig
liessen.
Entsprechend waren die Neben- bezw. Nachwirkungen: wir haben
unter den i54 Fällen 92 mal (= 59,8 Proz.) absolut keine, 21 mal
13,6 Lioz. ) Neben- und 41 ( — 26,6 Proz.) Nachwirkungen.
Wir haben vorläufig mit den Stovain-„Narkosen“ abgeschlossen,
r'w ’e*rl?r entsprechenden Zahl von Tropakokainanalgesien ein
iten über die Giftigkeit bezw. Folgen des Stovains zu erhalten und
fallen zu können.
p, . Hen v. Lichtenberg macht Mitteilung über einen seltenen
rall von Oesophagusperforation, welcher grosse diagnostische Schwie-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1611
6. August 1907.
rigkeiten darbot, und erst nach dem Tode völlig geklärt wurde. Der
Fall wird kurz in dieser Wochenschrift publiziert.
Herr Schwalbe: Kephalothorakopagen und Thorako-
pagen. Einiges über Bau und Genese.
Vortr. sprach über seine Untersuchungen, die er zum
grössten Teil in seiner „Morphologie der Missbildungen, II (die
Doppelbildungen)“ veröffentlicht hat. Eingehender wurden die
Kephalothorakopagen mit zyklopischem Defekt behandelt und
auf die Bedeutung dieser Doppelbildungen für die Auffassung
der Zyklopie hingewiesen. Da eine fortlaufende Reihe von
Kephalothoracopagus disymmetros bis zum Kephalothoraco-
pagus monosymmetros tribrachius aufgestellt werden kann, so
spricht dies dafür, dass die Entwicklung der Zyklopie bei
Janusbildungen schon auf einer sehr frühen Anlage begründet
ist. Wahrscheinlich ist die teratogenetische Terminations¬
periode für die syngenetische Missbildung der Zyklopie bei
Kephalothorakopagen in die Zeit bis zur Gastrulation zu legen.
Jedenfalls hat die Zyklopie bei Janusbildungen keine amniogene
Entstehung. Das spricht natürlich sehr gegen die von vielen
angenommene amniogene Entstehung der Zyklopie überhaupt.
Dasselbe gilt von der Arhinenkephalie.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
V. Sitzung vom 5. März 1907.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr The len: Ueber die Diagnostik der chirurgischen
Nierenerkrankungen mit Hilfe der Zystoskopie und des Ureteren-
katheterismus.
Herr T h e 1 e n hat eine Reihe interessanter chirurgischer
Nierenerkrankungen mit Hilfe der Zystoskopie, des Ureteren-
katheterismus und des Röntgenogramms diagnostiziert und be¬
spricht den Wert dieser neuen Untersuchungsmittel. Besonders
lässt sich bei der Nierentuberkulose aus den zystoskopisch
sichtbaren Veränderungen, dem Oedem, dem erweiterten
Lumen der Ureterenmündung, den vorhandenen Ulzerationen,
Knötchen und Gefässsternen in der Umgebung der Ureteren¬
mündung die frühzeitige Diagnose einer tuberkulös erkrankten
Niere stellen. In zweifelhaften Fällen entscheidet der Nach¬
weis der Tuberkelbazillen des mit dem Uretenkatheter aus der
voraussichtlich erkrankten Niere aufgefangenen Urins.
Bei einem 17 jährigen Mann, der zeitweise blutigen Harn hatte,
ergab die Zystoskopie eine vollständig normale Blase, aus der rechten
Uretermündung trat blutiger Harn aus. Der Urin der rechten Niere,
mit dem Ureterkatheter entnommen, enthielt reichlich rote Blutkör¬
perchen und Tuberkelbazillen. Der Urin der linken Niere zeigte
keine pathologischen Bestandteile. Es wurde rechts die Nephrek¬
tomie ausgeführt und es fanden sich im Parenchym zahlreiche erbsen-
bis haselnussgrosse, mit Eiter angefüllte Kavernen, im Nierenbecken
ausser vielen Tuberkelknötchen ein tuberkulöses Ulcus, welches die
Blutung verursacht hatte. Der Ureter der erkrankten Niere war
noch vollständig frei von tuberkulösen Erscheinungen. Die Opera¬
tionswunde heilte ohne Fistel. Seit 4 Jahren ist der betreffende ]unge
Mann ganz gesund und sein Urin frei von Blut, Eiter und Tuberkel¬
bazillen.
Besteht bei Männern gleichzeitig eine tuberkulöse Pro¬
statitis und eine Tuberkulose der Samenbläschen, so wird
durch die Nephrektomie einer erkrankten JNiere nicht viel er¬
reicht, da die Blase aszendierend immer wieder infiziert wird.
In einem Falle konnte Vortragender bei einer rechtsseitigen
tuberkulösen Pyonephrose eine linksseitige toxische Albu¬
minurie feststellen, die einige Wochen nach der Entfernung
der erkrankten Niere vollständig schwand.
Unter 54 Fällen von Blasentuberkulose konnte er durch die
Zystoskopie und den Ureterenkatheterismus bei 32 die Mit¬
erkrankung einer Niere feststellen. Bei Nierensteinen ist ausser
der zystoskopischen Diagnostik das Röntgenogramm von aus¬
schlaggebender Bedeutung. In vier Fällen, in denen zysto¬
skopisch eine eitrige Pyelitis oder' eine Hämaturie aus einer
Niere festgestellt wurde, ergab das Röntgenogramm einen
deutlichen Schatten, der sich bei der Operation, von einem
Nierenstein herrührend, bestätigte.
Bei einem Patienten, der eine rechtsseitige Pyelitis mit einem
Calculus im Nierenbecken hatte, war die linke Ureterenmündung nicht
sichtbar. Auch nach Indigokarmininjektion trat ke;in gefärbter Harn
in der Gegend der linken Uretermündung aus. Bevor auf diesen
Befund hin die rechtsseitige Pyonephrose und der Calculus entfernt
wurde, überzeugte sich Geheimrat Prof. Bardenheuer, der die
Operation ausführte, ob eine linke Niere vorhanden sei, und in der
Tat bestätigte sich der zystoskopische Befund, die linke Niere fehlte.
Vortragender hatte häufig Gelegenheit, einseitige lang-
dauernde Nierenblutungen zystoskopisch zu diagnostizieren,
deren Ursache weder Stein, Tumor, noch Tuberkulose war,
sondern Blntgefässerkrankung bei interstitieller Nephritis.
Interessant sind auch die zystoskopischen Befunde bei
alten Prostatikern, wo man oft grosse Divertikel findet; die
Ureterenmündungen sind stark diktiert und infolgedessen für
eine aszendierende Infektion prädisponiert.
Am meisten ist differentialdiagnostisch mit dem Zystoskop
und dem Ureterenkatheter zu entscheiden, ob eine Zystitis oder
Pyelitis resp. Pyelonephritis, die aszendierend oder auf dem
Wege der Blut- oder Lymphbahn entstanden ist, vorliegt. Vor¬
tragender zystoskopierte mehrere Male Pyelitiden bei
schwangeren Frauen, welche durch Ureterkompression und
Retention von Urin im Nierenbecken entstanden waren.
Von grossem Wert ist auch der Ureterkatheterismus bei
Uretervaginalfisteln nach gynäkologischen Operationen, um
festzustellen, welcher Ureter der verletzte ist, da meist die
Fistelöffnung in der Vagina sich nicht auffinden lässt.
Am Schlüsse erwähnt er noch den von K a t h e 1 i n an¬
gegebenen Harnsegregator, den er mehrere Male anwendete,
ohne mit demselben zu einem einwandfreien Resultate zu
kommen.
Herr Horn Demonstrationen.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. F e b r u a r 1907. *)
Herr Pfeiffer: Ueber Harnsäure.
Vortragender gibt nach kurzen chemischen Vorbemer¬
kungen einen Ueberblick über den jetzigen Stand der Harn¬
säurefrage und berührt dabei die Frage der Harnsäurebildung
bei Säugetieren und Vögeln, der Harnsäurezersetzung, des
Ortes der Harnsäurebildung und -Zersetzung, der Lösungs¬
bedingungen und Lösungsverhältnisse der Harnsäure im Blute,
den Gewebssäften und im Harn. Zum Schluss wird das Ver¬
halten der Harnsäure im Organismus des Gichtikers kurz ge¬
streift.
Herr Henke: Ueber die seitlich eingezogene Kieferform.
(Ausführlich veröffentlicht im Jahresbericht der zahnärztlichen
Universitätspoliklinik zu Kiel 1906/07.)
Sitzung vom 6. Mai 1907.
Herr Piper: Ueber willkürlichen Tetanus. (Wird in
Pflügers Archiv erscheinen.)
Herr Ho eh ne demonstriert ein ca. 14 Tage altes menschliches
Abortivei (3 : 3.5 mm) in seinem Situs in der SDontan ausgestossenen
Dezidua. An der Innenfläche der tvpisch gefelderten Dezidua tritt
deutlich der Implantationshügel mit einer leicht gebogenen spalt¬
förmigen Implantationsöffmmg hervor. An der rauhen Ablösungs¬
fläche der Dezidua sieht man die eröffnete Eikammer und in ihr den
höchstens hanfkorngrossen, von einem dichten Zottenmantel umge¬
benen. Eikörper, der nur an der Einbohrungsstelle mit der Frucht¬
kapsel in Verbindung steht.
Sitzung vom 27. Mai 1907.
Herr H o e h n e: Zur Morphologie der intramuskulären Ab¬
zweigungen des Tubenluniens.
Von den zahlreichen bezüglich der Aetiologie der Extra¬
uteringravidität aufgestelltcn Theorien hat n u r d i e wenn auch
nur spärliche sichere Stützpunkte aufzuweisen, deren Anhänger
mechanische Hindernisse auf dem Eiwege als Ursache für die
ektopische Eieinbettung annehmen. Speziell auf mechanische
Hindernisse gerichtete Untersuchungen an schwangeren Tuben
haben in der Tat positive Resultate gebracht, in Gestalt von
mehr oder weniger ausgesprochenen Faltenverwachsungen
und von epithelialen Wandgängen. Auch durch das Ma¬
terial der Kieler Universitäts-Frauenklinik
konnte bestätigt werden, dass Faltenver¬
wachsungen und intramuskuläre Abzwei¬
gungen des Tubenlumens ein überaus h ä u f i -
- j i *>
*) Der Redaktipn zugegangen am 20, Juni 1907.
1612
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
ger Befund in schwangeren Tuben sind. Und
nicht nur die gravide, sondern auch die anderseitige Tube bei
Eileiterschwangerschaft enthält keineswegs selten die erwähn¬
ten Veränderungen. Sie müssen a 1 s d i e Folge eines
überstandenen Entzündungsprozesses ange¬
sehen werden, da sie nur in Tuben Vorkommen,
die auch sonst typische Zeichen einer durch¬
gemachten Salpingitis erkennen lassen (ge¬
naue Untersuchung von e t \v a 150 normalen und
pathologischen Tube n). Mit den durch Windungen
und Torsionen bedingten Unregelmässigkeiten und Aus¬
bauchungen der Eileiterlichtung, mit den in normalen Tuben
vorkommenden, mit faltentragender Schleimhaut ausgekleide¬
ten Divertikeln und mit den seltenen Fällen von Tubenver¬
doppelung haben die intramuskulären Abzweigungen des Tu-
benlumens gar nichts zu tun. Vielmehr zeigen sie grosse
Uebereinstimmung mit den epithelialen Wandgängen, die bei
den sog. Adenomyomen der Tubenwinkel und bei der Salpin¬
gitis isthmica nodosa beobachtet werden. H. gibt eine genaue
Charakteristik der intramuskulären Abzweigungen des Tuben¬
lumens. Die eigentümlichen Formverhältnisse zeigt er an
einem komplizierteren Gangsystem, das in einer
der gesammelten chronisch entzündeten Tuben gefunden und
nach dem Bornschen Rekonstruktionsver¬
fahren modelliert worden ist (Demonstration
des aus 150 Serienschnitten ä 15 .« aufgebauten Modells
und der dem Modell zugrunde liegenden mikroskopi¬
schen Präparate). Sehr viele der intramuskulären Ab¬
zweigungen des Tubenlumens kommen schon deshalb für die
ektopische Einbettung des Eies nicht in Frage, weil ihr Kaliber
und ihre Zugangsöffnung zu winzig sind. Andere dagegen
haben ein weites Lumen und ein weites Kommunikations-
ostium, bis zu 2 mm Durchmesser. Dass ein befruchtetes Ei
auf seinem Transport zum Uterus eine so weite Fallgrube
immer glücklich passieren sollte, kann nicht gerade als wahr¬
scheinlich betrachtet werden. Ist aber das entwicklungsfähige
Ei einmal in ein geräumiges weitverzweigtes Kanalsystem
hineingeraten, so wird es schwerlich wieder herauskommen,
sondern entweder zugrunde gehen oder hier zur Ansiedelung
gelangen müssen.
Herr Göbell: Ueber die Heilung von Herzwunden.
Vortr. hat bei 50 Tieren (Kaninchen. Katzen, Hunden) die
Heilungsvorgänge von am freigelegten Herzen gesetzten und
durch Katgut- oder Seidennaht geschlossenen Herzwunden ■
studiert. Von den 50 Tieren — bei einigen wurden auch Ampu¬
tationen der Herzspitze öder eine Resektion eines Stücks Ven¬
trikelwand (bis ins Endokard) vorgenommen — sind nur 7 so¬
fort, und zwar 4 an Verblutung, 2 an doppelseitigem Pneumo¬
thorax und 1 an Herzprolaps, gestorben, während 11 innerhalb
kurzer Zeit, längstens nach 9 Tagen an Perikarditis zugrunde
gingen. An 32 Tieren konnte Vortr. die Heilungsvorgänge bis
zu 1 1 Monaten nach der Herznaht histologisch untersuchen. Da¬
nach ist die Wirkung einer Naht des Herzmuskels nicht so un¬
schädlich für das Herzmuskelgewebe, wie sie von Eisberg
früher hingestellt worden ist. Fast jedesmal wird das von der
Naht umschlungene Gewebe geschädigt, und falls ein Ast der
Koronararterie umstochen ist, ist die Schädigung noch be¬
trächtlicher. Sehr oft sieht man Bilder, die einem anämischen
Infarkt an der Stelle der Naht gleichkommen. Macht man Am¬
putationen der Herzspitze wie Eisberg oder Herzwand¬
resektionen. so kann man finden, dass ganz breite Partien der
genähten Herzwand in einen anämischen Infarkt verwandelt
sind. Die Folge dieser durch die Naht gesetzten Gewebs¬
schädigungen sind Narben und Schwielenbildungen. Vortr. ist
in der Lage Präparate zu demonstrieren, an welchen bereits
deutliche Aneurvsmabildung der Herzwand nachweisbar ist.
Ueber die Einzelheiten wird in einer ausführlichen Arbeit dem¬
nächst berichtet werden.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. Juni 1907.
Herr Z a r n i k: Ueber ein neues Protozoon. (Mit Demon¬
strationen.)
Das neu entdeckte Protozoon, Solenopus chon-
dropho rus n. g., n. sp., stammt aus dem adriatischen Meer
und gehört zur Gruppe der Plasmodroma. Der Körper hat die
Form und Grösse einer kleinen Erbse und ist dunkelbraun ge¬
färbt. Er ist von einer feinen hornigen Cuticula überzogen,
welche an der einen Seite eine grössere Oeffnung hat zum
Durchtritt der Pseudopodien. Das Plasma hat zahlreiche
kleine Kerne. Ausserdem ist es von gelblichen Körnern einer
organischen Siliciumverbindung, sog. Phaeochondren, die als
Skelettgebilde aufzufassen sind, und kleineren, im Leben stets
in tanzender Bewegung befindlichen, stark lichtbrechenden
Körnchen, sog. Kinochondren, erfüllt. Die Pseudopodien sind
ganz anders gebaut wie die bisher bekannten Gebilde dieses
Namens, sie sind ganz homogen, ohne Strömungen und be- '
stehen aus einer festen Aussenschicht, welche ihnen eine starre
Becshaffenheit verleiht, und einer flüssigen Innenmasse, die
jedoch vom Körperplasma verschieden ist. Die Tiere pflanzen
sich durch Bildung von Schwärmern fort. Infolge seines eigen¬
tümlichen Baues ist Solenopus als Repräsentant einer eigenen
Ordnung der Plasmodroma — Solenopoda — zu betrachten.
Der Vortrag wurde durch Projektion zahlreicher Mikrophoto¬
gramme und Demonstration mikroskopischer Präparate er¬
läutert.
Herr Johannes Müller: Demonstration der unblutigen Blut¬
druckmessungen nach v. Recklinghausen.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie des Sciences.
Sitzung vom 27. Mai 1907.
Untersuchungen über die Wirkung der Schweieiwässer bei der
Hg-Behandlung.
Es ist bekannt, dass in den Schwefelbädern Syphilitiker Queck¬
silberdosen, welche 3 — 4 mal die Norm übersteigen, vertragen können;
Desmoulieres und C h a t i n haben nun bei ihren bezüglichen
Untersuchungen Folgendes festgestellt. Die Schwefelwässer wir¬
ken, indem sie den lösenden Einfluss des Blutserums auf die Queck-
silberalbuminate vermehren; dadurch kann man die erforderlich
hohen Dosen Quecksilber anwenden ohne die Gefahr der Vergiftung
oder von Quecksilbererscheinungen. Die Schwefelwässer setzen das
in den Geweben angehäufte Ouecksilber in erhöhte Zirkulation und
leisten so grosse Dienste in Fällen von Intoxikation, Gingivitis, Sto¬
matitis, merkurieller Enteritis usf.
a
Sitzung vom 3. Juni 1 907.
Ein neues Verfahren zur experimentellen Diagnose der Tuberkulose.
H. Vallee hat das Verfahren v. Pirquets nachgeprüft und
gefunden, dass bei gesunden Rindern, Ziegen oder Meerschweinchen
einige Tropfen unverdünnten Tuberkulins, auf die rasierte und skarifi-
zierte Haut appliziert, meist keinerlei bemerkenswerte Reaktion her¬
vorruft und nur ganz ausnahmsweise eine leichte Entzündung der
Ränder der Skarifikationen von übrigens ganz flüchtiger Dauer ent¬
steht. Wenn V. hingegen unter denselben Bedingungen bei tuber¬
kulösen Tieren (Rindern und Pferden) und bei einer Reihe von
infizierten Meerschweinchen operierte, so entstand nach 24 Stunden
eine sehr deutliche Hautreaktion. Die Haut wird auf eine Ausdehnung
von mehreren Millimetern von jeder Seite der Skarifikationsgrenze
infiltriert und bildet eine schmerzhafte, graurote Verdickung (ver¬
schieden je nach der Intensität der Reaktion). Stehen die Skarifi¬
kationen genügend nahe beisammen, so erzielt man eine wahre öde-
matöse Hautplaque, welche jede Weichheit verloren und sehr emp¬
findlich für Druck ist. Was sehr wichtig ist, die Hauterscheinung wird,
anstatt zurückzugehen, von der 36. Stunde an ausgeprägter, erreicht
ihr Maximum gegen die 48. Stunde und ist noch mit sehr deutlichen
Anzeichen mehr als 4 — 5 Tage nach dem Eingriff vorhanden. Diese
Hauterscheinung, welcher man den Namen Kutireaktion geben kann,
ist bei manchen tuberkulösen Individuen so ausgeprägt, dass sie den
Charakter einer wahren Papelbildung annimmt. Die Hautreaktion
ist nicht von einer ausgesprochenen Temperaturreaktion begleitet.
St.
Einfluss der raschen Luftbewegung, welchen das Automobil auf die
Allgemeinernährung ausübt.
Moneyrat hat studiert, welchen Einfluss das Automobilfahren
— Reisen von 8 — 10 Tagen bei mittlerer Geschwindigkeit von 40 km
pro Stunden und täglichen 100 — 200 km — auf gesunde, neurasthe-
nische und anämische Personen ausübt. Die Zahl der roten Blut¬
körperchen und der Hämoglobingehalt nehmen in bedeutendem Masse
zu, bei Gesunden ebenso wie bei Anämischen; bei letzteren sieht M.
das Automobilfahren sogar für eine vorzügliche Behandlung an. Die
Harnuntersuchung zeigte gleicherweise eine Vermehrung des ge¬
samten Stoffwechsels, was mit einer Zunahme des Appetits zusammen¬
fällt. Der Schlaf wird in besonderem Masse beeinflusst: bei Ge-
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1613
6. August 1907.
suuden wird er verlängert, bei Neurasthenikern, die nicht ohne wenig
schlafen, hört die Schlaflosigkeit sehr rasch auf und weicht einem
normalen Schlaf.
Sitzung vom 10. J u n i 1907.
Anwendung der Radioskopie und Radiographie bei der Inspektion
tuberkulösen Fleisches.
Märtel, sich .darauf stützend, dass die tuberkulösen Verände¬
rungen bei Rind und Schwein oft verkalkt sind, benützte diese Eigen¬
schaft, um mittels Röntgenstrahlen das Vorhandensein diskreter,
mitten in den Qeweben liegender Veränderungen (besonders in den
Drüsen, mehr weniger von Fett umhüllt) nachzuweisen. Das gesunde
Drüsengewebe, nähezu durchsichtig für Röntgenstrahlen, gibt einen
wenig deutlichen Schatten, die erkrankten Drüsen werden unter der
Form mehr weniger ausgedehnter granulierter Flecke, je nach dem
Grade der Affektion, projiziert; auf diese Weise werden die ver¬
stecktesten Herde entdeckt und unter der Bedingung, dass ihr In¬
halt das granulierte Aussehen hat, welches einen gewissen Grad von
Kalkinfiltration verrät. Die Organe, welche ein negatives Resultat
bei der radioskopischen Untersuchung geben, können trotzdem tuber¬
kulös sein, aber in positiven Fällen hat die Methode den Vorteil, dass
man keine Schnittpräparate braucht und so eine sehr rasche Unter¬
suchung ermöglicht wird.
Sitzung vom 17. Juni 1907.
Ueber ein neues Verfahren zur Diagnose der Tuberkulose beim
Menschen (Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin).
Nachdem V a 1 1 e e -d’Alfort mit seiner Kutireaktion (Injektion
von Tuberkulin in die skarifizierte Haut) bei tuberkulösen Rindern
positive Resultate gehabt hat, hatte A. C a 1 m e 1 1 e ähnlich wie
Wolf- Berlin die Idee, zu untersuchen, ob bei Rindern die gesunde
Schleimhaut und besonders die des Auges, welche so leicht gewisse
Toxine, wie das Diphtheriegift, das Abrin und andere Gifte resorbiert,
nicht bei Berührung mit Tuberkulin eine analoge Reaktion zeigen
würden. Calmette stellte an 25 Individuen (Erwachsenen und
Kindern), wovon 16 tuberkulös und 9 mit anderen nichttuberkulösen
Affektionen behaftet waren, Versuche an. Um die reizende Wirkung
des Glyzerins auf die Schleimhaut zu meiden, haben C. und seine
Mitarbeiter (Breton, G. Petit, der Augenarzt Painblau) aus¬
schliesslich eine Lösung trockenen, durch 75 pro.z. Alkohol präzipi-
tierten Tuberkulins angewandt; die Lösung war 1 proz. und frisch
dargestellt: man instilliert jedesmal je einen Tropfen in ein Auge.
3 — 5 Stunden nach dieser Einträufelung zeigen alle Tuberkulösen eine
sehr deutliche Kongestion der Conjunctiva palbebralis mit mehr
weniger starkem Oedem, Rötung, Tränenträufeln usf. Das Maximum
der Reaktion stellt sich zwischen 6 und 10 Stunden ein; über Schmerz
wird hierbei nicht geklagt, die Temperatur nicht merklich beeinflusst.
Durch Beobachtung des anderen Auges, welches kein Tuberkulin be¬
kommen hat, ist es leicht, die Intensität der Reaktion festzustellen.
Bei Kindern nach 18 und bei Erwachsenen nach 24 Stunden nehmen
die Kongestionsersc'heinungen ab und verschwinden schliesslich. Bei
gesunden oder mit anderen Krankheiten behafteten Leuten bleibt die
Tuberkulineinträufelung vollkommen unschädlich, höchstens zu
leichter Rötung führend. Nur in einem der Fälle (von angenommener
geringer Bronchitis), wo die tuberkulöse Natur des Leidens nicht ver¬
mutet wurde, war die Reaktion positiv. Diese „Augenreaktion auf
Tuberkulin“ stellte sich rascher ein, als die Kutireaktion, welche
erst nach 48 Stunden auftritt, und verursachte weder dauernden
Schaden noch Schmerz. Die Aerzte, welchen es oft so schwer ge¬
lingt, tuberkulöse Affektionen frühzeitig zu diagnostizieren oder die
definitive Heilung alter tuberkulöser Veränderungen festzustellen,
werden vielleicht bei Anwendung dieser Methode ein einfaches, ele¬
gantes und rasches Aufklärungsmittel finden.
H. Vallee bespricht noch einge'hend den Einfluss verschiedener
Bedingungen auf das Auftreten der Kutireaktion bei tuber¬
kulösen Rindern und hat, ebenso wie W o 1 f f - Ei s n e r,die Kon-
junktivalreaktion bei tuberkulösen Tieren beobachtet. Er glaubt je¬
doch, dass diese Reaktion nur beschränkten diagnostischen Wert hat
und dass sie beim Menschen wegen der auftretenden Schmerzen und
sonstigen Folgen (? siehe oben Refer.) nicht in Betracht kommen
und in der Veterinärmedizin wegen der Leichtigkeit, sie vorzutäuschen,
systematisch nicht angewendet werden kann. Aber als biologische
Erscheinung ist die Augen- mit der Hautreaktion zu vergleichen, indem
sie beide interessante Aufschlüsse über die Wirkungsweise des Tuber¬
kulins geben; die Methode der Skarifikationen bietet dagegen eine
neue Art therapeutischer Anwendung des Tuberkulins. St.
Societe de biologie.
Sitzung vom 11. Mai 1907.
Offizieller Bericht über die Anthrakosis.
Um diese Streitfrage, welche mit soviel Hartnäckigkeit von
beiden Seiten (siehe die früheren Berichte in dieser Wochenschrift)
geführt wurde, einigermassen zu entscheiden, hat die Gesellschaft
für Biologie eine Kommission eingesetzt, welche aus 5 bewährten
Forschern bestand. Dieselbe hat sich nur mit der Darmanthrakosis
beschäftigt, in der Annahme, dass viele Tiere, besonders ausge¬
wachsene, normalerweise Lungenanthrakosis haben. Die Kom¬
mission kam zu dem Schlüsse, dass Kohlenpartikelchen unter den ur¬
sprünglich festgesetzten Bedingungen (6 Stunden nach Einverleibung
von chinesischer Tusche werden die Tiere geopfert) nicht aus dem
Darm in die Mesenterialdrüsen gelangen. Andererseits können in
Fällen wiederholter Einverleibung die Kohlenpartikelchen hin¬
durchgelangen; es wäre wünschenswert, dass die genauen Bedin¬
gungen und der Mechanismus dieser Passage noch studiert würden.
Sitzung vom 25. Mai 1907.
Beitrag zum Studium der Lumbalpunktion bei Syphilis.
Jeanselme und Barbe haben bei 53 Syphilitikern, welche
den verschiedensten Stadien der Krankheit angehörten, die Lumbal¬
punktion ausgeführt und kommen hiebei zu folgenden Schlüssen:
1. die Lymphozytose des Liquor cerebrospinalis kann man bei Sy¬
philis beobachten, ohne dass die Untersuchung des Nervensystems
irgendwelche Veränderung desselben ergibt, 2. die Lymphozytose ist
ausserordentlich häufig bei Kopfschmerz oder Roseola, ohne jedoch
stets diese Symptome zu begleiten, 3. es sollte in bestimmten Zwi¬
schenräumen die Lumbalpunktion ausgeführt werden, um sich zu
vergewissern, dass nicht eine Reaktion des Nervensystems droht,
4. die Erfahrung hat gelehrt, dass die in den ersten Jahren übliche
Syphilisbehandlung mit unlöslichen oder löslichen Salzen keine
Sicherheit gibt, da nur in der Hälfte der Fälle die Lymphozytose
vermindert wird. Es muss daher, wenn die Reaktion der Meningen
nicht aufgehört hat, die Behandlung fortgesetzt werden und es ist
zu hoffen, dass in kurzen Zwischenräumen wiederholte Injektionen in
annähernder Weise festellen lassen wie viele Einspritzungen noch not¬
wendig sind, um jede Reaktion der Gehirnhäute zum Verschwinden
zu bringen. Die Lumbalpunktion muss also zu einer die Behandlung
leitenden, rationellen Methode erhoben werden.
VI. Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten-
Vereins
zu Bremen am Montag, den 9. September und Dienstag, den
10. September 1907.
Tagesordnung.
Sonntag, den 8. September. 8 Uhr abends ; Gesellige
Vereinigung zur Begrüssung (mit Damen) im Rutenhof (Domshof;
Kellerräume; Eingang vom Restaurant).
Montag, den 9. September. 9 Uhr vormittags: Erste
Sitzung im Saale der Bürgerschaft Börse (Marktplatz; Eingang dem
Dom gegenüber). 1. Eröffnung der Versammlung. 2. Geschäfts- und
Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 3. Ueber den Wert
neuerer physikalischer Behandlungsmethoden und ihre Anwendung
durch nicht approbierte Personen. Referent: Herr Dr. A. L a q u e u r,
leitender Arzt der hydrotherapeutischen Anstalt und des mechano-
therapeutischen Instituts am Rudolf-Virchow-Krankenhause in Berlin.
4. Ueber die forensische Bedeutung der Dementia praecox. Referent:
Herr Dr. A. Delbrück, Direktor des St.-Jiirgen-Asyl für Geistes¬
und Nervenkranke zu Ellen bei Bremen. 5. Einrichtung, Betrieb und
Ueberwachung der öffentlichen Wasserversorgungsstellen. Referent:
Herr Med. -Rat Dr. Racine, Kreis- und Stadtarzt in Essen a. Ruhr.
— Nach Schluss der Sitzung: Besichtigungen1). — 8 Uhr abends:
Festessen mit Damen im Museum am Domshof. Preis: M. 4.50.
Dienstag, den 10. September. 9 Uhr vormittags : Zweite
Sitzung. 1. Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes. Referent: Herr
Reg.- und Med. -Rat Prof. Dr. Gumprecht - Weimar. Korreferent:
Herr Geh. Ober-Med.-Rat Dr. H a u s e r - Darmstadt. 2. Vorstands¬
wahl; Bericht der Kassenrevisoren. — Nach Schluss der Sitzung: Ge¬
meinschaftliches Essen mit Damen. — 3 Uhr nachmittags: Besichti¬
gungen1). — Abends: Begriissungsabend des „Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege“ im Künstlerverein (Domshaide).
Die Teilnahme an der Hauptversammlung ist ausser den ein¬
geladenen Gästen nur den Mitgliedern des Preussischen und Deutschen
Medizinalbeamten-Vereins und deren Damen gestattet.
Auswärtige Briete.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 31. Juli 1907.
Ernst v. Leydens Abschiedsvorlesung.
Mit dem heutigen Tag tritt Prof. Ernst v. Leyden von
der Stelle zurück, an der er mehr als drei Jahrzehnte hindurch
gestanden und von der aus er eine ungewöhnlich vielseitige,
erfolgreiche und befruchtende Tätigkeit entfaltet hat. v. Ley¬
den hatte das Glück, seine Erfolge zu sehen und zu gemessen,
und wenn er heut, ein jugendlicher Greis, sein Lehramt nieder¬
legt, um es in jüngere Hände übergehen zu lassen, so tritt
er damit noch keineswegs vom medizinischen Leben zurück.
Wem es, wie ihm, gegönnt ist, noch als ein Siebenziger im
x) Das Nähere wird am Sitzungstage bekannt gegeben.
1614
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32
Leben wie in der Wissenschaft und dem Beruf sich jung zu
erhalten, dem ist der Zusammenhang mit den Berufsgenossen
und die Teilnahme an ihren Arbeiten Lebensbedürfnis. So
steht v. Leyden noch heute beim Abschluss seiner aka¬
demischen Tätigkeit noch mitten im akademischen Leben und
seine heutige Abschiedsvorlesung gestaltete sich zu einer Ab¬
schiedsfeier, die seine Kollegen, Assistenten und Schüler ihm
bereiteten. Auch die Behörden nahmen an dieser Feier teil.
Als erster sprach der Generalstabsarzt der Armee Dr. Schjer-
n i n g, indem er die Verdienste hervorhob, die v. Leyden
sich um das Militärmedizinalwesen erworben hatte. General¬
arzt Scheibe betonte im Namen der Chariteedirektion die
mannigfachen Förderungen, die das Chariteekrankenhaus und
ganz besonders die Lage der Chariteekranken durch v. Ley¬
dens Wirken erfahren haben. Als Vertreter des Kultusmini¬
steriums sprach Geheimrat Kirchner über die Bestrebungen
v. Leydens zur Bekämpfung der Tuberkulose, welche zu
einem wesentlichen Teil seiner Initiative zu verdanken seien,
und schloss daran den Wunsch, dass auch auf seinem neuesten
Arbeitsgebiet, der Erforschung und Bekämpfung der Krebs¬
krankheit, in gleichem Masse aussichtsvolle Erfolge erzielt
werden mögen. Im Namen der medizinischen Fakultät dankte
der Dekan Prof. H e u b n e r dem langjährigen Kollegen, im
Namen der früheren Assistenten Prof. A. F r a e n k e 1 für die
mannigfachen Anregungen, die der Meister seinen Schülern
und Mitarbeitern hatte zu teil werden lassen. Der älteste der
jetzigen Assistenten, Prof. A. L a z a r u s, hob die wissenschaft¬
liche Bedeutung hervor, welche v. Leydens Arbeiten, die
sich auf einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren erstrecken,
gewonnen haben, und dieBereicherung, welche die medizinische
Literatur durch seine Veröffentlichungen erfahren hat. Es folg¬
ten noch Ansprachen eines Vertreters der militärärztlichen
Assistenten, ein begeisterter Dank der jetzigen Hörer, ein Ab¬
schiedswort des Leiters der zweiten medizinischen Klinik, Prof.
K r a u s s, und zum Schluss wandte sich der älteste der Ber¬
liner Professoren, Senator, an den scheidenden Kollegen,
mit dein ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verband, eine
Freundschaft, die keine Einbusse erlitt, wenn im gemeinsamen
Suchen nach neuen wissenschaftlichen Wahrheiten ihre Mei¬
nungen auch manchmal auseinander gingen.
Wenn bei dieser Abschiedsfeier die Behörden, die aka¬
demischen Berufsgenossen, die früheren und die jetzigen Assi¬
stenten ihren Dank anzusprechen Gelegenheit nahmen, so will
es uns doch scheinen, dass eine grosse Gruppe, die grösste
von allen, dabei nicht zum Wort gekommen ist, obwohl sie
wie kaum eine andere dazu Veranlassung hat; das ist die jetzt
lebende Generation von Aerzten, die mittelbar oder unmittel¬
bar von v. Leyden Belehrung und Anregung empfangen
haben. Es sei daher gestattet, an dieser Stelle diese Lücke aus-
zufüllen. Wer als Student zu seinen Füssen gesessen und in
seinen Krankensälen gearbeitet hat, dem kann niemals seine so
oft und so eindringlich wiederholte Lehre in Vergessenheit ge-
iaten, dass nicht die Krankheit, sondern der Kranke der Gegen¬
stand unserer Behandlung sein müsse. So selbstverständlich
diese Lehre auch klingt, so ist doch oft genug gegen sie ver-
stossen worden; und wir werden gut tun, uns ihrer immer wie¬
der zu erinnern, \yenn eine diagnostische und therapeutische
1 olypramasie, welche ihre Anregungen nicht aus dem Kran¬
kenzimmersondern aus dem Laboratorium schöpft, mit Mitteln
gegen die Krankheit vorgeht, die dem Kranken unangenehmer
sind als sein Leiden. Im klinischen Unterricht wie in der
q/wo- .v,et01pte N L e y d e n stets, dass es bei aller wissen-
L Hhhchen Exaktheit in der Diagnosenstellung doch immer bei
dei Aufstellung des Heilplans die erste und vornehmste Auf-
gu k des Aiztes ist, dem Kranken zu helfen, mit welchen Mit¬
teln es auch sei, und unbekümmert darum, ob sie vor einer
sti engen I heorie auch bestehen können; die psychische Beein-
r nssiing des Kranken durch den Arzt soll ein wesentlicher Fak¬
tor im Heilplan sein. Die Berliner Aerzte, welche mit ihm zu¬
sammen am Krankenbett gestanden haben und den wohltuen¬
den Einfluss seiner liebenswürdigen Persönlichkeit auf den
Kranken beobachten konnten, die Aerzte, die in Stadt und Land
als seine Schüler wirken, werden in dankbarer Erinnerung
der Anregungen gedenken, welche sie einst von ihrem Lehrer
Ernstv. Leyde n empfingen.
A/T T-r
1*1. i\.
Verschiedenes.
Ein sonderbarer Aerzteverein.
Der durch seine Angriffe sowohl auf den ärztlichen Stand, als
ganz besonders auf die wissenschaftliche Medizin genugsam be¬
kannte „Internationale Verein zur Bekämpfung der wissenschaftlichen
Tierfolter (Deutsche Hauptstelle des Weltbundes gegen die Vivi¬
sektion)“ verschickt seinen Jahresbericht über das Geschäftsjahr
1906, verfasst von Professor Dr. P. F o e r s t e r in Friedenau. Dieser
Bericht, der an Kraftausdrücken über die ärztliche Wissenschaft und
Kunst nicht arm ist und eigentlich von jedem Kollegen, der unsere
Feinde kennen will, gelesen werden sollte, enthält auch eine Mit¬
teilung darüber, dass kürzlich in Frankfurt a. M. ein „Deutscher
Verein vivisektionsgegnerischer Aerzte“ gegründet worden ist. Die
Aufgabe dieses Vereins ist: „der vivisektorischen Schein- und Trug¬
wissenschaft überall nachzugehen, um sie zu entlarven, zu wider¬
legen, blosszustellen und in ihrer ganzen Hässlichkeit und Unwissen¬
schaftlichkeit nachzuweisen“. Ueber die Mitgliedschaft heisst es:
„Ordentliches Mitglied kann jeder staatlich approbierte Vertreter
des ärztlichen und tierärztlichen Standes werden, der sich als Gegner
der Vivisektion bekennt und für deren Abschaffung eintritt, ohne
Rücksicht auf das von ihm vertretene Heilverfahren. Als ordent¬
liche, stimmberechtigte Mitglieder können aus¬
serdem staatlich geprüfte Vertreter anderer
wissenschaftlicher, namentlich naturwissenschaftlicher,
Fächer aufgenommen werden, wenn sie den Grundsätzen der Ver¬
einigung zustimmen und deren Aufgaben durch wissenschaftliche Mit¬
arbeit fördern“. Ins Leben gerufen ist dieser sich aus Tierärzten
und Nichtärzten zusammensetzende Aerzte verein von Dr. med.
B o h n in Breslau und Fräulein Behrens in Frankfurt a. M.; hoffent¬
lich ist Herr Professor Foerster, seines Zeichens Schulmeister,
der sich als Redakteur des „Tier- und Menschenfreundes“ täglich die
grössten Verdienste um die Aufdeckung der Gräuel der 1 1 1 wissen¬
schaftlichen Medizin erwirbt, zum Ehrenmlitgliede ernannt worden. H.
Oi
Therapeutische Notizen.
Thiocol als Antidiarrhoicum wird von Nothmann
in einer Arbeit aus dem Kinderambulatorium von Dr. Fromm-
Miinchen auf Grund günstiger Erfahrungen empfohlen. Es wurde bei
Kindern mit subakutem, infektiösen, sonst nicht (weder durch die
Diät noch durch die üblichen Antidiarrhoika) zu beeinflussendem
Darmkatarrh mit promptem Erfolg gegeben. Man muss das T h i o -
c o 1 in grossen Dosen geben. Es löst sich gut im Wasser, hat
keinen üblen Geschmack und wird deshalb auch von Kindern leicht
genommen. Es beeinflusst in günstigem Sinne die Entleerungen,
ohne aber im Gegensatz zu anderen Mitteln selbst bei längerem
Gebrauch Verstopfung zu bewirken. Das Mittel ist allerdings ziem¬
lich teuer. (Zentralbl. f. d. ges. Therapie, 1907, No. 6.) JIF. L.
Gonoglobuli sind Vaginalkugeln, welche 2 g Zymin
und 2 g sterilen Zucker enthalten. Beide Substanzen sind auf
trockenem Wege zu Kugeln geformt und mit einer leicht löslichen
Membran umhüllt. Das so eingeschlossene Zymin behält Monate
lang seine Gärkraft. Die umhüllende Membran ist leicht löslich;
bei einer Temperatur von 35 — 38° zerfallen die Kugeln zu einem
sich nicht zusammenballenden Pulver. Die Gonoglobuli werden, in
Glasröhren mit je 5 Stück luftdicht verschlossen, von Dr. Braun
(Rosenapotheke in München) in den Handel gebracht und bewähren
sich bei einer Reihe gynäkologischer Affektionen (Zen¬
tralbl. f. d. ges. Therapie, 1907, No. 4). F. L.
Aus einer Arbeit von Creutz (Berl. tierärztl. Wocherischr.
No. 52, 1906) ist ersichtlich, dass die Wirkung des Yohimbin
als Aphrodisiakum keine suggestive, sondern eine spezifische
ist. Creutz hat bei Bullen und Hengsten das Yohimbin in
Dosen von 0,05 bis 0,075 in Wasser gelöst mit Leinsamenschleim
mehrmals täglich mit promptem Erfolg gegeben. F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 5. August 1907.
— Nach dem Verordnungsblatt des K. Bayer. Kriegsministeriums
No. 17 vom 25. Juni 1907 wird in Bayern vom 1. Oktober 1907 ab
eine S a n i t ä t s i n s p e k t i o n mit dem Sitz beim Operationskurs
in München errichtet. Diese besteht aus: 1 Sanitäts-Inspekteunmit
dem Range und den Gebührnissen eines Generalmajors als Brigade¬
kommandeur. Er führt die Bezeichnung: „Generalarzt und Sanitäts-
Inspekteur“ und hat über das Personal seiner Inspektion die Be¬
urlaubungsbefugnis und die Disziplinarstrafgewalt eines Brigadekom¬
mandeurs. Der Sanitätsinspekteur ist zugleich Vorstand des Opera¬
tionskurses. 1 Stabsarzt. Die Dienstverhältnisse der Sanitätsinspek¬
tion werden durch eine besondere Dienstvorschrift geregelt.
Die Stadt Dresden hat für den Empfang der im September
lfd. Jrs. dort tagenden Naturforscherversammlung die
Summe von 20 000 Mark bewilligt. Davon sind 14 000 für den am
Donnerstag, den 19. September in den Räumen des Ausstellungs^
6. Augüst 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1615
gebäudes stattfindenden Festabend bestimmt. Die Bewilligung dieser
Summen ging im Stadtverordnetenkollegium nicht ganz ohne Wider¬
spruch vor sich, der mit dem Hinweis auf die schlechten Finanzen
der Stadt und die notwendige Aufbesserung der Gehälter der kleinen
Beamten begründet wurde. Der Vorwurf, dass der festliche Empfang
der Versammlung mit Geld bezahlt wird, das nach Ansicht eines Teiles
der Dresdener Stadtväter besser für notleidende Beamte verwendet
worden wäre, berührt peinlich; er legt die schon oft erörterte Frage
aufs neue nahe, ob die kostspieligen Bewirtungen bei grossen wissen¬
schaftlichen Versammlungen nicht besser unterblieben. Es sind weite
Kreise der Teilnehmer, die an solchen Festen keinen Gefallen finden;
der dabei regelmässig stattfindende Alkoholmissbrauch ist dem An¬
sehen der Vertreter der Wissenschaft in der Bevölkerung nicht
förderlich. Wenn der Wissenschaft in ihren Vertretern eine Huldi¬
gung bereitet werden soll, so kann dies auch auf andere Weise, als
durch Gelage geschehen. Durch die Herausgabe einer Festschrift
z. B. schafft eine Stadt eine dauernde Erinnerung, die auch für sie
selbst bleibenden Wert besitzt; oder es möge ein schöner Rahmen
für ein Fest geschaffen, die Beköstigung aber den Teilnehmern über¬
lassen werden. Wir möchten wünschen, dass diese Frage einmal
im Schosse des Vorstandes der Gesellschaft zur Sprache käme.
— Man schreibt uns aus Düsseldorf: Am 27. Juli sind im Bei¬
sein des neuen preussischen Kultusministers Herrn Dr. Holt, Ver¬
tretern zahlreicher deutscher und ausländischer Universitäten und
wissenschaftlicher Gesellschaften die neuen Krankenanstalten und die
Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf feietlfch eingeweiht
worden. Die Festlichkeiten! begannen vormittags 10 Uhr mit einem
Rundgang durch die neuen Kliniken und Institute, deren musterhafte
Einrichtungen allgemeine Bewunderung und Anerkennung hervor¬
riefen. Nach einem kleinen Imbiss auf dem Terrain der Kranken¬
anstalten begann in dem festlich geschmückten Saale der städtischen
Tonhalle die eigentliche Eröffnungsfeier. Nach dem Oberbürger¬
meister der Stadt Düsseldorf Herrn Marx und der Festrede des
Dezernenten Herrn Beigeordneten Dr. Greve sowie einer kurzen
Ansprache des derzeitigen geschäftsführenden Professors der Aka¬
demie Geheimrat Witzei überbrachte der Kultusminister in einer
längeren Rede die Glückwünsche der Staatsregierung zur Vollendung
des grossen Werkes und äusserte sich programmatisch über die
Stellung der Akademien im medizinischen Unterricht. Den Reigen
der weiteren Gratulanten begannen Herr Geh. Medizinalrat Professor
Dr. R e n v e r s im Auftrag des Zentralkomitees für das ärztliche Fort¬
bildungswesen, sodann der geschäftsführende Professor der Akademie
für praktische Medizin in Köln Herr Dr. Hochhaus und der Dekan
der medizinischen Fakultät Berlin Herr Geh. Medizinalrat Prof. Dr.
Heubner, letzterer wies darauf hin, dass das ursprüngliche Miss¬
trauen der Universitäten gegen die neue Erscheinungsform der Aka¬
demien bereits heute als geschwunden zu betrachten sei. Medi¬
zinische Fakultät und Akademie für praktische Medizin seien Schwe¬
stern, die beide nach den gleichen Zielen streben: Erforschung der
Wahrheit und Uebermittelung des Erforschten an die Jünger der Heil¬
kunst. Der Rektor der Universität Münster Prof. Dr. Pieper,
sowie der Dekan der medizinischen Fakultät Bonn Herr Geheimrat
Prof. Dr. S c h u 1 1 z e übermittelten die Glückwünsche der beiden
Nachbaruniversitäten. Es folgten die Ansprachen der übrigen an¬
wesenden Dekane und der Vertreter der auswärtigen Regierungen.
Für die grossen wissenschaftlichen Gesellschaften Deutschlands
sprachen Exzellenz H e g a r, Exzellenz Czerny und Exzellenz
Moritz Schmidt. In einer formvollendeten und warm gehaltenen
Rede gab der Vorsitzende des ärztlichen Vereins Düsseldorf Sanitäts¬
rat Dr. Fel dmann im Namen der Düsseldorfer Aerzteschaft seiner
Freude darüber Ausdruck, dass Düsseldorf durch die Errichtung der
Akademie unter die Zentralpunkte medizinischer Forschung eingerückt
sei, und, tempora mutantur, der Vorsitzende der Aerztekammer der
Rheinprovinz Herr Geheimrat Prof. Dr. L e n t schloss den Reigen
der Begriissungsansprachen namens der rheinischen Aerzte mit einem
Hoch auf die neue Akademie. Bei dem Festmahle sprachen nochmals
der Kultusminister, der Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, dem
im Namen der anwesenden Gäste der Oberpräsident der Rheinpro¬
vinz antwortete. Eine Festfahrt auf dem Rhein mit Uferbeleuchtung
des ganzen Geländes und ein geselliges Zusammensein in der be¬
leuchteten Ehrenhalle der Kunsthalle schloss den für Düsseldorf so
ereignisreichen Tag. — n n —
— Der ärztliche Bezirksverein München-Land
Hat zu Delegierten für die oberbayerische Aerztekammer gewählt die
Herren Bergeat, Krebs und V o c k e.
— Zum XIV. internationalen Kongress für
Hygiene und Demographie, 23. bis 29. September in Ber¬
lin, sind bereits mehr als 1400 Anmeldungen aus allen zivilisierten Län¬
dern eingegangen; darunter befinden sich eine grosse Anzahl von
Delegierten der Regierungen des In- und Auslandes.
— Folgende Ferienkurse werden an der Universität
Heidelberg in den Herbstferien abgehalten werden: Prof. Dr.
R. 0. Neumann: Kurs für Bakteriologie. Privatdozent Dr. med.
Sch äffe r: Geburtshilflicher Operationskurs für Vorgerücktere;
gynäkologischer Operationskurs. Privatdozent Dr. Schoenborn
und Privatdozent Dr. Fischler: Repetitorium der inneren Medizin.
Privatdozent Dr. Bender: Repetitionskurs der Anatomie des Men¬
schen. (hc.)
— Die belgischen Aerzte, welche anfangs August auf
einer Studienreise Berlin besuchen wollten, haben ihren Besuch auf
einen späteren Zeitpunkt verschoben.
— „Folia Therapeutica. A periodical Journal relating
to modern Therapeutics and Pharmacology for medical Practitioners“
ist der Titel einer neuen, im Verlag von John Bale Sons & Daniels-
son in London erscheinenden Zeitschrift. Herausgeber sind Prof.
A. B a g i n s k i - Berlin und Dr. J. S n o w m a n - London. Die neue
Zeitschrift, die, wie der Name sagt, sich besonders den Fortschritten
der Therapie widmen will, scheint sich die Mitarbeit deutscher
Autoren besonders angelegen sein zu lassen. Nicht nur dass ein
Deutscher Mitherausgeber ist, enthalten die ersten Nummern auch
eine grosse Anzahl deutscher Beiträge, so Berliner Briefe von Ewald
und B a g i n s k y, eine Arbeit über Arteriosklerose von Senator,
über Bier sehe Stauung von Schmieden, über hydrothera¬
peutische Behandlung einiger Konstitutionskrankheiten von Brie-
g e r. Das Blatt erscheint vierteljährlich und kostet 1 sh das Heft.
— Cholera. Britisch-Ostindien. Die Choleraepidemie in
Kaschmir hatte Ende Juni etwas nachgelassen. Vom 17. bis 24. Juni
waren 1140 Personen erkrankt und 869 gestorben. In Srinagar, das
für den Verkehr von Europäern am meisten in Betracht kommt, waren
in der Woche nur 6 Erkrankungen und 3 Todesfälle gemeldet. Im
ganzen sind seit November v. J. in Kaschmir bis Ende Juni angeblich
15 835 Personen an der Cholera erkrankt und 9022 daran gestorben.
— China. Zufolge einer Mitteilung vom 18. Juni starben in Amoy
täglich 4 bis 5 Personen an der Cholera.
— Pest. Russland. In Odessa ist ein Angestellter des Stadt¬
krankenhauses, welcher der Leichenöffnung des kürzlich an der Pest
verstorbenen Heizers beigewohnt hatte, unter pestverdächtigen Er¬
scheinungen am 17. Juli erkrankt; der Kranke wird in einer besonderen
Baracke an der Naphtha-Mole abgesondert gehalten. — Aegypten.
Vom 13. bis 19. Juli wurden 15 neue Erkrankungen (und 7 Todesfälle)
an der Pest festgestellt. — Britisch-Ostindien. In Moulmein sind vom
9. bis 22. Juni 38 Personen an der Pest gestorben. In Kalkutta
starben vom 16. bis 22. Juni 25 Personen an der Pest. — Hongkong.
Vom 28. April bis 1. Juni wurden in der Kolonie 48 Erkrankungen
und 40 Todesfälle an der Pest, davon 15 Krankheitsfälle in der Stadt
Viktoria festgestellt. — China. Zufolge einer Mitteilung vom 18. Juni
kamen in der Stadt Amoy immer noch Todesfälle vor. — Japan. In
Osaka kamen von Mitte Mai bis Mitte Juni 10 neue Pestfälle zur
amtlichen Kenntnis. Je eine Pesterkrankung wurde ferner aus der
Osaka benachbarten Stadt Sakai sowie aus dem Ehimebezirk ge¬
meldet; Kobe blieb seit dem 3. Mai von der Pest verschont. — Bri-
tisch-Südafrika. In der am 22. Juni abgelaufenen Woche ist in King
Williamstown ein Pestfall bei einer Europäerin festgestellt worden.
— Brasilien. In Rio de Janeiro wurden vom 22. April bis 23. Juni
16 Erkrankungen und 4 Todesfälle an der Pest gemeldet. — Chile.
Seit April d. J. ist auch Pisagua von der Pest betroffen; von 46 bis
zum 28. Mai in das dortige Lazarett aufgenommenen Pestkranken
waren 20 gestorben und nur 3 geheilt; ausserdem sollen zahlreiche
Pestkranke in Privathäusern sich befinden.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 14. bis
20. Juli sind 49 Erkrankungen (und 21 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 29. Jahreswoche, vom 14. bis 20. Juli 1907, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Posen mit 29,0, die geringste Schwerin mit 6,1 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb
an Scharlach in Beuthen, an Masern und Röteln in Bielefeld. Colmar,
Linden, an Diphtherie und Krupp in Borbeck. V. d. K- G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Zum Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik im
Charitekrankenhause in Berlin und Lehrer an der Hebammenlehr¬
anstalt wurde an Stelle des nach Greifswald übersiedelnden Prof.
Dr. S t o e c k e 1 der Privatdozent für Gynäkologie und Assistenzarzt
an der Frauenklinik der Universität Giessen Dr. med. Paul K r o e -
mer berufen, (hc.)
Bonn. Sein goldenes Doktorjubiläum feierte am 1. August der
Anatom Geh. Med. -Rat Dr. phil. Adolf Freiherr von la Valette
St. George in Bonn, (hc.)
Düsseldorf. Zum Dozenten für kommunale Krankenfürsorge
an der Akademie für praktische Medizin wurde der beigeordnete der
Stadt Düsseldorf Dr. jur. Greve ernannt. — Dem Dozenten Un¬
soziale Medizin Landesmedizinalrat Dr. Liniger und dem Do¬
zenten für Nasen-, Kehlkopf- und Ohrenkrankheiten Geheimen Sani¬
tätsrat Dr. Keime r wurde der Professortitel verliehen.. — Prof.
S e 1 1 h e i m verlässt die Akademie für praktische Medizin in Düssel¬
dorf, um als D ö d e r 1 e i n s Nachfolger nach Tübingen zu gehen. Da¬
mit verlässt das zweite ordentliche Mitglied die Akademie Düssel¬
dorf (zuerst M. B. Schmidt, jetzt Zürich) ohne auch nur an der
Akademie tätig gewesen zu sein.
Frankfurt a. M. Dem Direktor der städtischen Irren¬
anstalt in Frankfurt a. M., Dr. med. Emil Sioli und dem Leiter der
Hautklinik am städtischen Krankenhaus daselbst, Oberarzt Dr. med.
Karl Herxheim er ist vom preussischen Kultusminister der Pro¬
fessortitel verliehen worden, (hc.)
1616
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 32.
Giessen. Der Privatdozent für Psychiatrie und Oberarzt an
der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten der Universität
Giessen Dr. med. Adolf Dannemann wurde zum ausserordent¬
lichen Professor ernannt-, (hc.)
Greifswald. In der Greifswalder medizinischen Fakultät hat
sich I)r. med. Georg v. Voss, Oberarzt der psychiatrischen Klinik,
mit einer Probevorlesung über die soziale Bedeutung der Hysterie
als Privatdozent eingeführt, (hc.)
Halle a. S. Für das Fach der Psychiatrie habilitierte sich in
der medizinischen Fakultät Dr. med. Ernst S i e f e r t mit einer An¬
trittsvorlesung über „Krankhafte Verstimmungszustände und ihre
strafrechtliche Bedeutung“.
Heidelberg. Der Direktor des physiologischen Universitäts-
institutes Prof. Kossei wurde zum Geh. Hofrat ernannt.
Kiel. Der II. Assistent an der medizinischen Klinik Dr. K ü 1 b s
hat sich auf Grund seiner Arbeit: „Beiträge zur Entwicklung des
Knochenmarks“ für das Fach der inneren Medizin habilitiert. Seine
Antrittsvorlesung behandelte: „Blutbefunde bei Erkrankungen des
hämatopoetischen Apparats“. — Dem am Ende des Sommersemesters
vom Lehramt zurücktretenden Prof. Werth (Direktor der Frauen¬
klinik) wurde von der gesamten Studentenschaft ein Fackelzug dar¬
gebracht.
Köln. An der städt. Handelshochschule zu Köln wurde Ober¬
stabsarzt Dr. med. D a n t w i z, Dozent an der Akademie für prakt.
Medizin, mit Vorlesungen über Tuberkulose betraut und liest im
kommenden Wintersemester „Die soziale Bedeutung und die Be¬
kämpfung der grossen Volksseuchen“ (Alkoholismus, Tuberkulose und
Geschlechtskrankheiten). — Für das Lehrgebiet der Hautkrankheiten
wurde der Dozent an der Akademie für prakt. Medizin Dr. Zinsser
berufen, hc.) — An Stelle des verstorbenen Wirkl. Geh. Medizinalrat
Prof. Dr. Bergmann, Exzellenz, wurde vom Zentralkomitee für
das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen der Geh. Medizinalrat
Prof. Dr. Barden heuer zu seinem Vertreter bei der Akademie
für praktische Medizin zu Köln gewählt. Prof. Dr. Hochhaus
wurde zum geschäftsführenden Professor derselben ernannt bis zum
1. April 1910.
Marburg. Für das Fach der inneren Medizin und experimen¬
tellen Pathologie habilitierte sich an der Universität Marburg Dr. med.
Reinhard von den Velden, erster Assistenzsarzt hei Prof.
Brauer an der medizinischen Klinik. Seine Habilitationsschrift
trägt den Titel „Koordinationsstörungen des Kreislaufs“, (hc.)
Tübingen. Mit Beginn des kommenden Wintersemesters
scheidet Dr. med. Johannes F i n c k h, erster Assistenzarzt bei Prof.
G a u p p an der psychiatrischen Klinik, aus dem Lehrkörper der
Tübinger med. Fakultät aus und übernimmt die Leitung einer Privat-
nervenklinik in Berlin, (hc.)
Lyon. Dr. Coli et wurde zum Professor der allgemeinen
Pathologie, Dr. Pie zum Professor der Therapeutik, Dr. Roque
zum Professor der internen Pathologie ernannt.
O f e n - P e s t. Dr. med. Karl Heim- wurde als Privatdozent
tiir Semiotik der Kinderkrankheiten in die medizinische Fakultät der
Universität Ofen-Pest aufgenommen, (hc.)
Paris. Zum Professor der Anatomie an Stelle des verstorbenen
Prof. P o i r i e r wurde der Professor an der med. Fakultät zu Nancy
Dr. Nicolas ernannt; zum Professor der Histologie an Stelle des
verstorbenen Prof. Duval der Professor an der med. Fakultät zu
Nancy Dr. Prenant; zum Professor der Operations- und Instru¬
mentenlehre Dr. Quenu; zum Professor der geburtshilflichen Klinik
an Stelle des verstorbenen Professor Budin Dr. Bar; zum Pro¬
fessor der Geschichte der Medizin und Chirurgie Dr. Ballet.
Toulouse. Dr. Audebert wurde zum Professor der ge¬
burtshilflichen Klinik ernannt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Schmalbach in Germersheim,
Dr. B 1 a u w in Dannstadt.
Verzogen: Dr. Busch von Germersheim nach München,
Dr. Hub ach von Dannstadt nach Mannheim.
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in V-iechtach. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K- Regierung, K. d. I., bis zum 19. August
1. J. einzureichen.
Gestorben. Dr. Rudolf Schreiner, kgl. Bezirksarzt in
Viechtach, 50 Jahre alt.
Korrespondenz.
Aus dem pharmakologischen Laboratorium von Kings College, Uni-
versity of London.
Ueber die Wirkung von Plazentarextrakt.
Vorläufige Mitteilung.
Trockne eingedampft, und abermals mit absolutem Alkohol ausge¬
zogen, filtriert und eingedampft. Der so gewonnene Rückstand wurde
in physiologischer Kochsalzlösung aufgenommen und intravenös in¬
jiziert. Es erwies sich, dass diese Substanz eine energische Er¬
höhung des Blutdruckes hervorrief, welche genau der Wirkung des
Adrenalins entsprach. Ferner bewirkte sie charakteristische Kon¬
traktionen der glatten Muskulatur des schwangeren Uterus und der
Blutgefässe.
Die chemische Natur des wirksamen Bestandteiles wird von dem
Einen von uns (F. E. T.), in Gemeinschaft mit Dr. O. Rosenheim
näher untersucht.
London, den 59. Juli 1907.
Amtliches.
(Bayern.)
No. 13621. München, den 23. Juli 1907.
Kgl. Staatsministerium des Innern.
An die
K. Regierung von Unterfranken und Aschaffen bürg,
Kammer des Innern.
Betreff: Aerztliche Standesvertretung.
Der ärztliche Bezirksverein Bad Kissingen hat in einer von dem
ständigen Ausschuss der unterfränkischen Aerztekammer unterstütz¬
ten Eingabe gebeten, von der Zugehörigkeit zu einem ärztlichen Be¬
zirksvereine die Anstellung eines Arztes im öffentlichen Dienstver¬
hältnisse, sowie die Verleihung von Auszeichnungen abhängig zu
machen.
Dieser Anregung kann eine Folge nicht gegeben werden, da sie
eine Beschränkung staatlicher Hoheitsrechte zur Folge haben würde
und der Staatsregierung, so weit es sich um Anstellung von Aerzten
in einem öffentlichen, nicht staatlichen Dienstverhältnisse, wie an ge¬
meindlichen und distriktiven Krankenanstalten handelt, nur ein sehr
beschränktes Einwirkungsrecht bei der Anstellung zukommt.
Dagegen bleibt es den ärztlichen Standesvertretungen unbe¬
nommen, Aerzte, die in Gegensatz zu der Organisation der ärztlichen
Bezirksvereine treten, dem K. Staatsministerium des Innern, sowie
den mit der Anstellung von Aerzten im öffentlichen, nicht staatlichen
Dienstverhältnisse befassten Behörden unter Darlegung des Sach¬
verhaltes zu benennen.
Was die besondere, an die Militärverwaltung gerichtete Bitte
anlangt, darauf zu sehen, dass Zivilärzte mit Bezügen aus Militär¬
fonds der ärztlichen Standesehrengerichtsbarkeit -unterstehen, so hat
das K- Kriegsministerium verfügt, dass die Prüfung der persönlichen
Eigenschaften nicht beamteter oder nicht in einem Militärverhältnis
stehender Aerzte auf die Anfrage beim zuständigen ärztlichen Bezirks¬
vereine über das Ansehen, das der Arzt im Kreise seiner Standes¬
genossen sowohl persönlich wie in Ausübung seiner ärztlichen Tätig¬
keit geniesst, auszudehnen ist.
Der ständige Ausschuss der Aerztekammer, die ärztlichen Be-
zii ksvereine, sowie die Distriktsverwaltungsbehörden des Regierungs¬
bezirks sind von dieser Entschliessung zu verständigen.
gez. v. B r e 1 1 r e i c h.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 29. Jahreswoche vom 14. bis 20. Juli 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 16 (14*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 10 (3), Kindbettfieber 3 (1), and. Folgen der
Geburt 1 (1), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln 1 (2), Diphth. u.
Krupp 2 (4), Keuchhusten 2 (— ), Typhus — (— ), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) 1 (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 2 (2), Tuberkul. d. Lungen 31 (27), Tuberkul. and.
Org. 3 (6), Mihartuberkul. — (1), Lungenentziind. (Pneumon.) 8 (5),
Influenza - (— ), and. übertragb. Krankh. 2 (1), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 5 (2), sonst. Krankh. derselb. — (— ), organ. Herzleid. 9 (12),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 11 (5), Gehirnschlag
4 (6), Geisteskranke 1 (— ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 4 (1), and.
Krankh. d. Nervensystems — (1), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 44 (36), Krankh. d. Leber I (5), Krankh. des
Bauchfells 1 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 7 (7), Krebs (Karzinom Kankroid) 15 (13),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 3 (3), Selbstmord 2 (4), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 3 (5), alle übrig. Krankh. 4 (4).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 199 (175). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,9 (16,6), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,0 (11,1).
Von W. E. D ix on und Frank E. Taylor.
Frische menschliche Plazenten wurden kleingehackt und mit
absolutem Alkohol extrahiert. Das filtrierte Extrakt wurde zur
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwocl
Verlag von J. F. Lehm ann in München. - Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
|)5e Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
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Nummer 80 4- * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
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MÜNCHENER
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerep, Ch. Bäumlep, ;0. v. Bolünger, H. Curschmann, H. Hellench, W. v. Leube, GJerkel, J. v. Michel, F.PenzoIdt, l\ Banke, B. Spatz, F. v. Winckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. Müu. hen. München. München.
No. 33. 13. August 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Ueber die Indikationen für eine künstliche Schwanger¬
schaftsunterbrechung bei Geisteskranken.*)
Von Privatdozent Dr. Alzheimer in München.
Wenn wir uns in der gynäkologischen Literatur umsehen,
so finden wir, dass über die Gründe, welche Anlass zu einer
künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung geben können, im
allgemeinen Uebereinstimmung besteht. Man kann die Indi¬
kation dafür wohl dahin zusammenfassen : Eine künst¬
liche Unterbrechung der Schwangerschaft
istdanngeboten, wenninfolgederSchwanger-
schaft ein lebensbedrohlicher Zustand der
Mutterbereitsei ngetretenodermitBesti mm t-
heit zu befürchten ist, falls eine Unterbre¬
chung der Schwangerschaft und nicht etwa
eine weniger eingreifende Massnahme den
bedrohlichen Zustand der Schwangeren be¬
seitigen kann.
Versuchen wir aber nun diese allgemeinen Grundsätze,
die aus einer vernunftgemässen Abschätzung zwischen dem
Werte des Lebens von Mutter und Kind gewonnen worden
sind, auf die ungemein mannigfachen Umstände und Bedin¬
gungen anzuwenden, die in der Praxis das Zusammentreffen
der Schwangerschaft mit vielerlei mütterlichen Erkrankungen
ergibt, so begegnen wir wechselnderen Meinungen und oft auf
der einen Seite der Empfehlung entschiedenen Vorgehens, auf
der andern dem Rat vorsichtigen Zurückhaltens. Denn es
schwanken sowohl die Meinungen darüber, ob in dem einzelnen
Falle ein lebensbedrohlicher Zustand der Mutter vorliegt, als
auch darüber, ob nur eine Unterbrechung der Schwangerschaft
und nicht schon andere ärztliche Eingriffe diesen Zustand be¬
seitigen können. Das gilt besonders auch bezüglich der Frage,
in wie weit psychische Störungen Anlass zu Schwangerschafts¬
unterbrechungen geben können.
Es lässt sich nicht leugnen, dass gerade hier von manchen
Gynäkologen lind Irrenärzten, seit dem Vortrage J o 1 1 y s auf
der Naturforscherversammlung in Hamburg, 1901: „Ueber die
Indikationen des künstlichen Abortes bei der Behandlung von
Neurosen und Psychosen“ die Grenzen des Eingreifens weiter
gezogen worden sind und aus gelegentlichen Erfahrungen kann
man ersehen, dass heute manche Aerzte noch viel weiter zu
gehen sich geneigt zeigen, als es J o 1 1 y selbst für ratsam ge¬
halten hatte.
So ist es wohl am Platze, auf Grundlage eines grösseren
Materiales, die Frage der Indikation für die Schwangerschafts¬
unterbrechung bei den Psychosen aufs neue zu prüfen. Das
Material, das mir zur Verfügung stand, setzt sich zusammen
teils aus Fällen der hiesigen Klinik, teils aus zahlreichen
Krankengeschichten, die mir Herr Direktor Dr. Vocke in
liebenswürdiger Weise aus der Kreisirrenanstalt zur Ver¬
fügung gestellt hat, dann aus Fällen, welche in der früheren
Abteilung für Geisteskranke des Krankenhauses 1. d. Isar von
Herrn Professor Dr. G u d d e n beobachtet worden sind und
schliesslich aus eigenen Beobachtungen in meiner Anstalts-
*) Nach einem im Münchner ärztlichen Verein gehaltenen Vor¬
trage.
No. 33.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
tätigkeit und Konsiliarpraxis. Im Ganzen standen mir 65
Krankengeschichten von mit Geisteskrankheit komplizierten
Schwangerschaften zu Gebote.
In den Lehrbüchern der Gynäkologie lesen wir, dass eine
Graviditätspsychose Anlass zur Schwangerschaftsunterbre¬
chung geben könne. Die Graviditätspsi'chose ist nun keine
klinische Krankheitsform, darüber sind in Deutschland alle
Psychiater einig. Jede Psychose und Neurose, die im mittleren
Lebensalter der Frau auftritt, begegnet uns auch gelegentlich
bei Schwangeren. Wollen wir einen sicheren Standpunkt in
unserer Stellung zu den Schwangerschaftsunterbrechungen ge¬
winnen, so müssen wir zunächst sehen, ob und in wie weit
solche Psychosen durch die Schwangerschaft selbst veran¬
lasst sind.
Dass eine Gravidität eine Psychose veranlassen kann, ist
gewiss nicht von vornherein auszuschliessen. Denn die
Schwangerschaft bringt offenkundig tiefgehende Umwälzungen
im mütterlichen Organismus zu Wege; zum Aufbau der Frucht
wird mütterliches Material verwendet, ja im Verlaufe der
Schwangerschaft können Stoffe gebildet werden, die auf die
Mutter als Giftstoffe wirken. Zu diesen körperlichen Schädi¬
gungen kommen psychische. Nicht jede Mutter empfindet das
stolze Gefühl, Mutter zu sein; Angst vor Schande, Sorge um
die Nahrung, Bangen vor der Geburt und ihren Gefahren lasten
auf vielen Schwangeren.
Vergleichen wir nach den älteren Statistiken von
Weebers und Jones (Fig. l) die Zahl der Graviditäts-
Verhältnis der Psychosen beim weib¬
lichen Geschlecht zu den Graviditäts-,
Puerperal- und Laktationspsychosen.
nach Weebers nach Jones
Verhältnis der Graviditäts-,
Puerperal- und Laktations¬
psychosen zu einander.
nach nach
Siemerling Aschaffenburg
85
80
75
70
65
60
55
50
45
m
40
wJm
35
30
m
PI
25
p#
20
Wm
15
IIP
10
m
5
0
OrBvidilit:
P
Puerperal Laklaiiena
ychoaen
imidiWsfi/erptnal \LaklahonBi
psychoeen '
Fig. 2.
Psychosen mit der Zahl der Psychosen des weiblichen Ge¬
schlechtes überhaupt und der Zahl der puerperalen und Lak¬
tationspsychosen, so zeigt sich, dass die Zahl der Graviditäts¬
psychosen im Vergleich zu den Psychosen überhaupt nicht
sehr beträchtlich scheint und namentlich auffällig niedrig ist zu
der Zahl der Psychosen in den anderen Perioden des Gene¬
rationsgeschäftes, besonders der Periode des Puerperiums.
Letzteres zeigt sich besonders deutlich auch an den Zusammen¬
stellungen von Aschaffenburg und Siemerling
(Fig. 2), wo die Puerperalpsychosen die Schwangerschafts-
1
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33,
Psychosen um ein sehr vielfaches übertreffen, obwohl die Zeit
der Gravidität 434 mal so lange ist, als die in Berechnung ge¬
zogene Zeit des Puerperiums. Während also aus dieser Zu¬
sammenstellung eine ätiologische Beziehung zwischen Puer¬
perium und Psychose unverkennbar zu Tage tritt, erscheint
sie für die Schwangerschaft, wenigstens auf diesem Wege,
nicht nachweisbar.
Eine solche Statistik würde aber noch nicht ausschliessen
lassen, dass zwischen einzelnen Psychosen und der Schwanger¬
schaft ätiologische Beziehungen vorhanden sind.
Wir müssen daher aus dem Wesen der einzelnen Krank¬
heiten so weit es uns die klinische Betrachtung erschlossen hat
und aus dem Studium des Verlaufes der Krankheit und der
Gravidität in einzelnen Fällen derselben unseren Standpunkt
zu der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung abzuleiten
versuchen.
In den Lehrbüchern der Gynäkologie finden wir öfter er¬
wähnt, dass die Graviditätspsychosen vornehmlich als De¬
pressionszustände und heitere und verwirrte Erregungszu¬
stände auftreten. Auch aus der Zusammenstellung Aschaf¬
fe n b u r g s und Siemerlings und meiner eigenen lässt
sich ersehen, dass Zustände ängstlicher und trauriger Ver¬
stimmung und Zustände heiterer oder verwirrter Erregung am
häufigsten bei der Gravidität beobachtet werden. Wir wissen
heute, dass diese Depressionen und Erregungen verschiedene
Zustandsbilder im Verlaufe einer einzigen Krankheit darstellen,
die man früher als Melancholie, Manie, periodisches und zirku¬
läres Irresein unterschieden hat, während wir sie jetzt zu¬
treffender mit K r a e p e 1 i n alle unter dem Namen des m a -
nisch-depressiven Irresein zusammenfassen.
Gehen wir nun den Beziehungen nach, welche zwischen
dieser Psychose und der Gravidität bestehen, so sehen wir,
dass diese nicht nach allen Richtungen ganz durchsichtige
sind. Man kann sich die sehr verschiedenartigen Verlaufs¬
formen dieser Krankheit und ihre Beziehungen zur Schwanger¬
schaft am besten an der Hand von Schematas, wie sie hier
wiedergegeben sind, vor Augen führen; der Einfachheit halber
sind aus dem ganzen Leben nur die Jahre herausgenommen,
die zur Darstellung der Beziehungen zwischen Gravidität
und Krankheitsanfällen wichtig sind. Jede quere Kolumne ent¬
spricht einem in zwölf Monate geteilten Jahre. Die depri¬
mierten Zeiten sind senkrecht, die manischen wagrecht ge¬
strichelt, die Zeiten der Schwangerschaften punktiert ein¬
getragen.
Von 21 manisch depressiven Kranken nun fällt nur bei 4
der erste Anfall in die Zeit einer Gravidität, während bei
den 17 übrigen schon früher, unabhängig von einer Schwanger¬
schaft, Anfälle von depressivem und manischem Charakter be¬
obachtet worden sind oder die Depression oder Erregung schon
bestand, als die Schwangerschaft eintrat. In einigen Fällen
war umgekehrt die manische Erregung indirekte Ursache der
Gravidität, da Manische leichter sexuellen Versuchungen unter¬
liegen. Eine genauere Beobachtung der Beziehungen zwischen
den einzelnen Schwangerschaften upd ,den einzelnen Krank¬
heitsanfällen zeigt uns gar nicht selten Bilder, wie eines in
Fig. 3 wiedergegeben ist, wo die einzelnen Krankheitsanfälle
Manisch-depressives Irresein und Gravidität.
• !■■■* • . '• i .!oi ' Ti
Fig. 3.
zwischen die einzelnen Schwangerschaften hineinfallen. Die
betreffende Frau war deprimiert, wenn sie nicht gravide war,
und gesund, wenn sie eine Schwangerschaft durchmachte. Der
Mann einer anderen Patientin versicherte uns, dass seine Frau
nur gesund sei, wenn sie sich in anderen Umständen befinde,
aber immer bald erregt oder deprimiert würde, wenn die Ge¬
burt vorbei sei. Würden hier enge ätiologische Beziehungen
} oi liegen, so müsste man wohl viel häufiger ein Zusammen¬
fallen von Gravidität und psychischer Störung erwarten.
In der Literatur sind nun aber auch Fälle beschrieben, bei
welchen sich in jeder Gravidität eine Depression eingestellt
hat. Solche Fälle sind aber offenbar nicht häufig. Mir ist unter
mehreren hundert Fällen von manisch-depressivem Irresein
kein solcher Fall bekannt geworden. In allen jenen Fällen, in
welchen ein oder zwei Schwangerschaften mit einem manisch-
depressiven Zustande zusammenfielen, waren auch Anfälle
ohne Gravidität nachzuweisen, schon vor der ersten Gravidität
vorhanden oder sie traten auch in der klimakterischen Epoche
noch auf. Abzustreiten ist aber das Vorkommen solcher ver¬
einzelter Fälle nicht.
Spricht nun alles dies nicht sehr für enge ätiologische
Beziehungen zwischen manisch-depressivem Irresein und Gra¬
vidität, so zeigt uns die klinische Betrachtung des manisch-
depressiven Irreseins, dass es in einer degenerativen Anlage
seine Ursache haben muss. In zahlreichen Fällen, besonders in
den schwereren mit häufigen Anfällen, tritt es ganz unverkenn¬
bar zutage, dass sich die einzelnen Anfälle lediglich von innen
heraus ohne äussere Einwirkung entwickeln. Bei leichteren
Fällen lässt sich wohl heute nicht mit Sicherheit ausschliessen,
dass das Hinzukommen anderer Schädlichkeiten einen Krank¬
heitsanfall begünstigt. Sicher aber dürfte sein, dass man den
Einfluss solcher Schädigungen noch vielfach zu überschätzen
geneigt ist. So mag auch bei einer hiezu Disponierten einmal
eine Schwangerschaft einen Anfall auslösen.
Gegen eine grosse Bedeutung der Schwangerschaft für die
Entstehung manisch-depressiver Krankheitszustände spricht
auch der geringe Einfluss, den in all unseren Fällen die natür¬
liche Unterbrechung oder die Beendigung der Schwangerschaft
auf den Krankheitsverlauf zeigte. In keinem Falle trat mit dem
Ende der Schwangerschaft eine Heilung ein. Weder ein natür¬
licher Abort, noch die Entbindung veränderte das Krankheits-
Manisch-depressives Irresein und Gravidität.
I IManie -üüi Manie u.Gravidifär.
1 1 1 II Depression •l•l•H•Depr,essionu.Qravidi^ä'^
Fig. 4.
i
r<
bild (Fig. 4). Die mit einer Schwangerschaft komplizierte
Erkrankung dauerte nicht länger als die vorausgegangene oder
folgende, bei der keine Schwangerschaft vorlag (Fig. 5). ln
Manisch-depressives Irresein und Gravidität.
Manie Manie u. Gravidität.
Fig. 5.
einem Falle trat die Heilung des Anfalles noch während der
Schwangerschaft ein.
Bezüglich der Prognose des manisch-depressiven Irreseins
wissen wir, dass sie günstig ist, insofern als der einzelne An¬
fall regelmässig zur Heilung führt, ungünstig, insofern als durch
das ganze Leben hindurch die Gefahr späterer Rückfälle be¬
stehen bleibt, ja Anfall sich an Anfall reihen kann.
Zunächst lässt sich nicht ersehen, wie eine solche Krank¬
heit die allgemeinen Bedingungen für die Einleitung einer
13. August 1907.
MUENCHeNER medizinische Wochenschrift.
Schwangerschaftsunterbrechung geben soll, wie sie oben dar¬
gelegt worden sind. J o 1 1 y hat aber eine für die Mutter be¬
stehende Lebensgefahr darin gesehen, dass depressive Kranke
vielfach lebhafte Suizidneigung zeigen. Dieser Suizidneigung
könne auch dadurch nicht wirksam begegnet werden, dass
man die Kranken in Anstalten bringe, da dort ein Selbstmord
auch nicht zu verhüten sei. Der Abort bessere dazu den Zu¬
stand der Kranken und könne so die Lebensgefahr beseitigen.
Bei suizidgefährlichen, schwer deprimierten Schwangeren
hält er darnach eine Schwangerschaftunterbrechung für an¬
gebracht.
Den Schlussfolgerungen Jollys kann man, glaube ich,
nach zwei Seiten hin nicht ganz beistimmen. Es ist zunächst
zuzugeben, dass auch in einer aufs beste geleiteten Anstalt
eine Geisteskranke sich töten kann. Am häufigsten ereignet
sich das bei Kranken, bei welchen niemand einen Selbstmord¬
versuch erwartet. Deprimierte Kranke, deren Selbstmord¬
neigung jeder Arzt kennt, werden in allen Anstalten unter
ständige Wache gebracht. Wenn sich dann nicht das Personal
einer groben Nachlässigkeit schuldig macht, ist ein Selbstmord
mit ziemlicher Sicherheit zu verhüten, jedenfalls gehört er zu
den äussersten Seltenheiten. Gegenüber den immerhin recht
zahlreichen Aborten, die man bei selbstmordsüchtigen Depri¬
mierten vornehmen müsste, kann die Zahl derer, die davon in
einer gutgeleiteten Anstalt sich das Leben nehmen würden, wohl
kaum in Betracht kommen. Da noch dazu eine an Selbstmord¬
neigung leidende Deprimierte, auch wenn sie nicht schwanger
ist, schon aus therapeutischen Gründen in eine geschlossene
Anstalt gehört, so müssen wir jedenfalls die Verbringung in die
Anstalt als einen milderen Eingriff ansehen, als die Ein¬
leitung eines Abortes. Damit haben wir aber auch, scheint es
mir, das Recht verloren, eine Schwangerschaftsunterbrechung
vorzunehmen.
Es sind gewisse FormerT der Depression mit einer be¬
sonderen Art von Wahnbildung, die den Gedanken einer künst¬
lichen Schwangerschaftsunterbrechung nahelegen und die auch
wohl Jolly in erster Linie im Auge gehabt hat. Bei Frauen,
welche schon mehrere Kinder geboren haben, entwickelt sich
im Anschlüsse an eine neue Schwangerschaft ein erster oder
wiederholter Depressionszustand mit einer Fülle ängstlicher
oder hypochondrischer Vorstellungen oder Versündigungs¬
ideen. Die Kranke glaubt, alles schwarz in schwarz sehend, dass
sie das neue Kind nicht mehr ernähren könne, elendiglich mit
ihrer ganzen Familie Hungers sterben müsse, oder dass sie zu
schwach, zu elend sei, die ihr in einem ganz grässlichen Lichte
vor Augen stehende Geburt durchzumachen, oder dass sie zum
Gelächter, Hohn und Spott der Welt würde, weil sie in ihren
alten Tagen noch einmal ein Kind bekomme. Das alles kann sie
nicht ertragen, sie will, sie muss sterben. Sie verweigert die
Nahrung, sucht ständig nach Gelegenheit zum Selbstmord, ver¬
letzt sich in selbstmörderischer Absicht. Solche Kranke
machen in der Pflege und Beaufsichtigung die erdenklichste
Mühe. Gelegentlich wird dann auch einmal von den An¬
gehörigen oder der Kranken selbst der Wunsch geäussert, dass
man die Frucht, die vermeintliche Ursache aller der Wahn¬
vorstellungen der Kranken, beseitige.
Wir wissen nun aber doch, dass die Wahnbildungen dieser
Kranken keines reellen Anknüpfungspunktes bedürfen und wir
haben Kranke genau dieselben Wahnideen äussern hören, die
gar nicht schwanger waren, sondern nur schwanger zu sein
sich einbildeten. Tatsächlich zeigte sich auch in einem der
wenigen Fälle, die mir bekannt geworden sind, bei denen ein
künstlicher Abort eingeleitet worden war, dass die Kranke zu¬
nächst nicht zu überzeugen war, dass die Frucht beseitigt sei
und in der alten Weise weiter klagte, später aber, als sie sich
überzeugte hatte, jammerte, dass sie ein grosses Verbrechen
verschuldet habe. Die Krankheit hatte sich mit der Vornahme
des Abortes nicht verändert, nur langsam der Inhalt der Wahn¬
ideen.
Es erscheint mir dann weiter nach dem erfahrungsgemäss
geringen Einfluss, den der normale Ausgang einer Schwanger¬
schaft in den Krankengeschichten auf den Verlauf der manisch-
depressiven Zustände erkennen lässt, im Gegensatz zu Jolly,
wenig wahrscheinlich, dass ein Abort imder Regel eine günstige
Einwirkung zeigen wird. Bei der ungemein wechselnden und
1619
gar nicht voraus zu bestimmenden Dauer der einzelnen Krank¬
heitszustände, bei dem oft raschen Zurückgehen der Symptome
können ein paar Fälle, in welchen eine rasche Besserung eintrat,
noch nicht einen günstigen Einfluss des Abortes beweisen.
Dass aber solche Fälle auch ohne Einleitung eines Abortes
einen guten Ausgang nehmen, zeigt eine Beobachtung, die wir
im vorigen Jahre mit den Aerzten in Eglfing zusammen gemacht
haben.
Eine Frau, welche schon früher 4 Geburten durchgemacht hatte,
ohne zu erkranken, kam im Mai 1895 wegen eines Depressions¬
zustandes in die psychiatrische Klinik. Noch in tiefer Depression wird
sie von ihrem Mann gegen ärztlichen Rat aus der Klinik geholt, bald
darauf geschwängert und kommt dann anfangs September in einer
erregten Depression in die Klinik zurück. Grosse motorische Un¬
ruhe, heftige Angstzustände, möchte „laut schreien vor innerer Un¬
ruhe, Angst und Beklemmung“. Allmählich wenden sich ihre krank¬
haften Vorstellungen immer mehr ihrer Schwangerschaft zu. Sie hat
sich selbst ein Kind gewünscht, um gesund zu werden. Das war
ein grosses Unrecht, denn sie kann es nicht ernähren; ihre ganze
Familie muss zu Grunde gehen. Nach Eglfing überführt, steigert sich
die Erregung. Hartnäckige Nahrungsverweigerung, immerwährend
Versuche sich zu morden, selbst zu schädigen. Sie muss wochenlang
gehalten werden. Schliesslich erfolgt eine normale Geburt und heute
ist auch die Mutter wieder zu Hause, wenn auch noch nicht völlig
genesen. Aber auch hier bestand die Depression schon vor Eintritt
der Gravidität und die Erregung dauerte noch eine gute Zeit über die
Geburt hinaus.
Demgegenüber steht ein anderer Fall, dessen Kenntnis ich der
Freundlichkeit des Herrn Professor Gudden verdanke. Bei einer
schwer manisch erregten Kranken wird eine Frühgeburt eingeleitet.
Das Kind stirbt bald nach der Geburt, die Mutter geht wenige Tage
später an puerperaler Sepsis zu Grunde.
Freunde eines entschiedenen Vorgehens mögen vielleicht
sagen, dass der Tod der Mutter einem unglücklichen Zufalle,
einem Versehen zuzuschreiben sei, dass bei peinlichster Vor¬
sorge ein solcher Ausgang vermieden werden könne. Fast in
allen Krankengeschichten, welche über die Geburt Geistes¬
kranker berichten, selbst wenn es sich um sehr erregte Kranke
handelt, findet sich die Bemerkung, dass die Geburt auffallend
gut von statten gegangen sei. Unter 4 Fällen von Schwanger¬
schaftsunterbrechung bei Geisteskranken, über die ich verfüge,
befinden sich zwei mit Tod durch Sepsis. Gewiss mag hier
der Zufall mitspielen. Aber ganz sicher dürfte doch jedenfalls
sein, dass bei einer natürlichen Beendigung der Schwanger¬
schaft die physiologischen Schutzvorrichtungen des weiblichen
Organismus besser gegen die Gefahr einer Infektion zu schützen
vermögen, gerade bei einer sehr erregten Kranken, als bei den
durch einen Abort gesetzten Wunden.
Alles dieses zusammenfassend müssen wir also sagen, dass
das manisch-depressive Irresein keine Indikation für die
Schwangerschaftsunterbrechung abgeben dürfte. Der Selbst¬
mordgefahr kann wirksamer und weniger eingreifend durch
die Verbringung in eine geschlossene Anstalt begegnet werden.
Eine heilende Einwirkung des Abortes auf die Krankheit der
Mutter scheint nicht genügend erwiesen.
Etwas einfacher dürften die Verhältnisse bei den Krank¬
heitszuständen liegen, die wir unter dem Namen der De¬
mentia praecox1 zusammenfassen. Jolly hat die Mei¬
nung ausgesprochen, dass leichte Fälle von Katatonie nach
Beendigung der Schwangerschaft gewöhnlich heilten, dass aber
eine Gefahr vprljpge, dass sie sich zu chronischen Psychosen
entwickelten. Obwohl die oben ausgesprochenen Grundsätze
diesen Fall nicht einschliessen, so würde ich keinerlei Bedenken
haben, eine künstliche Schwangerschaftsunterbrechung dann
zu empfehlen, wenn dadurch eine Verblödung, ein dauerndes
geistiges Siechtum mit Sicherheit verhindert werden könnte.
Blödsinn ist wohl schlimmer als der Tod. Doch so liegen offen¬
bar die Verhältnisse nicht. Die Krankheit scheint sich wohl
manchmal mit dem Ablauf der Schwangerschaft zu bessern,
aber gewöhnlich schreitet sie bald wieder weiter. In vielen
Fällen ändert die Schwangerschaft und die Geburt nicht das
allergeringste. Alle 9 Krankengeschichten, welche mir zu Ge¬
bote stehen, zeigen dies. Von den 9 Fällen waren offenbar
7 schon krank, als die Schwangerschaft eintrat. Die Geburt hat
in keinem Falle den Krankheitsverlauf wesentlich beeinflusst.
Eine Indikation zur Schwangerschaftsunterbrechung wird durch
die Dementia praecox nicht gegeben.
Unter meinen Fällen befinden sich dann auffallend viele
— 10 Paralysen. Die Paralyse ist eine metasyphilitische
i*
1620
MUHNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Erkrankung und das Zusammentreffen von Gravidität und
Paralyse jedenfalls nicht ätiologisch begründet. Viele para¬
lytische Schwangerschaften enden mit einem Abort oder mit
einer Frühgeburt. Bei anderen kommt ein lebendes, meist
schwächliches Kind zur Welt. Es ist auffällig, wie wenig die
meisten Paralytischen durch die Geburt affiziert werden. Dass
im Verlaufe einer paralytischen Schwangerschaft durch diese
lebensbedrohliche Zustände ausgelöst würden, ist mir nicht be¬
kannt. Bei der absolut infausten Prognose der Krankheit ist
das Leben der Mutter geringer einzuschätzen, allerdings auch
die dauernde Lebensfähigkeit des Kindes.
Bei der Epilepsie hält Binswanger in besonderen
Fällen eine Schwangerschaftsunterbrechung für geboten,
J o 1 1 y bei schweren Anfällen von Hysteroepilepsie.
Die Hysteroepilepsie ist wohl nicht als eine besondere
Krankheitsform anzunehmen, es handelt sich teils um Hyste¬
rische mit epileptischen, teils um Epileptische mit hysterischen
Zügen.
Dass epileptische Anfälle zum ersten Male in der Schwan¬
gerschaft auftreten, ist so selten, dass man wohl annehmen darf,
dass es sich hier um ein zufälliges Zusammentreffen handelt.
Natürlich muss man eine Eklampsie ausschliessen. Gar nicht
selten sieht man aus den Krankengeschichten von Epilep¬
tischen, dass während einer Schwangerschaft die Anfälle eher
seltener werden. Das ist sogar in einer unrichtigen Verall¬
gemeinerung in die Volksmeinung übergegangen und in
München fragen zuweilen epileptische Mädchen oder ihre
Mütter, ob es nicht gut für die Kranke wäre, wenn sie ein Kind
bekäme. In anderen Fällen geht die Krankheit ihren gewöhn¬
lichen Verlauf und selbst während der Geburt auftretende An¬
fälle erfordern einige Vorsicht, sind aber nicht bedrohlich. Ob
eine gelegentliche Häufung der Anfälle während d,er Schwanger¬
schaft durch diese bedingt wird, ist schwer zu beurteilen. Meist
lässt sie sich eben so gut wie sonst durch grössere Gaben von
Brom und Amylenhydrat bekämpfen. Einen lebensgefähr¬
lichen Zustand im Verlaufe der Epilepsie stellt der Status
epilepticus dar, und hier allein könnte wohl eine Schwanger¬
schaftsunterbrechung in Frage kommen. Die Raumbeengung,
welche eine vorgeschrittene Schwangerschaft bedingt, kann
durch die Behinderung der Atmung in einem solchen Zustande
das Leben gefährden. Praktisch ist mir bis jetzt kein solcher
Fall bekannt geworden; manchmal scheint beim Status epilep¬
ticus ein Spontanabort oder eine Frühgeburt einzutreten.
Die Meinung Binswanger s, dass man bei einer Häu¬
fung der Anfälle in der Gravidität, wenn gleichzeitig eine lang¬
dauernde Benommenheit und schwere psychische Störungen
auftreten, wegen der Gefahr eines bleibenden geistigen Zer¬
falls eine Schwangerschaftsunterbrechung vornehmen müsse,
halte ich nicht für genügend begründet. Es scheint mir in
solchen Fällen der Zusammenhang zwischen Gravidität und
Verschlimmerung der Epilepsie nicht erwiesen, und deswegen
auch ein günstiger Einfluss einer Schwangerschaftsunter¬
brechung zweifelhaft.
Eine Krankheit, bei welcher die Frage einer Schwanger¬
schaftsunterbrechung gar nicht so selten an uns herantritt, ja
von den Angehörigen und der Kranken selbst zuweilen direkt
angeregt wird, ist die Hysterie. Schwangerschaft erzeugt
wohl an sich keine Hysterie, aber mit allen ihren Zusammen¬
hängen ist sie zweifellos ein wichtiges psychogenes Moment,
das schwere hysterische Zustände auslösen kann. Ein
hysterisch veranlagtes Mädchen, das ausser der Ehe in andere
Umstände gekommen ist, die Schande fürchtet, vor allerlei
Sorgen um die Zukunft bangt, die verwöhnte, widerstands-
unfähige Iochter aus guter Familie, der die Beschwerden der
Schwangerschaft, die Qualen und Gefahren der Geburt als
etwas unerträgliches, schreckliches vor Augen stehen, eine
von neuem Schwangere, die eine besonders schwere Geburt
hinter sich hat, sind gefährdet, eine Schwangerschaftshysterie
zu erwerben. Hysterische Anfälle und Erregungen werden
recht häufig durch aussereheliche Schwangerschaft ausgelöst
und jedes Jahr sehen wir solche Kranke vielfach in der Klinik.
Einen sehr charakteristischen Fall habe ich ausserhalb der An¬
stalt gesehen.
Lin Mädchen aus bürgerlicher Familie war schmählich betrogen
w oi den, sie fürchtete die Schande und ging offenbar in ernster Ab-
No, 33.
sicht sich das Loben zu nehmen ins Wasser. Herausgeholt, bekam
sie hysterische Krämpfe. Das Geständnis des Motives ihres Selbst¬
mordversuches gab den Eltern Veranlassung zu heftigen Vorwürfen
und Verwünschungen. Bei dem Mädchen folgte eine Reihe hy¬
sterischer Anfälle auf die andere, dazwischen zeigt es ein delirantes
Verhalten, spricht von Windeln, dem Galgen, glaubt sich auf Stroh
im Kerker, ganz als wäre ihr Gretchen im Faust ein Vorbild ge¬
wiesen. Die Eltern weigern sich hartnäckig die Tochter in die An¬
stalt zu bringen, weil ihre Schande an den Tag käme. Zu Hause
ging es wochenlang in gleicher Weise weiter. Dann wurden die
Anfälle seltener. Inzwischen sind die Eltern zu einer ruhigeren
Auffassung der Lage gekommen. Vom 5. Monat der Schwanger¬
schaft ab tritt eine anhaltende Besserung ein. Das Mädchen gebar
später auswärts und ist wenigstens mehrere Jahre ohne hysterische
Erschein üngen geblieben.
Hier ist es vielleicht auch am Platze, einige Worte über
das unstillbareErbrechenderSchwangerenzu
sagen, das ja in seinen ganz schweren Fällen eine allgemein
anerkannte Indikation für eine Schwangerschaftsunterbrechung
bildet. Gewiss hat die Hyperemesis gravidarum an und für
sich nichts mit Hysterie zu tun. Aber mag man sie nun mit
einer Reflexneurose erklären oder auf eine Intoxikation zurück¬
führen, sicher ist, dass sie manchmal sehr von psychogenen
Einflüssen abhängig ist. In einzelnen Fällen kann es offenbar
eine ausschliesslich psychogene Erkrankung sein.
Bei einer jungen Frau, welche schon früher hysterische Sym¬
ptome geboten hatte, trat in der ersten Schwangerschaft unstillbares
Erbrechen ein. Die Kranke magerte in bedenklicher Weise ab. Bei
der anamnestischen Erhebung ergab sich, dass eine Freundin von ihr
durch unstillbares Erbrechen dem Tode nahegekommen war. Bei ihr
selbst hatte sich schon wenige Tage nach dem Ausbleiben der Men¬
struation heftiges Erbrechen eingestellt und sie hatte schon damals
behauptet, dass sie daran sterben müsse.. Durch Isolierung von den
überbesorgten Angehörigen, Beigabe einer verständigen Pflegerin und
vernünftigen Zuspruch, gelang es, die Kranke nach einigen Rückfällen
dahin zu bringen, dass sie Nahrung behielt und ihre Schwangerschaft
glücklich beendete.
Zu der Hysterie oder zu den mannigfachen Formen psycho¬
pathischer Zustände und nicht zu den Depressionszuständen
des manisch-depressiven Irreseins dürften jene Frauen gehören,
die nach der Angabe Zweifels gelegentlich zu jedem Gynä¬
kologen kommen und wegen nervöser Beschwerden oder auch
unter dem Geständnis von Selbstmordgedanken, ihn um Unter¬
brechung der Schwangerschaft bestürmen, sich aber oft durch
Vorstellungen zur Besonnenheit zurückbringen lassen. Es ist
wohl kaum zu zweifeln, dass in solchen Fällen ein Abort auch
die Beschwerden wegnehmen würde. Aber wir würden sicher
solche Kranke zu Hysterischen erziehen und Schwangerschafts¬
neurosen wieder bei anderen züchten, wenn wir uns hier zu
bereitwilligen Dienern der Wünsche der Kranken machen
wollten.
Es ist gar nicht einzusehen, warum die Hysterie einen An¬
lass zur Schwangerschaftsunterbrechung geben sollte. Würde
sich hier der Arzt verleiten lassen, einzugreifen, so würde er,
ganz abgesehen davon, dass er sein Vorgehen in keiner Weise
zu rechtfertigen vermöchte, der Volksgesundheit schaden,
statt nützen.
Die 2 Fälle von Gravidität bei Imbezillität und die
3 bei Idiotie beweisen zunächst, dass keine Frauensperson
so blöde im Geist und so abstossend am Körper sein kann, dass
sie nicht der Gefahr, sexuell gemissbraucht zu werden, aus¬
gesetzt wäre. Die Krankheit wird natürlich nicht durch die
Schwangerschaft beeinflusst und zu einer Schwangerschafts¬
unterbrechung ist kein Grund vorhanden.
Dagegen geben diese Fälle Anlass, einen Gesichtspunkt zu
besprechen, der auch schon bei Gelegenheit von Diskussionen
über die Einleitung eines Abortes bei Geisteskranken berührt
worden ist und sich auf alle Geistesstörungen bezieht. Man
meint, das Leben der Frucht, das ja bei allen Schwangerschafts¬
unterbrechungen gegen das Leben der Mutter einzuschätzen ist,
sei bei der Nachkommenschaft Geisteskranker geringer anzu¬
schlagen, weil es sich um eine degenerierte, minder¬
wertige Nachkommenschaft handle. Gewiss drängt sich
jedem, der bei der Geburt einer solchen Schwachsinnigen als
Helfer zur Seite gestanden hat, die Vorstellung auf, dass ihm
die Menschheit dafür nicht zum Danke verpflichtet ist.
Aus gelegentlichen Besprechungen mit Kollegen ersehe
ich, dass derartige Erwägungen zuweilen Anlass zu einem Ein-
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1621
griffe geben, wo ihn der Zustand der Mutter gewiss nicht
rechtfertigt.
Einer solchen Stellungsnahnie gegenüber muss man aber
wohl betonen, dass unsere Kenntnisse der Vererbungsgesetze
noch viel zu lückenhaft sind, als dass sie uns Richtlinien für
das ärztliche Handeln geben könnten.
Wir wissen zwar, dass die Kinder Geisteskranker in einem
mehr oder minder hohen Grade disponiert sind, selbst geistig
zu erkranken. Auf Umfrage habe ich auch von einigen Fällen
erfahren, die in Irrenanstalten als Kinder Geisteskranker ge¬
boren, später selbst als Geisteskranke wieder dahin gekommen
waren. Aber ob z. B. das Kind einer Manisch-depressiven,
das während eines Krankheitsanfalles geboren wurde, in
höherem Grade zur Erkrankung veranlagt ist, als ein Kind, das
vor dem ersten Anfall zur Welt kam, darüber haben wir noch
gar keine Erfahrung, auch darüber nicht, ob es nicht vielleicht
später mit einem gesunden Manne gesunde Kinder erzeugen
kann. Unsere Forschung hat sich bisher hauptsächlich der
Richtung der Degeneration zugewandt. Dass es aber auch eine
Regeneration, ein allmähliches Verschwinden krankhafter Ver¬
anlagung aus den Stammbäumen gibt und geben muss, weil
sonst die Menscheit wohl schon völlig degeneriert wäre, das ist
bis heute viel weniger verfolgt worden. Vielleicht wird uns die
Zukunft hier klarer sehen lassen und dann auch andere Grund¬
sätze zur Geltung bringen; heute würden wir ins Uferlose ge¬
raten, wenn wir uns für berechtigt hielten, die Minderwertig¬
keit der Nachkommen Geisteskranker in die Wagschale zu
legen, wenn wir uns entschliessen müssen, ob eine Schwanger¬
schaftsunterbrechung am Platze ist oder nicht.
Es erübrigt uns nur noch zwei Krankheitsformen kurz zu
betrachten, die in enger und engster Beziehung zur Gravidität
stehen und die beide häufig mit psychischen Störungen einher¬
gehen, die Chorea gravidarum und die Eklampsie.
Die Chorea gravidarum ist keine einheitliche Krankheit. Alle
Formen von Chorea, die hysterische, die Huntingtonsche, die
rheumatische Chorea können auch in der Schwangerschaft
auftreten. Da sie für die Mutter in einer ganz verschiedenen
Weise gefährlich sind, spielen sie auch hinsichtlich der Indi¬
kation zur Schwangerschaftsunterbrechung eine ganz ver¬
schiedene Rolle. Die hysterische Chorea bietet nach dem oben
Angeführten keinen Anlass zum Eingreifen, die seltene pro¬
gressive, hereditäre Chorea ist eine an sich unheilbare Er¬
krankung; ich habe nirgends etwas darüber gefunden, dass sie
durch eine Schwangerschaft ungünstig beeinflusst wird. Nicht
wenige Fälle rheumatischer Chorea verschlimmern sich im
Wochenbett nicht, ja sie heilen sogar unter zweckmässiger
Therapie. Dagegen sieht man, dass in einzelnen Fällen eine
früher schon einmal vorhandene Chorea in der Schwanger¬
schaft wieder auftritt oder dass sie zum erstenmale in der
Schwangerschaft zum Ausbruch kommt und unter rascher Aus¬
breitung der choreatischen Zuckungen auf alle Muskelgebiete,
Auftreten schwerer Delirien, hohem Fieber bald einen bedroh¬
lichen Charakter annimmt. Ich habe eine solche Kranke am
fünften Tage zu Grunde gehen sehen. Die genaueren Be¬
ziehungen zwischen der Chorea und ihrer Verschlimmerung
und dem Wochenbett sind noch unklar, es ist aber wohl kaum
zu bezweifeln, dass Beziehungen vorhanden sind.
Nach unseren einleitenden Darlegungen würde in diesen
schweren Fällen zweifellos eine Indikation für eine Schwanger¬
schaftsunterbrechung gegeben sein, wenn sie die Mutter retten
könnte. Die vorliegenden Statistiken leiden noch vielfach an
dem Mangel, dass sie die verschiedenen Formen der Chorea
nicht auseinanderhalten und die Schwere der einzelnen Fälle
nicht deutlich erkennen lassen. Immerhin hat man den Ein¬
druck, dass im allgemeinen die Schwangerschaftsunterbrechung
einen günstigen Erfolg hat. So dürfte bei der Chorea gravi¬
darum, wenn allgemeine Konvulsionen, bedenkliche Tem¬
peratursteigerungen und schwere delirante Zustände aufge¬
treten sind, eine Schwangerschaftsunterbrechung geboten sein.
Wie aber schon v. W i n c k e 1 hervorhebt, hilft sie in allen
Fällen nicht. Unter den mir vorliegenden Krankengeschichten
befindet sich ein Fall, bei welchem nach einer künstlichen Früh¬
geburt die choreatischen Symptome nicht nachliessen und zu¬
dem eine puerperale Sepsis eintrat, die den Tod der Mutter
herbeiführte; das Kind war gleich nach der Geburt gestorben.
Dass bei schweren eklamptischen Zuständen
die Einleitung einer künstlichen Frühgeburt geboten ist, ist
allgemein anerkannt. Hier haben wir es ja auch mit einer
Krankheit zu tun, die mit der Schwangerschaft in engster
ätiologischer Beziehung steht. In den meisten Fällen handelt
es sich auch nur um eine Beschleunigung der Geburt. Doch
gibt es seltene Fälle, in welchen die Eklampsie schon früher
auftritt. Gerade wegen der Notwendigkeit eines eventuell
raschen Eingreifens ist es geboten, bei allen Krampfzuständen
während der Schwangerschaft an Eklampsie zu denken. Wir
haben wiederholt in die psychiatrische Klinik hochschwangere
Frauen mit der Diagnose Hysterie eingeliefert bekommen, die
sich in schweren eklamptischen Zuständen befanden und wohl
nur durch eine rasche Entbindung vom Tode gerettet wurden.
Schliesslich hätten wir noch auf eine Frage einzugehen,
die sich gleichmässig auf alle Geisteskrankheiten bezieht, bei
welchen wir eine Indikation für eine Schwangerschaftsunter¬
brechung als vorliegend erachtet haben und die sich ausser¬
dem auf jene Psychosen ausdehnt, die im Puerperium ent¬
standen sind.
Nämlich: Ist eine Schwangerschaftsunterbrechung bei
einer zweiten Gravidität am Platze, wenn im Gefolge der vor¬
ausgegangenen Schwangerschaft eine lebensgefährliche Er¬
krankung, also eine schwere Chorea, eine Eklampsie mit
Psychose auftrat, bei der die Mutter mit knapper Not mit dem
Leben davon kam, oder wenn im Anschluss an das erste
Wochenbett eine schwere Psychose aufgetreten war, die zwar
in Heilung ausging, aber mit einem neuen Puerperium die Ge¬
fahr eines Rückfalls, sogar unheilbarer Verblödung bringen
könnte? Die Frage ist keine theoretische, sie wird öfters an
den Psychiater gestellt. Man kann darauf nur antworten, dass
die Konstellationen der einzelnen Schwangerschaften so ver¬
schiedene sind, dass eine folgende die Gefahren einer früheren
nicht notwendig zu bringen braucht und tatsächlich häufig nicht
bringt. Für die Chorea, für die Eklampsie, auch für die Psy¬
chosen scheint das erwiesen. So ist es durchaus angebracht,
abzuwarten, und seine Indikationen lediglich nach der vor¬
liegenden Gravidität zu stellen.
Nicht selten macht man dann die Erfahrung, dass Ange¬
hörige und prakt. Aerzte bei irgend welchen in der Gravidität
auftretenden nervösen Störungen von Bedenken erfüllt werden,
ob nicht etwa die Fortdauer der Gravidität die Beschwerden
verschlimmern und eine unheilbare Geisteskrankheit herbei¬
führen könne. Rein hysterische Symptome, Klagen psycho¬
pathischer Persönlichkeiten über nervöse Schmerzen, leichte
Depressionszustände geben zu solchen Sorgen Veranlassung.
So mangelhaft noch nach manchen Richtungen unsere klinischen
Kenntnisse sind, das wird ein erfahrener Psychiater wohl in
den meisten Fällen sicher entscheiden können, ob es sich um
Anfangserscheinungen schwerer Krankheit oder um unbe¬
denkliche Symptome handelt. Hier, wie überhaupt immer,
wenn eine Schwangerschaftsunterbrechung wegen Geistes¬
krankheit in Frage kommt, sollte man nicht versäumen, den
Rat eines Irrenarztes in Anspruch zu nehmen. Im allgemeinen
werden diese Gefahren meist sehr überschätzt.
Damit hätten wir wohl die praktisch wichtigsten Formen
der Geistesstörungen, bei welchen eine Schwangerschafts¬
unterbrechung in Frage kommen kann, besprochen. Möglicher¬
weise sind dabei noch nicht alle die mannigfachen Umstände,
welche die Praxis bringen kann, genügend berücksichtigt
worden.
Die Indikationen sind etwas enger gezogen, als sie J o 1 1 y
gezogen hat und als es heute manche Kollegen tun. Wenn
unsere Patienten oder ihre Angehörigen mit Klagen und
Wünschen an uns herantreten, dann ist es nötig, dass wir
diesen bestimmte Grundsätze entgegenstellen können.
Ich glaube, dass allein die oben dargelegten sich aus
unseren heutigen klinischen Erfahrungen ableiten lassen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
i 622
Aus dem hygienischen Institute der Universität Halle a. S.
(Direktor: Geh. Med. -Rat Prof. Dr. C. F r a e n k e 1).
Ueber das Vorkommen und die Bedeutung von Typhus¬
bazillenträgern in Irrenanstalten.
Zugleich ein Nachtrag zu der Mitteilung über bemerkenswerte
Befunde bei Untersuchungen auf das Vorhandensein von
Typhusbazillenträgern in einer Irrenanstalt.
Von Dr. A. Nieter, Stabsarzt, kommandiert zum Institut.
In No. 33 der Münchener medizinischen Wochenschrift
vom vorigen Jahre berichteten L i e f m a n n und ich über be¬
merkenswerte Befunde bei Untersuchungen
auf das Vorhandensein von Typhusbazillen-
trägem in einer Irrenanstalt in Mitteldeutschland.
Seit unserer damaligen Mitteilung haben wir bezw. nur ich im
Aufträge von Herrn Geh. -Rat Prof. Dr. C. Fraenkel noch
weiter Gelegenheit gehabt, in dieser Anstalt bakteriologische
Arbeiten, die sich mit der Aufklärung neuer Typhusfälle be¬
fassten, auszuführen. Die dort gemachten Untersuchungen
und die dabei gewonnenen Erfahrungen sind von einigem In¬
teresse, so dass es sich wohl schon der Mühe verlohnt, darüber
noch eine weitere Mitteilung folgen zu lassen.
Bei unserer erstmaligen Durchsuchung der Anstalt vor
ungefähr Jahresfrist, mit dem Ziele auf Bazillenträ¬
gerinnen zu fahnden, hatten wir im ganzen 7 Bazillen¬
trägerinnen und bei einer im Laufe des Spätsommers ebenfalls
daraufhin gerichteten Prüfung nochmals 4 Dauerausscheider¬
innen festgestellt. Mit der Auffindung dieser schon recht er¬
heblichen Anzahl von chronischen Typhusbazillenausscheider¬
innen glaubten wir uns der Hoffnung hingeben zu können, dass
neue Typhusfälle sobald nicht mehr auftreten würden. In
dieser Annahme haben wir uns indes schon verhältnismässig
bald getäuscht gesehen. So kamen im Laufe des Winters
(Ende Dezember und Anfang Januar 1907) beispielsweise 3
Neuerkrankungen bei 3 Pflegerinnen in einem Gebäude
der Anstalt vor,, /das auch in früheren Jahren schon als ganz
besonders typhusdurchseucht angesehen worden war.
Unter den 250 Insassinnen dieses Anstaltshauses hatten wo¬
bei unseren erstmaligen Untersuchungen allein 7 als Typhus¬
bazillenträgerinnen aufgedeckt. Da aus den an Ort und Stelle
gewonnenen Erhebungen hervorging, dass weder eine Ein¬
schleppung vorlag, noch auch dass an eine auf Wasser oder
durch andere Nahrungsmittel zurückzuführende Infektion ge¬
dacht werden konnte, so lag die Vermutung nahe, dass viel¬
leicht noch eine Bazillenträgerin vorhanden
sein könnte, die als die Quelle der neuen Erkrankungen an¬
zusehen wäre. Die daraufhin angestellten Untersuchungen
bestätigten auch wirklich diesen Verdacht,
ln dem Saale, auf welchem die 3 erkrankten Pflegerinnen
Dienst verrichtet hatten, fand sich noch eine seit einer Reihe
von Jahren in der Anstalt untergebrachte Typhusbazil¬
lenträgerin, die, ohne jemals klinische Symptome für
Typhus abgegeben zu haben, oder sonstwie als krank in Be¬
obachtung gekommen zu sein, mit einer an hoher Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit die Ansteckung vermittelt
hatte. Diese Kranke bot nun ausserdem insofern noch einen
ganz besonders interessanten Befund dadurch, als bei ihr i n
ihren Entleerungen neben Typhusbazillen
auch Paratyphusbazillen (Typus B) in wieder-
holentlichen Prüfungen festgestellt werden konnten. D e r b e i
ihr isolierte Stamm „Typhus“ wurde durch
lyphusserum in einer Verdünnung von 1 : 6000
und der Paratyphusstamm (B) durch Para¬
typhusserum in einer Verdünnung von
1.3600 a g g 1 u t i n i e r t. Auf die Einzelheiten dieser Beob¬
achtung will ich an anderer Stelle noch ausführlich zurück¬
kommen, es sei hier nur der Tatsache schon Erwähnung getan.
Indes auch bei diesen eben angeführten Neuinfektionen, die
diesmal nur Pflegerinnenpersonal betrafen, sollte es nicht
bleiben. Nach einer Ruhepause von ungefähr 4 bezw. 5 Mo¬
naten kamen ziemlich unvermutet wiederum in einem anderen
Gebäude, in dem ebenfalls bei den früher ausgeführten Unter¬
suchungen zwei Bazillenträgerinnen bereits aufge-
’ linden und daraufhin isoliert worden waren, 3 Neuerkran¬
kungen vor. Diese Erkrankungen, welche sich diesmal bei 3
in einem Wachsaal befindlichen bettlägerigen Kranken ereig¬
neten, traten fast zur gleichen Zeit auf. Auf dem betreffenden
Wachsaal befand sich ausserdem eine Kranke, die vor zwei
Jahren (1905) Typhus in der Anstalt durchgemacht hatte. Ihr
Blutserum zeigte noch eine positive Widalreaktion in einer
Verdünnung von 1:100. Nachdem die Stuhlproben der im
Wachsaal befindlichen, sowie auch der übrigen Insassinnen des
gesamten Gebäudes unter Einbeziehung des Pflegepersonals
bei einer erstmaligen Durchmusterung ein völlig negatives Re¬
sultat gezeitigt hatten, wurde zu einer zweiten Durchsuchung
des ganzen Hauses geschritten unter besonderer Berück¬
sichtigung der Kranken des vom Typhus heimgesuchten Wach¬
saales, von denen gelegentlich sogar öftere Proben der Unter-'
suchung zugeführt wurden. Im Laufe dieser gelang es in der
Tat wiederum eine Dauerausscheiderin aus¬
findig zu machen; es handelte sich in diese m
Falle um die Kranke, welche vor zwei Jahren
Typhus überstanden hatte und, wie erwähnt,
noch positive Blutreaktion zeigte. In der dritten
Stuhlprobe wurden in ziemlicher Menge in einwandfreier
Weise Typhusbazillen zum Nachweis gebracht. Die
jüngsten Neuerkrankungen waren damit ohne Zweifel mit
Sicherheit durch diese Kranke herbeigeführt, zumal sie sich auf
demselben Wachsaal, in demselben Gebäude mit diesen
Kranken befunden hatte und mehrfach im Laufe der Zeit Ge¬
legenheit geben konnte, dass sich andere Kranke durch sie
infizierten.
Aehnliche Beobachtungen, wie wir sic in M. anzu-
stellen Gelegenheit hatten, sind auch in jüngster Zeit von
anderer Seite speziell in Irrenanstalten gemacht worden.
Eine Reihe solcher Beobachtungen sind auch veröffentlicht
worden. Es sei mir daher gestattet, hier einige davon anzu¬
führen.
Eine ausserordentlich eingehende, sehr interessante Schil¬
derung von mehreren Typhusepidemien gibt Friedei. Es
handelt sich um die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in
Andernach, in der vor dem Jahre 1901 immer nur ganz
vereinzelte Typhuserkrankungen unter den Anstaltsbewohnern
zu verzeichnen waren; diese konnten fast stets als ausserhalb
der Anstalt infiziert nachgewiesen werden. Die nach dieser
Zeit aufgetretenen Epidemien waren die folgenden:
1. 1901 im Mai: 9 Fälle: 1 Arzt, 5 männliche Pfleger, 3
männliche Pfleglinge und ein weiblicher Pflegling.
2. 1901 im Oktober: 12 Fälle: 9 Pflegerinnen, 1 Pfleger,
1 männlicher und 1 weiblicher Pflegling.
3. 1905 im Mai: 7 Fälle: 1 Pfleger und 6 männliche Pfleg¬
linge.
4. 1905 im September: 35 Fälle: 8 männliche Pfleger,
8 weibliche Pflegerinnen, 4 Männer (Hauspersonal), 5 männ¬
liche, 10 weibliche Pfleglinge.
Zwischen den Epidemien 1—3 kamen 7 Einzelfälle zur Be¬
obachtung; 6 mal musste die Infektion in der Anstalt stattge¬
funden haben; ein Fall war eingeschleppt.
Als Infektionsquelle kam nach Ansicht Friedeis nur
die Anstaltsküche in Betracht; die von ausserhalb be¬
zogenen Lebensmittel (Wasser usw.) gaben niemals irgend
welchen Anhalt. Von F r i e d e 1, der bei der 3. und 4. Epidemie
die Nachforschungen leitete, wurde die Vermutung auf einen
innerhalb der Anstalt befindlichen Typhusbazillenträger aus¬
gesprochen. Es wurde daher zur Untersuchung von Fäzes
und Urin aller in der Anstaltsküche, Spülküche, Molkerei und
Wäsche Beschäftigten geschritten. Während die Annahme
einer ausserhalb der Anstalt gelegenen Infektionsquelle auch
nicht die kleinste Stütze fand, ergab das Resultat der Stuhl¬
untersuchungen, dass noch im September die Ausschei¬
dung von Typhusbazillen nahezu in Reinkultur in
den Fäzes einer imbezillen 65 jährigen Person mit schwachem
Reinlichkeitsgefühl, die seit 6 Jahren in der Anstaltsküchc
dauernd beschäftigt war, festgestellt werden konnte. Durch
kontrollierende Nachuntersuchungen wurde die Daueraus¬
scheidung bestätigt. An Typhus will diese Person nie ge¬
litten haben; in der Anstalt selbst war auch nie bei ihr eine
daiaufhin zielende Erkrankung beobachtet. Ihre Beschäftigung
hatte unter anderem besonders im Schneiden von Kartoffeln zu
13. Atigust 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1623
Salat, von Fleischstücken zu Fleischsalat, von Zwiebeln zu
diesen Salaten, sowie überhaupt im Mischen und Herrichten
dieser und anderer Speisen bestanden. Alle anderen Personen,
die in Beziehung zu Nahrungsmitteln gestanden hatten, waren
frei von Typhusbazillen befunden worden.
Bei der Annahme, die nach den Ausführungen des Autors
grosse Wahrscheinlichkeit , für sich hat, dass nämlich diese
Person vielleicht schon viele Jahre vor der Auffindung eine
Dauerausscheiderin gewesen war, gewinnen die verschiedenen
Typhusepidemien in der Anstalt eine ungezwungene Er¬
klärung.
In den V i e r t e 1 j a h r s b e r i c h t e n der Untersuchungs¬
anstalten zur Bekämpfung des Typhus im Südwesten des
Reiches sind weiterhin wiederholentlich Mitteilungen enthalten,
die speziell auf Irrenanstalten Bezug haben.
So wird beispielsweise im Regierungsbezirk Trier aus
der Irrenanstalt M e r z i g berichtet, dass ein im Oktober 1906
sieh ereigneter Fall von Typhus auf eine 65 jährige Geistes¬
kranke, die sehr zum Kotschmieren neigte, als Bazillen¬
trägerin ermittelt wurde, mit Sicherheit zurückgeführt werden
konnte. , J
Ueber die in der Irrenanstalt Hördt von der Strass-
b u r g e r Anstalt ausgeführten Arbeiten ist bekannt geworden,
dass im Jahre 1904 »auf zwei durch gemeinsamen Hof ver¬
bundenen Abteilungen ab September bis Januar 1905 sich 14
Typhusfälle ereigneten, trotz jedesmaliger Isolierungs- und
Desinfektionsmassnahmen. Die Neuerkrankungen auf diesen
Abteilungen sistierten erst, nachdem durch umfangreiche Unter¬
suchungen zwei chronische Bazillenträger her¬
ausgefunden und ebenfalls isoliert waren. In der gleichen An¬
stalt war ferner eine als W äscherin auf den von Typhus
betroffenen Abteilungen verwendete Frau im Dezember 1904
an Typhus erkrankt. Durch 3 mal vorgenommene Unter¬
suchungen im Februar und März waren deren Stuhl und Urin
typhusbazillenfrei befunden. Im September 1905 traten jedoch
Typhen in der Abteilung dieser Frau auf. Bei abermaliger
Durchuntersuchung aller Gesunden der betreffenden Säle
wurde die oben bezeichnete Wäscherin als Bazillen¬
träger in festgestellt. Ihr Serum agglutinierte Typhus¬
bazillen noch 1 : 1000. Bei einem weiteren im Oktober des¬
selben Jahres in dieser Anstalt beobachteten Typhusfall wurde
aus den Gesunden heraus eine 55 jährige Frau als Bazillen¬
trägerin ermittelt, die 1903 an J yphus gelitten und seitdem
dauernd an einer schweren Cholezystitis litt..
Aus einer Bezirksirrenanstalt bei Saargemünd wird
mitgeteilt, dass bei neuerdings vorgekommenen Typhuser¬
krankungen, bei denen eine Einschleppung nicht nachgewiesen
werden konnte, die beiden früher festgestellten Bazillenträger,
die nach 4 bezw. 8 maliger negativer Untersuchung als genesen
betrachtet worden waren, einer Nachuntersuchung unterzogen
wurden. Es zeigte sich dabei, dass die Ausscheidung von
Typhusbazillen inzwischen wieder begonnen hatte und auch
anhielt. Dabei wurde ferner aus der Umgebung von frischen
Typhuskranken eine weitere gesunde Bazillenträgerin ermittelt
und ausserdem eine 4. Anstaltsinsassin nach neuerdings über¬
standenem Typhus als Typhusbazillenausscheiderin festgestellt.
Endlich seien hier noch einige über die Kreisirrenanstalt
Klingemünster berichtete kurze Angaben angeführt, in
der 2 Bazillenträger aufgefunden wurden, die beide dadurch
noch besonders bemerkenswert sind, als bei ihnen monatelang
die Ausscheidung s i s t i e r t e, um dann von neuem zu be¬
ginnen.
Die grösste Aehnlichkeit mit unseren Beobachtungen haben
die in der Irrenanstalt Hördt gemachten, die in epidemio¬
logischer Hinsicht gerade so ausserordentlich wertvoll sind.
Nach den Angaben von L e v y und Kayser haben die dabei
gesammelten Erfahrungen nach Feststellung und Isolierung der
Typhusbazillenträger die Anstalt seitdem von Typhus ver¬
schont. Auch bei umfangreichen Untersuchungen sind wir von
denselben Gesichtspunkten, wie sie von Levy und Kayser
ausführlich dargelegt werden, geleitet worden. Bei der bisher
bereits ermittelten grossen Anzahl — es kommen auf 900
Anstaltsinsassinnen im ganzen jetzt 13 Bazil¬
lenträgerinnen — können wir uns indes der Ansicht
nicht verschliessert, dass1 möglicherweise sogar trotz der
wiederholten, in sorgfältiger Weise durchgeführten Unter¬
suchungen noch eine oder die andere Daueraus¬
scheiderin vorhanden sein mag, die den Ausgangs¬
punkt neuer Erkrankungen bilden kann. Ist man doch gerade
bei den Stuhluntersuchungen so häufig vom Zufall abhängig, da
bazillenfreie Intervalle mit bazillenhaltigen Schüben ab-
wechseln können. Solche Beobachtungen sind wiederholent¬
lich gemacht worden. Kayser, der eine probeweise bak¬
teriologische Spätkontrolle abgelaufener Typhen unter der
Zivilbevölkerung Strass burgs nach Jahr und Tag vor¬
genommen hat, konnte bei etwa 3 Proz. der daraufhin nach¬
träglich Untersuchten bis dahin als „bakteriologisch genesen“
geltenden Personen als „Bazillenträger“ feststellen, ca. 1 Proz.
Männer und 2 Proz. Frauen. Von Brio n und Kayser wird
in bezug auf die Häufigkeit chronischer Bazillenträger 1,5 Proz.
von 200 klinisch sorgfältig behandelten Fällen aus Strass-
b u r g - Stadt angegeben.
Zu der Frage, welche Umstände dazu beitragen, dass an
Typhus erkrankt gewesene bezw. in der Umgebung solcher
aus den Gesunden heraus einzelne Personen zu Bazillenträgern
werden, vermögen unsere in M. gesammelten Erfahrungen
wenig Anhaltspunkte zu geben. Die von L e n t z aus¬
gesprochene Mutmassung, dass alle Arten von schwächenden
Momenten die Disposition zur Entstehung einer Dauerausschei¬
dung geben können, trifft, so anfechtbar sie auch noch sein mag,
in gewissem Sinhe in Irrenanstalten vielleicht in vielen Fällen
zu, besonders wenn man in Rücksicht zieht, dass bei schweren
psychischen Erkrankungen die Körperkräfte infolge unzu¬
reichender Ernährung (durch Nahrungsverweigerung und
andere Momente) geschwächt sind. Bei einem von uns in
unserer ersten Mitteilung schon erwähnten Falle einer Bazil¬
lenträgerin, welche zur Zeit unserer Tätigkeit in der Irren¬
anstalt verstarb und zur Sektion kam, konnten wir aus der
Galle und den reichlich Vorgefundenen Gallensteinen
Typhusbazillen in Reinkultur zum Nachweis brin¬
gen. Wir hatten damals schon darauf hingewiesen, dass dieser
Fall einen bemerkenswerten Beitrag zu den Beobachtungen
Försters und seiner Strassburger Mitarbeiter
bietet. Im Verein mit den übereinstimmenden Befunden
anderer Forscher legt diese Beobachtung immerhin den Ge¬
danken nahe, dass die in der Gallenblase
wuchernden Typhus- bezw. Paratyphus¬
bazillen bei der Steinbildung eine tatsäch¬
liche Rolle spielen, ja überhaupt bei Gallen¬
leiden eine ätiologische Bedeutung besitzen.
Inwieweit Gallenleiden bei den übrigen von uns ermittelten
Bazillenträgerinnen ausserdem vorliegen, konnte bei den im¬
bezillen Kranken nicht festgestellt werden; irgendwelche An¬
haltspunkte dafür haben sich auch nicht ergeben.
Zum Schluss möchte ich noch mit einigen Bemerkungen
auf den bereits erwähnten Fall einer Bazillenträgerin zurück¬
kommen, bei der sich eine Mischinfektion von
Typhus- und Paratyphusbazillen im Stuhle vor¬
fand.
Der erste, der einen derartigen Fall, bei dem er die gleichzeitige
Anwesenheit von Typhus- und Paratyphuserregern in den Fäzes und
in der Infektionsquelle, dem Wasser eines Brunnens feststellen konnte,
war C o n r a d i. Diesen Beobachtungen sind in jüngster Zeit dann
weitere gefolgt, so von Kayser, Qaehtgens und F o r n e t.
Kayser konnte aus dem Stuhle einer Typhuskranken am 7. Krank¬
heitstage Typhusbazillen, 6 Wochen darauf in 'der Rekonvaleszenz
aber mehrfach Paratyphusbakterien (Typus B) aus Stuhl und Urin
züchten. Der Nachweis beider Bakterienarten gelang hier nicht
gleichzeitig und nicht während der Fieberperiode, wohl aber im
Verlaufe derselben Krankheit.
Bei dem von Qaehtgens beschriebenen Falle wurden am
8. bezw. 9. Tage nur Typhusbazillen gefunden, dagegen aus den
Fäzes nach der Entfieberung neben vereinzelten Typhus- auch Para¬
typhuskolonien. , . ^
Der von Fornet berichtete Fall betraf eine Bazillentragerm,
die in einem Hotel aushilfsweise beschäftigt war, und auf welche mit
Wahrscheinlichkeit sowohl Typhus- als auch Paratyphuserkrankungen
zurückgeführt werden konnten. .
In dem von uns eruierten Falle fanden sich auf einer I latte
nebeneinander vereinzelte Typhus- und reichliche Paratyphus--
kolonien. Die isolierten Stämme zeigten auf den benutzten Nährböden :
Traubenzuckeragar- und Bouillon, Traubenzucker Barsickow, Milch¬
zucker Barsickow, Lackmusmolke, Milch. Kartoffeln, Gelatine, Neu-
tralrot uSw. i h r e c'h a r a k t e r i s t i s c h e n Eigenschatten
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
und bestätigten sich als solche auch durch die
makroskopischen Agglutinationsproben im Re¬
agenzglas.
Die Patientin selbst agglutinierte mit ihrem eigenen Serum
Typhusbazillen 1: 100 positiv, Paratyphusbazillen (Typus B) dagegen
nur 1 : 50 undeutlich bezw. unvollkommen. Es bestand damit die
Möglichkeit, dass die bei ihr gleichzeitig vorhandenen Paratyphus¬
bazillen nur ein saprophytisches Dasein in ihrem Darm führten. Eine
Paratyphuserkrankung in der Irrenanstalt ist bisher nicht beobachtet.
Vorn experimentellen Standpunkt aus muss, wie dies L e v y und
Gaethgens auch ausdrücklich hervorheben, die Ansteckungs¬
möglichkeit zwischen Typhus- und Paratyphuskranken zugegeben
werden und dies um so eher, als durch die erstbestehende Krankheit
die natürlichen Widerstandskräfte des Organismus ja entschieden
herabgesetzt werden, und so vielfach gerade eine Disposition für eine
neu auftretende Infektion sich einstellt.
Die Zahl unserer in der Anstalt ermittelten Typhusbazillen¬
trägerinnen beträgt also, wie bereits hervorgehoben, im ganzen
jetzt 13. Im Vergleich zu anderen Untersuchungen, die in
Irrenanstalten vorgenommen worden sind, ist die Anzahl un-
verhältnismässig hoch. Eine Erklärung indes für
diese erhebliche Menge chronischer Typhusbazillenausscheide¬
rinnen kann einmal in der Tatsache gefunden werden, dass es
sich bei den von uns festgestellten Bazillenträgerinnen nur um
weibliche handelt. Von allen Forschern wird in überein¬
stimmender Weise gerade ein starkes Ueberwiegen
des weiblichen Geschlechtes angegeben. Als
zweiter Grund aber kommen ganz entschieden unsere, wieder-
holentlich an einer grossen Anzahl von Untersuchten, in
schematischer Weise vorgenommenen Prüfungen unter
Berücksichtigung auch der scheinbar „Nicht-
erkrankten“ in Betracht.
Unsere in so ausgedehnter Weise ange-
stellten Untersuchungen zeigen, dass wir
durch die „Suche nach Bazillenträgerinnen“
manchen dunklen Typhusfall an den Herd
seiner Entstehung verfolgen konnten und da¬
mit die Handhabe zu wirksamen Bekämp-
fungsmassregeln gewannen. In dieser Er¬
kenntnis fordern sie unbedingt aber dazu auf,
noch mehr wie bisher jedem einzelnen Ty¬
phusfall auf seine Entstehung hin nachzu¬
spüren und namentlich auch der Umgebung
des Kranken, „den Gesunden“ grössere Be¬
achtung zuteil werden zu lassen.
Literatur:
1. C o n r a d i: D. med. Wochenschr. 1904, No. 32. — 2. F o r n e t:
Zur brage der Beziehungen zwischen Typhus und Paratyphus. Arb.
a. d. K. Gesundheitsamte 1907, 25. Bd., H. 1, S. 247. — 3. Förster
und Kayser: Ueber das Vorkommen von Typhusbazillen in der
Galle von Typhuskranken und „Typhusbazillenträgern“. Münch, med.
Wochenschr. 1905, No. 31, S. 1473. — 4. F r i e d e 1: Die Tvphusunter-
suchungen des Laboratoriums der Kgl. Regierung in Koblenz. Hyg.
Rundschau 1906, No. 1, S. 5. — 5. W. G a e h t g e n s: Ueber einen
r a 11 von Mischinfektion von Typhus und Paratvphus. Zentralbl. für
Bakt. etc 1906, Abt. I. Bd. 40, H. 5, S. 621. — 6. H. K ay s e r: Ueber
ntei suchungen bei Personen, die vor Jahren Typhus durchgemacht
haben, und die Gefährlichkeit von Bazillenträgern. Arb. a. d Kais
Gesundheitsamte 1907, 25. Bd., H. 1, S. 223. - 7. H.Kayser: Ueber
die Gefährlichkeit von „Typhusbazillenträgern“. Arb. a. d Kais Ge¬
sundheitsamte 1906, Bd. 24, H. 1, S. 176. — 8. P. K 1 i n g e r : lieber
lyphusbazillenträger. Arb. a. d. Kais. Gesundheitsamte 1906, Bd. 24,
, , ?L“Dj heJtz: Ueber chronische Bazillenträger. Klin.’
Jahrbuch 1905, Bd. 14, S. 475. - 10. E. Levy und W. Gaehtgens-
Leber die Beziehungen des Paratyphus zum Typhus. Arb. a. d. Kais
Gesundheitsamte 1907, 25. Bd., H. 1, S. 250. - 11. E. Levy und
1. Ka \ ser: Befunde bei der Autopsie eines Typhusbazillenträgers.
Autoinfektion. Ueber Behandlung der Leiche. Arb. a. d. Kais Ge¬
sundheitsamte 1907, 25. Bd., H. 1, S. 254. — 12. A. Nieter und
M Lief man n: Ueber bemerkenswerte Befunde bei Untersuchungen
aut das Vorhandensein von Jyphusbazillenträgern in einer Irren¬
anstalt. Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 33.
Aus der Chirurg. Klinik München (Geheimrat v. A n g e r e r).
lieber Lumbalanaesthesie.*)
Von Dr. Alwin Ach, II. Assistenten der Klinik.
Im Jahre 1899 hat B i e r ein Verfahren veröffentlicht, das
\ öllig geeignet erscheint, die Inhalationsnarkose, wenn auch
München a8hye07em VortraRe’ gehalten im ärztlichen Verein zu
nicht ganz zu verdrängen, so doch stark einzuschränken. Es
ist dies die sogen, medulläre oder Lumbalanästhesie. Bier
kam, durch Quinckes Lumbalpunktion angeregt, auf den
idealen Gedanken, durch Injektion von Kokain in den Dural¬
sack eine Anästhesie zu erzielen; er injizierte 8 Kranken in
den Subarachnoi deal raum lumbal Kokain, was eine Anästhesie
der Beine nach 5 — 8 Minuten zur Folge hatte, so dass er Opera¬
tionen, wie Sequestrotomien der Tibia, Fussgelenksresektionen
schmerzlos ausführen konnte. Ein Amerikaner namens Cor¬
ning hat schon im Jahre 1885 ähnliche Experimente an Tieren
ausgeführt und wurde deshalb Bier die Priorität streitig ge¬
macht. Ohne mich näher hierauf einzulassen, möchte ich nur
erwähnen, dass Bier allein das volle Verdienst der Lumbal¬
anästhesie zusteht. Er hat zuerst, ohne die Versuche Cor¬
ning s zu kennen, am Menschen das Verfahren probiert und
es nach allen Richtungen hin ausgebaut. Bier war so über¬
zeugt von der Güte der Methode, dass er sie an seinem Kol¬
legen H i 1 d e b r a n d und sich selbst ausführen liess. Die
Methode wurde hauptsächlich von den Franzosen und auch
von einigen deutschen Gelehrten, besonders Bumm, mit Eifer
verfolgt. Die Nacherscheinungen waren aber mit Kokain der¬
artig unangenehme — hohes Fieber, Schüttelfröste, schwere
Kollapse und sogar Todesfälle waren nicht selten — dass
der Erfinder Bier selbst in einem Referate über 1200 Lumbal¬
anästhesien auf dem Chirurgenkongresse 1901 direkt vor der
Methode warnte, da sie noch nicht genügend ausgebaut sei.
Erst mit der Erfindung der Ersatzmittel des Kokains, spe¬
ziell des Stovains durch Fourneau im Jahre 1904, wurde
die Lumbalanästhesie von Bier, der inzwischen weitere ex¬
perimentelle Untersuchungen gemacht hatte, wieder aufgenom¬
men. Zu den neuen Mitteln gesellte sich eine verbesserte
Technik und es wurde so eine Methode geschaffen, die zur¬
zeit überall mit grossem Erfolge angewandt wird.
Bevor ich nun auf die J echnik und Mittel näher eingehe,
möchte ich mir an der Hand von Abbildungen, die ich grössten¬
teils der Güte des Herrn Dr. Hahn verdanke, einige ana¬
tomische Bemerkungen gestatten.
(Redner bespricht nun kurz die hier in Betracht kommen¬
den Details der Wirbelsäule, der Rückenmarkshäute, der Höhe
des Conus terminalis, die individuellen Schwankungen unter¬
worfen ist und mit dem Wachstum der Wirbelsäule in direktem
Zusammenhänge steht. Es wird ausserdem die Lage der Blut¬
gefässe im Rückenmarkskanal, die Verzweigung der Nerven¬
wurzeln, [spez. Rami communicantes], das Ligamentum denti-
culatum und das Septum subarachnoideale besprochen, auch
der physiologischen Engen und der Zysternen resp. der hier
liegenden Nerven wird Erwähnung getan. Zum Schlüsse geht
Redner auf die Untersuchungen von Quincke und Axel
Key und R e t z i u s betreff den Zu- und Abfluss des Liquors,
Tela chorioidea, Foramen Magendi, Aperturae laterales etc.
kurz ein.)
Meine Herren, wenn auch bezüglich der Technik einesteils
in der Literatur ziemliche Uebereinstimmung besteht, so gehen
doch andererseits die Anschauungen bezüglich der Injektions¬
stelle. der Wahb der Applikationsweise und der Dosis der
Mittel sehr auseinander. Die einen injizieren in liegender,
andere in sitzender Stellung, die einen wählen den ersten oder
den zweiten, die anderen den dritten oder vierten Interarkual-
raum zur Injektion. Auf der einen Seite wird Novokain oder
Alypin verwandt, auf der anderen wird dem Stovain oder
7 t opakokain der Vorzug gegeben. Bald werden grosse oder
kleine Dosen nicht konzentrierte, oder konzentrierte Lösungen
injiziert, denen Suprarenin, Adrenalin oder auch nichts zu¬
gesetzt sind.
Im Folgenden nun eine bis ins Detail gehende Beschreibung
der in der hiesigen Chirurgischen Klinik üblichen Technik der
Lumbalanästhesie. Zur Punktion des Rückenmarkskanals wird
das sogen. Q u i n c k e sehe „Besteck zur Lumbalpunktion“ ge¬
bt aucht; das ist eine Rekordspritze mit einer langen Hohlnadel,
die mit einem Mandrin versehen ist. Dieses Instrumentarium
vird in Wasser ausgekocht, nicht in Sodalösung, da Soda
erstens die Wirkung des Anästhetikums beeinträchtigt oder
event. aufhebt und zweitens das Gewebe sehr stark reizt und
infolgedessen Nacherscheinungen wie Kreuz- und Kopf¬
schmerzen auslöst. Nach dem Auskochen kommen die Instru¬
mente in warme Kochsalzlösungen und wird die Spritze erst
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1625
dort nach gründlicher Reinigung des Kolbens mit einem Tupfer
zusammengesetzt. Der Mandrin wird unter gleichzeitiger
Drehung um die Längsachse öfters in die Hohlnadel ein- und
ausgeführt, damit event. angesetzter Rost1) mechanisch ent¬
fernt wird. Der Mandrin wird nun ebenfalls mit feuchten Koch¬
salztupfern gereinigt und die Hohlnadel mehrmals durchge¬
spritzt. Man lässt nun den Patienten aufrecht mit vornüber¬
gebeugtem Kopfe sich hinsetzen. Nun füllt man, nach gründlicher i
Reinigung des Rückens mit Aether und Alkohol, die Spritze mit
dem angewärmten Anästhetikum. Früher nahmen wir in einigen
Fällen Novokain, das wir aber wegen der starken Nacher¬
scheinungen wieder aufgaben. Das Stovain, das wir in über
250 Fällen gebrauchten, haben wir ebenfalls wieder verlassen
infolge der starken Wirkung auf die motorischen Nerven (Ge¬
fahr der Phrenikuslähmung). Ausserdem ist schon nach kurzer
Zeit in den im Handel erschienenen Stovainphiolen freie Salz¬
säure nachweisbar und hiervon scheinen auch bei subkutaner
Injektion die bekannten Reizerscheinungen des Stovains her¬
zurühren. Wir verwenden jetzt ausschliesslich Tropakokain
und zwar nehmen wir als höchste Dosis für hohe Anästhesien
1,2 ccm einer 5 proz. Tropakokainlösung (gleich 0,06), gehen
aber bei kurz dauernden Operationen (Hernien) mit der Menge
des Mittels bis auf 0,03 (gleich 6 Teilstriche) herunter.
Als Injektionsstelle wählen wir für hochgehende Anästhe¬
sien (Laparotomien) den ersten Interarkualraum, bei tieferen
Anästhesien oft den zweiten, für Hämorrhoiden haben wir in
einzelnen Fällen sogar den dritten Interarkualraum vorgezogen.
Man sucht sich mit der Jac ob y sehen Linie, d. i. die Ver¬
bindungslinie der beiden Cristae oss. il. den vierten Dornfort¬
satz auf und zählt von hier nach oben die einzelnen Dornfort¬
sätze ab. Die Höhe der Darmbeinkämme variiert aber, sodass
die Verbindungslinie zuweilen auf den dritten Dornfortsatz,
oder zwischen dritten und vierten, oder auch zwischen vierten
und fünften fällt. Man zählt infolgedessen am besten zur Kon¬
trolle auch immer von der letzten Rippe nach abwärts und
nimmt im Zweifelfalle den unteren Zwischenraum. Man sticht
nun mit der Hohlnadel genau in der Medianlinie senkrecht
gegen die Rückenfläche des Patienten ein. Seitliches Ein¬
stechen ist nicht anzuraten, da hierbei häufiger Venenver¬
letzungen Vorkommen, auch Verletzungen der Nervenfasern,
ausserdem bekommt man nur mangelhaften Liquorabfluss und
zuweilen halbsseitige Anästhesien. Nach der Durchbohrung
der Haut entfernt man den Mandrin, damit man sofort bei
weiterem, langsamen Vordringen durch das Ligamentum inter¬
spinale, Lig. flavuni etc. den .Moment des Eindringens in den
Subarachnoidealranm beobachten kann. Dies dokumentiert
sich erstens durch das Gefühl des geringeren Widerstands und
zweitens durch das Ausfliessen des Liquors im Strome oder
in rascher Tropfenreihenfolge. Gelangt man mit der senkrecht
eingeführten Nadel beim Einstich auf Knochen, so senkt man
die Nadel, nachdem man sie etwas zurückgezogen hat und
dringt in veränderter Richtung etwas schräg nach oben vor.
Meine Herren, es besteht die Möglichkeit, dass man sich
im Wirbelkanal befindet und doch kein Liquor abfliesst.
Es kann dies daher kommen, dass die Oeffnung der Kanüle
durch einen Nerv verlegt wird. Man dreht in diesem Fall die
Kanüle in ihrer Längsachse und wird dann ein rasches Ab-
fliessen des Liquors hiermit erzielen. Die zweite Möglichkeit
ist die, dass man beim Durchstechen der Bänder mit einem
Ruck gleich durch den ganzen Subarachnoidealraum hindurch¬
gelangt und auch die vordere Durafläche durchbohrt, oder man
ist überhaupt noch nicht im Durasack. In diesem Fall muss
man die Nadel etwas zurückziehen oder vorführen. Fliesst
nun der Liquor im Strome ab, so wird die Injektion ohne vor¬
heriges Aspirieren des Liquors möglichst langsam vollzogen,
damit keine erheblicheren Druckschwankungen im Liquor auf-
treten können.
Wie erwähnt, wärmen wir die Injektionsflüssigkeit vorher
an, um auch jeglichen Kältereiz auszuschalten. Zur besseren
Verteilung des Anästhetikums im Liquor aspirieren wir nun
2 ccm und injizieren von Neuem in eben so langsamer Weise.
Grössere Mengen zu aspirieren — Bier geht bis zu 10 ccm —
1) Aus diesem Grunde verwenden wir jetzt nur noch Injektions¬
nadeln aus Platiniridium.
No. 33.
halte ich infolge der Druckschwankungen für nicht ganz harm¬
los. Wünscht man eine hochreichende Anästhesie, so kann
man durch rasches Injizieren das Anästhetikum im Arach-
noidealsack hochtreiben, es wird sich aber empfehlen, lieber
2 — 3 mal geringe Mengen von 2 ccm zu aspirieren und wieder
zu injizieren. Man hat ja zudem die Beckenhochlagerung zur
Verfügung, mit der man das Mittel in schonender Weise nach
oben transportieren kann. Will man eine Anästhesie am
Damm, so verzichtet man auf mehrmaliges Aspirieren sowie
auf Beokenhochlagerung, legt event. die Stauungsbinde am
Hals an, um eine Blutüberfüllung im Hirn und eine vermehrte
Liquorabsonderung und damit ein Zurückhalten des Anästheti¬
kums in den unteren Partien des Subarachnoidealraumes zu
bewerkstelligen. Ausserdem kann man dem Anästhetikum
noch Suprarenin zufügen, wodurch ein langsameres Einpor-
steigen des Anästhetikums im Duralsack und infolge herab¬
gesetzter Resorption auch eine zeitliche Verlängerung der
Anästhesie erzielt wird.
Sofort nach der Injektion wird der Patient langsam auf den
Rücken gelegt und je nachdem Beckenhochlagerung auf 3 bis
8 Minuten ausgeführt.
Das in den Subarachnoidealraum injizierte Anästhetikum
wird von der nervösen Substanz, sei es physikalisch oder
chemisch, gebunden und so dem weiteren Transport im Sub¬
arachnoidealraum entzogen. Man kann sich vorstellen, dass
in vielen Fällen die ganze eingebrachte, wirksame Substanz
schon in den unteren Partien des Subarachnoidealraumes ge¬
bunden wird, sodass überhaupt nichts nach oben gelangt,
van L i e r aus Amsterdam hat experimentelle Untersuchungen
über die Einwirkung des Stovains auf die Rückenmarkszellen
gemacht und nachgewiesen, dass an der Injektionsstelle kurz
nach der Injektion- die Rückenmarkszellen stark hydropisch ge¬
schwollen sind. Die N i s s 1 sehen Körperchen weisen einen
körnigen Zerfall auf und sind stärker gefärbt. Der Kern der
Zelle ist aufgeblasen. In den höher oben gelegenen Partien
des Rückenmarks bestehen geringere Erscheinungen, während
in der Gegend der Medulla oblongata normale Verhältnisse
vorliegen. Zugleich wies van L i e r darauf hin, dass es sich nur
um eine vorübergehende Erscheinung handelt, dass schon nach
6 Stunden eine bedeutende Besserung der Verhältnisse ge¬
geben und nach 24 Stunden ein normales Aussehen der Zellen
vorhanden sei.
Klinisch treten nach der übrigens schmerzlosen Injektion
des Anästhetikums folgende Erscheinungen auf: Die Patienten
verspüren sofort ein Hitze- oder Kältegefühl in den Beinen, be¬
merken ein Ameisenkriechen, die Beine werden schwer. Die
Reflexe sind abgeschwächt und erlöschen nach ca. 3 Minuten
und es treten motorische Störungen auf. Die Anästhesie, die
schon nach einer Minute am Damm und an der Hinter- und
Innenseite des Oberschenkels sich kund gibt, greift schliess-
sich auf beide Beine, auf den Rumpf event. bis zur Mamma, oder
gar bis zum Hals über. Zuerst verschwindet die Schmerz¬
empfindung, während die Tastempfindung in seltenen Fällen in
geringem Grade erhalten bleibt. Durchschnittlich nach iK bis
1 Stunde gehen die Erscheinungen zurück, und zwar ver¬
schwinden zuerst die Motilitätsstörungen, dann kehren die Sen¬
sibilität und die Reflexe wieder. Ausnahmen vom normalen
Verlauf sind jedoch durchaus nicht zu selten. Es kommen in¬
folge mangelhafter Technik uoch Versager vor, auch wurden
zuweilen zeitlich nicht ausreichende Anästhesien beobachtet.
Es treten Begleiterscheinungen auf, wie blasses Aussehen,
Würgen, Erbrechen, Pulsbeschleunigung, schwere Kollapse und
selbst Todesfälle. Auch Nacherscheinungen, wie Kreuz-, Kopf-
und Nackenschmerzen werden häufig beobachtet. Sie treten
zum Teil schon am Operationstage, zum Teil erst nach 3—4,
ja erst später auf und sind je nach der Schwere von 1 ständiger
bis zu wochenlanger Dauer. Derartige Nacherscheinungen
wurden auch von den Neurologen nach einfachen Lumbal¬
punktionen sehr häufig konstatiert und werden als eine menin-
geale Reizung, als eine aseptische Meningitis bezeichnet, _ von
anderen als Ueber- oder Hochdruckerscheinungen aufgefasst.
Weiterhin sind unter die Nacherscheinungen auch Lähmungen
zu zählen. Ich erinnere an den bekannten Fall von König,
an mehrere mitgeteilte Peroneus- und Augenmuskellähmungen.
Auf die Häufigkeit des Zustandekommens dieser letzteren
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Lähmungen will ich hier nicht näher eingehen, da ich erst kürz¬
lich in der Münchener medizinischen Wochenschrift meine
Gründe hiefür niedergelegt habe. Sie sind durch die ana¬
tomische Lage der Nerven in einer Zysterne und dem langen
Verlauf im Subarachnoidealraume bedingt und kommen durch
Einwirkung des Anästhetikums direkt auf die Nerven zustande,
gerade so wie der Atmungsstillstand in einzelnen Fällen, wie
von anderer Seite erwähnt, auf Phrenikuslähmung zurückzu¬
führen ist und nicht etwa auf Lähmung des Atmungszentrums
beruht.
Die isolierten Lähmungen einzelner Nerven z. B. des
Peroneus können erstens durch Anstechen des Nerven bei
der Injektion zustande kommen, denn durch Injektionen in die
Nerven wird eine schollige Degeneration in den Nerven erzielt,
während sonst bei Berührung des Nerven mit dem Anästheti-
kum keine Veränderung des histoloischen Bildes auftritt.
Zweitens können sich durch intensivere Einwirkung des
Anästhetikums spez. des Stovains auf die Nerven neuritische
Prozesse einstellen und eine Lähmung zur Folge haben.
Wenn ich auf unsere Resultate von 450 Lumbalanästhesien
zu sprechen komme, so möchte ich erwähnen, dass Dr. Haub er
über die ersten 200 Fälle im Archiv für klinische Chirurgie ein
ausführliches Referat gebracht hat. Während damals der Pro¬
zentsatz der Begleit- und Nacherscheinungen noch ein relativ
hoher war, sind in den übrigen 250 Fällen speziell in den letzten
150 Fällen die Resultate wesentlich gebessert, sodass über¬
haupt nur 20 Proz. der Patienten an Begleit- und Nacher¬
scheinungen zu leiden hatten. Die Begleiterscheinungen er¬
strecken sich nur auf Blässe des Gesichtes, Würgen und in
einigen Fällen auf Erbrechen, während wir niemals schwere
Erscheinungen wie Kollaps oder gar einen Todesfall zu ver¬
zeichnen hatten. Auch haben wir niemals schwerere Nach¬
erscheinungen ausser Kopf-, Kreuz- und Nackenschmerzen
registrieren können, die sich auf die Dauer von einigen Stunden
event. auf mehrere Tage erstreckten. Die schwersten Er¬
scheinungen werden dargestellt durch 4 Abduzensparesen,
die spontan wieder zurückgingen und von denen einer auf
Tropakokain fällt.
Ich bin geneigt, die guten Resultate auf die verbesserte
Technik und die jetzige Anwendung des Tropakokains zu¬
rückzuführen.
Falls wir einmal starke Begleiterscheinungen bekommen
sollten, wie Kollaps oder Atmungslähmungen, so würde ich
erstens die sofortige Punktion des Arachnoidealsackes und
Ablassen von Liquor (ca. 5 — 6 ccm) vornehmen. Es würde
hierdurch das injizierte Anästhetikum wohl völlig entfernt oder
wenigstens ein starkes Sichsenken des Niveaus durch den von
oben nachdrückenden Liquor erzielt. Zweitens würde ich so¬
fort künstliche Atmung einleiten, drittens Koffein zur Hebung
des Blutdrucks subkutan injizieren, viertens eventuell die
Stauungsbinde am Halse anlegen.
Als Gegenmittel gegen die Nacherscheinungen wurden
Phenazetin und Aspirin etc. gegeben, mit meist nur geringem
Erfolge. In zwei Fällen erzielten wir mit Koffein sehr rasch
eine Beseitigung heftiger Kopfschmerzen. Es wird ferner das
I ieflagern des Kopfes, oder das Ablassen von Liquor emp¬
fohlen. Von Krönig wurden zweimalige Schwitzbäder im
Lichtbad von je 34 Stunde Dauer mit sehr gutem Erfolge ver¬
ordnet. Vielleicht Hesse sich auch durch die Stauungsbinde
in Kombination mit anderen Mitteln eine günstige Wirkung
erzielen. Wie wir sehen, gehen alle Verordnungen aus auf die
Beseitigung des Anästhetikums oder dessen Abbauprodukten.
Entweder durch Steigerung des Blutdrucks, durch künstliche
Blutstauung im Gehirn, durch Punktion oder Schwitzbäder
und soll hiernit eine Art Durchspülung des Subarachnoideal-
raumes erzielt werden.
Meine Herren, gegen die üblen Nacherscheinungen stehen
uns aber vor allem noch prophylaktische Gegenmittel zur
Verfügung.
1. eine gute lechnik; man soll bei der Injektion nicht viel
herumstochern, da hierdurch leicht Blutungen zustande
kommen können;
2. soll man als Anästhetikum das relativ harmlose Tropa¬
kokain verwenden, nicht das Stovain;
3. müssen die kleinen Dosen beibehalten werden;
4. dürfen keine konzentrierteren Lösungen gebraucht
werden, da hierdurch eventuell physikalische Kräfte, Zug¬
wirkungen bis in die entfernteren Partien des Subarach-
noidealraumes ausgelöst werden;
5. ist unbedingte Ruhe in Rückenlage, womöglich mit er¬
höhtem Oberkörper wenigstens nach der Operation notwendig;
6. muss die Beckenhochlagerung, wo es nicht unbedingt
notwendig ist, in Wegfall kommen;
7. kann event. die Stanungsbinde am Hals in Verwendung
kommen;
8. wäre es zu überlegen, ob man nicht sofort nach der
Operation Koffein subkutan injizieren soll, um damit eine
Steigerung des Blutdruckes und somit eine vermehrte Liquor¬
absonderung zu erzielen. Es wäre so die Möglichkeit gegeben,
den mit dem Anästhetikum versetzten Liquor rasch aus dem
Subarachnoidealraum auf natürlichem Wege zu entfernen.
(Inzwischen wurde dies bei mehreren Fällen durchgeführt und
sind sämtliche Fälle bis jetzt ohne Nacherscheinungen ge¬
blieben.)
Wir machen den ausgiebigsten Gebrauch von der Lumbal¬
anästhesie, so bei sämtlichen Operationen an den unteren
Extremitäten, bei denen die Lokalanästhesie nicht anwendbar
ist, bei Operationen am Damm und Rektum speziell bei
Hämorrhoiden und Karzinomen, bei sämtlichen Hernien. Bei
Laparotomien Hess die Lumbalanästhesie zum Teil im Stich,
aber seit wir Tropakokain verwenden, und wir infolgedessen
stärkere Beckenhochlagerungen in Anwendung bringen
können, haben wir die Lumbalanästhesie auch auf Laparo¬
tomien ausgedehnt. Zerren am Mesenterium, Ziehen am
Magen und Darm wurde anfangs sehr unangenehm gefunden
und wurden direkte Schmerzen hierdurch ausgelöst. Es wer¬
den ja auch nur die Rami communicantes des Sympathikus
(Phrenikus- und Vagusfasern) von der Lumbalanästhesie be¬
troffen, nicht aber der Sympathikus selbst, der nach Anschau¬
ung der Anatomen keine sensiblen Fasern führen soll. Jedoch
ist diese Anschauung speziell nach den .Untersuchungen von
B u c h jetzt nicht mehr haltbar. Wir gaben deshalb zur Be¬
einflussung des Sympathikus 20 — 30 Minuten vor der Opera¬
tion eine %- bis 1 Spritze einer 2 proz. Morphiumlösung (0,015
bis 0,02) und waren nun mit den erzielten Resultaten ausser¬
ordentlich zufrieden. Es wurden mehrere Gastroentero¬
stomien, eine Magenresektion, Enteroanastomosen, Perityph¬
litisfälle, selbst im Anfall schmerzlos operiert. Auch bei ner¬
vösen Kranken, die zur Lumbalanästhesie sonst nicht geeignet
sind, haben wir jetzt nach Morphiuminjektionen sehr gute Re¬
sultate erzielen können, so dass wir bei sämtlichen Kranken
vom 13. Lebensjahre an bis ins hohe Alter Operationen bis
zur Mamma vornehmen, vorläufig mit Ausnahme von Nieren¬
operationen, da behauptet wurde, dass nach Lumbalanästhesien
Nierenreizungen zustande kämen. Die von uns in letzter Zeit
nach dieser Richtung hin erfolgten Nachuntersuchungen führten
bis jetzt noch zu keinem positiven Ergebnis.
Als Kontraindikation für Lumbalanästhesie möchte ich in
Uebereinstimmung mit Gerstenberg anführen :
1. frische oder schlecht behandelte Syphilis;
2. Fieber mit unbekannter Herkunft;
3. septische Zustände, da hierbei leicht durch die Injektion
ein Locus minoris resistentiae mit seinen Folgezuständen ge¬
schaffen werden kann;
4. schliessen wir auch Patienten mit Leiden des Zentral¬
nervensystems, z. B. Tabes, aus;
5. hochgradige Skoliosen.
M. H. ! Wenn wir nun ein Resümee ziehen, und gleich¬
zeitig in Betracht ziehen, dass die Methode noch neu und in der
Entwicklung begriffen ist und dass durch weitere Verbesserung
der Technik und Mittel die Begleit- und Nacherscheinungen
immer mehr ausgeschaltet werden können, so glaube ich, dass
die Lumbalanästhesie, wenn sie auch die Inhalationsnarkose .
nicht völlig zur Seite drängen kann, doch zu den weitesten
Hoffnungen vollauf berechtigt.
Literatur:
1. Bier: Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1899, Bd. 51. 2. Ders.:
Verhandl. d. Deutsch. Oeselisch, f. Chir. 30. Kongress 1901, 34. Kon¬
gress 1905. 3. Ders.: Zur Geschichte der Rückenmarksanästhesie.
Münch, med. Wochenschr. 1906. 4. D u m o n t: Handb. d. allgemeinen
und lokalen Anästhesie 1903. 5. Braun: Die Lokalanästhesie 1905.
iS. August 1907. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1627
6. Seldowitzsch: Ueber Kokainisierung des Rückenmarks nach
Bier. Präparate in der Münch. med. Wochenschr. 1899. 7. Kreis:
lieber Medullarnarkose bei Gebärenden. Referat in der Miinch. med.
Wochenschr. 1900. 8. Tuffier: Ueber medulläre Kokainanästhesie.
Ref. i. d. Münch, med. W. 1900. 9. Ders. : Chaput Nelaton Ricard,
Reclus, und Guinard. Vorträge in der Societe de Chirurgie. Referat
in der Münch, med. Wochenschr. 1901. 10. Klapp: Experimentelle
Studien über Lumbalanästhesie. Arch. f. klin. Chir. 1905. 11. Son¬
nenburg: Rückenmarksanästhesie mittels Stovain. Deutsche
med. Wochenschr. 1905. 12. Slaymer: Erfahrungen über Lumbal¬
anästhesie mit Tropakokain in 1200 Fällen. Wiener med. Wochen¬
schrift 1906. 13. Dönitz: Wie vermeidet man Misserfolge bei
Lumbalanästhesie? Münch, med. Wochenschr. 1906. 14. Lazarus:
Zur Lumbalanästhesie. Med. Klinik 1906. 15. Schönborn: Be¬
richt über Lumbalpunktionen an 230 Nervenkranken. Med. Klinik
1906. 16. H e i n e k e und L ä w e n: Erfahrungen über Lumbal¬
anästhesie mit Stovain und Novocain mit besonderer Berück¬
sichtigung der Neben- und Nachwirkungen. Beiträge zur klinischen
Chirurgie. 17. Finkelnburg: Neurologische Beobachtungen
und Untersuchungen bei der Rückenmarksanästhesie mittelst Kokain
und Stovain. Münch, med. Wochenschr. 1906. 18. Edinger: Vor¬
lesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane. Leipzig 1896.
19. Krönig: Verhandlungen der deutsch. Gesellsch. f. C-hir. XXXV.
Kongress 1906. 20. Ders.: Naturforscherversammlung zu Stuttgart
1906. Referat im Zentralbl. f. Gynäkologie 1906, 44. 21. Opitz:
Münch, med. Wochenschr. 1906, 18. 22. Veit: Berliner klin. Wochen¬
schrift No. 8. 23. Quincke: R e i c h e r t s und Du bois Rey-
monds Archiv. Jahrg. 1872. 24. Ders.: Deutsche Klinik, Bd. VI,
Teil 1. 25. Axel Key und Retzius: Studien in der Anatomie des
Nervensystems und des Bindegewebes. Stockholm 1875 und 76.
26. Gerstenberg: Meine Erfahrungen mit B i e r scher Lumbal¬
anästhesie. 27. Dö der lein und Krönig: Operative Gyn. 1907.
28. A d a m: Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 8. 29. L ö s e r : Med.
Klinik 1906, No. 10. 30. Röder: Münch, med. Wochenschr. 1906,
No. 23. 31. Hermes: Med. Klin. 1906, No. 13. 32. D e e t z: Münch,
med. Wochenschr. 1906, No. 28. 33. B e c k e r: Münch, med. Wochen¬
schr. 1906, No. 28. 34. Landow: Münch, med. Wochenschr. 1906,
No. 30. 35. Mühsam: Deutsch, med. Wochenschr. 1906, No. 35.
36. Lang: Deutsch, med. Wochenschr. 1906, No. 35. 37. Bai sch:
Beiträge zur klin. Chir. v. Bruns. 52. Bd., 1. Heft, 1906. 38.
Rauscher: Zentralbl. f. Gyn. 1906, No. 41. 39. Hauber: Arch.
f. klin. Chir., 81. Bd., 2. Abt. 40. Schwarz: Zentralbl. f. Chir.
1907, No. 13.
Aus der Kgl. chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin (weiland
Exz. v. Bergmann).
Erfolgreiche Uebertragung eines Spindelzellensarkoms
des Oberarms beim Hunde.
Von Dr. Anton Sticker, Assistent (aus den Mitteln der
Jakob Plauth-Stiftung).
Meine bisherigen Erfolge der Geschwulstübertragungen
beim Hunde beziehen sich auf Rundzellensarkome, welche
spontan an den Geschlechtsorganen des Hundes beobachtet
wurden, sich experimentell in die Unterhaut, die Submukosa,
die serösen Körperhöhlen, die Knochen implantieren Hessen und
in zahlreichen Fällen zur allgemeineren Metastasenbildung mit
letalem Ausgang der Versuchstiere in 2 — 2K Monaten führten.
Ausser dem von einem Penissarkom eines Stuttgarter Hundes
abgeleiteten Stamm, der bis heute bei über 200 Hunden in zahl¬
reichen Versuchsreihen durch 18 Generationen hindurch fort¬
gepflanzt wurde, besitze ich zwei andere Stämme, welche ich
der Güte Prof. Bashfords - London und Prof. Regen¬
bogens- Berlin verdanke. Sie leiten ihren Ursprung von
spontanen Vaginaltumoren her und zeigen bezüglich ihrer An-
siedelungs- und Wachstumsverhältnisse gleiche Eigenschaften
wie der Stuttgarter Stamm.*)
Nunmehr ist es mir gelungen, ein Spindel¬
zellensarkom des Oberarms von Hund auf
Hund zu übertragen und damit die Zahl der
beim Hunde transplantabien malignen Tu¬
moren um eine neue Art zu vermehren. Ich ver¬
danke diesen Fall der gütigen Vermittlung des Professor
Claude du Bois-Reymond - Berlin,
Am 21. Februar ds. Js. wurde mir ein Hund mit gewaltigem
Oberarrntumor zugeführt. Eine Röntgenaufnahme zeigte, dass der
Tumor unmittelbar bis an den Humerus heranreichte und an einer
*) Anmerkung während der Korrektur: Durch die
Güte des Tierarztes Bongarz und des Tierarztes Haun Schild,
beide in Berlin, wurden mir weitere fünf Bernhardinerhunde mit trans-
plantablen Tumoren zugeführt.
deutlich umschriebenen Stelle zwischen Periost und Knochen einge¬
wuchert war. Das untenstehende Bild, welches nach dieser Röntgen¬
aufnahme angefertigt wurde, gibt über Sitz und Ausbreitung der Ge-
j schwulst Auskunft. Dass es sich um einen höchst malignen Tumor
handelte, ergab der übrige Befund. Es war ein 7 Jahre alter schot¬
tischer Windhund (Greyhound), stark kachektisch, mit haselnuss¬
grossen Metastasen in den Achseldrüsen, enteneigrosser Geschwulst
kn linken Hoden und anschenind zahlreichen Metastasen in den
Lungen.
Anamnestisch wurde folgendes eruiert: Am 5. Juni 19C6 wurde
bei fraglichem Hunde eine walnussgrosse, verschiebbare Geschwulst
am linken Oberarmbein beobachtet. Eine Behandlung mit Jodvasogen
und Jodtinktur blieb erfolglos. Am 12. Juli war der Tumor faustgross.
Oberstabsveterinär R. Körner in Erfurt nahm eine operative Ent¬
fernung vor. Ende Juli war die Wunde vollkommen verheilt. Anfang
Oktober zeigte sich ein lokales Rezidiv von der Grösse einer Walnuss,
welches seitdem ununterbrochen fortwuchs und die Gebrauchsfähig¬
keit des Schenkels mehr und mehr beeinträchtigte. Ueber die Zeit
des ersten Auftretens der Hodengeschwulst konnte nichts in Er¬
fahrung gebracht werden.
Am 23. Februar d. J. exstirpierte ich die ganze Geschwulst des
Oberarms. Der Wundverlauf war ziemlich glatt; es blieb eine 15 cm
lange Hautnarbe zurück. Auch der linke Hoden wurde exstirpiert.
Trotz der regelmässigen Nahrungsaufnahme magerte das Tier sicht¬
lich ab, Atmungsbeschwerden traten auf und am 26. März Exitus
letalis. An der Operationsstelle fand sich ein haselnussgrosses Re¬
zidiv der Weichteile, beide Lungen durchsetzt von zahlreichen linsen-
bis kirschgrossen, weissgrauen, derben Knoten, welche sich scharf
vom Lungengewebe absetzten; bei den unmittelbar unter der Lungen¬
oberfläche gelegenen fand sich eine nabelartige Einziehung der
Pleura. In der letzten linken Rippe eine linsengrosse Metastase.
In der linken Achseldrüse ein haselnussgrosser Knoten. Das Periost
des distalen Endes des Humerus war durch eine bleistiftstarke Ge¬
schwulstmasse vom Knochen abgedrängt.
Die mikroskopische Untersuchung der operativ entfernten Ge¬
schwulst und der bei der Sektion gewonnenen Tumoren ergab ein
typisches Spindelzellensarkom: Spindelige Zellen mit grossem Kern
und wenig Zwischensubstanz zu Bündeln gruppiert, welch letztere
sich in verschiedenen Richtungen durchflochten.
Uebertragungsversuche: Unmittelbar nach der Ex¬
stirpation des Tumors am 23. Februar wurden bei 4 Hunden je zwei
subkutane und intraperitoneale Implantationen vorgenommen. Die
bei den letzteren beiden Hunden am 42. bezw. 56. Tage ausgefühlte
Probelaparotomie zeigte auf dem grossen Netze zahlreiche grieskorn-
2*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
grosse, blendendweisse fibröse Knötchen mit vaskularisierter Um¬
gebung, deren mikroskopische Untersuchung keine Geschwulstzellen
aufwies. In der Unterhaut der beiden anderen Hunde entwickelten
sich deutliche Tumoren, welche schon am 42. Tage Mandelkerngrösse
erreichten und zu weiteren Uebertragungen exstirpiert wurden. Die
mikroskopische Untersuchung derselben zeigte denselben Typus, wie
der Spontantumor.
Indem ich mir weitere Mitteilungen über den Verlauf der
Uebertragung des Spindelzellensarkoms Vorbehalte, möchte ich
mit wenigen Worten auf die Bedeutung dieser und anderer Ge¬
schwulstübertragungen für die Menschenpathologie hinweisen.
Ich weiss sehr wohl und habe dies auch schon bei anderen Ge¬
legenheiten zum Ausdruck gebracht, dass Ergebnisse des
Tierexperiments nicht ohne weiteres auf den Menschen zu
übertragen sind; zum Nachdenken über analoge Erscheinungen
beim Menschen dürften sie aber von besonderem Werte sein.
Nachdem die maligne Geschwulst beim Tier sich in mancherlei
Fällen als übertragbar gezeigt hat, drängt sich die Frage:
Gibt es auch beim Menschen übertragbare
m a 1 i g n e Geschwülste? mit grösserer Lebhaftigkeit als
früher auf und die bisherige schroff ablehnende Haltung gegen¬
über den Deutungen gewisser empirischer Beobachtungen —
ich erinnere nur an den Ehegattenkrebs — im Sinne einer spon¬
tanen Uebertragung erscheint minder berechtigt. In den meisten
histologischen Arbeiten über die Geschwülste findet man die
Frage, von welchem Gewebe stammen die Geschwulstzelled ab,
unmittelbar mit der ätiologischen Frage verknüpft. Man nimmt
für dieses oder jenes Gewebe nur diese oder jene Veränderung
an, und die Geschwulstentstehung scheint erklärt zu sein. Die ge-
stellte Aufgabe verhält sich also wie eineGleichung mit zweiUn-
bekannten. Mit der Auffindung des Gewebes, aus welchem die
Geschwulstzelle ihre Abstammung nahm, wird die eine Un¬
bekannte eliminiert, für die andere Unbekannte, die maligne
Eigenschaft der Zelle, fand man bis jetzt nur hypothetische
Werte, welche einer der zahlreichen Geschwulsttheorien ent¬
lehnt werden; bald ist es ein Parasit, bald eine chemische, bald
eine physikalische Ursache. Die experimentelle For¬
schung führte zu ganz anderem Ergebnis. Ihr
gelang es, in ein normales Gewebe Ge¬
schwulstzellen zu implantieren, und zwar mit
dem Erfolge, dass diese zur Fort Wucherung
schritten und eine Geschwulstkrankheit mit
allen ihren Folgen (Metastasenbildung, töd¬
lichen Ausgang) erzeugten. Weder die Frage nach
der Abstammung der Geschwulstzellen von irgendwelchem
Gewebe, noch auch die Frage nach der Ursache, woher die
maligne Eigenschaft dieser Geschwulstzelle, kommen in Be¬
tracht. Mit der Auffindung der Geschwulstzelle als des Trä¬
gers und Verbreiters der Krankheit, war das X — eine
andere Unbekannte gab es nicht — gefunden. Solche und
andere Erwägungen waren es, welche mir den Satz diktierten:
Meine und anderer Uebertragungsversuche zwingen, mit der
bisherigen Anschauung, welche insbesondere die patho¬
logischen Anatomen vertreten und gemäss welcher ein jedes
Sarkom und Karzinom seinen Ausgang unbedingt von irgend¬
welchen Körperzellen des Erkrankten nehmen müsse, zu
brechen. Ich war zu dieser Auffassung gekommen, weil ich,
um es nocheinmal zu wiederholen, in der gewaltigen kasuisti¬
schen Literatur der bösartigen Geschwülste, die Frage nach
dem Ursprung der primären Geschwulst immer wieder vor¬
nehmlich von dem histogenetischen Standpunkt aus erörtert
fand, selten oder niemals aber der Fragestellung begegnete:
Ist im vorliegenden Falle an einen ektogenen Ursprung der Ge¬
schwulst zu denken? In der Allgemeinheit, in der ich -den obi¬
gen Vorwurf den pathologischen Anatomen machte, kann ich
jedoch den Satz nicht aufrecht halten, und ich nehme ihn als
unberechtigt zurück. Vor allem haben gerade die massgeben¬
den Pathologen J) in ihrem Kampfe mit den Anhängern der
parasitären Theorie ausgeführt, dass die transplantierten Ge¬
schwülste nicht aus Zellen des Individuums, auf welches trans¬
plantiert worden ist, sondern aus den transplantierten Zellen
hervorgehen, somit also klar und deutlich die Möglichkeit des
ektogenen Ursprungs einer Geschwulst zugegeben. Aber ich
gehe noch einen Schritt weiter. Ohne die histogenetische For¬
schung wäre keine so schnelle Einigung zwischen der patho¬
logisch-anatomischen und der neuen experimentellen Ge-
schwnlstforschung möglich gewesen. Indem die pathologische
Anatomie für jedes Geschwulstgewebe die Verwandtschaft mit
irgend einem Körpergewebe streng wissenschaftlich nach¬
gewiesen und die Abstammung der Geschwulstzellen von Kör¬
perzellen des Wirtes behauptete, arbeitete sie der experimen¬
tellen Geschwulstforschung vor, welche nach hundertfältigen
vergeblichen Versuchen * 2), Geschwülste des Menschen auf das
Tier oder Geschwülste der Tiere auf andere Arten zu über¬
tragen, erst Erfolge erzielte, als sie ihre Ueber¬
tragungen innerhalb derselben Art vornahm
und somit sich zu der Artspezifizität der Ge¬
schwulstzellen bekannte. Dass ein Mäusetumor
auf Mäuse und nicht auf Ratten, ein Hiin-detumor auf Hunde
und nicht auf Meerschweinchen sich übertragbar erweist, ent¬
spricht vollständig der pathologisch-anatomischen Annahme,
gemäss welcher die Geschwulstzelle von Körperzellen ab¬
stammt — und somit auch dem biologischen Gesetz,
dass Körperzellen mit Aussicht auf Erfolg nur innerhalb
derselben oder nahe verwandten Art transplantiert werden
können. Ueber eine Artspezifizität der Geschwulstzeilen
konnte die experimentelle Forschung eingehende Unter¬
suchungen anstellen. Es zeigte sich bei -dem Hundesarkom
Stickers -die Spezifizität der Geschwulstzellen als eine nicht
so eng begrenzte wie bei den Mäusetumoren. Ersteres lässt
sich noch auf den verwandten Fuchs übertragen; der Jensen-
*) Vergl. J. Orth: Die Morphologie der Krebse und die para¬
sitäre Theorie. Berliner klin. Woch-enschr. No. 11 und 12, 1905. —
D. v. Hansemann: Die mikroskopische Diagnostik der bösartigen
Geschwülste. 1902, S. 211/215.
2) Ich habe in meiner Frankfurter Zeit mehr als 400 und an der
Berliner chir. Klinik etwa 100 Versuche angestellt, Geschwülste auf
andere Arten zu übertragen — alle mit negativem Erfolg!
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1629
sehe Tumor, von der dänischen Maus stammend, lässt sich nicht
auf Berliner Mäuse übertragen. Die Artspezies der Tumorzellen
erklärt auch, dass dieselben Vorgänge, welche bei der
Transplantation arteigenen und artfremden
normalen Gewebes beobachtet werden, bei
der Geschwulstübertragung genau wieder¬
kehren. Bei den zahlreichen Transplantationen artfremder
Tumoren fand ich stets eine vom ersten Tag ab deutlich wer¬
dende Abwehrreaktion des Körpers, entzündliche Schwellung
und Wucherung des die implantierten Zellen umgebenden Ge¬
webes, welche tagelang andauerte und mit einer vollständi¬
gen Resorption oder Hinterlassung einer bindegewebigen
Narbe ihren Abschluss fand; niemals wurde eine Wucherung
der eingeführten Geschwulstzellen selber beobachtet. Anders
bei den arteigenen Geschwulstübertragungen. Das deponierte
Geschwulstmaterial verschwand in den ersten Tagen vollstän¬
dig, Anzeichen irgendwelcher Reaktion desbenachbartenKörper-
gewebes wurden nicht beobachtet. Nach einer Latenzzeit von
mehreren Tagen bis zu mehreren Wochen und Monaten trat
eine Wucherung der implantierten, in geringer Anzahl in loco
zurückgebliebenen, Geschwulstzellen ein.
Haben somit pathologisch-anatomische und experimentelle
Geschwulstforschung übereinstimmende biologische Resultate
gezeitigt, so sehen wir auch noch ein anderes gleichstimmiges
Ergebnis. Bei der experimentellen Geschwulst¬
übertragung nimmt der Tumor von wenigen
an Ort und Stelle etablierten Geschwulst-
zellen seinen Ausgang und tritt zu dem um¬
gebenden Gewebe nur insoweit in Beziehung,
als es zu seiner Ernährung notwendig! st. Auch
die pathologischen Histologen, am unermüdlichsten die R i b -
b e r t sehe Schule haben gezeigt, dass die sog. Uebergänge
von gesundem Gewebe in Tumorgewebe in den meisten Fällen
auf ungenügender Untersuchung oder falscher Deutung be¬
ruhen, dass vielmehr das Wachstum aller malignen
Tumoren aus sich heraus von wenigen Zellen
ohneUmwandlung des Nachbargewebes statt¬
findet. Die Zukunft muss lehren, ob beide Forschungen sich
noch mehr nähern werden, ob alle Tumoren auf dm fötalen
oder postembryonalen Leben implantierte Zellen zurück¬
zuführen sind, mit anderen Worten, ob die Tumorzellen
zwar arteigene, aber nicht körpereigene Zel¬
len darstellen.
Ueber die Registrierung mechanischer Vorqänqe auf
elektrischem Wege, speziell mit Hilfe des Saitengalvano¬
meters und Saitenelektrometers.*)
Von Max Creme r.
Die ungemeine Rapidität der Einstellung, die den
beiden hauptsächlichsten Saiteninstrumenten — dem
Saitengalvanometer und dem Saitenelektrometer — eigen
sind, reizt dazu, Vorgänge, die bisher vorwiegend
rein mechanisch registriert wurden, auf irgend eine
Weise mit Hilfe der genannten Instrumente zur Dar¬
stellung zu bringen. Wissen wir doch, dass es mög¬
lich ist, einen Ausschlag von ansehnlicher Grösse in weniger
als Eintausendstelsekunde bei beiden Instrumenten sich voll¬
ziehen zu lassen. Bei Einwirkung kurzer Stromstösse auf das
Saitengalvanometer, kurzer Voltstösse auf das Saitenelektro-
meter. hebt sich selbst bei einer Plattengeschwindigkeit bis zu
2 m der Faden unter Umständen scheinbar senkrecht von der
Abszissenachse ab. Nun sind die Versuche, irgendwelche
mechanischen Vorgänge auf diese Weise darzustellen, schon
so alt wie die Erfindung des Saitengalvanometers, bezw. die
Verbesserung desselben durch Einthoven. Alsbald hat
dieser Forscher mitgeteilt, dass man Töne auf das schönste,
speziell auch die Herztöne, mit dem Instrument zu registrieren
vermöge, und Töne sind schliesslich nur eine besondere Art
mechanischer Erschütterungen. Dass diese Möglichkeit der
Tonregistrierung auch bei dem Saitenelektrometer besteht,
habe ich schon bei meinem ersten Vortrag über dieses Instru-
*) Vorgetragen in der Gesellschaft für Morphologie und Physio¬
logie zu München.
ment in dieser Gesellschaft mitgeteilt1). Einen Versuch, grö¬
bere mechanische Bewegung zu registrieren hat vor einiger
Zeit Max Edelmann2) ausgeführt. Er hat die Membran
eines kleinen Telephons mit einer Pelotte versehen und benützt
das Telephon in Anwendung mit dem kleinen Saitengalvano¬
meter zur Pulsschreibung. Unabhängig von ihm habe ich das
Mikrophonprinzip in ähnlichem Sinne zu verwerten gesucht
und ich zeige hier ein kleines Mikrophon, das ich von der Firma
Reiner für diese Zwecke schon vor zwei Jahren kon¬
struieren liess.
Es lässt sich natürlich im Prinzip jede mechanische Be¬
wegung, jede Längenänderung etc. sowohl telephonisch wie
mikrophonisch registrieren; auch der Druck von Flüssigkeiten
und Gasen. Im letzteren Falle muss die Telephonmembran
oder Mikrophonmembran als Abschluss einer entsprechenden
Kapsel dienen. Was speziell das Mikrophon angeht, so ist die
Anwendung sehr einfach. Man schaltet dasselbe bei der ersten
Art der Benützung genau wie bei der von Einthoven an¬
gegebenen Registrierung von Tönen in den primären Kreis
eines Stromes ein, dessen sekundäre Spirale zu dem Einthoven¬
galvanometer abgeleitet ist. Ich habe einmal gelegentlich
einige Aufnahmen von Pulsen gemacht, die mir zwar die prin¬
zipielle Brauchbarkeit des Instrumentes dartaten, die aber
auch eine Ueberempfindlichkeit desselben ergaben. Man lei¬
det an der Schwierigkeit, dass das Mikrophon ja nicht nur auf
Druckunterschiede, sondern auch auf Töne und Geräusche an¬
spricht und dass alle möglichen Vibrationen des Armes sich in
den erhaltenen Kurven mitverraten. Ich lasse dahingestellt,
ob durch ein systematisches Durchprobieren der hier vor¬
handenen Möglichkeiten, Anwendung verschiedener Metall¬
pulver und verschiedene Arten lockerer Kontakte, Zwischen¬
schaltung der geeigneten Glieder für die Uebertragung, sich
nicht auch ein für die Puls- resp. Blutdruckschreibung brauch¬
bares Instrument wird gewinnen lassen. Aber die Puls¬
schreibung ist ja nur ein Beispiel. Jede Art von Druckänderung
lässt sich in gleicher Weise sowohl auf das Telephon wie auch
auf das Mikrophon übertragen.
Handelt es sich darum, den Moment des Beginnes einer
Muskelzuckung möglichst scharf festzustellen, so stört die bei
der Pulsschreibung zutage tretende Ueberempfindlichkeit des
Mikrophons nicht, oder sehr viel weniger, wie ich mich
durch besonderen Versuch überzeugt habe.
Sowohl das Telephon als auch das Mikrophon bei der
üblichen Schaltungsweise reagieren auf sehr langsame Aende-
rungen des Druckes nicht. Sie geben in erster Annäherung
eher den ersten Differentialquotienten der Druck- resp. der
Längenänderungen nach der Zeit, allerdings auch diesen nicht
in aller Strenge, selbst wenn die Einstellungsgeschwindigkeit
des Saitengalvanometers eine momentane wäre.
Das Mikrophon gestattet aber auch eine Schaltungsweise,
bei der die Ausschläge den Drucken direkt entsprechen.
Schaltet man nämlich in den primären Kreis ausser dem
Mikrophon auch noch einen sehr grossen Widerstand ein, gegen
den der Mikrophonwiderstand verschwindet, und sorgt für eine
hinreichende Stromstärke durch eine konstante Batterie, so
finden bei entsprechenden Druckänderungen im Mikrophon —
an den Zuleitungsstellen zu demselben entsprechende Span¬
nungsänderungen - — statt. Diese Spannungsänderungen kann
man nun sowohl mit dem Einthovengalvanometer als auch mit
dem Saitenelektrometer, eventuell unter Einschaltung eines
Kompensators, beobachten und registrieren. Für nicht allzu
langsame Aenderungen genügt als automatischer Kompensator
eine grössere Kapazität. Diese Art der Schaltung, bei der die
Fehler der Transformierung vermieden werden, lässt sich auch
zur Klanganalyse verwenden. Wenn nun auch die Einstel¬
lungsgeschwindigkeit der Saiteninstrumente sehr gross . ist
gegenüber den Hauptvorgängen, um die es sich in erster Linie
bei Puls- und Blutdruck handelt, so folgt doch nicht ohne wei¬
teres, dass die Anwendung derselben wesentlich weiterführen
muss, als es schon jetzt bei rein mechanischer Registrierung
möglich ist, wenn diese nach den von Otto Frank in den
letzten Jahren entwickelten Grundsätzen bestätigt wird. Se'bst-
1) Münch, med. Wochenschr. 1907. No. 11.
2) cf. Katalog No. 28 von Prof, Dr. M. Th. E d e 1 m a n n und Sohn,
München.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
iü3U
verständlich bleiben ja bis zur schwingenden Telephon- oder
Mikrophonmembran alle Momente, die die Kurven des wahren
Druckverlaufes fälschen, bestehen.
Ich möchte nun noch über ein drittes Prinzip berichten,
mit dem man sowohl beim Saitengalvanometer, als namentlich
auch beim Saitenelektrometer mechanische Vorgänge verfolgen
kann, nämlich über die Anwendung des Kondensatorprinzips
für die Registrierung derselben.
b Saitenelektromerer
p, * p,
< _ i _
In dem vorstehenden Schema sei b eine Batterie, die zu den
beiden Platten ci cs eines Kondensators geführt wird. In diese
Zufuhrstelle sei irgendwo das zunächst durch Schlüssel s kurz¬
geschlossene Saitenelektrometer eingeschaltet, dessen beide
Polplatten pi und p2 und Faden f schematisch in der Figur
angezeigt sind. Das ganze System sei in der Nähe des Saiten¬
elektrometers bei dem Punkte e geerdet. Der Kondensator
wird sich laden — sagen wir z. B. bis zu 1000 Volt. Dem Faden
des Saitenelektrometers sei ebenfalls irgend eine passende La¬
dung erteilt. Hebe ich jetzt den Kurzschluss bei s auf, so
wird der Faden in seiner Ruhelage bleiben, vorausgesetzt,
dass die Isolation zwischen den Kondensatorplatten ci und C2
eine möglichst vollkommene ist. Nähert oder entfernt man
nun aber die Kondensatorplatten, bewegt man also z. B. ci ,
während C2 sich in der Ruhelage befindet, so ändert das System
seine Kapazität. Es muss positive oder negative Elektrizität
von der Kondensatorplatte C2 auf die Polplatte pi hinfliessen,
und zwar so lange, bis das gesamte System der beiden Kon¬
densatoren ci, C2, pi p2 in seiner Spannung der angewandten
Batterie gleich ist. Dementsprechend muss jetzt der Faden
eine andere Gleichgewichtslage annehmen. Besteht also die
eine Kondensatorplatte aus einer dünnen Membran, die unter
dem Einfluss von Zug oder Druck von der anderen entfernt
oder ihr genähert werden kann, so macht der Saitenelektro¬
meterfaden entsprechende Bewegungen. Er erscheint so als
ein Hebel, der ohne direkte Berührung der sich bewegenden
Membran aufgesetzt ist. Man kann natürlich auch das Eint¬
hovengalvanometer benützen, indem man es z. B. an Stelle
des Saitenelektrometers einschaltet. Nur gibt dann die Faden¬
bewegung in einer gewissen ersten Annäherung wieder den
ersten Differentialquotienten der betreffenden Aenderung, nicht
diese selbst an. Es sind noch andere Schaltungsweisen möglich.
Bei Verwendung eines Kondensators z.iB., der nicht vollkommen
isoliert, würde der Faden des Saitenelektrometers bald aus
dem Gesichtsfeld verschwinden und überhaupt gefährdet sein,
wenn man nicht durch einen grossen Widerstand zwischen den
beiden Platten dafür sorgte, dass die allmählich bei pi zu¬
strömende Elektrizität immer wieder zur Erde abgeleitet wer¬
den kann. Dann entspricht aber die Verlagerung des Saiten-’
elektrometerfadens nicht mehr der Lageänderung von ct, in¬
dem eine bleibende Lageänderung nicht von einem bleibenden
Ausschlag gefolgt ist. Natürlich kann man diese Methode aus
einer bestimmten Absicht auch dann anwenden, wenn der
Kondensator so vollkommen wie möglich isoliert.
Die Kondensatormethode bildet namentlich in einer Be¬
ziehung eine für die physiologische Graphik ganz neue Re¬
gistriermethode. Bisher ist es zwar möglich, durch Benützung
der Lichtstrahlen (inkl. Röntgenstrahlen) als massenlosen Hebel
die Bewegungen eines Organes ohne Berührung mit der
zeichnenden Fläche zu registrieren. Hier haben wir es mit
einer neuen Art dies zu bewirken zu tun. Man kann nämlich
zwischen den beiden Kondensatorplatten ci und C2 ein schla¬
gendes Froschherz völlig isoliert aufhängen. Dann wird sich
trotzdem mit den Bewegungen dieses Herzens die Kapazität
des Kondensators ändern, und wir haben hier einen zweiten
Fall der Aufschreibung und zwar der mechanischen Bewegung
des Organs ohne direkte Berührung mit dem registrierenden
Instrument.
Die oben gemachte Bemerkung, dass aus der Tatsache des
neuen Wegs noch nicht ohne weiteres folgt, dass er weiter
führen muss in der Erkenntnis der bisher nur rein me¬
chanisch registrierenden Bewegung, gilt auch hier. — Obschon
die mechanische Masse des Qnarzfadens im Saitenelektrometer
wie auch im Saitengalvanometer eine verschwindende ist, und
daher a priori die Bewegung einer Membran ohne jede De¬
formation wiedergegeben werden könnte, so ist doch zu be¬
achten, dass eine vor einer geladenen Fläche schwingende
Membran nicht ohne weiteres identisch ist mit einer gänzlich
frei schwingenden. Die Membran wird in ihrer Bewegung
unter Umständen in ähnlicher Weise beeinflusst wie der
Saitenelektrometerfaden durch die Influenzelektrizität der Pol¬
platten. Es ist denkbar, dass auf diese Weise die wirksame
Masse des Systems erheblich grösser ist als die mechanische
und grösser wie die eines aufgesetzten Spiegels oder eines auf¬
gesetzten gewöhnlichen Hebels. Nur eingehende theoretische
und experimentell kritische Studien können die Frage ent¬
scheiden, ob und unter welchen Bedingungen der neue Uni¬
versalhebel — Kondensatorprinzip in Verbindung mit dem
Saitenelektrometer 3) — eine vollkommenere Erkenntnis des
Verlaufes mechanischer Vorgänge bedeutet. — Eine Möglichkeit
indessen möchte ich kurz streifen. Sowohl beim Telephon-,
wie beim Mikrophon-, als auch beim Kondensatorprinzip er¬
scheint es denkbar, die bewegte Membranfläche bei Blutdruck¬
messungen z. B. unmittelbar in das Gefässystem einzuführen.
Die wirksamen Massen der Flüssigkeiten der Verbindungs¬
röhren können dadurch in Wegfall kommen.
Aus der chirurgischen Klinik in Leipzig.
Ein Fall von Berstungsruptur des Rektum.
Von Privatdozent Dr. H. H e i n e k e, I. Assistent der Klinik.
Im vorigen Jahre hatte ich Gelegenheit, einen Fall von
sogen. Spontanruptur oder Berstungsruptur des Rektum zu
veröffentlichen, die bei einem vorher ganz gesunden Manne
beim Heben einer schweren Last entstanden war. (Beiträge
zur klinischen Chirurgie, Band 50.) Ich habe damals alle bis
dahin publizierten Fälle von Rektumruptur aus .der Literatur
zusammengestellt und habe nur 12 ähnliche Beobachtungen,
die sich auf einen Zeitraum von 80 Jahren verteilen, auffinden
können. Der Zufall hat es gewollt, dass in der Leipziger
chirurgischen Klinik kürzlich ein weiterer Fall von Rektum¬
ruptur zur Beobachtung gekommen ist. Da das Krankheits¬
bild so selten ist, möchte ich auch diesen Fall kurz mitteilen.
45 jähriger Mann. Pat. bekommt seit 4 — 5 Jahren beim Stuhlgang
einen Vorfall des Mastdarms, der sich immer leicht wieder zurück¬
bringen liess. Seit längerer Zeit leidet Pat. an hartnäckiger Stuhl¬
verstopfung; manchmal wurde beim Stuhlgang etwas Blut enleert.
Am Morgen des Aufnahmetages hatte Pat. wieder sehr harten Stuhl¬
gang; beim Pressen auf dem Nachtgeschirr spürte er plötzlich einen
Riss im Unterleib, während gleichzeitig ein Stück Darm aus dem
After hervortrat. Die Schmerzen waren anfangs nicht stark, steiger¬
ten sich aber im Laufe der nächsten Stunden. Der bald gerufene
Arzt reponierte den vorgefallenen Darm und liess den Patienten ins
Krankenhaus bringen. Während des Transportes trat der Vorfall
wieder heraus.
Bei der Aufnahme des Patienten, 6 Stunden nach Eintritt der
Ruptur, bot sich folgendes Bild: Grosser kräftiger Mann; ist sehr
aufgeregt und klagt über heftige Schmerzen im Leib. Starker Kollaps.
Puls klein und weich, um 90; Extremitäten kalt und zyanotisch;
Stimme aphonisch. Bauch leicht aufgetrieben, Bauchdecken ge¬
spannt und überall druckempfindlich. Aus dem Anus hängen mehrere
Dünndarmschlingen mit dem zugehörenden Mesenterium heraus; Ge¬
samtlänge etwa 1 m. Die Schlingen sind stark gestaut, blauschwarz,
das Mesenterium ist von Blutungen durchsetzt, die Schlingen selbst
zeigen keine gröberen Verunreinigungen. Am Anus ist ausser einigen
erweiterten Venen nichts besonderes zu sehen. Ein Prolaps der Rek¬
talschleimhaut besteht zurzeit nicht. Der Patient bricht wiederholt
gallige Massen.
Die prolabierten Darmschlingen und die Umgebung des Anus
werden zunächst nach Möglichkeit mit warmer Kochsalzlösung ge-
3) Natürlich sind auch andere spannungsmessende Vorrichtungen,
z. B. das Kapillarelektrometer verwendbar.
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1631
reinigt. Dann Chloroformnarkose, Beckenhochlagerung und Laparo¬
tomie unterhalb des Nabels. Im Bauchraume frei ziemliche Menge
trübserösen Exsudats. Die Serosa des Darmes ziemlich reizlos aus¬
sehend, keine Fibrinbeläge. Der Riss im Rektum ist zunächst nicht
zugänglich zu machen, da die ins kleine Becken hineinführenden
Diinndarmschlingen den Einblick verlegen. Deshalb wird der Dünn¬
darm aus dem kleinen Becken herausgezogen; nun sieht man an der
Vorderwand des Rektum einen Riss, durch den die Schlingen durch¬
getreten sind; sie lassen sich durch leichten Zug aus dem Rektum
heraus und in die Bauchhöhle hineinziehen. Der Riss im Rektum ist
längsgerichtet und verläuft vom Grunde des Douglas aus ziemlich
genau in der Mittellinie nach oben. Der Riss ist in der Serosa 5 cm
lang, in der Wand des Rektum selbst, die nach Erweiterung des
Serosarisses zum Vorschein kommt, noch etwas länger. Die Serosa
ist von der Rektalwand eine Strecke weit abgelöst. In der nächsten
Umgebung des Risses finden sich kleine Kotpartikel, die sorgfältig
entfernt werden. Dann Naht der Rektalwand und der Serosa. Gründ¬
liche Spülung der Bauchhöhle mit Kochsalzlösung und Schluss der
Bauchwunde.
Am nächsten Morgen war der Patient ganz munter, hatte nicht
gebrochen, keine Schmerzen. Bauch weich und unempfindlich.
Abends peritonitische Erscheinungen, die sich schnell steigern.
Am Morgen des zweiten Tages Exitus letalis unter den Erschei¬
nungen der peritonealen Sepsis.
Sektionsbefund1) (Dr. Verse): Ziemlich grosse männ¬
liche Leiche in mittlerem Ernährungszustand. Rings um den Anus
ein ringförmiger Wulst; besonders auf der rechten Seite die Haut
ziemlich weich und bläulich-weiss gefärbt. In der Mitte des Ab¬
domens eine 17 cm lange, frische, vernähte Operationswunde. Zwerch¬
fellstand rechts 4. Rippe, links 4. Interkostalraum. Herz- und Herz¬
beutel ohne Besonderheiten. Ausgedehnte lobulär-pneumonische
Herde im linken unteren Lungenlappen.
Im Abdomen schmutzig-braunrötliche Flüssigkeit. Magen mässig
ausgedehnt. Die oberen Dünndarmschlingen ziemlich blass, an ihren
Berührungsrändern streifig gerötet, wenig ausgedehnt. Die unteren
Dünndarmschlingen diffus gerötet, stellenweise dunkelblaurot ge¬
färbt. Die Serosa an diesen Stellen durch Fibrin verklebt. Diese Ver¬
änderung des Darmes beginnt unten dicht oberhalb der Ileozoekal-
klappe; das ganze so veränderte Stück hat eine Länge von 1,20 m.
Die freie Flüssigkeit im Abdomen ist namentlich im kleinen Becken
stark eitrig, ihre Menge beträgt 500 ccm. Im kleinen Becken, in
der Tiefe der Excavatio rectovesicalis beginnend, verläuft an der
Vorderwand des Rektum nach aufwärts eine Naht. Beim leichten
Anziehen des Colon sigmoideum spannen sich die vom Promontorium
zur Harnblase hinziehenden Plicae rectovesicales an und bilden hinter
der Harnblase einen scharf halbmondförmig vorspringenden Saum,
hinter dem man nach vorne in einen ziemlich tiefen Rezessus gelangt
von 4 — 5 cm Länge, dessen Hinterfläche von dem Rektum gebildet
wird. Der in diesen Rezessus der Excavatio rectovesicalis einge¬
führte Finger kommt mit der Kuppe bis in eine Höhe von etwa 2 cm
oberhalb des Anus. Das Rektum hat bis zur Mitte des Steissbeins
ein etwas breites Mesorektum und erscheint auch weiter unterhalb
nur ganz locker fixiert. Die von der Tiefe des Recessus rectovesicalis
nach oben verlaufende Naht des Rektum hat eine Länge von 9 cm.
An 2 Stichkanälen ist die Darmwand etwas auseinander gewichen.
In den Anus lassen sich 3 Finger leicht einführen.
Die Beckenorgane wurden zusammen mit dem Beckenboden
herausgenommen. Nach dem Lösen der Naht zeigt sich, dass der
Riss nicht ganz die Länge der ihn vereinigenden Naht hat. Seitlich
von dem Riss ist die Schleimhaut ziemlich weit abgelöst.
Diagnose: Ruptura recti (Prolapsus partis intestini tenuis pro
ano). Peritonitis fibrinopurulenta recens diffusa. Laparotomia.
Pneumonia lobularis haemo.rrhagica lobi inferioris sin. (ex aspiratione).
Der Fall zeigt den gewöhnlichen Verlauf der Erkrankung,
wie er bei den meisten Rektumrupturen beschrieben worden
ist: seit Jahren bestehender Rektalprolaps, heftiges Pressen
beim Stuhlgang oder beim Heben eines schweren Gegenstandes,
Ruptur des Prolapses und Vorfall von Dünndarmschlingen
durch das Loch in der Mastdarmwand.
Der Mechanismus dieser Rupturen bietet dem Verständnis
keine Schwierigkeiten. Durch die heftige Aktion der Bauch¬
presse werden beim Heraustreten des Prolapses Dünndarm¬
schlingen in den Blindsack des Peritoneums, der in der Vorder¬
wand des umgestülpten Rektums liegt, hineingepresst. Er¬
reicht der Druck eine gewisse Höhe, dann reisst das Rektum
auf der Höhe des Prolapses ein und die Dünndarmschlingen, die
bei grösseren Vorfällen in dem prolabierten Rektum ja schon
ausserhalb des Anus liegen, treten durch den Riss heraus.
Das prolabierte Rektum zieht sich nun offenbar im Momente
des Einreissens wieder zurück, so dass die Rissstelle wieder
innerhalb die Bauchhöhle zu liegen kommt; alle Beobachtungen
1) Herrn Geheimrat March and und Herrn Dr. Verse bin
ich für die freundliche Ueberlassung des Protokolls zu grossem Danke
verpflichtet.
stimmen wenigstens darin überein, dass das Rektum nach der
Ruptur nicht prolabiert gefunden wird; schon Quenu hat
dies Verhalten in seiner ausführlichen Arbeit hervorgehoben.
Die Rupturen lassen sich auf diese Weise ohne Schwierig¬
keiten verstehen; immerhin ist es aber auffallend, dass die
Zerreissungen bei dem verhältnismässig häufigen Leiden des
Prolapses so enorm selten zur Beobachtung kommen. Eine
besondere Schwäche der Rektalwand muss in den zur Ruptur
kommenden Fällen also wohl angenommen werden.
Allerdings hat man in den bisher beobachteten Fällen
meist nichts Sicheres gefunden, was für eine Herabsetzung der
Widerstandsfähigkeit der Darmwand gesprochen hätte, keine
Ulzerationen u. dergl. Auch bei unserem Falle hat die Sektion
keine Anhaltspunkte in dieser Richtung ergeben.
Wie gross unter gewöhnlichen Verhältnissen der Wider¬
stand der Rektalwand trotz eines Prolapses ist, davon habe ich
mich durch die Liebenswürdigkeit der Herrn Dr. Verse vor
Kurzem an der Leiche überzeugen können. Bei einer weib¬
lichen Leiche mit grossem Rektalprolaps gelang es uns nicht,
mit der von der Bauchhöhle aus in den Prolaps eingeführten
Hand dieDarmwand zu sprengen, trotz Aufwendung bedeutender
Kraft. Die Wand des Mastdarms zerriss erst dann, als wir
die Fingerspitze förmlich in die Darmwand hineinbohrten; die
dazu erforderliche Kraft war eine sehr grosse. Dass die Bauch¬
presse so enormen Druck entwickelt, ist kaum denkbar, auch
greift der intraabdominale Druck nicht an so zirkumskripter
Stelle an, wie die Fingerspitze.
Die Berstungsrupturen des Mastdarms sind bisher vor¬
wiegend bei Frauen beobachtet worden, entsprechend der
grösseren Häufigkeit der Vorfälle beim weiblichen Geschlecht.
Nur 5 Fälle bei Männern sind bekannt: ein Fall von Quenu,
die Fälle von Warn ecke (Zeitschr. f. Chirurgie 82) und
Preindlsberger (Wien. med. Presse 1906) und unsere
beiden Fälle. Unter diesen 5 Fällen bestanden Prolapse nur
zweimal, bei dem Q u e n u sehen und bei dem oben beschrie¬
benen Falle, während die anderen 3 vor der Ruptur keine Vor¬
fälle hatten; die letzteren 3 Beobachtungen bilden eine be¬
sondere Gruppe und sind ätiologisch vorläufig noch unklar,
aber jedenfalls anders aufzufassen als die häufigeren bei Pro¬
lapsen beobachteten Rupturen.
Aus der chirurgischen Abteilung des neuen Vincenziushauses
in Karlsruhe (Chefarzt Dr. S i m o n).
Traumatische, intraperitoneale Ruptur der Blase
(Laparotomie), Heilung.
Von W. Berblinger.
Die subkutanen Verletzungen der Blase, wie sich durch
Stoss oder Fall auf den Bauch, durch Quetschung des Unter¬
leibs zustande kommen, sind im Vergleich zu den Verletzungen
anderer Abdominalorgane, wie Leber, Milz, Pankreas, Niere
recht häufig. Güterbock stellt 178 Verletzungen der Niere
zusammen und bezeichnet diese Zahl als niedrig im Vergleich
zu den extra- und intraperitonealen Blasenrupturen. Unter
den zahlreichen Fällen von traumatischer, intraperitonealer
Ruptur der Blase sind aber relativ nur wenige, die trotz Opera¬
tion mit Heilung endigten.
Wie sich aus mehreren Zusammenstellungen ergibt, ist die
Prognose der intraperitonealen Ruptur gegenüber der extra¬
peritonealen weit weniger günstig. Spontanheilungen gehören
zu den grössten Seltenheiten. Stephan Smith (1851) beob¬
achtete unter 80 intraperitonealen Rissen nur 2, die spontan
ausheilten, dagegen unter 25 extraperitonealen 5 Heilungen.
Die operativ behandelten Fälle geben ein ähnliches Bild; unter
22 intraperitonealen Rupturen mit nachfolgender Blasennaht
zählt Schlange nur 10 Heilungen, 7 dagegen unter 10 extra¬
peritonealen Verletzungen, während allerdings ältere Statistiken
von R i v i n g t o n und M a 1 1 r a i t die Prognose des intraperi¬
tonealen Risses noch viel ungünstiger erscheinen lassen.
Alexander (1901) endlich konstatierte unter 45 mit Naht
behandelten, intraperitonealen Rupturen 22 Heilungen und
23 Todesfälle. Das Verhältnis hat sich aber in den letzten
10 Jahren doch so verschoben, dass die Mortalität bei intra¬
peritonealen Rissen von 45,5 Proz. auf 20,5 Proz. gesunken ist
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Diese wenigen Zusammenstellungen lassen schon er¬
kennen, von welcher Tragweite die richtige Diagnosestellung
bei Blasenruptur ist, nicht nur wegen des operativen Vorgehens,
sondern auch bezüglich der Prognose. Gestaltet sich diese
doch um so günstiger, je schneller im allgemeinen die einzige
Hilfe, nämlich der operative Eingriff erfolgt. Die Behandlung
allein durch den Verweilkatheter ist heutzutage verlassen.
Unser Fall wurde nun nicht nach dem Vorschlag vieler
Autoren (G a r r e, Madelung, Mikulicz, Schlange)
mit Sectio alta behandelt. Die verschiedenen Ansichten betreffs
der operativen Massnahmen seien aber erst nach der Schil¬
derung unseres Falles erwähnt.
Der 10 jährige Knabe O. K. lag mit dem Bauch auf einem mit
Holz beladenen Wagen. Ueber diesem hing an der Scheune ein
an einfacher Rolle aufgehängter sehr schwerer Kehrrichteimer. Der
bei einer Bewegung der Pferde angezogene Wagen löste die Auf¬
hängevorrichtung, der schwere Eimer fiel mit mässiger Geschwindig¬
keit dem Knaben auf den Rücken und drückte ihn fest gegen die
harte Unterlage. Nachdem der Junge aus dieser Situation befreit
war, konnte er zwar noch auf den Füssen stehen, klagte aber sofort
über heftige Schmerzen im Leibe, besonders unterhalb des Nabels.
In das Bett gebracht bekam Patient häufiges Aufstossen und starkes
Erbrechen; Harn konnte er nicht sofort entleeren.
Der herbeigeholte Arzt verordnete Leibwickel und warme Bäder.
Da nach dem Bad etwas Stuhl und Urin abgingen, wurde nicht
katheterisiert. Die brennenden Schmerzen nahmen jedoch immer zu,
der Junge erbrach viel, wurde sehr schwach und elend. Deshalb
erfolgte am 9. April 1906, zwei Tage nach dem Unfall, die Aufnahme
in das Krankenhaus.
Der sehr magere Patient ist ziemlich kollabiert, die Pupillen sind
erweitert. Auf Fragen gibt er mühsam Antwort, klagte nur über
heftiges Brennen im Leibe. Aufstossen und Erbrechen von schlei¬
migen, sauer riechenden Massen. Temperatur 36,7, Puls klein und
frequent 120 pro Minute, Atmung oberflächlich beschleunigt. Das
Abdomen ist mässig aufgetrieben, die Rekti sind angespannt; auf
der Bauchhaut keine Abschürfungen und Ecchymosen; Regio meso-
gastrica und hypogastrica besonders oberhalb der Symphyse äusserst
druckempfindlich. Perkutorisch lässt sich eine Dämpfung bis in
Nabelhöhe nachweisen, welche sicher durch freie Flüssigkeit im
Bauchraum bedingt ist. Das Zwerchfell steht nicht abnorm hoch,
die Leberdämpfung ist aber stark verschmälert. Die Untersuchung
des Beckens ergibt keine auffallende Beweglichkeit oder Druck¬
empfindlichkeit, eine Beckenfraktur ist somit nicht wahrscheinlich. Die
für extraperitoneale Blasenrupturen charakteristische prävesikale Ge¬
schwulst ist nicht vorhanden. Der eingeführte Katheter entleert aus
der Blase 100 cm klaren, nicht blutigen Urin. Per rectum wird nicht
untersucht, die Zystoskopie unterbleibt aus Gründen, die im folgen¬
den erwähnt werden sollen.
Die vorhandenen Symptome ermöglichten es nicht, eine sichere
Diagnose zu stellen. Differentialdiagnostisch wurden Darmquetschung
mit nachfolgender Gangrän, Ruptur und hierdurch bedingtem Erguss,
oder intraperitoneale Ruptur der Blase mit Eintritt von Harn ins
Cavum peritonei erwogen. Wenn auch stärkere peritonitische Er¬
scheinungen vorhanden waren, so war für eine diffuse eitrige Peri¬
tonitis, wie sie zweifellos nach Darmruptur aufgetreten wäre, das
Aussehen des Patienten, sowie der Puls, immerhin doch noch zu
gut. Die niedrige Temperatur konnte diagnostisch nicht verwertet
werden, weil sie einerseits besonders bei der erhöhten Pulsfrequenz
dem Kollaps zugeschrieben werden konnte, andererseits die Peri¬
tonitis nach intraperitonealen Blasenrupturen oft später und langsam
an Intensität zunehmend auftritt. Hamilton nennt sogar einen Fall,
bei welchem erst 5 Tage nach der Verletzung die Zeichen der Peri¬
tonitis sich einstellten. Für eine intraperitoneale Ruptur der Blase
waren absolut eindeutige Zeichen auch nicht gegeben; Harndrang
bei der Unmöglichkeit die Blase zu entleeren, bestand nicht; die zu¬
nehmenden peritonitischen Reizungen konnten allerdings von dem
in die Bauchhöhle eingedrungenen Harn herrühren. Dieser war ja
wohl zwei I age nach der Verletzung nicht mehr aseptisch. Der
Umstand, dass sich nur so wenig Urin entleerte, deutete wohl auf
eine Blasenverletzung, auffällig blieb aber das fast klare, nicht blutige
Aussehen des Urins, welcher auch mikroskopisch keine Blutkörper¬
chen in nennenswerter Zahl enthielt, und ist bei Peritonitis mit
starkem Erguss das Urinquantum ja auch vermindert. Gerade weil
nun die Diagnose zweifelhaft war, wurde gleich die Bauchhöhle
selbst eröffnet.
Operation (Herr Dr. Simon): Chloroformäthernarkose.
Schnitt in der Medianlinie bis 3 fingerbreit oberhalb der Symphyse.
Nach Eröffnung der Peritonealhöhle spritzt ungefähr 1 Liter einer
fast klaren, urinös und deutlich ammoniakalisch riechenden Flüssig¬
keit aus der Bauchwunde. Die Peritonealgefässe zeigen mässige In¬
jektion, die Darmschlingen noch keine Zeichen einer adhäsiven oder
eitrigen Peritonitis. Der Bauchraum wird zwischen den Darm¬
schlingen gründlich ausgetupft; dann Beckenhochlagerung. Durch
Bauchtücher werden die Darmschlingen abgedeckt und nach oben ge¬
schoben. Die Organe des kleinen Beckens liegen übersichtlich da.
Die vordere Rektumwand ist blutig infiltriert, die Blase stark kon¬
trahiert. Sie zeigte an ihrer hinteren oberen, von Peritoneum über¬
zogenen Wand 3 cm oberhalb der linken Uretermündung eine ungefähr
4 cm lange, schwärzliche Strecke. Diese erweist sich als die nekroti¬
sche Randpartie einer Peritoneum und ganze Blasenwand durch¬
setzenden Wunde.
Die Wundränder in Blase und Peritoneum werden angefrischt,
durch Katgutnaht in 3 Etagen vereinigt. Das kleine Becken wird
sorgfältig ausgetupft. Auf die Naht des intraperitonealen Risses
werden zwei Jodoformgazestreifen gelegt, welche zugleich mit einem
in die Bauchhöhle führenden Drainrohr durch den unteren Wund¬
winkel nach aussen ableiten. Der obere Teil der Bauchwunde wird
durch Naht vereinigt, darüber Verband. Um eine Dehnung der
frischen Naht zu verhüten, wird durch einen elastischen Verweil¬
katheter kontinuierlicher Harnabfluss ermöglicht.
Weiterer Verlauf bis zur Entlassung: Am 2. Tage nach der Ope¬
ration trat eine Eiebersteigerung auf bis 40,2, die unter Berück¬
sichtigung einer gleichzeitig bestehenden starken Bronchitis wohl auf
die im unteren Abdominalabschnitt konstatierte Peritonitis zuriickzu-
fiihren ist. Mässige Wundsekretion, Verweilkatheter lieferte ziem¬
lich klaren Harn; Katheter wurde gewechselt. 6 Tage nach der Ope¬
ration abermals Temperaturerhöhung und zwar anhaltend um 39,5°.
Durch den Verweilkatheter floss kein Harn ab, zu gleicher Zeit bildete
sich eine kleine Blasenbauchfistel, indem das Sekret aus der Bauch¬
wunde etwas vermehrt urinös roch. Der Kranke hatte einen stark
beschleunigten Puls. Die Bauchwunde wurde neu drainiert und tam¬
poniert. Der Katheter wurde herausgenommen, er war an seinem
Blasenende abgeknickt, das Fenster verstopft. Bald darauf sistierte
das Erbrechen, der neue Verweilkatheter leitete gut ab. Blasen-
spülungen unterblieben absichtlich. Der leicht getrübte, sauer rea¬
gierende Harn enthielt zahlreiche Leukozyten und Zelldetritus bei
entsprechendem Eiweissgehalt. Kein Indikan. Durch die Ueberfiil-
lung der Blase war die Wunde, deren Nähte wohl gerade resor¬
biert zu werden begannen, an einer Stelle wieder geöffnet worden
und resultierte daraus die Fistel. Diese heilte rasch aus. Nach
einigen Tagen ganz normale Temperaturen. Entlassung nach 414
Wochen. Zystoskopischer Befund: Etwas oberhalb der linken
Ureteröffnung sieht man eine 3 — t cm lange weisse Narbe. Im übrigen
zeigt die Blasenwand sich vollkommen normal gefärbt. Urin: Ohne
Sediment, kein Albumen.
Der Umstand, dass in unserem Falle nicht das meist ge¬
übte Verfahren, Sectio alta, angewendet wurde, erfordert noch
eine kurze Erklärung. Freilich war das Bestehen multipler
Blasenrisse nicht von der Hand zu weisen, wie andererseits
eine Darmruptur nicht ganz auszuschliessen war. In solchen
zweifelhaften Fällen empfiehlt es sich jedenfalls, den Fall durch
Laparotomie anzugreifen. Sie ermöglicht bei zweckmässiger
Lagerung des Patienten eine gute Liebersicht über die Organe
im kleinen Becken; eine gleichzeitig bestehende Verletzung des
Darms kann natürlich auf diesem Wege allein erkannt werden.
Hat man endlich einen intraperitonealen Riss konstatiert, so
kann bei Beckenhochlagerung die ganze Blase übersehen
werden, schliesslich kann man bei nicht zu kleinem Riss von
diesem aus das ganze Blaseninnere abtasten, um etwa daneben
noch bestehende weitere Risse zu entdecken. Man wird natür¬
lich nur die Laparotomie machen, wenn eine intraperitonealc
Ruptur sehr wahrscheinlich ist, für eine extraperitoneale die
wenigen charakteristischen Zeichen aber fehlen. Man hat aber
auch dann nicht unnötig das Spatium praevesicale eröffnet,
welches einen günstigen Boden für die Wundinfektionen ab¬
gibt. Schlange und B e r n d t empfehlen selbst bei sicher
diagnostizierter intraperitonealer Ruptur die Sectio alta,
während Blum in jedem Falle, welcher eine Ruptur ver¬
muten lässt, die Laparotomie ausführt, ebenso handelt Dam-
b r i n. Naheliegend wäre schliesslich, zur Feststellung der
Blasenverletzung die zystoskopische Untersuchung auszu¬
führen. Roll konstatierte auch in einem Fall mit dem Zysto-
skop die Lage des Risses. In der Mehrzahl der Fälle aber,
besonders unmittelbar nach der Verletzung — und eine rasche
Diagnosestellung ist hier besonders erforderlich — , wird sich
die Blase gar nicht füllen lassen; wie es zur Zystoskopie nötig
ist. Ferner kann auch die Anwendung des Zystoskops direkt
schaden, wenn z. B. schwache peritoneale Verklebungen über
der Rissstelle sich nach Füllung der Blase wieder lösen. Dann
kommt der warme Schnabel des Zystoskops mit der Blasen¬
wand in Kontakt und verletzt diese oder könnte gar durch
den Riss in das Cavum peritonei dringen; die Gefahr einer
Infektion bietet sich auch von neuem.
Aus letzterem Grunde scheint uns auch die von W e i r
und Keen angegebene Methode selbst bei strengster Beob¬
achtung der Asepsis unzweckmässig. Es soll nämlich die Blase
mit einem abgemessenen Quantum Flüssigkeit gefüllt werden,
\i. August 1907.
MÜENCFIENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1633
aus der wieder abfliessenden Menge wird auf die Art des Risses
geschlossen.
Die Naht der Blasenwunde wurde derart ausgeführt, dass
die erste ziemlich enge Nahtreihe die Mukosa durchgriff, da¬
rüber wurde die Muskularis und das Peritoneum und zuletzt
noch peritoneale Nähte nach der Art der Lambertnaht darüber
gelegt. Dabei wurde, wie es schon Vincent 1881 angegeben,
die Mukosa nicht vollständig durchstochen, um Infiltrationen
der Stichkanäle und Inkrustationen um die Fäden zu vermeiden.
Alle Nähte wurden mit Katgut ausgeführt, um eine Durch¬
wanderung und Steinbildung, wie dies bei Seidennähten vor¬
kommt, zu verhindern. Die Naht ist dann allerdings nicht so
sicher, wie bei einer Seidenetage, was sich ja auch in unserem
Falle zeigte. Die kleine, durch Verschluss des Verweilkatheters
entstandene Fistel hatte aber ausser mässiger peritonealer Rei¬
zung keinerlei üble Folgen und heilte auch sehr rasch wieder.
Sie wäre auch wohl kaum entstanden, wenn das Hindernis für
die Harnentleerung nicht gerade zur Zeit der beginnenden
Katgutresorption aufgetreten wäre.
Bezüglich der Ausführung der Blasennaht sei noch der von
Militärarzt Dr. Sterscheminski konstruierte Blasen¬
dilatator erwähnt. Anfüllung der Blase und des Mastdarms mit
Flüssigkeit (P e t e r s e n), Einblasen von Luft in die Blase
(Tilden Brown) setzen eine unverletzte Blasenwand vor¬
aus, dagegen lässt sich der oben genannte Dilatator in jedem
Falle anwenden. Er besteht im wesentlichen aus einem am
Blasenende eines biegsamen Katheters befestigten elastischen
Gummiballon; der aufgeblähte Ballon dehnt natürlich die da¬
rüber liegende Blase. Aber auch dieses Hilfsmittel ist zu ent¬
behren. Es ist fast immer möglich, eine Ecknaht oder beide an¬
zulegen. Durch Anziehen dieser geknüpften Fäden lässt sich
dann ein exakter Nahtverschluss -der Wunde herstellen, ohne
dass der Blasenriss, wie es bei Anwendung des Dilatators
wohl meist der Fall ist, unnötig gedehnt wird. Auch wäre es
schliesslich kein Unglück, wenn nach ausgiebiger Reinigung
der Bauchhöhle ein Blasenriss, der ganz besonders schwer
für die Naht erreichbar ist, nur durch einen Tampon ver¬
schlossen würde. N e u m a n n hat z. B. einen derartigen ge¬
heilten Fall auf dem Chirurgenkongress 1906 vorgestellt.
Was endlich die Entstehung der vorliegenden Blasenruptur
betrifft, so wurde durch den Stoss auf den Rücken die mässig
gefüllte Blase fest an die vordere Hälfte des Beckenringes
und gegen die Bauchwand gedrückt. Der durch die Kom¬
pression gesteigerte Inhaltsdruck sprengte die Blase an ihrer
schwächsten Stelle. Der Riss verlief auch in unserem Falle
in der hinteren, oberen Blasenwand, welche, wie Vessari
nachgewiesen, durch die besondere, sehr variable Anordung
ihrer Muskelzüge und dazwischen bestehende, nur mit Mus¬
kularis bedeckte Stellen gegen Rupturen weniger resistent ist.
Tendiert doch schon die normale Schleimhaut der Blase hier zu
hernienartigen Ausstülpungen durch die ‘Lakunen der Muskel¬
haut. Auch die Richtung des Risses war, wie in der Mehrzahl
aller beobachteten Fälle (D a m b r i n), ungefähr parallel der
Blasenachse. Es erfolgte also die Ruptur nach demselben
Mechanismus, welcher sich durch die Untersuchungen von
Stubenrauch und B e r n d t ergeben hat.
Aus der chirurgischen Abteilung der Magdeburger städtischen
Krankenanstalt Altstadt (Direktor: Dr. Habs).
Kontusionsverletzungen des Bauches.*)
Von Dr. Th. V o e c k 1 e r, Sekundärarzt der Chirurg. Abteilung.
M. H. ! Den Verletzungen des Bauches ist von jeher ein
grosses Interesse entgegengebracht worden und besonders in
den letzten Jahren ist dieses Thema oft Gegenstand von Publi¬
kationen und von Diskussionen auf Kongressen und in medi¬
zinischen Gesellschaften gewesen.
Es kann uns dies nicht wunderbar erscheinen, wenn wir
bedenken, wie verhängnisvoll oft zunächst harmlos er¬
scheinende Verletzungen für den Inhalt der Bauchhöhle, die
grossen drüsigen Organe, Leber, Milz, Nieren und den In-
testinaltraktus sind, und wenn wir uns weiter vergegen¬
*) Vortrag, gehalten in der medizinischen Gesellschaft zu Magde¬
burg am 18. April 1907.
No. 33.
wärtigen, wie schwierig meist in den ersten Stunden die Dia¬
gnose der Verletzung eines der genannten Organe sein kann.
Bei den penetrierenden Verletzungen der Bauchhöhle, wie
sie durch Hieb, Stich, Schuss oder dergl. entstehen, ist man
wohl von vornherein geneigt, die Läsion als sehr ernst zu be¬
urteilen und alles zu tun, den Kranken möglichst schnell unter
Verhältnisse zu setzen, wo er sofort oder wenigstens jeden
Augenblick operiert werden kann; bei den subkutanen Bauch¬
verletzungen hingegen sind die Erscheinungen in den ersten
Stunden oft so wenig alarmierend, das ganze Krankheitsbild
so in Dunkel gehüllt, dass man nicht selten zu seinem Schrecken
erst dann dem Fall gerechte Beurteilung widerfahren lässt,
wenn es bereits zu spät ist.
Es war daher mit Freude zu begrüssen, als in den 90 er
Jahren verschiedene Publikationen namhafter Autoren er¬
schienen — ich nenne die Namen Petry, Trendelen¬
burg, Angerer, Körte, Lexer — , welche die Erschei¬
nungen der subkutanen Verletzung des Bauchinhaltes auf das
sorgfältigste analysierten und uns wertvolle Fingerzeige für
die richtige Verwertung jedes einzelnen Symptoms gaben.
Es wäre nun sehr verlockend, m. H., auf diese Arbeiten
und das ganze grosse, interessante Kapitel der Bauchver¬
letzungen näher einziigehen; doch muss ich mich bei der mir
zur Verfügung stehenden Zeit heute darauf beschränken, nur
eine Gruppe von Verletzungen herauszugreifen. Es sind dies
die traumatischen Leberrupturen. Immerhin wird sich dabei
genug Gelegenheit bieten, wenigstens nach der Seite der Dia¬
gnostik hin, auch der übrigen Formen der subkutanen Bauch¬
verletzungen zu gedenken.
Die Anregung, dieses Thema zu erörtern, gibt mir ein im
Dezember vorigen Jahres von mir operierter Fall, und zwar
handelt es sich dabei um eine Ruptur der Leber und
des Pankreas, die zur Abstossung eines
grossen Leberstückes und Bildung einer Pan-
kreasfistel führte, welche spontan zur Hei¬
lung k a m.
Für die Ueberlassung der Operation und sein Interesse an
meiner Arbeit spreche ich an dieser Stelle meinem hochver¬
ehrten Chef, Herrn Direktor Dr. H ab s, meinen verbindlichsten
Dank aus.
Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen den Verletzten heute
in völlig genesenem Zustande vorzustellen und referiere Ihnen
zunächst die Krankengeschichte:
Es handelt sich um einen 20 jährigen Bahnarbeiter, Hermann W.;
derselbe war am 11. Dezember 1906 mit Zusammenketten von Eisen¬
bahnwagen beschäftigt, als er das Unglück hatte, zwischen -die Puffer
zweier Wagen zu geraten, welche seinen Körper in der Gegend des
Epigastriums fassten und zusammenpressten. Er stürzte zusammen
und wurde vermittels Sanitätswagens unserer Anstalt zugeführt. Die
Aufnahme erfolgte am 11. Dezember abends 8 Uhr.
Hier wurde folgender Status erhoben: Es handelte sich um einen
grossen, kräftig gebauten Mann; er war bei vollem Bewusstsein und
machte klare Angaben. Im wesentlichen klagte er über Schmerzen
im oberen Teile des Bauches, besonders beim Atemholen. Die Haut
des Gesichtes und der sichtbaren Schleimhäute war blass. Es bestand
eine ziemlich erhebliche Prostration. An Herz und Lunge war etwas
Krankhaftes nicht nachweisbar. Der Puls war kräftig und von guter
Füllung und Spannung.
In den oberen Teilen des Bauches war eine gewisse Spannung
der Bauchdecken angedeutet: eine Auftreibung bestand nicht. Die
Gegend oberhalb des Nabels war stark druckempfindlich. Die Haut
des Bauches zeigte sich an dieser Stelle jedoch frei von Suggillationen
oder Abschürfungen. Fluktuationsgefühl bestand nicht. Der Urin,
der in Sonderheit keine Blutbeimengungen zeigte, war frei von Ei-
weiss und Zucker.
In Anbetracht des guten Pulses, der nur geringen Spannung des
Leibes und des fehlenden Erbrechens wurde zunächst von einem Ein¬
griffe Abstand genommen.
Am 12. Dezember erbrach der Kranke in den ersten Morgen¬
stunden zweimal. Vz8 Uhr sah ich den Kranken wieder und konnte
feststellen, dass die Blässe des Gesichts und der Schleimhäute ent¬
schieden zugenommen hatte; insbesondere aber war der Puls frequen¬
ter und wesentlich weicher und schlechter gefüllt als am vorigen
Abend. Man konnte weiterhin eine deutliche Dämpfung in den ab¬
hängigen Partien des Abdomens, sowie Fluktuationsgefühl im Bauche
nachweisen. Die Spannung der Bauchdecken war .deutlich.
Es wurde daher sofort zur Operation geschritten, da die Dia¬
gnose einer inneren Blutung als sicher angenommen werden musste,
deren Ursache man in einer Organzerreissung zu finden erwartete.
In vorsichtiger Aethernarkose wurde ein grosser Laparotomie¬
längsschnitt fingerbreit links von der Mittellinie vom Schwertfort-
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No. 33.
satz bis unterhalb Nabel gemacht. Dieser Schnitt führte gerade über
die schmerzhafte Stelle hinweg. Im Momente der Eröffnung des Peri¬
toneums stürzte ein Schwall flüssigen, dunkelroten Blutes hervor, .der
ganze Bauch erwies sich angefüllt mit enormen Massen teils flüssigen,
teils geronnenen Blutes. Nach oberflächlicher Entfernung des Blutes
ging ich mit der Hand ein, um die Organe abzutasten. Milz, Magen
und vorliegender Darm erwiesen sich als intakt, dahingegen glitt die
Hand bei Abtastung der Leber sogleich in eine breit klaffende Wunde
derselben.
Da der Zugang zu der Leberwunde von dem ursprünglichen
Schnitt aus schwer zu bewerkstelligen war, sah ich mich genötigt,
demselben an seinem oberen Ende noch einen Querschnitt hinzuzu¬
fügen, welcher unter Durchtrennung des Lig. teres hepatis einen
grossen Teil der Leber übersichtlich freilegte. Jetzt liess sich fest¬
stellen, dass die Leberwunde etwa auf der Grenze zwischen rechtem
und linkem Lappen eindrang und hier in ganzer Breite das Leber¬
gewebe trennte. Die Gallenblase war nicht zu fühlen. Aus dem
Leberrisse ergoss sich beständig reichlich Blut. Der Riss sass zum
grössten Teile unter dem Rippenbogen versteckt. Da während des
Eingriffes die Herzkraft bedenklich nachliess und Eile not tat, sah
ich von einem Versuche der Lebernaht ab und entschied mich für
die Tamponade. Es wurde die Leberwunde mit mehreren grossen,
sterilen Kompressen fest ausgestopft. Nunmehr wurde die Bauch¬
höhle nochmals von allen Blutresten nach Möglichkeit gereinigt, und
der Schnitt bis auf den oberen Wundwinkel, zu welchem die Tupfer
herausgeleitet wurden, durch Etagennaht geschlossen.
Unmittelbar nach der Operation sorgte eine reichliche subkutane
Kochsalzinfusion für eine Besserung der Pulsbeschaffenheit, doch
mussten im Laufe des Tages noch mehreremale Herztonika gegeben
werden. Immerhin erholte sich der Kranke nach dem Eingriffe ziem¬
lich rasch. Fieber trat nur einmal am 5. Tage post operat. auf und
erreichte eine Höhe von 38,4. Die Tamponade wurde allmählich ge¬
lockert, gekürzt und am 20. VII. gänzlich entfernt. Jetzt lag in der
Wunde der untere Rand eines Teiles des linken Leberlappens frei.
Er sah graugrün aus, war von matschiger Konsistenz und fauli¬
gem Gerüche, kurz erwies sich als mortifiziert.
Die anfänglich stark gallig gefärbte Sekretion veränderte nach
einigen Tagen ihre Farbe und Beschaffenheit, insofern als sie farblos
und mehr wässrig wurde.
Am 4. Januar stiess sich aus einem von ausgezeichneten Granu¬
lationen bedeckten Wundtrichter ein zirka kleinhandtellergrosses,
nekrotisches Leberstück ab. Die Abstossung erfolgte unter leichten
T emperatursteigerungen.
Ich habe dasselbe nach Härtung in Formol in Alkohol aufbewahrt
und kann es Ihnen hier herumreichen. Leider ist, wie immer, eine be¬
trächtliche Schrumpfung eingetreten, so dass es jetzt hinter seiner
ursprünglichen Grösse weit zurückbleibt.
Nach Abstossung des Leberstückes hielt bei sonst ausgezeichne¬
tem Wohlbefinden die beschriebene Sekretion aus der Wunde an.
Die Absonderung war jetzt wasserklar, was den Verdacht erregte,
dass es sich um ein Drüsensekret, mutmasslich des Pankreas handelte.
Es war leicht, ein grösseres Quantum in einem Reagenzglase auf¬
zufangen. Die Untersuchung auf Trypsin fiel positiv aus und war
damit der Beweis erbracht, dass es sich tatsächlich um Bauchspeichel
handelte. Es bestand demnach eine Pankreasfistel und war anzu¬
nehmen, dass das Trauma ausser einer Ruptur der Leber auch noch
eine solche der Bauchpeicheldrüse hervorgebracht hatte. Dass sie
uns bei der Operation entgangen war, hatte wohl seinen Grund darin,
dass rasches Handeln dabei Hauptsache war und dass wir, als der
Leberriss sicher tamponiert war, froh waren und die Operation so
rasch als möglich beendeten.
Nun die Fistel zeigte zunächst trotz Tamponade und Aetzung des
Wundtri'chters keine Neigung sich zu schliessen, was um so be¬
dauerlicher war, als der Ernährung«- und Kräftezustand des Kranken,
wie sich leicht denken lässt, unter dem beständigen Ausfall an wich¬
tigem Verdauungssekret doch immerhin litt.
Mitte Februar wurde die Sekretion geringer. Am 16. Februar
ver liess der Kranke das Bett und konnte am 28. II. als fast geheilt aus
der klinischen Behandlung entlassen werden.
Bei der Entlassung war die Inzisionswunde fast völlig vernarbt,
nur an der Stelle, an welcher die Tampons zur Wunde herausgeleitet
waren, war noch ein feiner, schlitzförmiger Spalt zu bemerken, aus
dem sich spontan und konstant eine mässige Menge von wasserklarem
Bauchspeichel ergoss.^ Eine feine Sonde liess sich hier 2 cm tief
einführen. In diesem Zustande verliess uns der Kranke.
Er stellte sich nach seiner Entlassung noch mehrmals in der
Poliklinik unserer Anstalt vor, bis am 15. III. die Fistel geschlossen
und Patient geheilt war.
Soweit zunächst unser Fall. Gestatten Sie nun, dass ich
im Anschluss hieran einige Erörterungen über das vorliegende
Krankheitsbild, seine Diagnose und Behandlung knüpfe.
Das Zustandekommen einer Leberruptur setzt bei sonst
gesundem Zustande des Organes stets eine erhebliche Gewalt¬
einwirkung voraus. Ueberfahrungen, Quetschungen, heftiger
Stoss oder Schlag gegen den Leib durch Maschinenteile, Eisen¬
bahnpuffer, Tierhufe, Hörner unseres Rindviehs etc., das sind
die Ursachen, welche zu subkutaner Zerreissung des Organs
führen. Natürlich können nach derartigen Traumen auch Rup¬
turen anderer Organe, der Milz, der Nieren, des Darmes etc.,
erfolgen; allein von allen Unterleibsdrüsen wird man unter ge¬
gebenen Verhältnissen am häufigsten die Leber rupturiert
finden. Dies erklärt sich leicht: ihre Grösse, ihre straffe Be¬
festigungsart, sowie ihre anatomische Lage, durch welche sie
in breiter Ausdehnung den Rippen anliegt und mit ihrem ganzen
Dickendurchmesser die Bauchhöhle rechts von vorn nach
hinten vollständig ausfüllt, geben für ein Ausweichen einer sie
treffenden Gewalt wenig Spielraum. Zudem entbehrt ihre Sub¬
stanz fast völlig der elastischen Fasern, so dass auf eine mo¬
mentane Anpassung des massigen Organes an den vermin¬
derten Rauminhalt in der Bauchhöhle durch Verkleinerung
seines Lumens nicht zu rechnen ist. So kommt es, dass man
häufig ausgedehnte Rupturen findet bei völligem Mangel einer
Verletzung der Bauchdecken, ja sogar, wie in meinem Falle,
ohne auch nur die leiseste Spur einer Gewalteinwirkung auf
der Haut zu bemerken.
Interessant sind nun für die Aetiologie unserer Verletzung
auch einige Beobachtungen, aus denen hervorgeht, dass die
subkutane Leberruptur auch sozusagen auf indirektem Wege
entstehen kann. Gewöhnlich trifft ja das Trauma die Bauch¬
wand an der der Leber gegenüber liegenden Stelle; wir nennen
das, indem wir die zwischen Leber und angreifende Gewalt
zwischengelagerte Bauchwand ignorieren, eine direkt auf die
Leber einwirkende Gewalt. Nun sind aber auch Fälle be¬
schrieben, wo beim Sturz aus grosser Höhe auf den Kopf oder
die Füsse die Leber rupturierte. R e z e k berichtet über einen
Erhängten, welcher noch lebend abgeschnitten wurde und dabei
auf die Füsse istürzte; derselbe zog sich dadurch eine aus¬
gedehnte Leberzerreissung zu, an deren Folgen er starb.
Diese Fälle sind nicht schwer zu erklären: Ich machte
schon auf die straffe Befestigungsart der Leber aufmerksam.
Wenn nun ein fallender Körper im Fallen plötzlich aufgehalten
wird, so hat die mehrere Pfund schwere Leber das Bestreben,
ihre Fallgeschwindigkeit beizubehalten; ihre straffen und sehr
derben Aufhängebänder lassen dies nicht zu und so trennt sich
die Leber von denselben ab, wobei tiefere Einrisse in ihre Sub¬
stanz wohl unvermeidlich sind. Ein französischer Forscher,
R i c h e r a u d, hat dies übrigens durch Versuche an Leichen,
welche er aus grosser Höhe herabstürzen liess, bestätigt.
Endlich will ich noch darauf hinweisqn, dass bei krankhaft
verändertem Organe oft schon ein viel geringeres Trauma zum
Zustandekommen einer Verletzung führen kann. So hat, wie
die umfangreiche Statistik Mayers lehrt, in gewissen Fällen
ein einfaches Hinfallen z. B. auf dem Eise genügt, um Rupturen
von mehreren Zoll Länge hervorzubringen; oder bezeichnend
ist auch eine andere Mitteilung (Heinzeimann), nach
welcher sich ein 18 jähriger Pneumoniker beim plötzlichen Um¬
drehen im Bette eine tödliche Leberruptur zuzog.
Was nun die Symptomatologie der Leberruptur anbetrifft,
so kann Ihnen mein eingangs beschriebener Fall schon als
Beispiel dienen. Der Befund am zweiten Beobachtungstage
brachte volle Klarheit in die Situatioil.
Es ist aber die Leberruptur nur ein Beispiel für eine
schwere Bauchkontusion und ihre Symptome sind im wesent¬
lichen überhaupt die einer intraperitonealen Verletzung; oft
wird sich die spezielle Diagnose, welches oder welche Organe
verletzt sind, nicht eher stellen lassen, als bis eine Inzision dem
Auge Zutritt gestattet.
Eine grosse Zahl von Kranken, welche eine schwere Kon¬
tusion des Abdomens erlitten haben, bieten, wenn wir sie zu¬
erst sehen, die Zeichen eines mehr oder weniger schweren
Nervenschocks, ein Symptomenkomplex, der sich bekanntlich
in ausgesprochenen Fällen zusammensetzt aus tiefer Blässe
des Gesichtes, wiederholt auftretenden Ohnmachtsanwand¬
lungen, grosser Mattigkeit und Schwäche, sowie meist kleinem
weichen und frequenten Puls. Nicht so selten wird freilich
jeder Schock vermisst, und die Kranken sind noch eine Strecke
Weges gegangen, um dann zusammenzubrechen und dem Ver¬
blutungstode zu erliegen.
Der Schock ist ja gerade das Unheimliche bei den
schweren Bauchkontusionen: es ist hinreichend bekannt, dass
gerade bei Schlägen oder Stössen, welche das Abdomen
treffen, auch ohne dass schwere innere Verletzungen entstehen,
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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Nervenschock aufzutreten pflegt; aber die Zeichen des Schocks
gehen oft unbemerkt und rasch in die einer schweren sub¬
kutanen Organzerreissung über. Zudem sind die Symptome
einer inneren Blutung denen des Schocks so ähnlich, dass man
sich bei der ersten Untersuchung oft die Frage nicht beant¬
worten kann: handelt es sich um Schock oder innere Blutung.
Und doch werden Sie mir zugeben müssen, dass diese
Frage mitunter eine rasche Beantwortung erheischt, da für
eine aussichtsreiche Therapie oft wenige Stunden von aus¬
schlaggebender Bedeutung sind.
M. H.! Es liegt wohl für eine schwere Bauchkontusion
der Vergleich mit der Berstung der schwangeren Tube bei
Extrauteringravidität nicht fern. Bei beiden Krankheiten heisst
es, rasch die Diagnose stellen und rasch handeln. Es muss
daher nicht bloss dem Chirurgen, sondern auch dem prakti¬
schen Arzte das klinische Bild dieser Zustände allzeit gegen¬
wärtig sein und wir müssen diagnostische Momente fordern,
welche uns frühzeitig auf die richtige Fährte leiten, um bei¬
zeiten, so lange es nicht zu spät ist, helfend einzugreifen.
Ich sagte, dass Blässe, sowie Kleinheit und Frequenz des
Pulses Symptome des Schocks wären. Sie charakterisieren
aber auch die innere Blutung, und, m. H., dehnen sich diese
Erscheinungen über die ersten beiden Stunden nach der
Verletzung aus, angenommen, dass sonst weiter gar nichts
für eine innere Verletzung spräche, so sollten wir schon Ver¬
dacht schöpfen, dass im Bauch etwas zerrissen ist. Oft sind
jetzt schon die übrigen Symptome innerer Verblutung aus¬
gesprochen: Angstgefühl, Durst, Uebelkeit, Urindrang.
Eine wiederholte sorgfältige Palpation des Abdomens lässt
uns immer wieder eine Stelle oder einen grösseren Bezirk als
schmerzhaft erkennen. Der Schmerz kann alle Intensitäts¬
grade erreichen. Die Erklärung für die oft enorme Schmerz¬
haftigkeit bei Leberrupturen ist gar nicht so leicht gegeben.
Von der Leberwunde selbst wird er wohl nur selten ausgehen.
Denn wie die sorgfältigen Untersuchungen Lennanders
gezeigt haben, ist das Lebergewebe sowohl, wie der Serosa-
überzug der Leber nicht schmerzempfindlich. Oft wird wohl
der Schmerz von den Bauchdecken ausgehen, indem Sugil-
lationen unter dem Peritoneum parietale dieses als äusserst
schmerzhaft berüchtigte Bauchfellblatt reizen.
Bei der Untersuchung auf Druckschmerzhaftigkeit nehmen
wir zugleich ein weiteres Symptom wahr, ein Symptom, auf
welches nach den später immer wieder bestätigten Erfahrungen
Trend eie. n-burgs das allergrösste Gewicht gelegt werden
muss. Es ist das eine tonische Spannung der Bauchdecken:
die Bauchmuskeln sind mehr oder weniger kontrahiert und
werden dauernd in diesem Zustande gehalten. Oft lässt sich
nachweisen, dass die Spannung am Orte der Verletzung am
grössten ist. Bei jeder Berührung des Abdomens nimmt sie zu.
Es ist notwendig, den Kranken mit offenem Munde rasche
und nicht zu tiefe Atemzüge ausführen zu lassen und die Be¬
tastung selbst ganz vorsichtig und sanft vorzunehmen; man
wird dann dieses äusserst charakteristische Symptom schon in
seinen Anfängen feststellen können. In den höchsten Graden
ist die Bauchdecke fest kontrahiert, desgleichen die Skrotal-
haut, die Testikel hoch hinaufgezogen, der Penis leicht erhoben
und verkürzt. Der Kontraktionszustand teilt sich übrigens auch
der glatten Muskulatur des Darmes mit. Man hat den Darm
bei der Laparotomie oft fest zusammengezogen, einem Hunde¬
darme gleichend, vorgefunden.
Diese eigenartige Spannung der Bauchwand, die wir so¬
wohl bei Rupturen der grossen Unterleibsdrüsen, wie auch bei
Zerreissung des Magendarmkanals fast mit Regelmässigkeit
nachweisen können, hat ihren Grund in einem chemischen bezw.
mechanischen Reiz auf das Peritoneum und kommt reflek¬
torisch zustande. Es ist wichtig, dass sie von Dauer ist. Ganz
vorübergehend hat man sie in seltenen Fällen auch bei ein¬
facher Kontusion festgestellt; hält sie jedoch an, so ist sie im
höchsten Grade suspekt.
Ein alarmierendes Symptom ist fernerhin das Erbrechen;
bei einfachen Kontusionen ohne Verletzungen wird so gut wie
niemals Erbrechen beobachtet. Bei Verletzungen des Magens,
Darmkanals tritt Erbrechen fast immer noch vor Ablauf der
ersten Stunde ein, etwas später bei grossem Bluterguss in die
Bauchhöhle, doch pflegt es fast nie zu fehlen. Auch unser
Kranker erbrach, allerdings erst nach Ablauf mehrerer Stunden.
Ist eine gewisse Zeit, X> bis mehrere Stunden nach der
Verletzung verstrichen, so tritt ein weiteres Kardinalsymptom
in Erscheinung. Es wird jetzt möglich, perkutorisch die ins
Abdomen ausgetretene Flüssigkeit nachzuweisen. Es tritt in
den abhängigen Partien des Abdomens eine meist deutliche
Schallverkürzung auf, deren obere Begrenzungslinie bei vor¬
sichtiger Lagerung auf diese oder jene Seite sich verschiebt.
Die Perkussion erlaubt uns übrigens bis zu einem gewissen
Grade die Differentialdiagnose zu stellen, was im Leibe zer¬
rissen ist. So ist für Milzruptur charakteristisch die ausge¬
breitete Dämpfung in den linken, oberen, seitlichen Partien
des Leibes; die Dämpfung setzt sich dann nach unten etwa bis
zum Lig. Pouparti fort. Bei Leberzerreissung ist die Dämpfung
entweder mehr gleichmässig auf beide Seiten des Leibes ver¬
teilt, oder, was das häufigere ist, auf der rechten Seite allein
nachweisbar.
Ist es möglich, neben der Dämpfung in den Seitenteilen
noch eine zirkumskripte Zone tympanitischen Schalles ge¬
wöhnlich in der Mitte des Epigastriums nachzuweisen, so be¬
weist das einen Luftaustritt in die freie Bauchhöhle und er¬
laubt uns die Diagnose auf Magen-Darmverletzung zu stellen.
Meist handelt es sich dann um Magenverletzung; bei Darmver¬
letzung lässt sich weit seltener Luftaustritt in die Peritoneal¬
höhle konstatieren.
M. H.! Diese eben geschilderten Symptome, von denen
natürlich das eine oder andere fehlen kann — ich stelle sie
nochmals zusammen: Blässe, kleiner frequenter Puls, grosse
Schwäche und Prostration, Spannung der Bauchdecken, Er¬
brechen und abnorme Dämpfungsbezirke — sind für unser
therapeutisches Handeln in erster Linie entscheidend; die
übrigen, gleich noch zu erwähnenden Symptome vervoll¬
ständigen das Krankheitsbild und machen uns speziell die Dia¬
gnose einer Leberruptur wahrscheinlich, sind aber quoad
therapiam nur von untergeordneter Bedeutung.
Von altersher als charakteristisch für Leberverletzungen
wird der rechtsseitige Schulterschmerz angegeben. Derselbe,
bereits von C e 1 s u s beschrieben, wird als Reflexempfindung
aufgefasst, ausgehend von den Verästelungen der durch das
Lig. Suspensorium hepat. zur Leberkapsel herabsteigenden
Phrenikusfasern, von dein die Empfindung auf dem Wege des
9. Zervikalnerven auf den Nerv, cutaneus scapularis übertragen
wird. Dieser Schulterschmerz wird, wenn auch nicht für ein
häufiges, so doch für ein pathognomonisches Symptom für
Leberruptur gehalten.
Noch weniger konstant ist der Ikterus; er kommt etwa in
jedem 5. Falle einer Leberverletzung zur Beobachtung und
zwar am häufigsten am 2. bis 4. Tage. Später auftretender
Ikterus hat seine Ursache in Leberentzündung und Abszess¬
bildung. Der primär auftretende Ikterus kommt wahrschein¬
lich daurch zustande, dass ausgetretene Gallenflüssigkeit vom
Peritoneum resorbiert wird.
Wie haben wir uns nun einem Kranken gegenüber zu ver¬
halten, bei dem wir den Verdacht einer Organruptur im Ab¬
domen haben? Man wird ja, wie auch in unserem Falle, öfters
die Diagnose nicht sozusagen prima vista stellen können, son¬
dern das deutlichere Hervortreten dieses oder jenes Symptoms
noch abwarten wollen. Wie Sie sahen, ist in dieser Zeit jede
Minute kostbar und mit gespanntester Aufmerksamkeit wird
man jede leiseste Veränderung im Zustande des Verletzten
registrieren. Das setzt natürlich in den ersten Stunden eine
ganz besonders sorgfältige Beobachtung voraus. Die Beob¬
achtung muss eigentlich eine dauernde sein, wenigstens sollte
der Arzt jede Stunde sich den Kranken genau ansehen.
Gleich bei der ersten Untersuchung des Verletzten, die
vorsichtig, aber gründlich zu geschehen hat, ist dringend zu
raten, den Katheterismus nicht wegzulassen. Finden Sie die
Blase leer, oder quellen nur einige Tropfen dicken Blutes her¬
vor, so spricht dies für Blasenruptur, entleeren Sie aber ein
grösseres Quantum blutigen Urin, so ist eine Nierenruptur
wahrscheinlich. Durch dieses einfache Manöver haben Sie so¬
fort in der Diagnose einen grossen Schritt vorwärts getan.
In der nun folgenden Zeit der Beobachtung ist manches
zu tun, und auch mancherlei zu unterlassen, einesteils um dem
offenbar schwer leidenden Verletzten etwas Linderung zu
■r
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
1636
schaffen, andernteils um uns das Krankheitsbild nicht zu ver¬
wischen, oder für den Fall, dass eine schwere Verletzung des
Magens oder Darmkanals vorliegt, nicht zu schaden.
So ist es von grosser Wichtigkeit, dem Verletzten nichts
per os zu verabreichen; auch Flüssigkeiten, Eisstückchen, wie¬
wohl bei dem brennenden Durste stürmisch verlangt, sind am
besten ganz wegzulassen. Auch die Flüssigkeitszufuhr per
rectum unterlässt man am besten in den ersten Stunden, da
durch Kochsalzlösungen die Peristaltik im Darme angeregt
wird, wodurch Verklebungen verhindert und der Austritt vom
Darminhalt bei Durchtrennungen erleichtert wird.
Allein man braucht sich doch den heftigen Bitten um ein
durststillendes Mittel gegenüber nicht ganz ablehnend zu ver¬
halten. Zweckmässig greift man in solchen Fällen zur sub¬
kutanen Kochsalzinfusion. Diese hilft nicht nur das subjektive
Durstgefühl bekämpfen, sondern wendet sich auch besonders
erfolgreich gegen den Kollaps und die Herzschwäche. Kampher-
injektionen werden gleichfalls nicht zu entbehren sein, wenn¬
gleich man sich immerhin sagen muss, dass, wenn das Kreis¬
laufssystem an einer Stelle sozusagen ein Loch hat, wie es
doch der Fall ist bei einer grossen Drüsenruptur, das durch
Kampher angeregte Herz gleichsam in ein Danaidenfass hinein¬
pumpt und die Gefahr nur gesteigert wird.
Vor der Darreichung eines Narkotikums möchte ich ganz
entschieden warnen. Die danach eintretende Euphorie und
der Schlaf lassen die Schmerzen verschwinden, die Bauch¬
deckenspannung eventuell nicht aufkommen, verhindern das
Erbrechen, kurz sind geeignet, das Krankheitsbild derartig zu
verschleiern, dass, wenn nachher die Morphiumwirkung nach¬
gelassen hat, die Peritonitis schon ausgebrochen sein kann,
und wir die beste Zeit zu einem Eingriffe versäumt haben.
Meistens wird es dem Praktiker wohl nicht möglich sein,
eine derartig unausgesetzte Beobachtung vorzunehmen; dann
gehört solch ein Verletzter ohne Verzug ins Krankenhaus, wo
für eine Operation jederzeit alles hergerichtet ist.
Die Indikation zur Operation ist vorhanden, sobald ein
begründeter Verdacht auf eine Leberruptur besteht. Absolute
Sicherheit der Diagnose ist nicht erforderlich, hohe Wahr¬
scheinlichkeit genügt. Diese weitgesteckte Indikation hat sehr
wohl ihre Berechtigung, wenn man bedenkt, welch erschre¬
ckend hohe Mortalitätsziffer speziell die Leberruptur aus¬
zeichnet.
Es ist hierbei interessant, etwas auf die Geschichte unserer
Verletzung zurückzublicken, und ich will Ihnen die Notiz
eines Arztes (Reinhardt) nicht vorenthalten, der im Jahre
1761 eine Monographie über Leberverletzungen geschrieben
hat und folgendes sagt: In allem Ernste, die Leute (er meint,
welche eine grössere Leberwunde geheilt haben wollen) sind
im Gehirn verrückt und man muss ihnen eine Wallfahrt nach
Anticera anzustellen den Rat geben, damit sie durch den Ge¬
bt auch der Niesswurzeln wieder zu ihrem vorigen, itzo aber
cntw ischten Verstände gelangen möchten. Nun heutzutage
wäre manchem diese Wallfahrt sicher; denn selbst grosse
Leberwunden werden unter Umständen geheilt.
So trostlos ist die Prognose doch nicht mehr. Aber
schlecht genug ist sie immerhin noch, wie Ihnen folgende
Zahlen beweisen mögen. Edler kommt in seiner grossen
Statistik zu folgenden Zahlen: von 189 subkutanen Leberver¬
letzungen starben 162 = 85,7 Proz. Eine andere Statistik
rechnet eine Mortalität von 86,6 Proz. aus. Beide Statistiken
stammen aus den 80 ger Jahren, wo man bei Leberruptur
sicherlich noch nicht so oft operiert hat, wie heute. Daher ist
die Annahme wohl gerechtfertigt, dass die Mortalität sich
heute noch mehr verbessert hat; aber nur, daran ist festzu¬
halten, durch ein aktives, chirurgisches Vorgehen.
Alles Heil liegt im Messer! Auf die wenigen Literatur¬
fälle von Spontanheilung der Leberruptur haben wir keine Rück¬
sicht zu nehmen. Käme uns bei konsequent durchgeführter
operativer Behandlung einmal eine dieser grössten Seltenheiten
zu. Gesicht, so würde der glückliche Ausgang durch das
chirurgische Dazwischenkommen nicht gestört worden sein.
Treffen wir aber bei unserem Vorgehen auf eine total zer¬
trümmerte, für jede Behandlung aussichtslose Leber, so werden
wir uns bei dem ohne Operation sicher feststehenden tödlichen
Verlaufe keine Gewissenbisse machen ob einer unnötig aus¬
geführten Laparotomie. Zwischen diesen Extremen liegt je¬
doch die grosse Zahl von Rupturfällen, bei welchen chirur¬
gisches Eingreifen den sicheren Tod abgewendet hat.
Eins möchte ich auch noch betonen, nämlich dass man
das Abklingen des Schocks nicht abzuwarten braucht. Es
liegt hier die Sache anders, als beispielsweise bei schweren
Zertrümmerungen der Extremitäten; bei diesen hat das Ab¬
warten des Schocks einen Sinn, wo man die Blutung der
Wunde exakt stillen und ein gefahrdrohendes Weiterwirken
der Verletzung verhindern kann. Anders bei der intraperi¬
tonealen Verletzung; hier kann der Schock bezw. der Kollaps
erst schwinden, wenn die Ursache beseitigt ist, und wie ich
schon oben sagte, ist der Schock oft weiter nichts, als der Aus¬
druck der inneren Blutung.
Ueber das spezielle Vorgehen bei der Operation haben
Sie schon bei der Beschreibung meines Falles Einiges gehört.
Mit technischen Einzelheiten darf ich Sie im Weiteren wohl
verschonen. Nur eine Frage will ich an dieser Stelle berühren.
Hat man sich durch ausgiebige Inzision die Leberwunde
freigelegt, so entsteht die Frage, was soll weiter geschehen,
um die Blutung zu beherrschen. Soll man nähen oder tam¬
ponieren ?
Prinzipiell lässt sich meines Erachtens diese Frage nicht
entscheiden. Jede Methode hat ihre Vorteile. Dort, wo man
sich die Leberwunde in ganzer Ausdehnung sichtbar machen
kann, also an der Vorderfläche und an der unteren Kante, und
wo die Wundränder glatt und nicht gequetscht sind, da wird
man tiefgreifenden Parenchymnähten mit dickem Ratgut oder
dicker Seide und nachfolgender oberflächlich fassender Naht
den Vorzug geben. Es ist nicht nötig, wie Burkhardt will,
dass da, wo die Naht Anwendung finden soll, die Wunde nur
so tief ist, dass man sie mit der Nadel in ganzer Tiefe unter¬
stechen kann. Es hat sich gezeigt, dass auch da, wo nicht
die ganze liefe der Wunde zur Adaption gebracht werden
konnte, die Blutung stand. Liegt die Leberwunde höher an
der Konvexität, zum Teil versteckt unter dem Rippenbogen und
hat sie zerfetzte oder stark gequetschte Ränder, so ist die
1 amponade das sicherere, raschere und zweckmässigere Ver¬
fahren. Ob man Jodoformgaze oder sterile Gaze nimmt, ist
ziemlich gleichgültig. Hauptsache ist, dass die Tamponade so
fest ist, dass sie der Blutung sicher Einhalt gebietet und dass
sie sich der Leberwundfläche fest anlegt. Die Tampons werden
dann an irgend einer Stelle zur Laparotomiewunde heraus¬
geleitet und die Wunde bis auf diese Stelle in Etagen vernäht.
Auch eine Kombination von Tamponade und Naht ist in einigen
Fällen mit Glück versucht worden.
Nun, meine Herren, ich komme jetzt wieder auf unseren
Fall zurück. Wie Sie hörten, hatte hier die Tamponade einen
vollen Erfolg, die Blutung stand.
Auf zwei mir nicht unwichtig, erscheinende Komplika¬
tionen will ich nun noch zu sprechen kommen. Das ist zu¬
nächst die Abstossung des sequestrierten Leberstücks.
Es ist eigentlich seltsam, dass man darüber so wenig Mit¬
teilungen in der Literatur findet. In der Leber sind die Ar¬
terien, wie in der Niere, nach dem Prinzipe der Endarterien
verzweigt und man sollte daher doch bei grösseren Ver-
letzungen, welche ja fast immer grosse Gefässe in ihrer Kon¬
tinuität trennen, häufig die Sequestrierung von Leberstücken
erwarten. Diese Erwartungen scheinen aber nicht zuzutreffen.
Auf dem Chirurgenkongress 1904 machte Graser an der
Hand eines Falles auf die spätere Ausstossung grösserer rnorti-
fizierter Leberstücke aufmerksam und ganz vor kurzem erst
erschien eine Arbeit, welche das gleiche Thema behandelt, und
in welcher 2 Fälle beschrieben werden, von denen der eine
meinem Falle ausserordentlich ähnelt. Dort erfolgte die Aus-
stossung am 54. Tage nach der Verletzung. Aus beiden Publi¬
kationen geht jedoch hervor, dass der erwähnte Vorgang offen¬
bar zu den Seltenheiten gehört.
Endlich muss ich noch auf die Komplikation mit Pankreas¬
verletzung zurückkommen, welche meinen Fall auszeichnete.
Auch dieses Zusammentreffen scheint nicht gerade häufig zu
sein.
Die grosse und umfassende Arbeit Edlers, welche bis
zum Jahre 1887 alle Fälle von Leberverletzung zusammenstellt,
verzeichnet bei den subkutanen Leberrupturen die Pankreas-
13. August 1907.
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Verletzung gar nicht. Es werden da als gleichzeitig auftretende
Verletzungen der Häufigkeit nach geordnet erwähnt: Ver¬
letzung der Rippen, der Lungen, der Milz und der Nieren.
Bis zum Anfang dieses Jahres konnte Karewsky über¬
haupt nur 35 Fälle von subkutaner Pankreasverletzung zusam¬
menstellen, von diesen waren 23 mit Verletzung anderer Or¬
gane kombiniert. Die grosse Seltenheit der Pankreasruptur
kann ja bei der ausserordentlich versteckten Lage der Drüse in
der Tiefe des Bauches nicht wunderbar erscheinen.
Ihre Verletzung ruft stets einen bedenklichen Zustand her¬
vor, der in seiner Schwere natürlich je nach dem Umfange der
Läsion, sowie der begleitenden Nebenverletzungen wechselnd
sein wird. Es hängt viel davon ab, ob das die Drüse über¬
ziehende Bauchfell, also das hintere Parietalperitoneum mit
einreisst oder nicht. In Abhängigkeit hiervon können bei Pan¬
kreasverletzung, und wir wollen einmal eine isolierte Pan¬
kreasverletzung annehmen, drei Bilder entstehen.
Ist der Bauchfellüberzug nicht mitverletzt, so ergiesst sich
austretendes Blut und Pankreassaft subperitoneal und wölbt
dann das Peritoneum in Form eines retroperitonealen Tumors
vor. Unter dem Wachsen des Druckes in dieser so gebildeten
Höhle kommt die Blutung zum Stehen und das Hämatom ver¬
fällt regressiven Veränderungen. Leicht kommt es dann zui
Bildung sogenannter Pseudozysten des Pankreas. In einer
grossen Statistik über 121 Pankreaszysten ist von Körte
33 mal in der Anamnese ein verwertbares Trauma nach¬
gewiesen worden.
Ist nun der Bauchfellüberzug bei Einwirkung der ver¬
letzenden Gewalt zerrissen, so kann zweieilei eintreten. das
Blut ergiesst sich in einen Raum, der begrenzt wird oben von
der Leber und dem Zwerchfell, vorn vom Magen und Lig. gastro-
colicum, unten vom Colon transversum und Mesokolon. Dieser
Raum heisst bekanntlich Bursa omentalis und steht durch das
Foramen Winslowi unterhalb der Leber mit der übrigen Bauch¬
höhle in Verbindung. Hat nun das Foramen Winslowi durch
langsames Austreten von Blut Zeit zu verkleben, so ist das
Blut wiederum in einem Hohlraum gefangen und es wird mit
Wahrscheinlichkeit zur Tumorbildung kommen. Kann jedpch
unter der Gewalt des ausströmenden Blutes das Foramen nicht
verkleben, dann tritt das Blut ungehindert in die freie Bauch¬
höhle und macht hier dieselben Erscheinungen, wie bei einer
Blutung aus der Leber oder Milz.
Die Diagnose stösst bei der Pankreasruptur wohl auf die
grössten Schwierigkeiten und meist wird man über die Dia¬
gnose einer interperitonealen Verletzung nicht hinauskommen.
Auch hier kommt natürlich alles darauf an, dass der Arzt die
Diagnose so bald als möglich an der Hand der oben geschil¬
derten Symptome stellt, und den Kranken chirurgischer Hilfe
Zuführt. . j. tr ui
Im Vordergründe steht auch hier natürlich die. Verblu¬
tungsgefahr. Daneben fällt noch ein Umstand ins Gewicht, der
auch rasches Handeln bedingt.
Wir müssen danach trachten, die Berührung grosserer
Mengen Pankreassaft mit den Organen der Bauchhöhle zu ver¬
hüten, da der Bauchspeichel stark gewebsschädigend wirkt
und zur Bildung von Fettnekrosen führt.
Naht und Tamponade sind auch bei der Bauchspeicheldrüse
die Mittel, mit denen der Chirurg gegen die drohende Gefahr zu
Felde zieht. Haben wir so den Verletzten über die erste Ge¬
fahr hinweggeleitet, so stellt sich fast regelmässig in der Nach¬
behandlung ein bemerkenswerter Uebelstand ein. Auch unser
Kranker entging diesem Schicksal nicht.
Es kommt ganz gewöhnlich zur Bildung einer Pankreas¬
fistel. Diese Fistel, die wir entstehen sehen nicht nur nach Pan¬
kreasverletzungen, sondern auch nach Operationen von Pan¬
kreasgeschwülsten und Pankreaszysten, bedeutet für ihren
Träger nicht nur eine Quelle vieler Beschwerden, sondern auch
einen für den Gesamtorganismus nachteiligen Ausfall von Ver-
dauungssäften. Der stark reizende Bauchspeichel schädigt die
Haut der Umgebung sehr, so dass man zu Pasten von Vioform,
Airol und anderen Mitteln greifen muss, um die Anätzung hint¬
anzuhalten.
Wir waren bis jetzt eigentlich nicht in der Lage, etwas
Zweckmässiges zur Heilung der Fisteln zn tun, und mussten
uns darauf beschränken, den Saft abzufangen und die Haut
vor dem Pankreassaft zu schützen, wie ja auch in unserem
Falle verfahren wurde, bis sich die Fistel spontan länger als
% Jahr nach der Verletzung schloss.
Künftighin aber würde ich anders verfahren, seitdem uns
vor ganz kurzer Zeit ein Weg gewiesen wurde (Karewsky,
Heineke), der ebenso einfach ist, wie er zweckmässig zu
sein scheint.
Wie die interessanten Untersuchungen Wohlgemuts
ergeben haben, hängt die Menge des aus der Fistel entleerten
Sekretes ganz von der Zusammensetzung der Nahrung ab.
Bei reiner Fettnahrung ist die Menge minimal, etwas grösser
bei Eiweissnahrung und sehr bedeutend bei Kohlehydrat¬
nahrung. Der Autor empfiehlt daher zum Zwecke der Heilung
von Pankreasfisteln eine streng durchgeführte Diabetesdiät. In
zwei Fällen ist dieses Verfahren bis jetzt erprobt worden, und
zwar mit glänzendem Erfolge, so dass sich die Fistel innerhalb
weniger Tage schloss.
Nun, m. H., ich bin am Schlüsse meiner Ausführungen. Es
war meine Absicht, Ihnen an der Hand eines schweren und
komplizierten Falles von subkutaner Bauchverletzung zu zei¬
gen, wie bei diesen Zuständen alles auf rasche Diagnose und
schleunigst eingeleitete Therapie ankommt. Ich habe Ihnen
die prägnantesten, pathognomonischen Symptome hervorge¬
hoben, auf Grund deren wir wenigstens die Diagnose einer
intraperitonealen Verletzung stellen können. Ich betone noch¬
mals, dass, sobald die Diagnose einer Blutung oder Berstung
eines Darmteiles durch eines der genannten Symptome wahr¬
scheinlich gemacht wird, unverzüglich die Laparotomie vorzu¬
nehmen ist.
Mein Fall, dem Sie wohl auch wegen seiner seltenen Kom¬
plikationen ihr Interesse nicht versagt haben, liefert Ihnen eine
Illustration zu dem Gesagten und einen Beweis, dass wir der¬
artigen Verletzungen nicht mehr machtlos gegenüberstehen.
Die Zeiten sind vorbei, wo jede Leberzerreissung als töd¬
lich galt; auch auf diesem Gebiete hat die Heilkunst dank der
modernen Chirurgie einen energischen Schritt vorwärts getan.
Literaturverzeichnis:
Trend eie nb u rg: Milzexstirpation wegen Zerreissung.
D. med. Wochenschr. 1899. — Len n ander: Weitere Beobach¬
tungen über die Sensibilität.... D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 73. —
Voeckler: Zur Kasuistik der Bauchkontusionen. D. Zeitschr. f.
Chir., Bd. 82. — Fertig: Traumatische Leberrupturen mit Aus-
stossung .... D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 87. Graser. J t auma¬
tische Leberruptur. Verhandl. d. D. Gesellsch. f. Chir. 1904, II.
Wilms: Leberrupturen. Verhandl. d. D. Gesellsch. f. Chir. 1905.
Edler: Die traumatischen Verletzungen der parenchymatösen Unter¬
leibsorgane. Langenbecks Archiv, Bd. 34. — Heineke: Zur Be¬
handlung der Pankreasfisteln. Zentralbl. f. Chir. 1907, No. 10. —
Karewsky: Pankreasverletzungen. Berl. klin. Wochenschr. 1907,
No. 7. _ Nötzel: Ueber die Operation bei Leberverletzung. Bruns
Bei'tr., Bd. 48. — S c h 1 a 1 1 e r : Behandlung der traumatischen Leber¬
verletzung. Bruns Beitr., Bd. 15. — Handb. d. prakt. Chir., Bd. III. -
K r a b b e 1: Wie soll sich der prakt. Arzt bei Bauchverletzungen ver¬
halten? Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung 1904, No. 7.
Multiple Hirntumoren unter dem Symtomenbilde eines
Herdes der inneren Kapsel auftretend.
Von Generalarzt Dr. S e g g e 1.
Die Diagnose von Hirntumoren und ihre Lokalisation bietet
trotz zahlreicher Kasuistik immer wieder Interesse und zwar
auch dann, wenn eine Fehldiagnose gemacht wurde. Nach¬
stehende Veröffentlichung dürfte daher gerechtfertigt erschei¬
nen, nachdem hier eine scheinbar gut begründete Annahme und
Lokalisation nur eines Tumors sich als unrichtig erw ies und die
Sektion mehrere Tumoren genau an den während des Lebens
bestehenden Symptomen entsprechenden Stellen ergab.
Ich führe zunächst kurz die Krankengeschichte an, welche
ich der Güte des behandelnden Arztes, Herrn Hofrat Dr. Rudolt
v. H ö s s 1 i n, verdanke.
Herr K, Brauereibesitzer von K. in 1 irol, 22 Jahre alt, trat am
. IV. 04 in die Kuranstalt Neu-Wittelsbach ein. Die Anamnese ci-
ibt • Als Kind immer schwächlich, habe er vor zwei Jahren Kurz
ach einem Falle aus dem Bade linksseitige Pleuritis bekommen,
chon während dieser Erkrankung sei einmal plötzliche Eiblinuung
ingetreten, die nach einigen Stunden sich wieder verlor. Voi <rei
Wochen trat halbseitige Lähmung der linken Körperhalfte mit Spra
638
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Störung ein, Patient hatte das Gefühl, als ob die Zunge ganz gelähmt
sei, welches Gefühl langsam nach einer Stunde zurückging.
Status praesens: Guter Ernährungszustand. Sprachstö¬
rung angedeutet. Sehnen- und Knochenreflexe gesteigert, zumal
links. Babinski rechts und links. Am ganzen Körper, besonders an
der Kopfhaut starke Hyperästhesie (rechts grösser als links), da¬
gegen die Schmerzempfindung links herabgesetzt. Pupillenreaktion
normal, die Zunge wird gerade herausgestreckt, linker Gaumenbogen
stark paretisch, der linke Arm kann nur bis zur Horizontalen er¬
hoben werden. Grosse Schwäche der Eingerbeuger und -Strecker,
Bizeps in leichter Kontraktion. Grosse Neigung zur Kontraktion
überhaupt vorhanden. Motilität und Kraft der Beinmuskulatur gut.
Das erschwerte Gehen beruht auf bei der Bewegung eintretenden
Spasmus. Augenbewegungen ungestört. Reflex der Kornea und Kon-
iunktiva normal. Links untere Fazialisparese. Das bestehende
Zwangslachen und Schnauben soll seit der Jugend bestehen. Linke
Lungengrenzen nicht verschieblich, im übrigen normaler Objek¬
tivbefund.
9. IV. Pat. hatte nachts starke Kopfschmerzen und Schmerzen
im Leib, ist deshalb sehr niedergeschlagen. Nach Ol. Ricini und Ein¬
lauf starke Entleerung. Pat., der schwachsinnigen Eindruck macht
und gar nicht sprach, kann dann wieder sprechen, zeigt komplette,
schlaffe Lähmung der linken oberen Extremität, Be¬
rührung und Schmerzempfindung sind links deut¬
lich herabgesetzt.
Am 11. IV. untersuchte ich auf Wunsch v. Hösslins Pa¬
tienten und fand inkomplette linksseitige Hemianopsie, beide Pupillen
gleich weit, hemiopische P.R. ist nicht auszulösen, monokulär erfolgt
die Pupillarreaktion links stossweise, konsensuell beiderseits prompt,
ebenso die Konvergenzreaktion. Links S 3h,s, Snellen 0,6 in der Nähe,
rechts S 3/*, Snellen 0,5 in der Nähe. Farbensinn beiderseits nicht
herabgesetzt.
Ophthalmoskopisch: beiderseits Neuritis optica mit verschwom¬
menen Pupillengrenzen, Venen erweitert, Arterien nicht sichtbar,
rechts ausgesprochene Stauungspapille (Prominenz der Pupille
0,6 mm, FH 3 zu 1 D).
Kollege v. H. und ich besprachen den Fall eingehend. Die
Hauptsymptome von seiten des Gehirns, insbesondere die Stauungs¬
papille, wiesen auf einen Tumor hin, für seinen Sitz in der rechten
Capsula interna und zwar vom Knie bis in den retrolentikulären Teil
sprach das Zusammentreffen von
1. linksseitiger Halblähmung mit Zungenlähmung und Fazialis¬
parese,
2. Herabsetzung der Berührungs- und Schmerzempfindung linker¬
seits,
3. Inkompletter linksseitiger Hemianopsie. Nicht ganz vereinbar
wai dieser Lokalbefund allerdings mit dem Wbchsel der Lähmungs¬
erscheinungen, die noch dazu vorherrschend ausgesprochen spasti¬
schen Charakter hatten und zeitweilig zurücktraten. Hauptsächlich
fehlten aber Lähmung oder Parese der linken unteren Extremität
ausgesprochene linksseitige Hemianästhesie als Bindeglieder zwischen
Parese der oberen linken Extremität und der Hemianopsie zu der
gesicherten Annahme eines Herdes in der inneren Kapsel. Auch die
Annahme eines Herdes im rechten Sehhügel wurde in Erwägung ge-
Vom 11. IV. ab sah ich Patienten nicht weiter. Da Hofrat v. H.
\ eri eiste, wird derselbe von Herrn Dr. van Scherpenberg weiter
behandelt und von ihm die Krankengeschichte weitergeführt.
r -i Y°,m. bricht Pat. viel, hat starken Kopfschmerz, sein
Leib ist immer sehr empfindlich. Stuhl wird nur künstlich hervor¬
gerufen. Es treten öfters Anfälle auf, wobei Pat. plötzlich die Sprache
verliert und den linken Arm nicht heben kann. Fordert man ihn
eindringlich auf, zu sprechen, so geschieht das wieder ganz gut, dann
wird auch der Arm wieder wie vorher bewegt. Die Parese des linken
Armes ist überhaupt gegen anfangs sehr zurückgegangen.
, 2J: ,IV- Pat ist sanz teilnahmslos. In den letzten Tagen waren
abendliche Temperaturerhöhungen bis zu 39° eingetreten, objektiv
hess sich nur enorm gesteigerte Schmerzempfindlichkeit am ganzen
Kor.pei nachweisen. Die Klagen über Kopfschmerzen sind dagegen
geringer. Die Nahrungsaufnahme ist dürftig, die Nächte schlecht.
22>\ schreit viel und windet sich vor Schmerzen, ohne
sie zu ^ahsieren. In den letzten Tagen traten Störungen des Lage-
rungsgefuhles auf: Pat. meint, er liege nicht im Bette, sondern auf
dem Sopha u. a. m. Seit heute steht der linke Bulbus öfter in Strabis¬
mus conyergens-Stellung, um im nächsten Augenblicke wieder sich
normal einzurichten. Lässt man den Kranken fixieren, so stehen die
Augen gerade Leichter Nystagmus. Bei Aufforderung, dem Finger
mit dem Blick zu folgen, tut dies das rechte Auge ganz normal
wahrend das linke bei Innervation gleich in den inneren Augenwinkel’
hineinschiesst. Bewusstsein noch ungetrübt.
. Jom ^6. IV> trjtt das Bild der Basilarmeningitis immer deutlicher
hervor Temperatur erhöht, mit geringen morgendlichen Remis¬
sionen, leichte Nackensteifigkeit und starke Schmerzen bei jeder Be-
wegung des Kopfes. Pat; ist immer etwas benommen, liegt den
ganzen I ag .teilnahmslos da, gibt aber über seinen Zustand Antwort
hat sich bei Nahrungsaufnahme verschluckt. Ein • Novum gibt die
KnLYerUrasseTnder ^ Un*e“: Links obe" Vergütung mR
29. IV. Die Klagen über Kopfschmerzen, die sich gesteigert
hatten, sind in den letzten Tagen wieder geringer, aber jede Be¬
rührung beim Umbetten und die Stuhlentleerung verursachen grosse
Schmerzen. Pat. ist immer sehr benommen, erkennt jedoch seine
Umgebung, der Puls wird immer schneller und kleiner. Doppel¬
seitige Amaurose. Seit 2 Tagen Cheyne-Stokes. Exitus.
Die Sektion, von Herrn Prof. Dr. Hermann D ii r c k vor¬
genommen, ergab chronische Tuberkulose der intrathorazischen und
intraabdominellen Lymphdrüsen, subakute Dissemination in beiden
Lungen, auf dem Peritoneum, in Milz und Nieren, akute tuberkulöse
Basilarmeningitis und multiple Konglomerattuberkel des Grosshirns.
Ich beschränke mich, da hier nur von Interesse, darauf, den ge¬
naueren Befund in der Schädelhöhle wiederzugeben:
Dura mater sehr stark gespannt, injiziert; die weichen Hirnhäute
auf der Konvexität von massenhafter wässeriger Flüssigkeit durch¬
setzt, bei Herausnahme des Gehirns sammelt sich solche sehr reich¬
lich in den hinteren Schädelgruben. Die weichen Häute an der
Basis sind von einer grau-gelblichen Sülze durchsetzt, besonders in
der Gegend des Chiasmas und der Sylvischen Gruben, dem Ge-
fässveriauf folgend, überall sehr feine graue Körnchen eingelagert.
Beim Einschneiden in die Hemisphären erkennt man in der Gehirn¬
rinde besonders rechts im Bereich des Stirn-, Scheitel-, und Hinter¬
hauptlappens zahlreiche von einander getrennte hanf¬
kor n - b i s ha selnus «grosse, runde, gelbliche Herde.
Am dichtesten sind dieselben auf der Höhe des
Scheitellappens rechts, zum Teil haben dieselben eine
leicht hämorrhagische Umgebung. Ein mehr als haselnuss¬
grosser Knoten liegt dicht an der Fissura cal-
carina, ein ebenso grosser Knoten an der Spitze des
Hinte rhauptpol es rechts. Linkerseits sind die Knoten sehr
viel spärlicher angeordnet und nur im Scheitellappen. Alle Hirn¬
kammern stark erweitert, mit trübwässeriger Flüssigkeit gefüllt. Das
Ependym besonders im 3. Ventrikel injiziert und blutig durchsetzt.
Zeichnung der basilaren Ganglien deutlich, im linken Thalamus opticus
ein erbsengrosser, derber, runder Käseherd. Kleinhirn-, Grosshirn¬
schenkel und verlängertes Mark frei von Einlagerungen.
Es hatten demnach die anfänglich und nach kurzer Be¬
obachtung auf einen Herd im Gehirn, die innere Kapsel oder
den Sehhügel, gedeuteten Symptome deren mehrere. Als Ur¬
sache der totalen linksseitigen Hemianopsie fand sich je ein
Herd am Hinterhauptspol und an der Fissura calcarina mit Usur
der betreffenden Rindenpartie und als Ursache der Störungen
in der Motilität, Sensibilität und Allgemeingefühle Herde im
Scheitellappen bezw. der R o 1 a n d o sehen Furche.
Die doppelseitige Erblindung kurz vor dem Tode wird
ebenso wie die früheren, kurz vorübergehenden Erblindungen
nicht duich die tuberkulöse Basilarmeningitis, sondern durch den
Druck des bei dem beträchtlichen Hydrocephalus internus stark
gefüllten Recessus opticus des 3. Ventrikels auf das Chiasma zu
erklären sein. 1)
Jedenfalls gibt vorstehender Fall die Anregung, bei meh¬
reren Symptomen, die auf einen Herd bezogen werden können,
auch an mehrere getrennte Herde zu denken und dabei das
Gi undleiden für die Erklärung beizuziehen. Letzteres war bei
der kurzen Beobachtung, unter der v. H. und ich den Pa¬
tienten hatten, für die Untersuchung noch nicht zugänglich,
sonst würden wir von unserer vorläufigen Diagnose rasch zu¬
rückgekommen sein. Eine wiederholte ophthalmoskopische
Untersuchung würde vielleicht auch die Diagnose aufklärende
I uberkelbildung in der Chorioidea ergeben haben. Leider war
die Untersuchung der Augen nach dem Tode nicht gestattet.
Aus dem allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf
(Chem. Laboratorium: O. Schlimm).
Vergleichende Untersuchungen über den Nachweis von
Blut in den Fäzes mittels des Spektroskops und der
modifizierten Web ersehen Probe.
Von Dr. Max Fraenkel.
In No. 4 des Zentralbl. f. innere Medizin versucht H. F.
G runwal d UJ die spektroskopische Zyankaliumprobe in die
1 raxis der Stuhluntersuchungen auf Blut einzuführen mit der
ngabe, dass „die Kenntnis einer Blutprobe wohl sehr wiin-
schenswert wäre, die, bei möglich grösster Einfachheit der
Ausführung doch wesentlich empfindlicher wäre als die ein-
fache W e ber sehe Probe und weniger subtil als die Benzidin-
i eaktion . Die von O. Schum m [2] modifizierte Weber-
') Wilbrand und Sänger: Neurologie des Auges, III. Bd.,
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1639
sehe Probe, die den eben zitierten Anforderungen in weit
höherem Masse entspricht als die Zyankaliumprobe, bezeichnet
er als „leider sehr kompliziert und zeitraubend“, scheint sie
aber nicht oft angewandt zu haben; denn sonst würde er sich
wahrscheinlich bald überzeugt haben, dass sie bei einiger
Uebung sehr leicht auszuführen und auch nicht annähernd so
zeitraubend ist, wie die von ihm empfohlene Zyankaliumprobe.
Weshalb Grünwald die spektroskopischen Blutunter¬
suchungen gerade um diese eine alte Probe bereichern will, ist
auch nicht ersichtlich, da er selbst zu dem Resultat kommt,
dass sie durchaus nicht mehr leistet, als die bewährte Hämo-
chromogenreaktion. Andererseits birgt das Arbeiten mit so
grossen Mengen konzentrierter Zyankaliumlösung, wie sie zu
den Stuhluntersuchungen erforderlich sind, so grosse Ge¬
fahren in sich, zumal wenn die Untersuchungen, wie das an
vielen Krankenhäusern und Kliniken üblich ist, ohne besondere
Vorsichtsmassregeln vom Krankenpflegepersonal ausgeführt
werden, dass schon aus diesem Gründe die Empfehlung der
Zyankaliumprobe nicht ratsam erscheint.
Aus Grünwalds Arbeit ist leider auch nicht zu entnehmen,
wie er mit „einigen Tropfen“ der zu untersuchenden Flüssigkeit eine
spektroskopische Prüfung anstellt; denn er gibt weder an, mit wel¬
chem Spektroskop, noch in welcher Schichtdicke er die Flüssigkeit
untersucht hat. Bei den, nach Grünwalds Vorschrift von mir
angestellten Proben gelang es mir überhaupt nicht, wenn es sich
um geformten Stuhl handelte, mehr als 2 — 3 Tropfen Filtrat in meh¬
reren Stunden oder einen klaren, zum Spektroskopieren geeigneten
Abguss zu erzielen. Während man selbst zu der von Schümm
modifizierten Weber sehen Probe bei einiger Uebung nicht mehr
als 10—15 Minuten braucht, sind nach Grünwalds eigenen An¬
gaben zur Zyankaliumprobe mindestens 2 Stunden erforderlich,
Ausserdem bedarf 'es auch zum Spektroskopieren einer nicht unbe¬
trächtlichen Uebung, da man sonst bei den stärkeren Verdünnungen
das Vorhandensein der charakteristischen Streifen im Spektrum nicht
mit Sicherheit feststellen kann.
Dann habe ich aber auch noch auf Anregung von Herrn
Schümm, dem ich an dieser Stelle hierfür, wie für die bei meinen
Untersuchungen geleistete Anleitung und Hilfe herzlichst danken
möchte, die Ergebnisse der Stuhlprobe nach den von G r ü n w a 1 d
angegebenen Methoden nachgeprüft und bin dabei zu wesentlich
anderen Resultaten gekommen. Während z. B. Grünwald findet,
dass die beiden spektroskopischen Proben der Weber sehen um
das Dreifache überlegen sind, konnte ich bei einer Stuhluntersuchung
mit der einfachen Weber sehen Probe eine allerdings nur schwach
positive Reaktion feststellen, während die spektroskopischen Prü¬
fungen, auch mit verschiedenen Modifikationen, absolut negativ aus¬
fielen.
Die Weber sehe Probe wurde angestellt mit 3 g gut durch¬
gerührtem Stuhl, Vz ccm Guajaktinktur und 1 ccm verharztem Ter¬
pentinöl. Die Färbung der Flüssigkeit war nach 3 Minuten braungelb
mit einem starken Stich ins grüne.
Die mit 4 g Stuhl angestellte Weber sehe Probe nach der
Schümm sehen Modifikation fiel, im Vergleich hiermit, stark positiv
aus (schon nach Minute deutliche Violettfärbung, nach 2 Minuten
tief dunkelblau).
Bei der spektroskopischen Untersuchung wurde nach den An¬
gaben Grünwalds ein Stück gut verrührten Stuhles (3g) mit
10 g 15proz. Natronlauge und einigen Tropfen Schwefelammonium
gemischt und nach 5 Minuten filtriert; 1 ccm des Filtrates wurde,
da die Flüssigkeit zum Spektroskopieren zu dunkel war, aufs Vier¬
fache verdünnt. Im Spektum war aber nicht die Spur eines Streifens
zu .sehen.
Dasselbe negative Resultat hatte die Zyankaliumprobe, ausge¬
führt nach den Angaben Grünwalds. Eine weitere spektroskopi¬
sche Untersuchung wurde angestellt nach Reinigung des zu unter¬
suchenden Stuhlbröckels durch Alkoholäther; der Stuhl wurde dann
mit Eisessig extrahiert, das filtrierte Extrakt mit dem doppelten Vo¬
lum Aether versetzt, mit dem halben Volum Wasser ausgeschüttelt;
die Aetherlösung abgetrennt und nochmals mit einigen Kubikzenti¬
meter Wasser ausgeschüttelt; die Aetherlösung wieder abgetrennt,
mit Salmiakgeist in geringem Ueberschuss durchgeschüttelt, die
ammoniakalische Lösung abgetrennt und mit etwas Hydrazinhydrat
oder Schwefelammonium versetzt.1) Trotzdem die Flüssigkeit ihrer
geringen Eigenfarbe wegen besser zur spektroskopischen Unter¬
suchung geeignet war als die stark gefärbten Extrakte, wie man sie
nach Grünwalds Vorschriften erhält, fiel die Probe negativ aus.
Das gleiche Resultat ergab die in der angegebenen Weise durch¬
geführte Untersuchung einer Anzahl anderer schwach bluthaltiger
Stühle.
D O. Schümm: Die Bedeutung der Fäzesuntersuchungen mit
besonderer Berücksichtigung des Nachweises von Blutungen (Phar¬
mazeut. Zeitung vom 24. November 1906).
Grünwald konnte 1 g Blut in 40 g Stuhl spektroskopisch
deutlich nachweisen; diese Angabe stimmt ungefähr überein mit denen
Siegels [3] und Webers [4j; ersterer schreibt, dass 3V2 — 3%
Proz. Blut erforderlich sind zur Hämochromogenreaktion im Aether-
extrakt. Weber bekam unter Umständen sogar schon bei 2 Proz.
eine erkennbare Hämochromogenreaktion; hierbei ist allerdings zu
berücksichtigen, dass Weber wahrscheinlich seine Untersuchungen
an Stuhlproben anstellte, die nicht von fleischfreier Kost herrührten;
das in dieser Form in den Stuhl übergehende tierische Blut kann
aber unter Umständen Vz — 1 Proz. der gesamten Stuhltagesmenge
betragen. Man kommt dann auch bei den Weber sehen Angaben
auf mindestens 2Vz — 3 Proz. Ein gleiches Resultat erzielte auch
Schümm2) bei einer grossen Reihe systematisch angestellter
Stuhluntersuchungen, wobei er teils Milchstühlen eine bestimmte
Menge frischen Blutes zusetzte, teils Stühle gesunder Personen unter¬
suchte, die zu fleischfreier Kost einen bis mehrere Kubikzentimeter
Blut genossen hatten. Er fand dann, wenn er das Eisessigextrakt
mit Ammoniak alkalisierte und Schwefelammonium oder Hydrazin¬
hydrat zusetzte, bei etwa 2Vz Proz. zuerst eine deutlich erkennbare
Hämochromogenreaktion. 3)
Bis hierher also lassen sich die Resultate Grünwalds
mit denen anderer Autoren in Einklang bringen. Wenn er
weiterhin aber zu dem Ergebnis kommt, man könne, weil sich
1 g Blut in 40 g Stuhl noch bis zur vierfachen Verdünnung
nachweisen lasse, auch das Vorhandensein von 1 g Blut noch
in 160 g Stuhl nach seinem Verfahren (als Zyanhämoglobin)
spektroskopisch feststellen, so ist das ein falscher Schluss, in¬
sofern als er nicht berücksichtigt, dass bei der vierfachen Stuhl¬
menge auch die vierfache Menge von Kotfarbstoffen (Urobilin
usw.) vorhanden ist, die das Spektroskopieren äusserst er¬
schweren, wenn nicht unmöglich machen. Ist es doch auch
nicht dasselbe, ob 1 g Blut in 160 g eines dünnflüssigen diar-
rhoischen wenig gefärbten oder in der gleichen Menge eines
normalen festen Stuhles nachgewiesen werden soll.
Deshalb ist es auch nicht angängig, die Resultate, die man
bei der Untersuchung von wässerigen Blutlösungen mit den
verschiedenen Proben (W e b e r scher, Benzidin-, Zyankali-,
Hämochromogenprobe) erhalten hat, direkt auf den Nachweis
von Blut im Stuhl zu übertragen. Die Weber sehe Probe ist
speziell für den Nachweis von Blut im Stuhl angegeben; will
man die Guajakprobe auf frische Blutlösung anwenden, so
wird die von Weber empfohlene Ueberführung des Blutfarb¬
stoffes in Hämin (durch Zusatz von Essigsäure) überflüssig.
Bei dieser Art der Ausführung ergeben sich ganz andere Zahlen,
als G r ii n w a 1 d sie gefunden hat. G r ü n w a 1 d gibt als
äusserste Grenze eines positiven Ausfalles der Reaktion bei
wässerigen Blutverdünnungen an:
für Weber: . . . 1:2000,
Hämochromogen : 1 : 5000,
Zyankalium : . . 1 : 5000.
Die beiden letztgenannten Zahlen stimmen mit den von mir
gefundenen Resultaten überein; mit der Guajakprobe hingegen
fand ich noch bei einer Verdünnung von 1 : 100 000 eine wahr¬
nehmbare Reaktion.
Die Guajakprobe wurde, da bekanntermassen ein Gemisch
aus Terpentinöl und Guajaktinktur bei längerem Stehen an der
Luft infolge von Selbstzersetzung eine leichte Bläuung gibt, in
jedem einzelnen Falle durch einen Blindversuch kontrolliert.
Ausserdem verfeinerte ein kleiner Kunstgriff, den Schümm
[5] in einer früheren Arbeit angegeben hat, die Schärfe der
Reaktion. Die Blaufärbung wird nämlich, besonders bei den
höheren Verdünnungen, leicht verdeckt dadurch, dass sich aus
der zu untersuchenden Lösung und den Reagentien eine feine
Emulsion bildet; gibt man nun hierzu 1 ccm Alkohol und
schüttelt damit durch, so geht der blaue Farbstoff grösstenteils
in den Alkohol über und erscheint durch die jetzt stärkere
Konzentration und infolge des Fehlens störender Trübungen
deutlicher. So fand ich bei einer Verdünnung von:
2) Nach persönlicher Mitteilung.
3) Nach einer mündlichen Mitteilung über noch nicht veröffent¬
lichte Untersuchungen konnte Schlimm 15] neuerdings feststellen,
dass sich spektroskopisch ein Blutgehalt von nur 0,6 Proz. nachweisen
lässt, wenn man etwa 20 g des Stuhles nach der zweiten, in der
Pharmazeutischen Zeitung vom 24. November 1906 unter „b“ ange¬
gebenen Vorschrift verarbeitet. Dagegen gelang auch ihm der spek¬
troskopische Nachweis bei diesem Blutgehalt nicht mit der von
Grünwald empfohlenen Zyankaliumprobe.
1640
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
I.
1 : 10 000 [8 ccm Blutlösung, 10 Tropfen *)
Guajaktinktur, 20 Tropfen verharzten Terpentinöls]
nach 5 Sekunden deutliche Blaufärbung; nach
2 Minuten auf Zusatz von 1 ccm Alkohol :
Vertiefung der Blaufärbung.
II.
1 : 20 000 [8 ccm Lösung, 10 Tropfen Tinktur,
20 Tropfen Terpentinöl] sofort bläulich grüne
Färbung ; nach 3 Minuten auf Zusatz von 1 ccm
Alkohol : deutliche dunkle Blaufärbung.
Blindversuch :
[8 ccm Wasser, 10 Tropfen
Guajaktinktur, 20 Tropfen
Terpentinöl] keine Färbung;
erst nach */* Stunde beginnende
ganz leichte Blaufärbung.
wie I.
III.
1 : 40 000 [8 ccm Lösung, 5 Tropfen Tinktur,
20 Tropfen Terpentinöl] smaragdgrüne Färbung;
nach 3 Minuten auf Zusatz von 1 ccm Alkohol :
intensive Blaufärbung.
IV.
1 : 50 000 [8 ccm Lösung, 5 Tropfen Tinktur, I
20 Tropfen Terpentinöl] hellblaugrüne Färbung;
nach 3 Minuten auf Zusatz von 1 ccm Alkohol :
tiefere Blaufärbung,
V.
1 : 80 000 [8 ccm Lösung, 3 Tropfen Tinktur,
20 Tropfen Terpentinöl] hellgrüne Färbung mit
Stich ins Blaue ; nach 3 Minuten auf Alkohol¬
zusatz : stärkere Bläuung.
VI.
1 : 100 000 [8 ccm Lösung, 3 Tropfen Tinktur,
20 Tropfen Terpentinöl] Färbung eine Nüance
heller als V.; aber nach Alkoholzusatz noch
deutlich bläulich.
wie I.
wie I.
wie I.
wie I.
Bei der spektroskopischen Untersuchung* * * 4) kommt es
wesentlich auf die Schichtdicke der untersuchten Flüssigkeit
an, wie die folgenden Resultate beweisen:
Hämochromogen probe.
Schichtdicke: 20mm
Schichtdicke: 40mm
Schichtdicke: 54mm*)
1 : 1000
Erster Streifen deutlich,
zweiter schwach.
1 : 2000
Erster Streifen gut
sichtbar, zweiter kaum
angedeutet.
1 : 4000
Erster Streifen schwach
sichtbar, zweiter nicht
mehr wahrnehmbar.
1 : 5000
Nach wenigen Sekunden
erster Streifen deutlich
sichtbar.
1 : 6000
Erster Streifen eben
wahrnehmbar, äusserst
schwach.
Erster Streifen schwach,
aber gut wahrnehmbar.
1 : 8000
Geringste wahrnehm¬
bare Andeutung des
ersten Streifens.
Erster Streifen sehr
schwach, aber doch un¬
zweifelhaft erkennbar.
1 : 10 000
Nach einer Minute etwa
erster Streifen deutlich
erkennbar.
1 : 1 2 000
negativ.
negativ.
1 : 15 000
Nach einer Minute An¬
deutung des ersten
Streifens, allmählich noch
schärfer werdend.
1 : 20 000
Streifen kaum noch sicht¬
bar, tritt erst nach zwei
Minuten ganz schwach auf.
d a \ 1 • T »‘-nweieiammomums wurde bei dieser Versuchsreihe Hydrazinhydrat als
Keduktionsmitiel verwendet und gab etwas bessere Resultate als ersteres.
Die Zyankaliumprobe wurde ausgeführt, wie G r ü n w a 1 d
es auch in seiner Arbeit angibt, indem das Hämochromogen-
• • ^ Schümm: Zur Kenntnis der Guajakblutprobe und
einiger ähnlicher Reaktionen. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, 1907
Bd. 50, pag. 381.).
4) Für die Untersuchungen kamen in Anwendung ein Zeiss-
sches Handspektroskop mit Wellenlängenskala und ein neues von
bchumm konstruiertes lichtstarkes Spektroskop, das die Absorp¬
tionsstreifen sehr scharf zeigt.
Spektrum in das Zyankaliumspektrum übergeführt wurde. Man
sah dann 2 gleichstarke Streifen etwas mehr nach dem vio¬
letten Ende des Spektrums zu als die beiden Hämochromogen-
streifen; doch übertraf die Zyankaliumprobe niemals die Hämo-
chromogenprobe an Schärfe, wenigstens wenn man das Auf¬
treten des ersten Hämochromogenstreifens schon als positiven
Ausfall der Probe gelten lässt; — dass das Auftreten dieses,
dem roten Ende des Spektrums näher gelegenen, Streifens
allein genügt, haben mir aber meine Untersuchungen bewiesen.
— Zudem hat die Zyankaliumprobe den Nachteil, dass sich die
Streifen bei ihr (wenigstens in der ursprünglichen Ausführung)
nur sehr langsam entwickeln, während sie bei der Hämochro-
mogenprobe gleich oder nach wenigen Minuten erscheinen.
G r ü n w a 1 d selbst rät an, die Probe über Nacht stehen zu
lassen.
Wenn man also die an sich sehr wertvollen spektro¬
skopischen Proben zum Nachweis von Blut im Stuhl ver¬
wenden will, so wird man jedenfalls nach wie vor der Hämo-
chromogenprobe den Vorzug geben und zwar in der oben
schon beschriebenen Form.5)
Literatur:
1. H F. Grünwald: Zur Frage des Blutnachweises in den
Fäzes. (Zentralbl. f. innere Medizin, 1907, No. 4.) — 2. O. S c h u m m-
Die Untersuchung der Fäzes auf Blut. (Verlag von Gustav Fischer'
Jena 1906.) — 3. Siegel: Ueber den Nachweis von Blutfarbstoff
in den Fäzes. (Münch, med. Wochenschr. 1905, No. 33.) — 4. H.
Weber: Ueber den Nachweis des Blutes in dem Magen- und dem
Darminhalt. (Berlin, klin. Wochenschr., 1893, No. 19, pag. 441.) _
5. O. Schümm: Die Bedeutung der Fäzesuntersuchungen mit be¬
sonderer Berücksichtigung des Nachweises von Blutungen. (Phar¬
mazeutische Zeitung vom 24. November 1906. — 6. D e r s e 1 b e: Zur
Kenntnis der Guajakblutprobe und einiger ähnlicher Reaktionen. (Zeit¬
schrift f. physiol. Chemie, 1907; Bd. 50, pag. 381.)
Akute Zitrophenvergiftung.
Mitteilung von J. Hey de in Dresden.
Da das Zitrophen als unschuldiges Mittel gilt und viel verwendet
wird, halten wir es für eine Pflicht, alle die Fälle mitzuteilen, bei
denen durch das Mittel Vergiftungserscheinungen auftraten.
r . betraf einen 22 jährigen, kräftig gebauten jungen
Mann, Studenten, der vor 6 Jahren eine Myokarditis durchgemacht
hatte, jetzt aber gesund war. Er erkrankte an einem Tonsillarabszess
und wünschte ein Linderungsmittel, erhielt 3 Zitrophenpulver ä 1 g
mit der Weisung, das erste Pulver sofort, abends, das zweite am
Morgen nach dem Frühstück zu nehmen und mit dem 3. zu warten
bis der Arzt wieder dagewesen sei. Ungefähr 1 Stunde nach der
zw eiten Dosis traten nun genau dieselben Symptome ein, die
G old Schmidt1) beschreibt, Herzschwäche, Arrhythmie, hoch¬
gradige Zyanose (Lippen blauschwarz), Fingerspitzen und Nägel,
Zehenspitzen und Nägel blau, kalte Extremitäten, Schweiss, Hin-
falhgkeitsgefühl, Temperatur nicht wesentlich herabgesetzt.
Auch hier gelang es .durch Analeptika (Kampher, Kaffee) die Ge¬
fahr zu beseitigen. Aber ungefähr 4 1 age hielt das Schwächegefühl
an und die Zyanose wich erst am 3. Tage.
Interessant ist es, dass der Vater des Patienten auch eine
I d i o s y nkrasie gegen Phenetidinpräparate hat. Er teilte uns nämlich
mit, dass es ihm früher einmal nach Einnehmen von Vs g Phenazetin
so jämmerlich schlecht geworden sei, dass er geglaubt habe, sterben
zu müssen.
Wir haben es hier im Gegensätze zu dem Goldschmidt-
sehen Falle mit einem jungen, kräftigen Mann zu tun und sahen
i Vergiftung nach 2 g Zitrophen in zwei Dosen innerhalb
J 1 Stunden. Beweis, dass man bei dem Mittel äusserste Vorsicht
anwenden muss.
Aus dem städtischen Krankenhause Bayreuth
(Oberarzt Dr. Landgraf).
Ein Instrument zur partiellen Exzision des eingewachsenen
Nagels.
Von C. Ittameier, Medizinal-Praktikant.
In seinen „Erinnerungen eines deutschen Arztes“ rühmt Pro¬
fessor Strom eyer Dupuytren die ausserordentliche Schnellig¬
keit nach, mit der er, angeblich in wenigen Sekunden, die partielle
Exzision des eingewachsenen Nagels ausführte. Wenn auch heute
dank der Lokalanästhetica Schnelligkeit kein unbedingtes Erfordernis
mchi ist, so ist es doch bei gewissen Arten der Anästhesierung, z. B.
5) s. a. Zitat „5“.
U Diese Wochenschrift, 1907, No. 23.
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1641
mit dem Aetherspray, oder, wie es bei diesen Operationen hier aus¬
schliesslich geschieht, mit Chloräthyl, infolge der beschränkten Wir¬
kungsdauer dieser Mittel wünschenswert, den Eingriff in möglichst
kurzer Zeit zu vollenden.
Andererseits handelt es sich häufig um sehr harte und dicke
Nägel, die den gewöhnlichen Scheren einen unüberwindlichen Wider¬
stand entgegensetzen.
Aus diesem Bedürfnis heraus haben wir uns ein Instrument kon¬
struiert, das beiden Anforderungen gerecht werden soll.
Wie aus der beigegebenen Abbildung ersichtlich ist, besteht
das Instrument in einer Zange, deren Branchen ein Keil und eine
Rinne sind. Der Keil, dessen vordere Kante geschärft ist, passt exakt
in die Rinne, so, dass beim Schliessen der Zange die aneinander-
vorbeigleitenden Kanten beider Branchen die Wirkung einer Schere
haben.
Die Handhabung des Instrumentes ist ohne weiteres klar. Je
nachdem es sich um einen eingewachsenen Nagel rechts oder links
handelt, wird die entsprechende Hälfte des Keiles unter die einge¬
wachsene Partie geschoben und das Instrument geschlossen, wobei,
wie oben erwähnt, der Nagel entlang der Kante des Keiles durch¬
schnitten wird. Beide Branchen fassen nach dem Schluss das zu
entfernende Stück fest, sodass es unmittelbar nach dem Durchschnei¬
den herausgezogen werden kann. Der Eingriff ist also nimmer zwei-,
sondern einzeitig.
Die Zange fertigt Kleinknecht in Erlangen. Sie hat uns bis
jetzt ausgezeichnete Dienste geleistet.
Aerztliches und Nichtärztliches von einer Sommerreise
durch das Mittelmeer nach dem Orient.
Von Dr. Otto Neustätte r.
(Schluss.)
Unser deutsches Hospital ist schon relativ alt. Es
wurde vor 30 Jahren etwa errichtet und weist daher gegenüber dem
ganz modernen, vor kurzem vollendeten Neubau des englischen Spi¬
tals natürlich Zeichen des Alters auf. Der Operationssaal z. B.
musste erst aus einem gewöhnlichen Saale hergerichtet werden. In
Betrieb und Verwaltung aber steht das Haus vollständig auf der
Höhe moderner Anforderungen, wie man dies nicht nur von
Deutschen, sondern auch von Angehörigen anderer Nationen freudig
anerkannt hören wird. Die Schwestern sind Diakonissinnen aus dem
Mutterhaus in Kaiserswerth und haben wie die Aerzte, von denen
ich leider keinen antraf, stets das Beste getan, um den Ruf des
deutschen Hospitals hoch zu halten. Ausser dem drei Stockwerk
hohen Gebäude sind noch Isolierhäuser, Kinderhäuser, Verwaltungs¬
gebäude vorhanden. Zwischen den einzelnen Teilen erstreckt sich
ein vortrefflich gehaltener Garten, der, wie mich meine entgegen¬
kommende Führerin, die Oberschwester belehrte, wohl an Ueppig-
keit nichts zu wünschen übrig lässt, aber doch viel mehr Arbeit
macht, als man vermuten sollte. Was es eben bei uns zu viel gibt:
Regen, das mangelt und muss durch sorgfältige Bewässerung ersetzt
werden, bei der die Kranken nicht, wie meist bei uns, mithelfen,
die vielmehr auf den Schultern der an sich schon recht beanspruch¬
ten Schwestern ruht.
War hier im deutschen Spital alles zu finden, was man nach
guter deutscher Ueberlieferung nur erwarten konnte, so war anderer¬
seits in türkischen Spitälern, die kennen zu lernen natürlich beson¬
deres Interesse hatte, zu finden, was man nicht erwartet hatte,
wenigstens sofern es sich um die Einrichtung der modernen Spi¬
täler handelte. Das hervorragendste in dieser Richtung bietet das
von dem gegenwärtigen Sultan aus eigener Initiative und aus seiner
Privatschatulle errichtete Hamidie-Spital. Es liegt draussen ausser¬
halb des Häusergewirres in den Gartenanlagen auf den Höhen in der
Richtung gegen den Bosporus hin mit herrlichem Blick auf die klein¬
asiatischen Berge. Die eingeleisige Pferdebahn führt uns im
Schneckentempo in lieblicher Fahrt durch die Hauptstrassen Peras,
denen man es anmerkt, dass gelegentlich ihre Pflastersteine von
dem oder jenem herausgenommen wurden, um zu irgend welchen
privaten Zwecken verwendet zu werden. Am staubigen, welligen
Exerzierfeld und grossartigen Kasernen vorüber kommen wir hinaus
in die geheimnisumwobene Gegend in der Nähe des kaiserlichen
Palastes. Von diesem sieht man infolge seiner in üppigen Gärten
versteckten Lage und der weit ausholenden Umgrenzungsmauer
nichts. Von dem Spital aus kann man ausser den weit ausgedehn¬
ten grünen Flächen hier und da eine weisse Mauer oder ein Dach
herausragend beobachten, wenn man oben auf den östlichen Balkon
des Hauptgebäudes hinaustritt. Dieses Hauptgebäude, 1899 eröffnet,
ist nur für Verwaltungs- und Repräsentationszwecke bestimmt.
Zwei prunkvolle, in europäischem Stil mit Polstermöbeln, Gardinen,
Teppichen und einem mit goldenen Schreibutensilien geschmückten
Schreibtisch ausgestattete Räume sind hier und auch bei anderen
Spitälern für den allerdings fast nie eintretenden Fall vorgesehen,
dass der Sultan der Anstalt einen Besuch abstatten würde. Mehrere
ebenfalls reich ausgeschmückte Räume des Chefarztes, auch ganz
europäisch, weisen unter anderem Bilder von Z i e m s s e n, Bier,
L a s s a r u. a. auf.
Eine dankbare Patientin hat eine riesige, unendlich mühsam
gefertigte Hochstickarbeit zum Dank für ihre Genesung hier hinein
gestiftet; in der Mitte in Goldstickerei das Lob des Sultans, darum
herum einen Kranz von gestickten und plastisch übereinander ge¬
nähten Blumen. Auch der darunter stehende hochelegante euro¬
päische Schreibtisch ist das Geschenk einer Patientin. Sonst enthält
dieses Gebäude noch einen Speisesaal der Aerzte, eine klein aus¬
sehende Moschee, ein einfaches Zimmer, in dem in der Richtung
gegen Mekka die Gebetnische angebracht ist, sonst schmucklos.
Unten befinden sich die Verwaltungsräume. Das Spital selbst besteht
aus lauter getrennten Pavillons, jeder etwa doppelt so gross wie
eine D ö c ke r sehe Baracke, von denen übrigens mehrere für an¬
steckende Krankheiten aufgeschlagen sind. Jeder solche Pavillon ist
für verschiedene Zwecke bestimmt. Die ältesten sind, dem ur¬
sprünglichen Zwecke des Spitales entsprechend, nur für Kinder ein¬
gerichtet. Es führt der einzige Eingang an dem Zimmer der Wär¬
terin und dem Abort vorüber in den Mädchensaal und durch diesen
hindurch in den Knabensaal. Die Wärterinnen tragen gelblich-
weisse, faltige, weiche Kleider und eine Art Domino, der auch den
Kopf bedeckt, also wie auch sonst die Türkinnen auf der Strasse.
Das Gesicht war frei. Interessant ist der Abort. Er besteht aus
einem in den Marmorboden eingeschnittenen Loch mit einer eben¬
falls ausgeschnittenen Längsrinne an der Vorderseite, kein Sitz. Die
Benützung bedingt also das Hocken in der Naturstellung. Zur Reini¬
gung ist Wasserspülung angebracht. Die Einrichtung ist also sehr
primitiv; aber Italien und Frankreich, die europäischen „Kulturlän¬
der4, sind in diesem Punkte vielfach nicht weiter vorgeschritten, re¬
lativ noch viel weiter zurück. Man denke an die Rivierabahnhöfe.
Die Wände in den Pavillons sind teils mit roter Oelfarbe gestrichen,
teils mit Kacheln belegt. Die Fussböden bestehen aus glatten Stein-
fliessen. Der Operationssaal ist gut eingerichtet, die Wände Kacheln,
der Fussböden Stein. Die sonst recht erfreuliche Reinlichkeit liess
auffallenderweise gerade hier zu wünschen übrig, ebenso wie im
Verbandzimmer. Die Frequenz der Klinik, die ursprünglich auch
nur für Kinder bestimmt war, dann aber auch auf Frauen ausgedehnt
wurde, für die jetzt noch ein gynäkologischer Pavillon errichtet
wird, betrug seit 1899 6374, die in der Poliklinik 83 245. Allerdings
muss berücksichtigt werden, dass auch die massenhaften Beschnei¬
dungen, die zu Ehren des Geburtstages des Sultans auf einmal vor¬
genommen werden, mitgerechnet werden müssen. Leider kam ich
gerade 2 Tage nach dem Schlüsse dieser Zeremonie. Die Kinder
werden nach 24 Stunden jeweils wieder entlassen und vorher mög¬
lichst alle anderen Kranken entfernt, um Platz zu schaffen. Innerhalb
8 Tagen waren 2772 Knaben zirkumzidiert worden! Die Operation
wird mit zweierlei Zangen gemacht. Die eine hält das Präputium
wie eine flache Peanzange zwischen ihren Armen und darüber
wird der Schnitt gemacht; die andere Klammer enthält in der Mitte
ihrer Arme einen Spalt. Nach dem Abklemmen wird durch diesen
das Messer durchgeführt. Es werden nicht etwa nur Moslemin
in das Spital aufgenommen, aber sie bilden doch die weitaus grösste
Zahl. Die meisten Patienten sind innerlich Kranke, dann folgen
die Nasen-, Ohren-, Kehlkopf- und Frauenkrankheiten. Der mir
versprochene Jahresbericht traf leider nicht ein, so dass ich die
genauen Zahlen nicht angeben kann. Von Interesse ist es, wie man
sich mangels gewisser, uns selbstverständlicher Hilfsmittel einzu¬
richten verstanden hat. Elektrische Leitungen gibt es nicht. Der
Sultan hatte sich der Einrichtung von elektrischem Licht in Kon¬
stantinopel bisher verschlossen. Kurz nachdem ich zurückgekehrt
war, las ich, dass er schliesslich doch zugestimmt hat und das elek¬
trische Licht nun nicht mehr als Teufelswerk und gefährlich gilt.
Darum musste für den Röntgenapparat die Elektrizität selbst gemacht
werden und ein schnarrencles Geräusch wie von einem Automobil,
deren es in Konstantinopel doch keine gibt — eine Fahrt dort wäre
auch kaum leichter auszuführen, als etwa auf dem Gerolle eines
Berges — , das meine Aufmerksamkeit schon länger auf sich ge¬
zogen hatte, entpuppte sich als von einem Benzinautomobilmotor
herrührend, der hier verwendet wird, um eine Dynamo zu treiben,
von der der elektrische Strom in Akkumulatoren aufgestapelt wird.
Auch Gas gibt es nicht. Die Wärmeschränke im bakteriologischen
und histologischen Laboratorium müssen daher mittels Petroleum¬
lampen geheizt werden, was sich, wenn auch schwierig und „mit
Geruch“ durchführen lässt, wie gar mancher gleich mir kaum ge¬
dacht haben würde. Die Beleuchtung in den Krankenhäusern wird
ähnlich wie in den Moscheen mittels Oellampen notdürftig durch¬
geführt, die an der Decke aufgehängt sind. Konstantinopel war
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
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eben bisher überhaupt die Stadt der Dunkelheit — auch im wört¬
lichsten Sinne.
Gerne hätte ich die militär-medizinische Schule Haidar Pascha
besucht, allein dazu hätte es eines eigenen kaiserlichen Irades be¬
durft. Da man munkelt, dass selbst die Feuerwehr erst einer
solchen Erlaubnis zum Ausrücken bedarf — wenn es nicht wahr ist,
ist es gut erfunden — , so musste ich mich wohl fügen, da es zwar
nicht schwer ist, ihn zu erhalten, aber doch Zeit kostet. Dagegen
erhielt ich dank der Freundlichkeit S. Exz. Dr. Elias Pascha, dem
bekannten, jetzt wie so mancher verdiente Mann in Ungnade ver¬
fallenen Organisator und Berater des Sultans für die hygienische
und ärztliche Kultur in Konstantinopel und der Türkei, die trotz
ihrer Halbheiten doch ein Verdienst des jetzigen Sultans sind, die
Erlaubnis, das Marienhospital zu besuchen. Es ist ein langge¬
streckter, renaissanceartiger Bau, oben auf dem Hügel über dem
Goldenen Horn gelegen. Ein Vorgarten mit blühenden Pfefferbäumen
zieht sich der ganzen Länge der Fassade entlang, die durch einen
erhöhten Mittelbau mit Portikus und zwei ebenfalls etwas höheren
Flügeln einen sehr harmonischen Eindruck macht. Der innere An¬
blick harmoniert freilich weniger mit den Forderungen der Neuzeit.
Der Bau ist alt, mit Säulenhallen, Marmorgängen, dürftiger Ein¬
richtung und holperigem Holzboden und Holzdecken in den ausser¬
ordentlich grossen und hohen Krankensälen. Die eisernen Bettstellen
stehen ziemlich dicht beisammen; im Notfall werden sie immer noch
enger zusammengerückt und die Leute auch auf Matrazen in die Korri¬
dore gelegt. Das Spital war interessant als Gegensatz zu jenem
durchaus modernen. Man bekommt da den Fortschritt der Kultur,
der sich unaufhaltsam auch in der Türkei durchsetzt, so recht deut¬
lich vor Augen. Am Eingang hatten sich die Marinesoldaten in¬
zwischen höchlichst an meinem Fernstecher ergötzt, den ich ihnen
überlassen hatte, und durch den sie bewundernd die Umgebung und
die unten liegenden prächtigen neuen Kriegsschiffe betrachteten, die
niemals Feuer in den Kesseln, niemals Pulver in den Kanonen seit
ihrer Ankunft im Goldenen Horn gesehen haben und an der gleichen
Stelle, an die sie vor Anker gelegt worden sind, nun verrosten.
Von da fuhr ich über das Goldene Horn hinüber nach dem
jüdischen Viertel Bairat, um das stattliche, auch im Renaissancestil
gebaute, sehr modern und gediegen, namentlich neben der ärmlichen
Umgebung, erscheinende jüdische Spital zu besichtigen. Hier kon¬
trastierte das Innere nicht so mit dem Aeusseren. Der Betrieb ist
vielmehr durchaus modern, soweit es sich eben machen lässt. Da
aber das Spital ganz von mildtätigen Beiträgen sich erhalten muss
— auch die Aerzte arbeiten ohne Entgelt, das Judenviertel be¬
herbergt fast nur arme und vielfach sehr arme Leute, kleine Hand¬
werker aller Art, bis herunter zum Lastträger und kleine Kaufleute,
I rödler, Matratzenflicker usw. — , so konnte einer der grossen, hohen,
steingepflasterten kühlen Säle bis jetzt noch nicht in Betrieb ge¬
nommen werden, er steht leer. Auch hier ist eine Poliklinik vorge¬
sehen, deren grosser Saal von Wartenden übervoll war, sodass viele
im Freien auf dem Boden zu warten vorzogen. Das Spital ist wie alle
anderen interkonfessionell gehalten; namentlich in der Poliklinik sah
ich fast lauter türkische Frauen; die Wärterinnen sind zum Teil
Jüdinnen, zum Teil Griechinnen. In den Frauensälen fiel mir auf, dass
mehrere Patientinnen Zigaretten neben sich liegen hatten. Das Sei
allgemein üblich, dass die Frauen hier rauchen, wurde mir geant¬
wortet. Freilich den Laparotomierten, deren vier gerade dalagen,
wird dieser Genuss zunächst nicht erlaubt.
Eigenartig und zeitraubend ist die zeremonnell höfliche Art, wie
man überall empfangen wird. Am auffallendsten war uns dies beim
ersten Besuch, den ich dem grössten Hospital in Smyrna abstattete.
Beim Vorüberfahren fiel uns — wir waren in grösserer Gesellschaft
— ein moderner, europäisch aussehender, hoher und ausgedehnter
weisser Bau auf mit besonders hohen Fenstern. Es ist das Hospital
der Stadt, von städtischen Mitteln errichtet, mit etwa 250 Betten und
ebenfalls sehr ausgedehntem poliklinischen Betrieb. Wir Hessen durch
den Dolmetscher, der zuerst nicht recht dran wollte, anfragen, ob wir
7 2 Damen, 2 Nichtmediziner und ein Kollege — das Hospital be¬
sichtigen könnten. Das wurde uns in freundlicher Weise bejaht, und
wir wurden in die elegant ausgestattete Apotheke einzutreten gebeten.
Da sahs ganz europäisch aus. Die gleichen Regale, die weissen
Porzellanbehälter, die Flaschen, und auf dem Ordinationstisch eine
Menge von Mustern deutscher chemischer Fabriken. In allen Spi¬
tälern waren die Chemikalien fast ausschliesslich deutscher Ab¬
kunft. Dagegen sind die Apparate mit Ausnahme einiger Sterilisier¬
apparate alle aus französischen Fabriken gewesen. Auch hier war
der eben in Einrichtung begriffene, geradezu raffiniert ausgestattete,
blendend helle Operationssaal mit allen modernen Utensilien aus Paris
versehen, nichts also erinnerte an die Türkei in der Apotheke ausser
den merkwürdigen türkischen Schnörkeln, die unter den französischen
Bezeichnungen auf den Flaschen und Töpfen und Schubläden ange¬
bracht waren und ein merkwürdiger Schaukasten, in dem Abgänge
oder durch Operation gewonnene Blasen- und Nierensteine, deren
erstere eine Spezialität allerhäufigster Art in Smyrna sein sollen,
Photographien von Aussätzigen mit fürchterlichen Verunstaltungen,
eine Frau vor der Operation ihres Ovarialkystoms und nach der¬
selben, Präparate von Operationen usw. ausgestellt waren. Meine
Vermutung, dass diese Dinge Besuchern der Apotheke oder des Kran¬
kenhauses als Reklame gezeigt würden, bestätigte sich aber nicht.
Es war nur eine merkwürdige Unterbringung hier statt in dem vor¬
handenen mikroskopischen oder einem sonstigen Laboratorium. Da
sassen wir nun und dann kam der Direktor, ein behäbig aussehender,
freundlicher, alter, korpulenter Türke in europäischem, weit gehaltenen
grauen Anzug, aber mit dem Fez auf dem Kopfe, den die Türken stets
aufbehalten. Er freute sich sichtlich über die Anerkennung, die wir
hier und später den Einrichtungen zollten, und dankte für unsere
durch Gebärden ausgedrückte Bewunderung mit behaglichen Hände¬
bewegungen und Neigen des Kopfes. Aerzte 'waren leider keine an¬
wesend. Später kam der erste Apotheker, mit dem wir uns fran¬
zösisch unterhalten konnten. Da sassen wir nun ungeduldig und
warteten immer auf die Besichtigung. Es hiess aber auf unsere An¬
frage nur immer: Gleich, wir möchten uns nur ein wenig gedulden.
Auf was gewartet werden musste, wollte uns gar nicht klar werden.
Wir meinten schliesslich, ob vielleicht die Damen störten. Das war
es aber nicht. Endlich kam die Lösung des Rätsels — auf präch¬
tigem Silberbrett wurde uns in silbernen Bechern, von denen ich
gerne einen wegen der schönen Arbeit mitgenommen hätte, Limonade
kredenzt. Erst nach dieser Höflichkeitserweisung kann man zu seinem
eigentlichen Zweck gelangen. Das wiederholte sich immer. Ge¬
wöhnlich wird man gefragt, man nehme doch sicher eine Tasse
Kaffee zuerst. Man bekommt aber auch Limonade. Das geht meist
wenigstens etwas rascher. Der Gang durch das weitläufige Ge¬
bäude war ausserordentlich interessant. Die Einrichtungen sind
durchaus modern und grossstilig. Licht flutet überall herein, wo
nicht die Rolljalousien es abdämpfen. Eigenartig war aber doch
mehreres. Oben in dem breiten Gang, der sich links und rechts
von der schönen Marmortreppe ausdehnt, lagen auf dem Boden auf
Matratzen einige 20 Kranke, die man in den Sälen nicht mehr unter¬
bringen konnte. Abgewiesen darf kein Kranker werden — also wird
untergebracht wies eben geht. Einer von den Leuten hatte seine
Katze mit, die neben ihm auf der Matratze schlief, gelegentlich auch
zwischen den Leuten herumspazierte. Es ist charakteristisch für
die zarte Behandlung, deren sich die Tiere bei den Türken zu er¬
freuen haben, dass man dieses Tier so gewähren Hess. Was die
Aerzte dazu sagten — kann ich nicht berichten. Dann kamen wir an
einem kleinen, ganz finsteren Gemach vorüber, in dem drei Männer
in Kostümen, die offenbar zum Besuch hereingekommen waren, da
die Kranken alle Anstaltstracht erhalten, um zwei Betten traurig
herumsassen; es ist dies die Sterbekammer, in die die Kranken un-
•mittelbar vor ihrem Tode gebracht zu werden pflegen. Wir be¬
sichtigten dann noch mehrere Säle, die Laboratorien, man zeigte uns
auch den in Kioskstil gebauten Kaninchenstall, der zum bakteriologi¬
schen Laboratorium gehört. Alles ganz modern. Allmählich hatte sich
eine ganze Schar von Wärtern um uns versammelt, die neugierig
uns beobachteten. Ein Wort des Verwalters allerdings genügte dann,
um die Leute in schleunigste Bewegung zu versetzen. Das Verhältnis
der Untergebenen hat noch etwas Sklavenhaftes und mit den Leuten
änderte sich auch der Ausdruck unseres sonst so freundlichen Be¬
gleiters in ein barsches, wenn auch ruhiges, Befehlen. Das Hospital
verliessen wir mit grosser Befriedigung. Wer erwartete auch in
einer Stadt, in der kein Licht die Strassen nachts erhellt, es müsste
denn sein, dass aus dem noch immer nicht ausverkauften Korbe eines
Trauben- oder Feigenhändlers ein flackerndes Oellämpchen oder
eine aufgesteckte Kerze herausleuchtet, wo die Kamele von dem
Innern Asiens in langen Zügen ihre Schätze herbeibringen, wo die
europäische Kleidung im Gegensatz zu Konstantinopel — erfreu¬
licherweise fürs Auge — noch recht selten ist, kurz, wo die Kultur
noch einen ausgeprägten orientalischen Charakter trägt, ein voll¬
ständig modernes Krankenhaus zu finden, das jeder europäischen
Grossstadt nur Ehre machen würde. Freilich ist Smyrna im Wesen
vielleicht doch viel moderner als Konstantinopel. Was diesem An¬
sehen und Bedeutung gibt, die alte Pracht und der Hof, das fehlt
hier. Smyrna bietet gar nichts sehenswertes. Dafür aber fehlt auch
der lähmende Einfluss des Konservativismus oder er ist mehr den
Handelsbedürfnissen gewichen, die ein Ueberwiegen der Kaufleute
— namentlich der Griechen — mit sich gebracht hat. Der Einfluss
zeigt sich in der besseren Pflasterung der Strassen, den besser ge¬
bauten Häusern, dem modernen Kai mit Trambahn, europäischen
Häuserfronten, Cafes, dem Vorhandensein von Automobilen und dem
Mangel der auf den Strassen herumlungernden Hunde, um die Men¬
schen und Wagen in Konstantinopel vorsichtig herumgehen.
Ein weiter Sprung. Es war auf der Rückreise von Marseille in
der Bahn. Im vollgepfropften Coupe drei Französinnen, Südfran¬
zösinnen, mit Kindern. Das Gespräch führt eine Provenzalin. Eine
lebhafte, schwarze, rundliche Bürgersfrau, ziemlich elegant aber etwas
burschikos in den Manieren — um die Hitze los zu werden, rafft sic
die Röcke bis gut herauf über die Waden und knüpft sich Aermel
und Kragen auf und fächelt sich fortwährend mit ihrem kleinen
Fächer. Sie springt von einem Gespräch zum andern. Schliesslich
kommt sie auf Lourdes zu sprechen. Drei wunderbare Fälle habe
sie selbst miterlebt! Ein Mädchen, krumm und lahm, versuchte
noch vergebens die Stufen in Lourdes hinaufzugehen. Plötzlich be¬
kommt sie Krämpfe, die Hände, die vorher krampfhaft geschlossen
gewesen, zittern und fangen an, sich zu öffnen, der ganze Körper
gerät in Konvulsion, und unter Schluchzen wankt sie zum ersten
Male seit langer Zeit allein vorwärts. 2.: Ein Blinder, der an die
heilige Stätte hingekommen sei, geführt von seiner Schwester, ge¬
senkten Hauptes. Plötzlich ein gellender Schrei des Entzückens:
j’y vois, j’y vois! Und dann ein überglückliches Stammeln von dem
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1643
Wunder, das ihm zuteil geworden. Wie ein Schleier sei die Blindheit
heruntergefallen vor seinen Augen. 3.: Ein junger Mann, der seit
Kindheit gelähmt, mühsam an Krücken sich fortschleppte. Auf der
2. Stufe angelangt, wirft er plötzlich seine Krücken weg und steigt
frei und gewandt die Stufen hinauf. — Also alltägliche Fälle an sich.
Aber welch glänzende Augen voll starren Staunens bei den Zu-
nörern. Und welch begeisterter Schluss der Sprecherin: O n'y croit
pas — Achselzucken — moi je n’y crois pas non plus — . Ich
habe es gesehen, gesehen mit meinen Augen, was gibt es da noch
zu glauben?
Ein junger Franzose in der Ecke lächelt spöttisch und murmelt
etwas vor sich hin. Ja: welche Aehnlichkeit doch zwischen Ost
und West! Dort die heulenden Derwische, die sich heiser schreien
und den Rücken und den Hals verstauchen und die furchtsamen Rat¬
geber des Sultans, die gegen das elektrische Licht als Teufelswerk
toben, und die Weiber, die den Photographieapparat fürchten wie ein
Hexenwerk — und hier die moderne Europäerin, der sich aus Bayerns
Landtagspräsidium ein ebenbürtiger Schwärmer an die Seite stellen
liesse — wo sind da die grossen Unterschiede? Wahn, Wahn, über¬
all Wahn! Wir brauchen nicht allzu stolz zu sein, wir Europäer,
wir besseren Menschen! Wenn wir auch recht sehr dazu neigen
im Augenblick, wo wir in jener merkwürdigen Halbkultur am Ost¬
ende Europas und am Westende Asiens weilen!
Referate und Bücheranzeigen.
Alfred Adler: Studie über die Minderwertigkeit von
Organen. Urban &. Schwarzenberg. Berlin-Wien
1907. 92 Seiten. 3 Mark.
Die vorliegende Studie, welche stark von den Freud-
schen Gedankenkreisen beeinflusst ist, enthält zwei Grund¬
ideen. Die eine ist die Annahme, dass es eine primäre Minder¬
wertigkeit von Organen gibt, welche für Entstehung, Lokali¬
sation und Ablauf der Krankheiten von entscheidender Be¬
deutung sei, die zweite ist die, dass eine solche Organminder¬
wertigkeit durch Kraftleistungen auf dem übergeordneten
psychischen Felde nicht nur ausgeglichen, sondern über¬
kompensiert werden könnte. So vortrefflich nun diese beiden
leitenden Gedanken dazu angetan wären, die Grundlage für ein
experimentelles Vorgehen auf dem genannten Gebiete zu bilden,
so ungenügend muss die Beweisführung Adlers in einer so
schwierigen Frage bezeichnet werden. Nicht nur, dass er in
den Fehler der einseitig Begeisterten verfällt, nun aus diesem
ja vielleicht ganz fruchtbaren Gedanken heraus alles erklären
zu wollen und alle bisher in der Aetiologie der Krankheiten
als unbedingt richtig erkannten und oft allein ausschlaggebenden
Faktoren, wie Mass und Art der bakteriellen Infektionen,
mechanische Ursachen usw. zu vernachlässigen, sondern es ist
auch nicht der leiseste Versuch gemacht, in einem von den
vielen angeführten Fällen die Organminderwertigkeit anders zu
erweisen, als durch Angabe von anamnestischen Daten (Be¬
tonung der Erblichkeit, Aufführung der Kinderfehler), des Ver¬
haltens von Reflexen und der subjektiven Aussagen der Patien¬
ten. Wen hätte es nicht schon gelockt, dem Gedanken an an¬
geborene oder erworbene Organschwäche, der doch auch gar
nicht neu ist, nachzugehen? Und sind nicht schon die Anfänge
einer rationellen Prüfung des interessanten Problems durch
Anstellung funktioneller Examina der Organe gemacht? Eines
der Ziele, die wir erreichen müssen, ist ja dies, die Leistungs¬
fähigkeit gesunder und kranker Organe feststellen zu können,
und das Ideal wäre dies, wenn für einen bestimmten Patienten
schon aus seinen gesunden Tagen her Mass und Güte seiner
Organfunktionen feststünde. Dass, wie Adler behauptet, für
die Minderwertigkeit der Organe morphologische Kennzeichen
vorhanden wären, ist nicht richtig. Denn keineswegs entspricht
7.. B. die Missbildung eines Organs, z. B. einfache Hypoplasie
der Niere, einer Minderwertigkeit derselben in Adlers Sinn,
dass z. B. ein solches Organ der Ansiedlung von Infektionen
besonders ausgesetzt wäre oder besonders oft genuine
Schrumpfung zeigte. Und insbesondere enthüllt uns das Mikro¬
skop nichts, aber auch gar nichts, was sich als Minderwertig¬
keit eines Organgewebes bezeichnen liesse.
Der Verfasser geht so weit, das Befallenwerden auch
vieler Personen in Epidemiezeiten, z. B. durch Diphtherie, nur
auf Grund vorhandener Minderwertigkeiten der Rachenorgane
gelten zu lassen, oder führt als Beispiel für Minderwertigkeit
des Sehorganes an, dass ein Knabe in wenig Jahren mehrmals
von fremder Hand eine Verletzung des Auges erlitt! In Ver¬
folgung der genannten zweiten Grundidee kommt er zum
Schluss, dass infolge Ueberwindung ursprünglich unternor¬
maler Fähigkeiten aus Leuten mit „oraler Minderwertigkeit“
hervorragende Schauspieler, aus Enuretikern, welche im spä¬
teren Leben häufig noch vom nassen Element träumen, be¬
sonders tüchtige Schwimmer und Ruderer würden, dass
mancher passionierte Tourist, Schlittschuh- und Skiläufer ur¬
sprünglich ein Minderwertiger in Bezug auf die Beine ge¬
wesen ist. Die Hypertrophie des Herzens bei Nierenschrump¬
fung wird dem Verfasser erst verständlich durch die Annahme
einer gleichzeitigen Minderwertigkeit des Blutgefässysteins;
überhaupt wird oft die Annahme von Kombinationen der
Minderwertigkeiten notwendig, z. B. gleichzeitige Minder¬
wertigkeit von Darm und Sexualorganen, Darm- und Respira-
tionstraktus. Auf diese Weise lassen sich natürlich viele Fälle
unterbringen. Die minderwertigen Organe sollen bald Ver¬
änderungen atrophischer, bald solcher hypertrophischer Natur
zeigen und zum Neoplasma ist dann nur „ein Schritt“. Die
Riesenzellen bei der Tuberkulose erwecken dem Verfasser den
Verdacht, dass es sich bei ihnen um dieselbe Wachtstums-
tendenz handelt, wie sie minderwertigen Organen zukomme;
doch genug der Beispiele. Wo der Verfasser sich auf psychi¬
atrisch-psychologische Gebiete begibt, können wir ihm auch
nicht folgen, und es ist zu fürchten oder zu hoffen — wie man
will — , dass er damit nicht vielen Beifall finden wird, wenn
er sich bemüht, alle Neurosen und Psychoneurosen auf Organ-
minderwertigkeit zurückzuführen.
Robert R ö s s 1 e - München.
V. Babes: Beobachtungen über Riesenzellen. Mit
10 farbigen Tafeln. Bibliotheca Medica. Abteilung C. Heft 20.
Stuttgart, Verlag von Erwin Nägele, 1905. Preis 60 M.
Verfasser hat auf Grund eines reichen Untersuchungs-
materials die Morphologie, Entstehung und Herkunft der
Riesenzellen, welche bei den verschiedenen pathologischen
Vorgängen beobachtet werden, einem erneuten sorgfältigen
Studium unterworfen.
Nach einem kurzen historischen Ueberblick über die Lehre
von der Riesenzellenbildung im allgemeinen und einer Zurück¬
weisung der M e t s! c h n i k o if f sehen Makrophagenlehre
werden im 1. Abschnitt die Fremdkörperriesen¬
zellen besprochen. Babes fasst unter diesem Begriff alle
diejenigen Riesenzellen zusammen, welche überhaupt korpus-
kuläre Elemente irgend welcher Art in sich aufnehmen und
eventuell zur Resorption bringen. Eine Entstehung dieser
Zellen durch Verschmelzung von Leukozyten und Polyblasten
konnte Verfasser niemals beobachten, wohl aber konnte er die
Entstehung aus Blut- und Ly mphgefässs prossen
nachweisen.
Eine sehr ausführliche und fesselnde Darstellung hat im
2. Abschnitt die Frage von der Riesenzellenbildung bei Tu¬
berkulose gefunden. Nach den Untersuchungen des Ver¬
fassers kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ein grosser
Teil der Tuberkuloseriesenzellen aus einer Sprossung
von Gefässen erfolgt, eine Tatsache, welche auch der Re¬
ferent auf Grund seiner eigenen Beobachtungen nur bestätigen
kann.
Im 3. und 4. Abschnitt wird die Riesenzellenbildung bei
R o t z und Lepra besprochen.
Von besonderer Bedeutung ist auch der 5. Abschnitt,
welcher die Riesenzellenbildung von Geschwülsten be¬
handelt. Namentlich ist es von Interesse, dass B. die von
Arnold angenommene Entstehung von Riesenzellen durch
einfache Segmentierung und indirekte Fragmentierung des
Kernes bei den Geschwulstzellen nicht konstatieren konnte.
Wenn B. auch zugibt, dass es in vielen Fällen nicht gelingt, die
Entstehungsweise der Riesenzellen festzustellen, so sollen nach
seinen Beobachtungen doch die meisten Riesenzellen
auf dem Wege der Knospung und multipolaren
indirekten Kernteilung entstehen, wobei die
auftretenden Mitosen sich i m wesentlichen
wenig von den normalen Kernteilungs¬
figuren unterscheiden. Auch die Metschnikoff-
sche Annahme, dass die Kerne der Riesenzellen durch Quel¬
lung der chromatischen Fäden entständen, wird von B. zu-
1644
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
rückgewiesen ; ebenso hält er die Entstehung von
Riesenzellen durch Verschmelzung kleinerer
Zellen für durchaus unerwiesen.
Der 6. und 7. Abschnitt (nicht 8. und 9., wie irrtümlicher¬
weise gedruckt ist) endlich handeln von Riesenzellenbildung
im Muskel- und Nervengewebe, sowie der Riesen¬
zellenbildung aus epithelialen Elementen.
Der letzte (8) Abschnitt enthält Schlussbemerkungen, in
welchen der Verf. das Wesentliche an neuen Tatsachen und
neuen Gesichtspunkten, welche seine eigenen Untersuchungen
für die Bedeutung und Entstehung der verschiedenen Formen
der Riesenzellen ergeben haben, nochmals kurz zusammenfasst.
Einige besonders wichtige Ergebnisse haben bereits bei
der Besprechung der einzelnen Abschnitte Erwähnung ge¬
funden. Hervorgehoben sei noch, dass nach B. die Knos¬
pe n b i 1 d u n g namentlich dann zur Entstehung
von Riesenzellen führt, „w enn die infolge
einer regenerativen oderformativen Reizung
entstandene Ge websknospung in ihrer natür¬
lichen Entwicklung zu Gewebsanteilen be¬
hindert ist, ohne dass ihre Wachstumsenergie
bedeutendere Einbusse erlitten hätt e“.
Hinsichtlich der Funktion der Riesenzellen ist B. auf
Grund seiner Untersuchungen zu der Anschauung gelangt,
„dassdiePhagozytosekeinesfallsdiewesent-
liehe Ursache und der Endzweck der Riesen-
zellenbildung sein kann, nachdem der Ein¬
schluss von Fremdkörpern gewöhnlich nicht
zu Anfang der riesenzelligen Knospenbildung
beobachtet wird und in vielen Fällen über-
hauptnichtz u konstatierenist, währendalle r-
dings andere wichtige Momente, welche mit
Phagozytose nichts zu tun haben, von Anfang
an im Sinne der Bildung von regenerativen
Prozessen, von Gefässknospen und Inseln, na¬
mentlich aber von Riesen zellen die Gewebe
beeinflusse n“.
Im übrigen muss bezüglich der Einzelheiten der ebenso
interessanten, als reichen und mannigfaltigen Resultate dieser
überaus sorgfältigen und gründlichen Untersuchungen auf das
Original verwiesen werden, zumal dieselben vielfach nur an
der Hand der zahlreichen Abbildungen, welche sich durch
grosse Klarheit und vorzügliche Ausführung auszeichnen, leich¬
ter zu verstehen sind. G. Hauser.
Georges Hayem: Les evolutions pathologiqttes de la
digestion stomacale. Masson et Cie, Paris 1907, 236 Seiten.
Hayem bestimmt durch verschiedene Untersuchungen
die Menge der Gesamtazidität, der freien und gebundenen Salz¬
säure, des fixen Chlors und der gesamten Chloride des Magen¬
inhalts. Je nach dem wechselnden Verhältnis der einzelnen
Komponenten zu einander unterscheidet er eine geradezu ver¬
wirrende Menge pathologischer Zustände sekretorischer und
motorischer Art. So stellt er drei Grade von Hypopepsie auf,
spricht von einer verlangsamten und beschleunigten Hyper-
pepsie, von einem hyperpeptischen und hypopeptischen Typ
der Hyper- resp. Hyposekretion. Das Verfahren, das nicht nur
zeitraubende Untersuchungen, sondern auch eine mehrmalige
Ausheberung bei der gleichen Person in kurzen Zwischen¬
räumen verlangt, hat sich bisher in Deutschland keinen Eingang
verschafft und wird sich wohl auch weiterhin wenig Anhänger
erwerben. F. Perutz- München.
Dr. Antoine Perretiere: Traite des maladies de la voix
cliantee. Paris 1907. Pr. 8 Fr.
Das zunehmende Interesse, das den stimmwissenschaft¬
lichen Problemen in neuerer Zeit von manchen Laryngologen
entgegengebracht wird, hat in dem Erscheinen verschiedener,
zum Teil vortrefflicher Publikationen Ausdruck gefunden.
Auch das vorliegende Buch Perretieres kann als eine wert¬
volle Bereicherung der stimmärztlichen Literatur bezeichnet
werden, insoferne es in ausführlicher Beschreibung der ver¬
schiedenen Krankheitsformen ein gutes und ziemlich voll¬
ständiges Bild von dem gegenwärtigen Stand der Singstimmen¬
pathologie gibt.. Freilich werden hiebei auch verschiedent¬
lich allzu ausführlich einige Erkrankungen besprochen, die zu
der Singstimme keine direkte Beziehung haben, wie Diphtherie,
Karzinom und auch sonst manche Krankheitsbilder allzu breit
vom rein laryngologischen Standpunkt aus behandelt, sodass
man oft ein Lehrbuch der Laryngologie vor sich zu haben
glaubt. Erfreulich ist, dass neben gebührender Würdigung
verschiedener Allgemeinerkrankungen hinsichtlich
ihres Einflusses auf die Gesangsstimme, auch die besonders in
letzter Zeit wieder in den Vordergrund gestellten gesangsärzt¬
lichen Prinzipien — die verschiedenen Formen von fehlerhafter
Technik sowie stimmliche Ueberanstrengung als ätiologische
Momente — einer ziemlich eingehenden Erörterung unterzogen
werden. Doch müsste das in praktischer Hinsicht so überaus
wichtige Krankheitsbild der funktionellen Stimmschwäche, der
Phonasthenie im Sinne F 1 a t a u s genauer präzisiert sein, wie
es wohl von den meisten Lesern als Mangel empfangen werden
dürfte, dass nicht auch eine ausführlichere kritische Würdigung
der jeweilig in Frage kommenden therapeutischen Massnahmen
Platz gefunden hat. Häufige Wiederholungen sind zum
grössten Teil in der nicht in allen Teilen besonders glücklichen
Anordnung des Stoffes begründet. Ein umfangreiches Li¬
teraturverzeichnis, das auch die neuesten Erscheinungen be¬
rücksichtigt, bildet den Schluss des 303 Seiten umfassenden,
empfehlenswerten Buches. Zimmermann-München.
Külz: „Blätter und Briefe eines Arztes aus dem tropischen
Deutschafrika“, bei Wilhelm Süsserott, Berlin W., Goltz¬
strasse 24. 230 Seiten.
Um das Verständnis für unsere Kolonien auch in der Hei¬
mat zu vertiefen, die Vorstellungen, die man von ihnen hat,
zu klären und zu zeigen, dass auch dort an der Lösung aus¬
sichtsvoller Aufgaben im Grossen wie im Kleinen gearbeitet
wird, hat die Frau des Regierungsarztes Dr. Külz die Blätter
und Briefe, die ihr Gatte in die Heimat gelangen liess, ge¬
sammelt und einen ausgewählten Teil ohne sein Wissen der
Oeffentlichkeit übergeben.
Es ist ein gutes Buch zur richtigen Zeit. Anders berichtet
der Weltenbummler, anders der Jäger und Forscher, anders
der Reichstagsabgeordnete als der Gatte, der in Briefen, in die
Heimat meist an seine Gattin gerichtet, über Alltagsarbeit im
Alltagsleben erzählt. Die Zensur des auswärtigen Amtes ver¬
hindert nicht die Betonung des eigenen Standpunktes, auch dort
nicht, wo er sich auf Bahnen bewegt, die von der massgeben¬
den Behörde nicht geteilt werden. Nicht ganz mit Unrecht
nennt die Gattin des in der Ferne weilenden Arztes die Ver¬
öffentlichung eine Indiskretion, immerhin ist sie es nur im aller¬
besten Sinne, und wird von dem, dessen Streben und Arbeiten
sie erzählt, nicht als solche empfunden werden können.
Der äussere Gang ist einfach. K. war von Juli 1902 bis
Januar 1904 in Togo und zwar im heutigen Anecho als Leiter
des Nachtigal-Krankenhauses und nach Heimatsurlaub von
August 1904 bis Juli 1905 abermals in Togo, teils im Hinter¬
land, teils am alten Wirkungsort tätig, dann, auf seinen Wunsch
versetzt, vom Juli 1905 bis Januar 1906 in Kamerun und zwar
im Siidbezirk, teils im Innern, teils an der Küste. Er hat mit
offenen Augen die grossen Fragen unserer Kolonialpolitik ge¬
sehen und sie mit nüchternem Geist und in scharfer Fassung
beurteilt. Wo er negiert, fehlt nie der positive Vorschlag.
Manches, was er mitteilt, betrifft den ärztlichen Wirkungskreis,
mehr noch der; des allgemeinen Tropenpolitikers. Seine Cha¬
rakteristik des Küstennegers, seine Beurteilung der Frauen¬
frage, seine Erläuterungen über die Mission und vieles andere,
entsprechen der unausgesprochenen Ansicht vieler. Sein ärzt¬
liches Wirken, besonders in Togo, seine Liebe zur alten und
zur neuen Heimat, wiederum unter letzterer besonders Togo
verstanden, lassen den Leser das Buch und den, dessen Wirken
es darstellt, lieb gewinnen.
Es ist eine wohltätige, schmucklose Darstellung, die nichts
beansprucht, aber viel gibt, doppelt wohltätig, weil sie in dieser
Zeit der Verleumdung und Anschwärzung unserer besten Vor¬
kämpfer in den Kolonien, obschon nicht für die Oeffentlich¬
keit geschrieben, sich frei haltend von jedem Klatsch, ehrliches
Streben und Mühen zum Teil gerade der Angeschuldigten dar¬
stellt, nicht ohne die Fehler und Ursachen der Misserfolge dort
i3. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1645
aufzudecken, wo sie bis dahin nur einzelne, neuerdings aber
auch die Oeffentlichkeit gefunden haben.
zur Verth- Tsingtau.
Jahrbuch der sexuellen Zwischenstufen, unter besonderer
Berücksichtigung der Homosexualität. Herausgegeben unter
Mitwirkung namhafter Autoren im Namen des wissenschaftlich¬
humanitären Komitees von Dr. med. M. H i r s c h f e 1 d.
VIII. Jahrgang 1906. S p o h r s Verlag, Leipzig. 940 Seiten.
M. 16.60.
Von vornherein wird man nicht gerade mit angenehmen
Gefühlen an die Lektüre des in diesen Jahrbüchern auf¬
gestapelten Materials herangehen. Gewiss ist die Form des
Gebrachten einwandfrei. Aber der Standpunkt ist doch nicht
ein rein wissenschaftlicher, sondern es ist die Wissenschaft
zurVerteidigung, ja gelegentlich zur Idealisierung einesGeistes-
zustandes verwertet, der eben normal Empfindenden unsym¬
pathisch, ja abstossend erscheint, namentlich von dem Moment
an, wo er gar verherrlicht werden soll, wenn z. B. die sozialen
Gefühle auf die gleichen Wurzeln zurückgeführt werden, wie
die gleichgeschlechtliche Variante der Liebe.
Dagegen muss gerade dem Arzt auch diese Seite der
menschlichen Natur nicht fremd bleiben und er muss sich Ver¬
ständnis und Mitempfindung für die Leiden erwerben, die aus
dieserVeranlagung entspringen, deren krankhaftes Wesen auch
dann noch selbst Homosexuellen im Bewusstsein bleiben wird,
wenn die strafrechtliche Aechtung der Aeusserung dieser Krank¬
heit aufgehoben wird — eine Massnahme, die mir gerecht¬
fertigt erscheint, sofern die etwa bestehenden Gefahren der Ver¬
führung jugendlicher Personen u. a. verhütet werden, die auch
die jetzt üppig insKraut schiessende Literatur vermindern würde
und die Aeusserungen der Homosexuellen dahin im grossen
und ganzen verschlösse, wohin die intimsten seelischen Ange¬
legenheiten gehören: die eigene Brust oder die intimer Freunde
bezw. des Arztes. Einstweilen muss man es vom Standpunkt
der unglückselig Veranlagten begreiflich finden, wenn sie sich
ihrer Menschenwürde wehren, die ja nicht durch die geschlecht¬
liche Seite allein begründet oder vernichtet wird.
Um nun die richtige Auffassung der Frage zu vermitteln,
dazu sind die „Jahrbücher“ als eine möglichst vollständige
Sammlung alles in Betracht kommenden Materiales und wissen¬
schaftlich kritischer Arbeiten gegründet und auch durchaus ge¬
eignet. Sie stehen zwar von vorneherein vor allem auf dem
Standpunkt der Abschaffung des § 175 des St.G.B. und einer ge¬
wissen „humanitären“ Sympathie für das Urningtum. Das
hindert aber nicht, dass gegnerische Anschauungen in der
Literaturberichten, wenn auch kritisiert, erscheinen. Auch
ist, natürlich in abwechselndem Grade, wissenschaftlich Bedeut¬
sames darin enthalten. So dürften die Jahrbücher jedenfalls ein
wertvolles, anderwärts unerreichbares Quellenstudium er¬
möglichen, dessen Einzelheiten ja vielleicht nur den Psychiater
und Neurologen unter den Aerzten interessieren, dessen un¬
gefähre Kenntnis aber doch auch jedem Praktiker geläufig
sein sollte, da er durch sein aufklärendes Eingreifen manches
Unglück zu verhüten vermöchte.
Von dem Inhalt des vorliegenden Bandes seien erwähnt:
Vom Wesen der Liebe, zugleich ein Beitrag zur Bisexualitäts¬
frage (Magnus Hirschfeld). Die urnische Frage und die
Frau (Frau Elisabeth Dauthendey). Kritik der näheren
Vorschläge zur Abänderung des § 175 von Dr. B. Fried-
1 ä n d e r. Homosexuelle in Dantes göttlicher Komödie von
Freiin von Verschner, Helene Petrowna Blavatzky, ein
weiblicher Ahasver, Hadrian und Antonius von Dr. Kiefer.
Literatur- und kulturgeschichtliche Beiträge von Dr. Iwan
Bloch, Dr. Birnbaum, Dr. Friedländer. Zusammen¬
stellung der Literatur über Hermaphroditismus beim Menschen
von Dr. F. v. Neugebauer. Bibliographie der Homo¬
sexualität des Jahres 1905. Dr. Neustätte r.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medizin. 63. Band. 5. u. 6. Heft.
19) J ii r g e n s: Klinische Untersuchungen über Pneumonie. (Aus
der II. med. Klinik in Berlin.)
Der Verfasser berichtet an der Hand von Krankengeschichten
Über die Befunde der röntgenologischen Untersuchung, welche be¬
sonders für die Diagnose postpneumonischer Zustände von grösster
Bedeutung ist. Die verzögerte Resolution lässt sich daran erkennen,
dass der Schatten sich gleichmässig aufhellt und schliesslich, wenn
auch erst nach längerer Zeit, völlig verschwindet; der Uebergang in
chronische Pneumonie und Karnifikation daran, dass ein intensiver
Schatten bestehen bleibt, manchmal sogar noch intensiver wird, wenn
er auch an Ausdehnung abnimmt. Der Ausgang in Gangrän und
Abszessbildung lässt sich meist deutlich verfolgen, die Heilungs¬
tendenz derselben wird durch die Verkleinerung des Schattens oft
eher erkannt, als es nach dem Allgemeinbefinden und dem objektiven
Befund zu vermuten ist. Besonders wertvoll aber ist die Röntgen¬
untersuchung für die Erkennung des Zusammenhangs mit einer an
die Pneumonie anschliessenden Tuberkulose. Das Röntgenbild zeigt
in vielen Fällen, dass das pneumonische Exsudat sich gleichmässig
aufhellt, dass aber dann allmählich wieder vereinzelte Schattierungen
auftreten, es zeigt sich nicht selten, dass durch die pneumonische
Infektion nach Resorption des Infiltrates die Tuberkulose, die wahr¬
scheinlich häufig schon lange vorher latent bestanden hatte, plötzlich
sich in dem betreffenden Lappen verbreitet. Die Bedeutung der
Pneumonie für die Lungentuberkulose als disponierendes, die Wider¬
standskraft herabsetzendes Moment wird damit neuerdings erwiesen.
20) A. Gigon: Ueber die Gesetze der Zuckerausscheidung beim
Diabetes mellitus. III. Mitteilung. Stoifwechselversuch an einem
Falle von Pankreasdiabetes. (Aus der med. Klinik in Basel.)
Bei einem schweren Diabetes, bei dem die Sektion Pankreas-
sklerose infolge von Steinbildung ergab, wurden die Nahrung und die
Ausscheidungen genau analysiert. Nach einer Periode, in welcher
noch gute Ausnützung der Nahrung konstatiert werden konnte, folgte
eine Periode sehr schlechter Ausnützung mit typischen Fettstühlen;
Maltose wurde nie im Harn gefunden (Titration vor und nach Spal¬
tung mit HaSOU; die Aetherschwefelsäuren waren vermindert. In
der III. Periode wurde Pankreon 3X2 Kapseln ä 0,25 g gegeben.
Die N-Ausscheidung und die Zuckerausscheidung stiegen an, letztere
stieg mehr an und dauerte länger, so dass D: N den Wert 3,6 erreichte;
das Assimilationsvermögen für Kohlehydrate war also verschlechtert.
Zulage von Ovalbumin führte dann wie eine solche von Kasein vor
der Pankreondarreichung zu einer Verschlechterung der Kohlehydrat¬
verbrennung. Die Verbesserung der Eiweissresorption durch die
Pankreonwirkung war nur vorübergehend. Gleichzeitig trat N-Reten-
tion ein mit Erhöhung des Körpergewichts, welche wahrscheinlich
grösstenteils auf Retention von Wasser beruhte, da bei weiter¬
bestehender, positiver N-Bilanz das Körpergewicht wieder abnahm.
In der IV. Periode erhielt der Patient 3X4 Kapseln mit je 0,25
Pankreon, ausserdem wurden Versuche mit verschiedenen Kohle¬
hydraten angestellt, über welche schon in der II. Mitteilung berichtet
wurde. Die Untersuchung der Stühle ergab im Anfang des Ver¬
schlusses des Duct. .pancreaticus bedeutende Verschlechterung der
N-Ausniitzung, später spontane Besserung. Die Kohlehydrate wurden
gut ausgenützt; der Fettverlust betrug im Maximum 47,4 Proz.; im
Minimum 13,5 Proz.' Die Fettspaltung zeigte grosse Schwankungen,
die Menge der Seifen war dauernd vermindert und stets geringer als
die der Fettsäuren. Die Wirkung des Pankreons Rhenania war trotz
dauernder Einfuhr nur eine vorübergehende.
21) L. Pi neu sso hn: Zur Ausnutzung des Kakaos im Orga¬
nismus. (Aus der I. med. Klinik in Berlin.)
Die Versuche an Hunden von 9 — 10 kg Gewicht ergaben folgen¬
des: Bei Kakaogaben von 50 g tritt eine Vermehrung des Kotes auf.
Die Ausntiizung des Fettes war stets innerhalb der physiologischen
Grenzen. Die Ausnützung des Eiweisses war im Durchschnitt 89 Proz.
statt 94 Proz. bei Normalnahrung und war besser bei stark ausge¬
presstem Kakao; bei einer fettreichen Handelssorte war sie nur 76
Proz., bei einer zweiten 82,5 Proz. Die Versuche am Menschen
zeigten grössere individuelle Schwankungen; das Eiweiss wurde am
besten bei stark abgepresstem Kakaopulver ausgenützt, am schlech¬
testen bei Sorten, welche mit übermässigem Zusatz von Pottasche
oder ganz ohne einen solchen hergestellt wurden; möglichst feine
Pulverisierung und gute Zerteilung in der Flüssigkeit steigern die
Ausnützung; die Fettausnützung war stets gut. Versuche an Hunden
mit kleinem Pawlowschen Magen ergaben umso stärkere Ver¬
minderung der Saftmenge und Herabsetzung der Azidität, je fett¬
reicher der Kakao war.
22) J. Plesch: Chromophotometer, ein neuer Apparat zur Be¬
stimmung der Konzentration von Farblösungen, besonders zur Fest¬
stellung der Hämoglobinkonzentration und der Menge des Blutes bei
Lebenden. (Aus dem tierphysiolog. Institut der Berliner landwirt¬
schaftlichen Hochschule.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
23) Th. Bourmoff und Th. B r u g s c h : Das neutrophile Blut¬
bild bei Infektionskrankheiten. (Aus der II. med. Klinik in Berlin.)
Die Verfasser kommen zu folgenden Resultaten. Bei Anwendung
der Romanowskyfärbung weist das neutrophile Blutbild bei ge¬
sunden Menschen eine gewisse Gesetzmässigkeit auf. Bei einer
Reihe schwerer Infektionen, so bei der Tuberkulose, beim Scharlach,
bei der Pneumonie, beim Erysipel und Tetanus ist eine Verschiebung
des neutrophilen Blutbildes nach links im Sinne Arneths zu finden,
die durch nicht sehr grosse, immerhin doch deutliche Unterschiede in
der Bevölkerung der ersten Klassen bedingt ist. Die Annahme
Arneths, dass die ersten Klassen die jüngsten, die letzten Klassen
die ältesten Leukozyten enthalten, ist jedoch nicht bewiesen. Denn das
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Vorhandensein von 2, 3 und mehr Kernen in den neutrophilen Leuko¬
zyten ist wahrscheinlich Folge des Fixierungsverfahrens, denn die
photographischen Aufnahmen von Q r a w i t z und Grünberg an
fiischem Blut mit ultraviolettem Licht lassen keine Segmentierung
des Kerns, nur Biegung desselben erkennen. Die Verschiebung im
Blutbild bei den Infektionskrankheiten rührt daher, dass der Kern
meist plumper und dicker ist, -daher der Fragmentierung mehr Wider¬
stand leistet. Eine ähnliche Schädigung -der Leukozytenkerne konnte
Pollitzer dadurch hervorbringen, dass er einen durch Gummi¬
binde abgeschnürten Gefässbezirks mit Röntgenstrahlen behandelte;
bei Kaninchen auch durch Gefrierenlassen mit Chloräthyl.
24) E. Kuhn: Beitrag zur Karzinombehandlung mit Pankreatin,
Radium und Röntgenstrahlen. (Aus der I. med. Klinik in Berlin.)
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
25) Fritz Meyer: Zur bakteriologischen Diagnose des Ab-
dominaltyphus. (Aus der I. med. Klinik in Berlin.)
Von den neueren Methoden, auf bakteriologischen Wege die
Diagnose Abdominaltyphus zu sichern, hat sich dem Verfasser das
C a s t e 1 1 a n i sehe Bouillonzüchtungsverfahren sehr bewährt. Von
20 ccm Blut, aus der Armvene entnommen, werden Mengen von je
10, 5 und 3 ccm auf Bouillonkolben von 300 ccm Inhalt verteilt; nach
20 Stunden ist das inzwischen sedimentierte Blut dunkler gefärbt und
die darüber stehende Bouillon leicht getrübt, wenn in der Kultur sich
Bakterien entwickeln; 1 ccm dieser Kultur mittels P a s t e u r scher
Pipette auf Drigalskyagar übertragen, liefert dann in 8 Stunden
die gesuchte Reinkultur von Typhusbazillen. Die Prüfung der Viru¬
lenz der gezüchteten Typhusbazillen ist prognostisch bedeutungsvoll,
aber nur im klinischen Laboratorium mit Aufwand eines grossen Tier¬
materials ausführbar. Sehr einfach und auch für den Praktiker leicht
ausführbar ist das Verfahren der Gallenröhre von Conradi-Kayser ;
2 ccm Blut mit 5 ccm Galle vermischt, bleiben 24 Stunden im Brut¬
schrank stehen, danach werden Kulturen auf Drigalskyagar an¬
gelegt; bei 5 derartigen Untersuchungen wurde jedesmal ein positives
Resultat erhalten. Die F o r n e t sehe Methode, durch Zusammen¬
bringen von Blutserum frischer Typhuskranker mit Typhusimmun¬
serum Niederschläge zu erzeugen, hat sich bisher nicht bewährt.
26) H. Chr. Geelmuyden: Ueber Maltosurie bei Diabetes
mellitus. (Aus dem physiolog. Institut der Universität in Christiania.)
Das vom Verfasser angewendete Verfahren zum Nachweis der
Maltose im Harn ist folgendes: Vom Harn wird eine nach der polari¬
metrischen Bestimmung ca. 1 g Zucker enthaltende Portion abge¬
messen, bis auf 50 ccm mit Wasser verdünnt, 2 g salzsaures Phenyl¬
hydrazin und 3 g essigsaures Natron zugesetzt und % Stunden auf
dem Wasserbad erwärmt; dann heiss filtriert. Dem heissen Filtrat
werden nochmals die gleichen Mengen Reagentien zugesetzt, dann
wird wieder % Stunden erwärmt. Nach dem Abkühlen im Wasser¬
bade wird die gebildete zweite Osazonfraktion abgesaugt, mit 20 ccm
50 proz. Azetonlösung behandelt und auf dem Saugfilter filtriert, das
Filtrat wird zur Kristallisation lose bedeckt über Nacht hingestellt.
Mikroskopische Bilder der so gewonnenen Präparate lassen sich kaum
von solchen jener unterscheiden, welche nach demselben Verfahren
aus Lösungen eines Gemisches von Maltose und Glukose dargestellt
sind. Man sieht lange, breite und dünne, Schwert- oder messer-
törmige, tieforangegelbe Kristalle radiär angeordnet mit schwach ge¬
bogenen Bändern, entweder spitz auslaufend oder unregelmässig ab¬
geschnitten, mit braunen, teerartigen Tropfen und Körnern gemischt.
Von den Zentren der Kristallrosetten gehen oft sternförmige Büschel
von ganz anders gestalteten Nadeln aus; dieselben sind hell, grünlich-
gelb, sehr dünn, lang, gewöhnlich geschlängelt, gebogen. Zuweilen
hat man den Eindruck, dass auch diese Nadeln breit sind und dass
man sie nur von der scharfen Seite sieht, nämlich bei pfropfenzieher¬
artig gewundenen, bei welchen die breite Fläche streckenweise sicht¬
bar ist. Die Maltose findet sich hauptsächlich in diabetischen Harnen,
welche Superrotation zeigen. Die Maltosurie ist kein seltenes Vor¬
kommnis bei Diabetes, bei hohem Zuckergehalt ziemlich regelmässig,
sowohl bei schwerem, wie bei leichtem Diabetes.
27) J. Brodzki - Kudowa: Ueber urotryptische Fermente. (Aus
der I. med. Klinik in Berlin.)
Je 25 ccm Harn wurden mit 20 ccm destillierten Wassers, 1 g
Kasein und zur Prüfung auf peptisches Ferment mit 2 ccm n-Salz-
saure, zur Prüfung auf tryptisches mit 2 ccm Vz n-NaOH oder 2 ccm
1 proz. Natriumkarbonatlösung versetzt und 24 Stunden bei 37° stehen
gelassen, 1 ccm I oluol verhindert Bakterienentwicklung, dann wird
5 g CINa und die zur Neutralisation nötige Menge n-HCl oder NaOH
zu dem Verdauungsgemisch hinzugefügt, auf freier Flamme auf
ca. 70 erwärmt, das nicht verdaute Kasein durch tropfenweisen Zu¬
satz von 1 ccm Eisessig ausgefällt, zum besseren Zusammenballen
noch auf dem Wasserbade erwärmt und dann durch ein Faltenfilter
filtriert, in 20 ccm des Filtrates wird der N nach K j e 1 d a h 1 be¬
stimmt und eine zweite Probe in gleicher Weise mit Kaseinzusatz nach
dem Aufkochen behandelt. Die Differenz im N-Gehalt rührt von den
Verdauungsprodukten her. Mit dieser Methode Hess sich im Hunde¬
harn, im Kaninchenharn und im Menschenharn tryptisches Ferment
nachw eisen, im Hunde- und Menschenharn wurde auch peptisches
Ferment gefunden. Auch in pathologischen Harnen fand sich tryp¬
tisches Ferment; im normalen Harn durchschnittlich beim Hund
so viel Ferment, dass 5,4 g Eiweiss im Tage durch die ganze Harn¬
menge verdaut werden kann, beim Menschen so viel, als der Ver¬
dauung von 8,4 g Eiweiss pro Tag entspricht. Fibrin wird von dem
urotryptischen Ferment nicht verdaut, wohl aber von dem peptischen.
28) W. J a n o w s k i - Warschau: Nochmals über Dikrotie bei
Aorteninsuffizienz.
Erwiderung an Geigel. Zu einem kurzen Referate nicht ge¬
eignet. Lindemann - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 86. Band, 2—4. Heit.
Leipzig, Vogel, 1907..
6) R. M o r i a n - Essen : Ueber die Luxation im Talonavikular-
gelenk.
Von der seltenen Verletzung sind bisher 10 Fälle beobachtet
worden, ausserdem 2 Subluxationen. In M.s Falle handelte es sich um •
eine Verrenkung nach innen und etwas nach unten. Reposition in
Narkose.
7) Luxembourg: Zur Kasuistik der Luxatio pedis sub talo
und der Talusbrüche. (Bürgerhospital Köln.)
2 Fälle von Luxation nach hinten und aussen. Der erste Fall
wurde in Narkose reponiert. Im zweiten Falle musste wegen einer
Weichteilwunde und wegen der fast völligen Befreiung des Talus von
seinem Bandapparate der Talus reseziert werden.
Eine weitere Beobachtung betraf eine Fraktur im Talushalse mit
Luxation des Taluskopfes. Exstirpation des Caput tali. Heilung.
(Ref. hat in einem ähnlichen Falle mit Erfolg die Reposition des
abgebrochenen und luxierten Kopfes gemacht.)
8) Hirsch: Ueber isolierte Frakturen einzelner Handwurzel¬
knochen. (Allgem. Krankenhaus Wien.)
8 Fälle von Kahnbeinbruch und 5 Fälle von Mondbeinbruch.
Besprechung des Zustandekommens und der Erscheinungen dieser
seltenen Verletzungen.
9) Kuhn und Rössler: Katgut, steril vom Schlachttiere, als
frischer Darm vor dem Drehen mit Jod und Silber behandelt. (Elisa¬
beth-Krankenhaus Kassel.)
In verdienstvoller Weise lenken die Verfasser wiederholt die
Aufmerksamkeit auf die Schwierigkeit der Katgutsterilisation. Bei
der jetzigen Art der Katgutherstellung, bei der unter den unsaubersten
Verhältnissen die Därme zusammengedreht werden, ist es unver¬
meidlich, dass die Fäden voll sitzen von Bakterien, an welche die ge¬
wöhnlichen Desinfizientien nur schwer herandringen können. Ge¬
legentlich kann sich so auch im Katgut ein Tetanus- und Milzbrand¬
erreger verborgen halten.
Die Verff. verlangen daher, dass das Katgut steril vom Schlacht¬
tier als Rohdarm von sachverständiger Seite gewonnen wird, als
frischer Darm vor dem Drehen mit .lodsalzen und Silbersalzen be¬
handelt und dann noch einer Schlusssterilisation unterworfen wird.
Die Asepsis beginnt bei der Entnahme des Darmes vom Tierkörper.
Es folgt dann das Schlitzen und Schleimen der Därme in auskochbaren
Apparaten. Jetzt werden die Fäden mit Jod- und Silbersalzen im¬
prägniert und dann erst gedreht.
Die Jodimprägnierung geschieht zunächst in einer Jodkalium¬
lösung, die ein oder mehrmals gewechselt wird. Von da kommt der
Faden für kurze Zeit in eine Jodjodkaliumlösung.
Die Präparation mit Silber geschieht entweder in Fluorsilber
oder in einer der C red eschen Silberverbindungen.
(Dass die K. und R. sehen Untersuchungen einen sehr wunden
Punkt dei Katgutzubereitung treffen und vieles bessern werden, ist
zweifellos. Wer sicher fahren will, lässt das Katgut ganz weg und
nimmt Seide. Ref.)
10) R e i s m a n n: Ein Fall von Luxatio pedis sub talo. Die Be¬
wegungen des Fusses im Tarsus. Der Luxationsmechanismus. Die
Distorsion. Das C h o p a r t sehe Gelenk. (Evangel. Krankenhaus
Haspe.)
Die Verletzung wurde mit Exstirpation des Talus behandelt, da
Repositionsversuche erfolglos blieben. R. schliesst daran Betrach¬
tungen über die Fussbewegungen. Der Fuss kann nur 3 Bewegungen
ausführen: 1. Plantare und dorsale Beugung (Talokruralgelenk),
- Supination und Pronation bei freiem Fusse (Navikulo-Talo-Kal-
kanealgelenk), 3. Drehbewegung in den Articulationes malleolares bei
fixiertem Fusse. Die Luxatio pedis sub talo geht in der Regel hervor
aus einem Uebermass von Pro- oder Supination.
B. Bauer: Eine bisher nicht beobachtete kongenitale,
hereditäre Anomalie des Fingerskelettes. (Allgem. Krankenhaus
Wien.)
...Es handelte sich um eine überzählige distale Epiphyse an der
Mittelphalanx des kleinen Fingers. Der Finger war verkrümmt mit
der Konverität nach der Utnarseite.
12) Lorenz: Einklemmung von Dünndarmgekröse in einer
Spalte des grossen Netzes. (Klinik Hochenegg, Wien.)
Es handelte sich um einen eingeklemmten Nabelbruch, in dem
das in einer Netzspalte eingeklemmte Mesenterium sich wie eine
Z^ste darstellte. Die zugehörige, noch lebensfähige Dünndarm-
schlinge lag in der Bauchhöhle. Heilung.
».'^) B o e r n e r - Charlottenburg : Beiträge zu den Frakturen
der Metakarpalknochen.
2 Beobachtungen.
di ^ a e r u c h: Beitrag zur Resektion der Brustwand mit
Plastik auf die freigelegte Lunge. (Chirurg. Klinik Greifswald.)
Ausgedehnte Thoraxresektionen wegen mit dem Thorax ver¬
wachsenen Mammakarzinom. Bemerkenswert ist zumal der zweite
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1647
Fall, bei dem die vordere Brustwand in ca. 30 cm Länge und 20 cm
Breite reseziert wurde. Der Defekt wurde durch Verlagerung eines
die andere Mamma enthaltenden Hautlappens und Transplantation
direkt auf die Lunge gedeckt.
Die Eröffnung der Brusthöhle wurde unter Unterdrück vorge¬
nommen. Der Mammalappen muss luftdicht mit .doppelter Nahtreihe
eingenäht werden.
15) Kr oh -Köln: Ueber Spiralfrakturen.
Aus den Ergebnissen von des Verfs. Experimentaluntersuchungen
sei hervorgehoben, dass reine Torsion imstande ist, Spiralfrakturen
zu erzeugen, jedoch nur an pathologisch veränderten Knochen (Osteo¬
porose, Tabes, Tumor). Bei unverändertem Knochen-, Gelenk- und
Bandapparat muss zur Entstehung eines Bruches die Torsion sich
mit Gewaltfaktoren vergesellschaften, welche die Widerstandsfähig¬
keit des Knochens herabzusetzen bestrebt sind.
16) Alb recht: Ueber Lymphangiektasie. (II. Chirurg. Klinik
Wien.)
Bei einem 21 jährigen Kranken fand sich die obere Hälfte des
rechten Oberschenkels beträchtlich verdickt, die Haut eigentümlich
verfärbt, ln der veränderten Haut zeigten sich zahlreiche gelb-
weisse Bläschen, von kleinster, eben noch wahrnehmbarer Grösse bis
zur Grösse einer Haselnuss. Die aus einem Bläschen entleerte Flüs¬
sigkeit war zuerst rosarot, nach einiger Zeit milchweiss und ent¬
hielt mikroskopisch Erythrozyten, Lymphozyten und vorwiegend
Fett in kleinsten Tröpfchen. Bei reichlicher Fettnahrung und im
Hungerzustande ergab sich ein Unterschied im Fettgehalt der Flüssig¬
keit um 3 Proz. Gab man dem Patienten Sesamöl, so konnte das¬
selbe nach 4—6 Stunden in der Flüssigkeit nachgewiesen werden.
Es handelte sich demnach um echte Chylorrhöe. Die Untersuchung
eines exstirpierten Stückchens wies das Bild eines kavernösen
Lymphangioms auf mit reichlichen glatten Muskelfasern. Es handelt
sich jedenfalls um eine angeborene abnorme Anlage, die Filaria war
als Erreger auszuschliessen. In der Literatur bezeichnet man der¬
artige Bildungen als Lymphnävus.
Die Erklärung der Chylorrhöe sucht A. darin, dass er die abdomi¬
nellen Lymphbezirke von der Erweiterung der Lymphgefässe ergriffen
annimmt. Die Annahme einer Verengerung des Ductus thoracicus
ist zur Erklärung nicht notwendig.
17) Haberern - Ofen-Pest: Zur Kenntnis der Echinokokken am
Halse.
Ein mit Erfolg operierter Fall bot dem Verf. Veranlassung, die
Erscheinungen des Halsechinokokkus zusammenzustellen. Des Verf.s
Fall war dadurch bemerkenswert, dass die Karotis arrodiert wurde,
und die Blutung die Blase umspülte und so den Tumor vergrösserte.
Mit der Organisation der Blutgerinnsel hörte die Pulsation in dem
Tumor auf.
Nach der Operation zeigten sich Symptome, die auf eine Ver¬
letzung des Halssympathikus und des Plexus brachialis hinwiesen.
18) Finsterer: Ueber das Sarkom der weiblichen Brustdrüse.
(II. Chirurg. Klinik Wien.)
Bericht über 46 Fälle von denen 40 mikroskopisch untersucht
wurden. Von den 40 waren 18 Zystosarkome, 10 Fibrosarkome,
5 Myxosarkome, 6 Rundzellensarkome, 1 Lymphosarkom.
Die Prognose des sehr seltenen Mammasarkoms ist im allge¬
meinen eine bessere als .die des Karzinoms. Es müssen dazu aber
möglichst radikale Operationen vorgenommen werden. Am günstig¬
sten ist die Prognose bei den Zystosarkomen: von 18 Fällen blieben
12 Frauen 8 — 26 Jahre rezidivfrei.
19) Mormburg-Spandau: Die zwei- und mehrfache Teilung
der Sesambeine der grossen Zehe.
M. fand in 9 Fällen eine Zweiteilung eines Sesambeines, in
3 Fällen eine Dreiteilung und in einem Fall eine Vierteilung. In sämt¬
lichen 6 Fällen, in denen die Röntgenaufnahmen von beiden Füssen
gemacht wurden, fand sich die Teilung an beiden Füssen. Man hüte
sich vor Verwechslungen mit Frakturen! K r e c k e.
Archiv für Gynäkologie. Bd. 81, Heft 3. Berlin 1907.
1) Otto Roith: Zur Anatomie und klinischen Bedeutung der
Nervengeflechte im weiblichen Becken. (Aus der Universitäts-
Frauenklinik zu Heidelberg.)
R. untersuchte die Beckenorgame von 3 ausgetragenen Neu¬
geborenen weiblichen und 1 männlichen Geschlechts, einem ein- und
einem zweijährigen Mädchen und Stücke aus dem Bindegewebe er¬
wachsener puerperaler und nicht puerperaler Frauen. Serienschnitte.
Anatomische Beschreibung und Erörterungen über Zweckmässigkeit
(Geburt) und Entwicklungsgeschichte, physiologische und klinische
Anschauungen (Erkrankungen im Beckenbindegewebe, 1 raumen, Des¬
zensus, Reflexneurosen).
2) Fritz Kermauner: Angiom der Plazenta. (Aus der Uni¬
versitäts-Frauenklinik Heidelberg.)
Das Angiom stellte einen kleinkirschgrossen lappigen Knoten in
der Substanz der Plazenta dar. Die Hauptmasse bildete ein wirres
Netz von dicht aneinander liegenden Kapillaren. Der Ausgangspunkt
dieser Tumoren ist die Chorionzotte.
3) Kannegiesser: Ueber subkutane Hebotomie auf Grund
von weiteren 30 Fällen und über die „Dauererfolge“ der Operation.
(Aus der Kgl. Frauenklinik in Dresden.)
Innerhalb der letzten 5U Jahre wurde in 30 Fällen die Hebotomie
ausgeführt, alle Mütter und alle Kinder haben die Klinik gesund ver¬
lassen. An die Beckenerweiterung wurde sogleich die Entbindung
angeschlossen; unter 51 Fällen wurde 28 mal mit Zange entbunden,
20 mal durch Wendung und Extraktion, 2 mal durch Extraktion am
Fuss und 1 mal durch Kraniotomie. 18 Operierte wurden nachunter¬
sucht, in 6 Fällen wurde Geburt nach vorausgegangener Hebotomie
beobachtet: 1 Kaiserschnitt, 3 Frühgeburten, darunter 2 künstliche,
1 spontane Geburt und 1 Wendung.
4) Lichtenstein: Ueber die Beeinflussung der Indikation zur
Wendung und Extraktion durch die Hebotomie, (Aus der Kgl. Frauen¬
klinik in Dresden.)
Von 154 gewendeten Kindern starben 4L Nach L. sind von
diesen 41 Kindern 24 dem grossen Missverhältnis zwischen Becken
und Kind zum Opfer gefallen und wären durch die Hebotomie zu
retten gewesen. Durch Anwendung der Hebotomie werden die Re¬
sultate der in ihre Schranken zurückgewiesenen Wendung bedeutend
bessere werden.
5) G. Leopold und E. J. Konräd: Zur Berechtigungsfrage
der künstlichen Frühgeburt. (Aus der Kgl. Frauenklinik in Dresden.)
Unter 14 094 Geburten der Dresdener Klinik finden sich 84 künst¬
liche Frühgeburten, die wegen Beckenenge eingeleitet wurden, dar¬
unter keine Erstgebärende. Methoden: 5 Bougie, 12 Bougie und
Metreuryse, 52 Bossi und Metreuryse, 15 Metreuryse. 1 Frau ist
gestorben, 58 Kinder wurden lebend entlassen. Die künstliche Früh¬
geburt bleibt auch weiterhin für den praktischen Geburtshelfer voll
und ganz berechtigt. Als beste Methode hat sich Bossi + Metreuryse
für die plattrhachitischen Becken und Bougie für allgemein verengte
Becken bewährt. Kaiserschnitt und Hebotomie bedeuten ohne Zwei¬
fel eine grössere Gefahr für die Mutter als die Vornahme der künst¬
lichen Frühgeburt.
6) C. Meissner: Die Perforation des lebensfrischen und ab¬
sterbenden Kindes 1892—1906. (Aus der Kgl. Frauenklinik in
Dresden.)
In 14 Vz Jahren wurde 57 mal die Perforation des lebenden und
112 mal die Perforation des absterbenden Kindes ausgeführt. Von den
57 Frauen sind 2 gestorben (Eklampsie und Uterusruptur). Allzu¬
langes Abwarten auf eine Spontangeburt trug in einigen Fällen die
Schuld, dass im Interesse der Mutter das lebende Kind geopfert
werden musste, ebenso führte in einzelnen Fällen das lange Abwarten
zu dem Absterben des Kindes.
7) Leise witz: Ueber die Zange in der Therapie des engen
Beckens zur Rettung des Kindes. (Aus der Kgl. Frauenklinik in
Dresden.)
In 13 Jahren wurden unter 27 238 Geburten 697 Zangenopera¬
tionen vorgenommen, davon in 63 Proz. zur Rettung des Kindes allein.
Nur 37 mal wurde die hohe Zange angelegt. Die Mortalität der
Mütter betrug 21, davon fallen 4 der Klinik zur Last. Die Mortalität
der Kinder betrug 109. — Die hohe Zange ist unbedingt auszuschliessen,
namentlich für den praktischen Geburtshelfer, an ihre Stelle ist eine
weniger schädigende Operation zu setzen, die Hebotomie. Ist
diese für den praktischen Geburtshelfer im einzelnen Falle weder
durchführbar noch ratsam, so zögere er nicht, zu perforieren und sei
es auch das noch lebende Kind.
8) G. Leopold: Beitrag zur Sectio caesarea auf Grund von
229 Fällen.
Die mütterliche Mortalität unter den 229 Fällen betrug 4,9 Proz.
Ueber 70 Kinder des zweiten Hunderts konnte Nachricht eingezogen
werden; es lebten davon bis zu 8 Jahren noch 55 = 78,5 Proz. Kri¬
tische Besprechung der Todesfälle.
9) F. W e i n d 1 e r - Dresden: Spontane Geburt beim engen
Becken. (Aus der Kgl. Frauenklinik in Dresden.)
In den 3 Jahren 1898 mit 1900 kamen 6469 Geburten zur Be¬
obachtung, darunter waren 1610 enge Becken — Vt. Als Grenze galt
eine Conj. vera von 9,5 cm. 1201 — 74,6 Proz. der Geburten bei
diesen engen Becken nahmen einen spontanen Verlauf; 7 Frauen
starben, ohne Verschulden der Klinik. Für die Praxis wird die
„vorbeugende“ Behandlung des engen Beckens nach wie vor zu
Recht bestehen bleiben.
10) G. Leopold: Das klinische Jahr 1906 und die Therapie
beim engen Becken zur Rettung des kindlichen Lebens.
514 Frauen hatten eine Conjugata vera von 8 cm abwärts; davon
haben 81 Proz. spontan geboren; 19 Proz. wurden durch Hebo¬
tomie (22), Kaiserschnitt (15), künstliche Frühgeburt (14), Wendung
und Extraktion (44) und durch hohe Zange (3) entbunden. Von diesen
operativ Entbundenen starb 1 Mutter und 9 Kinder.
Anton H e n g g e - München.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 31.
M. Fraenkel: Ein Abort durch Röntgenstrahlen.
F. behandelte eine tuberkulöse junge. Frau im 3. Monat der Gra¬
vidität zur Einleitung des künstlichen Aborts mit Röntgenbestrahlung
der Ovarien und Schilddrüse. Der Abort trat nach 25 Sitzungen
prompt ein. Nach seinen Tierversuchen kann F. die Angaben von
Fellner und Neumann bestätigen, dass nach der Bestrahlung de-
generative Prozesse an den Ovarien deutlich erkennbar sind (cf. cnese
Wochenschrift 1907, S. 1131). Dass bei Bestrahlung der Schilddrüse
ein Einfluss auf die Sexualorgane stattfindet, konnte F. in 3 hallen
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
von Struma feststellen, in denen sich nach der Bestrahlung Menstrua¬
tionsstörungen einstellten.
S e i f f a r t - Nordhausen : Drei Kaiserschnitte aus relativer In¬
dikation. .. ,
In den 3 Fällen, die alle für Mutter und Kinder günstig verliefen,
handelte es sich zweimal um schwere Eklampsie, einmal um ein
plattes Becken mit starken Oedemen der äusseren Genitalien hei
einem 14jährigen Mädchen. S. machte jedesmal den klassischen
Kaiserschnitt mit querem Fundalschnitt nach Fritsch.
W. R ii h 1 - Duisburg: Ueber eine Methode, dem Kinde künstlich
Luft zuzuführen bei erschwertem Durchtritte des nachfolgenden
Kopfes.
R. erprobte seinen Handgriff, dessen nähere Beschreibung im
Original nachgesehen werden muss, in 3 Fällen mit gutem Erfolg.
Einmal handelte es sich sogar um Placenta praevia, wo die Gefahr
der Luftembolie besonders gross ist. ln allen Fällen konnte er be¬
obachten, dass das Kind während Ausführung des Handgriffes Atem¬
bewegungen machte.
R. glaubt, dass in seinen Fällen das Leben der Kinder ohne seinen
Handgriff verloren gewesen wäre.
Neuerdings hat er auch ein spekulumähnliches Instrument für
seine Zwecke konstruiert, das den Handgriff erleichtern soll.
J a f f e - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 65. ßd. Ergänzungsheft.
Arbeiten aus der k. k. Universitäts-Kinderklinik in Wien.
1) Theodor Esche rieh: Ueber Isolierung und Kontaktverhü¬
tung in Kinderspitälern. (Vortrag, gehalten in der pädiatrischen Sek¬
tion der 78. Naturforscherversammlung in Stuttgart, September 1906.)
Der erfahrene Kliniker stellte mit seinen Ausführungen die Pläne
für die neu zu erbauende Kinderklinik des Allgemeinen Kranken¬
hauses in Wien zur Diskussion. 2 Tafeln mit Situationsplan und
Grundrissen veranschaulichen den Text.
2) F. Hamburger: Ueber Eiweissresorption bei der Er¬
nährung.
Verf. behandelt ein von ihm schon wiederholt bearbeitetes Ge¬
biet und belegt seine Ansichten über die Eiweissresorption mit neuen
experimentellen Beweisen. Die gewandt geschriebene Abhandlung
läuft zum Schlüsse in eine Polemik gegen Langstein aus, bei
welcher der Verf. unter Wahrung seines eigenen Standpunktes zu
vermitteln bestrebt ist.
3) L. Je hie: Ueber die Streptokokkenenteritis und ihre Kom¬
plikationen.
Verf. bespricht die zuerst von Es che rieh beschriebene spe¬
zifische Darmerkrankung in klinischer und bakteriologischer Be¬
ziehung. Aus den Schlussätzen sei hervorgehoben, dass die Erkran¬
kung sowohl sporadisch wie gehäuft auftritt, hauptsächlich in der wär¬
meren Jahreszeit. Toxische Erscheinungen stehen klinisch im Vor¬
dergründe. Eine fast regelmässige Komplikation ist die Nephritis,
welche chronisch werden kann. Die Stühle enthalten meist
in grosser Menge Streptokokken, ebenso der Harn, in schweren Fällen
lassen sich auch Streptokokken im Blut nachweisen. Das Blutserum
der Patienten agglutiniert in vielen Fällen sowohl die eigenen, wie auch
fremde Darmstreptokokken, während sie durch das Blutserum gesunder
Kinder nicht agglutiniert werden. Morphologisch lassen sich die Darm¬
streptokokken nicht von anderen sicher trennen. Als ätiologisches
Moment kommt bei der Streptokokkenenteritis hauptsächlich die
Milch in Betracht, welche sehr häufig Streptokokken in beträchtlicher
Menge enthält. Es folgen 49 Krankengeschichten. 80 Literatur¬
nummern.
4) Erich Benjamin und Erich Sluka: Das Chlorom. Ein
Beitrag zu den akuten Leukämien des Kindesalters.
Verf. liefert einen kasuistischen Beitrag zu der Stellung dieser
sein seltenen Erkrankung im pathologischen System und ihrer Be¬
ziehung zur Leukämie. Genaue Beschreibung der Symptome und
Photographie illustrieren die Arbeit. Literatur. 2 farbige Abbil¬
dungen (Blutbild und mikroskopisches Bild des Schläfentumors).
5) A. Hecht: Experimentell-klinische Untersuchungen über
Hautblutungen im Kindesalter.
Man findet nach Hecht mittels dosierte r Saugwirkung die
Hautgefässe bei Kindern nach Alter und Körperregion verschieden
leicht zerreisslich. Venöse Stase begünstigt allein durch Steigerung
des kapillären Blutdruckes den Eintritt von Hautblutungen. Erhöht
ist die Neigung zu Blutungen bei hämorrhagischen Erkrankungen —
hier besonders an den Beinen — ebenso bei Scarlatina und Morbillen.
Bei Morbillen ist die leichte Zerreisslichkeit bis in die Zeit der Pig¬
mentierung nachweislich und ist an die Effloreszenzen gebunden.
Nicht so verhalten sich die Rubeolafälle. Bei Diphtherie dagegen
besteht wiederum eine deutliche Herabsetzung der Resistenz der
Hautgefässwandungen. Zur Technik eine Abbildung im Text.
6) B. Schick: Die Nachkrankheiten des Scharlach.
Verf. versucht die dem „postscarlatinösen Fieber“ der älteren
Autoren zugrunde liegenden Nachkrankheiten zu analysieren und ihre
ätiologische Einheit mit der Scarlatina darzutun. Dabei kommen nach
Schick verschiedene Formen der Nachkrankheiten in Betracht und
kombinieren sich in mannigfacher Weise. Als wichtigste Kombination
ist Nephritjs-Lymphadenitis zu nennen. Seltenere Kombinationen sind
Nephritis-Synovitis, Lymphadenitis-Synovitis usw. Dabei halten sich
alle postskarlatinösen Erkrankungen an das gemeinsame Eintritts¬
gesetz und zeigen ähnlichen Fieberverlauf — remittierenden Charak¬
ter und lytisches Abklingen.
7) Bianca Bienenfeld: Das Verhalten der Leukozyten bei der
Serumkrankheit.
Arbeit von vorwiegend hämatologischem Interesse. Vergleiche
das Original. Literatur.
8) Egon Rach: Ueber einen Fall von Arteriosklerose bei einem
13 jährigen Mädchen.
Kasuistische Mitteilung. Auf Grund des erhobenen mikro¬
skopischen Befundes den selteneren Fällen von echter Arterio¬
sklerose zuzurechnen, welche von den postinfektiösen ab¬
zutrennen ist.
9) Hecht: Beobachtungen über die Wirkung hydriatrischer Pro¬
zeduren bei masernkranken Kindern.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Literatur gibt Verf. seine
Versuchsergebnisse bekannt. Neben Abreibungen und Packungen
wurden kalte Bäder (20° C) und abgekiihlte von 25 — 28° C gereicht.
Der antithermische Effekt war bei jüngeren und schlechtgenährten
Kindern am grössten, besonders in den ersten vier Lebensjahren.
Erhöht wird die Wirkung der Bäder durch Frottieren. Dabei ist
die antipyretische Wirkung des Bades unabhängig vou der Fieber¬
höhe und von der Tagesspannung der Fieberbewegung. Der Tem¬
peraturabfall vollzieht sich im und nach dem Bade gleichmässig
und erreicht eine Viertelstunde nach dem Bade ihren tiefsten Punkt.
Als üble Zufälle wurden bei zwei elenden Kindern Kollapstempera¬
turen, bei zwei anderen Durchfälle infolge der Bäder beobachtet.
Die Respiration sank ziemlich konstant. Eine Gesetzmässigkeit über
den Einfluss der kalten Bäder auf die elektrische Erregbarkeit konnte
nicht abgeleitet werden. Ueber den Einfluss der hydriatrischen Pro¬
zeduren auf den klinischen Verlauf und die Indikationsstellung
schweigt sich der Autor bedauerlicherweise völlig aus.
10) Erich B e n jamin und Erich Sluka: Zur Leukämie im
Kindesalter.
Zusammenfassende Studie über diese Erkrankung. Im Original
nachzulesen. Literatur. 0. Rommel- München.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 31, 1907.
1) L. A s c h o f f - Freiburg i. Br.: Die Dreiteilung des Uterus,
das untere Uterinsegment (Isthmussegment) und die Placenta
praevia.
Auf Grund seiner histologischen Untersuchungen tritt A. ent¬
schieden dafür ein, am Uterus ausser Korpus und Zervix auch ein da¬
zwischen liegendes Isthmusgebiet zu unterscheiden, dessen Mukosa
jener des Korpus analog ist, während das physiologische Verhalten
der Muskulatur desselben mit jener der Zervix korrespondiert. Das
sogen, „untere Uterinsegment“ geht aus diesem Isthmusbezirk hervor.
Diese Dreiteilung liefert bessere Einsicht in die Bildung der Placenta
praevia, speziell ihrer verschiedenen Grade. Das Zustandekommen
der letzteren wird von A. im einzelnen geschildert.
2) C 1 a u s - Berlin: Luetische Erkrankung der Parotis.
Nach einem Referate über die einschlägige Literatur berichtet
Verf. über eine eigene Beobachtung, wo bei einer Frau eine beträcht¬
liche Anschwellung der linken, eine geringe der rechten Parotis be¬
stand, die auf Jodkali zurückging, ebenso wie eine chronische Mittel¬
ohreiterung. Auch letztere muss für luetisch angesehen werden.
3) D. G r ii n b a u m - Berlin: Ein neuer Fall von primärem Krebs
der Appendix.
Demonstration in der Berliner med. Gesellschaft am 5. Juni 1907.
Vergl. d. W. No. 24.
4) A. Schanz - Dresden: Eine typische Erkrankung der Wirbel¬
säule (Insufficientia vertebrae).
Sch. schildert in seinen Symptomen und im Verlauf ein Krank¬
heitsbild, bestehend in Druck- und Klopfempfindlichkeit verschiedener
Teile der Wirbelsäule, auch der Rippen und des Beckens, die, ohne
typische lokale Entzündungserscheinungen an den einzelnen Wirbeln
einhergehend, von gastrointestinalen oder allgemeinnervösen Sym¬
ptomen begleitet ist. Verf. konstatiert einen weitgehenden Parallelis¬
mus mit der Pathogenese und Symptomatologie des Plattfusses und
supponiert Reizzustände an Teilen der Wirbelsäule. Die Therapie
besteht in Ruhe, dann Massage, Gymnastik und einem von Verf. an¬
gegebenen billigen Apparat.
5) B. H e r z o g - Mainz: Die Syphilis des Herzens und ihre Früh¬
diagnose.
Unter Anführung einiger Beobachtungen betont H., dass die
Frühdiagnose der Herzlues dann möglich ist, wenn die Aorta und die
Kranzarterien allein oder vorzugsweise ergriffen sind. Jeder schwere
Anfall von Angina pectoris bei jungen oder mittelalten Leuten, Herz-
vergrösserung, die ohne sonstige Veranlassung sich relativ rasch ent¬
wickelt, Auftreten von Aorteninsuffizienz ohne Gelenkrheumatismus
im mittleren Alter sollen an Lues denken machen.
6) L. P i c k - Berlin : Ueber Meningokokken-Spcrmatozystitis.
Vergl. Bericht der Münch, med. Wochenschr. über die Sitzung
der Berliner med. Gesellschaft S. 1454.
7) E. Runge - Berlin: Stauungstherapie in der Gynäkologie und
Geburtshilfe.
Schilderung der Technik des Verfahrens, wie sie in der Poliklinik
der K. Charite in Anwendung ist. Fälle mit Entzündungserscheinungerl
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1649
der Uterussclileimhaut eignen sich hierfür; über die Erfolge bei chro¬
nischer Metritis ist noch nichts bestimmtes zu sagen. Sekretstau¬
ungen und Fisteln in Laparotomienarben sind auch ein günstiges In¬
dikationsfeld. Die Anwendung der Saugung bei Mastitis ergab auch
dem Verf. die bekannten guten Resultate.
Gr assmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 31.
1) S o m m e r - Giessen: Diagnostik und Therapie der psy¬
chischen und nervösen Krankheiten. (Klinischer Vortrag.)
2) J. G. M ö n c k e b e r g - Giessen: Ueber die genuine Arte¬
riosklerose der Lungenarterie.
Verf. teilt 2 Fälle mit, welche er denen von Romberg und
Aust anreiht. Klinisch bestand Herzvergrösserung (mit Ge¬
räuschen), Zyanose, Oedeme, Stauung in den Organen des grossen
Kreislaufs. Bei der Obduktion fand sich hochgradige Hypertrophie
des rechten Ventrikels ohne entsprechende Klappen- oder Lungen¬
veränderungen. Erst der mikroskopische Befund zeigte, dass ein
bedeutendes Stromhindernis in schweren Lungengefässveränderungen
gegeben war, welche denen bei Arteriosklerose im grossen Kreis¬
lauf analog waren. Im einen Fall hatte sich auf dem Boden zirkum¬
skripter (sekundärer) Intimawucherungen ein Thrombus im Pul-
monalarterienstamm entwickelt. Mit Rücksicht auf das jugendliche
Alter mehrerer Patienten nimmt Verf. an, dass es sich um angeborne
Alterationen der Lungengefässwände handeln könne.
3) Paul K r o e m e r - Giessen: Klinische Beobachtungen über
Aetiologie und Therapie des Chorionepithelioms, insbesondere über
die Behandlung der Blasenmole. (Schluss folgt.)
4) Leutert - Giessen : Bier sehe Stauung in der Otologie.
Verf. ermuntert zu weiteren Versuchen mit der Stauung, sie
sollen aber, wegen der möglichen Gefahren, nur in Kliniken angestellt
werden. Bei chronischer Mittelohreiterung war die Stauung erfolg¬
los. Bei Warzenfortsatzeiterung macht die Stauung die alte Therapie
keineswegs entbehrlich.
5) H. Hirschfeld und R. K o t h e - Berlin : Ueber abnorm
hohe Leukozyten bei schweren Infektionen.
In der Leukozytenmenge liegt ein brauchbarer Anhaltspunkt für
Beurteilung der Schwere einer Infektion, wie sich Verf. bei Appen¬
dizitisfällen immer wieder überzeugten. Von 9 Fällen mit sehr hoher
Leukozytose (60 000—92 000), welche kurz mitgeteilt werden, starben
6; bei Frauen und Kindern ist das Leukozytenphänomen am ausge¬
sprochensten. In einem 10. Fall — lOjähr. Knabe mit Appendizitis
gangraenosa — stieg die nach der Operation anhaltende Leukozytose
(22 000 — 38 000) im Gefolge einer Blutung aus einem Duodenalge¬
schwür bis auf 190 000, während die roten Zellen keinerlei Regene¬
rationserscheinungen entwickelten; der Blutbefund war leukämie¬
ähnlich. Tod am 3. Tag nach der Blutung. Der Fall ist klinisch näher
beschrieben im folgenden Artikel.
6) M ü h s a m - Berlin: Tödliche Blutung aus einem Duodenal¬
geschwür nach Appendizitisoperation.
Es handelte sich wahrscheinlich um retrogradige Embolie; die
Arrosion des Gefässes wurde vielleicht durch einen Diätfehler be¬
günstigt. — Verf. achtete auf den Stuhl nach Laparatomien und fand
in einigen Fällen Blut.
7) Felix F r a n k e - Braunschweig: Diagnose und Behandlung
der chronischen Gelenkerkrankungen. Klinischer Vortrag. (Schluss
folgt.)
8) Sommer und Daune m ann - Giessen : Zur Geschichte
der medizinischen Fakultät der Universität Giessen.
. R. Grashey - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 31. E. Moro und A. D o g a no f f - München: Zur Patho¬
genese gewisser Integumentveränderungen bei Skrofulöse.
Die Verf. berichten über die eigentümlichen Reaktionserschei¬
nungen, welche sie bei schwächlichen, skrofuloseverdächtigen Kin-
drn nach der Pi r quetschen Tuberkulinimpfung sowohl als Der¬
matitis (Skrofuloderma) und besonders als Conjunctivitis phlyctaenu¬
losa auftreten sahen. Wie Pfaundler in der Münchener Gesell¬
schaft für Kinderheilkunde ausgeführt hat, muss man dabei an eine
spezifische gesteigerte Empfindlichkeit des Integumentes bei skrofu¬
lösen Individuen denken.
K. K r e i b i c h - Prag: Ueber die Resistenz des Menschen
gegen Milzbrand.
Verf. hat bei seinen Versuchen das Verhalten des Milzbrand¬
bazillus sowohl gegenüber Serum als gegenüber Eiter verfolgt und
gesehen, dass Serum allein den Bazillus nicht abtötet, sondern im
Gegenteil seine Entwicklung zu fördern pflegt . Dagegen sah er im
Eiter (Buboneneiter) eine lebhafte Phagozytose und ausserdem an den
Bazillen Absterbeerscheinungen und Zerfall eintreten. Noch inten¬
siver scheint die Abtötung in gefrorenem Eiter zu erfolgen. Alles
in allem ergibt sich, dass die Resistenz des Menschen gegen Milz¬
brand auf den Leukozyten beruht.
O. Mayer- Graz: Ein Beitrag zur Kenntnis der Sehstörung und
Erblindung nasalen Ursprungs.
Krankengeschichte einer 76 jährigen Frau, die nach längerem
Bestand eines Empyems der rechten Nebenhöhlen im Anschluss an
einen akuten Nasenkatarrh über Nacht auf dem rechten Auge er¬
blindete, während auf dem linken die Sehschärfe auf drei Zehntel
abfiel. Nach der Eröffnung der Kiefer- und Keilbeinhöhle sowie der
hintersten rechten Siebbeinzelle wurde das Sehvermögen des linken
Auges wieder fast normal. Die Miterkrankung des linken Auges
bei der rechtsseitigen Nasenaffektion lässt sich vielleicht am besten
durch ein von dem rechten Optikus nach dem linken fortgeleitetes
entzündliches Oedem erklären.
S t r u b e 1 1 - Dresden: Inwiefern ist es erlaubt, die Ergebnisse
der modernen Kreislaufforschung vom Experiment auf die Klinik und
auf die Pathologie des Menschen zu übertragen?
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
Bergeat - München.
Englische Literatur.
W. S. Lazarus-Barlo w: Die histologische Diagnose der
Endotheliome. (Glasgow Medic. Journ., April 1907.)
Verf., der Direktor des Krebsinstitutes am Middlesex Hospital in
London, glaubt, dass man den Begriff des Endothelioms erweitern
muss und dass manche bisher als Plattenepithelkrebse beschriebenen
Tumoren der Cervix uteri und der Brustdrüse den Endotheliomen
zuzuzählen sind. Er rechnet die Endotheliome zu den Sarkomen und
unterscheidet zwischen „hämatischen und lymphatischen“ Endo¬
theliomen, sowie zwischen Peritheliomen und Endotheliomen. In
den letzten 7 Jahren fand er unter allen von ihm untersuchten bös¬
artigen Tumoren Endotheliome in 8 Proz. der Fälle in der Zunge,
10 Proz. im Uterus, 10 Proz. in der Brust, 10 Proz. in der Leber
und den Gallengängen und 7 Proz. in den Knochen (primäre Knochen¬
tumoren). Die histologisch als Endotheliome bekannten Geschwülste
zeigen eine ungewöhnlich grosse Anzahl von Metastasen. Die Arbeit
enthält eine Anzahl guter Abbildungen.
James Kerr Love: Blaue Pigmentierungen des Trommelfells.
(Ibid.)
Verfasser beschreibt eine blaue Pigmentierung des Trommel¬
fells, die er bei 6 Grubenarbeitern sah, die über Taubheit klagten.
Er glaubt, dass es sich um eine Ablagerung von Kohlenstaub han¬
delt, der durch die Tuba Eustachii in das Mittelohr gelangt. Das
Pigment liess sich weder durch Spülen noch durch Tupfen vom Trom¬
melfell entfernen.
J, O. Aff leck: Zur Prognose und Therapie der lobären Pneu¬
monie. (Scottish Med. and Surgic. Journ., April 1907.)
Das höhere Lebensalter und der Alkoholismus sind bei der Pneu¬
monie von übelster Vorbedeutung. Von 46 Alkoholikern, die an Pneu¬
monie erkrankten, starben 40. Er beschreibt dann näher die dia¬
gnostisch interessanten Fälle, bei denen es im Beginn der Erkran¬
kung zu heftigen Schmerzen im Leibe und zu Rigidität der Bauch¬
muskeln kommt, so dass manchmal fälschlich eine Appendizitis an¬
genommen wird. Hohe Temperaturen mit starkem Schweissausbruch
sind prognostisch als ungünstig anzusehen. Vor allem kommt es
darauf an, die Herzkraft zu erhalten und dies geschieht am besten
durch reichliche Verabreichung von Digitalis und Strychnin. Auch
Alkohol ist ein gutes Stimulans in der Behandlung der Pneumonie.
Schlaflosigkeit wird am besten durch Paraldehyd bekämpft. Opium
sollte nie gegeben werden. Antipyretika dürfen ebenfalls nicht ge¬
geben werden, bei hohem Fieber verwendet er kalte Abreibungen.
J. L. Fraser: Die Aetiologie der Nasenpolypen. (Ibid.)
In vielen Fällen akuten und chronischen Nasenkatarrhs kommt
es zu seröser Durchtränkung der Schleimhaut in der Gegend der
mittleren Muschel. Zuerst sind nur die oberen Lagen ergriffen und
in vielen Fällen stellt sich nach einiger Zeit wieder ein normaler
Zustand her. In anderen Fällen dringt das Oedem auch in die tiefe¬
ren Schichten vor und führt zu ausgedehnterer Schwellung des vor¬
deren Endes der mittleren Muschel, des Processus uncinatus und der
Bulla ethmoidalis. Die Schwerkraft und der Einfluss der venösen
und lymphatischen Obstruktion vergrössern dies Oedem und es
kommt zur Bildung von Polypen, die also nichts sind, als ödematöse
Hypertrophien der Schleimhaut. Häufig findet man dabei Erkran¬
kungen der Nebenhöhlen und der Knochen, aber sie sind nicht die
Ursache der Polypen. Bei vielen Fällen von Sinuseiterungen fehlen
die Polypen vollkommen. Bei allen chronischen Fällen von Polypen
findet man aber Verdickungen der Gefässwände, des Periosts und
meist auch eine hyperplastische Otitis. Ist nur die Schleimhaut er¬
krankt, so genügt ihre Entfernung zur Heilung. Ist aber auch der
Knochen krank, so muss man den kranken Teil des Os ethmoidale
entfernen. Oft gibt die mikroskopische Untersuchung eines kleinen
Theiles des kranken Knochens wertvolle Aufschlüsse über die beste
Art der Therapie. .
Alexander Don: Die Entfernung des Brustkrebses. (Ibid.)
Verf. beschreibt und bildet ab eine eigentümliche Schnitt¬
methode, bei der die Achselhöhle, die Seitenteile und der von Hand-
ley als wichtig angegebene Teil über der Fascia abdominalis gut
ausgeräumt werden kann, ohne dass man viel Haut entfernt. Sehr
wichtig ist es, die Faszie des Latissimus dorsi und 1 eres major
gründlich zu entfernen, da auf ihr die Glandulae thoracicae liegen. Ls
ist am besten, die Kranke von Beginn der Operation an auf die
gesunde Seite zu legen, da man dann besser an diese t eile heran¬
kommen kann. Die beiden Pektorales und alles Unterhautfett¬
gewebe bis zur Mittellinie werden entfernt. Nach völliger Ent¬
fernung alles Gewebes bestrahlt Verf. die frei daliegende Wundfläche
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
650
10 15 Minuten lang mit Röntgenstrahlen. Er lässt beim Verbände
den Arm ganz frei, damit keine unangenehmen Kontrakturen ent¬
stehen.
F. W. N. Haultain: Das Zervixmyom und seine Behandlung.
(Edinburgh Medic. Journ., April 1907.)
Verf. bespricht die Pathologie, Anatomie und Symptomatologie
dieser Tumoren an der Hand von 30 eigenen operierten Fällen, von
denen er 3 verlor. Meist gaben Druckbeschwerden die Indikation
zur Operation. Als einzig brauchbare Methode empfiehlt er die ab¬
dominale totale Hysterektomie, wobei er nach Ablösung der Blase
und Unterbindung der Ligam. lata und der Arterien zuerst das vor¬
dere Scheidengewölbe eröffnet. Dann wird nach der Scheide hin
locker drainiert und das Peritoneum über dem Tampon vernäht.
W. H. Newton: Die Entzündungen in der Umgebung des
Kolons. (Medical Chronicle, April 1907.)
Die Perikolitis ist viel häufiger als vielfach angenommen wird.
Sie kann überall am Kolon auftreten, betrifft aber am häufigsten das
Colon descendens. Meist spielt chronische Konstipation ätiologisch
die Hauptrolle. Bei vielen derartigen Kranken kommt es zur Aus¬
bildung kleiner Ausbuchtungen des Darmes, es bilden sich Sacculi
und Divertikel, die dem Wurmfortsatz vergleichbar sind und in denen
sich der Appendizitis ähnliche Entzündungsvorgänge abspielen
könne. Andere Fälle von Perikolitis entstehen durch Perforation
des Darmes durch Fremdkörper (Bland Sutton). Schliesslich können
Traumen und verschiedene Arten von Geschwüren des Darmes (gut¬
artige und bösartige) zur Perikolitis führen. Es kann zur Ausbildung
einer chronischen Entzündung oder zur akuten Eiterung kommen.
Nicht selten wird fälschlich ein maligner Tumor (selbst noch bei der
Operation) angenommen, der dann zuweilen spurlos nach der Probe¬
laparotomie verschwindet. Die Behandlung der akuten, abszedieren-
den Fälle kann nur eine chirugische sein, bei den chronisch infil¬
trierenden erzielt man durch Bettruhe, Umschläge und regelmässige
Stuhlentleerungen oft Besserung. Zuweilen ist es bei den chroni¬
schen Fällen von Nutzen, eine Laparotomie zu machen und Adhä¬
sionen zu lösen.
Arthur Fox well: Die hypostatische Pneumonie. (Birmingham
Medical Review. April 1907.)
Verf. hat eine Anzahl von Fällen bakteriologisch untersucht, ist
aber dabei zu dem Resultate gekommen, dass die dabei gefundenen
Mikroorganismen (Pneumokokken, Strepto- und Staphylokokken) ganz
nebensächlich sind, die Ursache der Hypostase ist in Schwächung
des rechten Herzabschnittes zu suchen. Die Therapie besteht vor
allem in der Prophylaxe, bei beginnender Hypostase lasse man Atem¬
übungen machen, gebe Strychnin und Digitalis sowie eventuell ein
Brechmittel. Auch Aderlässe und warme Bäder sind manchmal von
Nutzen.
F. Victor Mil ward: Die Beziehungen der Obstipation zur
Konstipation. (Ibidem.)
Unter Obstipation versteht Verf. im Gegensatz zur Konstipation
(Stuhlverstopfung) eine Stuhlverstopfung, die auf mechanischen Ur¬
sachen beruht. Er beschreibt näher die Hypertrophie der Houston-
schen Falten des Rektums und ihre operative Beseitigung, die na¬
mentlich von einigen amerikanischen Chirurgen vielfach mit gutem
Erfolge geübt wurde. Dann geht er näher auf Stuhlverstopfung durch
chronische Adhäsionen und Knickungen des Kolons ein und empfiehlt
hierbei die Anlegung einer Anastomose zwischen Ileum und Colon
descendens. Schliesslich glaubt er, dass man in der Appendikostomie
eine vorzügliche Methode besitzt, um chronische Verstopfungen zu
heilen. Man näht den Wurm in eine kleine Bauchwunde ein, er¬
öffnet ihn und dilatiert ihn, wenn nötig. Durch diese Dauerfistel
kann man täglich Medikamente in den Darm einführen oder ihn
ausspülen.
Stanley Burnes: Der Patellarreflex bei der Pneumonie.
(Ibidem.)
Verf. konnte feststellen, dass bei Fällen von lobärer Pneumonie
der Kniereflex fast immer nach einiger Zeit erlischt, während er bei
anderen Lungenkrankheiten (Tuberkulose, Diphtherie) erhalten bleibt.
Erlischt der Kniereflex sehr frühzeitig (schon am dritten Tage), so
spricht dies für eine hochgradige Toxämie und gibt eine schlechte
Prognose. Ist er am 7. Tage noch vorhanden, so ist die Prognose
gut. In allen tödlich endenden Fällen war der Reflex einige Zeit vor
dem Tode erloschen. Verf. glaubt, dass man sobald der Reflex ver¬
schwindet, beginnen muss den Kranken energisch zu stimulieren.
Den Eintritt der Krisis kann man aus dem Verhalten der Reflexe nicht
bestimmen.
John Cowan: Die myogene Theorie der Herztätigkeit. (Prac-
titioner. April 1907.)
Verf. gibt eine gute Uebersicht dieser hauptsächlich von Eng¬
ländern und Amerikanern ausgearbeiteten Lehre von der myogenen
Erregung des Herzens. Die Arbeit ist für ein kurzes Referat nicht
geeignet. Sie enthält eine gute Uebersicht über die wichtigsten bisher
erschienenen Arbeiten über dieses Gebiet.
Fr. Langmead: Die Beziehungen der einfachen hinteren Ba-
silarmeningitis zum Zerebrospinalfieber. (Ibidem.)
Die hintere Basilarmeningitis wurde zuerst von G e e und Bar-
1 o c o beschrieben, später erkannte Still einen nach ihm genannten
Diplokokkus als ihren Erreger. Verf. sucht nun nachzuweisen, dass
auch die Meningitis basilaris posterior in epidemischer Form auf¬
treten kann; dass die Pathologie dieser Krankheit zu eng begrenzt
worden sei und dass der Still sehe Diplokokkus nichts anderes
ist als der Weichselbaum sehe Meningokokkus. Er glaubt,
dass die Basilarmeningitis von Still nichts weiter ist als eine
sporadisch auftretende, abgeschwächte Meningitis cerebrospinalis und
dass sich jederzeit durch uns bisher unbebaute Ursachen aus solchen
zu allen Zeiten isoliert vorkommenden Fällen eine Epidemie von
Meningitis cerebrospinalis entwickeln kann.
Woods Hutchinson: Was ist Fieber? (Ibidem.)
Nicht die hohe Temperatur, sondern die gleichzeitig vorhandenen
Eoxine sind das schädliche des Fiebers. Die erhöhte Temperatur
beruht nicht auf vermehrter Oxydation, da die COs-Ausscheidung
gleich bleibt oder sogar verringert ist. Die Erscheinungen des Fie¬
bers beruhen auf einer allgemeinen Störung und Umkehrung des nor¬
malen Stoffwechsels durch die Toxine; die Energie, die sonst in
Sekretion, Wachstum, Bewegung etc. umgesetzt wird, wird jetzt in
Wärme umgewandelt und geht dem Körper verloren. Tatsächlich ist
der Stoffwechsel im Fieber gegenüber der Gesundheit verringert,
aber er ist zerstörend, nicht aufbauend. Sind sehr grosse Mengen
von Toxinen vorhanden, so wird der Stoffwechsel so stark herab¬
gesetzt, dass es zu einer subnormalen Temperatur kommt. Man
sollte nicht eher von Fieber sprechen, als bis die Normaltemperatur
um 1,5 0 F überschritten ist. Es ist sehr zweifelhaft, ob die erhöhte
Temperatur im Fieber dem Körper durch ungünstigen Einfluss auf
das Wachstum der Mikroorganismen Nutzen bringt. Therapeutisch
ist es von Wichtigkeit, die Intoxikation und nicht die Temperatur
zu behandeln.
H. Nethersole Fl et sch er: Antipyrin als Sedativum im Säug¬
lingsalter. (Ibidem.)
Bei Keuchhusten im Säuglings- und Kindesalter hat sich dem
Verf. kein Mittel so bewährt als das Antipyrin. Er gibt 0,06 bis 0,15
alle 4 — 6 Stunden, vor dem Schlafengehen verdoppelt er die Dose und
erzielt dadurch häufig eine ruhige Nacht. Auch bei der Unruhe der
Kinder, die aus vielen Ursachen so häufig während des Zahnens
auftritt hat sich Antipyrin in denselben Dosen bewährt. Dasselbe
gilt für das nächtliche Aufschrecken der Kinder. Verf. sah niemals
unangenehme Nebenwirkungen.
George F. Still: Ueber Enuresis und fäkale Inkontinenz der
Kinder. (Clinical Journal, 24. April 1907.)
Verf., der eine sehr grosse Erfahrung als Kinderarzt hat, glaubt,
dass die meisten Fälle von Enuresis bis zur Pubertät verschwinden;
die seltenen Fälle, die in das erwachsene Alter hineinreichen, ver¬
schwinden zuweilen mit der Heirat. Stets sollte der Urin genau
untersucht werden, der allerdings meist normal gefunden wird. Findet
man viel Harnsäure, so beschränke man die Kohlehydrate. Stets
untersuche man auf Würmer und zwar gebe man, selbst wenn ihr
Vorhandensein von den Eltern bestritten wird, einmal Santonin und
Kalomel und untersuche die nächsten Stühle. Findet man keinen
greifbaren Grund, so versuche man Belladonna. Man muss das Mittel
in steigenden Dosen für mehrere Wochen geben. Man kann bei
Kindern über 5 Jahren mit 10 Tropfen der Tinktur 3 mal täglich
beginnen und jeden 5. Tag um 2Vz Tropfen steigen bis die Enuresis
aufhört oder Vergiftungserscheinungen auftreten. Hört die Enuresis
z. B. mit 17 Tropfen auf, so steige man noch um 2Vz Tropfen und
bleibe bei 20 Tropfen 3 mal täglich für 14 Tage. Nach dieser Zeit
gehe man langsam in 5 Tagen um 2Va Tropfen zurück. Hört die
Enuresis nicht auf, obwohl die Toleranzgrenze für Belladonna er¬
reicht ist, so gebe man die höchstmöglichen Mengen fort zusammen
mit 12% Tropfen Tinct. Lycopodii, die alle 5 Tage um 2 Vs Tropfen
gesteigert wird. Atropin hat keine Vorzüge vor der Tinct. Bella-
donnae. Man kann der Belladonna auch Nux vomica in grossen Dosen
zufügen. Ein anderes Mittel ist Phenazetin oder Bromkali. Auch das
Extract. fluid, von Rhus aromatica in Dosen von 10—25 Tropfen
3 mal täglich hilft zuweilen. Versagen diese Mittel, so hilft zuweilen
das Extract. liquid. Ergot. in Dosen von 20 Tropfen 3 mal täglich.
(Alle diese Dosen sind für 5 jährige Kinder gerechnet.) Verf. wendet
sich dann scharf gegen die von manchen Aerzten empfohlenen In¬
stallationen der Harnröhre und des Blasenhalses mit Hö'llenstein-
lösungen, sowie gegen die Massage vom Rektum aus und gegen die
Injektionen in den Wirbelkanal. Auch die Entfernung der langen
Vorhaut oder adenoider Wucherungen hat sicherlich keinen Einfluss
auf die Enuresis (diese Operationen sollen natürlich, wenn sonst
indiziert, vorgenommen werden). Zuweilen ist Galvanismus als rein
psychisches Mittel von Nutzen. Verf. gibt dann noch Ratschläge
über die allgemeine Pflege und Diät der Kinder. Incontinentia
alvi hat er namentlich bei Knaben gesehen und zwar zuweilen zu¬
sammen mit Enuresis. Man vermeide alle den Darm reizende Nah¬
rung, vor allem Obst 'in jeder Form und verordne D o w e r sches
Pulver zusammen mit Bromkali und Belladonna. Bei schwächlichen
Kindern gibt er Arsenik und Strychnin gleichzeitig. Eine sorgfältige
Pflege der Kinder ist sehr nötig, da es sich meist um hochgradig
„nervöse“ Kinder handelt.
Sir Hector C. Cameron: Lord L i s t e r und die Entwicklung
der Wundbehandlung in den letzten 40 Jahren. (Brit. Med. Journ.,
6. April 1907.)
Verf., ein Schüler List er s, der die ganze Entwicklung der
L i s t e r sehen Wundbehandlung von Anfang bis heute miterlebt hat,
gibt in diesem Festaufsatz zu L i s t e r s 80. Geburtstage einen höchst
interessanten Rückblick über Liste rs erste Versuche und die
allmählige Ausarbeitung der jetzt geltenden Regeln für die Wund-
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1651
behandlung. Er betont dabei besonders, dass L i s t e r stets aner¬
kannt bat, wieviel er Pasteur verdankt und wie erst Pasteurs
Entdeckungen ihn zu seinen Versuchen angeregt haben. Andererseits
aber bestreitet er (und wohl mit Recht), dass zwischen der ur¬
sprünglichen Antiseptik, die L i s t e r lehrte und der heute üblichen
sogenannten Asepsis ein prinzipieller Unterschied ist, so dass man
die Antispesis als etwas ganz neues, vom Listerismus gründlich
verschiedenes, anzusehen habe. Er selbst ist bis heute der Karbol¬
säure treugeblieben und er glaubt, dass man mit ihr ausgezeichnete
Erfolge erzielen kann. Er rühmt das tiefe Eindringen der Karbol¬
säure in die Haut und er bedeckt eine Stunde vor der Operation
das ganze Operationsfeld mit einer in 5 prozentige Karbollösung ge¬
tränkten Kompresse. Dies macht in dringenden Fällen jede andere
Hautvorbereitung überflüssig. Auch zur Händedesinfektion benutzt er
2Vs proz. Karbollösung. Er spricht dann ausführlicher über die Be¬
handlung komplizierter Frakturen. Im Gegensatz zu Bergman n,
der die trockene Reinigung 'dieser Wunden empfiehlt, spült er kompli¬
zierte Frakturen stets mit grossen Mengen 5 proz. Karbollösung aus.
Der Aufsatz bietet viel Interessantes zur Geschichte der Antiseptik.
Sir Victor Horsley: Neue Untersuchungen über die Richtig¬
keit der von Hughlings Jackson ausgesprochenen Ansichten über
die Tätigkeit des Kleinhirns. (Ibidem.)
Horsley hat gefunden, dass die Rinde des Kleinhirns uner¬
regbar ist, wenn man sie mit der Erregbarkeit des Gyrus frontalis
ascendens vergleicht. Ferner hat er nachgewiesen, dass der ab¬
leitende Mechanismus des Kleinhirns in den Kernen des Kleinhirns
selbst und in den parazerebellaren Kernen liegt. Alles bestätigt
die von Jackson und Edinger gefundene Tatsache, dass die
Kleinhirnrinde die erste Hauptstation ist für die Repräsentation der
Bewegungen aller Skelettmuskeln.
J. Scott Riddell: Ueber Jodalkoholkatgut. (Ibidem.)
Verf. benutzt seit mehreren Jahren das von Salkindsohn
angegebene Verfahren der Katgutbereitung. Man legt Rohkatgut in
eine Lösung von Jodtinktur in Alkohol (1 : 15). Nach 8 Jagen ist
das Katgut steril. Man kann es unbeschränkt lange in dieser Lösung
aufheben ohne dass es brüchig wird. Nach 2 bis 3 Wochen füge man
neue Lösung hinzu. Das Katgut wird vorher fest auf Glasspulen
gewickelt. (Schluss folgt.)
Bericht über urologische Forschungsergebnisse aus dem ersten
Halbjahr 1907.
Im Folgenden sollen kurz die Neuerscheinungen der urologischen
Spezialwissenschaft besprochen werden, die uns das letzte Halbjahr
brachte. Es sind dabei nur die praktisch wichtigeren Arbeiten
herausgegriffen, wie sie ja den Leserkreis dieser Wochenschrift
hauptsächlich interessieren dürften. Der Bericht kann und soll des¬
wegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen.
An erster Stelle sind einige neuere grössere Werke zu
erwähnen. Nitzes „Lehrbuch der Kystoskopie“ ist vor kurzem an
dieser Stelle eingehend gewürdigt worden. Ebenso Garre und E h r-
hardt: „Nierenchirurgie“, Luys: „Exploration de l’appareil uri-
naire“ und Wohlauer: „Urologisch-kystoskopisches Vademekum“.
Eine hübsche, gross angelegte Monographie über Prostatektomie
bringt uns Proust (la prostatectomie dans l’hypertrophie de la
prostate. Paris, Masson & Cie., 1907). Nach einem geschichtlichen
Ueberblicke werden die pathologische Anatomie der Drüse, die Ana¬
tomie des Dammes für den perinealen Operationsweg und endlich die
beiden Methoden der Prostataenukleation, die perineale und die
suprapubische, besprochen.
Im Vordergrund des Interesses befindet sich noch immer die
Nieren tuberkulöse, wie aus der grossen Anzahl von Arbeiten
bedeutender Forscher über diesen Gegenstand hervorgeht. Sie be¬
fällt keineswegs so selten den Menschen, als nach den Berichten
früherer Jahre zu vermuten wäre; im Gegenteile, die Statistiken der
Nierenchirurgen weisen einen recht beträchtlichen Prozentsatz für
Nierentuberkulose auf; dabei ist noch zu beachten, dass eine grosse
Anzahl von sicher diagnostizierten Fällen wegen Verweigerung der
Operation von Seiten des Patienten oder Arztes nicht mit ein¬
gerechnet sind. Zuckerkandl (Ueber die Behandlung der Nieren¬
tuberkulose; Deutsche med. Wochenschr., XXXII. Jahrg., No. 28),
Rovsing (Ueber die Bedeutung der Blasentuberkulose und die
Heilbarkeit derselben; Langenbecks Arch. f. klin. Chirurgie, 82. Beb,
1. H.), Walker (Tuberculosis of the bladder; Annales of surg. 1907,
Februar, März, April) und P i t h a (Ueber die Untersuchungsmethoden
und die Therapie bei der sogen, chronischen Nierentuberkulose; Klin.
therap. Wochenschr. 1907, No. 2 — 5) haben diesbezügliche For¬
schungsergebnisse veröffentlicht. In den Hauptpunkten stimmen ihre
Ansichten überein: die Nierentuberkulose ist in der Mehrzahl der
Fälle einseitig und zirkulatorischen Ursprungs, wirkliche spontane
Heilung einer diagnostizierten Nierentuberkulose gibt es wohl kaum,
die medikamentöse JTerapie steht bis jetzt machtlos dem Prozess
gegenüber; der einzige Weg zur vollständigen Heilung ist die so¬
fortige Entfernung des erkrankten Organs. In der allerjüngsten Zeit
haben Nicol ich (Cura chirurgica della tuberculosi renale) und
Israel (Die Endresultate meiner Nephrektomien wegen J’uber-
kulose; nebst einigen diagnostischen Bemerkungen) in den neu¬
gegründeten „Folia urologica, Bd. I, H. 1“ ihre Erfahrungen darüber
mitgeteilt. Von besonderem Interesse sind Israels Thesen, da er
über eine recht ansehnliche Reihe von selbstoperierten und lange
beobachteten Fällen verfügt. Die Endresultate, berichtet der
erfahrene Chirurg, sind in der Mehrzahl befriedigend; der Kräfte¬
zustand wird normal, das Körpergewicht steigt (bis zu 90 Pfund!), die
Miktionsbeschwerden verschwinden oder verringern sich in beträcht¬
lichem Masse. Diese Besserung beruht auf Rückbildung des tuber¬
kulösen Prozesses der Blase durch Entfernung des Ansteckungs¬
herdes. Die Operation soll bei einseitiger Erkrankung sofort der
Diagnose folgen; je frühzeitiger dies geschieht, desto besser das
Endresultat. Israel verfügt über Fälle, bei denen zwischen Opera¬
tion und Erhebung des Endresultats ein recht beträchtlicher Zeitraum.
10—15 Jahre, verflossen sind. Eine Schädigung der zurückgebliebenen
gesunden Niere durch Schwangerschaft ist nicht zu befürchten. Nach¬
trägliche tuberkulöse Erkrankung des Schwesterorgans beruht in der
Mehrzahl der Fälle auf dem Vorhandensein präexistierender latenter
Herde. Die allgemeine Diagnose ist gar nicht schwer und
ohne spezialistische Kenntnis zu stellen. Ist ein auffallendes Miss¬
verhältnis zwischen Stärke der Funktionsstörung und Geringfügigkeit
der Harntrübung, verringert sich die Blasenkapazität in fortschreiten¬
dem Masse, tritt die Nutzlosigkeit, ja Schädlichkeit der Blasen¬
spülungen deutlich hervor, findet man endlich im schwachtrüben Urin
mikroskopisch neben Leukozyten auch kleine Blutkoagula oder nur
vereinzelte rote Blutzellen, so ist der Arzt verpflichtet, den steril mit
dem Katheter aufgenommenen Harn auf Tuberkelbazillen zu unter¬
suchen und zwar auf mikroskopischem Wege und mittels des Tier-
experiments. Für die exakte Feststellung der Einseitigkeit oder
Doppelseitigkeit der Niererkrankung sind allerdings Methoden er¬
forderlich, die eine grössere Uebung erfordern und daher chirurgisch-
urologisches Sondergebiet bleiben werden.
Die von C o 1 o m b i n o beschriebenen Veränderungen der
Leukozyten des Harns bei Nierentuberkulose nachzuprüfen, hat sich
Moscou (Diagnostic de la tuberculose de l’appareil genito-urinaire
d’apres l’examen microscopique des urines; Presse medic.^1907, H. 2)
unterzogen. Diese Veränderung, bestehend in unregelmässig zacki¬
gem Rande, Auftreten von durchsichtigen Bläschen am Rande des
Protoplasmas und Unsichtbarwerden des Kerns und der Granula,
konnten tatsächlich in einer grossen Anzahl der einschlägigen Fälle
beobachtet werden; doch dürfen sie nicht als Beweis für Nieren¬
tuberkulose angesehen werden, da sie einerseits bei sicher bestehen¬
der derartiger Erkrankung fehlen, andererseits sich auch ab und zu
bei anderen Affektionen der Harnorgane (Konkrement der Blase, akute
Blennorhöe) finden.
Durch seinen, den gegenwärtigen Erfahrungen entgegengesetzten
Inhalt fällt ein Bericht über zwei Fälle von Spontanheilung
der Blasentuberkulose von Deschamps (Contribution ä l’etude
de la guerison spontanee de la tuberculose du rein. Annal. des mal.
gen.-urin. 1907, H. 8) auf. Der erste Fall ist wohl nicht eine Spon¬
tanheilung im wahren Sinne des Wortes. Ein tuberkulöser Abszess
der Niere wird eröffnet, gereinigt und drainiert; die endgültige Heilung
der Testierenden Fistel tritt nach 3 Jahren ein. Der zweite Fall be¬
trifft ein Mädchen, mit den Erscheinungen einer Tuberkulose des
Harnapparates. Intravesikale Separation; beiderseits trüber Harn;
K o c h sehe Bazillen wurden durch Tierversuch nachgewiesen. Durch
medizinische Behandlung (Urotropin. Milchdiät, Ruhe etc.) wurde
eine vollständige Heilung (klarer Urin, Aufhören der Schmerzen),
nach 2 Jahren erzielt. Der zur Beurteilung des Resultates eigent¬
lich hier unerlässliche Tierversuch wurde nicht mehr wiederholt,
so dass die Heilung nicht genügend erwiesen erscheint.
Was die Behandlung der chronischen N e p h r i t i s durch Ent¬
kapselung (nach Edebohls) anlangt, so ist das Urteil über den
Wert dieser Methode ein widersprechendes. Während E. Müller
(Ueber die Entkapselung der Niere. Arch. f. klin. Chir., 82 Bd.. H. 1,
1907) diese Operation bei 3 Nephritikern mit gutem Erfolge ausführte,
kommt Zondeck (Die chirurgische Behandlung der chronischen
Nephritis nach Edebohls. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u.
Chir., 1907, III. Suppl.) zu dem Resultate, dass sie weder harmlos
noch empfehlenswert sei.
Ueber eine neue Art, die Blase durch Naht zu vereinigen, be¬
richtet D eibet (Sutur hermetique de la vessie par decollement
et rebroussement de la muaueuse. Annal. des mal. gen.-urin. . 1907,
H. 7.). Er sucht sich den Erfolg einer primären, totalen Vereinigung,
— die für gewöhnlich, wenn auch nicht ausnahmsweise, so doch in¬
konstant eintritt — durch Aneinanderbringen von breiten Wundflächen
der Mukosa zu sichern. Das Verfahren, das von Ricard für die
Behandlung der Vesiko-Vaginalfisteln angegeben wurde, ist folgendes:
Man evertiert vor Anlegen der Naht mit einer Pinzette die Räncei
der vesikalen Wunde und löst nun entweder mit dem Messet olci
der Schere die Mukosa von der Muskularis in einer Ausdehnung von
ungefähr 1cm ab. Die Muskularis wird an der Umgrenzung dei
Ablösung genäht, faltet sich und bringt dadurch die beiden bchlenn-
hautwundflächen aufs innigste in Berührung; es bildet sich ein kleine i
Schleimhautwulst, dessen epithelialer Ueberzug gegen das Blasen-
kavum zu gerichtet ist. Ein intravesikaler Druck, der durch zeit¬
weiliges Verstopfen des Verweilkatheters sich ja häufig ernste lt,
wird keinerlei unangenehme Zwischenfälle nach sich ziehen, da die
Schleimhautflächen sich um so inniger vereinigen. Die starke Vasku¬
larisation der Mukosa gewährleistet noch vor Resorption ues Katgut
die Heilung der Wundränder.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Die Frage, welcher Weg für die totale Exstirpation der Pro¬
stata wegen Hypertrophie zu wählen ist, hat auch in diesem
Halbjahr ausser P r o u s t s oben erwähnter Monographie einige Be¬
arbeitungen erfahren. Pousson (resultats comparatifs entre la
prostatectomie perineale et la prostatectomie sus-pubienne. Bullet,
et mein, de la soc. de Chir. de Paris, 3. H., 1907) bevorzugt jetzt den
transvesikalen Weg (nach Frey er), obwohl seine Mortalitätsziffer
für diese Methode 22,7 Proz. beträgt (22 Fälle) gegen 14,3 Proz. (28
Fälle) bei perinealer Enukleation. Als Grund für seine Schwenkung
gibt er an, dass die Operation am Damm grössere Schwierigkeiten
durch eventuelle Verletzung des Bulbus oder Rektums bietet gegen¬
über den einfachen Verhältnissen des transvesikalen Weges; letzterem
Vorzug ist natürlich der der Schnelligkeit gemein, was bei dem vor¬
gerückten Alter dieser Patienten nicht zu unterschätzen ist. Grössere
Blutungen traten nur zweimal auf; durch Tamponade standen sie
bald. Bei der Ausschälung der Prostata hält es P. für besser, die
Kapsel zu inzidieren, als sich des Fingernagels zu bedienen. Die
Drüse wird herausgerissen ohne die Harnröhre zu schonen; die
Besichtigung des Wundfeldes geschieht mittels des „eclaireurs“; die
Blutung wird mit dem Thermokauter oder Adrenalin gestillt. Ein¬
legen des E r e y e r sehen Drains in die Wunde, der nach 6 — 8 Tagen
mit dem Verweilkatheter vertauscht wird. L e g u e u betont in der
Diskussion, dass eine kleine Prostata suprapubisch äusserst schwer
zu entfernen sei; hier trete die 'perineale Methode in ihre Rechte.
Zu ähnlichen Resultaten kommt C a s t a n o (Prostatectomie pe¬
rineale et prostatectomie transvesicale, methode de Frey er. An-
nal. des mal. gen.-urin. 1907, H. 6). Auch er gibt der trans¬
vesikalen Prostataausschälung den Vorzug. Die Eröffnung der Blase
bietet zugleich den Vorteil, sich über den Zustand des Organs genau
zu informieren; Steine, die ja oft die Hypertrophie der Drüse kompli¬
zieren, sind leicht zu entfernen. Die Pars prostatica der Harnröhre
ist leichter zu schonen als beim perinealen Vorgehen. Die ge¬
fürchtete Verletzung des Rektums, welche lang dauernde Fisteln im
Gefolge hat, ist vermieden. Dagegen gibt C. die leichtere Bewerk-
stelligung einer ausgiebigen Drainage durch die perineale Methode
in stark infizierten Fällen zu.
Kallionzis (note sur la prostatectomie transvesicale. Ibid.,
2. H., 1907) operiert in der Weise, dass er (und wie er angibt auch
Israel) der eigentlichen Operation die Boutonniere folgen lässt,
um eine doppelte Drainage zur Verfügung zu haben.
Von den nichtoperativen therapeutischen Massnahmen
hat sich die Behandlung der Vergrösserung dieser Drüse mit Rönt¬
genstrahlen, auf die grosse Hoffnungen gesetzt wurden, leider nicht
bewährt. Das Endziel aller Prostatikertherapie, die dauernde Be¬
seitigung des Resturins ist nach den Angaben Schlagintweits
(Die Behandlung der Prostatahypertrophie mit Röntgenstrahlen.
Zeitschr. f. Urologie, Bd. 1, H. 1, 1907), der ein grösseres Material
daraufhin sorgsamst beobachtete, nicht zu erreichen. Eine Einwir¬
kung der Strahlen sei zwar sicher vorhanden, jedoch bis jetzt regellos
und unbeständig. Auch Haenisch (Ueber die Röntgenbehandlung
der Prostatahypertrophie und ihre Technik, diese Wochenschrift 1907,
No. 14) spricht sich reserviert über die Dauererfolge dieser Therapie
aus.
Kurz sei noch eines Vorschlages von Lüth (Zur Therapie der
Prostatitis gonorrhoica. Med. Klinik, 1907, p. 262) für die Therapie
von Prostataaffektionen gedacht. Er besteht darin, Fibrolysinein-
spritzungen in die entzündete Prostata, die den gewöhnlichen thera¬
peutischen Massnahmen trotzt, vorzunehmen. Bei 6 Fällen der hart¬
knotigen Form konnte L. gute Erfolge erzielen; bei der weichen folli¬
kulären Form war der Erfolg weniger ermutigend.
Eine Reihe von den seltenen Fällen akut-septischer Thrombo¬
phlebitis und Cellulitis des Samenstranges hat Cole Madden
(Cellulitis of the spermatic cord. Lancet, 23. Februar 1907) in Kairo
gesehen. Der SyinDtomenkomplex ist ausserordentlich ähnlich dem
der inkarzerierten Hernie. Auch das retroperitoneale Gewebe kann
auf dem Wege durch den Leistenkanal ergriffen werden. Die Therapie
besteht in der vollständigen Entfernung des thrombosierten Plexus
und des durch Nekrose stets gefährdeten Hodens. Ueber die Ur¬
sachen des Leidens fehlen Angaben.
Die Therapie der Gonorrhoe behandeln Neisser (Ueber die
örtliche und innerliche Behandlung der Gonorrhoe. Med. Klinik 1907,
No. 14). Asch (Die interne und lokale Behandlung der akuten
Gonorrhöe in urethroskopischer Beleuchtung. Fol. urol. B. 1, H. 1)
und Jan et (Considerations generales sur le traitement de la blen-
norrhagie. Ibid.) in anregenden Studien. Der Breslauer Forscher
tritt für die gewöhnliche Injektionsmethode, die von jedem nicht
allzu ungeschickten Patienten gemacht werden kann, ein. Die grossen
Spülungen mit und ohne Katheter hält er zwar für wirksam, aber
wegen des grossen Aufwandes an Zeit und Geld nicht für praktisch
durchführbar. Der Arzt muss den Patienten für die Injektionsmethode
schulen. Die Flüssigkeit soll langsam und ohne Gewalt eingespritzt
werden; der beste Modus ist der, zwei bis drei je 10 — 15 Minuten
dauernde Injektionen machen zu lassen; keinesfalls sollen sie mit
Gewalt geschehen, damit alles vermieden wird, was den Widerstand
des Schliessmuskels überwinden könnte. Als Heilmittel verwendet
Neisser nach wie vor Protargol. Im akuten Stadium werden sofort
einmal täglich Einspritzungen (nur durch den Arzt) von 3 proz. Pro¬
targol in einer wässerigen 5 proz. Antipvrinlösung gemacht: der Pa¬
tient spritzt dreimal täglich mit V-i proz. Protargol in 3 proz. Antipyrin-
lösung. Letzteres Mittel kann auch durch Alypin ersetzt werden. Die
Frage, ob die interne Therapie mit den alten oder neueren balsami¬
schen Mitteln die Aufgabe, die wir an eine gute Gonorrhöetherapie
stellen, erfüllt, beantwortet N. mit striktem: Nein. Die Balsamika
sind zwar sehr brauchbar zur Beseitigung störender Symptome, aber
sie sind nicht imstande, die Gonokokken zu beeinflussen oder gar
zu töten.
Aschs Ausführungen gipfeln in folgenden Thesen: Jede akute
Gonorrhöe der vorderen Harnröhre ist lokal zu behandeln. Am
besten bewährt haben sich die Janet sehen Spülungen der vorderen
Harnröhre, welche die ersten 14 Tage 2 mal täglich, von da ab einmal
täglich angewandt werden und zwar anfangs mit einer Lösung von
Kal. hypermang. 1 : 4000 — 1 : 1000 später von Albargin 1 : 4000 bis
3 : 1000. Diese Spülungen sind unbedingt vom Arzte auszuführen.
Bei jedem Patienten, der eine akute Gonorrhöe 'durchgemacht hat,
ist vor dessen Entlassung aus der Behandlung urethroskopiSch zu
untersuchen.
.1 a n e t beschäftigt sich weniger mit der medikamentösen Therapie
als mit der Frage der Art und Weise und ües richtigen Zeitpunktes
der Applikation des Mittels. Er warnt davor, auch nur minimale
Verletzungen der entzündeten Schleimhaut bei der Untersuchung oder
Behandlung herbeizuführen wegen des Auftretens von Komplikationen.
Je akuter der Prozess, desto gefährlicher die Verletzungen. Es ist
aus diesem Grunde auch den Patienten die Untugend abzugewöhnen,
durch Drücken und Ausstreifen des Penis sich von dem Vorhandensein
des „Tropfens“ zu überzeugen. Auch das Anlegen eines Suspen¬
soriums ist nicht immer zweckdienlich, da häufig bei schlechtem Sitz
durch Druck oder Absperrung des Sekrets recht unangenehme Ver¬
schlimmerungen herbeigeführt werden können.
G. Zanoni (educatione della funzione vesicale. Gaz. degli.
Ospidal. 1907, No. 48) schlägt in seiner Arbeit auf Grund seiner Er¬
folge bei einem grösseren Material von Enuresis fällen die
Nebennierenextraktbehandlung vor. 40 — 80 Tropfen dreimal täglich
bis zum Eintreten des Erfolges war die von ihm angewandte gewöhn¬
liche Dosierung; da Gewöhnung an das Medikament eintritt, so muss
einerseits die Dosis ab und zu gesteigert, andererseits die Dar¬
reichung nach einiger Zeit ausgesetzt werden. Von 134 Fällen wur¬
den 66 geheilt, 21 gebessert. Am schönsten waren die Erfolge bei
Kindern im Alter von 3 — 10 Jahren. Aber auch bei älteren (15 Jahren)
wurden Erfolge erzielt. Die Frage der endgültigen Heilung ist wegen
der Kürze der Beobachtungsdauer (bis zu 1 Jahr) noch offen zu
lassen.
Auch die Technik brachte uns im letzten Halbjahr gar manches
Neue. Ich erwähne nur Goldschmidts Irrigationsurethroskop
(eine eingehende Studie mit guten Photogrammen findet sich in den
Fol. urol., Bd. 1, H. l), Wossidlos Ureterkystoskop (Zeitschr.
f. Urol., Bd. 1, H. 2), Casper-Blochs Katheterdampfsterilisator
(Zeitschr. f. Urol., Bd. 1, H. 7) u. a. m. Neu sirld ferner die von
Delamotte in den Handel gebrachten Zinnfiliformsonden, denen
man jede bleibende Krümmung geben kann, sowie Seidengespinnst-
bougies mit Metallknopf zur Steinsondierung.
Kielleuthner - München.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. Juli 1907.
35. Kraft Adolf; Die D e r c u m sehe Krankheit.
36. Rozenblat Henryka: Experimentelle Untersuchungen über
die Wirkung des Kochsalzes und des doppeltkohlensauren Natron
auf die Magensaftsekretion.
37. Bloch Sarra: Peroneussehnenluxation.
38. Ilieff Ilija: Ueber die Sterblichkeit der rachitischen Kinder nach
Beobachtungen in der Universitätsklinik für Kinderkrankheiten
zu Berlin.
39. H i 1 d e b r a n d Erich : Psychogene Lähmungen.
40. Kollier Rudolf: Ueber den Einfluss der Aussentemperatur auf
die Zuckerausscheidung.
41. Behrens Franz: Ueber inter- und submuskuläre Lipome.
42. Feldberg Vera: Ueber Uterusmyom als Geburtshindernis.
43. Herzfeld Ernst: Ueber die Bedeutung der molekularen Kon¬
zentration von Flüssigkeitsergüssen für die Resorption derselben.
44. Keller Herbert: Zur Kasuistik des Typhus exanthematicus.
Universität Freiburg. Juli 1907.
34. K raef Hans: Zur Frage des abgerissenen und im Uterus zurück¬
gebliebenen Kopfes.
35. Pape n hoff Hermann: Ueber Transplantation eigener und
fremder Haut und die Ursachen für die Nichtanheilung der
letzteren.
Universität Göttingen. Juni — Juli 1907.
17. C. de Boer: Zur Behandlung der habituellen Schulterluxation.
18. W. Pipo: Ueber 56 Fälle von Placenta praevia.
19. B. Vezin: Sechs neue Fälle von Osteomalazie aus der Göttinger
Universitäts-Frauenklinik.
Universität Greifswald. Juli 1907.
11. Schimert Gustav: Ueber Leukämie nach Traumen.
12. Schoettke Wilhelm: Experimentelle Beiträge zur Frage des
Infektionsmodus bei der weiblichen Genitaltuberkulose.
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1653
Universität Heidelberg. Juni und Juli 1907.
12. Kulenkampff Diedrich: Ueber Behandlung der Appendizitis.
13. Schilling Karl: Ueber einen Fall von multiplen Nebenmilzen.
14. Oambaroff Gabriel: Untersuchungen über hämatogene Side-
rosis 'der Leber. Ein Beitrag zur Arnold sehen Granulalehre.
15. Wirth Anton: Klinischer Beitrag zur Achylia gastrica.
Universität Leipzig. Juni 1907.
46. Hirsch Eduard: Ueber Ovarialsarkome.
47. Ja co bi Fritz: Ueber intermittierende zystenartige Dilatation
des vesikalen Ureterendes.
48. K ü h n e r Hermann: Ueber intradurales Hämatom.
49. Richard Adolf : Ein seltener Fall von plötzlichem Verschluss
der Vena cava superior durch Aortenaneurysma.
50. Unna Karl: Beitrag zur Pathologie des Gichtstoffwechsels.
51. Heilmann Otto: Zur Behandlung der Lungenphthise mit
Solveol.
52. K 1 e 1 1 Alfred: Untersuchungen über die Verwendbarkeit von
wässrigen Extrakten aus Hiihnereiweiss und Eigelb als Bakterien¬
nährboden.
53. Neumann Gerhard: Die traumatischen Kniegelenksergüsse und
ihre Behandlung. (Ein Beitrag aus dem Garnisonlazarett 2,
Berlin.)
54. Radi off Franz: Ueber Gundu in Deutsch-Ostafrika.
55. Schmer 1 Max: Ein Fall von Epilepsie mit Situs inversus vis-
cerum.
Juli 1907. •
56. Heinemann Walter: Ueber Hemiatrophia faciei.
57. Knotte Ernst: Ueber einen Fall von schwerer Allgemeintuber¬
kulose mit Herz- und Gallenblasentuberkulose.
58. Meixner Hugo: Beitrag zur Kenntnis der Lepra in Deutsch-
Ostafrika.
59. Meyer Karl: Ueber den Tod in der Morphium-Skopolamin-Nar-
kose, nebst einem Beitrag und Sektionsbericht.
60. Schul tes Walter: Zur Kasuistik der Mediastinaltumoren.
61. Stemmermann Anna: Beiträge zur Kenntnis und Kasuistik
der Pseudologia phantastica.
62. Brunner Ludwig: 30 Primärtumoren des Gehirns anatomisch
und klinisch zusammengestellt.
63. H o e r d e r Carl: Ueber Heilstättenwesen.
64. Preusse Hans: Ueber einen Fall von Anthrax intestinalis beim
Menschen.
65. Se rings haus August: Ueber 6 Fälle von epidemischer Zere-
brospinalmeningitis mit besonderer Berücksichtigung der Sero¬
therapie.
66. Stein Joseph: Ueber den Begriff „Dämmerzustand“.
67. Weigert Kurt: Das Verhalten des arteriellen Blutdrucks bei
den akuten Infektionskrankheiten.
68. Liebl Ludwig: Ueber traumatische Lungengangrän infolge von
Oesophagusruptur.
69. Lübbe rs Carl: Ueber einen Fall von tiefem Angiom an der
unteren Extremität und über seine Behandlung mit Magnesium¬
stiften nach Payr.
70. v. Mielecki Walter: Ueber Kniescheibenbrüche, insbesondere
irn deutschen Heere.
71. Schob Franz: Ein Beitrag zur pathologischen Anatomie der
multiplen Sklerose.
72. Stimmei Friedrich: Ueber Mastitis luetica im Sekundärstadium.
73. Tobten Max: Ueber die Schädeltrepanation als palliative
Operation bei inoperablen Hirntumoren.
74. F r ö h 1 i c h Albert: Untersuchungen über die Uebergangszonen
und einige Eigentümlichkeiten des feineren Baues der Magen¬
schleimhaut der Haussäugetiere,*)
75. Mladenowitsch Ljubomir: Vergleichende anatomische und
pathologische Untersuchungen über die Regio analis und das
Rektum der Haussäugetiere.*)
Universität Marburg. Juni 1907.
6. Ploeger Herrn.: Das Verhalten der Pupillen bei der Hysterie,
Epilepsie, Neurasthenie, Migräne und beim Alkoholismus.
7. D a n i e 1 s e n Willi.: Ueber die Schutzvorrichtungen in der Bauch¬
höhle, mit besonderer Berücksichtigung der Resorption. Hab.-Schr.
8. B r ö k i n g Ernst: Ein Beitrag zur Funktionsprüfung der Gefässe.
9. Sand voss Aug. Heinr. Wilh.: Ungewöhnliche Lokalisationen
des Echinokokkus (Vorderarmmuskeln, Schilddrüse, Gallenblase
und Niere).
10. Sinn Karl: Der Einfluss exoerimenteller Pankreasgangunter¬
bindungen auf die Nahrungsresorption.
11. Fel sch Hildegard: Anatomische Beiträge zur Kenntnis des
Spindelstars, des Kernstars, des Lenticonus posterior und der
kolobomartigen Bildungen der Linse.
12. Siebei Rud.: Klinisches und Genetisches über Hydratnnion.
13. Geheeb Anna: Zur Kasuistik der Operationen bei Karzinom des
S rormanum.
14. W e i s s Leonhard: Klinische und anatomische Beiträge zur
Kenntnis der Tendovaginitis crepitans.
15. Pietschmann Karl: Die Wirkung der Röntgenstrahlen auf die
Leukämie. Uebersicht über die bisher publizierten einschlägigen
Fälle unter Einbeziehung eigener Beobachtungen.
10. Becker Hermann: Zur Begründung einiger subjektiver Sym¬
ptome bei der initialen I^hthise, mit besonderer Berücksichtigung
der Bronchial- und Mediastinaldriisenvergrösseriing.
Universität München. Juli 1907.
58. Wiencke Rudolf: Chondrodystrophie als Ursache der Phoko¬
melie. Mit Abbildungen.
59. Caan Albert: Ueber wandständige Herzaneurysmen.
60. Straus-Goitein Rahel: Ein Fall von Chorionepitheliom.
61. v. Parczewski Stanislawa: Nephritis bei Tuberkulose.
62. Brügg,emann A.: Zur Kasuistik der Osteomalazie beim Mann.
Mit 4 Tafeln.
63. Seckel Ernst: Ueber die Abspaltung von Jod aus Jodkalium¬
gelatine im Lichte.
64. Kramer Oskar: Zur Untersuchung der Merkfähigkeit Gesunder.
65. Przygoda Wladislaus: Ueber den klinischen Verlauf der
multiplen Sklerose.
66. Dawidoff S.: Multiple Lymphangiome des Dünndarms.
67. Judt Josef: Ueber die Säuglingssterblichkeit und Säuglings¬
ernährung in München.
68. Fuerst Walter: Die Säuglingssterblichkeit in München in den
Jahren 1895 bis 1904 und der Einfluss der Witterungsverhältnisse
auf dieselbe.
69. Kaessmann Ferdinand: Ueber primäre Nierentuberkulose.
Universität Strassburg. Juli 1907.
15. Meyer Karl: Temperaturverlauf bei Typhus abdominalis.
16. Ruete Alfred: Ueber Gallertkarzinose des Peritoneums.
17. Henne mann Friedrich: Ueber Rezidive bei kruppöser Pneu¬
monie.
Universität Würzburg. Juni 1907.
23. Acht Alwin: Beiträge zur Histologie des menschlichen Neben¬
hodens.
24. Bösch Franz Arthur:. Ueber einen Fall von Osteosarkom¬
metastasen der Lunge.
25. Mohr Sigmund: Ueber Unterschiede des mütterlichen und kind¬
lichen Serums in seiner antitryptischen Wirkung.
26. N i e d e n t h a 1 Karl: Ueber Ventrifixura uteri insbesondere in
ihrem Einfluss auf spätere Schwangerschaften und Geburten.
27. iS c h w a r z Ign.: Die medizinischen Handschriften der k. Uni¬
versitätsbibliothek in Wiirzburg.
Vereins- und Kongressberichte.
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohren-Aerzte.
XIX. Versammlung v o m 2. Dezember 1906 in K ö 1 n.
Demonstrationen der Herren Lieven, Neuenborn, Hop¬
mann II, Steppetat.
Herr Neuenborn: Ueber einen Fall schwerster Kokain¬
vergiftung.
Das Kokain ist als weissliches, kristallinisches, leicht lösliches
Pulver in der medizinischen Praxis allgemein bekannt und wird haupt¬
sächlich in Lösungen zur örtlichen Anästhesie benutzt. Am meisten ist
es von den Augenärzten und uns Laryngologen zur Unempfindlichkeit
der Schleimhäute bei der Ausführung kleinerer und grösserer opera¬
tiver Eingriffe wohl mehr als 20 Jahre hindurch als alleiniges Mittel
angewandt worden.
Unbedenklich wurden zur Einpinselung in die Nasenschleimhaut,
sowie im Rachen und Kehlkopf 20 proz. Lösungen appliziert, ohne dass
dieselben, abgesehen von kleinen Nebenerscheinungen, irgendwelche
bedenkliche Symptome hervorgerufen haben. Ich selbst benutzte in
den letzten Jahren nur eine 7(4 proz. Lösung, die ich mir selbst zu¬
bereitete. Ich tränkte damit einen kleinen, auf eine dünne Sonde an¬
gedrehten Wattebausch, welcher ca. 0,1 g Flüssigkeit in sich aufnahm,
so dass ich demnach etwa 0,0075 g Kokain in der Watte hatte. Hier¬
mit pinselte ich stets 3 Mal die einzelnen Schleimhäute ein und er¬
zielte damit stets totale Anästhesie derselben.
Bei vielen tausend derart behandelten Fällen habe ich nie
nennenswerte Intoxikationserscheinungen gehabt, erst im letztver¬
flossenen Jahre musste ich zwei Fälle schwerster Vergiftungserschei¬
nungen erleben, welche für uns Aerzte sehr lehrreich sind, die mich
aber auch lebhaft an die Gefährlichkeit dieses Mittels wieder er¬
innerten. .
1. Der erste Fall betraf ein junges, 19 jähriges Mädchen aus
Emmerich, bei welchem ich eine Knochenblase der mittleren Muschel
operieren wollte. Nach Applikation von ungefähr 0,0225 g Kokain
wollte ich gerade zur Operation schreiten, als die Dame ganz plötz¬
lich ohne jedes vorherige Anzeichen zur Erde stürzte und heftige
epileptiforme Krämpfe bekam. Das Bewusstsein war vollständig ge¬
schwunden, die Atmung war sehr schwer, verlangsamt und stertorös,
die Herztätigkeit dagegen gut und normal. Der Anfall ging glück¬
licherweise sehr rasch vorüber, schon nach ca. 2 Minuten hörten die
Krämpfe auf, die Athmung wurde gleichmässiger und ruhiger und
kurze Zeit darauf kam das Bewusstsein wieder.
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33,
654
Während des ganzen Anfalles war das Gesicht zyanotisch und
die Pupillen ad maximum erweitert. Eine Stunde nach dem Anfalle
konnte die Dame in Begleitung meine Wohnung verlassen; an den
folgenden Tagen klagte sie noch über heftige Kopfschmerzen und
eine gewisse Schwere in den Gliedern, nach 5 Tagen reiste sie nach
Hause. Zirka 3 Wochen später habe ich dieselbe Dame unter Kokain¬
anästhesie ohne jede Nebenerscheinung operiert.
2. Etwa -4 Monate später kam der zweite Fall in meiner Praxis
zur Beobachtung, der viel schwerer verlief, der aber insofern sehr
wertvoll ist, als er im hiesigen städtischen Krankenhause genau be¬
obachtet wurde.
Der Pat., ein 23 jähriger Bildhauergehilfe, will vorher stets ge¬
sund gewesen sein. Vor einigen Monaten fing er an über Kopfschmer¬
zen und Eiterausfluss aus beiden Nasenseiten zu klagen. Ausserdem
hatte er einen üblen Geruch in der Nase und schlechten Geschmack.
Pat. sah sehr blass aus, fühlte sich sonst aber wohl. Bei der ersten
Untersuchung konstatierte 'ich am 4. IX. 06 doppelseitige Oberkiefer¬
höhlenentzündung. Zur Sicherung der Diagnose punktierte ich da¬
mals den Patienten unter Kokainanästhesie, und zwar zuerst die linke
Seite. Es entleerte sich bei der Ausspülung eine reichliche Menge
sehr übelriechenden Eiters. Gleich nach %der Spülung begab sich Pat.
von meiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte hin und arbeitete den
ganzen Tag über, ohne irgendwelche Nebenerscheinung bekommen
zu haben.
Am 10. September kam Pat. zum zweiten Male in meine Sprech¬
stunde, ich punktierte damals dieselbe Höhle wieder unter Anwen¬
dung meiner gewöhnlichen Kokaindosis. Auch dieses Mal traten
keine Nebenerscheinungen auf, Pat. konnte wieder ruhig seiner Be¬
schäftigung nachgehen.
2 Tage später erschien Pat. zum dritten Male bei mir. Es fiel
mir an diesem Tage auf, dass er ausserordentlich blass und ernst
dreinschaute, so dass ich ihn sofort fragte, ob ihm nicht gut zu
Mute wäre, was aber verneint wurde. Ich entschloss mich zur
Punktion der rechten Oberkieferhöhle. Nachdem ich zweimal mit
Kokain den unteren Nasengang eingepinselt hatte, stand ich von der
dritten Pinselung ab, da Pat. noch um etwas blässer geworden war
als vorher. Auf meine wiederholte Trage, ob er sich nicht gut fühle,
bekam ich wiederum eine verneinende Antwort. Ich hatte dieses Mal
also höchstens 0,015 g Kokain im Wattebausch, welches schwerlich
alles verbraucht sein dürfte. Bei der Punktion entleerte sich auch aus
dieser Höhle Eiter in ziemlich reichlicher Menge, der aber nicht weiter
übel roch. Nach der Punktion blies 'ich die Oberkieferhöhle mit Luft
durch, um das überschüssige Wasser zu entfernen. Nach Heraus¬
nahme des dünnen Troikarts fragte ich Patienten nochmals, wie er
sich fühle. Mitten in der Antwort stürzte Pat. wie vom Blitz ge-
ti offen zur Erde. Die Atmung stand vollständig still. Das Auge war
starr und gebrochen, die Pupillen waren aufs äusserste erweitert
und reagierten nicht auf Reize. Gleichzeitig wurde der ganze Körper
steif, Pat. hatte einen tetanischen Krampf. Schaum stand vor dem
Munde, das Gesicht war fahl, die Lippen zyanotisch. Im ersten Mo¬
ment glaubte ich eine Leiche vor mir zu haben, da aber der Puls
gut und regelmässig schlug (72 Pulsschläge in der Minute) und
ebenso die Herzaktion vollständig normal blieb, riss ich zunächst den
Klagen auf, machte die Brust frei und begann die künstliche Atmung.
Dieselbe wurde durch den tonischen Krampf der gesamten Körper-
muskulatur sehr erschwert, es gelang mir anfangs nicht, den Brust¬
kasten zusammenzudrücken, so dass ich gezwungen war, die Zwerch-
tülmassage auszuführen. Nach reichlich 25 Minuten künstlicher At¬
mung machte Pat. die ersten selbständigen Atemzüge, die jedoch
nicht standhielten, immer wieder war ich gezwungen, zwischendurch
künstliche Atmung zu machen.
Nach Verlauf einer Stunde kam mir Kollege W a 1 1 e r s t e i n
zu Hilfe, der sofort mehrere Aetherinjektionen vornahm, obwohl der
Puls während der ganzen Zeit stets normal geblieben war. Der
tonische Krampf liess zeitweilig nach, stellte sich aber sofort wieder
ein, wenn man z. B. einen Arm oder ein Bein aktiv bewegen oder
beugen wollte. Hin und wieder traten jetzt auch Zuckungen auf.
Amylmtrit, welches als Gegengift sonst gelobt wird, liess mich in
diesem Falle vollständig im Stich.
Jetzt lagerte ich den Pat. so, dass der Kopf niedrig blieb, während
ich die Beine hoch stellte, und machte kalte Uebergiessungen des
Kopfes. Pat. stiess hierbei ganz unartikulierte Laute aus. Auch
jetzt noch waren wir gezwungen, ab und zu künstliche Atmung zu
machen, da die natürliche Atmung öfters aussetzte. Die Krämpfe
liessen nach Verlauf einer weiteren Stunde nach, so dass ich mich
entschloss, zwei Stunden zirka nach Eintritt der Intoxikation den
Pat. ins städtische Krankenhaus transportieren zu lassen. Ich will
Ihnen nun nicht die ganze ausführliche Krankengeschichte hier mit-
t eilen, wie sie im Krankenhause durch Herrn Kollegen T e 1 o v auf¬
genommen worden ist, sondern Ihnen nur die wichtigsten Momente
aufzählen.
Die Aufnahme erfolgte am 12. IX. 06, mittags 12 Uhr.
Am gleichen Tage war es mehrmals notwendig geworden, künst¬
liche Atmung einzuleiten. Tonische Krämpfe wechselten ab mit klo¬
nischen Zuckungen. In der Nacht trat ein derart starker, rein epilep¬
tischer Anfall auf, dass man den Exitus des Pat. befürchtete. Während
der Krampfanfälle waren die Pupillen stets ad maximum erweitert,
derart, dass man nur eine grosse Pupille sehen konnte. Beide Pu¬
pillen reagierten nicht auf Reiz. Bewusstsein war total erloschen,
Nahrung konnte nicht gereicht werden. Dieser Zustand bestand
weiter am 13., 14. und 15., am letzteren Tage fing der Patient an, mit
grosser Unlust auf starkes Anrufen zu reagieren. Im übrigen bestand
auch in diesen Tagen totale Bewusstlosigkeit. Die Temperatur war
mit Ausnahme am 13. IX. 06, also am 2. Tage, stets normal gewesen,
ebenso der Puls.
Am 13. IX. stieg die Temperatur auf 38,2°. Da man geringe An¬
zeichen von Nackensteifigkeit, sowie einen positiven Baginski zu be¬
obachten glaubte, neigte man damals zur Diagnose einer beginnenden
Meningitis hin.
Am 16. reagierte Pat. etwas besser, aber stets mit grosser Un¬
lust, nahm etwas Flüssigkeit zu sich, wusste, wie er heisse, aber
nicht, wo er wohnte, erkannte niemand.
Am 17. erkannte er zuerst einen Arbeitskollegen, späterhin auch
seine Frau und mich. Pat. orientiert sich etwas, weiss, dass er im
städtischen Krankenhause, hat aber sonst keine Ahnung von dem,
was mit ihm vorgegangen ist.
Von nun ab besserte sich sein Zustand zusehends, er nimmt
wieder normal Nahrung zu sich und klagt nur über starke Kopf¬
schmerzen.
Am 18. stellten sich neuritische Schmerzen an sämtlichen Nerven¬
druckpunkten ein besonders am Ischiatikus und Triegeminus, welche
lange Zeit anhielten. Erst atu 23. IX., also am 1 1. Tage, ist Pat. wieder
vollständig orientiert und kann Auskunft geben über die Vorgänge
vom 12. IX. in meinem Sprechzimmer. Am 26. IX. geht Pat. zum
ersten Male im Garten spazieren, am 27. IX. verlässt. er auf seinen
Wunsch das städtische Krankenhaus. Pat. ist noch längere Zeit
nervös und schwach, sonst geht es ihm gut, am 23. X. nimmt er seine
Arbeit wieder auf.
Dieser Fall ist in vieler Beziehung sehr lehrreich, weshalb ich
mir erlaubt habe. Ihnen denselben mitzuteilen.
Während ich anfangs glaubte, dass ich eventuell durch eine Ver¬
bindungsstelle der Highmorshöhle mit dem Schädelinnern direkt
Wasser oder Luft nach dem Gehirn hingetrieben und dadurch eine
Meningitis veranlasst hätte, eine Ansicht, die durch das Ansteigen
der Temperatur am 2. Tage, sowie durch die geringe Nackensteifigkeit
und den positiven Ausfall des Baginski noch bestärkt wurde, lehrt
doch der ganze klinische Verlauf, dass man es hier mit einer schweren
Kokainintoxikation zu tun hatte.
Die Vergiftung muss trotz der geringen Dosis von Kokain als
eine sehr schwere bezeichnet werden, wofür schon die lange Be¬
wusstlosigkeit des Patienten spricht. Merkwürdig ist der Fall auch
insoferne, als Pat. früher grössere Dosen ohne jeden Nachteil gut
vertragen hat.
Dass das Kokain als solches, etwa weil es zersetzt sein könnte,
nicht diese Erscheinungen hervorgerufen haben kann, beweist der Um¬
stand, dass ich den Pat. am 10., also 2 Tage vorher genau mit dem¬
selben Kokain anästhesiert hatte, ferner dass ich am selben Tage ab¬
sichtlich noch weitere Patienten mit demselben Kokain behandelte,
welche in dem verschiedensten Alter standen, 72, 64, 18, 14, 26,
35 und 36 Jahren. Bei sämtlichen traten keinerlei Nebenerschei¬
nungen auf. Auch eine reine Idiosynkrasie kann die schweren Sym¬
ptome nicht allein hervorgerufen haben, da Patient doch zweimal
vorher grössere Dosen gut vertragen hatte. Es muss noch ein wei¬
teres Moment hinzugetreten sein, um solche Intoxikationen hervor¬
zurufen.
Dass wir eine Vergiftung annehmen müssen, beweist die später
auftretende Neuritis, welche als sicherer Beweis hiefiir gilt.
E. Falk hat in den therapeutischen Monatsheften sämtliche
Kokainivergiftungen zusammengestellt, welche er bis zum Jahre 1890
in der Literatur vorfand. Seit diesem Jahre sind verhältnismässig
wenig Fälle publiziert worden, während Falk 176 Fälle mit 10 Todes¬
fällen zusammenstellen konnte. Bei allen Todesfällen trat der Exitus
erst bei viel grösseren Dosen ein als in meinem Falle, kein einziger
Fall verlief aber annähernd so schwer als der uneinige, wenn der
Tod nicht eintrat. Man hat allerdings schon bedenkliche Vergiftungs-
ersoheinungen speziell bei Einpinselungen in die Nase beobachtet, bei
geringeren Dosen als ich sie zu applizieren pflege, so einmal nach
0,013 g. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass ich auch einen
Todesfall in der Sprechstunde erlebt hätte, wenn ich nicht so energisch
die künstliche Atmung eingeleitet hätte.
Man glaubte früher und auch teilweise heute noch, dass das
Kokain ein ausgesprochenes Herzgift wäre und dass der ev. Tod
infolge Herzschwäche zu stände käme. Falk hat durch seine Sta¬
tistik bewiesen, dass dies nicht der Fall ist, dass der Exitus stets
durch Atemstillstand hervorgerufen wird,. Auch in meinem Falle
zeigt sich gerade die Atmung als am schwersten
gefährdet, während der Puls und das Herz stets gut
blieben.
Vor mehreren Jahren erlebte hier ein Kollege einen Todesfall in
der Sprechstunde auch nach Ausspülung der Highmorshöhle, nach¬
dem vorher durch Kokain eine Anästhesie hervorgerufen worden war.
Wir nahmen damals Herzschlag als Ursache an. Der Kollege sagte
mir, dass die Frau anfänglich noch schwach geatmet hätte. Heute ist
mir jene Diagnose klarer, auch in diesem Falle schreibe ich den Exitus
dem Kokain zu.
Sehr bemerkenswert in meinem Falle war der ausgesprochen
tonische Krampf der gesamten Körpermuskulatur. Dieser Krampf
unterschied sich in nichts von dem, den man bei der echten Tetanie
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1655
beobachtet; sowie man nämlich eine Muskelgruppe reizte, trat sofort
das Bild der Tetanie ein.
Auffallend war, dass am 2. Tage die Temperatur etwas anstieg,
während dieselbe sonst stets normal blieb. Während wir anfangs
glaubten, es handle sich um eine beginnende Meningitis, nehme ich
jetzt vielmehr an, dass es sich hiebei um erhöhte Muskelarbeit ge¬
handelt hat.
Eine ausgesprochene Idiosynkrasie kann nicht angenommen wer¬
den wie ich vorhin schon ausführte, es muss ein zweites Moment
hinzugetreten sein, welches mit die schweren Symptome auslöste,
ein Moment, welches ich Ihnen nicht nennen kann, welches aber wahr¬
scheinlich in der Ausspülung der Kieferhöhle selbst gesucht werden
muss. Vielleicht hat die Nähe des Gehirnes viel zu den schweren
Erscheinungen beigetragen.
Eine Lehre kann man aus meinem Falle ziehen, dass wir näm¬
lich bei allen Kokainvergiftungen der Atmung unser besonderes
Augenmerk zuwenden müssen. Amylnitrit ist bei den leichteren Er¬
scheinungen unzweifelhaft wirksam, bei den schwereren aber lässt es
vollständig im Stiche, wie Levin in seinem Werke schon mitteilt.
Man kann auch ersehen, wie heimtückisch das sonst so segens- I
reiche Kokain werden kann.
D i s k u is s i o n : Herr H e n r i c i-Aachen berichtet von ähn¬
lichen Fällen.
1. Einem Patienten mit Nasenpolypen und kombinierter Neben¬
höhleneiterung waren die Polypen bereits unter Kokainanästhesie ent¬
fernt und die Kiefer- und Stirnhöhlen vielleicht ein Monat lang täg¬
lich ebenfalls nach Kokainisierung mit stumpfen Kanülen ausgespült
worden. Eines Tages fällt Patient plötzlich während einer Aus¬
spülung vom Stuhle und bekommt einen dem Aussehen nach reinen
epileptischen Anfall: Schwere Atmung. Blaufärbung des Gesichtes,
kleiner unregelmässiger Puls, Zähne fest zusammengepresst. Patient
erholt sich bald wieder, es bleibt aber noch kurze Zeit eine Art
Dämmerzustand bestehen. Nachdem in den nächsten Tagen wieder
vollkommen normaler Zustand eingetreten und die Ausspülungen wie¬
der aufgenommen werden, stellt sich wiederum ein Anfall ein. Die
Atmung schnarchend, sehr erschwert, Kieferklemme, blaue Gesichts¬
farbe, kleiner Puls, Pupillenstarre. Die Atmung setzt bald ganz aus,
danach auch der Puls. Oeffnen des Mundes bei dem kräftigen Manne
selbst mit Mundsperrer nicht möglich, künstliche Atmung auch nach
derTracheotomie bei der krampfhaften Inspirationsstellung desThorax
nicht ausführbar. Exitus letalis. Die Sektion hatte vollkommen
negatives Resultat.
2. Einer Patientin waren vor einiger Zeit unter Kokain Nasen¬
polypen entfernt worden. Es sollte die Kieferhöhle nach Kokaini-
sierung (lOproz. Kokain) vom mittleren Nasengang aus ausgespült
werden. Bei Beginn der Spülung tritt ein epileptiformer Anfall auf.
Schwere keuchende Atmung, Gesicht blau, Zuckungen in Armen und
Beinen, aussetzender Puls. Auf künstliche Atmung und Herzmassage
kommt Pat. wieder zu sich; doch besteht Pamplegie der Arme und
Beine und Bewusstseinsstörung. Pat. weiss nicht, wo sie ist, kann
die richtigen, Worte nicht finden, sich auch auf ganz kurz Vergangenes
nicht mehr besinnen. Langsam gehen alle diese Störungen zurück.
Nach einem Jahre ist aber noch leichte Ermüdbarkeit der Arme
und Beine, leichte Gedächtnisschwäche und Unlust zu jeglicher Be¬
schäftigung (wie Handarbeiten und Lesen) ganz im Gegensatz zu
früher, vorhanden.
In beiden Fällen ist bei der Beurteilung über die Ursache der
Erscheinungen die Frage offen gelassen worden, ob das Kokain oder
ein anderes, nicht näher zu bestimmendes Moment dafür zu beschul¬
digen sind. Beide Patienten hatten früher nie epileptische Anfälle
gehabt, waren auch nicht nervös veranlagt; es ist aber auch nicht
erinnerlich, dass besonders viel Kokain gegeben wurde.
3. Einem Soldaten sollte die hypertrophische Schleimhaut beider
unteren Muscheln abgetragen werden. Beiderseits war mit 20 proz.
Kokainlösung 'gepinselt worden. Gerade vor Beginn der Operation
trat ein als hystero-epileptisch zu bezeichnender Anfall auf. Patient
war anscheinend ohne Bewusstsein, schlug mit Armen und Beinen
um sich und machte eigenartig zuckende Bewegungen mit dem Kör¬
per. Die Atmung war beschleunigt, die Pupillen reagierten. Plötz¬
lich richtete sich Patient auf, suchte in seinen Taschen nach etwas,
ergriff in einer das Bild seines Schatzes und bedeckte es leiden¬
schaftlich mit Küssen. Nahm man ihm das Bild fort und hielt es
ihm, den Kopf nach unten, hin, so erkannte er es nicht, sowie man
es aber richtig hinhielt, riss er es an sich und küsste es. Nach Ver¬
lauf einer Stunde hörte Patient auf Anrufen, machte aber noch einen
geistesabwesenden Eindruck. Nach 3 Stunden zeigte Patient wieder
ganz normales Verhalten. Pat. gab nun auf Befragen, was mit
ihm vorgegangen sei, an, er habe 3 Tage Urlaub gehabt, sei in
seiner Heimat und dort mit seinem Schatz zusammen gewesen, habe
auch bei ihr geschlafen, sei dann wieder zuriickgefähren, wisse sich
nur der Abfahrt vom Bahnhofe seines Heimatortes nicht mehr ganz
genau zu entsinnen. Patient behauptet, er könne die Richtigkeit
seiner Angaben auf Verlangen vor Gericht durch Eid bekräftigen.
Es dauerte Tage, bis sich Patient davon überzeugt hatte, dass
er obiges nicht wirklich erlebt habe, und dass zwischen seiner Auf¬
nahme in die Klinik und seinem Erwachen nur 3 Stunden und nicht
3 Tage gelegen hatten.
Hier handelte es sich offenbar um ein hysterisch veranlagtes
Individuum, bei dem das Kokain den eigenartigen Anfall ausgelöst
hatte. Ein solcher Fall kann durch die Lebhaftigkeit der Vorstel¬
lungen eventuell forensische Bedeutung bekommen.
Herr Hopmann I hat noch einigen Zweifel an der Diagnose
Kokainvergiftung, weil die Menge des Giftes sehr gering war, der
Kranke früher weit grössere Dosen vertragen hat und weil Redner
in der Zeit, als man noch kein Kokain kannte, ähnliche Zufälle
(Schwindel- und Ohnmachtsanwandlungen bis zu Krampfanfällen und
vollständigem Bewusstseinsverlust) bei allerlei Eingriffen in der Nase,
selbst schon beim Sondieren, erlebt hat.
Herr Keim er: Es erübrigt wohl, den Worten des Herrn Kol¬
legen Hopmann noch etwas hinzuzufügen. Ich wollte ungefähr
dasselbe sagen. So sehr dankbar wir Herrn Kollegen Neuenbor n
für seinen so sehr genau beobachteten Fall sein können, so müssen
wir uns doch immer fragen, ob da nicht auch andere Momente eine
Rolle mitspielen können. Ich persönlich habe es zu verschiedenen
Malen erlebt, dass Patientinnen und Patienten fast ä tempo nach
einem kleinen Eingriffe in der Nase, selbst nach Auswischen mit
Watte, ohne dass Kokain angewandt wäre, einen heftigen klonischen
und tonischen Anfall bekamen, wobei sie sehr blass wurden und
einen sehr kleinen Puls zeigten. Noch vor ganz Kurzem sah ich
das bei einem höheren Offizier, einem Herrn, bei dem auch das ner¬
vöse Moment gar nicht zur Erklärung heranzuziehen war. Der An¬
fall dauerte fast 10 Minuten; die Atmung war frei. Hinterher bestand
ein wüstes Gefühl im Kopfe und eine allgemeine Zerschlagenheit. Wir
müssen da wohl an reflektorische Vorgänge denken.
Herr Marx- Witten führt ebenfalls die unmittelbar nach
Kokainapplikation in der Nase auftretenden allgemeinen Krämpfe auf
Hysterie bezw. Hystero-Epilepsie zurück, er führt hierfür zwei selbst¬
beobachtete Fälle an. Den zweiten Fall von Neuenborn spricht
er als leichten Tetanus an.
Herr Blumenfeld hat einen Fall von Hystero-Epilepsie ge¬
sehen, der in seinen wesentlichen Zügen dem Fall II des Herrn
Neuenborn entsprach. Bei der Therapie der Kokainintoxikation
ist das Wesentliche, die Hirnanämie zu beheben. Die künstliche
Atmung erweist sich beim C h e y n e - S t o k e s sehen Atmen als
unnütz.
Herr L i e v e n - Aachen glaubt im zweiten Falle Neuenbor n s
nicht an eine Intoxikation, er hält dieses Ereignis für eine Schock¬
erscheinung, wie sie ähnlich in der urologischen Praxis häufiger be¬
obachtet wird, wo ja bei einfachem Katheterismus die schwersten
Zufälle beobachtet wurden. Kokain werde bei diesen einfachen Ein¬
griffen ja zunächst nie verwendet.
Herr Moses beobachtete in einer Reihe von Fällen, bei welchen
leichte Kokainintoxikationserscheinungen eintraten, dass eine auf¬
fallend schnelle Retraktion der Muskelschleimhaut nach Applikation
von Kokain zu konstatieren war. Er glaubt daraus Schlüsse für die
Kokainempfindlichkeit der Patienten ziehen zu dürfen und empfiehlt,
bei Einpinselung von Kokain auf die Nasenschleimhaut zunächst sich
nur auf eine kleine Stelle zu beschränken und bei beschleunigter Re¬
traktion derselben in der Dosierung vorsichtig zu sein.
Herr Hans b erg hat sehr selten Kokainvergiftungen gesehen,
trotzdem er stets auch für die Nase 20 proz. Lösung benutzt. Da¬
gegen sah H. einmal sehr schwere Vergiftungserscheinungen nach
unbedeutender Kokainisierung der Nase bei einem sonst gesunden
Erwachsenen, der wegen einer Spina operiert werden sollte. Sehr
bald nach der Kokainisierung traten Unruhe, Blässe des Gesichtes,
Uebelkeit ein, Atmung wurde oberflächlich und bald darauf stellte sich
vollständige Unbesinnlichkeit ein. Pupillen waren weit, reagierten
nicht, Puls gut, ca. 70 in der Minute. Nach Einatmen von Amyl¬
nitrit wurde der Puls voller, schneller, tiefere Inspirationen erfolgten,
die vorher kalten Hände und Gesicht wurden warm. Allmähliche
Wiederkehr des Bewusstseins, das länger als eine Viertelstunde voll¬
ständig gestört war. Es bestanden also in diesem Falle ähnliche Er¬
scheinungen, wie in dem Neuenborn sehen, es muss daher daran
gedacht werden, dass auch in letzteren es sich tatsächlich um eine
Kokainvergiftung gehandelt hat, wenn auch der Verlauf ein ganz
eigenartiger gewesen ist. H. erwähnt ausserdem einen von ihm be¬
obachteten Fall von chronischer Kokamvergiftung, bei dem
neben hochgradiger Unruhe, Oppressionsgefiihl auf der Brust, Herz¬
klopfen, übertriebene Schwatzhaftigkeit sich zeigte, welch letztere
auch von B. Fraenkel in einem Falle beobachtet wurde.
Herr Hansberg: Zur Heilbarkeit der akuten otogenen Sepsis.
Der Verlauf der akuten otogenen Sepsis ist ein ausserordentlich
schneller und führt nach dem übereinstimmenden Urteil der Autoren
so gut wie ausnahmslos zum Tode. H. glaubt, dass dieser un¬
günstige Ausgang in einzelnen Fällen verhütet werden könne, falls
man in der Lage sei, die Krankheit zeitig zu erkennen und eine früh¬
zeitige Operation zu machen. Er verweist auf einen Fall, den er
1903veröffentlicht hat, in dem die schwersten Erscheinungen der
Sepsis, die schon sehr bald nach dem ersten Auftreten der Ot. m. ac.
einsetzten, bestanden, der Kranke aber durch alsbaldige Operation
geheilt wurde. In dem anderen veröffentlichten Fall erfolgte die
Operation zu spät.
Zwei weitere Fälle, die von H. operiert wurden, betrafen ein
Kind von 4 Jahren und einen Erwachsenen.
Das Kind erkrankte an einer anscheinend leichten linksseitigen
Ot. m. ac. mit unbedeutender Injektion des Trommelfells, die nur im
Beginn zu Schmerzempfindungen Veranlassung gegeben hatte. Die
Temperatur stieg bald auf 40 bis über 41, weswegen am folgenden
i 56
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Tage die Parazentese gemacht wurde. Temperatur blieb in den
nächsten 2 Tagen andauernd hoch (zwischen 40 — 41), Puls 120 — 140.
Kind war etwas benommen, klagte aber über keine sonstigen Be¬
schweiden. Innere Organe gesund, Warzenfortsatz nicht empfind¬
lich, unbedeutender Ausfluss aus dem Ohre. Die Eröffnung des War¬
zenfortsatzes zeigte denselben bis auf 3 linsengrosse Eiterklümpchen
in den Zellen intakt. Der gesund aussehende Sinus wurde ausgedehnt
freigelegt und geschlitzt. Er enthielt anscheinend keinen Thrombus.
Die Temperatur fiel alsbald nach der Operation, sie sank auf 38 bis
39,5 in den nächsten Tagen, das Kind war aber erst nach weiteren
14 Tagen vollständig fieberfrei. Es war bemerkenswert, dass die
bestandenen schweren septischen Erscheinungen nicht so bald
schwanden, vielmehr am zweiten Tage nach der Operation viel stär¬
ker hervortraten, das Kind wurde somnolent, war ausserordentlich
unruhig, hatte intensive Kopfschmerzen und bekam Erbrechen, das
mehrere Tage anhielt. Dann allmählich Wohlbefinden. Der im War-
zenfortsatz gefundene Eiter enthielt Streptokokken.
In dem anderen Falle- entstand bei einem Erwachsenen im An¬
schluss an eine wegen einer heftigen Nasenblutung gemachte retro-
nasale Tamponade einige Tage nachher eine doppelseitige Ot. m. ac.
mit hohem Fieber von 40 — 40,5, einem Pulse von 120 — 130. Es be¬
stand schlafähnlicher Zustand. Einschnitt in die nur unbedeutend
injizierten Trommelfelle bewirkte keinen Nachlass der Erscheinungen,
daher 10 Stunden später Aufmeisselung beiderseits. Beide Warzen¬
fortsätze waren eitrig durchsetzt (Streptokokken), die hinteren Schä¬
delgruben wurden freigelegt, ebenso der rechte Sinus in 5 cm Aus¬
dehnung, der nicht erkrankt schien. Bei Freilegung des linken Sinus
trat starke Blutung ein, weshalb die Operation abgebrochen werden
musste. Drei Tage später ausgedehnte Freilegung auch des linken
Sinus, der sich an einer Stelle etwas verfärbt zeigte. Er wurde
in ganzer freigelegter Ausdehnung geschlitzt, wie bei der ersten
Operation an der rechten Seite, geschehen war. Darnach allmählicher
Nachlass der Erscheinungen, aber noch 14 Tage hindurch bestand
hohes Fieber. Metastasen fehlten auch in diesem Falle.
Auffällig waren in beiden Fällen die unbedeutenden Verände¬
rungen an den Trommelfellen, die nur eine leichte Injektion zeigten,
die geringe Schmerzhaftigkeit im Ohr und die entweder ganz fehlen¬
den oder nur unbedeutenden Erscheinungen seitens des Warzenfort¬
satzes der bei dem Kinde sich äusserlich intakt und schmerzlos bei
Druck bewies, bei dem Erwachsenen nur auf Druck etwas empfindlich
war. Auch in dem bereits veröffentlichten geheilten Falle war der
Befund am Trommelfell sehr geringfügig, einen ähnlichen Befund
erwähnt auch Hinsberg in dem vor kurzem von ihm veröffent¬
lichten Falle.
Diskussion: Herr V o h s e n - Frankfurt a. M.: In den mit¬
geteilten Fällen war der Verdacht auf den Ausgang der pyämischen
Erscheinungen vom Sinus der Beweggrund ihn freizulegen, bezw. ihn
zu öffnen. Ich glaube, dass wir in Fällen, wo ein Herd im Warzen¬
fortsatz gefunden wurde, dessen Umgebung eine gesunde Beschaffen¬
heit zeigt, so dass wir seine Elimination bewirken können, auf eine
Freilegung des Sinus verzichten, ja uns bemühen sollen, sie zu ver¬
meiden. Erst recht bei den virulenteren Erkrankungen des Mittel¬
ohrs und Warzenfortsatzes sollen wir die Freilegung des Sinus fürch¬
ten, als eine Qelegenheitsursache zur Entstehung einer Thrombose.
Ich hatte Gelegenheit, folgenden Fall mit Kollegen Eu lenste in zu
sezieren, der mir über den Verlauf der Erkrankung Mitteilung machte.
Ein 25 jähriger Mann erkrankt anfangs Juli an Ot. med. pur. de.
2. August: Operation wegen ausgedehnter Erkrankung des Warzen¬
fortsatzes mit beginnender Bezoldscher Mastoiditis. 26. August:
Kopfschmerz, Schwindel, leichte Temperatursteigerungen. Am
29. August nochmalige Auskratzung: „der sehr weit vom Opera¬
tionsgebiet abliegende Sinus wird nach langem Meissein durch
gesunden, gut durchbluteten Knochen an einer kleinen Stelle frei
gelegt und da seine Wand gesund erschien, nichts weiter vom
Knochen entfernt“. Von da ab litt der Patient an wechselnden
Kopfschmerzen, Delirien, Unruhe, Temperaturerhöhungen. Es trat
eitrige Zystitis und Pyelonephritis ein und nach vorausgegangenen
heftigeren Kopfschmerzen, allgemeinen Konvulsionen ging Pat. in
tiefstem Koma am 22. Oktober zugrunde. Die Sektion ergab starke
Hyperämie der Pia trüben Liquor cer. sp., eitrige Pyelonephritis und
Zystitis. Im Sinus fand sich, genau an Grösse der etwa 3 mm
breiten und 1 cm langen, bei der Aufmeisselung blossgelegten Partie
entsprechend ein 3 mm. hoher wandständiger Thrombus, dessen
mikroskopische Untersuchung ihn als o r g a n i s i e r t .und k o k k e n -
haltig erwies. Dass der I hrombus nur durch die Freilegung des
Sinus entstand, die ihn in unmittelbaren Kontakt mit dem Eiterherd
brachte, ist durch die Form .des I hrombus sicher bewiesen. Es ist
bei der Möglichkeit dieses Ereignisses doch angezeigt, auch in solchen
Fällen, wie den mitgeteilten, wenn sich ein Herd findet, der zur Er¬
klärung der pyämischen Erscheinungen genügt, auf die Freilegung
des Sinus selbst zu verzichten.
Herr Röpke erwidert Hansberg, dass der Puls bei dem
Kinde sich zwischen 130 — 140 bewegte, bei den Erwachsenen gleich
nach Einsetzen der septischen Erscheinungen sofort auf 130 stieg;
in dem veröffentlichten geheilten Falle stieg er erst langsam auf
120 Schläge.
Mit Herrn V o h s e n stimmt Hansberg darin überein, dass die
Freilegung des Sinus nicht absolut ungefährlich ist, wie verschiedene
veröffentlichte einwandfreie Fälle beweisen. Sie ist ebenso wenig
ganz gefahrlos, wie die Freilegung der Dura; H. sah in einem Falle
nach breiter Freilegung derselben einen subduralen Abszess ent¬
stehen, dessen bald erfolgende spontane Entleerung das Eintreten
einer Meningitis glücklicherweise verhinderte.
In den Fällen von otogener Sepsis ist die Freilegung des Sinus
stets geboten, und auch in den Fällen, in denen die eitrige Erkrankung
des Warzenfortsatzes nicht bis an den Sinus reicht, muss der letztere
freigelegt werden, um eine genaue Besichtigung vornehmen zu
können, da ein unbedeutender, oder gar negativer Befund im Warzen¬
fortsatz noch nicht für ein Intaktsein des Sinus spricht. Ob bei akuter
otogener Sepsis, wie Eulen stein will, eine Thrombose im Sinus
immer fehlt, ist bis jetzt noch nicht sicher gestellt, es ist daher zweck¬
mässig, sich nicht nur auf die Freilegung des Sinus zu beschränken,
sondern denselben breit zu spalten, um einen event. vorhandenen
wandständigen Thrombus damit auszuschalten.
Herr Vohsen - Frankfurt a. M. : Kritik der Saug- und Stauungs-
tlierapie im Ohr und den oberen Luftwegen. (Der Vortrag erscheint
ausführlich in der Münch, med. Wochenschr.)
Herr R i c k e r - Wiesbaden gibt eine kurze Uebersicht über das
Vorkommen tierischer Parasiten in der Nase.
Herr T h o m - Düsseldorf : Ueber die Reklame von Davos als
Kurort gegen Tuberkulose.
• Herr H e n r i c i - Aachen demonstriert zwei ösophagoskopische
Fremdkörper.
1. Eine abgebrochene Nadel, welche sich in die Schleimhaut der
Oesophagoshinterwand in der Höhe des Ringknorpels quer einge-
spiesst hatte. Sie wurde mit dem langen Röhrenspatel (K i 1 1 i a n)
zu Gesicht gebracht und mittels einer Löffelzange (K i 1 1 i a n sches
bronchoskopisches Instrumentarium) durch starkes plötzliches An¬
ziehen entfernt.
2. Ein Gebiss. Die Patientin hatte es im Schlafe verschluckt;
hatte aber keine Beschwerden davon und konnte alles ungehindert
schlucken. Die Sonde glitt bei der Untersuchung ohne Widerstand
in den Magen. Um ganz sicher zu gehen, wurde noch die Oeso-
phagoskopie vorgenommen und dabei das Gebiss in 26 cm Tiefe fest
eingeklemmt im Oesophagus gefunden. Die Extraktion gelang erst,
nachdem das Gebiss ganz an einer Seite gefasst und dadurch beim
Anziehen sein querstehender grösster Durchmesser in die Längsrich¬
tung der Speiseröhre eingestellt war, mit einer Hakenzange.
Herr K r o n e n b e r g - Solingen: Im Anschluss an den Vortrag
des Herrn H e n r i c i gestatte ich mir, Ihnen gleichfalls über einen
interessanten Fremdkörperfall aus dem Bereich der oberen Luftwege
zu berichten. Am 25. Mai wurde mir ein 2Vs jähriger Junge zugeführt,
der seit Anfangs März an Dyspnoe litt. Er hatte damals seiner Mutter
geklagt, es sei ihm etwas in den Hals gekommen, ein sofort und seit¬
dem öfter konsultierter Arzt stellte jedoch das Vorhandensein eines
Fremdkörpers in Abrede. Seit dieser Zeit traten indes täglich ste¬
notische Anfälle, am häufigsten beim Essen, aber auch oft zwischen¬
zeitlich auf.
Bei der Untersuchung bemerkte man sofort eine leichte in- und
exspiratorische Stenose im Bereich der Luftwege, die nach der Lage
der Dinge, — auf Einzelheiten einzugehen, würde zu weit führen, —
Verdacht auf das Vorhandensein eines beweglichen Fremdkörpers,
vermutlich unterhalb der Stimmbänder, erwecken musste. Ich will
noch bemerken, dass nur eine sehr geringe Heiserkeit vorhanden war.
Gegen einen Fremdkörper sprach zwar die lange Dauer — über 2Vs
Monate — der Affektion, doch sind ähnliche Fälle mehrfach berichtet
worden. Da die Spiegeluntersuchung nicht zum Ziele führte, wurde am
nächsten Morgen in Narkose bronchoskopisch untersucht. Bei der
ersten Einführung des Rohres wurde ein Fremdkörper weder oberhalb
noch unterhalb der Stimmbänder entdeckt, die Atmung blieb frei. Bei
der zweiten Einführung glitt das Rohr am Kehlkopfeingang ab um
geriet in den rechten Sinus pyriformis. Dabei hörte man einen
metallischen Klang. Während nun das Rohr stillgehalten wurde,
vernahm man ein leichtes Anschlägen gegen dasselbe, synchron der
Atmung.- Nun wurde das Rohr vorsichtig zurückgezogen. Dabei
stellte sich einen Augenblick ein weisslicher Körper ein. Als aber
dann die Sonde durch das Rohr eingeführt wurde, konnte dieselbe
keinen Widerstand mehr finden, auch kam auf keine Weise mehr der
Fremdkörper zu Gesicht. Man musste daher annehmen, dass der¬
selbe durch die Manipulation mit dem Rohr aus einer Einklemmung
gelöst und verschluckt worden war. Bereits der nächste Tag lehrte,
dass diese Vermutung richtig war; mit dem Stuhl wurde dieser grosse
Fremdkörper entleert. Es ist ein Hornknopf mit einem Durchmesser
von 188 mm, am Rande 2, in der Mitte 4 mm dick.
Von grossem Interesse ist, dass der Fremdkörper 2Vz. Monate im
oberen Teil der Speiseröhre vermutlich seitlich vom Ringknorpel ein¬
gekeilt war, ohne gelegentlich in den Magen befördert zu werden,
und ohne andrerseits die Ernährung merklich zu beeinträchtigen.
Ferner verdient die Iatsache beachtet zu werden, dass er viel mehr
Atem- als Schluckbeschwerden, — offenbar durch den seitlichen
Druck auf den Kehlkopf — hervorgerufen hatte, und so die Ver¬
mutung auf einen Fremdkörper der Luftwege wachrief, während es
sich um einen solchen der Speiseröhre handelte.
Herr V o h s e n - Frankfurt a. M.: Beitrag zur Saug- und Stau¬
therapie in Ohr und oberen Luftwegen.
Der Vortrag ist in extenso in der Münch, med. Wochenschr., No.
9, 19Ü7, erschienen.
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1657
Diskussion: Herr Marx- Witten hebt hervor, dass das von
Vohsen angegebene Verfahren (Ansaugen des Sekrets bei zuge¬
haltener Nase) bereits von K i 1 1 i a n im Archiv für Laryngologie, Bd.
XIII, angegeben worden ist, und zwar bei der Nachbehandlung nach
der K. sehen Stirnhöhlenoperation. Redner wendet es selbst schon seit
geraumer Zeit, oft mit günstigem Erfolge, an.
Die Saugtherapie bei Mittelohreiterungen ist von E h r e n f r i e d-
Berlin schon vor Jahren ausgebildet worden.* 1)
NB.! Im letzten Protokoll (No. 5 dieser Wochenschrift, S. 238)
ist irrtümlich in der Diskussion Hopmann I genannt. Moses.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
VI. Sitzung v o in 18. März 1907.
Vorsitzender : Herr Strohe.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr Vorschütz: Die epidemische Genickstarre und
ihre Behandlung mit Stauung und Lumbalpunktion an der Hand
von beobachteten Fällen. (Vortrag erschien in No. 11 und 12
der Münch, med. Woehenschr.)
Herr Funk: Zur Biologie der perniziösen Blutkrankheiten
und der malignen Zelle.
Die an Blutbildungsstätten angreifende Wirkung der
Röntgenstrahlen trifft vorzugsweise die jungen, unreifen Zell¬
elemente. Indem eine Besserung des Leukämikers unter der
bekannten qualitativen und quantitativen Veränderung der Blut¬
zellenbildung bei Behandlung mit Röntgenstrahlen eintritt,
manifestiert sich die anormale Blutzellenbildung als selbst¬
ständiger Krankheitsprozess. Die Pathogenese der perniziösen
Blutkrankheiten (Leukämien, perniziöse Anämie) wird deutbar,
wenn man in Betracht zieht, dass die lokale sowohl als die
qualitative Differenzierung der Blutzellen, bezw. ihrer Bildungs¬
stätten phylogenetisch und ontogenetisch jung ist und die quali¬
tative Differenzierung im ausgewachsenen Organismus noch
permanent stattfindet, wodurch eine gewisse Labilität derselben
gegeben ist. Besteht nun im hämatopoetischen System eine
lokal oder artlich beschränkte, oder auch allgemeine Diffe¬
renzierungsschwäche, so wird, wenn das System oder eine
Blutzellart von einem adäquaten Reiz (für weisse Blutzellen,
z. B. Bakterientoxine, für rote Blutzellen Botriozephalustoxine,
Blutverluste) getroffen wird, die reaktiv erfolgende Steigerung
der formativen Tätigkeit mit der durch Ueberstürzung be¬
dingten biologischen Minderwertigkeit des neugebildeten Zell¬
materials essentiell, d. h. der Vorgang der qualita¬
tiven und lokalen1) Entdifferenzierung der
BlutzellenbildungdauertauchnachZessieren
desdeinProzessauslösendenReizesfort. F. be¬
trachtet aus dieser Deutung heraus die perniziösen Blntkrank-
heiten, ihre Variationen, Uebergänge etc. Von prinzipieller
Bedeutung ist der Uebergang der Pseudoleukämie in Lympho¬
sarkom: Bei dem durch Differenzierungsschwäche in den Keim¬
zentren bedingten Prozess ist die quantitative Produktion
gering, und es findet eine entsprechende Ausfuhr ins Blut statt.
Ist diese aber z. B. durch eine umhüllende Kapsel unmöglich,
dann werden die neugebildeten entdifferenzierten Zellen aggres¬
siv, durchbrechen die Kapsel und behalten mit der den Zellen
des Organismus eigenen Tenazität den veränderten biologi¬
schen Charakter bei. F. sieht in der Entstehung ma¬
ligner Neoplasmen einen durch Essentiell¬
werden des durch einen Reiz im konstitutio¬
nell oder durch Schädigung differenzierungs¬
schwachen (oder auch in einzelnen Fällen bei der Ent¬
wicklung gar nicht zur Reife gelangten, versprengten) Ge¬
webe ausgelösten reaktiven Vorganges cha¬
rakterisierten Prozess. Auch die Zellmassen benigner
Neubildungen sind mehr minder biologisch minderwertig, können
deshalb malign metastasieren usw.; es besteht eine ununter¬
brochene Kontinuität zwischen gut- und bösartiger Neubildung
und ein gewisser Relativismus im Begriff „bösartig“. Das
0 Die Ehrenfried sehen Publikationen finden sich in den
Verhandlungen der deutschen otologischen Gesellschaft 1901 und in
der Deutschen med. Woehenschr. 1902, No. 52.
1) Möglicherweise spielt bei der lokalen Entdifferenzierung ein
Koinpensationsbestreben des Organismus als Hilfsursache eine Rolle.
meist sofortige infiltrierende Wachsen, die sofortige Aggres¬
sivität maligner Neubildungen xcu t^oyrtv (im Gegensatz zu per¬
niziösen Blutkrankheiten) ist durch die völlig verschiedenen
histologischen Verhältnisse, das nicht liquide Gewebe gegeben.
Die grosse Variabilität der Differenzierungsschwäche und der
den Prozess auslösenden Hilfsursachen bedingt die mannig¬
fachsten Bilder, bei deren Deutung sich ergibt, dass sowohl
die R i b b e r t sehe als C o h n h e i m sehe Theorie für einzelne
Fällung Geltung häben. Die Entdifferenzierung der Zellen ist
bei malignen Neoplasmen morphologisch oder tinktoriell nicht
so deutlich nachzuweisen, wie bei perniziösen Blutkrankheiten.
Mit wachsender Entdifferenzierung wächst im allgemeinen die
Aggressivität, die Malignität der Zelle; mit sinkender
biologischer Individualvalenz wächst die
Individual potenz der Zelle. Mit der Ableitung von
den Befunden bei perniziösen Blutkrankheiten hat die von vielen
Autoren aufgestellte Hypothese, welche in der Entdifferenzie¬
rung der malignen Zelle den für den Prozess bezw. die Deutung
seiner Genese massgebenden Faktor sieht, eine feste Stütze
gefunden; naturgemäss damit auch die Lehre vom Parasitis¬
mus der malignen Zelle, die aus der Erkenntnis des an ihr
stattgehabten Rückschlages zum Embryonalen logisch ent¬
springt und sie als wiedererwachten Protisten charakterisiert.
F. geht auf Einzelerscheinungen bei den verschiedenen Formen
der bösartigen Neubildungen ein (Narbenkeloide, Adenokarzi¬
nome, Chondrome, Epithelübergangsstellen = Orte labiler Dif¬
ferenzierung usw.) und exemplifiziert an ihnen die ausgeführte
Hypothese.
Die auf perniziöse Blutkrankheiten und maligne Neubil¬
dungen gleichsinnige Wirkung der Röntgenstrahlen erklärt F.
auf Grund vergleichender Untersuchungen in der Hauptsache
durch eine nicht in der starken formativen Tätigkeit bezw. den
Kernteilungsprozessen, sondern in dem Zustande der
Entdifferenzierung bedingten Widerstands¬
fähigkeit der betreffenden Zellen gegen die
bei Röntgenisieren sich bildenden T oxine ge¬
geben. Daher die Abtötung der Embryonen, der sich zum
Spermatozoon differenzierenden Zellen, der sich zu den End¬
formen differenzierenden Blutzellen usw. durch Röntgen¬
strahlen. Die gebildeten Toxine stehen den Ptomainen nahe,
und eine ähnliche mehr minder starke Wirkung haben manche
bei Infektionen im Organismus kreisende Toxine, von denen
eines von C o 1 e y aus Erysipel- und Prodigiosuskulturen iso¬
liert wurde. Diese Toxine wirken jedoch auf die Zellen labiler
Differenzierung, speziell auf die sich im Organismus ständig
differenzierenden weissen Blutzellen zugleich als Reiz und
können in fraktionierten Dosen bei Blutgesunden die maligne
Hyperplasie anregen bei vorhandener oder durch die Noxe ge¬
setzter Differenzierungsschwäche (finale Lymphozytose, Leu¬
kämien nach Infektionen); sie können andererseits, in zu starken
Dosen verabfolgt, das hämatopoetische System bis zur Aplasie
schädigen. Zur Behandlung maligner Neoplasmen, speziell der
Sarkome, ist es, anstatt mit den schwer zu dosierenden Rönt¬
genstrahlen das Toxin im Organismus zu erzeugen, rationeller,
ein geeignetes Toxin exakt dosiert an den Ort der Neubildung
zu injizieren; denn diese Toxine wirken vorzugsweise lokal.
Röntgentheranie der Hautkrankheiten usw. ist nur auf die not¬
wendigsten Fälle bei strenger Indikationsstellung und unter
fortlaufender Blutkontrolle einzuleiten und durchzuführen. S o
lange eine Immunisierung gegen den Para¬
siten „maligne Zelle“ am Menschen praktisch
nicht durchführbar ist, ist das Suchen nach
einem Toxin stärkerer Valenz, als das Coley-
sche sie besitzt, von obigen Gesichtspunkten
ausgehend berechtigt und nicht aussichtslos.
• (Autoreferat.)
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzungvom21. Februar 1907.
Vorsitzender : Herr Unverricht.
Herr Dahlmann demonstriert eine 4250 g schwere extra¬
uterin entwickelte Frucht samt Eihäuten und Plazenta, die 4 Monate
nach dem Fruchttod durch Laparotomie entfernt wurde.
1058
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
2 Geburten vor 8 und 10 Jahren waren vorausgegangen. Letzte
Regel Ende November 1905. In den ersten Schwangerschaftsmonaten
häufig ziehende Schmerzen in beiden Seiten. Im August 1906 hat Pat.
4 Wochen lang mit Leibkrämpfen im Bett gelegen. Oktober
.3 Wochen anhaltende Blutung, die im November und Dezember
je 8 Tage wiederkehrte. Seit 14 Tagen vor Weihnachten fortwährend
ziehende Schmerzen im Leib.
Die Untersuchung ergab einen unbeweglichen 'I umor mit glatter
Oberfläche, der das kleine Becken ausfüllte und bis handbreit unter
den Rippenbogen reichte. Der fest an die Symphvse angedrückte
Uterus wurde bei der Austastung leer gefunden. Im Becken war
deutlich der Kopf zu fühlen. Die Operation wurde durch zahlreiche
Darmadhäsionen erschwert. Nach deren Lösung gelingt die Aus¬
schälung des Eisackes ohne Schwierigkeit. Die Plazenta sass dem
linken Lig. latum breit auf. Bei ihrer Lösung wurden der Ureter und
die grossen Gefässe sichtbar. Es handelt sich anscheinend um eine
frühzeitig geplatzte Tubargravidität, die sich intraligamentär fort¬
entwickelt hatte.
Herr Weinbrenner: Die Sangbehandlung in der
Gynäkologie. (Erscheint unter den Originalien in dieser
Wochenschrift.)
D i s k u s s i o n : Herr B r u n e t hat in der Hebammenlehr¬
anstalt das Biersche Verfahren in etwa einem Dutzend gynäko¬
logischer Fälle angewandt. Zur Behandlung wurden herangezogen :
Fälle von chronischer Parametritis Doster. und lateralis und ein Fall
von Metro- und Endometritis colli. Die Erfolge waren sehr zu¬
friedenstellend. Die Kreuzschmerzen und die Empfindlichkeit der In¬
filtrationen gegen Berührung Hessen sehr bald, nach und der Uterus
wurde beweglicher. Die Behandlung wurde 14 Tage bis 3 Wochen
lang fortgesetzt und sämtliche Frauen verliesseo schmerzfrei die
Klinik. In einem Falle von Hvsterie sind die Kreuzschmerzen snäter
allerdings wiedergekehrt. Alles in allem: Das Biersche Verfahren
scheint eine wertvolle Bereicherung unseres gynäkologischen Rüst¬
zeuges.
Herr D e n e k e: Die Trinkwasserversorgung aus der Elbe
unter physiologischen und pathologischen Gesichtspunkten.
Diskussion: Herr Unverricht snricht sich dahin aus,
dass man die Schädlichkeit des Kochsalzes im Magdeburger Leitungs¬
wasser nicht überschätzen dürfe, man müsse auch daran denken, dass
eine Reihe anderer Salze dem Wasser beigemischt seien, wie Ma¬
gnesia. Kalksalze und dergl. Dazu kämen die 'Zersetzungsstoffe orga¬
nischer Natur, die man vielfach gar nicht chemisch fassen könne,
deren Anwesenheit uns aber unsere Sinnesorgane genügend klar
machen. Diese seien die besten Wächter der Gesundheit und es sei
eine schlechte Hygiene, welche nur diejenigen Schädlichkeiten als
bewiesen annehme, deren Wirkungen durch chemischen Nachweis,
Tierexperiment und Statistik sichergestellt sei. welche aber die ab¬
lehnende Sprache unserer Sinnesorgane nicht beachte.
Was man nur mit Widerwillen geniesse. das sei unter allen Um¬
ständen der Gesundheit nicht förderlich. Tierversuche und Krank¬
heitsstatistik würden wohl in der vorliegenden Frage noch lange eine
entscheidende Antwort schuldig bleiben.
Deshalb sei der einzig richtige Weg der. den auch der Vortr.
eingeschlagen habe. Man müsse allgemeine biologische Erfahrungen
heranziehen und sich fragen, in welchem Sinne unsere biologische
Wissenschaft zu der aufgeworfenen Frage sich äussere. Wenn bio¬
logische Erwägungen allgemeiner Natur uns zu dem Schlüsse führen,
dass das Magdeburger Wasser nicht unschädlich sein könne, so dürfe
man an diesem Ergebnisse nicht achtlos vorübergehen.
Sitzung vom 7. März 1907.
Vorsitzender: Herr Unverricht.
Herr Schild: Die wichtigsten Hauterkrankungen des Ge¬
sichtes.
Der Vortragende greift aus dein grossen Gebiete, das dieses
I hema umfasst, nur diejenigen Kapitel heraus, welche seiner
Erfahrung nach für -den praktischen Arzt von besonderem
Interesse sind. Er legt den Hauptwert auf die Differential¬
diagnose und erläutert zu diesem Zwecke die in Frage kom¬
menden Krankheitsbilder an einer grösseren Anzahl selbstge¬
fertigter Wachsmoulagen. Die Impetigo contagiosa, die Bart¬
flechten. die vielgestaltigen Erytheme, die einzelnen Arten der
Akne, die Psoriasis, der Lupus erythematodes und andere Er¬
krankungen werden in typischen Formen demonstriert. Zum
Schlüsse erörtert der Vortragende die Differentialdiagnose der
drei wichtigsten Erkrankungen des Gesichtes, nämlich des
Kankroids, des Lupus und der Spätsyphilis. Die verschieden¬
sten Formen dieser Affektionen werden ebenfalls durch eine
Reihe von Moulagen wiedergegeben. Auch kurze thera¬
peutische Bemerkungen werden eingestreut unter besonderer
riicksichtigung der Röntgen- und Radiumbehandlung. <
Sitzung vom 21 . März 1907.
Vorsitzender: Herr Unverricht.
Herr Wendel berichtet über die vom Magistrat geplante
Einrichtung eines sogen, orthopädischen Turnunterrichtes für Volks-
schiiler mit Wirbelverkrümmungen. Er teilt mit, dass cs sich darum
handelt, beginnende Fälle von Skoliose, bei denen es sich nicht um
fixierte Deformitäten, sondern mehr um Haltungsanomalien handelt,
von eigens dazu ausgebildeten Turnlehrerinnen bezw. -lehrern in be¬
sonderen Abteilungen turnen zu lassen, wobei das Extremitäten¬
turnen nicht, wie es sonst meist geschieht, bevorzugt wird, sondern
neben dem deutschen Turnen vor allem die Gymnastik zu ihrem
Rechte kommen soll. Die Schüler sollen von Aerzten ausgesucht
werden, die Uebungen werden gleichfalls ärztlich überwacht werden.
Die zugesagte Mitwirkung von orthopädischen Spczialkollegen wird
dafür bürgen, dass etwas Nützliches geschaffen wird. Es ist zu -
hoffen, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der
Skoliose gelenkt ist. dass dann auch für die schwereren Fälle Mittel
für eine spezialärztliche Behandlung gewonnen werden.
Herr Blencke: Wie behandelt man am besten die be¬
ginnende Skoliose bei der ärmeren Bevölkerung und sind die
in Magdeburg geplanten Turnkurse zweckmässig oder nicht?
(Der Vortrag erscheint in extenso in der Zeitschr. f. ortho¬
pädische Chirurgie.)
Sitzung vom 4. April 1907.
Vorsitzender : Herr Unverricht.
Herr Unverricht hält den angekündigten Vortrag über
Hirnpunktion. Er bespricht die Geschichte dieser Operation
und schildert eingehend die Technik des in neuerer Zeit von
N e i s s e r empfohlenen Verfahrens, welches sich auch ihm be¬
währt hat.
Im Anschlüsse daran stellt er einen Kranken vor, bei welchem
von .Tugend auf ein auffällig grosser Schädel bestand, ohne dass zu¬
nächst nennenswerte Schädigungen bemerkbar wurden. In späterer
Zeit trat eine halbseitige Lähmung der linken Seite ein, welche wieder
zurückging, später aber machten sich spastische Erscheinungen an
den unteren Gliedmassen bemerkbar, die allmählich so Zunahmen, dass
der Kranke nicht mehr arbeitsfähig war und zeitweise längere Zeit
ans Bett gefesselt blieb. Im Jahre 1903 wurde er zum ersten Male
in die Krankenanstalt Sudenburg aufgenommen und hier ein chro¬
nischer Hydrozephalus mit Hydromyelie diagnostiziert. Es bestanden
neben Paresen und Spasmen in den Beinen abgegrenzte Störungen
der Empfindlichkeit, welche an den bei Syringomyelie beobachteten
Typus erinnerten. Es war die Temperatur- und Schmerzempfindung
auf der linken Seite von dem Beine bis hinauf zur Brust hochgradig
gestört, die Tastempfindung zwar nicht erhalten, aber viel weniger
verändert, wie die anderen Empfindungsqualitäten. Am linken Arme
waren die Erscheinungen wieder weniger ausgesprochen und am
Kopfe war eine Veränderung nicht zu finden. Seit jener Zeit hat der
Kranke 13 Spinalpunktionen durchgemacht, durch welche jedesmal
seine Beschwerden in auffälliger Weise gebessert wurden. Er musste
meistens mit der Trage ins Krankenhaus gebracht werden und konnte
dasselbe dann immer wieder zu Fuss verlassen. Es besserten sich
nicht nur die subjektiven Schmerzempfindungen, sondern auch die
Steifigkeit und die Schwäche der unteren Gliedmassen. Auch das
Allgemeinbefinden hob sich.
In diesem Jahre wurde nun nach der oben erwähnten Methode
eine Punktion des linken Seitenventrikels vorgenommen, bei welcher
20 ccm Hirnflüssigkeit entleert wurden. Der Erfolg war ein guter,
nach Angabe des Kranken sogar noch besser, wie der der Spinal¬
punktionen, sodass er selbst verlangte, es möge ihm auch der rechte
Ventrikel punktiert werden, was aber zunächst noch abgelehnt wurde.
U. hat sich davon überzeugt, dass das von N e i s s e r empfohlene
Verfahren einen relativ harmlosen Eingriff darstellt und wird seine
Beobachtungen hierüber fortsetzen, um später der Gesellschaft Aus¬
führlicher berichten zu können.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. Januar 1907.
Diskussion zum Vortrag des Herrn Alzheimer:
Ueber die Indikationen zur Unterbrechung der Schwangerschaft
bei Psychosen.
Herr Gustav Klein: Weder über die Ursache noch über
die Behandlung des Erbrechens in der Schwanger¬
schaft (Emesis und Hyperemesis gravidarum) besteht Klarheit.
Früher wurden alle möglichen Ursachen genannt und die Therapie
ihnen entsprechend eingerichtet: Wegen angeblicher Stenose wurde
die Zervix dilatiert; bei Retroflexio wurde der Uterus aufgerichtet,
was wegen der Möglichkeit einer Inkarzeration des graviden Uterus
angezeigt, aber auf die Emesis nicht immer von Einfluss war, um¬
gekehrt ist das Hauptsymptom der Incarceratio uteri fetroflexi gfa-
13. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1659
vidi nicht das Erbrechen, sondern die Ischurie; ohne klare Grundlage
des Verfahrens wurde die Gravida, ja selbst der gravide Uterus elek¬
trisiert; bei welchen Leiden hätte die Elektrizität in der Medizin
noch nicht herhalten müssen! Das sonderbare war, dass jede Thera¬
pie, jedes der ungezählten, per os, subkutan, vaginal etc. angewandten
Arzneimittel das eine Mal half, das andere Mal nicht. Berühmt ge¬
worden sind 2 Beobachtungen: Eine Schwangere war elektrisiert
worden; das Erbrechen hörte auf und nachträglich stellte sich heraus,
dass der Apparat gar nicht funktioniert hatte. Einer anderen Schwan¬
geren wurde gesagt, es müsse der Abortus eingeleitet werden; nach
dem scheinbar vorgenommenen Eingriffe hörte das Erbrechen auf,
obwohl die Schwangerschaft ihren ungestörten Verlauf nahm.
Kaltenbach kam durch solche Beobachtungen zur Ansicht,
die Hyperemesis gravidarum sei das Symptom einer Hysterie, die
bis dahin sogar unbemerkt, latent gewesen sein könne. Seine Thera¬
pie richtete sich demnach auf Behandlung der Psyche und des Nerven¬
systems: Ruhe, in schlimmeren Fällen Bettruhe und Anstaltsbehand¬
lung, zugleich allerdings mit blander, alkoholfreier Diät, Stuhl¬
sorge etc. Die Therapie erwies sich in den meisten Fällen, besonders
wenn früh eingeleitet, als wirksam. Aber Kaltenbach stempelte
damit die Kranken zu Hysterischen und in der Volksmeinung ist damit
auch heute noch vielfach eine Herabsetzung verbunden. Ueberdies
liess sich durchaus nicht immer Hysterie wirklich nachweisen.
Ich habe deshalb Hysterie nicht als regelmässige Ursache der
Hyperemesis betrachtet, wenngleich sie sicher eine Prädisposition
für Hyperemesis schafft. Mir schien es aus der Beobachtung zahl¬
reicher Fälle, dass auch Nervöse zum Schwangerschaftserbrechen
mehr neigten, als nervetigesunde Frauen. In beiden Fällen war jedoch
die Wirksamkeit der Kaltenbach sehen Behandlung ebenso er¬
klärlich, als die der Hypnose und Suggestion. Nur habe
ich gegen die letzteren Behandlungsarten geltend gemacht, dass sie
den Wiillen des Kranken noch mehr schwächen, ihn einem fremden
Willen, nämlich dem des Arztes unterwerfen, statt die Willenskraft zu
stärken. Deshalb habe ich Hypnose und Suggestion nie angewandt,
wenn man nicht sagen will, dass im Zusprechen von Trost, in der
Anstaltsbehandlung selbst schon ein mächtiger suggestiver Faktor
enthalten sei.
Aber wie Kaltenbach u. a. habe ich auf die sorgfältige Darm-
entleerung der Kranken von jeher auch Nachdruck gelegt. Einige
Autoren haben direkt eine Vergiftung vom ungenügend entleerten
Darme aus als Ursache der Hyperemesis bezeichnet.
Heute scheint nun die Frage auf ein anderes Feld gerückt zu
werden : auf das Gebiet der Autointoxikation des Körpers
und anscheinend der zugleich möglichen Selbstentgiftung des
Körpers. Der schwangere Fruchthalter und in ihm vor allem der
Fötus bilden Stoffwechselprodukte, die für den mütterlichen Körper
giftig werden können, aber nicht immer auf ihn vergiftend wirken.
Das hängt offenbar mit der grösseren oder geringeren Möglichkeit
einer Entgiftung zusammen. Wodurch kommt diese nun zu¬
stande?
Hier scheint mir ein Umstand nicht genügend gewürdigt zu sein,
der im Volksglauben seit alten Zeiten eine Rolle spielt: das Volk dia¬
gnostiziert Schwangerschaft aus der Anschwellung des Halses, also
der Thyreoidea. Ein gesundes Weib mit plötzlicher erheblicher An¬
schwellung des Halses gilt für schwanger. Wie so oft ist auch hier
ein brauchbarer Kern im Volksglauben enthalten. Die Anschwellung
der Thyreoidea Schwangerer besteht tatsächlich. Es liegt die Ver¬
mutung nahe, dass die Thyreoidea funktionell anschwillt, weil
sie eine physiologische Aufgabe erledigt: die Befreiung des Organis¬
mus von den giftigen Stoffwechselprodukten der Schwangerschaft.
Seit ich darauf achte, fällt mir folgendes auf: Frauen, die vor der
Schwangerschaft keine besondere Schwellung der Thyreoidea er¬
kennen Hessen, in der Schwangerschaft aber — und zwar regelmässig
schon sehr früh — eine Zunahme des Halsumfanges zeigen, erbrechen
nicht oder wenig. Es kommt nicht zu hohen Graden der Emesis
und sie geht rasch vorüber; offenbar deshalb, weil die Entgiftung
durch die Vergrösserung des chemischen Laboratoriums der Thy¬
reoidea leichter besorgt wird. Immerhin bedürfen diese Beobach¬
tungen noch der genauen Untersuchung an einer grossen Anzahl
von geeigneten Fällen. Hier steht besonders den praktischen Aerzten
und Geburtshelfern ein wichtiges Gebiet der Mitarbeit offen. Es wird
auch zu prüfen sein, ob umgekehrt Emesis und Hyperemesis dort ein-
tritt, wo eine Volumszunahme der vielleicht atrophischen Thyreoidea
fehlt, sowie ob eine Degeneration der Schilddrüse (S t r u m a)
die Wirksamkeit beeinflusst.
Entsprechend der Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen
dem graviden Uterus und der Schilddrüse habe ich versucht, Emesis
und Hyperemesis durch Verabreichung von Thyreoideatabletten zu
beeinflussen — teils mit unsicherem, teils mit negativem Erfolge.
Immer musste mindestens die oben geschilderte allgemeine Behand¬
lung, Diät, Stuhlsorge zugleich eintreten, um einen Erfolg zu erzielen.
Aber das ist nicht auffällig, da wir nur über Tier präparate verfügen
und sie ausserdem nur per os geben können. Die Tierpräparate ent¬
halten (ebenso wie die nach meiner Erfahrung stets unwirksamen
Ovarial-, Oophorintabletten etc. bei ovarialen Ausfalls¬
erscheinungen der Frauen) artfremdes Eiweiss, artfremde
Stoffe. Schon dadurch ist die Wirksamkeit erschwert. Aber ausser¬
dem werden die leicht veränderlichen wirksamen Substanzen durch
die Verdauungssäfte bei der Darreichung per os offenbar beeinflusst.
Daraus ergäbe sich, immer vorausgesetzt, dass die geschilderte
Theorie richtig ist, der Wunsch, 1. menschliche Schild¬
drüsenpräparate und 2. tunlichst Extrakte oder
Sera, die subkutan gegeben werden können, herzustellen. Man
kann nicht einwenden, dass es sich um eine versteckte Anthropo¬
phagie handle; denn auch Bluttransfusion von einem Menschen auf
den anderen, Hauttransplantation etc. fällt in den gleichen Rahmen.
Schwierig würde es sein, genügende Mengen normaler Thy¬
reoidea vom gesunden Menschen zu gewinnen. Denn
die von den Chirurgen exstirpierten Strumen scheinen, da es sich eben
nicht um gesunde, normal funktionierende Thyreoidea handelt, zu¬
nächst unbrauchbar. Somit müssen wir vorläufig bis zu weiterer
Klärung der Frage doch auf Tierpräparate zurückgreifen; auf ähn¬
lichem Wege wie durch das Antithyreoidinserum von Möbius
scheint auch hier ein Erfolg möglich.
Aber Aetiologie und Therapie der Hyperemesis gravidarum sind
damit schier noch dunkler geworden. Die schwersten Aufgaben harren
unser noch; die Heilkunde ist kaum über die ersten, mühsamen Ver¬
suche hinausgelangt, sich zum Lichte der Erkenntnis emporzuringen.
Herr R. v. H o e s s 1 i n: Auf die Ausführungen des Herrn Klein
möchte ich nicht weiter eingehen, sondern nur in bezug auf die von
ihm besprochene Hyperemesis gravidarum bemerken, dass ein Um¬
stand sehr dafür spricht, dass dieselbe als eine Intoxikationserkran¬
kung der Schwangerschaft aufzufassen ist, nämlich der Umstand, dass
das unstillbare Erbrechen oft gleichzeitig mit anderen Erkrankungen
in der Schwangerschaft, welche auch als toxische anzusehen sind,
kombiniert vorkommt; zu solchen toxischen Erkrankungen gehört auch
die Korsakow sehe Psychose, die wiederholt in Fällen von Hyper¬
emesis gravidarum zur Beobachtung kam, in anderen Fällen im An¬
schluss an das Absterben der Frucht, die im Uterus zurückgehalten
wurde und dort mazerierte. Die Korsakow sehe Psychose ist
ja in einem grossen Teil der Fälle auf eine Intoxikation durch Alkohol
zurückzuführen, in den mir näher bekannten Fällen von Korsakow
in der Gravidität und im Puerperium war der Alkohol aber ätiologisch
auszuschliessen, so dass man sie mit Recht zu den Graviditäts-Auto-
intoxikations-Krankheiten rechnen kann; man wird daher auch die
während der Schwangerschaft entstandenen Korsakow sehen
Psychosen zu denjenigen Psychosen zählen müssen, welche unter Um¬
ständen eine Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft ab¬
geben können. Mir ist ein Fall bekannt, es ist dies der Fall von
Demos, Pinard und J o f f r o y, in welchem sehr bald nach der
Einleitung der 'kiinstlfchen Frühgeburt die Korsakow sehen Sym¬
ptome zurückgingen. Es ist freilich auch nicht zu vergessen, dass
Fälle zur Beobachtung kameh, in welchen die Korsakow sehe
Psychose sich erst im Anschluss an künstliche Unterbrechung der
Schwangerschaft wegen Hyperemesis entwickelte.
Herr Ziegen speck: Meine eigenen Erfahrungen über die
Hyperemesis gravidarum sprechen dafür, dass es sich in der Mehr¬
zahl der Fälle um eine Entzündung am oder im Uterus handelt, welche
neben anderen Symptomen auch die Hyperemesis zur Begleiterschei¬
nung hat. Ohne das Vorkommen von Hyperemesis als Teilerschei¬
nung der Hysterie, als Folge einer Intoxikation, als Gegenstand der
Exaggeration, ja sogar Simulation in Abrede stellen zu wollen, meine
Fälle sprechen für die Auffassung der Hyperemesis als Reflexsymptom
einer Entzündung. Bei einem Teil der Fälle, auf 2 besinne ich mich
gewiss, es können aber auch mehr gewesen sein, liess sich eine druck¬
empfindliche Stelle am Uterus nachweisen. Ob hier auch peritoni-
tische Verwachsungen Vorlagen, liess sich in beiden nicht nachweisen,
weil der Uterus schon so gross war, dass er nicht mehr in der Becken¬
höhle, sondern mit der Hauptmasse in der Bauchhöhle lag, wo man
nicht gegentasten kann. Hier erfolgte Heilung dieses Symptoms durch
Massage. In einem anderen Teil der Fälle handelte es sich um Endo¬
metritis cervicalis, und das Begleitsymptom verschwand auf Aus¬
pinselung der Zervix mit Jodtinktur. Suggestivwirkung dieser Thera¬
pie erachte ich deshalb als ausgeschlossen, weil medikamentöse
Therapie von meiner Seite oder von seiten der behandelnden Kollegen
vorausgegangen war, welche sonst auch suggestiv hätte wirken
müssen. In dem einen Falle war mir unterwegs die Jodtinktur in die
umgebende Wundwatte gelaufen, weil der Stöpsel abgegangen war.
Ich suggerierte daher der Patientin aber, dass die Auspinselung mit
dem Stäbchen, an welches ich von der mit Jodtinktur befeuchteten
Watte angewickelt hatte, wohl ungenügend sein würde und die Pin¬
selung mit reichlicherer Verwendung des Medikaments wiederholt
werden müsse. Allein die Heilung war eine fast momentane und
vollständige.
Zweimal habe ich auch nach Konzil mit dem Kollegen die Schwan¬
gerschaft unterbrochen. Es waren das Fälle, wo beträchtliche Ge¬
wichtsabnahme eine dauernde Schädigung der Gesundheit, ja eine Ge¬
fahr für das Leben bei Fortdauer der Gravidität befürchten liess. Es
handelte sich um Familien, wo weiterer Kindersegen schwerlich er¬
wünscht wurde. In dem einen Falle hatte ich selbst, im anderen
der Kollege früher die Patientin an einem Frauenleiden behandelt und
es mögen Narben von dem abgelaufenen Leiden vorhanden ge¬
wesen sein.
Was nun den Grundtenor des Vortrages des Herrn Alzheimer
betrifft, welcher doch im ganzen ein negierender war, d. h. dass wegen
Geisteskrankheiten der Eltern die Schwangerschaft nicht zu unter¬
brechen sei, möchte ich daran erinnern, dass ih einertn oder einigen
Staaten deriVerein. Staaten von Nordamerika es Staatsgesetz ist, dass
iOOÜ
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
unheilbar Geisteskranke, namentlich bei hereditären Formen, vor Ent¬
lassung aus der Anstalt kastriert werden. Auch ein deutscher Arzt
hat in einem Artikel, betitelt: „Ketzerische Ideen eines praktischen
Arztes“ den gleichen Vorschlag auch auf Gewohnheitssäufer und -Ver¬
brecher ausgedehnt haben wollen. Er wollte dem Umstand, dass
Bestrahlung mit Röntgenstrahlen die Sterilisation der Keimdrüsen
ohne Minderung der Libido sexualis noch der Potenz herbeizuführen
imstande ist, benützen, dieser Indikation in humanster Weise, ohne
Minderung des Vergnügens gerecht zu werden. Nicht als eigene An¬
schauung, sondern nur um anzuführen, dass man auch anderer Mei¬
nung sein kann, wollte ich mir erlauben darauf hinzuweisen.
Herr Alzheimer hält eine Schwangerschaftsunterbrechung
bei polyneuritischen Psychosen für angebracht, wenn eine Gefahr für
das mütterliche Leben vorliege, da erwiesen sein dürfte, dass zwischen
einer gewissen Form der Polyneuritis und der Schwangerschaft ur¬
sächliche Beziehungen vorhanden sind. Die durch die Schwanger¬
schaft bedingte polyneuritische Psychose scheint aber eine seltene Er¬
krankung; er kenne sie aus der Literatur, habe sie aber noch nie selbst
gesehen.
Der Gesichtspunkt, dass die Nachkommen eines Geisteskranken
minderwertig seien und dass man deswegen bei der Abwägung der
Gründe für und wider die Schwangerschaftsunterbrechung ihr Leben
geringer einschätzen müsse, halte er nach wie vor für bedenklich.
Unsere Kenntnisse von den Gesetzen der Vererbung seien noch zu
mangelhaft. Es müsse namentlich betont werden, dass bei der Be¬
trachtung grösserer Stammbäume neben einer fortschreitenden De¬
generation in einzelnen Zweigen auch eine allmähliche Ausschaltung
des Einflusses der geisteskranken Aszendenz in anderen Linien un¬
verkennbar hervortrete. Da uns die Wissenschaft noch keinerlei
sichere Anhaltsminkte über die Gesundheitsverhältnisse der Nach¬
kommenschaft Geisteskranker geben könne, müssten wir hier ganz
ins Grund- und Uferlose geraten. Die Kastration psychisch defekter
Persönlichkeiten sei ja nur eine konsequente Weiterführung dieses
Gedankens. Die Irrenärzte hätten heute noch immer wieder gegen
das Vorurteil zu kämpfen, dass sie widerrechtlich Menschen der Frei¬
heit belaubten; sie werden sich gewiss bedenken, die Sterilisierung
ihrer Patienten zu empfehlen. Der Kampf gegen die Degeneration
der Menschheit müsse auf anderen Wegen geführt werden.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht.)
IX. Sitzung vom 11. Juli 1907.
Herr Straub: 1. Dauernde Blutdrucksteigerung durch
Adrenalin. (Nach Versuchen von Dr. W. Kretschmar.)
Durch quantitative Untersuchung der Adrenalinwirkung
wurde mittels einer besonderen Methode (cf. die ausführliche,
demnächst erscheinende Publikation) die Frage untersucht, ob
sich nicht mit Adrenalin eine dauernde Blutdrucksteigerung
erzielen lässt. Es gelang dies in einwandfreier Weise. Neben
dieser 1 atsache konnte auch noch eine Reihe von wichtigen
Einzelheiten des Mechanismus der Adrenalinwirkung über¬
haupt festgestellt werden.
2. Elementarwirkung der Digitaliskörper.
Vortragender berichtet über Versuche, in denen der Innen¬
druck im Ventrikel des Katzenherzens in situ vor und während
Digitaliswirkung gemessen wurde. Angestrebt wurden Mes¬
sungen mit Gummimanometer, deren physikalische Konstanten
unter Zugrundelegung der von Otto Frank ausgearbeiteten
I heorie der elastischen Manometer ermittelt wurden.
3- Demonstration eines einfachen Apparates zur künstlichen Re-
snirierung von I ieren durch rhythmische Unterbrechung eines Luft¬
stromes. ‘ M
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe de biologie.
Sitzung vom 25. Mai 1907.
Zufälle der Schilddrüsenbehandlung.
Leopold Levi und H. de Rothschild haben mehr als 400
Kranke der. Schilddrüsenbehandlung unterzogen und niemals einen Zu¬
fall zu konstatieren gehabt. Sie haben folgende Vorsichtsmassregeln
dabei beobachtet: 1. ein gutes Präparat, 2. geringe oder mittlere
Dosen anzuwenden, 1 g der frischen Drüse ist die gewöhnliche Vor¬
schrift. ausnahmsweise kann man auf 2 — 2,5 g steigen, aber oft ge¬
nügen 0,25 und 0,1 g; 3. muss man Ruhepausen zwischen die Zeit der
Behandlung, wenn die nötige Dosis noch nicht bekannt ist; sie be-
und 4. Ueberwachung des Patienten, besonders bei Beginn der Be¬
handlung und wenn man mit den Dosen steigt. Gewisse kleine Zu-
rälle, welche die Engländer Thyreoidismus nennen, können aber trotz
dieser Vorsicht Vorkommen und zwar mit Vorliebe bei Beginn der
Behandlung einsetzen — nach 10 tägiger Behandlung 5 Tage Ruhe
stehen in Erscheinungen nervöser Erregbarkeit (unmotiviertes
Lachen, Weinen, Zornausbrüche), Herzklopfen, Diarrhöe, Zittern,
Schlaflosigkeit, Erbrechen usf. Diese Erscheinungen finden sich wie¬
der bei der Basedow sehen Krankheit, was nicht überraschend ist,
da diese Krankheit, das Maximum von „Hyperthyreoidie“, durch In¬
jektion hoher und wiederholter Dosen von Schilddrüsensaft reprodu¬
ziert werden konnte. Durch die Schilddrüsenbehandlung hervorge¬
rufen, sind diese Erscheinungen aber weniger intensiv wie beim
Basedow. Andererseits bilden dieselben einen Teil der sogen. Ner¬
vosität, d. h. die kleinen Zufälle der Schilddrüsentherapie stellen eine
Art experimentelle Nervosität dar, so dass Berichterstatter zu dem
Schlüsse kommen, dass gewisse Formen von Nervosität eine milde
Form B a s e d o w scher Krankheit seien.
Academie de medecine.
Sitzung vom 4. Juni 1907.
Behandlung der Syphilis mittels anilarsensaurem Na.
Hallopeau zeigt an 120 Beobachtungen die Wirkung dieses
Mittels, welches nach der Methode von S a 1 m o n, d. i. in intermit¬
tierenden Kuren, angewandt wurde. Es scheint bei manchen syphi¬
litischen Infektionen energischer zu wirken wie Hg und Jod, versagt
aber bei den parasyphilitischen Affektionen (Tabes, Leukoplasie).
Das anilarsensaure Na akkumuliert sich im Organismus, indem es Er¬
scheinungen von Arsenikintoleranz hervorruft: sobald diese auftreten,
muss man die Behandlung unterbrechen, um sie nach etwa 14 Tagen,
wenn keine Spur des Medikaments mehr im Urin ist, wieder auf¬
zunehmen; In schweren Fällen von Syphilis kann man, um ein Maxi¬
mum von Wirkung zu erzielen, gleichzeitig Quecksilber und Jod
geben. Man injiziert das Mittel in der unmittelbaren Umgebung des
Schankers, von Exostosen und tertiären Syphilomen. H. zieht den
chemischen Namen „an'ilarsensaures Na“ der Bezeichnung Atoxyl,
welche zu Verwechslungen führen könnte, vor.
lieber eine einfache Behandlung der Gesichtsdermatosen.
Jacquet hebt hervor, dass die einfachsten Mittel bei Sebor-
rhoea, kongestiven Dermatosen, bei Osteatose, Acne neurotica,
Pachydermie des Gesichts oft am besten wirken. Verdauungsstö¬
rungen. besonders die Gewohnheit zu rasch zu essen, sind die Haupt¬
ursachen dieser Uebel. Um sie zu erklären braucht man keine Bak¬
terien oder Bakteriengifte, sondern es genügt die Ueberreizung,.durch
zu reichliche Speisen und besonders die Ueberreizung durbh zu
rasches Essen (Tachyphagie). Die Therapie besteht daher darin,
diese Ueberreizung. speziell des Verdauungskanals, aufzuheben und
die Energie der (Haut-) Gewebe wieder anzuregen. Letzteres er¬
reicht man besser als durch alle komplizierten Mittel durch mässige,
allmählich zunehmende Massage (Kneten) der subkutanen Gewebe
und der Haut: man erhöht allmählich Energie und Dauer des Druckes
(innerhalb 8 — 14 Tage), um auf diese Weise eine Art Trainierung der
Gewebe zu erzielen. .1. versichert, dass man mit dieser Methode die
Gewebe stärkt, dem Teint seine Frische gibt, die pathologische Rötung
vertreibt, das Fett von den Stellen, wie man wünscht, entfernt, kurz
das Gesicht verjiingert und verfeinert.
Sitzung vom 11. Juni 1907.
Die Wanderniere.
Championniere zeigt die grosse Häufigkeit der Wanderniere,
Ihre so zahlreichen und wechselnden Symptome scheinen besonders
von den Zerrungen und Exzitationszuständen der Nebennieren ab¬
zuhängen. Ch. bespricht die ausserordentliche Verschiedenheit dieser
Erscheinungen, welche von den schwersten Ernährungsstörungen (Er¬
brechen, Schwäche, Abmagerung, an den verschiedensten Stellen
sitzende Schmerzen) bis zu den schwersten Formen der Neurasthenie
gehen; man findet sogar Fälle, die mit psychischen Symptomen ver¬
bunden sind. Die Häufigkeit der Nierenverlagerung bei Geisteskran¬
ken ist eine sehr bemerkenswerte (S u c k 1 i n g- Birmingham hat
20 Fälle bei Geisteskranken operiert und bedeutende Besserungen
erzielt). Die Operation wirkt weniger dadurch, dass sie die Niere
höher legt (die Enteroptose bessert), als dadurch, dass sie dieselbe
fixiert und unbeweglich macht. Beinahe regelmässig ist sie von Er¬
folg begleitet und nur selten ist bei genügender Fixierung der Niere
ein Misserfolg vorhanden. Ch. hat 60 Operationen bei sehr schweren
Fällen ausgeführt und dabei nur in 2 Fällen ein unbefriedigendes Re¬
sultat gehabt.
Die Aufziehung der vorzeitig Geborenen.
Maygrier gibt eine sehr interessante Statistik über die vor¬
zeitig an der Maternite der Pariser Charitee 1898 — 1907 geborenen
Kinder. Von 735 Kindern haben 616 (= 83,8 Proz.) lebend die An¬
stalt verlassen. Die so schwierige Aufziehung dieser schwächlichen
Kinder, welche oft weniger als 3 Pfund wogen, umfasste 3 Haupt¬
indikationen: 1. sie gegen Erkältung mittels Couveuse, Massage, Frik¬
tionen, heisse Bäder usw. zu schützen; 2. ihnen eine geeignete Er¬
nährung, die vor allem in Darreichung der Mutterbrust bestehen soll,
zu geben und 3. sie vor Infektionsursachen, welchen sie ihre geringe
Widerstandskraft leicht aussetzt, mit allen möglichen Mitteln zu be¬
wahren. Schliesslich ist ein wichtiger Punkt, dass diese Kinder, wenn
sie in einem Gebärhaus zur Welt kommen, dort auch die ganze, zu
ihrer Entwicklung notwendige Zeit bleiben.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1661
13. August 1907.
H a 1 1 o p e a u bespricht von neuem das Atoxyl und dessen
mit Quecksilber abwechselnde Darreichung; gleichzeitig dürfen
die beiden Medikamente nicht gegeben werden, da das Atoxyl wenig
beständig ist und dadurch Intoleranzerscheinungen auftreten können.
Am besten wartet man (etwa 14 Tage), bis das Arsenik völlig aus-
geschieden ist, bevor man eine Quecksilberkur beginnt. H. fand
übrigens bedeutende Unterschiede zwischen dem deutschen Atoxyl
und dem französischen Anilarsinat, ersteres zeigte sich weniger rein
und daher giftiger. Man gibt es daher in geringeren Dosen. Mit dem
französischen Produkt machte H. in je zweitägigen Pausen Injektionen
von 0,75, dann lässt er 4 Injektionen von 0,5 folgen; meist wurde da¬
mit ein befriedigendes Resultat erzielt und es wurden keinerlei Zwi¬
schenfälle erlebt.
Sitzung vom 18. Juni 1907.
Behandlung des Ekzema mit isotonischem Meerwasser.
V a r i o t und Q u i n t o n haben beim Kinderekzem isotonisches,
d. i. Meerwasser angewandt, welches durch Dilution auf den Salz¬
gehalt des normalen Serums zurückgeführt ist. Sie machten alle
3 Tage eine Injektion von 30 ccm, das bewirkte eine Reaktionserschei-
' nung an den affizierten Stellen, welche entzündet werden und nässen.
Diese Reaktion, welche 3 — 14 Tage dauern kann, ist von einem Abfall
der Krusten und rascher und mehr weniger vollständiger Rückbildung
der Ekzemerscheinungen gefolgt. Wenn die Reaktion nicht eintritt
(in etwa 40 Proz. der Fälle), wirkt trotzdem die sonstige Behandlung
unmittelbar, die Hauterscheinungen werden nach der ersten oder
zweiten Injektion blässer, es folgt Abfall der Krusten und in 8 bis
10 Tagen kann der Ausschlag völlig verschwunden sein.
Pellagra und Geisteskrankheiten bei den Arabern.
Nach den Untersuchungen, welche A. Marie in Aegypten an¬
stellte, sind fast alle in den dortigen Irrenasylen untergebrachten
Kranken mit Pellagra behaftet; die Bevölkerung der benachbarten
Städte ist ebenfalls in hohem Masse von dieser Krankheit befallen.
Die allgemeine Paralyse ist oft mit Pellagra verbunden, in anderen
Fällen ist dieselbe allein auf Syphilis zurückzuführen und schliesslich
bieten Syphilis und Pellagra zuweilen eine gemeinschaftliche Ursache
dieser Geisteskrankheit.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Clinical Society of London.
Sitzung vom 10. Mai 1907.
Heilung von Ulcus ventriculi durch Gastroenterostomie.
•<: J. S h e r r e n berichtet über einen 46 jährigen Patienten, welcher
fast 7 Jahre lang an intensiven gastrischen Erscheinungen gelitten
hatte, so dass schliesslich zu einer Operation geschritten werden
musste. Man fand an der kleinen Kurvatur ein grosses Geschwür
und ausgedehnte Adhäsionen, welche die hintere Operation unmöglich
machten, und es wurde deshalb eine Gastroenterostomia anterior ohne
Schleifenbildung ausgeführt. Das Resultat war entschieden befriedi¬
gend, aber 22 Monate später verfiel der Patient in Melancholie und
beging Selbstmord. Bei der Autopsie fand man den Magen nur mit
dem Pankreas verwachsen; die bei der Operation gebildete Oe ff nung
war für zwei Finger durchgängig, und auch der Pylorus war offen.
Durch die mikroskopische Untersuchung wurde der Nachweis ge¬
bracht, dass das Geschwür vollständig ausgeheilt war.
H. H. C 1 u 1 1 o n fragt an, ob die von Mayo R o b s o n emp¬
fohlene Methode, welche die Fixierung des Jejunums in der Richtung
von links nach rechts bezweckt, angewendet worden sei. Er selbst
habe sie seit lVz Jahren regelmässig befolgt.
Sherren hat das Robsonsche Verfahren auch ausgeübt,
ist aber wieder davon abgegangen. Im vorliegenden Falle ist es
nicht zur Anwendung gekommen.
Ueber die Dauer des Fortbestandes der W i d a 1 sehen Reaktion nach
überstandenem Ileotyphus
berichten H. S. French und M. G. Louisson. Sie haben bei
135 Typhuskranken, bei denen im Krankenhaus ein positives Ergebnis
konstatiert worden war, nachträglich in einem Zeitraum von 2 Monaten
bis zu 10 Jahren Untersuchungen ausgeführt und einige interessante
Resultate erhalten. Als positiv wurde die Reaktion bezeichnet, wenn
mit einer Verdünnung von 1:200 binnen einer halben Stunde eine er¬
kennbare Agglutination eintrat. Negativ fiel die Probe bei 70 Proz.
der Fälle aus, während bei 22,5 Proz. die Reaktion unvollständig und
bei 7,5 Proz. in vollkommener Weise eintrat. Das männliche Ge¬
schlecht scheint weit stärker affiziert zu sein als das weibliche. Von
den Männern lieferten 11 vom Hundert ein vollständig positives Er¬
gebnis, während von den weiblichen Kranken keine einzige als voll¬
ständig positiv zu bezeichnen war. Das Alter der Patienten hatte
keinen nachweisbaren Einfluss auf die Reaktion. Ebenso war eine
Einwirkung von suppurativen Komplikationen nicht erkennbar. Na¬
mentlich verdient es aber hervorgehoben zu werden, dass die Zeit¬
dauer nach dem Ueberstehen der Krankheit sehr wenig Einfluss auf
den Ausfall der Reaktion auszuüben scheint. Man könnte fast sagen,
dass der positive Zustand, wenn einmal vorhanden, in absehbarer
Zeit sich nicht ändere. Mehrere Fälle wurden nach 8 Jahren noch
positiv befunden. Das Lebensalter scheint auch nicht von Belang zu
sein.
H. H. C 1 u 1 1 0 n hat bei Komplikationen seitens der Knochen
noch 3 Jahre nach der Genesung Bazillen in denselben nachgewiesen.
W. P. Her ring ha m bemerkt, dass die Rezidive bei fieber¬
haften Infektionskrankheiten in keinem direkten Verhältnis stehen zu
der Schwere der ersten Attacke. Bei Masern neigen Frauen mehr als
das männliche Geschlecht dazu, zum zweiten Male zu erkranken,
während das Umgekehrte für Ileotyphus gilt.
French erwidert auf Befragen, dass seine Fälle nicht auf
das nachträgliche Vorhandensein von Bazillen untersucht worden
seien. Er gibt zu, dass die Agglutination mit der Anwesenheit von
Bazillen im Zusammenhang stehen könne.
Vorzeitige Polysarkie und Hirsuties im Verein mit Hypernephrom.
L. G. Guthrie und W. d’E ste Emery schilderten zunächst
folgende 2 Fälle; 1. Ein Knabe im Alter von 4% Jahren, von ca.
85 cm Körperlänge und fast 30 kg Gewicht zeigte ein intensives all¬
gemeines Wachstum der Haare und Fettansammlung namentlich an
den Wangen und Brüsten. Die Genitalorgane waren nicht auffallend
entwickelt. Nach dem an Lungentuberkulose erfolgten Tode fand
man bei der Sektion ein Hypernephrom an der linken Seite, wahr¬
scheinlich karzinomatöser Art, aber ohne Infiltrationen und Meta¬
stasen. Mikroskopisch war in der Nebenniere vorwiegend nekrobio-
tische Kortikalsubstanz vorhanden nebst vielen Riesenzellen. —
2. Ein Mädchen, 3V2 Jahre alt, 75 cm gross und 18,5 kg schwer, bot
bei allgemeiner Fettansammlung mit Hängebrüsten das Aussehen einer
50 jährigen Frau dar. An den Oberschenkeln fanden sich Striae gra¬
vidarum. Im 3. Lebensjahr hatte sie Haare in der Schamgegend,
aber die Genitalorgane waren auch in diesem Falle nicht abnorm ent¬
wickelt. Die Nekropsie ergab kein Neoplasma; allerdings wurden
die Nebennieren nicht untersucht. Bei beiden Kindern war der Puls
intermittierend, die Intelligenz normal.
R. Johnson hat ein ähnliches Verhalten bei einem 14jährigen
Knaben beobachtet. Derselbe war kolossal muskulös. Er ging lang¬
sam zugrunde infolge eines grossen Perithelioms der Nebenniere.
J. D. Malcolm berichtet über eine 50 jährige Frau mit Bart-
entwicklung; es wurde ein grosses Gewächs der Nebenniere operativ
entfernt. Philippi - Bad Salzschlirf.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Aus seinen auf Anregung von A. Fraenkel - Badenweiler
unternommenen Untersuchungen „Ueber kumulative Neben¬
wirkungen bei der Digitalistherapie mit Infus und
Pulvern“ (Dissertation, Strassburg 1907) zieht Fernand Schaef-
f e r folgende Konsequenzen für die Therapie der Herzkrank¬
heiten und die in ihrem Verlauf oft eintretenden kumulativen Wir¬
kungen: 1. Infus, fol. digit. in den üblichen Tagesdosen von
0,5: 100 ist eine relativ schwach wirkende Digitalisordination. Irgend
welche Vorzüge vor dem Pulver hat das Infus nicht. In den üblichen
Dosen lässt die Wirkung 3 — 4 Tage auf sich warten. Wollte man die
Wirkung mit Infus beschleunigen und vertiefen, so müsste man zu
stärkerer Dosierung übergehen, wobei selbstverständlich die Gefahr
der Kumulation hervortreten würde, ebenso wie beim Pulver. Das
Infus schmeckt bitter und wird meist ungern genommen; man kann
mit Infus keinen therapeutischen Effekt erzielen, der nicht ebenso¬
gut mit Pulver erzielt werden kann. 2. Digitalispulver kommt
immer in Betracht, wenn starke Wirkung schnell erzielt werden soll
(v. Krehl). Die kumulative Wirkung eines stark wirkenden Pul¬
vers (wie des in Strassburg verwandten) lässt sich leicht vermeiden,
wenn man die übliche Anfangsdosis von 0,3 g nicht länger als 2 Tage
verabfolgt und wenn man dann zu kleineren Dosen übergeht, etwa
während 2 Tage je 0,2 und 2 Tage je 0,1 g. Kleine Dosen von 0,1 bis
0,15 pro die können unbeschadet längere Zeit gebraucht werden.
Aus der Zusammenstellung Schaeffers geht nicht hervor, ob die¬
jenigen Fälle, bei denen ohne Rücksicht auf kumulative Nebenwir¬
kungen grosse Dosen in kurzer Zeit gegeben wurden, einen nach¬
haltigeren therapeutischen Effekt erzielten als jene Fälle, bei denen
man solche bis zum Eintritt der Wirkung gab, um dann mit den
Dosen zurückzugehen. Die Kumulation hängt ab von der Menge,
die in einer bestimmten Zeit verbraucht wird. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü n c h e n, 12. August 1907.
— Die von der Vereinigung des „Oeuvre d’enseignement medi-
cale complementaire“ organisierte Studienreise franzö¬
sischer Aerzte stattete am 9. ds. München einen flüchtigen Be¬
such ab. Der Vormittag galt der Besichtigung der klinischen An¬
stalten. ln der medizinischen Klinik begriisste Prof. v. Müller die
Gäste und geleitete sie nach einer kurzen Demonstration interessanter
Projektionsbilder durch das Krankenhaus. Dabei erregten beson¬
ders des Röntgenkabinett und die ausgezeichneten Diapositive Prof.
Rieders berechtigtes Interesse. In der psychiatrischen Klinik über¬
nahm Prof. K r a e p e 1 i n, in der neuen Augenklinik Prof. E v e r s -
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
busch die Führung; in beiden Anstalten konnten den Gästen muster¬
gültige Einrichtungen vorgeführt werden. Auch das Miillersche
Volksbad, dessen Besichtigung unter der Führung des Rechtsrats
Schlicht den Vormittag beschloss, fand lebhaften Beifall. Nach
einem von den Herausgebern der Münch, med. Wochenschr. ge¬
gebenen Essen wurde der Nachmittag der Besichtigung der Pina¬
kothek und der Stadt gewidmet. Abends reiste die Gesellschaft nach
Nürnberg weiter. Leider war der Besuch viel zu kurz, als dass auch
nur das wenige, was von sehenswerten medizinischen und hygi¬
enischen Einrichtungen Münchens gezeigt wurde, mit wirklichem
Nutzen hätte genössen werden können. Wenn die Studienreisen ihren
Zweck, der ärztlichen Fortbildung zu dienen, erfüllen wollen, so
müssten sie suchen, mehr in die Tiefe als in die Breite zu gehen,
multum, non multa ihren Teilnehmern zu zeigen. Im übrigen sind
namentlich die internationalen Studienreisen gewiss ein vortreff¬
liches Mittel, den Gesichtskreis der Aerzte zu erweitern, Vorurteile zu
beseitigen und freundliche Beziehungen zwischen den Kollegen ver¬
schiedener Länder anzuknüpfen.
— Am 3. und 4. August fand in London die Delegierten¬
konferenz der internationalen Vereinigung der
medizinischen Fachpresse statt. Die freie Vereinigung
der deutschen medizinischen Fachpresse war durch Prof. P o s n e r
(Berl. klin. Wochenschr.) vertreten, der als derzeitiger Präsident der
internationalen Vereinigung auch die Verhandlungen leitete. Ausser
Deutschland und England waren noch Frankreich, Belgien und Nor¬
wegen vertreten. Der Generalsekretär Dr. B 1 o n d e 1 - Paris er¬
stattete einen Bericht über die bisherige Tätigkeit der internationalen
Vereinigung. Dieselbe bezieht sich auf die Vertretung der Fach¬
presse auf Kongressen, auf die Stellung gegenüber den besonders in
Frankreich sehr häufigen Gratisjournalen, auf das Urheberrecht, auf
die Veröffentlichung derselben Arbeit an verschiedenen Stellen etc.
Es muss zugegeben werden, dass die bisher erreicnten praktischen
Resultate nicht bedeutend sind. Erfolgreicher war die deutsche Ver¬
einigung, über deren Tätigkeit Prof. Po-sner berichtete. Durch
gemeinsame Ablehnung marktschreierischer Inserate, durch das Vor¬
gehen gegen jene schlimmsten Schädlinge des ärztlichen Standes,
die die Empfehlung neuer Heilmittel gegen Bezahlung übernehmen
(schwarze Liste käuflicher Autoren) hat sie überaus nützliche Arbeit
geleistet. Der Bericht Posners wurde daher auch mit grossem
Interesse entgegengenommen. Die nächste Delegiertenkonferenz wird
auf Einladung der deutschen Vereinigung im Jahre 1908 in Berlin
stattfinden. Der nächste Kongress der internationalen Vereinigung
wird gelegentlich des Internationalen medizin. Kongresses in Ofen-
Pest 1909 abgehalten werden.
— Die Landesversicherungsanstalt Berlin er¬
öffnet am 1. Januar n. J. eine eigene Zahnklinik für die Berliner
Arbeiterschaft. Mit der vorläufigen Leitung der Klinik ist der Zahn¬
arzt Dr. med. Dürr betraut worden.
— 7 Für die Erziehung und Ausbildung geistig zurück¬
gebliebener Kinder, namentlich solcher besserer Stände, war
bisher in Bayern ungenügend gesorgt. Es muss daher sehr begriisst
werden, dass jetzt die Eröffnung eines Erziehungsheimes für solche
Kinder in der Nähe von München bevorsteht. Das „Erziehungs¬
heim Schloss Höhenrot h“. das Anfang September in Betrieb
genommen werden soll, wird Kinder beiderlei Geschlechts von 4 bis
15 Jahren aufnehmen, die unterrichtlich und erziehlich eine besondere
heilpädagogische Behandlung nötig haben. Es steht unter Leitung von
Dr. phil. A. Engelsperger, die ärztliche Ueberwachung liegt in
den Händen des Privatdozenten Dr. Uffenheimer; konsultieren¬
der Arzt ist Prof. .Pf a un d 1 e r. Die Anstalt liegt in der Nähe des
Ammersees, 15 Minuten von Station Grafrath, verfügt über ausge¬
dehnte Gartenanlagen, hat grosse Wälder in nächster Nähe, Ver¬
einigt also alle Erfordernisse eines Landerziehungsheims. Nähere Aus¬
kunft erteilt/ der Leiter Dr. Engelsperger, München, Baader¬
strasse 30/1 II.
— Für den vom 23. bis 29. September d. J. in B e Hin tagenden
XIV. internationalen Kongress für Hygiene und
Demographie wird eine Reihe von Festschriften vorbereitet,
welche den Kongressbesuchern dargeboten werden sollen. Die Fest¬
schrift der beteiligten Reichsbehörden, des Kaiserlichen Gesundheits¬
amtes und des Kaiserlichen Statistischen Amtes, trägt den Titel „Das
Deutsche Reich in gesundheitlicher und demographischer Beziehung“.
Von den beiden Festschriften des Preussischen Kultusministeriums
behandelt die eine, die kürzlich zum Abschluss gelangte deutsche
Seuchengesetzgebung. Die zweite enthält Monographien der neuesten
medizinischen Anstalten in Preussen, die in hygienischer Hinsicht be¬
sonders bemerkenswert sind. Die Stadt Berlin bereitet einen Fest¬
band mit den bedeutendsten hygienischen Einrichtungen der Reichs¬
hauptstadt vor. Ausserdem soll jedem Kongressbesucher beim Ein¬
treffen ein in handlicher Form hergestellter sogen. „Hygienischer
1 ührer überreicht werden, welcher die für die Nachmittagsbesichti¬
gungen in Aussicht genommenen etwa 120 hygienischen Anstalten und
Einrichtungen Gross-Berlins in kurzen Abschnitten dreisprachig be¬
handelt, und im Berliner Hygienischen Universitätsinstitut und im
Berliner Institut für Infektionskrankheiten ausgearbeitet wird.
— Der 9. französische Kongress für innere Medi-
z i n wird (statt vom 17. bis 19. Oktober) vom 14. bis 16. Oktober zu
Paris abgehalten.
No. 33.
— Die Verhandlungen des III. Kongresses der Deutschen Ge¬
sellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Mannheim
über Sexualpädagogik sind als besonderer Band (VII) der
Zeitschrift zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im Verlag
von J. A. Barth in Leipzig erschienen.
— Vom Jahresbericht über die Leistungen und
Fortschritte auf dem Gebiete der Neurologie und
Psychiatrie ist soeben der X. Jahrgang, enthaltend den Bericht
über das Jahr 1906, erschienen (Verlag von S. Karger in Berlin).
Als Redakteur zeichnet den Bericht neben L. Jacobsohn noch
E. Mendel. Die Grösse der in dem Bericht geleisteten Arbeit geht
am besten hervor aus dem Umfang des Bandes: 1350 Seiten gr. 4.
Der Preis beträgt M. 37, gebunden M. 40.
— Dr. Alfons Bilharz ist am 1. Juli d. J. als Direktor des
Fürst-Carl-Landesspitals in Sigmaringen nach 25 jähriger Tätigkeit
in den Ruhestand getreten und erhielt bei dieser Gelegenheit den Titel
als Geheimer Sanitätsrat.
— Dem praktischen Arzt Geh. Sanitätsrat Dr. med. Heinrich
Brock in Berlin wurde anlässlich seines goldenen Doktorjubiläums
der Rote Adlerorden IV. Klasse verliehen, (hc.)
— Aehnlich wie in Bayern der „Schematismus“ erscheint in
Sachsen ein nach amtlichen Quellen beobachtetes „Handbuch des
Medizinal- und Veterinär wesens im Königreich
Sachsen“ (Verlagsbuchhandlung C. Heinrich in Dresden; Preis
M. 1.60). Das Handbuch enthält die Personalien aller medizinischen
Behörden einschliesslich des Militär-Medizinal- und Veterinärwesens,
der medizinischen Fakulät in Leipzig, der ärztlichen Vereine, sowie
das Verzeichnis sämtlicher sächsischen Aerzte und Tierärzte.
— Pest. Aegypten. Vom 20. bis 27. Juni wurden 17 neue Er¬
krankungen (und 10 Todesfälle) an der Pest festgestellt. — Japan.
In dem Dorfe Nischimurasaki sind vom 18. Mai bis Mitte Juni 2 wei¬
tere Personen an der Pest erkrankt, auch haben sich Ende Mai und
Anfang Juni 3 Fälle der Seuche im Kriegshafen Sasebo gezeigt, der
seit dem November v. J. davon verschont geblieben war; sämtliche
Fälle verliefen bis auf einen tödlich. — Britisch-Ostindien. In Kalkutta
starben vom 23. bis 29. Juni 28 Personen an der Pest.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 21. bis
27. Juli sind 34 Erkrankungen (und 17 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 30. Jahreswoche, vom 21. bis 27. Juli 1907. hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Elbing mit 28,5, die geringste Rheydt mit 6,2 Todesfällen pro Jahr und
1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an
Scharlach in Gleiwitz, an Diphtherie und Krupp in Linden, an Keuch¬
husten in Altenessen. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
B e r 1 i n. Zum Abteilungsvorsteher am Hygienischen Institut
der Berliner Universität wurde der Oberassistent daselbst, Privat¬
dozent für Hygiene an der Friedrich-Wilhelms-Universität, Dr. med.
Karl K i ss k a 1 1 ernannt, (hc.) — Wie die Berl. klin. W. hört, sollen
die beiden medizinischen Universitätskliniken vollkommen gleich¬
gestellt und die Bezeichnung erste und zweite Klinik fallen gelassen
werden.
Greifswald. Der Sekundärarzt der Chirurg. Klinik Priv.-Doz.
Dr. Sauerbruch wird seinem Chef, Prof. Friedrich, nach
Marburg folgen. — Der Privatdozent Prof. Dr. Jung, Oberarzt der
hiesigen Universitäts-Frauenklinik ist zum Leiter der neu zu er¬
öffnenden Abteilung für Gynäkologie am städtischen Krankenhause zu
Frankfurt a. M. gewählt und hat die Wahl angenommen. — Es ver¬
lautet bestimmt, der erst ein Semester hier tätige Direktor der Uni¬
versitäts-Augenklinik, Prof. Dr. Heine, habe einen Ruf in gleicher
Eigenschaft nach Kiel als Nachfolger Schirmers erhalten und an¬
genommen.
M a r b u r g. Zum ordentlichen Honorarprofessor an der Uni¬
versität Marburg ist der a. o. Professor und erste Prosektor am
anatomischen Institut daselbst, Dr. med. Joseph D i s s e, ernannt
worden, (hc.)
Münster i. W. Dr. Araet h, der vor kurzem die Stellung als
dirigierender Arzt dej; inneren Abteilung des Clemenshospitals über¬
nommen hat, wurde zum ausserordentlichen Honorarprofessor an der
Universität Münster in der philosophischen und naturwissenschaft¬
lichen Fakultät ernannt.
Würzburg. Wie wir hören, ist auf das durch die Ueber-
siedlung des Professors Dr. W. Straub nach Freiburg i. Br. er¬
ledigte Ordinariat für Pharmakologie an der Universität Wiirzburg
der Privatdozent und erste Assistent am pharmakologischen Institut
der Universität Strassburg i. E., Prof. Dr. med. et phil. Edwin Faust
berufen worden, (hc.)
Genf. Privatdozent Dr. R. deSeigneux wurde zum ausser¬
ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie ernannt.
Lund. Dr. E. O v e r t o n wurde zum Professor der Pharmako¬
logie ernannt.
Ofen-Pest. Der ausserordentliche Professor der Kinderheil¬
kunde Dr. J. v. Bokay wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
Wien. Als Privatdozent wurde aufgenommen: Dr. med.
Joseph Partei für das Fach der pathologischen Anatomie, (hc.)
(Todesfälle.)
In Leer ist der Nestor der deutschen Aerzte, der Geheime
Sanitätsrat Georg C. K i r c h h o f f, 94 Jahre alt, gestorben. Er feierte
13. August 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
letzten Herbst sein 70 jähriges Doktorjubiläum. Noch bis zum Jahre
1900 versah Kirchhoff in Leer das Amt des Kreisphysikus, war
er Mitglied der Aerztekammer für die Provinz Hannover und stellver¬
tretendes Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬
zinalwesen in Preussen.
In Breslau ist am 1. ds. der Privatdozent für Staatsarzneikunde
an der dortigen Universität, Kreisarzt Qeh. Med. Rat Prof. Dr. Joseph
Jacobi, im 68. Jahre gestorben, (hc.)
Dr. A. Gue, früher Professor der Dermatologie und Syphili-
graphie an der medizinischen Fakultät zu Kasan.
Dr. M. Radkewitsch, Privatdozent für Therapeutik an der
medizinischen Fakultät zu Moskau.
Dr. Fr. R. W e b e r, Professor der Medizin am Milwaukee Medi¬
cal College.
Berichtigung: In No. 31, S. 1555, Sp. 2, Z. 5 v. u. (Leipz.
,med. Gesellsch.) ist statt S. Köster zu lesen: G. Köster.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Gestorben. Dr. Gustav S c h ö n b r o d, k. Bezirksarzt a. D.
in Fürstenfeldbruck.
Korrespondenz.
Nachtrag zu dem Aufsatze „Beitrag zur Kenntnis der Blasentumoren
bei Anilinarbeitern“.
Wie mir Herr Dr. Schwerin in Höchst a. Main mitteilt,
wendet man in neuerer Zeit bei akuter Anilinvergiftung kühle Bäder
an. Man ist von den heissen Bädern abgekommen, da man durch
die Temperaturerhöhung im heissen Bad öfter Verschlimmerungen des
Zustandes erlebt hat. Dr. L. Seyberth.
Amtliches.
(Bayern.)
No. 16960.
Königlich Allerhöchste Verordnung, den Verkehr mit;
Geheimmitteln und ähnlichen Arzneimitteln betreffend.*)
Im Namen Seiner Majestät des Königs.
Luitpold,
von Gottes Gnaden Königlicher Prinz von Bayern,
Regent.
W i r finden Uns bewogen, auf Grund des § 3’67 No. 5 des Straf¬
gesetzbuches für das Deutsche Reich und des Artikels 72a des Polizei¬
strafgesetzbuches für das Königreich Bayern zu verordnen, was folgt:
§ 1. Auf den Verkehr mit denjenigen Geheimmitteln und ähnlichen
Arzneimitteln, welche in den Anlagen A und B aufgeführt sind, finden
die nachstehenden Vorschriften Anwendung; die Ergänzung der An¬
lagen bleibt Vorbehalten.
Die Anwendung der nachstehenden Vorschriften auf diese Mittel wird
dadurch nicht ausgeschlossen, dass deren Bezeichnung hei im wesentlichen
gleicher Zusammensetzung geändert wird.
§ 2. Die Gefässe und die äusseren Umhüllungen, in denen diese
Mittel abgegeben werden, müssen mit einer Inschrift versehen sein,
welche den Namen des Mittels und den Namen oder die Firma des
Verfertigers deutlich ersehen lässt. Ausserdem muss die Inschrift
auf den üefässen oder den äusseren Umhüllungen den Namen oder die
Firma des Geschäftes, in welchem das Mittel verabfolgt wird, und die
Höhe des Abgabepreises enthalten; diese Bestimmung findet auf den
Grosshandel keine Anwendung.
Es ist verboten, auf den Gefässen oder äusseren Umhüllungen,
in denen ein solches Mittel abgegeben wird, Anpreisungen, insbeson¬
dere Empfehlungen, Bestätigungen von ■ Heilerfolgen, gutachtliche
Aeusserungen oder Danksagungen, in denen deib Mittel eine Heil¬
wirkung oder Schutzwirkung zugeschrieben wird, anzubringen oder
solche Anpreisungen, sei es bei der Abgabe des Mittels, sei es auf
sonstige Weise, zu verabfolgen.
§ 3. Der Apotheker ist verpflichtet, sich Gewissheit darüber zu
verschaffen, inwieweit auf diese Mittel die Vorschriften über die Ab¬
gabe starkwirkender Arzneimittel Anwendung finden.
Die in der Anlage B aufgeführten Mittel, sowie diejenigen in der
Anlage A aufgeführten Mittel, über deren Zusammensetzung der Apo¬
theker sich nicht soweit vergewissern kann, dass er die Zulässigkeit
der Abgabe im Handverkaufe zu beurteilen vermag, dürfen nur auf
schriftliche, mit Datum und Unterschrift versehene Anweisung eines
Arztes, Zahnarztes oder Tierarztes, im letzteren Falle jedoch nur beim
Gebrauche für Tiere, verabfolgt werden. Die wiederholte Abgabe
ist nur auf jedesmal erneute derartige Anweisung gestattet.
*) Die Aenderungen der neuen Vorschriften gegenüber den bis¬
herigen (Bundesratsbeschluss vom 23. Mai 1903) sind durch Kursiv¬
schrift kenntlich gemacht. Diejenigen in Anlage B enthaltenen Mittel,
welche bisher in Anlage A aufgeführt waren, sind gesperrt ge¬
druckt. — Nach „Pharmazeut. Zeitung“.
1663
Bei Mitteln, welche nur auf ärztliche Anweisung verabfolgt
werden dürfen, muss auf den Abgabegefässen oder den äusseren Um¬
hüllungen die Inschrift: „Nur auf ärztliche Anweisung abzugeben“
angebracht sein.
§ 4. Die öffentliche Ankündigung oder Anpreisung der in den
Anlagen A und B aufgeführten Mittel ist verboten.
Der öffentlichen Ankündigung oder Anpreisung der Mittel steht es
gleich, wenn in öffentlichen Ankündigungen auf Druckschriften oder
sonstige Mitteilungen verwiesen wird, welche- eine Anpreisung der Mittel
enthalten.
§ 5. Diese Verordnung tritt am 1. Oktober 1907 in Kraft; am
gleichen Tage tritt die Verordnung vom 19. September 1903 — Gesetz-
und Verordnungsblatt 1903 Seite 479 — ausser Wirksamkeit.
München, den 26. Juli 1907.
Luitpold,
Prinz von Bayern,
des Königreichs Bayern Verweser.
v. Brettreich.
Auf Allerhöchsten Befehl:
Der General-Sekretär:
an dessen Statt:
Ministerialrat Brenner.
Anlage A.
1. Adlerfluid.
2. Amarol (auch als Ingestol).
3. Amasira Lochers (auch als Pflanzenpulrcrmischung gegen Dys¬
menorrhöe).
4. American coughing eure Lutzes.
5. Antiarthrin und Antiarthrinpräparate (auch als Seils Antiarthrin).
6. Anticelta- Tabletten (auch als Anticelta-Tablets oder Fettreduxieruvcjs-
Tabletten der Anticelta- Association).
7. Antidiabeticum Bauers.
8. Antidpileptique Uten.
9. Antigichtwein Duflots (auch als Antigichtwein Oswald Niers oder
Vin Duflot).
10. Antihydropsin Bödikers (auch als Wassersuchtselixier oder Hydrops-
Essenz Bödikers).
11. Antimellin (auch als Essentia Antimellini composita).
12. Antineurast hin (auch als Nerven nahrwng Hartmanns).
13. Antipösitin Wagners (auch als Mittel des Dr. Wagner db Markier
gegen Korpulenz).
14. Antirheumaticum Saids (auch als Antirheumaticum nach Dr. Said
oder Antirheumaticum Lücks).
15. Antitussin.
16. Asthmamittel Hairs (auch als Asthma eure Hairs).
17. Asthmapulver Schiffmanns (auch als Asthmador).
18. Asthmapulver Zematone, auch in Form der Asthmazigaretten
Zematone (auch als antiasthmatische Pulver und Zigaretten des
Apothekers Escouflaire).
19. Augenwasser Wliites (auch als Dr. Whites Augenwasser von
Ehrhardt).
20. Ausschlagsalbe Schützes (auch als Universalheilsalbe oder Uni¬
versalheil- und Ausschlagsalbe Schützes).
21. Balsam Bilfingers.
22. Balsam Lamperts (auch als Gichtbalsam Lamperts oder Lampert-
Stepf-Balsam).
23. Balsam Pagliano (auch als Tripperbalsam Pagliano).
24. Balsam Sprangers (auch als Sprangerscher).
25. Balsam Thierrys (auch als allein echter Balsam Thierrys, eng¬
lischer Wunderbalsam oder englischer Balsam Thierrys).
26. Beinschäden Indian Bohnerts.
27. Blutreinigungspulver Hohls.
28. Blutreinigungspulver Schützes.
29. Blutreinigungstee Wilhelms (auch als antiarthritischer und anti¬
rheumatischer Blutreinigungstee Wilhelms).
30. Bräune-Einreibuug Lamperts (auch als Universal-Bräune-Ein-
reibung und Diphtheritistinktur).
31. Bruchbalsam Tänzers.
32. Bruchsalbe des pharmazeutischen Bureaus Valkenberg (Valken-
burg) in Holland (auch als Pastor Schmits Bruchsalbe).
33. Corpulin (auch als Corpulin-Entfettungspralinees oder Pralines
de Carlsbad).
34. Djoeat Bauers.
35. Elixir Godineau.
36. Embrocation Ellimans (auch als Universal embrocation oder
Ellimans Universaleinreibemittel für Menschen), ausgenommen
Embrocation usw. for horses.
37. Entfettungstee Grundmanns.
38. Epilepsieheilmittel Quantes (auch als Spezifikum oder Gesund¬
heitsmittel Quantes).
39. Epilepsiepulver Cassarinis (auch als Polveri antiepilettiche
Cassarinis).
40. Epilepsiepulver der Schwanenapolheke Frankfurt a. M. (auch a/s
antiepileptische Pidver oder Pulver Weils gegen Epilepsie).
41. Eukalyptusmittel Hess’ (Eukalyptol und Eukalyptusöl Hess’).
1664
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
42. Ferrolin Lochers.
43. Ferromanyan in.
44. Falgural (auch a/s Blutreinigungsmittel Sichlers and Schuhes).
45. Gebirgstee, Harzer, Lauers.
46. Gehöröl Schmidts (auch als verbessertes oder neu verbessertes
Gehöröl Schmidts).
47. Gesundheitskräuterhonig Lücks.
48. Glandulen.
49. Gloria tonic Smiths.
50. Glycosolvol Linders (auch a/s Antidiabeticum Linders).
51. Haematon Haitxemas.
52. Heilsalbe Sprangers (auch als Sprangersche, oder Zug- und Heil¬
salbe Sprangers oder Sprangersche).
53. Heiltränke Jakobis (auch als Heiltrankessenz, insbesondere
Königstrank Jakobis).
54. Homeriana (auch als Brusttee Homeriana oder russischer Knöterich
Polvgonum aviculare Homeriana).
55. Hustentropfen Lausers.
56. Injection Brou (auch als Brousche Einspritzung).
57. Injection au matico (auch als Einspritzung mit Matiko).
58. Johannistee Brockhaus’ (auch als Galeopsis ochroleuca vulcania der
Firma Brockhaus).
59. Kalosin Lochers.
60. Kava Lahrs (auch als Kavakapseln Lahrs, Santalol Lahrs mit Kava-
harx oder Kavaharz Lahrs mit Santalol).
61. Knöterichtee, russischer, Weidemanns (auch als russischer
Knöterich oder Brusttee Weidemanns).
62. Kongopillen Richters (auch als Magenpillen Richters).
63. Kräutergeist Schneiders (auch als wohlriechender Kräutergeist oder
Luisafluid Seh neiders ) .
64. Kräuterpillen Burkharts.
65. Kräutertee Lücks.
66. Kräuterwein Ullrichs (auch als Hubert Ullrichscher Kräuterwein).
67. Kronessenz, Altonaer (auch als Kronessenz oder Menadiesche
oder Altonaische Wunder-Kronessenz).
68. Kropf-Kur Haigs (auch als Goitre-cure oder Kropfmedizin Haigs).
69. Kurmittel Meyers gegen Zuckerkrankheit.
70. Lebensessenz Fernests (auch als Fernestsche Lebensessenz).
71. Loxapillen Richters.
72. Magenpillen Tachts.
73. Magentropfen Bradys (auch a/s Mariazeller Magentropfen Bradys).
74. Magentropfen Sprangers (auch als Sprangersche).
75. Magolan (auch als Antidiabetikum Braemers).
76. Mother Seigels pills (auch als Mutter Seigels Abführungspillen
oder operating pills).
77. Mother Seigels syrup (auch als Mother Seigels curative svrup
for dyspepsia, Extract of American roots oder Mutter Seigels
heilender Sirup).
78. Nektar Engels (auch als Hubert Ullrichsches Kräuterpräparat Nektar).
79. Nervenfluid Dresseis.
80. Nervenkraftelixier Liebers.
81. Nervenstärker Pastor Königs (auch als Pastor Königs Nerve
Tonic).
82. Nervol Rays.
83. Orffin (Baumann Orffsches Kräuternährpulver).
84. Pain-Expeller.
85. Pektoral Bocks (auch als Hustenstiller Bocks).
86. Rillen Beechams (auch als Patent pills Beechams).
87. Pillen, indische (auch als Antidysentericum).
88. Pillen Rays (auch als Darm- und Leberpillen Rays).
89. Pilules du Docteur Laville (auch als Pillen Lavilles).
90. Polypec (auch als Naturkräutertee Weidemanns).
91. Reduktionspillen, Marienbader, Schindler -Barnay sehe (auch als
Marienbader Reduktionspillen für Fettleibige).
92. Regenerator Liebauts (auch als Regenerator nach Liebaut).
93. Saccharosalvol.
94. Safe remedies Warners (Safe eure, Safe diabetic, Safe nervine,
Safe pills).
95. Saniana-Präparate (auch als Sanjana-Spezifika).
96. Santal Grötxners.
97. Sarsaparillian Avers (auch als Avers zusammengesetzter und
gemischter Sarsaparillextrakt).
98. Sarsaparillian Richters (auch als Extractum Sarsaparillae com¬
positum Richter). •
99. Sauerstoffpräparate der Sauerstoffheilanstalt Vitafer.
100. Schlagwasser Weissmanns.
101. Schweizerpillen Brandts.
l*1-- SRup Pagliano (auch als Sirup Pagliano Blutreinigungsmittel,
Blutreinigungs- und Bluterfrischungssirup Pagliano des Prof.
Girolamo Pagliano oder Sirup Pagliano von Prof. Ernesto
Pagliano).
103. Spermatol (auch als Stärkungselixir Gordons).
104. Spezialtces Lücks (auch als Spezialkräutertees Lücks).
105. Sterntce Weidhaas’ (auch als Sterntee des Kurinstituts „Spiro Spero“).
Jöö. Stomakal Richters (auch als Tinctura stomachica Richter).
107. Sfroopal (auch als Heilmittel Stroops gegen Krebs-, Magen- und
Leber leiden oder Stroops Pulver).
108. Tabletten Hoffmanns.
109. Tarolin-Kapseln.
110. Trunksuchtsmittel des Alkolin-Instituts.
'■ ~ - -
111. Trunksuchtsmittel Burghardts (auch als Diskohol).
112. Trunksuchtsmittcl August Ernst (auch als Trunksuchtspulver, echtes,
deutsches).
113. Trunksuchtsmittel Theodor Heintxs.
114. Trunksuchtsmittel Konetxkys (auch als Keph algin putver oder Trunk¬
suchtsmittel der Privatanstalt Villa Christi na).
115. Trunksuchtsmittel der Gesellschaft Sanitas.
116. Trunksuchtsmittel Josef Schneiders (auch als Antebeten).
117. Trunksuchtsmittel Wessels.
118. Tuberkeltod (auch als Eiweiss-Kräuterkognak-Emulsion Stickes).
119. Universal-Magenpulver Barellas.
120. Vin Mariani (auch als Marianiwein).
121. Vulneralcreme (auch als Wundcreme Vulneral).
122. Wundensalbe, konzessionierte, Dicks (auch als Zittauer Pflaster).
123. Zambakapseln Lahrs.
Anlage B.
1. Antineon Lochers.
2. Asthmamittel Tuckers • (auch als Asthma-Heilmethode [Specific I
Tuckers).
3. Augenheilbalsam, vegetabilischer, Reichels (auch als Ophthalmin
Reichels).
4. Bandwurmmitiel Friedrich Horns.
5. Bandwurmmittel Theodor Horns.
6. Band wurm mittel Konetzkys (auch als Konetzkys
Helminthe n extrakt).
7. Bandwurmmittel Schneiders (auch als Granatkapseln Schneiders).
8. Bandwurmmittel Violanis.
'J. Bromidia Battle & Comp.
10. Cathartic pills Ayers (auch als Reinigungspillen*
oder abführende Pillen Ayers).
11. Cozapulvcr ( auch als E Coxa oder Trunksuchtsmittel des Coxa-
lnstituts oder Institut d’E-Coxa).
12. Diphtheritismittel Noortwycks (auch als Noortwycks antisep¬
tisches Mittel gegen Diphtherie).
13. Gesundheitshersteller, natürlicher, Winters (auch als Nature health
restorer Winters).
14. Gicht- und Rheumatismuslikör, amerikanischer.
Latons (auch als Remedy Lato ns).
15. Gout and rheumatic pills Blairs.
16. Heilmittel des Grafen Mattei (auch als Graf Cesare Matteische
elektrohomöopathische Heilmittel).
17. Heilmittel Kidds (auch als Heilmittel der Davis Medical Co.).
18. Kollcodin Hcuschkels (auch, als Mittel Heuschkels gegen Pferdekolik).
19. Krebspulvcr Frischmut hs (auch als Mittel Frischmuths gegen Krebs¬
leiden).
20. Liqueur du Docteur Laville (auch als Likör des Dr.
Laville).
21. Lgmphol Rices (auch als Bruchheilmittel Rices).
22. Noordyl (auch als Noordy Itrop fen Noortwycks).
23. Oculin Carl Reichels (auch als Augensalbe Oculin).
24. Pillen Morisons.
25. Pillen Redlin gers (auch als Redlingersche Pille n).
26. Puik-PiUen Williams (auch als Pilules Pink pour personnes päies
du Dr. Williams).
21 . Reinigungskuren Konetxkys (auch als Reinigung shuren der Kur¬
anstalt Neuallschwill [Schweix]).
28. Remedy A 1 b e r t s (auch als Rheumatismus- und Gicht-
Heilmittel A 1 b e r t s).
29. Sternmittel, Genfer, Sauters (auch als elektrohomöopathische
Sternmittel von Sauter in Genf oder Neue elektro-homöopathische
Sternmittel usw.).
30. Vixol (auch als Asthmamittel des Vixol Syndicate).
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 30. Jahreswoche vom 21. bis 27. Juli 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 6 (16*).
Altersschw. (üb. 60 J.) 6 (10), Kindbettfieber — (3), and. Folgen der
Geburt — (1), Scharlach 2 (— ), Masern u. Röteln 2 (1), Diphth. u.
Krupp — (2), Keuchhusten — (2), Typhus — ( — ), iibertragb. Tierkrankh.
— ( — ), Rose (Erysipel) 3(1), anä. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 3 (2), Tuberkul. d. Lungen 11 (31), Tuberkul. and.
Org. 12 (3), Miliartuberkul. — ( — ), Lungenentzünd. (Pneumon.) 10 (8),
Influenza — ( — ), and. iibertragb. Krankh. — (2), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 2 (5), sonst. Krankh. derselb. — (— ), organ. Herzleid. 7 (9),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 15 (1 1), Gehirnschlag
9 (4), Geisteskrank!!. 6 (1)/ Fraisen, Eklamps. d. Kinder 3 (4), and.
Krankh. d. Nervensystems — (— ), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung)- 31 (44), Krankh. d. Leber 2 (1), Krankh. des
Bauchfells 2 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 6 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 5 (7), Krebs (Karzinom Kankroid) 11 (15),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 1 (3), Selbstmord 1 (2), Tod durch
fremde Hand 1 (— ), Unglücksfälle 2 (3), alle übrig. Krankh. 4 (4).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 163 (199). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 15,5 (18,9), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,2 (12,0).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche,
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von £. Mül.lthalers Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
f«e Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich n /rTTiTnrrniTTiT\ Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf-
im Umfang von durchschnittlich 6— 7 Bogen. * Preis der einzelnen |\/E I I j\| | LJ L M L' L) strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 8VS— 1 Uhr. • Für
Nummer 80 A- • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich | V I II INI, |1 P , j \ P . j\ Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. • Für
iÄ 6.— . • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag. w A w j-j i. ». . inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
I. t. Ingerer, Cb. Bäumler, ’'0. r. Bollinger, D. Cmclmann, 9. Belferich, W.v.Leube, 0. Merkel, J. t. Michel, F.PeezoIdl, B.» Banke, B. Spalz, F. i Binckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
No. 34. 20. August 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frank¬
furt a/M. (Direktor: Qeh. Med. -Rat Prof. Dr. P. Ehrlich).
Zur Frage der Serum-Ueberempfindlichkeit.
Von Stabsarzt Prof. Dr. R. O 1 1 o in Strassburg i. Eis., früher
Mitglied des Institutes.
Auf Veranlassung von Herrn Geheimrat Ehrlich hatte
ich mich vor Jahresfrist mit der zuerst von Theobald Smith
beobachteten Erscheinung beschäftigt, dass Meerschweinchen,
die früher einmal zum Zwecke der Wertbemessung von Diph¬
therieheilseris mit Giftserumgemischen vorbehandelt waren,
akut eingingen oder wenigstens schwer erkrankten, wenn ihnen
später normales Pferdeserum injiziert wurde. Bei den zur
Analyse dieses Phänomens durchgeführten Versuchen, über die
ich seinerzeit in dem ersten Bande der v. Leuthol d-
Gedenkschrift [l] berichtet habe, stellte sich heraus, dass es
sich bei dieser Erkrankung um eine (spezifische) Serumüber-
empfindlichkeit höchsten Grades handelte. Zur Erzeugung
dieser „Anaphylaxie“ hatte die einmalige Injektion von m i n i -
male n Dosen Pferdeserum unter der gleichzeitigen
Einwirkung des Diphtherietoxins genügt. Allerdings hinter-
liess, wie schon unsere damaligen Versuche zeigten, auch
die einmalige Injektion von Serum allein bei den Meer¬
schweinchen eine Ueberempfindlichkeit, die besonders nach der
Vorbehandlung mit minimalen Serumdosen meist recht
deutlich war. Niemals waren aber bei derartigen, nur mit Serum
vorbehandelten Tieren und bei der subkutanen Reinjektion die
Ueberempfindlichkeitserscheinungen so häufig und so stark wie
bei den Tieren, welche mit Giftserumgemischen anaphylakti-
siert waren. Diese Beobachtung ist unabhängig von uns auch
von Rosenau und Anderson [2] gemacht und später in
gewissem Grade auch von R e m 1 i n g e r [3] bestätigt worden.
Allerdings fand letzterer bei seinen Tieren nur in einem auf¬
fallend geringen Prozentsatz Krankheitserscheinungen, und
zwar bei den mit Serum allein behandelten Tieren im Verhält¬
nis von 1 : 15 und bei den mit Gemischen vorbehandelten Meer¬
schweinchen im Verhältnis von 1 : 8. Dabei muss indessen be¬
tont werden, worauf insbesondere Besredka und Stein-
h a r d t [4] hingewiesen haben, dass auch sonst der Prozentsatz
der Erkrankungen bezw. der Todesfälle bei des* überempfind¬
lichen Tieren nach den Angaben der einzelnen Autoren nicht
unwesentlich schwankt. Wenn weiter Besredka und
Steinhardt bei ihren umfangreichen Versuchen zum Stu¬
dium der Anaphylaxie fast ausschliesslich mit Toxinserum¬
gemischen vorbehandelte Tiere verwandt haben, so dürfte dies
gleichfalls nur geschehen sein, weil eben bei diesen Tieren die
Anaphylaxie stets deutlich ausgeprägt ist. Es wäre somit
die Richtigkeit unserer Anschauung erwiesen, dass nach der
Vorbehandlung mit Giftserumgemischen die Serumanaphylaxie
besonders deutlich wird. Zur Erklärung dieser Erscheinung
hatten wir angenommen, dass die Körperzellen durch Spuren
von anwesenden Diphtherieresten • — sei es Toxin oder Toxon
— eine bestimmte Stimulation erfahren, welche sie für die Ein¬
wirkung der minimalen Serumdosen besonders empfänglich
macht. Dieser Faktor sollte in erster Linie betont werden,
wie wir, um Missverständnisse zu vermeiden, hervorheben
möchten, wenn wir das von uns analysierte Phänomen von
34.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
den bis dahin bekannten Erscheinungen der Serumüber-
empfindlichkeit, die man nach der von A r t h u s [5] zu¬
erst beobachteten Anaphylaxie bei wiederholter Injektion
kurzweg alle als Arthus sches Phänomen zu bezeichnen
pflegte, abtrennten und mit dem Namen Theobald Smiths
belegten. Denn dass es zur Auslösung einer Anaphylaxie nicht
der wiederholten Seruminjektion bedurfte, sondern dass
hierzu schon eine einmalige Seriimvorbehandlung genügte,
hatten bereits v. Pirquet und Schick [6] gezeigt, welche
sich vor allem um die Kenntnis der klinischen Serumüber-
empfindlichkeitserscheinungen beim Menschen verdient gemacht
haben. Wir haben daher auch keine Bedenken getragen,
klinisch die Theobald Smith sehe Form der Ueberemp¬
findlichkeit als eine besonders heftige „sofortige Allgemein-
reai^tion Reinjizierter“ im Sinn v. Pirquets und Schicks
aufzufassen. Wenn man aber auch klinisch alle Erschei¬
nungen nach der Injektion fremdartigen Serums als v. Pir¬
quet und Schick sches Phänomen (Serumkrankheit) [7] be¬
zeichnet, so wird man ätiologisch doch die verschie¬
denen Formen der Anaphylaxie von einander trennen müssen,
und zwar zunächst einmal die angeborene (konstitutio¬
nelle) Ueberempfindlichkeit (Idiosynkrasie) von den erwor¬
benen Formen. Diese letzteren können nach dem jetzigen
Stande unserer Kenntisse verursacht sein:
1. durch die Vorbehandlung mit Serum allein,
2. durch die Vorbehandlung mit Giftserumgemischen
(Theobald Smith sches Phänomen beim Meerschweinchen)
und
3. ' durch die Vorbehandlung mit dem Serum der sub 1. und
2. genannten Tiere, eine neue Form der Anaphylaxie, auf die
wir später näher eingehen wollen.
Es dürfte zweckmässig sein, vorher mit einigen Worten
auf die bisher als „Immunität“ bezeichnete „Unempfindlichkeit“
bestimmter mit Serum vorbehandelter Tiere kurz zurückzu¬
kommen.
Im Gegensatz zu den Angaben von A. Wolf [8], dass
Tiere, welche bei der Eiweissimmunisierung einmal die Er¬
scheinungen der Ueberempfindlichkeit gezeigt haben, bei der
nächsten Injektion derselben Eiweissubstanz unfehlbar unter
gesteigerten Krankheitserscheinungen zu Grunde gingen, haben
wir als erste hervorgehoben, dass einerseits überempfindliche
Meerschweinchen nach der überstandenen Reinjektion mit
grossen Dosen Pferdeserum bei der einige Zeit später nach¬
folgenden zweiten Reinjektion keinerlei Krankheitserschei¬
nungen zu zeigen brauchen und andererseits, dass sich durch
eine geeignete Steigerung in der Serumapplikation bei den
Meerschweinchen das Auftreten einer Ueberempfindlichkeit
Vermeiden lässt. Diese scheinbare Immunisierungsmöglichkeit
wurde später unabhängig von uns auch von Rosenau und
Anderson gefunden und besonders von Besredka und
Seteinhardt [4u. 9] weiter verfolgt und von ihnen mit dem
Namen „Antianaphylaxie“ belegt.
Die ersten Versuche, welche wir nach dieser Richtung an
anaphylaktischen Tieren angestellt hatten, waren einfach in der
Weise ausgeführt, dass diejenigen Meerschweinchen, welche
bei der ersten Reinjektion mit dem Leben davon gekommen
waren, nach einiger Zeit eine zweite Injektion subkutan er¬
hielten, wobei sich zeigte, dass diese Tiere kaum oder wenig¬
stens nur in geringem Grade erkrankten. Die Erzielung dieser
I
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
1 666
„Unempfindlichkeit“ bei bereits überempfindlichen Tieren
liess sich aber, wie weitere Versuche bei intraperitonealer Re-
injektion zeigten, und wie auch speziell von Besredka und
Steinhardt hervorgehoben wurde, nur durch die Verwen¬
dung grosser Dosen mit einiger Sicherheit für längere Zeit
erzielen, bei welcher Behandlung naturgemäss uns stets ein
grosser Prozentsatz der mit Toxin-Antitoxingemischen vor¬
behandelten Tiere einging. Wir haben daher, wie wir hier
einfiigen möchten, versucht, -durch eine systematische Steige¬
rung der Serumdosis bei der Reinjektion Immunität möglichst
ohne Verluste zu erzielen, in ähnlicher Weise, wie wir früher
auf diese Weise den Ausbruch der Ueberempfindlichkeit mit
Erfolg hatten verhindern können (1. c.). In der l at iiess sich
auch so bei bereits überempfindlichen Tieren häufig noch eine
Unempfindlichkeit wiederherstellen, wenigstens gegen die sub¬
kutane Reinjektion.
Schwieriger war es dagegen, gegen die intraperitoneale
Injektion Unempfindlichkeit von längerer Dauer zu erzielen.
Gegen diese versuchten wir auf Grund der Arbeiten von
Besredka und Steinhardt über den Mechanismus der
Antianaphylaxie, die nach ihrer Auffassung eine Desensibili-
sation im Gehirn verankerter Sensibilisine ist, durch ein kom¬
biniertes Verfahren möglichst absoluten Schutz zu erhalten,
indem wir auf die subdurale Injektion von 0,2 ccm, welche bei
unseren Tieren verhältnismässig selten tödlich *) wirkte, die
intraperitoneale Injektion von 5 ccm Pferdeserum folgen
Hessen.
Von 8 Meerschweinchen, welche 6 Wochen vorher mit Toxin-
Antitoxingemischen vorbehandelt waren, erhielten sieben am 31. V.
U,2 ccm norm. Pferdeserum subdural und .am 1. VI. 5 ccm intra¬
peritoneal injiziert.
1) subdural
0,2 ccm am 31. V.
2) intraperitoneal
5 ccm am 1. VI.
Nachprüfung zu verschiedenen
Zeiten mit 5, U ccm intraperiton.
1.
Schwerkrank
geringe Symptome
nach 5 Tagen
0?
2.
V v
* 7
V
0?
3.
* 11
V
0?
4.
„ 17
leichtkrank
5.
V
V • V
„ 28
V
V V
6.
tot in 5 Min.
— —
—
—
7.
krank
geringe Symptome
* 41
V
krank
8.
Kontrolle
— —
* 42
V
tot in 50 Min.
Wie die Nachprüfung zeigte, war durch diese kombinierte
Vorbehandlung für einige Zeit eine fast absolute Immunität
erzielt, 'die indessen vom 17. Tage ab etwas nachliess und am
41. Tage jedenfalls nicht mehr vollständig war. Die gleiche
vorübergehende Unempfindlichkeit liess sich .nun aber auch
bei den Tieren nachweisen, welche nur einmal mit grossen
Dosen vorbehandelt waren, auf deren häufige Unempfindlich¬
keit wir früher bereits hingewiesen haben. Wir haben uns aber,
besonders bei der zuerst von Rosenau und Anderson an¬
gewandten intraperitonealen Nachprüfung und wenn diese
Nachprüfung erst mehrere Wochen nach der Vorbehandlung
stattfand, davon überzeugt, dass auch derartige mit grossen
Dosen einmal Vorbehandelte Tiere später deutlich überempfind¬
lich wurden, wie dies schon Rosenau und Anderson ge¬
funden und jüngst Gay und Southard besonders hervor¬
gehoben haben.
Aus diesen Resultaten muss man schliessen, dass der anti¬
anaphylaktische Zustand bei allen mit grossen Serumdosen vor¬
behandelten Tieren nur ein vorübergehender ist, der nach
der Art der Vorbehandlung und der dabei verwandten Serum¬
dosis verschieden lange dauern kann, wobei die Individualität
der Tiere eine nicht zu übersehende Rolle spielen dürfte; keines¬
falls dürfte man aber berechtigt sein, wie dies Besredka und
Steinhardt tun, ihn als „le retour ä l’etat normal“ zu be¬
zeichnen. In dieser Hinsicht scheint mir folgender Versuch
nicht uninteressant, den wir im Anschluss an die Versuche von
Besredka und Steinhardt ausgeführt haben. Bes¬
redka und Steinhardt hatten sich gesagt, dass wenn die
U Scheinbar gibt es bei der Reinjektion eine von Zeit, Indivi¬
dualität des Tieres und Serumapplikationsform abhängige optimale,
tödlich wirkende, Dosis; so ging z. B. in einer bestimmten Versuchs¬
reihe bei der subduralen Reinjektion
von 8 mit 0,2 ccm reinjizierten Tieren nur 1 (= 12,5 Proz.) ein; während
* 6 „ 0,1 „ „ „ dagegen 3 (=50,0 Proz.) eingingen.
I „ursprüngliche Virginität“ durch die antianaphylaktische Be¬
handlung erzielt ist, dies dadurch bewiesen werden könne, dass
es gelänge, unempfindliche Tiere wieder „überempfindlich“ zu
machen. Dies ist ihnen in der Tat gelungen, die von neuem
mitkleinen Dosen behandelten Tiere waren zu einer Zeit über¬
empfindlich, wo die Kontrollen noch unempfindlich waren.
Allein damit schien uns noch nicht bewiesen, dass sie sich wie
normale Tiere verhielten. Hierzu war es erforderlich zu prü¬
fen, ob derartige Tiere ebenso schnell wie normale über¬
empfindlich würden. Zu diesem Zweck wurde der in nach-,
stehender Tabelle näher skizzierte Versuch ausgeführt.
I. Vorbehandlung
II. Nachbehandlung
28. V. 06.
a)
b)
Am 13. Tage nach der letzten Be¬
handlung nach geprüft mit
2,5 ccin norm. Pferdeserum intra¬
peritoneal bzw. 0,2 ccm subdural
a) am 10. VI. 07.
1. 245
2. 270
3. 220
4. 250
5. 250
6. 270
7. 245
8. 260
9. 270
©
©
o
tö
O
o
B
Ö
10. 255
11. 270
12. 260
+
o
o>
— I
C5
O
B
13. 245
14. 245
15. 250
16. 270
17. 295
18. 245
—
keine
V
B
CO
o
-4
*73 o
CD o
2. 5
o
dp
CD
B
19. 260
20. 245 I
21. 245 ’
keine
V
n
7)
V
V
V
V
0,2 sub. = krank
2,5 ip. = tot 25 Min.
0.2 subd. = tot 12 Min.
2,5 ip. = krank
b) am 16. VI. 07.
0,2 subd. keine deutl. Sympt.
2,5 ip. = 0 ? keine deutl. Sympt.
am 5.VI.07
V
aml0.VI.07
CD
©
©
o
IO
-s
es
SO
P
aml5.VI.07
f
+
I o
to Ol
o
©
ani20.VI.07
e
er
FT
je
Ct“
fc*
P
c) am 18. VI. 07.
0,2 subd. = ? keine deutl. S.
0,5 ip. = krank
d) am 22. VI. 07.
2,5 ip. = 0 ? keine deutl. Sympt.
0,2 subd. = 0 ? keine deutl. S.
e) am 28. VI. 07.
2,5 ip. = 0 ? k. d. S.
f) am 3. VII. 07.
2,5 ip. = tot 50 Min.
Das Resultat dieses Versuches lässt sich kurz dahin zu-
sammenfassen, dass durch die Vorbehandlung mit grossen
Dosen antianaphylaktisch gewordene Tiere sich nicht so
schnell anaphylaktisieren lassen wie normale; eine gleiche Rc-
anaphylaktisierung wurde erst erreicht, wenn seit der antiana-
phylaktisierenden Behandlung mit der grossen Serumdosis einige
Zeit (1 Monat) verstrichen war, eine Beobachtung, die in
Uebereinstimmung stehen würde mit der oben gemachten An¬
gabe, dass der antianaphylaktische Zustand nur vorüber¬
gehend ist.
Bei weiteren Versuchen über die Serumiiberempfindlich-
keit haben wir nun eine Reihe von Experimenten angestellt,
welche darauf hinauszielten, die früher von uns nicht näher
erörterte Frage nach dem Wesen der anaphylak¬
tischen Reaktion näher zu analysieren. In unserer
ersten Arbeit waren wir auf diesen Punkt nur insoweit ein¬
gegangen, als wir das Theobald Smith sehe Phänomen zu
den von v. Pirquet und Schick als „sofortige allgemeine
Reaktion“ bezeichneten klinischen Serumkrankheitserschei¬
nungen gerechnet hatten. Die von diesen Autoren ausge¬
sprochene Ansicht, dass die Serumkrankheit durch die Reaktion
von bestimmten Antikörpern hervorgerufen würde, ist später
von Rosenau und Anderson, Currie [10], Nie olle
[11 und 12] und anderen vertreten worden. Dass diese Körper
allerdings nicht einfache Präzipitine sein konnten, ergab sich
schon aus dem Umstand, dass sich in vitro im Blute der über¬
empfindlichen Individuen durchaus nicht immer Präzipitine
nachweisen Hessen. Nach dem Bekanntwerden der More¬
schi sehen Versuche [13] lag es nun nahe zu prüfen, ob es
v
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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sich nicht auch bei der Serumkrankheit um solche Antikörper
handeln könnte, welche erst mit Hilfe der Bordet -Gen gou-
schen Methode [14] nachzuweisen waren. Wir haben daher zu¬
nächst Untersuchungen nach dieser Richtung hin angestellt, in¬
dem wir in vitro das Serum überempfindlicher Tiere mit nor¬
malem Pferdeserum und Komplement zusammenbrachten und
dann nach einer bestimmten Zeit ein hämolytisches System hin¬
zufügten. Auf diese Weise Hessen sich aber keine spezifischen
komplementbindenden Antikörper im Blute der überempfind¬
lichen Meerschweinchen nachweisen. Gleichfalls negativ ver¬
liefen Versuche, bei denen das Serum von Tieren, die nach der
Reinjektion von normalem Pferdeserum typisch schwer er¬
krankt waren, auf Komplementverlust geprüft wurde; das
Serum solcher Tiere zeigte im hämolytischem Versuch keinen
wesentlichen Verlust seiner lytischen Wirksamkeit im Ver¬
gleich zu dem Serum normaler Meerschweinchen. Es ergaben
sich somit aus diesen Versuchen keine Anhaltspunkte für die
Annahme, dass die Ueberempfindlichkeitsreaktion durch plötz¬
lichen Komplementverlust bedingt sein könnte.
Wir haben dann weiter versucht, für diejenige Ansicht
experimentelle Beweise zu bringen, welche Kretz (zitiert
nach v. Pirquet und S c h i c k) in erster Linie vertreten hat,
nämlich die, dass die Ueberempfindlichkeitsreaktion durch das
Vorhandensein sessiler Rezeptoren für Pferdeeiweiss im Meer¬
schweinchenkörper bedingt sein könne. Man hätte sich wohl
vorstellen können, dass bei der hohen Unempfindlichkeit nor¬
maler Meerschweinchen gegenüber dem Pferdeeiweiss der zur
Auslösung von freien Antikörpern notwendige „Ictus immuni-
satorius“ (Ehrlich und Morgenrot h) [15] speziell bei der
Verwendung minimaler Dosen ausbleibt. Allein die Ver¬
suche, welche mit dem Blute sowie mit den Extrakten der
verschiedensten Organe (Leber, Milz, Gehirn, Rückenmark,
Nebennieren) anaphylaktischer Meerschweinchen angestellt
wurden, Hessen keine der obigen Annahme entsprechende Tat¬
sache auffinden, weder wurde das toxische Prinzip des
Pferdeserums durch das Blut und die Organextrakte über¬
empfindlicher Tiere für andere anaphylaktische Tiere unschäd¬
lich gemacht (selbst nicht nach 24 ständigem Stehenlassen der
Gemische), noch wurde hierdurch erreicht, dass das Pferde¬
serum seine anaphylaktisierende Wirkung für normale Tiere
verlor. Die gleichen Befunde haben auch andere Autoren
erhalten (Rosena u und Anderson, B e s r e d k a und
Steinhardt, Gay und Southar d), die in ähnlicher Weise
das toxische Prinzip zu neutralisieren versucht haben.
Es wurde dann von uns geprüft, ob vielleicht das Pferde¬
serum in vivo Veränderungen erleide, sei es, dass es toxische
Eigenschaften annehme, oder aber in der Peritonealhöhle über¬
empfindlicher Tiere eine Neutralisierung seines toxischen Prin¬
zips erfolgte. Auch diese Versuche ergaben in beiden Fällen
negative Resultate. Andererseits fanden sich auch in dem
Blute serumkranker Meerschweinchen keine toxischen Stoffe
für normale Tiere.
Schliesslich haben wir dann noch untersucht, ob nicht in
dem Serum solcher Tiere, die sich nach Vorbehandlung grosser
Dosen zur Zeit refraktär erwiesen, Eigenschaften innewohnten,
welche die toxische und anaphylaktisierende Wirkung des
Pferdeserums paralysierten. Zu diesem Zweck wurden an
Meerschweinchen und Kaninchen durch ein- oder mehrmalige
Injektion von Pferdeserum (zum Teil stark präzipitierende)
Antisera gewonnen und mit diesen Seris 1. überempfindliche
Meerschweinchen vor der Injektion des Pferdeserums vor¬
behandelt, 2. das Pferdeserum vor der Injektion längere Zeit
mit ihnen in Berührung gelassen, wie dies als erste schon
Rosenau und Anderson getan hatten. Aus den angestellten
Versuchen ergab sich aber, dass weder die Vorbehandelten Tiere
gegen die toxische Wirkung der nachfolgenden Seruminjektion
geschützt waren, noch dass das Pferdeserum an seinen toxischen
und anaphylaktisierenden Eigenschaften Einbusse erlitten hatte.
Im Gegenteil, es ergab sich die merkwürdige Tatsache, dass
der Zusatz solcher Antisera die toxische und anaphylakti¬
sierende Wirkung des Pferdeserums eher noch steigerte. Ja,
bei der getrennten Injektion von Antiserum und der später
folgenden Injektion des Pferdeserums machten wir die Beob¬
achtung, dass durch die voraufgegangene Injektion die nor¬
male n M eerschweinchen überempfindlich ge¬
worden waren, da sie deutlich Krankheitserscheinungen
zeigten. Diese Tatsache erinnerte uns an frühere Beob¬
achtungen von v. Pirquet und Schick, welche um¬
gekehrt gefunden hatten, dass Kaninchen nach vorauf¬
gegangener Behandlung mit normalem Pferdeserum auf
die nachfolgende Injektion von präzipitierendem Antisernm
mit lokalem Oedem reagierten und an die Beobachtung von
Lemaire, dass bei Kaninchen, die mit Pferdeeiweiss immuni¬
siert waren, die akuten Symptome der Ueberempfindlichkeit
gerade dann am stärksten waren, wenn noch Präzipitine im
Serum der Tiere vorhanden waren.
Andererseits hatten schon Rosenau und Anderson
Versuche an Meerschweinchen ausgeführt, um zu sehen, ob
in dem Blute überempfindlicher Tiere die überempfindlich
machende Substanz frei vorhanden wäre. Sie hatten das
Serum anaphylaktischer Tiere gleichzeitig mit Pferdeserum
normalen Tieren injiziert, doch dabei (wie auch wir bei dieser
Versuchsanordnung bestätigen können) niemals Krankheits¬
erscheinungen beobachtet. Als wir aber in der Weise vor¬
gingen, dass wir ähnlich wie bei unseren genannten Versuchen
mit den „Antiseris“ zeitlich getrennte Injektionen Vor¬
nahmen, zeigte sich, dass auch bei den normalen Meer¬
schweinchen, die mit dem Serum „überempfindlicher“ Tiere
vorbehandelt waren, einder Serumkrankheit durch¬
aus ähnliches Sy mpto menbild erzeugen Hess.
Gleiche Beobachtungen hatte nun auch N i c o 1 1 e (1. c.)
nach einer späteren Mitteilung früher bei Kaninchen¬
versuchen gemacht. Behandelte er nämlich Kaninchen mit
dem Serum überempfindlicher Tiere vor, und spritzte ihnen
24 Stunden später Pferdeserum ein, so trat bei subkutaner
Injektion an der Injektionsstelle ein lokales Oedem auf, das bei
den Konfrontieren vermisst wurde und bei der intrazerebralen
Injektion gingen sogar die Tiere innerhalb 24 Stunden ein.
während die Kontrolltiere munter blieben.
Auf die Details unserer einzelnen Versuche möchte ich
hier nur insofern eingehen, als ich die Protokolle unserer ersten
diesbezüglichen Versuche, die ich Herrn Geheimrat Ehrlich
vorführen konnte, anführen will:
I. V e r s u c h.
Am 20. VI. 06 werden 3 (6—10 Wochen vorher) mit Toxin-Anti¬
toxingemischen vorbehandelte Tiere entblutet und mit dem resul¬
tierenden Serum (7,5 ccm) am 21. VI. 06 3 normale Meerschweinchen
vorbehandelt; dieselben werden nach bestimmten Zeiten mit norm.
Pferdeserum reinjiziert und zwar mit folgendem Erfolge:
L <-»
<Li E
<U 'S
£ £
U
03
1) ungezeichnet 260g 2,5ccmsiub. nach 1 Std.2,5ccm Pf.S. ip.= 0 ?
2)
Ng
260g 2,5 „
P-
„ 1
» 2,5 „
„ sc.
.= 0
3)
KR
260g 2,5 „
sc.
„ 24
* 2,5 „
» ip-
- krank
4)
Kontrolltier 260g 2,5 „
sc.
„ 1
» 2,5 „
» ip-
= 0
(Kontrolltier : Normales Meer¬
schweinchenserum)
II. Versuch.
Am 23. VI. 06 werden 2 weitere mit Toxin-Antitoxingemischen
vorbehandelte Tiere entblutet und mit dem resultierenden Serum
(6,5 ccm) am 24. VI. 06 2 normale Tiere subk. vorbehandelt. 2 Kon¬
trolltiere erhalten gleichzeitig die entsprechenden Dosen normalen
Serums; am 25. erhielten alle 4 gleichzeitig 6 ccm norm. Pferdeserum
intraperitoneal;
cu
. J5
u CJ
<V E
flj ■
u
co
1) Kr. 4ccm.sc. am25.VI 6 ccmPferdeser. ip. = kurze Zeit
schwer krank
2) Rr. 1,5 „ sc. * „ 6 „ „ ip.= „
3) Nr. 4 „ norm.S.sc. „ „ 6 „ „ ip. = 0
.4) St. r. 1,5 „ norm. S. sc. „ „ 6 „ „ ip. = 0
Die mit dem „anaphylaktischem“ Serum vorbehandelten
Tiere erkrankten also schwer unter den typischen Erschei¬
nungen der Serumkrankheit, erholten sich aber nach einiger
Zeit völlig. Die Kontrollen blieben dagegen dauernd gesund.
Aus diesen Versuchen ergab sich demnach, dass die normalen
Tiere durch die Vorbehandlung mit „anaphylaktische m“
Serum die Eigenschaft erworben hatten, auf die nach¬
folgende Injektion von Pferdeserum in derselben Weise zu
reagieren, wie solche Tiere, welche durch die Vorbehand¬
lung mit Pferdeserum aktiv überempfindlich gemacht worden
waren. Es war uns somit gelungen, passiv so¬
wohl mit dem Serum solcher Tiere, welche
Ueberempfindlichkeit zeigten, als auch sol¬
cher, die zur Zeit unempfindlich waren, die
i*
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No. 34.
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Disposition zur Serumkrankheit zu über¬
tragen.
Diese wichtige Tatsache der Möglichkeit einer Ueber-
tragung der Anaphylaxie durch das Blut vorbehandelter^ Tiere
ist inzwischen auch in allerjüngster Zeit von Gay und Sout-
hard [16] gefunden worden, denen es gleichfalls gelang, so¬
wohl durch das Blut überempfindlicher als auch refraktärer
Meerschweinchen die Anaphylaxie auf andere 1 iere zu über¬
tragen. Allerdings ziehen diese Autoren nicht den Schluss,
dass es sich hierbei um eine passive Uebertragung der Ana¬
phylaxie handele, sondern sie nehmen auf Grund ihrer Ver¬
suche, bei denen sie die Prüfung der Tiere stets nur nach 15
Tagen vorgenommen haben, an, dass in dem Körper der erst
behandelten Tiere, von denen das Blut gewonnen wurde,
„nicht neutralisierte Reste“ des Pferdeserums (die sie mit dem
Namen „A n a p h y 1 a k t i n e“ belegen) zurückgeblieben seien,
die dann, auf das zweite Tier übertragen, dieses in der ge¬
nannten Zeit anaphylaktisierten. Gegen diese Auffassung einer
aktiven Anaphylaktisierung durch die „Anaphylaktine“ spricht
nun allein schon der Umstand, dass es N i c o 1 1 e (1. c.) und
mir gelang, schon 24 Stunden nach der Injektion bei den
Tieren Ueberempfindlichkeitserscheinungen zu beobachten.
Ferner die Tatsache, dass in dem Serum der vorbehandelten
Tiere, diese Stoffe erst nach einigen Tagen vorhanden waren.
Man wird daher nicht fehl gehen, wenn man annimmt, dass es
sich hier um die Wirkung echter Antikörper
handelt, die im Meerschweinchenkörper entstehen.
Was die Natur dieser anaphylaktisierenden Anti¬
körper anbetrifft, so ist dieselbe noch ziemlich dunkel. Mit
ihrem Antigen reagieren sie scheinbar in vitro und in vivo in
keiner nachweisbaren Weise; mit den Präzipitinen sind sie
sicher nicht identisch, da sie sowohl in hochwertigen präzipi-
tierenden Seris Vorkommen, als auch in solchen, die keine Spur
von Präzipitinen enthalten; aus -dem gleichen Grunde sind sie
ebensowenig identisch mit den komplementbindenden Eiweiss¬
antikörpern. Sie vertragen nach unseren Erfahrungen die ein-
stündige Erhitzung von 55 0 C ohne wesentliche Abschwächung.
Ihre Wirkung in vivo wird durch vorherigen Zusatz von Kom¬
plementen (normalen Meerschweinchenserums) weder gestei¬
gert noch abgeschwächt. Auch der Zusatz normalen Pferde¬
serums neutralisiert ihre Wirkung nicht, dagegen erhöhen sie
scheinbar die anaphylaktisierende Wirkung des Pferdeserums.
Sie finden sich sowohl im Serum gesunder überempfindlicher
Tiere als auch in dem Serum solcher überempfindlicher Meer¬
schweinchen, welche nach der Injektion von Pferdeserum in
typischer Weise erkrankt sind. Es findet demnach auch bei
der Reaktion in vivo keine völlige Neutralisation dieser Körper
statt. Besonders charakteristisch ist für sie die schon oben
erwähnte Tatsache, dass sie stets getrennt und vor dem
Pferdeserum injiziert werden müssen, um die Meerschwein¬
chen gegen die nachfolgende Pferdeserumiujektion überemp¬
findlich zu machen. Daraus haben wir geschlossen, dass, um
die Ueberempfindlichkeit zu erzeugen, eine gewisse Verteilung
dieser Körper im Organismus und eine Verankerung derselben
an die Körperzellen der Tiere stattgefunden haben muss, ehe
die Reaktionsfähigkeit der letzteren gegenüber dem normalen
Serum geändert wird 2).
Zur Uebertragung der Anaphylaxie genügen selbst ge¬
ringe Dosen, So fanden wir in Uebereinstimmung mit Gay
und Southard nach der Injektion von 0,1 ccm anaphylak¬
tischen Serums bei der nachfolgenden Injektion von 5 ccm nor¬
malen Pferdeserums deutliche Symptome der Ueberempfind¬
lichkeit. Im allgemeinen schien es, als ob die Wirksamkeit
der anaphylaktischen Sera deutlicher zutage trat, wenn man
die Nachprüfung nicht an dem nächsten Tage, sondern erst in
späteren Tagen vornahm. In letzterem Falle haben wir Krank¬
heitserscheinungen nie vermisst, sobald wir das anaphylakti¬
sierende Serum (1,5— 4,0) subkutan und später das normale
Pferdeserum 2,5— 5,0 ccm intraperitoneal gaben. Es wäre
noch hinzuzufügen, dass das anaphylaktisierende Serum an
2) Die spezifisch wirksamen Stoffe in dem Blutserum der mit
fi emdartigem Eiwciss vorbchan-delten Tiere könnte man vielleicht als
,,a naphylaktische Reaktionskörper“ bezeichnen (vgl.
Stadel mann und Wolf-Eisner: lieber Typhus und Koli-
sepis etc.; diese Zeitschr. 1907, No. 24).
und für sich weder bei überempfindlichen noch bei normalen
Tieren sichtbare Krankheitserscheinungen auslöste, sondern
anscheinend stets reaktionslos vertragen wurde.
Bezüglich der Dauer der (passiven) Ueberempfindlichkeit
nach -der Injektion des anaphylaktisierenden Serums können
wir noch keine endgültigen Angaben machen, da unsere Nach¬
prüfungen nur bis zum 13., die von Gay und Southard
nur bis zum 15. Tage reichen, bis zu welcher Zeit mit
Sicherheit die Ueberempfindlichkeit konstatiert werden konnte.
Es dürfte indessen sicher sein, dass die Dauer der Ueber¬
empfindlichkeit noch eine viel länger anhaltende ist. Hierfür
sprechen wenigstens die Versuche, welche xvir an den Jungen
überempfindlicher Mütter anstellen konnten. Wie aus der
folgenden Tabelle ersichtlich ist., liess sich bei derartig jungen
Meerschweinchen noch bis zum 44. Lebenstage mit Sicherheit
die typische Ueberempfindlichkeitsreaktion durch Injektion von
Pferdeserum erzielen. Nach 72 bezw. 73 Tagen war dieselbe
allerdings undeutlich geworden oder fast 0.
tot krank gesund
1) 2 Junge 2 Tage alt 2,5 ccm. norm. Pferdeserum subk. 11 —
2) 2
V
3
V
v 2,5
V
V
V
V
—
2 —
3) 1
V
4
»
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V
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V
V
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v 2,5
V
V
V
V
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9) 1
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73
V
* 2,5
V
V
V
V
—
— 1?
Da
nun
die Uebertragung der Ueberempfindlichkeit auf die
Jungen durch die Mutter höchst wahrscheinlich schon intra¬
uterin stattgefunden haben wird, so dürften sich diese Daten
für die Dauer der passiven Anaphylaxie verwenden lassen.
Dies wird um so mehr erlaubt sein, als bekanntlich die Jungen
der Meerschweinchen nur kurze Zeit saugen und frühzeitig an¬
fangen, sich andere Nahrung zu suchen. Es wird also eine
nennenswerte Uebertragung von spezifischen Antikörpern
durch die Milch kaum stattfinden können.
Wir möchten bei der Gelegenheit noch erwähnen, dass in
allerdings nur einem Falle, bei -dem die passive Erzeugung der
Ueberempfindlichkeit durch ein heterologes Serum (Pferde-
Kaninchen-Serum) stattfand, sich im Gegensatz zu obigen Ver¬
suchen am 19. Tage keine Ueberempfindlichkeitsreaktion bei
den vorbehandelten Meerschweinchen mehr nachweisen liess,
nachdem dieselbe am 5. Tage noch deutlich vorhanden ge¬
wesen war.
1. ) 5 Meerschweinchen, vorbehandelt subkutan, mit fallenden Dosen
(0,1— 2,5 ccm) Pferde-Kaninchenserum werden nach 48 Stunden
nachgeprüft mit 2,5 ccm norm. Pferdeserum intraperitoneal =
krank.
2. ) 1 Meerschweinchen subkutan mit je 1,0 ccm vorbehandelt, nach¬
geprüft mit 2,5 ccm Pferdeserum' intraperitoneal nach 5 Tagen
= schwer krank.
3. ) 1 Meerschweinchen, subkutan mit je 1,0 ccm vorbehandelt, nach¬
geprüft mit 2,5 ccm Pferdeserum intraperitoneal nach 19 Tagen
Auch diese Beobachtung würde -dafür sprechen, dass es
sich hier um wirkliche Antikörper handelt, deren Funktion an
das Eiweiss gebunden ist, da auch bei den bisher be¬
kannten spezifischen Antikörpern die Tatsache festgestellt ist,
dass sie eine längere Wirksamkeit bei der Uebertragung homo¬
logen Serums, als der heterologen Serums besitzen. Schliess¬
lich möchten wir gleich hier noch kurz erwähnen, -dass spätere
Nachprüfungen der passiv anaphylaktisierten und dann mit
Pferdeserum nachbehandelten Tiere im Durchschnitt eine stär¬
kere Ueberempfindlichkeit an den Tag legten als bei solchen
I ieren, die allein mit Pferdeserum behandelt waren. Ob es
sich hierbei um eine Summation der passiv und aktiv erzeugten
Ueberempfindlichkeitsphänomene handelt oder um eine durch
die Vorbehandlung mit anaphylaktischem Serum gesteigerte
Anaphylaxie muss vorläufig dahingestellt bleiben.
Nachdem somit die Möglichkeit einer passiven Uebertra¬
gung der Ueberempfindlichkeit auf Grund der an verschiedenen
Orten ausgeführten Experimente als sicher erwiesen angesehen
werden kann, musste es immerhin als paradox erscheinen, dass
ausser dem Serum überempfindlicher auch dasjenige solcher
Tiere, welche zur Zeit nach der Behandlung mit grossen Dosen
unempfindlich waren, imstande war, auf normale Tiere über-
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tragen, diese überempfindlich zu machen. Allerdings lag aus
der Immunitätslehre eine Reihe von Tatsachen vor, die dafür
sprachen, dass Immunität und Ueberempfindlichkeit neben¬
einander Vorkommen können (es sei nur auf die grundlegenden
Beobachtungen v. Behrings und Richets hingewiesen), und
in neuerer Zeit hatte besonders v. Pirquet mit Nachdruck
auf das enge Verbundensein beider Erscheinungen bei der Vak¬
zination [17, 18] und uns interessierenden Serumkrankheit hin¬
gewiesen. Er hatte deshalb für die veränderte Reaktionsfähig¬
keit eines vorbehandelten Organismus den allgemeinen Aus¬
druck „Allergie“ vorgeschlagen, womit bezeichnet werden soll,
dass der betreffende Organismus durch die Vorbehandlung eine
Abweichung von der ursprünglichen Verfassung, d. h. dem
Verhalten des Normalen, erlitten hat. Eine Erklärung des oben
geschilderten Phänomens, dass das Blut über- und unempfind¬
licher Tiere in gleicher Weise überempfindlichmachend wirkt,
war damit jedoch nicht gegeben und dürfte erst weiterer Unter¬
suchungen benötigen. Einen Fingerzeig, nach welcher Rich¬
tung hin sich diese zu erstrecken haben werden, scheint durch
die folgende, von uns angestellte Beobachtung gegeben zu sein.
Es zeigte sich nämlich, dass das Serum solcher überempfind¬
licher Tiere, die mit minimalen Dosen vorbehandelt waren,
schon dann für andere Tiere, wenn auch nur in geringem
Grade, anaphylaktisierend wirken kann, wenn die Serumspen¬
der selbst noch nicht überempfindlich waren, dass also auch
diese später hoch überempfindlichen Tiere die kurze Zeit von
einigen Tagen eine „refraktäre“ Periode durchmachten, wie
aus dem nachfolgenden Versuche ersichtlich ist.
Von einer Anzahl Meerschweinchen, die zu Priifungszwecken
0 57
am 21. VI. mit 0,002 ccm Serum antidiph. ’-f- ^ Diphtherietoxin
vorbehandelt sind, werden
A.
1. ) a m 26. VI. : 5 Tage nach der Injektion:
2 Tiere geblutet.
Von dem Serum 2,0 ccm einem norm. Meerschweinchen am 27. subk.
injiziert. Dieses erhält nach 48 Stunden: 5 ccm norm.
Pferdeserum intraperitoneal
das Tier bleibt = 0.
2. ) a m 29. VI : 8 T a g e nach der Injektion:
3 Tiere geblutet.
Von dem Serum erhalten 2 norm. Meerschweinchen am 30. VI. je
2 ccm subk. injiziert. Beide erhalten nach 48 Stunden:
je 5 ccm norm. Pferdeserum intraperitoneal
beide = krank, zeigen leichte Symptome.
3.) am 1. VII. : 10 Tage nach der Injektion:
3 Tiere geblutet.
Von dem Serum erhalten 2 norm. Meerschweinchen am 3. VII. je
2 ccm subk. injiziert. Beide erhalten nach 48 Stunden norm.
Pferdeserum
a) 2,5 ccm intraperitoneal
= ?
b) 5,0 ccm intraperitoneal
= leichte Symptome.
B.
1. ) 1 Prüfungstier vom 21. VI. (11 Tage nach der
Injektion)
erhält 5 ccm norm. Pferdeserum intraperitoneal
keine deutlichen Symptome.
2. ) 1 Prüfungstier vom 21. VI. (13 Tage nach der
Injektion)
erhält 5,0 ccm norm. Pferdeserum intraperitoneal
= schwer krank.
In dem vorliegenden Falle war also am 11. Tage nach der
Injektion des Pferdeserums noch keine deutliche Ueberempfind-
lichkeit bei den Prüfungstieren vorhanden. Das dürfte öfters
der Fall sein. Schon in unserer früheren Arbeit haben wir
angegeben, dass die Anaphylaxie bei den mit minimalen Dosen
vorbehandelten Tieren meist in der 2. Woche nicht deutlich ist,
und auch Rosenau und Anderson fanden erst am 10. und
11. leichte Krankheitserscheinungen, während der erste Todes¬
fall in ihrem Protokoll erst am 12. bezw. 17. Tage verzeichnet
ist. Da nun auch Gay und Southar d besonders hervor¬
heben, dass man im allgemeinen die Inkubationszeit für die
Anaphylaxie auf 14 — 15 Tage festsetzen soll, wir aber oben
gesehen haben, dass das Serum derartiger Tiere bereits
am 8. Tage anaphylaktisierend auf normale Tiere wirken kann,
so ergibt sich hieraus, dass in der Tat auch bei diesen Tieren
etwa vom 8. bis 10. Tage eine bald verschwindende Unempfind¬
lichkeitsperiode besteht. Damit wird auch das Serum der
„überempfindlichen“ Tiere in Analogie gesetzt mit dem (schein¬
bar) „refraktärer“ Tiere. Wir können somit bei allen mit
Serum einmal vorbehandelten Tieren 3 Perioden unter¬
scheiden :
1. eine solche, wo das Blut frei ist von anaphylaktisieren-
den Körpern und die Tiere nicht überempfindlich sind;
2. eine solche Periode, wo das Blut anaphylaktisierend
wirkende Körper enthält, aber die Tiere selbst noch nicht über¬
empfindlich sind; und eine
3. Periode, in der das. Blut anaphylaktisierende Körper
enthält, gleichzeitig aber die Tiere selbst überempfindlich er¬
scheinen.
Diese Feststellung liefert uns nun ein Verständnis für das
verschiedene Verhalten der mit grossen und minimalen Dosen
behandelten Tiere. Der Hauptunterschied ist ein rein zeit¬
licher und liegt darin, dass bei allen Tieren zwar die 1. und
3. Periode vorhanden ist, dass aber die 2. bei den mit mini¬
malen Dosen vorbehandelten Tieren nur angedeutet ist, wäh¬
rend sie bei den mit grossen Serumdosen vorbehandelten
Tieren sich über lange Zeit (mehrere Wochen) ausdehnen kann.
Während dieser langen Zeitperiode wirkt ihr Blut zwar
anaphylaktisierend für andere Tiere, während sie selbst un¬
empfindlich erscheinen.
Diese Unempfindlichkeit dürfte nun bedingt sein durch
einen Stoff, der mit dem Pferdeserum eingeführt wird und erst
sehr langsam aus dem Organismus verschwindet. Hierfür
spricht einmal die Tatsache, dass diese Unempfindlichkeits¬
periode von der Grösse der applizierten Serumdosis ab¬
hängt, und zweitens die von Lemaire [16] gemachte
Beobachtung, dass bei überempfindlichen Kaninchen Serum-
Krankheitserscheinungen nur dann auftreten, wenn das Anti¬
gen aus dem Körper verschwunden war. Es steht dem nichts
im Wege anzunehmen, dass auch bei unseren Meerschweinchen
bestimmte Reste des injizierten Pferdeserums lange Zeit im
Körper der Tiere (intrazellulär verankert?) bleiben und dass
dadurch der Eintritt bezw. akute Verlauf der Ueberempfind-
lichkeitsreaktion verhindert wird. Auch Gay und Sout-
h a r d sind der Ansicht, dass die mit grossen Dosen vorbehan¬
delten Meerschweinchen so lange refraktär sind, als sie be¬
stimmte nicht-nentralisierte Reste des Pferdeserums enthalten;
diese Substanz soll — wie sie annehmen — dieselbe sein,
welche bei der Blutübertragung auf normale diese überemp¬
findlich macht. Nach unseren Untersuchungen können wir
allerdings diese Ansicht nicht teilen.
Resümieren wir die Resultate, welche sich aus unseren
Untersuchungen, die wir zurzeit aus äusseren Gründen ab¬
brechen mussten, ergeben, so lassen sich dieselben in folgender
Weise zusammenfassen:
1. Durch die •einmalige Vorbehandlung mit fremdartigem
Serum wird der Organismus der vorbehandelten Meerschwein¬
chen in der Weise umgestimmt, dass er auf die nach geeigneter
Zeit erfolgende Reinjektion mit typischen, akut einsetzenden
Krankheitserscheinungen reagiert. .
2. Diese Krankheitserscheinungen lassen sich auch bei nor¬
malen Tieren beobachten, wenn sie mit dem Serum dei artiger
Tiere vorbehandelt werden.
3. Die durch die erste Injektion gesetzte „Ueberemnfind-
lichkeit“ kann durch bestimmte, im Körper vorhandene Reste
des Antigens abgeschwächt oder ganz verhindert werden, so
dass eine scheinbare „Unempfindlichkeit resultiert. Die Dauer
dieser Unempfindlichkeitsperiode ist abhängig von der Serum¬
dosis bei der ersten Seruminjektion.
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Heilerfolg, Giftwirkung und opsonischer Index bei Be¬
handlung mit Marmoreks Antituberkuloseserum.
Kasuistischer Beitrag.
Von Dr. Gustav B a e r, II. Arzt der Anstalt.
Unter den im Sanatorium mit Marmorekserum behandelten
Fällen verdient folgender wegen seiner aussergewöhnlichen
Verlaufsweise praktisches wie theoretisches Interesse.
Frl. X., 23 Jahre, trat am 14. I. 07 ins Sanatorium ein. Von
anamnestischen Daten ist anzuführen, dass ihre Mutter an Lungen¬
tuberkulose starb; sie selbst war ein schwächliches Kind, das mit
6 Jahren an Koxitis litt, mit 11 Jahren eine Lungenentzündung durch¬
machte. Patientin war stets etwas nervös, jedoch wurden nie hyste¬
rische Symptome beobachtet. Vor 6 Jahren begann Patientin zu
husten, dazu gesellte sich nervöse Erregbarkeit und Mattigkeit; es
waren oftmals Temperatursteigerungen bis 38,0 vorhanden. Ver¬
schiedene klimatische Kuren kamen in Anwendung, von denen nur der
ein Jahr währende Aufenthalt im Hochgebirge wirksamen Erfolg —
Verschwinden der Symptome unter starker Gewichtszunahme —
brachte. Im Oktober 1906 beginnen Schmerzen im linken Knie auf¬
zutreten, allmählich stellen sich Schwellung und Fieber ein. Unter
Bier scher Stauung nehmen die Schwellung, aber nicht die Schmer¬
zen ab. Seit Dezember hustet Patientin wieder, aber ohne Auswurf
zu liefern. Die Untersuchung ergibt kräftiges, etwas pastöses Mäd¬
chen mit flachem Thorax. Die rechte Lungenspitze ist etwas ein¬
gesunken; leichte Dämpfung rechts über und auf der K'avikula, hinten
bis unter die Spina scapulae mit rauhem Inspirium und verlängertem,
verschärften Exspirium, sowie feinen Rasselgeräuschen; auch links
hinten oben abgeschwächtes, rauhes Inspirium mit ves.-bronch. Ex¬
spirium.
Im Sputum nie Tuberkelbazillen. Das Herz ohne Besonderheiten,
Puls 86, regelmässig. Die Temperatur (Mundmessungen) sehr
schwankend (37,5 — 38,4). Im Urin kein Eiweiss, kein Zucker. Das
linke Kniegelenk weist im Bereiche des Condylus internus tibae eine
mässige Schwellung und Schmerzhaftigkeit auf; die aktive und pas¬
sive Beweglichkeit des Gelenkes ist sehr herabgesetzt. Das Knie
wurde immobilisiert und am 12. I. sowie am 2. II. mit Injektionen von
Jodoformglyzerin in den Krankheitsherd behandelt. Sie verursachten
starke lokale Reaktion, ohne den gewünschten Erfolg zu bringen.
Es wurde deshalb am 14. II. 07 mit Marmorekserum begonnen, täglich
1 1 Uhr a. m. 5 ccm rektal. Etwa eine Stunde nach jedem
Serumklysma stellte sich Hitzegefühl, Klopfen und Schmerz im 1. Knie
ein, um nach Vz — 3U stiindiger Dauer wieder zu verschwinden, bei
den ersten Klysmen stärker, als später. Das Knie war bereits nach
den ersten Dosen abgeschwollen und viel weniger schmerzhaft, das
Allgemeinbefinden sehr gebessert.
Temperatur (vor der Behandlung bis 38,3) sinkt lytisch ab, er¬
reicht nach der 6. Dosis nur noch 37,3.
Am 20. II. (nach der 7. Eingiessung) beginnt aus bestem Wohl¬
befinden heraus 5 Uhr p. m. plötzlich hochgradige Bangigkeit und
Herzklopfen, Schwindelgefühl und Flimmern vor den Augen. Puls 132,
Atmung regelmässig, nicht beschleunigt. Rascher '1 emperaturanstieg
von 36,8 (4 Uhr) auf 38,3 (6 Uhr).
Zunehmende Uebelkeit ohne Erbrechen.
7 Uhr: Puls 90. regelmässig, kräftig. Intensive Kopfschmerzen.
Pupillen: weit, etwas träge reagierend. Sehen sehr erschwert, nur
undeutliche Bilder. Gehörshalluzinationen: Klingen von Glocken,
später Gehörperzeptionen fast erloschen.
8 Uhr: Zunehmendes Schwindelgefühl; Patientin glaubt zu
fliegen; Präkordialangst, hochgradige Aufgeregtheit und motorische
Unruhe. Puls: 96, etwas unregelmässig, kleiner und weicher werdend.
Temperatur 37,8; Atmung fängt an sieh periodisch zu vertiefen und
zu verlangsamen. Hochgradige periphere Zyanose mit Kältegefühl,
kein Schweiss.
Pupillen: sehr weit, noch träger reagierend. Lebhafte Schmerzen
im linken Knie.
Allmählich bildet sich Chevne-Stokes sehe Atmung aus
mit sehr grossen Atempausen. Puls sehr unregelmässig, alle 5 — 6
Schläge aussetzend, sehr klein, 100 — 110.
Vs 1 0 Uhr: Kopfschmerz und Schwindel noch gesteigert. Be¬
ginnende Schwerbesinnlichkeit. Patientin reagiert nur noch auf
stärkeres Anrufen, dabei Zusammenschrecken. Augen oft starr
fixierend. Seltener Lidschlag. Zunge schwer beweglich, Schluckakt
behindert. Sehr verlangsamter Denkakt (Rechnen). Personen werden
noch richtig erkannt. Reflexe nicht gesteigert. Hochgradige Un¬
ruhe (Zittern, Flockenlesen, Herumfuchteln mit den Armen). Die
Behandlung war rein symtomatisch: Eisblase auf dem Kopf, einige
kräftige Dosen Kognak, Bromnatrium.
11 Uhr: Atmung wird wieder regelmässiger; Puls 104, ziemlich
kräftig, regelmässig. Sensorium noch sehr benommen. Nacken etwas
steif und auf Druck empfindlich. Pupillen gut reagierend.
21. II.: Patientin war bis 5 Uhr sehr unruhig, nicht klar, wenig
geschlafen; dann Wz Stunden geschlafen, darnach Sensorium freier.
8 Uhr: Puls 104, kräftig, regelmässig. Intensive Kopfschmerzen.
Pupillen: normal. Temperatur 37,7. Tagsüber Kopfschmerzen
schwindend. Puls: kräftig. 72. Temoeratur: herabgehend auf 36.8.
Im Urin: kein Eiweiss, kein Zucker. Keine Ervtheme. Abends steigt
die Temperatur nochmals auf 37,7 an, dabei Puls wieder frequenter
(102) und etwas unregelmässig.
22. II.: Alle Erscheinungen geschwunden. Die Serumbehandlung
(2Vs ccm) wird am 25. II. von neuem begonnen, am 27. II. die gleiche
Dosis wiederholt. Am 28. II. nach schlecht verbrachter Nacht
morgens Kopfschmerzen und Schwindelgefühl, Atmung und Puls un¬
verändert. Temperatur 37.9. Knie schmerzhaft.
Am 1. III: Mittags sind alle Erscheinungen zurückgegangen, nur
Temperatur abends 8 Uhr auf 38.4 erhöht. Vom 2. III. bis 12. III. alle
2 Tage, am 15. III. nach 3 tägigem Intervall, 5 ccm Serum, ohne Störung.
Im Knie keine spontanen Schmerzen mehr, nur noch geringe Druck¬
empfindlichkeit. Die Temperaturen (s. Kurve) sind, von einigen
leichten Erhebungen abgesehen, fortan meist normal (Rektal-
1 — 2
temperaturen nur höher). Am 21. III. — 6 Tage nach der letzten
Serumdosis — beginnen Schmerzen und Schwellung in der Grund¬
phalanx des rechten IV. Fingers; die Serumbehandlung (2 tägig
5 ccm) wird wieder aufgenommen; zugleich lokale Stauung und Be¬
sonnung. Seit 1. IV. Finger schmerzfrei und völlig zur Norm zurück¬
gegangen. Wegen wieder auftretender Knie- und Fingerbeschwerden
am 3. IV. nochmals 5 ccm Serum, desgleichen am 7. IV. Im Anschluss
an diese letzte Eingiessung beginnen schon einige Stunden später
Kopfschmerzen. Magenbeschwerden und Sehstörungen. Puls: 90,
Temperatur: 37,8. Abends Schwellung am rechten Handgelenk
(dorsal); Haut intensiv gerötet, infiltriert und heiss sich anfühlend. Das
Gelenk selbst auf Druck und bei Bewegung empfindlich. Finger und
Knie reagieren nicht mit. Am 8. IV. Schwellung und Rötung ge¬
schwunden.
Am 17. IV. plötzlich eintretende Schmerzen im linken II. Finger
(Endphalanx), am 18. IV. auch im III. Finger (Grundphalanx); beide
Finger schwellen an. Keine Temperatursteigerung.
Unter Serumbehandlung, lokaler Stauung und Besonnung seit
25. IV. Finger wieder fast normal.
Die Röntgenaufnahme ergibt keinen sicher nachweisbaren Be¬
fund am Knie, an der Grundphalanx des linken III. Fingers einen etwa
stark hanfkorngrossen, dunklen Herd, sonst an den Händen nichts
pathologisches. Patientin erhält eine L i e r m a n n sehe Gehschiene,
die sie seitdem mit gutem Erfolge trägt.
Am Knie zeigt sich nur noch eine leichte Schwellung und Druck¬
empfindlichkeit an dem Krankheitsherde.
In 2 — 4 tägigen Intervallen weiterhin je 5 ccm Serum, das ohne
Störungen vertragen wird.
Am 19. V. (2 Tage zuvor Serum nach 5 tägiger Pause) schmerz¬
hafte höckerige Rötung und Schwellung an der Mittelphalanx des
rechten IV. Fingers, sowie des linken II. Fingers, an der Grundphalanx
des linken III. Fingers (hier am stärksten mit Schmerzhaftigkeit des
Mittelgelenks), sowie der Grund- und Mittelphalanx des IV. Fingers.
Die Haut zeigt an diesen Partien ein weissgelbliches Zentrum, darum
erhöhter, roter Hof, C-förmig oder auf Fingerdruck beständiges röt¬
liches Zentrum mit ödematösem. weisslichen Hof, dieser wieder röt¬
lich umgrenzt. Lebhaftes Brennen und Jucken in diesen Partien.
Die Erscheinungen gehen nur langsam zurück; deshalb wird vom
24. — 27. V. wieder täglich 5 ccm Serum gegeben. Die Periostgelenk-^
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1671
schmerzen der Finger werden wesentlich gebessert, dagegen bleibt
die Hautaffektion unverändert.
Am 2. VI., nach 5 tägiger Pause, nochmals 5 ccm Serum; schon
eine Stunde darnach starke Schmerzen im rechten IV. Finger,
Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, psychische Depression;
abends Symptome verstärkt, 8 Uhr 37,7; von V2IO Uhr an bildet sich
der Anfall aus, ähnlich dem am 20. 11. Vorherrschend sind diesmal
die zerebralen Erscheinungen; Bewusstlosigkeit mit geringen Unter¬
brechungen andauernd bis 2 Uhr nachts. Pupillen sehr träge rea¬
gierend, bei etwas klarerem Bewusstsein (nach sehr starkem An¬
rufen) prompte Reaktion auf Bichteinfall.
puls: 90—IOO, sehr unregelmässig, aussetzend. Atmung ober¬
flächlich, beschleunigt.
Am 3. VI. noch sehr grosse Schwäche, verlangsamter Denkakt,
Sehstörungen. Puls und Temperatur wieder normal. Im Urin kei l
Zucker, kein Albumen. Finger noch empfindlich, das Knie reagierte
nicht mit. _ _
Hiermit wurde die Serumbehandlung abgeschlossen. Der (je-
samtverbrauch war in 37 Dosen 177,5 ccm.
Nach dem letzten Anfall bleibt eine Zeitlang eine gewisse Denk¬
trägheit und leichte Schwäche in den Augen bestehen, ebenso leichte
Schmerzen in beiden IV. Fingern, sowie am linken Mittelfinger. Im
Knie kein Schmerz mehr, auch nicht auf Druck. Patientin geht ohne
Beschwerden, fühlt sich kräftig, psychisch keinerlei Störungen, ausser
geringer Gedächtnisschwäche.
Wenn wir das ganze Kronkheitsbild nochmals überblicken,
so hebt sich daraus die evidente Tatsache hervor, dass bei
einem frischen Fall von Kniegelenktuberkulose mit starken
aktiven Erscheinungen durch Anwendung des Marmorek-
serums der Prozess zum Stillstand und Abklingen gebracht
wurde. Schwieriger zu beantworten sind die Fiagen, in
welcher Weise das Serum im menschlichen Körper seine Wirk¬
samkeit entfaltet, sowie speziell wie die trotz des zweifellosen
Erfolges so alarmierend aufgetretenen Anfälle zu erklären sind.
Es lag hier der Gedanke nahe, die mit ausserordentlicher
Vehemenz sich bis zum Symptomenbild des Gehirnödems
steigernde Attacke als Serumkrankheit aufzufassen, besonders
da im weiteren Verlaufe der Behandlung deutliche Serum¬
erscheinungen zu konstatieren waren.
Der einzige Fall von Serumkrankheit, der hier in Parallele
gesetzt werden könnte, ist dfer von Rosenhaupt1) be¬
schriebene. Hier trat 8 Tage nach der Injektion von 16 ccm
Diphtherieserum urtikariaähnlicher Ausschlag mit Oedem über
den ganzenKörper auf ; dazu gesellte sich starkeDyspnoe
und Zyanose der Lippen und Nägel, ausserdem
Temperaturerhöhung bis 39,2 und perikardialer Er-
guss.
Im Gegensätze dazu jedoch fehlten in unserem Krankheits¬
bilde zur Zeit der schweren Anfälle jegliche Erscheinungen von
seiten der Haut, ebenso die meist bei Serumkrankheit beob¬
achteten schmerzhaften Arthralgien und Myalgien, sowie Reiz¬
erscheinungen seitens der Nieren. Wäre der Symptomen-
komplex durch Einverleibung artfremden, id est Pferdeserum,
hervorgerufen worden, so müssten die unmittelbar nach den
Attacken angestellten Präzipitinreaktionen — auf Grund der
Beobachtungen von Marfan und L e P 1 a y 2) — positiv aus¬
gefallen sein.
Unsere beiden Versuche, Mischen von Pferdeserum mit
dem Serum der Patientin in verschiedenen Konzentrationen
(von 1 : 1 bis zu 1 : 100) und Beobachtung der Reaktion im Brut¬
ofen, waren absolut negativ.
Die Symptome deuten vielmehr darauf hin, dass es sich
um eine Ueberladung des Organismus mit Tuberkulotoxinen
handeln muss. Hierfür spricht auch das eigenartige Verhalten
der Kurve des opsonischen Index, worauf wir später noch zu-
riiekkommen werden.
Wir können annehmen, dass vom Krankheitsherde aus die
gesamte Blutbahn mit gelösten Toxinen überschwemmt wurde;
die mit einer gewissen, vielleicht elektiven Toxinüberempfind-
lichkeit ausgestatteten Organe reagieren am raschesten und
intensivsten auf die Gifte und so bildet sich rasch der geschil¬
derte, schwere Zustand aus, der mit dem Eintritt von Somno¬
lenz, C h e y n e - S t o k e s scher Atmung, starker Zyanose,
ferner Temperatursteigerung und schweren Störungen seitens
Ü Rosenhaupt: Klinischer Beitrag zur Scrumkrankheit.
Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 42.
2) Marfan und Le Play: Revue niensuelle des maladies de
l’enfance. XXIII. Mai 1905.
des Herznervenappartes seinen Höhepunkt erreicht. Kurz ge¬
sagt, wir sehen das Intoxikationsbild der akuten Miliartuber¬
kulose, mit Ueberwiegen der zerebralen Erscheinungen, auf
wenigeStunden zusammengedrängt, mit völligem Abklingen des
pathologischen Zustandes zur Norm. Es wäre naheliegend, zu
vermuten, dass bei der so überraschend prompten und gün¬
stigen Einwirkung des Marmorekserums an dem frischen Knie¬
herde ausser der auf Neutralisierung der giftigen Stoffwechsel¬
produkte abzielenden Wirkung noch ein bakteriolytischer Pro¬
zess stattgefunden hat mit dem Resultate des Freiwerdens von
Endotoxinen, die ihrerseits, vielleicht unter Kumulierung, plötz¬
lich den schweren Vergiftungsanfall zur Auslösung brachten.
Der Beweis für eine direkte Bakteriolyse ist freilich, so¬
weit aus der Literatur zu ersehen ist, für den Tuberkelbazillus
bis jetzt noch nicht in einwandfreier Methode erbracht worden,
vergleiche hiezu die Arbeit von Dembinski: Ueber die Bak-
teriolvse der säurefesten Bazillen (Zeitschrift für Tuberkulose,
Bd. X, Heft 5).
Auch unsere eigenen experimentellen Versuche ergaben
völlig negatives Resultat. Wir brachten nämlich _ eine Auf¬
schwemmung lebender Tuberkelbazillen in physiologischer
Kochsalzlösung mit Marmorekserum zusammen, das durch Zu¬
satz von frischem, also komplementhaltigem Serum einer leicht
lungenkranken Patientin aktiviert wurde. Die Mischung weilte
dann 24 Stunden im Brutofen. Die darauf vorgenommene
mikroskopische Untersuchung ergab keinerlei Anzeichen für
Auflösung oder Verminderung der Bakterien.
Ein von uns angestellter Tierversuch anderseits sprach mit
Bestimmtheit für die bakterizide Kraft des Marmorekserums.
Zwei Normalösen Tuberkelbazillen von einer 8 Wochen alten
iKartoffelkultur wurden mit 2 ccm physiologischer Kochsalz¬
lösung 15 Minuten verrieben und davon V* ccm einem
8 Wachen alten Meerschweinchen intraperitoneal verimpft.
Die gleiche Menge der Emulsion wurde mit 2 ccm Mar-
morekserum zusammengebracht, zur Aktivierung des Serums
1 ccm Normalserum hinzugefügt und die Mischung nach
?4stündigem Verweilen im Brutofen einem gleichaltrigen
Meerschweinchen in die Bauchhöhle injiziert.
Pe} der 4 Wochen darnach vorgenommenen Sektion fand
sieh bei dem Konfrontiere eine nortale Lynrnhdrüse, des¬
gleichen die Bronchialdrüsen verkäst, im Ausstrich massen¬
hafte Tuberkelbazillen, während das mit Serum behandelte
völlig gesund geblieben war.
Es soll hier daran erinnert werden, dass Marmorek )
selbst bei Meerschweinchen eine tuberkulöse Erkrankung ver¬
hüten konnte, wenn er unmittelbar nach der Infektion mit viru¬
lentem Material Antituberkuloseserum in die Blutbahn, intra¬
peritoneal oder subkutan, injizierte; es erwies sich bei diesen
Versuchen der intravenöse Weg als der wirksamste.
Der Erfolg war auch dann noch ausgesprochen, wenn die
Serumeinverleibung nach letzterer Methode erst 2 3 Tage
nach der Infektion erfolgte.
Wenn somit diese Experimente auch für die Bakterizidie
des Antituberkuloseserums snrechen. so möchte ich doch,
wenigstens nicht aus meinem einzigen Tierversuche, endgültige
Schlüsse ziehen: es bleibt überdies immer noch die Frage zu
beantworten, in welcher Weise sich diese Schutzkraft wirksam
erweist.
Einen Fingerzeig zur Klärung dieser Vorgänge gebe"
die grundlegenden Arbeiten von W right3 4 5)0), von N e u f e 1 d
und R i m p a u u. a. W r i g h t und seine Mitarbeiter zeigten,
dass unter dem Einflüsse gewisser, für die verschiedenen In¬
fektionen snezifischer Substanzen im Blutserum, der sogen.
Opsonine, die Bakterien für die Aufnahme durch die Phago¬
zyten vorbereitet werden; es tritt jedoch nur eine Art von Bak-
teriotropie. eine Umstimmung, nicht aber eine direkte Schädi¬
gung der Bakterien durch die Opsonine auf.
3) Marmorek: Weitere Untersuchungen über den Tuberkel¬
bazillus und das Antituberkuloseserum. Berliner klin. Wochenschr.
4) Zusammenfassendes Referat: W. R 0 s e n t h a 1 : Die Wri glit¬
sche Opsoninlehre und ihre klinische Verwertung zu diagnostischen
und theraoeutischen Zwecken. Med. Klinik 1907. No. 15.
5) Löhlein: Ueber A. E. Wrights Opsonin und seine
therap. Bestrebungen bei Infektionskrankheiten. Münch, med.
Wochenschr. 1907, No. 30.
1672
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Es wurde nachgewiesen, dass selbst ein hochwertiges
Immunserum, mit opsoninbeladenen Bakterien zusammen¬
gebracht, keine Hemmung auf die Entwicklung der Keime aus¬
übt; erst die zugefügten Phagozyten vermögen bei geeigneten
Mengeverhältnissen in vitro die Bakterien abzutöten und so
der Resorption zuzuführen.
Wir haben es somit mit einer „indirekten Bakteriolyse“ zu
tun, wie sie Jousset* * * * 6 *) nennt.
Um einen Massstab für den quantitativen Gehalt eines
Serums an Opsoninen zu erhalten, wurde von W right der
Begriff: „opsonischer Index“ eingeführt: man versteht darunter
das Verhältnis des Opsoningehaltes des Patientenserums zu
dem eines normalen Serums.
Im Tierexperiment haben G r u b e r und F u t a k i ') die
grosse Bedeutung solcherSchutzstoffe bei Einbringen von viru¬
lenten Keimen in die Blutbahn in klassischer Weise nach¬
gewiesen und so viel zum besseren Verständnis einer Reihe
von einschlägigen Fragen beigetragen.
Die beiden Forscher machten nämlich die interessante Er¬
hebung, dass ins Blut eingespritzte Bakterien schon nach ganz
kurzer Zeit nur noch zu einem kleinen Bruchteil vorhanden
sind; die anderen sind durch die Phagozyten unter der Wir¬
kung bestimmter Substanzen aufgenommen worden, von denen
die beiden Autoren die Frage offen lassen, ob sie mit den
Opsoninen zu identifizieren sind oder nicht. Dabei zeigen die
gefressenen Keime alle Stadien des Zerfalls.
Die weiteren Untersuchungen haben ergeben, dass im in¬
aktivierten Serum die Phagozytose gleich Null ist, dass sie im
aktiven stark, im Immunserum am kräftigsten zutage tritt.
Das Verhalten der Tuberkelbazillen ist in diesen Arbeiten
nicht studiert worden; jedoch geben uns die Untersuchungen
Marmoreks8 *) gewisse Anhaltspunkte dafür. Er wies nach,
dass in der Blutbahn an tuberkulöser Septikämie erkrankter
Meerschweinchen die Virulenz der Tuberkelbazillen eine er¬
hebliche Abschwächung erleidet, so dass die mit derartigem
bazillenhaltigen Blute intraarteriell, intravenös oder intraperi¬
toneal infizierten Meerschweinchen in fast allen Versuchen ge¬
sund blieben, während bei subkutaner Einverleibung lokale
Herde entstanden.
Wie die Virulenzverminderung erfolgt, wurde nicht weiter
untersucht. Jedoch finden wir in einer anderen Arbeit des¬
selben Autors 8*) die exakte Beweisführung, welch ausschlag¬
gebende Bedeutung gerade der völligen Integrität der Phago¬
zyten für die Verhütung einer tuberkulösen Infektion zukommt.
Gegen Tuberkulose unter gewöhnlichen Verhältnissen nämlich
refraktäre Tiere, wie weisse Mäusse, konnten mit Erfolg erst
dann infiziert werden, wenn die Phagozyten durch Einspritzen
von Chinin gelähmt waren.
Es ist mithin naheliegend und völlig im Einklang mit den
Untersuchungen der Münchener Autoren, wenn wir annehmen,
dass die Abschwächung auf dem Umwege der Phagozytose
erfolgte.
Phagozytose ist bekanntlich nicht immer gleichbedeutend
mit Abtötung der aufgenommenen Keime; Grub er und
F u t a k i konnten sogar ein Wachstum von phagozytierten
Aureuskeimen und Milzbrandbazillen nachweisen.
Andererseits tritt jedoch, wie oben angeführt, in der
grossen Mehrzahl der Fälle die Vernichtung der Keime durch
die Phagozytose ein; zwischen diesen beiden Extremen gibt
es zweifellos Uebergänge, die sich eben als Virulenzabschwä-
chung dokumentieren werden.
Ueber die Vorgänge bei der Vernichtung von Tuberkel¬
bazillen, die in bereits abgeschwächtem Zustande injiziert
wurden, sind noch weitere Untersuchungen anzustellen.
Für inaktives Serum fanden wir, analog den Re¬
sultaten von G r u b e r und F u t a k i, den phagozytischen Wert
fast gleich Null; wir benutzten zu diesem Nachweis in¬
“) La Methode „opSonique“ de Wright, par M. Andre Jousse t.
Bulletin mensuel de la Societe d’etudes scientifiques sur la tuberculose
1907, No. 5.
') Gr über und Futaki: Seroaktivität und Phagozytose.
Munch, med. Wochenschr. 1906, No. 6.
8) 1. c.
8D Marmor ek: Beitrag zur Kenntnis der Virulenz der TB.
Berl. klin. Wochenschr. 1906.
aktives Marmorekserum, das wir mit Leukozyten und auf¬
geschwemmten Tuberkelbazillen zusammenbrachten und be¬
stimmten danach den opsonischen Index. Der erhaltene Wert
betrug 0,18.
Die gleichen Versuche von Bosanquet und F r e n c h ")
ergaben den Index: 0,127.
Wenn ich den Versuch so abänderte, dass ich
Immunserum, nämlich Marmorekserum, zu
dem Serum eines Gesunden oder Tuber¬
kulösen hinzu setzte, so fand ich deren
Index u m ein mehrfaches gesteigert,
ebenfalls in Uebereinstimmung mit den obigen Er¬
gebnissen von G r u b e r und Futaki. Die ausführlichen Mit¬
teilungen über diese letzten Beobachtungen werde ich in einer
gemeinsamen Arbeit mit Herrn Geheimrat Dr. Turban ver¬
öffentlichen.
Eine hochinteressante Bestätigung dieser experimentellen
Beobachtungen bietet uns das Verhalten der Kurve des op¬
sonischen Index bei unserem Krankheitsfalle.
Der Index war bei mehrtägiger, fortlaufender Beobachtung
vor Beginn der Serumbehandlung auf den konstanten Wert 0,5
eingestellt. Wir sehen dann das kontinuierliche Ansteigen des
Index bei täglicher Serumeinverleibung ganz in Ueberein¬
stimmung mit den Beobachtungen von Bosanquet und
French 10) an ihren Kranken.
Zugleich mit dem Ansteigen der opsonischen Kraft findet
eine erhebliche Besserung des lokalen Herdes und des Allge¬
meinbefindens statt, mit Rückgang des Fiebers und der
Schmerzen.
Am Morgen nach dem stürmischen Anfall konstatierten wir
ein steiles Absinken der Kurve, die darauf wieder fast zur vor¬
her innegehabten Höhe anstieg. Von da an schwankt der
Index bei Anwendung des Serums in kürzeren oder längeren
Pausen auf und ab. Der hohe Anstieg am 15. III. erklärt sich
daraus, dass das Serum diesmal schon in frühester Morgen¬
stunde gegeben wurde, einige Stunden vor Entnahme der
Blutprobe zur Indexbestimmung.
Nach Aussetzen des Serums sinkt der opsonische Index
wieder zu den ursprünglichen Werten, bald rascher, bald lang¬
samer zurück, ein Beweis, dass die Steigerung der opsonischen
Kraft ganz und gar von dem jeweiligen Gehalt des Blutes
an Immunserum abhängig ist. Zurzeit, bei Abschluss der Ar¬
beit Ende Juli, beträgt der fast konstante Index: 0,50 — 0,56.
Wright hat festgestellt, dass nach Einverleibung von
Tuberkulin der opsonische Index zunächst fällt, um danach,
meist über die vorherige Höhe, sich zu erheben und dann all¬
mählich wieder langsam abzusinken; er nennt diese Phänomene
negative und positive Phase. Die erstere zeigt besonders
dann sehr starkes Absinken, wenn die Tuberkulindosis zu
gross war.
Wir glauben, die in unserem Falle im Anschluss an die
Attacke beobachteten, sehr erheblichen Ausschläge auch als
negative und positive Phase auffassen und in gleichem Sinne
deuten zu müssen. Wir können dabei annehmen, dass, viel¬
leicht durch raschen Zerfall von Phagozyten, plötzlich eine
relativ grosse Quantität Tuberkulotoxine resorbiert wurde, für
die der Organismus nicht sofort die nötigen Gegenstoffe bereit
hatte.
Sollten nicht die von einigen Autoren beschriebenen,
raschen Propagationen der Erkrankung bei Anwendung von
Marmorekserum in Fällen von bereits vorgeschrittener Tuber¬
kulose auf ähnliche Vorgänge zurückzuführen sein?
Es ist unvermeidlich, dass wir bei diesen Erklärungsver¬
suchen uns bereits im Bereiche von Hypothesen befinden;
immerhin lassen die objektiven Tatsachen zwanglos derartige
Deutungen zu.
Es bleibt uns noch übrig, für die eigenartigen, einige
Wochen nach der ersten Attacke aufgetretenen Affektionen der
Finger Erklärung zu suchen.
Wir haben hier strikte Unterschiede zu machen; die im
rechten IV. und im linken III. Finger beobachteten Störungen
gehen wohl vom Knochen aus; für den letztgenannten Finger
°) Bosanquet und French : The influence of Antituber-
culous Serum on the Opsonic Index. Brit. med. Journal 1907, No. 2415.
10) 1. c.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1673
wird dies ja durch das Röntgenogramm direkt bewiesen. Es
spricht für diese Annahme auch der Umstand, dass diese Stö¬
rungen unter Fortsetzung der Serumbehandlung völlig zurück¬
gingen und jetzt als abgelaufen ' gelten können. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass unter dem Einflüsse der stürmischen
Allgemeinreaktion diese kleinsten, bisher völlig latenten Herde
aktiviert und allmählich manifest wurden. Die in der Haut
und in den Gelenken hingegen sich lokalisierenden Beschwer¬
den, mit zum Teil sehr protrahiertem Verlaufe, müssen wir
als durch Serumwirkung hervorgerufen ansehen; sie werden
nämlich im Gegensätze zu obigen Affektionen durch neue In¬
jektionen eher verstärkt.
Es liegt uns ferne, aus unserer bisher einzigartigen Be¬
obachtung — denn die bereits sehr stattliche Marmorekliteratur
berichtet zwar von einer Reihe von zum Teil schweren Zu¬
fällen bei dieser Behandlung, aber von keinem, der sich mit
dem unsrigen decken würde — weitgehende Schlüsse ziehen zu
wollen auf die Berechtigung oder Nichtberechtigung dieser
Therapie. Immerhin lehrt uns der Fall, auf welche unange¬
nehmen Ueberraschungen man selbst bei offensichtlichem Er¬
folg bei dieser Behandlungsmethode gefasst sein muss, und
dass man auch trotz strengster Indikationsstellung und unter
Inanspruchnahme der modernen serologischen Hilfsmittel nicht
imstande ist, sich vor dem Auftreten so unliebsamer alar¬
mierender Attacken sicher zu stellen.
Andererseits bot uns gerade dieser fatale Anfall die Mög¬
lichkeit, auf Grund kontinuierlicher Beobachtungen des opso¬
nischen Index die eigenartige Wirkung des Serums kontrol¬
lieren zu können und damit bisher noch nicht oder nur wenig
bekannte Reaktionen aufzudecken.
Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen (Prof. R o m b e r g).
lieber hysterische Schweisse.
Von Dr. Hans Cu r schm an n, dirigierender Arzt der
inneren Abteilung des städt. Krankenhauses zu Mainz, bisher
Privatdozent und Assistenzarzt der Klinik.
Die Lehre von den hysterischen Störungen der vasomoto¬
rischen Funktionen, der Wärmeregulierung und der Sekretion,
ist von jeher ein vielumstrittenes Kapitel in der Symptomato¬
logie dieses Leidens gewesen. Seit Charcot haben sich an
der Hand einer rasch anwachsenden Kasuistik eine grosse An¬
zahl von Autoren mit der Frage beschäftigt: Gibt es wirklich
echte trophische, wärmeregulatorische und sekretorische Stö¬
rungen infolge der Hysterie oder sind alle jene Beobachtungen
Produkte einer mehr oder weniger groben hysterischen Simu¬
lation? Es ist klar, warum gerade in bezug auf die Störungen
dieser der Willkür scheinbar entzogenen Funktionen eine Eini¬
gung der Meinungen nicht erzielt werden konnte. Der alte
Streit um die innere Aetiologie der Hysterie wird hier beson¬
ders aktuell: nämlich die Frage, ob jede hysterische Erschei-
vasomotorischer und sekretorischer Natur) von psychischen
Einflüssen hineinblicken, eine Abhängigkeit, die der teleo¬
logischen Betrachtungsweise viel Stoff und reichste Befriedi¬
gung gewähren muss. Warum soll es uns jetzt noch wundern,
wenn unter dem Einfluss der Hysterie eine krankhafte Modi¬
fizierung der körperlichen Reaktion auf psychische Einflüsse
hin stattfindet? Und was darf uns veranlassen, eine derartig
veränderte körperliche Reaktion um jeden Preis als plumpe
Simulation anzusehen?
Eine körperliche Störung, die, wie F 1 a t a u unlängst mit
Recht betonte, der artefiziellen Nachahmung sehr schwer zu¬
gänglich ist, die darum — psychogen hervorgerufen — unseren
Vorstellungskreis von der Abhängigkeit automatischer Körper¬
leistungen von seelischen Anregungen erweitern kann, ist die
Schweissekretion (vorausgesetzt natürlich, dass sie
spontan und ohne innere oder äussere Mittel erfolgt). Spon¬
tane, regelmässig wiederkehrende, einer mechanischen oder je¬
weiligen psychischen Auslösung entbehrende Schweisse im
Rahmen eines hysterischen Krankheitsbildes habe ich in der
Literatur nicht gefunden: In den wenigen Fällen von hyste¬
rischer Hyperhidrosis (Vulpian, Binswanger, Sire-
d e y, I h r i g u. a.) handelt es sich meist um eine blosse Steige¬
rung der physiologischen Funktion beiErregungen, motorischen
Paroxysmen und im Schlaf.
Von grossem Interesse scheint mir darum der Nachweis,
dass es bei Hysterischen auf rein psychogenem Wege bei völli¬
ger körperlicher und scheinbar auch geistiger Ruhe zu mehr¬
mals täglich und regelmässig wiederkehrenden Schweissen von
enormer Fülle kommen kann, und dass die Sperrung dieses
psychogenen Weges durch die Gegensuggestion diese
Schweisse sofort inhibiert. 2 Fälle, Mutter und Tochter, die
sich gegenseitig psychisch infiziert hatten, lieferten diesen
Nachweis.
Fall I. Rosalia K, 57jähr. Hebamme von E. Aufnahme am
21. Nov. 1906. Pat. war in ihrer Jugend gesund, angeblich nicht nervös,
ist seit 28 Jahren verheiratet, hat 10 normale Partus durchgemacht;
ihren Beruf konnte sie bis vor einem Jahre gut ausüben . Seit
20 Jahren hat nun Pat. angeblich alljährlich an „Influenza“ gelitten,
an Gliederschmerzen, allgemeiner Schwäche, Kopfweh und vor allem
profusen, mehrmals wiederkehrenden Schweissen; diese „Influenzen“
dauerten nur kurze Zeit, 14 Tage bis 3 Wochen.
Vor fast einem Jahr, am 13. Januar 1905, erkrankte Pat. wieder
an -dieser „Influenza“, bei der sie 5 Tage lang dreimal täglich heftig
schwitzen musste, worauf ihr besser wurde. Dann glaubte sie sich
geheilt und verliess das Bett; -darauf angeblich Erkältung und Rück¬
fall. Pat. wurde wieder bettlägerig und musste nun 4 Monate (bis
Mai 1905) lang tagtäglich dreimal zu meist regelmässigen Zeiten,
morgens, mittags und abends, intensiv schwitzen; dabei hatte sie,
worüber sie sich als Hebamme besonders wunderte, niemals Fieber.
Die Schweisse waren so profus, dass stets Wechsel der Leibwäsche,
oft auch -der Bettwäsche nötig war. Dabei war der Appetit vorzüg¬
lich, Pat. nahm beständig an Gewicht zu. — Im Mai besserte sich das
Leiden, Pat. musste nur noch zweimal pro Tag schwitzen; vom Juni
bis August wieder dreimal täglich Schweissausbruch und seit dem
September nur noch zweimaliges Schwitzen pro die. — Vor dem
nung nur das Produkt einer Vorstellung ist (M o e b i u s), oder
ob wir organische, lokalisierbare Störungen histologisch und
biologisch nur bisher nicht nachweisbarer Art als ihr Substrat
annehmen sollen.
Diese Gegenüberstellung — scheinbar zwei unvereinbare
Widersprüche — birgt aber in der Tat gar keinen Gegensatz
in sich. Die Frage scheint mir vielmehr so zu liegen: Sind
unsere Kenntnisse von den Einflüssen psychischer Vorgänge
auf den Ablauf jener körperlichen, automatischen Funktionen
denn schon vollkommen? Dies ist durchaus nicht der Fall.
Die neuere biologische Forschung lässt uns immer tiefer in
die Abhängigkeit scheinbar automatischer Vorgänge (vor allem
No. 34.
Schwitzen angeblich unangenehme Sensationen, Stechen und Prickeln
am ganzen Körper, nach dem Schweissausbruch Erleichterung.
Während der ganzen Krankheit, vom Februar bis Ende Novem¬
ber, -dauernd bettlägerig.
Pat. empfindet das Schwitzen zwar an sich als etwas krank¬
haftes, belästigendes, glaubt aber — ohne dass sie sich genauere Vor¬
stellungen davon macht — schwitzen zu müssen, „sonst würde ihr
noch schlechter“.
Status praesens: Kleine, fette, muskelschwache Person
mit echauffiertem Gesicht, etwas schwitzend; Ausdruck gutmütig,
befangen, etwas verlegen, mit bis an -die Nase gezogener Decke im
Bett liegend, sehr wärmebedürftig, angeblich leicht frierend. — - Die
Haut fühlt sich warm und feucht an, ist diffus auch am Körper leicht
gerötet. Erregungserythem, starke vasomotorische Uebererregbarkeit.
2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
1674
Die inneren Organe. Herz, Lunge, Bauchorgane, ohne wesent¬
liche Veränderungen. Das Nervensystem zeigt bis aut eine allge¬
meine abulische Muskeschwäche keine Veränderungen; leichte all¬
gemeine Reflexsteigerung; keine spezifischen hysterischen Stigmata.
Psychisch zeigt Pat. bis auf 'die Vorstellung des „Schwitzen-
miissens“ wenig Veränderungen; sie ist ruhig, ziemlich intelligent,
aber ohne rechte Einsicht für die Folgen ihrer allgemeinen Abulie
(die in der Tat zur Verarmung geführt hatte).
Ord.: einstweilen Tct. Chin. comp. Bettruhe.
23. XI. Täglich zwei, regelmässig mittags und abends wieder¬
kehrende Schweisse von ca. 1 — 2 Stunden Dauer; vorher subfebrile
Temperaturen (s. Kurve). Während des Schweisses hochgerötetes
Gesicht, gerötete Körperhaut, die sich ziemlich warm anfühlt. Puls¬
frequenz ein wenig gesteigert, Blutdruck (nach Ri va-Rocci) steigt
während des Schwitzens nur wenig von 120 mm auf 125 mm Hg.
Dauernd sehr wärmebedürftig, liegt genau, wie die Tochter, stets mit
bis an die Nase heraufgezogener Decke im Bett. Die Menge des
Schweisses, der regelmässig das Hemd und die Bettwäsche total
durchnässt, beträgt, nach dem Gewichtsverlust zu schliessen, 300 ccm
und darüber.
27. XI. Unverändert zwei Schweisse pro Tag. — Nachdem die
Suggestion mit dem Vierzellenbad bei der Tochter prompt gewirkt
hatte, Suggerierung, das Schwitzen müsse durch das elektrische Bad
sofort aufhören.
28. XI. Prompte Ir Erfolg der Suggestion: seit
einem Jahre zum erstenmal frei von Schwitzen.
30. XI. Pat. bleibt — bei täglichen Vierzellenbädern ■ — frei von
Schweissen; sie ist dauernd ausser Bett, sehr heiter und tätig.
3. XII. Nach zweitägigem Aussetzen der Bäder einmal „ganz
kleiner Schweiss“.
5. XII. Bei Vierzellenbädern keine Spur von Schweissen; Sug¬
gestion, dass nun auch ohne die Bäder die Schweisse fortbleiben
würden.
7. XII. Keine Schweisse mehr seitdem. Völlig wohl und be¬
schwerdefrei. Entlassen mit entsprechender Suggestion.
Fall II1)- Maria K., 22 jährige Näherin (im Hause der Mutter).
Pat. hat, ähnlich wie die Muter, nur entsprechend kürzer, seit
10 Jahren an regelmässig wiederkehrenden „Influenzaanfällen“ ge¬
litten von kurzer Dauer, die stets mit mehrmaligen Schweissaus¬
brüchen pro die einhergingen. Im Februar 1906 wieder „Influenza“,
stand zu früh auf, erlebte einen Rückfall mit heftigen Stichen in der
Seite, auf der Brust u. dergl. Vom Februar bis Mai täglich drei
Krosse Schweissausbrüche, morgens, mittags, abends, „dabei nie
b ieber“. Vom Juni bis November täglich zwei Schweisse. Sowie
Pat. versuchte aufzustehen, Verschlimmerung der Schweisse, Frieren,
Bruststiche etc. Infolgedesen lag Pat. — zu jeder Arbeit unfähig,
aber bei gutem Appetit und Kräftezustand — seit Februar dauernd im
Bett. Auffallend war ihr die Verminderung der Urinmenge. Wie die
Mutter, leidet sie zwar unter dem Schweisse, glaubt aber, um
Schlimmeres zu verhüte n, schwitzen zu müssen.
Status: Fette, kleine, blonde Person, der Mutter in jeder Be¬
ziehung auffallend ähnlich. Helle Haut, gerötetes Gesicht, starke
vasomotorische Uebererregbarkeit, Emotionserythem etc., leicht
schwitzend. Innere Organe normal. Urin wähend der Schwitz¬
periode spärlich, 650—900, spez. Gewicht 1025, sauer, kein Albumen,
kein Zucker. Flüssigkeitsaufnahme pro Tag nur 1500 ccm. Nerven¬
system ohne besondere Veränderungen, ausser allgemeiner Sehnen¬
reflexsteigerung keine hysterischen Stigmata. Psyche: weniger
intelligent als die Mutter, ängstlich, schüchtern, etwas stupide, sehr
suggestibel, aber womöglich noch starrer in der Idee des „Schwitzen-
miissens“ befangen, als die Mutter.
Der Verlauf war ganz wie bei der Mutter: In den ersten Tagen
täglich um 1 Uhr und abends um V28 Uhr enormer Schweiss von
F 2 Stunden Dauer, vorher subfebrile Temperaturen; Menge des
Schweisses auch hier ca. 300 c c m. Pat. würde also bei
den täglich dreimaligen Schweissen fast einen Liter Schweiss pro Tag
sezerniert haben. Wie die Mutter ist die Pat. sehr wärmebedürftig
und liegt, diese getreu kopierend, ebenfalls mit bis zur Nase herauf¬
gezogener Decke im Bett. Nach 5 Tagen — also vor der Mutter —
Vierzellenbad und eindringliche Verbalsuggestion. Sofort bleiben die
Schweisse weg. Pat. kann von diesem Tage an dauernd ausser dem
Bett sein und sich beschäftigen. Unter täglich wiederholten Sug¬
gestionsprozeduren und in den letzten Tagen auch ohne diese frei
von Schweissen, psj^chisch freier, heiter, sehr tätig. Entlassung nach
11 tägiger Behandlung beschwerdefrei.
Die Krankengeschichte der Tochter der Patientin bietet
eine getreue Kopie derjenigen der Mutter.
Wie Patientinnen mir Anfang Januar in einem dankerfüll¬
ten Brief mitteilten, sind sie bisher frei von Rezidiven geblieben
und zu leichterer Arbeit fähig.
Epikritisch betrachtet, können wir die Krankheitsbilder
der beiden Patientinnen, wie folgt, zusammenfassen; Es han¬
delte sich zweifellos um eine seit Jahren (20 bei der Mutter)
bestehende und gehegte Tendenz bei Erkältungen, „Influenzen“,
-) Die Kurve des Falles II mitzuteilen, unterlasse ich, da sie 'in
jeder Beziehung das getreue Abbild derjenigen des Falles I ist.
zu schwitzen, vielleicht zu Anfang artefiziell mittels der üb¬
lichen Prozeduren, später und während der jetzigen Schwitz¬
neurose, wie die strenge Beobachtung ergab, völlig spontan
und ohne alle Mittel u. dergl. Die Tochter — der Mutter an
Konstitution, vasomotorischem Verhalten und Psyche sehr
ähnlich — hatte das Krankheitsbild der Mutter getreu imitiert.
Beide hatten seit ca. 1 Jahr, ohne zu fiebern, ohne auch sonst
wesentlich zu leiden, 2 — 3 mal zu bestimmten Tageszeiten pro¬
fus „schwitzen müssen“; das fesselte sie seit Jahresfrist streng
ans Bett. Die Beobachtung ergab völlig natürliche Schweisse
enormen Grades, ohne höheres Fieber, aber doch von regel¬
mässig subfebrilen Temperaturen begleitet. Die Menge des
(stets warmen) Schweisses betrug bei beiden ca. 300 ccm.
Während des Schwitzens war das Gesicht lebhaft gerötet und
fühlte sich, gleich der Körperhaut, wärmer als gewöhnlich an.
Körperlich blieben die Patientinnen dabei völlig ruhig, fast
regungslos; die Schweissausbrüche waren also nicht die Folge
tonisch-klonischer Konvulsionen, wie in einigen Fällen der
Literatur. Die Patientinnen glichen vielmehr im Verhalten
Leuten, die aus therapeutischen Gründen schwitzen müssen
und diese etwas peinliche, aber doch segensreiche Prozedur
mit Ergebung ertragen. Ihr psychischer Zustand war absolut
ruhig; niemals liess sich während des Schwitzens eine Spur
von Erregung oder sonstiger Veränderung der Seelentätigkeit
wahrnehmen.
Was das Verhalten des Herz- und Gefässystems anbetrifft,
so war deren Tätigkeit in anfallsfreien Zeiten normal, im An¬
fall nicht wesentlich alteriert. Subjektive kardiale Störungen
bestanden ebenfalls nicht. Die Pulsfrequenz stieg im Schweiss¬
ausbruch nur um 4 bis 6 Schläge, der systolische Blutdruck
blieb gleich oder stieg um wenige Millimeter Hg.
Das Nervensystem zeigte keinerlei organische Verände¬
rungen, typische hysterische Stigmata fehlten ebenfalls völlig.
Nur die Psyche beider zeigte — bei Abwesenheit aller aufdring¬
lichen Züge — jenen hysterischen Charakter, in dessen Vorder¬
grund bei unseren ländlichen Patientinnen die bescheidene
Naivität, die liebenswürdige Lenksamkeit dem Arzt gegenüber
und dabei doch die stumpfe kritiklose Konsequenz im Fest¬
halten, im Erdulden der „Krankheit“ vor Eintritt in die ener¬
gische Behandlung zu stehen pflegt.
Neben manchen typischen Zügen der Anamnese und des
Befundes musste das psychische Verhalten zu der Annahme
einer rein hysterischen Störung führen. Der glückliche
Ausfall der Suggestivbehandlung vollendete dann den Beweis.
Auf reine Suggestivmittel (Vierzellenbad) verschwanden die
Schweisse sofort und restlos. Das Verlassen der bisher ge¬
übten dauernden Bettruhe, das zu Hause (cf. Anamnese) ver¬
stärkend auf die Schweisse gewirkt hatte, vermehrte die Wir¬
kung der Suggestion insofern, als es dadurch sofort gelang, die
Patientinnen an eine bestimmte geregelte Tätigkeit (Pflege
eines Kindes, oder Bedienung einer schwer Kranken) zu ge¬
wöhnen. Es traten auch nicht etwa zurzeit des bisherigen
Schweissausbruchs psychische oder körperliche Aequivalente
auf, wie in einem Falle von S i r e d e y.
I11 der mir zugänglichen Literatur habe ich eigentlich keine
den meinigen analoge Beobachtungen gefunden. Ich sehe dabei
ab von den vielgenannten, nicht selten der plumpen Simulation
überführten Fällen von blutigen oder bunt gefärbten
Schweissen, der Chromhidrosis.
Eine Steigerung der fast physiologischen Neigung zu
nächtlichen Schweissen hat V u 1 p i a u geschildert.
Ebenso berichtet Binswanger über starke allgemeine
Hyperhidrosis bei Hysterischen im Gefolge nächtlicher
schwerer Träume. Siredey schildert einen Fall, bei dem
stark auf Hände und Füsse sich beschränkende Schweisse zu¬
sammen, und auch ohne andere hysterische Erscheinungen
Amaurose, spastische Lähmungen, Dämmerungszuständen, auf¬
traten.
Damit ist aber auch die Zahl der Beobachtungen über
hysterische Schweisse erschöpft.
Anders scheint es mir um die Häufigkeit der Schweisse auf
der Basis einer Neurasthenie oder sonstigen nicht hyste¬
rischen Neurose zu stehen. Hier ist der psychogene Ursprung
eines Schweissausbruches, namentlich lokaler Art, nicht unge¬
wöhnlich. Von vielen, nervösen mit Hyperhidrosis der Hände
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1675
behafteten Patienten können wir hören, dass der Schweiss ge¬
rade dann stets auftritt, wenn sie ihn besonders fürchten, z. B.
in Gesellschaft, wenn sie gezwungen sind, anderen Personen
die Hand zu reichen. Hier kann die Hyperhidrosis so gut
zur Phobie werden, wie die Erythrophobie, die nervösen
Diarrhöen und der nervöse Harndrang. Einen besonders cha¬
rakteristischen Fall dieser Art beobachtete ich in der Ge¬
stalt eines neurasthenischen Rollegen, bei dem stets bald nach
dem Eintritt in eine Gesellschaft bei völliger körperlicher Ruhe
eine profuse Hyperhidrosis des Kopfes und des Halses auftrat,
die in wenigen Minuten die gestärkte Wäsche aufweichte.
Der Circulus vitiosus zwischen Schweissausbruch und
Phobie war hier ganz unverkennbar.
Das Vorkommen «derartiger — gemeinhin als nicht hyste¬
risch, sondern eher als neurasthenisch zu bezeichnender
— Schwitzneurosen und -phobien gewährt uns auch eine Hand¬
habe zum Verständnis einer rein hysterogenen Hyper-
hydrosis. Die grosse Abhängigkeit der Schweissekretion bei
speziell zum Schwitzen Disponierten von psychischen Mo¬
menten steht fest. Diese psychische Einwirkung auf die zen¬
tralen und peripheren Elemente der Schweissabsonderung wird
bei dem einen durch die Phobie, die hypochondrische, aus der
Erfahrung immer neu schöpfende Furcht vor dem Unentrinn¬
baren, ausgeübt, bei dem anderen dagegen «durch eine Auto¬
suggestion hysterischen Charakters, der in unserem Fall
vielleicht etwas von der Vorstellung der „Nützlichkeit“ des
Schweisses beigemischt war, die aber im übrigen den schwer
zu durchschauenden Kausalinhalt aller schweren monosympto-
matischen (nicht aus Begehrungsvorstellungen erwachsenden)
Hysterieerscheinungen zeigte. Der grobe psychomotorische
Mechanismus der Hyperhidrose ist derselbe, nur der Inhalt der
psychogenen Auslösung unterscheidet diese verschiedenen
Formen des nervösen Schweisses.
Bemerkenswert sind schliesslich an diesen beiden Fällen
die während «der Schwitzparoxysmen regelmässig subfebril an¬
steigenden Temperaturen (s. Kurve), die auch durch rektale
Messung bestätigt wurden, also keine Artefakte sein konnten.
Die leicht fieberhaften Temperaturanstiege verschwanden nun,
wie die Kurve zeigt, ebenso wie «die Schweisse unter der Wir¬
kung der — an sich «doch sicher nicht antipyretisch wirkenden
— Suggestion.
Ich möchte mich nicht noch auf das Gebiet des bis zum
Ueberdruss diskutierten „hysterischen Fiebers“ begeben. Aber
die obigen Beobachtungen scheinen mir -doch recht schlagend
für die Möglichkeit und Realität rein hysterogener Temperatur¬
steigerungen zu sprechen. Im übrigen ist die Tatsache «der
„Psychogenie des Fiebers“ wohl nicht mehr zu diskutieren,
seitdem «die zahlreichen Erfahrungen der Phthiseotherapeuten
gezeigt haben, «dass auf dem Wege der Suggestion oder Auto¬
suggestion nicht nur durch die probatorische Tuberkulininjek¬
tion, sondern auch «durch die Injektion von Aqua dest., ja durch
das blosse Einstechen der Pravazkaniile bei sonst absolut
fieberfreien Patienten der Heilstätten Fieberreaktionen vom
Typus des Tuberkulinfiebers recht häufig zu erzeugen sind
(Fürst, Bandelier, Köhler und «B e h r, Lorenz u. a.).
Diese Temperaturen hielten übrigens der Kontrolle durch
Mund- und Analmessungen stand.
Demjenigen aber, der trotz dieser Fälle von rein psycho¬
genen Schweissparoxysmen und Fiebersteigerungen der
Psychogenie «derartiger, anscheinend rein automatisch ab¬
laufender körperlicher Funktionen noch skeptisch gegeniiber-
steht, möchte ich auf eine experimentelle Beobachtung von
Hamburger und v. R e u s s hinweisen, die — zum ersten
Male — auch für die Leukozytose resp. die Blutver¬
teilung den starken, eindeutigen Einfluss «der
rein psychischen Einwirkung (Schreck, Angst u. a.)
sicher festgestellt haben.
Literatur:
1. Binswanger: Hysterie. Nothnagels Handbuch. —
2. V u 1 p i a u: Clinique med. de la Charite, zit. nach Binswanger.
— 3. L. Ihrig: Orvosi Hetilap 1891. Ref. Neurol. Zentralbl. 1891,
S. 528. — 4. L i r ed e y: zit. nach G o w e r s, Handbuch «der Nerven¬
krankheiten. 1892. Bonn. — 5. Ueber Fieber nach scheinbaren Tu¬
berkulininjektionen, conf. die Arbeiten von Bandelier, Köhler
und Behr, Lorenz in Brauers Beiträgen zur Klinik der Tuber¬
kulose 1906 u. 1907. — 6. Hamburger und Reuss. Zeitschr. f.
Biologie, Bid. 47, H. 1.
Aus der II. med. Klinik in München (Direktor: Prof. Friedr.
v. Müller).
lieber die Beziehungen zwischen Pneumonie und Gicht.
Von Dr. Erich Ebstein, Assistenzarzt.
Die Beziehungen zwischen kruppöser Pneumonie und
Gicht sind von den verschiedenen Autoren bald mehr, bald
weniger betont worden. R e n d u x) hält diese Be¬
ziehungen nur für eine zufällige Koinzidenz, während andere
französische Autoren bestimmter für ein Zusammengehören
der beiden Krankheitsbilder eintreten. Allerdings sind diese
Mitteilungen insofern nicht alle eindeutig, als es sich in den
Fällen von P o t a i n 2) und D e b o u t d’E s t r e e s 3) nicht um
fibrinöse Pneumonien, sondern um einen „etat congestif du
poumon“ gehandelt hat.
Der erste Autor, der «den Beziehungen zwischen Gicht und
Pneumonie seine Aufmerksamkeit schenkte, war Max. S t o 1 1
(1742 — 1787), der Systematiker «der alten Wiener Schule, der
einen solchen Fall bei einem Greise beobachtete (vgl. die medi¬
zinische Praxis. 1838. Teil 2, S. 69 f.). Man sprach damals
schon von gichtischen Respirationskrankheiten, die „gewöhn¬
lich bei dazu Disponierten“ auftritt. „Sobald die Gicht sich
einmal auf die Lungen geworfen hat, kehrt sie selten nach
den Extremitäten zurück.“
Auch T rousseau4) hat die bei Gichtischen auftreten¬
den Pneumonien und Pleuritiden als Anfälle von viszeraler
Gicht gedeutet.
Ferner hat man insbesondere auf solche Fälle Wert gelegt,
in «denen im Verlauf eines regulären «Gichtanfalls die Erschei¬
nungen der Lungenaffektion hervortraten, während die Gelenk¬
schwellungen zurückgingen, oder in welchen im Anschluss au
eine entzündliche Affektion der Lunge oder Pleura ein Gicht¬
anfall sich einstellte. Auch solche Fälle sind beschrieben
worden, in denen regelmässig wiederkehrende typische Gicht¬
anfälle ein- oder mehrmals durch pneumonische Erkrankungen
ersetzt zu sein schienen, so z. B. in einem von B r i s s a u d
mitgeteilten Falle. (Vgl. Minkowski, die Gicht. Wien
1903. S. 129.)
In Bezug auf ihren klinischen Verlauf bieten diese Fälle
- so resümiert Minkowski — ebensowenig irgendwelche
Besonderheiten, wie in Bezug auf die gefundenen anatomischen
Veränderungen. Auch Ebstein (Natur und Behandlung der
Gicht. 2. Aufl. Wiesbaden 1906, S. 284 f.) hat einen besonders
ungünstigen Verlauf von Pneumonien bei an Gicht leidenden
Kranken nicht gesehen; ob sie häufiger als bei anderen Men¬
schen Vorkommen, vermag er nicht zu sagen. E. Aufrecht
gedenkt in seiner Monographie über die Lungenentzündungen
(Wien 1899) der Beziehungen derselben zur Gicht merkwür¬
digerweise nicht. Minkowski (1. c.) ist der Ansicht, dass,
so lange nicht etwa «durch genauere bakteriologische Unter¬
suchungen eine andere Entstehungsweise für derartige Affek¬
tionen nachgewiesen sein wird, man die in die Rede stehenden
Erkrankungen als zufällige Komplikationen der Gicht an¬
sprechen müsse, wenn man nicht für manche Fälle einen umge¬
kehrten Kausalnexus gelten lassen d. h. die Pneumonie als
Gelegenheitsursache für die Entstehung des Gichtanfalls auf¬
fassen wolle.
Für diese letzte Ansicht möchte ich im Folgenden einige
Belege anführen.
Bekanntlich sind die Krankheiten, bei welchen es zur
Harnsäureanhäufung im Blut kommt, nicht ohne Beziehung
zur Gicht. So wissen wir von der Bleikrankheit, dass sie häu¬
fig genug zu echter Gicht führt; bei der Leukämie kommt es
1) Artikel „Goutte“ in Dechambre, Diction. encyclop. des Sciences
medicales. Paris 1884. S. 112.
2) Des manifestations pulmonaires de la goutte. Semaine medi-
cale 1890, S. 41 ff.
3) Un fait de goutte pulmonaire. Lyon medicale 1890, S. 303.
Derselbe: Quelques forrnes rares de la goutte; goutte de poumon
usw. Annales «d’hydrologi'e et «de climatologie medicales. Bd. 36
(1891). Paris.
’) Medizinische Klinik des Hotel Dieu. Deutsch von C u I -
m a n. Wiirzburg 1867. B«d. 3, S. 264 ff.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
nicht nur oft zur Bildung von harnsauren Konkretionen in den
Harnwegen, sondern auch bisweilen zur wirklichen Gicht.
„Auch kenne ich einen Patienten“, schreibt Friedrich MüllerJ),
„der an selten auftretenden Gichtanfällen leidet und bei dem
unmittelbar im Anschluss an eine Pneumonie eine schwere
Attacke eintrat.“
Seit dieser Zeit hat Herr Prof. v. M ü 1 1 e r in seiner Privat¬
praxis einen analogen Fall zu beobachten gehabt, bei welchem
im Stadium der Lösung heftige Gichtanfälle ausgelöst wurden.
Der Fall, über den ich genauere Notizen der Freundlichkeit des
Herrn Dr. Th. Struppler in München verdanke, betraf einen
69 jährigen Herrn v. B., der früher Offizier war. Fr leidet seit Jahren
an latenter Gicht. Vor 3 Jahren machte er eine Pneumonie, angeb¬
lich nach einer Halsentzündung durch. Die letzten Jahre gebrauchte
er Kuren in Gastein, Wildbad und Wiesbaden. Am 26. April 1907
hat sich Patient angeblich beim Nachhausegehen erkältet; am 27. fühlte
er sich „unbehaglich“; am 28. früh morgens Schüttelfrost von der
Dauer einer halben Stunde. Beschleunigte Atmung und Stechen auf
der rechten Brustseite. Objektiv fand sich über dem rechten Unter¬
lappen der Schall tympanitisch gedämpft. Crepitatio indux. Puls 98.
Temperatur 39 °. Respiration 38 — 44. Am 30. April Herpes labialis.
Sputum croceum. Dyspnoe. Rechts hinten unten und über dem
Mittellappen Bronchialatmen mit feuchten, mittelblasigen Rassel¬
geräuschen. Nun trat am 3. Mai — also 5 Tage nach Beginn der
Erkrankung — ein schwerer Gichtanfall im rechten Knie und rechten
Handwurzelgelenk und Ellbogengelenk auf; dabei bestand Rötung,
Schwellung' und Schmerz. Ganz akut entstanden zu gleicher Zeit
Tophi in beiden Ohrmuscheln von miliarer Grösse, die früher nicht
vorhanden waren. Im Verlaufe der rächsten Wochen erkrankten all¬
mählich sämtliche Gelenke und Extremitäten, ebenso das linke Kiefer¬
gelenk; die Wirbelsäule war stets frei. — Es muss noch hervor¬
gehoben werden, dass die Lungenentzündung in den ersten Tagen
durch ganz hochgradige Infektionsdelirien ausgezeichnet war; der
Urin enthielt Vz Prom. Eiweiss, reichlich Urobilin und etwas Gallen¬
farbstoff. Weiter sei betont, dass Patient fast völlig alkoholabstinent
ist. dass er aber zu Beginn der Pneumonie reichlich Mixt. Stokesi
bekam. Die Vermutung ist wohl nicht fernliegend, dass der Alkohol¬
genuss auch mit dazu beigetragen hat, den Gichtanfall auszulösen.
Bemerkenswert ist, dass in diesem Falle am 3. Juni abends neuer¬
dings Schüttelfrost einsetzte. Temperatur 39 °, Puls 94, Resp. 40.
Es handelte sich um ein Pneumonierezidiv im r. Oberlappen.
Einen dritten Fall, in dem die Lungenentzündung als aus¬
lösendes Moment für den Ausbruch eines Gichtanfalles an¬
zusehen ist, konnte ich vor kurzem auf meiner Ab¬
teilung beobachten.
Es handelt sich um einen 56 Jahre alten Kutscher J. St., der sich
seit dem 11. März 1907 wegen doppelseitiger Pneumonie beider Unter¬
lappen im Krankenhause 1. d. Isar befindet. In der Familie keine Gicht;
er selbst hat keine Kinderkrankheiten gehabt, als Soldat Typhus.
1878 hatte er Gelenkrheumatismus, später noch zweimal, das letzte
Mal 1903. Im Jahre 1900 hatte Patient den ersten Gichtanfall im
rechten Grosszehengelenk, von da ab öfter. Nebenbei bestanden
Schmerzen, die sich besonders im Waden lokalisierten und sich
bis ins Kniegelenk erstreckten. Vor einem Jahre hatte er viel an
Wadenkrämpfen gelitten, die nachts öfters dreimal auftraten. Harn
frei von fremden Bestandteilen.
Die beim Krankenhauseintritt einsetzende Pneumonie begann
mit reichlichen Delirien. Die Temperatur ging nie über 39,2°; jetzt,
nach 8 Wochen, schwankt sie zwischen 36,0 — 37,5°; links hinten
unten besteht noch deutliches Bronchialatmen; auskultatorisch feuchte
grossblasige Rasselgeräusche, dabei ziemlich viel schleimig-eitriger
Auswurf. Die Lungenentzündung nahm also einen verschleppten
Verlauf; seit dem 29. März ist die Temperatur nicht mehr auf 38°
gestiegen.
Am 20. April klagte Patient plötzlich über Schmerzen und
Steifigkeit in allen Gliedern; Temperatur 37,5°. Am 23. ist das Gelenk
der rechten grossen Zehe verdickt, heiss, stark gerötet und ge¬
schwollen und bei leichtem Druck und den geringsten Bewegungen
sehr schmerzhaft. Die Gegend des Tarsometatarsalgelenkes war
beiderseits intensiv gerötet, geschwollen, heiss anzufühlen und
schmerzhaft auf Druck. — Die Schmerzhaftigkeit war so stark, dass
Patient nicht auftreten und keinen Schritt gehen konnte. Am 26. April
waren auf Mesotan-Alkoholeinreibungen und Aspirin die Schmerzen
verschwunden, Rötung und Schwellung zurückgegangen.
Man wird annehmen dürfen, dass der bei der Pneumonie
stattfindende Kernzerfall in Beziehung steht zur Auslösung
eines Gichtanfalls: es gelangt zu viel Harnsäure aus der zer¬
fallenden Kernsubstanz in das Blut und wird nicht schnell genug
damit aufgeräumt. Wissen wir doch, dass in H. Vogts6),
6) Handbuch der Ernährungstherapie und Diätetik von E. v. L e y-
den. I. Bd., 2. Aufl., 1903, S. 238.
°) H. V o gt: Ein Stoffwechselversuch bei akuter Gicht. Deutsch.
Arch. f. klin. Med., Bd. 71 (1901), S. 22—28.
wie auch in R e a c h s 7) Fall nach Thymusdarreichung ein
Gichtanfall auftrat. 8)
Derartige Fälle scheinen ziemlich selten zu sein, ebenso
wie auch die Komplikation von Pneumonie mit echter Gicht
allzu häufig beobachtet wird. Deshalb sei noch ein Fall an¬
geführt, der vom 31. Juli bis 13. August 1904 auf der II. med.
Klinik behandelt wurde.
Es handelte sich um einen 40 jährigen Taglöhner. Die Mutter
des Patienten leidet seit ihrem 20. Jahre an Gicht, der Vater soll nie
krank gewesen sein. Der Kranke machte während seiner Militär¬
zeit eine Lungenentzündung durch. Mit 26 Jahren bekam er Gicht¬
schmerzen, so dass er die Arbeit öfters auf längere Zeit aufgeben
musste. Die Schmerzen traten fast an allen Gelenken auf, besonders
klagte er über Steifigkeit im Hand- und Fussgelenk. Potatorium
18 Halbe pro die.
Bei der Aufnahme waren die Metatarsophalangealgelenke be¬
sonders des -ersten und zweiten Fingers beiderseits geschwollen,
ebenso am Fuss die Metatarsophalangealgelenke; auch unterhalb des
Malleolus externus dexter bestand eine Schwellung. Am 13. VIII. 04
wurde der Kranke gebessert entlassen; er klagte noch über Steifig¬
keit in den Gliedern. — Am 18. I. 05 kam er wieder9); einige Tage
zuvor hatte er viele Schüttelfröste gehabt und hohes Fieber und
Husten. Temperatur beim Eintritt 38,2°, die am 20. I. auf 36° fiel.
In dem schleimig-eitrigen Sputum fanden sich fast ausschliesslich
Pneumokokken. Die Perkussion der Lungen ergab links hinten unten
eine relative Dämpfung; auskultatorisch: am oberen Rand dieser
Dämpfung Bronchialatmen und deutliches Knisterrasseln; am 2. II.
bestanden bei der Entlassung 1. h. u. nur noch einige Rasselgeräusche.
Dämpfung und Bronchialatmung waren verschwunden.
In der Krankengeschichte ist nicht notiert, ob bei der Lösung
der Pneumonie ein Gichtfall ausgelöst wurde.
Die Frage, ob es eine spezifische Pneumonie der Gicht¬
kranken gibt, wird von den meisten Autoren verneint 10). Karl
Grube11) hat indes zwei derartige Fälle beobachtet, die
einmal besondere, von der gewöhnlichen Lungenentzündung
abweichende Züge darboten, andernteils untereinander eine
solche Uebereinstimmung zeigten, dass er eine Verwandtschaft
zwischen ihnen für wahrscheinlich hält:
Der erste Kranke, hereditär arthritisch belastet, hatte wiederholt
typische Gichtanfälle durchgemacht. Nach einer Influenza stellten sich
Arrhythmie der Herztätigkeit, sowie Anfälle von Dyspnoe, geringes
Emphysem usw. ein. Der Patient wurde darauf von dyspnoischen
Anfällen befallen; es trat eine Dämpfung an der hinteren unteren Partie
der linken Lunge auf. Die Auskultation ergab Knisterrasseln. Fieber
bestand nicht. Sputum rostbraun. Nach drei Tagen war die Dämp¬
fung verschwunden; abgesehen von etwas verschärftem Atmen bot
die Auskultation normale Verhältnisse.
Der zweite Kranke, den Grube beobachten konnte, hatte früher
an typischen Gichtanfällen gelitten, bekam dann stechende Schmerzen
in der linken Brustseite. Hinten links und unten leichte Dämpfung,
Krepitation; oben Bronchialatmen und einzelne mittelblasige Rhonchi.
Abendtemperatur 38°. Nach 2 Tagen schwanden die physikalischen
Erscheinungen am Thorax, dagegen stellte sich airrdritten
Tage ein leichter, jedoch typischer Podagraanfall
am linken Fusse ein. In dem zitronenfarbenen Sputum konnte Harn¬
säure nachgewiesen werden.
Einen ähnlichen Fall beschrieb James Grant12):
Es handelte sich um einen kräftigen 78 jährigen Mann, bei dem
die Gicht nicht hereditär war, der aber plötzlich unter starken
Schmerzen in der rechten Brust, entsprechend der Stelle des mitt¬
leren Lungenlappens, an allgemeinem Unwohlsein und ziemlich hef¬
tigem Husten erkrankte. Die Temperatur stieg bis auf 39,5°. Patient
schied einen dicken, zähen, stellenweise rostfarbenen Schleim aus.
Oberhalb und über der schmerzhaften Stelle bestand Dämpfung, das
Atmungsgeräusch war deutlich; vereinzeltes geringes Rasseln.
11 Tage später wurden beide Fiisse schmerzhaft und schwollen an,
während gleichzeitig die Lungenerscheinungen zurückgingen.
Zu den letzten mitgeteilten Fällen sei noch bemerkt, dass
beide Patienten G rubes das Jahr zuvor je eine schwere
Influenza durchgemacht hatten; ist es doch bekannt, wie u. a.
7) Felix Reach: Ein Beitrag zur Kenntnis des Stoffwechsels
bei Gicht. Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 29, S. 1215 ff.
8) Vergl. auch B. Bloch: Zur Kenntnis des Purinstoffwechsels
beim Menschen. Arch. f. klin. Med., Bd. 83 (1905), S. 499 und
C. v. No ord en: Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels,
Bd. II (1907), S. 162.
9) Der Kranke befindet sich zurzeit wieder wegen gichtischer
Schmerzen in den Fingern und Ellbogen auf meiner Abteilung.
10) Vergl. Finkler: Die akuten Lungenentzündungen als In¬
fektionskrankheiten. Wiesbaden 1891.
u) Gibt es eine spezifische Pneumonie der Gichtischen? D. med.
Wochenschr. 1893, No. 47, S. 1205 ff.
12) Rare formes of gout and rheumatism. New York medical
Record, XLIII, vom 11. November 1893, S. 609 ff. (Pneumonie gout).
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1677
A. P r i b r a m 13) hervorgehoben hat, dass besonders die In¬
fluenza prädisponierend wirkt für die Entwicklung von Gicht¬
anfällen.
Weiter möchte ich noch des Verhaltens der Temperatur
bei derartigen Fällen gedenken. C. Gerhardt14) hat drei
Fälle von kruppöser Pneumonie mit echter Gicht gesehen bei
vollständig fieberfreiem Verlauf. Wie A. Doebert des ge¬
naueren berichtet, wurde in einem dieser drei Fälle die doppel¬
seitige Unterlappenpneumonie durch die Autopsie erhärtet; das
Fieber schwankte von 36,6 bis höchstens 37,5 °. Eine ähnliche
„temperaturherabsetzende“ Wirkung der Gicht beobachtete,
wie oben erwähnt, auch Grube.
Auf Grund obiger Mitteilungen wird man die bei der Gicht
vorkommenden Lungenaffektionen von den bei der Lösung von
Pneumonien auftretenden Gichtanfällen unterscheiden müssen.
Wir können uns vorstellen, dass ein Plus von zerfallender
Nukleinsubstanz bei zur Gicht disponierten Menschen gelegent¬
lich, aber nicht immer, einen Anfall auszulösen vermag, wie
auch Thymusdarreichung bei Gichtischen nicht jedesmal einen
Ausfall hervozurufen braucht.
Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Breslau
(Direktor: Geheimrat Prof. v. Strümpell).
lieber die Darreichung von Arzneimitteln in Rumpe I-
schen Kapseln (Kapsulae geloduratae).
Von Dr. Schlecht, Assistenzarzt der Klinik.
Arzneimittel per os so einzuführen, dass sie nicht im
Magen, sondern erst im Darm zur Resorption gelangen, ist
erwünscht: einmal bei der Verabreichung solcher Arzneien,
die durch ihren anhaltenden schlechten Geschmack ungern ge¬
nommen werden und die auch nach Einführung in den Magen
vermittels der einfachen Gelatinekapseln nach Lösung der¬
selben durch Regurgitieren anhaltende Geschmacksbelästi¬
gungen verursachen; zum anderen auch bei solchen, deren
Wirkungsort der Darm sein soll und die mau möglichst wirk¬
sam dorthin gelangen lassen will, zum letzten vor allem auch
bei den Medikamenten, die eine örtlich reizende Wirkung auf
die Magenschleimhaut ausüben. Die meisten dahin zielenden
Versuche gingen von dem einheitlichen Gedanken aus, die
Medikamente mit einer Hülle oder Kapsel zu umgeben, die eine
gewisse Widerstandskraft gegen die verdauende Kraft des
Magensaftes haben muss. Die ersten brauchbaren Ergebnisse
führten zu den Unnaschen Dünndarmpillen [l], deren wirk¬
sames Prinzip in einer Keratinhülle besteht. Verbessert wurde
diese Methode durch C e p p i und Y o o n [2], ferner durch
G. V e d e r [3] durch Anbringung eines Salolüberzuges über
die Pillen. Die Dünndarmpillen und die entsprechend ange¬
fertigten Capsulae keratinosae haben sich in die Praxis wenig
eingebürgert. Auch fehlt es nicht an Beobachtungen über
die Unzuverlässigkeit der genannten Kapseln. Von E w a 1 d [4]
und Sa h 1 i [5] wurden verschiedene grosse Mängel der Kap¬
seln nachgewiesen. Versuche mit Jod- und Salizylkapseln, die
zugleich mit einem Probefrühstück gegeben wurden, ergaben,
dass schon nach % Stunden eine solche Menge von Jod und
Salizyl im Magen vorhanden war, dass die Pillen mit Not¬
wendigkeit gelöst sein mussten. Sahli [7] stellte dann selbst
Versuche ian, als deren Resultate die sogenannte Glutoid-
kapseln, das sind in wässeriger Formaldehydlösung gehärtete
Gelatinekapseln, anzusehen sind. Diese Kapseln kommen nach
den ausgedehnten Versuchen Sahlis mit Sicherheit erst im
Darm zur Lösung. Ein Nachteil besteht nach R u m p e 1 [6]
vor allem in der Anwendung der wässerigen Formal¬
dehydlösung, welche die Kapseln stark zum Quellen bringt,
wodurch die Formalineinwirkung eine zu intensive wird. Auch
können nur die schon fertig gefüllten Kapseln, soweit sie in
Wasser unlösliche oder schwer lösliche Substanzen enthalten,
gehärtet werden. Eine Härtung der Capsulae operculatae ist
nach der Sahli sehen Methode nicht möglich. Soweit die
Glutoidkapseln nach obigen Grundsätzen Verwendung finden
13) Prager med. Wochenschr. 1890, No. 10 u. 11.
14) Fieber bei Gicht. Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 47,
S. 1584 (Krankenvorstellungen) und Arthur Doebert, über das
gleiche Thema in seiner Inaug.-Diss. 1901, S. 49.
können, erfüllen sie ihren Zweck, Arzneimittel unbehindert und
unverändert in den Darm gelangen zu lassen, vollständig. In
neuester Zeit sind nun von Dr. Rumpel in Breslau Capsulae
geloduratae hergestellt worden, die mit den Sahli sehen Glu¬
toidkapseln das Grundprinzip, nämlich die Verwendung von in
Formalin gehärteter Gelatine gemeinsam haben, deren Her¬
stellungsart aber von der Sahli sehen abweicht und ver¬
schiedene Vorteile vor ihr voraus hat. Rumpel verwendet
Lösung von Formaldehyd in Alkohol, Aether oder überhaupt
in solchen Flüssigkeiten, welche in geeigneter Konzentration
die Gelatine selbst gar nicht oder nur in sehr geringem Grade
zum Quellen bringen. Es lassen sich mit dieser Methode auch
die aus zwei ineinander schiebbaren Hüllen bestehenden Cap¬
sulae operculatae härten. Die Verschliessstelle der nachträg¬
lich mit den Arzneimitteln gefüllten Kapseln wird mit Kollodium
verschlossen. Es lassen sich hierdurch auch in Wasser leichter
lösliche Substanzen in die Kapseln einfüllen. Die erste Her¬
stellung und Zusammenstellung des Härtegrades der Capsulae
geloduratae geschah unter Kontrolle des Verhaltens der Kap¬
seln im Magen und Darm von Hunden mit entsprechenden
Fisteln, sowie an Patienten mit Anus praeternaturalis (Heile)
und unter gleichzeitiger Kontrolle im Reagensglas mit künst¬
lichem Magen- und Pankreassaft. So wurden die Kapseln in
dem Härtungsgrade hergestellt, dass die Kapseln bis zu 8 Stun¬
den im künstlichen Magensaft ungelöst blieben, und nach zwei¬
stündiger Vorbehandlung mit Magensaft sich in alkalischer
Trypsinlösung in 10 — 20 Minuten lösten. Mit gutem Erfolg an¬
gewandt wurden bisher von Heile [8] Isoformkapseln.
Seit einem Jahre sind nun die R u m p e 1 sehen Capsulae
geloduratae in unserer Klinik mit den verschiedensten Arznei¬
mitteln in Anwendung gekommen. Die durchaus günstigen Re¬
sultate, die wir während dieser Zeit mit den Kapseln gehabt
haben, haben mich veranlasst, im folgenden über die Resultate
kurz zu berichten.
Es wurden zunächst experimentelle Nachuntersuchungen
der Löslichkeitsverhältnisse der von der Pohl sehen Kapsel¬
fabrik in Schönbaum (Danzig) nach der Angabe Rumpeis
hergestellten Kapseln in vitro mit künstlichem und natürlichem
Magensaft angestellt.
I. Proben mit künstlichem Magensaft bei 37° (0,2 Proz.
Salzsäure und 1 Proz. Pepsin enthaltend):
1. 2 Caps, gelod. mit Coffein, pur. 0,2 halten 6 Stunden dein
Magensaft stand, 2 weitere Kapseln je 7 und 7Vs Stunden. Behandelt
man die Kapseln 2 Stunden mit dem Magensaft und bringt sie als¬
dann in Pankreaslösung (1 Proz. Pankreon und 2 Proz. Sodalösung),
so öffnen sich die Kapseln in 7 — 22 Minuten. Nach 45 Minuten ist
die Kapselhülle fast ganz gelöst bis auf geringe Reste.
2. Ovogalkapseln zu 0,3 g (am 29. X. 06 hergestellt) hielten zwi¬
schen 5 und 6Va Stunden dem Magensaft stand. Nach zweistündiger
Vorbehandlung mit dem Magensaft begann der Austritt der Arznei¬
mittel im Pankreassaft nach 13 — 17 Minuten.
3. Digitaliskapseln, enthaltend 0,1 Digit, (am 31. VII. 06 her¬
gestellt) halten 5 — 6 Stunden dem Magensaft und 18 — 20 Minuten der
Pankreatinlösung stand.
4. Bismuth. subnitr.-Kapseln (am 17. VII. 06 hergestellt) halten
4— 6 Vs Stunden dem Magensaft, 12—20 Minuten der Pankreatinlösung
stand.
II. Proben mit natürlichem Magensaft bei 37°:
1. Magensaft von einer Gesamtazidität — 90. Freie Salzsäure
stark +. Milchsäure negativ.
Digitaliskapseln halten dem Magensaft über 4— 6Vs Stunden
stand; nach zweistündiger Vorbehandlung im Magensaft erfolgt die
Oeffnung in künstlicher Pankreatinlösung in 5 Minuten.
2. Magensaft: Gesamtazidität = 5. Freie Salzsäure — 0. Milch¬
säure = 0.
Capsulae geloduratae halten über 6 Stunden der Einwirkung
des Magensaftes stand, Versuch wird dann abgebrochen.
Nach Vorbehandlung wie üblich löst sich die Kapsel in der
Pankreatinlösung in 20 — 25 Minuten.
3. Magensaft: Gesamtazidität = 25. Freie Salzsäure — 0. Milch¬
säure = +.
Capsulae geloduratae mit Ovogal 0,3 halten über 6 Stunden dem
Magensaft stand, der Versuch wird alsdann abgebrochen. Nach
zweistündiger Magensafteinwirkung erfolgt die Oeffnung in Pan¬
kreatinlösung nach 2- — 3 Minuten.
In den drei natürlichen Magensäften lösten sich gewöhn¬
liche, nicht gehärtete Gelatinekapseln in 2 — 6 Minuten.
Aus den angeführten Versuchen geht hervor, dass die
Capsulae geloduratae dem Magensaft genügend lange Zeit
iuy o
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Widerstand leisten und dass ihre Lösung resp. Eröffnung und
damit der Austritt der Arzneimittel in den Dünndarm in kürze¬
ster Zeit erfolgt. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Kap¬
seln auch schwachsaurem oder anazidem Magensaft stand¬
halten, ein Vorzug, der den Keratinkapseln abgeht. Diese letz¬
teren kommen in ungenügend saurem Magensafte zur Lösung
und müssen deshalb nach Angabe der Fabrik stets mit Salz¬
säure verabreicht werden. Ein weiterer Vorzug der Capsulae
geloduratae ist ihre schnelle Löslichkeit im Darm. Die Keratin¬
kapseln sind in dieser Hinsicht weniger zuverläsig. Bei Ver¬
suchen mit Keratinkapseln unter denselben Bedingungen wie
oben entstanden bei verschiedenen innerhalb 1 — 2 Stunden im
Magcnaft kleine Löcher und es schwammen von dem Inhalt
(Salizyl) kleine Kristalle im Magensafte umher. Die Lösung
im Pankreatinsaft erfolgte erheblich später, bei einigen nach
30 Minuten; bei mehreren blieb unter der Keratinschicht noch
eine andere Hüllschicht bestehen, die selbst nach zweistündiger
Pankreatinbehandlung sich nicht löste. Ausserdem kleben die
Kcratinkapseln sehr leicht fest aneinander, bekommen bei der
Lösung Sprünge und Risse. Erwähnt sei auch, dass die
Keratinkapseln doppelt so teuer sind wie die Geloduratkapseln.
Sahli sehe Glutoidkapseln mittlerer Härtung hielten noch
2 7 Stunden dem Pankreatinsaft stand. Aber auch die
schwach gehärteten Glutoidkapseln beginnen nach den eigenen
Angaben Sahlis erst nach 1/4 — 2 Stunden sich zu lösen.
Aus Versuch I, 2 — 4 geht hervor, dass auch ältere Kapseln,
die zum Teil 1 Jahr alt waren, durchaus brauchbar blieben.
Von Arzneimitteln sind im Laufe des letzten Jahres an
unserer Klinik folgende in R u m p e 1 sehen Kapseln verab¬
reicht worden: Digitalis. Koffein, Diuretin, Natr. salicyl.,
Aspirin, Acid. salicyl., Kodein, Belladonna, Bismuth. subnitr.,
Kal. jodat., Methylenblau, Kreosot. Leberthran, Ol. Tere-
binth., Creosotal. composit., Chinin, Theoziin, Thymol, Ovogal.
Es würde zu weit führen, die Krankengeschichten der mehrere
hundert Fälle, bei denen die Kapseln bisher erprobt wurden,
hier wiederzugeben, es seien jedesmal nur einige Beispiele an¬
geführt.
Von Arzneimitteln, welche wegen ihres schlechten Ge¬
schmackes ungern genommen werden und auch nach Verab¬
reichung in einfachen Gelatinekapseln nach deren Lösung durch
Regurgitation Beschwerden verursachen, sind vor allem zu
nennen die Kreosotpräparate, das Terpentinöl, ferner das .Tod¬
kalium, das Chinin, die Balsamica z. B. Santalöl, Extr. filic.
mar. usw.
Das Kreosot wurde in unserer Klinik bisher in der Form
einer Mixtura Guaiacoli verabreicht, die Kal. sulfoguaiacol.
30.0 mit Sir. aurant. zu 300,0 Wasser enthält. Obwohl der
Mixtur ein direkt widerlicher oder unangenehmer Geschmack
nicht zukommt, wurde doch auf den Frauenstationen nach
kürzerer oder längerer Zeit über starke Geschmacksbelästi¬
gungen geklagt. An Stelle der Mixtur wurden alsdann Caps,
geloduratae mit Creosotal. compos. gegeben. Diese Kapseln
enthalten: Creosot. carbon. 0,2, Bals. tolul. 0,3, Camph. trit.
0.05, Dionin 0,0125. Die Kapseln sind bei einer grossen Reihe
von Phthisen gegeben worden, wurden von den Patientinnen
ohne Widerstreben genommen und vorzüglich vertragen. Ich
führe ein Beispiel von vielen an:
M. TL. 36 Jahre. Diacnose: Schwere Phthisis milm. Pat. er¬
hielt gleich zu Anfang der Behandlung Cans. gelodurat. creosot. Pat.
konnte die Kapseln gut scb.lucken. hatte keinen schlechten Geschmack,
kein Aufstossen. keine Magenbeschwerden. Darauf wurden die
Kanseln versuchsweise ausgesetzt und Mixt. Guajacol verabreicht:
schon nach wenigen Tagen Klagen über Geschmacksbelästi$nmg.
trotzdem wird die Mixtur auf Zureden weiter genommen. Nach
10 Tagen erklärt Pat.. dass sie die Arznei nicht mehr nehmen könne
wegen der starken Magenbeschwerden. Daraufhin wurden wieder
Cans. gelodarat. gegeben und seit einem Monat ausgezeichnet ver¬
tragen.
Als zweckmässig erwiesen sich die Kapseln bei der Ver¬
abreichung der Balsamica z. B. des Santalöls und bei Ter¬
pentinöl. Das lästige Aufstossen, das bei ersterem trotz der
Einführung in einfachen Gelatinekapseln, meist erfolgt, fällt bei
den Geloduratkapseln vollständig fort. Dass das Terpentinöl
innerlich in den Kapseln gut vertragen wird lehrt folgender
Fall:
Patient G. Diagnose: Tuberculos. pulm. mit fötider Zersetzung.
Diabetes. Pat. bekam zunächst Terpentinöl 0,5 innerlich in unge¬
härteten Gelatinekapseln. Bald darauf klagte er über dauernde starke
Geschmacksbelästigung, die ihm den Appetit verderbe. Er erhielt da¬
rauf Terpentin 0.6 in Caps, gelodurat. mehrmals täglich. Schon am
nächsten Tage gab er an, dass die Geschmacksbelästigung geringer ge¬
worden, am darauffolgenden Tage ganz gering geworden sei und der
Appetit sich bessere.
Jodkalium wurde ebenfalls in Caps, gelodurat. verabreicht.
Es ist hier auf die eingangs bereits gemachte Bemerkung noch¬
mals hinzuweisen, dass die Füllung mit leicht wasserlöslichen
Substanzen bei den Sahli sehen Kapseln nicht möglich ist.
Hier bietet die R u m p e 1 sehe Methode den grossen Vorteil
insofern, als die aus zwei inaneinder schiebbaren Hüllen be¬
stehenden Caps, operculatae gehärtet, nachträglich mit dem
Arzneimittel gefüllt und durch Kollodiumüberzug über die Ver¬
schlussstelle geschlossen werden können. Dadurch ist auch
dem Apotheker die Möglichkeit gegeben, die Kapseln leer vor¬
rätig halten und nach Bedarf mit den Arzneimitteln in möglichst
frischem Zustande hüllen zu können. Schon R u m p e 1 hat
darauf aufmerksam gemacht, dass auch bei seinen Kapseln eine
Diffusion leicht löslicher Substanzen z. B. des Jods durch die
Kapsel nicht ganz zu vermeiden ist. Dies erfolgt, wie sich
experimentell feststellen lässt, schon sehr bald. So konnte ich
bei einer Patientin, die zugleich mit einem Probefrühstück
eine Jodkapsel erhalten hatte, in dem % Stunden später aus-
geheberten Magensaft eine deutliche, wenn auch nur geringe Jod¬
reaktion nachweisen. Im Reagensglas stellte sich der Versuch
so ein, dass nach 20 — 30 Minuten in der Kapsel das Jodkalium
sich zu verflüssigen begann und nach 40 — 50 Minuten ganz ver¬
flüssigt war. Es scheint aber doch so wenig Jod durch die
Kapsel durchzudringen, dass in praxi diese Menge nicht aus¬
reicht, um grössere Beschwerden zu machen, zumal wenn man
die Kapseln nüchtern gibt und dadurch ihre möglichst schnelle
Ueberführung in den Darm begünstigt. In einer grossen Reihe
von Fällen wurden die Kapseln, nachdem vorher eine Mixt,
jodat. wegen schlechten Geschmackes und Magenbeschwerden
abgelehnt worden war, in ausgezeichneter Weise, ohne jede
Belästigung vertragen.
Ms.: E. Sch.. Diagnose: Taboparalyse, erhielt 8 — 10 Tage lang
Mixt, jodat., klagte dann über den bitteren Geschmack, zunehmende
Magenbeschwerden und Appetitlosigkeit. Darauf Caps, gelodurat.
mit Jodkali gegeben: der Appetit besserte sich, die Kapseln wurden
lange Zeit ausgezeichnet vertragen.
Fr. S., Diagnose: Lues cerebrospinalis, hat 3 Wochen lang .Tod¬
kapseln genommen und keinerlei Beschwerden gehabt. Sie gab an,
dass die Kapseln durchaus nicht bitter seien, gar keinen üblen Ge¬
schmack und keine Beschwerden verursachen.
Dass die durch die Ausscheidungsvorgänge des Jods her¬
vorgerufenen Nebenerscheinungen nicht zu vermeiden sind,
darf nicht Wunder nehmen; so ging auch bei einem Patienten
der nach längerer Verabfolgung von Jodmixtur einen Jod¬
schnupfen bekam, dieser nach Einführung der Kapseln nicht
zurück. Und doch blieben bei einer Patientin, die früher schon
öfter mit Jod behandelt worden war, bei der aber jedesmal
die Kur kurz nach Beginn wegen äusserst heftiger Erschei¬
nungen von seiten der Schleimhäute (Jodschnupfen, Kon¬
junktivitis) unterbrochen werden musste, diese Erscheinungen
bei Anwendung der Jodkapseln trotz langer Behandlung voll¬
ständig aus. Chinin sulf. wurde in mehreren Fällen ohne Be¬
schwerden in Kapseln genommen. Eine Beeinträchtigung der
Wirksamkeit liess sich nicht feststellen.
Unter den Arzneimitteln, deren Wirkungsort der Darm
sein soll, ist vor allem der Extract. filic. maris zu erwähnen.
Derselbe wurde bisher seines schlechten Geschmackes wegen
schon in Gelatinekapseln verabreicht. Er macht aber trotzdem
in vielen Fällen starke Beschwerden. Vor allem ist es er¬
wünscht, die ganze Menge des Extraktes in unveränderter
Quantität und Qualität an seinen Wirkungsort den Darm, ge¬
langen zu lassen. Das erreicht man mit Geloduratkapseln vor¬
züglich. Zu diesem Zwecke sind Capsulae geloduratae auch
in der neuen Auflage seines Lehrbuches von Professor v.
Strümpell bei der Besprechung der Bandwurmkuren aus¬
drücklich empfohlen.
Patient B. Taeniae sasrinata. Bandwurmmittel in Gelodurat¬
kapseln ohne Beschwerden .vertragen. Taenia mit Kopf ab^eyantre'1
Dass man allerdings auch mit den Gelodaratkapseln einmal
einen Misserfolg haben kann, lehrt folgender Fall.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Patient S., Taenia saginata, erhielt morgens nüchtern 8,0 Extr.
fil. mar. in Geloduratkapseln. lVs — 2 Stunden nachher heftiges Er¬
brechen. Das Erbrochene enthielt fast nur Extrakt.
Ob es sich hier um Zuriickfliessen des bereits im Darm
befindlichen Extraktes gehandelt hat, oder ob eine technisch
nicht einwandsfrei hergestellte Kapsel zu früh in Lösung ge¬
gangen ist, muss dahingestellt bleiben.
Weiter dürften die Kapseln eine grosse Rolle spielen bei
der Medikation des neuen Darmdesinfiziens, des Isoforms.
Das Isoform lässt sich, wie auch schon Heile [8] nachge¬
wiesen hat, mit Caps, geloduratae gut einnehmen. Bei uns
wurde es in einigen Fällen von Icterus catarrhalis gegeben
und ohne Beschwerden vertragen. Nach 2 günstigen Beob¬
achtungen bei krampfartigen partiellen Darmsteifungen, wohl
auf Grund peritonitischer Verwachsungen, sind die Kapseln
auch zweckmässig zur lokalen Applikation von Belladonna.
Auch bei Ileuserscheinungen auf Grund irgend welcher innerer
Einklemmungen und Darmtorsionen dürfte diese Art der Dar¬
reichung von Belladonnapräparaten empfehlenswert sein.
I11 die Gruppe der Arzneimittel, die bei längerem Auf¬
enthalt im Magen eine örtlich reizende Wirkung auf die Magen¬
schleimhaut ausüben, lallen vor allem die Salizylpräparate,
das Chinin, die Diuretika und Digitalis.
Von Salizylpräparaten wurden Natr. salicyl. und Acid.
salicyl. in Kapseln sehr gut vertragen. Auch das Aspirin, das
die unangenehmen Eigenschaften der Salizylpräparate nicht
haben soll, das aber in grösseren Dosen sehr oft zu Magen¬
beschwerden führt, wurde in Geloduratkapseln besser ver¬
tragen.
Weitaus die wichtigste Rolle spielen die Capsulae gelo¬
duratae und am praktisch wichtigsten ist ihre Anwendung bei
den Diuretizis und der Digitalis. Hier sind die Kapseln oft
geradezu unentbehrlich. Es ist hinlänglich bekannt, wie man
bei der Verabreichung von Digitalis und Diuretin mit den nur
zu bald auftretenden lästigen Magensymptomen immer wieder
zu kämpfen hat. In unserer Klinik sind schon seit etwa einem
Jahre die Versuche gemacht worden, die genannten Mittel in
Geloduratkapseln zu geben, und zwar mit so günstigem Er¬
folge, dass Digitalis und Diuretin fast ausschliesslich in
Rumpel sehen Kapseln verordnet werden. Die Kapseln
werden in der ausgezeichnetsten Weise vertragen; bei Pa¬
tienten, bei denen vorher bald nach Gebrauch von Digitalis in
Infus- oder Pulverform starke Magenbeschwerden auftraten,
blieben diese Nebenerscheinungen auch bei längerer Verab¬
reichung vollständig aus. Es seien von den zahlreichen
Fällen einige Beispiele angeführt.
Pat. Fr. D.. schweres inkompen'Siertes Vitium cordis (Mitral¬
insuffizienz und Stenose), erhielt Digitalis in Pulverform zn 0,1, 3 mal
tägl.; nach 2 Tagen starke Uebelkeit und Erbrechen. Kapseln mit
Digit. 0,1 bis zum Eintritt der Digitaliswirkung gut vertragen.
Pat. E. P., Vitium cordis, erhielt .am Tage der Aufnahme 3 mal
tägl. 0.1 Digital. Am nächsten Tage starkes Uebelsein mit Erbrechen.
Darauf Verabfolgung des Digital, in Caps, gelodurat., ohne Beschwer¬
den tagelang vertragen.
Ganz entsprechend waren die Resultate bei der Medikation
von Diuretin und Koffein.
Ich möchte hier noch darauf hinweisen, dass Löwy [14]
nachgewiesen hat, dass Digitalisaufguss durch Salzsäure von
der Stärke der Magensalzsäure in allen Fällen geschwächt
wird. Es müsste somit die Digitalis durch ihren Aufenthalt im
Magen und die lange Berührung mit dem Magensaft in ihrer
Wirksamkeit Einbüsse erleiden. Trifft das tatsächlich zu, so
muss die Anwendung der Geloduratkapseln doppelt erwünscht
erscheinen.
Zum Schlüsse sei noch auf die nach der Rumpel sehen
Methode hergestellten Valylperlen hingewiesen, die ebenfalls
ausgezeichnet gut vertragen wurden.
Der Einführung der Kapseln stehen mechanische Hinder¬
nisse meist nicht entgegen. Mit Ausnahme von 2 Fällen
konnten alle Patienten die Kapseln mühelos schlucken. Das
liegt wohl vor allem auch an der Elastizität der Capsulae
geloduratae, ein Vorzug, der den herben und daher schlecht zu
schluckenden Keratinkapseln abgeht.
Lange Zeit hindurch wurde der Stuhl von den Patienten,
die Rumpel sehe Kapseln erhalten hatten, sorgfältig gesiebt.
Es wurden niemals uneröffnete Kapseln im Stuhlgang gefunden.
Ueber die Verwendbarkeit der Rumpel sehen Kapseln
1679
zu diagnostischen Zwecken sind grössere Versuche noch nicht
gemacht worden, doch werden die mit Wismuth ge¬
füllten Kapseln bei uns zur Untersuchung des Magens
mit Röntgenstrahlen mit gutem Erfolg angewandt.
Es hat sich somit in der Gesamtheit der zahlreichen an
unserer Klinik angestellten therapeutischen Versuche gezeigt,
dass den gehärteten Dünndarmkapseln eine grosse Bedeutung
in der Arzneiverordnung zukommt. Leider hat sich bisher ihre
Anwendung nicht in die Praxis eingebürgert, bei den Keratin¬
kapseln wohl hauptsächlich wegen ihrer doch zahlreichen
Mängel; aber auch die Glutoidkapseln Sahlis haben, obwohl
sie in der Grenze ihrer Anwendbarkeit Vorzügliches leisten,
keine rechte Beachtung in der Therapie gefunden. Meine Ver¬
suche dürften dargetan haben, dass die neuen Rumpel sehen
Capsulae geloduratae, die ausserdem den Vorzug grosser Bil¬
ligkeit besitzen, die Anforderungen, die an die Brauchbarkeit
solcher Kapseln gestellt werden müssen, in weitestem Masse
erfüllen.
Literatur:
1. Unna: Verliandl. des III. Kongr. f. innere Med. 1884. -
2. C e p p i und Yoon: Ref. in der Pharmazeut. Zeitung 1891, No. 83.
— 3. .Q Veder: Berl. klin. Wochenschr. 1894, No. 15. — 4. Ewald:
Verdauungskrankheiten. I. — 5. Sahli: Deutsche med. Wochenschr.
1897. — 6. Rumpel: Pharmaz. Monatsh., Juli 1906. — 7. Sahli:
Deutsch. Arch. f. klin. Med., 61. Bd. — 8. H e i 1 e: Sammlung klinischer
Vorträge 1905. — 9. Fromme: Inauguraldissertation, Qiessen 1901.
— 10. Delachaux: These de Lausanne, Neuchatel 1901. —
11. Wallenfang: Dissertation, Bonn 1903. — 12. A. Schmidt:
Verhandl. des Kongr. f. innere Med. 1904. — 12. Hoff mann: Mit¬
teilungen a. d. Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie 1905. —
14. Löwy: Wien. klin. Wochenschr. 1906, No. 39.
Aus dem Kinderhospital in Hamburg-Borgfelde.
Zur Kasuistik der angeborenen Nabelschnurbrüche
(Ectopia viscerum).
Von Dr. Ringel.
Nabelbrüche im eigentlichen Sinne, wie wir sie so häufig
im kindlichen Alter zu beobachten Gelegenheit haben, sind
stets ein erworbenes Leiden. Mit Recht wird von G r a s e r [1]
hierauf ausdrücklich aufmerksam gemacht, weil der Nabel sich
erst einige Zeit nach der Geburt als Narbe an der Stelle der
abgestossenen Nabelschnur entwickelt. Es kann also höchstens
die Disposition zu einem Nabelbruch angeboren sein, indem der
Nabelring sich nicht genügend kontrahiert hat. Ganz anders
die Nabelschnurbrüche, bei welchen Baucheingeweide aus dem
Nabelring herausgetreten, nur von der Nabelschnur bedeckt
werden. Sie sind stets ein angeborenes Leiden und gehören
den echten Hemmungsmissbildungen an. Bisweilen werden
die Nabelschnurbrüche denn auch mit anderen Missbildungen
gleichzeitig angetroffen: Ectopia vesicae, Spina bifida, Hemi-
cephalie, Hasenscharte u. a. m.
Das Zustandekommen angeborener Nabelschnurbrüche
wird von A h 1 f e 1 d so erklärt, dass der Ductus omphalo-
mesaraicus nicht rechtzeitig zum Schwund kommt, wodurch
verhindert wird, dass derjenige Dünndarmteil, an welchen er
sich ansetzt, und der zu einer gewissen Zeit der fötalen Ent¬
wicklung ausserhalb der Bauchhöhle im Dottersack gelagert
ist, sich nicht in die Bauchhöhle zurückziehen kann. Dadurch
wird weiterhin der rechtzeitige Schluss der Bauchspalte auf¬
gehalten, und es bleibt eine mehr oder weniger weite Kom¬
munikation zwischen der Bauchhöhle und dem fötalen Ansatz
der Nabelschnur bestehen. Dieser Entstehungsursache ent¬
sprechend finden wir bei kleinen Nabelschnurbrüchen als In¬
halt stets Teile aus dem unteren Ileum, mit zunehmender
Grösse das Zoekum, grössere Darmabschnitte, und schliesslich
auch andere Organe der Bauchhöhle, so namentlich die Leber
in ganzer Ausdehnung oder einen Teil derselben, Fälle, die
richtiger als Ectopia viscerum zu bezeichnen sind.
Die Grösse' der zur Beobachtung gelangten Nabelschnur¬
brüche schwankt zwischen einer kaum merklichen Anschwel¬
lung des Ansatzteiles der Nabelschnur, und einer Ausdehnung
derselben bis weit über Kindskopfgrösse.
Liindfors [2] hat zuerst alle bis zum Jahre 1891 in der
Literatur bekannt gewordenen Fälle dieser Missbildung zu¬
sammengestellt. Es sind dies aus der Zeit bis zum Jahre 1882
1680
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
34, und von da ab bis 1891 31 Fälle. Knoop [3] berichtet über
weitere 46 bis zum Jahre 1902 veröffentlichte Fälle von Nabel¬
schnurbruch, worunter sich 3 eigene Beobachtungen aus der
Werth sehen Klinik befinden. Seit dieser Zeit sind weiter
mitgeteilt worden 2 Fälle von He dm an [4] und je einer von
Z i 1 1 m e r [5] und von M o r a n [6], welch letzterer über einen
Nabelschnurbruch von Fussballgrösse berichtet.
Bei der relativen Seltenheit der genannten Missbildung
dürfte es von Interesse sein, über 2 derartige Fälle Näheres
mitzuteilen, welche ich im letzten Jahre zu beobachten und be¬
handeln Gelegenheit hatte, und bei denen sich ein Befund er¬
gab, der mir diese Veröffentlichung zu rechtfertigen scheint.
Kurt H., geboren am 3. April 1906, wurde am 7. April in das Kin¬
derhospital gebracht, weil er seit der Geburt noch keine Darment¬
leerung gehabt hatte, und seit 2 Tagen nach jeder Nahrungsaufnahme
(Brustkind) sofort erbrach. Kräftiges ausgetragenes Kind. Die Nabel¬
schnur, welche in ca. 7 cm Länge abgebunden ist, ist an ihrem Ur¬
sprung in Walnussgrösse halbkugelig erweitert, und enthält hier
sichtbar und fühlbar Darmschlingen. Die Nabelschnur ist an dieser
Stelle grünlich verfärbt, während sie an der Abbindungsstelle schon
vollkommen eingetrocknet ist. Der Leib des Kindes ist nicht wesent¬
lich aufgetrieben und ziemlich weich. — An beiden Corneae mehrere
Trübungen, sonst keinerlei Missbildungen.
Es wird sofort — ohne Narkose — die Nabelschnur etwas ausser¬
halb der Demarkationszone Umschnitten und der Bruchsack eröffnet,
nachdem die Nabelgefässe unterbunden sind. Es entleert sich sofort
reichlicher Darminhalt, und zwar aus einer linsengrossen Perfora¬
tionsöffnung, welche auf einem in Gangrän begriffenen, bleistiftdicken,
3 cm langen Meckel sehen Divertikel sass, welches mit der Spitze
im Bruchsack verlötet war. Neben diesem befanden sich 2 weitere
Dünndarmschlingen, wodurch der Nabelring vollkommen abge¬
schlossen und das Hineinfliessen von Darminhalt in die Bauchhöhle
verhindert wurde. Reinigung der Darmschlingen, Reposition der ge¬
sunden Därme. Das Meckel sehe Divertikel wird vorgezogen und
seitlich am Ileum reseziert. Querverlaufende Etagennaht am lleum,
Reposition des Darmes. Hierauf wird das Peritoneum geschlossen
und ebenso der ganze Nabelring mit durch die Haut durchgreifenden
Seidenknopfnähten.
Am Tage nach der Operation befand sich das Kind ganz wohl,
hatte kein Fieber und hatte mehrfach Darmentleerungen gehabt, bei
guter Nahrungsaufnahme.
Am 8. Tage konnten die Nähte entfernt werden, die Wunde war
per primam verheilt. Das Befinden des Kindes blieb andauernd gut.
Nach 14 Tagen trat insofern eine Störung ein, als sich beiderseits
in der Tunica vaginalis der Hoden eine zunehmende Anschwellung
unter Fieber herausbildete, die inzidiert wenden musste, wobei sich
Eiter entleerte. Ich glaube, dass es sich hier um vereiterte Häma¬
tome gehandelt hat, die dadurch entstanden waren, dass bei der
Operation Blut in die Bauchhöhle gelaufen war, welches sich durch
den noch offenen Processus vaginalis peritonei nach dem Skrotum
gesenkt hatte. Auch hier trat sehr schnell Heilung ein. Das Kind
ist jetzt, 1 Jahr nach der Operation, ganz gesund — mit Ausnahme
der Störung an den Augen — und hat sich sehr gut entwickelt. Die
Narbe in der Gegend des Nabels ist fest und ohne Hernienbildung.
Es ist nun in erster Linie die Frage zu beantworten, wo¬
durch in diesem Falle die Perforation des Me ekel sehen Di¬
vertikels veranlasst worden ist. Man könnte zunächst daran
denken, dass hier eine Inkarzeration Vorgelegen hätte, die zur
Gangrän geführt hat. Diese Möglichkeit ist jedoch zu ver¬
neinen. Die Darmschlingen, welche neben dem Divertikel in
dem Bruchsack lagen, waren absolut gesund und zeigten keine
Spur von Verfärbung durch Abschnürung. Es bleibt hier viel¬
mehr nur die eine Erklärung, dass der gangräneszierende Pro¬
zess sich von der Nabelschnur direkt auf das an ihr mit der
Spitze verlötete Me ekel sehe Divertikel fortgepflanzt hat,
und die Perforation später herbeiführte. Es ist dies eine Tat¬
sache, die für unser therapeutisches Vorgehen von entscheiden¬
der Bedeutung ist, und worauf ich weiter unten noch zurück¬
komme. Die zweifellos vorhanden gewesenen Ileuserschei-
nungen sind durch Darmparalyse zu erklären. Interessant ist
dieser Fall weiterhin dadurch, dass er eine Illustration zu der
A h 1 f e 1 d sehen Theorie der Entstehung der Nabelschnur¬
brüche bildet.
Ich lasse nun zunächst den zweiten Fall folgen:
Kind S., geboren am, 26. April 1906, wurde am 27. April in das
Kinderhospital gebracht. Ausgetragenes, kräftiges männliches Kind
von 3200 g Gewicht. 6 Geschwister leben und sind gesund zur Welt
gekommen.
Der Ansatzteil der Nabelschnur ist zu einem nahezu kindskopf¬
grossen äusserst dünnwandigen Sack ausgedehnt, in welchem zahl¬
reiche Darmschlingen deutlich erkennbar sind. Die Basis dieses
Sackes hat dem Nabelring entsprechend einen Durchmesser von
ca. 4 cm. Hier befindet sich die scharf ausgeprägte Demarkationslinie
der Nabelschnur. Von letzterer hängt noch ein 6 cm langes Stück
an der Kuppe des Sackes von normaler Dicke. Das Abdomen des
Kindes ist ziemlich flach und gespannt. Weitere Abnormitäten sind
nicht erkennbar.
Die Operation wird unverzüglich vorgenommen (ohne Narkose):
Umschneidung des ganzen Bruchsackes etwas ausserhalb der De¬
markationslinie der Nabelschnur. (Eröffnung des Bruchsackes. In
demselben befindet sich fast der ganze Dünndarm, ein grosser Teil
des Kolons mit dem Zoekum und nahezu die ganze Leber mit ihrem
Hilus. Nur ein kleiner Teil des rechten Leberlappens ragt durch den
Nabelring in die Bauchhöhle hinein. Wiederum ist eine Ileumschlinge
mit einem kurzen, straffen und offenbar obliterierten Ductus omphalo-
mesentericus am Bruchsack fixiert, und muss dort gelöst werden.
Weiterhin zeigt sich, dass die ganze Konvexität der eventerierten
Leber mit dem Bruchsack flächenförmig verwachsen ist. Bei der
Lösung entsteht eine ziemlich starke Flächenblutung des Organs, die
jedoch auf Kompression zum Stehen kommt. Die Reposition des -
Darmes gelingt mit einiger Mühe, allein bei dem darauffolgenden
Versuch, die Leber zu reponieren, ergibt sich die absolute Unmöglich-
lichkeit hierzu, da der Umfang der Leber zu gross ist, um durch den
4 cm weiten Nabelring hindurchgepresst zu werden. Es wird deshalb
der Nabelring nach oben in der Linea alba gespalten, und nunmehr
kann die Reposition, wenngleich unter grossen Schwierigkeiten, aus¬
geführt werden, da das Volumen der bis dahin fast leeren Bauchhöhle
nur eben zur Aufnahme der Intestina ausreicht. Naht des Peritoneums
mit Katgut. Durchgreifende Seidenknopfnähte durch Haut und Faszie,
die sich enorm spannen.
In den ersten Tagen nach der Operation erholte sich das Kind
in zufriedenstellender Weise. Vom 2. Tage ab war täglich mehrfach
normale Stuhlentleerung: das Kind trank genügend und erbrach nur
vereinzelt. — Die Wunde war bis zum 10. Tage verheilt; nur aus
einem Stichkanal entleerte sich etwas dünnflüssiges Sekret. Allein
schon am 14. Tage bildete sich an dieser Stelle eine Dünndarmfistel
aus. Es hatte offenbar die eine Seidennaht unglücklicherweise den
Darm mitgefasst, wohl veranlasst durch die sehr dünnen Bauchdecken,
und die enorme Spannung, die überwunden werden musste.'
Da das Kind von nun an sehr schnell verfiel, musste am 17. Tage
nach der ersten Operation ein Versuch gemacht werden, die Fistel zu
schliessen. Dies geschah durch seitliche Resektion der freigelegten
Dünndarmschlinge.
Diesem zweiten Eingriff erlag das Kind am folgenden Tage.
Die Sektion ergab eine zirkumskripte Peritonitis in der Um¬
gebung der verletzten Darmschlinge, sonst keine Besonderheiten.
Die Leber lag in nahezu normaler Stellung im rechten Hypochondrium.
Auch in diesem zweiten Falle war, wie wir gesehen haben,
eine Ileumschlinge mit einem kurzen straffen Ductus omphalo-
mesentericus in dem Nabelschnurbruchsack fixiert, was wir
wiederum als ein ätiologisches Moment zum Zustandekommen
der Missbildung heranziehen können. Die Leber muss hier
ebenfalls schon längere Zeit vor der Geburt des Kindes im
Bruchsack gelegen haben, denn sie war so gross entwickelt,'
dass sie den Nabelring nicht passieren konnte.
Ich glaube nicht fehlzugehen in der Annahme, dass auch
in diesem Falle Heilung eingetreten wäre, wenn nicht bei der
Operation die geschilderte Darmverletzung stattgefunden hätte.
Gestützt wird diese Annahme durch den guten Verlauf in den
ersten 8 Tagen nach der Operation, denn erst nachdem sich die
Dünndarmfistel ausgebildet hatte, verfiel das Kind schnell.
Die Folgen der geschilderten Missbildung sind nun, falls
sie nicht rechtzeitig behandelt wird, die, dass nach Eintrock¬
nung und Abstossung der Nabelschnur die Darmschlingen aus
dem Nabelring herausfallen oder, was noch häufiger eintritt,
der gangräneszierende Prozess geht von der Nabelschnur auf
die Baucheingeweide über, und es entsteht gleichzeitig mit der
Eventeration oder schon früher eine septische Peritonitis, an
welcher die Kinder binnen Kurzem zugrunde gehen. So war
ja auch in meinem ersten Falle die Gangrän des Meckel-
schen Divertikels zustande gekommen. Von Rothe [7] wird
ein Fall beschrieben, bei welchem die Gangrän auf einen im
Nabelschnurbruchsack befindlichen Leberlappen übergegriffen
hatte. Der erkrankte Teil des Organs wurde bei der Operation
reseziert, worauf Heilung eintrat. Ueber einen ähnlichen Fall
berichtet Zillmer, bei dem es ebenfalls nach I^eberresektion
zur Heilung kam.
Bei der Behandlung der angeborenen Nabelschnurbrüche
kommen im wesentlichen 3 Methoden in Betracht. Die erste
und einfachste, welche nur bei kleinen, leicht reponiblen Brü¬
chen ausgeführt werden kann, besteht in der Reposition und
Anlegung eines Druckverbandes, welcher das Austreten von
Eingeweiden aus dem Nabelring verhindert. Diese Methode
wurde namentlich in der vorantiseptischen Zeit, häufig mit
gutem Erfolge, angewandt. Natürlich ist sie nur bei leichten
20. August 190?.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Fällen möglich, weshalb in jener Zeit Rinder mit grosser
Ectopia viscerum von vornherein als verloren galten. Als eine
Modifikation dieser ersten Methode können wir die Abbindung
der Nabelschnur an ihrer Ansatzstelle und die sog. perkutane
Ligatur ansprechen.
Bei der zweiten, von Olshausen angegebenen Methode
wird das Amnion der Nabelschnur und die W a r t h o n sehe
Sülze von dem peritonealen Bruchsack abpräpariert, der un-
eröffnete Bruchsack mit seinem Inhalt reponiert, und die Haut
darüber mit Nähten vereinigt.
Die dritte Methode endlich, die auch in meinen Fällen zur
Anwendung kam, besteht in der Radikaloperation mit Eröff¬
nung des Bruchsackes und Reposition des Inhalts, wenn nötig
nach Spaltung des Nabelringes (Laparotomie).
Es kann nicht geleugnet werden, dass die beiden ersteren
Methoden Vorzüge haben, die vor allem in der grösseren Ein¬
fachheit zu suchen sind, und sind ja auch mit ihnen eine
Reihe guter Resultate erzielt worden. Andererseits haben
sie jedoch auch ihre Gefahren. So kann es bei der einfachen
Abbindung begegnen, dass eine Darmschlinge in die Ligatur
gerät, besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in so
vielen Fällen eine Ileumschlinge im Bruchsack fixiert ist.
Weiterhin sollte man von dieser sowie von der Olshausen-
schen Methode Abstand nehmen, wenn es sich nicht um Fälle
handelt, die unmittelbar nach der Geburt zur Behandlung
kommen, da durch mehrfache Beobachtungen — so meinen
ersten Fall — erwiesen ist, wie schnell der Bruchsackinhalt
von der Nabelschnurgangrän mitergriffen wird. Ueber diese
Verhältnisse bekommen wir aber erst einen sicheren Einblick
nach vollständiger Eröffnung des Bruchsackes. Endlich muss
es als dringend ratsam erscheinen, den wohl in der grössten
Mehrzahl der Fälle vorhandenen Ductus omphalomesentericus
zu durchtrennen, da derartige Stränge bekanntlich häufig im
späteren Leben Anlass zu schwerem Strangulationsileus geben.
Ich fasse mich dahin zusammen, dass bei grossen ange¬
borenen Nabelschnurbrüchen (Ectopia viscerum), die nicht re-
ponibel sind, die Radikaloperation mit freier Eröffnung des
Bruchsackes die einzige zum Ziele führende Methode ist, und
dass sie auch in leichteren Fällen vor den einfacheren Ver¬
fahren den Vorzug verdient, weil sie Komplikationen mit
grösserer Sicherheit erkennen lässt, und die Möglichkeit zu
ihrer Beseitigung gibt.
Literatur:
1. Graser: Die Lehre von den Hernien. Handbuch der prakt.
Chirurgie von Bergmann, Bruns, Mikulicz. — 2. Lindfors:
Zur Lehre vom Nabelschnurbruch etc. Volkm. Vortr. N. F. No. 63. —
3. Knoop: Beitrag zur Therapie der Nabelschnurbrüche. Volkm.
Vortr. N. F. No. 348. — 4. Hedman: Zwei operierte Fälle von
Hernia funiculi umbilic. cong. Finska läkaresellskapets Handlingar,
Bd. XLIV, p. 265. — 5. Zillmer: Ueber Operation einer Nabel¬
schnurhernie etc. Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. LI, H. 2. —
6. Mo ran: Umbilic. cord, hernia. Amer. journ. of surg. Dez. 1905.
— 7. Rothe: Ein nach Leberresektion geheilter Fall von Nabel¬
schnurbruch. Beiträge z. klin. Chir., Bd. XXXIII, H. 1.
Aus der Universitäts-Ohren- und Kehlkopfklinik zu Rostock
(Direktor: Prof. Dr. Körner).
Zur Jod- und Quecksilberbehandlung der Tuberkulose
in Nase, Schlund und Kehlkopf.
Von Dr. K- Grünberg, II. Assistent.
Vor kurzem habe ich Q über die günstigen Erfolge be¬
richtet, welche an unserer Klinik bei der primären (aszen-
dierenden) Tuberkulose der oberen Luftwege durch inneren
Gebrauch von Jodkali erzielt werden konnten. Ich habe mich
über unsere diesbezüglichen Erfahrungen zusammenfassend
dahin geäussert:
1. Die primäre (aszendierende) Schleimhauttuberkulose der
oberen Luftwege lässt sich in vielen (nicht in allen) Fällen
durch innere Darreichung von Jodkalium günstig beeinflussen
und zur Heilung bringen, mit oder ohne gleichzeitige lokale Be¬
handlung.
2. Da die in Rede stehende Tuberkulose auch spontan aus¬
heilen kann, so ist die günstige Wirkung der Therapie nicht
D Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 53, H. 4.
No. 34.
iböi
mit absoluter Sicherheit nur auf das Jodkaliuni zurückzuführen.
Da diese günstige Wirkung aber häufig sehr schnell und auch
in Fällen auftritt, die anderen therapeutischen Massnahmen
trotzen, so ist an ihrem Vorhandensein kaum zu zweifeln.
3. Jedenfalls darf in differentialdia¬
gnostisch zweifelhaften Fällen aus der gün¬
stigen Wirkung des Jodkaliums auf den
Krankheitsprozess nicht mehr ohne weiteres
die Diagnose auf Lues gestellt werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich, ehe ich
auf das Thema der vorliegenden Veröffentlichung eingehe, dar¬
auf hinweisen, dass wir mit „aszendierend“ diejenige Tuber¬
kulose der oberen Luftwege bezeichnet haben, welche von der
Nase oder dem Schlunde auf den Kehlkopf und schliesslich auch
auf die Lungen fortschreitet. Wir sind hierbei dem Beispiel
Holländers gefolgt, der in seiner letzten Arbeit 2) in Ana¬
logie mit der Tuberkulose des Genitaltraktus auch bei der
Tuberkulose der oberen Luftwege von einer aszendierenden
Form dann spricht, wenn der Prozess von aussen nach innen,
umgekehrt von einer deszendierenden, wenn er von innen nach
aussen seinen Weg nimmt Die aszendierende Tuberkulose
der oberen Luftwege deckt sich also mit der primären, d. h.
nicht von den Lungen aus induzierten. Nur diese Form — das
möchte ich hier nochmals hervorheben — bei der, wie auch
Holländer betont, die Lunge selten und erst relativ spät
ergriffen wird und die pulmonären Erscheinungen gewöhnlich
ziemlich ephemerer Art und prognostisch günstig zu beurteilen
sind, nur diese Form ist es, bei der ein Erfolg
von der Jodkalitherapie zu erwarten ist. Das
Gleiche trifft zu auf die zum Gegenstand der
folgenden Veröffentlichung gemachte thera¬
peutische Erfahrung mit Quecksilber. Ich wies
schon in meiner ersterwähnten Publikation auf die günstigen
Erfolge hin, die von anderer Seite 3) bei der Tuberkulose resp.
dem Lupus der oberen Luftwege durch Quecksilberbehandlung
erzielt worden sind und glaubte sie der Beachtung empfehlen
zu können, wenngleich bei den publizierten Fällen nur einmal
die Diagnose durch die histologische Untersuchung gesichert
wurde. Da die in Rede stehende Arbeit nur den wenigsten zu¬
gänglich sein dürfte, ihr Gegenstand aber weitergehendes Inter¬
esse beanspruchen kann, möchte ich zunächst die vom Ver¬
fasser beobachteten, hierher gehörigen Fälle in gekürzter Form
mitteilen.
Herr B., 25 Jahre. Infektion negiert. Bruder starb an Tuber¬
kulose. Pat. kommt aphonisch und mit starken Schluckbeschwerden
in Behandlung. Epiglottis fischschnauzförmig, teilweise ulzeriert.
1 aschenbänder infiltriert. Zweifellos handelte es sich um einen tuber¬
kulösen Prozess. Pinselungen mit Milchsäure und Formol ganz ohne
Erfolg. Auf Quecksilberinjektionen bereits am 4. Tage Linderung der
Schluckbeschwerden, besseres Aussehen der Ulzeration. Bei Fort¬
setzung der Kur in kurzer Zeit Rückgang der Infiltrationen, Vernar¬
bung der Ulzera.
Herr LI., 28 Jahre. Typus scrophulosus, Infektion negiert. Seit
einem Jahr zunehmende Schluckbeschwerden. Infiltration des
Gaumensegels, das allmählich ulzerös zerfällt. Der Prozess schreitet
langsam auf die hintere Pharynxwand, Gaumenbögen, Mandeln,
Nasopharynx und Epiglottis fort. Alle Mittel: Exzision, Galvano¬
kaustik, Ausschabung, Aetzung etc. beeinflussen sein Fortschreiten
nur in geringem Masse. Die histologische Untersuchung
bestätigt die Diagnose Tuberkulose. Trotzdem werden
zur Ableitung Quecksilbereinreibungen in der Submaxillargegend an¬
gewandt. Vom Beginn dieser Einreibungen an hatte die fortgesetzte
lokale Behandlung überraschenden Erfolg mit dem Endresultate, dass
in zv/ei Monaten eine völlige Heilung erzielt wurde.
Dr. med. N. Tuberkulöse Ulzeration im Pharynx, welche vom
rechten Gaumenbogen sich auf das ganze Gaumensegel ausbreitete
und schliesslich völlige Unfähigkeit zum Schlucken bewirkte. Im
weiteren Verlauf wurde auch die Nase ergriffen, das ganze knorplige
(nicht knöcherne) Septum und schliesslich auch die Nasenflügel zer¬
stört. Lokale Behandlung ohne Erfolg. Auf energische spezifische
Medikation schnelle Heilung. Der durchaus glaubwürdige Kollege
hatte von Anfang an jede luetische Infektion negiert.
Herr S., 45 Jahre. Infektion negiert. Schwere ulzeröse Zer¬
störung der knorpeligen äusseren Nase durch klinisch als Lupus an¬
zusprechenden Prozess, der auch weit auf das Naseninnere übergreift.
Vergeblich von verschiedenen Aerzten behandelt; von Prof. Unna
durch intensive Quecksilberkur nach anfänglicher Verschlimmerung
in weniger als 5 Wochen geheilt.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1906, No. 23.
3) Avelino Martin: Gaceta Medica Catalana, 30. IX. 06.
3
108Z
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Verfasser teilt des ferneren aus der Literatur noch einige
Beobachtungen von durch Quecksilberbehandlung geheiltem
Lupus der Haut mit, von denen ich einen wegen der starken
Mitbeteiligung der Schleimhäute hier noch kurz erwähnen
möchte:
Ulzeröser Lupus eines grossen Teiles des Gesichtes, tief in Mund-
und Nasenhöhle sich hinein erstreckend, insbesondere Knötchen am
Gaumen und Gaumensegel. Kerner Lupus conjunctivae am oberen,
pseudotrachomatöser Prozess am unteren Lid. Der Prozess trotzte
jeglicher Lokalbehandlung. 12 Injektionen von je 5 cg Kalomel
genügten, um völlige Heilung zu erzielen. (Mitgeteilt von B r o u sse
in der Soc. de Sc. med. de Montpellier. Februar 1899.)
Es muss zugegeben werden, dass die beschriebenen Fälle
mit Ausnahme eines, so sehr sie auch klinisch als Tuberkulose
imponieren mögen, einer ganz strengen Kritik gegenüber als
Beweis für die Wirksamkeit des Quecksilbers auf tuberkulöse
Prozesse nicht herangezogen werden können, weil die Siche¬
rung der Diagnose durch das Mikroskop fehlt.
Wir haben nun an unserer Klinik in jüngster Zeit einen
Fall von absolut sicherer schwerer Tuberku¬
lose des Gaumens, des Pharynx und nament¬
lich des Kehlkopfs beobachtet, bei dem die
Quecksilberbehandlung einen geradezu
überraschenden Erfolg ergab und der daher als
Stütze der erwähnten Beobachtungen von Avelino Martin
herangezogen werden kann.
Frau S. F., 33 Jahre alt, wurde uns am 18. I. 07 vom behandelnden
Arzt, Herrn Dr. W a 1 d o w - Güstrow, zugeführt. Sie klagt seit etwa
4 Monaten über Schluckschmerzen, Heiserkeit bestand nie, ebenso
wenig Husten oder Auswurf. Seit 3 Monaten wird sie mit Milch¬
säurepinselungen behandelt, hat in der ersten Zeit auch Jodkali ohne
Erfolg genommen. Sie hat 4 gesunde Kinder, keine Fehlgeburten.
Pat. ist in leidlichem Ernährungszustand. Gewicht 131 Pfund
400 g; innere Organe, namentlich Lungen, gesund; für überstandene
Lues wurden bei genauer Untersuchung auf der hiesigen Hautklinik
durch Herrn Prof. Wolters nicht die geringsten Zeichen gefunden.
Auf der Vorderseite der verbreiterten, infiltrierten Uvula findet
sich eine Geschwürsfläche von ca. lVz cm Höhe und 1 cm Breite mit
nicht sehr scharfem Rand, aber ziemlich tief zerklüftetem Grunde.
An der rechten seitlichen Schlundwand in der Gegend der Plica sal-
pingo-pharyngea und etwa dem Lauf derselben folgend höckerige
Granulationswucherungen. An der hinteren Schlundwand weissliche
sträng- und netzförmige Narben. Die Epiglottis ist ausserordentlich
stark turbanartig verdickt, zeigt höckerige Oberfläche, anscheinend be¬
dingt durch subepithelial gelegene, mohnkorngrosse Knötchen; an ein¬
zelnen Stellen, namentlich auf der Kehlkopfseite, finden sich auch
Ulzerationen. Links greift eine ulzerierte Partie auf den Zungen¬
grund über. Sehr stark ist auch die linke ary-epiglottische Falte
infiltriert. Der Einblick in den Kehlkopf ist zwar beschränkt durch
die geschwollene Epiglottis, doch lässt sich erkennen, dass die Stimm-
und Taschenbänder, soweit übersichtlich, normal sind, auch an der
Hinterwand besteht jedenfalls keine ausgedehnte Erkrankung. Die
Stimme ist auch vollständig klar.
Zu diagnostischen Zwecken wurden Stücke der Epiglottis ent¬
fernt, von denen ein Teil zur mikroskopischen Untersuchung ver¬
wandt, ein anderer zwei Meerschweinchen intraperitoneal verimpft
wurde. Die Untersuchung ergab, um dies vorweg zu nehmen, im
infiltrierten Gewebe teilweise dicht unter der Oberfläche gelegene,
typische Tuberkelknötchen mit reichlichen Riesenzellen und ausser¬
ordentlich spärlichen Bazillen. Von den geimpften Meerschweinchen
starb das eine am 11. Tage an interkurrenter Erkrankung. Die Sektion
ergab keine Zeichen von Tuberkulose. Das zweite verendete nach
72 Tagen unter extremer Abmagerung. Die Sektion ergab auf dem
Peritoneum an der Impfungsstelle einen erbsengrossen verkästen
l'hmof, zahlreiche Knötchen im Omentum majus, verkäste Drüsen
in der Umgebung der Milz, der Leber und des Magens. Ausgedehnte
Tuberkulose der Milz und Leber. Peritoneum parietale frei, Bron¬
chialdrüsen teilweise verkäst, Lungen intakt. In den mikroskopisch
untersuchten Mesenterialdrüsen wurden spärliche Tuberkelbazillen
gefunden.
Da bei der Ausdehnung des tuberkulösen Prozesses eine rein
chirurgische Behandlung wenig aussichtsvoll erschien, begannen wir
am 21. 1. zunächst mit der oft erprobten Jodkalimedikation, in
wenigen Tagen bis zu einer Dosis von 2 g pro die steigend.
Der Verlauf gestaltete sich wie folgt:
23. I. Seit gestern Abend Schluckschmerzen geringer.
27. I. Schluckschmerzen ganz geschwunden. Infiltration der
Uvula entschieden geringer. Die Geschwürsfläche am weichen Gau¬
men und die Granulationen an der seitlichen Schlundwand haben sich
gereinigt, auch die Infiltration der Epiglottis und des Kehlkopfeingangs
erscheint geringer, so dass die Stimmbänder übersichtlicher sind.
5. II. Patientin ist dauernd beschwerdefrei; ihr Allgemeinbefin¬
den hat sich sichtlich gehoben. Gew. 135 Pfd. 100 g. Der lokale Pro¬
zess hat sich weiter gebessert, namentlich ist die Schwellung an der
Epiglottis und der aryepiglottischen Falte weiterhin geringer ge¬
worden. Die Teile zeigen die Neigung, sich unter Rückgang der
Granulationen an der Oberfläche zu glätterl.
Patientin wird vorläufig nach Hause entlassen mit der Weisung,
Jodkali 2 g pro die weiter zu nehmen.
15. II. Pat. stellt sich wieder vor, sieht wohl aus. Gew.
138 Pfd. 400 g. Der lokale Prozess an Gaumen und Kehlkopf hat
sich nicht wesentlich geändert, doch scheinen die Stimmbänder in¬
folge etwas geringerer Schwellung der Epiglottis vielleicht noch
besser übersichtlich. Die Infiltration ist namentlich noch stark in der
Aryknorpelgegend links.
1. III. Sehr gutes Allgemeinbefinden. Gew. 142 Pfd. Am Gau¬
men und der seitlichen Rachenwand ist der Prozess stationär ge¬
blieben, das Ulcus auf der Uvula ist sogar flacher und ebener ge¬
worden. Dagegen hat die Infiltration des Kehlkopfeingangs ent¬
schieden wieder zugenommen, namentlich ist die Arygegend links viel
stärker geschwollen. Wir entschlossen uns nun, neben dem Jod¬
kali Quecksilber zu verabfolgen. Dasselbe wurde in Gestalt von
Hydrargyrum chloratum (lOproz. Lösung in Oleum Vaselini), mit
einer Dosis von 0,02 beginnend, wöchentlich 2 mal in die Glutäal-
muskulatur injiziert4).
18. III. Weitere Gewichtszunahme auf 143 Pfd. 300 g, dauernd
gutes Allgemeinbefinden. Pat. hat bisher 4 Injektionen mit im gan¬
zen 0,2 Hydrargyr. chlorat. erhalten.
Der lokale Prozess ist trotzdem progredient, geht jetzt auch auf
die rechte aryepiglottische Falte und das linke Taschenband über.
25. III. Heute die 6. Injektion (im ganzen bisher 0,36 Hydrargyr.
chlorat.). Pat. hat an Gewicht abgenommen (141 Pfd. 100 g). All¬
gemeinbefinden und Aussehen sehr gut.
Jetzt ist eine ganz erhebliche Beserung zu erkennen. Die In¬
filtration des Kehlkopfeinganges hat sich so verringert, dass man das
ganze rechte und den vorderen Teil der linken Stimmbandes über¬
sieht. An der Uvula nur noch leicht höckerige Unebenheit.
8. IV. Pat. ist 14 Tage fortgeblieben, weil sich nach der letzten
Injektion am 25. III. eine Entzündung an der Injektionsstelle mit
Fieber einstellte, die spontan zurückging. Sie klagt über Appetit¬
losigkeit. Starke Jodakne.
Die Infiltration des Kehlkopfs ist weiter zuriiekgegangen. Das
Jodkali, welches bisher dauernd genommen wurde, wird fortgelassen,
die Quecksilberinjektionen nicht wieder aufgenommen.
22. IV. Gew. 142 Pfd. Sehr gutes Befinden. Appetit gebessert.
Ganz erhebliche Besserung des lokalen Prozesses. Der höckerige
Charakter der befallenen Partien ist überall verloren gegangen. Die
Epiglottis, 'der linke Aryknorpel und das linke Stimmband sind zwar
noch geschwollen, doch ist die Schwellung so viel geringer, dass
die Ligg. glosso-epiglotticum med. und glosso-epiglottica lateralia in
ihrer Konfiguration zu erkennen sind. Das rechte Stimmband ist
völlig zu sehen und intakt, das linke zu gut 4/r> ebenfalls intakt. Das
Ulcus am Zungengrund ist nicht mehr sichtbar, auch an der Uvula
und der seitlichen Rachenwand ist der Prozess fast geheilt.
6. V. Gew. 145 Pfd. 300 g. Weitere deutliche Besserung des Pro¬
zesses an der Epiglottis. An Uvula und Rachenwand ist überhaupt
etwas Krankhaftes nicht mehr zu erkennen.
13. V. Jetzt ist auch die Schwellung am linken Aryknorpel
fast ganz verschwunden und das linke Stimmband in ganzer Aus¬
dehnung sichtbar. Bei dem überall deutlichen Hervortreten der Kon¬
turen der Epiglottis sieht man, dass ein grosser Teil ihres Randes bei
der Vornahme der Probeexzision entfernt ist. An Stelle des Ulcus
auf dem Zungengrunde strahlige weisse Narben.
25. V. Der Befund hat sich nicht wesentlich geändert. Die
Injektionskur wird noch einmal wieder aufgenommen. (Diesmal mit
Hydrargyr. salicyl.)
8. VI. Blühendes Aussehen. Gew. 148 Pfd. Der Prozess ist als
abgelaufen zu bezeichnen. Ausser einer ganz leichten Verdickung des
linken Taschenbandes und der linken aryepiglottischen Falte ist der
Kehlkopf normal, die Schleimhaut überall glatt.
Abbruch der Injektionskur. (Pat. hat bei der 2. Kur 4 Injektionen
mit im ganzen 0,30 Hydrargyr. salicyl. erhalten.)
Während der ganzen Beobachtungszeit wurden, die Lungen,
abgesehen von etwas verschärftem 'Atlnen aufJ1det Keehttin' 'Spitze,
stets ganz normal befunden.* *)
Epikrise. Betrachten wir kurz die Ergebnisse der
Therapie in unserem Falle, so sehen wir bei einer im übrigen
gesunden Frau von 33 Jahren mit ausgedehnter primärer (as-
zendierender), bakteriologisch sichergestellter Tuberkulose des
Schlundes und Kehlkopfs völlige Heilung eintreten unter alleini¬
ger interner Behandlung mit Jodkalium und Quecksilber, und
zwar in der sehr kurzen Zeit von 4 K> Monaten.
Um beurteilen zu können, wie weit der Erfolg der Thera¬
pie dem JK, wie weit dem Hg zuzuschreiben ist, scheint es
zweckmässig, in dem Krankheitsverlauf 4 Perioden zu unter-
4) Die Injektionen sind in der hiesigen Hautklinik von den Herren
Dr. v. K nobloch und Dr. Pflanz vorgenommen worden.
*) Nachtrag bei der Korrektur: 3. VII. Andauernd
vorzügliches Allgemeinbefinden. Gewicht 150 Pfund. Die leichte
Verdickung, des linken Taschenbandes und der linken ary-epiglotti-
schen Falte ist noch geringer geworden.
20. August 1 007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1683
scheiden. Während sämtlicher Perioden — das verdient zu¬
nächst hervorgehoben zu werden — konnte eine ständige Ge¬
wichtszunahme konstatiert werden, trotzdem Patientin mit
Ausnahme der ersten 3 Wochen poliklinisch unter den gewohn¬
ten häuslichen Verhältnissen behandelt wurde; nur ganz vor¬
übergehend gegen Mitte und Ende der 2. Periode nahm das
Gewicht um ein Geringes ab. Eine gesonderte Betrachtung
der einzelnen therapeutischen Perioden ergibt nun folgendes:
1. Periode: Die Medikation besteht nur in
de r Darreic h u ngvon JK (21. I. bis 1. III). Es tritt zu¬
nächst eine ganz entschiedene Besserung des Krankheitspro¬
zesses auf. Nicht allein schwinden die subjektiven Beschwer¬
den völlig und dauernd bereits nach wenigen Tagen, sondern
auch im objektiven Befund ist nach einer Woche eine deut¬
liche Besserung zu konstatieren. Diese macht zunächst gute
Fortschritte, um aber nach etwa 3 Wochen zum Stillstand zu
kommen und wenig später einer Verschlimmerung Platz zu
machen.
2. Periode: Neben dem JK wird Hydra r-
gyrum chlorat. intramuskulär verabfolgt
(1. III. bis 8. IV.). Die Verschlimmerung schreitet auch im An¬
fang dieser Periode noch fort, erst nach der 4. Kalomelinjektion
macht sich ein ganz eklatanter Umschwung zum Bessern gel¬
tend. Zeitlich fällt mit dieser günstigen Wendung im lokalen
Krankheitsprozess die einzige während der ganzen Behand¬
lung notierte Gewichtsabnahme zusammen. Gerade diese Art
des Verlaufes stimmt unserer Meinung nach mit der Annahme,
dass wirklich dem Quecksilber der therapeutische Erfolg zuzu¬
schreiben ist, gut überein. Die Resorption des Hg aus den ge¬
setzten kleinen intramuskulären Depots geht ja offenbar nur
sehr langsam vor sich und es bedarf einer gewissen Zeit, bis
die zur Hervorrufung eines therapeutischen Effekts notwendige
Kumulation des Mittels erreicht ist. Erst mit diesem Zeitpunkt
setzt die günstige Wirkung auf den lokalen Prozess ein, wäh¬
rend der Organismus mit einer leichten Gewichtsabnahme re¬
agiert.
3. Periode: Es wird keinerlei Medikation
angewandt (8. IV. bis 25. V.). Trotz Aussetzung der JK-
und Hg-Medikation schreitet die Besserung ständig fort unter
erneutem schnellen Ansteigen des Körpergewichtes. Aus den
eben dargelegten Gründen können wir wohl, wenigstens im
Anfang dieser Periode, noch eine Fortdauer der Quecksilber¬
wirkung von den noch nicht resorbierten Depots aus annehmen.
4. Periode: Zweite Quecksilberinjektions¬
kur (23. V. bis 8. VI.). Der Prozess, der bereits am Ende der
vorigen Periode als fast geheilt zu bezeichnen war, geht unter
nochmaliger kurzer Anwendung von Hg völlig zurück. Aller
Wahrscheinlichkeit nach wären die leichten letzten Verände¬
rungen auch ohne Anwendung des Mittels geschwunden.
Alles in allem kann wohl nicht bestritten werden, dass dem
Quecksilber der Haupterfolg in unserem Falle zuzuschreiben
ist, wenngleich auch vom JK anfangs eine entschieden gün¬
stige Wirkung zu beobachten war. Der Einwurf, dass es sich
um eine bei der in Rede stehenden aszendierenden Tuberkulose
nicht ganz seltene Spontanheilung gehandelt haben könnte,
dürfte angesichts der Kürze der Zeit, in der der ausgedehnte
Piozess zur Heilung kam und des mehr als zufälligen Zu¬
sammentreffens .der .zur Heilung führenden Vorgänge mit der
Anwendung der therapeutischen Mittel nicht aufrecht zu er¬
halten sein.
Ich glaube also berechtigt zu sein, unsere
in meiner ersten Arbeit geäusserte Ansicht
über die günstige Wirkung des JK a u f d i e p r i -
uiare Schleimhauttuberkulose der oberen
Luftwege dahin zu erweitern, dass auch dem
Quecksilber eine solche günstige Wirkung
unter Umständen zugeschrieben werden muss
u n d d a s s es in Fällen, wo das JK versagt, allein
o d er mit ihm zusammen noch zur Heilung zu
führen vermag.
Meine Beobachtungen über die günstige Wirkung von JK
und Hg auf tuberkulöse Prozesse überhaupt stehen nicht ver¬
einzelt da. Namentlich der Lupus der äusseren Haut ist ver¬
schiedentlich Gegenstand einer sog. spezifischen Behandlung
gewesen, wie ich schon oben bei Besprechung der Publikation
von Avelino Martin andeutete, und eine Reihe französischer
und italienischer Autoren haben über günstige Erfolge dieser
Therapie berichtet [Asselberg5), Fournier °), Creut-
zer7), Pavie8), Truffi9), Cabrol19), Brousse11)].
L e n g 1 e t fasst in La Prätique dermatologique von Bes¬
nier, Brocq und Jacquet, Bd. III die mit Quecksilber
beim Lupus der Haut gewonnenen Erfahrungen wie folgt zu¬
sammen :
„Unter allen chemischen Substanzen, über deren Wirkung
(sc. auf den Lupus) am meisten diskutiert und experimentiert
ist, steht das Kalomel sicherlich an erster Stelle. Seit dem
Jahre 1897 infolge einer Publikation von A s s e l(b e r g 5)
wurde die Aufmerksamkeit auf das Kalomel gelenkt.... Der
Autor schloss auf Grund einer Reihe von 22 Beobachtungen,
darunter 14 Fälle von Lupus, dass das Kalomel auf den Lupus
einwirkt und dieser unter seinem Einfluss eine Veränderung
eingeht, die schwankt von einfacher Rückbildung bis zum
völligen Verschwinden der lupösen Elemente.
Er konstatierte ferner, dass die Infiltrations- und Ulze-
rationsprozesse am ersten und intensivsten beeinflusst werden,
gibt aber auch zu, dass das Tuberkelknötchen häufig Wider¬
stand leistet. Die besten Erfolge wurden erzielt in veralteten
ulzerösen Fällen mit tiefreichender Hautinfiltration.
Aus zahlreichen, in dieser Beziehung gemachten Ver¬
suchen, in Frankreich von Brocq, Du Castel, Four¬
nier, in Italien von Verotti, Bertareil i, erhellt, dass
der wahre Lupus, ohne Verbindung mit Syphilis, günstig durch
Kalomelinjektionen beeinflusst werden kann, dass die Infil¬
tration und Ulzeration bald schneller, bald langsamer ver¬
schwinden können, dass das Lupusknötchen niemals durch
das Kalomel beeinflusst wird, dass seine Eruption vielmehr
nach wie vor andauert. Ferner geht noch daraus hervor, dass
die geheilten Fälle wahrscheinlich solche von lupusähnlicher
Syphilis (Syphilis lupoides) waren und dass die schnellste
Besserung zweifellos bei tuberkulös-syphilitischen Misch¬
formen (hybrides syphilitico-tuberculeux) erzielt wurde. In
einigen Fällen wirkte das Kalomel nicht, in anderen, allerdings
seltenen, ist es schädlich und beschleunigt den Ausbruch des
Lupus.“
Sehr interessante, hierhergehörige Beobachtungen sind
ferner auf ophthalmologischem Gebiete von A x e n f e 1 d und
P e p p m ii 1 1 e r iL’) an einem eigentümlichen tuberkulösen Tu¬
mor des Bulbus gemacht. Ich zitiere die darüber von Axen-
feld: Bakteriologie und Parasiten des Auges, Suplementband
zu Lubarsch und Ostertag: Ergebnisse der allgemeinen
Pathologie etc. VI. Jahrgang gemachten Aeusserungen:
„Bei einer ca. 60 jährigen Frau bestanden seit ca. 20 Jahren
ausgedehnte Ulzerationen in der Haut des rechten Armes, die zwar z.T.
spontan vernarbt, in der Peripherie aber bisher progressiv waren.
Ferner war eine apfelgrosse, retropharyngeale Geschwulst vorhan¬
den und seit einiger Zeit hatte sich auf dem linken Bulbus eine aus¬
gedehnte, nicht verschiebliche, flach höckerige Geschwulst gebildet,
welche bis ins Oberlid reichte. Auf Tuberkulin keine Reaktion,
Uebertragung exzidierten Materials auf Kaninchen blieb negativ.
Histologisch aber waren zahlreiche, zentral verkäste Tuberkel nach¬
weisbar, so dass der pathologische Anatom bestimmt „Tuberkulose“
diagnostizierte. Später, aber erst nach zahlreichen vergeblichen
Präparaten, haben sich auch eine Anzahl Bazillen von der Form und
Färbbarkeit der Tuberkelbazillen gefunden.
Trotzdem gingen die gesamten Erscheinungen .auf .Quecksilbfer
und Jodkalium rapide zurück. Nach 14 Tagen war die Augen¬
geschwulst völlig verschwunden, nach 4 Wochen auch der retro¬
pharyngeale Tumor, während die Hautulzerationen vollkommen und
dauernd vernarbten.
5) De l’action des injections de calomel dans le lupus et les
affections non syphilitiques. Ann. de dermatol. 1898.
6) Soc. de Dermatologie, 20. Mai 1897.
7) Lupus tuberculeux traite par le mercure et l’iodure etc.
These de Lille 1898.
8) Action curative des injections intramusculaires profondes de
calomel dans la tuberculose cutanee. These de Paris 1897.
9) La cura del lupus colle iniezioni di calomelano. Gazzetta
lombarda 1897.
10) Contribution ä Petude du traitement du lupus par les pre-
parations mercurielles et en particulier par les injections de calomel.
These de Montpellier 1899.
“) Soc. de Science med. de Montpellier, Febr. 1899 (bereits oben
zitiert).
12) Peppmüller: Ein bulbärer syphilitischer Pseudotumor
von typisch tuberkulöser Struktur. Archiv f. Ophthalmol., Bd. 49.
3*
1684
MUFNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Dieser Einfluss der antispezifischen Therapie war so eklatant,
wie er auch bei den gutartigen Augentuberkulosen nie beobachtet
S und wie man ihn sonst als für Lues charakteristisch ansieht.
Hat es sich um reine Tuberkulose gehandelt, so liegt das eiste
staunliche Faktum einer rapiden Dauerheilung durch Hg und JK,
ausserdem eine bisher unbekannte Form der Bulbustuberkulose vor
Da aber auf dem Gebiet der Tuberkulose dieser Verlauf bisher ganz
unerhört ist, muss nach Ansicht des Referenten auch die Moghch-
keit offengelassen werden, dass es sich doch um Lues handelte mit
gleichzeitiger Einstreuung tuberkulöser Herdehen, wenn man nie
etwa annehmen wollte, die gefundenen Bazillen gehörten zu den von
Möller, Lubarsch u. a. neuerdings beschriebenen Doppelgän¬
gern der Tuberkelbazillen.“ ..... ,
Ein zweiter Fall, der für die uns beschäftigende Fiage
bemerkenswert ist, wurde von A x e n f e 1 d auf der 26. oph-
thalmologischen Versammlung zu Heidelberg 1897 als tertiäre
Lidsyphilis mit tuberkelartiger Struktur demonstriert.
Es handelte sich um einen 40 jährigen Mann, der neben zahl¬
reichen Geschwüren im Mund, Rachen und Kehlkopf eine derbe n-
filtration und Geschwürsbildung von zirka Fünfpfennigstiickgiosse in
der Haut des rechten oberen Lides hatte, welche auf äussere Mittel
nicht heilen wollte. Ein kleines exzidiertes Stückchen wurde vom
pathologischen Anatomen für Tuberkulose erklärt, aber die Dermato¬
logen behaupteten, dass die Geschwüre im Gaumen und Rachen giosse
Aehnlichkeit mit Syphilis hätten. Die darauf eingeleitete ausschliess¬
liche Quecksilber- und Jodkaliumkur führten zur sofoitigen Besse¬
rung und in ca. 14 Tagen zur völligen Heilung der Lid- und Rachen¬
veränderungen.“ (Zitiert nach Peppmiiller: Syphilis des Auges,
in Lubarsch und Ost er tag: Ergebnisse etc., Bericht über die
Jahre 1897, 93, 99, S. 241.)
Aus den eben zitierten ebensowie aus vielen anderen Be¬
merkungen über die uns interessierende Frage geht immer
wieder hervor, wie fest eingewurzelt die Anschauung von der
alleinigen Wirkung des Jk und Hg auf luetische Prozesse
ist. Dieses Vorurteil geht soweit, dass man nicht allein dem
klinischen Bild, sondern auch der für Tuberkulose sprechenden
pathologisch anatomischen Untersuchung zu misstrauen geneigt
ist, wenn auf Jodkali-Quecksilbertherapie eine Besserung
oder gar Heilung des Krankheitsprozesses zu verzeichnen ist
und dass man eher bereit ist, eine Mischform von Syphilis und
Tuberkulose anzunehmen als zuzugestehen, dass auch ein
tuberkulöser Prozess an und für sich durch JK und Hg günstig
beeinflusst werden kann.
Wenn bei einer, wie in unserem Falle bakteriologisch
sicher gestellten Tuberkulose noch eine gleichzeitige Lues an¬
genommen werden soll, so bestehen meiner Ansicht nach drei
Möglichkeiten für die Vergesellschaftung beider Krankheiten.
Einmal könnten Syphilis und Tuberkulose gleichzeitig und am
gleichen Orte manifeste Erscheinungen hervorgerufen haben,
ein Zusammentreffen, das zum mindesten sehr selten sein
dürfte bei zwei Krankheiten, die über so lange Lebensepochen
und an so vielen Lokalitäten sich zu dokumentieren vermögen.
Aber selbst einen solchen Fall angenommen, würde es nicht er¬
sichtlich sein, wie JK und Hg, wenn sie nur auf luetische Pro¬
zesse einwirkten, dann eine völlige Heilung bewirken könnten.
Es würde doch nur der syphilitische Anteil des Prozesses ge¬
heilt werden, der tuberkulöse aber weiter bestehen.
Zweitens könnte ein syphilitisches Ulcus tuberkulös infi¬
ziert werden; solche Fälle sind ebenfalls nicht häufig, aber
in der Literatur beschrieben (B. F r ä n k e 1, Berliner klin.
Wochenschr. 1884, No. 13, M u c k: Archiv für Laryngol. 19. Bd.
u. a.). Gegen JK und Hg müssten sie sich ebenso verhalten,
wie die erste Gruppe. Ja Moritz Schmidt hat dies Ver¬
halten direkt beobachtet, wenn er schreibt:13) „Um eine solche
direkte Infektion eines syphilitischen Geschwürs mit Tuberkel¬
bazillen handelte es sich wahrscheinlich bei einem jungen Mann
mit notorisch tertiären Geschwüren im Kehlkopf. Dieselben
heilten unter dem Gebrauch von Jodkali bis auf eine kleine
Stelle. Da diese sich nicht schliessen wollte, wurde die Ab¬
sonderung des Kehlkopfes untersucht und es fanden sich
Tuberkelbazillen.“
Drittens ist es möglich, dass, trotzdem wie in unserem
Falle weder die Anamnese noch die Untersuchung des Körpers
Anhaltspunkte für Lues ergibt, doch eine latente akquirierte
oder hereditäre Syphilis besteht und unabhängig von ihr eine
tuberkulöse Infektion zustande kommt. Solche Fälle sind
zweifellos nicht selten. Dass bei ihnen aber der tuberkulöse
Prozess nur darum günstig durch JK und Hg beeinflusst
werden sollte, weil eine latente Syphilis nebenher vorhanden
ist, wie dies M. Schmidt anzunehmen scheint (1. c. S. 391),
ist eine durch nichts bewiesene Hypothese.
Ich glaube, dass es weit natürlicher ist, endlich mit der
Anschauung zu brechen, dass die Lues die alleinige Domäne
für die Jodkali-Quecksilbertherapie abgibt und zuzugestehen,
dass es auch tuberkulöse Prozesse gibt, welche durch die
gleichen Mittel günstig beeinflusst und zur Heilung geführt
werden können und dass damit gerade in vielen (durchaus
nicht in allen) Fällen von primärer (aszendierender) 'I uber-
kulose der oberen Luftwege Erfolge zu erzielen sind. Bei
regelmässiger genauer Kontrolle des lokalen und allgemeinen
Zustandes während der Behandlung brauchen wir auch nicht
die mögliche den Körper schwächende Wirkung unserer Medi¬
kation zu fürchten und vollends nicht dem Pessimismus Zar-
nikos zu verfallen, welcher meint: „zu den depotenzierenden
Einflüssen gehört auch die Hg-Inunktionskur und sie darf des¬
halb prinzipiell nie zu diagnostischen Zwecken für zweifelhafte
Nasenaffektionen verwandt werden.“14)
Aus der Universitätskinderklinik zu Leipzig (Direktor: Geheim¬
rat Prof. Dr. 0. S oltmann).
Ein Beitrag zur Statistik der Säuglingsmorbidität *)
Von Dr. Hans R i s e 1.
Die folgenden Tabellen bilden eine Erweiterung jener, die
Soltmannin No. 1 und 2 der Münch, med. Wochenschr. 1907
für die Krankenbewegung auf der Säuglingsstation des Kinder¬
krankenhauses Leipzig für die Jahre 1900 — 05 gibt. Sie sind
für die Kinder des ersten Lebensjahres berechnet, die während
des gleichen Zeitraumes auf der Infektionsabteilung und der
chirurgischen Station des Hauses verpflegt wurden. Der Ver¬
gleich der neuen und alten Werte soll zeigen, dass die Säug¬
linge der beiden Aufstellungen sich nicht nur im jeweiligen
Krankheitsprozess von einander unterscheiden, sondern sich
14) Krankheiten der Nase und ,des Nasenrachenraumes, II. Aufl.,
S. 408.
*) Nach einem in der Leipziger medizinischen Gesellschaft am
25. VI. 07 gehaltenen Vortrag.
13) Krankheiten der oberen Luftwege, 111. Aufl., S. 388.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1685
auch in arideren wesentlichen Punkten verschieden verhalten.
Die Zahlen der Aufnahmen und Toten auf der Säuglings¬
station sind ganz unzweideutig abhängig von der hohen
Sommermorbidität. Ganz anders gestaltet sich die Verteilung
der Säuglingsaufnahmen auf den anderen Abteilungen. Statt
des Sommergipfels verläuft die Kurve ihrer Monatsprozent¬
sätze unbeeinflusst durch die Jahreszeiten fast horizontal, das
gleiche gilt für die der Toten (Kurve und Tabelle I). Die Klein-
Tabelle I.
Auf der Säuglingsabteilung (I) und den übrigen Abteilungen (II) wurden
1900—1905
im
Prozent aller Auf¬
nahmen eingeliefert
starben Prozent aller
Toten
I
II
I
II
Januar .
6,7
8,7
5,9
8,1
Februar .
7,1
7,98
6,8
6,4
März .
8,5
10,3
7,9
13,1
April .
7,6
9,5
7,2
9.3
Mai .
8,1
8,7
8,7
9,3
Juni .
8,1
9,9
6,4
8,5
Juli .
13,5
8,1
12,2
10,7
August .
13,7
7,7
18,98
6,0
September ....
7,6
6,1
8,7
4,6
Oktober .
7,4
8,7
6,9
8,5
November .
6,0
7,7
4,8
8,5
Dezember .....
5,9
6,4
5,6
8,5
heit der absoluten Zahlen lässt für die neue Serie keine Schlüsse
zu. Tabelle II gibt sie für die einzelnen Stationen getrennt
Tabelle II
Säuglingsaufnahmen in den Jahren 1900 — 1905 nach Stationen und
* Monaten geordnet.
auf
Januar
Februar
März
April
S
C
3
August
Septbr.
Oktobr.
Novbr.
Dezbr.
Summe
Chirurg. Station
44
43
60
61
51
56
47
44
30
42
37
37
552
Diphtherie „
10
i-r
J
11
10
8
7
4
7
3
9
9
7
92
Scharlach „
—
1
—
1
1
—
—
—
—
—
—
2
5
Keuchhusten „
6
4
7
3
7
6
10
2
9
5
5
5
70
Masern „
2
2
1
—
—
3
2
2
1
2
2
1
16
Beobachtung „
8
7
4
1
3
7
2
7
6
9
9
67
802
Tote im Säuglingsalter nach Stationen und Monaten geordnet.
Chirurg. Station
10
9
22
19
17
15
19
12
8
10
11
16
168
Diphtherie „
6
3
7
5
4
3
3
2
1
5
5
5
49
Keuchhusten „
2
3
2
2
4
2
6
1
3
4
2
2
33
Masern „
—
1
1
—
—
—
—
1
—
—
2
1
6
Beobachtung „
5
2
—
—
1
4
2
1
1
5
4
'
25
281
wieder. Doch verdient die Gesamtzahl von 802 Aufnahmen
mit 281 Toten Beachtung. Zusammen mit den Kranken der
Säuglingsstation stehen danach rund 28 Proz. der Gesamtauf¬
nahmen des Hauses im ersten Lebensjahr. Die prozentuale
Sterblichkeit beträgt für die neue Gruppe 35,0 Proz. Sie ist
also ein gut Teil niedriger als die der Säuglingsstation mit
55,2 Proz. Dies ist hervorzuheben, da ihre durchschnittliche
Verpflegungsdauer (Tabelle III) pro Kind 20,34 Tage gegen
11,99 der früheren Aufstellung beträgt und gemäss dem Er¬
gebnis einer Umfrage nach dem Schicksal der Aufnahmen auf
der Säuglingsstation im Jahre 1905 eine um so höhere Sterb¬
lichkeit erwartet werden konnte, je länger die Kinder in Be¬
obachtung sind. Auch die neuen Zahlen stehen unter dem Ein¬
fluss der rein künstlichen Ernährung. Ihre Höhe (Tabelle III)
wechselt auf den einzelnen Stationen. Auf den Abteilungen
für Keuchhusten- und für Diphtheriekranke steigt sie auf 47,1
und 53,3 Proz., sinkt aber auf der chirurgischen Station auf
30,4 Proz. Sie fällt hier noch, trotzdem sie nach der ungünsti¬
gen Seite beeinflusst wird, durch die von der Säuglings¬
abteilung verlegten Kinder mit einer Mortalität von 69,2 Proz.
und durch den höheren Prozentsatz an jungen Kindern.
30,97 Proz. der Aufnahmen dieser Abteilung stehen in der
1. — 2. Lebenswoche und 26,2 Proz. aller ihrer Toten im ersten
Monat.
Interessante Zahlen gibt die Berechnung des Prozentsatzes
der Toten nach der Aufenthaltsdauer geordnet (Tabelle III).
Tabelle III.
Säuglingsmortalität nach ' Stationen und Aufenthaltsdauer geordnet.
auf
Prozent aller
Aufnahmen
Prozent aller Toten sterben während
des 1 Tap-es 1 der ersten i der ersten
aes 1. lages | 3 Tage | 7 Tage
Chirurg. Station
30,4
14,3
27,97
42,3
Diphtherie „
53,3
27,8
53,1
65,3
Keuchhusten „
47,1
11,8
21,2
30,3
Masern „
37,5
16,7
16,7
33,3
Beobachtung „
37,3
20,8
40,0
48,0
insgesamt
35,04
17,44
33,09
45,55
Säuglingsstation
55,2
16,39
31,6
51,0
Verpflegungsdauer :
Chirurg. Station ........ 18,74
Diphtherie „ 18,08
Keuchhusten „ . 41,98
Masern „ . 20,6
Beobachtung „ . 14,1
Scharlach „ . 37,6
Insgesamt . 20,34
Auf Säuglingstation . 11,99
Danach sterben ausserhalb der Säuglingsstation im Hause
ein grösserer Prozentsatz der im ersten Lebensjahr
stehenden Toten kurz nach ihrer Einlieferung, als auf der¬
selben. Wesentlich beeinflusst werden diese Zahlen durch
die Sterblichkeit der Diphtheriekranken. Dass die Krankheits¬
prozesse dieser Kinder zum Teil noch akuter zum Tode führen,
als die Magendarmerkrankungen des übrigen Säuglings¬
materials, scheint aus ihrem Durchschnittskörpergewicht her¬
vorzugehen. Es ist wesentlich höher als das der Säuglings¬
station. Allerdings konnte von 29 Proz. aller Aufnahmen und
von 35,2 Proz. aller Toten zur Berechnung das Gewicht nicht
herbeigezogen werden. Bei Darstellung des Durchschnitts¬
körpergewichts in Kurven (Kurve 2, Tabelle IV) liegt das der
Säuglingsstation am tiefsten, über ihr das der übrigen Ab¬
teilungen, beide bleiben aber weit hinter der am höchsten
laufenden Normalkurve zurück.
Endlich verteilt sich für die zwei Serien der Prozentsatz
der Alterklassen ganz wesentlich verschieden ( I abeile IV und
1ÜÖU
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Tabelle IV.
Altersprozentsatz und Durchschnittsgewicht der Säuglingsaufnahmen
j900 — 1905 auf der Säuglingstation (Serie I) auf den anderen Ab¬
teilungen (Serie II).
Alte
Woche
rsprozentsatz
Serie I Serie II
Dun
Serie I
:hschnittsgewicht
Normales
Serie II ! (nach Camerer-
Finkelstein)
1—4
16,3
12,97
2850
4124
3580
5-8
14,6
5,99
2966
3371
4000
9-12
15,4
6,7
3360
3718
4606
13—16
10,5
6,5
3737
4704
5219
17—20
8,9
5,7
3884
4457
5878
21—24
7,8
6,7
4177
5200
, 6561
25— 28
6,4
9,4
4660
5427
7091
29-32
4,2
6,7
4975
5969
7506
33—36
4,5
7,9
5331
6183
7926
37—40
3,5
7,2
5257
5675
8225
41—44
3,2
7,7
6046
6760
8512
45—48
2,1
7,98
8432
7078
8854
49—52
2,7
8,6
6730 .
7519
9071
Kurve 3). Auf der Säuglingsstation überwiegen die in den
ersten Lebensmonaten stehenden Kinder, auf den anderen Ab¬
teilungen dagegen die älteren Säuglinge. Nur für den ersten
Monat zeigt auch die neue Aufstellung einen höheren Prozent¬
satz. Von diesen 104 Kindern gehören 95 der chirurgischen
Station zu. Sie entsprechen den mit Missbildungen behafteten
Kranken.
Kasuistischer Beitrag zur Aetiologie und Symptoma¬
tologie der Pankreaszyste.
Von
Dr. L i 1 i e n s t e i n, früherem Assistenzarzt am Fiirstl. Land¬
krankenhaus zu Detmold (Leiter: Sanitätsrat Dr. Schemmel).
Ich möchte mir in folgendem erlauben, kurz einen im
hiesigen Landkrankenhaus beobachteten Fall von Pankreas¬
zyste zu erwähnen, der infolge seiner Aetiologie und der dar¬
gebotenen Symptome eines allgemeinen Interesses als Schul¬
fall nicht entbehrt.
Am 10. November 1906 wurde der 32 jährige Knecht Wilhelm
Sch. von seinem Wagen überfahren, wobei ihm ein Rad quer über
den Leib ging. Er trug infolge dieses Unfalls einen Bruch mehrerer
Rippen der linken Seite davon und wurde noch am selben Tage im
Krankenhaus aufgenommen. Die Heilung erfolgte ungestört, sodass
Patient am 12. Januar 1907. zur Entlassung kam. Trotzdem fühlte er
sich nach seinen Angaben noch nicht vollständig wohl. Jede Er¬
schütterung verursachte ihm grosse Schmerzen auf der linken Seite;
er war deshalb auch verhindert, auf seinem Wagen zu fahren. Der
Appetit war gering, und sofort nach der Nahrungsaufnahme traten
heftige Schmerzen auf, die Patient als Magenkrampf deutete. Er¬
brochen hat er während der ganzen Zeit nicht. Allmählich wurde auch
das Gehen erschwert, die Arbeit musste zeitweise eingestellt werden:
Sch. war schliesslich überhaupt nicht mehr beschwerdefrei. Als er
am 9. II. 07 mit dem Aufladen von Steinen beschäftigt war und
sich dabei in gebückter Stellung befand, setzten plötzlich so starke
Leibschmerzen ein, dass er gezwungen war, die Arbeit zu unter¬
brechen und Aufnahme im Krankenhaus zu suchen.
Bei der ersten Untersuchung klagt Pat. über Schmerzen beim
tiefen Atmen in der linken Seite und über ein Druckgefühl auf dem
Magen, sodass er nichts essen könne.
Es handelt sich um einen schmächtigen Mann von kleiner Statur
und leidlichem Ernährungszustand. Der Aufforderung, tief Luft zu
holen, kommt er nur unvollkommen nach und verzerrt dabei schmerz¬
haft das Gesicht. Temperaturerhöhung besteht zur Zeit nicht.
(Während der Beobachtungszeit wurden öfters subfebrile Temperatur¬
steigerungen notiert.) Die Untersuchung der Lungen bietet nichts
Pathologisches. Der Spitzenstoss des Herzens liegt im 4. Interkostal¬
raum, überhaupt erscheinen dessen Grenzen nach oben verschoben,
im übrigen liegen auch hier normale Verhältnisse vor. Die Gegend
unter dem linken Rippenbogen erscheint durch eine prall-elastische
Geschwulst vorgetrieben, über welcher in Ausdehnung eines Hand¬
tellers absolute, die Mittellinie nicht überschreitende Dämpfung be¬
steht. Die Haut darüber zeigt keine Veränderungen. Die Geschwulst,
welche bei der Atmung sowohl wie überhaupt unverschieblich ist
und auf Druck schmerzt, ist nicht abzugrenzen, sie verliert sich viel¬
mehr in der Tiefe unter dem linken Rippenbogen und nach dem Rück¬
grat hin. Oberhalb der Dämpfung herrscht tieftympanitischer Per¬
kussionsschall, der dem Magen angehört, unterhalb derselben wird
helle Tympanie erzeugt, die von der Erschütterung des Kolons her-
rührt. Bei Lagewechsel tritt keine deutliche Veränderung des Be¬
fundes ein. Der Urin enthält weder Zucker noch Eiweiss, ebenso¬
wenig zeigt sich eine Abnormität in Konsistenz, Farbe und Geruch der
Fäzes. Durch Probepunktion wird eine dunkle, braunrote Flüssig¬
keit gewonnen, die reichlich unveränderte und geschrumpfte Blut¬
körperchen enthält; eine diastatische Wirkung wird damit nicht erzielt.
Die Vorgeschichte des Falles, die merkwürdige Lagerung der
Geschwulst zwischen Kolon und Magen, der von ihr in die Höhe ge¬
drängt wurde, sodass auch das Herz nach oben verschoben war, so¬
wie die sonstige Beschaffenheit der Geschwulst, vor allem auch ihr
charakteristischer Inhalt, Hessen mit grösster Wahrscheinlichkeit oine
Pankreaszyste erkennen und zwar eine traumatische, eine Diagnose,
welche durch die am 19. II. 07 vorgenommene Operation bestätigt
wurde.
Die Operation selbst gestaltete sich relativ einfach. Nach Er¬
öffnung des Abdomens in der Medianlinie lag das sulzig verdickte
Ligamentum gastrocolicum vor, mit dem die Zyste verklebt war. Es
wurde stumpf durchtrennt, die derbe Zystenwand mit dem Peritoneum
parietale vernäht und inzidiert. Aus der Zyste entleerten sich mehrere
Liter der oben beschriebenen Flüssigkeit. Der bis zur Wirbelsäule
reichende Sack wurde sorgfältig ausgetupft und drainiert. Die Hei¬
lung erfolgte per granulationem in 7 Wochen.
Es geht also aus der Betrachtung unseres Falles unzweifel¬
haft hervor, dass das Trauma die unmittelbare Ursache der
Zystenbildung gewesen ist, indem ein grösserer Teil des Pan¬
kreas durch die Quetschung zertrümmert wurde. Immerhin
muss noch ein Teil des Organs funktionstüchtig geblieben sein,
da ja Störungen der Verdauung oder sonstige Ausfallserschei¬
nungen nicht beobachtet wurden.
Die Therapie der Pankreaszyste kann natürlich nur eine
chirurgische sein, da die Aufsaugung so grosser Fliissigkeits-
ansammlungen nicht erwartet werden darf, andererseits aber
die Ruptur der gespannten Zyste zu befürchten ist. Ob die
Exstirpation oder Inzision und Drainage als Operationsmethode
zu wählen ist, hängt in erster Linie davon ab, ob eine wahre
Zyste, deren Wand ein Epithel besitzt, oder eine falsche (trau¬
matische) Zyste, ein Zystoid, vorliegt, wie in unserem Falle,
das keine Epithelauskleidung besitzt, sondern nur eine grosse
intrakapsuläre Quetschwunde des Organs darstellt. Im letz¬
teren Falle kann nur die Annähung und Drainage der Zyste
nach Gussenbauer als schonendste und doch zum Ziele
führende Operation in Frage kommen. Im ersteren Fall, also
bei einer wahren Zyste, konkurriert mit der Gussen¬
bauer sehen Methode die Exstirpation der Zyste, welcher der
Vorzug zu geben ist, wenn ihrer Ausführung sich nicht unüber¬
windliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Auch G ö b e 1 -
Kiel hat auf dem Chirurgenkongress vor kurzem dieselben
Grundsätze aufgestellt.
Zur Nachbehandlung sei noch erwähnt, dass der Operierte,
wie das von anderer Seite bei verzögerter Ausheilung von
Pankreaszysten vorgeschlagen ist, von vornherein unter anti¬
diabetische Diät gesetzt worden ist.
20. August 1907. MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Enchondrom des Larynx.
Von Dr. H a r 1 1 e i b, Assistent der ehir. Abt. im Marienhospital
am Venusberg, Bonn (dirig. Arzt: Prof. Dr. Graff).
Die Enchondrome des Larynx sind, wie M. Schmidt in
seinen „Krankheiten der oberen Luftwege“ erwähnt, seltene
Vorkommnisse. Tatsächlich zählt er an dieser Stelle nur 10
vereinzelte Fälle auf, und v. Bruns bestätigt in dem „Hand¬
buch der praktischen Chirurgie“ dieses seltene Vorkommen
der Enchondrome des Larynx, wenn er schreibt, dass bis jetzt
erst 26 Fälle als sicher nachgewiesen seien. Diese Seltenheit
der Larynxenchondrome wird die Veröffentlichung folgenden
Falles, wie er in dem hiesigen Krankenhaus zur Beobachtung
kam, als gerechtfertigt erscheinen lassen.
Patient H., 45 Jahre alt, Lagerarbeiter, klagt seit mehreren Mo¬
naten über stets zunehmende, jetzt hochgradige Atembeschwerden,
besonders bei Anstrengungen wie- Treppensteigen etc. Die laryngo-
skopische Untersuchung ergibt einen nussgrossen, zapfenförmigen
Tumor, -der mit breiter Basis auf der linken und hinteren Wand des
Kehlkopfes aufsitzt und zwar auf der Cartilago thyreoidea sich hin¬
ziehend über die Cartilago cricoidea. Der Tumor füllt zum grössten
Teil das Querlumen des Kehlkopfes aus, und reicht mit seiner Spitze
bis zu einer Entfernung von etwa 1 cm an die Stimmbänder heran.
Die Oberfläche des Tumors ist glatt, mit normaler Schleimhaut über¬
zogen und lässt makroskopisch schon erkennen, dass es sich um keine
maligne Neubildung handelt. Beim Sondieren mit der Kehlkopfsonde
fühlt sich der Tumor hart, nicht eindrückbar an; die Schleimhaut
darüber ist nicht verschieblich.
Klinische Diagnose: Subchordales Larynxenchondrom.
Dass der Tumor auf endolaryngealem Wege nicht entfernt werden
konnte, war von vornherein klar. Dagegen sprach die Grosse des
Tumors, die breite Insertion desselben» und die hochgradigen Stenosen¬
erscheinungen. Nach v. Bruns „erfordern die subchordalen Ge¬
schwülste mit breiter Basis und von grösserem Umfange entschieden
die Laryngotomie“. Aber selbst für die Laryngotomie war der Tu¬
mor im vorliegenden Falle zu ausgedehnt. Hätte man nach partieller
Spaltung des Kehlkopfs — nur diese und nicht die totale Laryngotomie
wäre wegen des Sitzes des Tumors in Frage gekommen — den Tumor
entfernt, dann wäre nach der Ausheilung ohne Zweifel eine grössere
Narbe entstanden, 'die vielleicht eben solche, wenn nicht stärkere
Beschwerden 'durch ihre Kontraktur hervorgerufen hätte, als der
Tumor selbst. Deshalb wählte Herr Prof. Graff, trotz der Gefahr,
mit dem Nervus recurrens in Konflikt zu geraten, den von v. Bruns
als ein Unikum bezeichneten Weg „der submukösen Ausschälung von
aussen ohne Eröffnung der Kehlkopfhöhle“.
Operation am 2. II 07. Morphiumäthernarkose. Etwa 6 cm
langer Hautschnitt fingerbreit vor der Karotis, längs des hinteren
Randes des Musculus sternohyoideus, beginnend am Zungenbein.
Eindringen in die Tiefe zwischen Muse, omohyoideus und sterno¬
hyoideus: Freilegen des Oesophagus. Letzterer ist ausserordentlich
fest mit dem Kehlkopf verwachsen, sodass das Lospräparieren (des¬
selben von dem Kehlkopf nur unter den grössten Schwierigkeiten
gelingt. Die hintere Wand des Kehlkopfes musste aber freigelegt
werden, weil ja der Tumor zum grössten Teil an der hinteren Wand
sass. Jetzt ist der Tumor deutlich zu fühlen. Derselbe wird mit dem
scharfen Löffel exkochleiert, bis man auf die ihn überziehende Schleim¬
haut des Kehlkopfes kommt. Die digitale Untersuchung der Tumor¬
höhle ergab die Grösse einer Nuss. Die Blutung war ziemlich heftig;
dieselbe liess sich besonders in der Tiefe nur durch Umstechungen
stillen. In die Tumorhöhle wird ein Tampon eingeführt, der an dem
untern Wundwinkel nach aussen geleitet wird. Schluss der Wunde.
Am Tage der Operation sowie die beiden folgenden Tage noch
hochgradige Dyspnoe, die offenbar bedingt war durch den Tampon,
die geringe Hämatombildung und entzündliche Reaktion im Operations¬
gebiete. Am dritten Tage wird der Tampon entfernt, Nachlassen der
dyspnoischen Erscheinungen. 14 Tage post operationem ist die
Wunde vollständig verheilt.
Die laryngoskopische Untersuchung 4 Wochen post operationem
ergibt, dass der Tumor zwar nicht vollständig verschwunden, wohl
aber um 2U kleiner geworden ist. Die rings um das Enchondrom
bestehenden Bindegewebswucherungen konnten und brauchten ja
nicht entfernt zu werden. Ausserdem ist leider eine Postikuslähmung
nachzuweisen, bedingt durch die Verletzung des Nervus recurrens,
der an dieser Stelle zwirnsfadendiinn ist. Infolge dieser Postikus¬
lähmung bestehen natürlich noch dypsnoische Beschwerden, jedoch
sind dieselben bei weitem nicht mehr so hochgradig wie vor der
Operation. Der Patient vermag wieder seine Arbeit zu verrichten.
Es wäre nun noch die Frage zu erörtern, ob man nicht
doch hätte die Gefahr der Rekurrensverletzung umgehen
können, wenn man nach partieller Laryngotomie versucht
hätte, die Schleimhaut über dem Tumor abzupräparieren und
dann den Tumor zu entfernen. Das war aber, nachdem man
mit der Sonde festgestellt hatte, dass die Schleimhaut fest mit
ihrer Unterlage, dem Tumor verwachsen war, als ein Ding der
Unmöglichkeit anzunehmen. Die entzündliche Reaktion rund
1687
um den Tumor herum hatte ein festes Verwachsensein mit der
Umgebung bedingt, wie sich das durch die Verwachsung des
Larynx mit dem Oesophagus bei der Operation bestätigt fand.
Gerade auch infolge des letzteren Umstandes wäre eine Ver¬
letzung des Oesophagus nicht zu vermeiden gewesen, hätte
man den Tumor nach vorhergehender Laryngotomie vom Kehl-
kopfinnern aus entfernen wollen. Eine Verletzung des Oeso¬
phagus aber musste notwendigerweise alle möglichen Kompli¬
kationen, wie Kommunikation mit dem Larynx, Oesophagus-
Larynxfistel etc., im Gefolge haben, denen gegenüber die Posti¬
kuslähmung als das kleinste Uebel anzusehen ist.
Es war also die submuköse Ausschälung des Tumors von
aussen ohne Eröffnung des Kehlkopfinnern in diesem Falle der
einzig richtige Weg, wenn auch durch diese Art der Operation
kein voller Erfolg erzielt wurde, sondern dem Patienten nur
so weit geholfen wurde, dass er wieder wie früher seine Arbeit
verrichten kann.
Die mikroskopische Untersuchung des Tumors bestätigte
die klinische Diagnose.
Ueber Onychoatrophie bei Färbern.
Von Dr. Willy Gotthilf, Kassel.
Unter Onychoatrophie verstehen wir einen Nagelschwund, bei
dem einmal die Nägel sehr dünn und leicht brüchig werden, anderer¬
seits völlig verschwinden können. Als Ursache dieser Affektion ist
Heredität angesprochen worden, 'dann insbesondere erschöpfende
Krankheiten wie Lues, Typhus, Tuberkulose, Diabetes mellitus, Tabes,
auch Hauterkrankungen, sowie dauernde Einwirkung von Chemikalien
können die Ursache dieser Anomalie abgeben. In letzte Gruppe
möchte ich meine Beobachtung einreihen, dass ganz besonders in
Eärbereibetrieben beschäftigte Arbeiter unter Nagelschwund zu lei¬
den haben. Es ist bei diesen eine Gewerbekrankheit im besten Sinne
des Wortes. Die zur Behandlung kommenden Fälle wiesen ausser¬
ordentlich dünne, atrophische, bläulich verfärbte Nägel auf, die sich
leicht umbiegen können und dadurch deformieren oder sich häufig
ganz abstossen, um sich wieder als zarte, .dünne Nägel bald neu zu
bilden. Zu einem festen, gesunden und kompakten Nagel kommt
es selten.
Eine interessante Beobachtung, die ich noch gemacht habe, be¬
steht darin, dass mir einige Fälle bekannt sind, in denen mit dieser
Atrophie der Nägel ein ganz bedeutender Handschweiss verbunden
war. Unter anderm konsultierte mich am 21. VII. 07 Färber A. D„
ca. 25 Jahre alt, ein kräftiger und sonst gesunder Mann. Er zeigte
den typischen Nagelschwund und klagte über geradezu fürchterlichen
Handschweiss. Die Innenfläche der Hände waren auch so nass, als
ob sie eben aus dem Wasser gezogen seien. Nachdem sie von mir
gehörig getrocknet waren, dauerte es bei geballter Faust kaum 1 bis
2 Minuten und das Wasser triefte wieder förmlich aus den Händen.
Auch der Vater, der ebenfalls Färber war, litt an Nagelschwund und
an starkem Handschweiss. Inwieweit in diesem Falle Heredität eine
Rolle spielt, vermag ich nicht zu entscheiden.
Therapeutisch dürfte nicht viel erreicht werden, solange der
Arbeiter nicht- seine Beschäftigung wechselt. Die Handschweisse
lassen sich durch die üblichen Mittel etwas lindern. Ich halte eine
Veröffentlichung meiner Beobachtung für wünschenswert, da ich in
der Literatur diesbezügliche Angaben nicht gefunden habe.
Zur Kasuistik der Vergiftung durch Käse.
Von Dr. Fed er Schmidt, Kgl. Bezirksarzt in Dinkelsbiihl.
Vergiftungen durch Käse gehören im allgemeinen zu den seltenen
Vorkommnissen. In den Sachregistern der Münch, med. Wochenschr.,
die doch den verschiedensten Interessen ihres grossen Leserkreises
gerecht zu werden sucht, findet sich diese Erkrankung in den Jahr¬
gängen 1890 — 1906 nur einmal verzeichnet und zwar handelt es sich
auch hier nicht um eine Originalarbeit, sondern um ein Referat aus
der holländischen Literatur.
Bei dieser Sachlage dürften die nachstehenden kurzen Mit¬
teilungen nicht ganz ohne Interesse sein.
Am 15. August 1906 kam zu dem Berichterstatter der Schreiner¬
geselle R. aus W„ 19 Jahre alt, mit der Klage, dass er seit einigen
Tagen an hochgradiger Körperschwäche, Trockenheit des Mundes
und an Sehstörungen leide. . .
Die Untersuchung ergab folgendes: Die Pupillen sind hochgradig
erweitert, reagieren nicht auf Lichteinfall. Patient ist nicht imstande,
Gedrucktes oder Geschriebenes zu lesen.
Die Schleimhaut des Mundes, namentlich die. Schleimhaut da
hinteren Rachenwand, des weichen Gaumen, sowie die Oberfläche
der Zunge sind vollständig trocken, hie und da mit bräunlichen Krusten
bedeckt. , _ .. , . , n, ,
Patient klagte über grosses Durstgefühl, Geräusche in den Dinen,
sowie über Schlaflosigkeit.
1688
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Bei den vorhandenen Symptomen, der Erweiterung und Re-
aktionslosigkeit der Pupillen, der Trockenheit der Schleimhäute des
Mundes, dachte man zunächst daran, dass es sich um einen hall von
Atropin Vergiftung handele.
In dieser Hinsicht ergab aber die Anamnese keinerlei Anhalts¬
punkte, Patient war nicht mit Augentropfen in Berührung gekommen;
er hatte auch keine Tollkirschen gegessen, was ja bei dem Alter des
Patienten von vornherein ausgeschlossen werden konnte.
Bei näherem Befragen erfuhr man nun folgendes; Patient
arbeitete am 10. August bei dem Bauern L. in R. und erhielt nach¬
mittags 3 Uhr zur Vespermahlzeit Backsteinkäs mit Bier und Brot.
Der Käse soll sehr weich und schmierig gewesen sein, machte
aber auf R. keinen ekelhaften Eindruck. Bereits % Stunde nach dem
Genuss des Käses stellte sich Uebelkeit und Erbrechen ein. Das Er¬
brechen wiederholte sich im Laufe des Nachmittags mehrmals. Als
Patient abends zu Hause, um seinen Zustand zu bessern, warme Milch
trank, trat wieder Erbrechen ein.
Während der folgenden Nacht erbrach Patient verschiedene
Male, auch traten Leibschmerzen auf.
Am 11. August stellten sich Diarrhöen ein, die ein paar Tage
anhielten.
Als Patient am 11. August abends die Zeitung lesen wollte, war
er dazu nicht imstande, da sein Sehvermögen gelitten hatte.
In den nächsten Tagen stellte sich allmählich Trockenheit des
Mundes und des Halses ein, so dass Patient nicht mehr imstande war,
feste Nahrung zu sich zu nehmen. Er musste sich bei der Nahrungs¬
aufnahme auf Trinken von Milch, Kaffee, Wasser beschränken.
Sobald sich Patient bewegte, stellten sich in den Ohren Ge¬
räusche ein, „es schellte, ratschte“.
Der Geschmackssinn war alteriert, so dass Patient den Ge¬
schmack der verschiedenen Flüssigkeiten, die er zu sich nahm, nicht
unterscheiden konnte.
In der Nierengegend hatte Patient über heftige, bohrende
Schmerzen zu klagen. Nach den Diarrhöen der ersten zwei Tage
stellte sich hartnäckige Verstopfung ein.
Patient war sehr hinfällig, konnte das Bett kaum verlassen.
Auf Grund dieser Anamnese durfte man mit Sicherheit annehmen,
dass es sich um einen Fall von Käsevergiftung handele.
Therapie: Der Obstipation wegen gab man Karlsbader Salz.
Ausserdem erhielt Patient Jodkali, weil Jod einmal als Antidot gegen
Alkaloidvergiftung empfohlen worden war.
Die Sehstörung, die Trockenheit des Mundes, die Obstipation, die
körperliche Schwäche hielten ca. 6 Wochen an und zog sich das Re¬
konvaleszenzstadium sehr in die Länge.
Zur selben Zeit wie R. erkrankte der 54 jährige Arbeitgeber des
R., dessen 21jährige Tochter, sowie eine 25 jährige Magd, die eben¬
falls von dem Backsteinkäse gegessen hatten.
Die Symptome waren bei diesen Personen die gleichen wie bei
R. und ging auch hier die Erkrankung sehr langsam in die Genesung
über.
Nach Husemann (in Eulenburgs Realenzyklopädie) cha¬
rakterisieren sich die Symptome der Käsevergiftung „stets als Brech¬
durchfall, in schweren Fällen mit Blutbrechen und Tenesmus, auch
von Kollapserscheinungen begleitet“.
Die bei unseren Fällen beobachteten Symptome, die eine Atropin¬
vergiftung vortäuschten, erwähnt Husemann nicht.
v. J a k s c h sagt aber im Handbuch der speziellen Pathologie
und Therapie von Nothnagel: „Neue Untersuchungen machen es
wahrscheinlich, dass verschiedene Gifte, welche sich im Käse ent¬
wickeln, existieren, darunter auch eines, welches Symptome der
Atropinvergiftung veranlasst.“
(Aus dem städt. Krankenhause zu Karlsruhe, Chirurg. Abteilung.
Direktor: Prof. Dr. von Beck).
Vereinfachtes Extensionsverfahren. *)
(Letzte Mitteilung.)
Von Dr. Arthur Hofmann, I. Assistenten.
Meine vorhergehenden Mitteilungen betrafen den Ersatz des
Rollensystems bei Extensionsverbänden.
Es stellte sich ein Missstand heraus, der darin bestand, dass die
Schnüre, welche nach der Seite zogen, tief in die Matratzen ein-
sclmitten und infolge dessen eine zu grosse Reibung verursachten.
Selbst im Falle man die Schnüre über einen runden Gegenstand
gleiten liess, wurde dieser in die Matratze eingedrückt und dadurch
zwecklos. Diesem Uebelstand ist aber leicht zu begegnen:
Man lässt die seitwärts ziehenden Schnüre über eine Fadenrolle
laufen, wie das Fig. I veranschaulicht. Damit aber diese Fadenrolle
wirklich als Rolle funktioniert, muss die Schnur, welche durch ihre
Achse läuft, gespannt sein. Dieses wird dadurch erreicht, dass man
von einem Bettende zum anderen parallel dem Bettrande eine dop¬
pelte Schnur ohne Ende legt, über welche die Fadenrolle gestülpt
wird, sodass die zweifache Schnur durch die Achse der Fadenrolle
hindurchzieht. Bei Betten, welche keine Bügel an ihren Enden haben,
muss die Doppelschnur, wie Fig. I zeigt, um das ganze Bett herum¬
*) Nach einem Vortrage auf dem oberrheinischen Aerztetag.
geführt werden. Nun wird mittelst eines zwischen neide Schnüre
eingesteckten Stabes die Doppelschnur durch Aufwinden (wie bei
einer Säge) gespannt. Der Stab bleibt stecken und findet seinen
Rückhalt an der Bettkante. Bei Nachlassen der Spannung kann die
Schnur immer wieder von neuem durch Umdrehen des Stabes ange¬
spannt werden. Als Stab kann ein Stock oder ein abgebrochener
Besenstiel am besten bemitzt werden.
Auf diese Weise ist es
möglich, die umständlichen
und teueren Rollen mit ihren
Stativen und Schrauben
durch das Einfachste dieser
Art zu ersetzen.
Die vertikale Ex¬
tension nach Schede
lässt sich auf folgende Weisp
vereinfachen:
Den Galgen stellt man
aus 3 Stangen (Besenstielen)
her, die man in der Fig. II
skizzierten Weise zusam¬
mennagelt. Die Extension
wird dann, wie das am besten aus der Fig. II ersichtlich ist, nach
meiner zweiten Modifikation der Umsetzung von Längsextension in
querem Zug ausgeführt. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass nach
der Theorie des Fla¬
schenzuges mit be¬
deutend mehr Kraft
abwärts gezogen
wird, als Gewicht an¬
gehängt ist.
Die Extension mit der
Glisson sehen Schwinge
kann ohne Rollenträger nach
der in Fig. III skizzierten
Weise ausgeführt werden.
Die Fadenrolle, um welche
die Schnur, die (das Gewicht
trägt, lauft, muss beweglich
sein. Zu diesem Zwecke
wird die Schnur, welche die
Fadenrolle trägt, in (der eben
beschriebenen Weise ge¬
spannt.
Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass man
eine nur einfach gelegte Schnur auch anspannen kann. Man führt
sie nur ganz locker von einem Bettende zum anderen. Darauf macht
man mit einem Stabe eine
Schlinge in die Schnur,
wendet dann den Stab, so¬
dass er parallel der Schnur
zu liegen kommt und dreht
ihn dann in dieser Lage so
lange, bis die Schnur die ge¬
wünschte Spannung erhält.
Der Stab muss dann an der
Schnur befestigt werden.
Zusammenfassend kann
man behaupten, dass die
Einführung der ein¬
fachen Faden rolle in
die Technik des Extensions¬
verbandes nicht blos eine Extension zu improvisieren im stände ist,
sondern dass man auf diese Art Dauerverbände mit allem Raffinement
einer Barden heuer sehen Extensionstechnik ohne Stangen, ohne
Rollen und ohne Schrauben in der einfachsten Hütte bewerkstelligen
kann.
Seit meiner ersten Mitteilung werden in unserem Krankenhause
sämtliche Extensionsverbände nach der Methode der Um¬
setzung ausgeführt.
Anmerkung: Die früheren Veröffentlichungen finden sich in
No. 6 und No. 29 des Jahrganges 1906 und in No. 9 d. Jahrg. 1907.
Die „Freie Vereinigung von Freunden der spezifischen
Tuberkulosetherapie“ und ihre Gegner.
In No. 26 dieser Wochenschrift vom 25. VI. 1907 bespricht Herr
Dr. Köhler, Chefarzt der Heilstätte Holsterhausen die in der „Zeit¬
schrift für ärztliche Fortbildung“ erwähnte Begründung einer freien
Vereinigung von Freunden der spezifischen Tuberkulosetherapie,
welche das Ziel verfolgt, die Tuberkulinbehandlung wissenschaftlich
weiter auszubauen und das reiche Material, welches bereits über die
Erfolge dieser Therapie gesammelt ist, auch anderen Aerzten mög¬
lichst geschlossen und übersichtlich zugänglich zu machen.
Herr Dr. Köhler knüpft daran einige abfällige Bemerkungen
über die „höchst überflüssige Sondervereinigung“.
Kaum also ist die erste Kunde über die in aller Stille erfolgte
Vereinigung gleichstrebender Männer, die sich bisher zum Teil nur
Fig. I.
Fig. III.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1689
aus ihren Schriften kannten, in einer Fachzeitschrift bekannt gegeben,
so setzt bereits die Opposition ein; die Opposition, der gegenüber bis¬
her die einzelnen Mutigen, welche ihre Ueberzeugung zu vertreten
wagten, wie isolierte Felsen in brandender Meeresflut standen. Wie
bitter, dieser immer erneute Kampf gegenüber Anfechtungen von
„Kollegen“ war, bei denen Mangel an eigenen Erfahrungen und oft
erstaunliche Unkenntnis des bereits literarisch vorliegenden grossen
Tatsachenmaterais ersetzt wurde durch ein urteilsgewaltiges Selbst¬
gefühl, habe ich nicht nur in meinem Wirkungskreise, sondern auch
durch die Korrespondenz mit anderen Vertretern der gleichen Sache
erfahren.
Nun soll dieser Kampf gemeinsam geführt werden, rein mit
den Waffen des Geistes, indem das grosse Erfahrungsmaterial zu
Gunsten der Tuberkulintherapie möglichst übersichtlich allen denen
zur Verfügung gestellt wird, die sich dafür interessieren, sodass viel¬
beschäftigte Kollegen nicht erst in zahllosen Zeitschriften umhersuchen
müssen, Zeitschriften, 'die nicht jeder alle halten kann, die den meisten
schwer, vielen gar nicht zugänglich sind.
Wer sollte gegen einen solchen Zusammenschluss zu gemein¬
samer Arbeit etwas einzuwenden haben? Hätten wir unsere Herren
„Gegner“ erst um Erlaubnis fragen sollen? Oder hätten wir den
Kampf um längst abgetane Einwürfe in das eigene Lager mit hinüber¬
nehmen sollen? An Kontroversen und Fragen, welche noch der Auf¬
klärung bedürfen, wird es auch unter uns sicher nicht fehlen, für die
Förderung dieser wichtigen Erörterungen gewinnen wir Zeit und
Kraft, wenn wir die nutzlose Diskussion mit Gegnern, die sich
nicht überzeugen lassen wollen, ausschalten.
Wer würde — um ein Beispiel aus anderem Gebiete zu wählen
— einer Vereinigung von Freunden der klassischen Bildung vor-
werfen, dass sie die prinzipiellen Gegner der klassischen Bildung nicht
mit aufnehme? Gegner, die, nebenbei gesagt, zahlreicher und gewiss
beachtenswerter sind, als gegenwärtig die offenen I uberkulingegner,
deren Zahl nach den Erfahrungen der letzten Berliner Versammlung
erstaunlich abgenommen zu haben scheint.
Warum hat Herr Dr. Köhler, der in Berlin anwesend war,
nicht dort das Wort ergriffen, wo jedem Gelegenheit zu freier Aus¬
sprache gegeben war? Nun, er war wohl überrascht, zu erleben, in
wie unerwarteter Weise sich die Zahl 'der Tuberkulintherapeuten und
das von ihnen beigebrachte Erfahrungsmaterial vermehrt hatte.
Herr Dr. Köhler hat neuerdings eine Schrift verfasst, welche
den stolzen Titel führt „Grundlagen zur Wertung des
therapeutischen Effektes des Tuberkulin s“, in Wirk¬
lichkeit aber nur eine Kritik von Hypothesen über die mögliche, oder
nach Ansicht des Verfassers unmögliche Heilwirkung des Tuberkulins
enthält. Herr Dr. Köhler sollte die Wahrheit beherzigen, dass
„Grundlagen“ nur der legen kann, der a u f b a u t, nicht der,
welcher zu zerstören sucht. Das reiche Erfahrungsmaterial, welches
der Referent der Berliner Versammlung Herr Dr. Bandelier mit
grossem Fleiss gesammelt und bearbeitet hatte, das könnte man
a 1 s „G rundlagen zur Bewertung der Tuberkulin-
therapie“ bezeichnen. Herrn Köhlers „Grundlagen“ sind
keine Grundlagen, es sind Seifenblasen, die in der Luft
schweben und an dem festen Fundament der Tatsachen zerplatzen
müssen. Nicht anders steht es mit seinem Angriffe gegen die
neue Vereinigung.
Schon wenn die Vereinigung keine andere Wirkung hätte* als
die Herren Gegner mehr zur Vorsicht und Sachlichkeit zu
veranlassen, zur Vorsicht und Sachlichkeit namentlich auch
gegenüber der um Rat bittenden Patientenschaft, schon dann hätte sie
einen grossen Erfolg errungen und sich als keineswegs „überflüssig“
erwiesen. Werden doch heute noch zahllose Tuberkulöse von selbst
nur mangelhaft orientierten Aerzten über die Frage der spezifischen
Behandlung in unverantwortlich unzutreffender und unvor¬
sichtiger Weise „belehrt“. Tausenden kostet dies das Leben!
Hier richtet die Vereinigung vor allem ihren Appell „ad collegas
melius informandos“.
Ein weiteres Ziel will die Vereinigung zu erreichen suchen durch
den Versuch, solche Patienten, die den Wohnort wechseln, unter
dauernder sachkundiger Kontrolle zu erhalten. Erst hierdurch wird
eine wirklich einwandsfreie Statistik der Dauererfolge möglich
werden. Wie mancher durch Tuberkulin gebesserte Tuberkulöse
wird bis jetzt dadurch, dass er beim Ortswechsel in die Hand eines
Arztes gerät, der „ganz anderer Ansicht ist“, irre gemacht, oft zu
Kurpfuschern getrieben, und erliegt Rückfällen, die hätten verhütet
werden können, wenn sachkundiger Rat ihn weiter begleitet
hätte.
Aber nicht nur gegen die „Belehrung“ durch unzureichend orien¬
tierte Gegner will die Vereinigung sich wenden, sondern auch gegen
die Tätigkeit unzureichend orientierter und darum gefährlicher
„Freund e“ soll versucht werden, vorbeugend zu wirken. Denn
wenn wieder einmal „das Spritzen modern wir d“, so besteht
die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass Kollegen mit ganz unge¬
nügender Vorbereitung sich der spezifischen Tuberkulosetherapie
annehmen und „optima fide“ alle jene kleinen und grossen Fehler in
der Tuberkulinanwendung und namentlich in der Beurteilung der Er¬
gebnisse wiederholen, welche in der Literatur bereits vielfach hervor-
gehoben, aber noch lange nicht allgemein bekannt sind. So liegt
immer wieder die Gefahr nahe, dass diese „Freunde“ nach kurzem
„Versuchsstadium“ in verbitterte Gegner sich verwandeln und so
neue Hemmschuhe für eine stetige Weiterentwicklung der spezifischen
Therapie bilden.
Die ersten Vorkämpfer der Tuberkulintherapie, die notgedrungen
Autodidakten sein mussten, haben eine lange Reihe von Jahren ge¬
braucht, um auf einen gesicherten Standpunkt zu gelangen. So be¬
kenne ich gern, dass ich erst nach etwa sechsjähriger Hand¬
habung des Tuberkulins von der Möglichkeit, Dauerheilungen damit
zu erzielen, eine durch Erfahrungen gefestigte Ueberzeugung ge¬
wonnen hatte. T h o r n e r, Krause, G o e t s c h u. a. ist es ähnlich
gegangen. Heute kann nicht genug betont werden, dass die Hand¬
habung der Tuberkulosetherapie nicht anders gelernt werden sollte,
als jede medizinische Sondertherapie (Gynäkologie, Ophthalmologie
etc.): zunächst Beobachtung und Literaturstudium, dann Ausführung
unter Aufsicht bereits eingearbeiteter Kollegen, schliesslich Sammlung
eigener Erfahrungen. Schon seit längerer Zeit betrachtet man für
die Ausübung der Augen-, Ohrenheilkunde etc. eine etwa 2 jährige
Vorbereitungszeit als Assistent oder Volontär an geeigneten Instituten
als unerlässlich. Eine Vorbereitungszeit von etwa gleicher Dauer
sollte auch derjenige Arzt durchmachen, der sich der Tuberkulose¬
therapie einschliesslich der Handhabung spezifischer Mittel widmen
will. Nach gründlicher bakteriologischer Vorbil¬
dung in der Untersuchung des Auswurfs auf Tuberkelbazillen, auf
Erreger von Sekundärinfektionen und alles, was sonst zu beachten
ist, kommt das Arbeiten in einem Sanatorium oder einer Heilstätte
in Betracht, wo die spezifische Therapie von sachkundiger Hand als
reguläres Glied des Kurplanes gepflegt wird. Dann aber
ist eine besondere Einarbeitung in die ambulatorische Hand¬
habung der Tuberkulindiagnostik, -behandlung und -nachprüfung, in
die Beurteilung „geheilter“ Fälle usw. durchaus erforder¬
lich, weil gerade die poliklinische Behandlung der in der ärztlichen
Praxis geübten am nächsten kommt.
In derart gründlicher Weise vorbereitete Kollegen werden zu-
v e r 1 ä s s i g e Förderer der spezifischen Behandlung werden und
bleiben 1).
Ich gebe zu, dass es auf diese Weise nicht ganz schnell gehen
wird, die Tuberkulinbehandlung „in die Praxis einzubürgern“, ich
bekenne aber auch frei, dass ich nach wie vor ein Gegner der all¬
gemeinen Einbürgerung bin; ich halte es, wie ich früher bereits
ausführte 2), für viel richtiger, wenn eine Anzahl von Zentral¬
stellen für spezifische Therapie sich bilden, an welche die Inter¬
essenten von ihren Aerzten ebenso verwiesen werden, wie bisher
fast ausschliesslich an Heilstätten und Sanatorien; ein besonderer
Verlust wird sich für die praktischen Aerzte daraus kaum ergeben,
im Gegenteil wird ihr Vertrauen in der Klientel wachsen, während
sie durch eigene un zweckmässige Behandlungsversuche leicht
Gefahr laufen, sich den Ast des Vertrauens, auf dem sie sitzen,
selber abzusägen. Das gleiche dürften diejenigen Kollegen ris¬
kieren, welche ihre Klientel über die Tuberkulintherapie in einer
Weise aufklären, welche mit den literarisch fesT:gelegten Erfahrungen
der Kenner dieser Behandlung in Widerspruch steht.
Die Freie Vereinigung will also vorläufig nur den Kollegen
Gelegenheit zur Orientierung geben, jeder „B 1 u f f“ durch
aufsehenerregende Vorträge, jede „Agitation“ in der Oeffentlichkeit
öder durch Tageszeitungen soll vermieden werden, damit ja nicht
wieder eine „Tuberkulinära“ wie 1891 hereinbreche mit allen ihren
unschönen Nebenerscheinungen. Es werden also die Herren Kollegen
Zeit gewinnen, sich mit der vorliegenden Literatur zu beschäftigen
und sich, wenn sie Neigung und Zeit dazu haben, selbst auf die spe¬
zifische Behandlung einzuarbeiten. Auch diejenigen klinischen Autori¬
täten, welche der Tuberkulinfrage bisher mit stolzer Ablehnung oder
wenigstens kühlster Reserve gegenüber gestanden haben, werden
Zeit gewinnen, ihren Kurs etwas zu ändern. Immerhin wird es nach
wie vor schwierig sein, bei klinischer Beobachtung allein die
Heilung Tuberkulöser abzuwarten, da Jahre hierzu erforderlich
sind. Nur die Verbindung der Klinik mit der Poliklinik wird
geeignet sein, ein einwandfreies Beobachtungsmaterial auf lange Zeit
zu sichern.
Nichts liegt unserer Vereinigung ferner, als uns isolieren und ab¬
sondern zu wollen. Im Gegenteil! Wir wollen unsere bisherige
Isolierung aufgeben und überall Fühlung behalten. Mit dem Zen¬
tralkomitee verbindet uns schon die Mitgliedschaft des Herrn
Generalsekretärs, wie bekannt eines Koch sehen Schülers; den
Landesversicherungsanstalten suchen wir möglichst
zuverlässige Tuberkulintherapeuten zur Verfügung zu stellen. Allen
Aerzten aber, die sich für die spezifische Therapie interessieren,
wollen wir Gelegenheit bieten, sich systematisch an geeigneten Stel¬
len einzuarbeiten.
Ob wir für unsere weiteren Publikationen bereits bestehende
Zeitschriften wählen oder ob wir genötigt .sein werden, besondere
_ I
1) Man verzeihe mir, wenn ich nicht alle brieflichen Anfragen
von Kollegen, die gerne „spritzen“ möchten, und nach dem „besten
Präparat“ und .seiner Dosierung fragen, einzeln beantworten kann.
Diese Dinge erfordern eben ein Studium. Darum halte ich auch
die ..Gebrauchsanweisungen“, die den Tuberkulinpräparaten beigelegt
werden, für nicht unbedenklich. .
2) Vorträge zur Tuberkulosebekämpfung, No. I, pag. T-. Leip¬
zig, Leineweber, 1900.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
1W0
Hefte erscheinen zu lassen, das ist vorläufig noch unentschieden,
darüber braucht Herr Dr. Köhler sich unsere Köpfe nicht zu zer¬
brechen! Ein Verzeichnis der Mitglieder der Vereinigung und ihrer
bisherigen wissenschaftlichen Publikationen wird jedenfalls dem¬
nächst in bekannten Fachzeitschriften mitgeteilt werden. Eine
„öffentliche Proklamation“ (die Herr Köhler vermisst)
wird aus den bereits hervorgehobenen Gründen überhaupt nicht statt¬
finden. Es werden aber alle diejenigen Kollegen in der Vereinigung
willkommen sein, welche durch eigene erfolgreiche
Arbeit auf dem Gebiete der spezifischen Tuber¬
kulosetherapie zu Freunden derselben geworden
sind. So hofft denn unsere Vereinigung keinem Kollegen etwas zu
leide zu tun — es sei denn in gerechter Abwehr ungerechter Gegner
— sondern mit den bewährten Mitteln und in dem ru h i g e n Fahr¬
wasser wissenschaftlicher Beobachtung die Seg¬
nungen der spezifischen Therapie allmählich weiteren und weiteren
Kreisen zugänglich zu machen. Dem Antagonismus der bisherigen
Gegner stehen wir um so ruhigeren Gemüts gegenüber, als nicht mehr
jeder von uns einzeln den Kampf mit Unkenntnis und Uebelwollen zu
führen braucht, sondern jedem in der Vereinigung ein Rückhalt zu
Gebote steht, auf den er sich ohne weiteres berufen kann. Auch aus
den Arbeiten der Gegner wird jeder von uns zu lernen suchen; es
ist nicht ausgeschlossen, dass wir selbst einmal eine Sammlung gegne¬
rischer Arbeiten veranlassen im Sinne von „Grundlagen zur
Wertung der Angriffe der Tuberkulingegner“.
Prof, Dr. Petruschky - Danzig.
Referate und Bücheranzeigen.
W. K o 1 1 e und A. Wassermann: Handbuch der pa¬
thogenen Mikroorganismen. Ergänzungsband. 655 Seiten. Mit
vielen Tafeln. Jena, Gustav Fischer. 28 Mk.
Die ausführlichen und für den Moment abschliessenden
Darstellungen des trefflichen Kolle-Wassermann sehen
Handbuches können bei dem raschen Fortschritt und der rast¬
losen Arbeit dem Schicksal des allmähligen Veraltens nicht
entgehen, zudem bringt ja jedes Jahr ganz neue Forschungs¬
ergebnisse. Die Ergänzungsbände werden deshalb jedem, der
die Einzelheiten des allerneuesten Standes der Forschung ken¬
nen muss, unentbehrlich sein, wenn er nicht selbst die Riesen-
miihc auf sich nehmen kann, die Literatur im einzelnen zu ver¬
folgen. In 15 Artikeln wird von Spezialforschern berichtet
über: Trypanosomen, Piroplasmosen, Tuberkulose, Lepra, Ab¬
dominaltyphus und Paratyphus, spindelförmige Bazillen, Bak¬
terienhämotoxine, Amoebendysenterie, Malaria, Geschwülste,
Genickstarre, Spirillosen, Maltafieber und Lyssa, die meisten
Artikel sind mit Tafeln und Textfiguren reich illustriert. Der
Ergängzungsband reiht sich würdig an das Hauptwerk an.
_____ _____ K. B. Lehmann.
< -vs* i
Konrad Hel ly: Die hämatopoetischen Organe in ihren
Beziehungen zur Pathologie des Blutes. Verlag von Alfred
Holder, Wien 1906, Preis Mk. 5.20.
Es ist mit besonderer Anerkennung zu begriissen, dass die
im Titel gekennzeichneten Kapitel der pathologischen Ana¬
tomie im Nothnagel sehen Handbuche eine Bearbeitung von
einem Histologen erfahren haben. Auf Grund sehr sorgfältiger
Literaturstudien und eigener Untersuchungen gibt der Verfasser
besonders in den Abschnitten der normalen Anatomie und Phy¬
siologie der blutzellenbereitenden Organe eine vorzügliche Dar¬
stellung unserer heutigen Anschauungen. Etwas zu kurz weg¬
gekommen sind jedoch die Kapitel der pathologischen Ana¬
tomie, die wohl etwas eingehender hätten berücksichtigt wer¬
den müssen. Es hat hier den Anschein, als ob der Verfasser
wohl nicht ganz den Ueberblick und die notwendigen Er¬
fahrungen auf diesem schwierigen Gebiete besessen hätte.
Die 205 Seiten umfassende Abhandlung gliedert sich in
zwei Hauptabschnitte: Lymphdrüsen und Milz und ferner Kno¬
chenmark. Besonders gut ist die Histologie der Lymphknoten
geschildert. Nicht ganz anerkennen kann ich den Satz, dass
„die Milz in ihren feineren histologischen Verhältnissen schon
seit geraumer Zeit als im allgemeinen gut erkannt gelten kann“.
Meiner Ansicht nach ist gerade die Milz eines derjenigen
menschlichen Organe, von denen wir, wenn wir ehrlich sein
wollen, sowohl in bezug auf ihre Anatomie wie Physiologie
noch herzlich wenig wissen.
Ungefähr drei Viertel des Werkes nehmen die Ausfüh¬
rungen über das Knochenmark ein. Die Schilderung seiner
Histologie stellt wohl das beste dar, was uns heute zu Gebote
steht. Als unrichtig muss ich es jedoch bezeichnen, wenn
H e 1 1 y behauptet, dass die Lymphozyten im Knochenmarks¬
parenchym einen regelmässigen Befund bilden und sich
gleichmässig unter die übrigen Elemente verteilt finden. Nach
meinen, auf einem grossen Materiale beruhenden Unter¬
suchungen sind vielmehr diese Elemente im normalen Knochen¬
mark ein ganz besonders seltener Befund. Man kann oft viele
Schnitte durchmustern, ohne auch nur einen einzigen Lympho¬
zyten anzutreffen. Die Zellen, die der Verf. als Lymphozyten
anspricht, sind sicherlich Myeloblasten. Doch ist hier nicht der
Raum, nochmals auf diese Frage, die ich schon anlässlich des
Referates von Grawitz’ Lehrbuch diskutiert habe, einzu¬
gehen. Ich muss daher auf meine früheren Ausführungen (diese
Wochenschrift 1907, No. 16) verweisen.
Am Schlüsse der H e 1 1 y sehen Abhandlung, die, wie schon
gesagt, zu dem Vorzüglichsten gehört, was wir zur Zeit be¬
sonders über die normale Histologie der blutzellenbereitendcn
Organe besitzen, findet sich ein sehr sorgfältiges Literaturver¬
zeichnis von 38 Seiten Umfang, das alle in Betracht kommenden
Arbeiten des vorliegenden Gebietes enthält.
Schridde - Freiburg.
H. Chiari: Pathologisch-anatomische Sektionstechnik.
2. Auflage. Berlin, Fischers Medizinische Buchhandlung,
1907. 107 Seiten. 3 M.
Die zweite Auflage dieser bisher nicht genügend ver¬
breiteten Anleitung zur Ausführung von Sektionen ist natur-
gemäss gegenüber der ersten Auflage nicht wesentlich ver¬
ändert. Zu bessern war ja wenig an der Methode und nichts an
der ausgezeichneten Darstellung. Wo jedoch Neuerungen vor¬
liegen, sind sie berücksichtigt; so wurde eine neue sehr brauch¬
bare Methode der Nasensektion aufgenommen und der Gebrauch
von Handschuhen wird warm empfohlen. Nur die Simmonds-
scheu Vorschläge (abgerundete Messer, Metallgriffe an den
Instrumenten, Metallblöcke usw.) werden nach Meinung des
Ref. zu wenig gewürdigt. Zugespitzte Messer sind allerdings,
wenn man sich streng an die C h i a r i sehen Sektionsvorschrif¬
ten hält, nicht zu entbehren, weil manche Organe, die sonst
mit der Schere eröffnet werden, nach Chiari mit dem Messer
geschlitzt werden (Herz, Trachea), eine für den Ungeübten
jedenfalls nicht so einfache und ungefährliche Manipulation.
Das Grundprinzip der Rokitansky-Chiari sehen Sek¬
tionsmethode, dasselbe, welches auch Zenker und Heller
befolgen, kann nie genug gerühmt werden, die Belass, ung der
Organe in ihren natürlichen Zusammenhängen; die topo¬
graphische Sektionsmethode ist die einzige, die man nie bereut.
Robert R ö s s 1 e - München.
F. v. Winckel: Handbuch der Geburtshilfe. 3. Band,
3. Teil. Verlag von J. F. Bergmann. Wiesbaden 1907.
Preis 25 Mk.
So läge denn der Schlussband des in diesen Blättern schon
des öfteren besprochenen Standard-work vor und mit ihm ein
echtes Dokument deutschen Gelehrtenfleisses. Winckel
schliesst den Ueberblick über die Geschichte der Gynäkologie
bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ab. Den ganzen Wert
dieser mühsam zusammengetragenen Daten wird erst ein spä¬
terer Bearbeiter dieser Frage zu schätzen wissen.
In die einzelnen Kapitel der Pathologie des Neugeborenen
haben sich geteilt Ludwig Seitz, H. Meyer-Ruegg und
Karl B a i s c h. Von diesen scheint mir das wichtigste, nämlich
das über den Scheintod, auch das beste zu sein. Das was
iibcrMelacna neonatorum, Tetanus etc. gesagt wird, ist eine ge¬
wissenhafte Zusammenstellung dessen, was wir wissen oder
noch öfter nicht wissen.
Den grössten Teil des Bandes füllt Max Stu in p f s Arbeit
über die gerichtsärztliche Geburtshilfe. F r i t s c h s Werk über
diesen Gegenstand ist noch immer vorbildlich und da gerade bei
diesem Gebiet die durch die stabile Gesetzgebung Vorgesetzten
Schranken ziemlich konstant sind, ist es naturgemäss schwer,
dem alten Stoff neue Seiten abzugewinnen. Das kann weniger
der Inhalt als die Art der Darstellung. Stumpf hat das wohl
auch selbst gefühlt und sich deswegen bemüht, das allent¬
halben zerstreute kasuistische Material möglichst reichlich zu
sammeln. Und diese grosse Tatsachensamrnlung ist cntschie-
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1691
den von grossem Wert, denn nur sie kann dem Rat Suchenden
und vor das juristische Forum Gerufenen die fehlende eigene
Erfahrung ersetzen. Dass alles zur Diagnose dieses unerquick¬
lichsten Abschnittes der Medizin Erforderliche nicht fehlt, das
ist bei einer Arbeit in einem Buche, welches das Prägzeichen
„Franz v. Wincke 1“ trägt, selbstverständlich.
Für das offizielle Ende einer vorbildlich reichen und frucht¬
baren Lehrtätigkeit konnte unser Lehrer sich kein würdigeres
Denkmal setzen als dieses Werk: es wird seinen Namen fest-
halten zu seiner Ehre und zu der der deutschen Geburtshilfe.
F 1 a t a u - Nürnberg.
Die krankhaften Geschlechtsempfindungen auf dissoziativer
Grundlage von Havelock E 1 1 i s. Deutsch von Dr. Ernst
Jentsch. Würzburg 1907. A. S t u b e r s Verlag (Curt K a -
bitzsch). 316 Seiten. Preis 4 M., geb. 5 M.
Die Psychologie des Sexuallebens, diese umfangreiche
Disziplin der mittelalterlichen Kirchenväter, hat erst in den
letzten Jahren an dem gewaltigen Aufschwung aller Wissen¬
schaften teilgenommen, nachdem Kr afft -Ebing die For¬
schung wieder auf dieses Gebiet gelenkt hatte. Zu den be¬
deutendsten neueren Schriften, welche diesen Gegenstand be¬
handeln, gehören die Sexualpsychologischen Studien von
Havelock E 1 1 i s. Der vorliegende Band ist die Fortsetzung
eines früheren, betitelt: „Das Geschlechtsgefühl“, in welchem
eine eingehende Analyse des Geschlechtstriebes, des Zustande¬
kommens der „Tumeszenz“, gegeben ist. Der vorliegende
Band selbst behandelt die Erscheinungen der normalen „De-
tumeszenz“ in ebenso ausführlicher wie glänzender Darstel¬
lung. Hieran schliesst sich eine Darstellung derjenigen krank¬
haften Betätigungen des Geschlechtstriebes, welche als ero¬
tischer Symbolismus bezeichnet werden. Ausführliche Unter¬
suchungen an Hand zahlloser Beispiele legen z. B. das Wesen
und die Ursachen des Fuss-, Schuh-, Stoff-, Haarfetischismus,
der Bestialität, des Exhibitionismus usw. klar.
Verschiedene Ursachen haben zusammengewirkt in
unserer Zeit, um sexuelle Fragen sozusagen zum Tages¬
gespräch zu machen. Der Kampf gegen die Unsittlichkeit und
die Aufklärung der Jugend über die ihr drohenden Gefahren
sind an der Tagesordnung. Und doch fährt mancher eifrige
Sittenprediger noch nutzlos mit der Stange im Nebel herum,
weil er in manchen Verirrungen des Geschlechtslebens nur
Laster, aber nicht Krankheit erkennen will und kann. Ohne
gründliche Kenntnis der Physiologie, Psychologie und Patho¬
logie des Geschlechtslebens aber wird auch eine Therapie des¬
selben nie besonderen Erfolg versprechen und eine Art von
Kurpfuscherei bleiben.
Die ausgezeichneten Studien von Hav eilock E 11 i s verdienen
darum weiteste Verbreitung, 'denn in übersichtlicher Weise
ist ein ungeheures Material verwendet, um Licht zu verbreiten
über viele bisher in Dunkel gehüllte Gebiete. Die Sprache ist
fliessend und gewandt, so dass auch der Uebersetzer Lob ver¬
dient. Niemand, der am Kampfe gegen die Unsittlichkeit wirk¬
lich regen Anteil nimmt, darf darum die sexualpsychologischen
Studien von Havelock E 1 1 i s ausser acht lassen.
Dr. Keller.
Hancock und Katsukuma Higashi, das Kano Jiu-Jitsu, mit
einer Einführung von Geh. Hofrat Dr. B a e 1 z. 526 Seiten mit
mehr als 500 Abbildungen nach dem Leben und 4 anatomischen
Tafeln. Julius Hoffman n, Verlag, Stuttgart.
Der grösste Teil des Buches (500 Seiten mit 487 vorzüg¬
lichen Photographien) interessiert nur diejenigen, welche die
japanische Art des Ringens kennen lernen wollen. Bei u n -
se^n Ringkämpfen wird in der Hauptsache Kraft gegen
Kraft gesetzt. Bei den Japanern wird der Sieg durch alle
möglichen Kniffe und Schliche errungen. Dem andrängenden
Gegner gibt man plötzlich nach, dass er zu Fall kommt oder
man stösst den Fuss des Gegners zur Seite, dass er das Gleich¬
gewicht verliert und dergleichen mehr. Daneben werden aber
auch Griffe angewandt, die für ein Kampfspiel, das in erster
Linie der körperlichen Ausbildung der Jugend dienen soll, recht
bedenklich erscheinen. So spielen z. B. das Ueberstrecken
des Ellenbogens, der Hand und der Fingergelenke, um starke
Schmerzen durch Zerrung der Gelenkkapseln auszulösen,
Stösse gegen die Magen- und Nierengegend, Schläge auf den
Nervus ulnaris am Ellbogengelenk, Würgen des Halses, um die
Luftzufuhr abzuschileiden, u. a. eine grosse Rolle.
Prof. B a e 1 z versichert in seinem Vorwort, dass in K a -
n o s Schule die gefährlichen Griffe mit ausserordentlicher Mäs-
sigung, Ruhe und Würde angewandt werden.
Er berichtet, dass der Jiu-Jitsu nicht nur in der höheren
Töchterschule Japans, sondern auch in englischen und japani¬
schen Schulen für junge Mädchen eingeführt ist und mit grosser
Begeisterung geübt wird. Trotzdem möchten wir das Jiu-Jitsu,
obwohl es zweifellos eine ausgezeichnete Schule bildet, um
körperliche Gewandtheit zu erringen, nicht für unsere Jugend
empfehlen, denn die Gefahr, dass durch rohe Anwendung der
Griffe schwere Verletzungen entstehen, ist sehr gross.
Für den Arzt weit interessanter als die ersten 500 Seiten
sind die letzten 26. Es werden dort Körperstellen angegeben,
an denen kraftvoll und rasch geführte Stösse den I od des
Gegners, sanft ausgeübte nur Bewusstlosigkeit herbeiführen.
Solche kritische Stellen am Körper sind die Nasenwurzel, die
Herz- und Magengegend, die Hoden, der erste Halswirbel, die
Lumbalgegend. Bei der gleichen Art von Stössen gegen andere
Körperstellen, z. B. die Kiefergelenksgegend, den Kehlkopf, die
Axillargegend, die unteren Brustwirbel u. a. tritt nur Bewusst¬
losigkeit ein.
Sodann wird das sog. Kuatsu, die Kunst der Wiederbele¬
bung besprochen und es werden Methoden angegeben, wie
je nachdem durch Streichen, Erschütterungsmassage, leichtere
oder stärkere Stösse gegen gewisse Körperstellen die Wieder¬
belebungsversuche angestellt werden. Solche Körperstellen
sind die Magengegend, die oberen Brustwirbel bis zum 7. Hals¬
wirbel, der obere Teil des Kreuzbeins mit den letzten Lenden¬
wirbeln usw. Die Zeichnungen stimmen nicht überall mit dem
Text überein, so wird z. B. auf den 7. Halswirbel verwiesen,
während auf der Zeichnung der 3. Brustwirbel angegeben ist.
Da diese Beobachtungen zweifellos auf vieljähriger Er¬
fahrung beruhen, sind sie gewiss der Nachprüfung wert und
könnten möglicherweise auch bei uns in Fällen von Gehirn¬
oder Rückenmarkserschütterung, bei Asphyxie in der Narkose
usw. gute Dienste leisten.
Es wäre dankenswert, wenn ein japanischer Kollege durch
das Referat veranlasst würde, uns an dieser Stelle noch weitere
Aufschlüsse über ein so interessantes Kapitel zu geben.
Die Ausstattung des Buches ist vorzüglich; die 505 Photo¬
graphien sind ausgezeichnet wiedergegeben.
F. Lange- München.
Goethe als Naturforscher von Rudolf Magnus, a. o.
Professor für Pharmakologie. Mit Abbildungen im Text und
auf 8 Tafeln. Leipzig 1906. Verlag von Johann Ambrosius
Barth. 336 Seiten. Preis 7 Mk.
Den Inhalt des schönen Buches bilden 10 Vorlesungen, die
der Verfasser an der Heidelberger Universität hielt. Magnus
durfte in W e i m a r im Goethehause mit des Dichters eigenen,
noch wohlerhaltenen, Apparaten dessen naturwissenschaftliche
Versuche wiederholen. Auf Grund derselben werden die bo¬
tanischen Arbeiten, die osteologischen und vergleichend ana¬
tomischen Werke Goethes, ferner seine Farbenlehre, seine
Arbeiten auf dem Gebiete der Mineralogie, Geologie und Me¬
teorologie ausführlich behandelt.
Es ist erstaunlich, zu erfahren, in welch tiefgründiger Weise
Goethe sich in diese Zweige der Naturwissenschaft zu ver¬
tiefen gewusst hatte. „Der Dichter hat auf fast allen Gebieten,
die er bearbeitete, zunächst seine Forschungen selbständig be¬
gonnen; war er aber zu wichtigen Ergebnissen gelangt, so
suchte er den Anschluss an die gleichzeitigen Fachgelehrten
und es hat ihn nichts so gekränkt und erbittert, als dass er last
jedesmal von diesen nicht anerkannt und zurückgewiesen
wurde. Später drangen dann in den meisten Fällen die
Goethe sehen Ideen durch. Es kam schliesslich dazu, dass
die Fäden fast der ganzen naturwissenschaftlichen Welt in
Weimar zusammenliefen“. Mit grosser Liebe und Begeiste¬
rung sucht der Verfasser die hervorragende Bedeutung der
G o e t h e sehen Forschungen uns näher zu bringen. «_n ei ¬
fahren auch, dass die Zahl der naturwissenchaftlichen Aufzcicli-
1692
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
nungen Goethes als 2. Abteilung der grossen Weimarer
Goetheausgabe 13 stattliche Bände füllt!
Helmholtz sagt, dass jeder Naturforscher etwas von
der schöpferischen Phantasie des Künstlers haben müsse. Möge
unsere naturwissenschaftliche Zeit einen Hauch von Goethe¬
scher Phantasie erhalten! Möge jeder einzelne naturwissen¬
schaftliche Leser des verdienstvollen Buches von Goethe-
schem Geiste etwas in sich aufnehmen: das Buch ist imstande,
dem Leser diesen Vorteil zu bringen.
Max Nassauer - München.
A. Rabe -Berlin: Aerztliche Wirtschaftskunde, mit be¬
sonderer Rücksicht auf Buchführung, Gebührenwesen und
soziale Gesetzgebung. Leipzig 1907. Verlag von W. Klink-
h a r d L 356 Seiten. Preis 6 M.
Unter den in den letzten Jahren erschienenen Büchern,
die sich mit der Einführung in die wirtschaftliche und sozial¬
ärztliche Seite der Praxis beschäftigen, dürfte das vorliegende
Werk wohl am umfassendsten alle hier zu erörternden Fragen
behandeln.
Schon die einleitenden Ausführungen über die ärztliche
Wirtschaft, über die seelischen Grundlagen des ärztlichen Be¬
rufes und der sozialärztlichen Wirtschaft, über die Stellung
des Arztes im gesamten Staats- und Wirtschaftsleben verraten
eine für einen Arzt ungewöhnliche Vertrautheit mit der Be¬
handlung volkswirtschaftlicher Probleme.
Die Rolle des Arztes in der Versicherungsgesetzgebung
wird in den drei Kapiteln, die den Hauptteil des Buches aus¬
machen: ,, Kassenärztliche Oekonomie, die ärztliche Unfallfür¬
sorge, die Invalidenversicherung und die ärztlichen Wirt¬
schaften“ eingehend und kritisch beleuchtet. Daran reihen sich
die Abschnitte: „Gebühr und Dienstvertrag des Arztes (Ge-
bührenpflichtigkeit und Gebührenverfolgung), ärztliche Buch¬
führung und Registratur und Unterstützungs- und Versiche¬
rungswesen der Aerzte“.
Neben den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sind
eine Reihe richterlicher Entscheidungen angeführt und hat die
Literatur der einzelnen Gebiete genaue Berücksichtigung ge¬
funden.
Das Buch ist sowohl für Studierende und Aerzte, wie auch
für Volkswirte und Verwaltungsbeamte bestimmt. Unter den
Aerzten werden es vor allem diejenigen, die sich mit Standes-
und wirtschaftlichen Fragen intensiver beschäftigen, als ein
willkommenes Hand- und Nachschlagebuch schätzen.
F. P e r u t z - München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 86. Band, 5. — 6. Hetf
Leipzig, Vogel, 1907.
21) Sultan: Erfahrungen über Rektoskopie. (Krankenhaus
Rixdorf-Berlin.)
S. betont den grossen Wert des S t r a u s s sehen Sigmoskopes,
das sich auch mit Vorteil von einem Anus praeternaturalis aus ver¬
wenden lässt. Das Instrument ist aber nicht ungefährlich. Bei einer
Kranken war der Tubus ohne Anstand 20 cm tief eingeführt worden.
Als nun etwas Luft eingeblasen wurde, klagte die Patientin plötzlich
über heftigen Schmerz und im selben Augenblick sah man im Tubus
mit aller Deutlichkeit Darmserosa. Sofortige Laparotomie. Ueber-
nähung der Perforationsöffnung mit doppelter Nahtreihe. Trotzdem
ungünstiger Verlauf. Peritonitis. Pleuraempyem. Exitus.
Es handelte sich bei der Kranken um einen chronischen Dick¬
darmkatarrh mit reichlicher Schleimabsonderung. Anämische und
elende Kranke, bei denen ausgedehnte entzündliche Veränderungen
der Darmwand vermutet werden, müssen von der Rektoskopie aus¬
geschlossen werden.
22) P r u t z- Königsberg: Die angeborenen und (nicht operativ)
erworbenen Lücken und Spalten des Mesenterium und ihre Bedeu¬
tung als Ursachen des Dannverschlusses.
Zusammenstellung der sämtlichen in der Literatur auffindbaren
Fälle. Auffallend bevorzugt ist das untere Ende des Diinndarmmesen-
teriums. In der grossen Mehrzahl handelte es sich um angeborene
Anomalien. Für den kongenitalen Ursprung spricht das gleichzeitige
Vorhandensein von anderen als kongenital anerkannten Störungen:
Meckelsches Divertikel, Volvulus duodeni. Mesenterium ileocoeci
commune, 2 Löcher, angeborene Hernien, Hernia foraminis Wins-
lowii.
23) Pels-Leusden: Klinische, pathologisch-anatomische und
radiologische Studien über Exostosis cartilaginea multiplex. (Chirurg.
Kliniken zu Qöttingen und Berlin.)
Ein ausserordentlich reichhaltiges Material von 10 sehr sorgfältig
beobachteten Fällen. Von den mannigfachen beschriebenen Wachs¬
tumsstörungen sei hier nur auf die abnormen Handstellungen, die
partiellen und vollständigen Luxationen des Capitulum radii hin¬
gewiesen, die aus der Wachstumsverkürzung der Ulna sich ergeben.
24) Jacobsthal: Ueber die in der Adoleszenz auftretende
Verdickung der Tuberositas tibiae. (Chirurg. Poliklinik Jena.)
Die Verdickungen der Tuberositas tibiae sind häufig bedingt
durch eine Rissfraktur des schnabelförmigen Fortsatzes der oberen
Tibiaepiphyse. Ausserdem gibt es aber schmerzhafte Schwellungen
der Tuberositas tibiae, die als Störungen in der normalen Knochen¬
entwicklung aufgefasst werden können. Weder die Anamnese, noch
der Verlauf, noch das Röntgenbild rechtfertigen die Annahme einer .
Fraktur. Verf. berichtet über 3 derartige Beobachtungen.
Ausserdem beschreibt er 3 Fälle von Knochenverdickung, welche
oberhalb der Ansatzstelle des Ligamentum patellae ihren Sitz hatte.
Es handelte sich um exostosenartige Bildungen, welche den epiphy- -
sären Exostosen analog sind.
25) Martens: Ueber mechanischen Ileus bei akut-entzündlichen
Abdominalerkrankungen. (Bethanien, Berlin.)
4 Fälle von Ileus nach der Operation einer akuten Perityphlitis,
2 mal Drehung einer Darmschlinge. Im Fall 3 Ursache nicht klar¬
gestellt (Darmfistel), Fall 4 unoperiert geheilt .
3 Fälle von Ileus im Verlaufe nicht operierter Appendizitis, 1 mal
Einklemmung einer Dannschlinge, 1 mal Volvulus, 1 mal doppelter
Volvulus.
In einem 8. Falle war der Ileus durch perimetritische Verkle¬
bungen verursacht.
Alle Fälle bis auf den vorletzten, sehr komplizierten, wurden
geheilt.
26) O. Hildebrand: Tendovaginitis chronica deformans und
Luxation der Peronealsehnen. (Charite Berlin.)
Bei einem Offizier ergab die Operation der luxierten Peroneus-
sehnen folgenden Befund: Die Innenfläche der Sehnenscheide zeigt un¬
regelmässige Verdickungen, Verdünnungen, Auffaserungen: mikro¬
skopisch Auffaserung des Sehnenscheidengewebes, Quellung der
Fasern. Die Sehne selbst unverändert. Wegen der Aehnlichkeit mit
dem Befund bei Arthritis deformans möchte H. den Prozess als Tendo¬
vaginitis chronica deformans bezeichnen, hervorgerufen durch die
starke Inanspruchnahme der Peronealsehnen (der Patient war KaVal-
leriSt). r- . , „ ,
Die Exstirpation der kranken Teile und die Fixierung der Sehne
durch einen König sehen Knochenlappen hatte einen vorzüglichen
Erfolg. .
27) Ritter: Die Neubildung von Lymphdrüsen beim Karzinom
und Sarkom. (Chirurg. Klinik Greifswald.) ^
R. hat bekanntlich beim Mammakarzinom in der Achselhöhle Ge¬
bilde nachgewiesen, die den Eindruck von entzündlich geschwollenen
Lymphdrüsen machen und die nur zum Teil Lymphdriisengewebe
enthalten, sonst aus Fettgewebe bestehen. R. hält diese Gebilde für
in Bildung begriffene Lymphdrüsen, für eine Neubildung von Lymph¬
drüsen im Fettgewebe.
Verf. stützt seine früheren Ausführungen durch neue, sehr über¬
zeugende Präparate. Er beobachtete diese Lymphdrüsen nicht nur
beim Mammakarzinom, sondern auch beim Plattenepithel- und
Schleimhautkarzinom und beim Sarkom.
R. widerlegt die von Schiefferdecker gegen 'seine Auf¬
fassung geltend gemachten Einwände und bleibt dabei, dass die neu¬
gebildeten Lvmphdrüsen die erste Reaktion des Körpers auf das Kar¬
zinom und Sarkom darstellen. Wenn sich beim Karzinom im Fett¬
gewebe Lymphdrüsen neu bilden, so braucht sich das Karzinom nicht
auf vorgezeichneten Bahnen auszubreiten. Daraus ergibt sich 'die
Ueberschätzung des Wertes der Injektionsoräparate. Mit Noetzel
spricht sich R. gegen die Annahme einer Schutzwirkung der Lymph¬
drüsen gegen die Allgemeininfektion des Körpers aus.
28) Sehr eck er: Die Heilungsresultate der Unterschenkel¬
brüche bei Anwendung der Bardenheuer sehen Extensions¬
methode. (Akademie zu Köln.)
Von im ganzen 229 Unterschenkelbrüchen (einschliesslich Mal-
leolenbrüche) wurden, wie sich aus den Nachforschungen bei den
Berufsgenossenschaften ergab, 220 — 96.1 Proz. wieder völlig er¬
werbsfähig. und nur 9 blieben Dauerrentner. Aehnliche Statistiken
von Zottkowitz und Sauer ergaben eine völlige Wiederher¬
stellung der Erwerbsfähigkeit nur in 84,5 und 76.6 Proz. der Fälle.
Auch die Dauer der Erwerbsunfähigkeit war in Köln eine wesentlich
kürzere.
Ursache:
die in Köln geübte Extensionsbehandlung, deren Tech¬
nik geschildert wird.
29) A. Hildebrandt: Nierenbecken- und Ureterzerreissung
mit nachfolgender paranephritischer Zyste. Operation, Heilung.
(Charite, Berlin.) Krecke.
Archiv für Hygiene. 62. Bd. 1. Heft. 1907.
1) Jaromir Bulir-Prag: Bedeutung und Nachweis des Bac-
terium coli im Wasser und eine neue Modifikation der E i i k m a n ri¬
schen Methode.
Um „echtes“ Bacterium coli commune aus dem W asser
sicher zu isolieren, empfiehlt Verf. eine von ihm verbesserte Eijk-
m a n n sehe Methode. Zu 1 Liter Nährbouillon werden 30 g Mannit
20. August 191)7.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1693
hinzugefügt, alsdann zu 2 Teilen des zu untersuchenden Wassers
1 Teil der Mannitbouillon gegeben, die Mischung in Gährröhrchen, in
die ausserdem noch wässerige Neutralrotlösung kam, gefüllt und bei
einer Temperatur von 45 — 46 Proz. 12—24 Stunden aufbewahrt. Dar¬
auf versetzt man 10 ccm dieser Mischung mit 1 ccm Lakmustinktur.
Bei Anwesenheit von Koli wird Gas gebildet, die Lakmustinktur rot
gefärbt, das Neutralrot reduziert und Säure gebildet.
2) Oskar Axamit-Prag: Ueberempfindlichkeitserscheinun^en
nach Hefeiniektion.
3) Max Rubner -Berlin: Zur Kenntnis des Sielwassers.
Durch registrierende Thermometer und Hygrometer wurde die
Temperatur in 2 Berliner grossen Kanälen gemessen, ln einem fanden
sich — während die Aussentemperatur — 8 — 10° betrug, + 12 bis
15 0 C., in dem anderen bis zu 25 0 C. Es ist daraus ersichtlich, dass
ausserordentlich grosse Mengen von Wärme unbenutzt veiloren
gehen. Eine Untersuchung der „Sielhäute“ ergab eine gallertige
Masse aus Schimmelpilzen und Bakterien, mit 10,84 proz. Asche und
Chemische und biologische Klärung der
8,5 proz. Stickstoff.
4) Max Rubner
Abwässer.
Rubner bespricht eine Reihe wichtiger Fragen für die Beurteilung
der Abwässer, die zum Teil noch nicht in den Kreis der Unter¬
suchungen gezogen sind. Mit den chemischen Kläranlagen ist man
noch nicht zu befriedigenden Resultaten gelangt. Geeigneter er¬
wiesen sich die biologischen Kläranlagen; doch ist die Ueberwachung
deren Betriebsergebnisse dringend nötig. Die Beurteilung wird am
besten gefördert durch Ermittelung des S 1 1 c k s t o f f s und
der Verbrennungswärme der organischen Substanz, wahrend
die „Faulfähigkeit“ keine ganz sicheren Anhaltspunkte gibt. Durch
beigebrachtes Zahlenmaterial wird das Gesagte bestätigt.
5) Max Rubner: Elementaranalytische Bestimmung des Stick¬
stoffs im Wasser.
Unter dem Hinweis auf die grosse Bedeutung
der Beurteilung der Abwässer hat Verf. unter
K j e ld a h 1 sehen Methode eine kolorimetrische
Stimmung des Stickstoffs angegeben, die von
gehend auf ihre praktische Durchführung geprüft
6) S Ko rschun -Berlin: Ueber eine Methode zur Bestim¬
mung geringer Stickstoffmengen und die Verwendung dieser Methode
für die Untersuchung der Verunreinigung des Wassers durch orga-
nische iSubstanz^en.r § c h u n ausge, arbeitete Rubner sehe Methode
wurde auf Berliner Leitungs- und Flusswasser angewendet, wobei
sich ergab, dass die Flüsse Spree und Pauke einen vier- bis fünfmal
grösseren Stickstoffgehalt in Form von Ammoniak aufweisen, als das
Leitungswasser. Im Brunnenwasser ist der Stickstoff fast aus¬
schliesslich als Ammoniak vorhanden. Die Fehlergrenzen der Me¬
thode, die darin besteht, den Stickstoff in Ammoniak uberzufuhren und
kolorimetrisch zu bestimmen, sind nur sehr gering. Die Ausfuhrungen
der Methode sind im Original genauer beschrieben.
R. 0. Neumannn - Heidelberg.
des Stickstoffs bei
Umgestaltung der
Methode zur Be-
Korschun ein¬
worden ist.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 57. Bd.
1. Heft. 1907.
1) Hans Reichenbach und Bruno H e y m a n n - Breslau:
Untersuchungen über die Wirkungen klimatischer Faktoren auf den
Menschen. . , . , „ , , T
In 2 Abhandlungen a) Beziehungen zwischen Haut- und Luft¬
temperatur und b) Beeinflussung der Körperwärme duich Arbeit und
Beschränkung der Wärmeabgabe werden durch Experimentaluntei-
suchungen und Beobachtungen an Arbeitern verschiedener Klassen
eine Reihe wichtiger Gesichtspunkte zur Beurteilung dieser zum I eil
der Aufklärung harrenden Fragen beigebracht. Die vielen interes¬
santen Einzelbeobachtungen lassen sich kurz nicht wiedergeben.
2) H. Z i e s c h e - Breslau: Ueber die quantitativen Verhältnisse
der Tröpfchenausstreuung durch hustende Phthisiker.
Quantitative Untersuchungen ergaben, dass sich bei Sputum
aushustenden Phthisikern nur 30—40 Proz. befinden, welche Tröpfchen
verstreuen. Binnen % Stunde auf einer Glasplatte in 40—80 cm
Entfernung von dem Hustenden aufgefangene Tröpfchen enthalten
in etwa 20 Proz. der Untersuchungen über 400 — 20 000 1 uberkel-
bazillen, in 80 Proz. der Fälle keine oder weniger als 400 Bazillen.
Wenn man mit Gebhard, Preyss, Findel annimmt, dass min¬
destens 200 — 400 Tuberkelbazillen erforderlich sind, um beim Men¬
schen eine Infektion hervorzurufen, würde eine Infektion durch
Tröpfchenzerstreuung bei kurz dauerndem Zusammensein mit eurem
Phthisiker nicht erfolgen. Auch nicht, wenn der Gesunde den Be¬
reich der Hustenstösse auf einen Meter hin vermeidet. Dagegen
führt dauerndes Zusammensein häufig zur Infektion.
3) F i nd e 1 - Breslau: Desinfektion von Büchern, militärischen
Ausrüstungsgegenständen, Pelzen usw. mit heisser Luft.
Tuberkelbazillen im Sputum in nicht zu dicker Schicht auf
Buchblättern eingetrocknet konnten bei einer Einwirkungsdauer von
24 Stunden durch heisse Luft von 78—80 0 abgetötet werdem In
dicken aufeinandergelagerten Büchern drang die Hitze von 70 bei
25—30 Proz. relativer Feuchtigkeit erst nach 11 Stunden ein. Fine
Schädigung der Bücher, mit Ausnahme einer leichten Bräunung konnte
Dicht konstatiert werden. Ledersachen und allerlei Militäreffekten,
die absichtlich mit Staphylokokken und Sputum verunreinigt waren,
konnten nach 48 Stunden als steril angesehen werden. Auch eine
8 tägige Einwirkung auf neue Sachen z B. neuen Helm, schädigte die
Gegenstände nicht. Ganz dasselbe gilt auch für Pelze. Wahrschein¬
lich würde durch Erhöhung der relativen Feuchtigkeit die Dauer der
Desinfektion eine Abkürzung erfahren können, doch soll die Feuchtig¬
keit absichtlich so niedrig bemessen bleiben.
4) H. F i n d e 1 - Breslau: Vergleichende Untersuchungen über
Inhalalations- und Fütterungstuberkulose.
Die Versuche wurden an 83 erwachsenen Meerschweinchen an¬
gestellt, welche Dosen von 20—290 000 Bazillen eingeatmet hatten
Die tödliche Inhalationsdosis betrug für das erwachsene Meer¬
schweinchen 62 Bazillen, kleinere Dosen gaben keine völlig sicheren
Resultate. Alle infizierten Tiere zeigten makroskopisch sichtbare
Tuberkulose nach 50 Tagen in allen Organen. Bei den Verfiitterungs-
versuchen kamen 19 100 bis 382 000 Bazillen zur Verwendung, aber
bei keinem Tier (14 Stück) konnte Tuberkulose selbst nach 174
Tagen konstatiert werden. Demnach würde zur Erzielung einer
Fütterungstuberkulose eine 6 Millionen mal so grosse Menge Tuberkel¬
bazillen notwendig sein als zur Erzielung der Inhalationsdosis. Da¬
mit soll gezeigt werden, dass die Inhalationsgefährlichkeit zweifellos,
trotz vieler Gegenmeinungen unzweifelhaft festgestellt ist.
5) E. Zettnow - Berlin : Ueber Froschlaichbildungen in Saccha¬
rose enthaltenden Flüssigkeiten.
Die Untersuchung eines seit langer Zeit aufbewahrten Materials
ergab, dass andere Stämme von Froschlaichstreptokokken Vorlagen,
wie sie Liesenberg und Zopf beschrieben haben. Die Kulturen
sind in 2 photographischen Tafeln reproduziert.
R. O. N e u m a n n - Heidelberg.
Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. 26. Band,
2. Heft. 1907.
1) Theodor Paul und Friedrich Prall: Die Wertbestimmung
von Desinfektionsmitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur
der flüssigen Luft aufbewahrt wurden.
Die ausführlichen Versuche zeigen, dass es möglich ist, auch
nicht sporentragende Organismen als Testobjekte — an Granaten an¬
getrocknet — zu verwenden, wenn sie in geeigneter Weise bei der
Temperatur der flüssigen Luft aufbewahrt werden. Sie halten sich
monatelang gleichmässig keimfähig und zeigen keine merkliche Ver¬
änderung in Bezug auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Desinfektions¬
mittel. Die Brauchbarkeit dieser Methode erwies sich bei Versuchen
mit Sublimat, Karbolsäure, Kalkwasser, Kalkmilch, Kresolen, Formal¬
dehyd und Rohkresol.
2) A. Kraus: Untersuchungen über Desinfektionsmittel. I. Mit¬
teilung.
Die Untersuchungen beziehen sich auf hydrindensulfosaures
Natrium, welches zwar an sich eine sehr geringe Desinfektions¬
wirkung besitzt, jedoch aber durch Zusatz zu Kresollösungen letztere
bedeutend löslicher zu machen imstande ist. Diese Lösungen be¬
sitzen alsdann infolge ihres hohen Kresolgehaltes erhebliche Des¬
infektionskraft, die bedeutender ist, als die Verdünnungen der Kresol-
seifenlösungen mit gleichem Kresolgehalt aufweisen. Kresolschwefel-
säurelösungen sind aber noch wirksamer, doch verlieren sie allmählich
an Desinfektionskraft. Die Giftwirkung des hydrindensulfosauren
Natrium ist gering.
3) A. Kraus: Ueber die Wirkung einiger Desinfektionsmittel bei
niederer Temperatur (Frostwetter.)
Setzt man der Kresolschwefelsäure Glyzerin, Kochsalz oder
Magnesiumchlorid zu, so lässt sich der Gefrierpunkt wesentlich herab¬
setzen und auch gleichzeitig die Desinfektionskraft der Kresol-
schwefelsäurelösung erhöhen. Es empfiehlt sich der Billigkeit wegen,
5 — 10 Proz. Kochsalz zu verwenden. Die Wirkung ist besser als mit
10 Proz. Kresolseifenlösung, 5 Proz. Rohkresol und 7,5 Proz. hyd-
rindensulfosaurem Natrium.
4) Bickel und A. Kraus: Versuche über die desinfizierende
Wirkung von Saprol-, Leinöl-, Kresol- und Petroleumkresol-Prä-
paraten auf flüssiges, infektiöses Material.
Die Desinfektionswirkung des Saprols, Leinölkresols und 1 etro-
leumkresols war bei allen drei Mitteln fast die gleiche, de höher der
Kresolgehalt der Präparate, desto grösser die Desinfektionskraft.
Die Diffusionsgeschwindigkeit erhöht sich mit 'dem steigenden Pro¬
zentgehalt des überschichteten Desinfektionsmittels, wenn auch nicht
in demselben Verhältnis.
5) Xyl ander: Desinfektionsversuche mit zwei neueren For¬
maldehydpräparaten: Festoform und Formobor.
Die Desinfektionsversuche mit Festoform stehen an Wirkung
denen mit Formaldehyd nicht nach. Die Haltbarkeit des Festoforms
ist eine unbegrenzte. Die Auslagen für die Desinfektion sind aller¬
dings höher wie beim Formaldehyd, doch braucht man keine Apparate.
Das Formobor eignet sich wegen seiner nicht unerheblichen
Tiefenwirkung und relativen Ungiftigkeit zur Desinfektion dei im
Friseurgewerbe gebräuchlichen Gegenstände; dagegen rst es als
Händedesinfiziens ungeeignet, trotzdem der Zusatz von Borax die
gerbende Wirkung des Formalins etwas aufhebt.
6) Hüne: Untersuchungen über Bakterizidie im Reagen
glase.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
169 4
7) Walter Qaehtgens: Erfahrungen über den Wert der
G r u b e r - VV i d a I sehen Reaktion für die Typhusdiagnose.
Aus den in der Strassburger Typhusstation gemachten Beob¬
achtungen wird die auch anderwärts gemachte Erfahrung mit¬
geteilt. dass die Reaktion in der 3. Woche ihren Höhepunkt erreicht,
etw a 95 Rroz. In der 2. Woche ist sic bei 90 Proz., in der 1. Woche
bei 75 Proz. vorhanden. Nach der 3. Woche nimmt sie wieder ab,
so dass in der 9. bis 10. Woche nur noch in 60 Proz. der Fälle die
Reaktion auftritt.
8) W. Kerp und E. Bauer: Zur Kenntnis der gebundenen
schwefligen Säuren.
9) W. K e r p und E. Bauer: lieber die elektrolytische Dissozia¬
tionskonstante der schwefligen Säure.
R. O. Neumann - Heidelberg.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 32.
1) B. H e i n e - Königsberg: Ueber Labyrintheiterungen.
Belehrender Vortrag über die sekundären, vom Mittelohr fort¬
geleiteten Eiterungen im Labyrinth, ihre Erkennung und Behandlung.
Auf die Streitfragen, betreffend die Bedeutung der Bogengangsdefekte
als Einbruchsstellen der Eiterung, ferner den Nystagmus, geht Verf.
etwas näher ein.
2) H a 1 b e rs t ä d t e r - Berlin und Prowazek-Hamburg:
Zur Aetiologie des Trachoms.
Verf. beschreiben die von ihnen in den Epithelzellen der Kon-
junktiva bei Trachom beobachteten Zelleinschlüsse (abgebildet). Die
parasitäre Natur dieser nach Giemsa distinkt rot färbbaren Körper¬
chen ergab sich aus ihrer Vermehrungsfähigkeit und ihrer Uebertrag-
barkeit auf Orang-Utans. Kontrolluntersuchungen an normalen und
andersartig erkrankten menschlichen und tierischen Konjunktiven
waren negativ. Verf. zählen das beschriebene korpuskuläre Virus
zusammen mit den Erregern der Variola, Vakzine, des Scharlachs,
Epithelioms der Hühner, Molluscum contagiosum, der Lyssa u. a. zu
einer besonderen Gruppe von Mikroorganismen, die sie „Chlamydo-
zoen“ nennen. Sie leben intrazellulär und veranlassen die Zellen zur
Bildung jeweils spezifischer, teils chromatischer, teils nukleolarer
Einschlussgebilde (G u a r n i e r i sehe Körper, N e g r i sehe Ein¬
schlüsse, Molluskumkörperchen). Auch die Trachomparasiten sind
von derartigen Reaktionsprodukten der Zellen umgeben; diese un¬
regelmässigen Produkte sind ohne typische Gestalt und färbten sich
blau im Giemsapräparat.
. 3) Michael Wassermann und Georg Meier- Berlin : Zur
klinischen Verwertung der Serumdiagnostik bei Lues.
Verf. prüften die Komplementbindungsmethode an klinischen
Fällen und erhielten häufig ein positives Resultat; es gelang der Nach¬
weis luetischer Antikörper u. a. in der Milch von Wöchnerinnen, im
Serum eines hereditär luetischen Säuglings, im Serum von Aneu-
rysmakranken.
4) Fr. Nagelschmidt - Berlin : Zur Indikation der Behand¬
lung mit Hochfrequenzströmen. Vortr. im Verein f. innere Med. am
3. VI. 07, ref. Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 24, S. 1203.
5) F. F r a n k e -Braunschweig: Diagnose und Behandlung der
chronischen Gelenkerkrankungen (Schluss). Klinischer Vortrag.
.6) P. K r o e m e r - Giessen : Klinische Beobachtungen über die
Aetiologie und Therapie des Chorionepithelioms, insbesondere über
die Behandlung der Blasenmole (Schluss folgt).
7) Karl S c h i n d 1 e r - Berlin : Eine kleine praktische Ver¬
besserung des N e i s s e r sehen Suspensoriums.
Anbringung der beim Teufel sehen Suspensorium vorhandenen
Klappe zur Aufnahme des Penis.
8) De mos then -Bukarest: Das Militärsanitätswesen in Ru¬
mänien. R. Grashey - München.
Englische Literatur.
(Schluss.)
Henri Hart mann: Die chirurgischen Formen der Ileozoekal-
tuberkulose. (Brit. Med. Journ., 13. April 1907.)
Die entero-peritoneale Form ergreift ausser ‘dem Zoekum oft den
unteren 1 eil des Ileums. Es kommt zu ausgedehnten Verwachsungen
zu Abszessen und Fistelbildung. Wichtiger als diese seltenere Form
ist die viel häufigere hyperplastische Form, die im Zoekum selbst
nahe der Klappe beginnt. Meist kommt es zu Geschwürsbildungen
ausgedehnter Natur. Meist erkranken Personen zwischen 20 und 40
Jahren, die Lungen sind gesund oder nur wenig erkrankt. Am häu¬
figsten wird die Krankheit mit Appendizitis oder mit einer Neu¬
bildung verwechselt. Nach einer Zeit, in der Verstopfung mit Durch¬
fallen abwechselt, kommt es zur Ausbildung einer stärkeren Stenose-
die Krankheit verschlimmert sich stetig und führt unbehandelt in 2Vs
bis 3 Jahren zum Tode. Diagnostisch ist von Wichtigkeit das lang¬
same Entstehen (ein Tumor führt rascher zur Stenose)- ein Kar¬
zinom ist höckeriger und behält nicht so sehr die Form des Zoekums
bei wie die hyperplastische Tuberkulose. Tuberkelbazillen im Stuhl
sind nur selten gefunden worden. Die Behandlung besteht in der
möglichst frühzeitigen Operation. Man entfernt das Zoekum mit den
ileozoekalen Drüsen; dann verschliesst man die beiden Stümpfe und
legt eine seitliche Anastomose an. Bei der entero-peritonealen Form
ist eine Resektion meist unmöglich und beschränke man sich auf
eine Ausschaltung der erkrankten Teile durch Einpflanzen des Ileums
in das Kolon. Von 7 resezierten Fällen des Verfassers genasen 6;
der erste starb. Die Arbeit ist mit zahlreichen, sehr guten Ab¬
bildungen illustriert.
F. J. Steward: Die Behandlung der chirurgischen Tuber¬
kulose. (Ibidem.)
Verf. verwirft die Punktion kalter Abszesse. Es ist viel besser,
sie aseptisch zu inzidieren. Man mache den Einschnitt niemals an'
der Stelle der verdünnten Haut, sondern stets durch dickes Ge¬
webe und zwar so, dass die verschiedenen Gewebsschichten an ver¬
schiedenen, sich nicht deckenden Stellen getrennt werden. Niemals
führe man den Finger in die Abszesshöhle ein. Nach vorsichtiger
Ausschabung der Abszessmembran bringe man etwas steriles Jodo¬
formpulver in die Höhle und nähe dann die darüber liegenden Gewebe
in verschiedenen Etagen mit Katgut zu. Niemals darf drainiert wer¬
den. Bei der Tuberkulose des Hüftgelenkes verfährt Verf. so kon¬
servativ als möglich. Er sucht die Resektion wenn irgend möglich
zu vermeiden. Beim Kniegelenk macht er dagegen ziemlich frühzeitig
die Arthrektomie. Lange Nachbehandlung ist stets sehr wichtig.
Das Knie stellt er mindestens 18 Monate ruhig. Seit längerer Zeit
behandelt er alle Fälle mit Tuberkulin und glaubt zuweilen einen
grossen Nutzen davon gesehen zu haben; in der Mehrzahl der
Fälle hatte er den Eindruck, als sei die Tuberkulinbehandlung vor¬
teilhaft. Bei allen Tuberkulosen der Harnorgane hat das Tuberkulin
sich ausserordentlich gut bewährt.
Clive Ri viere: Die Tuberkulinbehandlung der kindlichen
Tuberkulose. (Ibidem.)
Der Zweck der Tuberkulinbehandnlung besteht in der Erhöhung
des opsonischen Index; man kann also nur dann gute Erfolge er¬
zielen, wenn man den opsonischen Index vor der Behandlung be¬
stimmt und ihn regelmässig kontrolliert. Verf. betont das regel¬
mässige Vorkommen einer negativen Phase nach den Tuberkulinein¬
spritzungen, wie sie von W right und anderen beschrieben wurde.
In der Mehrzahl der Fälle fand man vor der Behandlung einen nie¬
drigen Index von 0,6 bis 0,7. Zuweilen aber war der Index erhöht.
Dies soll dann Vorkommen, wenn die Infektion nicht mehr streng , lokal
ist, sondern wenn von Zeit zu Zeit Bazillen in den Blutstrom ge¬
langen, so dass es also zu einer Autoinokulation kommt. Merk¬
würdigerweise sollen auch diese Fälle durch Tuberkulineinspritzungen
günstig beeinflusst werden. Verf. betrachtet Vsooo mg Tuberkulin als
Durchschnittsdose für den Erwachsenen; für Kinder müssen ent¬
sprechend kleinere Mengen verwendet werden (V12000 für 1jährige,
’/imuo für 5 jährige etc.) Im allgemeinen macht er alle 14 Tage eine
Einspritzung. Verf. hat selbst bei sehr schweren Fällen noch gute
Erfolge gehabt. Die Besserung ging immer Hand in Hand mit der
Erhöhung des opsonischen Index. Die Tuberkulinbehandlung kann
die chirurgische Behandlung nicht ersetzen, sondern muss mit ihr
verbunden werden. Bei Mischinfektionen kommen Impfungen mit
verschiedenen Vakzinen zur Anwendung. Es folgen Kranken¬
geschichten.
W. Cecil Bosauquet und R. E. F r e n c h: Der Einfluss anti¬
tuberkulösen Serums auf den opsonischen Index. (Ibid.)
Die Verfasser haben eine Anzahl von Kranken mit Marmo¬
re k schem Tuberkuloseserum behandelt und gefunden, dass rektale
Einverleibung desselben regelmässig den opsonischen Index erhöht;
die Steigerung beginnt nach 3 bis 4 Einverleibungen und erreicht bald
ihren Höhepunkt, den sie dann 3—4 Wochen beibehält; erst etwa
eine Woche nach der letzten Einspritzung beginnt der Index wieder
zu fallen. Hand in Hand mit der Steigerung des Index verringerte
sich die I emperatur und das Allgemeinbefinden des Kranken besserte
sich. Subkutane Einspritzung hatte nicht so guten Einfluss. Ein¬
spritzungen von antidiphtherischem Serum wirkten ebenso auf den
tuberkulosoopsonischen Index wie Marmoreksches Serum.
Antistreptokokkenserum hatte dagegen keinen Einfluss. Der Einfluss
des Marmorek sehen Serums auf den opsonischen Index beruht,
wie Versuche zeigten, nicht etwa darauf, dass das Serum selbst reich
an Opsoninen ist.
Edward I urton und Roy Appleton: Die opsonische Kraft
des Blutes und der Milch. (Ibid.)
Die Verfasser haben durch Versuche festgestellt, dass, wenn das
Blut einen normalen Index gegen Tuberkelbazillen und Staphylo¬
kokken zeigt, die Milch derselben Frau sehr arm an Opsoninen sein
kann. Ebenso fanden sie, dass das Blut saugender Kinder viel ärmer
an Opsoninen ist als das der Mutter.
R. D. Campbell: Zur Bestimmung des opsonischen Index bei
Tuberkulose. (Ibid.)
Verf. empfiehlt, die zur Bestimmung des Index benutzten Tuber¬
kelbazillen schon vorher zu färben (24 Stunden in der Kälte mit Kar-
bolfuchsin gefärbt). Die ausgewaschenen, gefärbten Bazillen wer¬
den wie die sonst benutzten in Emulsion gebracht. Nachdem der Ver¬
such bis zur Anfertigung eines Ausstrichpräparates gediehen ist. wird
dieses nicht wie sonst mit Karbolfuchsin und einer Gegenfärbung,
sondern einfach mit dem J e n n e r sehen Blutfärbemittel behandelt.
Die gefärbten Bazillen werden ebensogut von den Phagozyten auf¬
genommen wie die ungefärbten.
David Orr und R. G. Rows: Experimentell erzeugte Schädi¬
gungen spinaler und Gehirnnerven durch Toxine. (Brit. med. Journ.,
27. April 1907.)
Die Verff. haben gefunden, dass Toxine sehr rasch sich entlang
den Rückenmarks- und Gehirnnerven zum zentralen Nervensystem
20. August 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1695
erstrecken. Während diese Nerven in ihrem extramedullären Ab¬
schnitt eine Neurilemmascheide besitzen und durch ihre Lebenstätig¬
keit geschützt sind, verlieren sie das Neurilemma in ihrem intramedul¬
lären Abschnitt und verfallen dann rasch der Degeneration durch die
Wirkung der Toxine. Die erste Veränderung ist eine primäre De¬
generation des Myelins; Achsenzylinder und Nervenzellen werden
erst später ergriffen. Die Verfasser stellen die Vermutung auf, dass
bei Tabes und ähnlichen Erkrankungen die Toxine durch den Lymph-
strom an die intramedullären Nervenabschnitte gelangen und hier
ihre Zerstörung beginnen. Sie haben auch Fälle von chronischer
Mittelohreiterung untersucht, bei denen der 8. Hirnnerv in seinem
intramedullären Teile stark degeneriert war; ebenso war der rechts¬
seitige 11. Hirnnerv in seinem intramedullären Abschnitt degeneriert
bei einem Falle von multiplen Abszessen des rechten Trapezius.
Basil K i 1 vington: Ein Beitrag zur Regeneration der Nerven.
(Ibid.)
Verf. hat gefunden, dass es gelingt, die Beckenorgane durch
höher oben entspringende Nerven genügend zu innervieren. Man
kann beim Menschen den 11., den 12. und wahrscheinlich sogar den
10. Dorsalnerv direkt mit dem 2., 3. und 4. Sakralnerven vernähen.
Bei Benutzung einer Nerventransplantation kann man sogar noch
höher entspringende Nerven verwenden. Man könnte dazu den
N. popliteus internus verwenden, da er Muskeln versorgt, die in den
in Frage kommenden Fällen doch schon gelähmt sind. Die Mehr¬
zahl der Fälle haben ihre Rückenmarksdurchtrennung etwas unter¬
halb der Stelle, wo der 12. Dorsalnerv entspringt. Verf. beschreibt
eine von ihm vorgenommene Operation am Menschen und eine Reihe
von Tierversuchen. Am Menschen sollte der 12. Dorsalnerv links mit
dem 2., 3. und 4. Sakralnerven vernäht werden; die Operation wurde
zweizeitig gemacht und betrachtet der Verf. dies als einen Fehler,
da es ihm bei der zweiten Operation nicht gelang, sich in dem Nar¬
bengewebe zurecht zu finden und er die Operation unvollendet auf¬
geben musste.
Sir James Barr: Der Einfluss der Atmung auf den Blutkreislauf.
Pulsus paradoxus etc. (Brit. Med. Journ., 20. April 1907.)
Verf. wendet sich gegen die zuerst von Ku^smaul auf¬
gestellte Behauptung, dass ein Pulsus paradoxus pathognomonisch
für ausgedehnte perikardiale Verwachsungen sei. Ganz besonders
wendet er sich gegen die von Kussmaul gegebene Erklärung,
dass der Pulsus paradoxus zustande komme durch eine Abknickung
der Aorta resp. der anderen grossen Gefässe durch die Einatmung.
Ebenso falsch ist seiner Meinung nach die Ansicht, dass das Herz
durch die Verwachsungen beeinflusst wird und dass die Adhäsionen
die Brustwand nach innen ziehen. Er beschreibt dann eine Anzahl
von Versuchen, die beweisen sollen, dass das Zustandekommen des
Pulsus paradoxus entweder auf mangelhafter Füllung oder auf zu
rascher Entleerung der Arterien beruht. Im ersteren Falle ist ein
schwaches rechtes Herz und ein grosses Lungenreservoir die Ur¬
sache, im anderen ist die Ursache in einem kräftigen Atmungsmecha-
nismus und niedrigem Blutdruck zu suchen. Die Arbeit ist durch
Pulskurven illustriert.
Thomas Lewis: Ueber den Pulsus bisferiens. (Ibid.)
Dieser Puls wurde zuerst von Broadbent beschrieben.
Verf. gibt eine genaue Beschreibung und Pulskurven. Er findet sich
bei stark erweitertem und hypertrophischem linken Ventrikel mit
oder ohne Arteriosklerose.
Fentön B. Tu rck: Zur Aetiologie und Pathologie des runden
Magengeschwürs. (Ibid.)
Verf. berichtet über seine Versuche, bei Hunden durch fort¬
gesetzte Fütterung mit Kolibazillen Magengeschwüre zu erzeugen.
Er gelang dies in jedem Falle. Viele Hunde starben an den Folgen
der Perforation oder der Magenblutung, bei anderen, bei denen so¬
fort nach Auftreten der Symptome des Geschwüres die Fütterung mit
Kolibazillen ausgesetzt wurde, konnte die Heilung des Geschwürs
genau studiert werden.
T. C. Lucas: Ueber die H a f f k i n e sehe Pestvakzine. (Ibid.)
In Kirkee (Indien) wurden 1300 Einwohner mit der Vakzine ge¬
impft, es erkrankten 5 (0,33 Proz.); von 5595 Nichtgeimpften er¬
krankten 383 (6,8 Proz.). Von den 5 Geimpften, die erkrankt waren,
starb 1 (20 Proz.); von 12 Nichtgeimpften, die Hospital behandelt
wurden, starben 5 (41 Proz.); von 383 Ungeimpften, die nicht ins
Krankenhaus kamen, starben 260 (66 Proz.). Die Vakzine besteht
aus einer durch Hitze getöteten Kultur des Bacillus pestis, der etwas
Karbol zugesetzt ist. Man spritzt etwa 0,5 ccm ein. Nach 4 Stun¬
den treten meistens Schmerzen, geringes Fieber und lokale Schwel¬
lung auf. Nach 30 Stunden sind diese Symptome meist verschwun¬
den. Pestfälle wurden mi£ Nutzen mit Strychnin behandelt.
J. Kay J a m ie s o n und J. F. Dobson; Das Lymphsystem des
Zoekums und des Wurmfortsatzes. (Lancet, 27. April 1907.)
Sehr schöne, mit guten Abbildungen illustrierte Arbeit, die im
Original studiert werden muss. Die Verff. geben dann eine genaue
Beschreibung einer Operationsmethode, mit der es gelingt, Tumoren
dieser Gegend im Zusammenhang mit den etwa befallenen Drüsen
zu entfernen.
J. Lynn Thomas: Die Entfernung des Kropfes unter lokaler
Anästhesie. (Ibid.)
Verf. empfiehlt im allgemeinen die von Kocher ausgearbeite¬
ten Methoden zur Entfernung der Kröpfe. Er gibt ein kleines In¬
strument an, das die zahlreichen Unterbindungen rascher ausführbar
macht. Es handelt sich um eine drehbare Spule, die das Unter¬
bindungsmaterial trägt und welche mittelst eines Ringes am kleinen
Finger der linken Hand befestigt wird. (Abbildung.)
B. Mayhew Bo ne: Zur Behandlung der allgemeinen Peritonitis.
(Ibid.)
Die Hauptpunkte in der Behandlung der Peritonitis suppurativa
sind: Entfernung der Ursache, Entfernung des Eiters durch trockenes
Tuofen, ausgedehnte Drainage mit Drainröhren und Gazestreifen.
Rasches und schonendes Operieren. Vor und nach der Operation
gibt er Strychnin und Kognak. Bei Erbrechen wird der Magen ge¬
spült. Bald nach der Operation beginnt er per rectum grössere
Mengen Kochsalzlösung (alle 4 Stunden), zuweilen mit Kognak ver¬
mischt, einzugiessen. Per os wird für 24 Stunden nichts gegeben.
Sehr wichtig ist es, durch Terpentinklysmen frühzeitig für Stuhl¬
entleerung zu sorgen und den Kranken halbaufgerichtet im Bett
sitzen zu lassen. Diese Lagerung befördert ausserordentlich die
Drainage und die Resorption durch das Peritoneum.
Charles J. Heath: Die Behandlung der chronischen Mittel¬
ohreiterung ohne Entfernung des Trommelfells. (Ibid.)
Die vom Verf. beschriebene und vielfach ausgefiihrte Radikal¬
operation lässt das Trommelfell und die Gehörknöchelchen unberührt.
Der hintere Teil des knöchernen Gehörgangs und sein Boden werden
entfernt, das Antrum und der Aditus werden ganz freigemeisselt.
Mehr als 100 Operationen gaben die besten Erfolge.
G. H. Sa vage: Ueber die Zunahme der Geisteskrankheiten.
(Lancet, 30. März, 6. und 13. April 1907.)
Die interessante Arbeit des bekannten englischen Psychiaters
lässt sich nicht gut referieren, sondern muss im Original studiert wer¬
den. Verf. glaubt, dass es nicht berechtigt ist, wegen der bestehen¬
den Zunahme der Geisteskrankheiten die Alarmglocke zu rühren. Es
gibt jetzt allerdings mehr Fälle von Dementia paralytica und De¬
mentia senilis, und zwar haben die Influenzaepidemien der letzten
20 Jahre das Nervensystem vieler Personen geschädigt und dadurch
den Boden für die Entwicklung mancher späteren Psychose ge¬
schaffen. Es ist aber andererseits durchaus unerwiesen, dass alko¬
holische Exzesse zu einer Vermehrung der Geisteskrankheiten ge¬
führt haben. Therapeutisch ist am meisten von einer möglichst früh¬
zeitig begonnenen sachgemässen Behandlung der Geisteskrankheiten
zu erwarten.
W. Sampson Handley: Die Pathologie der melanotischen Ge¬
schwülste und ihre Behandlung. (Lancet, 6. und 13. April 1907.)
Sehr schöne pathologische Studie, die mit guten Abbildungen
versehen ist. Verf. rät, jede Warze, jeden Nävus und jedes Pigment¬
mal, das blutet, ulzeriert oder wächst zu entfernen und gleich¬
zeitig die regionären Drüsen zu entfernen. Mikroskopische Unter¬
suchung des Males allein gibt nicht immer Aufschluss über die Bös¬
artigkeit. Man muss vielmehr das ganze entfernte Hautmuskelstück,
in dessen Mitte das Mal lag, genau untersuchen; man findet dann
oft fern vom Male schwarze Stränge oder Punkte, die die Bösartig¬
keit der Wucherung mit Sicherheit beweisen. Nur frühzeitige, aus¬
gedehnte Entfernung kann Heilung bringen.
Charles Higgens: 130 konsekutive glatt geheilte Starextrak¬
tionen. (Lancet, 13. April 1907.)
In 83 Fällen von 130 operierte Verf. ohne Iridektomie. Verf.
rät niemals zur Operation eines Auges, wenn die Sehkraft des
anderen den Bedürfnissen des Kranken völlig genügt. Ebenso ope¬
riert er nicht das andere Auge, wenn die Staroperation auf dem
einen völlig befriedigend verlief. Ausnahmen von dieser
Regel macht er nur aus besonderen Gründen, z. B. wenn
der Kranke es aus sozialen (kosmetischen) Gründen ver¬
langt. Er operiert mit Kokain und wendet eine nach unseren Be¬
griffen ziemlich unvollkommene Antisepsis an. Er fixiert die Kon-
junktiva mit einer Seidennaht und wendet weder Lidsperre noch
Fixationspinzette an. Mit einem Gräfe sehen Messer macht er
eine Inzision am Hornhautrande und bildet einen Lappen, der einem
Drittel der Hornhaut entspricht. Nach Zerreissung der Kapsel drückt
er die Linse mit dem Daumen heraus. Nach Entfernung der Linse
und Zuru'ckbr'ingen der Iris exponiert er das Auge einige Sekunden
dem Lichte, um die Iris zur Kontraktion zu bringen. Er bandagiert
beide Augen und hält sie 8 Tage unter dem Verbände, der täglich ge¬
wechselt wird, ohne dass die Augen dabei geöffnet werden. Grössere
Irisprolapse entfernt er, sobald er sie findet, kleinere lässt er in
Ruhe.
G. H. Colt: Zur Behandlung des Bubo inguinalis. (Ibid.)
Die Arbeit, die aus dem St. Bartholomews Hospital stammt,
empfiehlt die frühzeitige ausgedehnte Entfernung aller Drüsen der
Leistengegend mit Fortnahme eines eliptischen Hautstückes. (Refer.
hat dies früher auch getan, ist aber davon zurückgekommen, nach¬
dem er mehrmals elephantiastische Verdickungen des Oberschenkels
resp. des Penis und Skrotums sah, die durch keinerlei Behandlung
zu beseitigen waren.)
Joseph iS. Bolton: Die Behandlung der Prostatakongestionen
mittels der Elektrizität. (Ibid.)
Verf. glaubt, dass die Urinbeschwerden der Prostatiker vor¬
wiegend auf Kongestionen der Drüse zurückzuführen sind. Diese
bekämpft man am besten durch elektrische Ströme hoher Frequenz.
Er hatte bei 2 Fällen sehr guten Erfolg mit dieser Therapie.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
George A. Crace-Calvert: Amylnitrit bei Hämoptoe.
(Lancet, 6. April 1907.)
Das beste Mittel bei Hämoptoe ist die Einatmung von Amyl¬
nitrit. Durch Erweiterung der Gefässe sinkt der Blutdruck am Orte
der Blutung und es komt zur Gerinnung. Die Blutung steht meist
sofort. Dabei verhindert das Amylnitrit nicht den Husten, der Kranke
kann also das noch in den Bronchien befindliche Blut aushusten. Es
folgen Krankengeschichten.
Agnes E. Savill: Die Behandlung der Lipome mit Natrium-
ethy!. (Ibid.)
Es gelang der Verfasserin bei einem Falle multipler Lipome
dadurch das Verschwinden der Tumoren herbeizuführen, dass sie
dieselben mit Natriumethyl pinselte (2 — 3 mal wöchentlich bis zur
Hautrötung) und ausserdem heisse Duschen und Massage anwendete.
J. Kay Jamieson und J. T. Dobson: Das Lymphsystem
des Magens. (Lancet, 20. April 1907.)
Nachuntersuchung der Arbeiten von Cuneo und seinen Nach¬
folgern. Die Verff. haben dabei gefunden, dass Cuneo und andere
vollkommen die Möglichkeit einer Verbreitung des Krebses in den
die A. pylorica begleitenden Lymphgefässen übersehen haben. Diese
Gefässe, die ziemlich zahlreich sind, münden in die suprapankrea-
tischen Drüsen, die am Stamme der A. hepatica liegen. Zuweilen
findet man auch eine kleine suprapyloriscbe Drüse. Eines der Ge¬
fässe mündet gewöhnlich hinter dem Duodenum in eine der das
Gallensystem begleitenden Drüsen. Ferner haben die Verff. gefunden,
dass Lymphgefässe, die vom Pylorus kommen, nicht wie Cuneo
meint, in die Gland. coronar. inferiores einmünden müssen, sondern
dass sie zuweilen an diesen Drüsen vorbeilaufen und in die oberen
Koronardrüsen münden. Es ist also nicht möglich, wie Cuneo
meint, durch die von ihm und Hartmann ausgearbeitete Opera¬
tion mit einiger Sicherheit alle verdächtigen Drüsen zu entfernen.
Die Arbeit enthält viel Interessantes und gute Bilder.
A. E. Johnson: Zur Frage der versenkten Fäden. (Ibid.)
Verf. gibt folgende Methode als sicher und billig an. Man nimmt
1 cm im Durchmesser messende und 1 mm dicke Glasröhren von
Fuss Länge. Die Röhren werden mit Alkohol gewaschen und
dann getrocknet. Die Röhre wird in der Mitte zugeschmolzen.
Dann führt man mit reinen trockenen Händen 5 Fuss Katgut in die
Röhre ein, das man vorher auf 2 wenig gespreizten Fingern auf¬
gerollt hatte. Dann giesst man genügend Xylol ein, um das Katgut
völlig zu bedecken. Nachdem man eine Anzahl Röhren beschickt hat,
schmilzt man die Röhre IV2 Zoll jenseits des Xylols zu. Dies ist
ungefährlich, wenn auch eine kleine Explosion erfolgt. Die Röhren
werden dann in einem Wasserkessel an zwei aufeinanderfolgenden
Tagen je 20 Minuten lang auf 212° F erhitzt. Die Kosten einer
solchen Röhre betragen je nach der Stärke des Katguts 12 — 20 Pf.
Das Katgut ist sicher keimfrei. J. P. zum Busch - London.
Ophthalmologie.
Schiek: Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie
des Frühjahrskatarrhs. (Klinische Monatsbl. f. Augenheilk., Mai — Juni
1907, S. 449—466.)
Nach den bisherigen Forschungen über das Wesen des sog.
„Frühjahrskatarrhs“ konnte man zwar annehmen, dass infektiöse Ein¬
flüsse beim Zustandekommen des Leidens auszuschliessen und even¬
tuell chemische Reize anzunehmen seien, doch blieb bis in die
neueste Zeit die eigentliche Ursache der Erkrankung in Dunkel ge¬
hüllt. Nun scheint endlich Licht in die Sache zu kommen. Der Bahn¬
brecher in vorliegender Frage ist Kreibich durch seine Arbeit:
„Die Wirkung des Sonnenlichtes auf Haut und Konjunktiva“ (Wiener
klin. Wochenschr. 1904, S. 673). Kreibich ging davon aus, dass als
Ursache der unter dem Namen Hydroea vacciniforme bekannten Er¬
krankung unbedeckter Hautstellen die Einwirkung des Sonnen¬
lichtes zweifellos zu gelten habe. Diese Erkrankung stellt sich
bei einer gewissen Disposition der Kutis im Frühjahr und Sommer ein,
In ähnlicher Weise kommt eine andere Hautaffektion „Sommerpru¬
rigo“ zustande, die ebenfalls im Frühjahr rezidiviert und sich nur
auf die unbedeckten Hautgebiete erstreckt. Sie unterscheidet sich
von der Hydroea vacciniforme dadurch, dass deutliche Lichenifika¬
tion der Haut dabei Platz greift. Hierbei wird nicht die Haut in ihrer
ganzen Dicke, sondern nur im oberen Teil betroffen und eine Quadril-
lierung der Oberfläche hervorgerufen. Da nun in manchen Fällen
von den sicher auf Sonnenlichtwirkung beruhenden Hauterkran¬
kungen auch Frühjahrskatarrh der Konjunktiva in Gestalt von knöt¬
chenförmigen Wucherungen auf dem Limbus zugleich beobachtet
wurde, kam Kreibich auf den Gedanken, dass hier eine für beide
Prozesse gemeinsame Ursache massgebend sein müsse. Um dies
festzustellen bedeckte K. die Augen der Patienten mit einer schwar¬
zen Binde und sah darauf prompte Besserung eintreten, die sofort
nachliess und einem Rezidiv Platz machte, wenn die Augen wieder
dem Sonnenlichte ausgesetzt wurden. Kreibich kommt daher zu
folgendem bemerkenswerten Schlüsse:
„Auch die konjunktivalen Veränderungen sind
mit aller Bestimmtheit auf Sonnenlichtwirkung
zur iickzu führen und der Frühjahrskatarrh wird,
wenn anders derselbe eine einheitliche Erkran¬
kung darstellt, vom Sonnenlicht hervorgerufe n.“
Hierdurch wird nun auch erklärt, warum die Erkrankung in den
Jahreszeiten mit den langen Tagen relativ häufig aultritt und re¬
zidiviert und mit der Abnahme der Tageslänge wieder abnimmt und
verschwindet, und ebenso, warum gerade die Lidspaltenzone der
Konjunktiva mit Vorliebe heimgesucht wird.
Da nun experimentell nachgewiesen ist, dass chemisch wirk¬
same Strahlen eine Membran von der Dicke des Lides leicht durch¬
dringen können, so sind auch jene Fälle erklärt, in denen die C011-
junctiva tarsi entweder gleichzeitig mit der Bindehaut am Limbus
oder isoliert erkrankt. Schliesslich erörtert Kreibich auch noch
die feststehende Tatsache, dass anämische Individuen mit Poly¬
adenitis vor allem von dem Frühjahrskatarrh heimgesucht werden
und zwar in dem Sinne, dass die Anämie wahrscheinlich eine dis¬
ponierende Rolle spielt, andererseits aber die allgemeine Drüsen¬
schwellung eine Folge der Sonnenstrahlen sein kann. — Den günstigen
Einfluss des Lichtabschlusses auf die Veränderungen des Frühjahrs¬
katarrhs hat auch Dimmer beobachtet und bestätigt. S c h i e c k
schliesst sich diesem durch eigene Beobachtungen an. Nach letz¬
teren dürfte die Therapie bei ambulanter Behandlung schwer durch¬
führbar sein, da das Tragen einer gewöhnlichen rauchgrauen Schutz¬
brille nicht ausreicht, sondern ein permanentes Tragen eines dunklen
Verbandes nötig erscheint. Dimmer hat indes durch eine sich gut
anschmiegende rote Zelluloidbrille ebenfalls Heilung erreicht. — Im
pathologisch-anatomischen Teil erläutert S c h i e c k, dass das Wesen
des Prozesses nicht in der Bildung der Epithelunregelmässigkeiten
und Epithelzapfen besteht, sondern in einer Wucherung des subepi¬
thelialen Gewebes, resp. der unter der Konjunktiva an bestimmten
Stellen vorhandenen Lagen elastischen Fasergewebes. Schi eck
kommt auf Grund der Ergebnisse seiner Untersuchung zu folgenden
Schlüssen:
In dem sogen. Frühjahrskatarrh der Konjunktiva spielt die
Wucherung und glasige Degeneration des Bindegewebes eine Haupt¬
rolle, vor allen Dingen desjenigen der Unterlage, auf der die Kon¬
junktiva aufliegt. Eine starke Mitbeteiligung der dort befindlichen
elastischen Elemente ist evident, doch geht der Elastingehalt in dem
stärker gequollenen und unveränderten Zwischengewebe bald zu¬
grunde, wie auch der Tarsus selbst an elastischer Substanz einzu-
biissen scheint. Die Lokalisation des Prozesses ist davon abhängig,
dass die Bindehaut einem Gewebe aufliegt, das elastisc'ne Fasern ent¬
hält.
„Das neugebildete und gequollene Zwischengewebe legt sich in
den Kuppen der Prominenzen zu mehreren Lagen zusammen, die
hyaline Säume und Inseln bilden, wie dies vornehmlich an den
jüngeren Wucherungen deutlich zu sehen ist.“
Bumke: Ueber die Beziehungen zwischen Läsionen des Hals-
inarkes und reflektorischer Pupillenstarre. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬
heilkunde, März/April 1907, S. 257 — 296.)
In den letzten Jahren ist eine Reihe von Arbeiten über die patho¬
logisch-anatomischen Grundlagen der reflektorischen Pupillenstarre
erschienen, deren Ergebnisse sich häufig widersprechen. Die haupt¬
sächlichsten dieser Arbeiten unterwirft B. einer streng sachlichen
Kritik und setzt sich in seinen eigenen Untersuchungen die Aufgabe,
festzustellen, ob die materielle Ursache der reflek¬
torischen Pupillen starre im Rückenmark und spe¬
ziell, ob sie im Hals mark zu suchen ist. Alle Autoren
stimmen in der Annahme eines Pupillenreflexbogens überein, der in
der Vierhügelgegend geschlossen wird. Fraglich ist nur, ob wir die
pathologischen Veränderungen der Lichtstarre innerhalb dieses Re¬
ilexbogens suchen sollen oder in tiefer gelegenen Abschnitten des Ge¬
hirns oder sogar im Rückenmark. B. fasst das Gesamtergebnis seiner
Untersuchungen in folgende Sätze zusammen:
1. Die theoretischen Voraussetzungen der zuerst von Rieger
und v. Förster vertretenen Anschauung: die pathologisch-anatomi¬
schen Voraussetzungen der reflektorischen Pupillenstarre müssten mit
grösster Wahrscheinlichkeit im Rückenmark liegen, haben sich in¬
zwischen fast alle als nicht zutreffend erwiesen. Richtig ist die von
Gau sch und Woif entdeckte Tatsache, dass die isolierte Licht¬
starre bei den rein spastischen Formen der Paralyse selten und viel¬
leicht nur ganz ausnahmsweise vorkommt. Sie stellt also möglicher¬
weise ein spezifisch-tabisches Symptom dar. Für einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen Hinterstrangsklerose und Robertson-
schem Zeichen lässt sich diese Feststellung aber schon deshalb nicht
verwerten, weil die Tabes keine reine Rückenmarkskrankheit ist
(Optikusatrophie).
2. Die experimentellen Untersuchungen von B a c h u. a. sprechen
in ihren rein tatsächlichen Ergebnissen, sofern diese auf die mensch¬
liche Pathologie überhaupt übertragen werden dürfen, gegen die Ab¬
hängigkeit der Lichtstarre von Veränderungen des Halsmarkes. Die
totale Trennung des gesamten Rückenmarkes vom Nachhirn bleibt
nach diesen Versuchen ohne jede Wirkung auf die Pupillenbewegung.
3. Die Ansicht von Reich a r d f , nach der eine Erkrankung
innerhalb der Bechterew sehen Zwischenzone in der Höhe des
2. bis 6. Zervikalsegmentes dem Robertson sehen Zeichen zu¬
grunde liegen sollte, war schon durch die eigenen Befunde dieses
Autors nicht hinreichend begründet; sie ist durch die Nachunter¬
suchungen von Kinischi Naka und dem Verfasser, sowie durch
andere in ganz eindeutiger Weise widerlegt worden.
4. Die aus der älteren Literatur zusammengesteilten, sowie die
neueren in diesem Zusammenhänge mitgeteilten Fälle, in denen eine
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1697
Halsmarkläsion irgendwelcher Art reflektorische Pupillenstarre zur
Folge haben sollte, halten insgesamt einer genaueren Kritik nicht
stand.
B. hält die Halsmarktheorie nicht nur für unbewiesen, sondern für
widerlegt. Eine unbefangene Prüfung des allmählich stark ange¬
wachsenen Tatsachenmaterials lässt nach Anschauungs B.s nicht
einmal mehr die Vermutung zu, dass spinale Veränderungen für die
Entstehung der Lichtstarre irgendwie in Frage kommen könnten. —
Freilich darf die Möglichkeit, dass eine einheitliche Ursache des
Robertson sehen Zeichens überhaupt nicht existiert, nicht ganz
unberücksichtigt bleiben.
Hirschberg: Der umschriebene Schwund im kleinen Kreis
der Iris bei Drucksteigerung. (Zentralbl. für Augenheilk., Juni 1907,
S. 162.)
H. hat häufig nach einem akuten Anfall von Drucksteigerung,
auch wenn derselbe nur 1 — 2 Tage gedauert hatte, an vorher gesund
befundenen Augen, einen umschriebenen Schwund der Regenbogen¬
haut beobachtet, der sich in Gestalt von länglichen, blaugrauen Fleck¬
chen im kleinen Kreis präsentiert.
Seinen durch regelmässige Anwendung der Lupe bei einer
grossen Anzahl von Glaukomfällen hierbei gewonnenen Anschau¬
ungen hat H.. in folgenden Sätzen Ausdruck verliehen:
I. Dauernde, umschriebene Pupillenerweiterung kommt in ein¬
zelnen Fällen des leicht entzündlichen Glaukoms vor, das dem Eserin
noch nachgibt und völlig normale Sehkraft und Gesichtsfeldaus¬
dehnung zulässt. Die Ursache ist ein entsprechend umschrie¬
bener Gewebsschwund im kleinen Kreis der Regen¬
bogenhaut, d. h. in der Sphinktergegend.
2. Wenn ein gut sehendes und (abgesehen von Vorläuferanfällen
und einer gewissen Härte) gesundes Auge von einem heftigen Glau¬
komanfall heimgesucht und sofort kunstgerecht mit gutem Erfolg
operiert worden, so beobachtet man recht häufig bläuliche, ver¬
tiefte Flecke im kleinen Kreis der Regenbogenhaut, deren
Pupillenspiel darum nicht aufgehoben ist.
3. In allen Fällen des entzündlichen Glaukoms, wo die Operation
ein leidliches Sehvermögen und Gesichtsfeld entweder erhalten oder
wiederhergestellt hat, dann aber nach einigen Jahren eine
dauernde Erweiterung der ausgeschweiften Pupille hervor-
tritt — ein immerhin weniger günstiges Zeichen, das aber doch nicht
immer den baldigen Verlust der Sehkraft vorher ankündigt — findet
sich ein umschriebener Schwund in der Gegend des
kleinen Kreises der Regenbogenhaut.
4. Bei Druckentartung des Augapfels sieht man Schwund-
flecke sowohl im kleinen als auch im grossen Kreis der Iris.
Verfasser erläutert diese Befunde durch einige Krankengeschichten
mit Abbildung der Veränderungen.
Zur Nedden: Zur Aetiologie und Therapie der Kalk- und
Bleitrübungen der Hornhaut. (Arch. f. Augenheilk., Bd. LVII, Heft 1.)
Die Kalktrübungen beruhen im wesentlichen auf einer Lösung,
die Bleitrübungen auf einer Fällung des Hornhautmukoids
durch die betreffende chemische Noxe. Bei Kalkverätzung der Horn¬
haut hat Verfasser durch Anwendung von weinsaurem Am¬
monium guten Erfolg in der Aufhellung der Trübung erzielt. In
Anwendung kam eine 10 proz. Lösung von Ammonium tartaricum.
Da das käufliche Salz vielfach leicht sauer reagiert, ist die Neutrali¬
sation mit einigen Tropfen Liquor ammonii caustici erforderlich, wo¬
durch das Brennen bei Applikation der Lösung gemildert wird. Es
empfiehlt sich auch eine Kokaineinträufelung voranzuschicken. Die
Applikation erfolgt in Form von Augenbädern mit Hilfe einer kleinen
gläsernen Augenbadewanne 3 mal täglich Vz — % Stunden lang, wobei
alle 5 Minuten eine kleine Unterbrechung gemacht wird. Von Wich¬
tigkeit ist, dass die Patienten lernen, das Auge in der leicht ange¬
wärmten Lösung offen zu halten, damit die Hornhautoberfläche mög¬
lichst lange mit dem Mittel in Kontakt bleibt. In den ersten Wochen
nimmt die Trübung nur langsam ab, nach mehreren Monaten (2 — 4)
aber erheblich. Selbst an den dichtest getrübt gewesenen Partien
trat eine fast völlige Aufhellung ein.
Anders verhält es sich mit der Aufhellungsfähigkeit der Blei-
t r ii b u n g e n der Hornhaut durch das Mittel. Hier konnte trotz früh¬
zeitiger Applikation des Ammoniumtartrats nur eine geringe Auf¬
hellung erzielt werden. Es bleibt daher die mechanische Entfernung
der Bleiinkrustation durch Abschaben immer noch die zweckmässigste
Therapie.
Clemens: Errors of Vision as a Factor in Motor Car Ac-
cidents. (British Medical Journal, 8. Dezember 1906.)
Verfasser hat bei verschiedenen Chauffeuren, die Automobil-
unfälle verschuldet hatten, Refraktionsanomalien konstatiert, in denen
er die Ursache für die Unfälle erblickt. Besonders ist Hypermetropie
imstande, bei ermüdenden Fahrten durch Nachlassen der Akkommo¬
dation undeutliches Sehen herbeizuführen.
Po Lack: OphthalmoskoDierlinse. (Sitzungsbericht der Pariser
ophthalmoskopischen Gesellschaft. Die ophthalmoskopische Klinik
No. 11/12, 1907, S. 337.)
Die Ophthalmoskopierlinse nach Polack gibt starke Ver-
grösserung und stellt eine plankonvexe Linse von 8,0 D. in metallischer
Fassung dar. Bringt man, was ohne weiteres gelingt, den Haupt¬
brennpunkt der Linse in den vorderen Brennpunkt des untersuchten
Auges, so erhält man eine gute Beleuchtung des Augenhintergrundes:
8 fache Vergrösserung, Gesichtsfeld nur 2— 3 mal grösser als beim
aufrechten Bild, ein Uebelstand, dem sich leicht durch parallaktische
Verschiebungen der Linse abhelfen lässt. Der Gebrauch dieser Linse
ergibt für die Untersuchung im umgekehrten Bilde dieselben Vorteile,
wie sie das aufrechte Bild bietet, ohne dessen Nachteile.
A n t o n e 1 1 i : Die Spätfolgen des Lähmungsschielens. Betrach¬
tungen über das Schielen im allgemeinen. (Ibidem S. 343.)
Die Spätfolgen des Lähmungsschielens nehmen oft eine dem
konkomitierenden völlig gleiche Gestalt an. Insbesondere lässt die
Abduzenslähmung, wenn sie nicht völlig heilt, einen Strabismus con-
vergens zurück, der in seinen funktionellen Merkmalen dem sogen,
konkomitierenden Schielen heranwachsender Kinder gänzlich
identisch ist. Das abgelenkte Auge fixiert in korrekter Weise, sowie
man das andere verdeckt, und vollführt ohne Schwierigkeit oder
falsche Projektion selbst extreme Auswärtswendung, d. h. in anderen
Worten, es bleibt eine einfache Parese der assoziierten Abduktion
zurück, während die Motilität, für sich betrachtet, wieder vollständig
sich herstellt. Es sind also wohl manche Fälle des sogen, kon¬
komitierenden Schielens als Spätfolgen eines in der ersten Kindheit
entstandenen paralytischen, resp. paretischen Schielens aufzufassen.
Die klassische Theorie der Sekundärkontraktion erscheint weniger
gerechtfertigt als die Theorie, welche das Schielen als den Ausdruck
einer habituellen Parese der assoziierten Motilität auffasst. Für eine
solche Auffassung sprechen auch die guten Resultate der Muskel-
vorlagerung, welcher Eingriff als Spätbehandlung des per¬
sistierenden paralytischen Strabismus weit befriedigendere Erfolge
zeitigt als die gewohnte Tenotomie. Rhein.
Inauguraldissertationen.
Universität Kiel. April bis Juni 1907.
5. Lehmann Carl: Das Röntgenverfahren und sein Wert für den
praktischen Arzt.
6. Hunaeus Georg: Ueber einen Fall von Bauchdeckenaktino-
mykose.
7. Schür mann Walter: Zur Kasuistik des Milzbrandes. Die in
den Jahren 1903 — 1906 in der Kieler Chirurg. Klinik beobachteten
Fälle.
8. Tiedemann Ernst: Ein Beitrag zur Kasuistik der Neuritis
multiplex alcoholica mit K o r s a k o w scher Psychose.
9. Hennecke Friedr. : Ein Fall von Schüttelbewegung des Kopfes
bei Hysterie.
10. Hartmann Rudolf: Die Frakturen und Distorsionen der unteren
Extremität aus den Jahren 1899 — 1900 und 1900 — 1901, mit Be¬
rücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung.
11. Wollburg Georg: Ueber Dementia paralytica im jugendlichen
Lebensalter.
12. Becker Theodor: Beitrag zur Lehre von der Simulation und
Aggravation bei traumatischer Neurose.
13. Schoemann Johannes: Zur Lehre von der inneren Einklem¬
mung. 3 Fälle von Defekten im Mesenterium.
14. Orland Fritz: Ein Fall von grossem Fibromyxosarkom der
Rektusscheide.
15. Klinge Fritz: Ueber einen Fall von Tumor des Kleinhirn¬
brückenwinkels.
16. B o 1 1 e Hermann: Ueber Kochsalzausscheidung bei Nieren¬
erkrankungen.
17. Köpke Ernst: Zur Lehre von der traumatischen Tabes.
18. Kock Heinrich: Zur Kasuistik der Radikaloperation der Pro¬
statahypertrophie.
19. Mathies Alfred: Zur Behandlung der Arthritis gonorrhoica.
20. Luckow Ernst: Zur Lehre von der Hydronephrose im Kindes¬
alter.
21. Wolff Joseph: Ueber Hernia epigastrica.
22. Werner Karl: Zur Symptomatologie und Pathologie der Tu¬
moren der Kleinhirnhemisphären.
23. B e s e n b r u c h Peter: Ein Fall von Plattenepithelkrebs des
Nierenbeckens mit Riesenzellen.
24. Wolff son Ernst: Ein Beitrag zur Frage der nosologischen
Stellung der Hypochondrie.
25. Pfeiffer Wilh.: Synthese und Abbau der Harnsäure beim
Menschen und Säugetier. (Hab.-Schr.)
26. Baum E. W.: Knochenbrüche bei Tabes und deren ätiologische
Stellung. (Hab.-Schr.)
Auswärtige Briefe.
Briefe aus Moskau.
(Eigener Bericht.)
Allgemeine Lage in Russland. — Zwei feindliche Lager. —
Der Pirogowkongress. — Die Kardinalfrage des Kongresses.
— Ein Blick in die Zukunft.
Seit der Auflösung der zweiten Reichsduma beherrscht
Russland eine unheilschwangere, politische Stille. Kein Mensch
weiss, wie lange diese Uebergangsperiode dauern wird, doch
niemand zweifelt daran, dass über kurz oder lang die Befrei¬
ungsbewegung wieder Oberhand gewinnen muss.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
l(->9fr
Die verhältnismässig freie Zeit, frei im Vergleich zur Will¬
kür, die vor dem 17. Oktober 1905 das russische Reich be¬
herrschte, und die Tagungen der ersten und zweiten Reichs¬
duma konnten nicht ohne bedeutenden Einfluss aut die ganze
Bevölkerung Russlands bleiben. Einerseits wurden dem Volk,
das bis dahin, dank der strengen Zensur, keinen eigentlichen
Begriff von den Sünden und Vergehen der höchsten bureau-
kratischen Kreise bekommen konnte, die Augen geöffnet und
ein Einblick in das Tun und I reiben derjenigen Gesellschafts¬
schicht gewährt, die von dem russischen Zaren berufen w ird,
de facto den Staat zu regieren.
Andererseits konnte es den Augen des nach tausendjähri¬
gem Schlaf erwachenden russischen Volkes nicht entgehen,
dass die kaiserliche Gewalt alles daran setzt, um die verfaulte
Bureaukratie an ihrer Ehrenstellc zu erhalten und mit Grausam¬
keit gegen diejenigen auftritt, die anderer Meinung sind. So
haben sich die zwei feindlichen Lager gebildet, die nicht eher
ruhen werden, als bis der eine Kämpfer zu den Füssen des
anderen liegt. Auf der einen Seite die russische Kaiserkrone,
gestützt auf die demoralisierte Bureaukratie, auf der anderen
Seite das ganze, 140 Millionen zählende Volk, das in seiner
Masse, trotz aller geistigen und physischen Verfolgungen, ge¬
nügend gesunde Kräfte besitzen muss, um mit Hoffnung auf Er¬
folg den Befreiungskampf fortzusetzen.
Die russische Aerztewelt hat sich stets durch demokra¬
tische Weltanschauung vorteilhaft von den anderen Kreisen der
russischen Intelligenz unterschieden. Nicht zum geringsten
Teil ist das darauf zurückzuführen, dass die russische medi¬
zinische Welt viele fremdländische Elemente, besonders
Hebräer, beherbergt, die in der wenig organisierten Masse,
dank ihrem geistigen Uebergewicht die politische Stimmung
der ganzen Aerztewelt beeinflussen. Dieser Umstand lässt die
russische Regierung in jedem Arzt eine staatsgefährliche Per¬
son erblicken, die nicht aus den Augen der Polizei gelassen
werden darf.
Begreiflich ist es daher, dass alles Mögliche von der Re¬
gierung daran gesetzt wird, um etwaige medizinische Ver¬
sammlungen und Kongresse zu vereiteln. So war auch die
Einberufung des letzten Pirogow-Aerzte -Kongresses mit
grossen Schwierigkeiten verbunden und dennoch kann man
noch von Glück reden, dass dieser Kongress in die Zeit vor
der Auflösung der zweiten Reichsduma gefallen ist, da er sonst
von der Regierung entweder gar nicht gestattet worden wäre
oder aber sicherlich seine Arbeiten nicht hätte zum Abschluss
bringen können.
Der 10. allrussische Pirogow-Aerzte^Kongress tagte in
Moskau vom 7. bis zum 14. Mai und das Schicksal hatte es ge¬
fügt, dass zur selben Zeit das sog. „schwarze Hundert“, die
Vertreter der äussersten Reaktion, an derselben Stelle ihren
4. Kongress abhielten. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit konn¬
ten aus begreiflichen Gründen etwaige Zusammenstösse dieser
zwei feindlichen Lager, der Monarchisten und Demokraten, in
Moskau erwartet werden, um so mehr als noch lange vor Er¬
öffnung des Kongresses in der rechten Presse eine förmliche
Hetzjagd gegen die Mediziner, insbesondere solche jüdischer
Herkunft, inszeniert worden war.
Wider Erwarten ist aber alles ruhig verlaufen. Der Aerzte-
kongress konnte ohne besondere Zwischenfälle zu Ende ge¬
bracht werden und das. „schwarze Hundert“, das statt der
I ausende von Mitgliedern, die zum Kongress erwartet wurden,
nur einige hundert Analphabeten versammelt hatte, war über¬
all dem Spott der Bevölkerung preisgegeben.
Eine politische Demonstration, die von den Monarchisten
unter Mitwirkung der obersten Geistlichkeit Moskaus sowie
vieler Würdenträger und einiger gleichgesinnter Mitglieder der
2. Reichsduma inszeniert worden war, fiel ebenso ins Wasser
wie der ganze Kongress. Das unanständige, aufdringliche Be¬
tragen, die zur Niedermetzelung der Juden aufwiegelnden
Reden und andere Attribute dieser von der Regierung so gerne
gesehenen und subsidierten Partei, haben vielen, die früher
keinen Begriff von ihrem wahren inneren Wert gehabt hatten,
die Augen geöffnet. Von diesem Standpunkt aus kann man den
Monarchistenkongress in Moskau allerdings für sehr gelungen
ansehen. Mit Genugtuung kann konstatiert werden, dass die
breiheitsbewegung tiefe Wurzeln im russischen Volk gefasst
hat und dass an ein andauerndes Zurück in das Joch der ver¬
faulten Bureaukratie und der unbeschränkten Despotie nicht
mehr zu denken ist.
Dem Monarchistenkongress diametral entgegengesetzte
Gefühle rief im Gros der Moskauer Gesellschaft der Pirogow-
Aerzte-Kongress hervor, der eine der Zeit und dem russischen
Volk mehr angepasste politische Stimmung zur Schau brachte.
Die Pirogowkongresse gelten von jeher als politisch an¬
rüchig, und das ist zu verstehen, wenn man sich die Entwick¬
lung derselben vergegenwärtigt.
Die Pirogowkongresse entstanden vor 20 Jahren, zu einer
Zeit, als am politischen Horizont Russlands der letzte Schein
von Freiheit geschwunden war, als eine riesige schwarze
Wolke der I^eaktion unsere ganze Heimat bedeckte. Aeusser-
lich herrschte, dank dem erbarmungslosen Druck der Reaktion,
eine seltsame, 'unheimliche Ruhe, aber in den verstecktesten
Schlupfwinkeln des russischen Lebens begann langsam der un¬
zerstörbare Prozess der Befreiungsbewegung. Leise und
ängstlich erheben sich hie und da vereinzelte Stimmen, die eine
Besserung der Lebensbedingungen fordern.
In der Aerzteschaft, die mit der leidenden Menschheit in
nächster Berührung steht, erwacht das Interesse für sanitäre
Fragen und die Bedeutung derselben wird immer mehr in den
Vordergrund geschoben.
Im unmittelbaren Zusammenhang damit steigt das Inter¬
esse für die ökonomische Lage des russischen Volkes. Die
entsetzliche Armut der Bauern, sein rasch fortschreitender Ruin,
sein systematisches Hungern wendet die Aufmerksamkeit der
Aerztewelt auf diese Missstände; die schwere Lage des Stadt¬
proletariats, gegen dessen gewissenlose Exploitation von seiten
der Regierung nichts getan wird — alles das steht in direktem
Zusammenhang mit dem unmöglichen sanitären Zustande der
Bevölkerung, der noch verschlimmert wird durch die künstlich
aufrecht erhaltene Unbildung und Unkultur.
Selbstverständlich konnte dieser unnormale Zustand von
den Aerzten nicht unbemerkt bleiben, und das Resultat war,
dass sie die Ueberzeugung gewannen, nur bei einer radikalen
Aenderung des Kurses der inneren Politik Erfolge in ihrer
Tätigkeit erwarten zu können.
Es ist deshalb auch nicht zu verwundern, dass alle früheren
Kongresse unwillkürlich ihr Hauptinteresse auf politische Fra¬
gen konzentrierten, in der Hoffnung, die ersehnte politische
Freiheit, die neue Horizonte für sie versprach, auf diesem Um¬
wege zu erringen, und man muss gestehen, dass die Pirogow-
, kongresse, die von unserer bureaukratischen Regierung sehr
! ungern gesehen wurden, viel Feuer in die russische Freiheits¬
bewegung gebracht haben.
Besonders der vorletzte Kongress, der vor 3 Jahren in
Petersburg stattfand, hat viel dazu beigetragen, die Bewegung,
deren erster Akt mit dem Manifest des 17. Oktober abschloss,
zu beschleunigen. Dieses kaiserliche Manifest, das vom russi¬
schen Volk durch sein solidarisches und entschiedenes Auf¬
treten in den historisch gewordenen Oktobertagen des Jahres
1905 im wahren Sinne des Wortes erzwungen war und durch
einen Federstrich des Selbstherrschers dem russischen Volke
alle konstitutionellen Freiheiten versprach (ohne Absicht, das
Versprechen später zu halten), musste eine radikale Aenderung
des Charakters der späteren Kongresse hervorrufen und so
sehen wir denn den letzten Pirogowkongress absolut keine
politische Rolle mehr spielen.
Der 10. Pirogowkongress wurde am Mittwoch den 7. Mai
im Theatersaal eines grossen Moskauer Varietes, dem sog.
Wintertheater „Bouffes“ eröffnet, was gleichfalls höchst cha¬
rakteristisch für die jetzige Zeit ist. Der Kongressverwaltung
war es, trotz aller Mühe, nicht gelungen, ein passenderes Lokal
ausfindig zu machen, da die politische Färbung der Mitglieder
des Kongresses die Moskauer Stadtverwaltung bewogen hatte,
die Stadtsäle für die allgemeinen Sitzungen des Kongresses zu
verweigern. Eine ganz sonderbare Schicksalsfügung sehen wir
darin, dass das Theater „Bouffes“ jenes Lokal ist, das sich in
der letzten Zeit, dank den Herren Gurko und L i d v a 1, einen
ganz besonderen Namen gemacht hat. Bekanntlich hatte sich
der Klosettfabrikant Lidval erboten, die Versorgung der
Hungergegenden Russlands mit Brot zu organisieren. Gurko,
der damals Gehilfe des Ministers für innere Angelegenheiten
■ war, schloss mit L i d v a 1 einen Kontrakt ab, laut welchem
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1699
letzterer sich verpflichtete, im Verlaufe einer gewissen Zeit
10 Millionen Pud Getreide in die Hungergegenden Russlands
abzufertigen und als Avance 800 000 Rubel bares Geld er¬
hielt. Bald baute er sich das prunkvoll und verschwenderisch
angelegte Variete, in dem der Pirogowkongress eröffnet wurde,
während das Volk ohne Brot blieb oder statt der 10 Millionen
_ einige Waggonladungen verfaulten Getreides erhielt. Diese
Skandalaffaire, die reich an charakteristischen, unsere höchste
Bureaukratie stark kompromittierenden Einzelheiten ist, hat
vor einiger Zeit insofern einen Abschluss gefunden, als der
frühere Ministergehilfe Gur ko, auf kaiserlichen Befehl, zur
gerichtlichen Verantwortung gezogen werden soll. Allerdings
•scheint dieser kaiserliche Befehl dem Manifest vom 17. Oktober
• nahe verwandt zu sein, denn der auf frischer Tat ertappte
Dieb Gurko erhält bis jetzt sein Ministergehalt und hat vor
ganz kurzer Zeit eine Urlaubsreise auf 2 Monate zur Wieder¬
herstellung der zerrütteten Gesundheit auf allerhöchste Erlaub¬
nis hin angetreten.
Die feierliche Eröffnung des 10. Pirogowkongresses im
Theatersaal, dessen Entstehung Moskau den freundschaftlichen
Beziehungen zwischen dem kaiserlichen Günstling Gurko
und dem Klosettfabrikanten L i d v a 1 zu verdanken hat, hatte
eine vieltausendköpfige Menschenmenge versammelt, worunter
sich viele Neugierige befanden, die, sensationslüstern, einen
Skandal auf politischer Basis erwarteten.
Nachdem Prof. S s a 1 a s k i n, der Direktor des St. Peters¬
burger weiblichen medizinischen Instituts, einstimmig zum
Ehrenpräsidenten gewählt war, hielten die Herren Jako-
wenko und Prof. Sabolotny aus Petersburg die Fest¬
reden. Ohne Zwischenfall wurde die Sitzung gegen 5 Uhr
nachmittags geschlossen und am nächsten Morgen begannen
die Arbeiten in den 28 Sektionen des Kongresses.
Trotz der Vielseitigkeit der Vorträge, die zum Kongress
angemeldet waren, und deren Zahl 200 überstieg, konnte man
eine Konzentration des Interesses auf bestimmte Fragen kon¬
statieren, die sich um folgende Themen gruppierten: die Hun¬
gersnot in Russland und ihre Bekämpfung, die sanitäre Lage
der Fabrikarbeiter und des Stadtproletariats, die Kindersterb¬
lichkeit, die russische medizinische Bildung und die Therapie
und Prophylaxe des Scharlach.
Die meisten dieser Fragen wurden in der Sektion für
öffentliche Gesundheitspflege besprochen, deren Sitzungen stets
brechend voll waren. Ein Ausländer hätte hier Gelegenheit
gehabt, durch die Geduld, die der Russe an den Tag legen
kann, in Erstaunen versetzt zu werden. Obwohl für jeden Vor¬
trag statutgemäss eine Zeitspanne von 20 Minuten gegeben ist,
dehnen sich viele derselben über eine Stunde aus. Der Russe
ist nicht imstande, sich der Zeit anzupassen, und im Laufe der
ersten 20 Minuten kommt er kaum über die Einleitung zu
seinem Thema hinaus. Nichtsdestoweniger lauscht die Menge
aufmerksam, oft stehenden Fusses und in der drückendsten
Atmosphäre, dem nicht enden wollenden Vortrag, der dabei
nicht immer etwas Originelles, Eigenes bringt, sondern gar
nicht selten aus allgemeinen Stellen zusammengestapelt ist.
Die Debatten nahmen meist einen leidenschaftlichen Cha¬
rakter an, wobei es nicht selten den Eindruck machte, dass der
Vortragende, der noch soeben ein andächtig lauschendes Audi¬
torium vor sich hatte, plötzlich von Feinden umringt worden
sei, die kein heiles Haar an ihm lassen wollen. Auch die poli¬
tische Stimmung der Versammelten trat während der Debatten
scharf zum Vorschein. Ganz gründlich wurde das Zentrum der
2. Reichsduma, die konstitutionell-demokratische Partei, in
Russland „die Kadetten“ genannt, angegriffen. Der Prozent¬
satz der zu den Kadetten haltenden war auf den Versamm¬
lungen ein sehr geringer und manch bitteres Wort musste diese
Partei über sich ergehen lassen, da die Taktik der Kadetten in
der Reichsduma nicht zum mindesten die Schuld daran trug,
dass sich die Regierung noch stark genug fühlte, um die
2. Reichsduma aus dem Taurischen Palais auszuweisen.
Trotz der schweren Atmosphäre, in der es dem 10. Piro¬
gowkongress beschieden war. zu arbeiten, muss konstatiert
werden, dass er eine grosse Arbeitskraft gezeigt hat und mit
Genugtuung auf die getane Arbeit zurückschauen kann. Die
feierliche Schlussitzung des Kongresses fand gleichfalls in
Lidvals Theater statt, wobei der Festredner, Privatdozent
Tarasse witsch, in seinem Vortrage „über das Hungern“
furchtbare Bilder des Elends entrollte, in das das russische
Volk dank solchen Würdenträgern wie G u rko und dank dem
ganzen bureaukratischen Regierungssystem, geraten ist. Die
Mitglieder der 2. Reichsduma, die als Acrzte den Kongress mit¬
gemacht hatten, beeilten sich nach Petersburg zurück und
ahnten nicht, dass noch vor Monatsfrist ihre Arbeit zum Wohlc
des russischen Volkes, das sie gewählt hatte, um seine Inter¬
essen zu schützen, ein jähes Ende finden würde.
Nun sieht es wieder trostloser denn je bei uns aus. Die
Regierung versucht alles, was das Volk im Laufe der letzten
Jahre mit grossem Blutverlust erreicht hat, wieder zuriiek-
zunehmen. Vor allem wird der Presse der Mund geschlossen.
Auf administrativem Wege wird ein Blatt nach dem anderen,
ohne nähere Erklärung der Gründe, mit schweren Geldstrafen
belegt oder vollkommen sistiert. Täglich werden Hunderte
von Menschen, die es wagen, unvorsichtig ihre Meinung zu
äussern und Unwillen über das' jetzt herrschende Regime aus¬
zusprechen, gleichfalls auf administrativem Wege, ohne jede
gerichtliche Prozedur, verbannt, in die Gefängnisse gepfercht
oder materiell durch grosse Abstandssummen geschädigt.
Das Polizeiregime hat den Höhepunkt seiner Entwicklung
erreicht und dem ungebildeten, rohen russischen Schutzmann
ist die Macht gegeben, ungestraft jedem Menschen, der ihm aus
irgend einem Grunde nicht passt oder der nicht darauf eingeht,
sich durch Geld von Unannehmlichkeiten loszukaufen, einen
wilden Schabernack zu spielen.
Die Erkrankung des russischen Reiches hat riesige Dimen¬
sionen angenommen. Es gibt hier zurzeit kaum eine Familie,
die nicht in der einen oder anderen Richtung schwer ge¬
schädigt worden ist. Die letzten 3 Jahre haben unzählige,
früher wohlhabende Leute total ruiniert. Viele Tausende von
Familien sind ihrer Mitglieder beraubt worden. Die Anarchie
im Lande, die eher noch im Steigen begriffen ist, hat den Preis
eines Menschenlebens dermassen erniedrigt, dass der Verlust
von Familienmitgliedern als etwas vom Schicksal Bestimmtes
und Unabwendbares angesehen wird. Der Fatalismus be¬
mächtigt sich immer mehr und mehr der russischen Gesell¬
schaft nnd Vorkommnisse, die früher ganze Gesellschaftski eise
in Aufregung versetzt hätten, werden jetzt stillschweigend
übergangen oder machen gar keinen Eindruck.
Täglich werden an verschiedenen Stellen des Reiches
15—20 Personen, oft auf greuliche Weise, ermordet, ebenso
viele verwundet. Täglich werden Unsummen durch Brand¬
stiftung oder durch Raub verloren. Die Tagesblätter sind voll
von Schauergeschichten, wie sie sich die Phantasie eines
Romanschriftstellers nicht besser ausmalen könnte, und Jas
Resultat davon ist eine allgemeine Uebersättigung und eine Ab¬
stumpfung gegen alle Schrecknisse, die die Revolution mit sich
bringt.
Die Auflösung der 2. Reichsduma wurde dementsprechend
mit einer Gleichgültigkeit aufgenommen, die ein unter nor¬
malen Verhältnissen lebender Mensch absolut nicht begreifen
könnte. Das Interesse für die Politik schwindet in breiten Ge¬
sellschaftskreisen zusehends und droht die russische Freiheits¬
bewegung für längere Zeit zu begraben. Jedenfalls sind die¬
jenigen Gesellschaftsschichten, die bis jetzt die Freiheits¬
bewegung geleitet haben, nicht mehr revolutionslüstern und
man muss die Zeit abwarten, bis die untersten Volksschichten,
die Arbeiter und die Banern, die notwendige Entwicklung und
Selbständigkeit erlangt haben, um das grosse Befreiungswerk
allein zu Ende zu bringen. M. G.
Vereins- und Kongressberichte.
Fränkische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauen¬
heilkunde
(Of f izi el Le s P r o toikol 1 . )
XVI. Sitzung am 30. J u n i 1907 i n W ü r z b u r g.
Vorsitzender: Herr Meng e.
Schriftführer: Herr Zacharias.
Herr Holmeier: Ueber die Verwendung von Chlorzink¬
lösungen bei der Behandlung der Endometritis.
Vortragender berichtet im Anschluss an einen bereits
früher von ihm beschriebenen Fall von plötzlichem Fod durch
die intrauterine Verwendung von 50 proz. Chlorzinklösung über
1700
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
eine neue derartige Erfahrung, die gleichfalls zur gerichtlichen
Anklage des betreffenden Arztes führte.
Es sollten angeblich zur Beseitigung von Fluor mit der Braun-
schen Spritze 2 g einer 50 proz. Chlorzinklüsung in den Uterus ge¬
spritzt werden. In Wahrheit waren sie nach Ausweis der Obduktion
überhaupt nicht in den Uterus gekommen, sondern entweder direkt
oder indirekt durch Zuriickfliessen aus der Zervix in das hintere
Scheidengewölbes gelangt und hatten sich hier in einem zurückge¬
lassenen Wattebausch gesammelt. Ausserdem war, angeblich durch
ein versehentliches Umkippen des Fläschchens, gleichfalls eine nicht
näher bestimmte Menge Flüssigkeit (vielleicht einige Kubikzentimeter)
in die Scheide gekommen. Es stellten sich sehr bald heftige perito-
nitische Reizerscheinungen und zunehmender Kollaps ein; trotz aller
angewendeten Mittel war die Patientin, ein junges 22 jähriges ge¬
sundes Mädchen, nach 21 Stunden tot. Die sehr sorgfältige Obduktion
ergab eine heftige Pelveoperitonitis, aber weder eine Perforation am
Uterus oder Scheidengewölbe, noch eine Verätzung des Uterusinnern
oder der Tuben. Nebenbei war Patientin etwa 6 Wochen schwanger.
Die chemische Analyse der Organe ergab einen relativ sehr hohen
Zinkgehalt, der mehreren Gramm Chlorzink entsprach. Um den in
der Scheide liegenden Tampon war das Gewebe, besonders nach
hinten hin, tief verätzt.
Es kann sich also nach Ausweis des Obduktionsprotokolls
nur um eine Resorption von Chlorzink resp. Zink von hier aus
gehandelt haben. Die Wirkung erscheint aber eine so fou-
droyante, dass sie ebenso wie in dem früher beobachteten Falle
nur eine toxische sein kann. Nach Ansicht des Vertreters der
Pharmakologie in Würzburg, Prof. Straub, handelt es sich
hierbei um eine intensiv giftige Zinkalbuminatverbindung. Ex¬
perimentelle Untersuchungen bei Kaninchen ergaben nun in der
Tat, dass Serum, versetzt mit einigen Tropfen einer 1,3 proz.
Chlorzinklösung bei intravenöser oder intraperitonealer Ein¬
spritzung, intensiv giftig wirkt und unter Umständen in weni¬
gen Minuten den Tod des Versuchstieres herbeiführt. Vor¬
tragender nimmt aus dieser neuen Erfahrung und diesen Ex¬
perimenten heraus von neuem Veranlassung, vor dem Ge¬
brauch dieser ganz unnötig starken und gefährlichen Chlorzink¬
lösungen bei intrauteriner Anwendung zu warnen, wie über¬
haupt zur Vorsicht bei dem Gebrauch derartiger Lösungen
auch bei anderer Anwendungsweise zu mahnen.
Diskussion: Herr Straub (a. G.) bemerkt zur’ Theorie
der von Herrn H o f m e i e r mitgeteilten akuten Chlorzinkvergiftung
folgendes:
Das Zink gilt wie das Aluminium, Silber etc. als ein relativ
ungiftiges Metall, mit Unrecht aber deshalb, weil es bei der gewöhn¬
lichen Art der Applikation seine giftigen Eigenschaften nicht ent¬
falten kann. Jedes Schwermetallsalz setzt sich mit Eiweisskörpern
zu salzartigen Metallalbuminaten um. Diese Salzbildung ist eine
revisible im Sinne des Massenwirkungsgesetzes; denn ganz allgemein
wird ein primär durch Metallüberschuss gebildetes, als fester Nieder¬
schlag ausfallendes Metallalbuminat von überschüssigem Eiweiss ge¬
löst. Zur Wiederauflösung festen Metallalbuminates sind je nach der
Natur des Metallions verschiedene Mengen Albumen nötig. Das
Quecksilberalbuminat braucht verhältnismässig wenig, das Alu-
miniumalbuminat ausserordentlich viel, soviel als der menschliche
Organismus überhaupt nicht aufbringt. Zinkalbuminat steht in der
Mitte zwischen beiden. Wird Zinksalz z. B. in den sehr gefässreichen
Uterus gebracht, so kann durch das überschüssige Eiweiss z. B. des
Blutes eine zur akuten Vergiftung genügende Menge festen, primären
Zinkalbuminates gelöst und resorbiert werden; wird es dagegen an
Stellen gebracht, die für die Wiederauflösung des Albuminates un¬
günstig sind, so bleibt es als unlösliches festes Albuminat liegn. In
Bestätigung dieser Ueberlegung gelang es Herrn Hof m -ei er so¬
wohl wie dem Vortragenden leicht, mit 4 mg Zink in Form seines in
Mcnschenblutserum gelösten Albuminates ein ausgewachsenes Ka¬
ninchen in wenigen Minuten nach intravenöser Applikation zu töten.
Die Erscheinungen der Vergiftung sind je nach der Menge ein in
Minuten bis Stunden sich vollziehendes Hinsterben im tiefsten Kol¬
laps, unter gleichzeitig zunehmender Abschwächung aller Organ¬
funktionen. Das gilt im Wesentlichen für akute Vergiftungen mit
beliebigen Schwermetallen.
Herr Moch -H o f h e i m erinnert sich einer Zinkvergiftung, die
durch eine Salbenbehandlung der äusseren Haut entstanden war.
Herr Simon bekennt sich als grossen Anhänger von Chlorzink¬
ätzungen. Er bedient sich allerdings nur einer 20 — 25 proz. Lösung
und niemals der Braun sehen Spritze. Unter Benützung der
M e n g e sehen Stäbchen hat er in langjähriger Anwendung niemals
eine üble Erfahrung gemacht. Auch die Formalinätzung nach Menge
hat er vielfach durchgeführt; jedoch schienen ihm stärkere Uterus¬
koliken danach aufzutreten.
Herr Bure k h a rd glaubt, dass bei den beiden Todesfällen nach
Chlorzinkätzung besondere Verhältnisse mitgewirkt haben müssen,
da man doch früher unbedenklich und ohne schlimme Erfahrung zu
machen, Chlorzinkstifte sogar einlegte, die einer Konzentration des
Aetzmittels von 33V3 Proz. entsprachen.
Herr Hofmeier: Das Besondere war eben in beiden Fällen,
dass relativ viel Flüssigkeit eingespritzt wurde bezw. in der Vagina
resorbiert werden konnte.
Herr v. Rosthorn (a. G.) weist auf eine aus seiner Klinik
hervorgegangenc Arbeit von Meng es hin. M enges hat in einer
Dissertation die Ergebnisse von Untersuchungen darüber, in welcher
Zeit Stoffe von der Scheide aus aufgenommen werden, niedergelegt,
ln dem vorgetragenen Falle war die Schwangerschaft gewiss einer
schnellen und ausgiebigen Resorption des Aetzmittels günstig.
Herr Menge protestiert dagegen, dass die Formalinätzung
stärkere Uteruskoliken als 'die Chlorzinkätzung hervorrufen soll. Eine
Schmerzwirkung kommt nur durch den Formalinüberschuss zu stände,
der die äusseren Genitalien netzt. Er warnt nachdrücklich vor der*
Braun sehen Spritze; sie ist nicht aseptisch zu machen. 25 nach -
deren Anwendung bekannt gewordene Todesfälle genügen hin¬
reichend, dieses Instrument zu diskreditieren. Eigentümlich ist, dass
ein so starkes Aetzmittel wie das Chlorzink es ist, so geringe bak¬
terizide Eigenschaften hat. So z. B. keimen Milzbrandsporen, die
Tage lang in Chlorzinklösung gelegen haben, auf Nährböden gebracht,
wieder aus.
Er möchte von Herrn Straub wissen, wie diese Erscheinung
zu erklären sei.
Herr Straub (a. G.). Hier gilt dieselbe Theorie wie für den
vielzelligen Organismus nur mit der äusseren Einschränkung, dass
ein Bakterienindividuum nicht die Menge Albumin hat, um das feste,
primäre Zinkalbuminat aufzulösen; dieses bleibt daher als indifferenter
Fremdkörper liegen.
Herr Hofmeier benützt seit 20 Jahren die Braun sehe
Spritze, er hat niemals etwas Schlimmes damit erlebt. Im Uterus sei
keine Wunde, daher schade eine mangelhafte Aseptik der Spritze
nichts; überdies werden ja auch bei jeder Sondierung Keime aus der
Zervix in die Uterushöhle hineingeschleppt.
Herr Menge fürchtet sich vor Keimen in der Zervix nicht,
da dort entweder keine oder nur Gonokokken vorhanden sind; da¬
gegen fürchtet er sich vor den der B raun sehen Spritze anhaftenden
Keimen.
Herr Polano hält es nicht für richtig, wenn man immer die
widerstandsfähigsten Organismen, z. B. Milzbrandsporen, als Test¬
objekt für die Leistungsfähigkeit eines Antiseptikums benutzt. Man
soll solche Keime wählen, die unter gewöhnlichen Verhältnissen in der
Klinik Vorkommen. Da es jetzt die gut sterilisierbaren Rekord¬
spritzen gibt, werde der Einwand M enges hinfällig.
Herr Fla tau verwendet auch die B r a u n sehe Spritze, deren
Ansatz er in einer Formalinatmosphäre und deren gläsernen Teil er
dauernd in Lysollösung aufbewahrt. Bezüglich des Auftretens der
Uteruskrämpfe muss er Menge Recht geben; er hat gefunden, dass
die Formalinätzung von den Kranken viel weniger schmerzhaft wie
die Chlorzinkätzung empfunden wird.
Demonstrationen:
Herr Hofmeier demonstriert: 1. ein neugeborenes Kind mit
fast totalem Uterusprolaps, Rektumprolaps und Meningozele. 2. einen
Uterus mit Andeutung von Bikornität, Hämatometra und linksseitiger
Häniatosalpinx; da niemals Molimina bestanden hatten, war der
Tumor für ein Fibromyom gehalten worden. Die Blutansammlung in
der linken Tube muss in dem Falle in der Tube selbst entstanden und
nicht durch Rückstauung erfolgt sein, da sich die Verbindung zwischen
Tube und Uterus als verschlossen erwies.
Herr Polano zeigt: 1. ein Sektionspräparat: Uterus gravidus
im 7. Monat mit Zwillingen und Placenta praevia. 2. Uterus mit Ad¬
nexen, entfernt in einem Fall von Pseudomyoma peritonei. Orga¬
nische Verbindung der pseudomuzinösen Massen mit der Serosa uteri.
Die Operation liegt 3 Monate zurück, Der Pat. geht es gut.
Herr Menge zeigt 1. ein Präparat von Schwangerschaft im
rudimentären Nebenhorn mit Steinkindbildung. Da die Patientin eine
Katastrophe mit peritonitischen Symptomen durchgemacht hatte,
wurde eine geborstene Tubarschwangerschaft angenommen. Das
Nebenhorn ist in der Funduspartie geborsten. Der etwa 5 Monate
alte Fötus ist innerhalb der Eihäute durch die Rupturstelle aus¬
getreten. 2. berichtet er über einen Fall von Vagina duplex und
Uterus duplex bicornis. Die Patientin machte im Anschluss an einen
Abort ein mehrwöchiges fieberhaftes Puerperium durch und litt in
der Folgezeit unter beständigen Schmerzen in der linken Seite. Wäh¬
rend man den rechten Uterus schlank und beweglich fühlte, war der
linke Uterus in einen knolligen empfindlichen Tumor verwandelt. Es
wurde angenommen, dass der Tumor dem linken Uterus mit dem ad-
härenten entzündlich veränderten Ovarium entspreche. Die Operation
bestätigte die Diagnose: Die linke Tube war ganz normal, das linke
Ovarium war in einen Eitersack verwandelt, der bei der Operation
platzte. Im Ausstrichpräparat wurden Streptokokken nachgewiesen.
Entfernung des Tumors durch supravaginale Amputation des linken
Uterus. Keine Drainage. Die Rekonvaleszenz verlief bis auf eine
Eiterung in den Bauchdecken ungestört.
Herr Schwab zeigt mikroskopische Präparate und Zeich¬
nungen von einem Adenoinyom, dessen Drüsen karzinomatös entartet
sind. Das grösste Myom lag retrozervikal, von 4 kleinen Myomen,
die im Fundus uteri lagen, zeigten 2 dasselbe histologische Bild wie
20. August 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1701
das retrozervikale Myom, während die beiden anderen die Struktur
eines gewöhnlichen Fibromyoms erkennen Hessen.
Herr Simon zeigt: 1. ein kindskopf grosses Fibromyom der
Scheide, welches er während der Gravidität entfernte. 2. einen
etwa 13 cm langen und 5 cm dicken fibromatösen wiirstförmigen
Tumor, welcher von der hinteren Muttermundslippe ausging und der
merkwürdigerweise ganz plötzlich der Kranken bemerkbar wurde.
3. einen etwa enteneigrossen Ovarialtumor mit Stieldrehung, der
starke Beschwerden, vor allen Dingen Blasentenesmus, hervorgerufen
hatte. 4. einen gänseeigrossen Ovarialtumor maligner Natur. 5. eine
gänseeigrosse Parovarialzyste.
Herr Polano: Zur Behandlung der Dysmenorrhöe. (Der
Vortrag erscheint ausführlich in dieser Wochenschrift.)
Diskussion: Herr Simo n kennt eine Patientin, die seit
ihrer letzten Entbindung vor 3 Vs Jahren eine starke Brustdrüsen-
. Sekretion hat, wiewohl sie nicht stillt. 3 Jahre nach der letzten Ent¬
bindung entstand noch eine Mastitis, welche inzidiert werden musste.
Seit dieser Zeit ist sie auch amenorrhoisch.
Herr Raether - Kissingen teilt mit, dass er bei der Dysmenor¬
rhöe vorzügliche Erfolge mit Moorhalbbädern erzielt, die aber viel¬
fach nur vorübergehend sind. Es fragt sich sehr, ob die von Polano
angegebene Methode vor Rezidiven schützt.
Herr Menge berichtet über eine jugendliche Patientin, die
er schon seit geraumer Zeit wegen starker Dysmenorrhöen mit allen
erdenklichen Mitteln ohne jeden Erfolg behandelt. Interessant an
dem Fall ist, dass zur Zeit der Menses bei dem jungen Mädchen im
Gesicht rote Male auftreten und dass es hier zu Blutaustritten
kommt; er will hier die von Polano empfohlene Methode ver¬
suchen
Herr Zacharias: Kurze Mitteilung über einen Fall von
Kolpitis emphysematosa. (Mit Demonstration von mikro¬
skopischen Präparaten.
Der Vortragende macht zunächst darauf aufmerksam, dass
in den meisten Lehr- und Handbüchern v. W i n c k e 1 als Ent¬
decker dieser Erkrankung genannt wird. Das ist nicht richtig,
v. W i n c k e 1 hat allerdings diese Affektion anfangs der 70 er
Jahre genauer studiert und beschrieben; es existieren jedoch
Berichte von Ritgen aus den 30er Jahren, von Hu gier
(1847) und C. Braun (1867), die mit Deutlichkeit erkennen
lassen, dass die Krankheit bereits viel früher bekannt war.
Nach einer kurzen Skizzierung des Krankheitsbildes der Kolpitis
emphysematosa und Mitteilung der verschiedenen Theorien,
welche über den Sitz der Zysten sowohl wie über die Art und
Entstehung des gasförmigen Zysteninhaltes aufgestellt worden
sind, macht er darauf aufmerksam, dass Qaszysten nicht allein
in der Scheide Vorkommen, sondern dass die pathologischen
Anatomen x) 2) auch eine Enteritis cystica und analoge Affek¬
tionen in der Harnblase und in der Gallenblase kennen.
Dass Mikroorganismen als Krankheitserreger bei der Kol¬
pitis emphysematosa in Betracht kommen, ist durch Eisen-
lohr1), Klein3), Strauss4) und Lindenthal5) nach¬
gewiesen worden. Es gelang diesen Autoren regelmässig, sehr
kleine Kurzstäbchen, die bei Luftabschluss besser gediehen oder
auch obligat anaerob wuchsen und die Gas produzierten, aus
den Zysten zu züchten. Derselbe Organismus wurde auch im
Schnittpräparat nachgewiesen.
Bei dem Fall den der Vortragende beobachten konnte, handelte
es sich um eine 22 jährige II. Gebärende im 9. Schwangerschafts¬
monat, die sich vollständig beschwerdefrei fühlte. Die Untersuchung
ergab: Leichte Entzündungserscheinungen im Introitus, eine deutliche
schaumige, vermehrte Sekretion, zahlreiche einzeln und in Gruppen
stehende stecknadelkopfgrosse bis erbsengrosse Zysten in den hin¬
teren zwei Dritteln der Scheide; hier waren die Zysten beson¬
ders an der hinteren und an den seitlichen Scheidewänden lokalisiert,
während die Vorderwand ziemlich frei blieb. Es wurden zahlreiche
bakteriologische Untersuchungen angestellt, sowohl mit dem Vaginal¬
sekret als auch mit Material, welches von der Innenwand der Zyste
gewonnen wurde. Die Zysten wurden teils unter entsprechenden
Kautelen in situ eröffnet, teils uneröffnet exzidiert, um sie im Labora¬
torium einwandsfreier zu bakteriologischen Zwecken zu verwenden.
Im Scheidensekret wurde ein gasbildender Organismus nachgewiesen,
ein kurzes Stäbchen, welches Bakterium coli nicht sein konnte, da
gleichzeitig angelegte Bouillonkulturen eine negative Indolreaktion
ergaben. Aus den Zysten gelang es regelmässig im hochgeschichte¬
ten Traubenzuckeragar 2 Organismen zu züchten, und zwar solche, die
in kleinen Kolonien in der Tiefe wuchsen und welche sich im Mikroskop
als aus plumpen Stäbchen bestehend erwiesen; diese Stäbchen traten
0 Eisenlohr: Zieglers Beiträge 1888, Bd. 3, S. 103.
2) Winands: Zieglers Beiträge 1895, Bd. 17, S. 38.
3) Klein: Zentralbl. f. Gynäkol. 1891, No. 31.
4) Strauss: Inaug.-Dissert., Würzburg 1891.
6) Lindenthal: Wiener klin. Wochenschr. 1897, H. 1 u. 2.
teils isoliert, teils in Gruppen zu zweien auf. In Stichkulturen bilde¬
ten sie Ketten; eine Gasproduktion wurde hier allerdings niemals be¬
obachtet. Die grösseren oberflächlichen Kolonien bestanden aus
grossen Kokken. Material aus den Zysten auf Bouillon verimpft,
zeigte Bakterienwachstum unter Säurebildung. Die mikroskopische
Betrachtung des Schnittes durch eine Zyste zeigt, dass dieselbe nicht
vollständig subepithelial liegt und dass sie keinen eigenen zelligen
Wandbelag hat. In der Umgebung der Zyste, vornehmlich nach dem
Papillarkörper zu, ist eine mässige kleinzellige Infiltration zu be¬
merken. In den kleineren Zysten sieht man wandständig geronnene
Massen, die wohl als entzündliches Produkt oder als Lymphe auf¬
zufassen sind. Riesenzellen, welche nach allen in der Literatur vor¬
liegenden Mitteilungen, und zwar massenhaft in der Umgebung der
Zysten Vorkommen sollen und welche in dem Präparat von Enteritis
cystica, welches unter dem Mikroskop aufgestellt ist und dessen
Ueberlassung der Vortragende der Liebenswürdigkeit des Herrn
Dr. M e r k e 1 - Erlangen verdankt, sehr schön zu sehen sind, finden
sich nirgends. An den Schnittpräparaten wurden zahlreiche Fär¬
bungen zur Darstellung von Bakterien ausgeführt, und zwar nach
Gram, mit L ö f f 1 e r schem Methylenblau, mit polychromem Me¬
thylenblau, mit Säurefuchsin und Gentianaviolett. Nach keiner dieser
Methoden gelang es, Bakterien nachzuweisen. Vielleicht darf man
das Fehlen der sonst konstant vorhandenen Riesenzellen als Bestäti¬
gung für den negativen bakteriologischen Befund am Schnittpräparat
auffassen, d. h. da in der Umgebung dieser Zyste Mikroorganismen
nicht oder nicht mehr vorhanden waren, ein Fremdkörperreiz also
fehlte, kam es nicht zur Ansammlung von Riesenzellen.
Als Versammlungsort für die nächste Sitzung wird Bam¬
berg bestimmt.
Verein Freiburger Aerzte.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. April 1907.
Herr W. Brünings: Ueber Technik und Instrumentarium der
Tracheo-bronchoskopie und der Oesophagoskopie. (Mit Demon¬
strationen.)
Vortragender hat in dem Instrumentarium der Killianschen
Methode zur direkten Untersuchung der oberen Luftwege und der
Oesophagoskopie eine Reihe von Neuerungen eingeführt, welche eine
Ei leichterung der Technik und eine Vereinfachung des erforderlichen
Instrumentariums bezwecken. Die Verbesserungsversuche erstrecken
sich: 1. auf die Konstruktion und Handhabung der endoskopischen
Rohre, 2. die Konstruktion und Handhabung der Operationsinstru-
mente, 3. den Beleuchtungsapparat.
Ad 1. Die Hauptschwierigkeit bei der Einführung broncho-
skopischer Rohre, welche in der Passage des Larynx gelegen ist,
wurde von Killian gelegentlich in der Weise überwunden, dass er
zueist den kurzen abgeschrägten Röhrenspatel — welcher erfahrungs-
gemäss die Glottis leicht passiert — in die Luftröhre einführte und
dann ein dünneres bronchoskopisches Rohr hindurchschob. Vor¬
tragender konnte dieses zur Ueberwindung schwieriger Fälle heran¬
gezogene Verfahren durch Konstruktion eines neuen zusammenge¬
setzten und verlängerbaren Bronchoskops zur Normalmethode
machen.
Das Eigenartige des neuen Tubus besteht darin, dass in dem ab¬
geschrägten Röhrenspatel ein gerade endigendes Innenrohr gleitet,
welches nach Einführung des Spatels in die Luftröhre mittels einer an
dem Innenrohr befestigten Uhrfeder bis zu der gewünschten Tiefe in
den Bronchialbaum vorgeschoben werden kann. Die Uhrfeder läuft
dabei in einer Ausfräsung der Spatelwand, so dass das Gesichtsfeld
vollständig frei bleibt. Da sich der ausserhalb des Spatels befindliche
mehr oder weniger lange Teil der Uhrfeder spiralig aufrollt, ist auch
die nötige Annäherung von Auge und Instrumenten bei jeder Rohr¬
länge ermöglicht. Die Uhrfeder und der Röhrenspatel tragen Tei¬
lungen, an welchen sich die Länge, bis zu welcher der Tubus ein¬
geführt ist, ablesen lässt.
Die Bronchoskopie gestaltet .sich bei Verwendung des verlänger¬
baren Tubus wesentlich einfacher und sicherer. Das gilt nicht nur
für die Einführungstechnik, sondern auch für die bronchoskopische
Diagnose und Operation. Die erleichterte Einführbarkeit und die
Anpassung an die anatomischen Verhältnisse — der weitere Röhren¬
spatel entspricht der weiteren Trachea, das dünnere Innenrohr dem
Bronchus — gestatten nämlich die Anwendung weit dickerer Rohre
als es früher möglich war, vergrössern also Gesichtsfeld, Arbeitsraum
und Helligkeit. In demselben Sinne wirkt die mittels der Uhrfeder¬
verschiebung für jeden Fall einstellbare optimale d. h. minimale Rohr¬
länge, da die Grösse des Gesichtsfeldes dieser umgekehrt propor¬
tional ist.
Das zweite Ziel der Verbesserungsversuche, die Vereinfachung
des erforderlichen Instrumentariums, ist ebenfalls in weitgehendem
Masse erreicht. Die früheren Bronchoskope mussten in mindestens
4 Weiten und in je 3 Längen vorhanden sein, wenn man allen vor¬
kommenden Fällen vom Säugling bis zum erwachsenen Mann ge¬
recht werden wollte. Dazu kamen die verschiedenen Röhrenspatel,
die teilbaren Einführungsspatel, die Verlängerungstrichter. Das jetzige
Instrumentarium enthält nur 4 Doppelrohre in den Weiten 12, 10,
8,5, 7 mm. Die Längen der Röhrenspatel und der zusammengesetzten
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
X. u2
—
Tuben sind s.o bemessen, dass auch alle vorkommenden Fälle von
Oesophagoskopia, Tracimoskopie, unterer Bronchoskopie, direkter
Hypopharyngoskopie mit den 4 Grössen bewältigt werden können,
kür Üesophagoskopie beim Erwachsenen ist nocli ein Tubus von
14 mm vorgesehen.
Ad 2. An den Operationsinstrumenten hat Vortragender eine
Reihe von Verbesserungen ausgetiiiirt, deren wesentlichste in einem
Verlängerungsmechanismus besteht. Die eigenartige Vorrichtung er¬
möglicht es, während der Arbeit die Länge der Pinzette, Kürette etc.
auf die jeweilige Bronchoskoplänge einzustellen. Weitere Vorzüge
des neuen Instrumentes liegen in der Konstruktion des Griffes, wel¬
cher ohne merklichen Kraitauiwand sowohl ein Schliessen wie ein
aktives Oeffnen — ein Spreizen — der Branchen des Instrumentes
gestattet.
Eine Erleichterung der Handhabung und eine Sicherung des Er¬
folges wird bei der jetzigen Konstruktion in erster Linie durch die
Veränderlichkeit der Länge erreicht, da sie das Arbeiten mit mög¬
lichst kurzen Instrumenten und vollständige Annäherung des Auges
an das Rohrende ermöglicht. Auch der Dilatationsmechanismus, der
zur Lösung eingekeilter und zum Umfassen obturierender Fremdkör¬
per dient, sichert im Verein mit den hier nicht näher zu beschreiben¬
den neuen Eassorganen die erfolgreiche Behandlung aspirierter und
verschluckter Fremdkörper.
Der Verlängerungsmechanismus vereinfacht die Ausrüstung an
Operationsinstrumenten ähnlich wie bei den bronchoskopischen
Röhren: Eine verlängerbare Zange ersetzt 3 — 4 Längen des älteren
Modells. Man kann mit 3 Instrumenten (Krallenzange, Löffelzange,
Doppelkürette) den meisten Aufgaben gerecht werden, was bei der
Kostspieligkeit dieser Instrumente von besonderer Bedeutung ist.
Ad 3. Die nach Ansicht des Vortragenden bedeutungsvollste
Neuerung betrifft die Beleuchtungsfrage. Die Erfahrung hat gelehrt,
dass die erfolgreiche Handhabung der bisher besten Lichtquelle, der
K i r s t e i n sehen Stirnlampe dem Anfänger Schwierigkeiten bereitet
und auch später fortgesetzter Uebung bedarf. Das ebenfalls zur
Bronchoskopie verwendete Casper sehe Panelektroskop liefert zu
wenig Licht, hindert bei instrumenteilen Arbeiten und macht das Ein¬
führen starrer Bougies oder Vorschieberohre unmöglich. Es galt also
ein Elektroskop zu bauen, welches die Vorteile der mit dem Rohr
verbundenen Beleuchtung — dauernd gute Einstellung des Lichtes
und der Stirnlampe, unbehinderte Führung der Instrumente — mit¬
einander verbindet.
Die genaue Konstruktion dieses Elektroskops kann im Referat
nicht wiedergegeben werden. Die hauptsächlichsten Eigentümlich¬
keiten sind: 1. Die Erzeugung parallelstrahligen, mit der Rohrachse
genau zusammenfallenden Lichtes. Erreicht ist dies durch Konstruk¬
tion einer Kohlenfaden-Glühlampe, deren Brennerform der Nernst-
Projektionslampe nachgebildet ist, durch Anwendung optisch richtiger
Kondensatoren, welche von dem Kreuzungspunkt der Glühstäbe nahe¬
zu parallelstrahliges Licht liefern, und durch doppelte Verstellbarkeit
des die Lichtstrahlen in den Tubus reflektierenden, zentral durchbohr¬
ten Planspiegels. 2. Das Durchstecken von Vorschieberohren etc. ist
dadurch ermöglicht, dass man den Reflexionsspiegel zur Seite klap¬
pen kann, wonach er genau in die alte Lage wieder einschnappt.
3. Die freie Handhabung der Instrumente bei operativen Arbeiten er¬
forderte einen Mechanismus, mit dem man die Lampe genau in der
Verlängerung der Rohrachse von dessen oberem Ende entfernen
kann. Dieser Mechanismus war technisch gut ausführbar: die Lampe
kann mit einem Griff hochgezogen werden bis zu mehr als 10 cm Ab¬
stand vom oberen Rohrende. Dieser Abstand gibt dem Griff der ver¬
längerbaren Instrumente selbst dann noch freien Spielraum, wenn .sie
um 10 cm falsch eingestellt sind.
Das neue Elektroskop hat die Form des vom Vortragenden an¬
gegebenen Bronchoskophandgriffes. Es gestattet freie Führung der
Instrumente und bringt mehr Licht an das Rohrende als die bisherigen
Beleuchtungsmethoden. Die Einfachheit der Handhabung macht eine
besondere Uebung unnötig.
(Vorführung einer Bronchoskopie am .sitzenden Patienten mit
dem neuen Instrumentarium.)
Herr v. Eicken: a) Meine Kasuistik der Bronchoskopie,
b) Ueber Hypopharyngoskopie. (Mit Demonstrationen.) (Die
Vorträge erscheinen in den Berichten des Vereins süddeutscher
Laryngologen.)
Herr Killian: a) Ueber den Mund der Speiseröhre.
Die Speiseröhre besitzt an ihrem oberen Ende im Bereiche
des Musculus cricopharyngeus und eine kurze Strecke nach ab¬
wärts davon eine Einrichtung, welche sich ganz ähnlich ver¬
hält wie die Cardia des Magens. Die Speiseröhre wird hier
durch tonische Kontraktion dauernd geschlossen gehalten und
öffnet sich nur beim Schlucken, Würgen und Erbrechen, durch
Hemmung der tonischen Innervation der Schliessmuskulatur.
■Sehr bemerkenswert ist, dass der Mund der Speiseröhre, wenn
er klafft, eine halbmondförmige Falte zeigt, die dem Beginne
des unteren Drittels der Ringknorpelplatte entspricht, quer über
die hintere Rachenwand zieht und sich beiderseits nach vorn
zu der genannten Platte hin erstreckt. Die Falte stellt ein Ana¬
logon des Passava n t sehen Wulstes dar, der sich am
oberen Ende des Constrictor superior, gegenüber dem Gaumen¬
segel, bildet und den Nasenrachen abschliessen hilft.
Eine Reihe von klinischen Erscheinungen finden auf Grund
der neuen Beobachtungen Killians eine einfache Erklärung,
und ganz besonders gewinnt die Lehre von der Entstehung
der Pulsionsdivertikel der Speiseröhre an Klarheit. Es er¬
gibt sich zugleich, dass diese Divertikel von jetzt an als Hypo¬
pharynxdivertikel bezeichnet werden müssen, weil sie über
dem Munde bezw. der Lippe dieses Mundes (d. h. der genann¬
ten halbmondförmigen Falte) gelegen sind. Die Lippe ist iden¬
tisch mit dem, was Killian früher als Schwelle des Diver¬
tikels bezeichnet hat.
Die K'i 1 1 i an sehen Beobachtungen sind mit Hilfe ver¬
schiedener Methoden der Hypopharyngoskopie sowie mit der
Oesophagoskopie angestellt und werden demnächst ausführlich
veröffentlicht.
b) Ueber perineurale Injektionen anästhesierender Lösun¬
gen innerhalb der Nasenhöhlen.
Die Verteilung der Nervenäste innerhalb der Nasenhöhlen
ist eine verhältnismässig einfache, auch sind die Hauptstämme
leicht zu finden. Am Septum sowohl wie an der lateralen
Nasenwand haben wir ein vorderes Gebiet, welches von einem
Aste des Nervus ethmoidalis versorgt wird und ein hinteres
Gebiet, das seine Nerven aus dem Ganglion spheno-palatinum
erhält. Der Septumast dieses Ganglions ist der bekannte Ner¬
vus nasopalatinus Scarpae. An der lateralen Nasenwand er¬
hält jeder einzelne Teil von hinten her einen besonderen Ner¬
venast. Vermittels einer Spritze, die mit einer langen Nadel
versehen ist, gelingt es leicht, an die genannten Nervenstämm-
chen einige Tropfen einer leichten Adrenalin-Kokainlösung zu
injizieren und so die bezüglichen Versorgungsgebiete unemp¬
findlich zu machen. Diese Art der Anästhesierung hat sich sein-
nützlich erwiesen bei der Killian sehen subinukösen Septum¬
resektion und zur Anästhesierung der Kieferhöhlenschleimhaut
vor der Radikaloperation.
c) Die Aetzung der 4 Punkte.
Bei denjenigen nasalen Reflexneurosen, die unter dem
Namen Rhinitis vasomotorica zusammengefasst werden, ein¬
schliesslich des Heuschnupfens und des Asthma bronchiale na¬
salen Ursprungs lässt sich eine Hyperästhesie, insbesondere der
vorderen Abschnitte der Nasenhöhlenschleimhaut (insoweit sie
vom Nervus ethmoidalis versorgt wird) nachweisen. Dabei
findet man eine Stelle im Bereiche des vorderen Endes der
mittleren Muschel und eine zweite am Tuberculum septi be¬
sonders empfindlich. Es scheint, dass jederseits von
diesen beiden Stellen aus die Reflexe hauptsächlich ausgelöst
werden. Aetzt man in einer Sitzung alle 4 Punkte auf
einmal mit Trichloressigsäure, so erhält man in vielen Fällen
inr kürzere oder längere Zeit wesentliche Besserungen und
selbst Heilungen. Killian empfiehlt dieses Verfahren auf das
wärmste.
Sitzung vom 17. Mai 1907.
Herr Kraske: Von welchem Einfluss sind die neuen
pathologisch-anatomischen Untersuchungen des Wurmfort¬
satzes auf das Verhalten des Arztes bei der Epityphlitis.
Di kussion: Herren B ä u m 1 e r, Br i't n i n g, R o o s,
W. Hildebrandt, A s c h o f f, K r ö n i g, Kraske.
Medizinischer Verein Greifswald.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Bleib treu.
Schriftführer: Herr Ritter.
Herr Sauerbruch: a) Ueberblick über die Technik der
Operation hochsitzender Rektum- und Flexurkarzinoine.
S. bevorzugt den sakralen Weg, der einen ausreichenden
Zugang verschafft. Die Idealmethode ist die von Höchen-
e g g angegebene sogen. Dnrchziehmethode mit Erhaltung des
Sphinkter. Letztere hält S. für so wichtig für die Kranken,
dass man sie nur aus ganz zwingenden Gründen opfern sollte.
Nur in den Fällen hält Vortr. die Laparotomie für indiziert,
wo Unklarheit über Grösse, Sitz und Ausdehnung des Tumors
1703
besteht, also Orientierungslaparotomie, event. zur Anlegung
eineSb)AResektion' Darm (1 m Dünn-, 20 cm Dickdarm)
wegen multipler Darmfisteln nach Perityphlitis, platte Heilung.
" c) Demonstration einer von schwerer Trigeminusneuralgie durch
F\stiroation des Ganglion Gasseri geheilten Frau.
E Operation nach L e x e r - T u s c h i n g mit temporarer Resektion
des Jochbeins, welche eine sehr gute Uebersicht gewählt. In einem
anderen von S. operierten Fall genügte dieser Zugang zur Freilegung
dU ^He r r bp eY pe'r : 6 Ueber Militärtauglichkeit und Säuglings¬
sterblichkeit. ,
Die Behauptung, hohe Sterblichkeit wirke im Sinne dei
Darwinschen Auslese, wird an der Hand der von Prin¬
zin g hervorgehobenen statistischen Beläge zurückgewiesen.
Vortr hat für den Kreis Greifswald nachgewiesen, dass in den
Städten des Kreises mit hoher Säuglings- und Kindersterb¬
lichkeit die Militärtauglichkeit eine geringere ist, als auf dem
Lande, wo die umgekehrten Verhältnisse vorliegen, (erscheint
in der’ Deutsch, militärärztl. Zeitschr.)
Herr Mangold: Physiologische Beobachtungen und
Versuche an Echinodermen, mit besonderer Berücksichtigung
des Nervensystems.
Bei See- und Schlangensternen können abgetrennte Arme
sich noch bewegen, ausdehnen, ja Fressbewegungen machen,
doch beteiligen sich Arme, deren Nerv an der Basis durch¬
schnitten ist, nicht an den Bewegungen des übrigen Tieres,
da durch die Neurotomie der operierte Arm isoliert wird.
Nervenleitung durch die Haut existiert nicht. Die Koordination
der Bewegungen durch die Amelolakralfüsschen wird allein
durch den zentralen Nervenring und die Radialnerven ver¬
mittelt und geht so weit, dass sämtliche Fiisschen in der
gleichen Richtung schlagen, auch die, welche den Boden nicht
berühren. An einigen Seesternen ruft Reizung stets Er¬
schlaffung der Muskulatur hervor, während sich dieselbe in der
Ruhe langsam kontrahiert.
Sitzung vom 1. Juni 1907.
Vorsitzender : Herr B 1 e i b t r e u.
Schriftführer: Herr J u n g.
Herr Ritter: Ueber Prostatektomie.
Vortr. berichtet über die von ihm operierten Fälle von Prostata¬
hypertrophie, bei denen er stets die perineale Methode anwandte.
Er stellt einen 69 jährigen und einen 75 jährigen geheilten Patienten
vor, bei denen beiden die Urinentleerung vollkommen normal vor sich
geht.
Psychische Störungen nach der Operation wurden me be¬
obachtet.
Der Eingriff wurde stets unter Lumbalanästhesie ausgeführt und
die Prostata wenn möglich in t o t o stumpf ausgelöst. Die Blase
wird stets breit eröffnet und für einen Tag drainiert. Am 2. 1 age
nach der Operation sollen die Patienten aufstehen. Sobald die Wunde
granuliert, wird die Urethra bougiert.
Es ist fraglich, ob es richtig ist, die ganze Drüse zu entfernen,
vielleicht sollte man nur die Seitenlappen exstirpieren und den Rest
kauterisieren.
Herr Wittmaack: Ueber Schädigung des Gehörs durch
Schalleinwirkung.
Bericht über eine grössere Zahl von Experimenten, bei denen
es ihm sowohl durch länger fortgesetzte kontinuierliche Schallein¬
wirkung bei gleichzeitiger Knochenschallzuleitung, als auch durch
einmalige bezw. wiederholte kurzdauernde Schallwirkung gelang, bei
Meerschweinchen Gehörorganschädigungen hervorzurufen. Diese be¬
stehen in Alteration des peripheren Neurons (Sinneszellen, Nerven¬
zellen, Ganglienzellen) und in regressiven Prozessen in der Stützsub¬
stanz des C o r t i sehen Organs. Bei analogen Erkrankungen beim
Menschen handelt es sich wahrscheinlich um eine professionelle bezw.
Detonationsneuritis.
(Erscheint in der Zeitschr. i. Ohrenheilk.)
Herr L a n d o i s zeigt:
1. Präparat von — wahrscheinlich syphilitischer — schwerer
Leberzirrhose mit einem hühnereigrossen malignen Leberadenom, das
von den Leberzellen selbst ausgegangen ist.
2. Neuroma myelinicum gangliocellulare der Submukosa des
Magens, haselnussgross (zufälliger Sektionsbefund).
Herr Runge zeigt einen Acardius acephalus (Zwilling).
Sitzung vom 6. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr Bleib treu.
Schriftführer: Herr Jung.
Herr P ei per: Ueber Pneumokokkenperitonitis bei Kindern.
Bericht über einen Fall aus der Greifswalder Kinderklinik.
4 jähriges Mädchen erkrankte unter Fieber und heftigen abdominalen
Symptomen. Eitererguss in der Bauchhöhle durch Probepunktion
festgestellt. Im Eiter wurden nur Pneumokokken konstatiert. Breite
Eröffnung "und Drainage des Abszesses, Exitus an allgemeiner Peri¬
tonitis. Bei der Sektion ergab sich als Ausgangspunkt eine alte
Pleuro-Pneumonie, welche zu einem subphrenischen Abszess und
konsekutiv zu der Pneumokokkenperitonitis geführt hatte.
Herr E. Schul tze: Ueber Dementia praecox. (Mit Kranken¬
vorstellungen und Demonstrationen.)
Vortr. bespricht den heutigen Stand der Lehre der Dementia
praecox und belegt seine Ausführungen durch Voi Stellung verschie¬
dener Kranker und Projektion von charakteristischen Schriftstücken.
Herr Ritter: Experimentelle Untersuchungen über Ein¬
klemmung von Brüchen.
Da über die Entstehung der Brucheinklemmung bisher ge¬
nügend klare Anschauungen nicht bestehen, hat R. an Hunden
Versuche angestellt. Wurde eine Darmschlinge durch einen
engen Ring gesteckt und dann durch mechanische, elektrische
Reizung, Adrenalin oder Umschnürung ein kräftiger Kontrak¬
tionsring hervorgerufen, so machte die Anämie eine Lähmung
der Darmwand, die dann mehr in sich aufnehmen kann, bald
darauf tritt Hyperämie und Stauung ein. Auch bei Durch¬
pressen einer Schlinge durch einen engen Spalt sieht man der
Anämie bald eine Stauungshyperämie folgen, die dann zur
dauernden Behinderung der weiter gewordenen Schlinge führt.
Die Versuche werden am lebenden Hund demonstriert und
zahlreiche Präparate vorgelegt.
Köln.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu
(Bericht des Vereins.)
VIII. Sitzung vom 29. April 1907.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr Horn: Diagnose und Therapie der Ovarialtumoren in der
Schwangerschaft.
Herr Horn berichtet zunächst über 2 Fälle:
1. 30 jährige Frau, die 2 normale Geburten und 2 Aborte durch¬
machte. Gerufen am 8. XII. 03. Letzte Menstruation am 8. X., aber
schwächer als sonst. Seit 4 Wochen heftige, krampfartige Schmerzen
im Leibe links unten, so dass sie kaum stehen kann. Uterus ver-
grössert, nach rechts gedrängt durch eine linksseitige, das Scheiden¬
gewölbe etwas vorbuchtende, weiche Geschwulst von Kinderfaust¬
grösse. Der Befund wird in Chloroformnarkose anderen Tages be¬
stätigt, daher in selber Narkose Laparotomie. Differentialdiagnose
schwankt zwischen linker Tubargravidität und linke m
Ovarialtumor in graviditate mit Stieldrehung.
Links von dem etwas nach rechts verlagerten Uterus liegt unter der
normalen Tube eine multilokuläre, in das kleine Becken eingekeilte
Ovarialzyste in Verwachsungen eingebettet. Abtragung des Tumors
nach Losschälung aus den Verwachsungen, extraperitoneale Lagerung
des Stumpfes soweit möglich. Etagennaht, Verband. Verlauf gut,
Heilung per primam. Nach 8 Tagen stellt sich Blutung ein, die sich
allmählich so verstärkt, dass am 30. XII. in Chloroformnarkose der
Abort manuell entfernt wird; leichte Ausschabung, intrauterine Spü¬
lung und Tamponade. 11. 1. gesund entlassen. Pat. ist seit Mitte
November 1906 wieder in graviditate.
Sehr ungemütlich war die kurz nach der Laparotomie nötige
Ausräumung des Uterus. Hätte die Diagnose sicher Tubargravidität
einerseits, andererseits Stieldrehung des Ovarialtumors — der Tumor
war eingekeilt ins Becken und adhärent, daher die Schmerzen —
ausschliessen können, so hätte man natürlich abwarten dürfen, dann
später bei beginnendem Abort ausräumen und nach einiger Zeit die
Laparotomie anschliessen können. In Anbetracht der Sachlage und
der gestellten Diagnose musste sofort laparotomiert werden.
2. 20 jährige Kaufmannsfrau, am 29. VII. 04 vom Kollegen über¬
wiesen. Am 5. III. Zangenentbindung, stillte 2 Monate. 15. V. letzte
Menstruation, 8 tägig, stark; scharfer, gelber Fluor. Gleich hinter
der Symphyse liegt der vergrösserte Uterus (II. mens.), hinter ihm
im Douglas eine längliche, birnenförmige Geschwulst; rechtes
Ovarium normal. Different. ialdiagnose: linke Tubar¬
gravidität oder linker’ Ovarialtumor in gravidi¬
tate mit grosser Beweglichkeit des Stieles (also
Torsionsgefahr). 13. VIII.: In Chloroform-Aethernarkose Laparotomie.
Der Tumor liegt in Mannsfaustgrösse (Wachstum in graviditate hier
sicher!) vor dem vergrösserten, weichen (II. mens.) Uterus au
langem, leicht beweglichem Stiel. Ueber der Ovarialzyste war die
Tube lang und posthornartig ausgezogen. Exstirpation leicht; extra¬
peritoneale Versenkung des Stieles durch Uebernähung mit Peri¬
toneum. 3 fache Etagennaht, Verband. Verlauf tadellos. Normale
Entbindung ohne meine Hilfe, weil ich den Abort nicht eingeleitet
hatte (Pat. hatte sich, wie ich nachträglich hörte, nur zu dem
Eingriffe entschlossen, weil sie annahm, die Frucht würde mitent¬
fernt). , ....
Während in Fall 1 heftige Schmerzen die Frau zum Arzt fuhren
und die Operation infolge der Diagnose erfordern, nach der Laparo¬
tomie der Abort auftritt, hat die 2. Patientin keinerlei Beschwerden,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
die Gravidität bleibt post laparotomiam bestehen. Trotzdem war
im Falle 2 die Operation rücksichtlich des langgestielten Tumors,
der bei der ersten Untersuchung im Douglas und bei der Operation
anteuterin lag, absolut nötig in Hinblick auf Gefahr der Torsion in
gravid, weniger als in puerperio. Dass in Fall 1 die Frucht nicht zu
halten war, ist wohl nicht dem Eingriffe zuzuschreiben. Pat. hatte
schon 2 Aborte, die jedenfalls prädisponierend wirkten. Hinzu kam
die Einklemmung des adhärenten Ovarialtumors, die sehr oft Abort
herbeiführen soll. Vielleicht waren die Schmerzen ante opera-
tionem schon teilweise auf Kosten des beginnenden Aborts zu setzen.
Diagnose, vor allem die Differentialdiagnose und Therapie —
unter allen Umständen die Operation — wird besprochen. Die vor¬
dere Kolpotomie wird verworfen, die hintere für geeignete Fälle
empfohlen, die Laparotomie bevorzugt. Erwähnt werden 2 Fälle von
Follikel-Lutein-Zysten bei Blasenmole, die in beiden Fällen nach
Ausräumung des Uterus unter genauer Beobachtung zurückgingen,
ohne weitere Erscheinungen und somit ihre Harmlosigkeit bewiesen.
Mau wartet deshalb bei ihnen mit der Operation, bezw. hat sie nicht
nötig, im Gegensatz zu den Ovarialtumoren bei normaler Gravidität,
die sofort zu operieren sind.
Diskussion: Herr Füth: Ich stehe gleichfalls auf dem
Standpunkte, dass ein Ovarialtumor in der Schwangerschaft die
Laparotomie indiziert und möchte kurz von einem Falle berichten,
in welchem ich eine Schwangerschaft des 2. bis 3. Monats und links
neben dem Uterus einen kleinen Ovarialtumor diagnostiziert hatte.
Ich beschloss, den Tumor einige Zeit zu beobachten, aber 8 Tage
später kam die Frau in die Klinik und musste sofort wegen ge¬
platzter Tubargravidität operiert werden. Selbst bei offener Bauch¬
höhle war der Uterus noch so gross, dass eine gleichzeitige intra¬
uterine Gravidität angenommen wurde;' später ging aber nur eine
Dezidua ab. Wie auch der Vortragende schon ausführte, ist eben die
Differentialdiagnose zwischen intrauteriner Gravidität mit Ovarial¬
tumor und Tubargravidität mit sekundärer Vergrösserung des Uterus
oft nicht leicht.
Der Standpunkt, dass ein Ovarialtumor in der Gravidität die
Entfernung bedinge, wird nicht überall geteilt, aber ich bin darauf
angesichts der verhältnismässig zahlreich miterlebten Fälle, in denen
intra partum Uterusruptur wegen Einkeilung des Ovarialtumors ein¬
getreten war, immer wieder zurückgekommen. Und was die Aborte
nach der Operation angeht, so ist ja mit Recht darauf hingewiesen,
dass eben in einem bestimmten Prozentverhältnis auch sonst Unter¬
brechung der Schwangerschaft beobachtet wird. Dann möchte ich
an den Herrn Vortragenden noch eine Frage richten, die das recht¬
liche Verhältnis zwischen Arzt und Patientin betrifft. Er sprach da¬
von, dass er oft in Narkose untersucht und daran unter Umständen
sofort einen Eingriff angeschlossen hat. Ich möchte fragen, ob er
sich vorher stets die Einwilligung geben lässt oder welche Vorsichts-
massregeln er sonst trifft.
Medizinische ^Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. Juni 1907.
Vorsitzender : Herr Curschtnann,
Schriftführer; Herr Ri ecke.
Herr M a r c h a n d demonstriert folgende Geschwulstpräparate:
1. Grosses doppelseitiges Ovarialkystom mit ungewöhnlich aus¬
gedehntem Pseudomyxoma peritonei.
Die jetzt 62 Jahre alte Frau hatte vor 10 Jahren Stärkerwerden
des Leibes bemerkt; seit Weihnachten 1906 trat sehr viel stärkere
Zunahme ein, die sich bald so steigerte, dass die Frau unfähig zu
gehen war, sich auch nicht mehr selbst im Bett umdrehen und
schliesslich kaum noch etwas gemessen konnte. Sie starb wenige
läge nach ihrer Aufnahme in das Krankenhaus unter zunehmenden
Stauungserscheinungen. Trotz der im Laufe der letzten Monate er¬
folgten Abmagerung des Körpers betrug das Gewicht der Leiche
noch 129 kg bei einer Körperlänge von 157 cm und einem Leibes¬
umfang von 153 cm. Die enorme Auftreibung des Bauches erhielt
noch ein besonders eigentümliches Aussehen durch einen dicken
russelartigen Vorsprung von 11 cm Länge und etwa Faustdicke am
Nabel, einen stark vorgetriebenen Nabelbruch. Der Abstand des
Proc. xiphoideus^ bis zum oberen Rande dieses Nabelbruches betrug
5J cm, bis zur Symphyse 85 cm. Es bestand ziemlich hochgradiger
Exophthalmus; die Haut des Gesichts war dunkel gerötet. Bei der
durch Dr. Verse ausgeführten Sektion am 6. VI. 07 (No. 776) ent¬
leerte sich aus der Bauchhöhle eine dunkel blutig gefärbte, mit vielen
gallertigen Massen gemischte Flüssigkeit, im ganzen 20 Liter. Die
untere Brustapertur war. sehr weit, so dass die Interkostalräume
stark zusammengeschoben waren, und die 5. Rippe rechts über die
4. Rippe gedrängt war. Der grösste Teil der Bauchhöhle war durch
zwei kolossale, den Ovarien . angehörige zystische Tumoren von
20 kg Gewicht eingenommen; die Länge des rechten Ovarialtumors
war 30 cm, die Breite 19,5, die grösste Dicke 12 cm. Die Masse des
sehr viel grösseren linken Tumors waren 50 cm, 30 cm und 28 cm.
Die beiden hier vorliegenden Tumoren haben im ganzen noch
die Form der Ovarien, ihre Oberfläche ist grösstenteils glatt und
glanzend; sie sind sehr dünnwandig, so dass sie bei der Herausnahme
leicht einrissen. Sie bestehen aus einer grossen Anzahl ebenfalls
dünnwandiger Zysten von sehr verschiedenem, meist beträchtlichem
Umfang. Ihre Konsistenz ist fluktuierend, doch entleert sich aus den
eröffneten Zysten nur zäher gallertiger Inhalt, keine Flüssigkeit. Auch
auf einem später angelegten Durchschnitt zeigen beide Tumoren
eine sehr gleichmässige Zusammensetzung aus meist grossen, dünn¬
wandigen Zysten, zwischen denen nur stellenweise kleinere, zum Teil
auch dickwandige Zystchen Vorkommen.
Der zwischen beiden Tumoren gelegene, mit dem linken ziemlich
fest verwachsene Uterus ist vergrössert, besonders verlängert (13 cm
lang), auch beide Tuben sind sehr lang ausgezogen.
Besonders eigentümliche Verhältnisse bietet das gesamte Peri¬
toneum; das grosse und kleine Netz ist sehr dick und vollständig mit
durchsichtigen, gelblichen, gallertigen Klumpen durchsetzt, die wie
grosse Beeren überall vorspringen; ein dicker Netzstrang ist in
dem Nabelbruchsack fixiert, den er zum Teil ausfüllt; ebenso ist auch
dessen Innenfläche mit ähnlich durchscheinenden gallertigen Massen
besetzt. Gleiche Massen haften an der Oberfläche des Peritoneum
in der Excavatio utero-vesicalis und retrouterina und erstrecken sich
weiter aufwäfts auf die Oberfläche des Uterus und die Ligamenta
lata. Die Leber ist mit der unteren Fläche des Zwerchfells durch
eine Schicht durchscheinender gallertiger Massen verbunden, die auch
die noch freien Teile der Oberfläche, zum Teil in Gestalt einzelner
von einer glatten Membran überzogener, flachrundlicher, durchschei¬
nender Knoten bedecken, und sich auch besonders in der Nachbar¬
schaft der Gallenblase vorwölben. Auch die Milz ist durch eine ähn¬
liche gelatinöse Schichte mit dem Zwerchfell und der Nachbarschaft
verwachsen; die Innenfläche der Bauchwand ist mit einer festhaften¬
den, teils gallertigen, teils hämorrhagischen Schicht überzogen. Am
Colon descendens hängen durchscheinende, gelbliche, gallertige
Knoten, wie vergrösserte Appendices epiploicae, denen sie auch tat¬
sächlich entsprechen.
Die Affektion macht zunächst den Eindruck einer sehr ausge¬
dehnten Metastasenbildung eines Gallertkarzinoms, doch unterschei¬
den sich die grösseren durchsichtigen, weichen Knoten von solchen
schon durch ihr homogenes, gleichmässiges Aussehen und die feine
membranöse Umhüllung; beim Durchschneiden zeigen diese Massen
einen homogenen geleeartigen Inhalt, der an vielen Stellen zum Teil
am Netz frei hervorquillt, bei etwas derberen Knoten aber von
feinen Fasern und Gefässen durchzogen ist.
Dementsprechend izeigt auch die mikroskopische Untersuchung
nirgends grössere Mengen epithelialer Zellen, die den Eindruck einer
selbständigen Wucherung machen; meist finden sich in dem galler¬
tig.611 Gewebe der Knoten feine Bindegewebsfasern und dichtere
Bündel von solchen, die in radiärer Richtung von der Basis gegen
die Oberfläche ziehen und hier mit der begrenzenden Membran Zu¬
sammenhängen oder ein unregelmässiges Fachwerk bilden. Mit den
basern verlaufen feine Blutgefässe, die sich auch oft an der Ober¬
fläche verbreiten. Dazwischen liegen grössere, stark fettig ent¬
artete Zellen von länglicher oder rundlicher Form, ohne bestimmtem
Charakter. In den weichen Gallertmassen fehlen die Bindegewebs¬
fasern.
Die dünnwandigen Zysten der beiden Kystome sind mit einem
einschichtigen Epithel bekleidet, dessen Zellen teils platt, teils zylin¬
drisch und, von der Fläche gesehen, sehr polymorph sind. Diese
Zellen sind eigentümlich körnig, nicht durch Fetttröpfchen, sondern
duich mattglänzende undeutlich abgegrenzte Sekretklümpchen aus¬
gefüllt. Bemerkenswert ist die sehr zähe, gallertige, überall gleich-
massig durchscheinende, gelbliche Inhaltsmasse, die sich von dem
gewöhnlichen Verhalten des Pseudomuzin der Ovarialkystome durch
eine sehr starke Muzinreaktion, vollständige Fällung durch
Essigsäure auszeichnete; die in destilliertem Wasser flockig verteilte
Gallerte gibt beim Kochen fast keine Trübung der Flüssigkeit, bei Zu-
satz von Essigsäure ballen sich diese Flocken zu weissen, festeren
Massen zusammen. Ebenso tritt unter dem Deckglas eine vollständig
streifige Ausfällung durch Essigsäure ein (Paramuzin).
Aus dem ganzen makro- und mikroskopischen Verhalten der
gallertigen Massen am Peritoneum geht mit Sicherheit hervor, dass
es sich um ein ungewöhnlich umfangreiches Beispiel von Pseudo¬
myxom handelt, wie es zuerst von Werth so treffend geschildert ist.
Dei Austritt der gallertigen Massen aus den Kystomen, die sich teil—
\\ eise noch frei in der Peritonealhöhle fanden, hat wahrscheinlich
mehrfach statgefunden, wodurch sich die stärkere Zunahme des Um¬
fangs im Laufe des letzten halben Jahres erklärt. Frische und ältere
Einrisse der Zystenwände waren bei der Sektion nicht sicher zu
unterscheiden, da auch bei der Herausnahme der sehr dünnwandigen
Geschwülste leicht Rupturen eintraten, aus denen sich reichliche
Gallertmassen entleerten.
2. Melanotische Geschwulst an der Plantarfläche der 4. Zehe des
rechten Fusses mit verbreiteten Metastasen auf dem Lymphwege.
Die Geschwulst hatte sich bei der jetzt 60 jährigen Frau aus
einem Pigmentfleck entwickelt. In der rechten Leistengegend hatte
sich ein grosser Drüsentumor gebildet, so dass eine Operation aus¬
sichtslos erschien. Der Tod erfolgte plötzlich an Lungenembolie am
10. Juni vorm. Die Sektion ergab folgenden Befund:
Die Geschwulst an der 4. Zehe, 4,5 cm lang, 3 cm breit, hat
etwas pilzförmig überhängende Ränder und ist oberflächlich ulze-
riert, ziemlich derb und tiefschwarz pigmentiert. An der Basis der
Zehe finden sich in der Nachbarschaft mehrere Gruppen schwarzer,
an der Oberfläche hervortretender Knötchen. Von hier aus ziehen
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1705
nach aufwärts bis etwa zur Mitte des Fussrückens mehrere variköse
Stränge, -die etwas bläulich -durch die Haut hindurchschimmern und
am meisten an kleine variköse, thrombosierte Hautvenen erinnern.
Grössere variköse Venen finden sich an beiden Unterschenkeln zu¬
gleich mit rötlichbraun pigmentierten Narben. An der Innenfläche
des rechten Unterschenkels kommen sehr zahlreiche intensiv
schwarze Knötchen und Punkte in der Haut zm Vorschein, ähnliche
sehr kleine, wie eingesprengte Pulverkörner aussehende schwarze
Punkte an der Innenfläche des Oberschenkels. Beim Ablösen der
Haut des Fussrückens erweisen sich die varikösen Stränge augen¬
scheinlich als sehr ungleichmässig ausgedehnte, mit intensiv schwarzer
Masse gefüllte Lymphgefässe, deren Dicke bis zu 5 — 8 mm beträgt:
die stärkeren Anschwellungen hängen zum Teil nur durch ganz feine
schwarze Fäden zusammen. Von hier aus lassen sich mehrere stark
verdickte und intensiv schwarze Lymphgefässe an der medialen Seite
des Unterschenkels und des Oberschenkels bis zu den stark ge¬
schwollenen Inguinaldrüsen verfolgen; an der Innenfläche der Haut,
in der Gegend der kleinen schwarzen Knötchen, sind ebenfalls zahl¬
reiche kleine schwarze Lymphgefässe erkennbar. Die Dicke des
Hauptstranges beträgt stellenweise mehrere Millimeter. Die bis zum
Umfange von Walnüssen und mehr vergrösserten Drüsen erstrecken
sich, nach aufwärts allmählich abnehmend, an der hinteren Bauchwand
nach aufwärts zu beiden Seiten der Aorta; links finden sich ebenfalls
mehrere Drüsen 'derselben Beschaffenheit; alle sind tiefschwarz und
so weich, -dass sich beim Durchschneiden eine teerartige Masse ent¬
leert. Beide Schenkelvenen sind nach aufwärts bis zur Iliaca com¬
munis mit teils frischeren, teils älteren bräunlichroten Thromben ge¬
füllt, ganz frei von Geschwulstmassen, doch kommen stellenweise
neben den grossen Gefässen feine schwarze Lymphgefässe zum Vor¬
schein. Die Mesenterialdrüsen sind frei von Pigment; dagegen sind
einige Bronchialdrüsen stark geschwollen, tief schwarz und weich,
auch im vorderen Mediastinum treten einige kleine schwarze Lymph¬
knötchen hervor; ferner sind die linken Axillardrüsen grösstenteils
stark bohnengross und schwarz, von den rechten nur einige. Der
Ductus thoracicus ist frei.
Trotz 'dieser ausserordentlich weiten Verbreitung der Ge¬
schwulstmasse auf dem Lymphwege sind nirgends Metastasen in den
Organen, die auf eine Verbreitung durch Blutgefässe zurückzuführen
wären, vorhanden.
Die mikroskopische Untersuchung der weichen
schwarzen Masse zeigt überall gut erhaltene polygonale, durchaus
epithelartig aussehende Zellen mit mehr oder weniger dunkelbraun
oder schwärzlich pigmentiertem Zellkörper und hellem Kerne mit
grossen Nukleolen. Aus denselben Elementen besteht die Fullungs-
masse -der Lymphgefässe. Ein gefärbter Schnitt aus der primären
Geschwulst der Zehe zeigt ein unpigmentiertes bindegewebiges
Stroma mit zahlreichen kleinen Bindegewebszellen, hie und da
stärkere Anhäufung kleiner Rundzellen und reichliche staik ge¬
füllte geschlängelte Gefässe, besonders in der Nähe der ulzeiieiten
Oberfläche. Das bindegewebige Gerüst schliesst sehr zahlreiche,
scharf abgegrenzte rundliche und längliche Hohlräume ein, die die¬
selben polygonalen, teilweise pigmentlosen, meist aber dunkel pig¬
mentierten Zellen enthalten, welche die Räume in dei Regel ganz
ausfüllen, stellenweise aber in einer Reihe der Wand autsitzen,
während sie im Innern locker angehäuft sind. Die Räume bilden ein
zusammenhängendes Kanalsystem, das augenscheinlich den Lympli-
bahnen entspricht. Die Anordnung der Zellen ist vollständig die
eines epithelialen Tumors, den man also als typisches Melano¬
karzinom bezeichnen kann. Die ganz ungewöhnlich verbreitete
Füllung der Lymphgefässe mit pigmentierten Zellen erinnert an die
bekannte Karzinose der subpleuralen Lymphbahnen bei Karzinom des
Magens.
Herr Eber: Ueber die im Veterinärinstitute mit dem
v. Behringschen Tuberkuloseimmunisierungsverfahren bis
jetzt erzielten Erfolge.
Nach den klassischen Untersuchungen v. Behrings und
seiner Mitarbeiter, die inzwischen durch zahlreiche andeie
Autoren (H u t y r a, V a 1 1 e e, R. Koch und Schütz,
v. Baumgarten etc.) bestätigt worden sind, kann es kei¬
nem Zweifel unterliegen, dass die Widerstandskraft junger Rin¬
der gegen eine künstliche (subkutane oder intravenöse) Infek¬
tion mit virulentem tuberkulösen Materiale durch Vorbehand¬
lung mit Tuberkeilbazillen der verschiedensten Herkunft nicht
unwesentlich erhöht werden kann. Fraglich ist es nur, ob der
so erlangte Impfschutz von genügender Stärke und hinreichen¬
der Dauer ist, um auch bei der zwar langsam wirkenden, aber
darum nicht minder gefährlichen natürlichen Infektion wirksam
zu bleiben. Bekanntlich hat v. Behring diese F'rage bejaht
und bereits Ende 1903 einen Impfstoff (menschliche Tuberkel¬
bazillen von bestimmter Herkunft in Pulverform, später
Bovo vakzin genannt) für die Schutzimpfung der Kälber
in der Praxis zur Verfügung gestellt.
Um ein Urteil über die Wirksamkeit des v. Behring¬
schen Tuberkulose-Schutzimpfungsverfahrens gegenüber der
natürlichen Infektion zu erlangen, standen uns zwei Wege
offen: 1. der durch die Praxis selbst gewiesene Weg der Kon¬
trolle möglichst zahlreicher sorgfältig ausgewählter und unter
den verschiedenartigsten Verhältnissen in der Praxis aufge¬
zogener Impflinge vermittels der Tuberkulinprobe, sowie durch
Sektion bezw. Schlachtung; 2. der an sich zwar kürzere, aber
kostspieligere Weg des verstärkten natürlichen Infektionsver¬
suches durch Verbringung einer Anzahl immunisierter und
nicht immunisierter Rinder in Verhältnisse, unter denen sie
wiederholt und jedesmal hinreichend lange Zeit hindurch in
verstärktem Masse der natürlichen Tuberkuloseansteckung
ausgesetzt werden, und Abschlachtung des gesamten Bestan¬
des nach einer nicht zu kurz bemessenen Beobachtungszeit.
Da der zuletzt genannte verstärkte natürliche
Infektionsversuch gegenwärtig abgeschlossen vorliegt
und ein ziemlich eindeutiges Ergebnis gehabt hat, so sei er an
erster Stelle mitgeteilt.
Es standen zu diesem Versuche 4 immunisierte Rinder
und 3 nicht immunisierte Kontrollrinder zur Verfügung, welche,
in zwei Gruppen eingeteilt, in die Versuchsstallungen des Insti¬
tuts eingestellt und im Verlaufe dreier Versuchsperioden mit
zahlreichen durch subkutane Einimpfung tuberkulösen Mate¬
rials tuberkulös gemachten Rindern in möglichst innige Be¬
rührung gebracht wurden. Durch regelmässiges Umstellen der
Versuchstiere wurde dafür gesorgt, dass alle Tiere der Reihe
nach annähernd die gleiche Zeit hindurch in unmittelbarer Nähe
der meist mit grossen tuberkulösen Abszessen behafteten Infek¬
tionstiere zu stehen kamen.
Die erste Infektionsperiode währte von Anfang
Mai bis Ende November 1905. Als Infektionstiere dienten nach¬
einander 6 Rinder, von denen 3 mitten zwischen den Versuchs¬
rindern verendeten und 2 schwer krank getötet wurden. . Ein
Infektionsrind überstand die wiederholten schweren Infektionen
mit virulentem, vom Rinde stammenden Materiale und erwies
sich auch später immun gegen künstliche Einverleibung tubei -
kulösen Materials. Ende November 1905 reagierten die 3 nicht
immunisierten Kontrollrinder auf Tuberkulin typisch, während
die 4 immunisierten Rinder keine Reaktion zeigten. Sämtliche
Rinder wurden zur bequemeren Ueberwinterung auf ein Ritter¬
gut bei Leipzig übergeführt und in einem besonderen Stalle
verpflegt. _ . J .... .
Die zweite Infektionsperiode wählte von An¬
fang April bis Mitte Dezember 1906. Bei der Rückkehr nach
Leipzig reagierte nur noch 1 Kontrollrind. Es standen nach¬
einander wiederum 6 Infektionstiere zur Verfügung, von denen
3 im Laufe des Versuchs verendeten und 3 für die dritte Infek¬
tionsperiode reserviert wurden. Mitte Dezember 1906 reagier¬
ten von den Kontrollrindern 2 positiv und von den immunisiei-
ten 1 zweifelhaft.
Es wurde daher sofort ein dritter Infektions-
versuch angeschlossen, welcher von Mitte Dezember 1906
bis Ende Februar 1907 dauerte und sich dadurch von den frühe¬
ren Versuchen unterschied, dass nunmehr alle 7 Versuchs¬
rinder nebst den inzwischen geborenen 4 Kälbern zusammen
mit 3 Tnfektionstieren in einem gemeinsamen, höchstens für 6
bis 8 Rinder ausreichenden Stalle unangebunden sich selbst
überlassen wurden. Der Stall musste nach Beendigung des
Versuches völlig neu hergerichtet werden, so sehr war alles
durch den hohen Feuchtigkeits- und Ammoniakgehalt der Luft
verquollen und angegriffen. Wir wollten durch diese Ver¬
suchsanordnung eine Verschlimmerung älterer tuberkulöser
Herde und günstige Bedingungen für erneute Infektionen her¬
beiführen. Bei der Mitte Februar vorgenommenen . Tuber¬
kulinprobe reagierte ein immunisiertes Rind und ein nicht im¬
munisiertes Kontrollrind. Von den 4 Kälbern, welche vor Ein¬
stellung in den gemeinsamen Versuchsstall reaktionsfrei be¬
funden waren, reagierte eines. Zur Feststellung des Ergeb¬
nisses wurden sämtliche Versuchstiere Ende Februar bezw.
Anfang März 1907 geschlachtet.
Das Ergebnis der Schlachtung lässt sich dahin
zusammenfassen, dass s ä m m 1 1 i c h e Versuchstiere,
immunisierte und nicht immunisierte, tuber-
kulöse Veränderungen auf wiesen. Von den 3 nicht
immunisierten Kontrollieren zeigte eines nur eine umschrie¬
bene tuberkulöse Hyperplasie einer Mesenteriallymphdruse;
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
zwei zeigten ausser tuberkulöser Hyperplasie der bronchialen
bezw. mediastinalen Lymphdriisen noch tuberkulöse Lungen¬
herde (in einem Falle einen walnussgrossen, im anderen Falle
5 erbsen- bis haselnussgrosse Knoten), eines ausserdem noch
geringgradige Tuberkulose der Mesenteriallymphdrüsen. Von
den 4 immunisierten Rindern zeigten zwei nur tuberkulöse Ver¬
änderungen in den bronchialen bezw. mediastinalen Lymph-
driisen und zwei ausserdem noch je einen hühnereigrossen
tuberkulösen Herd in der Lunge.
Ein durchgreifender Unterschied in dem
Verhalten der immunisierten und nicht im¬
munisierten Rinder konnte somit bei diesem
verstärkten natürlichen Infektionsherd nicht
konstatiert werden.
Der Vortragende wendet sich nunmehr den Ergeb¬
nissen z u, we 1 c h e in der Praxis selbst durch
Kontrolle möglichst zahlreicher, sorgfältig
ausgewählter Impflinge vermittels der Tu¬
berkulinprobe oder durch Sektion bezw.
Schlachtung festgestellt worden sind. Auch
hier ist ein auffallendes Missverhältnis zwischen den erwarteten
und den tatsächlich festzustellenden Erfolgen schon jetzt her¬
vorgetreten.
Die praktischen Immunisierungsversuche wurden auf zwei
grösseren Zuchtwirtschaften in der Altmark im Januar 1904
begonnen und allmählich auf 8 Güter mit den verschieden¬
artigsten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgedehnt. Auf
7 Gütern war es möglich, die Tuberkuloseverseuchung vor Be¬
ginn der Schutzimpfung genau zahlenmässig festzulegen. Die
ermittelten Tuberkuloseziffern schwankten zwischen 43,8 Proz.
und 100 Proz.
In den 3 Berichtsjahren (1904 — 1906) wurden insgesamt
213 Rinder mit Bovovakzin genau nach Vorschrift schutz¬
geimpft. 10 Rinder starben vor Ausführung der zweiten, be¬
kanntlich 3 Monate nach der ersten vorzunehmenden Impfung.
Von diesen wurden 6 seziert. Die Sektion ergab 3 mal Darm¬
entzündung, 2 mal Lungenentzündung und 1 mal Leukämie.
1 uberkulöse Veränderungen wurden bei keinem Tiere fest¬
gestellt. In den 4 nicht sezierten Fällen gaben die Besitzer
Darmentzündung als Todesursache an. Bei 203 Tieren wurde
die Schutzimpfung vorschriftmässig zu Ende geführt. Die Ent¬
wicklung der Impflinge nach der Schutzimpfung war fast aus¬
nahmslos eine gute.
Um ein Urteil über die Wirksamkeit der
Schutzimpfung zu erlangen, wurden Ende 1906 bezw. An¬
fang 1907 auf den Versuchsgütern Tuberkulinprüfungen bei den
noch vorhandenen vorschriftsmässig immunisierten Rindern
ausgeführt. Es wurden insgesamt 148 Rinder mit Tuberkulin
geprüft. Von diesen reagierten 56 = 37,8 Proz. Auf die ver¬
schiedenen Altersklassen verteilen sich die reagierenden Tiere
wie folgt:
von 70 Rindern im Alter von V2— P/2 Jahren reagierten 19 = 27,1 Proz
» 49 „ „ „ P/2—2 „ „ 22 = 44,9 „
” * » - 2— 3'/2 „ „ 15 = 57,7 „
- 3 „ „ „ „ 31/2-4V2 - „ 0 = 0
Bilden wir entsprechend der Nutzung der Rinder nur
2 Altersklassen, nämlich eine für die Rinder im Alter von 14 bis
2 Jahren und eine für die über 2 Jahre alten Rinder, so
reagierten von 119 Rindern der ersten Klasse 41 = 34,5 Proz.
und von 29 Rindern der zweiten Klasse 15 = 51,7 Proz. Bei
81 Rindern war mindestens 1 Jahre nach der letzten Schutz¬
impfung verflossen. Von .diesen reagierten 37 = 45,7 Proz.
Bei 67 Rindern waren erst 2—9 Monate nach der letzten
Schutzimpfung verflossen. Es reagierten von ihnen 19
: 28,4 Proz, Diese Zahlen entsprechen durchaus den Ver¬
seuchungsprozenten, die man auch ohne Anwendung des
Schutzimpfungsverfahrens in stark tuberkulösen Rinder¬
beständen anzutreffen pflegt. Es ist daher die Schutz¬
impfung ohne erkennbaren Einfluss auf die
mit dem Alter und der gesteigerten w i r t -
sch 1 1 1 i c h e n Ausnutzung zunehmende Tu¬
berkuloseverseuchung des Nachwuchses ge¬
blieben.
Auch ein Blick auf die Erfolge, welche im einzelnen
auf den verschiedenen Gütern unter Einwirkung der *so ver¬
schiedenartigen wirtschaftlichen Verhältnisse erzielt worden
sind, lässt keinen Zweifel, dass auf zwei Gütern ein völ¬
liges Versagen der Schutzimpfung und auf den
übrigen, mit Ausnahme eines einzigen, besondere Verhältnisse
bietenden Gutes, zum mindesten kein nennenswerter
Rückgang in der Tuberkuloseansteckung des
Nachwuchses zu verzeichnen ist.
Durch Sektion bezw. Schlachtung konnten bis
jetzt im ganzen 19 F ä 1 1 e kontrolliert werden. I n 9 F ä 1 1 e n
(47,4 Proz.) wurden tuberkulöse Verände¬
rungen festgestellt, und zwar: 5 mal generalisierte
I uberkulöse, 2 mal Bronchialdrüsentuberkulose, 1 mal Lungen¬
tuberkulose, 1 mal Mesenterialdrüsentuberkulose. In 10 Fällen
(52,6 Proz.) fanden sich keinerlei tuberkulöse Veränderungen
vor. In 4 Fällen war der Schutzimpfung eine Tuberkulinprobe
vorausgegangen, welche negativ ausgefallen war. Unter
diesen wurde in einem Falle generalisierte Tuberkulose fest¬
gestellt. In den übrigen 3 Fällen wurden tuberkulöse Ver¬
änderungen nicht ermittelt.
Der Vortragende bespricht dann eingehend die 9 Fälle,
in denen durch die Sektion tuberkulöse Veränderungen, zum
J eil sogar von erheblicher Ausdehnung (Demonstration) fest¬
gestellt wurden. Wenn auch zuzugeben ist, dass bei einer nicht
geringen Anzahl von Fällen der Verdacht bestehen bleibt, dass
bereits zur Zeit der Schutzimpfung tuberkulöse Herderkran¬
kungen bei den Impflingen vorhanden waren, so bleiben doch
selbst bei peinlichster Ausscheidung aller dieser Fälle minde¬
stens 2 Fälle übrig, bei denen ein Versagen der
rechtzeitig und vorschriftsmässig ausge¬
führten Schutzimpfung einwandsfrei auch
durch die Obduktion bestätigt worden ist. Die
Obduktionsbefunde ergeben weiterhin die Tatsache, dass eim
allerdings erst im Alter von 8 Monaten schntzgeimpftes, aber
auf Tuberkulin nicht reagierendes Rind trotz der Schutz¬
impfung an ausgebreiteter generalisierter Tuberkulose zu¬
grunde gegangen ist, und endlich die Erfahrung, dass bei Aus¬
führung deb Schutzimpfung bereits vorhandene tuberkulöse
Herderkrankungen sicher nicht immer im Sinne einer Heilung
günstig, eventuell sogar im Sinne einer Beschleunigung des
tuberkulösen Prozesses, d. h. ungünstig beeinflusst werden.
Der Vortragende schliesst seine Darlegungen mit folgender
Schlussbetrachtung :
Weder die Ergebnisse des verstärkten natürlichen Infek¬
tionsversuches, noch die Erfahrungen bei der Kontrolle der in
der Praxis zur Durchführung gelangten Immunisierungen be¬
rechtigen zu der Annahme, dass den Rindern durch das
v. Behring sehe Tuberkulose-Schutzimpfungsverfahren ein
ausreichender Schutz gegen die natürliche Tuberknlose-
ansteckung verliehen wird.
Es ist möglich, dass bei den schutzgeimpften Tieren eine
gewisse Zeit hindurch eine erhöhte Widerstandsfähigkeit auch
gegenüber der natürlichen Ansteckung besteht (vergl. die Tu¬
berkulinprobe am Ende der ersten Infektionsperiode im ver¬
stärkten natürlichen Infektionsversuch). Zweifellos aber reicht
dieser Impfschutz in der überwiegenden Zahl der Fälle bei fort¬
gesetzter oder in längeren Pausen wiederholt eintretender
natürlichen Infektionsgefahr nicht aus, um die Impflinge vor
den Folgen der Ansteckung zu bewahren.
Es erscheint daher aussichtslos, mit Hilfe
des Schutzimpfungsverfahrens allein die
Rindertuberkulose in stark verseuchten Be¬
ständen zu bekämpfen.
Weitere Beobachtungen in der Praxis müssen lehren, in
wie weit das Schutzimpfungsverfahren als Hilfsmittel
im Verein mit anderen auf die Verminderung der Ansteckungs¬
gefahr hinzielenden Massnahmen (Ausmerzung der mit offener
Tuberkulose behafteten Tiere, Aufzucht der Kälber mit
pasteurisierter Milch oder mit der Milch notorisch gesunder
Kühe (Ammenmilch), Wiedereinführung des Weideganges zum
mindesten für das Jungvieh etc.) imstande ist, in dem schweren
und mühseligen Kampfe gegen die Rindertuberkulose gute
Dienste zu leisten.
Die ausführliche Veröffentlichung der Versuchsergebnisse
wird im Zentralblatt für Bakteriologie, Bd. 44, erfolgen.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1707
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. April 1907.
Vorsitzender : Herr Un verricht.
Herr Wendel. 1. Demonstrationen aus ider Gelenkchirurgie.
Vorstellung eines Palles von dreifacher Fraktur der Patella durch
Hufschlag, welcher unblutig mit Heftpflasterverband behänden wurde.
Wie das Röntgenbild beweist, erfolgte knöcherne Heilung. Die Punk¬
tion des Kniegelenkes ist vollkommen normal. Der Patient bezieht
von der 14. Woche nach dem Unfall eine Uebergangsrente von zehn
Prozent wegen geringer Atrophie des Quadrizeps. Die gi osste Dif¬
ferenz des Oberschenkelumfangs an entsprechenden Stellen betragt
4 Monate nach der Verletzung 2 cm. Der vorgestellte Patient steigt
mit dem verletzten Bein voran mühelos auf einen Stuhl, steigt lang¬
sam und ohne Unterstützung mit dem nichtverletzten Bein voiau
"'^Vorstellung eines Falles von Querfraktur des rechten Olekranon
an jer Basis. Auch hier unblutige Behandlung mit Heftpflaster. Der
Patient bezieht überhaupt keine Rente, weil er alle Arbeiten wie voi
der Verletzung seit der 11. Woche nach dem Unfälle verachtet. Pi
ist Schlosser im Krupp-Gruson-Werke. Die vollkommen normale
Punktion des Gelenkes und die nach dem Röntgenbilde ideale,
knöcherne Heilung ohne Dislokation werden demonstriert.
In beiden Fällen 'ist frühzeitig massiert und nach der Konsoli¬
dation energisch mit Massage, Heissluft (B i e r), Bewegungsubungen
nachbehandelt worden. , , ,
Ein Fall von veralteter Querfraktur des rechten Olekranon, dicht
über der Basis, ist blutig behandelt worden. Hier war die Fraktur,
welche 8 Monate zurückliegt, nicht erkannt worden. Das obere
Fragment hatte sich um 90° gedreht und .war mit dei Bruch¬
fläche in der Fossa olecrani des Oberarmbeins fest geworden. Am
18 Februar 1907 wurde es blutig losgelöst und nach Anfrischung die
Bruchstücke durch 2 Silbernähte vereinigt. Heilung p. p. Verband
zuerst in Streckstellung, nach 14 Tagen in immer stärkerer Beugung.
Gleichzeitig Massage und Bewegungsübungen. I atient verliess
genau 4 Wochen nach der Operation, am 18. März, gegen ärztlichen
Rat das Krankenhaus und nahm seine Arbeit als Maurer wieder auf.
Er stellt sich zum ersten Mal für diese Demonstration wieder vor.
Das Röntgenbild ergibt knöcherne Heilung ohne Dislokation. Das
rechte Ellenbogengelenk bleibt bei maximaler Streckung 15 tmit
Winkelmesser gemessen) hinter der anderen Seite zurück, doch tragt
der Patient ohne Schwierigkeiten gefüllte Wassereimer mit dem
rechten Arme. Alle übrigen Bewegungen sind ganz normal (Demon¬
stration). Uebergangsrente zehn Prozent. . , .
Pathologische Luxation des linken Ellenhogengelenkes infolge
von Syringomyelie. Aus der Vorgeschichte ist von Interesse. I aticn ,
ein Mann von 66 Jahren, ist erblich nicht belastet. In seinem 18.
Jahre Verletzung des linken Ellenbogengelenkes durch eine Brunnen¬
winde. Seitdem ist die Bewegungsfähigkeit behindert. Im 20. Jahre
Phlegmone des linken Vorderarmes. Im 23. Jahre Verbrennung des
linken Oberarmes. Im 28. Jahre Panaritium am linken Mittelfinger
mit Nekrose der Endphalanx und Verkrüppelung des Fingers geheilt.
Im 30. Jahre Pneumonie. Im 51. Jahre nach Sturz in der Scheune
Kyphoskoliose. 3 Wochen vor der Operation entstand spontan ein
Ulcus am linken Ellenbogen, welches Eiter und Synovia in grosser
Menge entleerte. Die Untersuchung ergibt Rigidität, Verkürzung und
Verkrüppelung fast sämtlicher Finger. Dextrokonvexe Kyphoskoliose
der Brustwirbelsäule. Luxation des linken Vorderarmes nach hinten
mit starker Verdickung und Deformation der Gelenkenden, zahl¬
reichen freien Gelenkkörpern. Am Olekranon ein bran¬
diges Geschwür, dessen Umgebung vollkommen anästhetisch ist. L le
Muskeln beider Hände, besonders der Daumenballen, und die Vor dei -
muskeln sind hochgradig atrophisch. Bei erhaltener Tastempfindung
deutliche Hyperalgesie und Thermanästhesie.
Es wurde die Resektion ausgeführt. Heilung mit aktivem
Schlottergelenk. . . n
Bemerkenswert ist besonders die grosse Anzahl (einige dreissig)
freier Gelenkkörper von Erbsen- bis Walnussgrösse, welche man b.el
den tabischen Arthropathien, besonders des Kniegelenkes, häutig
findet, welche aber bei Syringomyelie eine grosse Seltenheit sind.
2. Demonstrationen aus der Nierenchirurgie. _
Kongenitaler rechtsseitiger Nierentumor bei einem 3 jährigen
Mädchen, ein sogenanntes Adenosarkom (B i r c h - H i r s c h f e 1 d .
Der Tumor sass der Niere auf und hatte diese durch Druck stark
verkleinert, war aber durch eine Kapsel von ihr geschieden. Dahei
keine Urinveränderungen, aber typischer Palpationsbefund. I ei
Tumor wurde mit der Niere durch Lendenschnitt entfernt. Glatte
Operation. Das Kind wurde in der 4. Woche nach der Operation
mit völlig geheilter Wunde entlassen. Es ist über ein Jahr lang in
Kontrolle gewesen und ist bisher völlig gesund. Demonstration des
Präparates und mikroskopischer Schnitte. Kurzes Referat über den
jetzigen Standpunkt über die Genese dieser Mischgeschwülste
(W i 1 m s, R i b b e r t).
Ein Fall von Grawitzschem Tumor der rechten Niere bei
einem 45 jährigen Manne. Die Krankheit bestand seit einem Jahre;
sie war, wie gewöhnlich, durch starke Hämaturien ausgezeichnet. Die
Zystoskopie, Ureterenkatheterismus und besonders die Chrotno-
zystoskopie ergaben eine sichere Diagnose der Geschwulst, der Seite
und der Funktionsverhältnisse der anderen Niere. Die^ Operation
wurde gleichfalls vom Lendensclmitt aus gemacht. Der Tumor infil¬
trierte die obere Hälfte der Niere, die untere Nierenhälfte war un¬
verändert und deshalb die Palpation negativ gewesen. Der sehr her-
untergekommene Patient hat sich ausserordentlich geki ciftijrt* Pi hat
innerhalb von 3 Monaten nach der Ooeiatiou 22 Pfund zugenommen.
Demonstration des Patienten und des Präparates.
Rechtsseitige eitrige Sackniere, entstanden nach Verletzung des
Harnleiters bei' Gelegenheit einer gynäkologischen Operation vor
2 Jahren. Die Stenose im Ureter sass 10 cm oberhalb der Blase. Del¬
his zu ihr vorgeschobene Katheter entleeitc reinen F.iter. Intiamus-
kulär injiziertes Indigkarmin wurde nur von der linken Nieie aus-
geschieden. Da die normale Funktion diesei Niere aus dem duich
Katheter aufgefangenen Urin festgestellt wurde, wurde die primäre
Nephrektomie der rechten Sackniere ausgeführt. Glatte Heilung
innerhalb von vier Wochen.
Demonstration des Präparates. .
Linksseitige Steinniere, besteht seit 20 Jahren. Auch lnci ist
die Diagnose durch Zvstoskopie usw. bis in alle Feinheiten gestellt
worden. Der rechte Ureter hatte eine normalgestaltete und funktio¬
nierende Blasenmündung und entleerte normalen Urin. Links wai an
Stelle des Ureters eine kraterförmige Vertiefung mit unregelmassigen,
weit klaffenden Rändern. Keine rhythmische Funktion, sondern un¬
regelmässiges. nicht im Strahle erfolgendes Abf Hessen von Eiter, det
auch nach Indigkarmininjektion rein weiss blieb. Der Kathetei trat
schon nach 1 — 2 cm auf ein Hindernis im Ureter. Narbe durch zahl¬
reiche unter Koliken abgegangene Steinchen. Seit 3 Jahren waren
keine Steine mehr abgegangen. Urin blieb aber stark eiterhaltig und
enthielt mikroskopische Mengen von Blut. Es musste also noch ein,
jetzt ruhender. Stein vorhanden sein. Da trotz der Stenose des linken
Ureters und der linksseitigen Entleerung von Eiter keine Sackniere
nalpabel war. musste eine Schrumtifniere angenommen werden. Dei
Patient entschloss sich ietzt endlich zur Operation, weil eine rechts¬
seitige metastatische Augenentzündung und Neuritis optica dazu
zwangen. Die Operation bestätigte vollkommen die Diagnose.
Grosser Korallenstein im Becken und den Kelchen einei hochgiadig
geschrumpften Niere. Lumbale Nephrektomie.
Demonstration des Präparates. _ ,,
3. Bericht über einen durch Operation geheilten Fall von Pan-
kreasabszess mit Fettgewebsnekrose. .
Operation wurde unter der Diagnose der eitrigen Cholezystitis
austreführt. da Gallensteinanfälle vorangegangen und zwei halb-
pfefferkorngrosse. nicht fazettierte Steine abgegangen waren. Es
fand sich eine auf das Lig. gastrocolicum und das Mesokolon be¬
schränkte. hier aber sehr ausgedehnte Fettgewebsnekrose und ein
mit nekrotischen Massen gefüllter Abszess im Pankreaskopfe. Er¬
öffnung und Tamponade der Abszesshöhle. Heilung.
Demonstration mikroskopischer Präparate einer exzidieiten
Stelle mit Fettgewebsnekrose.
Herr Voeckler: Kontusionsverletzungen des Abdomen.
(Erschien in No. 33 dieser Wochenschrift.)
Herr Germer: Ueber die H i r s c h s p r u n g sehe
Krankheit. (Erscheint in extenso anderen Orts.)
Gynäkologische Gesellschaft in München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. Juli 1907.
Vor der Tagesordnung: . .
Herr Ludwig Seitz demonstiiert eine 26jahnge Patientin, bei
der er ein mannskopfgrosses retroperitoneales Dermoid entfernt hatte.
Ulcus und Ovarien waren regulär.
Diskussion; Herr Amann.
Tagesordnung:
Herr Wiener demonstriert: 5 operativ geheilte Falle von
Extrauteringravidität und zwar 2 Fälle von schwerer sekundarei
Blutung nach schon ausgebildeter Hämatozele, 1 Fall von primärer
schwerer innerer Blutung mit äusserer Ueberwanderung des Lies
(das Corpus luteum befand sich im Ovar der anderen Seite). 1 Fall
von ungeplatztem tubarem Hämatom und 1 Fall einer 39 jährigen
Frau, die, obgleich im 15. Jahr verheiratet, noch me geboren odei
abortiert hatte.
Herr Oberndorfer demonstriert; .
a) Uterus einer alten Frau mit inoperablem Zervixkarzinom,
totaler Obliteration des inneren Muttermundes, daran anschliessend
Pyometra mit spontanem Durchbruch in die freie Bauchhöhle. I ei-
fo'ätjonspentonitis^ T^b^lhlberkulose Tuberkulose des Peritoneums,
sekundäre Abszesse zwischen den Därmen, Abszesse in der Le jei,
perforiert auf die Leberkapsel, dann Durchbruch in den 10. Intel kost
raum; also den seltenen Fall von Leberabszess als direkte Folge einer
Genitaltuberkulose. . ,
Diskussion: die Herren Amann, Mnabeau.
Herr l udwig Seitz demonstriert:
a) die mikroskopischen Bilder der in der letzten Sitzung demon¬
strierten Ureterennekrose. o
1708
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
b) Uterus myomatosus einer älteren Frau mit Prolaps der Vagina
und der Portio. An letzterer eine schnittförmige Ulzeration, die
mikroskopisch sich als beginnendes Karzinom erweist.
c) Abszess einer Corpus luteum-Zyste. I rotzdem der Inhalt sehr
stinkend war, war die bakteriologische Untersuchung (auch Kultur-
verfahren) absolut negativ.
Diskussion: die Herren Oberndorfer, Albrecht,
Aman n, Ludwig S e i t z.
Herr Mirabeau: Pathologie der Urinentleerung bei der Frau.
Der Vortragende gibt einleitend einen kurzen üeberblick über
die Physiologie der Urinentleerung in den verschiedenen Lebens¬
epochen der Frau und bespricht dann unter besonderer Berücksichti¬
gung der speziell gynäkologischen Verhältnisse die Abweichungen und
Störungen des normalen Typus.
Es werden 4 Gruppen von Störungen unterschieden und im ein¬
zelnen besprochen:
1. Pathologische Veränderungen in der Frequenz der Urinent¬
leerungen.
2. Störungen der normalen Empfindung.
3. Störungen der Kontinenz.
4. Veränderungen in der Form der Miktion.
In der ersten Gruppe werden hauptsächlich die verschieden¬
artigen Erkrankungsformen besprochen, die zu einem vermehrten
Urindrang führen. Es kommen hier die verschiedenartigsten Er¬
krankungen in Betracht, die teils allgemeinen Ursprungs sind (Er¬
krankungen des Zentralnervensystems, Neurosen usw.), zum anderen
Teil auf lokale Anomalien und Erkrankungen zurückzuführen sind.
An erster Stelle stehen hier die Erkrankungen des Harnsystems selbst,
die im einzelnen besprochen und durch Kasuistik belegt werden. In
zweiter Linie spielen hier Erkrankungen des Genitales eine Rolle, die
deshalb besonders eingehend besprochen werden, weil ihre Be¬
ziehungen zum Harnsystem vielfach nicht entsprechend beachtet
werden. Neben der Einwirkung der Menstruation und Schwanger¬
schaft werden eingehend die entzündlichen Erkrankungen der Becken¬
organe, die Lageveränderungen und die Geschwulstbildungen in ihrer
Wirkung auf die Frequenz der Miktion besprochen.
Bei der zweiten Gruppe (der veränderten Empfindung bei der
Miktion) interessieren den Gynäkologen in erster Linie die Fälle von
schmerzhafter Miktion, die vielfach mit den Erkrankungsgruppen bei
gesteigerter Miktionsfrequenz zusammenfallen. Im wesentlichen
kommen hier alle akut- und chronisch-entzündlichen Erkrankungen des
gesamten Urogenitalsystems in Betracht, ferner alle Erkrankungen,
die zur mechanischen Behinderung des Harnabflusses führen (Ge¬
schwülste, Fremdkörper, Lageveränderungen).
In der dritten GruDpe — den Störungen in der Kontinenz —
kommen für den Gynäkologen neben gewissen nervösen Erkran¬
kungen (Hysterie, Enuresis) in erster Linie die verschiedenen Formen
der Urinfisteln in Frage, die im einzelnen besprochen werden. Weiter¬
hin alle die Zustände, die die Funktion des Sphinkters stören (Miss¬
bildungen, Traumen, Geschwulstbildungen, Lageveränderungen der
Genitalien, Zirkulationsstörungen).
Bei den krankhaften Veränderungen in der Form der Miktion
bespricht Vortragender erstens: den erschwerten Beginn (Atonie der
Blase, Hindernisse in der Harnröhre, Ausschaltung der Bauchpresse);
zweitens: Diskontinuität des Strahles (Blasenkrampf, Fremdkörper,
polypöse Tumoren usw.); drittens: werden die Formen der Miktion
in verschiedener Stellung, viertens: die Pneumaturie besprochen
(Aspiration von Luft durch negativen Druck; Gasbildung durch Bak¬
terien; Kommunikation von Blase und Darm). Anhangsweise werden
dann noch die Urinentleerungen auf unnatürlichem Wege infolge von
Missbildung erwähnt. (Autoreferat.)
Diskussion: Die Herren Brauser, Amann, Mirabeau.
G. Wiener- München.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. Juni 1907.
Herr Baisch: Ueber die Dauerresultate der Behandlung
der Peritoneal- und Genitaltuberkulose.
Redner bespricht an der Hand des Materials der Tübinger
Frauenklinik mit 110 Fällen die Erfolge, die mit interner und
chirurgischer Behandlung dieser Erkrankungen erzielt worden
sind. Die Fälle sind bis zu 10 Jahren nachbeobachtet und es
geht aus den Nachuntersuchungen hervor, dass für die defini¬
tive Beurteilung des Erfolges eine Nachbeobachtung von
4 Jahren notwendig ist.
Baisch unterscheidet 3 Gruppen :
1. Die reine exsudative Form der Peri¬
tonealtuberkulose. Von 38 Kranken wurden 34 ope¬
riert, und davon 22 dauernd geheilt. 12 Operierte sind teils
im 1. Vierteljahr nach der Operation, teils im Verlauf der
nächsten 4 Jahre gestorben. Wesentlich für den günstigen
Erfolg der Laparotomie ist das Fehlen schwerer Lokalisation
der Tuberkulose in anderen Organen, wenn auch geringe chro¬
nische Spitzenaffektionen keine Kontraindikation bilden, und
zweitens ein Freisein von Fieber. In 11 Fällen wurde mittels
Kolpotomie der Aszites entleert, doch wurde häufig fieberhafte
Rekonvaleszenz beobachtet.
2. Die tro kene adhäsive Peritonealtuber¬
kulose ist mit c2, Fällen vertreten. 11 wurden operiert und
1 1 exspektativ behandelt. Der Erfolg der Laparotomie ist hier
noch schwerer zu beurteilen als bei der aszitischen Form, da
die Laparotomie hier lediglich in einer Probeinzision bestand.
Von 11 Operierten sind 8 gesund geworden, einige allerdings
erst nach längerem Krankenlager; und 2 haben nach der Opera¬
tion Kotfisteln bekommen, die sich jedoch im Laufe der näch¬
sten Monate wieder geschlossen haben.
3. Die tuberkulösen Adnexerkrankungen
sind mit 45 Fällen vertreten. Hier hat die operative Behand¬
lung, die in 32 Fällen vorgenommen wurde, sehr günstige Re¬
sultate aufzuweisen. 23 Patienten wurden geheilt, und zwar
18 vollkommen. Die 5 nicht vollkommen Geheilten, bei denen
sich wieder Adnextumoren ausgebildet haben, sind solche,
bei denen bei der Operation eine Tube zurückgelassen worden
war. Daraus folgt, dass man stets auch bei scheinbarer Ge¬
sundheit einer Seite beide Tuben entfernen soll. Dagegen hat
Baisch aus einer Zurücklassung des Uterus und eines
Ovariums keine Nachteile gesehen; und besonders bei jüngeren
Personen ist wenigstens das Zurücklassen einer Keimdrüse
wegen der Schwere der bei diesem Alter auf die Kastration
folgenden Ausfallserscheinungen sehr erwünscht.
Baisch resümiert seine Eindrücke, die er bei der Nach¬
untersuchung gewonnen hat. dahin, dass zwar bei der tuber¬
kulösen Adnexerkrankung die Laparotomie durchaus indiziert
ist, dagegen bei der trockenen Form der Peritonealtuberkulose
ihr Vorteil sehr fraglich ist, während bei der aszitischen Form
die Entfernung des Aszites durch eine Inzision günstige Re¬
sultate zu ergeben scheint.
Herr D ö d e r 1 e i n demonstriert :
1. Drei geheilte Kranke, die wegen Tubarabort operiert
worden waren, und bespricht den gegenwärtigen Stand der
Diagnose und Behandlungsgrundsätze der ektopischen
Schwangerschaft. Unsere Anschauungen haben hierin in dem
letzten Jahrzehnt eine vollkommene Wandlung erfahren und
zwar einmal dadurch, dass durch anatomische Untersuchungen
Verlauf und Ausgang der Tubenschwangerschaft in ein ganz
anderes Licht gerückt wurden und sodann, weil die durch die
Operation ermöglichte Verfeinerung der Beobachtung unsere
klinischen Kenntnisse wesentlich bereichert hat. Es hat sich
gezeigt, dass weitaus die häufigste Form der ektopischen
Schwangerschaft die tubare Insertion des Eies ist, während die
ovarielle und peritoneale dagegen zu den grössten Seltenheiten
gerechnet werden muss, so dass ihr Vorkommen längere Zeit
überhaupt bezweifelt wurde. Die Häufigkeit der tubaren Ei¬
insertion ist aber nicht bloss eine relative, sondern man hat
erfahren, dass sie auch absolut viel häufiger ist, als man das
früher angenommen hat, denn die autoptischen Operations¬
befunde ergeben mit immer mehr zunehmender Klarheit, dass in
vielen Fällen Tubenschwangerschaft mit Ausgang in Abortus
vorliegt, wo man bisher ohne diesen Befund anderweite Er¬
krankungen diagnostiziert hatte.
Als der typische Verlauf einer Tubenschwangerschaft muss
nach unseren heutigen Kenntnissen das frühzeitige Absterben
des Embryo mit der sekundären Molenbildung in der Tube
und intraperitonealen Blutungen angesehen werden. Dem¬
gegenüber tritt der Ausgang in Tubenruptur bei lebender
Frucht, oder das Fortschreiten der Schwangerschaft bis in die
2. Hälfte der Entwicklung oder gar bis zum Ende der Häufig¬
keit des Vorkommens noch ganz in den Hintergrund. Für das
therapeutische Handeln ist die Erkenntnis von ganz besonderer
Bedeutung, dass mit dem Absterben des Embryo die Dignität
dieses pathologischen Vorganges keineswegs abgeschlossen
ist, sondern im Gegenteil, dass damit in der Regel der Krank¬
heitsprozess erst beginnt und die deletären Folgen auftreten.
Die nach dem Untergang des Embryo beginnenden Ver¬
änderungen im Ei, die zu seiner Durchblutung führen, und
gleichzeitig auch mehr oder weniger profuse Blutergüsse in
die Bauchhöhle veranlassen, leiten zwar die Rückbildung des
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1709
20. August 1907.
Schwangerschaftsproduktes ein, in der ersten Zeit dieser
Metamorphose aber drohen der Frau aus diesem Prozess so
grosse Gefahren, und in ihr treten so bedrohliche Symptome
auf, dass gerade diese auf Wochen bis Monate zu bemessende
Krankheitsperiode die sorgfältigste Beachtung in der Behand¬
lung erfordert. Werth und F ü t h haben uns durch ana¬
tomische Studien belehrt, dass innerer oder äusserer Frucht¬
kapselaufbruch auch bei abgestorbener Frucht katastrophale
innere Blutungen zur Folge haben kann.
Für die Behandlung der Tubenschwangerschaften stehen
uns 2 verschiedene Richtungen zur Verfügung, einmal eine
exspektative, symptomatische Therapie, und andererseits die
operative. Auf Grund von 135 während meiner hiesigen Tätig¬
keit beobachteten Fällen muss ich der Ueberzeugung Ausdruck
geben, dass die Anschauung keineswegs zu Recht bestehen
kann, dass die exspektative Behandlung an Gefahren hinter
der operativen zurücksteht. Unter 24 so behandelten Fällen
haben wir 2 Todesfälle zu verzeichnen, das ist eine Mortalität
von 8 Prozent, in denen die Frauen, die in der Klinik unter
allen Vorsichtsmassregeln exspektativ behandelt worden waren,
plötzlich schwere intraperitoneale Blutungen bekamen, sodass
die augenblicklich ausgeführte Operation nicht mehr imstande
war, den Verblutungstod aufzuhalten. Demgegenüber sind von
den 111 operativ behandelten Frauen nur 4 gestorben, sodass
die rechtzeitige operative Beendigung der Tubenschwanger¬
schaft zweifellos geringere Gefahren in sich birgt, als das ein¬
fache Zuwarten. Darüber darf aber kein Zweifel bestehen,
dass bei Ausbleiben solcher schweren Blutungen, was aber
mehr oder weniger dem Zufall anheimgestellt wird und worauf
wir keine Einwirkung haben, eine spontane Ausheilung des
Prozesses bis zur vollständigen restitutio ad integrum möglich
ist. Freilich vergehen darüber viele Monate, bis die Frauen
wieder vollständig arbeitsfähig sind, und in der ersten Zeit
droht ihnen immer die Katastrophe der inneren Verblutung.
Je weniger ausgebildet in der ersten Zeit die peritubaren und
retrouterinen Bluttumoren sind, um so gefährlicher erscheint
der Zustand. •
2. werden 2 durch Hebosteotomie entbundene Frauen
demonstriert, die wie alle 26 von ihm operierten genesen sind.
Redner bespricht an der Hand dieser Fälle die von ihm ge-
handhabte Technik dieser beckenerweiternden Operationen,
bezüglich deren er hier auf seine eingehenden Darlegungen
auf dem diesjährigen Kongress der deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie in Dresden verweist.
Für die praktische Geburtshilfe ergibt sich aus dem all¬
seitig ausgezeichneten Resultate dieser subkutanen Operation
eine Reform in der Behandlung der Geburten bei engem
Becken, die aber keineswegs, wie vielfach irrtümlicherweise
gedacht wird, die operative Richtung in der Geburtshilfe för¬
dert, sondern ganz im Gegenteil unter Zurückdrängen der
prophylaktischen Eingriffe der spontanen Gebärmöglichkeit bei
engem Becken bis zu einer Conjugata vera von 7,5 cm weit¬
gehender als bisher Rechnung trägt. Es wird die Zukunft
zeigen, dass wir in dieser Beziehung einer gesunden Reaktion
entgegen gehen, die einer unheilvollen Polypragmasie Einhalt
tut, und unter selbstverständlicher Voranstellung des Interesses
für die Mutter doch dasjenige des Kindes mehr als bisher zu
wahren imstande ist.
Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Aerzte in
Böhmen.
XII. wissenschaftliche Versammlung am 29. Mai 1907
im Hörsaale der deutschen Augenklinik zu Prag.
Herr R. S a 1 u s stellt einen Fall von Oedema malignum (Anthrax)
des linken Ober- und Unterlides vor. Aus der Anamnese kein An¬
haltspunkt für die Infektionsquelle. Die Untersuchung des Blutes auf
Bazillen blieb negativ, hingegen waren massenhafte tierisch hoch¬
virulente Milzbrandbazillen auf der Oberfläche der gangränösen Partie
vorhanden. Anfangs hohe Temperaturen, dann unter lokaler anti¬
septischer Behandlung rasche Besserung. Heilung mit ausgedehnter
Gangrän des Oberlides, teilweiser Gangrän des Unterlides.
Herr R. Hölzl stellt einen Fall von Vakzineerkrankung des
linken Auges bei einem neunjährigen Knaben vor, der sich von seiner
frisch vakzinierten Schwester infiziert hatte. Es handelte sich um
Eruption der Vakzine am Lidrand und der Lidhaut. Bei Behandlung
mit indifferenten Mitteln heilte die Erkrankung nach 12 Tagen ohne
Folgen ab.
Herr F. Schenk: Schwangerschaft und Myoin. (Erscheint als
Originalmitteilung in der Prager med. Wochenschr.)
; Herr v. Franque: Zur Nekrose und Vereiterung der Myome.
Grosses gangränöses interstitielles Myom, in die Uterushöhle und
Scheide durchgebrochen. Abdominale Totalexstirpation mit Heilung.
Zwei nekrotische Myome, welche ohne Verjauchung und Ver¬
eiterung, allein durch die ausgelösten Uteruskontraktionen, in die
freie Bauchhöhle und in das Parametrium durchgebrochen sind.
Interstitielles Myom, ein Jahr nach der Menopause durch In¬
fektion auf dem Blutwege vereitert. Abdominale Totalestirpation.
Heilung. (Erscheint ausführlich in der Zeitschrift für Geburtshilfe
und Gynäkologie.)
XIII. wissenschaftliche Sitzung am 5. Juni 1907 im
Hörsaale der II. medizinischen Klinik.
Herr Hoke: Ein Fall von akuter Rotzinfektion.
Ein 38 jähriger Tierarzt, der mit Rotz arbeitete, infizierte seine
Finger mit rotzigem Eiter. Nach viertägiger Inkubationszeit tritt ein
Stadium invasionis auf, welches ganz dem Typhus abdominalis ent¬
spricht. Frühzeitig treten Schmerzen in der Lebergegend auf, eine
Akneeruption erscheint, verschwindet aber bald wieder. Keine Leu¬
kozytose. Weder im Blute noch im Stuhle finden sich jemals
Typhusbazillen. Der positive Widal ist wegen der Seruminjektion
(Antityphusserum Meyer und B e r g e i 1) nicht beweisend. Ein
Furunkel am Penis tritt auf, der wieder nur Staphylokokken enthält.
Das Fieber zeigt Neigung in eine Kontinua überzugehen. Es be¬
stehen Milztumor, Roseola, diarrhoische Stühle. Schüttelfröste fehlen.
Plötzlich bricht das Bild des akuten Rotzes herein. Am linken Ober¬
schenkel und linken Orbitalrand entstehen nussgrosse Furunkel, die
rasch an Grösse zunehmen; es tritt ferner am rechten Stirnbein ein
kirschgrosser, hämorrhagisch verfärbter Abszess auf, der bald spontan
aufbricht und ein zirka zweikronenstückgrosses, tief hämorrhagisch
gefärbtes Geschwür bildet, welches blutig-eitriges Sekret sezerniert,
und an seinen Rändern mit zahllosen pustulösen Effloreszenzen be¬
deckt ist. Starkes Gesichtsödem, linksseitige Fazialislähmung. Wei¬
terhin entwickeln sich an der linken Schulter, am rechten Unteiarm,
am Abdomen, am linken Unterschenkel grössere druckschmerzhafte
Infiltrate. Der Schädel, das Gesicht und der ganze Körper mit erbsen¬
grossen Pusteln übersät, ferner bestehen teils punktförmige, teils aus¬
gebreitete Hämorrhagien. Haut subikterisch verfärbt. Exitus. Im
Eiter konnten keine Rotzbazillen nachgewiesen werden. Patho¬
logisch-anatomische Diagnose: Malleus acutus. (Erscheint ausfiiln-
lich in der Prager medizinischen Wochenschrift.)
Herr R. v. Jaksch: Aus dem Gebiete der Radiotherapie.
' R. v. Jaksch teilt eine Reihe von Versuchen mit, welche er über
die Permeabilität der Röntgenstrahlen durch verschiedene Metalle,
als Blei, Silber, Gold, Platin gemacht hat, um eventuell ein Ver¬
fahren zu finden, welches, ohne die Wirkungen der Röntgenstrahlen
auf innere Organe aufzuheben, die schädigende Wirkung derselben
auf die Haut zu eliminieren vermag, und kommt zu dem Resultate,
dass eine 0,02 mm dicke Silberplatte diese Bedingung erfüllt. Bei
einem Falle von Leukämie ging die Zahl der Leukozyten von 250 000
auf 8200 herunter, dabei erreichten die polynukleären neutrophilen
Elemente 75 Proz., während die pathologischen Leukozytenformen
stark abgenommen hatten. Gleichzeitig war eine bedeutende Ab¬
nahme des kolossalen Milztumors zu konstatieren. Die Patientin
wurde durch 3 Wochen Tag für Tag durch 25 Minuten bestrahlt, im
ganzen 10 Stunden und 25 Minuten in 25 Sitzungen. Trotzdem trat
bis auf ein leichtes Röntgenekzem, das nach sechsstündiger Be¬
strahlung auftrat und in wenigen Tagen ausgeheilt war, bis auf eine
leichte Rötung, etwas Schuppung, und Pigmentation keine Ver¬
änderung an der Haut bis jetzt auf. Auch bei anderen Fallen, die mit
dieser Methode behandelt wurden (Karzinome), trat auch bei halb¬
stündiger Bestrahlung niemals eine erhebliche Hautveränderung aut,
insbesondere blieb Dermatitis in allen Fällen bis jetzt aus. Der Vor¬
tragende spricht die Vermutung aus, dass eventuell durch Verwendung
verschiedener Metalle sich eine verschiedene Einwirkung auf die ver¬
schiedenen Organe des Körpers ergeben dürfte, und sich auf Grund
dieser Erfahrungen früher oder später eine ganz spezinsche Röntgen¬
therapie werde ausarbeiten lassen.
Herr Löwenstein: Kurze Mitteilung über Versuche an
Seeigeleiern.
Der Vortragende erhielt bei einer Nachprüfung der W i n k 1 e r -
sehen Versuche (Furchung des unbefruchteten Seeigeleies nach Zu¬
satz von Seeigelspermatozoenextrakt) in 17 Versuchsreihen ein nega¬
tives Resultat; doch ergaben sich interessante Beziehungen im Ver¬
hältnis von lebenden Seeigeleiern und toten Spermatozoen.
R o t ky - Prag.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Societe medicale des höpitaux.
Sitzung vom 7. und 14. Juni 1907.
Chronischer Rheumatismus und Tuberkulose. ,
Soucques hat 25 mit chronischem, deformierendem Rheumatis¬
mus behaftete Kranke klinisch und mit Tuberkulin genau untersucht;
ein einziger Kranker hatte hereditäre Antezedentien und keiner b
1710
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
klinisch Zeichen von Tuberkulose. Nur 2 haben auf Injektion von
-’/io mg Tuberkulin reagiert, 6 von 11 injizierten Kranken haben auf
6/io mg reagiert; S. schliesst daraus, dass .das Tuberkulin auch bei
mit anderen Krankheiten behafteten Leuten Reaktion hervorruft, daher
bei Tuberkulose kein sicheres diagnostisches Mittel ist und die kli¬
nische Untersuchung ihren vollen Wert hat. Die Theorie von Pon¬
cet und seinen Schülern sei also nicht bestätigt.
M i 1 i a n hingegen ist der Ansicht, dass die lokale Reaktion
von grosser Wichtigkeit sei. Er hat 6 Kranken mit chronischem
Rheumatismus Tuberkulin injiziert und alle haben reagiert, womit
die Theorie Poncets über den tuberkulösen Ursprung des dhro-
nischen Rheumatismus bestätigt erscheint. Damit diese Injektionen
von diagnostischer Bedeutung sind, muss man mit ganz kleinen Dosen
beginnen und allmählich mit denselben steigen (Via — lVs mg) mit ent¬
sprechenden Zwischenpausen; man muss dabei nicht nur die be¬
deutenden Temperatursteigerungen, sondern auch die kleinen Er¬
höhungen, die nur einige Stunden anhalten, berücksichtigen. Die
Tuberkulinprobe ist immer ohne Gefahr, ausser bei Nephritikern.
Soucques lässt nicht zu, dass jedes Individuum, welches auf
Tuberkulin reagiert, tuberkulös ist; er hat z. B. 3 klinisch ganz ge¬
sunde Leute injiziert und einer davon hat reagiert.
Barth wünschte, dass man das Tuberkulin auch Rheumatikern,
bei welchen Blennorrhoe als Ursache feststeht, injiziere. Diese
Kganken reagierten vielleicht auf stets zunehmende Dosen Tuber¬
kulin, ohne desshalb tuberkulös zu sein. Das ist jedenfalls fest¬
stehend, dass eine beträchtliche Anzahl von Leuten histologisch tuber¬
kulös ist, d. h. bei der Autopsie wenige Tuberkeln zeigen, ohne jemals
klinisch Tuberkulose zu haben. Man müsste beweisen, dass diese
geringen histologischen Veränderungen die groben Gelenksverände¬
rungen des chronischen Rheumatismus bewirken können.
B a r b i er erinnert daran, dass die deutschen Kliniker die In¬
jektionen in progressivem Masse wiederholen und bis zu 0,01 Tuber¬
kulin steigern. Vor diesem Experiment muss man die normale Tem¬
peraturkurve, wobei alle 3 Stunden gemessen wird, aufnehmen und
dann jede Temperaturerhöhung, selbst wenn sie nur einige Zehntel¬
grade erreicht, verzeichnen. B. konnte nach seiner Erfahrung die
tuberkulöse Natur des chronischen Rheumatismus beim Kinde fest¬
stellen.
Sitzung vom 21. und 28. Juni 1907.
Die Kutireaktion auf Tuberkulin bei Kindern, v. Pirquets Methode.
H. Dufour hat an 20 Kindern Versuche gemacht, um die Me¬
thode v. Pirquets, welcher erklärte, diese Hautreaktion habe nur
bei Säuglingen und Kindern unter 2 Jahren Bedeutung, ältere Kinder
und Erwachsene reagierten, wenn auch nicht tuberkulös, zuweilen
auf die in skarifizierte Haut ausgeführte Impfung, nachzukontrollieren.
Wenn auch in einigen Fällen diese Reaktion bei leichter und zweifel¬
hafter Erkrankung positiv ausfiel, so gab sie auch bei Rindern im
Alter von 10 — 14 Jahren (resp. 3 — 5 Jahren) in Fällen von Tuber¬
kulose mit Kavernen negative Resultate. Es scheint also, dass damit
die Resultate Pirquets bestätigt seien und wir noch weit davon ent¬
fernt seien, in der Kutireaktion ein sicheres diagnostisches Mittel zu
haben.
Paul C La i s s e wendet seit 2 Jahren die Methode an, wieder¬
holte kleine Dosen Tuberkulins zu injizieren und hat da¬
mit sehr sichere diagnostische Resultate erzielt. Wenn man einem
gesunden Erwachsenen 2 ho mg Tuberkulins alle 3 Tage injiziert,
so fängt er erst bei der 7. Injektion an zu reagieren. Handelt es sich
um einen tuberkulös Erkrankten, so reagiert er (Temperaturerhöhung,
Auskultationszeichen, spezielles Uebelbefinden) zuweilen bei der
ersten, bei der zweiten, dritten oder spätestens 4. Injektion. Diese
Methode hat CI. in mehreren sehr zweifelhaften Fällen schon vor dem
Auftreten genauer klinischer Erscheinungen eine präzise Diagnose er¬
möglicht. Sie ist jedoch kontraindiziert bei fiebernden Kranken und
muss auf Fälle von latenter oder larvierter Tuberkulose reserviert
bleiben.
Souques kann die Argumentierung von C 1 a i s s e nicht ak¬
zeptieren; er hat 10 nicht tuberkulöse Nervenkranke injiziert und da¬
von haben 7 hochgradig reagiert.
S i c a r d und Des-comps erklären die subkutane Injektion
und die Kutisreaktion für wenig sicher, erstere noch dazu für sehr
schmerzhaft. Im Gegensatz hierzu ist die Ophthalmoreaktion (ein
Tropfen = 5/io mg Tuberkulinlösung) leicht anzuwenden und scheint
in ihren Gesamtresultaten mit den klinischen Lehren übereinzu¬
stimmen.
Besangon führt die widersprechenden Resultate auf ver¬
schiedene Bedingungen und verschiedene Präparate Tuberkulins zu¬
rück. Dasselbe ist ein Gift, wofür Tuberkulöse und Nichttuberkulöse
empfänglich sind, diese aber erst auf stärkere Dosen. Man muss also
schwache Dosen und zwar nur an Fieberlosen anwenden und dann
w ird die Reaktion eine wichtige Probe. Das Tuberkulin verrät das
Bestehen anatomischer Herde von Tuberkulose, deren Bedeutung
die klinische Untersuchung dann feststellen muss.
Labbe glaubt, dass Temperatursteigerung um Vio Grad nicht
genügend und nur eine solche um einen ganzen Grad von Bedeu¬
tung ist.
Comby wendet die Tuberkulininjektionen seit 10 Jahren mit
gutem Erfolge an: Er injizierte in dieser Zeit 74 Kinder, wovon 36
reagiert haben. Von diesen kamen 12 zur Sektion und alle hatten
tuberkulöse Veränderungen. Von den 38, welche nicht reagiert haben,
kamen 6 zur Autopsie und keines davon war tuberkulös. Die Tuber¬
kulininjektion, in der klassischen Weise ausgeführt, leistet also bei
Kindern gute Dienste und bietet keinerlei Gefahren.
Mosny wendet das Tuberkulin seit 1891 an, hat niemals Miss¬
erfolg und niemals bei Nichtuberkulösen eine Reaktion damit erlebt.
Dufour bemerkt, dass bei kachektischen Individuen und bei
Tuberkulösen in ihrem Endstadium das Tuberkulin, welches auch
seine Anwendungsweise sei, keine Resultate mehr gibt.
Chauffard hebt die Bedeutung negativer Resultate hervor
(Beobachtung eines Kranken mit Pneumothorax, der nicht -reagiert
hat und sehr rasch genesen ist).
Letulle hat die Ophthalmoreaktion bei 75 Tuberkulösen seines
Dienstes angewandt und nur 3 haben nicht reagiert: 2 waren mori¬
bund und der dritte von seiner Tuberkulose geheilt. St.
Vereinigung Süddeutscher Lungenheilanstaltsärzte.
E i n 1 a d u n g zu der am 7. — 9. September ids. Js. in Baden-
Baden stattfindenden Versammlung.
Programm.
Samstag, 7. Sept. 8 Uhr abends: Zwanglose Zusammenkunft mit
Damen im Holländischen Hof.
Sonntag, 8. Sept. 10 Uhr vormittags: Sitzung, a) Geschäftliche
Mitteilungen, Dr. N a h m - Ruppertshain, b) Vorträge: 1. Ueber die
graphische Darstellung des Lungenbefundes (Ref.: Dr. Krebs),
2. Nach welchen einheitlichen Gesichtspunkten sollen die Jahres¬
berichte der Heilstätten abgefasst werden? (Ref.: Dr. Cursch-
mann), 3. Die Assistentenfrage in den Heilstätten (Ref.: Dr.
Schmidt), 4. Die verschiedenen Aufnahmeformulare der Heilstätten
(Ref.: Dr. Pischinger), 5. Therapeutische Mitteilungen. —
Während, der Sitzung: Ausflug -der Damen auf den Fremersberg. —
Abends: Besuch des Kurkonzertes.
Montag, 9. Sept. 10 Uhr vormittags: Weiterführung der wissen¬
schaftlichen Sitzung, dann Besichtigung der Kureinrichtungen Baden-
Badens. — 2 Uhr: Ausflug mit Damen auf das alte Schloss Hohen-
baden, daselbst Kaffee (Gastgeber: Herr Dr. Rumpf), dann Spazier¬
gang nach Ebersteinburg zur Besichtigung des Dr. Rumpf sehen
Sanatoriums. ■ — Abends: Rückkehr nach Baden-Baden.
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.
32. Versammlung in Bre m e n am 11., 12., 13. und 14. September 1907.
T a g ,e s o r d n u n g.
Dienstag, den 10. September 7 Uhr abends: Gesellige Vereinigung
zur Begriissung im Künstlerverein.
Mittwoch, den 11. September 9 Uhr vormittags: Erste Sitzung
im Künstlerverein. Öröffnung der Versammlung. Rechenschaftsbericht
und geschäftliche Mitteilungen. 1. Die Verbreitungsweise und Be¬
kämpfung der epidemischen Genickstarre (Ref.: Geh. Medizinalrat Prof,
Dr. F 1 ii g g e - Breslau ). 2. Wie hat sich auf Grund der neueren
Forschungen die Praxis der Desinfektion gestaltet? (Ref.: Professor
Dr. T j a d e n - Bremen). 3 Uhr nachmittags: Besichtigungen unter
sachkundiger Führung. (Näheres siehe Spezialprogramm.) 8 Uhr
abends: Begriissung der Teilnehmer durch den Senat im Ratskeller.
Donnerstag, den 12. September 9 Uhr vormittags: Zweite Sitzung.
3. Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der
öffentlichen Gesundheitspflege (Ref.: Sanitätsrat Dr. Mugdan-
Berlin. 4. Die Gartenstadt (Ref.: Professor Dr. C. J. Fuchs -Frei¬
burg i. B.). 3 Uhr nachmittags: Besichtigungen unter sachkundiger
Führung. (Näheres siehe Spezialprogramm.) 8 Uhr abends: Fest¬
essen mit Damen im Parkhaus (Preis des Gedecks ohne Getränk 5 M.)
Freitag, den 13. September 9 Uhr vormittags: Dritte Sitzung im
kleinen Saal der Union (Wachtstr. 9/13). 5. Der moderne Kranken¬
hausbau vom hygienischen und wirtschaftlichen Standpunkte (Ref.:
Professor Dr. Lenhartz - Hamburg, Baurat F. R u p p e 1 - Ham¬
burg). 3 Uhr nachmittags: Abfahrt vom Hafen I zur Besichtigung der
Häfen und der Werft der Aktiengesellschaft „Weser“.
Samstag, den 14. September: Gemeinsamer Ausflug nach Helgo¬
land mittels eines vom Norddeutschen Lloyd zur Verfügung gestellten
Dampfers. (Näheres siehe Spezialprogramm.)
Gesellschaft für experimentelle Psychologie.
Der nächste Kongress für'experimentellePsychologie
findet am 22. bis 25. April 1908 zu Frankfurt a. M. statt.
Folgende Referate werden erstattet werden: E. Claparede:
Die Methoden der tierpsychologischen Beobachtungen und Versuche.
L. E dinge r: Die Beziehungen der vergleichenden Anatomie des
Nervensystemes zur Psychologie. Wege und Aufgaben einer ver¬
gleichenden Psychologie. K- B ü h 1 e r: Ueber das Sprachverständnis
vom Standpunkte der Normalpsychologie aus. A. Pick: Ueber das
Sprachverständnis vom Standpunkte der Pathologie aus. W. W i r t h:
Ueber die experimentelle Untersuchung der Aufmerksamkeit. W.
Specht: Ueber das pathologische Verhalten der Aufmerksamkeit.
20. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1711
Mit dem Kongresse wird eine Ausstellung von Apparaten ver¬
bunden.
Für die Mitglieder der Gesellschaft ist die Teilnahme unentgelt¬
lich; die von den übrigen Teilnehmern zu entrichtende Gebühr ist
auf 10 Mark festgesetzt. Persönliche Einladungen an solche, die nicht
Mitglieder unserer Gesellschaft sind, werden nicht erlassen. Es
wird gebeten, Anmeldungen betreffend Teilnahme, Vorträge u. dgl.
an den Vorsitzenden des Lokalkomitees, Herrn Professor Dr. K.
Marbe zu Frankfurt a. M. (Jordanstr. 17 — 21) zu richten.
I. A.: Prof. Dr. G. E. Mülle r.
Verschiedenes.
Hebammenschule für Frauen gebildeter Stände.
Im Mannheimer Wöchnerinnenasyl soll am 1. Ok¬
tober ds. Js. der erste Ausbildungskurs eröffnet werden. Lieber Ziel
und Einrichtung dieser neuartigen Institution gibt der Direktor der
Anstalt, Herr Medizinalrat Dr. Mermann, in einer Festrede zur
Eröffnung der neugebauten Frauenklinik im Jahre 1903 in grossen
Umrissen folgende Gesichtspunkte. Aus äusseren Gründen musste
das tatsächliche ins Lebenrufen bis jetzt verschoben werden. „Die
Anstalt will eine Hebammenschule für Frauen gebildeter Stände mit
absolvierter Töchterschulbildung schaffen. In beschränkter Zahl und
einem mindestens neunmonatlichen Kurs sollen Frauen oder Töchter
aus gebildeten Ständen zum lohnenden und innerlich befriedigenden
Berufe einer Geburtshelferin herangebildet werden, und diese werden
in Süddeutschland und namentlich den rheinischen Städten, wo bisher
vielfach der Gebrauch besteht, dass Aerzte ohne Hebammen Geburten
in wohlhabenden Familien leiten, ein reiches Arbeitsfeld finden. Man
spricht so viel von Hineindrängen der Frauen in männliche Arbeits¬
gebiete, hier ist ein Arbeitsfeld, wo der Mann das Weib aus seiner
ureigensten Berufssphärc verdrängt hat. In dem Milieu einer gewöhn¬
lichen Hebammenschule können die Damen aus vielerlei Gründen
nicht herangebildet werden, sie müssen in eigenen, nur ihnen zu¬
gängigen Lehranstalten ausgebildet werden, und dazu sind die Wöch¬
nerinnenasyle berufen. Unsere ersten Professoren der Geburtshilfe
stellen diese Forderungen in der schärfsten Weise auf, und sie alle
halten Wöchnerinnenasyle für die prädestinierten Anstalten, Diese
so ausgebildeten Hebammen sollen nicht ein Jota mehr staatliche
Berufsberechtigung haben wie die jetzigen Hebammen, sie werden
aber vermöge ihrer allgemeinen Vorbildung, vermöge ihrer Berufs¬
bildung, die viel länger währt wie die der jetzigen Hebammen,
und durch das um das Vielfache grössere praktische Lehrmaterial,
das ihnen hier im Gegensatz zu den anderen Lehranstalten zur Ver¬
fügung stehen wird, sich den Weg in Kreise öffnen, der den jetzigen
Hebammen trotz ihres guten Strebens und bei dem besten Berufs¬
und Pflichteifer niemals zugängig werden wird; eine Konkurrenz
wird diesen nicht entstehen, im Gegenteil der ganze Stand der
Hebammen wird gehoben, und auf ein höheres soziales Niveau ge¬
bracht werden.“ Nähere Auskunft über Aufnahmebedingungen etc.
an Aerzte oder sich Anmeldende gibt die Anstaltsdirektion.
Therapeutische Notizen.
Mit Antithyreoidin-Möbius wurden drei Fälle von
Geisteskrankheiten mit einzelnen Zeichen der Basedow sehen
Krankheit behandelt, über die Arthur Ketz in seiner Dissertation
(München 1906) berichtet. Er fand in Uebereinstimmung mit An¬
gaben von anderer Seite, dass das Basedow serum keine unan¬
genehmen Störungen, abgesehen von den nur im Anfang aufgetretenen
Diarrhöen und einmaligem Erbrechen, hervorruft. Es übt keinen
wesentlichen Einfluss auf die Temperatur aus, fördert den Eintritt der
Menstruation und zeigt eine deutliche beruhigende Einwirkung.
Weiter wurde beobachtet, dass der Umfang des Halses geringer wird
durch Kleinerwerden der Struma und geringere Füllung der Ge-
Tässe. F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 19. August 1907.
— Der ständige Ausschuss der mittelfränkischen Aerztekammer
hat an Herrn Hofrat May er -Fürth, der am 14. ds. seinen 60. Ge¬
burtstag feierte, nachstehende Adresse gerichtet: Hochverehiter Heu
Hofrat! Sehr verehrter Freund! Du begehst heute die 1 eiei des
vollendeten 60. Lebensjahres. Diese bedeutsame Zahl bringt uns in
lebhafte Erinnerung, wie viel bis zum heutigen 1 age Du fiii unseren
ärztlichen Stand geleistet! Als langjähriger Vorsitzender des Nach¬
barvereins der Fürther Aerzte, als Mitglied der mittelfränkischen
Aerztekammer durch bald ein Menschenalter, als Vorsitzender dieser
Aerztekammer durch mehr als ein Lustrum, als viel'jähriges Mitglied
des Geschäftsabschlusses des deutschen Aerztevereinsbundes hast
Du durch ernste Arbeit Dir die grössten Verdienste um unsern Stand
erworben und es drängt uns, für Dein Wirken im Namen der mittel-
fränkischen Aerztekammer Dir unsern wärmsten Dank auszusprechen .
Das Volk nennt das 60. Lebensjahr die Schwelle des Alters. Doch
das Alter beginnt noch nicht um diese Zeit, wenn man nicht alt sein
will, wenn man sich nicht der Lebenspflicht entzieht, nach seinem
Teil jugendfrisch mitzuschaffen an allem Guten, Edlen und für die
Allgemeinheit Erspriesslichen, zu dessen Förderung man berufen wird.
Von Dir haben wir die feste Zuversicht, dass Du wie bisher ausharren
wirst auf Deinem vorgeschobenen, manchem Angriff ausgesetzten
Posten als einer der besten Führer der deutschen und besonders der
bayerischen und fränkischen Aerzte. Wir wünschen und hoffen, dass
Dein besonnenes, zielbewusstes Fortschreiten auf dem Wege zur
Förderung der ethischen und wirtschaftlichen Interessen des ärzt¬
lichen Standes sich mehr und mehr die allgemeine Zustimmung er¬
wirbt. Und in diesem Sinne begrüssen wir Dich zu Deinem 60. Ge¬
burtstage auf das herzlichste und wünschen Dir die bisherige unge¬
schwächte Kraft und aufopfernde Gesinnung ad multos annos. Möge
es Dir und Deiner hochgeschätzten Gattin vergönnt sein, noch recht
oft und froh und gesund Dein Geburtsfest zu begehen!
In Namen der mittelfränkischen Aerztekammer mit ausgezeichneter
Hochachtung der ständige Ausschuss
Dr. G. Merkel. Dr. W. Beckh. Dr. L. Schuh.
Den Glückwünschen der mittelfränkischen Kollegen an Dr.
Mayer werden sich weite Kreise der bayerischen und deutschen
Aerzte anschliessen, die die grosse Arbeitsleistung Mayers im In¬
teresse des Standes anerkennen. Auch die Münch, men. Wochenschr.,
die M ay e r zu ihren treuen Freunden zählt, sendet ihm zum Geburts¬
tag nachträglich die besten Wünsche. __
— Für die Zulassung zur Prüfung für den ärztlichen
Staats dienstin Bayern im Jahre 1908 sind die Gesuche unter
Vorlage der Originale des Approbationszeugnisses und des Doktor¬
diploms der medizinischen Fakultät einer Universität des Deutschen
Reiches bei Vermeidung des Ausschlusses von der Prüfung spätestens
bis 30. September 1. Js. bei jener Kreisregierung, Kammer des Innern,
einzureichen, in deren Bezirk der dermalige Wohnsitz des Gesuch¬
stellers sich befindet. Im Gesuche ist zugleich die Adresse für die
seinerzeitige Zustellung des Zulassungsdekretes genau anzugeben.
— Nach § 24 der Prüfungsordnung für Aerzte vom 28. Mai 1901
wird das Halbjahr, in dem die Aerztliche Vorprüfung mit
Erfolg beendet ist, auf die vier Halbjahre, welche nach vollständig
bestandener Vorprüfung bis zur Meldung zui Aeiztlichen I lirfung
mindestens zurückzulegen sind, nur dann angerechnet, wenn die
Vorprüfung innerhalb der ersten sechs Wochen nach dem vorge¬
schriebenen Semesteranfange vollständig bestanden ist. In einem vor
einiger Zeit zur Sprache gekommenen Falle hat die Anrechnung des
betreffenden Semesters auf jene 4 Semester abgelehnt werden müssen,
weil die Vorprüfung ohne V erschulden des E x a m i n an de n
erst einige Tage nach Ablauf der angegebenen Frist von 6 Wochen
beendet worden war. Zur Vermeidung derartiger Fälle hat der Kultus¬
minister bestimmt, es möchte seitens der Vorsitzenden der Piiifungs-
kommissionen darauf geachtet werden, dass für die bereits im sechsten
oder siebenten Semester stehenden Studierenden, vorausgesetzt, dass
die Meldung rechtzeitig erfolgt ist. die Prüfungstermine stets
innerhalb der ersten sechs Wochen nach dem Semester¬
anfange angesetzt werden. ~ n „
— Dem Privatdozenten der Physiologie in Erlangen Dr. R. F.
Fuchs wurde einer der beiden Arbeitsplätze des Deutschen Reiches
im internationalen Höhenlaboratorium auf dem
Monte Rosa zuerkannt. Dr. Fuchs wird dort Untersuchungen
über die Einwirkung des Hochgebirgs auf den menschlichen Organis-
rous anstellen. Zu diesen Arbeiten haben die Herausgeber du
, Münch med. Wochenschr. eine Beihilfe von 1500 Mark bewilligt.
— In ähnlichem Sinne wie wir (in No. 32), schreibt über die von
der Stadt Dresden gelegentlich der Naturforscherver-
Sammlung beabsichtigten Festlichkeiten die Berl. klm. Wochen¬
schrift: „Wir haben uns sehr oft dafür ausgesprochen, dass nicht bloss
bei den Kongressen die Festlichkeiten überhaupt etwas mehr in den
Hintergrund treten möchten, sondern dass namentlich den Städten,
welche als Kongressorte auserse'lien sind, keinerlei empfindliche Opfer
auferlegt werden dürften. Nachdem nun diesmal im Schosse .der
Stadtverwaltung selbst die erwähnten Bedenken aulgetaucht sind,
wäre es unseres Erachtens Sache des Vorstandes der Gesellschaft
Deutscher Naturforscher und Aerzte, die Stadt Dresden um Zurück¬
nahme der geplanten Einladung und Verwendung der hierfür aus¬
geworfenen Gelder zu einem gemeinnützigen Zwecke zu bitten; de i
Fortfall der angebotenen Festlichkeit wird sicherlich keine Ver¬
minderung des Besuches der Versammlung im Gefolge haben, die
Versammlung selber aber würde, von den Bürgern der Stadt um so
herzlicher bewillkommnet werden!“ , 0 n
_ Der in Dresden lebende preussische Oberstabsarzt a. L).
Dr. Mattersdorf feierte am 10. VIII. 1. J. in der Sommertnsche
Ovbin seinen 98. Geburtstag. ,
_ Von den 6 Assistenzärzten der städtischen Heil- und
Pflegeanstalt zu Dresden haben 5 Herren wegen dauernder Dit-
ferenzen mit der Verwaltung ihre Entlassung eingereicht und sehenden
am 1. November ds. Js. aus ihren Stellungen aus. ...
_ Cholera. Russland. In der Stadt Samara wai am 17. Juli
von 2 unter choleraverdächtigen Erscheinungen in das ^ouverne-
mentskrankenhaus aufgenommenen Personen die eine gestorbe ,
worauf bald nachher unter gleichen Erscheinungen eine Au{se ieni
und ein Wärter desselben Krankenhauses erkrankten. Als dann bis
zum 30. Juli noch 7 weitere choleraverdächtige Falle in ^amara beob¬
achtet worden waren, ist am 2. August die Stadt Samara benora
licherseits für" choleraverseucht erlclärt worden. Bis zum . jj^i
sind in der Stadt 35 Personen an der Cholera erkrankt (und 10 ge
1712
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
storben), davon allein am 4. August 8 (2). Bis zum 5. August war
die Gesamtzahl der im Gouvernement Samara an Cholera erkrankten
Personen aut 50, der Choleratodesfälle auf 14 gestiegen. Zufolge einer
Mitteilung vom 8. August wurden choleraverdächtige Fälle auch aus
dem nördlichen 'Feile des Gouvernements Simbirsk und aus dem
Kreise Laischew des Gouvernements Kasan gemeldet. Im Kreise
Stawropol (Gouvernements Stawropol) waren am 5. August zufolge
amtlicher Bekanntmachung 3 Cholerafälle vorgekommen.
— Pest. Russland. In Odessa sind seit dem 17. Juli keine
weiteren Erkrankungen an der Pest vorgekommen; der am 17. Juli
erkrankte Wärter des Stadtkrankenhauses befand sich auf dem Wege
der Besserung. — Aegypten. Vom 27. Juli bis 3. August wurden 25
neue Erkrankungen (und 16 Todesfälle) an der Pest festgestellt. —
Britisch-Ostindien In Moulmein starben vom 23. Juni bis 6. Juli
21 Personen an der Pest. In Kalkutta starben vom 30. Juni bis
6. Juli 18 Personen an der Pest. — Straits Settlements. Am 5. Juli
wunde in Singapore wieder ein Pestfall festgestellt. — Zanzibar. Zu¬
folge einer Mitteilung vom 20. Juli waren in Zanzibar von den seit
dem 10. Juni beobachteten Todesfällen bei Indiern 4 sicher als Pest¬
todesfälle erkannt, während 6 als pestverdächtig bezeichnet werden.
— Britisch-Siidafrika. Während der am 6. Juli abgelaufenen Woche
sind in King Williams Town 2 Personen an der Pest erkrankt.
. — Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 28. Juli
bis 3. August sind 35 Erkrankungen (und 14 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 31. Jahreswoohe, vom 28. Juli bis 3. August 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Thorn mit 32,8, die geringste Crefeld mit 7,5 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb
an Masern und Röteln in Bremen, Colmar, an Diphtherie und Krupp
in Borbeck, Hannover, an Unterleibstyphus in Crefeld.
V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichte n.)
Düsseldorf. Der erste Fortbildungskursus für praktische
Aerzte an der Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin wird
aus sachlichen Gründen im Oktober dieses Jahres nicht stattfinden.
Greifswald. Der ausserordentl. Honorarprofessor in der
hiesigen med. Fakultät Dr. Karl Peter ist zum ausserordentlichen
Professor in derselben Fakultät ernannt. — Als Privatdozent für
Chirurgie habilitierte sich der Assistent der chirurgischen Klinik Dr.
Rudolf H a e c k e r. Seine Probevorlesung handelt über die Fort¬
schritte der chirurgischen Diagnostik durch die Röntgenstrahlen.
Köln. Zum ordentlichen Mitgliede der Akademie für praktische
Medizin in Köln und Professor für Chirurgie an derselben wurde an
Stelle des Geheimen Medizinalrats Prof. Bier der o. Professor und
Direktor der chirurgischen Klinik an der Universität Bonn Geh. Med.-
Rat Dr. Karl Garre ernannt, (hc.)
W ii r z b u r g. Als Privatdozent wurde an der Universität
Wiirzburg Dr. med. Alexander Schmincke, Prosektor am patho¬
logischen Institut, für das Fach der allgemeinen Pathologie und patho¬
logischen Anatomie aufgenommen, (hc.)
Cagliari. Der ausserordentliche Professor der gerichtlichen
Medizin Dr. C. B i o n d i wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
— Dr. O. Casagrandi wurde zum ausserordentlichen Professor
der experimentellen Hygiene ernannt.
Charkow. Der a. o. Professor der medizinischen Chemie
Dr. D. K u r a j e w wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
Chicago. Zu Professoren am Rush Medical College wurden
ernannt Dr. R. R. B e n s 1 e y (Anatomie) und Dr. E. O. Jordan
(pathologische Anatomie und Bakteriologie).
Cincinnati. Dr. M. A. Tate wurde zum Professor der
Geburtshilfe am Miami Medical College ernannt.
Kiew. Der a. o. Professor der Chirurgie Dr. N. Wolko-
witsch wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
Klausenburg. Dr. B. Gaman habilitierte sich als Privat¬
dozent für innere Medizin.
Neapel. Dr. A. Gatti habilitierte sich als Privatdozent für
Augenheilkunde.
New-Haven. Der Professor an der kalifornischen Univer¬
sität zu San Franzisko Dr. J. M. Flint wurde zum Professor der
Chirurgie an der Yale Medical School ernannt.
New-York. Zu Professoren am College of Physicians and
Surgeons wunden ernannt DDr. F. Huber (Medizin) und Fr.
Peters on (Psychiatrie).
Padua. Habilitiert: Dr. G. Astolfoni für Materia medica
und Pharmakologie.
Palermo. Der ausserordentliche Professor der Augenheil¬
kunde Dr. G. C i r i n c i o n e wurde zum ordentlichen Professor
ernannt.
Prag. Dr. O. Fischer habilitierte sich als Privatdozent für
Psychiatrie an der deutschen med. Fakultät.
Wien. Dr. C. F. Grosz habilitierte sich als Privatdozent für
Dermatologie und Syphilis.
(Todesfälle.)
ln Weinsberg starb am 11. ds., 90 Jahre alt, der Arzt und Dichter
Dr. Theobald Kerner, Sohn von Justinus Kerner.
Berichtigung. In No. 33 ist im Kölner Sitzungsbericht auf
S. 1657, Sp. 2, Z. 34 v. o. zu lesen: Widerstandsunfähigkeit statt
Widerstandfähigkeit.
jC- - ' ■■ 'i.l..'-- . ■ I ■ ^ -
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Wolfgang Prutz, appr. 1892 in
München, bisher Privat-Doz. in Königsberg.
Auszeichnungen: dem prakt. Arzt Dr. F ranz Glaser
in München der Verdienstorden vom Heil. Michael IV. Klasse.
Die Bewilligung zur Annahme und zum Tragen
erteilt: dem Stabsarzt der Landwehr I. Dr. med. Hermann Atten-
s a m e r, für das Ritterkreuz I. Klasse des Grossherzoglich Hessischen
Verdienstordens Philipps des Grossmiitigen.
Gestorben: Dr. Heinrich Schröder in Feuchtwangen.
Dr. Friedrich Kummer, freiresign. k. Bezirksarzt in Bad Aibling,
im 98. Lebensjahr.
Generalkrankenrapport über die K. Bayer. Armee
für den Monat Juni 1907.
Iststärke des Heeres:
66104 Mann, 167 Kadetten, 149 Unteroffiziersvorschüler.
1. Bestand waren
am 31. Mai 1907:
2. Zugang:
im Lazarett:
im Revier:
in Summa:
Mann
Kadetten
Unteroffiz. -
vorschüler
1250
947
1263
2210
1
4
5
5
5
Im ganzen sind behandelt:
°/ö o der Iststärke:
3460
52,3
3. Abgang:
dienstfähig:
°/oo der Erkrankten:
gestorben:
u/oo der Erkrankten :
dienstunbrauchbar :
mit Versorgung:
ohne „
Auf Grund vor der
Einstellung in den Militär-
dlonet irnrliotirloti rronrACP.
2229
641,3
8
2,3
50
6
5
29,9
5
1000,0
11
73,8
8
727,3
4. Bestand
bleiben
31. Mai 1907
ner Leiden als dienstun¬
brauchbar erkannt und
entlassen :
anderweitig:
in Summa:
16
83
2392
5
8
in Summa:
°/oo der Iststärke:
davon im Lazarett
davon im Revier:
1068
16,2
815
253
3
20,1
3
Von den ln Ziff. 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten an:
Knochen- und Lungentuberkulose 1, Brustfellentzündung 2, Brech¬
durchfall 1, Blinddarmentzündung 1 und Schädelbruch 3.
Ausserhalb der ärztlichen Behandlung starben 4 Mann und zwar
1 durch Ersticken infolge Eindringens von Speiseteilen in Kehlkopf
und Luftröhre beim Erbrechen, 1 infolge Schädelbruchs und Leber-
zerreissung, 2 Mann endeten durch Selbstmord (1 Erhängen, 1 Ueber-
fahrenlassen).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Juni 12 Mann.
Uebersichf der Sterbefälle in München
während der 31. Jahreswoche vom 28. Juli bis 3. August 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 11 (6*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 3 (6), Kindbettfieber — ( — ), and. Folgen der
Geburt — (— ), Scharlach — (2), Masern u. Röteln 2 (2), Diphth. u.
Krupp 1(— ), Keuchhusten — (— ), Typhus — (— ), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) 1 (3), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) — (3), Tuberkul. d. Lungen 21 (11), Tuberkul. and.
Org. 4(12), Miliartuberkul. — (— ), Lungenentzünd. (Pneumon.) 4 (10),
Influenza — (— ), and. übertragb. Krankh. 5 (— ), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 5 (2), sonst. Krankh. derselb. 1 (— ), organ. Herzleid. 17 (7),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 4 (15), Gehirnschlag
7 (9), Geisteskrankh. 1 (6), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 2 (3), and.
Krankh. d. Nervensystems 3 (— ), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 31 (31), Krankh. d. Leber 4 (2), Krankh. des
Bauchfells 1 (2), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (6), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 5 (5), Krebs (Karzinom Kankroid) 20 (11),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 1 (1), Selbstmord 2 (1), Tod durch
fremde Hand 2 (1), Unglücksfälle 5 (2), alle übrig. Krankh. 1 (4).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 167 (163). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 15,8 (15,5), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,0 (11,2).
*0 Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche,
Verlag von J. F. Lehmann ln München. — Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
fve Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
im Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen
Nummer 80 • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
yt 6,_, . Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf-
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/*— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. * Für
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. ¥. Änoerer, Ch. Bäumler, ''0. t. Bollinger, H. Carsehmann, B. Helierich, W. v. Leute, G. Merkel, J. v, Michel, F.PmoMI, H. v flanke,
--- - ... 1 - ‘t--1 - d~-i:- München.
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen.
o. 35. 27. August 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
B. Spatz, F.vJinckel,
München. München.
54. Jahrgang.
Originalien.
Aus der ersten medizinischen Klinik der Kgl. Charite, Berlin
(Direktor: Exz. Wirkl. Geh. Rat Proi. Dr. E. v. Leyden).
Die Vermehrung der roten und weissen Blutkörperchen
und des Hämoglobins durch die Lungensaugmaske1)
und ihre Beziehung zum Höhenklima.
Von Stabsarzt Dr. E. Kuhn, Assistent der Klinik.
Wie ich in No. 16 dieser Wochenschrift mitteilte, tritt
schon bei einer mässigen Einatmungserschwerung unter der
Saugmaske bereits nach einer Stunde eine Vermehrung der
roten Blutkörperchen um zirka eine Million unter gleichzeitiger
Vermehrung des Hämoglobins und eine Vermehrung der
weissen Blutkörperchen um zirka 1000 im peripheren Kreislauf
ein. Bei täglich ungefähr zweistündiger Anwendung der Saug¬
maske 2) kommt dann nach diesen anfänglichen relativen Blut¬
schwankungen oft schon nach, mehreren Tagen
oder einigen Wochen eine erhebliche absolute
Vermehrungder Blutelemente zustande, welche
ebenso wie bei längerem Aufenthalt in der Höhe unter weiterer
Anwendung der Maske dauernd bestehen bleibt und sich später
ebenso wie beim Abstieg nach einem Höhenaufenthalt mehr
oder minder langsam wieder ausgleicht. Es seien hier zu¬
nächst einige Kurven eingefügt, welche ein Bild von der Ver¬
mehrung der Blutelemente bei zwei Stunden täglicher An¬
wendung der Saugmaske geben können. Hervorgehoben sei
dabei, dass diese Blutkurven meist von tuberkulösen oder
anderen schwächlichen und anämischen Personen stammen und
dass nur eine mittlere Einat-
Kurve I.
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Krankheitslage:
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peutischen Zwecken angewandt
wurde. Die Zählungen wurden
stets nüchtern vor oder längere
Zeit nach dem Essen vorge¬
nommen. Die Entnahme des
Kurve II.
. rote Blutkörperchen.
- Hämoglobin.
Frau M., 27 Jahre.
Kurven der roten Blutkörperchen
und des Hämoglobins bei 2 Std.
täglicher Maskenatmung.
(Phthisis pulm. I, Chlorose. Pat.
verreiste, jetziges Befinden un¬
bekannt. Während der Atmung
subjektives Befinden gut.)
rote Blutkörperchen
weisse „
Unterarzt B., 24 J. Phthisis pulm.I.
(Verreist, laut brieflicher Mit¬
teilung Befinden gut.)
D Näheres s. E. Kuhn, Lungensaugmaske zur Erzeugung von
Stauungshyperämfe in den Lungen. Deutsche med. Wochenschr.
No. 37, 1906 und Münch, med. Wochenschr. No. 16, 1907.
2) Eine 2 — 3 mal täglich je 1 Stunde währende Anwendung der
Saugmaske halte ich nach den bisherigen Erfahrungen für alle
therapeutischen Zwecke für völlig ausreichend.
No. 35.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Blutes geschah aus den Ohren, Fingern, Zehen oder der
Vena mediana cubiti.
Die Zählungen sind von ca. 20 verschiedenen Zählern vor¬
genommen, wobei die Einzelnen in der Regel dieselben Patien¬
ten zählten. Allen diesen Mitarbeiteren sage ich an dieser
Stelle meinen Dank für den Eifer und die Ausdauer bei diesen
mühevollen Untersuchungen.
Kurve III.
Krankhellslage
rote
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24
25
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Subjektives Wohlbefinden,
bessere Oesichtsfarbe \
. rote Blutkörperchen. - weisse Blutkörperchen.
Frau M., 32 Jahre (Phthisis III).
Anfangs Fieber. Viel Auswurf. Am 14. Tage dazu Influenza mit
Bronchopneumonie. Am 31. Tage mit 21/a Pfd. Gewichtszunahme
entlassen. Jetzt nach Wiedervorstellung nach ca. 2 Monaten 7 Pfd.
Gewichtszunahme, blühendes Aussehen.
Kurve IV.
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Blut-
Krankheilslage
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. rote Blutkörperchen. - weisse Blutkörperchen.
- Hämoglobin.
Frau W ., 42 Jahre (Phthisis pulm. III, Kavernen, Pleuritis.).
Anfangs ca. 1 Liter eitrig-geballtes Sputum. Pat. konnte vor Schwäche
und Atmennot nicht stehen. Jetzt Auswurf nur noch unerheblich.
11 Pfd. Gewichtszunahme seit der Maskenatmung, Pat. geht täglich
zweimal 2 Treppen in den Garten.
Kurve V.
---- rote Blutkörperchen,
- weisse „
Frl. Z. 17 Jahre (Phthisis
pulm. 1).
Subjektives Wohlbefinden.
3 Pfd. Gewichtszunahme in
11 Tagen. (Zählungen an¬
fangs zweimal tägl., später
viermal täglich, immer un¬
mittelbar vor und nach der
Maskenatmung.)
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1714
Hinzugefügt sei noch, dass die in den obigen Kurven dar¬
gestellten Befunde in ähnlicher W eise bei a 1 1 e n Pa¬
tienten f e s t g e s t e 1 1 1 werden konnten, welche
die Saugmaske längere Zeit gebrauchten und
bei denen Blutzählungen .vorgenommen wurden, mit Ausnahme
eines alten 64 jährigen, an schwerer Anämie mit Darm¬
blutungen leidenden Mannes, welcher aber nur 11 Tage täglich
eine Stunde die Maske anwandte, und eines jungen Mädchens,
welches an lange dauernden profusen Menses litt (s. u.).
Dass die dauernd ansteigende Vermehrung der roten Blut¬
körperchen nicht vorübergehend ist, oder gar nui scheinbar
durch andere Blutverteilung oder durch Eindickung des Blutes
oder dergl. vorgetäuscht wird, dürfte aus folgenden Kurven
hervorgehen.
J a k o b j - Göttingen 3) zog aus seinen Versuchen den
Schluss, dass in der verdünnten Luft des Höhenklimas das
Blut in den Lungen, Venen und Kapillaren länger verweilt und
dass der Körper nun die dem grossen Kreislauf entzogene Blut¬
menge durch Neubildung zu ersetzen sucht. Da unter der
Saugmaske das Blut noch viel mehr in den Lungen gestaut
wird, wie dieses nach Jakobj, Kronecker u. a. im
Höhenklima der Fall sein soll, so lässt sich diese Frage durch
die Saugmaske leicht experimentell untersuchen. Wir liessen
zu diesem Zwecke Patienten unter der Saugmaske gleichzeitig
Sauerstoff einatmen und fanden, dass bei gleichzeitiger Sauer¬
stoffzufuhr die Einatmungserschwerung keine Vermehrung der
Blutelemente, sondern regelmässig sogar eine Verringerung'
derselben zur Folge hatte. (Auch bei reiner Ch-Atmung ohne
Kurve VI.
Kurve VII.
. rote Blutkörperchen.
- weisse „
[Herr Fr., 20 Jahre (Pleuritis tuberculosa).
Anfangs starkes, durch die Kleidung fühlbares
pleuritisches Reiben (Schwarten), Zwerchfell¬
hochstand. Bei der Entlassung Reibegeräusche
fast völlig geschwunden. Zwerchfell erheblich
besser beweglich. ' [ Gewichtszunahme 5 Pfd.j
Subjektives Wohlbefinden.
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_ rote Blutkörperchen. - weisse Blutkörperchen. Hämoglobin.
Frau Z., 40 Jahre (Pleuritis).
Subjektives Wohlbefinden. Erhebliche Besserung der pleuritischen Schmerzen unter
der Maske. Aufhebung der pleuritischen Reibegeräusche. Erheblich bessere Gesichts¬
farbe. Gewichtszunahme 5 Pfd.
Kurve VIII.
rote Blutkörperchen.
weisse Blutkörperchen.
Herr A, 48 Jahre (Herzfehler, Anämie). .
Subjektives Wohlbefinden. Erhebliche Besserung der Gesichtsfarbe. (Da zweistündige Maskenatmung nicht gut vertragen wurde, winde
später stündlich 10 Minuten geatmet.) Am 64. und 80. Tage hatten zwei isolierte Zahlungen von anderer Seite 2,7 Mill bzw. 3,4 M l.
Frvthrozvten, jedoch 90 bzw. 100 Hämoglobin ergeben. Infolgedessen vorgenommene zahlreiche Nachprüfungen durch / Herren am 80.,
81., 82. und 83. Tage ergaben aber stets wieder 4,8— 5,4 Ervtrozyten und 90 — 100 Hämoglobin.
Man sieht aus diesen Kurven, wie auch nach mehrtägigem
bezw. mehrwöchigem Aussetzen der Maske die Zahl der Blut¬
körperchen noch auf derselben Höhe geblieben oder nur wenig
gesunken ist.
Fragen wir uns nun zunächst, was bewirkt
die Anlockung resp. Vermehrung der Blut¬
elemente?
Da unter der Saugmaske ebenso wie im Höhenklima ‘die
Sauerstoffzufuhr eine gewisse Erschwerung erfährt, so liegt
es nahe, in beiden Fällen den Reiz, welcher durch die ver¬
minderte Sauerstoffspannung infolge der erschwerten Ein¬
atmung unter der Saugmaske bezw. der verdünnten Luft in
der Höhe auf die blutbildenden Organe des Knochenmarks aus¬
geübt wird, für die Anlockung der Blutelemente verantwort¬
lich zu machen.
Einatmungshindernis kommt eine Verringerung zustande, siehe
Kurve XI.)
Aehnliche Erfahrungen machte Bence4) im Höhenklima.
Er führt an, dass auch in der Hohen Tatra die Höhenpolyglobulie
nach Sauerstoffatmungen verschwand. Bence berichtet
ferner in der genannten Arbeit, dass nach Koväcs und
K o r ä n y i entsprechend auch die Polyglobulie bei Herz¬
fehlern und die genuine Polyglobulie mit Milztumor durch
Sauerstoffatmungen verringert werden kann.
3) Jakobj: Zur Frage der mechanischen Luftdruckver-
mindernug auf den Organismus. Deutsche med. Wochenschr. 1907,
No. 1.
4) Bence: 3 Fälle von Polyglobulie mit Milztumor. Deutsche
med. Wochenschr. No. 37, 1906.
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1715
Es muss demnach wohl an der bisher allgemein angenom¬
menen und auch nächstliegenden Erklärung festgehalten
werden, dass auch im Höhenklima (ebenso wie unter der Saug¬
maske) die Vermehrung der Blutelemente i n d e r
Hauptsache durch die verminderte Sauer¬
stoffspannung hervor gerufen wird.
Auch die Polyglobulie bei Herzfehlern mit Mischungs¬
zyanose (bei welchen Weil das Knochenmark hyperplastisch
fand) und bei Herzfehlern mit Lungenblutstauung* * 5 *), ferner bei
CO-Vergiftung, bei der Polyglobulie mit Milztumor usw. ist
nach Limbeck, Koväcs, Koränyi, Mohr, Lommel
u. a. durch Verminderung der Os-Spannung in den Geweben
bedingt (weitere Literatur siehe bei B e n c e 4).
Desgleichen führt Raybaud“) eine von ihm bei einem
alten tuberkulösen Pneumothorax gefundene Polyglobulie
(6,6 Millionen Erythrozyten) ebenso wie Auscher und
L a p i q u e°) eine bei künstlichem Pneumothorax gefundene Po¬
lyglobulie auf Oa-Mangel infolge des Atemhindernisses zurück.
Auch konnte ich bei Asthma bronchiale nach einer längeren
Periode täglicher schwererer Anfälle Polyglobulie konstatieren,
für welche dieselbe Ursache anzunehmen naheliegt, da dieselbe
nach Beseitigung der respiratorischen Stenoseanfälle ver¬
schwand. Auch S c h lo s s e r 7) fand bei 2 Fällen von Pneumo¬
thorax Polyglobulie (7,4 Milk), desgl. Grawitz bei Emphyse-
matikern und Schröder und Kündig7) bei Pleuritikern ;
und ich glaube, dass auch die Polyglobulie, welche man bei
schlecht atmenden Phthisikern mit paralytischem Thorax
oder stärkerer Lungenverödung überraschenderweise öfter
findet, in diesem Zusammenhänge verständlich und er¬
klärlich wird.
Die Frage nach der Vermehrung der Blutelemente bei der
verminderten Sauerstoffspannung im Höhenklima ist durch die
Untersuchungen von Bert, Müntz, Miese her7), Veil-
Ion, Egger, Suter, K a r c h e r, J a q u e t 8), Z u n t z 10),
Loewy, Kolmer, Caspary, Müller, V i a u 1 1, S e 1 -
1 i e r, R e g n a r d8 12), Schaumann-Rosenquist8), Law-
r i n o w i t s c h 8), Abderhalden9) u. a. nun zweifellos
ebenfalls dahin entschieden, dass eine wirkliche Vermehrung
der roten Blutkörperchen im Höhenklima stattfindet, welche
proportional der Luftverdünnung ansteigt und um so länger
anhält, je länger der Höhenaufenthalt gedauert hat. Eine Dif¬
ferenz der Meinungen besteht hauptsächlich nur noch bezüglich
der Erklärung der schnell eintretenden Schwankungen im
Blutbilde sofort nach der Ankunft in der Höhe, bei Ballon¬
fahrten usw. Einige Autoren, z. B. Abderhalden, halten
allerdings auch daran fest, dass auch die dauernde Ver¬
mehrung der Blutelemente nach längerem Höhenaufenthalt
wenigstens zu einem Teile durch ungleichmässige
Füllungszustände der Blutgefässe u. dgl. zu erklären sei.
Durch die Blutbefunde, welche sich bei der Anwendung der
Saugmaske an unseren Kranken ergeben, und welche zweifel¬
los in der Hauptsache als identisch denen des Höhenklimas an¬
gesehen werden können, gewinnt nun diese wichtige Frage so¬
wohl in physiologischer wie klinisch-therapeutischer Hinsicht
nach verschiedenen Richtungen eine erhöhte Bedeutung und
neue Beleuchtung.
Die Annahme von Sahli und Grawitz, dass die ge¬
samte Blutvermehrung bei vermindertem Os-Druck in der Höhe
nur durch Eindickung des 'Blutes infolge Wasserverdunstnng
durch Sonnenbestrahlung, Schweissabgabe etc. zustande käme,
ist schon durch Miescher 31), J a q u e t 8) u. a. und besonders
durch Z u n t z 1!) widerlegt, denn es liess sich im Höhenklima
weder eine höhere spezifische Schwere des Blutplasmas noch
ein höherer Gewichtsverlust, welcher bei so erheblicher Ein¬
dickung des Blutes dann sicher stattfinden müsste, feststellen.
°) Krehl: Pathologische Physiologie, 1904.
°) Ref. Internationales Zentralblatt für die ges. Tuberkulose-
Literatur 1907. No. 7. S. 165.
') Miesche r s Arbeiten 1897 und Korrespondenzblatt für
Schweizer Aerzte 1898.
8) 0. Schrötter: Luftdruckerkrankungen etc.
lJ) Medizinische Klinik 1905, No. 9.
“) Zuntz usw.: Höhenklima S. 197 (1906).
’) Miese hers Arbeiten und Korrespondenzbl. f. Schweizer
Aerzte, 1898.
12) Zuntz: Höhenklima S. 183.
Natürlich ist auch unter der Saugmaske an grössere Anstren¬
gungen oder Schweissabgabe ebensowenig zu denken, wie an
Wasserverlust durch klimatische Einflüsse oder dgl.
Bunge stellte dann die Theorie auf, dass die Blutkörper¬
chenvermehrung überhaupt nur dadurch zustande käme, dass
bei Sauerstoffmangel infolge eines allgemein erhöhten Tonus
der Gefässe das Plasma z. T. aus der Blutbahn austräte, wo¬
durch in der Zeiteinheit mehr Erythrozyten die Lunge pas¬
sieren und den Sauerstoff besser ausnützen könnten.
Demgegenüber wiesen Jaquet und Suter7) daraufhin,
dass bei Berücksichtigung des Gesamtgewichtes und Trocken¬
rückstandes der Versuchstiere (welche Bunges Schüler
W e i s s und auch Grawitz bei ihren Versuchen ausser acht
gelassen hatten), die Gesamthämoglobinmenge bei gleichartigen
Tieren in der Höhe (Davos) um 20 Proz. grösser war als
bei den Tieren in Basel, und später fand Jaquet auch bei
Kaninchen, welche 4 Wochen im künstlich luftverdünnten
Raume gelebt hatten, das Gesamthämoglobin um mehr als
20 Proz. höher als bei den Kontrolltieren. Ebenso fand
Zuntz10) und seine Mitarbeiter (Loewy, Müller, Kol¬
mer, Caspary) den Hämoglobingehalt der Rothorntiere um
20,5 Proz. höher als den der Berner Tiere, wobei besonders
das Knochenmark erheblich höhere Hämoglobinwerte aufwies.
Desgleichen fand Abderhalden9) durch Bestimmung des
Eiweissgehaltes und Trockenrückstandes des Blutes und Se¬
rums entsprechender Tiere, dass das Serum der 1 iere in der
Höhe (St. Moritz) einen höheren Trockenrückstand und Ei¬
weissgehalt besass, wie das der 1 iere in Basel. Das Gesamt¬
hämoglobin fand Abderhalden bei seinen zahlreichen Ver¬
suchstieren ebenfalls um ca. 17 — 19 Proz. im Höhenklima ver¬
mehrt. Als weiteren ausschlaggebenden Beweis konstatierten
Zuntz10) und seine Mitarbeiter, dass bei vergleichenden Un¬
tersuchungen (nicht zu alte) Versuchstiere auf dem Rothorn
nach mehreren Wochen gegenüber gleichartigen Berner Tieren
vorwiegend rotes, tätiges Knochenmark aufwiesen.13) Diese
Untersuchungen beweisen mit Sicherheit eine Blutvermehrung
in der Höhe, doch sind die in Betracht kommenden Methoden
nicht exakt genug, um die wirkliche Grösse der Erythrozyten¬
vermehrung mit Genauigkeit zu bestimmen und den Einwand,
dass die Vermehrung des Blutes wenigstens zum Teil
nur eine scheinbare sei, mit Sicherheit auszuschliessen. Die
Bunge sehe Theorie könnte immerhin wenigstens bis zu einem
gewissen Grade Geltung haben, ebenso wie eine dritte Theorie,
welche von Zuntz zur Erklärung der schnellen Schwan¬
kungen im Blutbilde aufgestellt worden ist. Zuntz1 0 wies
durch zahlreiche Experimente nach, dass unter dem Einfluss
wechselnder Kontraktionszustände der kleinsten Gefässe bei
Durchschneidung des Rückenmarkes, bei Sauerstoffmangel,
Kälte, Fieber, venösen Stauungen usw. das Mischungsverhältnis
zwischen Blutkörperchen und Plasma in verschiedenen mehr
oder minder begrenzten Gefässgebieten sich innerhalb weiter
Grenzen sehr rasch ändern kann. Dass also eine ungleich¬
mässige Verteilung der Blutelemente beispielsweise den Haut¬
kapillaren mehr Erythrozyten zuführen kann, als dem Splanch-
nikusgebiete der Baucheingeweide, deren Blutgefässe sich z. B.
bei Os-Mange1 *tark kontrahieren. Da sich bei Oa-Mangei
nun auch andere Gefässgebiete und besonders die Hautkapil¬
laren kontrahieren (Z untz 15), so erklären sich wohl auch die
paradoxen Befunde, welche man zuweilen bei stär¬
kerer forcierter Einatmungsbehinderung findet, bei
welcher bei Entnahme des Blutes aus den Hautkapillaren
manchmal sogar, ebenso wie bei schnellem Anstiege in die
Höhe (Zuntz, Schumberg, Gaule10) R e d u k t i o n e n
der Blutzahlen gefunden werden (welche dann aber einige Zeit
später wieder höheren Zahlen weichen).
Unter den bei Anwendung der Saugmaske gewonnenen
Befunden ergeben sich nun weitere Stützen für eine wirkliche
Neubildung von Blutkörperchen bei verminderter Sauerstoff¬
spannung. Wichtig ist zunächst die Tatsache, dass in der
Karotis bei Tieren in der Höhe dieselbe Blutvermehrung festge¬
stellt werden konnte wie im Kapillargebiet der Haut (Z u n t z.
13) Zuntz: Höhenklima 1906, S. 200.
14) Zuntz und C o h n s t e i n : Pflügers Archiv 1888.
,?) P f 1 fi g e r s Archiv 1878.
16) Siehe Anmerkung 9.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
1716
Abderhalden). Auch wir konnten bei der Entnahme des
Blutes aus der Vena mediana cubiti keine wesentlichen Ab¬
weichungen gegenüber den Hautkapillaren des Ohres, Fingers
und der Zehe feststellen.
Dass aber überhaupt weder unregelmässige Verteilung
noch Plasmaaustritt des Blutes aus den Gefässen eine ent¬
scheidende Bedeutung für die vorliegende Frage haben
kann, dürfte schon aus den oben angeführten Blutkurven mit
Wahrscheinlichkeit hervorgehen, denn es wäre nicht einzu¬
sehen warum, wenn der Körper sich nur während einiger Stun¬
den des Tages durch Eindickung des Blutes oder durch Tonus¬
schwankungen gegen 02-Mangel schützen müsste, überhaupt
eine so starke, dauernd ansteigende und nachher
längere Zeit anhaltende Vermehrung zustande kommen
sollte, denn die verminderte Sauerstoffspannung entfaltet hier
ihre Wirkung auf den Gefässtonus immer nur so kurze Zeit,
dass hierdurch allein die von Tag zu Tag immer höhere Zahlen
ergebende Vermehrung der Blutelemente oder gar erst eine
so lange anhaltende ungleichmässige Verteilung oder Ein¬
dickung des Blutes nicht erklärt werden kann.
Da jedoch schon nach einer Stunde unter der Saugmaske
anfangs sich gewöhnlich 17) die roten Blutkörperchen um eine
bis mehrere Millionen und die weissen oft um mehrere Tausend
Blutkörperchen in die Blutbahn zu stände. Hierdurch
wird dann ein neuer und verstärkter Reiz auf
die blutbildenden Zellen ausgeübt, welcher
die Bildung neuer Reservevorräte und zwar
im Ueber schuss anregt.
Ich möchte des weiteren annehmen, dass wenn das Sauer¬
stoffbedürfnis des Körpers dann wieder durch eine kleinere
Blutkörperchenmenge gedeckt werden kann, ein Teil der hervor¬
gelockten Blutkörperchen vielleicht wieder in das Knochen¬
mark und besonders wohl in die Milz, Leber und andere innere
Organe zurücktritt, so dass anfangs im Kreislauf sehr rasch
die frühere Blutmenge wieder auftritt, sobald die absolute Blut¬
körperchenvermehrung noch keine erheblichere geworden ist.
Ein fernerer und zwar indirekter Beweis, dass in
der Tat stets ein sofort einsetzender Reiz auf das
Knoche n mark bezw. die blutbildenden Organe stattfindet,
ist die Erfahrung, dass z. ß. bei alten Leuten (s. o.) und
schweren Anämien oder sehr kachektischen Kranken (nach
Grober auch bei Karzinomkranken), bei denen das Knochen¬
mark weniger leistungsfähig ist, die Schwankungen im Blut¬
bilde unter Anwendung der Saugmaske (ebenso wie im Höhen¬
klima) ganz au sb leiben bezw. viel geringer sind. Zur Er¬
läuterung mögen folgende Kurven dienen.
. rote Blutkörperchen.
- weisse „
- Hämoglobin.
Frau St., 43 Jahre (Phthisis III).
Nach zwei Wochen lang beobachtetem hektischen
Fieber bis 40° Anwendung der Saugmaske. Danach
am dritten Tage fieberfrei. Anfangs ca. 2 Liter
eiterigen gebähten Sputums tägl., schwere Kachexie.
Nach 3—4 Wochen Auswurf völlig geschwunden.
Klinische Erscheinungen ganz erheblich gebessert.
(Auswurf und Husten bestand seit mehreren Jahren
trotz wiederholter Krankenhausbehandlung.) Kein
Husten mehr, subjektiv völliges Wohlbefinden. Ge¬
wichtszunahme seit der Maskenatmung 22 Pfd. in
ca. 7 Wochen. (Nach zweitägigem Maskengebrauch
trat eine ausserordentliche Steigerung des Appetits
ein. Allmähliche Rötung des Gesichtes und der
Nägel.)
Kurve X.
Kurve IX.
. rote Blutkörperchen. - weisse Blutkörperchen.
Herr K., 40 Jahre. (Starke Leber- und Milzschwellung) Ban tische Krankheit.
Gesichtsfarbe anfangs fahl, blassgrün; Nägel gelblichweiss. Jetzt Wangen leicht gerötet, Fingernägel rosa. Der anfangs
völlig bettlägerige Pat. geht jetzt seiner dienstlichen Beschäftigung wieder nach.
im Kubikmillimeter vermehren, so ist allerdings nicht anzu¬
nehmen, dass diese grossen im peripheren Kreisläufe erschei¬
nenden Blutmengen nun sofort binnen einer Stunde neu ge¬
bildet werden, sondern es ist zweifellos, dass diese anfäng¬
lichen Schwankungen, welche analog denen zu setzen sind,
welche man bei Luftschiffern oder nach schnellem Anstieg
auf die Höhe oder bei Tieren nach kurzem Aufenthalt in der
Vakuumglocke findet, zum grössten Teil durch Tonus¬
schwankungen zu erklären sind. Zu einem Teile aber
glaube ich, kommen sie durch Eintreten von bereits fer¬
tiggebildeten, zur Reserve im Knochenmark vorhandenen
17) Bei sehr forcierter Inspirationsbehinderung findet, wie er¬
wähnt. auch öfter eine Abnahme statt, welche zweifellos durch Tonus
der Hautkapillaren infolge Os Mangels bedingt ist. Entsprechend
fand auch Z u n t z u. a. bei schnellem Anstieg in grössere Höhen oder
Ballonfahrten öfter erheblich abweichende Resultate, welche m. E.
in gleicher Weise zu erklären sind.
Man sieht aus den Kurven dass bei diesen Patienten durch
den Reiz aufdasweniger leistungsfähigeKno-
chenmark erst eine ganz allmähliche Vermeh¬
rung der Blutelemente stattfindet. Auch die grossen
anfänglichen Schwankungen welche man besonders bei anä¬
mischen Individuen mit leistungsfähigem Knochenmark sieht,
fallen hier grösstenteils fort, ein weiterer Beweis, dass das rein
mechanische Moment einer unregelmässigen Blutverteilung
auch bei den anfänglichen , starken Vermehrungen nicht die
alleinige Ursache sein kann, denn es wäre nicht einzusehen,
warum denn sonst hier diese Veränderungen ausbleiben sollten.
Uebrigens stellten Zuntz und seine Mitarbeiter fest, dass auch
im Höhenklima die Zunahme der Erythrozyten bei alten
Versuchstieren weniger intensiv und nicht so regelmässig auf¬
tritt als bei jungen. Auch ist es bekannt, dass bei schwer
anämischen oder kachektischen Patienten ein zu therapeutischen
Zwecken gewählter Höhenaufenthalt sehr oft seine Wirkung
versagt.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1717
27. August 1907.
Ein fernerer Beweis, dass ein die blutbildenden Organe
anregender und zwar vorwiegend auf das Knochenmark ge¬
richteter Reiz auch schon bei den anfänglichen Vermehrungen
seine Wirkung entfaltet, ist auch darin zu sehen, dass auch die
schon nach einstündiger Maskenatmung eintretende V e r -
me hrung der weissen Blutkörperchen haupt¬
sächlich in einer Vermehrung der neutrophi¬
len, polymorphkernigen Leukozyten besteht,
deren Bildungsstätte das Knochenmark ist, während die Lym¬
phozyten, welche zum grossen Teil auch in der Milz und den
Lymphdrüsen entstehen, in viel weniger vermehrter Zahl auf-
treten. Ueber die einzelnen Arten der unter der Saugmaske
sich vermehrenden neutrophilen Leukozyten im Arneth-
schen Sinne wird Herr Zillmer in einer Dissertation dem¬
nächst noch nähere und ausführlichere Angaben machen.
Wenn die anfänglichen Schwankungen im Blutbilde nur
durch ungleichmässige Blutverteilung zustande kämen, müsste
dann wohl wenigstens bezüglich der weissen Blutkörperchen
eine annähernd der früheren gleiche Zusammensetzung nach
Anwendung der Saugmaske zu erwarten sein, was^aber nach
unseren Befunden durchaus nicht der Fall ist.38)
Ich glaube also daran festhalten zu müssen, dass auch die
anfänglichen Vermehrungen der Erythro¬
zyten und Leukozyten nach einstündiger Mas¬
kenatmung teilweise schon als durch einen di¬
rekten Reiz aus dem Knochenmark bezw. an -
dereninnerenOrganenhervorgelockterklärt
werdenmüssen.
Dass die Leukozyten überhaupt in ihrer Gesamtheit ebenso
wie die Erythrozyten unter der Sangmaske wirklich vermehrt
werden, geht aus den angeführten Kurven und unseren zahl¬
reichen Einzeluntersuchungen hervor, und ich glaube, man
wird eine solche Leukozytenvermehrung auch im Höhenklima
feststellen können, wenn man entsprechende Zählungen vor¬
nimmt.
Es fällt dabei nun sofort auf, dass meistens das Prozent¬
verhältnis zwischen Erythrozyten und Leukozyten ein ziemlich
konstantes bleibt. Diese Beobachtung gibt uns vielleicht auch
einen Fingerzeig zur Erklärung der gewöhnlich zugleich mit
der Erythrozytenvermehrung auftretenden Leukozytose. Ich
glaube daraus den naheliegenden Schluss ziehen zu dürfen,
dass der Körper, auch wenn durch verminderte
Oa- Spannung nur die Vermehrung der Ery¬
throzyten geboten ist, in der Zusammen¬
setzung des Gesamtblutes im Kreislauf an
einem bestimmten, auch sonst vorhandenen
Prozentverhältnis im allgemeinen festzu-
halten sucht.
Dass ein Reiz, welcher die Neubildung der Erythrozyten
im Knochenmark anregt, auch den Leukozytenapparat des
Knochenmarks zu erhöhter Tätigkeit anspornt, findet sein
Gegenstück in der Vermehrung der polymorphkernigen Leuko¬
zyten, welche gewöhnlich die regenerative Neubildung der
Erythrozyten nach Blutverlusten begleitet. Nach Sahli111)
gibt sogar die Zahl der im Blute vorhandenen polymorphkerni¬
gen Leukozyten einen ziemlich sicheren Massstab für die Leb¬
haftigkeit der regenerativen Tätigkeit des Knochenmarks ab.
Und im Gegensatz hierzu kommt bei der perniziösen
Anämie entsprechend dem Darniederliegen der Knochenmarks¬
funktionen, auf Kosten der polymorphkernigen Leukozyten
meist eine erhebliche relative Vermehrung der Lymphozyten
zustande, welche zur Zeit der Besserung dann wieder einer
stärkeren polymorphkernigen Leukozytose weichen kann 19).
Dass bei unseren tuberkulösen Kranken in einigen Kurven
Ausnahmen dieser Leukozytenzahlen im Verhältnis zu den
Erythrozyten gefunden wurden, ist durch die bei diesen Kran¬
ken vorhandenen Kavernen und Eiterhöhlen in den Lungen
bezw. durch phagozytische oder antitoxische Inanspruch¬
nahme der Leukozyten erklärlich.
Interessant ist auch die Kurve No. VIII, in der anfangs ein
gewisser paraleukämischer Zustand bestand, bei dem die
18) Auch Raybaud fand bei der erwähnten Polyglobulie in¬
folge Pneumothorax eine gleichzeitige Leukozytose, nämlich 12 140
Leukozyten, von denen 8570 polymorphkernige waren.
in) Sahli: Klinische Untersuchungsmethoden 1905 S. 705.
Leukozyten wohl „ex vacuo“ vermehrt waren, dann aber mit
dem Ansteigen der Erythrozyten, auf das Normale zurück¬
gingen, um später ähnlich wie bei normalen Individuen im all¬
gemeinen mitzusteigen 20).
Eine besondere Besprechung bedarf nun weiter die Hämo¬
globinvermehrung.
Das Hämoglobin vermehrt sich unter der Saugmaske ge¬
wöhnlich nicht so schnell wie die Erythrozyten. Die roten
Blutkörperchen sind anfangs blasser und oft kleiner. Der
Hämoglobingehalt des Blutes steigt zwar ebenfalls dauernd,
aber gewöhnlich zunächst nicht entsprechend der Erythro¬
zytenzahl. Ich halte diese Erscheinung für sehr erklärlich,
denn der Körper kann kaum solche Eisenvorräte verfügbar
haben, wie zur Sättigung der in so kurzer Zeit angelockten
jungen bezw. neugebildeten Erythrozyten mit Hämoglobin
nötig sind, diese müssen erst allmählich aus der Nahrung zu¬
rückgehalten werden, und es scheint, als ob dementsprechend
unter gleichzeitiger Eisendarreichung 21) die Hämoglobin¬
zunahme in der Tat manchmal auch etwas schneller von statten
ginge 22).
Uebrigens stellten auch Otto, Bizozzero und Sal-
v i o 1 i 23) ferner auch Ott und L a a c h e 24) die analoge Er¬
scheinung fest, dass bei der regenerativen Neubildung der
Erythrozyten nach Aderlässen oder Blutverlusten anfangs der
Hämoglobingehalt verhältnismässig geringer bleibt. Auch in
der Höhenluft (Davos) fanden J a q u e t und Suter ebenso
wie M i e s c h e r 7) und neuerdings Z u n t z 10) den Hämo¬
globingehalt teilweise nicht ganz entsprechend der Blutkörper¬
chenvermehrung gesteigert und auch Lawrinowitsch23)
stellte nach der Ankunft auf den Pamirhöhen Erythrozyten¬
zunahmen von 57 — 60 Proz. fest, während der Hämoglobin¬
gehalt nur um 10,5 — 15,7 Proz. zugenommen hatte. Dieser
Umstand ist ein weiterer Beweis für eine wirkliche Neubildung
von Blutkörperchen bei verminderter Sauerstoffspannung, und
auch dafür, dass sehr rasch junge Blutkörperchen aus dem
Knochenmark angelockt werden, denn wären die Blutkörper¬
chen nur ungleich verteilt oder das Blut eingedickt, würde es
schwer zu erklären sein, warum dann der Eisengehalt der
Blutkörperchen so plötzlich verringert sein sollte 2ß).
Diese anfangs nicht gleichen Schritt mit der Erythro¬
zytenvermehrung haltende Hämoglobinvermehrung gibt uns
vielleicht auch den Schlüssel, warum die vergleichenden Re¬
sultate der Untersucher im Höhenklima zu verschiedenen Er¬
gebnissen führen können, wenn sie die Blutkörperchenver¬
mehrung aus der Bestimmung des Gesamthämoglobins oder
des Eisengehaltes der Versuchstiere zu ermitteln suchen. Denn
Tiere, welche kürzere Zeit in der Höhe verweilen, werden trotz
hoher Blutkörperchenzahlen geringere Hämoglobinmengen auf-
weisen, als Tiere nach längerem Höhenaufenthalt. Dasselbe
gilt natürlich auch für kürzeren oder längeren Gebrauch der
Saugmaske.
Zuntz gibt dabei auch der Erwägung Raum 27), dass der
geringere Hämoglobingehalt eventuell darauf zurückzuführen
sein könne, dass bei vermehrtem Gefässtonus die kleineren
Erythrozyten aus den Kapillaren gepresst würden. Demgegen¬
über möchte ich aber darauf hinweisen, dass wir (ebenfalls ana¬
log der regenerativen Neubildung nach Blutverlusten) gewöhn¬
lich gerade auffällig viele kleine Erythrozyten nach der
Maskenatmung gefunden haben; und auch das verhältnis¬
mässig langsame aber stetige Ansteigen der Hämoglobinwerte
20) Derartige ausgleichende Schwankungen zwischen Erythro¬
zyten und Leukozyten haben wir auch sonst öfter gesehen.
21 ) Vielleicht lassen sich auf diese Weise Untersuchungen an¬
stellen, welche Eisenpräparate für die Hämoglobinvermehrung am
günstigsten sind.
22) Umgekehrt scheint das Blut beim Zugrundegehen von Ery¬
throzyten längere Zeit einen konzentrierteren Blutfarbstoff zu be¬
wahren (s. a. Kurve XI).
23) s. Landois: Physiologie 1905, S. 75.
24) s. S a h 1 i S. 707.
25) v. Sehr öfter: Luftdruckerkrankungen 1900, S. 729.
26) Da die Hämoglobinwerte kolorimetrisch bestimmt wurden,
hätte nach den Untersuchungen Arons das Hämoglobin infolge O2-
Mangel durch Umbildung von Methämoglobin eher zu hohen Wert
liefern müssen. (Vgl. Aron: Ueber die Luftabsorption und den Eisen¬
gehalt des Blutfarbstoffs. Biochemische Zeitschrift, III. Bd. Heft 1.)
27) Nach einer mündlichen Mitteilung,
1718
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
in unseren Blutkurven, kann ebensowenig wie das länger dau¬
ernde Bestehenbleiben der niedrigen Hämoglobinwerte bei
u n verhältnismässig hohen Erythrozyten zahlen
durch vorübergehende Schwankungen im Gefässtonus
erklärt werden.
Grawitz hatte nun gegen das Zustandekommen einer
Vermehrung der Blutelemente im Höhenklima u. a. auch den
Einwand gemacht, dass man bei der schnellen Neubildung der
Knochenmarkelemente erwarten müsste, nun auch öfter un¬
fertige Gebilde, besonders kernhaltige Erythrozyten im Blute
zu finden. „ . , , ,
Kernhaltige Erythrozyten haben wir allerdings trotz zahl¬
reicher Untersuchungen bisher nur bei 3 Patienten ganz ver¬
einzelt feststellen können. Ebenso wurden sie auch im Höhen¬
klima meist vermisst, doch haben beim Uebergang in die. Höhe
Gaule 28), ferner auch Schaumann und Rosenquist)
bei Tieren nach längerem Verweilen unter der Vakuumglocke
Erythroblasten gefunden. Ich glaube, dass bei forciert er ei
Anwendung der Saugmaske und vielleicht besonders bei nicht
ganz intaktem Knochenmarke sich noch öfter solche Gebilde
finden werden. .
Bei normal funktionierendem Knochenmark scheinen aller¬
dings kernhaltige Blutzellen nur äusserst selten in den Kreis¬
lauf zu gelangen, wenn nicht (wie bei starken Blutvei lüsten) die
dringendste Not die vorzeitige Abgabe aller nur irgend verfüg¬
baren Elemente erheischt. Dem gegenüber mochte ich aber
noch einmal hervorheben, dass unsere Befunde nur gelegent¬
lich therapeutischer Anwendung der Saugmaske an . meist
tuberkulösen Kranken bei niemals forcierter, sondern in der
Regel nur 2 mal 1 Stunde täglich angewandter massiger Ein¬
atmungserschwerung als Nebenbefunde erhoben worden sind,
und dass daher ebenso wie beim Anstieg in nicht allzu grosse
Höhen die Ansprüche an die blutbildenden Organe deien nor¬
male Leistungsfähigkeit wohl nicht so weit in Anspruch
nehmen, als eine vorzeitige Abgabe unfertiger Gebilde bei in¬
taktem Knochenmark stattfinden musste. Ausserdem zeigt sich
in allen diesen und auch aus unseren anderen (hier nicht in
Kurven dargestellten) Untersuchungen, dass die Neubildung der
Blutelemente bei dieser Art der Anwendung der Saugmaske
nicht ins Ungemessene steigt, sondern je nach der individuellen
Leistungsfähigkeit der Kranken bei einer gewissen Grenze
Halt macht. Unsere im tierphysiologischen Institut der land¬
wirtschaftlichen Hochschule auf Anregung des Herrn Geh. Rat
Zuntz in Angriff genommenen Experimente an Versuchstieren,
bei denen wir die Inspirationsbehinderung stärker forcieren
können, werden über diese Frage weitere Aufklärung bringen;
denn aus den Versuchen F. Müllers30), welcher durch
Unterbindung der zum Knochen führenden Arterie die Blut-
und Sauerstoffzufuhr erschwerte und danach in den abführenden
Knochenvenen schon nach 3 — 4 Minuten zahlreiche Erythro¬
blasten fand, scheint hervorzugehen, dass das Knochenmark
bei stärkerem Oa-Mangel sehr rasch auch unfertige Gebilde
in den Kreislauf schickt. (Auch nach Kompression der Trachea
sah Müller Erythroblasten in der Knochenvene!)
Sehr wichtig ist nun die Frage nach dem Verbleib der
Blutkörperchen. Ein akuter Zerfall der neugebildeten Erythro¬
zyten scheint nicht einzutreten. Dagegen spricht schon die
Dauer des Bestehens der Vermehrung der Blutkörperchen,
welche aus den Kurven auch nach Aussetzen der Masken¬
atmung ersichtlich ist! Dass die Blutkörperchenvermehrung
nicht rasch vorüber geht, konnten wir auch bei vielen anderen
Patienten feststellen und Grober berichtete auf dem letzten
Kongress in Wiesbaden, dass er bei anämischen und chloro-
tischen Patienten, bei denen er die Sauemaske therapeutisch
angewandt hatte, ebenfalls nach einer Reihe von Wochen noch
die Erythrozytenvermehrung feststellen konnte.
Es ist daher nicht zu verwundern, dass wir Anzeichen
eines akuten Zerfalls der Erythrozyten, Urobilin oder Gallen¬
säuren im Harn, Ikterus oder dergl. bei unseren Patienten nicht
gesehen haben.
Nach Karelier, Veillon und Suter7), Lawri-
n o w i t s c h 31) u. a. gehen auch die Zahlen nach dem Abstieg
28) Pflügers Archiv 89, S. 119.
S9) Archiv für die ges. Phvsiologie. Bd. 68.
30) Deutsche Medizinalzeitung 1907.
aus der Höhe manchmal erst nach 4—10 Wochen ganz wieder
zur Norm zurück und bleiben öfter sogar noch längere Zeit
erhöht, daraus erhellt, dass auch hier der normale Abbau der
Erythrozyten ohne sichtbare Symptome von statten gehen
kann. Selbst bei der Transfusion grosser Mengen Blut tritt
ja nach L e s s e r 32), Panum, Worm - Müller, 1 s c h i r -
j e w, L a n d o i s 33) u. a. gewöhnlich kein akuter Zerfall der
vielen iiberfliisigen Erythrozyten und hierauf deutende sicht¬
bare Erscheinungen ein, da sogar die eingeführten fremden
Blutzellen so langsam zerfallen, dass selbst nach Wochen noch
eine Vermehrung der Blutelemente bei den Versuchstieren nach
einer Bluttransfusion festzustellen ist. Es ist daher auch nicht
berechtigt, aus dem Fehlen der Anzeichen eines akuten Ery¬
throzytenzerfalles nach dem Abstieg aus der Höhe, oder nach
Aussetzen der Maske den Schluss zu ziehen, dass die Ver¬
mehrung des Blutes nur eine scheinbare sein müsse. Die
Lebensdauer der Erythrozyten berechnet man ohnehin nur auf
2—3 Wochen, indem man die Menge der aus zerfallenen Ery¬
throzyten bereiteten Galle der Schätzung zugrunde legt. Stellt
man sich nun vor, dass bei unseren anämischen Patienten in¬
folge der reichlichen Erythrozytenmengen nach Anwendung
der Saugmaske die Galle und andere aus dem Blute bereitete
Verdauungssäfte reichlicher fliessen und dass bei vollblütigen
Individuen nach Aussetzen der Maske (oder nach einem
Höhenaufenthalt) die Neubildung der Erythrozyten bezw. die
Assimilation von Eisen aus der Nahrung einige Zeit sistiert, so
erklärt sich ohne weiteres das Fehlen gröberer Anzeichen
eines Erythrozytenzerfalles.
Bezüglich der schon nach einstündiger Maskenatmung ge¬
wöhnlich schnell eintretenden und nach 12 — 24 Stunden (wenn
auch nicht ganz) zurückgehenden Schwankungen im Blutbilde,
welche in gleicher Weise bei Luftschiffern nach kurzem Höhen¬
aufenthalt oder bei Versuchstieren in der Vakuumsglocke ein-
treten und welche sicherlich zu einem grossen Teile durch
Tonuschwankungen bedingt sind, möchte ich aber auch an¬
nehmen. dass ebenso wie die als Reserve im Knochenmark
vorhandenen Erythrozyten nötigen Falles rasch in den Blut¬
kreislauf eintreten können, die nachher überflüssigen Blutzellen
dann wieder teilweise in das Knochenmark und hauptsächlich
wohl (ohne gleich zu zerfallen) in die Milz, Leber usw.. ein¬
gelagert werden können, das also der Kreislauf sich der über¬
flüssigen Blutelemente möglichst rasch wieder entledigt, bezw.
sie als Reservematerial dort deponiert, wo dieses Material zum
Abbau gebraucht wird. Bei den Leukozyten sind uns ia solche
Vorgänge ganz geläufig, ich erinnere besonders an das regel¬
mässig vermehrte Auftreten und Wiederverschwinden der
Leukozyten nach der Mahlzeit, welche durch einen ähnlichen
Regulativvorgang zustande kommen muss, dessen Zweck und
Wesen uns allerdings auch noch wenig bekannt ist und welche
nach unseren (frühere Annahmen bestätigenden) Unter¬
suchungen gewöhnlich auch mit einer periodischen Erythro-
zytenvermehrung vergesellschaftet ist.
Mit diesen Resultaten steht nun auch das Ergebnis, welches
unsere Versuche mit Sauerstoffatmungen gezeigt haben, im
Einklang. Sowohl bei gleichzeitiger Oa-Zufuhr unter der Saug-
makse, als auch bei unbehinderter Oa-Atmung treten jedes
Mal starke Reduktionen in der Zahl der Blutelemente ein.
(Siehe Kurve XI.)
Aus dem ersten Teil dieser Kurve, welcher bei 1—2 stän¬
diger täglicher Oa-Atmung gewonnen wurde, ergibt sich, ge-
wissermassen als Probe aufs Exempel, dass fast jedesmal nach
einstündiger Oa-Atmung eine Verminderung der roten und der
weissen Blutkörperchen im peripheren Kreislauf eintritt und ei'
scheint, dass ganz langsam auch eine absolute Vermin¬
derung der Blutelcmente zustande kommt (s. Anm. 21). Ko-
väcs, Hollid ay und Crooni konnten auch bei ange¬
borenen Herzfehlern ebenso wie B e n c e im Höhenklima und
Koränyi bei der Polyglobulie mit Milztumor die Erythro¬
zyten um eine bis mehrere Millionen durch dauernde Oa-At¬
mung verringern 34).
31) v. Sehr öfter: a. a. O.
3S) s. K r e h 1 S. 205.
33) s. Landois S. 72.
34) Bekanntlich bekommen die Caissonarbeiter, welche unter
hohem Druck in Taucherglocken usw. arbeiten, sehr bald eine blasse
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1719
Eine analoge Beobachtung machte ferner R egna r d 33),
welcher Tauben 9—10 Tage unter erhöhtem Druck leben hess.
Regnard zog aus seinen Beobachtungen den Schluss,
dass das Leben in einer sauerstoffreichen Atmosphäre eine Re¬
sorption der Blutkörperchen bedingt, welche aber viel lang¬
samer und weniger intensiv ist, als die durch Abnahme des
Druckes gleichsam als Kompensationserscheinung seitens der
Blutbildung bedingte Explosion der Mikrozyten“.
Aus diesen Beobachtungen, welche im übrigen ebenfalls
den langsamen Zerfall der Erythrozyten erweisen, ergibt sich
auch indirekt ein Beweis, dass durch verringerten Os-
Druck eine sofortige Anlockung junger Blutkörperchen aus dem
Knochenmark und auch eine rasche und starke Neubildung
neuer Blutelemente stattfinden muss, denn durch rein mecha¬
nische, nur durch veränderten Tonus der Gesamtblutgefässe
oder einzelner Gefässgebiete bedingte Schwankungen wäre es
sonst durchaus nicht zu erklären, warum sich die Schwan¬
kungen, welche unter CL-Atmung (infolge des langsamen Zer¬
falls der Blutelemente) lange Zeit in ziemlich gleichen
Grenzen bleiben, unter der Anwendung der Saugmaske (bei
Auch bezüglich der Wirkung der Einatmungserschwerung
bei gesunden, vollblütigen Individuen können erst die in An¬
griff genommenen Tierexperimente weitere Aufklärung bringen,
denn ich halte es nach vereinzelten Untersuchungen für wahr¬
scheinlich, dass die Vermehrung der Blutelemente bei sehr
vollblütigen Individuen gewöhnlich noch schneller von statten
geht, dass aber auch die Zahlen rascher zur Norm zurück¬
gehen, jedenfalls rascher als bei unseren meist anämischen
Kranken, welche lange Zeit und infolge der Ausbildung der
Atmungsmuskulatur und daraus resultierender Besserung der
Atmung und des gesamten Blutumlaufes vielleicht dauernd ihre
gegen früher erhöhten (und nun normalen) Blutzahlen beizu¬
behalten scheinen.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen in
klinisch-therapeutischer Hinsicht sei nun in
folgendem nur kurz angedeutet. Angesichts der verhältnis¬
mässig raschen Vermehrung der Blutelemente, wie wir sie
schon bei mässiger Einatmungserschwerung unter der Saug¬
maske bei 1—2 Stunden täglicher Anwendung häufig gefunden
I haben, scheint hier ein Mittel gegeben, welches
Kurve XI.
. - rote Blutkörperchen.
- weisse
- Hämoglobin.
Frau Kl., 50 Jahre alt. (Chronische Nephritis, Herz¬
hypertrophie.)
Pat. wurde vor Beginn der Ch-Atmungen scho ).
lange Zeit auf der Station behandelt (Bettruhe, Diät
Patientin fühlt sich unter Sauers toffatmung leidlic
wohl. 1 Pfd. Gewichtszunahme. ' Gesichtsfarbe blass
Unter der Saugmaske Gesichtsfarbe sehr viel
frischer. (Diät unverändert.) Die Kurve bildet
zugleich ein Beispiel für die langsamere Ver¬
mehrung der Blutelemente unter der Saugmaske
bei älteren Personen.
verringertem 02-Druck) sich gewöhnlich schon nach kurzer
Zeit in immer höheren Grenzen abspielen und nachher längere
Zeit auch ohne Maskenatmung bestehen bleiben sollten. Auch
haben wir meist gesehen, dass mit steigenden Blut¬
körperchenzahlen diese Schwankungen gewöhnlich in ge¬
ringeren Grenzen bleiben; wären diese Vorgänge nur
durch Tonuschwankungen zu erklären, dann müssten bei
steigenden Blutkörperchenzahlen diese Schwankungen so¬
gar noch grössere Ausschläge zeigen.
Erwähnen muss ich schliesslich, dass mit diesen Ergeb¬
nissen auch die klinischen Erscheinungen vollkommen überein-
stimmen, indem die Kranken unter der Saugmaske
fast stets sehr bald eine auffällig frische Ge¬
sichtsfarbe bekommen.
Es dürfte somit nicht zweifelhaft sein,
dass unter der Saugmaske ebenso wie im
Höhenklima eine wirkliche und oft schnell
ansteigende dauernde Vermehrung der Voten
und weissen Blutkörperchen und eine etwas
langsamere, aber auch stetige Vermehrung
des Hämoglobins stattfindet.
Und wenn diese Resultate auch an Kranken und meist
anämischen Personen gewonnen sind, so ist doch infolge der
gleichen einwirkenden Ursachen aus diesen Ergebnissen sicher¬
lich auch der Rückschluss zulässig, dass die Blutverhältnisse
bei Gesunden und im Höhenklima den gleichen oder ganz ähn¬
lichen Gesetzen unterliegen!
Ueber das Verhalten anderer Blutelemente kann ich vor¬
läufig nur soviel sagen, dass wir gewöhnlich auch eine auf¬
fällige Vermehrung der Blutkörperchen (welche wahrscheinlich
ebenfalls als ein Zeichen vermehrter Blutneubildung aufgefasst
werden muss) konstatieren konnten. Nähere Zahlenangaben
hierüber, sowie genauere Bestimmungen der Leukozytenarten
werden folgen.
Hautfarbe, doch sind bei denselben Blutuntersuchungen m. W. noch
nicht vorgenommen.
35) v. Sehr ötter: Luftdruckerkrankungen S. 729.
an Einfachheit und Schnelligkeit der Wirkung
die bisher bekannten therapeutischen Me¬
thoden zur Vermehrung der roten Blutkörper¬
chen und des Hämoglobins bei Zuständen von
AnämieundChlorosebeiweitem übertrifft. 33*)
Eine Verdoppelung der Blutkörperchen innerhalb einer oder
weniger Wochen, wie wir sie öfter gesehen haben, dürfte durch
kein anderes Mittel (ausser dem Aufenthalt in grösseren Höhen)
erreichbar sein. Die Blutvermehrung unter der Saugmaske ist
bei noch leistungsfähigem Knochenmark gewöhnlich eine so
prompte, dass ein Ausbleiben derselben im Verlauf einer
längeren Anwendung der Saugmaske nach unseren Erfahrungen
bei anämischen Personen sogar zu der diagnostischen
Schlussfolgerung berechtigt, dass das Knochen¬
mark leist ungs unfähig resp. erkrankt ist,
oder dass innere Blutverluste, wie Darm- oder
Magenblutungen oder dergl., v 0 r 1 i e g e n. In einigen Fällen,
in denen uns das Ausbleiben der Blutkörperchenvermehrung
anfangs rätselhaft erschien, waren länger dauernde profuse
Menses die Ursache, nach deren Aufhören die Blutvermehrung
dann prompt erfolgte.
Ich glaube daher, man kann nach diesen Erfahrungen den
Schluss ziehen, dass, wenn bei anämischen Patien¬
ten mittels einer sachgemässen Anwen¬
dung der Saugmaske keine Vermehrung der
Blutelemente erzielt wird, eine Besserung
durch einfache Mittel überhaupt ausge¬
schlossen ist, und dass der Anämie dann eine
kompliziertere Ursache zu Grunde liegen
m u s s.
Auch bei Behandlung der Lungentuberkulose,
bei welcher vermittels der Saugmaske haupt-
35*) Anmerkung bei der Korrektur: Die Neubildung
durch Arsen soll nach Jakob j3) durch Blutkörperchenzerfall und
die Neubildung durch Aderlässe nach F. Müller 30) durch den dabei
entstehenden Os-Mangel bedingt sein, wonach auch bei diesen Mit¬
teln hauptsächlich die verminderte Os-Spannung als Reiz in Betracht
käme.
1720
■MITENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
sächlich ja durch stärk« reBlutfü Ile b e z \v.
Blutstauung unter gleichzeitiger Beförderung des Lympli-
strcmes 36) der Lungen eine Unschädlichmachung
der Bakterien und durch bessere Ernährung des
Lungengewebes raschere Vernarbung, ferner durc
die Widerstandsgymnastik bei möglichst ruhig ge¬
stellten Lungen Kräftigung und Ausbildung er
gesamten Brustorgane usw. erstrebt wird, ka n n d 1 e
Vermehrung der Blutelemente nur eine will¬
kommene Begleiterscheinung di e s e r Behand¬
lungsmethode sein. Die T uberkulösen sind ja meist
sehr anämisch und es ist daher ohne weiteres verständlich,
dass auch der bei diesen Kranken so häufig vorhandene Appetit¬
mangel bei der Möglichkeit reichlicherer Bereitung von Galle
und anderen Verdauungssäften aus den vermehrten Blutele¬
menten unter Umständen gut beeinflusst werden kann, wie wir
das öfters in ganz eklatanter Weise gesehen haben.
Gegenüber dem Höhenklima hat die Erythro¬
zytenvermehrung unter der Saugmaske dann noch den Vor
zu ig dass die Kranken in der Ebene einerseits der Schwie¬
rigkeiten der Akklimatisation überhoben sind
und anderseits durch die zahlreichen Erythrozyten die sauer¬
stoffreichere Luft der Ebene viel b esse 1a un¬
nützen können. Dadurch verlangsamt sich dann die At¬
mung37) und es resultiert, was für Tuberkulöse besonders
wichtig ist. eine Schonung und , .Ruhigstellung der Lungen,
wie sie in der dünnen Luft des Höhenklimas natürlich nicht ei-
reichbar ist
Zum Schluss sei noch die Vermehrung der
weissen Blutkörperchen hervorgehoben. Unsere
fortschreitende Erkenntnis von dem Wesen der immunisieren¬
den und antitoxischen Schutzkräfte des Körpers teilen den
Leukozyten bei diesen Vorgängen eine immer grössere Rolle
zu. Es dürfte daher dieses Training des Leuko¬
zytenapparates, resp. die unter der Saugmaske erfol¬
gende Vermehrung der weissen Blutkörperchen sicherlich an
den Erfolgen, welche durch die Hyperämiebehandlung der
Lungen durch die Saugmaske erzielt werden, mitbeteiligt sein,
und ich vermute, dass auch die Heilwirkung des sonnenreichen,
trockenen Höhenklimas durch die dort zweifellos ebenfalls ein¬
tretende Leukozytose wirkungsvoll unterstützt wird.
Zum Schluss erfülle ich die Pflicht, Sr. Exzellenz Herrn
Geheimrat v. L e v d e n für das wohlwollende Interesse und
die mannigfaltige Förderung meiner Arbeiten herzlichen Dank
zu sagen.
Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frank¬
furt a. M. (Direktor: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. P. E h r 1 i c h).
Ueber experimentell erzeugten Rückschlaq von Mäuse¬
karzinom in den histologischen Typus des Adenoms.
Von Professor Dr. H. A p o 1 a n t.
In meiner ausführlichen Publikation über die epithelialen
Geschwülste der Maus 7) hatte ich bereits auf die ausserordent¬
liche Polymorphie der spontan entstandenen Tumoren hinge¬
wiesen. Für die Häufigkeit, mit der man sowohl Uebergänge von
reinem Adenom in Karzinom als auch verschiedene Typen der
letzteren Geschwulstform in derselben Neubildung antrifft, be¬
steht nur ein Analogon in dem von Pick beschriebenen Thy-
38) Die Lymphzirkulation in den Lungen wird unter der Saug-
niaske durch zwei Momente befördert. Einmal durch den stärkeren
Druck des vermehrt angesogenen Blutes. Da ferner das Blut aus den
Venen angesogen wird, muss zugleich auf den in den linken Angulus
venosus mündenden Ductus thoracicus eine starke SaugWirkung aus-
geübt und damit die gesamte Lymphzirkulation und auch der Lymph-
strom der Lunge befördert werden.
37) S. a. Stol zenburg: Ueber die mit der K u h n sehen
Lungensaugmaske in der Heilstätte Slawentzitz gemachten Er¬
fahrungen. Münch, med. Wochenschr. No. 16, 1900.
38) Auch während der Anwendung der Saugmaske bleiben
die Lungen nach Möglichkeit ruhiggestellt, da das Zwerchfell nach
oben gesaugt wird und da infolgedessen trotz kostaler Atmung und
Weitung der oberen Brustkorbteile der für die Aus¬
dehnung der Lungen verfügbare Raum geringer ist, als bei unbehin¬
derter Atmung.
reoicleakrebs der Salmoniden. Trotzdem hatte ich aber betont,
„dass die besprochenen Mäusetumoren eine nicht nur genetisch,
sondern auch strukturell einheitliche Geschwulstgruppe bilden.
Weit davon entfernt, scharf begrenzt zu sein, fliessen die ein¬
zelnen Typen vielmehr unmerklich in einander über und machen
so jede für eine übersichtliche Darstellung notwendige syste¬
matische Einteilung mehr oder weniger illusorisch. Der grosse
Formenreichtum beweist nicht eine Vielheit scharf geschiedener
Typen, sondern ist im Gegenteil der Ausdruck einer geradezu
erstaunlichen Variabilität etc.“
Im Gegensatz zu diesen Strukturverhältnissen der spon¬
tan entstandenen Geschwülste ist im allgemeinen die Einheit¬
lichkeit des Baus der Impftumoren bemerkenswert. Durch'
den Umstand, dass rein azinöse Neubildungen fast me zu trans¬
plantieren sind, wird die Zahl der in Betracht kommenden
Typen schon wesentlich beschränkt. Die Stämme behalten
meist denjenigen Typus bei, der in der Ausgangsgeschwulst
vorherrschte. So haben wir den betreffenden Primärtumoren
entsprechende papilläre, alveoläre und spaltenbildende Formen
in vielen Generationen fortgezüchtet, ohne dass zunächst, we¬
sentliche Aenderungen des histologischen Baus zu konstatieren
waren. Zeigte schon der Ausgangstumor Mischungen verschie¬
dener Typen, so boten auch die Impfgeschwülste längere Zeit
hindurch entsprechende Kombinationen dar. Allmählich ten¬
dieren jedoch alle Impftumoren, sobald eine höhere Genera¬
tionszahl erreicht ist, zu der Form des Carcinoma solidum
reticulatum, bei der grosse, mit einander anastomosierende
Zellbalken gebildet werden, die nur gelegentlich hier und da
Andeutungen einer azinösen Zellanordnung erkennen lassen.
Ich hatte seinerzeit das Wachstumstempo als ein wichtiges
und damals allein greifbares formbestimmendes Moment hin¬
gestellt, da augenscheinlich der napilläre Bau den langsam
wachsenden, der solid retikuläre den schnell wuchernden Ge¬
schwülsten entsprach, und in der vielfach konstanten Virulenz¬
steigerung eine Erklärung für die Typenänderung gegeben war.
Inzwischen habe ich eine Anzahl Beobachtungen gemacht,
welche die Abhängigkeit des histologischen Geschwulstbans
von gewissen biologischen Veränderungen im Organismus des
Wirtstieres deutlich erkennen lassen, ja die geradezu als in
dem Wachstumsmodus sich kundgebende Reaktionserschei¬
nungen der transplantierten Zellen auf diese abgestimmten Ver¬
änderungen des Wirts angesehen werden müssen.
Die Beobachtungen, über welche ich im Folgenden be¬
richte, betreffen eine Anzahl Geschwülste eines Stammes, der
durch über 50 Generationen stets das gleiche Bild eines
solid retikulär gebauten Karzinoms dargeboten hat. und der
auch heute noch in der gleichen Form bis zur 64. Generation
weiter gezüchtet worden ist. Bei mehreren Geschwülsten
dieses Stammes begegnete ich nun einer ausgespVochen adeno¬
matösen Struktur, die sich entweder gleichmässig über die
ganze Neubildung, soweit dieselbe untersucht wurde, erstreckte
oder nur partienweise auftrat. Die gleichmässige Verteilung
von einzelnen, durch feinste Bindegewebssepten von einander
getrennten Azinis wird nach unseren Erfahrungen bei Mäusen
sonst nur in spontan entstandenen Adenomen gefunden. Die
beifolgdnden Abbildungen, welche nach Präparaten desselben
Tumorstammes und der gleichen Generation gezeichnet sind,
lassen die Baudifferenzen auf das deutlichste erkennen. In den
weniger ausgesprochenen Fällen, die gleichsam als Uebergänge
von einem Extrem in das andere angesehen werden dürfen,
ist die karzinomatöse Balkenstruktur noch vorhanden, während
die Zellen selbst in deutlichen Azinis angeordnet sind.
Dieser merkwürdige und, wie ich hinzu¬
fügen muss, plötzliche Umschlag eines ma¬
lignen Karzinoms in die histologische Form
eines gutartigen Adenoms wurde nun auffal¬
lenderweise lediglich bei solchen Tieren be¬
obachtet, welche auf irgend einem Wege par¬
tiell immunisiert worden waren. Bekanntlich ist,
nachdem Ehrlich die Immunisierung mit Spontantumoren
bei Mäusen zuerst nachgewiesen hat, ein partieller Schutz von
B a s h f o rd mit Blutinlektionen und unabhängig von Schöne
mit Einspritzungen embryonaler Organe erzielt worden. Meine
U Arbeiten aus dem kgl. Institut für experimentelle Therapie zu
Frankfurt a. M., 1906, Heft 1.
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1721
histologischen Erfahrungen beziehen sich auf Tumoren von :
Tierserien, die sowohl nach dem Ehrlich sehen als nach dem
Bashf o rd sehen Verfahren vorbehandelt waren. Speziell
die ersteren Versuchsreihen wurden zu anderem Zwecke von
Herrn Dr. Schöne angelegt, der mir sowohl Protokolle wie
Präparate in liebenswürdiger Weise zur Verfügung stellte.
A. Immunisierung mit Spontantumore n.
Unter den zahlreichen Tumoren der Schön eschen Ver¬
suchsreihen fand ich 3 mal einen adenomatösen Bau. Leider
vermag ich das prozentuale Verhältnis nicht genau anzugeben,
weil ein grosser Teil dieser Geschwülste lediglich für makro¬
skopische Zwecke konserviert war und daher keine zur Entschei¬
dung der uns interessierenden Frage genügend scharfen Bilder
darbot. Da die Vorbehandlung dieser 3 Fälle eine verschiedene
war, so ist es notwendig, die Protokolle einzeln zu betrachten.
Fall 1. Die Maus wurde am 10. IX. mit virulentem Karzinom
geimpft. Am folgenden Tage sowie am 24. IX. erhält sie je eine
immunisierende Injektion eines avirulenten Spontantumors. Der trotz¬
dem zu beträchtlicher Grosse heranwachsende, primär geimpfte rumor
wird am 1. X. exstirpiert und zeigt keinen azinösen Bau. cs
entwickelt sich langsam ein kleines lokales Rezidiv, das am 20. X. be¬
merkt wird. An demselben Tage erfolgt eine 2. Impfung mit viru¬
lentem Material, die ebenfalls zu einem langsam wachsenden 1 umor
führt. Dieser sowohl wie das lokale Rezidiv lassen einen deutlich
adenomatösen Bau erkennen.
Die Deutung dieses Falles ist ungemein einfach. Der erste
schnell wachsende Tumor stand noch nicht unter dem Einfluss
der sich erst allmählich ausbildenden Immunität, deren Wir¬
kung jedoch auf das lokale Rezidiv und den nachgeimpften
Tumor sowohl im Wachstum wie im histologischen Bilde klar
erkennbar ist.
Fall 2. Die Maus wird am 10. IX. mit virulentem Karzinom
geimpft und am 11. und 24. IX. mit je einer Spontantumorinjektion
No. 35.
immunisiert. Es entwickelte sich aus der ersten Impiung sehr lang¬
sam ein kleiner Tumor mit überaus deutlich azinösem Bau. Da das
Tier bereits am 26. IX. starb, so kann für die immunisierende Wirkung
wohl nur die erste am 11. IX. vorgenommene Spontantumorinjektion
in Betracht kommen
F a 1 1 3. Das Tier wird am 10. IX. mit virulentem Karzinom ge¬
impft und erhält am 22. IX. eine immunisierende Primärtumorinjektion.
Der am 2. X. operierte mittelgrosse Tumor zeigt keineSpur eines
azinösen Baus, wie es bei dem Zeitintervall zwischen Impfung
und Injektion nicht anders zu erwarten war. Am 20. X. wird das Tier
mit virulentem Material nachgeimpft und stirbt am 27. XI. Der zur
Mittelgrösse herangewachsene 2. Tumor ist deutlich adenoma¬
tös gebaut.
B. Blutimmunisiierungen.
Aus mehreren grösseren Versuchsreihen, die zur Bestim¬
mung des Wertes der 'Blutimmunisierungen angelegt wurden,
kamen 27 Tumoren zur Untersuchung, die nach dem ma¬
kroskopischen Verhalten die Möglichkeit einer partiellen
Immunisierung zuliessen. Von den betreffenden Tieren waren
2 mit Kaninchen-, 4 mit Ratten-, 5 mit Meerschweinchen-
und 16 mit Mäuseblut vorbehandelt worden. Nach der
Injektion artfremden Blutes sah ich niemals eine Ab¬
weichung von dem normalen Typus des Geschwulstwachs¬
tums. Dagegen zeigten von den 16 Tumoren der mit Mäuse¬
blut immunisierten Tiere 4 einen ausgesprochen azi¬
nösen Bau, der sich bei 2 auf 'das ganze unter¬
suchte Stück erstreckte, während er bei den
anderen nur partienweise auftrat. Dieser Pro¬
zentsatz ist ein relativ hoher, zumal wenigstens nach unseren
Erfahrungen Blutinjektionen nur in einem geringen und pro¬
zentual schwer bestimmbaren Grade immunisieren. Das Re¬
sultat wird aber noch interessanter, wenn wir die Verteilung
der 4 Adenomfälle auf die einzelnen Impfserien betrachten.
Die 16 Tumoren gehören nämlich 4 verschiedenen Serien an,
und zwar 8 der ersten, 3 der zweiten, 3 der dritten und 2 der
vierten Serie. Wie aus der beifolgenden Tabelle ersichtlich ist,
wurde in der 1. Reihe 1, in der zweiten 0, in der dritten
2 und in der vierten 1 Adenom beobachtet.
Zahl der unter¬
suchten Tumoren
Zahl
der Adenome
Serie 1
8
I
„ 2
3
0
„ 3
3
2
„ 4
2
1
Der Prozentsatz ist also in den letzten beiden Reihen ein
unverhältnismässig hoher. Erwähnt sei ferner, dass 2 Adenome
sehr langsam, 2 mässig schnell wuchsen.
Den geschilderten Tatsachen kommt in mehrfacher Be¬
ziehung vom allgemein pathologischen Standpunkt aus ein
grosses Interesse zu. Vor allem lassen sie eine Abhängigkeit
des Geschwulstwachstums von den experimentell abgestimmten
biologischen Verhältnissen des Organismus erkennen. Be¬
kanntlich hatte Eh r 1 i c h auf Grund theoretischer Erwägungen
und in Uebereinstimmung mit Anschauungen, die in der klini¬
schen Medizin von jeher weit verbreitet waren, die Ansicht
vertreten, dass der erste Anstoss zur 1 umorbildung auf einei
konstitutionellen Schwächung des üesaintorganismus beiuht.
Es ist durchaus verständlich, dass mit dem weiteren suk¬
zessiven Fortfall von Hemmungen, die wir als Resistenz des
Organismus bezeichnen, der Tumor unter anaplastischei ^Ver-
änderung seiner zelligen Elemente die Malignitätsgienze iibei-
schreitet und aus dem Adenom zum Karzinom sich umwandelt.
Bisher konnte stets nur diese progressive Entwicklung be¬
obachtet und hypothetisch auf Konstitutionsveränderungen be¬
zogen werden. Nunmehr ist aber der experimentelle Nachweis
erbracht, dass die verloren gegangenen Hemmungen durch
künstliche Immunisierung auch wieder ersetzt resp. die nor¬
malen Hemmungen des Organismus gesteigert werden können,
wodurch die fessellos wuchernde Karzinomzelle wieder in die
geordnetere Bahn des regulären Adenoms geleitet v ird. ) l as
2) Ob mit dem Rückschlag in die adenomatöse Form die 1 1 ans-
tationsfähigkeit des Tumors verloren geht, ist bisher noch nicht
rsucht worden, soll aber an geeignetem Material demnächst ge-
t werden. 0
1722
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Fumorwachstuin ist mithin in feiner Weise auf die Resistenz
les Organismus abgestimmt.
Man kann sich diese Verhältnisse unter dem Bilde eines
Stromes vorstellen, der so lange in dem vorgezeichneten Bett
dahinfliesst, als die Ufer den andrängenden Fluten Widerstand
leisten. Werden jedoch durch Anschwellen der Wassermassen
— was der aktiven Aviditätssteigerung der Tumorzelle ent¬
spräche — oder durch Zerstörung der Ufer — was der Schwä¬
chung des Organismus entspräche — die natürlichen Hem¬
mungen durchbrochen, so können nur durch Dämme und ähn¬
liches, also durch künstliche Vermehrung der Widerstände die
verheerenden Wirkungen der Ueberschwemmung eliminiert
werden.
Gleichzeitig geht aber aus unseren Beobachtungen her¬
vor, wie falsch es ist, eine trennende Scheidewand zwischen
Adenom und Karzinom zu ziehen. Das Karzinom, das sich aus
einem Adenom entwickelt hat, ist nicht etwas total neues ge¬
worden, denn es ist ihm, wie wir gezeigt haben, die Möglichkeit
gegeben, unter Abänderung seiner Wachstumsbedingungen in
die alte Form zurückzukehren. Die doppelte Brücke von der
gutartigen zur bösartigen und wieder zurück von der bös¬
artigen zur gutartigen Form lässt die ganze Geschwulstgruppe
als etwas Einheitliches erscheinen, wenn auch ein weiter Spiel¬
raum für die histologischen und biologischen Differenzen ge¬
zogen ist.3) Bei den biologischen Zellveränderungen, welche
wir nach dem Vorgänge v. Hanse m a nns als anaplastische
bezeichnen, handelt es sich also nicht um einen definitiven un¬
wiederbringlichen Verlust bestimmter Zelleigenschaften, son¬
dern lediglich um eine Kaschierung derselben durch neu er¬
worbene, in den Vordergrund tretende Qualitäten. Werden
die von dem Wirtstiere mitbestimmten Wachstumsbedingungen
in geeigneter Weise modifiziert, so können diese verdeckt
gewesenen Eigenschaften wieder auftauchen, mithin die ana-
plastischen Zellen wieder zu ihrem ursprünglichen Typus zu¬
rückkehren.
Die Züchtung der Typhusbaziilen aus dem Blute auf
Gallenagar.
Von Dr. W. Schüffner, Chefarzt der Senembah My. Deli-
Sumatra O.K.
Die Verwendung der Galle bei Züchtungen aus dem Blute,
deren Einführung wir Conradi verdanken, bedeutet für die
Frühdiagnose des Typhus einen wesentlichen Fortschritt. Schon
mit relativ kleinen Blutmengen gelingt es in vielen Fällen
mittels des Gallenröhrchens, den Typhusbazillus aus dem Blute
zu züchten und binnen 30 Stunden zu bestimmen. So hatte
Conradi mit 0,05—0,2 ccm Blut 50 Proz., K a y s e r bei Pa¬
tienten der ersten Woche mit 2,5 ccm Blut 100 Proz. Erfolge.
Gegenüber den älteren Verfahren hat also das neue den Vorzug
grösserer Sicherheit und der Ersparnis an Zeit und Blut. Der
Grund für diese Ueberlegenheit wurde wohl nicht von Anfang
an richtig erkannt. Conradi meinte sie zuerst auf die Fähig¬
keit der Galle, die Gerinnung zu verhindern, zurückführen zu
müssen. Kayser sah in der Galle mehr ein die Entwicklung
der Bazillen beförderndes Mittel. Des weiteren jedoch zeigte
Conradi selbst durch klare Experimente, dass die Galle im
stände war, die bakteriziden Kräfte des Blutes zu paralysieren.
Er fügte zu einer bestimmten Anzahl Typhusbazillen bakteri¬
zides Serum, das innerhalb 2 Stunden die Einsaat vollkommen
abtotete. Wiederholte er den Versuch, und setzte er gleich¬
zeitig ein Quantum Galle zu, so wuchsen die Typhusbazillen
ohne die geringste Hemmung aus. Der Versuch ist einleuch¬
tend. Die Galle bindet die im Körper vorhandenen Immun¬
substanzen. Damit sind aber auch unsere Kenntnisse über den
\ organg erschöpft. Ob diese Hemmung wirklich mit der Bak-
tcrizidic des Blutes identisch ist, muss noch bewiesen werden.
Abgetötet werden ja die Bazillen im Blute nicht, sonst könnte
sie auch die Galle nicht mehr zum Leben erwecken. Man tut
tahci gut, so lange man noch nichts bestimmteres weiss, bei
3) Die gleiche Auffassung vertritt auf Grund eines grossen
Materials aus der menschlichen Pathologie Cathcart in seinem
jüngst erschienenen Werk „The essential similarity of innocent and
malignant tumours“, Bristol 1907.
den allgemeinen Ausdrücken wie Hemmung des Immunkörpers,
die nichts präjudizieren, zu bleiben.
Das Experiment C o n r a d i s liess sich nun in einfacher
Weise am Krankenbette weiter verfolgen. Man hatte nichts
anderes zu tun als Paralleluntersuchungen anzustellen, d. h.
Blut von Typhuskranken zur Hälfte unverändert, also m i t, zur
anderen Hälfte nach Gallenzusatz ohne seine hemmenden
Kräfte auszusäen. Aus den Differenzen, die sich bei dem Aus¬
wachsen der Kolonien herausstellten, konnte man unmittelbar
über die im Blute etwa vorhandene Hemmung Aufschluss er¬
halten, in welcher Stärke sie auftrat, ob sie wechselte, ob sie
mit der Schwere der Krankheit in Verbindung stand oder mit
der Zahl der Leukozyten u. a. m. Auf diese Fragen vermochte
natürlich die Gallenröhre, bei der sich alle graduellen Unter¬
schiede durch die Anreicherung verwischen, keine Antwort zu
geben. Man musste die Galle zu einem festen Nährboden ver¬
arbeiten. Ihre Wirkung brauchte darin bei den lebhaften Dif¬
fusionsvorgängen, die auch in festen Nährsubstraten erhalten
bleiben, nicht weniger kräftig zur Geltung zu kommen. Der
feste Nährboden aber brachte die Typhusbazillen kolonien¬
weise zum Wachsen, man konnte sie zählen, und die gewon¬
nen Zahlen mit denen des einfachen (Schottmüller-
schen) Agars in ein Verhältnis setzen. Ausserdem hatte das
Aussäen des Blutes ohne Anreicherung den Vorzug, ein rich¬
tiges Bild von dem Grade der Bakteriämie zu geben.
icn benutze den gewöhnlichen Agar, den wir uns hier aus
Affenfleisch, das man immer leicht haben kann, bereiten. Einige
Zusätze, vor allem den von Zucker, machte ich, um das Wachs¬
tum der Typhusbazillen zu begünstigen. Bouillon und Rinder¬
galle (von dem indischen Zebu) zu gleichen Teilen wird ver¬
setzt mit 2 Proz. Agar, 1)4 Proz. Gelatine, um das Kondens-
wasser aufzunehmen, je 1 Proz. Pepton, Nutrose, Trauben¬
zucker und 34 Proz. Kochsalz; Reaktion schwach alkalisch.
In Röhrchen von 15 ccm abgefüilt war er sehr lange haltbar.
Auf eine Blutuntersuchung, für die ein Röhrchen berechnet war,
kam so 734 ccm Galle. Die Menge des Blutes, die ich ohne
Schwierigkeit von meinen Patienten erhalten konnte, beträgt
3 ccm. Die eine Hälfte, 134 ccm, wurde also mit dem fünf¬
fachen an Galle verdünnt, in der Annahme, dass die grössere
Verdünnung (Conradi und nach ihm auch Kayser wählten
das Verhältnis 1:2) die Wirkung der Galle nur erleichtern
könne. Neuerdings ist Conradi auch zu einer höheren Do¬
sierung der Galle übergegangen: 1 oder 2 : 10. Blutgallenagar
und Blutagar wurden dann in Platten gegossen und bei 37°
gehalten.
Das Blut entnehme ich stets einer Vene, so aseptisch als nur
möglich. Die Gelegenheit zu Verunreinigungen mit alles über¬
wuchernden Mikroben ist an Ohrläppchen oder Fingerbeere zu
gross, als dass es hier gelänge Blut in genügender Reinheit
zu gewinnen.
Ich punktiere die Vene mittelst Glasröhren, die an beiden
Seiten in Spitzen ausgezogen sind. Derartige Röhren von
3 ccm halte ich sterilisiert im Vorrat. Beim Gebrauch bricht
man die zugeschmolzenen Spitzen, ohne sie zu verunreinigen
ab; von den feinen Bruchenden ist gewöhnlich eine scharf
genug, um sich mit einem leichten Ruck durch die Haut, mit
einem zweiten in die Vene stossen zu lassen.
In der Tabelle, die ich nun folgen lasse, habe ich nur die
positiven Befunde aufgenommen. Für das, was ich hier
zeigen möchte, kommen sie allein in Betracht. Ich bemerke
nur nebenbei, dass die Zahl der negativen Züchtungen aus dem
Blute bei Erkrankungen, die klinisch Typhus genannt zu wer¬
den verdienten, 4 — 6 mal so hoch ist. Ich werde darauf, sowie
auf Details der vorliegenden Krankheit an anderem Orte ein-
gehen.
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Wie voraus zu erwarten war, lieferte der Gallenagar
bei den Typhusfällen durchgehends höhere Kolonienzahlen als
der Schottmüller sehe. 6 mal blieb der letztere ganz
steril, während auf Gallenagar noch 1—18 Kolonien aus¬
wuchsen. Das günstigste Verhältnis für den Gallenagar wurde
mit 458 Kolonien gegen 10 auf Agar erreicht, am nächsten
kamen sich die beiden Nährböden mit 4 : 2. Die Differenzen
können also schwanken zwischen dem 2—45 fachen. Wäre
die Galle ausschliesslich ein besserer Nährboden, so dürfte
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1722
Lfde. No.
Name
Kranken-
No.
Ausgang
der
Krankheit
Datum
der
Unter¬
suchung
Krankheits¬
tage
Leukozyten¬
zahl
Zahl
Kolo
c V-
C Cö
£ = bß
’~Ö *
der
niett
U
r- CS
£ bfl
1
Lim Kang Tjui
3475
Toxisch. Tod
7. XI. 06
5
2200
211
9. XI.
7
2800
603
—
10. XI.
8
4000
872
228
tll.XI.
2
Koh Nai Tie
732
Heilung
6. II. 07
7
3000
9
3
8. II.
9
4000
4
0
19. II.
20
6200
0
0
3
Sarminah
807
Perf. Periton
16. II.
9
2200
9
0
20. II.
13
3200
14
4
+26. II.
19
4
Irodikromo
1083
Darmblutung
5. III.
10
—
14
3
6. III.
11
—
18
0
8. III.
13
5000
4
2
13. III.
18
6800
0
0
+16.111.
21
5
Loh Toan Seng
939
Heilung
8. IV.
6
1600
1
0
10. IV.
8
1600
0
0
6
Tan Mah Chia
962
Meningitis
25. II.
?
3600
1
0
+29. II.
7
Krankenschwester
—
Toxisch. Tod
+ 18. IV.
8
8400
238
—
8
Law ah Bok
1775
Toxisch. Tod
5. V.
4
6400
220
35
7. V. rnitt.
6
3400
120
8
abd.
6
458
10
8. V.
7
2800
180
11
10. V.
9
2200
286
?
+ 11. V.
10
9
Loh ah Sak
1700
Heilung
5. V.
12
6200
19
2
7. V.
14
7000
15
3
10. V.
17
8200
1
0
13. V.
20
9200
0
0
10
Tan ah Wan
1788
?
8. V.
4
6400
40
4
10. V.
6
7200
120
?
11. V.
7
8000
84
18
14. V.
10
8800
43
14
16. V.
12
8600
24
15
21. V.
17
7800
4
2
23. V.
19
4VOO
0
0
Paratyphus
B.
11
Siti
1649
Heilung
24. IV.
?
3400
42
11
25. IV.
4600
9
1
27. IV.
8600
28
1
28. IV.
9000
2
0
7. V.
—
0
0
Paratyphus
A.
12
Loh ah Hok
7
Heilung
9. III.
4
1200
11
13
11. III.
6
1400
1
2
16. III.
11
—
0
0
man erwarten, dass der Index, mit dem sie den einfachen Agar
übertraf, bei gleicher Zusammensetzung des Nährbodens an¬
nähernd derselbe bleiben werde. Das geschieht aber nicht,
der Index wechselt, und zwar in ziemlich bedeutender Breite.
Der Grund hiefür kann nur in wechselnden Zuständen des
Blutes liegen, die von der Galle ausgeglichen werden: wieder
ein Beweis dafür, dass die Ueberlegenheit der Galle auf ihrer
aktiven Wirksamkeit den Immunkörpern des Blutes
gegenüber beruht.
Von den beiden Paratyphen schliesst sich der eine, von
dem Typus B ganz dem Typhus an. Die Kolonienzahlen auf
dem Gallenagar überwiegen bei weitem. Bemerkenswert ist
hier allein, wie stark der Gehalt des Blutes an Bazillen auf-
und niedergeht, bevor er definitiv auf 0 sinkt.
Der andere Paratyphus, der seinem kulturellem Ver¬
halten nach zum Typus A gerechnet werden muss, weicht je¬
doch von dem Schema der beiden anderen entschieden ab.
Auf Gallenagar und Schottmüller gingen von ihm bis auf kleine
Differenzen, die als Versuchsfehler gedeutet werden können, die
gleichen Kolonienzahlen auf. Noch in anderer Beziehung
nahm er eine Sonderstellung ein. Während die Kolonien der
beiden anderen Typen auf Schottmülleragar selten vor 48 Stun¬
den, bisweilen erst nach 72 Stunden sichtbar werden, waren
die in Frage stehenden schon nach 24 Stunden gut aus¬
gebildet. Das sind zwei Unterschiede prinzipieller Art,
die sich bei den beiden Untersuchungen des Blutes am 9. und
11. März gleichartig ergaben: Es werden keine Kolonien
unterdrückt und das Wachstum der au f kom¬
mende n wird nichtverzögert. Beide Erscheinungen
lassen sich gut miteinander in Einklang bringen, mag man sie
nun erklären wollen mit dem Ausfall jeglicher Hemmung oder
einer besonderen Resistenz der Bazillen gegenüber den hem¬
menden Kräften. Ich gebe diese Andeutungen einer Erklärung
mit aller der Reserve, die eine noch vereinzelt stehende Be¬
obachtung verlangt. Andererseits darf der Fad auf eine Be¬
rücksichtigung Anspruch machen, da es sieh um eine w i e d e r-
holte Züchtung aus dem Blute handelt. Nachprü¬
fungen, die allerdings bei der Seltenheit des Paratyphus A ihre
Schwierigkeiten haben, werden zeigen müssen, ob man es
mit einer dauernden Eigenschaft, oder nur einer hier be¬
obachteten Abweichung zu tun hat. Die Feststellung der A't,
sowie die noch nicht abgeschlossene genaue Bearbeitung des
Bazillus hat zuvorkommender Weise Dr. Kucnen, der Leiter
des neuen Pathologischen Institutes in Medan, übernommen x).
Aus der Tabelle kann man auch eine Handhabe gewinnen
für die Blutmenge, welche für die Züchtung nötig, resp. aus¬
reichend ist, ein Kapitel, das in der Literatur verschiedentlich
behandelt wurde. Bei den schweren Bakteriämien, wie wir sie
in No. 1, 7, 8 vor uns haben, mussten schon in 0,01 ccm Blut
ein oder selbst mehrere Typhusbazillen, also genügend für die
Diagnose, enthalten sein * 2). In No. 5 und 6 dagegen würde man
wahrscheinlich nicht zum Ziele gekommen sein, hätte man
weniger als 1,5 ccm verbraucht. Man geht also sicherer, be¬
sonders in Ländern wie hier, mit noch so wenig aufgeklärter
Pathologie, wenn man das zu untersuchende Blutquantum lie¬
ber reichlich bemisst.
Die Hemmung erreichte auch im Verlaufe eines und des¬
selben Krankheitsfalles verschiedene Grade. Man vergleiche
die Befunde bei No. 3, 4, 8 und besonders No. 10. Eine auf¬
fallende Gesetzmässigkeit konnte ich aber nicht ableiten.
Sagen die Kolonienzahlen etwas über die Prognose aus?
Wenn der Typhus wirklich im Anfang eine septikämische
Krankheit ist, so wäre es theoretisch durchaus berechtigt, in
dem Grade der Bakterienüberschwemmung einen der Fak¬
toren zu sehen, welche für die Schwere eines Falles mass¬
gebend sind. Schottmüller hat meines Wissens als erster
die Behauptung aufgestellt, dass die Fälle, aus deren Blute
reichlich Kolonien aufgingen, prognostisch ungünstig zu be¬
urteilen seien, während man bei Fällen mit wenig Keimen auf
einen raschen Fieberabfall rechnen dürfe. K a y s e r wiederum
meint, dass „im Typhusanfang aus der Anwesenheit grosser
Bazillenmengen im Blute keine Rückschlüsse auf die Prognose
gemacht werden dürfen“. Er gründet sich dabei allerdings nur
auf Untersuchungsreihen, bei denen er das Anreicherungsver¬
fahren verwertete. Dass dabei die eigentliche Bazillen-
menge der Beobachtung entgehen muss, wurde schon oben
bemerkt. Aber auch andere Autoren hielten die Schlüsse aus
den Kolonienzahlen für unzuverlässig und legten darum nur
Wert darauf, zu erfahren, ob Typhusbazillen und welche Art
der Typhusbazillengruppe im Spiele waren. Damit schoss man
in beiden Lagern über das Ziel hinaus. Man darf nicht ohne
weiteres das Züchtungsresultat heranziehen, um über den
späteren Verlauf des Typhus mit seinen mannigfachen
Komplikationen etwas vorauszusagen. Weiss man doch, dass
Darmblutung und Perforation oft gerade den leichtesten Infek¬
tionen folgen. Das lehrt schon ein Blick auf die Tabelle.
Zwischen den geheilten Fällen:
No. 2, 5, 9 mit ihren 9,4 oder 1, oder 19, 15,1 Kolonien, und
„ 3, 6, 4 „ „ 9,14 „ 1, „ 14, 18,4
4) Ueber die Häufigkeit von Paratyphen hier zu Lande erhielt
ich im Jahre 1904 durch eine Serie von 88 Blutuntersuchungen Ein¬
sicht. In 24 Fällen züchtete ich ein positives Resultat auf dem
S c h o 1 1 m ü 1 le r sehen Agar, und zwar 20 mal Typhus, 3 mal Para¬
typhus B und 1 mal Paratyphus A.
2) Mikroskopisches Absuchen selbst so hochgradig bakterien¬
haltigen Blutes nach phagozytotischen Prozessen hatte kein Ergebnis.
Noch viel weniger fand ich freiliegende Bazillen. Man kann das auch
nicht verlangen. Für ein Ausstrichpräparat wird selten mehr als
0,001 cbm Blut verbraucht. Darin würden nach obiger Tabelle gün¬
stigsten Falles ein bis zwei Bazillen enthalten sein können. Jene
beiden Bazillen im Präparate finden und als Typhusbazillen erkennen
zu wollen, scheint doch wohl in das Bereich des Zufalls zu gehören.
Dies nur gegenüber den ab und zu auftauchenden Empfehlungen einer
mikroskopischen Diagnose des Typhus aus dem Blute.
2*
1724
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
welche 3 letzteren an Komplikationen tödlich verliefen, be¬
steht kein Unterschied. Anders die frühen Todesfälle, die
Curschma n n als die foudroyante Form des Typhus
bezeichnet. Diese muss man als reine Vergiftung auffassen.
Sie stehen mit dem Typhusbazillus in direkter Beziehung und
es ist daher wohl denkbar, dass sie sich durch eine besonders
hohe Bakteriämie oder wenn man will Septikämie schon
f r ii h e verraten. Unter meinen Fällen befinden sich drei, die
hierfür als Beleg dienen können, No. 1, 7 und 8, welche ich mit
„toxischer Tod“ näher bezeichnete. Bei der Autopsie von
No. 1 und 8 (No. 7 wurde nicht nekroskopiert) standen die Pla¬
ques in den Anfängen der Verschorfung. In allen drei Fällen
deckte der Gallenagar eine riesige Ueberschwemmung des Blu¬
tes mit Typhusbazillen auf, bis zu 872 Keimen in dem ersten,
238 im zweiten und 458 in dem dritten Falle aus 1/4 ccm Blut!
Die Prognose wurde daraufhin sehr ernst gestellt, und erfüllte
sich binnen wenigen Tagen. Hier gab also der Gallenagar ein
durchaus eindeutiges Resultat, das sich auch in seinen Kon¬
sequenzen bewahrheitete.
Wie verhielt sich dazu nun die Kultur auf dem Schott-
m ü 1 1 e r sehen Agar? In No. 1 zeigte auch e r die hohe Keim¬
zahl und damit den gefährlichen Zustand prompt an — No. 7
fiel für die Kontrolle aus — , aber beiNo. 8 versagte er
v o 1 1 k o m m e n. Infolge der starken Hemmung, wie wir an-
nahmen, kam nur ein sehr geringer Prozentsatz der im Blute
befindlichen Bazillen zur Entwicklung. Zahlen wie 228 und
auf der anderen Seite 35, 8, 10 und 11 kann man nicht mehr
unter einheitliche Gesichtspunkte stellen. Die Schott-
m üllerschen Blutplatten gaben also ein total ver¬
kehrtes und für die Beurteilung der Schwere des
Falles unbrauchbares Bild. Auf diese bisher nicht be¬
rücksichtigte Fehlerquelle ist gewiss ein Teil der Meinungs¬
verschiedenheiten über die Bedeutung der Kolonienzahl zu¬
rückzuführen. Die Benutzung des Gallenagars, der den un¬
berechenbaren Faktor der hemmenden Kräfte auszuschalten
gestattet, wäre wohl geeignet, um über den strittigen Punkt
neue und jedenfalls einwandsfreiere Unterlagen zu sammeln.
Aus den Leukozytenzählungen lässt sich, so weit ich es
übersehen kann, nichts entnehmen, was für einen Zusammen¬
hang mit der Menge der Bakterien oder mit der Stärke der
Hemmung spräche. Ich muss allerdings hinzufügen, dass die
richtige Wertung der Leukozyten hier ihre besonderen Schwie¬
rigkeiten hat. Ein grosser Prozentsatz der Kranken leidet
gleichzeitig an Ankylostomen und chronischer Malaria, Zu¬
stände, die auf die weissen Blutkörperchen auch von Einfluss
sein können. Solange man den Anteil dieser Komplikationen
nicht genau berechnen kann, haben die Zählungen nur beding¬
ten Wert. Ich gebe sie darum auch allein der Vollständigkeit
halber.
Die Zeiten, die das Züchten auf Galleagar bis zur völli¬
gen Rekognoszierung der Stämme erfordert, stehen hinter
denen, die mit der Gallenröhre erreichbar sind, nicht zurück.
Das erste Wachstum kann man bereits nach 11 Stunden wahr¬
nehmen, nach 13 Stunden sind die Kolonien in jedem Falle
schon gross genug, um bequem abgestochen zu werden, und
nach 16 bis 18 Stunden hat man an den nun stecknadelknopf¬
grossen Kolonien schon reichlich Material zur • vorläufigen
Agglutination. Nach Verlauf von 36 Stunden kann die volle
Serie der diagnostischen Spezialnährboden fertig sein. Das
kann das Galleröhrchen erst nach höchstens 48 Stunden leisten.
Dieser Vorsprung an Zeit wiegt aber nicht den Vorteil der
Einfachheit auf, welchen flüssige Nährböden, die zuerst R o 1 1 y
mit seiner Zucker-Pepton-Lösnng am Typhuskrankenbett ein¬
führte, oder die Züchtung aus dem Blutkuchen von Müller
und Gräf, voraus haben. Das Platten verfahren ist ohne La¬
boratorium und Spital nicht durchzuführen.
Die Kolonien der Typhusbazillen erscheinen in dem klaren,
braunroten Nährboden zuerst als kleine schwarze Punkte, die
sich rasch mit einem trüben Hof umgeben. Nach 16 Stunden
haben viele die Form einer Linse angenommen, der man ja
auch auf dem Schottmülleragar häufig begegne. Mit ihrem
dichten Hof verleihen sie der Platte ein ganz charakteristisches
Gepräge (s. Fig. 1 a). Die Linsen, die ein ziemlich festes Ge¬
füge haben, lassen sich mit der Impfnadel leicht in toto heraus¬
stechen. Zerquetscht man sie unter dem Deckglase, so findet
man, dass sie aus reichlichen, dichten Bazillenmassen, die
zwischen gelben Pigmentschollen liegen, bestehen.
CL
Fig. 1 (trat. Grosse).
Gallenagarplatte mit einer Aussaat von Typhusblut nach 17 Stunden.
(Bei schräg durchfallendem Licht photographiert.)
Bei a: die Typhusbazillenkolonien in bekannter Form.
Bei b: die grossen „ausgelaufenen“ Typhusbazillenkolonien.
Ausser diesen Kolonien, die dem bekannten Bilde ent¬
sprechen, findet man nun in den meisten Platten solche, die
sich durch weniger kompakten Bau, aber durch eine
enorme Grösse auszeichnen. Derartige Kolonien können
schon nach 13 Stunden 2 mm im Durchmesser haben, nach
16 Stunden 7—8, und nach 24 Stunden ist häufig schon der
grössere Teil der Platte durchwachsen (s. Fiig. 1 b). Sie
kommen in jeder Tiefe des Agars vor, also nicht etwa allein
auf der Oberfläche. Auch sie schwärzen den Nährboden und
umgeben sich mit einem trüb-gelblichen Hof. Eine über¬
wachsene Platte wird völlig undurchsichtig. In der Aufsicht
erscheinen die geschwärzten Flächen wie gekocht.
Die erste und natürliche Vermutung, es handle sich hier um
Mischinfektionen oder Verunreinigungen, wurde durch die ge¬
naue bakteriologische Analyse, ich darf wohl sagen zu meinem
eigenen Erstaunen widerlegt. Stämme aus beiden Formen der
Kolonien verhielten sich kulturell absolut gleich (Gelatine,
Milchzuckeragar, Rothberger-Oldecop, Lackmusmolke, die
Barsiekow sehen Lösungen, bezügl. der Indolreaktion etc.).
Zur Agglutination stand mir ein Patientenserum zu Gebote, das
durch die Sektion gesicherte Typhusstämme in Verdünnungen
bis 1 : 3000 agglutinierte. Auch hier erhielt ich mit beiden
Stämmen den gleichen Ausschlag. An der Identi¬
tät der beiden Formen glaubte ich darnach nicht länger zwei¬
feln zu dürfen.
Nur einen Unterschied zwischen beiden Arten der Kolonien
fand ich regelmässig; er kann vielleicht als Schlüssel zur Er¬
klärung des Phänomens dienen. Während die Bazillen aus
den linsenförmigen Kolonien nur vereinzelt beweglich waren,
wie man das bei frisch rein gezüchteten Typhusbazillen mehr
sehen kann, fielen die aus den grossen „ausge¬
laufenen“ Kolonien durch ihre Beweglichkeit
geradezu auf. Das zeigte sich besonders deutlich, wenn
man Stücke des getrübten Hofes unter dem Deckglas zer¬
drückte und mikroskopierte. Die Bazillen häufen sich nicht so
massig zusammen, als in den linsenförmigen Kolonien, sie
schwärmen aus, durchziehen den Agar und bestreichen so
grosse Gebiete. Daher die ausgelaufenen Kolonien.
Diesen besonderen Charakter behalten die aus den be¬
schriebenen Kolonien hervorgegangenen Stämme nicht bei,
schon nach der ersten Umzüchtung auf einfachen Agar sind alle
Unterschiede in der Beweglichkeit ausgeglichen. Darnach
möchte man wohl 'annehmen, dass es sich hier um eine beson¬
dere Anlage handelt, die einzelne Keime unmittelbar aus dem
Blute mitbringen. Der Zahl nach standen die ausgelaufenen
Kolonien immer erheblich hinter den kleinen, kompakten zu-
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1725
rück, etwa in dem Verhältnis von 1:6 bis 1:20. Bisweilen
war es wohl auffallend, wie genau sich die Zahl der ausge¬
laufenen Kolonien mit jener deckte, die auf dem Sch o 1 1 -
m ü 1 1 e r sehen Agar gewachsen waren. Das kann rein zufällig
sein, ich unterlasse es darum lieber, Hypothesen, die ja sehr
nahe lägen, daran zu knüpfen. Es sei genug, hier mitgeteilt zu
haben, dass auf Gallenagar die Typhusbazillen aus
dem Blute in zwei Formen wachsen, von denen die
eine der bekannten Form entspricht, die andere, neue, durch
ein ausserordentlich rasches Wachstum und eine be¬
sonders lebhafte Beweglichkeit ihrer Bazillen gekenn¬
zeichnet ist.
Mit dem Niederschreiben dieser Arbeit beschäftigt, erhielt
ich den Artikel von Rosen-Runge „Ueber die Verwen¬
dung des Natrium glycocholicum für Blutuntersuchungen bei
Typhuskranken“, die in Europa im März d. J. erschien. Er ist
auf gleichem Wege gegangen, wie ich, nur verwendete er
statt der Galle das von Meyerstein empfohlene Gallensalz.
Auch er findet, dass sein Nährboden viel mehr Typhusbazillen
als der Schottmüllersche zur Auskeimung bringt, und dass
bereits nach 16, ja 13 Stunden ein Abstechen der Kolonien mög¬
lich ist. Meine Arbeit darf ihm dafür als Bestätigung dienen.
T a n d j o n g M o r a w a, 23. Mai 1907.
Aus dem Institute für allgemeine Pathologie der Universität
in Genua.
Die innere Reibung (»?) des Blutserums in morph?ni-
sierten Tieren.
Von Dr. Mario S egale, Privatdozent und Assistent.
Einige Kontrollversuche über die neueste Veröffentlichung
Cesanas1) führten mich dazu, das Verhalten der inneren
Reibung des Blutserums in Hunden festzustellen, welchen eine
zur Narkose hinreichende Gabe Morphium muriaticum ein¬
gespritzt worden war.
Die Technik der Entnahme und der Prüfung des Serums
habe ich weitläufig in vorausgegangenen Erläuterungen ') dar¬
gestellt; sie ist jene, welche am physikalisch-chemischen Insti¬
tute in Leipzig im Gebrauche ist.
Den mit Morph, muriat. — die Dose 0,01 g zu 1 kg Körper¬
gewicht — eingespritzten Tieren wurde an der Drosselvene
vor der Einspritzung, Yi Stunde darnach und den nächsten 1 ag
mit der Methode Ferrai zur Ader gelassen.
Durch ausreichende Kontrollversuche habe ich mich ver¬
gewissert, dass die geringste Quantität des in diesen ver¬
schiedenen Zeitpunkten abgenommenen Blutes keinerlei Wir¬
kung auf die innere Reibung des Serums hat; es muss eine be¬
deutend grössere Quantität abgezogen werden, um jene Ver¬
änderungen zu bemerken, welche wir aus den Untersuchungen
verschiedener Autoren kennen.
Bei allen mit Morph, muriat. geimpften Tieren konnte eine
auffallende Abnahme der inneren Reibung des Serums fest¬
gestellt werden, welche in den meisten Fällen von der ersten
halben Stunde an, jedoch manchmal auch erst beim dritten
Aderlass bemerkbar war; stets fand sie sich aber im Verhält¬
nisse zur pharmakologischen Wirkung des Produktes. Man¬
ches Tier bedurfte einer grösseren Quantität Morphins zur Nar¬
kose, und in solchen zeigte sich die Abnahme der inneren Rei¬
bung, welche nach der erstmaligen Verabreichung kaum be¬
merkbar war, bei der zweiten sehr deutlich.
Am folgenden Tage kehrten die Werte wieder zur Norm
zurück.
Bei Wiederholung der Morphinverabreichung an einige
dieser Tiere in verschiedenen Zeiträumen, von 7 I agen bis zu
1 Monat, wurde an manchen .eine fortschreitende Verminde-
U Cesana (Arch. di Fisiol., Bd. IV., Heft 2) gelangte bei der Unter¬
suchung der inneren Reibung des Serums beiSplenektomie zu Resultaten,
die in vollem Widerspruche zu den von mir veröffentlichten stehen. Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass in einigen Fällen der Irrtum davon ab¬
hängt, dass der erste Aderlass vor dem Eingriffe an Hunden gemacht
wurde, welche morphinisiert waren. Der zweite an wachen Hunden
zeigt natürlich eine Erhöhung der inneren Reibung, welche indes nur
scheinbar ist
2) S egale: Su alcuni valori fisico-chimici del siero di sangue.
Nota LTecnica di esame e limite dei valori normali. Nota II: Anuria
soerimentale. Nota III: Tiroidectomia e Paratiroidectoinia. Nota V.
Capsulectomia surrenale. Nota VI: Splenectomia. (Atti della
R. Accad. med. di Genova 1906 — 1907.)
rung der Abnahme der inneren Reibung beobachtet, wie wenn
der Organismus oder die vermuteten ausgleiehendcn Kräfte der
inneren Reibung selbst sich an die wiederholte Einführung
dieses Alkaloids gewöhnten, obgleich noch nie eine vollständige
Unempfindlichkeit beobachtet werden konnte.
Bei Tieren, welche längere Zeit ohne Nahrung gehalten
wurden, fehlte die Reaktion gänzlich.
Nachdem die wirkliche Bedeutung dieser physikalisch¬
chemischen Eigentümlichkeit des Serums noch sehr im Dunkeln
schwebt, obgleich sie nicht bedeutungslos hinsichtlich des or¬
ganischen Auflösungsvermögens sein kann, wie es übrigens
die klaren und beständigen Veränderungen je nach den ver¬
schiedenen experimentellen Verwendungen beweisen, glaube
ich die Mitteilung dieser Tatsache angemessen, um so mehr,
als sie noch nicht beachtet zu sein scheint.
Diese Resultate können, unabhängig von der genauen Be¬
deutung, welche ihnen nach bestimmter Festlegung unserer
Kenntnisse über die innere Reibung beigelegt werden x\ i r d ,
schon jetzt zur Auslegung einiger pharmakologischer und
therapeutischer Wirkungen dieses Alkaloids dienen.
Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität Berlin.
Lipolyse, Agglutination und Hämolyse.
Dritte Mitteilung.
Von C. Neuberg und K- Reicher.
Vor einiger Zeit haben C. Neuberg und E. Rosen-
berg1) mitgeteilt, dass eine Reihe von Hämolysinen wie
Bienengift und die Toxine der Kobra-, der Krotalus- und der
Mokassinschlange ein ausgesprochenes Fettspaltungsveirmögen
haben und dass man dieser Erscheinung auch bei edichen
Agglutininen wie Krotin und Rizin begegnet Da nun
nach unseren heutigen Vorstellungen die roten Blutkörpei clien
mit einer Lipoidschicht umgeben sind, liegt es nahe, das rett-
spaltnn.gsvermögen der Hämolysine und Agglutmine mit deren
Wirkung auf Blutkörperchen in Verbindung zu bringen dm ich
die Annahme, dass die Lipase in irgend einer Weise die Li¬
poidschicht verändert. Es erhebe” sl<jh nun tol2ende
Fragen: Ist die Fettspaltung als solche d l r e k t ein Teil des hä¬
molytischen Vorganges, oder ermöglicht sie indirekt den Ein¬
tritt oder Fortschritt der Hämolyse, oder ist sie drittens eine
zufällige Begleiterscheinung? Um weiteres Material in dicsei
Frage zu sammeln, haben wir jüngst 2) eine Reihe anderer
hämolytisch wirkender Prinzipien von Toxincharakter auf rett-
spaltungsvermögen untersucht und umgekehrt bekannte fett-
SDaltende Fermente auf hämolytische Eigenschaften gepru .
Nim ist aber die Immunisierung gegen rote Blutkörperchen, Del
der Hämolysine gebildet werden, ein spezieller Fall der immuni¬
satorischen Erzeugung zytolytischer Sera sodass man die
Untersuchung auch auf bakteriolytische Sera (R.) zweck-
massig ausdehnte, umsomehr, als wir wissen, dass zahl¬
reiche Bakterien gleich den roten Blutkörperchen eine dichte
Lipoidhülle besitzen. Die entsprechenden Versuche wurden
einerseits mit Schweinerotlauf- und Streptokokkensernm (auch
mit antitoxischem Diphtherieserum) angestellt, anderersei s
mit den fettspaltenden Fermenten des Magens und des Pan¬
kreas.3) Sie ergaben übereinstimmend das Vorkommen hpo-
lytischer Enzyme in den Immunseris und eine hämolytische
Wirkung der genannten Verdauungssäfte. Wir haben jetzt
noch einige bakterielle Hämolysine untersucht wie Cholera¬
hämolysin (K r a u s) und Staphylokokkenhämolysin (Krau sh
1) Lipolyse, Agglutination und Hämolyse I. Orth-Nummer der
Berl. klin. Wochenschr.. Januar 1907. . , .
2) C. Neuberg und K. Reicher: Lipolyse, Hämolyse unc
Agglutination II. Biochemische Zeitschr., Bd. 4, S. 281. 190/.
3) Bezüglich .des letzteren sind unabhängig von uns zum
gleichen Resultate U. Friedemann und J. W oh 1 g e m u t h ge¬
langt. — Es liegt in der Natur des Isolierungsverfahrens dass die n
Form von Lezithiden erhaltenen Hämolysine das fettspaltende
Enzym einschliessen; vielleicht beruht deshalb auch hier die Hä¬
molyse auf nichts anderem, als auf einer direkten oder indirekten
1 inasewirkung d. h. auf der Spaltung von Lipoiden der Blut¬
körperchen oder auf deren Lösung ^durch dem Lezithin entstammende
Fe‘“ pSrdlsUns freundlich». vom Kd Institute für In-
fektionskrankheiten in Berlin zur Verfügung gestellt worden.
1726
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Tabelle I.
1 ccm Cholera-Hämolysin, Azidität . — 0,2 ccm n/10 NaOH.
1 ccm Staphylolysin, Azidität . . . = 0,2 ccm n/10 NaOH.
1 ccm Meningokokkenserum, Azidität = 0,05 ccm n/10 NaOH.
5 g Lezithin in 60 ccm Aqu. dest., da¬
von 5 ccm, Azidität . = 1,2 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Olivenöl, Azidität . = 2,25 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Rizinusöl, Azidität . = 0,85 ccm n/10 NaOH.
20 ccm Aether -f- 20 ccm Alkohol (zur
Titration zugesetzt), Azidität . . = 0,05 ccm n/10 NaOH (bei den
ausgegebenen Zahlenbereits
abgerechnet).
Mangansulfatlös. von 0,5 Proz. hier u. in allen folgenden Fällen neutral.
Azidität
-
Angewendet
vor der
nach der
Differenz
Spaltung
Spaltung
1 ccm Cholerahämolysin
5 „ Olivenöl ..... .
} 2,45
2,6
0,15
1
79
Cholerahämolysin
1
5
V
Olivenöl .
2,45
2,65
0,2
1
79
M11SO4 .......
1
5
79
79
Staphylolysin ....
Olivenöl ' .
} 2,45
2,65
0,2
1
V
Staphylolysin ....
)
5
79
Olivenöl .
2,45
2,65
0,2
1
V
M11SO4 .
1
79
Meningokokkenserum
} 2.3
2,3
0
5
V
Olivenöl .
1
V
Meningokokkenserum
1
5
V
Olivenöl ....
2,3
2,5
0,2
1
V
MnSOi .
1
79
Cholerahämolysin
} M
3,1
1,7
5
79
Lezithinlsg .
1
79
Cholerahämolysin
5
79
Lezithinlsg. . . .
I M
3,1
1,7
1
79
M11SO4 . . .
1
r>
Staphylolvsin ....
j 1,4
3,2
1,8
5
V
Lezithinlsg .
1
V
Staphylolysin . ,
5
yn
Lezithinlsg. .
1 M
4,3
2,9
1
79
M11SO4 .
1
79
Meningokokkenserum
} 1,25
2,75
1,5
5
79
Lezithinlsg. . .
1
79
Meningokokkenserum
5
V
Lezithinlsg.
1,25
3,5
2,25
1
79
M11SO4 .
1
V
Cholerahämolvsin
1,05
2,35
1,3
5
V
Rizinusöl .
1
79
Cholerahämolvsin
5
r>
Rizinusöl . . ‘
1,05
2,25
1,2
1
V
M11SO4 .
1
V
Staphylolysin . . .
1,05
2,05
5
79
Rizinusöl
1,0
1
79
Staphylolysin .
5
79
Rizinusöl .
1,05
2,7
1,65
1
79
M11SO4 .
1
77
Meningokokkenserum
■ 0,9
1,4
0,5
5
79
Rizinusöl .
1
V
Meningokokkenserum
5
V
Rizinusöl ,
0,9
1,9
1,0
1
79
M11SO4 . .
die bekanntermassen aus den Filtraten der Bakterien¬
kulturen gewonnen werden. (Tabelle I und II.) Beide
erwiesen sich als lipoly tisch, und zwar richtet sich
das Fettspaltungsvermögen aller der untersuchten Körper
sowohl gegen gewöhnliches Fett wie auch gegen Li¬
poide vom Charakter des Lezithins. Manganosulfat ver¬
stärkte öfter auch in diesen Fällen, wie schon früher
N e u b e r g und Rosen b erg (1. c.) bei den fettspaltenden
Prinzipien der Schlangengifte gefunden haben, deutlich die
Fettspaltung. Meningokokkenserum4) zeigte leichte Lipolyse,
Pyozyanase (L i n g e r) dagegen, der man energische Wirkung
gegen Meningokokken (E s c h e r i c h) und Diphtheriebazillen
zuschreibt, eine sehr ausgeprägte Fettspaltung (Tabelle III.)
Ganz deutliche lipolytische Fähigkeit entwickelte auch ein
inaktiviertes Immunserum eines Kaninchens, das mit Ziegen-
T a b e 1 1 e II.
5 ccm Olivenöl, Azidität . = 1,5 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Rizinusöl, Azidität . = 1,4 ccm n/10 NaAH.
5 g Lezithin in 60 ccm Aqu. dest., da¬
von 5 ccm, Azidität . = 1,5 ccm n/10 NaOH.
1 ccm Cholerahämolysin, Azidität . = 0,2 ccm n/10 NaOH.
1 ccm Staphylolysin, Azidität . . . = 0,2 ccm n/10 NaOH.
20 ccm Aether -f- 20 ccm Alkohol s. Tabelle I (bereits abgerechnet.)
A z i c
1 i t ä t
—
Angewendet
vor der
nach der
Differenz
Spaltung
Spaltung
1
5
ccrn
V
Cholerahämolysin
Olivenöl ....
1 1 7
1 1,7
2,4
0,7
1
V
Cholerahämolvsin
5
V
Olivenöl ... .
! *'7
2,7
1,0
1
79
M11SO4 .
1
V
Staphylolysin . .
} >>7
2,3
0,6
5
79
Olivenöl . . .
1
79
Staphylolysin . .
1
5
79
Olivenöl ....
1,7
2,7
1,0
1
V
MnSOi .
1
1
V
Cholerahämolysin
! 1)7
3,0
1,3
5
79
Lezithinlsg. . . .
1
97
Cholerahämolvsin
1
5
79
Lezithinlsg. . . .
1 17
1 •
3,1
1,4
1
79
MnS04 .
1
99
Staphylolysin . .
1 1 7
1 1,7
3,3
1,6
5
V
Lezithinlsg. . . .
1
79
Staphylolysin . .
i
5
99
Lezithinlsg. . . .
1,7
3,5
1,8
1
V
MnSO< .
1
Cholerahämolysin
} 1,6
1,9
0,3
5
79
Rizinusöl . .’
1
79
Cholerahämolysin
1
5
V
Rizinusöl ....
1,6
2,0
0,4
1
79
MnS04 .
1
99
Staphylolysin . .
} 1,6
2,2
0,6
5
7)
Rizinusöl ....
1
79
Staphylolysin . .
1
5
79
Rizinusöl ....
j 1,6
2,6
1,0
1
79
MnSÜ4 .
T
a
belle III.
5 ccm Olivenöl, Azidität . = 1,25 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Rizinusöl, Azidität . = 1,05 ccm n/10 NaOH.
5 g Lezithin in 60 ccm Aqu. dest., da¬
von 5 ccm Azidität . = 1,6 ccm n/10 NaOH.
1 ccm Pyozyanase, Azidität . . . . = 1,4 ccm n/10 NaOH.
20 ccm Aether -f- 20 ccm Alkohol,
Azidität . = 0,45 ccm n/10 NaOH (bereits
abgerechnet).
... .
Azidität
Angewendet
vor der
nach der
Differenz
Spaltung
Spaltung
5 ccm
Olivenöl .
) 2,65
4,55
1,90
1
79
Pyozyanase ....
5
79
Olivenöl .
1
l
79
Pyozyanase ....
2,65
6,5
3,85
1
79
MnSÖ4 .
5
Lezithinlsg .
| 3,0
4,1
U
1
79
Pyocyanase .
5
V
Lezithinlsg .
I
1
V
Pyozyanase .....
3,0
6,6
3,6
1
V
MnSOi .
5
1
79
V
Rizinusöl .
Pyocyanase .
} 2,45
6,8
4,35
5
V
Rizinusöl .
I
1
V
Pyozyanase .
2,45
8,95
6,5
1
79
MnSOi .
serum vorbehandelt worden war, im Verein mit Meerschwein¬
chenserum als Komplement (Tabelle IV). Benutzten wir als
Kontrolle bloss Komplement ohne Ambozeptor, so blieb die Fett¬
spaltung beinahe gänzlich aus.
Die Frage nach dem Verhältnis der lipolytischen zur hämo¬
lytischen resp. agglutinierenden Funktion liesse sich ent-
Ol Cn Ol
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1727
T a b e 1 1 e IV.
Das Immunserum Z. K. (Ziege, Kaninchen) löste in der Menge von
0,02 ccm noch komplett 1 ccm 5 proz. Ziegenblutes bei Ver¬
wendung von 0,1 Meerschweinchenserum als Komplement. Wir
nahmen davon die zehnfache Menge, also 0,2 Z. K- und
1,0 Komplement vom Meerschweinchen.
0,2 ccm Z. K., Azidität . = °'\ccm n/,!S Ka2&
1,0 Kompl., Azidität . = 0,4 ccm n/10 NaOH.
ccm Olivenöl, Azidität . = 1,4 ccm n/10 NaOH.
ccm Rizinusöl, Azidität . = 1,4 ccm n/10 NaOH.
ccm Lezithinlsg, Azidität . = 2,0 ccm n/10 NaOH.
20 ccm Alkohol -R 20 ccm Aetlier,
Azidität . = 0,4 ccm n/10 NaOH (bereits
abgerechnet).
Angewendet
A z i c
vor der
Spaltung
i t ä t
nach der
Spaltung
Differenz
5 ccm Olivenöl .
0,2 „ Z. K .
1 1,9
3,7
1,8
1,0 „ Kompl .
5 „ Olivenöl .
1
} 1,8
2,0
0,2
1,0 „ Kompl .
5 „ Lezithinlsg .
0,2 „ Z. K .
2,5
4,2
1,7
1,0 „ Kompl .
5 „ Lezithinlsg .
1
} 2,4
1 1,9
2,5
0,1
1,0 „ Kompl .
5 „ Rizinusöl .
0,2 „ Z. K .
2,6
0,7
1,0 „ Kompl .
5 „ Rizinusöl .
1
} 1,8
1,9
0,1
1,0 „ Kompl .
scheiden, wenn man bei einer der genannten toxinähnlichen
Substanzen eine Trennung der beiden Prinzipien erreichen
könnte. Das ist aber bisher nicht möglich gewesen. Wir führen
einen am Rizin angestellten Versuch an. Falls es gelänge,
durch das Serum eines mit Rizin vorbehandelten Tieres
die agglutinierende Komponente des Rizins aufzuheben,
während die lipolytische erhalten bliebe, so wäre dadurch
jedenfalls der Beweis erbracht, dass die beiden fraglichen Vor¬
gänge durch verschiedene Gruppen ausgelöst würden. Es
zeigte sich jedoch, dass Antirizinserum auch die Fettspaltung
vollkommen aufhebt. (Tabelle V.)
Dieses Resultat beweist natürlich nicht die Identität der
beiden Prozesse, sondern kann dadurch zustande kommen,
dass das rizinfeste Tier durch die Vorbehandlung mit Rizin
gleichzeitig gegen die in diesem Präparate vorhandene Lipase
immunisiert ist. , . „ .
Eine Entscheidung der oben erwähnten drei Fragen konnte
also bisher nicht erbracht werden und wird auch nur schwer
herbeizuführen sein. Immerhin ist überhaupt die Konstatierung
eines lipolytischen Prozesses bei den genannten Vorgängen für
die Theorie und auch für die Therapie von Bedeutung. . Wir
erwähnen bloss Metallnikoffs Lipasenbefund bei dei
Bienenmotte, welchen er mit der Immunität dieses Insektes
gegen Tuberkulose in Zusammenhang bringt, sowie Deycke-
Paschas und Reschad Beys angeblich erfolgreiche Be¬
handlung von Leprösen mit dem Bakterienfett Nastin. Die ge¬
nannten Forscher nehmen an, dass durch die gesteigeite Eett-
zufuhr der Organismus ein erhöhtes Eettspaltungsvermögen
für Nastin und das nahe verwandte Fett der Leprabazillen ge¬
winnt. Ohne weiteres abzuweisen ist eine derartige Erklärungs-
möglichkeit nicht, denn die Stärkung vorhandener resp. der Er¬
werb neuer fermentativer Fähigkeiten ist des öfteren beobachtet.
Erinnert sei nur an die Möglichkeit. Heferassen durch aus¬
schliessliche Ernährung mit einer bestimmten Zuckerait zur
Bildung von Enzymen, die auf diese Kohlehydrate eingestellt
sind, zu zwingen ; ferner an das Auftreten abnormer, feimen-
tativer Prozesse in karzinomatösen Wucherungen, wie sie zu¬
erst von Neuberg5) beschrieben sind u. a. m.
Momentan steht die Lipoidchemie im Vordergründe des
Interesses bei sehr vielen immunisatorischen Prozessen fvergl.
• 5) Ueber anomale fermentative Vorgänge beim Krebs. Berliner
klin. Wochenschr. 1905, No. 5.
T a b e 1 1 e V.
1,0 ccm Antirizin (Kaninchen) neutralisiert 0,01 g Rizin.
0,02 g Rizin (R) gelöst in 2 ccm 10 proz. NaCl -R 3 ccm Antirizin
(A. R.) -R 15 ccm Aqu. dest. wurden 2 Stunden in den Brut¬
schrank und 14 Stunden in den Eisschrank gestellt und dieses
Gemisch (R -R AR) das nicht mehr agglutiniert, verwendet,
2 ccm R -R AR, Azidität . = 0,15 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Olivenöl, Azidität = 1,95 ccm n/10 NaOH.
5 ccm Rizinusöl, Azidität . = 1,55 ccm n/10 NaOH.
5!ccm Lezithinlsg., Azidität . . . . — 1,4 ccm n/10 NaOH.
20 ccm Aether -R 20 ccm Alkohol,
Azidität . = 0,15 ccm n/10 NaOH (bereits
abgerechnet).
Angewendet
A z i c
vor der
Spaltung
i t ä t
nach der
Spaltung
Differenz
5 ccm Olivenöl .
} 2,1
1
2,1
0
2 „ R -R AR .
5 „ Olivenöl .
2 „ R 4- AR .
1 „ MtiSOi .
1 2,1
2,2
0,1
5 „ Olivenöl .
} 1,95
} 1,55
1
1,9
2 „ Aqu. dest .
5 „ Lezithinlsg .
0,05
2 „ R -R AR .
5 „ Lecithinlsg .
1,6
2 „ R -R AR .
1 „ MnSO* .
1,55
1,6
0,05
5 „ Lezithinlsg .
} 1,4
1,4
0
2 „ Aqu. dest .
5 „ Ricinusöl .
} >-7
1
1,7
0
2 „ R -R AR .
5 „ Rizinusöl .
0
2 „ R -R AR .
1 „ M11SO4 .
| ,,7
1,7
5 „ Rizinusöl .
2 „ Aqu. dest .
} 1,55
1,55
0
Bang und Forssmann6) sowie L a n d s t e i n er und
D a u t w i t z 7)]. Da nun Lipoide und Lipasen zwei einander
entsprechende Faktoren sind, wird man dem Auftreten und den
Wirkungen dieser Fermente eine erhöhte Beachtung schenken
müssen. L. v. L i e b e r m a n n 8) hat jüngst, z. T. in Gemein¬
schaft mit B. v. Fenyvessy, in einer Reihe interessanter
Untersuchungen die Bedeutung der Eettseifen für. das Zu¬
standekommen der Hämolyse dargetan9), und da die Lipasen ge¬
radezu Seifenbildner sind, so ist es denkbar, dass ihre Be¬
teiligung an den hämolytischen Vorgängen sich zum Ted auf
solchem Wege vollzieht. Auf einen weiteren Zusammenhang
deutet eine vor kurzem erschienene Arbeit von G o 1 1 1 i e b
und Lefmann10) hin, die geradezu den Lipoidsubstanzen der
roten Blutkörperchen den wesentlichsten Anteil bei der Er¬
zeugung spezifischer Hämolysine zuschreiben. Ueberhaupt
steht die Spezifität der Hämolyse — und das gilt auch viel¬
leicht für gewisse Formen der Agglutination — in gutem Ein¬
klänge mit der hohen Spezifität der Lipasen, die je nach ihiei
Herkunft auf ganz verschiedene Fette und Lipoide eingestellt
sind. Jedenfalls ist das bisher vorliegende Material bereits ein
derartiges, dass die von uns zuerst betonten mannigfachen Be¬
ziehungen zwischen Hämolyse und Fettspaltung in Zukunft
nicht unbeachtet bleiben können. Nicht allein das Pankreas,
sondern viele andere tierische und menschliche Organe ent¬
halten fettspaltende Fermente, deren mögliche Beteiligung an
den verschiedensten hämolytischen Vorgängen und deren Be¬
deutung namentlich unter pathologischen Bedingungen in Be¬
tracht zu ziehen sein wird.
Zum Schlüsse erlauben wir uns, dem Herrn Geh. Ober¬
medizinalrat Gaffky sowie den Herren Professoren J a -
koby, Kraus und Morgenrot h für die freundhchst
überlassenen Sera verbindlichsten Dank zu sagen.
G) Beiträge z. ehern. Physiol. u. Pathol., Bä. VIII, S. 233, 1906.
7) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol., Bd. IX, b. 431, ja/.
n) Vergl. auch H. Noguchi, zit. bei v. Lieber man n.
s) Biochemische Zeitschr.. Bd. IV, 25; Bd. V, 99; Bd. V 114, 19 /.
10) Medizinische Klinik 1907, No. 15.
1728
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Aus der internen Abteilung des Spitales der Barmherzigen
Brüder in Prag.
Die Erkrankungen des Magens bei der chronischen
Bleivergiftung.
Von Privatdozent Dr. Karl W a 1 k o, Primarius.
Eine Reihe von Fällen chronischer Bleivergiftung, die ich
in den letzten Jahren zu beobachten Gelegenheit hatte, gab mir
Veranlassung, auch das Verhalten der Funktionen des Magens
bei dieser Vergiftung genauer zu untersuchen. Es ist eigentlich
selbstverständlich, dass Magen und Darm an erster Stelle
durch ein Gift geschädigt werden, das in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle per os aufgenommen, andererseits durch die
Drüsen oder Epithelien dieser Organe ausgeschieden wird.
Soviel nun auch über die durch das Blei veranlassten
sekundären Erkrankungen des Darmes, des Blutes, des Nerven¬
systems, Stoffwechsels etc. bekannt wurde, so spärlich sind die
Beobachtungen über die gleichzeitigen Affektionen des Magens
und doch sind fast in allen Fällen chronischer Bleivergiftung
mehr oder minder schwere Störungen der Magenfunktionen,
die sich in ihrem Symptomenbild ziemlich gleichartig ver¬
halten, eine ganz konstante Erscheinung, welche eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung auch bezüglich des Verlaufs der
Allgemeinerkrankung besitzen, da die vorhandenen Verdau¬
ungsstörungen eine schwere Beeinträchtigung der Ernährung
herbeiführen können.
In der Literatur sind über dieselben nur wenige Angaben ver¬
zeichnet, die sich mit ihnen nur als gelegentlichen Nebenbefund be¬
schäftigen. R. v. J a k s c h 0 hebt hervor, dass als erste Symptome
der chronischen Bleivergiftung noch vor den Koliken unbestimmte
Verdauungsstörungen, wie der Druck in der Magengegend, Auf-
stossen nach dem Essen, Verlust des Appetites, metallischer Ge¬
schmack im Munde auftreten, meist konmbiniert mit den Erschei¬
nungen der Anämie.
Bei Robert1*) sind von pathologisch-anatomischen Veränder¬
ungen des Verdauungsapparates angeführt: Die Gastritis glandularis
mit völligem Schwund der Drüsen, Verdickungen der Submukosa des
Magens und Darmes durch Bindegewebswucherungen und Ver¬
dickungen der Gefässscheiden, Endarteriitis, Atrophie der Drüsen,
Plaques und Follikel im Jejunum, Ileum und oberen Kolon.
Galvagni2) fand bei einem 54 jährigen Manne mit chro¬
nischem Saturnismus Perihepatitis, Perisplenitis, Verwachsungen des
Magens, der Leber und Milz, totale Sklerose des ganzen Netzes,
sklerosierende chronische Peritonitis des Därme, Mesenteritis sa-
turnina, Retraktion aller Darmschlingen und sklerosierende Ent¬
zündung des Plexus solaris. Alvazzi-Delfrate2*) beschreibt
zwei Fälle von Duodenalulcus.
Ich konnte mich in meinen Fällen, deren Zahl 43 beträgt,
nur auf das klinische Bild der Erkrankung beschränken. Die
einzelnen Fälle kamen in verschiedenen Stadien der Vergiftung,
d. h. nach verschieden langer Beschäftigungsdauer mit Blei in
meine Behandlung und betrafen ausschliesslich Männer, die in
chemischen Fabriken mit der Verarbeitung metallischen Bleis
oder der Herstellung von Bleifarben (Bleiweiss, Minium) in
reichlich bleistaubhaltiger Atmosphäre beschäftigt waren und
vor der Aufnahme in die Fabrik ärztlich untersucht und gesund
befunden wurden. Bei dreiviertel aller Fälle bestanden die
Vergiftungserscheinungen erst einige Wochen nach einer höch¬
stens zwei- bis dreimonatlichen Beschäftigung mit Blei und
charakterisierten sich durchwegs als schwere. Das rasche
Auftreten derselben in so kurzer Zeit bei früher gesunden
Menschen ist ein Beweis, dass ziemlich grosse Mengen des
Giftes in den Körper gelangten, was zum Teil auf die mangel¬
haften gewerbehygienischen Einrichtungen, zum Teil gewiss
auch auf die Sorglosigkeit und Nachlässigkeit der Arbeiter zu¬
rückzuführen ist.
Die Krankheitserscheinungen, welche die chronische Blei¬
vergiftung verursacht, besitzen in ihrem Auftreten eine ge¬
wisse Gleichartigkeit, die bezüglich der Entwicklung, der
Reihenfolge und Intensität der Symptome nur durch die ver¬
schiedene Menge des eingeführten Giftes, sowie durch früher
schon vorhandene anderweitige Erkrankung, als Tuberkulose,
Nephritis etc., ferner durch die Einwirkung gewisser Schäd¬
lichkeiten wie Alkohol, Tabak, schlechte Lebensweise, mangel¬
hafte Ernährung geändert wurden. Andererseits mag auch
P B. Jaksch: Die Vergiftungen. Holder. Wien. 1897, o. 202.
L) Robert: Lehrbuch der Intoxikationen. Stuttgart 1906
2) Galvagni: zit. bei Robert.
2*) Alvazzi-Delfrate: zit. bei Robert.
eine verschiedene Resistenz des Körpers dem Gifte gegenüber
bestehen.
Das Auftreten der Krankheitserscheinungen der einzelnen
Organe ist von der Art und Dauer der Aufnahme des Giftes
in den Körper abhängig. So traten die Symptome der Er¬
krankung des Verdauungstraktus und des Blutes viel rascher
und intensiver auf, wenn der Arbeiter in einer mit Bleistaub
geschwängerten Luft arbeitete, während bei Arbeitern, die nur
mit metallischem Blei beschäftigt waren, sich zuerst die für
diese Vergiftung charakteristischen Blutveränderungen ein¬
stellten und erst später Magen- und Darmbeschwerden hinzu¬
traten.
In den beobachteten Fällen standen die Zeichen gestörter
Magen- und Darmtätigkeit, namentlich aber erstere, anfangs
durchwegs im Vordergrund des Krankheitbildes. Dieselben
äussersten sich als Verdauungsbeschwerden, Verlust des Appe¬
tits, schlechter Geschmack, Uebligkeit, Erbrechen, Magen¬
schmerzen, Stuhlverstopfung, allgemeine Schwäche und Un¬
lustgefühle und entwickelten sich nach einer 3— 4 wöchent¬
lichen Beschäftigungsdauer sehr rasch. Der Höhepunkt der
Erkrankung fiel gewöhnlich in die erste Woche des Spitals¬
aufenthaltes, in welcher Zeit die anfänglichen Erscheinungen
an Intensität bedeutend zugenommen und sich zu einem Krank¬
heitsbild mit kollapsähnlichen und kachektischen Zuständen,
völligem Darniederliegung der Verdauung, sowie heftigen
Schmerzen und Erbrechen gesteigert hatten.
Die Schmerzen waren kontinuierlich und hauptsächlich in
der Magen- und Nabelgegend ausgesprochen; typische Koliken
bestanden nur bei einem Drittel der Fälle, was bei der Häufig¬
keit derselben insofern von Wichtigkeit ist, als angenommen
werden muss, dass die Affektionen des Magens denen des
Darmes zeitlich vorangehen. Wohl treten sie im späteren Ver¬
laufe gegenüber denen des Blutes, des Nervensystemes etc.
zurück oder sind durch die gleichzeitige Erkrankung anderer
Organe verdeckt, in der Tat fehlen sie weder zu Be¬
ginn, noch im späteren Krankheitsverlaufe
vollständig.
Von gleichzeitig vorhandenen anderen
Krankheitssy m ptomen sind bisher in erster Linie die
Veränderungen des Blutes zu erwähnen. Die
Blässe gehört wohl mit zu den ersten Zeichen der Vergiftung,
doch ist die Anämie im Beginne derselben keine so bedeutende,
als allgemein angenommen wird und erklärt sich zum Teil aus
der schon anfangs der Krankheit auftretenden erhöhten Gefäss-
spannung. Vielfach sind Veränderungen des Blutes sehr früh
nachweisbar und nehmen oft an Intensität noch zu, wenn be¬
reits der Höhepunkt der Erkrankung der Verdauungsorgane
vorüber ist. Sie leiten sich mit einer Oligochromämie ein, zu
welcher der Schwere des Falles entsprechend noch Poikilo¬
zytose und Degenerationserscheiungen der Erythrozyten hin¬
zutreten, vor allem die körnige Degeneration, die ich fast in
allen Fällen fand. Nur bei den schwersten Fällen waren kern¬
haltige rote Blutkörperchen, Oligozythämie und hie und da
Leukozytose vorhanden. Auf die Beziehungen der Erkran¬
kungen des Blutes und der Verdauungsorgane werde ich noch
später zurückkommen. Von gleichzeitigen nervösen Sym¬
ptomen bestanden nur Tremores, lanzinierende Schmerzen in
den Armen und Beinen. In allen Fällen war ein starker Blei-
saum am Zahnfleisch, oft auch an der der Zahnreihe ent¬
sprechenden Wangenschleimhaut vorhanden.
Die Prüfung der einzelnen Funktions¬
störungen des Magens ergab bei der chronischen Blei¬
vergiftung ein gleichartiges Verhalten. Die nach Probefriih-
stiiek und Probemahlzeiten ausgeheberten Mengen des Magen¬
saftes waren meist gering und betrugen durchschnittlich 50
bis 100 ccm. Der ausgeheberte Speisebrei sah gewöhnlich noch
unverdaut aus und zeigte eine reichliche Beimengung von
glasig gequollenen Schleimmassen. Die Schleimproduktion
zeigte ein umgekehrt proportioniertes Verhalten zur Abnahme
der Salzsäurebildung im Magen. Anzeichen einer Hvper-
sekretion waren nicht vorhanden und aus dem nüchternen
Magen konnte bei wiederholter Untersuchung kein salzsäure¬
haltiger Magensaft gewonnen werden. Die mikroskopische
Untersuchung erwies gelegentlich das Vorhandensein von Blut¬
spuren, kernhaltiger Epithelien, Drüsenteilchen und Schleim¬
fäden. Auf die Störungen der Sekretion wurde ich
gelegentlich der Untersuchung zweier karzinomverdächtiger
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1729
Fälle aufmerksam, die sich bei genauer Beobachtung als chro¬
nische Bleivergiftung herausstellten. Die bei allen weiteren
Fällen angestellten Untersuchungen ergaben ein gleiches Re¬
sultat bei jenen Arbeitern, die mit pulverförmigen Bleiprä¬
paraten beschäftigt waren und reichlich Staub durch Mund
und Nase aufnahmen. In der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle fehlte die freie Salzsäure vom Beginne
der Erkrankung an entweder vollkommen
oder zeigte nur geringe Werte. Die niedrigen
Zahlen der Qesamtazidität, die selten 10 ccm "o NaOH mehr
als die Werte für die freie Salzsäure betrugen, machten auch
das Vorhandensein einer grösseren Menge von gebundener
Salzsäure unwahrscheinlich. Die leichteren Fälle kenn¬
zeichneten sich nur durch Hypazidität mit Werten von 10 bis
30 ccm ^ NaOH nach Probefrühstück resp. Probemahlzeit.
In den Fällen, wo die Arbeiter nur mit metallischem Blei zu tun
hatten, wie bei Schriftsetzern oder Schriftgiessern, bestand hie
und da eine Hyperazidität, die mit eintretender Besserung zur
Norm oder unter die Norm absank.
Die Fermentbildung zeigte kein der Säuresekretion
analoges Verhalten. In den leichteren Fällen von Hyper¬
azidität war die Menge i on Pepsin und Lab normal oder nur
unwesentlich vermindert. In den meisten Fällen von Anazidität
fehlten zwar freies Pepsin und Lab, jedoch gelang der Nach¬
weis von Pepsinogen und Labzymogen mit geringer Ausnahme
immer und nur bei einer kleinen Anzahl fehlten auch die Pro¬
fermente.
Die Amylolyse zeigte keine besonderen Störungen.
Von organischen Säuren wurden nur in einem
Falle mit stärkerer Gastrektasie und Stagnation des Magen¬
inhaltes grössere Mengen von Milchsäure gefunden, in einem
Falle von Anazidität anfangs geringe Mengen, die bald ver¬
schwanden, in mehreren Fällen auch Buttersäure.
Die Prüfung der Resorptionsfähigkeit des Ma¬
gens mittels der Penzoldt-Faber sehen Methode und der
Salizylprobe ergab mehrmals eine nicht unbeträchtliche Ver¬
zögerung der Jod- und Salizylausscheidung durch den Harn
und Speichel, erwies sich jedoch in der Mehrzahl auch der
schweren Fälle, die ohne Erweiterung des Magens einher¬
gingen, als ungestört.
Auch die motorische Tätigkeit des Magens war
häufig mitbetroffen. So sind die im Anfänge der Erkrankung
stürmisch einsetzenden Verdauungsbeschwerden wohl mehr
der mechanischen Behinderung der Verdauung infolge kiiizer
oder länger dauernder Kontraktion des Pylorus als der sekre¬
torischen Insuffizienz zuzuschreiben, wie ja überhaupt in der
Magenpathologie die motorischen Störungen eine grössere
Rolle spielen als die sekretorischen. Bei schwereren Fällen
kamen auch atonische Zustände zur Beobachtung, doch waren
dauernde Motilitätsstörungen im allgemeinen ein seltener Be¬
fund. Bei der Aufblähung des Magens mit Luft zeigte sich
zwar oft ein Tiefstand der unteren Magengrenze, was jedoch
mehr auf eine Abnahme seines Spannungsgrades, als auf eine
Erweiterung bezogen werden muss, da die Fortschaffung der
Speisen aus dem Magen selbst bei Fällen von Hyposekretion
oder Achylie sich unwesentlich oder vorübergehend behindert
erwies. Bei einigen schweren Fällen bestand zwar auch eine
stärkere, oft monatelang anhaltende Dilatation, aber ohne voll¬
ständige Erschlaffung der Muskulatur.
Die bei diesen Fällen vorhandene Druckschmerzhaftigkeit
der Pylorusgegend, das Erbrechen, sowie der wiederholte
Nachweis von Blut (in einem Falle Hämatemesis) im Er¬
brochenen und Stuhl lässt es als wahrscheinlich gelten, dass es
sich hier um Erosionen oder Ulzerationen am Pylorus handelte.
Durch die verschiedene Stärke und Kombination der ge¬
nannten subjektiven und objektiven Zeichen ergaben sich die
verschiedensten Krankheitsbilder, die bald denen einei Ga¬
stritis anacida oder subacida, der Gastritis mucosa, ja selbst der
Achylie und des Magenkrebses glichen. Wie überhaupt jede
schärfere Abgrenzung der Funktionsstörungen des Magens,
d. h. bestimmte Krankheitsformen unmöglich ist, so gilt dies
auch in diesem Falle. Die einzelnen Formen gingen ineinander
über und verhielten sich im allgemeinen analog der Schwei e
der Vergiftung.
No. 35.
Interessant waren mir besonders jene Fälle, die eine
Atrophie der Magenschleimhaut oder ein Karzinom vor¬
täuschten.
Der bestehende Symptomenkomplex, die zunehmende
Anämie und Kachexie, das Auftreten von Oedemen, die
Magenatonie mit Erweiterung, der Nachweis kleinerer oder
grösserer Mengen Blutes im Erbrochenen oder Stuhle (mittels
der Benzidinprobe), das Vorkommen von Milchsäure liessen um¬
somehr an ein Karzinom denken, da das Fehlen der Salzsäure
und der peptischen Kraft gewöhnlich ein Frühsymptom des
Krebses und ein Spätsymptom der chronischen Gastritis ist,
andererseits die Patienten, die früher gesund waren, angaben,
erst einige Wochen krank zu sein. Die vorhandenen Krank¬
heitserscheinungen hätten auch unbedingt den begründeten
Verdacht eines Magenkrebses erwecken müssen, wenn an¬
dererseits nicht die Zeichen einer Bleivergiftung vorhanden ge¬
wesen wären; zu letzteren rechne ich den Bleisaum und die
körnige Degeneration der Erythrozyten, deren positiver Nach¬
weis in allen Fällen gelang.
Was den Verlauf derMagenaffektionen bei der
chronischen Bleivergiftung anbelangt, so zeigte sich bei den
meisten Erkrankten nach mehrwöchentlicher Spitalbehandlung
eine allmählig fortschreitende Besserung zum mindestens der
subjektiven Beschwerden, die je nach der Schwere der Ver¬
giftung bald früher oder später eintrat, und zwar umso eher, je
weniger die Motilität des Magens gestört war. Im Gegensatz zu
dieser Besserung und dem subjektiven Wohlbefinden blieben bei
einzelnen schweren Vergiftungsfällen die Zeichen der sekre¬
torischen Insuffizienz sogar durch viele Monate bestehen, wie¬
wohl sich die Patienten des besten Appetites und Aussehens
erfreuten und an Gewicht Zunahmen. Dieser Umstand lässt es
als sicher erscheinen, dass der Darm bis zu einem gewissen
Grade kompensatorisch für den Magen eintritt, wenn dessen
Motilität nicht erheblich gestört ist. Ein ganz gleiches Ver¬
halten beschreibt Riegel3) bei den Fällen von Atrophie der
Magenschleimhaut, die unter dem Bilde der perniziösen Anämie
verliefen. Auch da hob sich der Appetit, die Kranken ver¬
trugen fast alle Speisen, ihr Aussehen besserte sich, doch er¬
wies sich die peptische Kraft des Magens nach wie vor als
nahezu aufgehoben, und die Azidität schwankte zwischen zwei
und sechs. Auffallend war bei einigen Patienten die Erschei¬
nung, dass einige Zeit nach dem anscheinend
völligen Verschwinden jeglicher Vergif¬
tungssymptome sich dieselben plötzlich
wieder einstellten zu einer Zeit, wo die
Kranken schon lange ihre Beschäftigung mit
Bleiaufgegeben hatten und der Blutbefund keine Ano¬
malien mehr aufwies. Es spricht dies dafür, dass im Körper,
wahrscheinlich in der Leber und im Nervensystem Auf¬
speicherungen von Blei stattfinden, und diese Depots plötzlich
durch unbekannte Ursachen in die Zirkulation gelangen und
die typischen Zeichen der Bleivergiftung hervorrufen, wenn
der Patient längst nichts mehr mit dem Blei zu tun hat, worauf
auch Grawitz4) hinweist. G r a w i t z fand in diesen Spät¬
anfällen regelmässig die typisch degenerierten Erythrozyten im
Blute. Bei zwei Fällen mit wiederholten Spätanfällen konnte
ich nicht allein diesen Befund erheben, sondern gleichzeitig
auch Störungen der Sekretion des Magens und leichte kolik¬
artige Schmerzen beobachten. In einem Falle kam es dabei zu
einer ausgesprochenen Heterochylie.
Die Prognose stellt sich bezüglich der Magen- und
Darmaffektionen auch bei schweren Fällen günstig, doch ist
es nicht ausgeschlossen, dass sich später noch andere Ver¬
giftungserscheinungen wie die einer Enzephalitis entwickeln.
Bezüglich der Genese der Störungen sind einige
Momente in Betracht zu ziehen. Vor allem ist die Frage zu
entscheiden, ob die Störungen nur funktioneller Natui sind
oder ob aus dem länger dauernden Darniederliegen det Satt¬
sekretion auf Veränderungen der Magenschleim¬
haut geschlossen werden kann. In vorgeschrittenen Stadien
ähnelt das Krankheitsbild durchaus dem der Achylia gastrica.
3) Riegel: Die Erkrankungen des Magens. Holder, Wien,
1987’4f Grawitz: Klinische Pathologie des Blutes. Thieme,
Leipzig, 1906, S. 537.
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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Riegel5) erwähnt, dass die Atrophie der Magenschleimhaut
als Folge einer direkten Schädigung des Magens durch toxische
Substanzen eintreten kann und teilt einen Fall mit, wo eine aus¬
gedehnte Atrophie der Magenschleimhaut mit Narbenbildung
bei intra vitam nahezu völlig aufgehobener peptischer Kraft
des Magens nach einer Schefelsäurevergiftung eingetreten
war. Nach den Angaben Roberts kann auch durch das Blei
eine Atrophie der Schleimhaut erfolgen, was mir jedoch bei der
Kürze der Giftwirkung in meinen Fällen unwahrscheinlich ist.
Einhorn u. a. wiesen auf Grund mikroskopischer Unter¬
suchungen nach, das trotz Achylie noch normale Drüsen vor¬
handen sein können und dass das klinische Bild der Achylia
gastrica noch keineswegs die vollständige Zerstörung der Drü-
senschichte voraussetzte. Auch mir zeigte die mikroskopische
Untersuchung der im Ausgeheberten gefundenen Schleimhaut¬
teilchen gerade bei den Fällen, die einer Achylie oder einem
Karzinom glichen und wo eine sehr leichte Verletzbarkeit der
Schleimhaut bestand, wiederholt das Vorhandensein von nor¬
malen Drüsenschläuchen und Zellen. Gegen einen stärkeren
Grad der Veränderungen der Schleimhaut sprach ferner der
gelegentliche Nachweis der Fermente nach Salzsäuredar¬
reichung, die frühere oder spätere Wiederkehr der Salzsäure¬
sekretion selbst und die eintretende Besserung. Allerdings
kann eine auffallende Besserung oder scheinbare Heilung ohne
die geringste Ernährungsstörung auch bei fortdauerndem
Fehlen der Salzsäure und der peptischen Kraft des Magens
eintreten, wie ich dies bei zwei Fällen beobachtete, eine Er¬
scheinung, welche von v. N o o r d e n,6) Ewald7) und Ein¬
horn8) beschrieben wurde. Es setzt dies, wie schon gesagt,
eine normale motorische Kraft des Magens und der Darmtätig¬
keit voraus.
Im allgemeinen lässt sich sagen, dass es sich auch bei
der langdauernden Verdauungsschwäche infolge chro¬
nischer Bleivergiftung gewöhnlich nicht um
eine stärkere Parenchymdegeneration, son¬
dern eher um eine vorübergehende gering¬
gradige Schleimhautveränderung handelt. In
zweiter Linie kämen bei der Frage der Genese der sekundäre
Einfluss der Erkrankungen des Blutes, des Nervensystemes
und des Darmes in Betracht.
Der Gedanke eines kausalen Zusammenhanges
der beschriebenen Verdauungsstörungen und
Veränderungen des Blutes liegt immerhin nahe, da
letztere den hauptsächlich hervortretenden Verdauungs¬
beschwerden parallel gingen und es andererseits nach den viel¬
fach darauf gerichteten Untersuchungen erwiesen ist, dass eine
Wechselbeziehung zwischen beiden besteht. So kommt es bei
schwerer Anämie nicht selten zu atonischen Zuständen des
Magens mit kürzer oder länger dauernder Hyp- oder Ana¬
zidität ohne wesentliche Störung der Motilität. F e n w i c k 9)
und nach ihm noch viele andere haben unter dem Bilde einer
perniziösen Anämie Drüsendegeneration gefunden und letztere
meist als Folge der hochgradigen Blutalteration aufgefasst.
Der Verlauf der Erscheinungen lässt über ihre Abhängig¬
keit von den Blutveränderungen gewöhnlich keinen Zweifel.
Bei der chronischen Bleivergiftung verhält sich die Sach¬
lage aber doch wesentlich anders und ich kann mich auf Grund
meiner Beobachtungen dahin äussern, dass dieser Zusammen¬
hang gewiss nicht die alleinige Ursache ist, soweit dies aus
den gleichzeitigen Untersuchungen des Blutes und der Magen-
funktionen zu den verschiedenen Zeiten der Vergiftung hervor¬
geht. Im Beginne der Erkrankung während des Auftretens
der gastrischen Beschwerden und Koliken bestand meist eine
sehr bedeutende Hyposekretion oder Anazidität, während
der Blutbefund vielfach noch normal war oder verhältnis¬
mässig eine nur geringe Oligochromämie und körnige Dege¬
neration aufwies. Die scheinbar vorhandene Blässe zu dieser
Zeit erklärt sich zum Teile auch aus der schon zu Beginne der
Erkrankung auftretenden erhöhten Gefässkontraktion. Im
weiteren Verlaufe trat gewöhnlich ein umgekehrtes Verhältnis
°) Riegel: Zeitschrift für klinische Medizin. XI. Bd.
“) v. Noorden: Zeitschrift für klin. Medizin. XVII. Bd.
7) Ewald: Berliner klin. Wochenschr., 1892, No. 26 u. 27.
8) Einhorn: Medical Record. Juni 1892.
9) Zitiert nach Riegel. 1. c. S. 607.
ein. Die Magenbeschwerden, die sekretorischen und mo¬
torischen Störungen nahmen ab, die Anämie steigerte sich.
In einzelnen Fällen blieb umgekehrt trotz des subjektiven
Wohlbefindens die Störung der Magensekretion, auch bei auf¬
fallender Besserung des Blutbefundes (Zunahme des Hämo¬
globins und der roten Blutzellen, Verschwinden der Poikilo-
zyten und der Degenerationsformen und völlige Wiederkehr
zu normalen Verhältnissen) noch lange Zeit bestehen. Der Um¬
stand also, dass sich die subjektiven und objektiven Zeichen
einer gestörten Magenverdauung nicht immer gleichsinnig,
, sondern vielfach entgegengesetzt zu den Aenderungen des
Blutbefundes verhielten, wiederspricht daher der Annahme, die
Ursache ersterer in der anämischen Blutbeschaffenheit zu
suchen.
Ein weiteres Moment in der Wirkungsweise scheint mir
in Berücksichtigung der Affinität des Bleis zum Nervensystem
in der Erkrankung des nervösen Apparates des
Magensund Darmesgele gen zu sein. Veränderungen
der Zellen des Ganglion coeliacum sind bei Bleivergiftung
schon wiederholt gefunden worden. M o s s e 10) nimmt sogar
an, dass das Blei auf dem Wege des Sympathikus in das Zen¬
tralnervensystem gelange. Es ist wohl sicher anzunehmen,
dass durch das Blei gleiche Veränderungen des gastrointe¬
stinalen Nervensystemes entstehen, wie später auch in den
peripheren Nerven und dass viele Erscheinungen motorischer
sekretorischer oder sensilber Natur als Folge dieser Nerven-
affektionen zu betrachten sind. Die Wirkung auf den Sym¬
pathikus äussert sich in einer vom Beginne der Erkrankung
an bestehenden Gefässspannung, die vielfach mit einer grös¬
seren Blutdrucksteigerung einhergeht, worauf schon Riegel
hinwies, ferner in ausgesprochenen Störungen der Motilität.
Wir finden nicht allein eine erhöhte Spannung des Magens,
schmerzhafte Kontraktionen des Magens (Pylorus), sondern
auch des Darmes. Daraus erklären sich eine Reihe von Er¬
scheinungen wie die Uebligkeiten, das heftige Erbrechen, Auf-
stossen und die hartnäckige Obstipation.
Weiter kommt für die Entstehung der Magenbeschwerden
die Obstipation in Betracht. Wir wissen aus zahlreichen
Beobachtungen, dass dieselbe die Veranlassung für eine Reihe
von Verdauungsbeschwerden ist, die ohne nachweisbare or¬
ganische Magenveränderungen verlaufen und durch die Be¬
seitigung der Koprostase eine weitgehende Besserung und
Heilung erfahren. Auch hier übten die systematischen Darm¬
ausspülungen, die Verabreichung von Atropin und Opium nicht
allein auf die Stuhlverstopfung, sondern auch die Magenbe¬
schwerden einen günstigen Einfluss aus, der sich andererseits
auch durch die raschere Beseitigung der in den Magen und
Darm ausgeschiedenen Bleimengen erklärt.
Anschliessend an das Verhalten des Magens möchte ich
noch einige Beobachtungen über das des Darmes erwähnen,
in besonderer Berücksichtigung der Koliken.
Ob die Koliken als alleinige Folge der Darmkontraktionen
aufzufassen sind, wie Nothnagel annahm, ist nach den
neueren Untersuchungen von Lennander wohl zweifelhaft
und auch ich konnte in meinen Fällen wiederholt feststellen,
dass bei den Koliken nicht regelmässig spastische Kontrak¬
tionen des Darmes, sondern hie und da auch sogar eine deut¬
liche Atonie bestand. Die Annahme einer Neuralgie des Plexus
mesentericus hat in Hinsicht auf meist gleichzeitige intensive
Schmerzen in den Nerven der Arme und Beine beim chro¬
nischen Saturnismus auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit.
Gleichen doch die Koliken mit dem unstillbaren Erbrechen und
den quälenden Schmerzen ganz den tabischen Krisen.
Eine andere Erklärung für die Entstehung der Koliken gibt
P a 1 11). Ausgehend von der erhöhten Gefässspannung bei der
Bleivergiftung nimmt er eine spezifische Erregung der Vaso¬
motoren im Bauchsympathikus, bezw. die Kontraktion der
Darmwandgefässe als das charakteristische Moment der Blei¬
kolik an. Man findet nun in der Tat sehr häufig eine allge¬
meine Blutdrucksteigerung als Begleiterscheinung der Blei¬
kolik, die beide bei Anwendung von Amylnitrit zurück¬
gehen. Andererseits fand ich den Blutdruck nach Gaertner
und Riva R o c c i gemessen in ausgesprochenen Kolikanfällen
10) Mosse: Zeitschrift für klin. Medizin. 50. Bd., S. 62, 1903.
u) Pal: Wiener med. Presse, 1903, No. 2.
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bei einigen herabgekommenen Patienten sogar unter die Norm
100 bis 85 mm Hg herabgesetzt, was natürlich einen partiellen
Vasospasmus im Bereich des Bauchsympathikus nicht aus-
schliesst. ^ ,
Die Funktionsprüfung des Darmes ergab
hauptsächlich nur das Bestehen von motorischen Störungen.
Der Darm war sowohl während -der Koliken als auch in der
Zwischenzeit meist spastisch kontrahiert, -doch waren atonische
Zustände nicht gerade selten. Diel durch die motorischen
Störungen des Darmes verursachten klinischen Erscheinungen
glichen oft einem Darmverschluss oder einer Perityphlitis.
Die Sekretion und Resorption, namentlich die Aufnahme von
Fett und Eiweiss war in erheblichem Qrade nicht gestört, wie
mir fortlaufende Stuhluntersuchungen zeigten. Da kurz nach
dem Aufhören der Koliken trotz Fortbestehens der sekre¬
torischen Insuffizienz des Magens die Nahrung voll ausgenützt
wurde, so kann dies als Beweis gelten, dass die Tätigkeit des
Darmes durch -die Koliken nicht wesentlich geschädigt wird.
Acholische Stühle waren trotz des bestehenden Ikterus nie
vorhanden, da bei der hämatogenen Form des letzteren bei
der Bleivergiftung der Gallenabfluss nicht behindert ist.
Wenn wir das Gesagte zusammenfassen so ergibt sich
Folgendes: Bei der chronischen Bleivergiftung
kommt es bereits im Beginne der Erkrankung
zu Funktionsstörungen des Magens, -die sich
durch eine Abnahme, oder vollständiges
Fehlen der Salzsäure und der Fermentsekre¬
tion, ferner durch anfängliche Steigerung m i t
nachfolgender Herabsetzung der Motilität
äussern. Die Erkrankungen des Magens n eh¬
meneinen sehr protrahiertenVerlauf und sind
zum Teil funktioneller Natur, seltener durch
Parenchymveränderungen der Schleimh au t,
zum Teil durch die Obstipation und die Er¬
krankung des gastrointestinalen Nerve nge-
flechtes bedingt.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Würzburg.
Zur Behandlung der Dysmenorrhöe.*)
Von Dr. Oscar Polano, Privatdozent und Oberarzt.
Die Behandlung der Dysmenorrhöe gehört wegen der
Häufigkeit dieses Leidens zu den praktisch wichtigsten Kapite n
der sogen, kleinen Gynäkologie. Wie so oft steht die Zahl der
hierbei empfohlenen Methoden im direkten Gegensatz zu ihrer
Zuverlässigkeit. Von vornherein müssen wir die rein symp o-
matische Behandlung, -die sich mit der vorübergehenden Linde¬
rung der einzelnen Schmerzattacken begnügt, von der ratio¬
nellen Therapie scheiden, -die durch Beseitigung der Ursachen
eine länger dauernde Heilung anstrebt. Leider liegen in dieser
Hinsicht die Verhältnisse bei der Dysmenorrhoe vielfach un¬
günstig da wir in zahlreichen Fällen über das eigentliche
Wesen dieser Erkrankung ebenso wenig wissen, wie über den
zu Grunde liegenden physiologischen Vorgang der Men¬
struation. , . _ , 0
Man unterscheidet in der Regel vier bormen der Dys
menorrhöe, von denen die erste auf mechanischen Abiluss-
behinderungen des Menstrualblutes beruht, die zweite eine
Folge von entzündlichen Vorgängen im Endometrium ist, die
dritte reflektorisch vom Eierstock, unter Umständen auch von
extragenitalen Organen (Nasenmuscheln) .ausgelöst wird, una
endlich die vierte Teilerscheinung einer rein nervoshyste-
rischen Allgemeinerkrankung ist. In der Praxis ist eine
derartige Unterscheidung vielfach unmöglich. Die lein
mechanische Abflussbehinderung lässt sich, abgese en von
den sehr seltenen wirklichen Zervixstenosen, meistens aus-
schliessen. In einem kürzlich gehaltenen, sehi lesensv er en
Vortrage will der bekannte Hamburger Gynäkologe L o me r
von dieser Form alle die Fälle ausscheiden, in denen ie
Stärke der Beschwerden in den verschiedenen Menstiua-
terminen stark variiert (vergl. Referat Zentralbl. f. Gynak. 19 ,
H. 13 u. 15); denn -es sei nicht einzusehen, warum bei mecha¬
nischer Behinderung (Lageanomalie, Stenose) die Periode z. ß.
*) Nach einem am 30. Juni >d. J. in der fränk. Gesellschaft für
Geburtshilfe und Gynäkologie gehaltenen Vortrag.
in der Schweiz beschwerdefrei sein soll, während sie in Ham¬
burg äuserst schmerzhaft ist. Hierbei wird unseres Erachtens
nach ein Moment nicht berücksichtigt, das allerdings durch
äussere Verhältnisse starken Schwankungen unterliegen kann,
die Stärke und Gerinnbarkeit -des Menstrualblutes, die mecha¬
nisch ebenso für den Verlauf -der Menstruation den Ausschlag
geben kann, wie beim engen Becken wesentlich die Grösse
des Kindes den Geburtsverlauf entscheidet.
Für die zweite auf Endometritis beruhende Form der Dys¬
menorrhöe glaubte man bisher in den Veränderungen der
Uterusschleimhaut ein anatomisches Substrat gefunden zu
haben; ausserdem lässt eine keineswegs konstante Ueber-
empfindlichkeit des Endometriums angeblich entzündliche Ver¬
änderungen annehmen (Endometritis dolorosa). Für -die sogen.
Endometritis exfoliativa ist der innere Zusammenhang zwi¬
schen Dysmenorrhöe und dem Ausstossen der erkrankten
Schleimhautfetzen äusserst wahrscheinlich; anders steht es
aber mit den viel häufiger vorkommenden sogen, glandulären
Endometritiden, die nach den neuesten Untersuchungen
(Hitschmann) nur den physiologischen Variationen im
monatlichen An- und Abbau der Uterusschleimhaut entsprechen.
Noch viel inkonstanter liegen die Verhältnisse bei der reflek¬
torischen Dysmenorrhöe, insbesondere bei der nasalen Form,
die trotz der exakten Beobachtungen mehrerer Autoren
(F 1 i e s s, K o b 1 a n c k) nicht allgemein anerkannt wird.
Es besteht heute entschieden vielfach die Neigung, die
allermeisten Formen der Dysmenorrhöe als rein hysterische
Erkrankung aufzufassen. In der Tat ist der Gegenbeweis
äusserst schwierig. Stellt doch der Schmerz das einzige Sym¬
ptom -dar, dessen Stärke und Wirklichkeit sich objektiv nie¬
mals nachweisen lassen. Aehnlich wie in der modernen Lehre
von -den Rückwärtsverlagerungen der Gebärmutter kann jede
anatomische Anomalie auch bei der Dymenorrhöe einen Zu¬
fälligkeitsbefund darstellen. Und auch -die Diagnose ex juvanti-
bus, mag kürettiert, dilatiert, kokainisiert und selbst kastriert
sein, ist nie einwandsfrei, da -die Möglichkeit einer Suggestion
nie auszuschliessen ist. In der Tat bieten viele Dysmenor-
hoische hysterische Stigmata und müssen als dementsprechend
behandelt werden (vergl. Lomer 1. c.).
Trotzdem bleibt, wie jeder Praktiker weiss, der über ein
grösseres, vor allem poliklinisches Sprechstundenmaterial ver-
ügt, eine nicht geringe Zahl von Fällen übrig, in denen alle in-
ernen und kleineren chirurgischen Eingriffe nicht zum Ziele
ü-hren. Für diese Kranken möchte ich eine neue Behandlungs-
irt empfehlen, die nicht beansprucht, eine Panacee gegen je e
Dysmenorrhöe darzustellen, sich uns aber in mehreren Fällen
m Gegensatz zur Erfolglosigkeit anderer Verfahren gut be¬
währt hat und vor allem äusserst harmlos und einfach ist.
rheoretische Ueberlegung und klinische Beobachtung legen
ms die Annahme von einem Antagonismus zwischen der
)hysiologischen Funktion von Ovarium und Brustdrüse nahe.
Die Mehrleistung eines dieser beiden Organe beeinträchtigt die
Dhysiologische Leistungsfähigkeit des anderen längere oder
sürzere Zeit, wie -dies die bekannten Verhältnisse in der
Schwangerschaft und im Wochenbett beweisen. Da wir nun
lie Menstruation als einen Vorgang auffassen müssen, der
iurch die biologischen Kräfte des Eierstocks ausgelöst wird,
ag es nahe, die krankhaften Formen der Menstruation, vor
illem die IDysmenorrhöe, durch künstliche Anregung dei
Brustdrüse in ihrer Intensität herabzusetzen. Jede physio-
ogische Arbeit eines Organs ist abhängig von der Hlutver-
lorgung. Die künstliche Hyperämie ermöglicht am einfachsten
iine Mehrleistung. . .
Ich habe aus diesem Grund in dem letzten Jahr eine
grössere Anzahl von Frauen und Mädchen, die an Dysmenor¬
rhöe litten, in unserer poliklinischen Sprechstunde nach diesen
jrundsätzen behandelt und mehrfach gute Erfolge gesehen.
Das Verfahren ist sehr einfach. Einige Tage vor erwartete
Eintritt -der Periode wird den Patienten auf jede Brnstdius
las von der B i e r sehen Mastitisbehandlung her allgemein be¬
kannte Klapp sehe Saugglas gesetzt .dessen Rand,z^
besseren Abschluss eingefettet wird Die .Luft wird durch An
saugen mit einer Spritze unter Verwendung des bekannten
Doppelhahns so lange verdünnt, bis die Mamma stark
quillt und -die Patientin ein stärkeres Ziehen verspürt das sich
1732 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ _____ _ No. 35.
aber nicht bis zur Schmerzempfindung steigern darf. Die Glas¬
glocken bleiben am besten eine halbe Stunde unter einmaligem
Ab- und Neuaufsetzen liegen, häufig genügt auch eine Viertel¬
stunde. Dies Verfahren wird, wie gesagt, einige Tage vor Be¬
ginn der Periode begonnen und möglichst bis zum letzten Tage
der Menstruation durchgeführt. Die Brustdrüse behält noch
stundenlang hinterher eine deutliche Hyperämie und eine
eigentümliche Fülle, die besonders zutage tritt, wenn man nur
eine Mamma staut. Diese letzte Erscheinung dauert nach Ab¬
bruch einer längeren Behandlung noch tagelang an. Der Ein¬
wand, dass es sich bei diesem Verfahren um reine Suggestion
handelt, läge auf der Hand, wenn nicht ein anderes objektiv
nachweisbares Symptom häufiger zur Beobachtung käme, das
den Einfluss der Brustdrüsenstauung auf die Menstruation wohl
unzweifelhaft macht und das sich in den drei Kranken¬
geschichten, die ich im folgenden zur Illustration der Wirk¬
samkeit dieser Methode im Auszug kurz wiedergebe, ebenfalls
findet.
Frl. Anna L., 24 Jahre, wurde vor drei Jahren wegen Dysme¬
norrhöe an unserer Klinik kürettiert. Geringe Besserung. Periode
wurde bald wieder stark und schmerzhaft. Vor 2% Jahren wegen
Blinddarmentzündung operiert. Periode hierauf regelmässig, mit
Schmerzen. Wegen Abszess des rechten Eierstocks rechtsseitige
Ovariotomie. Nach dieser Operation die stärksten dysmenorrhoischen
Beschwerden, die einige Tage vor Beginn der Periode begannen, und
die ganze Zeit über (4 — 5 Tage) anhielten, sodass sie seit zwei Jahren
jedesmal 5 Tage im Bett lag, mit stärksten Schmerzen bei Tag und
Nacht, die den behandelnden Kollegen jedesmal zur Morphindar¬
reichung zwangen. Objektiv lässt sich eine leichte Fixation der
rechten Uteruskante (alte Operationsnarbe) nachweisen; keine
Druckempfindlichkeit, auch Sondierung ohne Schmerzen. Patientin
wird seit % Jahren regelmässig in der angegebenen Weise gestaut,
ist jetzt zur Zeit der Periode völlig arbeitsfähig, nimmt kein Mor¬
phium, ist nicht mehr bettlägerig. Versuchsweises Aussetzen der
Stauung lässt jetzt die Dysmenorrhöe in sehr viel milderer Form
wiederkehren, um schon nach einmaliger Stauung zu schwinden. Auch
der früher bestehende Mittelschmerz ist völlig geschwunden. Die
Periode selber war viel weniger intensiv als früher und tritt bei
systematischer Stauung oft 5 — 6 Tage nach dem erwarteten Ter¬
min ein.
2. Frl. Betty L., 18 Jahre, leidet seit % Jahren an Dysmenorrhöe
und vor allem an Menorrhagien, die alle 14 Tage eintreten und acht
Tage dauern. (Bestätigung durch begleitende Mutter.) Wurde
ausserhalb mit Styptizis ohne Erfolg behandelt. Virgineller Befund,
keine Anomalien. Kürettage wird abgelehnt. Nach erster Stauungs¬
periode (8 Tage lang vor Eintritt) Menstruation nach drei Wochen
schwächer als sonst eingetreten. Nach drei Wochen wiederbestellt;
8 Tage lang gestaut. Periode tritt erst nach 8 Tagen, also 4 Wochen
nach letzter Menstruation ein, dauert nur 4 Tage, schwach. Nächste
Periode ebenso. Das nächste Mal wird nicht gestaut. Periode tritt
jetzt nach 3 Wochen wieder ein, dauert 6 Tage.
Fr. Lorchen F., 24 Jahre, Schriftsetzersfrau, Nullipara. Uterus
völlig beweglich, Anhänge frei, Sondierung ohne Schmerzen.
Periode kommt alle 4 Wochen, dauert 6—7 Tage, sehr stark,
verbunden mit äusserst starken Schmerzen an den ersten beiden
lagen. Liegt seit einem Jahr dann im Bett. Nach achttägiger Stau¬
ung tritt Periode vier Tage nach erwarteter Zeit ohne Schmerzen ein,
die nur am zweiten Tag vorübergehnd auftreten. Blutung viel
schwächer als früher. Kommt nach drei Wochen wieder zur täg¬
lichen Stauung. Die Periode tritt erst 10 Tage nach dem sonst regel¬
mässigen I ermin ein mit kurzen vorübergehenden Schmerzen am
ersten Tag, die nach Stauung alsbald schwinden.
In diesen Krankengeschichten, die ich noch um ähnlich
lautende vermehren könnte, tritt ausser der günstigen Beein¬
flussung der Dysmenorrhöe die Retardation der menstruellen
Blutung als objektiv nachweisbares Symptom für die Beein¬
flussung der Menstruation durch das angegebene Verfahren in
die Erscheinung. Einen völligen Versager habe ich bei dieser
Methode bisher nie erlebt; nur ist der Erfolg nicht in allen
Fällen gleichbedeutend mit völliger Beschwerdefreiheit. In
dieser Hinsicht kommen auch bei derselben Patientin gewisse
Schwankungen bei den einzelnen Menstruationen bei gleicher
Methode bisweilen vor. Dass wir bei der Behandlung auf jede
andere gleichzeitige Therapie verzichtet haben, ist selbstver¬
ständlich. Das Verfahren ist so einfach, dass es bei uns die
Wärterin durchführt. Entsprechend grosse Sauggläser, mit
Gummiballon armiert, könnten den Frauen sogar zur Selbst-
behandlung in die Hand gegeben werden.3)
) Zum Gebrauch in der Praxis, insbesondere zur Selbstanwen¬
dung durch die Patientin eignet sich am besten ein etwas grösseres
rormat der von Prof. Klapp beschriebenen Saugglocken mit aus¬
geschnittenem Rand; sie werden mit einer „Ventilpumpe“ armiert, die
Im Anschluss an diese mitgeteilte Behandlungsart der Dys¬
menorrhöe möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf die ent¬
schieden günstige Beeinflussung der Laktationsfähigkeit durch
das gleiche Saugverfahren lenken. Bei meinen diesbezüglichen
Versuchen haben mich ebenfalls theoretische Vorstellungen ge¬
leitet. Ueber das eigentliche Wesen der Laktation wissen wir
so gut wie nichts. Der bereits betonte Antagonismus zwischen
Mamma und Ovarien findet nicht nur im Wochenbett und der
anschliessenden Laktationszeit seinen Ausdruck in der vielfach
zu beobachtenden Amenorrhoe, wir wissen auch, dass ka¬
strierte Kühe während ungefähr zweier Jahre ebenso viel Milch
produzieren, wie Kühe, die gekalbt haben (J e n t z e r und
B e u 1 1 n e r, Zeitschr. f. Geburtsh. u. GynäkoL, Bd. 42). Das
Eigentümliche der Laktation liegt wohl weniger in der spär¬
lichen Kolostrumsekretion, die auch ausserhalb der Schwanger¬
schaft beobachtet wird und mit den sekretorischen Vorgängen
in anderen drüsigen Organen auf der gleichen Höhe steht, als
viel mehr in dem plötzlichen Einsetzen der veränderten Se¬
kretion (Einschiessen der Milch) 2 — 3 Tage post partum. Eine
derartig plötzliche und veränderte Sekretbildung findet unseres
Wissens nach nur ihr biologisches Analogon in der ebenso akut
einsetzenden Bildung von Antikörpern nach Einführung diffe¬
renter Stoffe, wie Eiweisse, Bakterien u. a., in den Organismus,
eine Antikörperbildung, die nach den Ehrlichschen An¬
schauungen gleichbedeutend ist mit der vermehrten Sekretion
von Stoffen, die bereits in den sezernierenden Körperzellen
vorhanden waren. Wie v. Leube nachweisen konnte, ruft
die künstliche Hyperämie eine Mehrproduktion der Antikörper
hervor. Auch bei der Brustdrüse scheint durch die Stauung
mittels des Saugverfahrens eine Mehrleistung des Organs viel¬
fach angeregt zu werden, wie ich aus mehrfachen Beob¬
achtungen bei Wöchnerinnen zu entnehmen glaube. Vor allem
hat sich aber das Verfahren bei plötzlichem Versiegen der
Ammenmilch gut bewährt. In einem Fall, in dem sich dies Vor¬
kommnis 7 mal in einem halben Jahre ereignete, konnte ich
jedesmal durch 4 malige Stauung in 2 Tagen die alte Leistungs¬
fähigkeit des Organs auf längere Zeit wieder hersteilen.
Eigentlich ist ja diese Methode nur eine andere Form für die
weniger intensiv wirkenden Milchpumpen und für das beliebte
Anlegen eines kräftigen fremden Säuglings zur Anregung der
Laktation, wie dies ja an den meisten Gebäranstalten üblich
ist. Jedenfalls lässt sich diese angegebene Methode auch
ausserhalb der Klinik bequem durchführen. Sie ermöglicht
also, eine schwach sezernierende Brustdrüse in ihrer Leistungs¬
fähigkeit anzu regen.
Als ich mit den beschriebenen Versuchen bereits beschäf¬
tigt war, kam mir durch Zufall eine Schrift von C. Butten¬
ste d t - Berlin in die Hand, die sich „die Glücksehe“ betitelt.
B. empfiehlt ein Präventivverfahren, das darauf hinauskommt,
dass der Mann am besten 3 mal täglich! an den weiblichen
Brüsten saugt. Aus den mitgeteilten Berichten von Anhängern
dieser Methode geht für die uns beschäftigende Frage hervor:
1. dass bei selbst virginellen Personen durch Saugen an den
Brustwarzen beträchtliche Milchsekretion hervorgerufen wer¬
den kann, 2. dass diese Personen lange Zeit ihre Periode ver¬
lieren können, ohne gravid zu sein, 3. dass Dysmenorrhöe hier¬
bei schwindet. Wie man sieht, eine Methode, die mechanisch
auf das Gleiche wie unser Verfahren herauskommt und auch
klinisch eine ähnliche Wirkung zu haben scheint.
Aus dem städt. Krankenhaus zu Altona, Chirurg. Abteilung,
Prof. König.
Ueber Siebbeinzelleneiterung.
Von Oberarzt Dr. E. Köhler, jetzt Spezialarzt für Ohren-,
Nasen- und Halskrankheiten in Magdeburg.
M. H. ! Aus dem Material der Poliklinik des städt.
Krankenhauses möchte ich mir erlauben, Ihnen 3 Fälle von
Siebbeinzelleneiterung vorzutragen, die durch einige Besonder¬
heiten interessant sind. Gleichzeitig möchte ich hiebei Ihre
Aufmerksamkeit in Fällen von hartnäckigen Kopfschmerzen
ein bequemes und schnelles Evakuieren des Glases durch Arzt oder
Patientin ermöglicht. Die Gläser werden in dieser Form von der
Firma F. A. Eschbaum - Bonn geliefert.
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1733
auf Nasennebenhöhlenerkrankungen lenken, da dies Symptom
bei den vorliegenden Krankheiten fast nie zu fehlen pflegt.
Man begnügt sich leider häufig mit der nichtssagenden Dia¬
gnose „nervöser Kopfschmerz“ und muss dann die Patienten
nach vergeblichen Kurversuchen der verschiedensten Art un-
geheilt entlassen, während bei einer geeigneten Spezialbehand¬
lung in hierher gehörenden Fällen dieser Quälgeist in Kürze
beseitigt werden kann. Allerdings ist zu bemerken, dass der
Kopfschmerz keine für die Lokalisation der Nebenhöhlener¬
krankung spezifische Eigentümlichkeiten aufweist, er kann
neurologische Form aufweisen oder auch diffus, ohne dem
Verbreitungsbezirk bestimmter Nerven zu entsprechen, auf-
treten. Meist handelt es sich bei Siebbeinzellenerkrankungen
um einen unbestimmten Schmerz in der Stirngegend.
Neben dem Kopfschmerz weist die erschwerte Nasen¬
atmung auf eine Erkrankung dieses Organs. Und geiade bei
den Siebbeinzellenerkrankungen kommen die höchsten Grade
von Luftmangel durch die Nase vor und zwar hauptsächlich
durch das Auftreten von Nasenpolypen. Erst vor einigen
Tagen hatte ich wieder einmal Gelegenheit bei einem Patienten
zu beobachten, welche Ausdehnung im Lauf der Jahre die
Polypen einnehmen können. Sie reichten beiderseits vom
Naseneingang her bis in die Choanen hinein. Einige konnte
man bei Hochheben des Gaumensegels aus dem Nasenrachen¬
raum ohne Spiegel hervorragen sehen. Die Polypen stellen
einfache entzündliche Hypertrophien der Schleimhaut der Sieb¬
beinzellen dar, die dadurch zu Stande kommen, dass die öde-
matös durchtränkten Schleimhautpartien durch ihre Schwere
herabhängen und sich aus den mancherlei Kanten und Vor¬
sprüngen des Labyrinths hervordrängen (Hajek). Ueber den
Zusammenhang zwischen Polypen und Nebenhöhlenaffektionen
gehen die Meinungen der Autoren auseinander. G r ii n w a 1 d
stellte den Satz auf: Kein Nasenpolyp ohne Nebenhöhlen¬
affektion. Dagegen sind von Zuckerkandl und Wert¬
heim Obduktionsbefunde veröffentlicht, bei denen die Neben¬
höhlen intakt waren und es sich nur um eine chronische Ent¬
zündung der Nasenschleimhaut gehandelt hat. Doch will ich
nicht näher auf diese Diskussion eingehen. Jedenfalls gehört
die Polypenbildung zu den besonderen Kennzeichen der Sieb¬
beinzellenerkrankung.
Zum Verständnis des Folgenden sei ein kurzer Blick in die
Anatomie des Siebbeins gestattet. Das Siebbein beginnt oben
bei der Crista galli und Lamina cribrosa und beteiligt sich mit
der Lamina perpendicularis an der Bildung des Nasenseptums.
Der uns heute am meisten interessierende Teil, das Siebbein¬
labyrinth erstreckt sich zwischen mittlerer Muschel und der
Lamina papyracea und der medialen Wand der Orbita. Das
Siebbeinlabyrinth, ein durch zahlreiche Scheidewände in viele
Abschnitte geteilter Raum, zeigt in Grösse und Ausdehnung
die mannigfachste Anordnung bei verschiedenen Individuen.
Es erhellt aus dieser kurzen Schilderung, mit welchen
Schwierigkeiten wir bei einem operativen Vorgehen in diesem
Gebiet zu kämpfen haben. Nach oben hat man sich zu hüten
vor einem Eindringen in die Schädelhöhle und lateral abwärts
trennt uns nur die Lamina papyracea von der Orbita und doch
muss man häufig je nach der Ausdehnung der erkrankten
Zellen bis dicht an die gefürchteten Gegenden herangehen.
Ich will, um Wiederholungen zu vermeiden, das operative
Vorgehen gemeinsam besprechen und Abweichungen davon bei
dem einzelnen Fall selbst erwähnen. Eine Vorbedingung für
ruhiges und sicheres Operieren ist eine gute Anästhesie und
Blutleere, die ich durch Einlegen von Wattetampons erzielen
konnte, die in 10 proz. Kokainlösung, der Suprareninlösung
(Merck) 1 : 4000 zugesetzt war, eingetaucht waren. Zuerst
werden alle Polypen entfernt. Um nun an die Siebbeinzellen
herankommen zu können, wird zunächst das vordere Ende der
mittleren Muschel abgetragen. Ich bediene mich hierzu der
kalten Schlinge. Nun hat man freien Ueberblick und kann vor
allen Dingen >den Hiatus semilunaris übersehen, in den der Aus¬
führungsgang der Oberkieferhöhle, Stirnhöhle und der vor¬
deren Siebbeinzellen einmünden. Dann muss man weiter jede
einzelne Zelle, die erkrankt ist, freilegen und erkrankte
Schleimhaut und Knochen entfernen. Dazu bedient man sich
der verschiedensten Instrumente, wie Konchotome, schnei¬
dende Zangen, Haken, scharfe Löffel etc. Es gehören natür¬
lich viele Sitzungen dazu, um endlich zum Ziel zu kommen und
viel Geduld von Seiten des Aerztes und des Patienten. Eine
Tamponade der Nase habe ich meist vermieden. Zur Stillung
der Blutung, die nach Aufhören der Suprareninwirkung meist
ziemlich heftig eintrat, und zur Desinfektion benutzte ich 1 proz.
Lösung von Wasserstoffsuperoxyd und liess die Patienten
immer noch einige Stunden im Krankenhaus warten. Das
Hydr. perox. hat mir auch bei der weiteren Behandlung sehr
gute Dienste geleistet, indem dadurch die Borken ohne erheb¬
liche Blutung gelöst werden konnten.
Ich komme nun zur Besprechung meiner Fälle.
1. C. A., 42 Jahre alter Arbeiter, will früher immer gesund
gewesen sein und niemals Beschwerden von Seiten der Nase gehabt
haben. Am 13. Oktober v. Js. rutschte beim Aufheben eines Ballens
der dazu dienende Haken ab und Patient schlug sich mit der Faust
gegen die rechte Nasenseite. Am 16. Oktober traten Schmerzen
über dem linken Auge auf, die täglich Zunahmen und besonders beim
Bücken in Erscheinung traten. Am 23. Oktober wurden die Be¬
schwerden so unerträglich, dass er die Arbeit einstellen musste. Bis
zum 7. November wurde er vom Kassenarzt behandelt mit feuchten
Umschlägen und Ungt. Kal. jodat. Da keine Besserung eintrat, wurde
er dem Krankenhaus überwiesen.
Status praesens: Grosser kräftiger Mann mit blasser Ge¬
sichtsfarbe und leidendem Gesichtsausdruck. An der rechten Nasen¬
seite ist von einem Trauma nichts mehr zu konstatieren. Die rechte
Nasenhöhle zeigt normalen Befund. In der Gegend der linken Stirn¬
höhle besteht Druckempfindlichkeit, der N. supraorbitalis ist nicht
druckempfindlicher wie die Umgebung. In der linken Nasenhälfte ist
die untere Muschel mässig hypertrophisch und mit Borken bedeckt,
die mittlere Muschel ist stark hypertrophisch und liegt dem Septum
an, die Schleimhaut ist sulzig geschwollen und mit Eiter und Borken
bedeckt. Aus dieser Nasenhöhle macht sich ein ozänaartiger Geruch
bemerkbar. Aus dem mittleren Nasengang ragen zahlreiche kleine
Polypen hervor. Die Schleimhaut der hinteren Rachenwand ist ge¬
rötet und mit Follikeln besetzt, im Nasenrachenraum findet sich bei
der Rhinoscopia post, schleimig-eitriger Belag und staike Borken¬
bildung, die scheinbar auf der linken Seite mehr hervortritt
Es wurde nun bei dem Patienten die vorher beschriebene Be-
handlung eingeleitet. Bei Abtragung des vorderen Endes der mitt¬
leren Muschel löste sich ein 1,5 cm langes und 1 cm breites, der medi¬
alen Siebbeinzellenwand zugehöriges kariöses Knochenstück ab und
es floss eine beträchtliche Menge fötiden Eiters ab.
Wegen zu starker Blutung tamponierte ich mit Vioformgaze
und steckte ein mit Ferripyrin getränktes Wattestück davor. Es
trat danach auch eine weitere Blutung nicht mehi auf, abei 1 atient
hatte am anderen Morgen über heftige Kopfschmerzen zu klagen, die
aber bald nach Entfernung des Tampons wieder aufhörten.
In zahlreichen Sitzungen wurde das ganze Siebbemlabyrinth
allmählich ausgeräumt. _ , rr , . _
Zu gleicher Zeit konnten nun nach Schaffung freien Zuganges
auch die übrigen Nebenhöhlen der Nase, vor allem die Stirnhöhle, auf
die die Beschwerden des Patienten zuerst hinzuweisen schienen,
einer genauen Untersuchung unterzogen werden. Stirn- und Kiefer¬
höhle Hessen sich gut sondieren, die eingeführte Spülflüssigkeit floss
klar ab. Eine noch zur Kontrolle ausgeführte Durchleuchtung dieser
Höhlen ergab ebenfalls ein negatives Resultat, sodass ich mit Be¬
stimmtheit diese Höhlen für gesund erklären konnte.
Es blieb nun noch die Keilbeinhöhle übrig, auf deien Erkrankung
folgender Vorgang hindeutete. Morgens beim Aufstehen floss dem
Patienten wiederholt Eiter in den Hals, der ihm von oben zu kommen
schien, gleichzeitig machte sich dabei ein fauliger Geruch bemerkbai,
der nach einiger Zeit wieder verschwand. Es ist dies so zu erklären
dass beim Liegen die Oeffnung der Keilbeinhöhle den höchsten Punk
einnimmt und sich dadurch Sekret ansammeln kann. Beim Aufstehen
tritt die Oeffnung tiefer und das Sekret fliesst ab. Ich konnte mir das
Ostium sphenoidale nach Verdrängung des Restes der mittleren
Muschel sichtbar machen. Nach Beseitigung einiger Granulationen,
die den Eingang verengten, gelang es leicht, ein Spülröhrchen einzu¬
führen und die Höhle gründlich auszuspülen, wobei die Spülflüssigkeit
mit Eiter vermischt war. Dies Verfahren setzte ich mehrere Wochen
hindurch fort und die Höhle ist auf diese Weise zur Ausheilung ge-
kommen^h ^ monatHcher Behandlung ist auch die Siebbeinzellen-
eiterung völlig ausgeheilt. Wenn man die normal aussehende unteie
Muschel links zurückgedrängt hat, erscheint die Nasenhöhle ge¬
räumiger wie sonst. Von dem Stumpf der mittleren Muschel aus hat
eine kräftige Neubildung von Schleimhaut eingesetzt und die Wun
höhle überkleidet. Die Schleimhaut ist etwas f U”CJ , 1 - '
trophisch und gibt noch zu geringer Borkenbildung Veranlassung.
Die Eiterung hat völlig aufgehört. . ,, R
Patient ist nach seinen eigenen Angaben jetzt frei von ahen
schwerden und hat seine frühere schwere Arbeit im Hafen in voHem
Umfang wieder aufgenommen. Es kommt daher in dieser
Rentenfrage nicht in Betracht. . F
Wie würde sich aber die Sache verhalten, wenn eine Erwerbs¬
beeinträchtigung eingetreten wäre? In welchem Zusammenhalt
stehen Unfall und Nasenerkrankung? Der Patient ist von
1734
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
zeitlichen Zusammentreffen dieser beiden Momente überzeugt, da seine
Beschwerden vom Tage des Unfalls datieren. Wie aber hat sich der
Arzt als Begutachter in einem solchen Fall zu verhalten?
Beim ersten Blick in die erkrankte linke Nasenhälfte war es
wahrscheinlich, dass es sich um einen chronischen Zustand handle,
dessen Entstehung weit hinter dem vor 3 Wochen erlittenen Unfall
zurücklag, eine Annahme, die durch die weitere Untersuchung zur
Sicherheit 'wurde. Denn es ist ausgeschlossen, dass sich in den
3 Wochen, die zwischen dem Unfall und der ersten von mir vor¬
genommenen Untersuchung verstrichen waren, eine derartige Destruk¬
tion des Siebbeinlabyrinths entwickelt haben sollte und noch dazu auf
der entgegengesetzten Seite. Also die Krankheit hat schon lange vor
dem Unfall bestanden, aber sie ist erst durch den Unfall dem Patienten
zum Bewusstsein gekommen und hat ihm jetzt erst Beschwerden
gemacht oder mit anderen Worten, das latente Empyem, dessen Exi¬
stenz dem Patienten nicht zum Bewusstsein gekommen ist, ist durch
den Unfall manifest geworden und hat zu einer Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit geführt.
Ich bin daher der Meinung, dass in jedem derartigen Falle dem
Verletzten bei Verminderung der Erwerbsfähigkeit eine Rente zuzu¬
billigen wäre.
Was nun die Erkrankung selbst anlangt, so handelt es sich um
ein chronisches Empyem des ganzen linken Siebbeinlabyrinths mit
Knochenkaries und Polypenbildung. Die Keilbeinhöhle war sekun¬
där infiziert, denn nach Beseitigung der Siebbeinzelleneiterung, Er¬
weiterung des Ostium sphenoidale und Spülungen kam die Keilbein¬
höhleneiterung zum Stillstand.
Bei den beiden folgenden Fällen kann ich mich kürzer fassen:
2. Martha M., 33 Jahre, Ehefrau. Patientin bemerkte vor 5 bis
6 Jahren, angeblich nach einem Wochenbett, allmähliges Verschwinden
des Geruches und Geschmackes. Zeitweise wurde sie von heftigen
Stirnkopfschmerzen heimgesucht. Sie hatte immer ein trockenes Ge¬
fühl in der Nase, Ausfluss bestand nicht. Sie litt ausserordentlich
unter diesem Zustand. Von ihren Angehörigen wurde ihr kein
rechtes Verständnis entgegengebracht, sodass sie auf Selbsmord-
gedanken kam. Unter der Diagnose Nervosität, Neurasthenie, Blut¬
armut etc. machte sie ohne jeden Erfolg die verschiedensten Kuren
durch. In letzter Zeit bekam sie Nasenspülungen und Pinselungen
der Nase mit Höllensteinlösung. Da keine Besserung eintrat, reiste
sie hierher und suchte die Poliklinik auf.
Status: Grosse, sehr blasse Frau in massigem Ernährungs¬
zustand.
Innere Organe gesund. Gesteigerte Reflextätigkeit. Die Nase
bietet von Aussen betrachtet keine Abweichungen dar. Nirgends ist
eine besondere Druckempfindlichkeit zu konstatieren. Die rechte
Nasenhöhle ist von normalem Aussehen. Die linke untere Muschel
ist mässig hypertrophisch. Die mittlere Muschel ist stark hyper¬
trophisch und berührt das Septum, sodass die Fissura olfactoria ganz
verdeckt ist. Die Schleimhaut ist stark gerötet und sulzig aufge-
uuollen, von einigen Borken bedeckt. Die Rachenschieimhaut ist
blass und mit zähem Sekret bedeckt.
Nach Abtragung des vorderen Endes der mittleren Muschel zeigt
sich eine bohnengrosse Knochenhöhle eröffnet, aus der sich riechender
Eiter entleert. Die Umrandung dieser Höhle wird entfernt und die
sulzige Schleimhaut ausgekratzt.
Am nächsten Tage bereits erhebliche Besserung des subjektiven
Befindens. Nach 4 wöchentlicher Behandlung hatte sich neue Schleim¬
haut gebildet, die anfangs noch etwas granulierte.
Im Januar sah ich die Patientin wieder. Die Schleimhaut zeigte
nun normales Aussehen. Die mittlere Muschel war retrahiert und an
Stelle der entfernten Bulla ethm. zeigte sich eine Einziehung.
Patientin hat sich ausserordentlich erholt, sie fühlt sich, wie sie
angibt, wie neugeboren, Geruch und Geschmack sind wieder vor¬
handen, Kopfschmerzen sind nicht wieder aufgetreten. Auch die
Pharyngitis ist erheblich besser geworden.
Es handelte sich in diesem Falle um ein isoliertes latentes
Empyem der Bulla ethm. sin., das durch Verdrängung der mittleren
Muschel an das Septum und Verschluss der Fissura olfactoria zu
einem völligen Schwund der Geruchs- und Geschmacksempfindung
geführt hat. Es ist dieser Vorgang nicht leicht zu erklären, da doch
die rechte Nasenhälfte völlig intakt war. Man kann dabei an sym¬
pathische oder reflektorische Erscheinungen denken oder aber an
Hysterie. Letzteres halte ich bei dem ganzen Wesen der Patientin
und der gesteigerten Reflexerregbarkeit für das wahrscheinlichste.
3. Minna T., 34 Jahre b. Ktizer. Seit der Kindheit leidet Pa¬
tientin an einer rechtsseitigen tuberkulösen Coxitis, die zur Resektion
des Hüftgelenks geführt hat. Als 12 jähriges Kind linksseitige Mittel¬
ohrentzündung. Seit Jahren hat Patientin über Kopfschmerzen zu
klagen, die besonders über dem linken Auge lokalisiert sind und nach
der Nase zu ausstrahlen. Sehr häufig habe sie an Gesichtserysipel
zu leiden.
Status: Kleine, schwache Patientin in dürftigem Ernährungs¬
zustand.
Phthisis pulmonum. Rechtes Hüftgelenk reseziert. Die Sprache
hat nasalen Beiklang. Die rechte Nasenhöhle ist gesund. Die mittlere
Muschel links ist hypertrophisch. Aus dem mittleren Nasengang fliesst
dicker Eiter, auch ragen hier mehrere kleine polypöse Granulationen
hervor.
Auch hier wird das vordere Ende der mittleren Muschel ab¬
getragen und die vorderen Siebbeinzellen ausgeräumt. An Bakterien
fanden sich neben zahlreichen anderen besonders Streptokokken.
Diesen Befund halte ich für besonders bemerkenswert, weil nach
meiner Meinung, wie dies auch von verschiedenen anderen Autoren
mehrfach beobachtet wurde, von diesem Herd aus die Gesichtsery¬
sipele, von denen die Patientin nach ihrer Angabe so häufig heim¬
gesucht wurde, ihren Ausgang genommen haben. Bewiesen scheint
mir diese Ansicht dadurch, dass nach Entfernung des Empyems ein
Rezidiv des Gesichtserysipels in 5 Monaten nicht wieder einge¬
treten ist.
Eine Ausheilung dieses Falles ist leider noch nicht zu konsta¬
tieren. Es hat dies einmal darin seinen Grund, dass bei der
sehr geschwächten Patientin nur langsam vorgegangen werden
konnte, und zweitens darin, dass eine Ueberhäutung der Wunden mit
gesunder Schleimhaut infolge des dürftigen Körperzustandes nur
zögernd von statten geht. Aber es ist auch in diesem Falle die er¬
freuliche Tatsache zu konstatieren, dass Patientin nunmehr frei von
Kopfschmerzen ist.
Der Druckverband in der Therapie der Netzhaut¬
ablösung.
Von Dr. med. Gustav Freytag in München.
Bei dem Dunkel, das über der Pathogenese der meisten
Fälle spontaner Netzhautablösung noch schwebt, ist es ja nicht
verwunderlich, dass wir mit unserer Therapie noch sehr weit
zurück sind und uns vielfach noch im Stadium roher Empirie
befinden.
Da muss es ja natürlich mehr oder weniger Zufall sein,
wenn wir Erfolge erzielen; ja es ist trotz der vorhandenen
Statistiken noch die Frage, ob unsere Methoden überhaupt
positive Momente enthalten und ob nicht das beste, was einige
von ihnen zu leisten scheinen, in der Fernhaltung weiterer
Schädlichkeiten liegt, so dass der etwa vorhandenen natür¬
lichen Heiltendenz nichts in den Weg gelegt wird. Denn dass
nicht wenige Ablösungen spontan zu heilen bestrebt sind und
auch heilen, kann nicht bestritten werden.
Von den zahlreichen operativen und nicht operativen Mass¬
nahmen, die die Literatur aufweist, sind nicht wenige, deren
theoretische Grundlagen als recht mangelhaft zu bezeichnen
sind.
Eine etwas eingehendere Kritik ist m. E. unter anderen
auch einem Verfahren gegenüber erforderlich, das bereits über
30 Jahre bei Netzhautablösung gehandhabt wird, ich meine den
Druckverband.
Dieser ist ja bekanntlich zuerst von Samelsohn [l]
warm empfohlen worden, nachdem er VA jährige Erfahrungen
an 12 Fällen damit gemacht hatte. Später schränkte S. sein
Urteil darüber in einem offenen Briefe an Ho sch nicht un¬
wesentlich ein [2],
S. ging von der Anschauung aus, dass der Netzhaut¬
ablösung eine vorübergehende Druckverminderung im Augen-
innern zugrunde liege. Diese Periode der negativen Druck¬
schwankung gelte es mit dem Druckverband durchzuhalten,
man dürfe ihn deshalb nicht zu kurze Zeit hindurch anwenden;
während seiner Anwendung sei er indessen täglich 2 mal zu
wechseln.
Diese Auffassung des Druckverbandes als eines vorüber¬
gehenden Ersatzes des Glaskörperdruckes ist, wie ich glaube,
falsch und beruht auf nicht hinreichender Würdigung eines ein¬
fachen hydrostatischen Gesetzes.
Für in Gefässe oder Hohlräume eingeschlossene Flüssig¬
keiten gilt das Gesetz, dass ihre unter Druck gesetzten Teil¬
chen nach allen Seiten den gleichen Druck ausüben und nicht
nur das, sondern es herrscht auch innerhalb der Flüssigkeit an
allen Stellen der gleiche Druck.
Nun haben wir physikalisch in dem Bulbus mit seinem In¬
halt im wesentlichen doch eine bis zu einem gewissen Grade
elastische Hohlkugel vor uns, die mit einer etwas zähen Flüs¬
sigkeit bis zu leichtem Spannungszustande der Wandung ge¬
füllt ist. Sie ist jedoch nicht allseitig geschlossen, sondern hat
zahlreiche Zu- und Abflussbahnen. Zunächst aber soll ein¬
mal angenommen werden, dass diese fehlen, wozu man be¬
rechtigt ist, wenn man die Wirkung eines nur ganz kurze Zeit
anhaltenden Druckes sich vergegenwärtigen will.
Uebe ich auf den normalen Bulbus also einen solchen
Druck aus, so wird sich derselbe an allen Stellen innerhalb
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1735
der Bulbusflüssigkeit in gleichem Masse geltend machen und
auch auf alle Stellen der inneren Wandung gleichmassig
drücken. Die Netzhaut wird dadurch gleichmassig, fester als
vorher, an die Chorioidea bezw. Sklera angepresst.
Inwiefern haben sich nun die Verhältnisse geändeit, w enn
die Netzhaut an einer Stelle abgelöst ist?
Wir haben dann ebenfalls eine mit Flüssigkeit gefüllte
Kugel vor uns, in deren Innerem eine dünne Membran flottiert,
denn unter, d. h. ausserhalb der Netzhaut ist ja kein Hohl-
raum, sondern ebenfalls Flüssigkeit. Wird nun der Bulbus¬
druck durch den Verband erhöht, so steht sowohl die präreti¬
nale wie die subretinale Flüssigkeit unter dem erhöhten Druck,
und zwar unter ganz gleichem Druck. Auch die Netzhaut steht
von beiden Seiten unter dem gleichen erhöhten Druck, wie sie
vorher unter dem von beiden Seiten wirkenden nicht erhöhten
Druck gestanden hat. Es ist somit eine Aenderung in der Lage
der Netzhaut n i c h t zu erwarten. Diese wäre nur dann zu er¬
warten, wenn es gelänge, lediglich den Druck im Glaskörper¬
raum zu heben und nicht auch gleichzeitig den im subretinalen
Raum, das ist aber durch den auf den ganzen Bulbusinhalt wir¬
kenden Druckverband nicht möglich.
Wie schon erwähnt, ist der oben gewählte Vergleich mit
der gefüllten Hohlkugel nicht ganz zutreffend. Die Flüssigkeit
innerhalb des Augapfels ist nicht in sich abgeschlossen, sondern
unterliegt einem beständigen, durch Zu- und Abflusswege ge¬
regelten Wechsel. Es wird also, sobald durch einen von
aussen wirkenden Druck die Spannung im Innern erhöht wird,
die eingeschlossene Flüssigkeit die Tendenz zu vermehrtem
Abfluss haben und bei anhaltendem Druck auch abfliessen, bis
wieder ein normales Verhältnis zwischen Wandspannung und
Flüssigkeitsmenge hergestellt ist. Auch wird durch Rückstau-
ung der Zufluss verringert werden. Kurz, es werden sich die
Zirkulationsverhältnisse dem geringeren Volumen des Bulbus
anpassen. Es ist nun die Hoffnung durchaus unbegründet, dass
von der intraokularen Flüssigkeit gerade die subretinale den
Bulbus eher verlassen werde als die präretinale, d. h. die des
Glaskörperraums, vielmehr ist zufolge des erwähnten Gesetzes
zu erwarten, dass sämtliche Abflusswege des Bulbus sich in
annähernd gleicher Weise dabei beteiligen werden, da ja auf
ihnen allen der gleiche Druck ruht. Was nutzt es aber, dass
die subretinale Flüssigkeit abnimmt, wenn die des Glaskörpers
es ebenfalls tut? , XT . i . u •
Es liegen also für die Wiederanlegung der Netzhaut bei
länger dauerndem Druck auf den Bulbus die Verhältnisse eben¬
so ungünstig wie bei nur momentan einwirkendem.
Man könnte nun den Druckverband am Auge vielleicht in
Vergleich setzen mit dem, der z. B. bei Gelenksergüssen mit
Erfolg angewendet wird. Das ist jedoch nicht zulässig, da dort
die Verhältnisse ganz anders liegen, indem es sich dabei darum
handelt, die gesamte Flüssigkeitsmenge, die in dem, physio¬
logisch ja nur spaltförmigen, Gelenkraum sich angesammelt
hat, herauszupressen bezw. deren Neubildung zu verhindern.
Hierzu ist der Verband durchaus geeignet, weil er (bei öfterem
Nachziehen) in der Tat einen konstanten, recht erheblichen
Druck ausüben kann und direkt auf die Flüssigkeit wirkt, die
entfernt werden soll. Beim Auge jedoch, wo es sich um Ein¬
wirkung auf einen speziellen Teil der intraokularen Flüssigkeit
handelt, steht, auch wenn ein konstanter Druck erzielbar wäre,
eine solche Wirkung aus den oben auseinander gesetzten Giiin-
den nicht zu erwarten. Gelänge es, beständig einen starken
Druck auf dem Bulbusinhalt lasten zu lassen, so würde mit dem
letzten Tropfen subretinaler Flüssigkeit wahrscheinlich auch
der letzte Rest des Glaskörpers das zu eng gewordene Gehäuse
verlassen.
Ist nun nach diesen kurzen theoretischen Erörterungen ein
wohltätiger Einfluss des Druckverbandes auf die Ablösung
ganz unwahrscheinlich, so liegt die Erwägung nahe, ob und in¬
wieweit etwa nachteilige Folgen eintreten können.
M. E. liegt in den Druckschwankunge n, denen wir
den Bulbus beim Wechseln und Abnehmen des Verbandes
unterwerfen müssen, eine direkte Gefahr. Mag das
Wechseln noch so vorsichtig geschehen, eines steht fest, dass
nach Entfernen eines einige Zeit liegenden wirklichen Druck-
verbandes der Bulbus weich ist. Er muss es sein, da nach Auf¬
hören des Druckes der Bulbus wieder Kugelgestalt und damit
ein grösseres Volumen anzunehmen bestrebt ist (vergl. die Ver¬
suche W e s s e 1 y s [3]). Erst nach und nach wird sich der
Druck wieder dem grösseren Raume anpassen; es muss also
eine vermehrte Flüssigkeitsabgabe in das Innere des Bulbus
erfolgen. .
Wir können nun absolut nicht beurteilen, woher ein Bul¬
bus, in welchem die Netzhaut abgelöst ist, der also in hohem
Grade im Verdachte stehen muss, anomale Sekretionsverhält¬
nisse zu haben, diese Flüssigkeitsmenge bezieht. Ist es nicht
ganz naheliegend, zu vermuten, dass ebendieselbe Quelle, die
so geschäftig war, sich unter der Netzhaut ein Absatzgebiet
zu suchen, dass eben diese nun auch die fehlende Flüssigkeit
in der Hauptsache spenden werde? Wenn aber auch keine
Neigung zu vermehrter Abgabe unter die Netzhaut besteht, so
gilt doch nunmehr die Umkehr unseres Gesetzes: Die Ab¬
nahme des Druckes wird, ebenso wie anfänglich die Zu¬
nahme, an allen Stellen des Inneren die gleiche sein und so
die Handhabe vermehrten Affluxes über u n d u n t e r die Netz¬
haut bieten.
Schädliche Wirkungen des Druckverbandes können sich
weiter unter Umständen an der Hornhaut zeigen, wie die Er¬
fahrung mehrfach gelehrt hat. Die Druckwirkung auf die Lidei
und die Haut der Augengegend wird dagegen wohl kaum
ernstere Folgen haben, durch event. Schmerzhaftigkeit aber
dem Patienten das so wie so unangenehme Verfahren erst recht
verleiden können. .
Allen noch so überzeugenden Erwägungen kann der Khm-
'ker nun aber unter Umständen entgegensetzen: Ich habe aber
doch mit dem Druckverband Erfolge erzielt.
Ich möchte es sehr bezweifeln, dass auch nur einer dei-
jenigen, die den Druckverband lieben, einigermassen sicher
nachweisen kann, dass es wirklich dieser war, der im ge¬
gebenen Falle geholfen hat. Wenn selbst U h t h o f f, der neuer¬
dings wieder besonders denDruckverband empfohlen hat [4], in
seiner Statistik anführt, dass 50 Proz. aller geheilten Ab¬
lösungen solche Fälle betrafen, die gar nicht behandelt wur¬
den Q, so kann man nur wenig Vertrauen in die Wirksamkeit
der Therapie bei den übrigen 50 Proz. setzen, da niemand zu
sagen in der Lage ist, ob nicht auch hiervon eine Anzahl ohne
Behandlung geheilt wäre, wobei auch nicht zu entscheiden ge¬
wesen wäre, ob die Spontanheilung mehr die Fälle betroffen
hätte, die friedlich, oder diejenigen, die operativ behandelt
WUrden- , ,T , j ,
Ausserdem würde über den Wert oder Unwert des Druck¬
verbandes auf dem Wege der Statistik nur dann zu entscheiden
sein, wenn er einmal in einer grösseren Anzahl von Fällen die
einzige therapeutische Massnahme bildete. Das ist aber wohl
kaum bisher der Fall gewesen, da kein Augenarzt bei der rela¬
tiven Hilflosigkeit gegenüber der Netzhautablösung sich so
leicht auf ein einziges Verfahren beschränken wird. Die beiden
verbreitetsten Hilfsmittel des Druckverbandes sind ja die Ruhe¬
lage des Patienten und die Punktion der subretinalen Flüssig¬
keit. Es soll hier nicht näher darauf eingegangen werden, aber
soviel ist ohne weiteres klar, dass einerseits nach Entfernung
der pathologischen Flüssigkeitsansammlung die Verhältnisse
für den Druckverband verschoben sind und dass andererseits
durch möglichste Ausschaltung von Bewegungen, namentlich
der des Bulbus, ein Faktor in Wegfall kommt, der wohl ge¬
eignet erscheinen kann, ungünstig auf die Erkrankung einzu-
Ich komme also zu dem Schluss, dass der Druckverband
aus der Therapie der Netzhautablösung im allgemeinen zu
streichen ist, da für seine Anwendung die nötigen theoretischen
und durch die Praxis gewonnenen Grundlagen fehlen und eine
crUiUHlirtip Wirkung nicht auszuschliessen ist.
Literatur:
1. Ueber mechanische Behandlung der Netzhautablösung. Zen¬
tralblatt f. d. rned. Wissenschaften 1875, No. 49, S. 833. — 2. Zentralbl.
f. prakt. Augenheilkunde von Hirschberg, 1887, S.T51. — 3. Be¬
richt über d. 33. Vers. d. Heidelberger ophtli. Ges. 1906. — 4. Ueber
die Behandlung .der Netzhautablösung. Nach einem in Lissabon 1906
i) Uhthoff sah von 422 Fällen 36 dauernd heilen (8,5 Proz./.
Hiervon heilten 18 (d. h. die Hälfte) ohne jede Behandlung. Die Be¬
handlung der übrigen 18 war in 10 Fällen eine friedliche unc in
8 Fällen eine operative gewesen.
1736
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
gehaltenen Referate. Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem
(iebiete der Augenheilkunde, herausg. v. V o s s i u s, VI. Bd., H. 8.
Halle 1907.
Schwere Hirnstörung nach Unterbindung einer A. carotis
communis und Vena jugularis int. mit Ausgang in völlige
Heilung.
Von Dr. E min, chirurgischem Assistenten am Lehrkranken¬
hause Gülhane zu Konstantinopel (Chefarzt: Prof. Wieting).
Die Gefahren, die durch Unterbindung der A. carotis com¬
munis entstehen können, sind hinreichend bekannt. Jordan
rechnet nach den ihm vorliegenden Statistiken (im Handbuch
der praktischen Chirurgie) in einem Drittel aller Fälle auf einen
ungünstigen Ausgang; es sind dabei aber die sehr erheblichen
Unterschiede, die Alter der Operierten, Zustand des Zirkula¬
tionsapparates und Indikation zur Operation bedingen, wohl in
Erwägung zu ziehen. Die Unterbindung der Vena jugul. int.
allein hatte in 91 Fällen, welche Rohrbach zusammenstellte,
nur 1 mal einen tödlichen Ausgang zur Folge, als dessen Grund
sich eine Gefässanomalie ergab; 7 mal traten leichte, rasch
vorübergehende Störungen auf in Form von Zyanose, Oedem,
Kopfschmerzen und Pupillenverengerung. Unlängst sind 2
weitere Beobachtungen von Linser (Beitr. z. klin. Chir.,
Bd. 28) und von Kummer (ref. Zentralbl. f. Chir. 1899 und
1901) mitgeteilt, die beide mit dem Tode endeten und damit
die Harmlosigkeit dieser Operation etwas fragwürdig erscheinen
lassen. Linser hat durch genauere anatomische Unter¬
suchungen festgestellt, dass jene Anomalien in der Ausbildung
der Vena jugul. int. gar nicht so selten seien, dass das eine
For. jugulare, und zwar meistens das linke, bedeutende Ver¬
engerungen aufweisen kann. Die Todesursache war in akutem
Hirnödem, venöser Hyperämie und beginnender Erweichung
zu suchen.
In meinem unten mitgeteilten Falle handelt es sich um die
gleichzeitige Unterbindung der Art. carotis communis und der
Vena jug. int.; die plötzliche Unterbindung der beiden grossen
Gefässe stellt jedenfalls einen gefährlicheren Eingriff dar, als
die eines derselben allein.
Die häufigste Indikation zu der doppelten Unterbindung
resp. Kontinuitätsunterbrechung durch Resektion stellen ma¬
ligne Geschwülste der Halsgegend dar; dabei muss nicht sel¬
ten der N. vagus fallen. Da die Patienten mit malignen Tu¬
moren, wenigstens mit Karzinomen, nicht mehr im jugendlichen
Alter stehen und ihre Gefässe nicht mehr sehr anpassungsfähig
sind, so müsste von vornherein jener Eingriff eine durchaus
ungünstige Prognose haben; doch fällt der Umstand bisweilen
günstig ins Gewicht, dass in diesen Fällen die langsam wach¬
senden Tumoren langsam die Gefässe komprimierten und da¬
durch ein langsamer Ausgleich der Zirkulationsstörung durch
Kollateralbahnen ermöglicht ist. Mir stehen 2 (von Prof.
Wieting operierte) Fälle zur Verfügung, die beide tödlich
endeten.
In dem ersten, einen 40 jährigen Mann betreffenden Falle musste
während der Exstirpation eines mächtigen, in das Mediastinum
reichenden Rundzellensarkoms die Arterie, die Vene und der Nerv
reseziert werden, was glatt vor sich ging. Am Ende der Operation,
als Patient schon wieder auf Reize reagierte und die Wunde ge¬
schlossen werden sollte, wurde, während die Tampons aus dem
unteren Wundwinkel entfernt wurden, plötzlich an den Venen unter
schlurrendem Geräusch Luftaspiration bemerkt; der Puls setzte aus
die Herzdämpfung verschwand und trotz raschester Freilegung des
Herzens durch Rippenresektion und direkter manueller Massage trat
der I od ein, ohne dass Kontraktionen auszulösen waren. Ob ein
Absaugen der Luft mit Aspirationsspritze Erfolg gehabt hätte, bleibe
dahingestellt.
rr. . hi dem zweiten Falle, ausgedehnte Karzinommetastasen bei einem
60 jährigen Mann, mussten ebenfalls Arterie, Vene und Nerv geopfert
werden, es trat Koma ein und nach 2 Tagen Exitus: die Sektion
musste aus ausseren Gründen unterbleiben.
Es wäre von Wichtigkeit, eine umfangreiche Statistik die¬
ser Gefäss- und Nervendurchtrennungen, die ja häufig genug
ausgeführt werden, zu besitzen, um ihre Gefahren bei opera¬
tiven Massnahmen besser abschätzen zu können. Freilich
dürfte selbst eine sehr ungünstige Statistik gegebenen Falles
die Radikalität des operativen Vorgehens gegen maligne Tn-
moren nicht einschränken, da wir über das Vorhandensein eines
genügenden Kollateralkreislaufes nicht vorher unterrichtet
sind: Wenn auch nur wenige Prozente durch die radikale
Operation gerettet werden können, bleibt sie gerechtfertigt.
Die Unterbindung beider Gefässe wegen Verletzung —
wenn es irgend angeht, hat natürlich an die Stelle der Unter¬
bindung die seitliche oder zirkuläre Naht zu treten — ist da¬
durch so gefährlich, dass die Unterbrechung der Blutzu- und
-abfuhr plötzlich geschieht und an den Kollateralkreislauf
plötzlich hohe Anforderungen gestellt werden. Je jünger das
Individuum ist. d. h. je weniger Neigung zu angiosklerotischen
Veränderungen an den Arterien besteht, desto günstiger wird
die Prognose. Bei meinem Patienten hat das jugendliche Alter
den entscheidenden Ausschlag in günstigem Sinne gegeben und
die tiefe Ernährungsstörung des Gehirns schliesslich doch über¬
wunden.
Es dürfte von einigem Interesse sein, zu verfolgen, in
welcher Weise diese Funktionsstörung des Gehirns sich ent¬
wickelte und wie sie im Laufe mehrerer Monate vollständig
sich ausglich.
Der 12 Jahre alte Knabe Mustafa wurde vor 4 Tagen mit einem
Messer in die linke Halsseite gestochen, und zwar schräg von oben
aussen nach unten innen. Das Ohrläppchen ist in dieser Richtung
durchschnitten und der Einstich in den Hals sitzt in Form einer 1 cm
langen Wunde 4 cm unterhalb des Ohrläppchens, am vorderen Rande
des Kopfnickers. Die Wunde soll zuerst stark geblutet haben, doch
wurde die Blutung durch Kompressivverband gestillt. Bei der Auf¬
nahme (5. II. 06) am 4. Tage nach der Verletzung ist die Stichwunde
verklebt, aber schmierigieitrig. Nach innen von ihr, zwischen Kopf¬
nicker, Kehlkopf und Trachea, nach oben bis an den Unterkieferrand,
nach unten bis nahe an die Klavikula reichend, sitzt eine grosse,
pulsierende Geschwulst, die Atem- und Schluckbeschwerden ver¬
ursacht. Der Knabe ist blass und hat Temperatursteigerungen bis
38,8 °.
Da eine Ruptur an der bläulich durchscheinenden Umgebung der
Wunde droht und somit der Versuch einer temporären Kompression
zwecks Herstellung eines besseren Kollateralkreislaufes nicht rat¬
sam erscheint, soll versucht werden, die Car. comm. diesseits des
Aneurysma temporär abzuklemmen und sich 'dann an die Verletzungs¬
stelle heranzuarbeiten. In der Tiefe aber reicht der Bluterguss
zu weit nach unten und der Sack zerreisst, so dass es zu einer
profusen Blutung kommt. Trotz digitaler Kompression der Karotis
blutet es stark venös weiter, nach rascher Erweiterung der Wunde
bleibt, da der Puls sehr klein wird und jeder weitere Blutverlust zu
vermeiden ist, nichts anderes übrig, als die grosse Höhle mit Jodo¬
formgaze fest zu tamponieren und darüber die Haut temporär fest zu
vernähen. Darnach treten nervöse Störungen nicht ein. Der Urin
ist stets frei von Zucker.
Am dritten Tage kompliziert eine schwere Bronchopneumonie
mit 41 0 bieber den Wundverlauf. Die Wunde selbst wird eiterig. Am
achten Tage wird zuerst der oberflächliche Tampon entfernt und
die Wunde ausgespült. Nach Entfernung des tiefen Tampons kommt
es wieder zu einer profusen Blutung. Unter fester Tamponade des
oberen Wundwinkels wird zuerst die Car. comm., in deren vorderen
Wandung sich eine schmierige, schräge Wunde von 5—6 mm Länge
findet, abgeklemmt und dann doppelt unterbunden. Es blutet aber
aus dem oberen Wundwinkel profus venös weiter, und es bleibt
nichts anderes übrig, als die Jugularis int. doppelt abzuklemmen
und die Klemmen liegen zu lassen, da wegen der Wundeiterung die
Ligatur nicht zuverlässig genug erscheint.
Der Wundverlauf selber ist nun derart, 'dass nach Entfernung
der Klemmen am vierten Tage und nachheriger Tamponadebehand¬
lung die Wunde sich langsam schliesst und schliesslich gut verheilt.
Nachdem anfangs an dem kleinen Patienten besondere Erschei¬
nungen, ausser der Neigung wieiter zu schlafen, nach der Narkose
nicht bemerkt wurden, entwickelte sich in der Nacht ein schweres
Krankheitsbild:
12 Stunden nach der Unterbindung besteht eine vollkommen
rechtsseitige, schlaffe Paralyse des rechten Armes, eine hochgradige
Parese des rechten Beines und des rechten Fazialis. Die Reflexe
fehlen rechts vollkommen, die Sensibilität scheint nicht aufgehoben,
denn Patient zieht auf Nadelstich ganz leicht das rechte Bein zurück
und es prägt sich in seinem Gesicht Schmerzempfindung aus. Die
rechte Pupille ist weit und reagiert nicht auf Licht. Die Augen sind
dauernd nach links gedreht, doch folgen sie dem Finger nach rechts
herüber. Auf Zuruf öffnet der Patient den Mund. Die Sprache fehlt,
doch lautes Weinen wird vernommen. Das Schlucken von Milch ist
erschwert. Stuhl und Urin lässt er unter sich. Puls 120. Nach
weiteren 12 Stunden hat die Somnolenz noch zugenommen, der Pa¬
tient öffnet nicht mehr auf Zuruf den Mund. Nadelstiche in beiden
Extremitäten werden mit Verziehen des Gesichtes beantwortet. Am
dritten Tage kehrt der Knie- und der Kremasterreflex ein wenig zu¬
rück. Links ist er entschieden gesteigert. Auch der Bauchdecken¬
reflex ist links stärker wie rechts. Die Somnolenz bleibt 8 Tage
lang ziemlich gleichmässig bestehen, auch weint der Kleine nicht
mehr. Am achten Tage sind die Reflexe beiderseits gleichmässig.
27. August 1907.
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1737
nicht gesteigert. Das rechte Bein wird zur Abwehr stäiker zuiiick-
gezogen wie früher, doch besteht die Lähmung des Fazialis und des
Armes, die Erweiterung der Pupille und die Aphasie fort.
Am 15. Tage sind die Pupillen gleich, doch kehrt nach weiteren
2 Tagen die Dilatation plötzlich zurück, um dann ganz langsam bis
zum 35. Tage sich auszugleichen. Vom 20. l äge an kehrt langsam
die Erkenntnis der Aussenwelt zurück; bis dahin erkannte er mit
offenen Augen selbst seinen Vater nicht. Da im Laufe der ersten
2 Wochen das Schlucken nicht ausgeführt wurde aus Mangel an
Verständnis für den Akt, musste er mit der Sonde genährt werden.
Die Bewegungsfähigkeit des rechten Beines bessert sich immer mehr.
Am 40. Tage wird die erste Bewegung im rechten Arm bemerkt,
und 5 Tage später kann er ihn schon bis zum Kopf erheben. Jetzt
ist auch das Verständnis für die Umgebung heller geworden; er ver¬
steht was man zu ihm sagt, ohne zu antworten, ohne zu lachen od
fönst Töne von sich zu geben. Am Ende des 2. Monats kann e
schon mit wenig Schwierigkeiten gehen; nur die Bewegungen d
Finger sind noch sehr mühsam und ungeschickt; der Fazialis noch
leicht paretisch. In diesem Zustande verlässt der Kranke da
H°SPAm 8. IV. läuft die Nachricht ein, dass auch die Sprache langsam
wiederkehrt. Am 15. X. stellt Patient sich selbst, vollkommen gesund,
im Vollbesitz seiner Sprache, wieder vor.
Ueber die Verwendung des Seidenpapiers in der
Krankenpflege bei ansteckenden Krankheiten.
Von Kreisarzt Dr. Hillenberg in Springe.
Mit den folgenden Zeilen wollte ich mir gestatten, auf einen Punkt
in der Krankenpflege aufmerksam zu machen, der meiner Ueber-
zeugung nach notwendig einer Aenderung bedarf, das ist auf den
Gebrauch von Zeugtaschentüchern und -Servietten seitens solcher
und bei solchen Personen, welche an ansteckenden Krankheiten
leiden Wer nur einen Augenblick darüber nachdenkt, welch mfek
tiöses' Material namentlich den Taschentüchern bei einer Anzahl von
Infektionskrankheiten überliefert wird, wie wenig vorsichtig m der
Familie aber auch in manchen Krankenhäusern mit derartigen
Tüchern umgegangen wird, der wird mir ohne weiteres zugeben, dass
wir in diesem Punkte hinter den Anforderungen der Hygiene noch
recht weit Zurückbleiben. Ich denke hierbei z. B. an die T aschentucher
der bettlägerigen Tuberkulösen, die nach jedesmaligem
unter das Kopfkissen gesteckt werden und hier Gelegenheit haben
dieses mit Bazillen zu infizieren, welche beim Autmachen des Bettes
in die Umgebung verstäubt werden. Aber auch bei Scharlach, Diph
therie, Influenza, Genickstarre wird das Taschentuch immer wieder
zur Reinigung von Mund, Nase und Gesicht benutzt und irgendwo
in der Nähe deponiert, bis es nach kürzerer oder langeier Zeit ent¬
weder bestenfalls in einem Lysoleimer oder in einem Winkel des
Hauses strandet, der zur Aufnahme der schmutzigen Wasche dient.
Wie manches Mal ferner erlebt der Arzt in der Praxis bei emlachen
Leuten, dass die Mutter einem keuchhustenkranken Kind den zähen
Schleim vom Munde mit einem Tuche entfernt, welches sie aus ihrer
Tasche gezogen und wieder in dieselbe zurückbefordert, um bald
darauf einem gesunden Sprössling damit die Nase zu putzen. Ich habe
es wiederholt gesehen, wie Kindern, die an schwerer Nasendiphtherie
litten, das eitrige Sekret mit einem Taschentuch entfernt wurde, das
dann die Mutter auf die Fensterbank legte, ohne dass die Garantie
bestand, dass sich nicht ein anderes Familienmitglied sogleich seinei
bediente. Ja, manchmal wird überhaupt kein I uch benutzt zui 1 e-
seitigung des zähen, an den Lippen haftenden Schleimes, sondern
dieser wird z. B. seitens eines Pneumoniekranken direkt mit den
Fingern vom Munde entfernt, wenn er sich nicht durch Husten, z.B. bei
alten Leuten, in das Spuckgefäss hineinbefördern lasst. Darf ich
schliesslich an die zahlreichen Taschentücher erinnern, die eine recht
häufige, aber glücklicherweise harmlose Krankheit erfordert, dei
Schnupfen! Die während seiner Dauer benutzten Tücher sind vom
hygienisch-ästhetischen Standpunkte nicht immer so einwandfrei, wie
gefordert werden müsste.
Ich glaube, dass mir jeder Arzt ohne weiteres zugeben wird,
dass die Zahl der Möglichkeiten, durch infizierte Taschentücher eine
ansteckende Krankheit auf die verschiedensten Personen direkt oder
indirekt zu übertragen, eine recht mannigfache ist, und es lst wohl
mit Sicherheit anzunehmen, dass manche Infektion auf diesem Wege
ihre Verbreitung gefunden hat. Dieser Weg kann aber absolut sicher
eliminiert werden, wenn der behandelnde Arzt in jedem entsprechen¬
den Krankheitsfalle bei den Angehörigen darauf dringt, von dem
Gebrauch eines Taschentuches bei dem Kinken ganz abzusehen und
statt seiner sich ausschliesslich des Seide npapiei es zu
bedienen. Darf ich kurz folgendes Bild skizzieren: Im Kranken¬
zimmer steht neben dem Bett auf einem I ischchen ein einfaches Bast¬
körbchen, das angefüllt ist mit Seidenpapierblättchen, welche die
Mutter oder die Pflegerin aus einer Anzahl Bogen Seidenpapier, das
für wenige Groschen erstanden wird, in der Grösse von 20: 14 cm
etwa (Grösse eines Achtelbogens) zurecht geschnitten hat. M e hre re
Blättchen, 3 bis 5, werden zu gleicher Zeit ergriffen, Mund,
Nase, Finger oder was nötig ist, gereinigt und die Bäuschchen im
Winter sofort in den Ofen oder, wie auch im Sommer, in einen am
Bett stehenden Eimer geworfen, der Lysollösung enthält und von
Zeit zu Zeit in das Klosett hinein entleert wird. Es findet keine
Beschmutzung der Finger des Kranken oder der Pflegerin statt,
es braucht nicht gewaschen zu werden, und ist somit die Möglichkeit
so gut wie ausgeschlossen, dass sich Wäscherinnen infizieren, und
die Hygiene, ja auch die Aesthetik ist gewahrt. Gibt es etwas
gesünderes, einfacheres, zweckmässigeres? Ich rede nicht aus
Theorie, sondern aus praktischer Erfahrung, und ich wünschte nur,
ich könnte die aufrichtige Dankbarkeit so mancher Mutter zu Papier
bringen, die dieses einfache Verfahren kennen gelernt hat. Der Arzt
soll sich nur nicht die kleine Mühe verdriessen lassen, wenn ei bei
seinem nächsten Besuch das Papier vorfindet, dasselbe höchsteigen¬
händig sauber und ordnungsmässig zu zerschneiden, dem Kranken
hinzulegen und seine Verwendung zu demonstrieren. Welche Be¬
deutung die Benutzung des Seidenpapieres bei Tuberkulösen
besitzt, darauf mit einigen kurzen Worten hinzuweisen, sei mir noch
gestattet. Ich wurde jüngst zu einer jungen fieberndem tuberkulösen
Frau gerufen, die dem Arbeiterkreise angehörte. Nach einigen ein¬
leitenden Fragen hinsichtlich des Befindens erkundigte ich mich, wo¬
hin sie ihren Auswurf entleere. Die Frau lag in Kleidern in der Wohn¬
stube auf dem Sofa und hatte um sich herum — sie hatte Schüttel¬
frost — eine Anzahl von Kleidungsstücken ihrer Angehörigen ge¬
stopft, um warm zu werden. Sie fing nun an, zwischen diesen Sachen
zu wühlen, und holte schliesslich ein zusammengeballtes „Tischtuch
hervor, das über und über von angetrockneten grau-gelblichen
Borken starrte. Dieses Tuch benützte sie seit Wochen (!) zur Unter¬
bringung ihres Auswurfes. Ich empfahl sofort für einige Groschen
Seidenpapier holen zu lassen, schnitt am nächsten 1 age dasselbe zu¬
recht, Hess einen Eimer mit Lysollösung für die benutzten Blättchen
an das Lager stellen, und die Frau war mir über alles dankbar. —
Wie in diesem, so wird in jedem Falle von Lungentuberkulose,
selbst da, wo Spuckfläschchen zur Aufnahme des Sputums gebraucht
werden, zum nachfolgenden Reinigen des Mundes am zweckmassig-
sten Seidenpapier benutzt. Dieses kann auch untei w e g s die
Spuckfläschchen vollständig für denjenigen ersetzen, dem es un¬
sympathisch ist, erstere zu gebrauchen, wenn er sich eine desinfizier-
bare, abknöpfbare Tasche aus wasserdichtem Stoff in seiner Kleidung
zur Aufnahme der gebrauchten Papierblättchen anbringen lasst.
Damen könnten auch desinfizierbare Handtäschchen zu ihrei Untei -
bringung verwenden. , . , , . . , . ,
Ich weiss ja, dass es nicht so ganz leicht sein wird, in der
Familie die Verdrängung des Zeugtaschentuches durch Seidenpapier
— wohlgemerkt spreche ich nicht von Seidenpapiertaschentüchern,
wie sie von Japan auch zu uns gekommen sind; diese düiften wohl
kaum populär werden — zu erreichen. Vielen wird die Angelegenheit
eine zu grosse Bagatelle dünken, als dass sie sich ernstlich bemühen
sollten, derselben ihr Interesse zu schenken. Anderen wird es zu
schwer fallen, von dem alt Gewohnten zu lassen. Nach meiner An¬
sicht sollte jedoch jeder Arzt aus hygienischen und ästhetischen
Gründen der kleinen Angelegenheit seine Beachtung zuteil werden
lassen und, wenn er sich von ihrem Nutzen überzeugt, sich bemühen,
ihre praktische Durchführung in der Familie zu ermöglichen. Auch
die Tuberkulosefürsorgestellen könnten sich der Angelegenheit zweck¬
mässig annehmen und neben der Lieferung von Spuckfläschchen auch
dafür Sorge tragen, dass jeder Tuberkulöse statt des 1 aschentuches
nur Seidenpapier benutzt, das womöglich in jedem Falle anfänglich
von den Fürsorgestellen zu liefern wäre, bis der Kranke seinen Nutzen
einsehen gelernt hat und es sich dann selbst beschafft.
Wesentlich einfacher gestaltet sich die Sache für öffentliche An¬
stalten; hier stehen ihrer Durchführung besondere Schranken nicht
entgegen, und es ist daher dringend zu fordern, dass die Zeugtaschen¬
tücher aus allen Krankenhäusern, Sanatorien, Lazaretten usw. voll¬
ständig verschwinden; sie können voll und ganz durch Seidenpapier
ersetzt werden. Den Forderungen der Hygiene kann durch sie allem
am besten entsprochen werden; dabei ist ein Vorzug nicht zu ver¬
gessen: ihre Billigkeit. Es müssten an jedem Krankentischchen
seitlich eine hinreichend grosse Menge besagten Papiers, aut Drait
gezogen, hängen, das den Kranken zur beliebigen Verwendung zui
Verfügung steht. Diese würden sich sehr bald an die Aenderung
gewöhnen, ihre Zweckmässigkeit einsehen und in die Familie mit-
zurücknehmen
Was von den Taschentüchern gesagt ist, gilt auch von den
Servietten, soweit solche von Kranken, die mit ansteckenden
Krankheiten behaftet sind, benutzt werden. In erster Lime kommen
hier wieder Tuberkulöse in Betracht, sodann alle sonstigen an¬
steckenden Kranke, .auch solche, die an einer übertragbaren Haut¬
krankheit an Händen oder im Gesicht leiden. Man verwendet hier
die Seidenpapierblättchen in derselben Grösse, wie sie als Lrsatz der
Taschentücher angegeben sind. — Beiläufig möchte ich noch anfugen,
dass erstere nicht nur bei Kranken als Servietten sehr nützlich sind,
sondern dass sie in jeder Familie auf jedem Lisch stets zu finden
sein sollten. Zum schnellen Reinigen von Fingern usw. sind sie durcn
nichts zu ersetzen; die manchmal recht wenig emwandfreien Zeug¬
servietten, namentlich von Kindern, werden durch sie im Intuess
der Reinlichkeit wesentlich entlastet, und ich bin fest uberzeugt, dass
derjenige, der sie einmal bei Tisch gebraucht hat, sie nicht
wieder wird missen wollen. , , „ ,.
In der Krankenpflege vermag jedenfalls die Verwendung des
Seidenpapiers, das fast wertlos und zu jeder Zeit in jeder beliebigen
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MUENÜHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Menge zu beschaffen ist, von ausserordentlichem Nutzen überall dort
zu sein, wo es sich darum handelt, einen der Wege, auf dem eine
ansteckende Krankheit verschleppt werden kann, auf einfache Weise
/u beseitigen. Dieser Weg dürfte bislang kaum überall genügende
Beachtung gefunden haben; die Tatsache jedoch, dass er gelegentlich
in Betracht kommen kann, was wohl nicht zu leugnen ist, muss uns
auch daran denken lassen, ihn nach Kräften auszuschalten; eine An¬
regung hierzu möchten die vorstehenden Zeilen geben.
Kasuistischer Beitrag zu den Oberschenkelluxationen.
Von Dr. M. Karehnke, prakt. Arzt in Alpirsbach, Württem¬
berg.
Die Seltenheit der Luxationen des Oberschenkelknochens lässt
die Veröffentlichung jedes Falles gerechtfertigt erscheinen.
Einem im Jahre 1904 (Münch, med. Wochenschr. No. 39) be¬
kannt gegebenen Falle von Luxatio femoris nach vorn kann ich
heute einen solchen von Luxation des Femur nach hinten hinzufügen.
Am 18. VII. 07 zu dem 13 Jahre alten Schulknaben W. O. gerufen,
erhob ich folgende Anamnese: Patient war mit Kirschenpflücken be¬
schäftigt gewesen und hatte sich zu 'diesem Zwecke bis in den Gipfel
des Baumes begeben. Der ihn tragende Ast brach .ab, Patient fiel
7 m hoch vom Baum herunter, überschlug sich, kam aber auf die
Füsse zu Fall, brach zusammen und musste nach Hause getragen
werden.
Etwa lVz Stunde nach der Verletzung sah ich den Kranken;
derselbe klagte in seinem linken Bein über starke Schmerzen und
über die Unfähigkeit, dasselbe zu strecken.
Der objektive Befund, welcher sich erst in Aethernarkose voll¬
ständig erheben Hess, war folgender:
Ziemlich kräftiger Junge mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck.
Das linke Bein steht einwärts gerollt, adduziert, gebeugt und ver¬
kürzt, so dass der Fuss dieser Extremität oberhalb des gesunden
steht.
Bei rechtwinkeliger Beugung beider unteren Extremitäten im
Kniegelenke steht das Knie des kranken Beines deutlich tiefer als das
des rechten Beines.
Der Nachweis des Femurkopfes an seiner abnormen Stelle unter
der massigen Glutäalmuskulatur gelang erst in der Narkose.
Die Diagnose lautete: Luxatio femor. sin. ischiadica.
Aktive Bewegungen waren völlig aufgehoben. Passiv konnte
unter starken Schmerzäusserungen des Patienten eine geringe Stei¬
gerung der perversen Stellung im Sinne von Adduktion und Einwärts¬
rotation erzeugt werden.
^Cr \ wurde auf den Erdboden gelegt (auf eine
Matratze); in Adduktionsstellung wurde an dem kranken Beine kräf¬
tig gezogen, während die Assistenz den Kranken unter den Armen
fixierte und dann nach innen rotiert. Unter lautem Schnappen er¬
folgte das Zurückgehen des Femurkopfes in die Pfanne und das Ge¬
lenk war wieder aktiv und passiv frei beweglich.
Der angewandte Aetherrausch (Verbrauch 40 g), wie ,ihn Kütt-
ner für kurzdauernde Eingriffe in Tübingen seinerzeit den zum Fort¬
bildungskurs versammelten Aerzten warm empfahl, bewährte sich
auch in diesem Falle vorzüglich.
Aus der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten der städt
Krankenanstalten Düsseldorf (Direktor; Dr. Carl Stern).
Zur Tiefenwirkung des Quarzlampenlichtes.
Von Dr. Emil Hesse, Oberarzt an der Abteilung.
Wich mann berichtet in No. 28 dieser Wochenschrift über die
»efenwH-kung des Lichtes der Quarzlampe und des Finsenapparates
auf Grund experimenteller Untersuchungen an Kaninchenohren. Er
kommt zu dem Schlüsse, dass das Licht der Quarzlampe
we n n e l n I eil des Ultravioletts durch Blaufärbung
de sK u h . w a ss e r s ausgeschaltet wird, in derselben
iefe,ein,e stärkere photochemische Lichte ntzün-
d un g her b e i f u h r t als das Finsenlicht. Wir haben be-
icits voi längerer Zeit die Frage der Tiefenwirkung beider Licht¬
quellen experimentell und klinisch geprüft und werden demnächst an
anderer Stelle darüber ausführlich berichten. Hier sei nur erwähnt
dass die damals angestellten ähnlichen Versuche zu einem wesentlich
anderen Resultate führten, wenigstens was das Quarzblaulicht angeht.
, ° ?' 1 11 Jc 1 ^er Veröffentlichung der Wichmann sehen Unter¬
suchungen nahm ich daher die Versuche wieder auf und zwar in
der von diesem Autor angegebenen Weise. Ich presste die Innenseite
eines rasierten entfetteten Kaninchenohres (Albino, 6 Wochen alt)
ru. n heilster der durch Methylenblaulösung 1:10 000 ge¬
kühlten Quarzlampe, 220 Volt, gegen die Wade eines 10 jährigen
Knaben und bestrahlte unter ständigem Druck 35 Minuten lang. Das
gleiche wurde dann mit der Drucklinse (plankonvex) und dem Ori-
gmal-Finsen-Reyn- Apparat durch Aufpressen des anderen Ohres auf
die entsprechende Stelle des anderen Beines wiederholt. In beiden
Versuchen, die ohne jegliche Störung (Kühlung, Druck) verliefen, trat
keinerlei Lichtreaktion auf der menschlichen Haut auf. Auf den Ohren
kam es zu der dem Quarzlampenlicht eigenen starken oberflächlichen
Reizung, bei dem Finsenlicht zu dem bekannten entzündlichen Oedem
mit äusserst geringer Oberflächenschädigung.
Wichmann fand bei seinem entsprechenden Versuche am
menschlichen Vorderarm „eine im Verlaufe weniger Stunden ein¬
setzende mässige typische spezifische Lichtentzündung, die tagelang
anhielt“, und beim Finsenlicht eine „im Vergleich zur obigen sehr
geringe spezifische Lichtentzündung“. Ausserdem entwickelte sich
in der Mitte der belichteten Zone eine kleinerbsengrosse Brandblase,
nachdem daselbst die Haut von Anfang an lebhaft gerötet war; es
wurde an dieser Stelle über lebhaftes Hitzegefühl während der letzten
10 Minuten der Belichtung geklagt. Diese letzte Erscheinung ist um so
auffallender, als bei den gewöhnlichen, doppelt so lange dauernden
Finsenbestrahlungen eine Brennwirkung nur dann auftritt, wenn das
Druckglas nicht gut angedrückt oder ein .anderer Fehler in der Technik
vorliegt. Ich wiederholte nun den Versuch nochmals mit peinlichster
Befolgung der technischen Vorschriften an meinem eigenen, sonst auf
Licht sehr leicht reagierenden Vorderarm (Volarseite). Aber .auch
dieses Mal ohne Erfolg. Weder konnte ich ein Hitzegefühl während
oder direkt nach der Bestrahlung wahrnehmen, noch trat irgend¬
welche spezifische Lichtentzündung auf. Ka¬
ninchenohr, wiebestrahlteHautstelle fühlten sich nach
Absetzen des Quarzfensters bezw. der Drucklinse vollständig
kalt an.
Diese Resultate stehen übrigens .auch ganz im Einklänge mit
den Untersuchungen Zielers1). Zieler prüfte die Einwirkung
des Finsenlichtes auf die Haut auch an Kaninchenohren, die er mit
der Drucklinse fest gegen den Oberkörper des Tieres presste und
dann 75 Minuten lang bestrahlte. Trotz dieser mehr wie das Dop¬
pelte betragenden Bestrahlungsdauer sagt er: „Veränderungen an der
Haut des Rückens, auf der die bestrahlte Stelle angedrückt war,
habe ich nie beobachtet. Das scheint mir auch dagegen zu sprechen,
dass in der Tiefe der Gewebe eine Wärmewirkung zustande käme!
die an der Oberfläche durch die Kontaktkühlung verhindert wird.“'
Die Ansicht Wichmanns, dass „die starke Lichtentzündung,
die das kurzwellige Ultraviolett an der Oberfläche hervorruft, viel¬
leicht die Passage der tiefergehenden Strahlen verhindert“, ist wohl
theoretisch ebenso anfechtbar, wie sie praktisch nicht erwiesen ist.
Der mitgeteilte Pall von geheiltem chronischen Ekzem durch Quarz-
hchtbestrahlung mit Anwendung von einem Lichtfilter nach erfolgloser
Quarzweisslichtbehandlung dürfte sich auch anders erklären lassen
Aus den Untersuchungen von Hans Jansen2) im Finsen sehen
Lichtinstitut geht vielmehr hervor, dass das Vorhandensein der
äusseren ultravioletten Strahlen bei Einwirkung des Lichtes wenig¬
stens auf Bakterien nach Durchtritt durch 0,8 mm dicke Haut keinerlei
Einfluss auf die Tötungszeit hat (Versuch No. 45). Jansen be¬
strahlte Prodigiosuskulturen durch Quarzfilter und Glasfilter (Glas lässt
die äusseren ultravioletten Strahlen nicht passieren); hätte die An¬
wesenheit der kurzwelligen Strahlen bei dem Versuch mit dem Quarz-
filter den tiefer wirkenden Strahlen die Passage durch die zwischen
Lichtquelle und Bakterien ausgespannte 0,8 mm dicke menschliche
Haut erschwert, so würde die Abtötung der Kulturen nicht in derselben
Zeit ei folgt sein. Dass schliesslich die bei der lebenden Haut nach
einigen Stunden einsetzende oberflächliche Reizung (Lichterythem)
den gleichzeitig mit den kurzwelligen Strahlen einwirkenden tiefer¬
wirkenden die Passage erschweren sollte, ist billigerweise nicht an¬
zunehmen.
Gei ade diese starke Oberflächenreizung, die auch bei Anwendung
des Blaufilters noch viel stärker ist, als die nach Finsenbestrahlungen,
ist uns ein zweiter Beweis dafür, dass die Quarzlampe (ganz abge¬
sehen von ihren sonstigen Vorzügen) nicht „dem Finsenapparate in
jedei Beziehung vorzuziehen ist“, wenn anders wir die bequeme
Handhabung der Lampe nicht durch die Unsicherheit und Schmerz¬
haftigkeit der Behandlung erkaufen wollen.
Die ausführliche Mitteilung unserer diesbezüglichen Versuche
und Erfahrungen erfolgt in der Dermatologischen Zeitschrift 3), worauf
ich verweise.
Eine neue Milchpumpe.
In seiner Arbeit „Ueber die Behandlung der angeborenen Le¬
bensschwäche“ unterzieht Herr Prof. Pfaundler auch die von mir
angegebene * *) Milchpumpe einer Besprechung, die ich nicht un¬
erwidert lassen möchte.
Herr Prof. Pfaundler hält mein Modell weder für nötig,
noch für zweckimässig. Die Gründe aber, die ihn zu diesem Urteile
veranlassen, kann ich als stichhaltig deshalb nicht anerkennen, weil
aus dem Aufsatze hervorzugehen scheint, dass Herr Prof. Pfau nd -
ler die Pumpe überhaupt nicht kennt, und, wenn dies der Fall, die
Abbildung der Pumpe (nebst Text) missverstanden hat. Wenn die
Milch nach Herrn Prof. Pfaundler bei meinem Modell „aus dem
Rezipienten durch eine mit Gummistopfen verschlossene Ocffuung
direkt“ entleert werden soll, so bedauere ich lebhaft, Herrn Prof.
G Ueber die Wirkung des Finsenlichtes auf die normale Haut
Dermatol. Zeitschr., Bd. XIII.
G Mitteilungen aus Finsens Lichtinstitut. Bd. IV.
•’) Inzwischen erschienen (August-Nummer).
*) s. Münch, med. Wochenschr. 1907, H. 3.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1739
Pfaundler darauf aufmerksam machen zu müssen, dass in meiner
Mitteilung von einer mit Gummistopfen versehenen Ausfluss-
öffnung überhaupt nicht die Rede ist. , .
Ich hob vielmehr besonders hervor, dass der Abfluss 1 e d i g -
lieh durch Lockerung eines Glasstabs geschehe. Dieser, wie ich be¬
tonte, „schliessende Glasstab“ (Gummi hat an dieser Stelle gar keine
Verwendung gefunden), ist nur durch gegenseitigen Mattschliff mit
der Ausflussöffnung (in der Figur bei d) derart verbunden, dass me
vollkommen dichter Abschluss erzielt wird.
Wie Herr Prof. Pfaundler den Zweck meiner Pumpe (mit dei
lieh vermeiden will, dass die dem aus irgend einem Grunde saug¬
unfähigen Kinde zuzuführende Muttermilch nicht durch Ausgiessen
über das Brustansatzstück hinweg eventuell bakteriell verunreinigt
werde) „viel einfacher und praktischer durch eine stärkere Ausbuch¬
tung des Rezipienten selbst“ erreichen will, ^gonn'
Theobald Kerner +.
In der Deutschen Literaturgeschichte sind die Beispiele
nicht gerade selten, dass Dichtergabe und Arztberuf sich in
einer Person vereinigen. Es mag der klare Einblick dei Aeizte
in die realen Verhältnisse des Lebens die Flucht in die Arme des
Reiches der Dichter befördern; gerne ruht der im Haine der
Poeten aus, dem die Natur den Sinn für die Kunst verliehen
und in ihr das vollwertige Gegengewicht gefunden gegen¬
über den Mühen und Sorgen des Alltagslebens. Ein solcher
Poet und Arzt zugleich ging am 11. August ds. Js. nach einem
neunzigjährigen Leben zur ewigen Ruhe, der weit über die
Grenzen seines engsten Heimatlandes, Schwaben, hinaus bc-
kannt und verehrt war, 1 heobald Kerner in Weinsberg,
der Sohn des bekannten Justin us Kerner, dem das
deutsche Volk so manche tiefempfundene Dichtergabe ver¬
dankt und der ebenfalls ein Arzt war. Bekanntlich war Ju-
stinus einer der besten der schwäbischen Dichterschule, zu
der U h 1 a n d, S c h w a b, Anastasius Grün, der schwermütige
Nikolaus Lenau und Graf Alexander von Württemberg
gehörten, jener Kreis von Dichtern, die dem deutschen Volke
so eigenartige, heute kaum mehr begreifbare Gefühlswerte
schufen, auf denen das deutsche Volkslied basiert und sich eine
unvergängliche Existenz sicherte.
In dieser Umgebung wuchs Theobald Kerner als der
Sohn des geistvollen, wenn auch vielleicht zu schwärmerisch¬
mystisch angelegten Poeten und Arztes Justinus und. seiner
treuen Lebensgefährtin, dem „Rickele“, auf. Schon frühzeitig
nahm den aufgeweckten Jungen der Vater mit auf die Land¬
praxis und die Neigungen seines Vaters, die Liebe zum Arzt¬
beruf und die Gabe der Dichtkunst gingen auf den Jüngling
über. In dem Schlafzimmer des traulichen Dichterheimes, des
Kernerhauses, das griinumrankt in dem lieblichen Weinsberg
mit seiner sagenumwobenen „Weibertreu“ idyllisch dem W an¬
derer entgegengrüsst, lebte lange die bekannte, vielumstrittene
Seherin von Prevorst“, hier übte Justinus Kerner seine
hypnotischen Künste aus, an der Tafelrunde sah der junge
Theobald neben den oben erwähnten Vertretern der schwä¬
bischen Dichterschule Ludwig T i e c k, Eduard M ö r i c k e und
den grossen Theologen David Friedrich St raus s, sodass in
der Seele des aufwachsenden Jünglings schon mancherlei an
geistigen Eindrücken und nie verwelkenden Gedanken sich
festgesetzt hatte, als er achtzehnjährig die Universität Tübingen
und bald darauf München aufsuchte, um Medizin zu studieien.
Hier pflegte er den kranken Clemens Brentano. Nach
einem längeren Aufenthalt in Wien und Würzburg liess sich
dann Theobald Kerner in seinem Heimatsorte Weinsberg
nieder, wo er seinen Vater in der ausgedehnten Praxis unter¬
stützte. _ , , ,
Die politischen Verhältnisse von 1848 zogen alsdann den
lebhaften jungen Arzt in ihren Strudel. K e r n e r war ein
eifriger Demokrat. Er nahm an den politischen Wirren einen
so aktiven Anteil, dass bald seines Bleibens in der schwäbischen
Stadt nicht mehr war. Kerner musste nach Strassburg
flüchten. Zwei Jahre, später hatte er zehn Monate Festungs¬
haft auf dem Hohenasperg zu verbüssen, die er seiner Unvor¬
sichtigkeit verdankte, mit der er 1850 ins Kernerhaus zuruck -
zukehren wagte, als er die Nachricht von einei schweren , r-
krankung seiner Schwester in Strassburg erhalten hatte. Kurz
darauf ging er nach Stuttgart und begründete hier eine galvano¬
magnetische Heilanstalt. Die Nervenkrankheiten und ihre Be¬
handlung mittelst Hypnose und Suggestion waren seine be¬
sondere Liebhaberei. Durch die Macht seiner gewinnenden
Persönlichkeit wirkte er in weiten Kreisen ausserordentlich
segensreich, und nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Weins-
berg, wohin er 1863 zurückkehrte, schuf er sich einen Wir¬
kungskreis von grosser Ausdehnung. Die Landbevölkciung
in und um Weinsberg verehrte in ihm einen stets bereiten, sach¬
kundigen und von reichen Erfolgen begleiteten Arzt.
Er war nicht ein lehrender Arzt, der einen grossen Kreis
von Schülern um sich gesammelt hätte, sondern ein Helfer in
der Not im wahren Sinne des Wortes, ein Mann von umfassen¬
den Kenntnissen, die ihm in der Praxis der inneren und Nerven¬
krankheiten in erster Linie, in der Behandlung der Geistes¬
störungen, aber auch in Geburtshilfe und dei kleinen Chirurgie
sehr zu statten kamen. Ein Arzt, der gleichzeitig Dichtei ist,
verfügt über besondere Fähigkeiten auf dem Gebiete des Ge¬
fühlslebens, und gerade dieses Können verleiht ihm oft da be¬
sonderen Erfolg, wo mancher nüchterne Philister trotz der
besten wissenschaftlichen Kenntnisse versagt. So wirkte er
aufrichtend und tröstend bei zahlreichen Kranken, die nicht so¬
wohl die Krankheit selbst als auch die weltverzagende Lebens-
anschauung zu einem Opfer der Härten des Lebens gestempelt
hatte. Die Allgewalt der Natur war in Kerners Gedanken¬
kreis der beste Helfer des Arztes.
„Wer von den Aerzten ist verlassen,
O 'der ist darum nicht allein,
Er darf nur liebend dann umfassen
Natur, das treue Mütterlein.
Wo nicht mehr helfen Pulver, Pillen,
Essenzen, Salben und Mixtur,
Da heilt, vereint mit festem Willen,
Die Kraft der lebenden Natur.“
Das sind Worte eines Arztes, der gegenüber Seelen¬
kranken und Verzagenden mit einer gesunden Lebensphilo-
sophie zu Werke ging und dann seines Erfolges sicher war,
aber auch eines Menschen, der in dem Studium und in dem
offenen Blick für das Reale des Lebens seinen Charakter bildete
und seine wohlbegründete Lebensanschauung, sodass ei singen
konnte: „
„Was ist der Mensch? Ein welkes Blatt,
Vom Fatum hin und her getrieben.
Ein Blatt, das in den Staub zerfällt
Mit seinem Hoffen, Hassen. «JLieben.
O armes, kleines Menschenherz.
Wozu Dein unruhvolles Schlagen?
Wie kurz noch wird es sein — und kalt
Und starr wirst Du hinaus getragen.
Viel Bäume stehn im Kirchhofraum .
Der Herbstwind spielt in ihren Zweigen — :
Wie Blatt für Blatt herniederfällt,
So muss zur Erd sich alles neigen.“
Ich lernte den Dichter im Jahre 1880 in Stuttgart kennen
und führte bis zum Beginne meiner Studienzeit einen Brie -
Wechsel mit ihm, der mir manche Freude bereitete. Im Jahre
1893 besuchte ich den damals 76 jährigen Dichter und verlebte
im traulichen Kernerhause mit Theobald und Frau Else
einen unvergesslichen Tag. Ein Bild eines poetischen, glue '-
liehen Hauslebens zeigte mir der herz- und gemiiterfreuendc
Aufenthalt. Der greise Dichter und Arzt zeigte mir die eigen¬
artigen zahlreichen Heiligtümer der historischen Statte, lange
standen wir, von mancherlei Rätseln des Lebens plaudernd vor
dem herrlichen Bilde der Seherin von Gabriel M a x, er nihrte
mich durch die finsteren, von vergangenen Zeiten raunenden
Gänge des Geisterturmes der „Weibertreu“, in dem einst
Nikolaus Lenau seine Geige schwermütig-leidenschaftlich et -
klingen liess, wir vertieften uns in so manchen Spruch, der a
jener Burg in die Mauern von bekannten Poeten der langst
dahingegangenen Zeit der Wanderpoesie und Burgromaiiük ein-
gemeisselt steht, wir plauderten von der glücklichen Ver¬
einigung des Dichtergemütes und der Arztseele und fühlten uns
eins in dem Gedanken, dass nur der vollkommen ein Mens
sein kann, dessen Seele nicht nur Leid und Freude des Berntes,
sondern auch das Leben und die Welt umtasst.
Ein Leben von 90 Jahren fand am 11. August seinen Ab¬
schluss, als Theobald K e r n e r für immer che t^,ger> sec.h
ein Leben reich an Erfahrungen und Betätigung. Kern c
ragte mit seinem Denken und Empfinden hinein in eine Zeit,
1740
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
die sich in ihren geistigen Emanationen weit von dem Ge¬
dankenkreise unterscheidet, der den Dichtern und Denkern der
schwäbischen Dichterschule Leben und Kraft gab, sodass auch
Kerner dem Zuge der geistigen Entwicklung in den beiden
letzten Jahrzehnten seines Lebens nicht mehr zu folgen im¬
stande war. Auch er war ein Kind seiner Zeit, aber einer
Zeit, die an Gemütstiefe und seelischem Gehalt ausserordent¬
lich hoch einzuschätzen ist. Er war als Arzt ein Mann, der
gewirkt und gewaltet weit über das Mass des Alltäglichen hin-
ausgehend, er war ein Mensch, der, frei von einengender
Dogmatik, seine Lebensanschauung verfocht im Sinne eines be¬
freienden Idealismus. Wenn er dabei von Fehlern, von Ueber-
treibungen und Zeitungemässem nicht frei blieb, wer will darum
das Gesamtbild herabsetzen wollen? —
An poetischen Werken gab Theobald Kerner einen um¬
fangreichen Gedichtband 1879 heraus, 1852 erschien ein reizen¬
des Kinderbuch „Prinzessin Klatschrose“, später folgten „Der
Einsiedler in der Weibertreu“, das Lustspiel „Der neue
Ahasver" und das literaturhistorisch hochbedeutsame Buch:
„Das Kernerhaus und seine Gäste“. Ausserdem gab er Justinus
Keiners „Klecksographien“, eine höchst amüsante Schrift
heraus. F. Köhler, Holsterhausen-Werden (Ruhr).
Referate und Bücheranzeigen.
Die Anatomie der Taubstummheit. Herausgegeben im
Aufträge der Deutschen otologischen Gesellschaft von Prof.
Dr. Denker. Vierte Lieferung. Wiesbaden, Verlag von
J. F. Bergmann, 1907.
Die vorliegende vierte Lieferung enthält die eingehende
histologische Untersuchung der beiden Gehörorgane an Serien¬
schnitten von zwei erwachsenen Taubstummen, über welche
Denker- Erlangen und Schwabach - Berlin berichten.
Leider konnte in beiden Fällen eine genauere Anamnese
nachträglich nicht mehr erlangt werden, und fehlt auch eine
Gehörsprüfung. Trotzdem kommt denselben unser volles In¬
teresse zu. In beiden Fällen konnte schon aus dein patho¬
logisch-anatomischen Befund allein mit Sicherheit geschlossen
werden, dass eine angeborene Form von Taubstummheit
vorlag. Frischere, gleichzeitig vorhandene Prozesse konnten
mit Leichtigkeit von den der Taubheit zu gründe liegenden
Veränderungen geschieden werden, so in dem Denker sehen
Falle, der an Apoplexie zu gründe gegangen war, ein Blut¬
extravasat in die Akustikusscheide, welches bis in die Lamina
spiralis ossea der Schnecke vorgedrungen war, ferner in dem
Schwabach sehen Falle eine Krebsmetastase im Stamm des
Nervus acusticus (der Kranke war einem Carcinoma ventriculi
erlegen) und endlich die Veränderungen am Nervus acusticus,
welche früher als Neuritis aufgefasst wurden und neuerdings
von Nager als postmortale Artefakte gedeutet worden sind.
Die der I aubstummheit zu gründe liegenden Anomalien
betreffen in beiden Fällen nur den Ramus inferior des Nervus
acusticus und lassen den Ramus vestibularis frei. Im Schwa-
b a c h sehen Falle beschränken sie sich auf die nervösen Ele¬
mente der Schnecke und des Sacculus, im D e n k e r sehen
ausschliessli c h auf die Schnecke; Akustikusstamm
und auch der Sacculus sind normal. Wir haben
so in) t h i.e r den ersten Fall, in welchem die ana-
tomischeVeränderu n g genau und ausschliess-
a u i dieStelle lokalisiert ist, welcher nach der
I heorie von H e 1 m h o 1 1 z die Gehörsfunktion
z u h o m m t. Die Anomalien am C o r t i sehen Organ, an der
Stiia \ ascularis und das Fehlen, resp. die interessante Form
\ on rudimentärer Entwicklung der Membrana tectoria, wie sie
zuerst von Scheibe bei Taubstummen beschrieben worden
ist, charakterisieren beide Fälle als angeborene Form von
I aubstummheit. Stellenweise fand sich in beiden Fällen das
an anderer Stelle der Schneckenskala fehlende oder rudi¬
mentäre C o r t i sehe Organ so gut entwickelt, dass der Schluss
auf noch vorhanden gewesene Hörreste bei den beiden Taub¬
stummen wohl berechtigt erscheint.
Diese Fälle zeigen, welche hohe Bedeutung einer bei allen
raubstummen durchgeführten genauen Hörprüfung mit der
kontinuierlichen Tonreihe zukommt, wie sie vom Deutschen
Reichsgesundheitsamt verlangt wird, und legen den Wunsch
nahe, dass diese Funktionsprüfung in die Hände von fachkun¬
digen Ohrenärzten gelegt wird. Wäre eine solche Prüfung
bei den obigen beiden Fällen während des Lebens vorausge¬
gangen, so hätten sie einen zwingenden Beweis für die Richtig¬
keit der H e 1 m h o 1 1 z sehen Theorie liefern können.
B e z o 1 d.
E. Korschelt: Regeneration und Transplantation. Jena,
G. Fischer, 1907. 286 Seiten. M. 7. — .
Das äuserst sorgfältig und übersichtlich abgefasste Werk
aus der Feder des bekannten Marburger Zoologen ist die aus¬
führliche Veröffentlichung eines auf der letzten Stuttgarter
Naturforscherversammlung gehaltenen Vortrags. Im ersten
und grösseren Hauptteil des Buches wird die Regeneration auf
breitester Grundlage behandelt. Selbst auf die Regeneration
der Pflanzen und der Kristalle wird zurückgegriffen, dann die
Regeneration der einzelligen Tiere, schliesslich die der Meta¬
zoen behandelt. Ausführlich werden die verschiedenen For¬
men der Regeneration besprochen und sämtlicher biologischer
mit dem Prozess der Regeneration verbundener Vorgänge ge¬
dacht. Ein kleineres zweites Kapitel behandelt die Transplan¬
tation, aber gerade dieses dürfte für den Mediziner von grösse¬
rem Interesse sein, da die verschiedenen, auch für die prak¬
tische Chirurgie bedeutungsvollen Transplantationen (Haut,
Knochen, etc.) besprochen werden. Jedoch wird auch hier
weit ausgegriffen und ebensowohl die in neuerer Zeit so oft
geübte embryonale Transplantation wie die Transplantation
an Protozoen und Wirbellosen behandelt.
S-obotta - Würzburg.
FL Krohn, Nervenarzt, Berlin: Nervenkrankheiten in
ihren Beziehungen zu Zahn- und Mundleiden. Berlin 1907.
L. Marcus.
Der Verfasser hat es verstanden, in klaren und übersicht¬
lichen Bildern auch den Nichtneurologen in die wichtigen
Grenzgebiete zwischen Stomatologie und Neurologie einzu¬
führen. Ein Eingehen auf den Inhalt im Einzelnen würde den
Rahmen des kurzen Referates überschreiten. Nur soviel sei
betont, dass die einzelnen Krankheitsformen und ihre Be¬
ziehungen zur Stomatologie durch klassische Beispiele aus der
Literatur und aus eigener Praxis vorzüglich beleuchtet sind.
Die Lehre von He ad wird ausführlich besprochen; die ein¬
zelnen Phasen der Trigeminuserkrankung erfahren eine ebenso
eingehende Würdigung, wie die wichtigen Kapitel der Epilepsie.
Hysterie und Neurasthenie; Tabes dorsalis, Diabetes und
Urämie sind nicht vergessen. Die Beziehungen zwischen
Mund und Auge resp. Ohr werden kritisch durchgesprochen.
Hypnotismus, Suggestion und Psychotherapie schliessen den
Reigen der zwölf Vorträge, die nach Form und Inhalt unser
Interesse bis zuletzt wachhalten. Ein reichhaltiges Literatur¬
verzeichnis hebt den Wert des Buches. Ein eingehendes Stu¬
dium desselben ist nur zu empfehlen. F. K e h r - Stettin.
Die Begutachtung der Unfallverletzungen. Leitfaden zur
Untersuchung und Beurteilung Unfallverletzter, riebst Zusam¬
menstellung der häufigsten Verletzungen und deren Folgezu¬
ständen. Von Prof. Dr. Eduard Pietrzikowski, Privat¬
dozent an der k. k. deutschen Universität und ärztlicher Sach¬
verständiger des Schiedsgerichts der Arbeiterunfallversiche¬
rungsanstalt in Prag. Besonderer Teil. 706 Seiten.
Berlin 1907. Fischers medizin. Buchhandlung H. Korn-
f e 1 d. Preis 13 Mk.
Seitdem der allgemeine Teil dieses Werkes erschienen ist,
sind fast 3 Jahre vergangen. Die damals ausgesprochenen Er¬
wartungen sind in jeder Hinsicht in Erfüllung gegangen, so dass
die Wahrheit des Satzes „was lange währt, wird gut“ sich hier
vollauf bestätigt. Nach Körperabschnitten geordnet werden die
einzelnen Verletzungen, die durch sie hervorgerufenen Schä¬
den, die funktionellen Berufsstörungen und deren Folgezustände
detailliert erörtert, sowie unter Beifügung wertvoller ana¬
tomisch-physiologischer, klinisch-semiotischer und chirurgi¬
scher Vorbemerkungen und an der Hand typischer Beispiele
aus der reichen Erfahrung des Verfassers eine spezielle An¬
leitung für die Begutachtung der traumatischen Folgezustände
in extenso entworfen. Dem geht die Besprechung der Unter¬
suchung und der Sicherstellung des Befundes nach der Ver-
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
letzurig, im Anschluss hieran zusammengefasst die Begutach¬
tung im allgemeinen, und die verschiedenen Arten der dabei
in Betracht kommenden Sachverständigentätigkeit voraus.
Die Bedeutung der Röntgenstrahlen im allgemeinen und
im besonderen hätte stärker betont werden können ; auch ist die
Myositis ossif. träum, etwas kurz behandelt. S. 163 wären
noch die Mitteilungen von Nonne über die Gewöhnung nicht-
versicherter Verletzter an ihre Defekte, S. 222 die Arbeit von
M a r t i n e k „Die Geistesstörungen infolge von Kopftraumen in
gerichtlich-medizinischer Beziehung“, Dtsch. Med.-Ztg. 1905,
No. 28 _ 32), bei dem Kapitel traumatische Erkrankungen des
Herzens und des Herzbeutels die Bernstein sehe Kompi¬
lation: „Ueber Verletzungen und Erkrankungen des Herzens
durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Brustkorb und ihre
Begutachtung“ (Vierteljahrschr. f. gerichtl. Med. 1905, H. 4) zu
erwähnen, auch die funktionelle Herzdiagnostik und die wich¬
tigeren Arbeiten hierüber sind nicht genügend gewürdigt.
Doch vermögen diese kleinen Mängel gegenüber den gros¬
sen Vorzügen das Urteil, dass das Ganze ein wertvolles Werk
zum systematischen Studium und ein zuverlässiger Ratgeber
in strittigen Fällen der Unfallbegutachtung ist, nicht zu be¬
einträchtigen. Schwab- Berlin-Schöneberg.
Dr. Hermann Pfeifer: Die Vorschule der gerichtlichen
Medizin. Dargestellt für Juristen. Mit 62 Abbildungen im
Text. Leipzig, Verlag von F. C. W. V o g e 1, 1907. 294 Seiten.
Preis 8 M.
Zwei Momente sind es, denen das vorliegende Buch seine
Entstehung verdankt: Einmal geht der Verfasser von der
Schwierigkeit aus, die der Lehrer der gerichtlichen Medizin
bei der Darstellung seines Stoffes zu überwinden hat, wenn er
vor einem zum Teil aus Juristen bestehenden Auditorium vor¬
tragen soll; da er infolgedessen bei vielen seiner Zuhörer nicht
die Kenntnis der wichtigsten seiner Materie zugrunde hegenden
naturwissenschaftlichen Tatsachen voraussetzen kann, so ist er
deshalb auf Schritt und Tritt genötigt, diesen Aufklärungen eine
beim Umfang des zu bewältigenden Stoffes nur allzugrosse
Breite einzuräumen!
Zweitens glaubt Verfasser mit Recht, dass es für einen
dem Richterstand zustrebenden Juristen recht wünschenswert
wäre, ja unerlässlich sei, über ein gewisses Mass von natur¬
wissenschaftlichem Verstehen zu verfügen, das in überaus
nützlicher Weise sein wissenschaftliches Denken und sein rich¬
terliches Handeln zu beeinflussen imstande sein müsste.
Auf Grund dieser beiden Erwägungen hat Verfasser den
vorliegenden Leitfaden geschrieben, in dem er dem Juristen in
meist knapper und präziser, fasslicher Form und unter Bezug¬
nahme auf seine Interessensphäre die wichtigsten naturwissen¬
schaftlichen Grundphänomene darzustellen sucht; in Form von
10 Vorlesungen werden die wichtigsten allgemeinen biologi¬
schen Tatsachen, die Anatomie und Physiologie sowie einzelne
Kapitel aus der Pathologie des menschlichen Organismus er¬
läutert, wobei überall kurz auf die einschlägigen gerichtlich¬
medizinischen Gesichtspunkte hingewiesen wird, da sich ja
der Leitfaden an das Kolleg über forensische Medizin eng an¬
schmiegen soll.
Zweifellos sind die oben geschilderten Voraussetzungen
für die Abfassung eines derartigen Buches vollauf richtige; der
Lehrer für gerichtliche Medizin kann es daher nur mit Freude
begrüssen, wenn damit dem naturwissenschaftlich nicht vor¬
gebildeten Zuhörer ein Leitfaden in die Hand gegeben wird,
der dem Vortragenden gewiss seine Aufgabe erleichtert, indem
er ihn, wie erwähnt, wesentlich entlastet, und so wäre es nur
zu wünschen, dass sich die Studierenden auch mit dem
Buch recht befreunden. Andererseits wird es sicher auch wegen
seiner knappen, dem Zweck angepassten Darstellung und sei¬
ner Handlichkeit dem- b e a m t e t e n Juristen ein will¬
kommenes Nachschlagebuch werden.
H. Merkel- Erlangen.
Handbuch der ärztlichen Sachverständigentätigkeit. He¬
rausgegeben von Prof. Dr. Paul D i 1 1 r i c h - Prag. Liefe¬
rungen 5—11. Verlag von Wilhelm Braumüller, Wien und
Leipzig 1906 und 1907. Preis der Lieferung 5 Mark — 6 Kronen.
Von dem gross angelegten Werke, dessen erste Lieferungen
bereits in dieser Wochenschrift (1906, S. 1480) besprochen sind,
sind einige weitere erschienen.
1741
Prof. Dr. C h i a r i - Prag bearbeitete „Die Leichen-
erschein ungen und die Leichenscha u“ (344 Sei¬
ten) und fügte der ausführlichen Besprechung der ersteren,
deren Kenntnis für den Gerichtsarzt noch weit wichtiger ist
als für den pathologischen Anatomen, die gesetzlichen Bestim¬
mungen über die Leichenbeschau an, für die österreichiscnen
Kronländer im Wortlaute, für die deutschen Bundesstaaten nach
einer übersichtlichen Darstellung v. Boltensterns.
In dem Kapitel „Behördliche Obduktionen“
(354 Seiten) gibt Prof. Dr. Haberda -Wien aus seiner reichen
fachmännischen Erfahrung heraus unter Beifügung praktischer
Beispiele detaillierte sachkundige Erläuterungen für die Vorbe¬
reitung und Durchführung der Sektion, die Erhebung, Deutung
und Protokollierung des Befundes, sowie für die Abfassung des
Sektionsgutachtens. Den Nutzen der Sektionsregulative schätzt
H. nicht sehr hoch ein, speziell hält er ganz bestimmte und
bindende Vorschriften für ungut; welcher Technik sich die
Obduzenten bedienen, darauf soll es gar nicht ankommen,
Jeder mag sezieren wie er es gelernt hat. Um so mehr aber
fordert H. eine gründliche Ausbildung der Gerichtsärzte, auch
der Obduzenten, damit sie den gestellten Anforderungen ge¬
wachsen sind.
Statthaltereirat und Landessanitätsreferent Dr. Neto-
1 i t z k y - Wien bearbeitete, in 17 Abschnitten übersichtlich ge¬
ordnet (552 Seiten), die „Oesterreichischen Sani¬
tät s g e s e t z e“, die zu manchem interessanten Vergleiche
mit der reichsdeutschen Gesetzgebung Veranlassung geben;
sehr beachtenswert, weil den hygienischen Forderungen weit¬
gehend Rechnung tragend, ist die österreichische Schul- und
Unterrichtsordnung für Volks- und Bürgerschulen vom 29. Sep¬
tember 1905. Ein eigenes Sachregister für diesen Abschnitt
oder mindestens einelnhaltsiibersicht könnten dasNachschlagen
erleichtern. Dr. Karl B e c k e l - München.
Spyrsdow C. Zavitzianos: Die Hygiene der Heere.
(Griechisch geschrieben.) Corfu. 253 Seiten. 1906. Preis
5 Drachmen.
Verfasser bespricht sehr ausführlich die Hygiene der
Heere des Altertums, des Mittelalters und besonders der jetzi¬
gen Zeit. Das sehr interessante Buch füllt eine Lücke in der
militärmedizinischen Literatur. K.-Paris.
Franciscus de Boe Sylvius: De Phthisi. Neu heraus¬
gegeben und zum ersten Mal in das Deutsche übersetzt von
Dr. Oskar Seyffert, Stabsarzt a. D. Berlin 1907. Verlag
von Julius Springer. 89 S. Preis M. 3.—.
Lob der Heilkunst. Ein Vortrag des Desiderius
Erasmusvon Rotterdam. Aus dem Lateinischen über¬
tragen und erläutert von Prof. Dr. Ludwig Enthoven.
Strassburg 1907. Verlag J. H. Ed. H e i t z (H e i t z & Mun-
d e 1). 71 S. Preis M. 2.—.
Es ist aus mehreren Gründen auf das Freudigste zu be¬
grüssen, dass in der allerletzten Zeit die Pflege und das Stu¬
dium der Geschichte der Medizin mehr Freunde finden und dass
die Möglichkeit sich mit dieser zu beschäftigen durch Ueber-
setzungen wertvoller historisch-medizinischer Arbeiten grösser
geworden ist. In diesem Sinne haben sich auch die Verfasser
resp. Uebersetzer vorstehender Werke ein nicht geringes Ver¬
dienst erworben. Wer nicht in der Lage ist, sich Originalaus¬
gaben solcher Bücher zu beschaffen, der möge es nicht ver-
säumen, seine Bibliothek mit solchen Uebersetzungen^ die
.hoffentlich immer zahlreicher werden — zu zieren. " Er wird
in Mussestunden viel Genuss und gewiss auch manchen Ge¬
winn daraus ziehen. Fritz L o e b.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 90. 5. u. 6. Heft.
24) M. Otten: Beiträge zur Kenntnis der Staphylomykosen.
Aus der Direktorialabteilung des Eppendorfer Krankenhauses.)
Den bekannten 33 Fällen von Lenhartz fugt die Albert --
leue an mit folgender Eintrittspforte: 5 mal hurunkel (davon ^ +),
»mal Hautverletzungen oder Panaritien (davon 5 i ), 4maKc
lauterkrankungen (Rachen, Blase, Endometrium, davon 2- F), 6 mal
Dsteomyelitis (davon 4 +), 1 mal unbekannte fcinti ttsp .
(okken fanden sich meist im Blute, aber auch im Liquor ter*!’ Pn.
lalis, im Harn und in den meist zahlreichen metastatischen Abszessen,
18 mal fand sich Staphyloc. aurens, 4 mal albus. Ei gab d
»uchung steriles Blut, war die Zahl der Metastasen beschrankt, so
1 742
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
w ar die Prognose günstiger. Häufig fand sich ulzeröse Endokarditis
(die 7 mal von den Harnwegen ausging), jedenfalls häufiger als bei
den Streptomykosen. Bei ausgedehnter Bakteriämie und reichlichen
Metastasen ist die Therapie ohnmächtig; sonst kann nur rasches,
energisches chirurgisches Vorgehen (Osteomyelitis, Leber-, Gehirn¬
abszess) Hilfe bringen. Von den insgesamt 55 Fällen sind 11, also
20 Proz. mit dem Leben davongekommen und geheilt entlassen
worden.
25) H. Gerhartz: Zur Frage des Stethoskopes.
Es gibt keine brauchbare Methode, Töne oder Geräusche ohne
Veränderung ihres Charakters zu verstärken;
Phonendoskop. Membranstethoskop, Mikrophon bedingen eine Reihe
von Fehlern. Die Hauptsache ist vielmehr, die Geräusche mög¬
lichst verlustfrei fortzuleiten, indem man die allseitige Aus¬
breitung der Schallwellen in die Luft verhindert; das geschieht durch
das gewöhnliche Stethoskop oder durch das Parabelstethoskop, das
Verf. angegeben. Wenn beide auch nicht immer allen Anforderungen
genügen, so reichen sie doch für die Praxis aus, besonders wenn man
die unmittelbare, event. die ösophageale Auskultation damit verbindet.
26) M. Käppis: Die Perforation eines Aortenaneurysmas in
die Pulmonalarterie. (Aus der med. Klinik Freiburg.) (Mit 4 Abbil¬
dungen.)
Auf Grund einer eigenen Beobachtung werden zunächst die
Schwierigkeiten der Diagnose beleuchtet, dann die übrigen 32 in der
Literatur niedergelegten Fälle klinisch gewürdigt, insbesondere die
Differentialdiagnose ausführlich besprochen.
27) H. Stursberg: Ueber das Verhalten des systolischen und
diastolischen Blutdrucks nach Körperarbeit, mit besonderer Berück¬
sichtigung seiner Bedeutung für die Funktionsprüfung des Herzens.
(Aus der med. Klinik zu Bonn.)
Bei normalen Personen war unmittelbar nach Schluss einei
Arbeitsleistung stets eine Steigerung der in der Zeiteinheit geleisteten
Herzarbeit nachweisbar. Nur 1 mal hatte diese ihren Grund in aus¬
schliesslicher Vermehrung der Zahl der Kontraktionen, in allen ande¬
ren Fällen war eine Vergrösserung der vom Herzen durch einmalige
Zusammenziehung geleisteten Arbeit anzunehmen. In der Mehrzahl
der Fälle war eine Vermehrung des Schlagvolumens erkennbar. Ein
Zusammengehen von Puls und Blutdruck, d. h. ein gleichmässiges
Steigen und Fallen beider, war nicht festzustellen.
Bei Neurasthenischen, besonders bei solchen mit Erscheinungen
seitens des Zirkulationsapparates, ist meist schon in der Ruhe
die Herzarbeit erhöht. Nicht nur der systolische Druck,
sondern ganz besonders der Pulsdruck und somit das Schlagvolumen
ist gesteigert. Nach körperlicher Arbeit zeigen sie
qualitativ zwar meist etwa die gleichen Verände¬
rungen der Blutdruckwerte wie Gesunde, quanti¬
tativ i s t aber die Zunahme der Herzleistung durch¬
schnittlich grösser als in der Norm, in einzelnen
Fällen ganz beträchtlich erhöht. Diese Erscheinung ge¬
winnt noch an Bedeutung durch die Tatsache, dass die Steigerung
der Fierzarbeit bei Neurasthenikern sich meist schon auf einer höhe¬
ren Ordinate aufbaut als bei Gesunden. Bei Herzklappenfehlern folgt
das Verhalten des Zirkulationsapparates nicht so einfachen Gesetzen
wie bei Herzgesunden; hier scheint der Aenderung des Gefässtonus
eine grössere Bedeutung zuzukommen; durch Zunahme der Gefäss-
spannung kann bei Herzinsuffizienz Blutdrucksenkung verhütet, in
anderen Fällen kann durch Nachlass der Spannung Drucksteigerung
vermieden werden. Aehnliche Vorgänge können vielleicht auch durch
Ueberanstrengung des gesunden Herzens hervorgerufen werden.
Schliesslich werden noch die Verhältnisse des Herzens bei einigen
Nierenkranken, Morb. Basedowii, Addisonii etc. besprochen.
28) W. Pfeiffer: Ueber akute Sublimat- und Oxalsäurevergif¬
tung. (Aus der med. Klinik zu Kiel.)
Kasuistische Mitteilung mit besonderer Berücksichtigung der
Nierenschädigung.
29) R. Geigel- Würzburg: Der tympanitische und der nicht
tympanitische Schall.’. (Mit 4 Abbildungen.)
Im tympanitischen Schall herrscht der Grundton bei weitem
gegen die zurücktretenden Obertöne vor, deswegen ist seine musi¬
kalische Höhe so leicht und sicher zu bestimmen. Beim nicht tym¬
panitischen Schall findet ein deutliches Vorherrschen des Grundtones
nicht mehr statt, wenn man -auch gelegentlich einen höheren und
tieferen tympanitischen Schall unterscheiden kann. Der nicht tym¬
panitische Schall wird durch diskontinuierliche Schwingungen er¬
zeugt, wie sie nur bei gespannter elastischer Wand des perkutierten
schwingungsfähigen Gewebes der Lunge, der Luft eines Hohlraumes
entstehen können. Noch höherer Grad der Diskontinuität der
Schwingungen, wie es bei Hohlräumen mit prallgespannter Wand
Vorkommen kann, erzeugt zum nicht tympanitischen Schall noch den
Metallklang durch Verstärkung der weit abliegenden Obertöne.
Wenn auch ohne scharfe Grenze, lässt sich folgende Stufenleiter auf¬
stellen:
Kontinuierliche Schwingungen: tympanitischer Schall.
Diskontinuierliche Schwingungen: nicht tympanitischer Schall.
Höherer Grad von Diskontinuität: Metallklang. ,
30) Kleinere und kasuistische Mitteilungen.
W. Pfeiffer: Ein Fall von Polyzythämie ohne Milztumor.
(Aus der med. Klinik zu Kiel.)
Kasuistik.
31) Besprechungen. B a m b e r g e r - Kronach.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 87. Band, 1. — 3. Heft,
Leipzig, Vogel, 1907.
1) B o r c h a r d - Posen: Die Verletzungen des Nervus radialis
und ihre Behandlung.
B. berichtet über 12 Radialisverletzungen, von denen 10 opera¬
tiv behandelt wurden. In den 2 nicht operierten Fällen handelte es
sich um eine sog. indirekte Radialislähmung (Stoss gegen die Schippe
eines Mitarbeiters, Stoss beim Hobeln gegen eine harte Stelle im
Holz); beide Fälle gingen in Heilung über.
2 mal machte B. die Naht des durchtrennten Nerven, 1 mal mit
Exstirpation eines Aneurysmas. 3 mal genügte die einfache Nerven¬
lösung, 3 mal musste die Entfernung des Narbengewebes, der
Knochenmassen und Einbettung in Muskelgewebe gemacht werden.
1 mal war die Resektion des laxierten Radiusköpfchens erforderlich,
und im letzten Falle mussten zur Ueberbriickung des 12 cm langen
Defektes die beiden Nervenenden in den Musculo-cutaneus einge¬
pflanzt werden.
B. empfiehlt bei scharfer Kontinuitätstrennung sofort zu ope¬
rieren, bei Kontinuitätstrennungen durch stumpfe Gewalt dann zu
operieren, wenn die durch die Quetschung verursachten Blutergüsse
sich resorbiert haben. Ist die Entscheidung, ob Durchtrennung des
Nerven oder Kompression unsicher, so wartet Verf. 6 — 8 Wochen ab
und operiert dann, wenn keine Besserung eingetreten ist. Bei gleich¬
zeitiger subkutaner Fraktur wartet Verf. die Heilung des Bruches ab
und entfernt dann etwaige drückende Kallusmassen. Der Nerv muss
auch in Weichteile eingebettet werden. Bei verunreinigter äusserer
Wunde wartet B. die vollständige Reinigung der Wunde ab.
2) Doering: Beiträge zur Nierenchirurgie. (Chirurg. Klinik
| Göttingen.)
1. 13 Hydronephrosen, mit einer Ausnahme alle operiert: 7 pri¬
märe Nephrektomien, 2 sekundäre, 2 Nephrotomien, 1 Nephropexie.
Gestorben ist eine Patientin, bei der eine transperitoneale Nephrek¬
tomie gemacht war. D. erklärt die primäre lumbale Nephrektomie
für das ungefährlichste, sicherste und schnellste Mittel zur radikalen
Heilung der Hydronephrose. Die prinzipielle Nephrotomie ist zu
verwerfen.
2. 11 Pyonephrosen, alle operiert: 3 Nephrotomien, 5 Nephro¬
tomien mit sekundärer Nephrektomie, 1 primäre Nephrektomie,
2 Nephrektomien wegen Nierenfisteln. Unmittelbar nach der Opera¬
tion ist ein Patient gestorben. Bei Pyonephrose ist, wenn irgend
möglich, die primäre Exstirpation der Niere vorzunehmen.
3. 17 Fälle von Steinniere: 3 Pyonephrosen, 1 Hydronephrose,
4 Fälle von Anurie, 3 aseptische, 5 infizierte Steinnieren. Bei Hydro-
und Pyonephrosen ist das beste Verfahren die Nephrektomie.' Bei
Anurie ist die doppelseitige Nephrotomie und Extraktion des Steines
geboten. Zur Extraktion der Steine ist die Spaltung durch den Sek¬
tionsschnitt das schonendste Verfahren.
3. F e r t i g - Hanau: Traumatische Leberrupturen mit späterer
Ausstossung grosser Lebersequester.
Das ausgestossene Leberstück war in dem einen Falle hühnerei¬
gross, in dem anderen Falle wurde der ganze linke Leberlappen aus-
gestossen (8,5: 8: 3 cm). Beide Patienten wurden geheilt.
4) Zenikel: Beitrag zur Pathologie des Alveolarechinokokkus.
(Chirurg. Klinik Göttingen.)
Der grosse multilokuläre Echinokokkus des rechten Leberlappens
hatte der Diagnose grosse Schwierigkeiten gemacht. Verf. beschreibt
genau den pathologischen Befund. Makroskopisch hatte der Tumor
ein honigwabenähnliches Aussehen. Seine Hauptmasse war der Koa¬
gulationsnekrose verfallen, nur in der Randzone zeigte sich noch gut
färbbares Granulationsgewebe.
Die weiteren Untersuchungen des Verfassers galten besonders
den Beziehungen des Echinococcus multilocularis zu dem E. hydati-
dosus. Das histologische Verhalten beider Formen lässt auf die Ab¬
stammung von ein und derselben Taenie (Siebold) schliessen.
Zwischen den beiden Formen gibt es alle möglichen Uebergangs-
formen, sowohl was das Wachstum des Parasiten wie die Reaktions¬
erscheinungen im Gewebe des Wirts anbetrifft. Die von P o s s e 1 1
gezüchtete Taenia alveolaris ist identisch mit der gewöhnlichen Taenia
echinococcus von S i e b o 1 d.
5) Braun: Zur Freilegung der zentralen Teile der mittleren
Schädelgrube (Ganglion Gasseri und Sinus cavernosus) und der Hypo¬
physe. (Friedrichshain Berlin.)
Verf. hält das temporale Verfahren Krauses für zweckmässi¬
ge1" und weniger eingreifend als das zvgomatiko-temporale
(Ushing, L e x e r). Empfehlenswert scheint ihm dabei die Preis¬
gabe des Knochens, ferner die Unterbindung der Carotis externa am
Halse und die Hochlagerung des Kranken. Der Weg durch die mitt¬
lere Schädelgrube verdient auch für die Operationen an der Hypo¬
physe Beachtung. Mitteilung von 3 einschlägigen Operationen.
6) A 1 d e h o f f - Halle a. S.: Appendizitis und Ikterus.
A. hat ähnlich wie Reichel im Anschluss an Appendizektomie
unter 147 Fällen 14 mal Ikterus gesehen. 3 der Kranken starben. Es
handelt sich um einen septischen Allgemeinzustand, der sich im An¬
schluss an die Operation wegen Appendizitis ohne jegliche Erschei¬
nung von Peritonitis ausbildet, und dessen hervorragendstes Sym¬
ptom der Ikterus ist. Die Prognose ist zweifelhaft. Der Zustand
kann sich in 2—3 Tagen zurückbilden, aber ebenso rasch den Tod
des Kranken unter Delirien herbeiführen.
27. August 19Ö7.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1743
7) Haeckel -Stettin: Ileus bei Appendizitis.
Ileus kann sich in allen Stadien der Appendizitis entwickeln.
1 im akuten Anfall durch lokale Darmlähmung, 2. durch einen wach¬
senden Abszess, 3. durch Verklebungen von Darmschhngen, die die
Wand eines Abszesses bilden, 4. durch Stränge nach Heilung der
Appendizhis^htet über mehrere einschlägige Fälle. Bei Ileus infolge
von Verwachsung der Dannschlingen mit der Abszesswand warnt
H. die Verwachsungen zu lösen. Man soll lieber eine Enteioanasto-
mose anlegen und den Abszess später eröffnen. Die Lösung der Ver¬
wachsungen bringt die Gefahr, dass man den Darm anreisst und dass
man die Bauchhöhle infiziert. In einem derartigen von Verf. mit Lo¬
sung der Adhäsionen behandelten Falle trat der Exitus an Peritonitis
ein, in einem anderen mit Enteroanastomo.se behandelten ralle er¬
folgte völlige Heilung. WT , .
8) J ä c k h: Das Meckel sehe Divertikel als Ursache des Darm-
verschlusses. (Landkrankenhaus Kassel.)
5 Fälle von Divertikelileus, die das verschiedenartige
Zustandekommen des Ileus erläutern. J. . unterscheidet den
Darmverschluss durch den offen gebliebenen Dottergang, den
Ileus durch das ädhärente und den durch das freie M e c k e 1 -
sehe Divertikel. Bei jeder der letzten Gruppen unterscheidet
er wieder verschiedene Unterarten, so dass im ganzen 13 Formen
aufgezählt werden. Am häufigsten ist der Darmverschluss durch das
ädhärente Divertikel und zwar häufiger durch das ringbildende als
durch das strangbildende. Unter den 5 Fällen von J. waren 4
ädhärente Divertikel. F.
9) Evers: Ein Fall von Spontangangran der einzelnen ringer-
kuppen der linken Hand. (Chirurg. Klinik Göttingen.)
Neben der genannten Gangrän bestanden die Erscheinungen
der allgemeinen Sepsis. Für die wahrscheinlichste Ursache halt E.
eine autochthone Thrombenbildung. n . ... .
10) Rosenberger: Beitrag zur Kasuistik der Geschwülste
des Hodensackes. Haemo-Lymphangioma cavernosum partim cy-
stoides scroti. (Chirurg. Klinik Göttingen.) . , , ,
In der Literatur ist nur ein einziger ähnlicher Fall beobachtet.
11) Linkenheld: Doppelseitige Rissfraktur der Tuberositas
tibiae. (Chirurg. Klinik Göttingen.) .
Wahre Rissfrakturen der Tuberositas tibiae sind sehr selten. Line
doppelseitige ist bisher nicht beschrieben worden. Sie entstehen meist
durch indirekte Gewalt und bevorzugen das jugendliche Alter wenn
Diaphyse und Epiphyse noch nicht fest miteinander vereinigt sind.
In des Verfassers Fall wurde auf beiden Seiten die blutige Re¬
position gemacht, das Fragment auf der einen Seite mit Katgut ange¬
näht, auf der anderen Seite angenagelt. .
Die von Schlatt er beschriebene Absprengung des Epiphysen¬
fortsatzes kann L. als Fraktur nicht anerkennen. . _
12) Matthiolius- Yokohama: Seekriegschirurgie (nach Er¬
fahrungen des russisch-japanischen Krieges).
Auf Grund der ihm bekannt gewordenen Erfahrungen aus dem
russisch-japanischen Kriege weist M. auf einige Besonderheiten der
Seeschlachtverletzungen hin und erhebt eine Reihe von wichtigen
Forderungen. Häufig ist die Vereiterung der Wunden, recht se ten
sind arterielle Blutungen. In der Seeschlacht kommen im Verlauf
weniger Stunden zahlreiche schwere Verletzungen auf engem Raum
zusammen. Es müssen darum alle Vorbereitungen gut getroffen sein.
Der Verbandplatz muss beim Bau des Schiffes gut eingerichtet sein:
geschützte Lage, Geräumigkeit, gute Beleuchtung und Lüftung. Eigene
Krankenträger müssen zur Verfügung stehen. Die Mannschaften sind
vor der Seeschlacht zu baden und mit frischen Kleidern zu^ versehen.
Die Mannschaften sind über die Wichtigkeit des ersten Verbandes
zu belehren. Der Schiffsarzt darf während der Schlacht nur die aller¬
notwendigsten Eingriffe vornehmen: Unterbindungen, Anlegung von
Schienen, Reinigen der Weichteilwunden, Anlegen steriler Gaze.
13) C r e i t e: Beiträge zur Chirurgie des Magenkarzinoms. (Chi¬
rurgische Klinik Göttingen.) ... ,
Von 50 resezierten Kranken starben 19 an der Operation, wahrend
31 genasen. Von den 31 starben später 24, 7 leben heute noch. Be-
merkenswert ist ein Fall, bei dem ausser dem Magen ein 30 cm langes
Stück Kolon transversum mit Erfolg entfernt wurde.
Von den 19 Todesfällen entfallen 4 auf Herzschwäche, 4 auf Pneu¬
monie, 8 auf Peritonitis, 3 auf Circulus vitiosus.
Länger als 3 Jahre nach der Operation lebt nur 1 Patientin, und
zwar 14 Jahre und 5 Monate. K r e c k e.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XVIII. Bd. 1. u.
2. Heft.
1) L a n g e - München: Die Behandlung der habituellen Skoliose
durch aktive und passive Ueberkorrektur.
Die Muskelinsuffizienz als Ursache der Skoliose muss mehr als
bisher beachtet werden. .
Da der konvexseitige lange Rückenmuskel die einzige im Orga¬
nismus selbst ruhende Kraft bildet, welche die skoliotische Wirbel¬
säule in heilendem Sinne umzubiegen vermag, da ferner gerade diese
konvexseitige Muskulatur bei Monaten oder Jahre bestehenden
Skoliosen an Leistungsfähigkeit gegenüber der konkavseitigen Mus¬
kulatur zurücksteht, so bildet bei jeder Skoliose die e i n s e i t i ge
Stärkung der konvexseitigen Muskulatur durch Gymnastik ' die
wichtigste Aufgabe der Behandlung — aktive Ueberkorrektur nennt
L. diese einseitige Gymnastik, welcher eine Reihe einfacher Apparate
dleIltBesteht bereits eine Versteifung der skoliotischen Wirbelsäule,
so müssen die konkavseitigen Weichteile zunächst gedehnt werden
— diese wohl überall angewendete Mobilisierung nennt L. passive
Ueberkorrektur, ihr dienen Gurtapparate und das Gipsbett, welches
L. in Zelluloid herstellt. _ , . i
Ein orthopädisches Stützkorsett wird während der Schulstunde
getragen.
L. will es erreichen, dass der Hauptteil der Skoliosenbehandlung
von Schule und Familie geleitet wird.
2) Spi sic- Graz: Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis des kon¬
genitalen Femurdefektes.
Wahrscheinlich entstanden durch amniotische Schädigung am
Ende des 2. Embryonalmonates. Durch Osteotomie wurde die
Stellung gebessert. , , ... .
3) Motta-Turin: Spätere Resultate der Kalkaneusplastik in
einigen Formen des angebornen Klumpfusses bei Kindern.
Da nach dem unblutigen Klumpfussredressement der Kalkaneus
bekanntlich oft in Equinustellung verharrt, indem sein Processus
posterior an der Hinterfläche der Unterschenkelknochen fixieit steht,
hat M. eine plastische Operation versucht: Er klappte einen hinteren
Knochenlappen aus idem Proc. posterior calcanei um seine plantare
Basis um und in die Fersenweichteile hinein.
Nach 4 Jahren hatte sich ein Kalkaneus von tadelloser borm
hergestellt, wie das Röntgenbild zeigt.
4) Chlumsky - Krakau : Zur Aetiologie und Therapie der
Skoliose. ^ x , ,
Dass der Einfluss der Schule auf die Entstehung dei
Skoliose vorsichtig beurteilt werden muss, beweist die Beobachtung
von Ch., dass 50 Proz. seiner Skoliosen vor bezw. ohne Schulbesuch
entstanden. Er glaubt, dass es sich um eine hereditäre Beanlagung
handelt, dass die Entwicklung der Skoliose dann durch äussere Mo¬
mente gehemmt oder gefördert werden könnte.
Bei schweren Skoliosen konstatierte er oft psychische Abnor¬
mitäten. Differenzen der Beinlängen fand er in 80 Proz.
5) K o p i t s - Ofen-Pest: Ein neues Instrument zur Anlegung
des Gipsverbandes beim Klumpfuss.
Der durch Redressement mobilisierte Klumpfuss wird bei ge¬
beugtem Knie auf eine in der Grösse der Fussohle entsprechende
Stahlsohle aufgesetzt und samt dieser in Gipsverband gelegt. Die
Stahlsohle wird nachträglich entfernt.
Die Fixation des Fusses in korrigierter Stellung gelingt auf diese
Weise K. leichter als mit der Hand. .
6) Pr eis er -Hamburg: Ein Fall von doppelseitiger „schnap¬
pender Hüfte“. ^ e
Die Subluxation war wohl durch angeborene Defektbildung des
Labium glenoidale bedingt. Die Verschiebung liess sich im Röntgen¬
bild kontrollieren.
7) D r e i f u s s - Hamburg: Kasuistischer Beitrag zu den durch
mechanische Einwirkung entstandenen angeborenen Missbildungen.
2 Beobachtungen von FingeAkontrakturen, deren Entstehung
durch die eigentümliche Art der Faustbildung in utero deutlich er¬
kennbar war. , ,
8) K o f m a n n - Odessa: Eine einfache Methode der Pes varus
Daralitycus-Operation.
Die äussere Hälfte der Achillessehne wird mit den Sehnen des
Extens. digit. communis vernäht' und zwar distal vom Lig. cruciatum.
Der Zehehstrecker wird ausserdem durch Raffnaht verkürzt.
In 6 Fällen war der Erfolg ein guter.
9) Grönberg - Wiborg: Ueber das Vorkommen von Haltungs¬
fehlern und Deformitäten bei Schulkindern.
Interessante Ergebnise hatte die Untersuchung von ca. 8000
Schulkindern, Knaben und Mädchen, in Volks- und Mittelschulen.
Die Skoliose fand sich in Volksschulen bei Knaben in 8,1, bei
Mädchen !in 13,8 Proz., in Mittelschulen bei Knaben in 18,8 Proz., bei
Mädchen in 38,1 Proz. Die Skoliosenfrequenz steigerte sich von
Klasse zu Klasse, ein skoliosierender Einfluss der Schule besteht also.
Die linkskonvexe Totalskoliose ist die häufigste Form bei Schülern.
Plattfuss wurde bei 17,4 Proz. der Schüler festgestellt, meist doppe -
seitig. Von den Plattfüssigen hatte 23,1 Proz. auch eine Skoliose,
von den Skoliotischen 23,7 Proz. auch einen Plattfuss.
10) v. Modlinsky - Moskau : Zur Frage des Gipsgebrauches
in der Orthopädie. ..
Beschreibung und Abbildungen eines zum vielfachen Verstellen
und zum Zerlegen eingerichteten Gestelles, welches das Anlegen dei
verschiedenartigsten Gipsverbände in vertikaler Position der Pa¬
tienten gestattet.
11) Ghiulamila - Bukarest : Kasuistische Mitteilungen.
1. Angeborener Mangel eines Rückenwirbels mit nachfolgende i
Kyphose. 2. Angeborne Coxa vara und tuberkulöse Koxitis. 3. An-
geborne Pfannenerweiterung am Hüftgelenk. 4. Bruch des zentrat
Endes des 1. Metakarpalknochens und des Os trapezium.
12) L a n g e m a k - Erfurt: Zur Frage der Beckenstutze.
13) Rath-Köln: Ein Fall von Spätrachitis
Bei einem 13 jährigen Mädchen begann ein Erweichungsproze
des gesamten Rumpf- und Extremitätenskeletts, der zu vielfachen
1744
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Frakturen und Verbiegungen führte. Die Röntgenbilder zeigen u. a.
die hochgradige Verdünnung der Kortikalis.
Die Diagnose schwankt zwischen infantiler Osteomalazie und
Spätrachitis. Eine Phosphorkur führte nach 6 Jahren zu überraschen¬
der Ausheilung.
14) L i 1 i e n f e 1 d - Leipzig: Lieber d|e sogenannten Tarsalia des
Fusses und ihre Beziehungen zu den Frakturen.
Die wesentlichen Ergebnisse der ungemein interessanten Rönt¬
genuntersuchungen und literarischen Forschungen sind folgende:
Die Tarsalia, die inkonstanten akzessorischen Skelettstücke des
Fusses sind relativ häufige Erscheinungen (bis zu 10 Proz.l): be¬
sonders gilt dies für Tibiale externum, Trigonum und Peroneum.
Die Kenntnis der Tarsalia ist nicht nur von anatomischem und
entwicklungsgeschichtlichem Interesse, sondern für den Chirurgen
von grosser praktischer Wichtigkeit wegen der Möglichkeit ihrer
Verwechslung mit Frakturen. Die Tarsalia haben mit den Sesam¬
beinen nichts zu tun. V u 1 p i u s - Heidelberg.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. XXV,
Heft 5.
l) S c h u 1 1 z e - Jena: Spätgeburt.
Die Möglichkeit der Uebertragung eines Kindes weit über die
normale mittlere Zeit besteht zwar, der Beweis aber, dass ein Kind
über 300 Tage sich fortentwickelnd im Uterus getragen worden sei,
fehlt bis heute. Die der Rechnung nach über 280 Tage dauernden
Schwangerschaften stammen zumeist von der Menstrualperiode her,
deren Blutung ausblieb. Von diesen Kindern erreicht eine grössere
Anzahl ein die mittleren Werte übersteigendes Gewicht als von denen,
die dem Ei der blutig verlaufenden Menstruationsperiode entstammen.
Verf. bespricht sodann die im Bürgerlichen Gesetzbuch befindlichen
§§ 1592 und 1593, für die es erforderlich erschien. Grenzen der Emp¬
fängniszeit festzulegen und äussert sich zusammenfassend dahin, dass
für die Sicherung der Ehelichkeit spätgeborener Kinder das Gesetz
in der heutigen Fassung völlige Gewähr bietet. Für die Ermittlung
des natürlichen Vaters des unehelichen Kindes würde jede Verlänge¬
rung der gesetzlich fixierten Empfängniszeit den Zweck des Gesetzes,
in möglichst vielen Fällen dem Kinde den wirklichen Vater zu sichern,
verfehlen.
2) C o h n - Heidelberg: Ueberblick über die Leistungen auf dem
Gebiete der Händedesinfektion.
Historischer Ueberblick über die Entwicklung und Erfolge der
Händedesinfektion, nebst einer ausführlichen Literaturangabe.
3) P r e 1 1 e r - Mannheim: 13 Fälle von Pubiotomie.
Mitteilung der Krankengeschichte. Operation nach Döder-
1 ein. Schutz der Blase durch Zurückschieben von der Vagina aus,
bis die Säge im Knochen verschwunden war. Im Anschluss an die
mehr laterale Durchsägung sofortige Entbindung. Gehfähigkeit in
allen Fällen gut; Vereinigung der Knochenenden befriedigend.
4) R e t z 1 a f f - Stettin : Zur Ovariotomie in der Schwanger¬
schaft, während der Geburt und im Wochenbett.
In 3 Fällen wurde die Schwangerschaft nach vaginaler und ab¬
dominaler Entfernung von Ovarialtumoren nicht gestört. Einen prin¬
zipiellen Weg für die Operation gibt es nicht. Das Vorgehen richtet
sich nach der Dauer der Schwangerschaft, der Grösse, Lage und Be¬
schaffenheit des Tumors. Ungünstiger liegen die Verhältnisse, wenn
die 1 iimoren erst während der Geburt Erscheinungen hervorrufen
und ein Geburtshindernis bilden. Hier kann man zunächst die Re¬
position versuchen. Misslingt dies, dann Operation. Durch Quet¬
schungen unter der Geburt neigen die Tumoren im Wochenbett zu
Ernährungsstörungen und bilden dadurch für Infektionen einen guten
Boden.
5) H a u p t - Greifswald : Ueber Geburten nach Vaginifixur.
Auf Grund der Resultate aus der Greifswalder Klinik — 27 Ge¬
burten nach Vaginifixur ohne nennenswerte Störungen — nennt
Veit, die schulgerecht ausgeführte Vaginifixur für die Geburt unge¬
fährlich.
b) Lange- Posen: Zur Retroflexio uteri in den letzten Schwan¬
gerschaftsmonaten.
31 jährige III. Para mit Retroflexio uteri gravidi am normalen
Lnde der Schwangerschaft. Repositionsversuch vergeblich. Laparo¬
tomie, iimdaler Querschnitt und supravaginale Absetzung des Uterus
wegen starker Nachgeburtsblutung. Die Ausdehnung des Uterus war
1,111 ^ut Kosten der vorderen W and erfolgt, während die ganze hin¬
tere nn kleinen Becken durch Verwachsungen fixiert war. Inkarzera-
tionserscheinungen traten nicht ein. Vaginal vorzugehen verbot sich
Beckens^1161' ^e’cbzed's vorhandenen Verengerung des knöchernen
") \Vol.ff- Heidelberg: Uebersicht über die Fortschritte der
Hämatologie in den letzten 10 Jahren. (Schluss des Berichtes.)
Weinbrenner - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 32.
M. Samuel - Posen : Ueber den Toporski sehen Uterus¬
katheter.
S. hat den von I oporski im Jahre 1883 angegebenen Utern*!-
katheter statt aus Glas aus Metall anfertigen lassen, u. z. in 2 Grössen
iur puerperale und nichtpuerperale Uteri. Verfertiger ist die A -G'
iur Feinmechanik, vorm. J etter und Scheerer in Tuttlingen.
A. M u el 1 e r - München: Ueber das Vorkommen von Deflexious-
Iagenhabitus und Deflexionslagenkopfform bei Beckenendlagen.
Die gewöhnliche Ansicht, dass die Beckenendlagen mit einem den
Flexionslagen (Hinterhauptslagen) entsprechenden Habitus des Frucht¬
körpers verbunden seien, trifft nicht immer zu. M. konnte in 4 Fällen
die entgegengesetzten Deflexionshaltungen, entsprechend der Ge¬
sichtslage und Stirnlage, beobachten. Als Ursache für die abnorme
Haltung nimmt M. geringe Fruchtwassermenge an.
Camillo Für st- Graz: Sterile Wendungsschlinge aus hydro¬
philem Mullstoff.
Die sterile Schlinge, welche die gewöhnliche aus Seidengeflecht
ersetzen soll, kommt in steriler Packung verschlossen in den Handel.
Zu beziehen durch H e i n i s c h, Instrumentenmacher in Graz.
J a f f e - Hamburg.
Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und all¬
gemeinen Pathologie. Jahrgang 1907. 4L Band. 3. Heft.
12) T.Cavazzani- Intra: Ueber die Entstehung der Teratoide
des Hodens. Bemerkungen über eine angeborne Geschwulst des
Hodens. (Aus dem pathol. Institut zu Pisa.)
Der beschriebene Tumor wurde bei einem noch nicht 1 Jahr
alten Kind beobachtet, er war gutartiger Natur und enthielt Derivate
aller dreiei Keimblätter, ganz besonders reichlich embryonales
Nervengewebe; Verf. stellt seine Beobachtung den 4 bisher be-
schi iebenen ähnlichen Fällen an die Seite und wendet sich hinsicht¬
lich der Pathogenese des Tumors gegen die Marchand-Bonnet-
sche Blastomerentheorie.
13) G. Cagnetto und Ad. Zaneau: Anatomische und ex¬
perimentelle Untersuchungen über die typhöse Nephritis. (Aus dem
path.-anat. Institut zu Padua.)
In der vorliegenden Arbeit nimmt der bakteriologische Teil, der
sich mit der diagnostischen Sicherstellung .der aus den Leichen ge-
züchteten Typhusbazillenstämme beschäftigt, einen grossen Raum
ein. Was die experimentellen Untersuchungen betrifft, so wurden
Meei schweinchen intraperitoneal mit der von den Bazillen abfiltrierten
Peptonbouillonkulturen behandelt und zwar zwischen 5 und 71 Tagen.
Beim Menschen unterscheiden die Verf. 3 Formen von Nierenver¬
änderungen: Die grosse rosenfarbene, die grosse gestreifte und die
grosse hämorrhagische Niere. Sogenannte Typhuslymphome haben
sie in der Menschenniere nur ausnahmsweise gefunden, doch konnten
solche auch bei den toxisch geschädigten Tieren beobachtet werden;
sie sind mithin nicht abhängig von der Anwesenheit der Bazillen.
Das maki oskopische Bild der experimentellen toxischen Typhus-
nephritis ist parallel zu stellen der grossen gestreiften Niere des
Menschen. Mikroskopisch lassen sich degenerative Prozesse (be¬
sonders im Gebiet der I ubuli contorti), neben Exsudation und Proli-
feiation nachweisen, zudem noch Neigung zu Blutungen ins Inter-
stitium.
.14) E. M a g n u s - Aisleben: Zur Histologie der Myodegeneratio
cordis. (Aus dem pathol. Institut des Augustahospitals zu Köln.)
Verf. beschreibt zwei Fälle von disseminierter, in der ersten
Beobachtung besonders stark ausgedehnter Schwielenbildung im Be¬
reich des linken Ventrikels ohne stärkere sklerotische Prozesse an den
Koronararterien. Nach dem eigentümlichen histologischen Bild glaubt
Verf an eine primäre hyalinschollige Muskelerkrankung (Alkohol?
Nikotin?) als Anfangsstadium der Veränderung. In beiden Fällen
zeigte sich makroskopisch in dem hypertrophischen Herz¬
muskel nichts Abnormes.
, ,, oz: Ueber zwei Fälle von fötaler Bronchiektasie.
(Aus dem pathol. Institut zu Bern.)
Die beschriebenen Beobachtungen betrafen ein Zwillings¬
schwesternpaar, die im Alter von I6V2 be zw. 18 Jahren unter ganz
gleichen klinischen Erscheinungen starben; in beiden Fällen fanden
sich eigenartige Lungenveränderungen, die teils Verdichtungen teils
zystische glattwandige Höhlenbildungen darstellten. S. glaubt die
Veränderungen als Residuen kongenitaler Lues ansprechen zu müssen
was nach dem ganzen Befund wie den klinischen Angaben wenigstens
sehr wahrscheinlich sein dürfte.
MaJ( *’ *d r: *,r F5age des Pseudomyxoma peritonei beim
>lann. (Aus der I rosektyr des städt. Krankenhauses zu Altona.)
. WahrfLnd das sonst als Pseudomyxoma peritonei (Werth) be¬
zeichn ete Zustandsbild durch die Berstung eines pseudomuzinösen
vai lalkystoms bedingt ist, handelt es sich in vorliegender Beob¬
achtung um einen primären Hydrops spurius des Processus vermi-
“ (beJ einem 3f]dhr; Mann), durch dessen (allerdings hier nicht
aChm "Ifi )are 1 Perforatlon *) der sterile schleimige Inhalt in die
fieie Bauchhöhle gelangt war und hier ganz ähnliche pathologische
Veränderungen wie bei der geschilderten Erkrankung des Weibes
f4nePtZrFha"teT LiS W^rnn ^\sher nur zwei dera‘rtige sicher gestellte
l D kr+aHn ke Uud beschrieben, doch vermutet H. gewiss
i PcRpCht’ • ?aSS aUCh ei? Teu -der als zystische Lymphangiome
es Peritoneums beschriebenen Fälle hierher zu zählen seien
worauf Ref. bereits früher aufmerksam machte.
w u c 1 nuui 1 e 1
^ ,, , r - x- - - * liaL uei emmgarter 1 agune der ü nath
Gesellschaft (1906) über den histologischen Befund bei solchen
subakuten I erforationen des zystisch entarteten Wurmfortsatzes recht
bemerkenswertes berichtet. Ref.
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1745
17) A. F i s ch e 1 - Prag: Ueber Anomalien des zentralen Nerven¬
systems bei jungen menschlichen Embryonen. (Aus dem anatom.
Die Mitteilung betrifft 1. eine Verdoppelung des Zenti alkanals
bei einem ca. 38 tägigen und 2. eine Hydromyelie bei einem ca. 31
tägigen menschlichen Embryo.
18) H. Assmann: Beiträge zur osteosklerotischen Anämie.
(Aus dem pathol. Institut zu Genf.) . .
Unter den 5 beschriebenen Fällen von allgemeiner Osteosklei ose
waren zwei mit pseudoleukämischen Veränderungen, einer mit lym¬
phatischer Leukämie verbunden, in den beiden letzten ballen waren
primäre Knochenmarkschädigungen nicht niehr nachzuweisen, doch
nimmt auch hier Verf. an, dass es sich um sekundäre, auf abgelaufene
Wucherungsprozesse folgende Vernarbungsvorgänge hande.te.
19) Ch. Devaux: Beiträge zur Glykogenfrage. (Aus dem
pathol. Institut zu Freiburg i. B.) . *
Bei menschlicher wie bei experimenteller (Meerschweinchen)
Tuberkulose war Glykogen nie jn jungen Tuberkeln, in späteren
Stadien häufig nachzuweisen, besonders in der Umgebung von
^ gJd*oscn
Bei Mastfütterung zeigte sich wieder ein gewisser Parallelismus
zwischen Fett- und Glykogenablagerung; bei Gewichtsstillstand oder
-abnahme dagegen verschwindet das Glykogen. Vielleicht bildet die
Zelle ihr Fett aus Glykogen? , , . . m
20) W Carl- Beitrag zur Tuberkulose der Plazenta. (Aus dem
pathol. Institut des städt. Krankenhauses Charlottenburg-Westend.)
Bei einer an Lungen- und Meningealtuberkulose verstorbenen
Graviden fanden sich in der Placenta materna und foetalis käsig tuber¬
kulöse Prozesse: im fötalen Organismus (7. Monat) Hessen sich weder
tinktoriell noch experimentell Tuberkelbazillen nachweisen.
H. Merkel- Erlangen.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 32 u. 33, 1907.
1) P. K- P e 1 - Amsterdam: Ist Opium nützlich oder schädlich
bei akuter Perityphlitis?
P. bekennt sich auf grund ca. 30 jähr. reicher Erfahrung als über¬
zeugten Anhänger einer zweckmässigen, kleindosigen Opiumtherapie
und hält die dagegen erhobenen Bedenken für grösstenteils theoretisch
konstruiert. Er gibt Erwachsenen z. B. 2 stündlich je 5 Tropfen
Opiumtinktur, auch bei event. Obstipation. Laxierende Behandlung
verwirft P. dagegen völlig. Mit Opium richtig behandelte Fälle der
Praxis verlaufen in ca. 90 Proz. günstig.
2) E. Seligmann - Berlin : Beiträge zur Frage der sogen.
Komplementbindung.
Die mitgeteilten Versuche beweisen, dass durch den Vorgang
chemischer Niederschlagsbildung sowohl wie duich den einer kol¬
loidalen Reaktion ohne Niederschlagsbildung Komplement absorbiert
werden kann. . . .
3) H. E y s b r o e k - Utrecht: Ueber die Spezihzitat der Ambo¬
zeptoren. , , .
Sowohl aus den Versuchen von G e n g o u, wie aus den hier
mitgeteilten Untersuchungen ist zu folgern, dass die Methode der
Komplementbindung von Bordet-Gengou zum Nachweis der
Identität von Mikroben nicht zu verwerten ist. Von einer absoluten
Spezifizität der Ambozeptoren kann nicht gesprochen werden.
3) Frz. Fink -Karlsbad: Leitende Grundsätze für den Kurge¬
brauch Gallensteinkranker in Karlsbad.
F. unterscheidet je nach klinischem Bilde, bezw. Verlaufsstadium
der Gallensteinkrankheit 7 Gruppen dieser Kranken und postuliert
demgemäss eingehende Spezialisierung im Gebrauche der Thermal¬
wässer, Moorapplikationen, Massage. Bewegung und Ruhe u. dgl.
und vor allem ärztliche Beratung im Gebrauche der Kur.
4) F. Hey mann- Charlottenburg: Zur instrumenteilen Per¬
foration des nicht schwangeren Uterus. , , . .
In dem von H. mitgeteilten Falle (34 jähr. Frau) fand bei einer
lege artis vorgenommenen Ausschabung am Fundus eine Perforation
durch die S i m s sehe Kürette statt. Die gelegentlich angeschlossener
Operation sofort vorgenommene Inspektion zeigte die Perforation und
erhärtete die besonders aus dem Versinken des Instrumentes gestellte
Diagnose. In der epikritischen Besprechung von 62 Perforationsfällen
aus der Literatur bekämpft Verf. besonders die von Kossmann
vertretene Ansicht, dass sehr viele angenommene Perforationen in
Wirklichkeit eben keine wären. Er geht dann noch auf den Verlauf
und die Folgen der sicheren Perforationen ein, sowie auf die Indi¬
kationen der konservativen oder operativen Behandlung. Erstere
kommt wohl häufiger in Frage. Bei Perforationen durch Spülinstru¬
mente ist fast immer sofortiges Eingreifen unbedingt erforderlich.
No. 33. 1) A. B i c k e 1 - Berlin: Untersuchungen über den Ein¬
fluss von Metallen auf die Magenschleimhaut.
Vergleiche Referat S. 1507 der Münch, med. Wochenschr. 1907.
2) J. Kentzler - Ofen-Pest: Die Rolle der Salzsäure bei der
Magenverdauung. , ,.
Die erste Reihe der mitgeteilten Versuche stellt fest, dass die
Artänderung der im Körper zur Resorption gelangenden Eiweiss¬
stoffe im Magen stattfindet. Weitere Versuche zeigten, dass es die
Salzsäure und zwar in einem ganz bestimmten Konzentrationsgrade
ist, welche diese Umwandlung hervorruft und dass das Pepsin dabei
keine Rolle spielt. Auch Milchsäure in 1 proz. Lösung ist imstande,
die Umwandlung des artfremden Eiweisses herbeizuführen.
3) E. Weil und K. Tsuda-Prag: Ueber Behinderung der
Reagenzglasphagozytose.
Die Ergebnisse der mitgeteilten Versuche werden in folgenden
Sätzen zusammengefasst: Das Dysenterieaggressin behindert die
Phagozytose der Dysenteriebazillen durch Meerschweinchenleuko¬
zyten. Die Phagozytosenbehinderung ist spezifisch, denn Heubazillen
und Staphylokokken werden im Aggressin phagozytiert. Die Phago¬
zytosehemmung kann deshalb nicht dadurch zustande kommen, dass
das Aggressin durch Giftigkeit die Leukozyten schädigt. Die Phago¬
zytoseunterdrückung beruht nicht auf dem Opsoninverlust des Aggies-
sins, denn sie tritt auch auf, wenn man mit Opsonin beladene Bak¬
terien der Wirkung des Aggressins aussetzt. Die Phagozytose¬
behinderung ist ein aktiver Vorgang durch das Aggressin, welches
wahrscheinlich ähnlich wie die Kapsel den Milzbi andbazillus, die Bak¬
terien vor der Phagozytose schützt.
4) Martini -Tsingtau: Kala-azar (fieberhafte tropische Sple¬
nomegalie) bei einem Schantung-Chinesen.
Wiedergabe der Krankengeschichte und Abbildung des mikro¬
skopischen Blutbefundes der auch in Asien und Afrika vorkommen¬
den im Titel bezeichneten Krankheit. Die beiden Fälle stammten aus
Schantung. Das klinische Bild ist charakterisiert durch langsamen
Verlauf, Anämie, Leukopenie, starke Milzschwellung und Oedem Die
Uebertragung der Erreger, welche ihren Ausdruck finden durch die
in den Organen vorhandenen sogenannten Leishman-Donovan-Kor-
perchen, geschieht auf dem Wege des Verdauungskanales, vielleich
ist der Wirt der Parasiten eine bestimmte Fischart.
5) R. Lipschitz -Berlin: Ueber aberrierende Bündel bei
Fazialislähmung. . . , , . ,
Unter Wiedergabe von 6 Krankengeschichten weist Verf. aut
jene Fälle hin, wo bei Fazialislähmung durch den faradischen Strom
von bestimmten Stellen des Verbreitungsgebietes aus Muskelzuk-
kungen in weit entfernten Bezirken des Fazialisgebietes hervorgeiufen
werden können, z. B. bei Reizung oberer Aeste Zuckungen am Rinn
erscheinen. Diese klinischen Beobachtungen sprechen zu Gunsten der
Theorie der „Auswachsung“ im Prozess der Nervenregeneration.
6) W. N. C 1 e m m - Ballenstedt a. H.: Ueber ein neues Blut-
präpVerf. verj3rejtet gjch über die Nachteile der bisherigen Eisen-
präparate, welche zum Teil massenhaft Bakterien enthalten und auc i
dadurch ungünstig zusammengesetzt sind, dass sie nur an Eiweiss ge¬
bundenes Eisen enthalten und dem Körper keine Kohlehydrate dar-
bieten. Letzterem Postulat leistet das Hämatopan Genüge, ein Prä¬
parat, in welchem das Eisen an Malz gebunden ist Es soll sehr
gut ertragen werden, gut schmecken und wirken und überhaupt ein
einwandfreies Eisenpräparat darstellen. .... ,
Grass mann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 33.
1) L. W. W e b e r - Göttingen: Fortschritte in der Diagnostik
der Nervenkrankheiten. (Schluss folgt.) . .
2) Paul Krause- Berlin: Ueber doppelseitige Nephrolithiasis.
In jeder der immens (eine zehnfach) vergrösserten Nieren fand
sich ein kleinwalnussgrosser Stein, der eine im Nierenbecken, der
andere in der blutreichen Nierensubstanz, nahe dem unteren Pol. Die
Steine bestanden aus phosphorsaurem Kalk mit geringen Mengen von
Harnsäure. Bemerkungen zur Röntgentechnik. __
3) Doeb bei in -Berlin: Fall von sequestrierendem Milz-
^bszess
Plötzliche Erkrankung eines bisher gesunden Soldaten mit hohem
Fieber, Schmerz in der Magengegend, leichtem Ikterus. Unregel¬
mässiges Fieber; nach 3 Wochen Probelaparotomie, grosse glatte,
gleichmässig derbe Milz. Nach weiteren 3 Wochen seröses,
linksseitiges Pleuraexsudat. Oedem um die Narbe. Re-
laparotomie: grosser Abszess, stinkender Eiter; Drainage. Darnach
noch mehrere Milzabszesse mit grösseren Sequestern. Aetiologie
unklar. ^ ^roemer_ Giessen: Klinische Beobachtungen über Aetio¬
logie und Therapie des Chorionepithelioms, insbesondere über die Be¬
handlung der Blasenmole. (Schluss.)
Kritische Besprechung von 17 Fällen von Blasenmole; meist
Mehrgebärende; bei 9 erhebliche Nierenstörungen; 1 mal frühzeitige
Intoxikation (Nephritis, totale Amaurose) und Eklampsie im 4. Monat,
nach 5 Wochen Radikaloperation nötig wegen Chorionepitheliom-
wucherung, Ovarialtumoren. Ovarialtumoren wurden 10 mal beob¬
achtet, davon 3 operiert, Chorionepitheliomwucherungen wurden in
7 von den 17 Fällen gesehen. Das histologische Bild der Probe
abrasio gab keine sichere Differenzierung zwischen gut- und bös¬
artigen Fällen, weshalb Verfasser dem klinischen Gesamtbild den Vor¬
rang .einräumt. In 4 Fällen genügte 2— 3 malige Abrasio zur Heilung.
Ausser den 7 Fällen von malignem Chorionepithehom nach £
sah Verf. 3 mal den Tumor im Anschluss an Abort oder aussetia
Schwangerschaft; die Fälle kamen erst spat zur Behandlung bezw.
Diagnose und verliefen rapid, auf Lymph- und Blutbahnen (Lungen;
metastasierend. An den Bildern einer tiefen mtramuralen Einbettu g
im Uterus erwägt Verf. die Möglichkeit, dass darin ein Vorstadium
einer Chorionepitheliombildung vorliegen könne.
1746
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
5) M. Ogata und K. I sh i w a r a -Tokio: Zweite Mitteilung
ii her die Aetiologie der Tsutsugamushikrankheit (Ueberschwemmungs-
fieber von B a e 1 z.)
Weitere Untersuchungen über die Hauptentwicklungsstadien der
Tsutsugamushisporozoa, abgebildet. Die Geschwürsmasse der Kran¬
ken liess sich direkt auf Kaninchen und Ziegen übertragen. Das Serum
geheilter Versuchstiere zeigte gewisse schützende und heilende Wir¬
kungen gegen die Impfung der Tsutsugamushisporozoa.
6) Q. .1. Müller- Berlin: Ueber den derzeitigen Stand und die
Aussichten der Aktinotherapie. (Schluss folgt.)
7) Artur L i s s a u e r - Holsterhausen : Tuberkulinsuppositorien.
Das in Oel u. a. suspendierte Alttuberkulin wird in Hohlsupposi-
torien eingeschlossen. Die Wirkung ist langsamer und milder als bei
subkutaner Anwendung, dabei auffallend diffus.
8) Alfons F i s c h e r - Karlsruhe: Staatliche und private Mutter-
schaftsversicherung.
9) E. S o b o 1 1 a - Reiboldsgrün : Das Militärsanitätswesen in
Spanien. R. Qrashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 15. 1907.
F. S u t e r: Ueber den Wert der Indigokarminprobe zur Diagnose
chirurgischer Nierenaffektionen an Hand von 37 operativ behandelten
Fällen. (Aus der Chirurg. Privatklinik von Dr. F. Suter und Dr.
E. Hagenbach [früher von Prof. E. Burckhardtt] in Basel.)
4 ccm 4 proz. I.K. -Lösung werden intramuskulär injiziert, dann
der Harn mit L u y s schem Harnscheider aufgefangen. Die gesunde
Niere beginnt mit der Farbausscheidung in 6 — 15 Minuten, die kranke
scheidet später und nicht so viel oder gar keine Farbe aus. Zwischen
dieser veränderten Ausscheidung und der Ausdehnung der Erkrankung
besteht Parallelismus. Der Erfolg bei den (mit Nachtrag) 44 Fällen
(32 Nephrektomien, 2 Todesfälle) und ebenso das Schicksal der als
inoperabel bezeichneten Kranken beweist die Verlässlichkeit der
I.K. -Probe und des Harnscheiders.
A. Si eg r i s t - Bern: Ueber die Notwendigkeit, die Augen der
schulpflichtigen Kinder vor dem Schuleintritt untersuchen zu lassen
und über die Beziehungen des Astigmatismus zur Myopie. (Schluss.)
Von 860 in die Schule eintretenden Kindern in Basel-Stadt zeigten
29,1 Proz. ungenügende (unkorrigierte) Sehschärfe < 1,0; die wich¬
tigsten Ursachen waren (in 22,7 Proz.) Hypermetropie und besonders
(in 50,5 Proz.) pathologischer Astigmatismus. Dieser letztere spielt
eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Myopie, was durch sta¬
tistische Zusammenstellungen dargelegt wird. Es ist Pflicht der
Humanität und der Hygiene, dass der Staat die Augen der Kinder
untersuchen lässt und eventuell eine Gläserbehandlung empfiehlt.
Ueber zahlreiche Einzelheiten siehe das Original!
H ii r 1 i m a n n - Unterägeri: Zur Behandlung des Heuschnupfens.
Verf. empfiehlt nach zwei günstigen Erfahrungen in einem Korbe
mit elektrischen Rotlichtlampen die trockene heisse Luft durch die
Nase einatmen zu lassen. Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 32. E. v. H i b 1 e r - Innsbruck: Bakteriologischer Bericht
über drei Fälle von Zerebrospinalmeningitis.
Die eingehenden bakteriologischen Erörterungen (in einem Falle
liess sich der Weichselbaum sehe Meningokokkus, in dem an¬
deren zwei polymorphe Bakterienformen nachweisen) eignen sich nicht
zur kurzen Wiedergabe.
P. D e i a c o - Persen : Ueber Lokalisation und Natur der pel-
lagrösen Hautsymptome.
5 Krankengeschichten, welche neuerlich die frühere Annahme
widerlegen, dass das Pellagraexanthem nur an den unbekleidet .ge¬
tragenen Körperteilen zur Entwicklung gelange. Diese sind aller¬
dings in der Regel allein befallen und die Hautaffektionen an den
bedeckten Stellen scheinen vorzugsweise bei schweren, fortgeschrit¬
tenen Fällen aus belasteten Familien vorzukommen.
M. Oppenheim: Ueber Hautveränderungen Erwachsener im
Anschlüsse an die Pirquet sehe Reaktion.
5 Krankenbeobachtungen, welche im Sinne der von Pirquet,
I a u n d 1 e r, M o r o und Doganoff gemachten Mitteilungen
sprechen. Kranke mit ausgesprochenen skrofulösen Hauterschei¬
nungen (Lichen, Skroohuloderma) zeigten eine verstärkte Eruption
derselben nach der Tuberkulinimpfung, Kranke mit ganz •vorge¬
schrittener Tuberkulose zeigten nur die einfache Quaddelbildung.
ükuniewski - Pola: Kasuistische Beiträge.
Aus dem Marine spitale:
a) Fremdkörper im Oesophagus. Chronische Striktur. Stecken-
ilciben eines Bissens. Vor der in Aussicht genommenen Oesophago-
tomie spontanes Passieren des Bissens Fleisch nach Behandlung mit
Pepsin und Salzsäure.
b) Spondylitis ex lue. Weitgehende Besserung unter spezifischer
Bella ..iiing.
c) Fraktur des os zygomaticum; Fraktur des Oberkiefers Läh¬
mung des Nervus infraorbitalis.
d) ( ii anatensplitter in der Highmorshöhle nach Explosion einer
Granate. Extraktion.
e) Zyste des Oberkiefers.
L. Zupnik: Ueber die Spezifität der Bakterienpräzipitine.
Erwiderung an v. Eisler.
No. 33. M. W e i s s - Alland: Ueber das Prinzip und die Be¬
deutung der E h r I i c h sehen Diazoreaktion.
Die Darstellung eines Körpers, welcher die reine Diazoreaktion
gibt, ist bisher nicht gelungen, theoretische Erwägungen und experi¬
mentelle Erfahrung weisen darauf hin, dass das Prinzip der Diazo¬
reaktion in nahen Beziehungen zu dem normalen Urochrom steht,
das als eine höhere Oxydationsstufe dieses „Urochromogens“ aufge¬
fasst werden kann. Für die prognostische Bedeutung der Reaktion
sind jedenfalls die nahen Beziehungen wichtig, welche sie zu dem
Blutbild einer Reihe von Krankheiten hat, in welchem die Zahl der
roten Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes hervortritt: die
Reaktion bildet ein Kriterium für die Schädigung der Erythrozyten
und es lässt sich annehmen, dass die wirksame Substanz bei der
Diazoreaktion sich aus dem Blutfarbstoffe ableitet. In diesem Sinne
ist speziell bei der 4 uberkulose der positive Ausfall der Diazoreaktion
ein prognostisch ernstes, wenn auch nicht durchaus ungünstiges
Zeichen.
L. Kürt- Wien: Ueber mehrere klinische Symptome der Hy¬
pertrophie des rechten Ventrikels.
Veif. fasst selbst das Resultat seiner Arbeit dahin zusammen,
dass für die Beurteilung der Hypertrophie des rechten Ventrikels vor
allem die Resultate der Palpation massgebend sind. Durch indirekte
Palpation ist bisweilen der hebende Charakter der Systole dann noch
nachweisbar, wo das bei direkter Betastung nicht gelingt. Ein ausge¬
sprochen fühlbarer Klappenschluss über der Pulmonalis wird zumal
in der Pubertätszeit auch bei Gesunden beobachtet. Eine im Vergleich
zum Spitzenton ganz beträchtliche Verstärkung des I. Tones über
dem unteren Teil des rechten Herzens ist für die Diagnose der
Hypertrophie desselben ein beachtenswertes Moment.
W. E 1 1 i n g e r - Warschau: Auskultatorische Methode der Blut¬
druckbestimmung und ihr praktischer Wert.
Bericht über 235 Untersuchungen zum Vergleiche der palpatori-
schen Blutdruckbestimmung Strasburgers und der graphischen
Sahlis mit der auskultatorischen Korotkows. Das zusammen¬
fassende Urteil über die Methode Korotkows lautet dahin, dass
sie sich zur Bestimmung _ des systolischen Blutdruckes sehr gut
eignet und durch ihre Empfindlichkeit allen anderen Methoden voran¬
steht; den diastolischen Druck scheint sie genauer als andere Me¬
thoden zu bestimmen, bei einem Teil der Fälle aber ebenso unsicher
zu sein; am wenigstens geeignet ist sie für die fortgeschrittene Aorten¬
insuffizienz. Bezüglich der vielen Einzelheiten muss auf das Original
verwiesen werden.
G. Mann - Triest: Ein Fall von spontaner Magenfistel nach Ulcus
ventriculi.
Der Fall, eine 40 jährige Frau betreffend, war dahin zu er¬
klären, dass bei einem in der Mitte der vorderen Magenwand sitzen¬
den Geschwür sich Verlötungen mit der Bauchwand, später eine nach
aussen durchbrechende phlegmonöse Perigastritis entstanden war.
Die starke Narbenbildung liess von einer Operation absehen, die sehr
geschwächte Kranke erholte sich bei exspektativer Behandlung sehr
gut. Die durch den Reiz des saueren Mageninhaltes fortwährend ge¬
reizte und offen gehaltene Fistel kam fast vollständig zum Verschluss,
als durch fortgesetztes Aufträgen eines alkalischen Pulvers auf die
Fistel eine Neutralisation des Mageninhaltes herbeigeführt wurde.
Bergeat - München.
Belgische Literatur.
M. Funck: Ueber Immunität gegen Gonokokken. (Journal
medical de Bruxelles, 7. Februar 1907.)
Bisher wurde die Immunitätsfrage wenig in Bezug auf den Gono¬
kokkus untersucht, hauptsächlich weil die Kultur so schwierig ist,
und auch deshalb, weil eine erste Infektion gegen eine zweite nicht
immunisiert. Der Verf. hat Pferde durch intravenöse Einspritzung
gonokokkenhaltiger Emulsion zu immunisieren versucht. Bis jetzt
hat er noch kein Heilserum bekommen, jedoch sind seine Resultate
schon wichtig und interessant. In dieser Arbeit werden die Kultur¬
methoden und die Eigenschaften des Toxins auseinandergesetzt, so¬
wie die Art und Weise der Immunisierung zweier Pferde, welche ein
aktives Serum lieferten. Verf. wird bald die Eigenschaften dieses
Serums, an Laboratoriumtieren untersucht, veröffentlichen.
E. van Campen h out: Behandlung der Schlafkrankheit in
ihrer letzten Periode. (Academie de medecine de Belgique,
Januar 1907.)
Van Campenhout, Arzt der Kolonialvilla in Watermaal bei
Brüssel, hat dort fünf Kranke behandelt, welche im Kongostaat die
Schlafkrankheit bekommen hatten; sogar ganz verzweifelte Fälle.
Die Einspritzungen von steigenden Atoxylgaben, zugleich mit Strych¬
nin, und kalten Duschen wirkten lebensrettend. Der Zustand der
Patienten ist jetzt befriedigend, obwohl ein Rückfall nicht ganz aus¬
geschlossen sei. Voll Anerkennung für die schönen Untersuchungen
der deutschen Viktoriameerexpedition wünscht Verf .jedoch die Auf¬
merksamkeit auf den vorherigen Gebrauch des Atoxyls von seiten der
Aerzte im Kongostaat zu lenken.
J- Verhoogen: Die Entfernung der Harnblase. (Journal
medical de Bruxelles, 21. März 1907.)
Die Behandlung von bösartigen Tumoren der Gallenblase ist
derjenigen anderer bösartigen Tumoren ähnlich; die Entfernung der
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1747
Harnblase ist notwendig. Metastasen sind bei Harnblasenkrebs selten
und kommen jedenfalls spät vor. In 1905 waren (Raf in) bloss 30
Fälle von gänzlicher Zystektomie bekannt. Die grösste Sclnviei igkcit
machen bei der Operation die Uretcren. Entweder kann man sie in
situ lassen, sodass aus der Bauchwunde eine breite Fistel entsteht.
Dieses Vorgehen macht für den Patienten das Leben sehr unan¬
genehm. Dieselben Nachteile macht die Einnähung des Ureters in
die Bauchhaut. P a w 1 i k nähte sie in die Vagina, was m den meisten
Fällen nicht durchführbar ist. Die Einnähung in den Mastdaim ist
wegen der Möglichkeit einer aufsteigenden Infektion nicht ratsam.
Kompliziertere Methoden wurden von Krynski, Duval, öoari
und anderen empfohlen. Verf. hat, ähnlich wie D e p a g e, die Ureteren
in das Kolon, rechts in den Blinddarm, links in das Colon descendens,
eingenäht. Hierauf ist es leicht, die Harnblase gänzlich zu ent¬
fernen. Verf. hat mit dieser Methode günstige Erfahrungen gemacht.
J. De Keersmaeker - Antwerpen : Nierentuberkulose, ihre
verschiedene Formen und ihre Diagnose. (Acad. royale de medecine
de Belgique, Mai 1907.) , . ,
Die Diagnose der tuberkulösen Nephritis stützt sich auf 4 wich¬
tige Symptome: 1. ein atypischer Schmerz; 2. unregelmässige Tem¬
peraturerhöhungen; 3. unregelmässige Schwankungen des Harnei-
weisses, 4. lokale und allgemeine Reaktion nach Tubeikulinein-
spritzungen.
A. Delhaye -Brüssel: Die lokalanästhesiernde Wirkung der
Substanzen aus der Digitalisgruppe.
K o r i t z k i fand, dass die Glukoside aus der Digitalisgruppe 'eine
anästhesierende Wirkung entfalten, wenn sie lokal auf eine Schleim¬
haut appliziert, oder unter die Haut eingespritzt werden. D. konnte
diese Wirkung feststellen, hebt aber die stark reizende Wirkung des
Digitales auf die Konjunktiva hervor, während Strophanthin, Conval-
lamarin, Adonidin, Helleborein reizlos sind Hyperämie ist immer
vorhanden. Die Pupille ist während der Anästhesie verengt, das
Auge etwas härter. Auf der Haut des Frosches entsteht auch eine
deutliche Anästhesie. Unmittelbar auf Nerven appliziert, vermindern
genannte Glukosiden die Reizbarkeit und die Leitfähigkeit derselben.
Bordet und Gengou: Der Erreger des Keuchhustens.
(Bulletin de la Societe de Sciences naturelles et medicales de
Bruxelles IVIcii 1907.)
Verf.' haben ihre Untersuchungen fortgesetzt und konnten ihre
ersten Angaben vollkommen bestätigen (siehe 1906, S. 2552). Dei neu
gefundene Bazillus ist von den Influenzabazillen ganz verschieden,
denn das Aussehen der Kulturen auf Blutagar ist nicht dasselbe. Der
Keuchhustenbazillus entwickelt sich langsam, sodass eine giosse
Reinheit in dem Aufnehmen des Auswurfs nötig ist. Aut Pepton¬
bouillon gelingt das Wachstum leicht, aber bloss in breiten und
flachen Behältern, da der Mikrob stark aerob zu sein scheint. Die
Kultur auf Blutagar ist für Meerschweinchen bald tödlich, Bazillen
entwickeln sich im Peritoneum verhältnismässig wenig, das Blut ist
steril Nur sind die Toxine sehr wirksam, sodass in der Bauchhöhle
in der Pleura, Exsudate und Blutextravasate gefunden werden. Mit
flüssiger (Bouillon) Kultur bekommt man beim Pferd leicht ein agglu¬
tinierendes Serum. Ebenfalls ist das Serum geheilter Kinder reich
an Komplementen (Substance sensibilisatrice). Das agglutinierende
Pferdeserum ist wenig antitoxisch, so dass vorläufig die Hoffnung,
ein wirksames Antikeuchhustenserum auf diesem Weg zu finden, nicht
berechtigt zu sein scheint. W y b a u w - Bad Spa.
Schiffs- und Tropenkrankheiten.
Max Glogner (früher Niederländisch-Indien) : Ueber den Sitz
der Ursache der Beriberi. (Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene,
Bd’ Nachdem die Bemühungen der Beriberiforscher, die Ursache der
Beriberi zu finden, bis dahin stets fruchtlos waren und alle Fukla-
rungen kritischer Nachprüfung nicht Stand hielten, sucht veil, au
neuen Wegen das Problem zu lösen. Ihm war aufgefallen, dass bei
einem grossen Prozentsatz seiner Beriberikranken das Hautodem
an den Unterschenkeln seinen Sitz hat, und zwar vor der lbia.
Besonders in den allerersten Tagen der Erkrankung fand sich die
prätibiale Gegend bevorzugt. Hier zu weit führende Erwägungen
lassen ihn annehmen, dass die Ursache der Oedeme weder Kreislauf¬
störungen, noch von Zentralpunkten verursachte Endothelschadi-
gungen wie bei Nierenentzündungen, noch neuritischer Natur seien,
sondern wie bei Phlegmonen aus lokaler schädigender Ursache ent¬
stünden. Ausser Oedemen sind auch die anderen Kardinalsymptome
der Phlegmonen vorhanden, Schmerz und örtliche Temperatursteige¬
rung Abgesehen von diesen entzündlichen Erscheinungen, fanden
sich bei allen Beriberikranken, die Verf. sah (insgesamt 348) klinische
Erscheinungen an den unteren Extremitäten, während nur 106 ausser¬
dem Erscheinungen an den oberen Extremitäten zeigten. Die MorbKh-
tätskurve der Beriberi geht Hand in Hand mit der Regenhohe; ein
Zusammenhang der Beriberinoxe mit dem Regenwasser — nicht als
Trinkwasser — ist wahrscheinlich; gerade bei den Berufsarten, die
viel in Schlamm und Wasser arbeiten, findet sich Beriberi am meisten
(Soldaten im Felde, Gefangene und Kulis als Erdarbeiter) Wiederum
die Soldaten, die mit nackten Füssen gehen (Eingeborene), erkianken
reichlicher als die mit bekleideten Füssen und Unterschenkeln (Euro¬
päer). — Die vom Verf. gestellte Frage, ob die Russen, die nicht an
Beriberi litten, im russisch-japanischen Krieg mit bekleideten Beinen
und die vielfach an Beriberi erkrankten Japaner mit unbekleideten
gingen, kann ich nach in Japan eingezogenen Erkundigungen dahin
beantworten, dass zwar von der japanischen Heeiesleitung auf c-
kleidung der Fiisse gehalten wurde, aber bei dem Widerwillen der
Japaner gegen dieselbe zeitweiliges Ablegen, besonders im Sommer,
als wahrscheinlich angenommen werden muss. Der Ref. Das
Oedem der Unterschenkel sitzt meist intermuskular. Aus allen diesen
Gründen glaubt Verfasser, dass es sich um eine Noxe handelt, die an
den unteren Extremitäten, sei es durch unverletzte, sei es dm c i NC1~
letzte Haut eindringt und dort ihren Sitz hat. Zu Untersuchungen
der durch Punktion gewonnenen Oedemfliissigkeiten, die verfasset
aus äusseren Gründen unmöglich sind, chemisch, mit dem Mikro¬
skop, kulturell und mit Tierversuchen fordert Verf. auf. Des Veit.
Arbeit weist neue Wege; gewisse Erfahrungen, z B. Erkrankungen
an Bord, machen dem Ref. immerhin auch diesen Infektionsweg nie i
wahrscheinlich. . „ . . , . , \
Aldo Cast eil ani (Colombo): Framboesia tropica (englisch).
(Daselbst Bd. XI, H. 1.)
Nachdem Verf. zunächst über Namen, geographische Verbreitung
und Verlauf der Krankheit — bemerkenswert sind 2 von ihm be¬
obachteten Fälle mit Tertiärsymptomen — gesprochen hat, geht er
auf die Aetiologie ein. Noch bevor Schaudin n seine Entdeckung
der Syphilisnoxe veröffentlicht hatte, fand Verf. in Framboesieprä-
paraten ein der Spirochaete pallida sehr ähnliches Gebilde. Im ganzen
untersuchte Verf. 59 Framboesiefälle und erzielte positive Resultate
in 56 (94,9 Proz.) Fällen: zur Untersuchung dienten nicht ulzerierte
Papeln; in ulzerierten fanden sich neben der Spirochaete pallida noch
andere Spirochätenarten. Auch in Drüsen fand sich die Spirochaete
pallida, nicht dagegen im Blut, ebensowenig in den oben erwähnten
tertiären Affektionen. Verf. hält Framboesie und Syphilis, obschon
sie gewisse Aehnlichkeiten haben, nicht für identisch; geographische
Verbreitung, klinische Symptome und histopathologische Verschie¬
denheiten begründen zunächst seine Ansicht. Die bis dahin nicht ge¬
lungene Unterscheidung der Ueberträger der beiden Krankheiten ist
ebensowenig ein Beweis für die Identität derselben, als die Gleich¬
heit der Trypanosomen eine Identität der von ihnen hervorgerufenen
Krankheit beweist. Aehnlich werden die Identitätsschlüsse aus den
bei beiden mit Jod hervorgerufenen therapeutischen Erfolgen wider¬
legt. Affen und Menschen mit Syphilis sind nicht für Framboesie
immun und umgekehrt. Es folgen diagnostische, prophylaktische und
therapeutische Bemerkungen.
Paul G. Woollev (Phrapatoom Siam): Klimatische Bubonen
(englisch). (Daselbst Bd. XI, H. 2.)
Verf. untersuchte 2 Fälle von klimatischen Bubonen auf die ver¬
ursachende Noxe: kulturelle und Impfversuche der exstiipierten Drüsen
blieben ohne Erfolg; er schliesst sich der Ansicht an, dass die Bubonen
aus bis jetzt noch nicht mit Sicherheit nachgewiesener Noxe ent¬
stehen, denen die besonderen Bedingungen der Tropen besondere
Aeusserungsformen verleihen, seien es bis jetzt unbekannte Enegei
(Scheube), seien es die gewöhnlichen Eiterkokken (Manson,
Plehn, zur Verth). ^ ,
Dansauer ('Südwestafrika) : Erfahrungen und Beobachtungen
über Ruhr in Südwestafrika. (Daselbst Bd. XI, H. 2. 3 und 4.)
Die Arbeit, die die Erfahrungen von 413 Ruhrfällen (Deutsche,
Herero und Hottentotten) berücksichtigt, gewährt Einblick in die
Wehrlosigkeit, mit der der beste Wille unter ungünstigen Verhält¬
nissen zur kriegerischen Zeit der Ruhr gegenübersteht. Von etwa
10 000 kriegsgefangenen Hereros und Hottentotten in Windhuk starben
in Vs Jahr fast 900, also etwa 9 Proz., davon die Hälfte an Ruhr;
da bei den Weissen die Todesgefahr sich zur Erkrankungsziffer ver¬
hielt wie 1:25, hätten bei Zugrundelegung dieser Ziffern sämtliche
Kriegsgefangenen Ruhr gehabt. Verf. glaubt jedoch, dass das Vei-
hältnis bei den Kriegsgefangenen ungünstiger war, sodass er eine
Ruhrmorbidität von 50 — 25 Proz. unter den Gefangenen, auf .icdeii
Fall sehr hohe Zahlen annimmt. Traurig stimmt, dass die Ruhr der
ersten Gruppe des Verf., der im Felde stehenden im Feldlazarett kli¬
nisch beobachteten Fälle, die ausschliesslich deutsche Soldaten be¬
trafen, etwa zur Hälfte im Lazarett erworben ist; ursächlich dafür
waren die ausserordentlich schwierigen und den Forderungen etc i
Krankenhaushygiene nicht entsprechenden Verhältnisse der Feld¬
lazarette. Die Ruhr ist im Damaraland endemisch, wahrscheinlich
auch in Namaland; die wärmeren Monate zur Regenzeit lieferten
mehr Ruhrerkrankungen als die besonders zur Nachtzeit kühleren,
trockenen Monate: vielleicht waren daran die zur Regenzeit vei-
mehrten Fliegenschwärme nicht schuldlos. Als Ursache konnten so¬
wohl Amöben als auch Kruse-Shiga sehe Bazillen nachgewiesen
werden (wenige Untersuchungen). Besonders gutartig ist die Rum
Südwestafrikas nicht, obschon sie bei den jugendlichen, widerstands¬
fähigen Individuen oft leicht verlief. Häufig wurde die Ruht lnVei-
bindung mit Typhus angetroffen, meist als Nachkrankheit °der Ruck¬
fall einer früheren Ruhrerkrankung, mehrfach wurde beobachtet, dass
vorhandene Ruhrerscheinungen beim Einsetzen des lyphus yo g
zurücktraten, um sich in der Typhusrekonvaleszenz wieder einzu-
s teilen. Auch Komplikation mit Skorbut war häufig- Komphkaüon
mit Leberabszess war selten. Ruhr trat in allen Foimen
einfachen katarrhalischen bis zur diphtherisch-brandigen l au ,
selten lag eine Beteiligung des Dünndarms vor. Die Hauptfoim der
schweren Fälle war die diphtherische Schleimhautentzundung mit
1748
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
zwar häufiger, aber oberflächlicher Geschwiirsbildung. Statistik,
Einzelheiten und zahlreiche Sektionsprotokollauszüge im Original.
A. Broden und J. Rodhain (jetzt Leopoldville Kongostaat):
Behandlung der Schlafkrankheit (französisch). (Daselbst Bd. XI, H. 3.)
Dem ersten der drei bei der ersten Mitteilung (Ref. s. d. Wochen¬
schrift No. 18, 1907) erwähnten Fälle geht es vorzüglich, sodass er als
wiederhergestellt angesehen werden kann; dem zweiten geht es bis
auf 3 kurze Temperatursteigerungen recht gut, Trypanosomen wurden
auch in der Rückenmarksflüssigkeit nicht mehr nachgewiesen. Der
dritte hat keine günstige Einwirkung der Behandlung gezeigt, es
wurden bei ihm wiederholt Trypanosomen in Blut gefunden. Ein
vierter Fall, bei dem das Atoxyl in hohen Dosen gegeben wurde, hat
sich sehr gut gebessert — Fieber verschwunden. Gewichtszunahme,
Trypanosomen nicht mehr nachweisbar, Rückbildung der geschwol¬
lenen Lymphdriisen. — Entgegen Kopkes Meinung glauben die
Verf. nicht, dass sich die Trypanosomen in die Rückenmarksflüssigkeit
zurückziehen, wenn sie durch Atoxyl bekämpft werden. Während
Koch hohe Dosen jeden 9. und 10. Tag gibt, haben die Verf. täglicn
meist geringe Dosen angewendet.
Otto (Hamburg): Ueber Gelbfieber in Afrika. (Daselbst
Bd. XI, H. 5.)
Verf. machte im Aufträge des auswärtigen Amtes eine Studien¬
reise zur Erforschung des Gelbfiebers in Togo und Kamerun. Er hält
an der Ansicht fest, dass das Gelbfieber von Amerika nach Afrika
eingeschleppt ist; endemische Herde bestehen zwischen Elfenbein¬
küste und Goldküste und im Inneren bis in das Gebiet des oberen
Senegal und Niger. Im deutschen Gebiet endemische Herde zu ent¬
decken, gelang Verf. nicht. Ueber die Immunität der Neger kam Ver¬
fasser nicht zu sicheren Aufschlüssen, doch ist völlige Immunität
unwahrscheinlich. Forterhaltung des Infektionsstoffes durch die Ein¬
geborenen ist nicht zu bezweifeln. In Kamerun sind bis jetzt Gelb¬
fieberanfälle nicht beobachtet. Bei der Entfernung Kameruns von
den endemischen Herden und gewissen Differenzen in den Hilfsmitteln
des Haushaltes der Eingeborenen hält Verf. eine Einschleppung von
Gelbfieber nach Kamerun für nicht gefahrdrohend. Als erste Gelb¬
fieberfälle in Togo wurde die 1896 in Sebbe dicht bei Anecho (damals
Klein Popo) aufgetretene Epidemie mit 40 Fällen bekannt. Eine
zweite kleine Epidemie, 5 Erkrankungen mit 4 Todesfällen, trat 1905
in Anecho auf. Ausgangspunkt war die katholische Mission; die
Epidemie scheint grösseren Umfang gehabt zu haben; sie verbreitete
sich nach Dohomey. In Togo erkrankten 1906 bei Badja an der Eisen¬
bahn Lome-Palime wiederum 5 Europäer an Gelbfieber, von denen
4 starben: in Dahomey waren einige Erkrankungen vorausgegangen;
die Einschleppung war wahrscheinlich auf dem Landwege aus der
Goldküstenkolonie erfolgt. Bei allen Fällen konnte die Anwesenheit
reichlicher Stegomyien nachgewiesen werden; die Beschränkung der
Epidemien Togos auf ihre Herde ist der energisch betriebenen
Mückenvertilgung zu danken. Da nur die Stegomyien, auch die Brut
der infizierten Mutter, imstande sind, Gelbfieber zu übertragen, ist
Mückenvertilgung das einzige und sicherste Mittel zur Fernhaltung
der Seuche. Verhiitungsmassregeln gegen weitere Ausbreitung sind
mückensichere Isolierung der Kranken, Ausräuchern der Häuser mit
Schwefel, Vernichtung der Stegomyien in der ganzen Umgebung,
13 tägige Beobachtung der Infektionsverdächtigen. Unterschiede
zwischen der afrikanischen Stegomyia, die Verf. an keinem der be¬
suchten Plätze vermisste, und ihrer brasilianischen Schwester ver¬
mochte Verf. bis auf geringes Zurückbleiben der ersteren in ihrer
Grösse nicht zu entdecken . Larven kommen auch in schwer zu¬
gänglichen Wasserbehältern (abgedichtete Brunnen, Wasserbehälter
eines Schleifsteines) vor. Im Brackwasser, das Anopheleslarven als
Aufenthalt diente, geht die Stegomyialarve zu Grunde, ihre Bekämpfung
verlangt daher nicht Zuschüttung grosser Tümpel und Petrolierung
grosser Wasserflächen, vielmehr nur gründliche Inspektion der Wohn¬
stätten und ihrer Umgebung. Für persönlichen Mückenschutz durch
Moskitonetze und mückensichere Häuser sollte jeder Europäer Sorge
tragen.
Eysell (Kassel): Beiträge zur Biologie der Stechmücken.
(Daselbst Bd. XI, H. 6.)
Der Verf. beobachtete, dass Tümpel zuweilen gleich nach dem
Auftauen der lückenlosen Eisdecke von mehr oder minder erwach¬
senen Stechmückenlarven wimmeln; er wurde dadurch zu Versuchen
über die Abtötung der Stechmückenlarven in mit Petroleum oder
Gelen übergossenem Wasser veranlasst und schliesst aus den mit
Kulex und Anopheleslarven in gleicher Weise angestellten Versuchen,
dass Stechmückenlarven in dem kühlen sauerstoffreichen Wasser
von Tümpeln, die durch eine lückenlose Eisdecke absolut von der
atmosphärischen Luft abgeschlossen sind, viele Tage lang haut-,
kiemen- und darmatmend ihr Leben fristen können; Puppen gehen
wegen mangelnder Haut- und Darmatmung viel schneller zu Grunde.
Werden Puppen und Larven durch indifferente Flüssigkeiten, wie
Oliven- und Erdnussöl, an der physiologischen Atmung gehindert, so
befinden sie sich unter ähnlichen Verhältnissen, wie sie in einem zu¬
gefrorenen Tümpel gegeben sind. Sie Überstehen deshalb diesen Ein¬
griff in ihre Lebensbedingungen ausserordentlich viel besser und
länger, als wenn der Luftabschluss durch ölartige Flüssigkeiten be¬
wirkt wird, welche giftige Bestandteile enthalten. Auch hier erliegen
Puppen wesentlich früher als Larven, während bei Anwendung ver¬
gifteten Wassers gerade das Gegenteil der Fall ist. Der Grund dafür
ist die Mangelhaftigkeit der Haut- und Kiemenatmung der Puppen,
während sie andererseits durch eine doppelte in ihrem äusseren
Blatte lückenlose Chitinhülle gegen das Eindringen der im Wasser ge¬
lösten Gifte von der äusseren Körperfläche aus wirksam geschützt
sind. Die Larven hingegen, die durch Haut-, Kiemen- und Darm¬
atmung dem Erstickungstode wesentlich besser widerstehen, fallen
dem durch wasserlösliche differente Stoffe hervorgerufenen Ver¬
giftungstode viel leichter zum Opfer als die Puppen, da die gelösten
Gifte bei den Larven durch den Mund, die Afteröffnung und die dünne
Oberhaut rasch und leicht in die Säftemasse gelangen.
B r i e g e r und Krause (Berlin) : Kann man durch Einspritzung
von Chemikalien, wie übermangansaures Kali und Chlorkalk, den
menschlichen und tierischen Organismus gegen die Wirkung des
Schlangengiftes schützen? (Daselbst Bd. XI, H. 6.)
Verfasser stellten an mit Kolubridengift, Krotalusgift und Vipern¬
gift vergifteten Meerschweinchen Rettungsversuche durch Ein¬
spritzung von übermangansaurem Kali und Chlorkalk an. Irgend eine
Beeinflussung trat, wie Verfasser von vornherein erwartet hatten,
nicht auf. Die Versuche wurden angestellt, um den immer wieder
aufgestellten Behauptungen, dass durch diese Mittel eine Schutz¬
wirkung erzielt würde, entgegenzutreten.
H o 1 1 h u s e n - Hamburg: Das Hamburger Staatsschiff „Desin¬
fektor“. (Schiffbau, Jahrg. VII, No. 22 und 23.)
Die Masse des Schiffes, das nicht durch eigene Kraft fortbewegt
wird, sind: Länge 18 m, grösste Breite 7 m, Tiefgang 0,45 m, Be¬
satzung 6 Mann. Hinten steht der Generatorgasapparat (von Julius
Pintsch, Berlin), vorn der Desinfektionsapparat (von Boy und
Rath, Düsseldorf). Die Leistung des Generatorgasapparates be¬
trägt 3000 cbm Gas pro Stunde; aus 10 kg Koks werden ca. 75 cbm
Gas erzeugt; es genügt zur sicheren Tötung der Ratten, dass 50 Proz.
des zu desinfizierenden Schiffsrauminhaltes Gas zugeführt wird. Als
Kosten für Rattenvernichtung werden die dem Staat erwachsenden
'Selbstkosten berechnet, nämlich etwa 1 Pfg. pro 1 cbm Schiffs¬
raum. Das Gas wirkt etwa 2 Stunden ein, wird dann durch frische
Luft ausgeblasen. Vor dem Wiederbetreten dienen zum Nachweis
der genügenden Lüftung Versuchstiere.
Der Desinfektionsapparat arbeitet mit Vorerwärmung und Luft-
verdünnung.
Maschinelle Details usw. siehe im Original.
Elliott: Natal-Beulen. (Journal of tropical Medicine and
Hygiene. 1. Jan. 07. S. 1.)
Verf. macht für die Entstehung und Hartnäckigkeit der tropischen
Furunkulose Abnahme des Blutes an kampffähigen Stoffen infolge
langen Tropenaufenthalts verantwortlich. Eigentümlicherweise schiebt
er dem Wasser (Regenwasser und gekochtes Wasser), dem es an
Salzen — Eisen und Kalk — mangele, die Hauptschuld zu. Die ört¬
lichen Veränderungen in der Haut durch die hohe Aussentemperatur
sind ihm zu sehr entgangen. Als einziges und sicher wirkendes Mittel
hat sich ihm Chinin erwiesen.
Bagshawe: Ueber Bihimbo-Krankheit (Uganda). (Daselbst,
15. Januar 1907, S. 18.)
Im Chakadistrikt Ugandas fand Verfasser eine nach Aussage der
Eingeborenen seit 2 Jahren heimische, chronisch verlaufende, beriberi-
ähnliche Erkrankung. Die 25 vom Verfasser beobachteten Fälle stam¬
men aus zusammenliegenden Dörfern beiderseits der von Kakumiro
nach Mbarara führenden Strasse. Der Verdacht, dass es sich um
Beriberi handelt, wird durch die mitgeteilten Symptome bestätigt.
Bei der unserem Schutzgebiet in Ostafrika benachbarten Lage
Ugandas ist die Mitteilung der Beobachtung und aufmerksamer Ver¬
folgung wert.
Pfihl: Drei tropische Leberabszesse aus dem Marinehospital
Brest. (Archives de medecine navale, Bd. 86, H. 12.)
Die Untersuchungen des Verf. an drei nach längerem Tropen¬
aufenthalt entstandenen Leberabszessen bestätigen die Beobach¬
tungen Bertrands und Fon tan s, dass die Urin- und Harnstoff¬
ausscheidung bis zur Eröffnung des Abszesses stark vermindert ist,
nach Eröffnung jedoch fast plötzlich und stark zunimmt. Im übrigen
hat die Arbeit nur kasuistisches Interesse.
Cazamian: Das krepitierende Hygrom (Ai douloureuse) der
Bootsgäste als Berufskrankheit. (Daselbst, Bd. 86, No. 12.)
Verf. sah das in Deutschland gewöhnlich als Tendovaginitis cre-
pitans bezeichnete Krankheitsbild auf dem französischen Panzerkreu¬
zer „Gloire“ im Verlauf von 2 Monaten bei 4 Bootsgästen auftreten,
nachdem sie bei schlechtem Wetter anhaltend gerudert hatten; 3 Er¬
krankungen infolge ähnlicher Ursache werden von der „Melpomene“
berichtet. Der genaue Vorgang bei der Riemenhaltung wird analy¬
siert und mit einem achten Fall verglichen, bei dem dieselbe Krankheit
infolge einer Verletzung auftrat. Den Sitz der Entzündung verlegt
Verf. nicht in die Sehnenscheiden, sondern in einen konstanten
Schleimbeutel, der sich zwischen den Extensoren der Hand und den
Abduktoren des Daumens findet (Extensor brevis und Abductor lon-
gus). Die Erkrankung fand sich stets an dem Arm, der der Boots¬
mitte am nächsten ist, der also den grössten Bogen beschreibt beim
Gebrauch des Riemens.
Chastang, Medicin Principal de la Marine francaise: Die
Tendovaginitis crepitans in der Marine. (Daselbst, Bd. 87, S. 176.)
Die Tendovaginitis crepitans ist in der Marine häufig; sie ist
Folge einer Ueberanstrengung der Muskeln oder einer Gewalteinwir¬
kung. Kälte ist zu ihrem Zustandekommen wesentlich. Sie befällt
häufig Spezialisten, die sich mit besonderen Manövern oder mit der
MUENCttENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
27. August 1907. _ _
Artillerie abgeben; sie kann nicht als Spezia'krankheit der ßootsgaste
angesehen werden. Barthelemy hat sie im Jahre 1865 als
Berufskrankheit der Artilleristen ansprechen^ wollen^ ^ _Berljn
Inauguraldissertationen.
Universität Halle. Juli und August 1907.
13. Ackermann H. D. Max: Ein seltener Fall von Tubenschwanger-
14. Aueck-Hahn Hellmuth: Beitrag zur Aetiologie der vaginalen
15. Balthasar Paul: Ueber die Behandlung traumatischer Schädel-
16. Emmerling Valentin: Ueber das Sarkom als Unfallfolge beim
17. QreuT Max1; Ueber Arthritis deformans bei kongenitaler Hüft-
18. Or? szUOyuia: 65 Fälle von Einleitung der künstlichen Früh¬
geburt wegen Beckenenge 1896 — 1905 inkl. aus der Halleschen
Universitätsfrauenklinik. . , D ,
19. Jagemann Ernst v.: Ueber die Beziehungen zwischen Rachitis
und Epilepsie mit statistischen Belegen.
Universität Jena. Juli und August 1907.
21. Toepolt Friedrich Rudolf: Zur Kenntnis der von den Neben¬
höhlen ausgehenden Orbitalentzündung. .
22. B a u m g a r t e n Georg: Zur Kenntnis der Retinitis pigmentosa
und ihrer Komplikationen mit Glaukom und Makulaveränderungen.
23. Leitner Artur: Erfahrungen mit der Pubiotomie in der Frauen¬
klinik zu Jena seit Oktober 1904.
24. R ö s s 1 e r Ernst: Zur Kenntnis der Magnetoperation und Siderosis
bulbi.
1749
Vereins- und Kongressberichte.
14. Versammlung des Vereins Süddeutscher Laryngo-
logen zu Heidelberg.
Pfingsten, 20. Mai 1907.
(Offizieller Bericht des Schriftführers Dr. Felix Blumenfeld-
Wiesbaden.)
II.
Herr S t a r c k - Karlsruhe: Oesophagoskopische Diagnostik von
Erkrankungen im oberen Speiseröhrenabschnitt. Die Oesophago-
skopie, welche bei jedem normal gebauten Kinde und Erwachsenen
ausführbar ist, erfordert ein gutes Instrumentarium, insbesondere ist
darauf zu achten, dass der Mandrin gut in das Rohr passe, damit
nicht Schleimhautfalten sich zwischen Mandrin und rubus fangen.
Besondere Vorsicht ist bei Untersuchung der Speiseröhre in Kehl¬
kopfhöhe geboten. Bei Verdacht auf Karzinom dieser Gegend ist
eine intraösophagale arobeexzision vorzunehmen. Das Zenker-
sche Pulsionsdivertikel kann unter Umständen sondieit werden, in
anderen Fällen ist eine Oeffnung nicht aufzufinden. St. weist be¬
sonders auf eine bisher nicht beschriebene Erkrankung des obeisten
Oesophagusabschnittes hin, deren Diagnose nur vermittelst des Oeso-
phagoskops gestellt werden kann. Die Klagen der Kranken, jugend¬
liche Individuen, meist weiblichen Geschlechts, bestehen m Unbe¬
hagen, Reizgefühl im Halse, oder leichtem Schmerz und etwas
Stechen besonders beim Schlucken grosser, heisser Bissen etc. Die
bisherige Therapie war häufig die beim Rachenkatarrh übliche, diese
versagt ganz. Wenn alsdann die empfindliche Stelle von dem I a-
tienten in die Speiseröhre verlegt wird, was meist eist spatei ge¬
schieht, gibt das Oesophagoskop Auskunft, während die Sondierung
keinerlei Aufschluss gibt. Beim Absuchen des obersten Abschnittes
der Speiseröhre konstatierte St. zweierlei Veränderungen. Einmal
ganz umschriebene Wandveränderungen, die wie Infiltrate der Wan¬
dungen imponierten und zweitens kleine umschriebene Ausbuchtungen
der Wand mit entzündlichen Veränderungen der Schleimhaut. Die
ersteren waren linsen- bis pfennigstückgross, die deckende Schleim¬
haut nicht glatt, sondern leicht höckerig und teils blasser als die Um¬
gebung, teils intensiv gerötet; bei genauer zentraler Lage des lubus
ergab sich eine entsprechende Unregelmässigkeit des Schleimhaut-
trichters und bei Sondieren mit der geknöpften oder Divertikelsonde
wurde die Stelle als der Schmerzpunkt geäussert.
In anderen Fällen konnte man jedoch eine ganz deutliche kleine
unregelmässige Ausbuchtung des im Uebrigen normalen Lumens fest¬
stellen; .eine flache Grube, in der etwa zwei Linsen aufgenommen
werden konnten. Eine divertikelartige Gestalt hatten sie nicht ins¬
besondere war keine Andeutung einer Schwelle 'zu sehen. Der Grund
dieser Grübchen war stets entzündet, hochrot, bis hoch blaurot und
diese Entzündung erstreckte sich auch nach oben. Speisen fand ^ .
nie in den Gruben, vermutet aber, dass trotzdem etwa unter dem
Druck eines Bissens Speisereste darin hängen bleiben konnten.
Herr v. E i c k e n - Freiburg i. Br.: Weitere Mitteilungen über
Hypopharyngoskopie. Der Hypopharynx kann ausser mit 'dem \ on
Killian verwandten, von Vortragendem beschriebenen Rohren¬
spatel, im Spiegelbild untersucht werden; der ersteren Methode ver¬
mittelst Röhrenspatel haften zweifellos gewisse Nachteile an (Gefahr
der Blutung bei Karzinom etc.). Für die Untersuchung im Spiegel¬
bild gibt es drei Möglichkeiten:
1 Vorziehen des Kehlkopfs mit der Hand von aussen.
2 Man kann den Kehlkopf mit einem gebogenen Instrument von
hinten angreifen und nach vorne ziehen (Verfahren von Blumen-
f C 1 d3 1 Es C l^es te h f ' d R 6 Mö g 1 L h k e i t , den Angriffspunkt in das Kehl¬
kopfinnere zu verlegen, wobei selbstredend eine vorherige Koka-
inisierung des Larynx erforderlich ist. Man kann nun entweder mit
einem U-förmig gebogenen Haken oder mit einem den Kehlkopfsonden
nachgebildeten Instrument, das v. E. als Larynxhebel bezeichnet, den
Kehlkopf von der Wirbelsäule abheben und aut diese Weise mit dem
Kehlkopfspiegel einen Einblick in den Hypopharynx gewinnen. Diese
Methode hat den grossen Vorzug, dass wir in schonendster Weise
den Hypopharynx aufdecken können, ohne ein Instrument in ihn ein-
fUhreBronchoskopische Mitteilungen. Die in extenso mitgeteilten Fälle
können hier nur kurz aufgezählt werden. ... ,
Fall 1 3L2 jähriger Knabe, durch obere Bronchoskopie stück¬
weise eine gequollene' Bohne aus linkem Hauptbronchus, den sie ganz
verlegte, entfernt, dann Dyspnoe. Tags darauf untere Bronchoskopie;
in beiden Bronchialbäumen nichts gefunden. Bronchitis, dann Wohl¬
befinden. Nach einigen Tagen Dyspnoe, Wiedereröffnung der
Trachealwunde, Expektoration eines Stückchens Bohnenhaut, Hei-
^ Fall 2. Kieselstein -im rechten Hauptbronchus eines 5 jährigen
Mädchens, entschlüpft bei Extraktion, v. E. findet ihn im rechten Bron-
ChUSFaUt3ak9<jähdgeesUKhid, das nach Genuss von Wellfleisch heftige
Atemnot bekommt, der Fremdkörper zuerst subglottisch, gerat bei
erstem Extraktionsversuch in die Tiefe; Tracheotomie; das ganze
Fleischstück wird dabei ausgehustet, später erbrochen.
Fall 4. 14 monatliches Kind, unter Zeichen schwerei Dyspnoe
in die Klinik gebracht; physikalischer Befund gibt keinerlei Anhalts¬
punkt für Lokalisation im rechten oder linken Bronchialbaum, der linke
Hauptbronchus konnte nur in seinem Anfangstell ubersehen werden,
dort ebenso wie rechts negativer Befund. Hautemphysem, T racheo-
tornie Exitus. Sektionsbefund: keinerlei Verletzung im Rachen,
Trachea etc. Interstitielles Emphysem beider Lungen; ein Stückchen
Nusskern im linken Bronchus, ein weiterer tiefer, .dort die Ursache
des Emphysems. Ob eine vermittels unterer Bronchoskopie yor ge¬
nommene Extraktion unter diesen Umständen noch Heilung gebiacht
^t^pall 5 _ 8 Weiterer Fremdkörperfälle mit Ausgang in Heilung.
Fall 9. Membranöse Tracheitis mit Diphtheriebazillen, Serum¬
behandlung, Tracheotomie. Wegen eintretender Atemnot wurden
durch ein kurzes, in die Trachealwunde eingeführtes Rohrcl|?n U1^
vermittels stumpfer Zangen die die Atmung v^rh'n^ern^^ l
und Membranen entfernt, wodurch verschiedentlich die Dyspnoe ge
hoben werden konnte. Die Entfernung von Krusten aus der Trachea
empfiehlt sich, wie auch Pieniazek zeigte, in ähnlich liegenden
Fällen von Verlegung der Kanüle und der Trachea durch Krusten ui
Me^irain0en- 41jährige Pflegeschwester mit periodischem Auswurf,
Atemnot, "Verdichtungserscheinungen im linken Unterlappen, keine
Tuberkelbazillen; früher wurde einmal ein abgebrochenei Schneide¬
zahn verschluckt, auch besteht eine Struma mit leichter Deformität der
Trachea Obere Bronchoskopie: aus dem linken Bronchus kommt
blutig tingierter Eiter. 4—5 cm von der Bifurkation entfernt eine fest-
weiche Masse, die der hinteren Zirkumferenz des Bronchus bi eit aui-
sass- von einem Fremdkörper fand sich nichts. Exzision des Tumors
unter sehr geringer Blutung. Nach Entfernung fühlte sich Patientin
S°f0r[)ier makroskopische Betrachtung der exzidierten Masse ergibt,
dass es sich um ein 1,3 cm langes 6 mm dickes polypöses p%h' ^
handelt, das der Unterfläche ziemlich breitbasig aufsass. Wo der ! oly p
abgetragen ist, findet sich eine unregelmässige, höckerige, 3 mm Durch¬
messer grosse, gelbliche Masse, die die Konsistenz von Knorpel hat.
Am Stiel des Polypen und an einer Stelle seiner Kuppe ist die Schleim
haut defekt und auch hier finden sich kleinere Knorpelperlen. Es han¬
delt sich, wie die histologische Untersuchung bestätigt, um Ekchon-
drom des Bronchus. Später noch Exzision eines kleinen Restes dei
Geschwulst. Seitdem Wohlbefinden, kein Rezidiv.
Herr W. Brünings - Freiburg i. Br.: Zur Technik der Broncho¬
skopie.^ gebräuchlichen Instrumentarium für T racheo- und
Bronchoskopie und Oesophagoskopie hat B. Verbesserungen ange¬
bracht, die die Handhabung dieser Methoden erleichtern und das In¬
strumentarium einfacher und wohlfeiler gestalten. - 1 c
drei Duf 'Konstruktion und Handhabung der Beobachtungsrohre.
Um die Passage des Kehlkopfes der schwierigsten Ste le bet Ein-
führung des bronchoskopischen Rohres, zu erleichtern, n s -
sehenswert dieses zu verkürzen, so dass mit kurzem Hebelarm g
wirkt' wird," endlich ist die Einführung de« s Roh res über die ^Epiglc > tu
hinweg, die wie überall unter Kontrolle des Aug. 2S. i?i l i an¬
wesentlich erleichtert, wenn das untere Rohrende beim Killian
1750
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
sehen Röhrenspatel schräg abgeschnitten ist. Diesen Erfordernissen
genügt B. dadurch, dass er den Handgriff senkrecht zum Rohre stellt
und weiter, dass er in das in gedachter Weise abgeschrägte Rohr unter
extremer Raumersparnis ein engeres einfügt, das nach Passieren der
Kehlkopfenge nach Bedarf weiter in Trachea bezw. Bronchus vor¬
zuschieben und auf jeder Länge einzustellen ist. Die technischen Ein¬
zelheiten sind ohne Abbildung in Kürze nicht zu schildern. Es ist ein
weiterer Vorteil dieser Konstruktion, dass stets nur so viel Rohrlänge
entwickelt wird, als der betreffende Eall erfordert, was das Operieren
in der Tiefe erleichtert und eine bessere Ausnützung des Lichtes ge¬
stattet; endlich ist die Zahl der Rohre, die für die verschiedenen
Lebensalter etc. nötig sind, beschränkt.
2. Die Veränderungen an den Operationsinstrumenten beruhen auf
dem gleichen Prinzipe der Verschieblichkeit in der Längsrichtung und
gewähren analoge Vorteile der besseren Anpassung an die im ein¬
zelnen Eall benötigte Länge und des geringeren Preises der Instru¬
mente. Sie sind mit festem Griff (K i 1 1 i a n) so konstruiert, dass das
untere Ende abzuschrauben ist, so dass auf denselben Führungsstab
verschiedene Zangen, Häkchen etc. aufg;eschraubt werden können.
Auch diese Neuerung bedeutet eine Vereinfachung in Bezug auf die
Ausrüstung. Die auszuwechselnden Endorgane sind ebenfalls ab¬
geändert; so hat B. eine Krallenzange mit nach Art der Schlangen¬
zähne rückwärts gerichtetem nähnadelscharfem Häkchen konstruiert,
die K i 1 1 i a n sehe „Bohnenzange“ wird durch kleine, scharfe Häkchen,
die am Rahmen dieser Fensterzange sitzen, zum Fassen von dicken
Gegenständen geeigneter gemacht etc. 3. Die dritte Modifikation be-
trifft die Beleuchtung. B. verwendet an Stelle der Stirnlampe eine
mit dem Bronchoskop verbundene Lampe, hält jedoch an dem der
K i r s t e i n sehen Lampe zu gründe liegenden Prinzip im Ganzen
fest; seine Lampe enthält drei sich in einem Punkte kreuzende Kohlen¬
fäden und ein optisch richtig konstruierter Kondensator richtet einen
hohen Prozentsatz der vom Kreuzungspunkt ausgehenden Licht¬
strahlen parallel in das Untersuchungsrohr; eine Verschieblichkeit des
optischen Systems dieser Lampe ermöglicht es, die grösste Helligkeit
je nach Lage des Falles, d. h. nach der benötigten Rohrlänge optimal
einzustellen, sodass eine von keinem anderen Beleuchtungssystem
ei reichte Helligkeit am Rohrende erzeugt wird. Um Verschiebrohre
etc. in das eingeführte Rohr einführen zu können und behufs Säu¬
berung wenn der Spiegel angehustet ist, kann der ganze Beleuchtungs-
appai at zurückgeklappt werden. Um den Gebrauch von Instrumenten
zu ei möglichen, ist der Beleuchtungskörper 10 cm vom Rohrende zu
entfernen, ohne dass ein nennenswerter Helligkeitsverlust entstände.
Bei Anwendung der in der Längsrichtung verschieblichen Instrumente
(s. oben ad 2) genügt der Raum zu ihrer Handhabung.
Diskussion: Herr V o h s e n. Schlusswort.
Herr Fr. Nag er -Basel: Bronchoskopische Mitteilungen. Zu¬
nächst sieben Fälle von Fremdkörpern, die bis auf einen durch obere
I racheobronchoskopie entfernt werden konnten, doch neigt N. der
Ansicht zu, bei Kindern in den ersten Lebensjahren eher zu tracheoto-
mieren. Diagnostisch bewährte sich die Tracheobronchoskopie be¬
sonders bei Strumen; es konnte der Sitz der komprimierenden Tumors
festgestellt werden, ferner bei Diphtherie. Bei postdiphtherischen
1 rachealstenosen wurde durch sorgfältiges Einführen und Liegen¬
lassen der I üben Besserung erzielt. Bemerkenswert ist ein Fall von
Kompression der Trachea und der Bronchien infolge von spondy-
htischem Senkungsabszess. Derselbe hatte eine Kompression der
lfui kationsgegend bewirkt. Auffallend war die bedeutende Bes¬
serung der Atmung bei liegender Röhre. In der Annahme, die Ver¬
enget ung der Luftwege könnte doch in Zusammenhang stehen mit
einer Vergrosserung der Thymus, wurde sie durch Prof. Enderlen
exstirpiert; sie erwies sich mässig vergrössert; das Kind verstarb
einige Zeit darauf.
Die Obduktion ergab den interessanten Befund eines Senkungs¬
abszesses bei tuberkulöser Karies des 4. Brustwirbels; die Kuppe
des Abszesses entsprach ziemlich genau der Bifurkationsstelle. Nun
waren die Symptome und das tracheoskopische Bild erklärt. Bron-
chialtumoren können auf bronchoskopischem Wege frühzeitig diagno-
zeTgte1 Wer'den’ wie em Fal1 von Karzinom im rechten Hauptbronchus
Endlich erwähnt N. 9 Fälle von Fremdkörpern der Speiseröhre
die auf osophagoskopischem .Wege erfolgreich behandelt wurden
Auch hier hantle t es sich mit Ausnahme von Fall VIII um lauter
f Fremdkorpe Halle, von denen 6 bei Stenose der Speiseröhre vor-
trlauhf ÄS* der gut,!fn Resultate mit obiger direkten Methode
glaubt N. derselben vor jedem anderen Verfahren den Vorzug geben
zu müssen. Das gewaltsame Hinabstossen der Fremdkörper ist wen
Natur und Gestalt der Stenose und des Fremdkörpers nicht genau be¬
kannt sind zum mindesten als eine gefährliche Methode zu bezeichnen.
xuls, on: Herr Siebenmann: Der von Dr Nager
geschilderte Fall zeigt, wie wenig die Hoffnung der Chirurgen auf
eine wirksame gefahrlose Entfernung des Lungenkarzinoms selbst
fin die ersten Stadien desselben gerechtfertigt ist.
Herr K a n d e r - Karlsruhe: Meningitis beiin Keilbeinhöhlen¬
empyem mit Ausgang in Heilung. Im Anschluss an einen früher be¬
schriebenen Fall von Keilbeinhöhlenempyem, der durch Vermittelung
einer eiterigen Meningitis zum Exitus kam (Beitr. z. klin. Chir. Bd. 35)
berichtet K- von einem solchen, der durch Behandlung des Emyems
geheilt wurde.
Es handelt sich hier um einen Fall, in dem ausgehend von einem
Empyem der linken Keilbeinhöhle eine Infektion der Meningen, eine
eitrige Meningitis entstanden ist. Sie ist direkt nachgewiesen durch
das positive Ergebnis der Lumbalpunkton. (Eiter und Kokken im
Liquor zerebrospinalis). Als Ausdruck der Meningitis fand sich aus¬
gesprochene Nackenstarre, rasender Kopfschmerz, Muskelhyper¬
ästhesie, Bewusstseinsstörungen, Lähmungszustände bald des rechten,
bald des linken Fazialis, Erbrechen, Pupillendifferenz, ophthal¬
moskopisch Neuritis optica und schliesslich Fieber mit unregel¬
mässigem Verlauf.
Mit der Beseitigung des Empyems der Keilbeinhöhle ver¬
schwanden diese sämtlichen Erscheinungen. Es war also die Keil¬
beinhöhle die einzige Stelle, von der aus die Infektion der Meningen
statt hatte.
Herr Georg A v e 1 1 i s - Frankfurt a. M.: Oertliche seröse
Meningitis bei akuter Keilbeineiterung mit Spontanheilung. 25 Jahre
alte Kranke nach Influenza mit hohem Fieber und starken Kopf¬
schmerzen bietet die Erscheinungen eines akuten Keilbeinempyems
links, übrige Höhlen frei. Augenerscheinungen: Temporale Seiten
beider Pupillen verwachsen, die Papillen hochrot, die Venen hy-
perämisch, weiterhin Abduzensschwäche links, Okulomotorius, Pu¬
pillenreaktion intakt. Heilung mit sehr langer Rekonvaleszenz. Die
Diagnose: Seröse Meningitis begründet A. Zu der sicher festge¬
stellten Keilbeinhöhleneiterung links kommen folgende Begleit¬
symptome: Oederri der linken Augenlider, Hyperämie der temporalen
Papillenhälfte beiderseits, Anschwellung der Venen des Augenhinter¬
grundes, Abduzensparese bei Ausfall eines Fixierpunktes, ber Oku¬
lomotorius wird frei geblieben sein, da die Pupillenreaktion nicht ge¬
stört war. De spätere Unmöglichkeit zu lesen und zu schreiben kann
auf die Entkräftung zurückgeführt werden. Alle diese Erscheinungen
können nur durch die Annahme einer zirkumskripten Meningitis in
der Gegend des Sinus cavernosus erklärt werden.
Herr Theophil Hug- Luzern: Ueber einen Fall von akuter
Leukämie mit Exitus nach Adenotomie. Das dreijährige schwächlich
aussehende Kind hatte erheblich vergrösserte Rachen- und Gaumen¬
mandeln, deren Aussehen nichts Besonderes bot, Entfernung der
Adenoiden ohne Narkose, keine Nachblutung, etwa 8 Tage später
grosse Schwäche, Vergrosserung von Leber und Milz, hier und da
kleine Petechien. Nach weiteren 8 Tagen Exitus, eine 16 Stunden
vorher gemachte Blutuntersuchung ergab einen für akute Leukämie
t3q?ischen Befund, der auch durch die Sektion bestätigt wurde. Es
ist wahrscheinlich, dass eine latente Leukämie schon vorher bestand.
Auffällig ist, dass eine stärkere Blutung nach der Adenotomie fehlte.
Herr D ü n g e s - Schömberg: a) Zur laryngologischen Kasuistik.
Eine 37 Jahre alte Ehefrau mit gleichzeitigem Katarrh beider Lungen¬
spitzen zeigte an beiden Stimmbändern an der Grenze zwischen vor¬
derem und mittlerem Drittel ein stecknadelknopfgrosses Blutbläschen,
das als doppelseitiges symmetrisches Angiom angesprochen wird.
Der zweite Larynxfall betrifft eine hereditär belastete 37 jährige
Ehefrau, die sowohl von der Vorderwand unter den Stimmbändern
her, wie auch an der Hinterwand des Kehlkopfes tuberkulöse Wuche-
rungen zeigte. Die Therapie bestand lediglich in der physikalisch-
diätetischen Allgemeinbehandlung mit nicht ganz strenge innege¬
haltenem Schweigegebot. Die Wucherungen gingen ohne alle lokale
Therapie bis auf leichte Erhabenheiten zurück. Es können also tuber¬
kulöse Kehlkopfaffektionen auch ohne lokale Therapie heilen.
b) Zur Theorie des Asthmas.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. Juni 1907.
Herr Schade: 1. Ueber Reproduzierbarkeit der
Gärungen durch anorganische Katalyse. 2. Diabetes und Kata¬
lyse. (Erscheint in der-Münch. med. Wochenschr.)
Sitzung vom 1. Juli 1907.
Herr Graf: Ueber den Einfluss der Gastroenterostomie
auf Motilität und Sekretion des Magens. (Erscheint in der
D. Zeitschr. f. Chir.)
Herr Holzapfel:
a) junges Ei, mit der Dezidua ausgestossen, von der Decidua ba-
salis und capsularis völlig umhüllt; Länge der Eihöhle etwa 6—8 mm.
Ein kleiner Teil des Eies ist in Reihenschnitte zerlegt, und die fötalen
und maternen Elemente in der Dezidua werden gezeigt und be¬
sprochen.
b) ein Fötus von 5,6 cm Länge, künstlicher Abort wegen Tuber¬
kulose.
c) Abortivei mit Fötus von 15—16 mm Länge. Im Amnion findet
sich beim Durchtritt des Bauchstiels ein kleines, scharfrandiges,
rundes, intrauterin entstandenes Loch, durch welches eine hintere
Extremität des Fötus in den Raum zwischen Amnion und Chorion
ragt. H. bespricht die Entstehungsursachen dieser Anomalie und die
Folgen, die sich daran anschliessen können.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1751
Sitzung v o in 15. Juli 1907.
Herr Hensen: Die Tondämpfung im menschlichen Ohr.
(Erscheint in Pflügers Archiv.)
Sitzung vom 29. Juli 1907.
Herr Friedrich: Hörstörungen nach Schalleinwirkung.
E. berichtete über die Untersuchungsbefunde bei 19 Ma-
rineartilleristen, die durch Schiessen eine Gehörschädigung er¬
litten hatten. Die Befunde lassen sich durch die anatomischen
Veränderungen, welche Wittmaack in seiner tieiexpeii-
mentellen Arbeit „Ueber die Schädigung des Gehörs durch
Schalleinwirkung“ beschrieben hat, sehr wohl erklären.
Eine ausführlichere Arbeit über diesen Gegenstand wird in
der „Festschrift für S c h w a r t z e“ erscheinen.
Herr Holzapfel: a) Fruchtachsendruck.
H. spricht über die Untersuchungen und Versuche über den
Fruchtachsendruck und den allgemeinen Inhaltsdruck. Das
Wesentliche für die Fortbewegung der Frucht ist der allge¬
meine Inhaltsdruck. Einen wichtigen Nachweis hierfür sieht H.
in einer in dieser Beziehung wenig gewürdigten Beobachtung:
beim Vorrücken des Kopfes im Beckenausgang fühlt man öfters
auf dem vordrängenden Kopf die Galea gefaltet. Diese Faltung
am vordringenden (nicht zurückgegangenen) Kopf lässt sich nur
durch die Wirkung des allgemeinen Inhaltsdruckes erklären,
indem der auch die Galea unmittelbar treffende Wehendruck
bei engem Geburtskanal die weiche verschiebliche Galea
schneller vorschiebt als den Schädel. Bei der Vorwärtsbewe¬
gung durch Fruchtwirbelsäulendruck müsste die Galea infolge
des Reibungswiderstandes an der Beckenwand während der
Wehe Zurückbleiben,
b) Abnabelungszeit.
Für den Blutaustausch zwischen Nachgeburt und Neu¬
geborenem sind am wichtigsten die Verschiedenheit des
Druckes, unter dem Nachgeburt und Neugeborenes stehjen,
und die Lungenatmung des Kindes, eine geringere Rolle spielt
der Druck von seiten des Herzens, die Zusammenziehungs¬
fähigkeit der Nabelarterien. Der rasche Blutübergang in das
Kind gleich nach der Geburt hängt teils ab von einem noch
bestehenden Wehendruck, teils von dem Nachlassen des stär¬
keren Druckes, unter dem sich das Kind im Geburtskanal kurz
vor dem Austritt befunden hat. Es soll, wenn irgend möglich,
abgenabelt werden: 1 .nachdem das Kind ausgiebig geschrien
hat, 2. auf der Höhe einer Wehe. Auf letzteres ist besonders
zu achten, wenn vor dem Schreien des Kindes abgenabelt wer¬
den muss. Ungeeignet und nicht unmittelbar verständlich ist
die Vorschrift, nach dem Aufhören des Nabelschnurpulses ab¬
zunabeln. Bei der Vorschrift, bei schlaffer Nabelvene abzu¬
nabeln, wird übersehen, dass die Nabelvene auch durch Schlaff¬
heit des Uterus leer werden kann, ohne dass das Kind die ihm
zukommende Blutmenge besitzt.
Herr Fischer: Ueber rasche spontane Entbräunnng und
Enteisenung bei einem Grundwasser. (Erscheint in der hy¬
gienischen Rundschau.)
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Kein.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 13. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr Klein jun.
Herr Dreyer: Demonstration eines Falles von Lichen syphi¬
liticus.
Dreyer zeigt eine Frau, die seit 3 Monaten an einem äusserst
heftig juckenden Hautausschlag leidet. An der Haut des Gesässes, der
Oberschenkel und Unterschenkel, hier vorwiegend an den Beuge¬
seiten, finden sich entsprechend den Follikeln im allgemeinen ange¬
ordnet eine grosse Anzahl dicht gedrängter runder, hier und da reihen¬
förmig angeordneter, auch einzelstehender hirsekorn- bis Unsen-
grosser, meist blaurot gefärbter, derber Knötchen. Dieselben tragen
an der Oberfläche eine fest anhaftende Hornschuppe, nach deren Ent¬
fernung eine Delle zurückbleibt. An der Haut beider Ellenbogen sind
Gruppen von etwas erhabenen, wachsartig transparenten Knötchen
vorhanden, ebenso in den Kniebeugen. In der rechten inneren
Malleolargegend findet sich ein kaum infiltrierter, leicht schuppender,
ovaler, zweimarkstiiekgrosser Plaque, der besonders stark juckt.
In der rechten Hohlhand fünfzigpfennigstückgrosse Verdickung der
Hornschicht auf blaugefärbtem Grund. Schleimhäute frei, ebenso
Kopf, Anus und Genitalien. Jedoch soll ein Geschwür an letzteren
vor 3 Monaten bestanden haben. Erbsengrosse allgemeine Driisen-
scbwellungen. Der Ehemann soll gesund sein. Trotz der täuschenden
Aehnlichkeit des Exanthems mit Lichen-ruber-Formen — namentlich
glichen die Effloreszenzen an den Nates denen des Lichen ruber
acuminatus völlig — trotz des starken Juckens, der negativen Anam¬
nese und der mangelnden anderweitigen Symptome, sowie, der An¬
ordnung musste die Diagnose auf einen Lichen syphiliticus ge¬
stellt werden, da sich im Gewebssaft nach Abkratzung der Schuppen
neben einer Anzahl Sp. refringentes deutliche typische Pallidae fanden.
Herr F. C allen: Ueber einen Fall von Magenresektion.
MH' Bei dem 38 jähr. Manne, den ich Ihnen heute in blühender
Gesundheit vorführe, habe ich am 5. VI. 05, also vor ungefähr 2 Jahren,
eine ausgedehnte Magenresektion ausgeführt. Er kam zu uns in sehr
elendem Zustand. Während jener U/s jährigen Krankheit war er durch
die Hände einer Reihe von Aerzten hindurchgegangen; er erbrach
täglich mehrere Male fast alle aufgenommene Nahrung und hatte
23,5 kg an Gewicht verloren.
Bei der Untersuchung fanden wir bei dem äusserst abgemagerten,
hohläugigen Manne eine hühnereigrosse Resistenz, 2 Finger breit
nach rechts vom Nabel. Die Sonde gelangte glatt in den Magen und
entleerte grosse Mengen dunkelgefärbter Speisereste; nui nach langem
Spülen wurde das Spülwasser klar. In dem nach Probefrühstück aus¬
geheberten Magensaft Hess sich bei wiederholten Untersuchungen
keine HCl, dagegen reichlich Milchsäure nachweisen.
In der Annahme eines Karzinoms am Pylorus schritten wir zur
Operation. Als der unter dem vergrösserten linken Leberlappen
liegende Magen vorgezogen wurde, fühlten sich Pylorus und die an¬
grenzenden Teile hart an, Hessen aber äusserlich keinen Iumor er¬
kennen. Der Magen wurde darauf nahe dem Pylorus an der V order¬
wand eröffnet; der eindringende Finger traf auf ein grosses zer¬
klüftetes, einen grossen Teil des Magens einnehmendes Geschwür.
Dementsprechend erfolgte eine Resektion des Magens, die ungefähr
die Hälfte seines Längsdurchmessers umfasste, Verschluss der Magen-
und Duodenalöffnung und vordere Gastroenterostomie.
Der Heilungsverlauf war anfangs ungestört; am 15. Tage setzte
eine linksseitige Pleuritis ein, die langsam zurückging, so dass der
Kranke nach 5 Wochen entlassen werden konnte. Als Ursache dieser
Pleuritis zeigte sich eine Woche später ein kleiner, offenbar sub¬
phrenisch gelegener Abszess, der in die Bauchnarbe durchbrach und
2 Seidenfäden zutage förderte.
Unsere Annahme, dass es sich um ein Karzinom handelte, konnte
bei näherer Untersuchung nicht aufrecht erhalten werden. Sie sehen
hier an dem Präparate ein zirkuläres Geschwür von ungefähr 9 cm
Längs- und 12 cm Breitendurchmesser. Das Zentrum desselben be¬
steht aus weissen, strahligen Narbenmassen, die Ränder sind wallartig
.aufgeworfen und tragen kleine papilläre Auswüchse; auch im Bei eich
,der Narbe finden sich vereinzelte kleine knopfförmige Auswüchse. Die
mikroskopischen Präparate zeigen nirgendwo eine Andeutung von
Krebs, sondern entzündliche Veränderungen. Die Mukosa ist fast
völlig zugrunde gegangen und durch Narben oder Granulationsgewebe
ersetzt. Submukosa und Muskularis sind mächtig verdickt und
stellenweise kleinzellig infiltriert.
Die zirkuläre Anordnung des Geschwüres ist eine ungewöhnliche
und da Patient vor 13 Jahren eine Lues durchgemacht hat, so liegt
der Gedanke eines Zusammenhanges damit sehr nahe; allerdings hat
uns die mikroskopische Untersuchung bisher keine bestimmten An¬
haltspunkte für diese Annahme geliefert.
Herr Jores: Ueber Leberzirrhosen, insbesondere über
nicht granulierte Formen mit okkultem Verlauf und über die
Cirrhose cardiaque.
Vortragender demonstriert und bespricht die pathologische
Anatomie der Leberzirrhose und berücksichtigt insbesondere
die neueren Ergebnisse betreffend den „Umbau“ der cirrho-
tischen Leber und die Beziehungen der Leberaffektion zu Alte¬
rationen des Blutes. Bezüglich der verschiedenen Formen der
Leberzirrhose stellt sich Vortragender auf den Standpunkt,
dass eine einheitliche Auffassung der Leberzirrhose vom ana¬
tomisch-histologischen Standpunkt aus vorderhand gerecht¬
fertigt erscheint. Indessen erleichtere die Einteilung in For¬
men die Uebersicht über die mannigfachen Erscheinungen und
gerade das Studium abweichender Fälle werfe nicht selten ein
Licht auf die eine oder andere Streitfrage.
Von diesem Gesichtspunkte aus geht Vortragender dann auf drei
Beobachtungen ein von glatter Zirrhose, -bei denen weder Vergrösse-
rung, noch Verkleinerung der Leber vorhanden war. Zunächst ver¬
riet die derbe Konsistenz beim Einschneiden eine fibröse Hepatitis.
Die Farbe des Organs war weisslichgelb. Auf der Schnittfläche sah
man auf hellgelbem Grunde kleine rote verwaschene Flecke. Es wai
also weder auf der Ober- noch auf der Schnittfläche die Granuliei ung
und Inselbildung erkennbar. Dementsprechend war mikroskopisch
die Verteilung des Bindegewebes vorwiegend eine intralobulare. Re¬
generationserscheinung seitens des Lebergewebes war unverkennbai ,
doch hatte ein Umbau im Sinne von K r e t z noch nicht stattgefunden.
Auffallend reichlich traten dagegen Erscheinungen der Atrophie an
den Leberzellen' zutage und zwar auch dort, wo noch keine Binde-
1752
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
gewebswucherung eingesetzt hatte. Aszites fehlte oder war gering.
Ikterus war gleichfalls gar nicht oder nur in Spuren vorhanden. Die
Milz war weich, einmal von normaler Grösse, zweimal leicht ge¬
schwellt.
Die Fälle waren sämtlich mit anderen pathologischen Verände¬
rungen kombiniert, Bronchitis, Emphysem und in 2 Fällen mit gering¬
fügiger Tuberkulose. Indessen lag nur in einem Falle die Möglichkeit
vor, dass das Individuum an interkurrenter tuberkulöser Pleuritis zu¬
grunde gegangen sein konnte; in den anderen war nach dem ganzen
Sektionsergebnis die Leberzirrhose als die Todesursache anzu¬
sprechen. Klinisch zeigten die Fälle das Bemerkenswerte, dass bei
vorwiegend toxischen Symptomen die Erscheinungen der Zirrhose
nicht ausgeprägt waren und eine bestimmte Diagnose nicht zuliessen.
Aetiologisch war in allen Fällen starkes Potatorium nachweisbar
Die besprochene Form der Leberzirrhose, die sich von der
hypertrophischen Form durch mangelnde Vergrösserung der
Leber und Fehlen des Ikterus unterscheidet, von der atrophi¬
schen Leberzirrhose durch die Verteilung des Bindegewebes
und das Fehlen der regeneratorisch gebildeten Leberinseln, ist,
wenn auch selten, in der Literatur als besondere Art der Zir¬
rhose erwähnt. So bei Simmonds als „diffuse fibröse.
Hepatitis“, bei O r t h als „Induration“ resp. „glatte zirrhotische
Atrophie“. Vortragender meint, dass die besondere Erschei¬
nungsweise dieser Form durch das nachweislich stärkere Her¬
vortreten der atrophischen Prozesse in der Leber bedingt sei,
womit gleichzeitig wohl ein mehr subakuter Verlauf verknüpft
sein mag. Es würde auf diese Weise verständlich sein, dass
infolge des lebhafter um sich greifenden Unterganges von
Lebergewebe die Bindegewebswucherung eine diffusere Ver¬
breitung erfährt und die regenerativen Erscheinungen nicht in
dem Masse zur Ausbildung gelangen, wie bei der granulierten
Zirrhose.
Bezüglich der Cirrhose cardiaque stimmen die Erfah¬
rungen des Vortragenden mit dem von v. Eisenmenger
eingenommenen Standpunkt überein. Dem Befund, den er in
solchen Fällen erheben konnte, in denen die Erscheinungen der
Cirrhose cardiaque klinisch zutage getreten waren, ent¬
sprachen hochgradiger Stauungsatrophie mit erheblicher, re¬
generativer Neubildung von Leberparenchym, aber ohne
wesentliche Wucherung des interstitiellen Bindegewebes.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 25. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr Bahrdt.
Schriftführer: Herr R i e c k e.
Herr H. R i s e 1 demonstriert Kurven, welche zeigen, dass im
Leipziger Kinderkrankenhaus die auf der Säuglingsstation aufge¬
nommenen Kinder des ersten Lebensjahres und die auf den übrigen
Abteilungen des Hauses verpflegten Säuglinge sich nicht allein durch
den jeweiligen Krankheitsprozess unterscheiden, sondern dass auch
die Verteilung ihrer Aufnahmen und Toten auf die Jahreszeiten, ihr
Durchschnittskörpergewicht und ihre Altersprozentzahl wesentlich
verschieden sind. Ausführlicheres siehe diese Wochenschrift No. 34,
1907.
Herr Zweifel bringt neue Ansichten über Geburtsbehandlung
bei engem Becken. Siehe Referat in der Münch, med. Wochenschr.
No. 23 vom 4. Juni 1907, p. 1149 sq. (Verh. d. deutsch. Gesellsch.
für Gynäkologie.)
Herr T h i e s demonstriert zwei Patientinnen, bei denen die
subkutane Symphysiotomie ausgeführt wurde. Bei beiden Patien¬
tinnen ist 4 Wochen nach der Operation Arbeitsfähigkeit wieder vor¬
handen gewesen; Entlassung schon am 21. bezw. 19. Tage aus der
Klinik. Die eine Patientin hatte vor einem Jahr eine Conj. vera
von 7,6 cm (nach Zweifel gemessen). Da die Geburt nicht spontan
ei folgte, wurde am 14. V. 06 die subkutane Symphysiotomie ausge-
fiihrt, das Kind wog 3760 g. Am 12. VI. 07 wurde die Frau zum
zweiten Mal in der Klinik entbunden. Es bestand eine II. dorso
post. Ouerlage. Es wurde die innere Wendung und ganze Extraktion
eines 3390 g schweren lebenden Kindes ausgeführt. Das Kind zeigte
eine Impression des rechten Os parietale, ist aber ohne Störungen.
Nach fieberfreien Wochenbett verliess die Patientin am 9. Tage
die Klinik.
Im Anschluss an die Demonstration bespricht der Redner die
Piognose der späteren Geburten nach den beckenerweiternden
Operationen und über die Ursachen der so häutig nach Sym¬
physiotomie beschriebenen Spontangeburten.
Herr Zweifel gibt Bemerkungen zur Röntgenphotographie der
Symphyse.
Sitzung vom 9. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer: Herr R i e c k e.
Herr Quensel demonstriert einen Fall von Worttaubheit.
46 jähriger Tischler hat vor lVs Jahren einen Anfall vorübergehenden
Sprachverlustes gehabt. Seit einem zweiten Anfalle am 18. V. 07 „redet
er irre“ und versteht nicht mehr, was man zu ihm sagt.
Es besteht ein geradezu absoluter Verlust des Wortsinnverständ¬
nisses bei hinreichend erhaltenem Hörvermögen, Fähigkeit Objekte
nach dem Klange zu erkenen, erhaltenem Wortlautverständnis, we¬
nigstens vermochte er kurze Worte korrekt, lange paraphasisch nach¬
zusprechen. Es besteht eine nicht komplette sensorische Amnesie
und Unfähigkeit nachzusingen.
Die Spontansprache zeigte Logorrhöe, verbale Amnesie, Para¬
phasie.
Patient vermag auch längere Sätze laut richtig vorzulesen, aber
fast ohne jedes Verständnis. Er schreibt spontan fast nur seinen
Namen, auf Diktat kürzere Worte vollkommen richtig, die Fähigkeit
zu kopieren ist nicht beschränkt.
Es finden sich keine Zeichen von Seelenblindheit, keine Hemi¬
anopsie, keine Tastlähmung. Bewegungen werden gut nachgeahmt,
mit Objekten hantiert Pat. richtig und geschickt.
Der Fall entspricht in weitgehendem Masse dem Bilde der so¬
genannten transkortikalen sensorischen Aphasie. Vortr. deutet ihn
als eine partielle zentrale oder besser assoziative Worttaubheit durch
relativ reinen Schläfenlappenherd mit Erhaltensein eines Teiles der
temporalen Querwindung. Auffallend ist die Stabilität der Er¬
scheinungen.
Herr Perthes: Die chirurgische Behandlung der
Nephrolithiasis mit besonderer Rücksicht auf die Indikations¬
stellung.
Bei der Indikationsstellung zu Nierensteinoperationen
stehen sich zwei Anschauungen gegenüber, von denen die eine
nur bei bestimmten gefährlichen Komplikationen die Operation
für indiziert hält, die andere dagegen sie empfiehlt, sobald die
Diagnose des Nierensteines gestellt ist. Der erstere Stand¬
punkt wurde besonders präzis z. B. von Klemperer
( Therapie d. Gegenwart 1902, 1903, 1904), der letztere von
Morris, von Rovsing 1896, Israel 1900 (mit einer ge¬
wissen Einschränkung s. u.), Garre 1907 u. a. vertreten.
Es steht fest, dass die Operation des Nierensteines bezw.
Uretersteines indiziert ist: 1. bei Anurie durch Nierenstein-
einklemmung im Ureter nach Ablauf von höchstens 48 Stun¬
den, 2. bei eitriger Infektion des Nierenbeckens, akuter und
chronischer Pyelitis und Pyelonephritis, 3. bei Retentionszii-
ständen durch Nieren- und Uretersteine (Hydronephrosen und
Pyonephrosen), 4. bei Blutungen von erschöpfender Intensität.
Die Operation der Wahl ist im allgemeinen die Nephrolitho¬
tomie, ausnahmsweise Pyelolithotomie. Bei fortgeschrittener
Pyelonephritis und nachgewiesener Gesundheit der anderen
Niere, sowie in den Fällen von Hydronephrose und Pyo-
nephrose mit relativ dünner Wandung wird man die Nieren¬
exstirpation der Nephrolithotomie vorziehen.
Für die aseptischen und unkomplizierten Fälle von Nieren¬
steinen ist die Indikationsstellung umstritten. P. empfiehlt
Entscheidung auf Grund des Röntgenbildes.
Steine von Erbsengrösse und darüber, also die Steine, die
wir mit der heutigen Röntgentechnik mit Sicherheit nach-
weisen, können den Ureter nicht oder nicht ohne Gefahren
passieren. Ihr Verweilen im Nierenbecken bedingt die Ge¬
fahren späterer Komplikationen, Gefahren, die grösser zu ver¬
anschlagen sind als die Gefahr einer aseptischen Nephrolitho¬
tomie. Es empfiehlt sich beim Nierenstein, ebenso wie beim
Blasenstein die Operation, wenn irgend möglich, im asep¬
tischen Stadium auszuführen, und nicht auf den Eintritt
dringenderer Indikation durch Komplikationen zu warten.
Denn nach Eintritt von Infektion des Nierenbeckens ist die
Mortalität der Nephrolithotomie mindestens doppelt so hoch
als im aseptischen Stadium, es kann dann nur noch in einem
Teil der Fälle mit Erhaltung der Niere operiert werden, und
auch, wo das noch möglich ist, muss eine Nierenbeckenfistel
angelegt werden, die Monate zur Heilung braucht, während die
Heilungsdauer einer aseptischen Nephrolithotomie 14 Tage bis
3 Wochen beträgt. P. rät, weniger mit Rücksicht auf die durch
das Konkrement augenblicklich hervorgerufenen Beschwerden,
als auf die dadurch für die Zukunft des Patienten bedingte
Gefahr, zur Operation in jedem Falle, in dem die Röntgenauf¬
nahme einen Nierenstein oder Ureterstein von Erbsengrösse
27. August 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1753
und darüber zeigt, vorausgesetzt, dass der Allgemeinzustand
günstigen Verlauf der Operation wahrscheinlich ^erscheinen
läSSt
Als Beispiele werden folgende Fälle vorgestellt bezw. referiert.
1. Nephrolithotomie bei einer 28 jährigen Patientin wegen eines
Oxalatsteines von unter Haselnussgrösse, der ausser massigen
Blutungen und Gefühls von Druck in der Lendengegend keine Er-
scheinungen machte. Heilung in 14 Tagen.
2. Nephrolithotomie bei einem 40 jährigen Herrn mit Pyelitis
calculosa. Heilung in 4 Monaten. . ...
3. Nephrolithotomie wegen grosser Zystinsteine bei einem
38 jähr. Herrn. 5 Kolikanfälle mit Abgang von Zystinsteinen waren
seit dem 23. Lebensjahr eingetreten; die letzten jedesmal nach längerer
Eisenbahnfahrt. Es bestand gleichzeitig Zystinurie, ohne dass sie
sonst in der Familie aufgetreten wäre. , , , ,
Der Urin war dauernd aseptisch, bis der Patient ohne bekannte
Ursache plötzlich an Pyelitis (Bacterium coli) mit komplizierender
Epididymitis und Prostataabszess erkrankte. Das Röntgenbild (Dr.
Heineke) zeigte, dass das ganze Nierenbecken der einen Seite mit
Konkrementen erfüllt war. Die Nephrolithotomie in fieberfreiei Zeit
verlief glatt. Da das Nierenparenchym makroskopisch völlig normal
erschien, wurde auf Exstirpation der Niere verzichtet, das Nieren-
Becken drainiert. Doch führte eine von der Nierenwunde ausgehende
eitrige Infektion des Nierenparenchyms mit septischer Allgemein-
infektion in 5 Tagen zum Tode. Die aus Zystin mit nur ganz
geringen Spuren von Phosphaten bestehenden Konkremente konnten
bei dem recht fetten Patienten sehr gut mit Röntgen nachgewiesen
werden.
4. Nephrektomie wegen einer grossen Pyonephrose, die
durch einen Ureterstein von Walnussgrösse bedingt
war. Der Ureterstein lag in enorm dicken Schwarten eingebettet
(neben dem Ureter oder in einem Divertikel desselben) etwas unter¬
halb der Höhe der Crista ilei. Glatte Heilung.
Diskussion: Herr Heineke bespricht die an dem Materiale
der chirurgischen Klinik gesammelten Erfahrungen. Es sind aus¬
geführt worden: 16 Operationen bei ififizierten Nieren mit 6 Todes¬
fällen (grösstenteils desolate Fälle mit doppelseitiger eitriger Pyelo¬
nephritis) und 9 Operationen bei nicht infizierten Harnwegen: dar¬
unter 1 Todesfall bei einem Manne, der bereits mit dreitägiger Anurie
in Behandlung kam.
Vortr. bespricht ferner die Röntgendiagnose der Nierensteine
und weist darauf hin, dass man auf einem guten Bilde nicht nur sehen
kann, dass Steine vorhanden sind, sondern auch genau die Lage der
Steine innerhalb der Niere erkennen kann. Das ist unter Umständen
recht wichtig, da sehr kleine Steine, die schon hochgradige Be¬
schwerden hervorrufen können, manchmal auch bei der Operation
in der herausgeholten Niere sehr schwer zu finden sind, wenn sie in
den Kelchen versteckt sind. Trendelenburg hat sich in
mehreren derartigen Fällen so geholfen, dass er den narkotisierten
Patienten während der Operation ins Röntgenzimmer fahren Hess und
die herausluxierte Niere durchleuchtete. Eine kleine Platte wurde in
sterilisierten wasserdichten Stoff eingeschlagen, in die Wunde ge¬
bracht und die Niere daraufgelegt. Auf der Platte war die Orien¬
tierung über die Lage der Steine dann sehr leicht möglich. Diese
Methode ist für kleine Steine also sehr zu empfehlen: sie schützt auch
vor dem Uebersehen von Steinen,
Endlich bespricht Vortr. noch die bei der Röntgenaufnahme
möglichen Täuschungen und erwähnt besonders zwei Fälle, die mit
allen klinischen Erscheinungen der Nephrolithiasis (Blutungen, Ko¬
liken) in Behandlung kamen und auf dem Röntgenbilde deutlich kleine
Steine erkennen Hessen. Bei der Operation fanden sich aber keine
Steine. In dem einen Falle lagen offenbar Verkalkungen in der Pleura
vor, in dem andern fand sich eine verkalkte, von einer früheren
Ovariotomie herrührende und dem Ureter aufliegende Seidenligatur.
Herr Curschmann: Bezüglich der Indikationsstellung zur
chirurgischen Behandlung schliesst sich C. im grossen ganzen den
Ausführungen des Herrn Perthes an und steht darin im strikten
Gegensatz zu der Ansicht mancher inneren Kliniker. Ein Nieren¬
stein, dessen Diagnose sicher ist, ist stets eine mehr oder weniger
grosse Gefahr für ihren Träger. Die Diagnose ist aber selbst bei
Röntgenuntersuchung bisweilen schwierig, ja kaum möglich, auch
wenn es sich um relativ grosse Steine handelt. Sie können auch im
übrigen lange Zeit völlig latent bleiben, um zuweilen ganz plötzlich
die ersten Erscheinungen zu machen. (Blutung, Kolik etc.)
In Bezug auf Bade- und Trinkkuren steht C. auf dem Standpunkt,
dass kein Wasser imstande ist, einen Nierenstein zu lösen oder seinen
Zerfall zu fördern. Die Aerzte sollten diesem Glauben der Laien mit
mehr Energie entgegentreten, sie würden dadurch manche Ver¬
schleppung verhüten. Wenn überhaupt, lässt C. die Nierenstein¬
kranken nach solchen Orten gehen, an denen neben in manchen Be¬
ziehungen gewiss nützlichen Trink- und Badekuren auch auf sofortige
chirurgische Hilfe zu rechnen sein würde (Karlsbad, Wildungen etc.).
Ausser bei Sepsis, Pyelitis, Anurie und Blutungen empfiehlt C.
die Operationen auch dann, wenn heftige Schmerzen vorhanden und
kleine Konkretionen häufiger abgegangen sind. Speziell sollte man
auch bei Blutungen eher frühzeitig operieren. Ist erst einmal infolge
öfterer Blutung schwere Anämie entstanden, dann verhindert oder
erschwert die konsekutive Herzschwäche die Operation. Daher
lieber frühzeitige Operation.
Herr B a h r d t weist darauf hin, dass es nicht selten vorkommt,
dass einer oder mehrere Anfälle von Nierenkoliken und Steinab¬
gängen auftreten und dann plötzlich aufhören, was namentlich der
Familienarzt beobachten kann, der Jahrzehnte lang solche Fälle im
Auge behält. Diese Wahrnehmungen haben ihn auch veranlasst,
Fälle von Nierenkoliken, selbst mit Abgang von kleinen Steinen, in die
Lebensversicherung (allerdings erschwert) aufzunehmen, wenn sie
3 _ 5 Jahre keine Anfälle mehr gehabt haben und ganz normalen Urin
zeigen. In diesen Fällen sind gewiss auch die Brunnenkuren nicht
ohne Nutzen gewesen. An eine Auflösung schon bestehender Steine
durch solche Kuren glaubt er ebensowenig als Professor Cursch¬
mann.
Herr Heineke weist darauf hin, dass die Diagnose mit Röntgen
nicht immer angängig sei; er fragt, ob Steine lange latent bleiben
können und ob die Steine verschiedener Zusammensetzung auf
Röntgenbildern sehr verschiedene Resultate ergeben.
Herr Sick bemerkt, es gehört zum Arztberuf, nicht wie K 1 e m -
per er die Verantwortung für eine — nicht rein kosmetische — Opera¬
tion dem Patienten zuzuschieben, der sich fast stets zu einem ungünsti¬
gen Zeitpunkt erst entsohliessen wird und bei ungünstigem Verlauf nun
auch andere, unter ihnen nicht selten den internen Arzt, abschreckt.
Nach den Erfahrungen der letzten Jahre liegt ohne Zweifel die
kleinere Gefahr in der Operation, sobald mit Röntgen sicht¬
bare Nierensteine als Ursache schwerer Beschwerden festgestellt
sind. Bestand längere Zeit schon Fieber und geht es nicht, ähnlich
wie z. B. bei Perityphlitis, eine mehrwöchentliche Fieberpause ab¬
zuwarten, so würde ich nach meinen Erfahrungen, falls die Erkrankung
einseitig ist, gleich die Exstirpation vornehmen, um einen Verlust, wie
Prof. Perthes ihn hatte, zu vermeiden. Uebrigens sah ich auch
schon Heilung, wenn die -Niere mit ihren Eiter- und Nekroseherden
nach 2 oder 3 Tagen zunehmender pyämischer Erscheinungen entfernt
wurde.
Zur Beurteilung der Rezidive ist eine Röntgenaufnahme bei der
Entlassung zu empfehlen, ob nicht doch ein Stein übersehen wurde.
In einem hier operierten Fall fand ich eine gelappte Niere und zwei
mehr oder weniger getrennte Nierenbecken; in der oberen, erst er-
öffneten Hälfte war kein Stein, dieser war nur mit den Fingern zu
fühlen; er konnte erst durch Inzision der unteren Nierenhälfte heraus¬
befördert werden. In solchen angeborenen oder pyelitischen 1 aschen
kann leicht ein Stein Zurückbleiben.
Herr Curschmann demonstriert zunächst noch einige ge¬
lungene Photographien von Nierensteinen und Ureter¬
fisteln.
Sodann bemerkt er Herrn Sick gegenüber, dass er nicht so ver¬
standen sein wolle, als ob er dem Patienten die Entscheidung und
Verantwortung für die Indikationsstellung zur Operation anheimstelle.
Herrn Heineke gegenüber erwidert Herr C., dass in der lat
auch grosse Nierensteine lange Jahre hindurch latent bleiben könnten.
Herrn B a h r d t gegenüber betont Herr C. noch einmal, dass
selbstverständlich nur bei sicherer, besonders auch durch Röntgen¬
untersuchung gesicherter Diagnose zu operieren sei; dass man im
übrigen Diät- und Brunnenkuren verordne, dagegen sei natürlich nichts
einzuwenden.
Differentialdiagnostisch weist C. auf adhäsive Pleuritis, Ent¬
zündungen des Zwerchfellüberzuges und Gallensteine hin. Endlich
sei eine wenig beachtete Affektion in differential-diagnostischer. Hin¬
sicht, die auf multiple Nierenembolie zu beziehende chronische,
schwielige Paranephritis. Dieser vor längerer Zeit von Cursch¬
mann beschriebene Zustand komme besonders bei Aortenfehlern
zustande. Die starken ausstrahlenden Lumbalschmerzen seien be¬
sonders geeignet, zur Verwechslung mit Nierensteinen zu führen.
Herr Perthes: Das Bedenken des Rezidivs kann gegen die
operative Entfernung des Nierensteines ebensowenig ins Gewicht fal¬
len, wie gegen die Operation des Blasensteines. Auch wird der Neu¬
bildung von Nierensteinen nach der Operation entgegenzuarbeiten sein
durch die medikamentös-diätetische Therapie, von der eine Wirkung
im vorbeugenden Sinne mit grösserer Bestimmtheit erwartet werden
darf, als eine entscheidende Wirkung gegenüber ausgebildeten grossen
Konkrementen.
Die von Herrn Bahr-dt erwähnten Fälle von häufiger Nieren¬
kolik mit Abgang kleiner Konkremente wollte Israel bei der Dis¬
kussion des Chirurgenkongresses 1900 von der Operation aus-
schliessen; -doch rät Perthes auch für diese Fälle zur Herstellung
des Röntgenbildes. Fehlen Nierensteine von radiographisch nach¬
weisbarer Grösse, so unterbleibt die Operation. Zeigt sich ein
Steinschatten, so würde P., auch wenn derselbe durch eine Vielheit
kleiner Konkremente bedingt sein sollte, operieren, um dem Patienten
die Beschwerden und Gefahren des Steinabganges durch den Uieter
zu ersparen. — Die von Herrn Heineke aufgeworfene krage, ob
Nierensteine verschiedener chemischer Beschaffenheit sich in Bezug
auf Nachweisbarkeit mit Röntgenstrahlen wesentlich verschieden ver¬
halten, hat Perthes experimentell zu beantworten gesucht, cs
wurden Serien verschieden grosser Oxalatsteine, Uratsteine und
Phosphatsteine auf dem Bauche von Patienten liegend, wie auch in
Wasser, das fast die gleiche Durchlässigkeit für Röntgenstiahlen hat,
I wie Muskulatur, röntgenographiert. Oxalatsteine waren bis zu einem
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Durchmesser von 2 — 3 mm herab, Uratsteine und Phosphatsteine nur
bis zu Erbsengrösse (6 — 7 mm) herab nachweisbar.
Wünschenswert wäre die Wiederholung dieser Versuche in der
Weise, dass die Serien der Nierensteine in das Nierenbecken von
Leichen gebracht und durchleuchtet werden.
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr T u c z e k.
Schriftführer: Herr Sardemann.
Herr Beneke demonstriert vor der Tagesordnung:
1. Tödliche Oesophagusblutung bei Leberzirrhose bei einem
38 jährigen Mann (S.-B. 117, 1907). Derselbe war mit linksseitiger
eitriger Pleuritis und Pneumonie in der Klinik aufgenommen.; notori¬
scher Säufer; keine sicheren Symptome von Leberzirrhose. Ganz
kurz vor dem Tode entleerte der Patient einige Blutballen per os
und sehr reichliche Blutstühle, nachdem vorher mehrere Tage Obsti¬
pation bestanden hatte. Die Blutung war aus einer minimalen Vene
unmittelbar über der Kardia erfolgt; der Darm vom Jejunum bis Rek¬
tum mit Blut gefüllt; im Magen grosse Blutmengen, vorwiegend flüssig,
desgleichen im Oesophagus, sowie in der Trachea und den schleim¬
reichen Bronchien der rechten Lunge, während die atelektatische
linke Lunge blutfrei geblieben war. Der Leichenbefund erwies die
Erstickung als Todesursache. Die Ruptur der Vene war offen¬
bar, im Verhältnis zur Entwicklung der Zirrhose, besonders frühzeitig,
anscheinend im Anschluss an die durch das Empyem veranlasste
Stauung (oder einen Hustenstoss) erfolgt; die Zirrhose war aus¬
geprägt, aber doch immer noch im Frühstadium (Laennecsche
Form), hatte auch noch keinen Aszites veranlasst und die Ausbildung
kollateraler Blutbahnen war ganz unbedeutend. Die Milz zeigte die
typische Form des „spodogenen“ Tumors und enthielt neben weiten
Gefässen sehr reichliche myeloide Zellen.
2. Symptomlos verlaufene Leberzirrhose siit hochgradiger
Splenomegalie bei einem 12 jährigen Mädchen (C. 756, 1907), welches
an epidemischer Zerebrospinalmeningitis gestorben war. Die Leber
ist hochgradig geschrumpft, enthält aber zwischen den dichten rot¬
grauen Schwielen sehr zahlreiche und besonders grosse, stark vor¬
springende „Adenom“herde, d. h. Regenerate von Leberzellen ohne
Degenerationserscheinungen; im wuchernden zellreichen Binde¬
gewebe sehr reichliche Gallenkapillaren. Wahrscheinlich ist die
Leberveränderung die Folge einer ehemals erfolgten hoch¬
gradigen einmaligen Schädigung des Leberparenchyms durch einen
Infektionsprozess nach Art der akuten gelben Leberatrophie. Lues
congenita war auszuschliessen; vor einigen Monaten hatte das Kind
eine Pneumonie, seitdem aber war das Befinden bis zu der töd¬
lichen Meningitis immer vollkommen ungestört.
3. Totale Thrombose der Art. mesent. sup. bei einer alten Frau
(S. 118, 1907); hochgradige Stase im ganzen Dünndarm und im Colon
ascendens; das Gebiet der Mesent. inferior war normal. Beginnende
Nekrose der Schleimhaut im Colon ascend., dementsprechende be¬
ginnende Peritonitis. Die Thrombose war wohl durch eine starke
Arteriosklerose bedingt; Nieren sehr hochgradig durch alte tiefe
Narben (Eklampsie?) geschrumpft, Herz stark atrophisch; mehrere
hämorrhagische Lungeninfarkte durch Embolie kleiner Venenklappen¬
thromben, wie sie noch mehrfach locker in den Klappentaschen der
V. femoral. aufgefunden wurden.
4. Kolossaler Riesenwuchs der Patella (C. 603. 1907). sowie der
ganzen Extremität mit eigentümlichen Deformationen der Knochen,
auch einiger Weichteilgebiete (Zehen); vollkommene Syndesmose
des Kniegelenks. Luxation der Oberschenkelkondvlen geven die Pa¬
tella und den Unterschenkel unter Achsendrehung des letzteren um
ö0 nach aussen. Das Bein war wegen eitriger Entzündungen im
Bereich des Knies in der Mitte des Femur amputiert worden; das
andere Bein und die oberen Extremitäten sollen gleichermaßen er¬
krankt sein (17 jähriger Mann). Die Patella hat annähernd normale
Gestalt und einfachen Spongiosabau mit Fettmark, sie misst von
oben nach unten 20 cm, von vorn nach hinten 12 cm. von links nach
rechts 15 cm. Länge der ‘Fibula 43 cm. Erhaltene Epiphvsen.
Knorpellinien mit mässigen Unregelmässigkeiten und Knorpelkeim¬
versprengungen. Zum Vergleich wird ein durch Riesenwuchs ver-
grosserter Finger einer alten Dame demonstriert; an ihm fand sich
die seltene und interessante Kombination, dass in dem hvnerplasti-
schen Bindegewebe der dritten Phalanx ein echtes B 1 a s t o m,
nämlich ein kirschkerngrosses hartes, scharf begrenztes
Fibrom ausgebildet war.
Hierauf spricht Herr Beneke:
1. Ueber Trachealabplattung bei Neugeborenen und Kindern der
ersten Lebensjahre im Zusammenhang mit dem sogen. Thvmustod.
Vor einer Reihe von Jahren hat Vortr. durch Flügge1) einige
Beobachtungen über hochgradige Abplattung der Trachea bei stark
entwickelter Thymusdrüse veröffentlichen lassen und seitdem noch
zahlreiche \\ eitere derartige Fälle sammeln können. Das anatomische
Bild ist sehr einfach: Die Trachea zeigt unterhalb der sie schräg
U Vierteljahresschr. f. gerichtl. Med., 3. F., XVII, 1.
kreuzenden Art. carotis, dextr. und event. auch des Trunc. anon. eine
tiefe Delle, welche in einer allgemeinen Abplattung des unteren Drit¬
tels der Trachea ausklingt. Die Trachea zeigt dann statt der nor¬
malen ringförmigen Wölbung ihrer Knorpel eine scharfe Knickung der¬
selben, so dass das Lumen schmal, spaltförmig ist; liegen die vordere
und hintere Fläche der Schleimhaut nicht schon von selbst völlig
aneinander (was, wie durch Formalinhärtung der Organe in situ er¬
wiesen wurde, bisweilen vorkommt) so genügt der leiseste Druck
von vorn, oder eine geringe Rückwärtsbiegung des Kopfes nach
hinten (Spannung der Trachea), um das enge Lumen zu verschliessen.
Die Abplattung ist, wie aus dem histologischen Bau der betr. Knorpel¬
winkel zu erkennen ist, offenbar schon längst ante partum ausgebildet;
sie ist meist mit Vergrösserung oder wenigstens mit starker Ent¬
wicklung der Thymusdrüse kombiniert und findet sich demgemäss
vorwiegend bei fetten Kindern (Korrelation der Thymusgrösse zur
Entwicklung des Körperfettgewebes). Die Spitze der Thymus ist
zwischen den oberen Rand des Manubrium und der Wirbelsäule ein¬
gepresst, hinter ihr liegen im Isthmus die Arterie und Vene, die
Iiachea, der Oesophagus; in diesem, oft nur 1 cm breiten Engpass
entsteht die Knickung der I rachealknorpel, offenbar aus mechanischen
Gründen, sehr leicht.
Dieser Zustand spielt klinisch offenbar eine grosse Rolle, zu¬
nächst für die Neugeborenen: dieselben können, selbst nach
ganz normalen Geburten, nicht zu ausreichender Atmung gelangen
und gehen, auch bei Anwendung künstlicher Atmung, in kürzerer oder
längerer Zeit asphyktisch zugrunde; die Sektion ergibt dann ausser
dem genannten Befunde gar keine Todesursache; die Trachea ist bis¬
weilen an der hezeichneten Stelle durch eine ganz unbedeutende
Menge von Schleim vollkommen verlegt. (Demonstration eines
jüngst beobachteten Falles; das kräftige, unter Geh.-Rat Ahlfelds
Leitung entwickelte Kind starb kurz nach der Geburt trotz sofort an-
gestellter intensiver Wiederbelebungsversuche; die Geburt war
wegen Placenta praevia durch künstlichen Blasensprung beschleunigt
worden und rasch erfolgt. S. 107, 1907.) Offenbar sind Kinder,
welche schon durch eine protrahierte Geburt oder ähnl. stärker as¬
phyktisch zur Welt kommen und in demjenigen Stadium der Asphyxie
sich befinden, in welchem nur' noch schwache jappende Atembewe¬
gungen ausgeführt werden, besonders gefährdet. Es leuchtet ein,
das bei der eigenartigen Form der Trachea und der durch die Er¬
stickungshyperämie sich steigernden Thymusschwellung selbst eine
relativ günstige Kopfhaltung nicht ausreicht, um genügende Mengen
Luft passiern zu lassen: geringes Zurücksinken des Kopfes kann
sofort zum vollkommenen Trachealverschluss führen. Zweitens er¬
hebt man den gleichen Befund bisweilen an Kindern, welche an¬
scheinend ganz normal einige Stunden oder Tage gelebt haben, dann
aber plötzlich unter dem jähen Bilde des sogen. Thymustodes ein¬
gegangen sind. Die platte Trachea ist auch in solchen Fällen wohl
meist durch eine unglückliche Lage des Kopfes oder eine geringe Ver¬
stopfung durch Schleim verschlossen worden. Endlich fand Vortr.
noch selbst bei mehrjährigen Kindern eine auffallend platte Trachea
resp. Abplattung der beiden Hauptbronchi unter der stark ent¬
wickelten Thymusdrüse; auch hierbei handelt es sich um fettreiche
Kinder. In einem solchen Falle war der ..Thymustod“ evident infolge
einer Schleimverstopfung durch Katarrh eingetreten: Die Mutter,
welche das Kind scheinbar in vollster Gesundheit einen Augenblick
unbewacht gelassen hatte, fand es eine Minute später tot; das dicke,
etwas rachitischschwache Kind hatte offenbar nicht die Kraft gehabt,
den anscheinend nach hinten gesunkenen Kopf unter der Einwirkung
der einsetzenden Atemnot aufzurichten und ausreichend den Schleim
zu exDektorieren.
Derartige Beobachtungen sind neuerdings auch von H e d i n -
ger2) in grösserer Zahl veröffentlicht worden. Sie erklären keines¬
wegs alle, aber anscheinend doch einen Teil der Fälle rätselhafter
Asphyxie post partum oder der Fälle von „Thymustod“ bei älteren
Kindern in ausreichender Weise; dass in anderen Fällen der „Status
lvmphaticus“ eine Rolle spielt, soll deshalb nicht geleugnet werden.
Die nraktische Schlussfolgerung würde in dem Ratschlag bestehen,
bei Kindern mit starkem Pannikulus, welche immer eine dicke
1 hymusdriise und demgemäss oft auch mit geradezu physiologischer
Regelmässigkeit eine Trachealabplattung haben, mit besonderer Sorg¬
falt ein etwaiges Rückwärt «sinken des Kopfes zu ver¬
hindern; auch bei den Wiederbelebungsversuchen asphvktischer
kräftiger Neugeborener würde der Kopfhaltung besondere Rücksicht
zu zollen sein. Die Fälle, in welchen es nicht zum Tode, sondern
nur zu Stenosen mit Stridor usw. kommt, sind wahrscheinlich häufiger.
Dass bei solchen die heftigsten Atembeschwerden durch die Ex¬
stirpation d e r 1 h y m u s geheilt werden können, haben Rehn-
Siegel. König und Ehrhardt3 4) bewiesen.
2. Ueber Darmperforation durch Meteorismus.
Vortr. beobachtete vor 2 Jahren in Königsberg einen inzwischen
von Ebner'1) veröffentlichten Fall, bei welchem ein an luetischen
und typhösen Darmgeschwüren erkrankter junger Mann plötzlich
schwere Symptome bekommen hatte, so dass eine Laparotomie
2) Jahresb. f. Kinderheilk., N. F., LXIII, 3, 1907.
3) Arch. f. klin. Chir. 78, 3. Dieser Arbeit ist eine Abbildung
eines vom Vortragenden beobachteten, schon durch Flügge be¬
schriebenen Falles totaler Abplattung beigegeben.
4) Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie 81, 1906.
1755
(L c x e r) ausgeführt wurde. Dieselbe deckte einen eigenartigen Kot¬
durchbruch aus zahlreichen grossen und kleinen Lochern des Zoekum
auf- die Operation wurde wegen der augenscheinlichen Hoffnu i g -
losigkeit abgebrochen, der To'd erfolgte ca. 24 Stunden nachhei. Die
Sektion ergab ausser jenen Darmgeschwüren eine hochgiadig
Durchlöcherung des Colon ascendens, von dessen Wanden stellen¬
weise nur schmale Brücken und Fetzen stehen geblieben waren
die Risse waren in der Hauptsache quergestellt und an den Randein
fast reaktionslos. Jenseits dieser Zerreißungen, an der Flexura
dextra lag ein besonderes, zirka markstückgrosses Geschwür als
Grenze zwischen dem hochgradig dilatierten Colon ascendens und
dem normal weiten Colon transversum. Ebne r, der diesen Fall be¬
schrieben hat, fasst die Zerreissung als eine Folge von Koprostase auf,
Vortr neigt zu der Ansicht, das es sich in demselben ebenso wie in
einem jüngst von ihm beobachteten ähnlichen Fall und wie m den von
Anschütz5) neuerdings in vivo bei Kolonkarzinom mein fach be¬
obachteten Fällen um akuten Meteorismus des Dickdarms gehandelt
habe, durch welchen die ungeschützte Vorderwand bis zum 1 latzen
gedehiit wurde^ Vortr. betraf ein in der Marburger med. Klinik
längere Zeit wegen Ruhr (Krusesche Bazillen trotz _ wiederholter
Untersuchungen nicht nachweisbar!) behandeltes l^ jahriges ^hen
fc: qö ion7j Die Frkrankung war plötzlich verschlimmeit uviexto
)Lus/periISfs)fei„enwe|e„ vermuteter
vorgeschlagene Laparotomie aber von chirurgischer Seite a g
worden weil der Sitz der Erkrankung nicht erkennbar war. L e
Sektion' des bald nachher verstorbenen Kindes ergab einen über¬
raschenden Befund: Nach der Eröffnung der Bauchhöhle
im Gebiet des Colon ascendens und namentlich . ^nsversum ® n®^®_
waltige Höhle, welche breiigen Kot und Gas enthielt undsich al ^ Diel
darmrohr erwies, dessen Wand in umfänglichster Weise an wahllosen
Stellen geplatzt und hierdurch auf ganz schmale fetzige Brucken
reduziert war; dieselben waren vorne leicht an der vorderen Bauch-
wand verklebt. Diese Höhle, d. h. also das offene Darmlumen, war
gegen die übrige Bauchhöhle durch dünne, weiche Fibrinlagen in
ganz schmaler Ausdehnung abgeschlossen; trotzdem war keine P £ -
foration keine freie Peritonitis zustande gekommen, weil die samt
liehen Dünndarmschlingen hochgradig meteonstisch ge a ^egesn
zerrissene Dünndarmwand bezw. den gashaltigen Raum ,
Seiten herandrängten und dem Austritt von Kot oder Gas eine p *
len, ausreichenden Widerstand entgegensetzten.
Die Ursache der grossen Darmzerreissung fand sich in der Nahe
der Flex coli sinistra. Hier bildete das Kolon eine ziemlich starke
Knickung mit klappeniörmigem Verschluss; die Perforat.onen s°w,e
die begleitende Peritonitis reichten genau bis an diesen Punkt. Der
weitere Rest des Dickdarms zeigte starke Ruhrgeschwure von
typischer Form; nirgends zeigten diese T7de"z...zum Säht’
auch war der Dickdarm in diesen unteren Abschnitten nicht gebläht,
er enthielt nur geringe Mengen breiigen Kotes sowie Schleim.
Nach diesem Befund konnte es nicht zweifelhaft sein, dass schon
intra vitam eine Abknickung des Colon transversum zu einem lokal
begrenzten Meteorismus geführt hatte; der. klappenformige Ver
Schluss hatte offenbar mit Zunahme des Meteorismus selbst an Festig¬
keit zugenommen, gleichzeitig hatte ein starker Meteorismus des
Dünndarms eingesetzt. Unter dieser mächtigen SPat;n^nJ^'d^
bereits durch die starke Ruhrerkrankung sehr zerreisshch gewordene
Darmwand in so vollkommener Weise zerfetzt worden , geiac.e
Zerstörung der Mukosa, welche ja der dehnungsfestes e Teil der
Darmwandung ist, durch die Ruhr spielte für die Entwicklung der
Totalzerreissung auch der Muskularis und der Seiosa sic ier e'l
grosse Rolle und macht das Bild verständlich im Gegensatz zu den
ia nicht so seltenen Fällen stärkster meteoritischer Auftreibung des
Dickdarms in der Leiche ohne jede Andeutung von Zerreissung.
Welche Rolle unregelmässige, durch die Dehnung veranlasst^ Kon¬
traktionen der Darmmuskulatur bei dem Vorgang spielen ist einst¬
weilen noch nicht zu übersehen; anscheinend sind dieselben zu der
Entstehung der Zerreissungen nicht erforderlich. .. ...
Diskussion: Herr A n s c h ü t z - Breslau. Geschwursbil-
dungen und Perforationen des Dickdarms kommen gar nicht selten
vor bei Verengerungen resp. Verschliessungen desselben und zwar
finden sich diese Zerstörungen der Darmwand gewöhnlich nicht m
nächster Nähe des Hindernisses, sondern mit Vorliebe im Zökum,
gleichgültig ob die Verschliessung im Rektum, der Flexura henalis
oder sonst wo bestand. Der Blinddarm wird übermässig ausgedehnt,
es kommt zu Veränderungen der Darmwand und schliesslich zur
Perforation. Diese Ueberdehnung kann sich nur ausbilden bei einer
Steigerung des Innendruckes in dem oberhalb der Verengerung ge¬
legenen Dickdarmabschnitte und zwar nur dann, wenn die I eozokal-
klappe dem Innendruck einen gewissen Widerstand bietet oder wenn
was seltener vorkommt, durch abnorme Lage des Dickdarms Klappen¬
bildungen an anderer Stelle eintreten. (Kreut Der.) — Wie kommt
die Blähung des Zökums zu stände? Die geringe Dicke seiner Wan¬
dung kommt sicherlich in Betracht: Vorbedingung ist fernei für den
ganzen Vorgang eine widerstandsfähige Klappe. Den Ausschlag gibt
aber nach Ansicht des Vortragenden das im Vergleich zu den anderen
Dickdarmabschnitten grössere Volumen des Zökums. Man kann sich
5) Mitteilungen aus den Grenzgebieten. III. Suppl. (Mikulicz¬
gedenkband) 1907.
leicht an der Leiche überzeugen, dass das Volumen des Dickdarms
sehr verschiedene Weiten zeigt. Bläht man den Dickdarm vom Rek¬
tum aus mit Luft auf, so wird sich, vorausgesetzt, dass die Zokal-
klanoe einer Steigerung des Innendruckes Widerstand leistet dei
BUnddarm ganz efheblich mehr ausdehnen als der übrige Dickdarm
und wird event. platzen, ehe Luft in den Dünndarm entweicht also
bevor eine Entlastung eintritt. Man kann an einem Modell den Me-
chan!smus des Vor/anSes demonstrieren iudem man a„ emT-Roh
2 Gummiballons (Fingerlinge von gleiche, Wandstarke, abe
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cresctzmässiß^ verlaufenden Vor^ian^. . . , -p
sifssiHsIIMs
kraft dei Ileozokalklaop vprscv1;e(jenartig Am seltensten sind
Blh.dd.nn Platzt
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Irans: in der ZSka gegend vorhanden Be. de™ Xetae veremrerune
demonstrierten interessanten Praoarat lag eben Qeschwttre„ ,,„d
des Dickdarms vor infolge von durch eine Ab-
Narbenbildungen; vielleicht hat sic 1 jnnerhalb des Colon trans-
knickung der Flexura hepatica d erkrankte Darmwand an den
ÄÄ -
| C| Herr Much: Die neuesten Erfahrungen Uber Perhydrase-
milC Auf der am 16. XII. 06 in Marburg abgehaltenen Versamm-
Inner von Kinderärzten wurde von verschiedenen Seiten gegei.
die Perhvdrasemilch der Vorwand geltend gemacht, diese sei
noch v el wen g in der Praxis erprobt, um dem Kinderärzte
Sbetopt die genügenden Grundlagen geben zu können s.e
einer Prüfung zu unterziehen. Inzwischen hat man sich nun
im Auslande bereit erklärt, Herstellung und Versand Uder P ■
hydrasemilch im Grossbetriebe zu prüfen HrlJXzte zur
Gleichzeitig erklärten sich vier osterreichtsche Kinderärzte zur
Prüfung dieser im Orossbetriebe hergestellten Milch bereit.
Die Herstellung der Milch geschah in Ungarn au den Oute
des Prinzen Ludwig von Bayern unter Leitung von Br. St re
li n ge? Die Ergebnisse der S t r e 1 i n g e r sehen Arbeit sind
kürZDie mTcI? wird in grüne Flaschen gemolken und in diesen
verschickt. Sie bleibt in Berührung mit dem Wasserstoff-
Superoxyd (als Perhydrolmilch) und kann d u r ch v 1 e I e M o-
nate aufbewahrt werden. Sie kann nach Monaten von dem
Wasserstoffsuperoxyd befreit werden, und ist < 1: *enso
unverändert und wohlschmeckend, wie eine frische gemolkene
Rohmilch. Die Zersetzung des Wasserstoffsuperoxyds ge¬
schieht durch die von Much und Römer gefundene Kata¬
lase die in kleinen Fläschchen der Sendung von Perhydrol¬
milch mitgegeben wird. Die Milch wurde an verschiedene
hervorragende Hygieniker gesandt Die Prüfungen ergaben
insgesamt, dass die Milch nach Wochen überall sich von
tadellosem Rohmilchgeschmack und keimfrei erwies. m -
achten liegen vor von A. v. F a y (Ungarisches Ministerium des
Innern), der seinen Bericht schliesst: Wir haben das Peihy-
drasemilchverfahren unter allen die Milch konservierenden
Verfahren als das Beste gefunden. Ferner von Prof. Joest-
Dresden, von Hutyra- Ofen-Pest, Prof. P rau s n 1 1 z -
Graz Prof. G r u b e r - München, Dr. Dettre (Jenner-Pa-
steursches Institut Ofen-Pest). Dieser sagt zum Schluss: Wir
stehen vor einem idealen vollkommenen Veifahien.
An Säuglingen wurde die Milch geprüft von Deutsc -
Ofen-Pest, Escherich - Wien, v. Bokay- Ofen-Pest.
Lang er- Graz und von Strelinger in seiner Pma-
praxis, überall mit günstigem Erfolge. _
Es muss immer wieder betont werden, dass vom V ~
enischen Standpunkte aus aufs Nachdrücklichste gefor Ll
werden muss, dass eine in jeder Weise einwandfreie tadellose
1756
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
R o h m i 1 c h zur Verfügung steht. Das Problem, eine solche
in absolut einwandsfreier und billiger Weise zu gewinnen, und
sie durch Monate unverändert zu erhalten, ist somit gelöst.
Die vorliegenden Tatsachen entkräften alle Einwände.
Zum Schluss Demonstration einer 10 Wochen alten, von
Ungarn nach Marburg geschickten Milch, die sich in ihrem Ge¬
schmack in nichts von einer frischgemolkenen (2 Stunden alten)
Milch unterscheiden lässt.
Herr A n s c h ü t z - Breslau (als Gast): Die Heilungsaus¬
sichten der Magen- und Darmkarzinome.
Der Vortrag wird ausführlich in dieser Wochenschrift ver¬
öffentlicht.
Herr L. Bach: Einfluss des verlängerten Markes und des
Grosshirns auf die Weite und Lichtreaktion der Pupille.
Bach hat unter Mitwirkung von A. L o h m a n n seine vor
einigen Jahren gemeinsam mit H. Meyer angestellten Unter¬
suchungen über die Beeinflussung der Pupille von der Medulla
oblongata aus fortgesetzt.
Die früheren Resultate werden bestätigt d. h. es gelang
wiederum bei Katzen durch einen Schnitt am spinalen Ende
der Rautengrube sofortige Lichtstarre bei mässiger Mydriasis,
sowie während oder einige Zeit nach der Freilegung der Me¬
dulla oblongata Miosis und hochgradigste Herabsetzung der
Lichtreaktion hervorzu rufen. Letztere Erscheinungen werden
momentan und dauernd durch einen Frontalschnitt in der Mitte
der Rautengrube behoben.
Aus dem Umstande, dass Miosis und Lichtstarre nur vor¬
handen sind, wenn das Versuchstier ruhig daliegt und ver¬
schwinden, sobald ein Erregungszustand auftritt, aus der Tat¬
sache, dass gewisse Beeinflussungen des Grosshirns auch
Miosis und Lichtstarre zur Folge haben können, dass ferner
diese Erscheinungen an der Pupille in der Regel später auf-
treten bei der Freilegung der Medulla vom Halsmark her, als
bei der Freilegung vom Hinterhaupt her, wird geschlossen, dass
Einwirkungen auf das Grosshirn selbst oder auf Bahnen, die
vom Grosshirn zur Medulla oblongata ziehen, bei dem Zu¬
standekommen der Miosis und Lichtstarre eine Rolle spielen.
Würde die Beeinflussung der Pupille nur vom Grosshirn
aus und lediglich auf dem oberen Lichtreflexbogen erfolgen, so
würde es kaum zu verstehen sein, weshalb ein Schnitt in der
Mitte der Rautengrube den Lichtreflex wieder auftreten und
die Miosis geringer werden lässt, da durch einen solchen
Schnitt die direkten Verbindungen zwischen Grosshirn und
Vierhügel nicht berührt werden.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. A p r i 1 1907.
Vorsitzender: Herr Frankenburger.
Herr Kirste demonstriert eine 5 malige Fraktur der Ulna und
des Radius nebst komplizierter Luxation des Radiusköpfchens. Die
Röntgenaufnahmen werden vorgelegt. Das funktionelle Resultat ist
nach jeder Richtung ein vorzügliches.
Herr Weigel berichtet über einige merkwürdige Fälle aus der
Unfallpraxis:
1. Diabetes nach Trauma. 40 Jahre alter Müller. Frühjahr 1903
doppelseitiger Unterschenkelbruch, links glatt geheilt, rechts Nekrosen
an dei libia, die zur Abstossung von Sequestern führten und im
Januar 1904 eine Sequestroiomie nötig machten. Darauf Heilung.
Ftwa Mitte 1904 war alles geheilt, Knochen fest. Narbe nie mehr auf¬
gebrochen. Die Gebrauchsfähigkeit der Beine wurden immer besser,
die Rente schliesslich bis auf 20 Proz. gemindert. Ausser Schmerzen
an den Beinen und einer raschen Ermüdbarkeit ist in dem Gutachten
nichts besonderes bemerkt. Februar 1907 Tod im Coma diabeticum.
Im Dezember 1906 zum erstenmal Zucker im Urin nachgewiesen. Fs
ward für nicht wahrscheinlich erklärt, dass der Unfall eine wesentliche
Rolle beim Verlauf des Diabetes gespielt hat, da die Erscheinungen
derselben zu lange Zeit nach dem Trauma und auch nach dem Ablauf
der komplizierenden Knochennekrosen aufgetreten rcsp. nachge¬
wiesen sind.
... . 2- 31 Jahr® alter Bierbrauer. Leberzirrhose durch Unfall be-
fordert? Mai 1905 beiderseitiger komplizierter Unterschenkelbruch.
Rechts glatte Heilung, links Knochennekrose, Abstossung von Se¬
questern. Oktober 1905 Sequestrotomie. Eine Fistel blieb bestehen,
die sich me schloss und auf rauhen Knochen führte. Bruchstellen
£ CHSei1S* SvVerh1eilt' Erwerbsfähigkeit hochgradig beeinträchtigt.
Bis Herbst 1906 gutes Allgemeinbefinden, blühendes Aussehen, dann
plötzlich rapide Abnahme der Kräfte, Magenstörungen, unstillbares
Erbrechen, Ikterus. Tod am 3. Januar 07.
Sektion ergibt nach Angabe des behandelnden Arztes Leber¬
zirrhose, Gallengangsverschluss, Herzdegeneration.
Nach der Ansicht des behandelnden Arztes hat der Unfall durch
Nötigung zu sitzender Lebensweise u. dgl. beschleunigend und ver¬
schlimmernd auf das zum Tod führende Leiden eingewirkt.
Das Schiedsgericht lehnte den Anspruch auf Hinterbliebenenrente
ab. Der Tod ist weder direkt noch indirekt durch den Unfall bedingt.
3. 32 Jahre alter Taglöhner. Unfallfolge, konstitutionelle Er¬
krankung oder Selbstverletzung? August 1905 kleine Verletzung am
Unterschenkel durch Anstossen; in mehrfacher Wiederholung geheilt
und immer kurze Zeit nach Entlassung aus ärztlicher Behandlung rasch
aus dem Krankenhaus wieder aufgebrochen. Bis Ende Februar 1906
Vollrente, dann nichts mehr, da alles fest vernarbt, Umgebung nicht -
entzündet. Anfang März 06 angeblich neuer Unfall in anderem Be¬
trieb durch Anstossen an Schienen. Das alte Spiel wiederholt sich von
neuem. Die alte Narbe brach angeblich wieder auf, heilte fast zu, dann
wieder Verschlimmerung, mehrfache operative Eingriffe, Verdacht auf
Fremdkörper. Tuberkulose, Exzision der Fistel resp. des Geschwürs.
Im Herbst 1906 wurde in der Fistel eine abgebrochene Nadelspitze ge¬
funden, über deren Herkunft nichts zu eruieren war. Die Sache ver¬
schlimmert jetzt sich mehr und mehr. Es entstanden grössere Abs¬
zesse, die gespalten werden, dann beinahe heilen, dann sich wieder
verschlimmern. Der Mann ist noch in Behandlung und erwerbsunfähig.
Das Krankheitsbild wird als ein einheitliches seit dem angeblichen
ersten Unfall bezeichnet. Der 2. Unfall ist irrelevant.
4. 42 Jahre alter Arbeiter. Dezember 1889 komplizierter Arm¬
bruch links mit folgender Exartikulation im Schultergelenk. Ent¬
sprechende Rente. Keine Komplikationen, ausser in den ersten Jahren
stärkere Schmerzen in der Narbe, die sich aber dann verlieren. Ok¬
tober 1906, also nach fast 17 Jahren. Tod an Lungenphthise, nach An¬
gabe des behandelnden Arztes „zweifellos Unfallfolge“. Die durch den
Unfall nebenbei gesetzte „Kontusion der Brust, der Blutverlust infolge
der Verletzung, die Operationen“ bereiteten den Boden für die Phthise.
Der Zusammenhang ist nicht wahrscheinlich. Von irgend welchen
krankhaften Erscheinungen von seiten der Brust im Anschluss an den
Unfall findet sich in den Akten nichts. Er selbst gibt kurz vor seinem
Tode im Krankenhaus an, dass er seit dem letzten Winter an Husten
leide. Seitdem sei er stark abgemagert. Seit 14 Tagen habe er Blut¬
husten.
Die Lungenerkrankung ist also entweder erst in den letzten Jahren
selbständig aufgetreten, oder aber, wenn schon lange vorhanden, ist sie
durch den Unfall in ihrem Verlauf nicht beschleunigt worden.
5. Tuberculosis verrucosa der Haut an Handrücken und Vorder¬
arm. 49 Jahre alter Erdarbeiter. Angeblich durch eine kleine Ver¬
letzung entstanden. Es stellte sich heraus, dass der Mann schon seit
vielen Jahren an der gleichen Affektion im Nacken leidet und ebenfalls
an derselben Affektion am Handrücken und dass die Erkrankung offen¬
bar kontinuierlich von der Hand auf den Vorderarm sich verbreitet
hat. Die Angaben über den Unfall sind sehr unbestimmt, bald wird
dies, bald das für das Leiden verantwortlich gemacht.
Das Leiden am Arm ist eine Spontanerkrankung und keine Folge
eines bestimmten Betriebsunfalls.
6. Tod an Pneumonie und Meningitis im August 1906, angeblich
infolge einer Kopfverletzung im November 1893!
Der Unfall war geringfügig — Anstossen des Kopfes an eine
Schraube, arbeitet zunächst bis Sommer 1894 ununterbrochen weiter.
Von da an Anfälle von Kopfschmerz und Schwindel, wegen deren er
Rentenansprüche stellt, die aber in allen Instanzen abgelehnt werden.
Im August 1906 Tod am 6. Tage einer kruppösen Pneumonie. Der
behandelnde Arzt behauptet Zusammenhang mit dem Unfall. Die
Pneumonie sei kompliziert gewesen durch akute Meningitis, welche
den Tod herbeigeführt habe. Die Entstehung der Meninigits aber sei
begünstigt gewesen durch Veränderungen der Hirnhäute, welche das
Trauma im Jahre 1893 hinterlassen habe. Folglich sei der Tod diesem
Unfall zur Last zu legen.
Der Anspruch auf Hinterbliebenenrente wird abgelehnt, da der
Zusammenhang der tödlichen Erkrankung mit dem Unfall unwahr¬
scheinlich.
Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Aerzte in
Böhmen.
XIV. V e r s a m m lung vom 12. J u n i 1907 im Hörsaale
der deutschen gynäkologischen Klinik.
Herr Gross: Ueber multiple gutartige Geschwülste der Vulva.
G. demonstriert mikroskopische Präparate von multiplen Tu¬
moren der Vulva, welche als gutartige Adenome von schweiss-
di üsenäbnlichem Aufbau aufgefasst wurden. Ein Zusammenhang mit
normalen Schweissdrüsen oder -ausführungsgängen besteht nicht, der
Zusammenhang mit der Epidermis ist durch Einsenkungen derselben
(Krypten) oder der M a 1 p i g h i sehen Schicht in Form von Strän¬
gen und Röhren dargestellt. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
Herr G a r k i s c h demonstriert ein makroskopisches Präparat
von einem Fall von interstitiellem Uterusfibrom bei gleichzeitig be¬
stehendem primären Adenokarzinom des Corpus uteri und sekun-
MUENCnENER MEDIZIN lbiu^ - -
därem Tuben- und Nebentubenkarzinom. Er .demonstriert ferner von
demselben Falle histologische Präparate, m welchen sich sarkom¬
ähnliche Stellen sowohl im Korpuskarzinom als auch im Fibiom fin¬
den; diese pseudosarkomatösen Bilder entstehen durch eine diffuse
Ausbreitung der Karzinomzellen infolge von ödematoser Durchtra
kung des Gewebes.
Herr v. Franque: Zur Statistik und Methodik der Myom¬
operationen. (Erscheint ausführlich in der Prager n>ed. Wochen¬
schrift.) _ Rotky-Prag.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 25. Juni 1907.
Die Darminvagination bei kleinen Kindern.
E. Kirmissotn zeigt die Notwendigkeit einer prompten Dia¬
gnose und eines raschen Eingreifens bei der Darminvagination kleiner
Kinder und berichtet über eine Anzahl von Fällen, wo die Verschie¬
bung der Operation die schwersten Komplikationen und schliesslich
den Tod verursacht hat. Die Operation, in der 1-. Stunde ausgefuhi t,
gibt 14 Proz., in der 24. Stunde 39, am 3. Tage 54 Proz. Mortalltat usf.
Die operativen Erfolge, so selten in Frankreich, sind an England nach
den von G r i s e 1 und C 1 u b b e veröffentlichten Berichten dank früh¬
zeitiger Operation die Regel geworden. Die Diagnose der! ['nYa®! JPJ
bietet für den Arzt, der überhaupt nur an diese Komplikation denkt,
keinerlei Schwierigkeit. Alle Statistiken zeigen übereinstimmend,
dass die Darminvagination eine Krankheit des KmdesaUers ; und &e-
sonders des ersten Kindesalters ist. Neben dem Aiter bildet (nach
Cruv eil hier) das Vorhandensein sanguinolenter Stuhle ein fast
nie versagendes Merkmal. Wenn also ein kleines Kind blutige Stuhle
hat und gleichzeitig heftige Kolikanfälle so m.u^^ntSr3fuXng pw
Möglichkeit einer Darminvagination denken und die Untersuchung pe
anum vornehmen, ebenso die Palpation des Leibes um die Stelle der
Invagination zu finden. Man wird besonders an der rechten Fossa
iliaca die Untersuchung vornehmen, dessen eingedenk, dass die
meisten Fälle von Invagination in der Nähe des Zoekums Vorkommen
und dass es sich primär um eine Invaginatio lleo-coecalis odei
lileo-coHca handelt. K. führt die schlechten Erfolge an, welche durch
Verschiebung der Operation bei inkarzerlerter Hernie und bei Appen¬
dizitis die Regel sind und zeigt, dass die Resultate um so besser
sind je früher die Operation ausgeführt wird. Im Notfälle kann man
bei der Invagination zuerst den Versuch mit hohen Einlaufen machen,
die besonders in Kombination mit Anästhesie gute Resultate geben.
Sind aber die Einläufe ohne Erfolg, so muss man sofort die blutige
Operation vornehmen, kurz in Fällen von Darminvagination sidi ver¬
halten wie bei einer inkarzenerten Hernie, d. h. den Kranken nicht
eher verlassen, als das Hindernis beseitigt ist.
Societe de biologie.
Sitzung vom 22. Juni 1907.
Die Hautreaktion auf Tuberkulin.
Fernand Arloing hat an einer Anzahl von verschiedenen
Tieren, wovon ein Teil (9) mit experimenteller Tuberkulose behaftet,
ein Teil (19) gesund war, die Hautreaktion auf Tuberkulin nach Skari-
fikation geprüft. Alle infizierten Tiere hatten auf die subkutane I u -
berkulinprobe positiv reagiert. Arloing fand nun sowohl bei
tuberkulösen wie Kontrolltoren eine ausgesprochene Reaktion also
keine spezifische Reaktion bei ersteren, so dass er zum Schlüsse
kommt, diese Hautreaktion auf Tuberkulin sei keine konstante Er¬
scheinung und könne nicht zur Diagnose verwettet werden.
Durchgang der Tuberkelbazillen durch die Haut.
Courmont und L e s i e r haben an Kälbern, Meerschweinchen,
Kaninchen etwa 100 Experimente mit Einreibung von tuberkulösem
Auswurf oder Reinkulturen auf die intakte, enthaarte oder lasieite
Haut ausgeführt. Er ergaben sich dabei folgende Resultate: L Dei
Tuberkelbazillus kann durch die, selbst unversehrte, Haut hindurch
gelangen; ist sie der Haare beraubt oder rasiert, so ist dies fas imme
der Fall 2. Er kann lokale Hautveränderungen verursachen oder auch
keine solche Spur des Bazillendurchgangs hinterlassen und doch eine
mehr weniger hochgradige Allgemeininfektion bewirken. 3. Diese
Hautveränderungen haben Aehnlichkeit mit Lupus und die Drusen¬
veränderungen ohne solche der Haut (Meerschweinchen, Ka ei
mit Skrofulöse, was die Pathogenese dieser Affektion aufkiaren konnte.
4. Die Experimente an Kaninchen (Lungentuberkulose ohne Spur der
Eingangs- oder Durchgangsstelle) sprechen zu Gunsten des extra-
pulmonären Ursprungs der Lungenphthise.
Anaesthesie mit Injektionen in den Wirbelkanal.
Paul R a v a u t erzielt mit einer sehr konzentrierten Kokain- oder
Stovainlösung (50 proz.), wovon er nur einen I ropfen oder 2 mg in
das Rückenmark injiziert, eine nur auf die genito-ano-perineale Gegenü
beschränkte komplette Anästhesie. Er wendet isotomische oder durch
Beisatz von NaCl hypertonisch gemachte Lösungen zur intralumbalen
Injektion an; die Zufälle, welche dabei Vorkommen können, meist
gleich Null sind nicht schlimmer als jene nach einfacher Lumbal¬
punktion. An mehr als 150 auf diese Weise Operierten erlebte R.
nie eine ernstliche Folgeerscheinung und es besteht dabei der grosse
Vorteil dass die Anästhesie auf das genannte Operationsfeld be¬
schränkt bleiben kann. Diese Methode ist also für alle kleinen Opera¬
tionen an der Geschlechts-After-Gegend zu empfenlen. bt.
Gesellschaft Deutscher Nervenärzte in Dresden.
I. Jahresversammlung am 14. und 15. September 1907.
Programm:
I. Eröffnung und Begrüssung der Versammlung
am Sonnabend, den 14. September früh 9 Uhr durch Herrn Oppen-
heim- Berlin. Wahl der Vorsitzenden und des Vorstandes. De¬
finitive Festsetzung der Statuten. . . ...
II. Referate: Chirurgische Therapie der Gehiinkrankheiten
mit Ausschluss der Tumoren. Ref. : F. K r a u s e - Berlin. Die Hirn¬
punktion. Ref. : E. Neisser- Stettin. Chirurgische Behandlung der
Rückenmarkshautgeschwülste. Ref.: L. B r un s - Hannover. The¬
rapie der Erkrankungen der Cauda equina. Ref.: R. Cassirei-
Nachmittagssitzung um 3 14 Uhr: Fortsetzung der Re¬
ferate und Diskussion derselben.
III Vorträge: N o n n e - Hamburg: Differentialdiagnose des
Tumor ’ cerebri. S c h ü 1 1 e r - Wien : Schädel-Röntgenographie mit
Demonstrationen. Hartmann- Graz : Beiträge zur Diagnostik
operabler Hirnerkrankungen. Saenger - Hamburg : Ueber Herd-
symptome bei diffusen Hirnerkrankungen. A. Pick -Prag: Thema
Vorbehalten, v. Eis e'lsbe r g- Wien und v. F ran kl -Hoch -
wart- Wien: Ueber operative Behandlung der Hypophysistumoren.
Dritte Sitzung am 15. September um 914 Uhr: Aschaf-
fenburg- Köln: Die Bedeutung der Angst für das Zustandekommen
der Zwangsvorstellungen. K ü h n e - Kottbus: Die kontinuierliche
Bezold -Edelmann sehe Tonreihe als Untersuchungsmethode für
den Nervenarzt. L. R. M ii 1 1 e r - Augsburg: Uebei die Empfindungen
in unseren inneren Organen. Kohnstamm - Königstein und
W a r n k e - Berlin: Demonstrationen zur physiologischen Anatomie
der Medulla oblongata. O p p e n h e i m - Berlin: Allgemeines und
Spezielles zur Prognose der Nervenkrankheiten. Veragut h-
Ziirich: Die Bedeutung des psycho-galvanischen Reflexphanomens.
E. M ii 1 1 e r - Breslau (a. G.): Ueber die Symptomatologie der mul¬
tiplen Sklerose. K. Re ich er- Wien (a. G.): Kinematographie in
der Neurologie. P f e i f f e r - Halle (a. G.): Cysticercus ceiebn mit
dem klinischen Bilde einer kortikalen sensorischen Aphasie, durch
Hirnpunktion diagnostiziert. E. S c h w a r z - Riga: a) Ueber akute
Ataxie b) Ueber die segmentale Versorgung des M. rectus ab-
dominis. Friedländer - Oberursel : Sexualität und Neurosen nebst
therapeutischen Bemerkungen. A. S c-h an z -Dresden: Demonstra¬
tion chirurgisch-orthopädisch behandelter Lähmungen. Mingaz-
z i n i - Rom: Ueber einen Fall von transzentraler sensorischer Aphasie.
Schuster-Berlin: Ueber die antisyphilitische Behandlung in der
Anamnese der an metasyphilitischen und syphilitischen Nervenkrank¬
heiten Leidenden. W a n k e - Friedrichroda: Die Heilung der Neur¬
asthenie, ein ärztlich-pädagogisches Problem. Erben- Wien. Be¬
obachtungen bei ataktischen Tabikern. L a u d e n he l m e r -Als¬
bach: Ueber Korsakowsche Psychose in der Schwangerschalt.
F 1 a t a u - Berlin: Ueber das Fehlen des Achillessehnenphänomens.
Osann- Hannover : Ueber den Bechterew-MendcG sehen
Fussrückenreflex.
Verschiedenes.
Gerichtliche Entscheidungen.
Kann die gesetzlich vorgeschriebene Impfung
durch wiederholte Bestrafung erzwungen werdend
Ueber die in der Rechtsprechung streitige Frage, ob bei Ueber-
tretung gegen § 14 Abs. 2 des Impfgesetzes, welcher Eltern und Vor¬
mündern zur Pflicht macht, ihre Kinder und Pflegebefohlene im impf-
pflichtigen Alter impfen zu lassen, mehr als einmalige Bestrafung
wegen ein und derselben Uebertretung stattfinden kann hat nunmehr
das Kölner Oberlandesgericht in der Revisionsinstanz (Entscheidung
des Strafsenats vom 30. Juli d. Js.) eine Flntscheidung geta .
handelt sich um folgenden Fall: Ein Kaufmann war wegen Feber -
tretung gegen § 14 Abs. 2 des Impfpflichtgesetzes, weil er trotz be¬
hördlicher Aufforderung und ohne gesetzlichen Grund ^ Kmder
der gesetzlichen Impfung entzogen hatte, vom Schöffengerichte z
einer Geldstrafe verurteilt worden. Dieses Urteil wurde von d
Strafkammer des Landgerichts in der Berufungsinstanz bestätig .
Die von dem Angeklagten gegen das landgerichthche Urteil einge leg e
Revision rügt u. a. Verletzung des § 14 Abs. 2 des ImPf^se^es,0 ,
wegen desselben Deliktes — Uebertretung gegen §14 Abs- 2
Impfgesetzes — bereits durch polizeiliche Strafverfügung c
worden wäre, sei nach dem herrschenden Rechtsgrundsatze ■ ne _ b s
in idem“ eine abermalige Verurteilung unzulässig. Das » Kolne - Ober
landesgericht verwarf durch Eingangs genannte Entscheidung die ein
1758
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
gelegte Revision, und führt dabei zur Begründung folgendes aus: Die
weitaus grösste Anzahl von Oberlandesgerichten, welche über vor¬
stehende Frage zu entscheiden hatten, stellen sich auf den Stand¬
punkt, dass, wenn nach der früheren Bestrafung Aufforderung zur
Impfung ergangen sei, und diese wiederum unbeachtet gelassen ist,
also bei einem Sachverhalt wie der vorliegende, auch die erneute
Bestrafung zulässig sei, weil der § 14 Abs. 2 mehrmals verletzt werden
könne. Die Rechtsprechung hat sich also fast ausnahmslos für die
Zulässigkeit mehrmaliger Bestrafung nach § 14 Abs. 2 ausgesprochen.
Begründet wird diese Ansicht, dass nach dem ganzen Inhalt des
Impfgesetzes der Gesetzgeber im öffentlichen Interesse den Impf¬
zwang der Kinder wollte, wie er auch in § 13 des Impfgesetzes aus¬
drücklich von Impfzwang spreche, dass hiermit aber unvereinbar sei,
die Bestimmung des § 14 Abs. 2 dahin auszulegen, es solle durch eine
einmalige Bestrafung das Nichtbefolgen der Impfpflicht ein für alle¬
mal gesühnt sein, dass im Gesetze, wenn es auch die Zulässigkeit
mehrmaliger Bestrafung nach § 14 nicht ausdrücklich ausspreche,
doch auch keineswegs das Gegenteil — es dürfe nur einmal gestraft
werden — gesagt sei. Das erkennende Gericht schliesse sich dieser
Auffassung an. Das Impfgesetz habe nicht den Charakter einer lex
imperfecta. Sowohl nach der Natur des Deliktes als auch dem Wort¬
laut des Gesetzes ist eine wiederholte Verletzung des § 14 Abs. 2
möglich, ebenso wie aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes
und dem Gesetze selbst kein Grund zu entnehmen ist, dass die mehr¬
malige Bestrafung des Deliktes bei wiederholter Verletzung nach
Ansicht des Gestzgebers ausgeschlossen sein soll. Z.
Das Unterstützungswesen der Preussischen Aerztekammern im
Jahre 1906.
In Ergänzung des in No. 32 dieser Wochenschrift erschienenen
Artikels von Dr. Neuberger „Aus den preussischen Aerzte¬
kammern“ tragen wir hier noch einige nähere Angaben über das
Unterstützungswesen dieser Kammern nach.
Von den Aerztekammern Berlin -Brandenburg wurden
im Jahre 1906 im ganzen tür Unterstützungen 41 131.05 Mk. veraus¬
gabt; hievon wurden 27 Aerzte, 63 Arztwitwen, 21 Arztwaisen unter¬
stützt und zwar erhielten 34 lautende Unterstützungen. Unter den
Unterstützten befand sich die Witwe eines beamteten Arztes und
die Tochter eines Kreisphysikus, ferner die Witwe eines früheren
Militärarztes. Das Vermögen der ärztlichen Unterstützungskasse be¬
trug am 31. Dezember 1906 322 965.60 Mk.
_Die Aerztekammer Dannover unterstützte mit im ganzen
25 6/0 Mk. 4 Aerzte und 94 Witwen und Waisen. Das Vermögen
betrug am 31. März 1906 220 900 Mk.
Die Aerztekammer Hessen-Nassau zahlte 3200 Mk. an
2 Aerzte, 6 Witwen und 2 Waisen. Ihr Kapitalgrundstock betrug
am Schlüsse des Jahres 52 000 Mk.
Die Aerztekammer von Schleswig-Holstein, die keine
eigene Unterstützungskasse besitzt, verausgabte im Jahre 1906
1450 Mk. an Unterstützungsgeldern, der Verein der Schleswig-hol¬
steinischen Aerzte 6200 Mk. Die Aerztekammer von Ostpreus-
s e n, me ebenfalls noch keine eigene Unterstützungskasse hat, ver¬
ausgabte 5159 Mk.
Die Unterstützungskasse der Aerztekammern von Pommern
hatte 21 083.28 Mk. zur Verfügung und verwendete auf Unter¬
stützungen 3293.90 Mk.; unterstützt wurden 9 Witwen, 1 Tochter
eines Arztes und 1 Arzt. Die Runge Stiftung in Stettin hatte
einen Bestand von 36 909.40 Mk. und unterstützte 5 Empfängerinnen
mit zusammen 1100 Mk.
Die Aerztekammer von Posen leistete 11 Unterstützungen zu
je 150 Mk., zusammen 1650 Mk.
Die Aerztekammer derR h e i n p r o v i n z überwies ihrer Unter¬
stützungskasse „Hilfskasse der Aerztekammer für die Rheinprovinz
und die Hohenzollerschen Lande“ im Jahre 1906 44 000 Mk. und hatte
an Unterstützungen 9192 Mk. zu zahlen. Der Kassenbestand zu
Ende 1906 betrug 227 956.27 Mk.
Die Aerztekammer von Sachsen bewilligte im Jahre 1906
4000 Mk. für Unterstützungen und warf für das Jahr 1907 6000 Mk
für Unterstützungen und 9600 Mk. für den Unterstzüungsfonds aus!
Die Aerztekammer von Schlesien unterstützte im letzten
Jahre 2 Aerzte^ 18 Arztwitwen und 7 Hinterbliebene von Aerzten
mit zusammen 7900 Mk. Das Gesamtvermögen der Unterstützungs¬
kasse, die seit 1903 besteht, beträgt 22 961.65 Mk. Für das Jahr 1907
wurden 10 000 Mk. für Unterstützungszwecke bewilligt.
Die Aerztekammer von Westfalen verausgabte 3150 Mk
für Unterstützungen; für das Jahr 1907 sind 3000 Mk. vorgesehen. Der
Kapitalgrundstock der Unterstützungskasse wird Ende 1907 rund
98 000 Mk. betragen.
Die Aerztekammer von Westpreussen gewährte 19 Unter¬
stützungen mit zusammen 1950 Mk. ; die Unterstützungskasse hat ein
Stammvermögen von 10700 Mk. und einen Reservefonds von 1200 Mk.
Als Beitrag für das Jahr 1907 wurde in Berlin-Brandenburg
eine Grundgebühr von 10 Mk., sowie 5 Proz. Zuschlag des Ein¬
kommensteuersatzes bei Gesamteinkommen über 5000 Mk. be¬
stimmt; Schleswig-Holstein erhebt 2Vz pro Mille des Einkommens
aus ärztlicher Tätigkeit; in Ostpreussen, Posen und Schlesien wer¬
den 10 Mk., in Westpreussen 12 Mk., in Pommern 15 Mk., in Hessen-
Nassau, Rheinprovinz, Sachsen und Westfalen 20 Mk.. in Hannover
20.05 Mk. erhoben; für verschiedene Kategorien, wie für die Amts¬
ärzte, die erst seit kurzer Zeit approbierten Aerzte, die Assistenz¬
ärzte, Dozenten, die nicht praktizierenden und die nicht dem Ehren¬
gericht unterstehenden Aerzte sind Ermässigungen in verschieden¬
artiger Abstufung vorgesehen. (Berliner Aerzte-Korresp. 1907, No.
32 und 33.)
Therapeutische Notizen.
Untersuchungen über die Bedeutung des Niko¬
tins für die Stärke der Rauchwirkung hat Ludwig
Bitter unter der Leitung von Prof. K- B. Lehmann im hygi¬
enischen Institut in Wiirzburg angestellt. Er fasst seine Resultate in
folgenden Sätzen zusammen: 1. Die Stärke der untersuchten ein- '
heimischen Zigarrensorten ist unabhängig von dem Nikotingehalt.
2. Rauchtabake enthalten wesentlich weniger Nikotin wie Zigarren.
3. Die Stummel schwerer Zigarren enthalten nicht unwesentlich mehr
Nikotin als die Stummel leichter von ursprünglich gleichem Nikotin¬
gehalt. 4. Beim Rauchen leichter und schwerer Zigarren von gleichem
Nikotingehalt wird aus dem Rauch der ersteren weniger Nikotin in
der Mundhöhle absorbiert, als aus dem der letzteren. Die absorbierte
Nikotinmenge steigt aber nicht proportional der Zahl der unmittelbar
hintereinander gerauchten Zigarren. 5. Die Erfahrung, dass feuchte
Zigarren schwer zu vertragen sind, wird durch die Tatsache be¬
stätigt, dass aus dem Rauche einer feuchten mehr Nikotin in der
Mundhöhle absorbiert wird als aus dem Rauche derselben trocken
gerauchten. F. L.
Einer Arbeit von Rudolf Kirchhoff über die Behand¬
lung der Tuberkulose nach Bier liegen 34 Fälle aus der
Privatklinik von Dr. Krecke in München zu gründe. Die erzielten
Resultate waren sehr gute. Die grösste Aussicht auf
Heilung haben im allgemeinen die geschlossenen Tuberkulosen.
Die Stauungshyperämie stellt bei der Behandlung der Tuber¬
kulose einen mächtigen Heilfaktor dar und steht der immobilisierenden
Behandlung nicht nur nicht nach, sondern sie übertrifft sie sogar in
der Verhütung der Gelenksteifigkeiten. Gegenüber der blutigen Be¬
handlung hat sie den grossen Vorzug, dass sie die Glieder nicht
verstümmelt und die volle Funktionsfähigkeit sichert. Auch
in den Fällen, wo sie eine vollkommene Heilung nicht herbeiführt,
wirkt sie oft in hohem Grade schmerzstillend und ermöglicht
so den Patienten, sich in der frischen Luft zu bewegen oder gar ihrem
Berufe nachzugehen. Ausserdem kommt in Betracht, dass sie ausser¬
ordentlich bequem durchzuführen ist und keinerlei An¬
sprüche an finanzielle Leistungen der Patienten stellt. (Diss. Mün¬
chen 1906, 64 S.) F. L.
Ueber Totalanästhesie mittelst Rachisto-
vainisation berichtet Ch.aput in der Pariser Societe de
Biologie (Sitzung vom 6. Juli 1907). Er hat bereits mehr wie 100
Fälle von Laparotomie mittelst Lumbalinjektion von Stovain operiert
und nur in einem einzigen dieser Fälle blieb die Anästhesie aus, was
er auf ein schlechtes Skopolaminpräparat zurückführt. Er injiziert
(1 Stunde) zuvor 14 mg Skopolamin und dann eine isotonische Stovo-
kokainlösung (% Stovain, 3/4 Kokain). Die Kranken haben im Ma¬
ximum 8 mg Stovokokain erhalten. In allen Fällen hat sich die
Anästhesie über den ganzen Körper verbreitet, dieselbe ist so regel¬
mässig und so wenig von Nebenerscheinungen begleitet, dass Ch.
in dieser Methode bald eine Rivalin der Allgemeinnarkose sieht. Die
tötlichen Zufälle und Lähmungen, welche aus Deutschland berichtet
worden seien, führt Ch. teilweise auf ungenügende Sterilisation des
Injektionsmaterials, teilweise auf den Zusatz von Adrenalin oder die
Unkenntnis der Gegenindikationen des Stovains, seine eigenen guten
Erfolge auf sehr genau dosierte und vollkommen sterilisierte Lö¬
sungen und auf die Anwendung des Stovokokains zurück, welches
viel wirksamer und gutartiger als das reine Stovain ist. Folgende
Arten chirurgischer Erkrankungen wurden von Ch. operiert: Ver¬
eiterter Tumor, Adenom, sehr ausgedehntes Karzinom der Brust, Re¬
sektion des Ellbogens, Amputation des Vorderarms, Osteomyelitis des
Radius, tuberkulöse Drüsen des Halses, Geschwülste der Parotis
u. a. m. St.
Wirkung des Thiosinamins bei Herzgefäss-
fibrose. Renon hat seit mehreren Jahren die Eigenschaften des
Thiosinamins (Erweichung von Narbengewebe) bei Arteriosklerose,
bei fibrösen Auflagerungen an Herz- und Gefässintima, bei Klappen¬
affektionen studiert. Bei Mitralaffektion (Stenose und Insuffizienz)
wurde der Zustand in keiner Weise modifiziert, hingegen bei Affektion
der Aorta wurden die funktionellen Symptome günstig beeinflusst, wie¬
wohl die physikalischen Zeichen (Geräusche) sich nicht veränderten.
Bei Arteriosklerose ist die Wirkung des Thiosinamins weniger aus¬
gesprochen, in manchen Fällen jedoch hat die Dyspnoe ebenso wie
die arterielle Spannung nachgelassen. Es wird eine 4 proz. Lösung
(Thiosinamin 1,0 : Aqu. dest. 25,0) in täglichen Injektionen von 5 ccm
und zwar 25 — 30 Tage hindurch angewandt (5 — 6 g Thiosinamin im
ganzen). Die Injektionen, welche man unter die Haiir des Bauches
oder Gefässes macht, sind nicht 'schmdrzhaft, wenn 'die Lösung gut
27. August 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1759
präpariert ist (sterilisiertes W,asser, Auflösung in der Kälte usw.).
Kurz, diese Medikation hat sich immer als unschädlich bei Sklerosen
im Herzgefässystem gezeigt, oft die Dyspnoe bei Aortaerkrankung
gebessert und den Blutdruck bei Arteriosklerose herabgesetzt.
(Societe .de Therapeutique, Sitzung vom 25. Juni 1907.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii n c h e n, 26. August 1907.
— An anderer Stelle dieser Nummer veröffentlichen wir eine
Protesterklärung 11 bayerischer Bahnärzte gegen
das ebenfalls weiter unten abgedruckte Rundschreiben der Vorstand¬
schaft des Vereins bayerischer Bahnärzte vom 20. Juli 1907, durch
welches von allen bayerischen Bahnärzten, auch von denen, die in
der Krage der freien Arztwahl anderer Meinung sind, als die Mehr¬
heit, solidarisches Festhalten an den Beschlüssen der Generalver¬
sammlungen von 1904 und 1906 verlangt wird. Man braucht nicht
mit allem einverstanden zu sein, was in den letzten Jahren zum
Zwecke der Durchsetzung der freien Arztwahl bei den Bahnkassen
unternommen wurde, und wird doch diesen Protest durchaus be¬
rechtigt finden müssen. Eine Solidarität der bayerischen Bahn¬
ärzte in d#r freien Arztwahlfrage hat nie bestanden; es hat viel¬
mehr stets eine Minderheit von Bahnärzten gegeben, die rückhaltlos
für die freie Arztwahl einzutreten geneigt waren. Die nach Ver¬
hängung der Sperre über die Münchener Bahnarztstellen erzielte
Einigkeit richtete sich nicht gegen die freie Arztwahl, sondern ledig¬
lich gegen die zum Zweck ihrer Durchführung ergriffenen Mittel. Es
kann also von der Minderheit billigerweise nicht verlangt werden,
dass isie, um den Schein einer tatsächlich nicht bestehenden Soli¬
darität zu wahren, mit ihrer Ueberzeugung zu gunsten der freien
Arztwahl zurückhalten soll. Darin erblicken wir, die wir gewalt¬
samen Massregeln zur Erzwingung der freien Arztwahl Kollegen
gegenüber abhold sind, den natürlichen Weg ihrer allmählichen Ein¬
führung, dass, entsprechend dem stetigen Vordringen der Idee der
freien Arztwahl überhaupt auch die Zahl ihrer Anhänger unter den
Bahnärzten stetig sich vergrössert und so mit der Zeit die jetzige
Minderheit in eine Mehrheit sich verwandelt. Dass eine solche Um¬
wandlung sich vollziehen wird, wird wohl auch in den Kreisen der
Vorstandschaft des V. b. B. angenommen; sagte doch der unter dem
Rundschreiben mitunterzeichnete Dr. W e t z 1 e r vor nicht langer
Zeit in einer Sitzung der Sektion München des L. V., dass, wenn
man nur etwas Geduld haben wolle, „die freie Arztwahl den Kollegen
von selbst als reife Frucht in den Schoss fallen werde“. Dieser
Umwandlungsprozess wäre schon viel weiter gediehen, wenn nicht die
Bahnärzte durch verkehrte Massnahmen immer wieder zusammen¬
getrieben worden wären. Ihn zu befördern bedarf es der fortge¬
setzten Agitation der fr. A.-W.-freundlichen Bahnärzte unter ihren
bahnärztlichen Kollegen. Und darum haben die protestierenden Bahn¬
ärzte sich mit Recht gegen die versuchte Beschränkung ihrer Be ^
wegungsfreiheit gewehrt.
— Der Vorstand des Vereins der Bahn- und Bahn-
kassenärzte im Bezirk der Kgl. Eisenbahn direktion
Essen hat bei den Vereinsmitgliedern eine Umfrage gehalten be¬
züglich ihrer Stellung zur gesetzlichen Einführung der
freien Arztwahl. Das Ergebnis war, dass von 170 Vereins¬
mitgliedern 104, d. i. etwa 2la gegen die gesetzliche Einführung der
freien Arztwahl stimmten. 33 stimmten dafür, die übrigen haben
teils gar nicht, teils ausweichend geantwortet. (Rhein. Ae. Korr.)
— Nachdem der Aerztetag in Münster beschlossen hat, für h aus-’
ärztliche Atteste für Lebensversicherungsgesell¬
schaften ein Honorar von 10 Mk. zu verlangen, ist die Frage ent¬
standen, ob zur Zeit die genannten Zeugnisse noch zum bisherigen
Satze von 5 Mk. auszustellen seien. Die Frage ist zu bejahen. So¬
lange die vom Aerztevereinsbund mit dem Verbände deutscher Lebens¬
versicherungsgesellschaften getroffenen Vereinbarungen noch in Kraft
sind, müssen auch die durch diese festgesetzten Honorarsätze einge¬
halten werden. Erst nach Ablauf der (z. Z. noch gar nicht gekün¬
digten) Vereinbarungen wird der Geschäftsausschuss auf grund der
Beschlüsse des Aerztetags eine neue Parole bezüglich der zu liqui¬
dierenden Honorare ausgeben können.
— Am 19. ds. fand in Mannheim die Jahresversa m m 1 u n g
des Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im
Deutschen Reiche unter dem Vorsitze von Frässdorf-
Dresden statt. Aus dem Jahresbericht ist hervorzuheben, dass der
Zentralverband jetzt 235 Kassen mit mehr als 4 Millionen Ver¬
sicherten umfasst. Da im ganzen Reich etwa 12 Millionen gegen
Krankheit versichert sind, so vertritt der Zentralverband annähernd
ein Drittel der Versicherten. Von den Gegenständen der Tages¬
ordnung sind hier zu nennen : das Verhältnis der Aerzte
z u den Krankenkassen. Es ist wohl selbstverständlich, dass
eine Resolution gegen die freie Arztwahl angenommen wurde. Der
Entwurf des Reichsapothekengesetzes fand sodann eine sehr ab¬
fällige Beurteilung. Eine von der Versammlung angenommene Re¬
solution erblickt in der Kommunalapotheke die einzige der Allge¬
meinheit dienende Form des Apothekenmonopols.
— Der bisherige ärztliche Hilfsarbeiter am Hamburger Medizinal¬
amt, Herr Dr. M. Fürst, ist als Leiter des Medizinalwesens nach
Mülhausen i. Eis. berufen worden. Dr. F. hat sich durch eine Reihe
sozialmedizinischer und sozialhygienischer Arbeiten einen Namen ge¬
macht, und ist weiteren Kreisen auch durch sein mit Windscheid
herausgegebenes Handbuch der Sozialen Medizin, sowie
die gemeinschaftlich mit K. J a f f e redigierte Monatsschrift „S o -
z i a 1 e Medizin und Hygiene“ bekannt.
— In Frankfurt hat sich auf Veranlassung des wissenschaftlichen
Ausschusses der Heimarbeitausstellung ein besonderer hygienischer
Ausschuss zur genaueren Untersuchung der sanitären
Verhältnisse der Heimarbeit unter Vorsitz von Prof.
N e is s e r gebildet.
— Die Leitung des internationalen Hygiene-Kon¬
gresses hat Seine Durchlaucht Heinrich Prinz zu Schön-
aich-Carolath übernommen. Als Vizepräsidenten werden tätig
sein: Geh. Med.-Rat Dr. Rubner, Professor der Hygiene an der
Kgl. Universität Berlin und Unterstaatssekretär z. Di Prof. Dr.
v. M a y r - München. Das bayerische Staatsministerium des Innern
hat die Herren Unterstaatssekretär z. D. Prof. Dr. v. Mayr, ferner
die Vorstände der hygienischen Institute der Landesuniversitäten,
Obermedizinalrat Prof. Dr. Gruber - München, Prof. Dr. Leh¬
mann- Würzburg und Prof. Dr. Heim- Erlangen zum Kongress
delegiert. Der Senat der Stadt Hamburg hat den Kongress zu einer
Besichtigung der hygienischen Anstalten Hamburgs eingeladen. Der
Ausflug dahin findet nach Schluss des Kongresses für 500 Teilnehmer,
auch Damen, statt. Die Stadt Hamburg lässt eine grössere Denk¬
schrift, welche als Führer für die Besichtigungen dienen soll, her-
stellen und plant einen festlichen Empfang im Rathause. Ein Orts¬
komitee bereitet den Empfang und die Führung der Gäste vor. Die
Wohnungsbeschaffung hat das Reisebureau der Hamburg-Amerika
Linie, Berlin W 64, Unter den Linden 8, übernommen.
— Cholera. Russland. In der Stadt Samara sind in den fünf
Tagen vom 7. bis einschl. 11. August 59 Personen an der Cholera er¬
krankt; im ganzen waren laut amtlicher Bekanntmachung vom
14. ds. Mts. seit dem ersten diesjährigen Auftreten der Seuche bis
zum 11. August 114 Cholerafälle in Samara festgestellt, darunter 28
mit tödlichem Ausgang. Ausser diesen in der Stadt selbst erkrankten
Personen ist am 12. August ein aus dem westlich von Samara ge¬
legenen Kreise Sysran zugereister Mann im städtischen Kranken¬
hause zu Samara der Cholera erlegen. In der Stadt Astrachan war
laut amtlicher Bekanntmachung am 1. August auf einem eben ein¬
getroffenen Wolgadampfer bei einem Bauern aus dem Gouv. Samara
eine Erkrankung beobachtet, welche bakteriologisch als Cholera fest¬
gestellt wurde.
— Pest. Türkei. In Beirut ist ein Pesttodesfall amtlich fest¬
gestellt worden. — Aegypten. Vom 3, bis 10. August wurden nur 15
neue Erkrankungen (und 9 Todesfälle) an der Pest in ganz Aegypten
festgestellt. — Japan. Auf Formosa wurden im Mai 741 Erkrankungen
(und 616 Todesfälle) an der Pest angezeigt, davon in den Bezirken
Taipeh 259 (225), Kagi 256 (199), Ensuiko 89 (74). — Mauritius. In
den beiden Wochen vom 21. Juni bis 4. Juli wurden noch 3 Erkran¬
kungen an der Pest angezeigt, welche alle tödlich verlaufen sind. —
Zanzibar. Vom 19. bis 24. Juli sind in Zanzibar weitere 5 Indier an
der Pest gestorben. Zahlreiche Personen, namentlich in dem am
meisten be_drohten Stadtteile wurden mit Haffkinescher, aus Bombay
bezogener Lymphe geimpft. .
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 4. bis
10. August sind 50 Erkrankungen (und 17 Todesfälle) angezeigt
worden... davon 12 (1) im Reg.-Bez. Köln und 12 (9) im Reg.-Bez.
Düsseldorf.
— In der 32. Jahreswoche, vom 4.— 10. August 1907, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Ludwigshafen mit 37,2, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit 7,7
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Kolmar i. E., an
Diphtherie und Krupp in Plauen i. V., an Unterleibstyphus in Brom¬
berg. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Zum ordentlichen Honorarprofessor in der medizini¬
schen Fakultät der hiesigen Universität wurde der a. o. Professor
für spezielle Pathologie und Therapie daselbst, dirigierender Arzt am
Städtischen Rudolf Virchow-Krankenhause, Geh. Med.-Rat Dr. med.
Alfred Goldscheider, ernannt. Prof. Dr. med. Robert Oster-
tag, Ordinarius der Hygiene an der hiesigen tierärztlichen Hoch¬
schule, der unter Verleihung des Charakters als Geheimer Regierungs¬
rat zum Mitgliede des Kaiserlichen Gesundheitsamts ernannt wurde,
gibt sein Lehramt an genannter Hochschule zum^ 1. Oktober d. J.
auf, um die Leitung der Veterinärabteilung im Gesundheitsamt zu
übernehmen. Den Privatdozenten Dr. med. Peter B e r g e 1 1 (Physio¬
logie), Assistent am Institut für Krebsforschung, und Dr. med. Victor
Schmieden (Chirurgie), Assistenzarzt am Klinischen Institut für
Chirurgie, wurde der Professortitel verliehen, (hc.)
Breslau. Der Oberarzt der chirurgischen Klinik, Dr. med.
Alfred Machol wird mit Beginn des Wintersemesters 1907,08 an
die chirurgische Klinik in Bonn in gleicher Eigenschaft, als Oberarzt
der Poliklinik, übersiedeln, (hc.)
Dresden. Dem ordentlichen Professor und Vorstand des pa-
thologisch-anatomischen Instituts der hiesigen tierärztlichen Hoch¬
schule, Dr. phil. Ernst J o e s t wurde der Titel Medizinalrat ver¬
liehen. (hc.)
1760
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
Göttingen. Wie in hiesigen medizinischen Kreisen verlautet,
kommt für die Nachfolge des Prof. Dr. H i s, Direktors der medi¬
zinischen Klinik in Göttingen (jetzt v. Leydens Nachfolger in
Berlin), vornehmlich der Direktor der medizinischen Poliklinik an der
Universität Freiburg i. Br., ord. Prof. Dr. Karl Hirsch, in Be¬
tracht. (hc.)
Königsberg i. Pr. Drei neue Privatdozenten haben sich
in der medizinischen Fakultät der hiesigen Universität niedergelassen.
Dr. med. Arthur Brückner (geb. 1877 zu Dorpat) bisher Privat¬
dozent und Assistent bei Prof. Hess an der Augenklinik der' Uni¬
versität Würzburg, für das Fach der Augenheilkunde, Dr. med. Kurt
Gol dstein (geb. 1878 zu Kattowitz in Schlesien), Assistenzarzt bei
Prof. F. Meyer an der Königsberger psychiatrischen Klinik für
das Lehrfach Psychiatrie und angrenzende Gebiete, und Dr. med.
Ernst Laqueur (geb. 1880 zu Obernigk in Schlesien) z. Z. Ober-
assistent bei Geheimrat Prof. Roux am anatomischen Institut der
Universität Halle a. S., für das Fach der Physiologie, (hc.)
Marburg. Dem ordentlichen Professor der Chirurgie, Dr.
med. Paul Friedrich (bisher in Greifswald), der erst vor kurzem
als Nachfolger Küttners an die Universität Marburg berufen
wurde, ist der Charakter als Geheimer Medizinalrat verliehen wor¬
den. (hc.)
Strass bürg i. E. Dem Geh. Medizinalrat Prof. Dr. meid.
Philipp Biedert, der von der Stelle als Medizinalreferent am Mini¬
sterium für Elsass-Lothringen zurücktritt, wurde der Charakter als
Kaiserlicher Geheimer Obermedizinalrat verliehen, (hc.)
Tübingen. An Stelle des im Mai 1907 verstorbenen Pro¬
fessors Dr. Theodor v. Jürgensen wurde der Privatdozent und
erste Assistenzarzt bei Prof. R o m b e r g an der medizinischen Klinik,
Dr. med. Otfried Müller, zum Vorstand der medizinischen Poli¬
klinik unter Verleihung des Titels und Rangs eines ausserordentlichen
Professors ernannt.
(Todesfälle.)
Am 20. ds. starb in St. Blasien der ausgezeichnete Psychiater
Eduard Hitzig im Alter von 69 Jahren. Ein Nekrolog folgt.
Protesterklärung.
Die Vorstandschaft des Vereins bayerischer Bahn¬
ärzte hat am 20. Juli 1907 an sämtliche bayerische Bahnärzte
folgendes Anschreiben ergehen lassen:
Sehr geehrter Herr Kollege!
Unterfertigter Vorstandschaft des Vereins bayer. Bahnärzte sind
Anzeichen bekannt geworden, dass im Anschlüsse an den letzten
Deutschen Aerztetag in Münster die Bewegung auf Einführung der
freien Aerztewahl bei der bayer. Eisenbahn- und Postkrankenkasse
neuerdings einsetzen wird und zwar diesmal in der Weise, dass man
die Solidarität der bayer. Bahnärzte zu durchbrechen sucht.
Es wird in absehbarer Zeit an verschiedenen Orten, vielleicht
auch bei den betreffenden Kollegen einzeln eine Aussprache herbei¬
zuführen gesucht werden und die Bahnärzte werden zur aktiven
Beteiligung an den Bestrebungen zur Einführung der freien Arzt¬
wahl aufgefordert werden.
Die lokale Einführung der freien Arztwahl bei der Bahn- und
Postkrankenkasse ist ohne Benachteiligung der Mehrzahl der Kassen¬
mitglieder nicht möglich, sie würde auch bei einer über das ganze
Königreich verbreiteten Krankenkasse ungemeine Schwierigkeiten in
der Ausführung mit sich bringen.
Der Zeitpunkt für eine neuerliche Erregung ist ausserdem jetzt
ein ganz ungeeigneter und ungerechtfertigter, da die gesetzliche
Festlegung der freien Arztwahl angestrebt wird und der deutsche
Reichstag sich in weniger als Vs Jahre zu der Sache äussern wird.
Bis dahin sollte man doch vor Allem zuwarten.
. Abgesehen davon ist die Stellung der bayer. Bahnärzte zur freien
Arztwahl bei den B. u. W. Krankenkassen, sowie der Post-K.-K-
durch die Beschlüsse der Generalversammlungen von 1904 und be¬
sonders 1906 .klar ausgesprochen: „Die Generalversammlung des V.
b. B. Ä. vom 11. XII. 06 erklärt hiermit ausdrücklich, an den in der
a. o. Generalversammlung vom 25. IX. 04 angenommenen Schluss¬
sätzen 1 und 2 auch weiterhin festzuhalten — sie erklärt ferner, dass
sie sich dem mehrfach gestellten Ansinnen gegenüber, bei der Vor¬
gesetzten Stelle und überhaupt befürwortend für die Einführung der
freien Arztwahl bei der Eisenbahn und Postkrankenkasse einzutreten,
ablehnend verhalten muss.
Demgemäss muss auch das Verhalten sämtlicher bayer. Bahn¬
ärzte — denn auch die Kollegen, welche eine andere persönliche
Anschauung haben, sind durch diese Beschlüsse gebunden — ein
solidarisches und einheitliches sein, und wenigstens bis zur Klar¬
legung der Angelegenheit im Reichstage darf keine irgendwie bin¬
dende Zusage gemacht werden.
I. A. der Vorstandschaft des Vereins bayerischer Bahnärzte:
Dr. Schmidt, I. Vorsitznder. Dr. Wetzler, I. Schriftführer.
Die Unterzeichneten bayerischen Bahnärzte erheben mit aller
Entschiedenheit öffentlich Protest gegen die in obigem
Schreiben an sie gestellte Zumutung, jeglicher „bindenden Zusage“
im Sinne der Einführung der freien Arztwahl bei den bayer. Eisen¬
bahn- und Postkrankenkassen sich zu enthalten, sowie gegen die
Behauptung, „dass auch die Kollegen, welche eine andere persönliche
Anschauung haben, durch die üeneralversammlungsbeschliisse von
1904 und 1906 gebunden seien“.
Höher als die von der Vorstandschaft des Vereins bayerischer
Bahnärzte verlangte Solidarität der kleinen Gruppe bayerischer Bahn¬
ärzte steht den Unterzeichneten die Solidarität der im
deutschen Aerztevereinsbunde geeinigten Aerzte,
die auch auf dem diesjährigen Aerztetage zu Münster nahezu ein¬
stimmig (mit 257 gegen 8 Stimmen) sich wieder „für die Zulassung
jedes approbierten Arztes zur Kassenpraxis bei jeder Kasse“
ausgesprochen haben, und der Beschluss der bayer. Aerztekammern
vom Jahre 1903, „dass auch bei den Staatskassen die freie Arztwahl
in Aussicht zu nehmen sei“.
Die bayer. Bahnärzte:
Dr. B i s c h o f f - Gunzenhausen, Dr. D o e r f 1 e r - Weissenburg,
Bez.-Arzt Dr. Eidam- Gunzenhausen, Dr. Eisenstaedt- Pappen¬
heim, Hofrat Dr. A. Frank-Hof, Dr. G e s s e 1 e - Traunstein, Dr.
H a f n e r - Pleinfeld, Dr. H e c k e 1 - Triesdorf, Dr. Höf er -Schwa¬
bach, Dr. R e i c h o 1 d - Lauf, Hofrat Dr. Scheiding - Hof.
Personalnachrichten. *
(Bayern.)
Militärsanitätswesen.
Abschied bewilligt: dem Oberstabsarzt z. D. Dr. Ross¬
bach, diensttuenden Sanitätsoffizier beim Bezirkskommando Nürn¬
berg, unter Fortgewährung der Pension und mit der Erlaubnis zum
Forttragen der Uniform mit den für Verabschiedete vorgeschriebenen
Abzeichen; den Stabsärzten Dr. Heinrich Kurzak (Kaiserslautern)
und Dr. Adolf Neidhardt (Aschaffenburg) von der Reserve, dem
Stabsarzt Dr. Johann Schmid (Dillingen) und dem Oberarzt Ernst
P ii h 1 e r (Hof) von der Landwehr 1. Aufgebots, sämtlichen mit der
Erlaubnis zum Forttragen der bisherigen Uniform mit den für Verab¬
schiedete vorgeschriebenen Abzeichen, dann dem Stabsarzt Dr. Rein¬
hard S t r i 1 1 e r (Kaiserslautern) von der Landwehr 2. Aufgebots,
den Oberärzten Dr. Franz Hausmann (Aschaffenburg) und Dr.
Ewald Schäfer (I. München) von der Reserve, Dr. Franz Linder
(Regensburg) von der Landwehr 1. Aufgebots und Dr. Emil Ein¬
stein (Aschaffenburg) von der Landwehr 2. Aufgebots.
Befördert: zu Assistenzärzten die Unterärzte Astinet im
3. Chev.-Reg., Bausenwein im 16. Inf.-Reg. und Hemmer im
8. Feld. -Art. -Reg.; Dr. Rudolf Seitz (I. München), Dr. Walter
Gellhorn (Erlangen), Ernst Richter und Dr. Ferdinand Fi¬
scher (Würzburg), Dr. Ludwig Essinger (I. München), Dr.
Karl Körfgen (Wiirzburg), Dr. Ferdinand Pfannmüller, Dr.
Georg Becker, Dr. Theobald Fürst, Dr. Theodor Jouck und
Dr. Emil Weil (I. München), German Siebenhaar (Erlangen),
Dr. Robert Dax (I. München), Dr. Rudolf Kirchhof f (Hof), Dr.
Ludwig Obermeyer (Nürnberg), Willy Sklarek (I. München),
Dr. Hermann Simon (Nürnberg), Dr. August Pöhlmann, Dr.
Georg Brommer, Dr. Hugo Wallersteiner, Dr. Ludwig
Kaumheime r und Dr. Hermann Pagenstecher (I. München)
und Dr. Ernst Stark (Regensburg), sämtliche in der Reserve, Dr.
Friedrich Grimbach (Würzburg), Dr. Hermann W i r t h (f. Mün¬
chen) und Julius Mö gelin (Erlangen) in der Landwehr 1. Auf¬
gebots.
Wieder angestellt: der Oberarzt a. D. Professor Dr.
Eugen E n d e r 1 e n, zuletzt in der Landwehr 2. Aufgebots, als Ge¬
neraloberarzt ä la suite des Sanitätskorps.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 32. Jahreswoche vom 4. bis 10. August 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 14 (11*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 3 (3), Kindbettfieber — (— ), and. Folgen der
Geburt 1 (— ), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln 4 (2), Diphth. u.
Krupp —(1), Keuchhusten — (— ), Typhus 2 (— ), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) — (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 2 (— ), Tuberkul. d. Lungen 24 (21), Tuberkul. and.
Org. 2 (4), Miliartuberkul. 2 (— ), Lungenentziind. (Pneumon.) 8 (4),
Influenza — (— ), and. übertragb. Krankh. 4 (5), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 3 (5), sonst. Krankh. derselb. 3 (1), organ. Herzleid. 15 (17),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 3 (4), Gehirnschlag
3 (7), Geisteskrankh. 3 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 4 (2), and.
Krankh. d. Nervensystems 4 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 39 (31), Krankh. d. Leber 3 (4), Krankh. des
Bauchfells 2 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 4 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 6 (5), Krebs (Karzinom Kankroid) 13 (20),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 6 (1), Selbstmord 3 (2), Tod durch
fremde Hand — (2), Unglücksfälle 6 (5), alle übrig. Krankh. 5 (1).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 191 (167). Verhältniszal^ auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,1 (15,8), für*die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,4 (11,0).
) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
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München. Freiburg i. B. München. _ Lmp^g-
No. 36. 3. September 1907.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Kgl- Universitäts - Augenklinik in Berlin (Qeh. Rat
v. Michel).
Erfahrungen mit den Behringschen Tu läse Präpa¬
raten bei der Behandlung tuberkulöser Augenerkran¬
kungen.*)
Von Stabsarzt Dr. R. C o 1 1 i n, Assistent der Klinik.
Es dürfte in ärztlichen Kreisen allgemein bekannt sein, dass
Behring seit einer Reihe von Jahren mit ausgedehnten tiei-
experimentellen Untersuchungen beschäftigt ist, deren Aufgabe
und Ziel die wirksame Bekämpfung der T uberkulose des Men¬
schen und seiner wertvollen Haustiere ist. Diese Arbeiten
haben bereits im Jahre 1901 zur Entdeckung der wichtigen,
bis dahin allgemein bezweifelten Tatsache geführt, dass man
Rinder tuberkuloseimmun machen kann, und zwar hat sich
hierfür in praxi am meisten die Methode bewährt, nach wel¬
cher die Schutzimpfung mit abgeschwächten lebenden mensch¬
lichen Tuberkelbazillen intravenös ausgeführt und frühzeitig
an gesunden jungen Kälbern vorgenommen wird. Es hat sich
weiter gezeigt, dass diese Behring sehe Bovovakzi-
n a t i o n ein zuverlässiges, billiges und ungefährliches Im¬
munisierungsverfahren ist, dessen praktische Durchführbarkeit
in den verschiedensten Gegenden und unter den verschieden¬
sten Verhältnissen, insbesondere auch im landwirtschaftlichen
Kleinbetriebe, erprobt und dessen Leistungsfähigkeit wissen¬
schaftlich von hervorragenden Autoritäten nachgeprüft und an¬
erkannt worden ist. Die einzige Frage, die in dieser Sache
überhaupt noch zur Diskussion steht, ist die nach der Dauer
der durch die Bovovakzination geschaffenen Immunität, näm¬
lich ob — eventuell wie oft — die Schutzimpfung wird wieder¬
holt werden müssen. Dessenungeachtet dürfen wir jetzt jeden¬
falls die zuversichtliche Hoffnung hegen, dass es mit Hilfe der
Bovovakzination in nicht zu ferner Zeit gelingen wird, der Rin¬
dertuberkulose Herr zu werden. Es liegt auf der Hand, von
welcher Bedeutung sich die Verwirklichung dieses Problems
nicht nur für die ökonomische Seite der Landwirt¬
schaft erweisen würde, indem der Schaden, der alljährlich
durch die Rinderperlsucht dem Nationalvermögen erwächst,
ein ganz gewaltiger ist und allein für Deutschland auf rund
25 Millionen Mark im Jahr veranschlagt worden ist, sondern
von welch eminenter Bedeutung sie vor allen Dingen auch für
die Bekämpfung der dem Menschengeschlecht drohen¬
den Tuberkulosegefahr sein würde, insofern die Beherrschung
der Rindertuberkulose Voraussetzung und Bedingung ist für
die Gewinnung einer gesundheitsgemässen Säuglingsmilch als
Ersatz für die Muttermilch.
Die günstigen Erfahrungen, die Behring mit der Bovo¬
vakzination in der landwirtschaftlichen Praxis gemacht, muss¬
ten den Gedanken nahelegen, dass das, was beim Rinde durch
aktive Immunisierung zu erreichen war, sich auch beim Men¬
schen würde verwirklichen lassen und dass es auf diesem
Wege gelingen müsse, auch gegen menschliche Tuberkulose
aktiv zu immunisieren. Die Schwierigkeit der direkten Ueber-
tragung dieser Immunisierungsmethode auf die menschliche
*) Nach einem auf dem diesjährigen Ophthalmologenkongress
in Heidelberg am 7. August gehaltenen Vortrage.
No. 36.
Tuberkulose lag jedoch darin, dass sich die Anwendung leben¬
der und vermehrungsfähiger Tuberkelbazillen, wie sie bei der
Bovovakzination benutzt wurden, beim Menschen im allge¬
meinen von selbst verbot, da immerhin recht erhebliche Be¬
denken dagegen zu erheben waren, einem menschlichen Säug¬
ling zum Zwecke der Tuberkuloseverhütung lebende Tuberkel¬
bazillen in die Blutbahn einzuspritzen. Erst als es Behring
gelungen war, aus den Tuberkelbazillen eine — von ihm T.C,
genannte — Substanz zu gewinnen, die frei von lebenden
Bazillen ist, welche aber trotzdem durch die Umwandlung,
die sie in der lebenden animalischen Körperzelle erfährt, den
lebenden Tuberkelbazillen an Schutz- und Heilwirkung weit
überlegen gemacht werden kann, erst da konnte der genannte
Forscher mit einem zur Bekämpfung der menschlichen Tuber¬
kulose geeigneten Mittel ernstlich rechnen und seine thera¬
peutische Wirksamkeit experimentell erproben. Die T.C.-Sub-
stanz wurde von Behring in der Weise gewonnen, dass die
Tuberkelbazillen zunächst von den in Wasser, in 10 proz. Koch¬
salzlösung sowie von den in Alkohol und Aether löslichen
Substanzen befreit werden und dann durch weitere sehr feine
Emulsionierung dieses Rückstandes — Behring nennt ihn
Restbazillen — in eine amorphe Masse verwandelt werden,
welche frei von virulenten Tuberkelbazillen ist, welche aber
trotzdem die Fähigkeit besitzt, Rinder und Kaninchen tuber¬
kuloseimmun zu machen.
An Stelle dieser ursprünglichen T.C.-üewhniungsmethode,
deren technische Ausführung sehr kompliziert und zeitraubend
ist, hat Behring zur Herstellung eines dem T.C. analogen
Präparates, das er C - T u 1 a s e nennt, folgende Präparation
der Tuberkelbazillen eingeführt: Die aus Bouillonkulturen ge¬
wonnenen, durch Filtration von der Kulturflüssigkeit befreiten
Tuberkelbazillen werden mit Chloralhydrat zu einer Paste
(Tuberkulase) verrieben, aus der sich nach wochenlangem
Stehen eine vollkommen klare Flüssigkeit (V-Tulase) ab¬
scheidet von einem wachsähnlichen Rückstand, der C-Tulase.
Durch sorgfältiges Verreiben mit Wasser wird dann diese
C-Tulase in eine gleichmässige Daueremulsion verwandelt, die
von ihrem milchartigen Aussehen die Bezeichnung T u 1 a s e -
1 aktin erhalten hat. Durch dieses Tulaselaktin lassen sich
nun bei Rindern und Kaninchen immunisatorische Wirkungen
in ähnlicher Weise erreichen wie durch die lebenden Tuberkel¬
bazillen, und zwar nicht nur von der Blutbahn aus, sondern
auch vom Unterhautzellgewebe aus wie bei stomachaler Ver¬
abreichung. Die günstigen therapeutischen Beobach¬
tungen, die Behring mit dem Tulaselaktin an einer grossen
Reihe von Tierversuchen *) gemacht und die gezeigt haben,
dass solche Tiere, welche an lokalisierter Tuberkulose
leiden, geheilt werden können, wenn ihr Allgemeinbefinden
noch befriedigend ist, haben den genannten Forscher dann da¬
zu übergehen lassen, das Mittel auch für die menschen¬
ärztliche Tuberkulosetherapie klinisch systematisch erproben
zu lassen. Bisher sind damit mehrere hundert tuberkulöse und
tuberkuloseverdächtige Individuen behandelt worden und die
hierbei gewonnenen Beobachtungsergebnisse sind schon aus¬
reichend gewesen für die Ausarbeitung einer Gebrauchsanwei¬
sung, nachdem die unschädliche Tulaseiaktindosierung für die
U Hierüber ist von Behring auf der diesjährigen Tagung des
Deutschen Landwirtschaftsrats am 14. März eingehend berichtet
worden.
1762
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 26.
menschlichen Patienten klinisch ausfindig gemacht worden ist.
Hierbei hat sich ergeben, dass, ähnlich wie im Rinderversuch,
auch beim Menschen die lokalisierten tuberkulösen Pro¬
zesse günstig therapeutisch beeinflusst werden können, w äh¬
rend es zum mindesten sehr zweifelhaft ist,
ob die Fälle von 'allgemeiner fortschreiten¬
der Lungentuberkulose von de in Mittel Vor¬
teil haben, so dass bis auf weiteres in erster Linie nur die
lokalisierten tuberkulösen Erkrankungsformen, als Augen¬
tuberkulose, Hauttuberkulose und chirurgische Tuberkulose
Gegenstand der Tulasebehandlung bleiben sollen.
Bei den tierexperimentellen Prüfungen des Tulaselaktin
hat sich dann weiter ergeben, dass bei sämtlichen Tieren,
deren tuberkulöse Herderkrankungen unter dem Einfluss der
Tulaseiaktinbehandlung verschwinden, sich antituberku¬
löse Körper im Blut wie in den Organsäften nachweisen
lassen, die nach Behring von zweierlei Art sind. Die eine
Art ist befähigt zur Auflösung der Tuberkelbazillen oder rich¬
tiger gesagt zur Herauslösung von Fettsubstanz aus der Lei¬
bessubstanz der Bazillen, womit die Vorbedingung für die
Verdauung und Vernichtung des Tuberkulosevirus im Organis¬
mus der infizierten Individuen geschaffen wird; die andere
Art ist zur Unschädlichmachung des in den Tuberkelbazillen
aufgespeicherten Giftes geeignet. Durch Hochimmunisierung
von Pferden gegen Tulaselaktin lassen sich diese antituberku¬
lösen Körper, denen v. Behring den Namen A n t i t u 1 a s e
gegeben hat, künstlich in grösseren Mengen gewinnen, so dass
sie sich für die Behandlung der Tuberkulose praktisch ver¬
werten lassen.
Es wird dem Leser aus meinen bisherigen Ausführungen
klar geworden sein, dass es sich bei dem Tulaselaktin und bei
der Antitulase um 2 Präparate handelt, die in ihrer biologischen
Wirkungsweise prinzipiell voneinander verschieden sind. Das
I u las el aktin soll wie jedes aktiv immunisierende Bak¬
terienpräparat aktive Immunität verleihen, es braucht
mithin längere Zeit zur Entfaltung seiner immunisatorischen
Heilwirkung, gibt dann aber auch einen länger andauernden
Schutz gegen erneute Infektion; die Antitulase dagegen ist
ein fertiges, vom aktiv Immunisierten bereitetes Serum, das
bereits kurze Zeit nach seiner Aufnahme in die Blutbahn auf
die im Erkrankungsherd wirksamen Tuberkelbazillen in spe¬
zifischer Weise im Sinne einer Bakteriolyse einwirken soll;
es handelt sich also hierbei um eine Art passiver Im¬
mun i s i e r u n g s m e t h o d e, um eine serumtherapeutische
Behandlung der Tuberkulose.
Ich habe nun an der Berliner Universitäts-Augenklinik Ge¬
legenheit gehabt, eingehende klinische Versuche so¬
wohl mit dem Tulaselaktin wie mit der Antitulase anzustellen,
da uns beide Präparate von Exz. v. Behring in dankens¬
werter Weise kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, nach¬
dem ich im Aufträge meines verehrten Chefs, Herrn Geheim-
rats v. Michel, im Herbst vergangenen Jahres mehrere
Wochen in Marburg geweilt, um dort im v. B e h r i n g sehen
Institut eigene tuberkulosetherapeutische Studien und Beobach-
tiingen an I ulase zu machen. Meine Versuche erstrecken sich
bisher auf ein Krankenmaterial von 25 Fällen von Augen-
tuberkuloSe, die mit Ausnahme eines Privatpatienten sämtlich
der Universitäts-Augenklinik entstammten und daselbst in der
Zeit vom 1. Dezember 1906 bis Ende Mai 1907 von mir mit
I ulase behandelt und weiter fortlaufend klinisch beobachtet
wurden.
Von den 25 Patienten sind 12 mit Tulaselaktin. 13 mit Anti-
Oilase und 6 rrnt beiden Präparaten mittels kombinierter
Methode behandelt worden, auf welche ich später noch zurück¬
komme. Beide Mittel wurden ausschliesslich subkutan
X do1; XZn amU?!er des Rückens injiziert, unter-
llnt oU Schul erblattwmkel unter sorgfältiger Berücksichti-
g mg aller aseptischen Kautelen. Während die Einspritzungen
des An i ulasepraparats sich absolut schmerzlos ausführen
hessen klagte bd der Injektion des Tulaselaktin eine Anzahl
von Patienten über heftiges Brennen unmittelbar nach der In-
rnnd028ndTniPi!Krdlngn n,ach kurzer Zeit aufhörte. Unter den
d -SO Injektionen ~), die ich gemacht habe, ist es nur ein-
n . ^ Sämtüche Injektionen wurden mit Hilfe einer 1 ccm fassenden
vcknrdspntze (Glaszylinder mit eingeschliffenem Metallkolben) aus-
gefuhrt, die sich mir dabei aufs beste bewährt hat.
mal zur Abszessbildung an der Injektionsstelle gekommen, und
zwar hat es sich hier, wie die bakteriologische Untersuchung
des Abszesseiters ergeben hatte, um eine zufällige Infektion mit
Staphylococcus aureus gehandelt. Im übrigen haben sämt¬
liche Patienten die Injektionen gut vertragen, abgesehen hin
und wieder vom Auftreten leichter Druckempfindlichkeit an
den Injektionsstellen 1 — 2 Tage nach der Einspritzung, wie sie
schliesslich auch nach einer einfachen Morphiuminjektion bei
empfindlichen Leuten beobachtet werden kann.
Was die Dosierung der Präparate .anbetrifft, so habe
ich beim Tulaselaktin in der Regel mit einer Anfangsdosis von
Vioo mg begonnen und bin bei täglicher Verdoppelung der Dosis
— auch bei allgemeiner und lokaler Reaktion — bis zu 8 mg
pro dosi gestiegen, so dass also eine Behandlungsperiode
10 Tage dauert. Wenn während einer solchen Dekaden¬
behandlung eine toxische Tulasewirkung, insbesondere man¬
gelnde Gewichtszunahme, Appetitstörung oder lokale Entzün¬
dung sich bemerkbar macht, soll auf eine Dekadenkur eine
mindestens 20 Tage dauernde Ruhepause folgen. Ueberhaupt
ist der Grundsatz zu beachten, dass die Ruhepausen um so
länger sein müssen, je stärker die Reaktion gewesen war.
Die kürzeste Dauer für eine Ruheperiode betrug bei unse¬
ren Patienten 14 Tage, nach sehr starker Reaktion haben wir
die Ruhepause auf 6 Wochen und noch länger ausgedehnt.
Ueber die stomachale Tulaseiaktinanwendung habe ich
bisher keine eigenen Erfahrungen gesammelt, jedoch soll sie
demnächst auch bei uns versucht werden. Im Gegensatz zum
J ulaselaktin wird die Antitulas ein wesentlich höherer
Dosis gegeben, und zwar habe ich in der Regel mit 100 mg
begonnen und bin bei ebenfalls täglicher Verdoppelung bis auf
2000 mg gestiegen, womit dann die einmalige Knr meist be¬
endet ist.
Während der Tulasebandlung sind nun sowohl Erschei¬
nungen allgemeiner Reaktion seitens des Gesamt¬
organismus als auch manifeste Herdreaktionen von sei¬
ten des erkrankten Auges von uns beobachtet worden, und
zwar bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle. Dabei hat
sich ergeben, dass die mit Tulaselaktin Behandelten
hauptsächlich allgemein reagierten, nur in einigen Fällen
sichtbai lokal, während bei den mit Antitulase behandelten
Patienten die Herdreaktion am erkrankten Auge über¬
wog. Es hängt dies wohl zweifellos mit der bereits vorhin
besprochenen, prinzipiell verschiedenen Wirkungsweise beider
Präparate zusammen, indem beim Tulaselaktin die A 1 1 ge¬
rn e i n reaktion Bedingung für das Zustandekommen eines
wirksamen und heilbringenden immunisatorischen Effektes ist,
wahrend die Antitulase ja in erster Linie auf den lokalen
tuberkulösen Erkrankungsherd einwirkt und höchstens von
hier aus durch die bei der Bakteriolyse freigewordenen und ins
Gut gelangenden Proteinsubstanzen eventuell eine toxische
Allgemeinwirkung auslösen kann. Im einzelnen ist bezüglich
dei Allgemeinreaktionen zu bemerken, dass gerade bei den
grosseren Dosen — es handelt sich hierbei fast ausschliesslich
um tulaselaktin Temperatursteigerungen nicht selten voll- >
kommen ausgebheben sind, während im Beginn der Behand¬
lung bei den kleinen Dosen sich ein deutlicher Einfluss auf die
1 emperaturkurve im Sinne einer Steigerung vorübergehend
geltend machte, und zwar nicht sofort nach der ersten oder
zweiten Dosis, sondern erst im weiteren Verlauf der sub-
kutanen Behandlung. Als besonders wichtig und interessant
mochte ich hervorheben, dass dassubjektiveBefinden
bei keinem der Patienten, die gefiebert haben — und die Tem¬
pel atu i Steigerungen waren zum Teil nicht unerheblich _ in
nennenswerter oder gar schwerer Weise beeinträchtigt wor¬
den ist, die meisten waren sehr erstaunt, als sie von der Fieber¬
steigerung erfuhren und wollten sie nicht wahr haben ; jauch
konnte bei fast allen Behandelten während der Kur eine er¬
hebliche Gewichtszunahme konstatiert werden. Ein
I atient mit schwerer tuberkulöser Sklerokeratitis, der vor
mehreren Jahren seines Augenleidens wiegen mit Tuberkulin
behandelt worden war, die damalige Kur aber sehr bald hatte
abbrechen müssen, weil sein Allgemeinbefinden unter dem
1 uberkulin stark litt, vertrug die Tulaseiaktininjektionen aus¬
gezeichnet, trotz erheblicher Temperatursteigerungen Bei
einem Patienten mit Aderhauttuberkulose kam es nach der In¬
jektion von 1600 mg Antitulase zu einem urtikariaähnlichen
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1763
Exanthem an Hals, Armen und Rücken, das nach einigen I agen
wieder verschwand, ohne irgendwelche Beschweiden zu vei-
ursachen; ähnliche Erscheinungen sind ja auch bei anderen
Serumpräparaten als nicht spezifische Wirkung des Serum-
eiweisses beobachtet worden. Es sind übrigens zurzeit Unter¬
suchungen darüber im Gange, ob sich vielleicht duich Er¬
hitzung des Antitulaseserums auf 55—60° derartige Neben¬
wirkungen in Zukunft vermeiden lassen werden.
Ausgesprochene lokale Reaktionen am Auge selbst
haben wir, wie bereits erwähnt, hauptsächlich bei den mit
Antitulase behandelten Patienten beobachtet, und auch nur in
denjenigen Fällen, in denen es sich um einen frischen tuber¬
kulösen Prozess am Auge handelte. Schon längere Zeit be¬
stehende oder bereits in Abheilung begriffene tuberkulöse Er¬
krankungsherde haben nur geringtügige Reaktion gezeigt, alte
abgeheilte Prozesse am Auge sind überhaupt nicht beeintlusst
worden. Es scheint, als ob die antituberkulösen Körper, die
in der Antitulase enthalten sind oder die durch die aktive Im¬
munisierung mittels 1 ulaselaktin durch den Organismus ge¬
bildet werden, nur dort ihre spezifische Wirkung aut den tuber¬
kulösen Herd entfalten können, wo die feineren Diffusions¬
und Resorptionsverhältnisse in der Umgebung des krankhaften
Prozesses durch reaktive entzündliche Vorgänge noch nicht
zu sehr gelitten haben und wo es vor allen Dingen noch nicht
zu einer Umgrenzung des Erkrankungsherdes durch Binde¬
oder Narbengewebe gekommen ist. Als sicheren Ausdruck
lokaler Reaktionen konnten wir das Auftreten von ziliarer In¬
jektion bei Iridozyklitis und Aderhauttuberkulose, die ausge¬
sprochene Steigerung bereits vorhandener perikornealer In¬
jektion sowie Hyperämie und mässige entzündliche Schwel¬
lung des angrenzenden Gewebes beobachten. In einigen Fällen
kam es zum Aufschiessen neuer tuberkulöser Ruötchen, die
bereits vorher, wenn auch nicht sichtbar, so doch zweifellos
vorhanden gewesen sein müssen und die erst unter dein Ein¬
fluss der spezifischen entzündlichen Reaktion in Erscheinung
traten. Die Höhe der Tulasedosis, welche im Einzelfall die
lokale Reaktion auslöste, schwankte bei den verschiedenen
Patienten recht erheblich, so dass sich bestimmte Anhalts¬
punkte für diese Verhältnisse zurzeit noch nicht geben lassen;
es scheint, als ob hierbei nicht nur die individuelle Empfindlich¬
keit des Kranken, sondern auch der Sitz der tuberkulösen In¬
fektion am Auge von Bedeutung ist. Jedenfalls hat sich in
allen Fällen — und das möchte ich besonders hervorheben —
die entzündliche Reaktion in mässigen Grenzen gehalten, un¬
günstig ist kein einziger Fall nachweislich beeinflusst worden,
ebensowenig haben hierdurch die subjektiven Beschwerden
der Kranken am Auge eine nennenswerte Steigerung erfahren.
Es fragt sich nun, ob und nach welcher Richtung hin der
natürliche Heilungsverlauf der tuberkulösen Augenerkran¬
kungen bei unseren Patienten — bei Beibehaltung der üblichen
symptomatischen Therapie mit Kokain, Atropin etc. durch
die Tulasebehandlung therapeutisch günstig beeintlusst
worden ist, sowie ob bestimmte Erkrankungsformen von
Augentuberkulose in dieser Beziehung eine Sonderstellung ein¬
nehmen. Ich möchte diese Frage mit einer gewissen Reserve
bejahen, mit Reserve insofern, als unsere bisherigen kli¬
nischen Erfahrungen selbstverständlich noch nicht dazu be¬
rechtigen, schon jetzt ein definitives Urteil über den Heilweit
der Tulase abzugeben. Denn man darf nicht vergessen, dass
auch schwere Fälle von Augentuberkulose spontan aus¬
heilen können, und man wird daher bei der Bewertung eines
Heilmittels gerade bei dieser Form der Augenerkrankungen
mit der Schlussfolgerung post hoc ergo propter hoc nicht
vorsichtig genug sein können. Immerhin haben wir den Ein¬
druck gewonnen, als ob diejenigen Fälle, welche auf die 1 u-
lasebehandlung in spezifischer Weise, sei es in Form einer all¬
gemeinen oder einer lokalen Reaktion deutlich antworteten, in
kürzerer Zeit zur Abheilung gelangten, als wir es sonst
bei derartigen Erkrankungen zu sehen gewohnt waren. Dies
gilt ganz besonders von den frischen schweren tuberku¬
lösen Erkrankungsformen, die wir mit Antitulase behandelt
haben und die unter dem Einfluss der zustande gekommenen
spezifischen Herdreaktion in 'rolativy d. h. im Verhältnis zui
Schwere der Erkrankung, kurzer Zeit mit brauchbarem Seh¬
vermögen ausheilten. jj.
Keinerlei Einwirkung hat die Tulasebehandlung bei der
Bindehauituberkutose ergeben und es wäre immerhin denkbar,
dass diese Art von Augentuberkulose, wenn sie auf ektogenem
Wege ohne Infektion ües Gesamtorganismus, zustande kommt
und ein rein lokaler Prozess bleibt, der Spezifischen Behand¬
lung überhaupt nicht zugänglich ist. _
Die günstigen Ergebnisse, die wir bei einigen rauen von
chronisch verlaufender, auf Grund allgemeine i konsti¬
tutioneller Tuberkulose entstandenen Augentuberkulose (Irido¬
zyklitis, Keratitis parenchymatosa) mit der kombinierten An¬
wendungsweise beider 1 ulasepräparate erzielt haben, ver¬
anlassen uns, in Zukunft diese kombinierte Methode
stets anzuwenden, weil wir den Eindruck gewonnen haben,
als ob die aktive Immunisierung mittels 1 ulaselaktin bei einer
vorausgegangenen Einverleibung serumtherapeutisch wirk¬
samer Antikörper von weniger toxischen Nebenwirkungen be¬
gleitet ist und sich daher ungefährlicher gestalten lässt. VV u
gehen deshalb jetzt in der Weise vor, dass wir zunächst vi¬
suellen, den Erkrankungsherd lokal durch eine einmalige
Behandlung mit Antitulase in spezifischer Weise zu beein¬
flussen; ist uns dies gelungen, so erfolgt später nach delinitivei
Abheilung des tuberkulösen Prozesses am Auge die übliche
Dekadenbehandlung mit Tulaselaktin.
Wenn es auch mithin auf Grund unserer bisheugen kli¬
nischen Versuche noch nicht möglich ist, ein abschliessendes
Urteil über den Heilwert der Tulasebehandlung bei Augen¬
tuberkulose zu fällen, so haben unsere Versuche das eine doch
immerhin ergeben, dass die Tulasepräparate in geeigneten
Fällen eine spezifische Wirkung auf den tuberkulösen
Prozess am Auge ausiiben, und dass sich diese Einwirkung
ohne nachhaltige Schädigung des Gesamtorganismus wie des
erkrankten Auges vollzieht. Damit ist zweifellos schon eine
wertvolle Grundlage geschaffen, auf der sich weiter thera¬
peutisch arbeiten lässt. Im Einverständnis mit meinem
Chef, Herrn Geheimrat v.Miche 1, dem ich für die wertvolle
Förderung und Unterstützung meiner klinischen Versuche zu
aufrichtigem Dank verpflichtet bin, kann ich daher nur emp¬
fehlen, auf dem bisher betretenen Wege fortzufahren und neue
Erfahrungen zu sammeln. Es wird die Aufgabe weiterer Ver¬
suche und einer vorurteilsfreien Prüfung sein, an der Hand
eines möglichst reichen klinischen Materials mit Sicherheit
festzustellen, ob und inwieweit man imstande sein wird, tuber-
kulöse Augenerkrankungen durch die spezifische Behandlung
mit Tulase zur dauernden Ausheilung zu bringen.
Ueber die Verwendung kleinerer Dosen von Röntgen-
strahlen in der Therapie.
Von Professor H. Rieder (München).
Die Röntgentherapie hat sich trotz mancher Anfeindungen,
welche sie erfahren hat, weiter entwickelt; ja es ist ihr ge¬
lungen, die ihr nahe verwandte Phototherapie vielfach zu yei-
drängen und zu ersetzen — so bei der Behandlung des Ulcus
rodens, aber, auch des Lupus und anderer Hautkrankheiten.
Wie alle medizinischen Heilungkbestrebungen, so hat auch
dieser Zweig der modernen Therapie seinen Entwicklungs¬
gang durchzumachen und noch heute — nach fast lO jahnger
Arbeit - stehen wir vielfach auf schwankendem Boden, wenn
es gilt, den einen oder andern Krankheitsprozess der Röntgen¬
behandlung zu unterwerfen. Das darf und wird uns aber n c
abhalten, von diesem wichtigen therapeutischen Hilfsmittel
geeigneten Fällen ausgiebigen Gebrauch zu machen.
Die Erfahrung hat uns nicht blos gelehrt, welche Krank¬
heiten der Röntgentherapie zugänglich sind; sie hat uns auch
gezeigt, dass die Strahlendosis sorgfältig erwogen und
bestimmt, bezw. abgeschätzt werden muss.
Man ist eigentlich allerorts im Laufe der Zeit mit der Dosis
zurückgegangen, um unliebsame Wirkungen der Röntgen-
strahlen zu vermeiden und wohl jeder Röntgenologe hat m
dieser Hinsicht Konzessionen machen müssen.
Die früher vielfach übliche Methode, die für die betreffende
Krankheit (Lupus, Psoriasis, Kankroid usw.) ohne Schädigung
des normalen Gewebes verwendbare Maximaldosis zu ver -
reichen, wird mit Recht mehr und mehr verlassen^ da man
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1764
No. 36.
gesehen hat, dass die Röntgenstrahlcn oft schon in einer so
kleinen Dosis, dass gar keine oder nur eine geringe Haut¬
reaktion hervorgerufen wird, eine Heilwirkung entfalten.
Nicht die Maximaldosis, sondern die Minimaldosis
spielt meines Erachtens jetzt die Hauptrolle in der Röntgen¬
therapie. Der Umstand, dass früher vielfach eine zu grosse
Dose gewählt wurde, war häufig Ursache, dass da und dort
Misserfolge erzielt wurden.
Die Anwendung grosser, aber die Haut nicht gefährdender
Dosen Röntgenstrahlen ist nur bei der Bekämpfung bös¬
artiger Neubildungen geboten ; hingegen bei anderen
Krankheiten, namentlich bei verschiedenen Haut- und Blut¬
krankheiten, ist eine grössere Strahlendosis durchaus nicht im¬
mer erforderlich, ja oft direkt schädlich.
Eine öfters wiederholte schriftliche oder mündliche Aus¬
sprache über persönliche Erfahrungen in der sozusagen noch in
den Kinderschuhen steckenden Röntgentherapie ist im Interesse
der jn Betracht kommenden Kranken wünschenswert. Deshalb
dürfte die Besprechung einiger Erkrankungen, welche durch
Röntgenbestrahlung günstig beeinflusst werden, und zwar be¬
sonders solcher, welche nur eine kleine Strahlendosis benötigen,
auch mir gestattet sein, der ich schon gemeinschaftlich mit
v. Ziem ss en therapeutische Versuche angestellt habe und
seither in dieser Richtung tätig war.
Was zunächst die Krankheiten des Blutes und
des lymphatischen Systems anlangt, so leisten uns
die Röntgenstrahlen bei ihrer Bekämpfung gute Dienste.
Doch ist hier eine strenge Individualisierung, besonders
bei der Behandlung von Leukämikern und Pseudo-
leukämikern, dringend geboten. Es ist bekannt, dass
namentlich bei der Leukämie intensive und lang fort¬
gesetzte Bestrahlungen oft deletär wirken, selbst wenn sie
eine Heilung im hämatologischen Sinne herbeiführen. Früher,
als man darauf ausging, die Leukämie vollständig zu beseitigen
und die blutbereitenden Organe rasch zur Rückbildung zu brin¬
gen, hat man manchmal die zulässige Dosis überschritten.
Man hört mit der Bestrahlung auf, sobald stärkere Ver¬
minderung der Leukozyten eintritt; jedenfalls ist bei eingetre¬
tener Leukopenie eine weitere Anwendung der Röntgenbestrah¬
lung kontraindiziert.
Das Verfahren, im Beginn der Behandlung unter fortlaufen¬
der Kontrolle der Blutbeschaffenheit — besonders der Leuko¬
zytenzahl — und des Subjektivbefindens, unter Benutzung
einer mittelharten Röhre, einzelne intensive Bestrahlungen
und dann in ein- oder mehrwöchentlichen Zwischenräumen ein¬
zelne Nachbestrahlungen vorzunehmen, hat sich uns als be¬
sonders nutzbringend erwiesen.
In möglichster Kürze soll zum Beweis des eben Gesagten
ein Beispiel hier folgen!
84 jährige Dame (ambulant). Seit einigen Monaten zunehmende
Blasse und Hinfälligkeit. Leber und Milz enorm vergrössert. Lymph-
driisen in verschiedenen Körperregionen geschwellt. Hb-Qehalt des
Dl utes 30 Proz., Erythrozytenzahl 2 170 000, Leukozytenzahl: 199 000
darunter ca. 70 Proz. Lymphozyten.
Diagnose: Chronische, lymphatische Leu-
kami e.
_3., _6., 28., 31. III. und 2., 4. IV. 1906 Bestrahlung der Milz und
cei Lebei (abwechselnd) je 6 Minuten mit ziemlich harter Polyphos-
lölne (parallele Eunkenstrecke 14 — 12 cm), elektrolytischer Unter¬
brecher, 10 Amperes Stromstärke, bei mittelstarker' Belastung der
Rohre.
Subjektivbefinden bessert sich auffallend rasch, Schlaf und
j n P c 1 1 1 nehmen zu, Leber und Milz etwas weicher, kaum verkleinert,
Lymplidrüsen entschieden kleiner. Leukozytenzahl nimmt ab, Ery¬
throzytenzahl und Hämoglobingehalt nehmen zu.
23. und 25. IV. Bestrahlung der Milz in der bisher üblichen Weise
Leukozytenzahl beträgt nur noch 33 000; der Hämogiobingehalt ist auf
(>. 1 i oz. gestiegen. Erhebliche Zunahme des Körpergewichtes.
2., 8., 15., 22., 29. V. Bestrahlung der Milz und Leber (ab¬
wechselnd).
70 o8- IV-nLeukozyte^.ahl: 46 000; 29. IV. Hämoglobingehali
/0 1 roz. Allgemeinbefinden sehr gut. Die blutbereitenden Organe
soweit sie palpabel sind, haben an Grösse nur wenig abgenommen.
1_. und 19. VI. je eine Milzbestrahlung.
3. VII. 18 000 Leukozyten, 10. VII. 24 000 Leukozyten. Be-
tinden sehr gut Patientin vermag wieder allein ohne Unterstützung
spazieren zu gehen. Sie nimmt 6 wöchentlichen Landaufenthalt. In
dieser Zeit keine Bestrahlung.
28. IX. Hämoglobingehalt 90 Proz., Leukozytenzahl 32 000, Ery-
throzytenzahl 4 400 000.
29. IX. Bestrahlung des Abdomens in der Dauer von 5 Minuten.
5. X. Leukozytenzahl 11 000, 13. X. 26 000.
16. X. Milzbestrahlung in der Dauer von 5 Minuten.
23. X. 31 000 Leukozyten. Befinden weniger gut; Verdauungs¬
störungen.
27. X. Leukozytenzahl 26 000.
Am 3. und 31. XI. je eine Milzbestrahlung.
1. XII. Leukozytenzahl 30 000.
Am 1. und 7. XII. je eine Milzbestrahlung.
13. XII. 27 000 Leukozyten.
29. XII. Stets Wohlbefinden. Leber und Milz unverändert
gross. Lymphdriisen nur wenig geschwellt. Einmalige Bestrahlung
des Abdomens.
4. I. 07. Leukozytenzahl 19 000. Am 10. I. 16 000.
30. I. Leukozytenzahl 22 000. Eine Milzbestrahlung.
6. II. Leukozytenzahl 14 000.
21. II. Leukozytenzahl 22 000. Eine Milzbestrahlung.
2. III. Leukozytenzahl 14 000.
21. III. Leukozytenzahl 24 000. Eine Milzbestrahlung.
4. IV. Leukozytenzahl 15 000.
17. IV. Leukozytenzahl 24 000. Eine Milzbestrahlung.
2. V. Leukozytenzahl 18 000.
6. V. Leukozytenzahl 20 000.
6. VI. Leukozytenzahl 22 000.
Seit 17. IV. wurde von weiteren Bestrahlungen bei dem guten
Allgemeinbefinden der Patientin Abstand genommen.
20. VI. Leukozytenzahl 24 000. Einmalige Bestrahlung der
Milzgegend in der Dauer von 3 Minuten. Pat. nimmt Landaufenthalt.
Die Kranke wurde, wie aus obiger Aufstellung ersichtlich ist, in
den letzten Monaten nur dann und zwar nur einer einmaligen Be¬
strahlung von 3 — 5 Minuten Dauer unterworfen, wenn mehr als
20 000 Leukozyten (pro Kubikmillimeter) im Blute nachzuweisen
waren.
Insgesamt hat die Patientin also im Zeitraum von ca. IV2 Jahren
27 Bestrahlungen in der Gesamtdauer von 148 Minuten erhalten.
Ein gleich günstiger, hier sogar auf Jahre sich erstreckender
Erfolg ist bei einem ähnlich behandelten Falle von Pseudo-
1 e u k ä m i e (enorm vergrösserte Milz, normaler Blutbefund)
zu verzeichnen. Der betreffende Patient wird auch jetzt noch
in regelmässigen Zwischenräumen bestrahlt und befindet sich
— im Gegensätze zu den vor der Röntgenbehandlung be¬
standenen schweren Krankheitserscheinungen — vollkommen
wohl, obschon die Milzgrösse jetzt nicht mehr wie anfangs
durch die Strahlen beeinflusst wird - — wie ja im allgemeinen
pseudoleukämische Milztumoren durch die Bestrahlung nicht
so stark reduziert werden wie leukämische. —
Leider ist nicht in allen Fällen von Leukämie, Pseudo¬
leukämie und anderen Blutkrankheiten ein solch günstiges Be¬
handlungsresultat wie in den oben aufgeführten beiden Fällen
zu erzielen. Aber doch beobachtet man auch dort, wo die
Leukozytenzahl nicht oder nur wenig durch die Röntgen¬
behandlung zu beeinflussen ist, dass vorsichtig durchgeführte
periodische Bestrahlungen das Allgemeinbefinden derartiger
Kianken sehr günstig beeinflussen und ihre Lebensdauer zu
verlängern vermögen.
Es kommen eben bei der therapeutischen Verwendung der
Röntgenstrahlen neben der zellulären noch andere, sekundäre,
hinsichtlich ihrer Zeitdauer schwer bestimmbare Wirkungen
auf den Organismus (Stoffwechselvorgänge usw.) in Betracht,
auf die hier nicht näher eingegangen werden kaVin.
Uebrigens erstreckt sich die Strahlenwirkung bei Blut-
kranheiten wahrscheinlich nicht blos auf die Blutzellen der Bil¬
dungsstätten, sondern auch auf die des strömenden Blutes.
Auch bei der Struma (d. h. wenn eine weiche, auch
durch Jod beeinflussbare Form vorliegt) und bei M 0 r b u s
Bas e d o w i i, wo übrigens die Bestrahlungserfolge nicht ganz
den früher gehegten Erwartungen entsprechen, scheinen wö¬
chentlich 1 2 Bestrahlungen in der Dauer von 5 Minuten be¬
hufs Erzielung eines therapeutischen Erfolges — ohne dass hier
wie bei Jodgebrauch Herzstörungen auftreten — zu genügen.
Das gleiche Vorgehen hat sich bewährt bei hartnäckigen
Neuralgien des Trigeminus und Ischiadikus,
welche oft auffallend rasch durch die Bestrahlung^ gebessert
werden. *
Bei den Prostata - Erkrankungen, wo etwas Skep¬
sis in bezug auf objektive Besserung berechtigt ist, kann eine
endorektale, direkte Bestrahlung des Erkrankungsherdes län¬
gere Zeit fortgesetzt werden, ohne dass Verbrennung zu be¬
fürchten ist, weil die Schleimhaut erfahrungsgemäss viel grös-
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1765
sere Widerstandsfähigkeit gegen Röntgenstrahlen besitzt als
die Haut.
Eine grosse Gruppe von Krankheiten, bei dei statt dei
früher üblichen intensiveren Bestrahlung die schwache, abei
öfters wiederholte Bestrahlung unter Vermeid u n g
stärkerer Hautreaktion sich vorzüglich bewährt hat,
sind die Hautkrankheiten1 2 3).
Bei der H y p e r t r i c h o s i s ist die Dosis nur so gross
7,1 nehmen dass sie zur temporären, möglichst reaktionslosen
Epilation hinreicht. Natürlich ist dann öftere Wiederholung
der Prozedur, d. h. nach Wiederwachsen der Haaie, notig.
Trotzdem ist dieses Verfahren einem forcierten Vorgehen bei
dem neben definitivem Haarausfall auch Hautatrophie, Te -
angiektasien usw. sich einstellen, vorzuziehen. Wer sich mit
temporärem Haarausfall (der nach Kienbock-) erst nach
1X> Jahren zu einem dauernden wird) nicht begnügt, muss sich
eben der (leider auch nicht idealen) elektrolytischen Behand¬
lung zuwenden. , , . , „ „ • „
Auch bei Sykosis Simplex und parasitaria,
Herpes ton s urans, Favus und anderen Haarkiank-
heiten genügt temporäre, mit gleichzeitiger Entfernung der
Pilze einhergehende Epilierung (in 2-3 Sitzungen), um die
Pusteln zur Eintrocknung zu bringen bezw. die Abstossung der
Scutulae zu bewirken und der Haut ihre normale glatte Be¬
schaffenheit wieder zu geben. , ,
Für Behandlung der behaarten Kopfhaut (abge¬
sehen von Favus und solchen Erkrankungen, welche die Haar¬
wurzel bereits zerstört haben) sind übrigens wegen des bei
Röntgenbestrahlung oft unvermeidlichen Haarausfalles, im all¬
gemeinen die Lichtstrahlen wegen ihrer anregenden Wirkung
auf die Funktion der Haarpapillen den Röntgenstrahlen vorzu-
Während für akute Formen von Ekzem die Röntgen¬
behandlung sich weniger eignet, sind beim Eczema chro¬
nicum, vielleicht nur abgesehen von Unterschenkelekzemen,
die auf varikösen Veränderungen beruhen sowie von Kopf¬
ekzemen, die therapeutischen Erfolge geradezu vorzüglich —
selbst bei Formen, die jeder anderen Behand¬
lung T r o t z b i e t e n.
Zirkumskripte bezw. lokalisierte Ekzeme sind natui-
lich geeigneter . für die Röntgenbehandlung als univer¬
selle. Eine oder zwei bis drei Sitzungen von 5 Mi¬
nuten Dauer (hier in achttägigen Zwischenräumen) ge¬
nügen oft, das Ekzem vollständig zu beseitigen. Die Rba-
gaden heilen glatt, Hyperkeratosen schwinden, nässende Flä-
chen überhäuten sich. Schon nach der ersten Sitzung hört
gewöhnlich das Nässen auf und der Juckreiz schwindet, nach
weiterer, wöchentlich einmal auszuführender Bestrahlung
sistiert auch die Bläschenbildung, die Rhagaden heilen und die
Rückbildung des Krankheitsprozesses geht weiterhin schritt¬
weise aber sicher von statten. .
Ueber derartige Beobachtungen hat schon H. E. Schmidt )
berichtet. Derselbe fordert für die Ekzembehandlung, dass
nur leichtes Erythem durch die Bestrahlung hervorgerufen
werde und spricht so von einer „Erythemdosis“.
Auch bei hartnäckigen Formen von Ekzem be¬
obachtet man meistens prompte Abheilung und die besonders
hartnäckigen Gewerbeekzeme sind oft nur durch Rönt¬
genbestrahlung zu beseitigen.
Selbst bei langdauerndem Eczema Intertrigo ist das Resul¬
tat der Röntgenbestrahlung meist ein vollständig befriedi¬
gendes.
Die Röntgenbehandlung ist nicht bloss bequemer und
sauberer, sondern sie führt in der Regel auch rascher zum Ziele
als die Salbenbehandlung.
Ueberraschend gute Erfolge — allerdings für gewöhnlich
keine Dauererfolge — sieht man meist auch bei der Behand¬
*) Prof. R. B a r 1 o w hatte die Freundlichkeit, mir einige seiner
Privatpatienten zur Röntgenbehandlung zu überweisen und auch das
Heilresultat zu kontrollieren.
2) R. Kienböck: Ueber Radiotherapie der Haarerkrankungen.
Archiv für Dermatologie und Svphilis. 13. Band, 1. Heft 1906.
3) H. E. Schmidt: Die Röntgenbehandlung der Psoriasis und
des Ekzems. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
10. Band. 3. Heft 1906.
lung der Psoriasis, wenn man zirkumskripte Hautflächen
in achttägigen Intervallen in der beschriebenen Weise bestrahlt.
Die Schuppung hört allmählich auf, es kommt zu Abflachung
und zum Rückgang der Infiltrate und die auftretenden Pigmen¬
tierungen schwinden bald. Doch scheinen merkwürdigei -
weise ältere Herde der Bestrahlung zugänglicher zu sein als
frische. Rezidive sind allerdings auch bei älteren Herden
nicht zu vermeiden. Jedenfalls sollte in solchen Fällen, wo die
Chrysarobinbehandlung nicht vertragen wird, die Röntgen¬
bestrahlung vorgenommen werden!
Selbst bei dem wegen seiner Hartnäckigkeit so gefürchteten
Lichen ruber erreicht man durch wöchentlich einmalige,
4 _ 5 Minuten dauernde Bestrahlung ein Schwinden des lästigen
Juckreizes und — entsprechend dem Rückgang des Veihoi-
nungsprozesses — eine Abnahme des Spannungsgefühles. Ge¬
rade hier wurde früher durch grosse Dosen der Juckreiz nur
vorübergehend beseitigt und der örtliche Krankheitsprozess
selbst, wegen zu starker reaktiver Hautentzündung (Dermatitis),
ungünstig beeinflusst.
Auch bei ulzerösen und verrukösen Formen des Lupus
vulgaris und bei Lupus erythematodes haben
sich öfters, d. h. in mehrtägigen Zwischenräumen wiederholte
kurzdauernde Bestrahlungen (3 — 5 Minuten) mit mittelweicher
Röhre (parallele Funkenstrecke = 8— 12 cm) besser bewährt
als intensivere Bestrahlungen mit weichen Röhren. Beim
Lupus vulgaris tritt übrigens auch die kombinierte Behandlung
in ihre Rechte, d. h. neben regelmässigen (täglichen) Bestrah¬
lungen der einzelnen Lupusherde mit konzentriertem elektri¬
schem Bogenlicht die zeitweilige Röntgenbestrahlung des ge¬
samten Krankheitsgebietes (etwa alle 14 Tage eine 5 Minuten
dauernde Sitzung). Dass aber bei Lupus zuweilen auch ausser
der Bestrahlungstherapie oder neben derselben noch andere
Behandlungsmethoden Platz greifen müssen, wird von der¬
matologischer Seite mit Recht hervorgehoben.
Bei der Behandlung von hartnäckiger Akne und N a r -
benkeloiden sowie bei chronischer Für unk u 1 o s e
erzielt man gewöhnlich gute Resultate durch einmal pro Woche
ausgeführte, nur schwache Reaktion hervorrufende Bestrah¬
lungen von 5 Minuten Dauer, wobei das Verfahren unbedenk¬
lich längere Zeit hindurch fortgesetzt werden kann. Ja bei
Keloiden ist das Röntgenverfahren jeder anderen Behandlungs¬
methode überlegen. , ~ ..
Bei Pruritus werden namentlich seitens der Gynä¬
kologen schon seit einigen Jahren periodische kurzdauernde
Bestrahlungen in Anwendung gezogen. Hingegen sind hin¬
sichtlich der Myom- und Ovarienbestrahlung die Akten noch
nicht geschlossen.
In der Ophthalmologie hat man gute Erfolge bei der Rönt¬
genbehandlung des T rachoma erzielt. .
Bei Skrofuloderma und bei D r ii s e n tuber¬
kulöse, besonders bei Fistel- und Geschwürsbildung,
wo Geschwürsheilung bezw. Schwund des Drusen-
gewebe-s durch die Bestrahlung erzielt wird, wird wohl m
Zukunft das Röntgenverfahren noch häufigere Anwendung fin¬
den als bisher. Besonders im Gebiet des Halses und des Ge¬
sichtes ist aus kosmetischen Rücksichten (ideale Benarbung.)
die Röntgenbestrahlung anderen Behandlungsmethoden vorzu-
Zieh Tu venile Warzen sowie multiple papillomatöse Wu¬
cherungen können rasch und sicher durch Röntgenbestrah¬
lungen zum Verschwinden gebracht werden, während halte,
ältereWarzen öfters und länger bestrahlt werden müssen.
Beim Hautkrebs (Kankroid, Ulcus molle) schätzen wir
die Wirkung der Röntgenstrahlen besonders hoch ein, weil das
kosmetische Resultat nach durchgeführter Bestrahlung ein ganz
ausgezeichnetes, auch von chirurgischer Seite anerkann es is .
Die Röntgentherapie verdient als konservative,
d h das normale Gewebe schonende Behaue -
lungsmethode mit Recht bei allen oberflächlichen d. h.
nur in der Haut liegenden bösartigen Geschwülsten den Vorzug
vor anderen therapeutischen Massnahmen, zumal sie keineilei
Schmerzen verursacht und auch bei alten Leuten aus¬
führbar ist. Man beobachtet ein stetiges Schwinden der In-
' filtration, Verminderung der Sekretion. Aufhören dei Blutung
und zentralwärts fortschreitende Benarbung. Sowohl das pro¬
longierte Verfahren wie das forcierte, d. h. die Ausführung
1766
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
starker Bestrahlungen in kurzen Zwischenräumen, führen meist
sicher zum Ziele — es sei denn, dass der Krankheitsprozess
sehr alt und auf viele Jahre zurück sich erstreckt. R e z i d i v e
treten nicht häufiger auf als nach chirurgischen Eingriffen;
gegen sie gewähren präventive, zeitweilige Bestrahlungen guten
Schutz. . XT .
Bei tieferliegenden bösartigen Neubil¬
dungen ist behufs Erzielung einer durchschlagenden Wir¬
kung kräftige Bestrahlung, womöglich in verschiedenen
Durchleuchtungsrichtungen, vermittelst harter Röhren
direkt indiziert. Hier ist die Wirkung der Röntgen¬
strahlen bekanntlich dann eine ^ besonders gute, wenn
die Geschwulst aus jungen Zellen mit stark pro¬
duktiver Tätigkeit besteht, während bei fibröser Beschaffenheit
der Geschwulst kein grosser Erfolg zu erwarten ist. In erster
Linie bei inoperablen Fällen (besonders Hautsarkomen, My-
kosis fungoides, Lymphosarkomen und bei Karzinomen, die ge-
sch wiirigen Zerfall zeigen, namentlich Lippenkarzinomen und
rezidivierenden Mammakarzinomen) können die Röntgenstrah¬
len dem Arzte oft gute Dienste leisten. Eine vorzügliche Wir¬
kung sehen wir oft bei Mediastinaltumoren (Sarkomen
usw.), während die Erfolge der Röntgenbehandlung ma¬
ligner Lymphome bislang ziemlich unbefriedigend war.
Abgesehen von der lokalen, auf Zellschrumpfung und
Zelldegeneration beruhenden Wirkung ist die Bestrahlung der
Neoplasmen oft schmerzlindernd und wirkt hiedurch auf Schlaf
und Kräftezustand des Patienten günstig ein. Wenn auch im
allgemeinen bei tieferliegenden Neoplasmen keine Dauer¬
heilung erzielt wird durch die Röntgenbestrahlung, so erreicht
man doch Vernarbung der Ulzerationen, häufig auch Schrump¬
fung der Geschwulst — und dies ist doch auch ein nicht zu
unterschätzender therapeutischer Erfolg, der durch medika¬
mentöse und andere Kuren gewiss nur sehr selten erreicht
wird. Allerdings eine definitive Beseitigung ist nur bei ein¬
zelnen Sarkomformen zu erwarten; auch steht man öfters
machtlos dem Vorkommnis gegenüber, dass ein Neoplasma,
während es nach aussen zu durch die Röntgenbestrahlung ver¬
kleinert wird, nach innen zu weiter wächst. Die therapeuti¬
schen Resultate würden noch besser werden, wenn die Tech¬
niker uns Röntgenröhren liefern könnten, deren Strahlen, nach
Art der sogen. Glasstrahlen, tiefer in das Gewebe eindringen,
ohne das Hautgewebe zu schädigen. Mit derartigen Apparaten
ausgerüstet könnten wir auch mit grösserer Aussicht auf Erfolg
an die Behandlung von Neubildungen innerer Organe heran¬
treten.
Was endlich noch die nachoperative Bestrahlung bei
bösartigen Neubildungen betrifft, so scheint die Röntgentherapie
wohl die richtigste Nachbehandlung für Operierte zu sein.
Nach eigenen Erfahrungen ist sie höchst wertvoll und meines
Erachtens noch viel zu wenig seitens der meisten Chirurgen
gewürdigt . Das Auftreten von Rezidiven scheint dann, wenn
baldmöglich nach der Exstirpation das Operationsgebiet
mit harter Röhre mehrmals bestrahlt (höchstzulässige
Strahlendosis!) und diese Bestrahlung nach mehrwöchent¬
lichen Intervallen einige Male wiederholt wird, verhütet
werden zu können. Ueber die voroperative Be¬
strahlung, welche auch von einigen Seiten empfohlen wird,
fehlen uns eigene Erfahrungen.
In der Hand eines erfahrenen, vorsichtig abwägenden
Arztes sind die Röntgen strahlen hauptsächlich wegen
ihrer direkten Wirkung auf das Zellprotoplasma zweifellos
ein ausgezeichnetes therapeutisches Hilfs¬
mittel. Die Röntgentherapie führt bei den meisten der oben
genannten Krankheiten nicht bloss rasch und sicher zum Ziele,
sic hat auch den Vorzug, dass sie da, wo andere therapeutische
Massnahmen, z. B. die medikamentöse Behandlung, versagen,
noch eine Wirkung entfaltet. Eine unabweisliche Forderung
ist und bleibt aber, dass nicht bloss die diagnostische, sondern
auch die therapeutische Anwendung der Röntgenstrahlen aus¬
schliesslich durch den Arzt selbst erfolgen muss.
Eolgt man den oben kurz skizzierten Bestrahlungsdirek¬
tiven, d. h. der Verwendung möglichst kleiner Strahlendosen,
so setzt man die Kranken nicht unnötig der Gefahr einer Rönt¬
genverbrennung aus und findet sich leichter und geduldiger mit
der Tatsache ab, dass eine absolut sichere Dosierung der Rönt¬
genstrahlen noch nicht existiert. Man wird dann auch im all¬
gemeinen mit der einfachen, während einer Sitzung oftmals
wiederholten Kontrolle der parallelen Funkenstrecke, unter
peinlicher Berücksichtigung der Bestrahlungsdauer und der
Fokusdistanz, auskommen und auf komplizierte, zur Bestim¬
mung der absorbierten Strahlenmenge dienende Messmethoden,
die bislang auch noch der absoluten Sicherheit entbehren, ver¬
zichten können.
Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München
(Direktor: Obermedizinalrat Prof. Dr. v. Bauer).
Ueber den Befund eines weiteren noch nicht be- '
schriebenen Bakteriums bei klinischen Typhusfällen.
Von M. Mandelbaum.
Betrachtet man die Geschichte des Typhus während der
letzten 100 Jahre, so findet man eine ständige Wandlung in
der Anschauung von dem Wesen der mit diesem Namen zu¬
sammengefassten Krankheiten. Und zwar waren es die in der
medizinischen Wissenschaft jeweilig vorherrschenden Rich¬
tungen, welche die Diagnose Typhus bestimmten, festigten und
begrenzten. So waren die alten Aerzte, denen die durch
moderne Forschung und fortgeschrittene Technik geschaffenen
diagnostischen Hilfsmittel nicht zu Gebote standen, lediglich
auf die Beobachtung angewiesen. Nach den äusseren Sym¬
ptomen also mussten sie die Diagnose stellen. So kam es, dass
sie mit Typhus all die Krankheiten bezeichneten, während
deren Verlauf sich ein ausgesprochener „Status typhosus“ kon¬
statieren liess. Dass dabei alle möglichen Krankheiten, die wir
nach den heute gültigen Anschauungen streng vom Typhus
trennen müssen, zu dieser Infektionskrankheit gerechnet wur¬
den ist klar. Andererseits wurden leichte oder abortiv ver¬
laufende Fälle, die heute durch den Nachweis des Eberth-
Gaffky sehen Bazillus zweifellos als echte Typhen erkannt
werden, nicht in die Rubrik Typhus eingereiht.
In der nun folgenden pathologisch-anatomischen Zeit ver¬
suchte man durch Festlegung von anatomisch-pathologischen
Veränderungen, die der Typhus in der Regel hervorzurufen
pflegt, eine scharfe und sichere Begrenzung der Diagnose her¬
beizuführen. Abgesehen davon aber, dass eine sichere Dia¬
gnosestellung auf Grund pathologisch-anatomischer Verände¬
rungen erst post mortem möglich war, fiel den damaligen Un¬
tersuchern schon auf, dass in einer Reihe von Fällen, bei denen
bei Lebzeiten die Diagnose Typhus gestellt war, die für diese
Infektionskrankheit als charakteristisch betrachteten Verände¬
rungen namentlich im Darme nicht zur Beobachtung kamen.
Man suchte diese Verschiedenheit in der klinischen Diagnose
und dem Sektionsbefund dadurch in Einklang zu bringen, dass
man eine verschiedene Lokalisation dieser Infektionskrankheit
annahm, die dann nach ihrem jeweiligen Sitz die charakteristi¬
schen Veränderungen hervorrufe. Man unterschied deshalb
den Typhus abdominalis, den Pneumotyphus, den Zerebral¬
typhus und andere.
Ein vollkommener Umschwung aber für die Stellung der
Diagnose Typhus wurde herbeigeführt durch den neuesten
Zweig der medizinischen Wissenschaft, durch die Bakteriologie,
welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Infektionskrank¬
heit abhängig macht von dem Vorhandensein eines bestimmten
Erregers, der eben diese Krankheit hervorzurufen im stände
ist. Dieser Forderung entsprechend werden heute vier In¬
fektionskrankheiten, die mit dem Sammelnamen Typhus be¬
zeichnet sind, als spezifisch verschiedene, ihrer Aetiologie nach
scharf von einander abzugrenzende Krankheiten unterschieden:
1. Der Typhus exanthematicus, dessen Erreger noch un¬
bekannt,
2. der Rückfalltyphus, hervorgerufen durch die Ober¬
in e i e r sehe Rekurrensspirochäte,
3. der Typhus abdominalis, dessen Erreger der Eberth-
G aff ky sehe Bazillus ist,
4. der Paratyphus, verursacht durch den Schott¬
in ii 1 1 e r sehen Paratyphusbazillus. Von diesem unterscheidet
man wieder 2 Gruppen, und zwar: Typus A (Brion-Kay-
s e r). Typus B (S c h o 1 1 m ü 1 1 e r).
Bei meinen differentialdiagnostischen Studien über die
typhusähnlichen Bakterien gelang es mir, ein Bakterium, das
September 1907.
MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
i/67
„ach seinen durch die heutigen betonten bakteriotogUcta
Methoden nachweisbaren Eigenschaften als ec y.
b-ilius anzusehen war schar von diesem Mik o^g— s
durchführen müssende ich weiter unten zu sprechen hon, men
n„c in Fräse stehende Bakterium wurde aus Fäzes una mui
£SÄ £
ÄTtloff ÄÄam„^
Verfügung. ;»
s„SÄ5
ISer untefzu besihf en^ A^aÄÄeS? vön
ein Stamm des Herrn D . ^ ^ demselben Krankheits-
«ÄShrin, so beläuft sich die Zahl Ä
stemmeif^ron'Krankheitsffllerb die in der hiesigen Klinik zur
imiisi
lüSf^i
Erreger aber scharf zu trennen ist von dem Eberth-
Qaffky sehen Bazillus. ^Den neuen Mikr°o«umsnms be¬
zeichne ich als Bakterium bezw. Bazillus Meta
4 ^ "ich will zunächst die Krankengeschichten der fraglichen
FtIIp im Auszuge folgen lassen.
„icwÄ^
S5 'InSSS'if vÄlefLÄ
tiniert das Serum 1.25 (Stamm K , . TVn}m<;ha7illenu ce-
Am 5. VI. im hygienischen Institut aus st"h' £yKsfrz'„ben am
züchtet. Dieselben werden von eigenem Serum de i Kranhen a
8. VI. 1:200 agglutiniert. Patient wird am 7. VII. geheilt entlass
3. Ql. Joh., Bäcker. Patient gibt an, seit 14 Tagen Fieber :zu
haben, phantasierte im Bette. Klagt über Kopfweh Durst Trocke^
heit, Brechreiz, Verstopfung, fühlt sich sehr matt f, ,
Patienten blass, zyanotisch. Auf der Haut ver®^?e't®’ d Ex_
grosse hyperämische Flecke, Verschärfung der Insinrabon iincl Ex
spiration, zahlreiche trockene Rasselgeräusche. Abdomen laicht auf
getrieben, kein Exanthem, bei Druck auf Ueozokaigegenc §
Quatschen. Die Leberdämpfung reicht von der 5. Rippe bis et\
unterhalb des Rippenbogens. Milzdämpfung sehr intensiv »
lang, Milz deutlich palpabel. Puls beschleunigt, weich d.skrot.
Leukozyten 3700. Am 12. VI. Roseolen vorhanden D mzo^ negatiw
Krankheit nimmt den gewöhnlichen Verlauf. Am 12. VI. we d
dem Blute Bazillen gezüchtet. Agglutination: 1.100 eignen bdai.im
1-?00 Stamm Scharl. Am 18. VI. betrug die Morgentempera. i
36,9°, die Abendtemperatur 37.7”. Am 19. VI. plötzlicher Temperatur¬
anstieg, Morgentemperatur 37,8". Abendtemperatur 39,2 ■ Nach
2 Tagen Temperaturabfall, kehrt zur Norm zuruck. Ständiges Wohl
befinden. Am 17. VII. entlassen.
Ich müsste mich ständig wiederholen, wollte ich weiterhin die
Krankengeschichten ausführlicher anführen. Ich werde deshalb m
ganz kurze Erwähnungen bei auffallenden Symptomen machen.
4. El. W., Dienstmädchen. Aus Fäzes und Blut Bazillen ge-
7 iichtet Ist noch im Krankenhaus, fieberfrei.
5 ' Ob Fr Dekorationsmaler. Nackensteifigkeit, Sensonum
etwas gestört. Diazoreaktion positiv. Blutiger Stuhl Die Kontinua
währt 14 Tage, über 40". Aus Fäzes und Blut Bazillen gezüchtet.
Agglutinat. 1:400 eignen Stamm. Patient ist fiebcrfiei.
6 Bl Bäcker. Patient ziemlich benommen, spater andauei nd
somnolent’,’ bronchitische Erscheinungen. Diazo : positiv. Leuko¬
zyten: 5800. Aus Blut und Fäzes Bazillen. Erbrechen von mitQalle
vermischter dünner Flüssigkeit Dauer der Kontinua 12. I age
Temperatur über 40° Patient befindet sich auf dem Wege d
Besserung.
7. Tr., Dienstmädchen.
8. Aich., Dienstmädchen. „ P;.
9. Wth., Lehrmädchen. Drei frischere Fälle. Bei allen aus bazes
und Blut den fraglichen Bazillus gezüchtet. ,
10. Wbg. Aus Blut: Bazillen in Reinkultur durch Sturz aus dem
Fenster tödlich verunglückt.
11. M. und 12. Sch., beide aus Freising. Aus bazes beider im
hygienischen Institut „Typhusbazillus“ isoliert.
Ueber Verlauf und Symptome der zwei Krankheitsfälle in
Freising, bei denen die Diagnose 1 yphus abdominalis lautete,
kann ich nichts näheres berichten. Das klinische Bild dei zehn
übrigen Fälle, die sämtlich in hiesiger Klinik beobachtet win¬
den, gleicht vollkommen dem des echten 1 yphus abdominalis.
Es sind leichte und schwere Fälle vorhanden. Die Krankheit
beginnt mit Kopfschmerzen, Mattigkeit, Fieber. Appetitlosigkeit,
Brechreiz. Das Fieber steigt bis zu bedeutender Flöhe —■ über
40° _ hält sich bei verhältnismässig grossen Tagesschwan¬
kungen eine Zeit lang — im Durchschnitt 9 Tage — auf dieser
Höhe, um nach und nach abzufallen. Auch Rezidive kommen
vor. Die Diazoreaktion ist manchmal vorhanden, fehlt manch¬
mal. Auch Leukopenie ist in der Mehrzahl der Fälle zu kon¬
statieren. Oefters besteht Obstipation, häufig Durchfalle,
manchmal mit Blut in den Fäkalien. Roseolen zeigen fast alle
Kranke. Der Leib ist meist druckempfindlich, Ileozoekalgurren
ganz deutlich nachzuweisen. Kurz: kein einziges Symptom,
das bis heute beim Typhus abdominalis zur Beobachtung kam,
vermisst man beim Metatyphus, und umgekehrt tritt im klini¬
schen Bild dieser Krankheit eine neue symptomatologische Er¬
scheinung, die etwa beim Typhus fehlte, nicht zu tage.
Dagegen weicht der Erreger des Metatyphus in wesent¬
lichen Punkten vom E b e r t h - O a f f k y sehen Bazillus ab.
Das Bacterium metatyphi ist ein lebhaft bewegliches, kurzes
Stäbchen mit abgerundeten Ecken. Im allgemeinen erschein
die Form des Bakteriums etwas grösser als die des Jyphus-
bazillus, doch kommen wie auch bei letzterem bald kleine, bald
grössere Formen vor. Fadenbildung ist vorhanden. Die Fär¬
bung gelingt mit den gewöhnlichen Anilinfarben. Der Bazillen¬
leib färbt sich sowohl in Ausstrichen aus Reinkulturen wie un¬
mittelbar aus dem Tierkörper vollkommen gleichmassig. Nach
Gram ist der Bazillus nicht färbbar.
Derselbe gedeiht auf den gewöhnlichen Nährboden. Sem
Temoeraturoptimum ist 37°. Bei Zimmertemperatur is
Wachstum verlangsamt, aber immer noch Kräftig Bei Sauer¬
stoffabschluss entwickeln sich die Kolonien ebensogut wie bei
Anwesenheit. . A
Die Bouillon wird schon nach wenigen Stunden dittus
getrübt, der Bodensatz ist gering. Häutchenbildung an dei
Oberfläche dieses flüssigen Nährmediums konnte ich nicht be¬
obachten. Neigt man dagegen das ; Rewnzglas^cn nac
einigen Tagen langem Stehen vorsichtig zur Seite so bemerkt
man an den Wandungen des Röhrchens leMrt haftend zu-
sammenhängende Bazillenrasen in Form feiner durchsichtiger
HäUtIn'dol' konnte ich in 8 Tage alten Bouillonkulturen nicht
"" Gelatine erscheinen die Kolonien nach 24 Stund^^s
weisslichgelbe Punkte, die in den folgenden 2 braun-
zunehmen. Die Kolonien erscheinen dann r i der Mi ‘irenaus-
gelb gefärbt, gegen den Rand zu hellet. ™"f‘ac " X *-
strich auf der Gelatineplatte erscheinen die Rasen des Meta
typhusbazillus massiger und undurchsichtiger wie die des Ei -
i/ÜÖ
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
als feine, durchsichtige Auflagerungen, die bei durchfallendem
Licht einen bläulichweiss irisierenden Ton zeigen. Der Meta¬
typhusbazillus dagegen bildet dichte, massige, undurchsichtige
Rasen, die einen gelblichweissen Ton erkennen lassen. So kon¬
stant sich bisher diese Erscheinung zeigte — es handelte sich
um 12 Metatyphus- und 15 echte Typhusstämme — so möchte
ich dieselbe doch nicht als unfehlbares differentialdiagnostisches
Hilfsmittel zwischen Typhus- und Metatyphusbazillus aufstellen.
Denn ein üppigeres Wachstum, wobei die Kolonien ebenfalls
undurchsichtig und gelb erschienen, ist auch beim Typhus¬
bazillus beobachtet und beschrieben worden. Die Frage muss
aber in Zukunft berücksichtigt werden, ob es sich hiebei wirk¬
lich um einen echten Typhusbazillus oder aber um einen Meta¬
typhusbazillus handelt. Letzterer ist dadurch
von demersterenleichtzu unterscheiden, dass
er auf Qlyzerinagar Kristalle von ganz typi¬
scher Form bildet, eine Erscheinung, die bis¬
her weder beim Typhusbazillus noch beim Er¬
reger desParatyphusbeobacht et wurde. Macht
man mit einer Reinkultur des Metatyphusbazillus einen Ober¬
flächenausstrich auf Qlyzerinagar, so bemerkt man meist schon
nach 24 Stunden unmittelbar unterhalb der Kolonie stark licht¬
brechende feinste Kristalle. Es sind dünne feine Nadeln, die
in ihrem Aussehen und ihrer Kristallform an Tyrosinkristalle
erinnern, ihren chemischen Eigenschaften nach aber keine sind.
Oft liegen sie in kolossalen Mengen vereinzelt oder gekreuzt,
meistens in kleinen Büscheln in der ganzen Ausdehnung des
Impfstriches. Häufiger jedoch treten sie nur an einzelnen Stel¬
len desselben hervor, bilden aber dann mächtige Haufen, aus
denen die Krystallbiischel strahlen- oder fächerförmig hervor-
spriessen. Ihre Farbe ist gelbweiss, wie Seide glänzend. Eine
genaue chemische Analyse war bisher nicht möglich, da ich
die dazu erforderliche grössere Menge von Krystallen noch
nicht beisammen habe. Nach Dr. Neubauer, der in liebens¬
würdigster Weise die chemische Untersuchung der Krystalle
übernommen, sind es wahrscheinlich Kalksalze einer organi¬
schen Säure. Die fraglichen Krystalle sind unlöslich in heissem
Wasser, Aether. Alkohol und Kalilauge, leicht löslich in Säuren.
Die Lösung in Essigsäure gibt mit Ammoniumoxalat eine feine
Trübung. Hervorheben möchte ich. dass ich die Krystallbil-
dung bei keinem der 12 Stämme des Metatyphus vermisste, dass
dieselbe ferner niemals bei den echten Typhusstämmen auf¬
trat. Wodurch wird nun diese Ausscheidung von Krystallen
veranlasst? Zunächst könnte man an Austrocknungserschei¬
nungen denken. Dieser Einwand wird aber dadurch hinfällig,
dass die Krystallbildung schon nach 24 Stunden sich vollzieht,
ferner durch den Umstand, dass dieselbe nur beim Metatyphus¬
bazillus auftritt, während sie beim E b e r t h - G a f f k y sehen
Bazillus, der gleichzeitig auf dieselbe Glyzerinagarplatte aus¬
gestrichen wurde, unterbleibt. Viel wahrscheinlicher ist es,
dass durch Sekretionsprodukte des Metatyphusbazillus die Kry¬
stalle aus dem Nährboden ausgefällt werden. Diese Annahme
wird auch dadurch gestützt, dass die Krystalle auch etwas ent¬
fernt von den Kolonien des Bazillus im freien, unbewachsenen
Agar sich zeigen. Die Sekretionsprodukte der Bakterien kön¬
nen ja begünstigt durch den kolloidalen Charakter der Agar¬
platte sehr leicht in dieselbe diffundieren. Ueber die Art dieser
Sekretionsprodukte kann ich keinen weiteren Aufschluss geben
Bemerken will ich jedoch noch, dass die Kristallbil¬
dung unterbleibt, wenn man Typhus - und Me-
tatyphusbazillusinMischkuIturaufderAgar-
platte anlegt. Typhus - und Metatyphusbazil¬
lus wirken also antagonistisch auf einander
e i n.
In P e t r u s c h k y scher Lackmusmolke entspricht das
\ achstum dem des Typhusbazillus. Häutchenbildung wurde
auch hier nicht beobachtet, die Flüssigkeit wird nicht getrübt
Milch wird nicht koaguliert (nach 14 Tagen).
Auf Lackmus-Milchzucker-Kristallviolettagar nach Con¬
rad i - D r i g a I s k i wächst der Metatyphusbazillus in blauen
Kolonien.
Auf Traubenzucker enthaltenden Nährböden wird kein Gas
gebildet.
Auf Blutagar dagegen ist das Wachstum des Metatyphus¬
bazillus verschieden von dem der bis jetzt bekannten typhus¬
ähnlichen Bakterien und dem des Typhusbazillus selbst. Ueber
das Wachstum dieser Mikroben auf diesem Nährboden ist bis
jetzt wenig bekannt, ich muss deshalb an dieser Stelle zum
besseren Verständnis der Unterschiede auch die Eigentümlich¬
keiten der letztgenannten Mikroorganismen schildern. Als be¬
kannt darf ich wohl die Erscheinung voraussetzen, die man
beobachten kann, wenn man nach den Angaben Schott-
mü Ilers Typhusbazillen aus dem Blute Typhuskranker zu
züchten versucht. Nach der Mischung des aus einer Armvene
steril entnommenen Blutes mit dem flüssigen Agar erscheinen
1 yphusbazillenkolonien, sofern solche zur Entwicklung kom¬
men, auf der Blutagarplatte nach vierundzwanzig bezw. zwei¬
mal 24 Stunden als schwarze Punkte. Diese Eigentümlichkeit
weisen auch die Paratyphusbazillen und wie ich gleich be¬
merken will, auch die Metatyphusbazillen auf. Dieselben Er¬
scheinungen machen aber alle Bakterien, die im Innern der
Blutagarplatte zur Entwicklung kommen, mit Ausnahme der¬
jenigen, die vermöge ihrer starken Hämolysinbildung einen
hellen kreisrunden Hof erkennen lassen. Ueber die Umwand¬
lung des roten Blutfarbstoffes bei Oberflächenausstrich durch
Typhusbazillen hat Schottmüller berichtet. Dieser Autor
gibt an, dass diese Mikroben eine grünliche Färbung hervor-
rufen. Bei meinen Beobachtungen der Umwandlung des roten
Blutfarbstoffes durch Bakterien bei ihrem Wachstum auf der
Blutagarplatte (5 ccm Agar, 2 ccm Menschenblut) ist mir nun
folgendes aufgefallen.
Koli wandelt nach 24 Stunden nur die Blutkörperchen, die
unmittelbar unter seinen Kolonien sich befinden, um. Das Rot
der Blutkörperchen hat einer Färbung von blauviolet¬
tem Tone Platz gemacht, oft vermischt mit grün¬
lichen Streifen. Häufig überwiegt die grünlichgelbe
Färbung, die dann von blauvioletten Streifen durch¬
setzt ist. Niemals aber geht diese Umwand¬
lung des roten Blutfarbstoffes über die Kolo¬
nien hinaus — wohlgemerkt nach 24 Stunden.
Der Eberth-Gaffkysche Bazillus wandelt
das Hämoglobin in eineVerbindungvon grün¬
lichgelber Färbung um. Diese Veränderung
setzt sich aber schon nach 24 Stunden weit in
die Umgebung fort, so dass der Oberflächen¬
ausstrich von einem Hof von grünlicher Fär¬
bung umgeben ist. Der Paratyphusbazillus
zeitigt dieselben Veränderungen wie der
Typhus bazillus.
Im direkten Gegensatz zu all diesen steht der Metatyphus¬
bazillus. Derselbe ruft, auf die Oberfläche von
Blutagar ausgestrichen, keine sichtbare Ver¬
änderung in der Farbe dieses Nährbodens her¬
vor.
Der Metatyphusbazillus bildet also kein Indol, koaguliert
Milch nicht, bildet keine Säure, vergärt Kohlehydrate nicht
unter Gasbildung, gleicht also in dieser Richtung dem echten
Typhusbazillus, unterscheidet sich aber von diesem durch
üppigeres, kräftigeres Wachstum auf Agar, sowie durch Bil¬
dung von Krystallen auf Glyzerinagar, endlich durch das Un¬
vermögen, den roten Farbstoff der Blutkörperchen auf dem
Blutagarnährboden in sichtbarer Weise zu verändern.
Bei dem Wachstum des Typhus- und Metatyphusbazillus
auf dem letztgenannten Nährboden ist übrigens wiederum ein
Antagonismus dieser beiden Mikroben zu beobachten. Macht
man nämlich zwischen den Ausstrichen von echten Typhus¬
bazillen solche von Metatyphusbazillen, so bemerkt man nach
einigen Tagen, dass die vorher rot erscheinende Platte durch
die Sekretionsprodukte der Typhusbazillen vollkommen umge¬
wandelt ist. Sie hat eine grünlichgelbe bis braune Farbe ange¬
nommen. Nur da, wo die Metatyphusbazillen zur Aussaat
kamen, ist die ursprüngliche hellrote Farbe der Platte erhalten
geblieben. Die Sekretionsprodukte der Metatyphusbazillen wir¬
ken also ebenfalls hemmend auf die der Typhusbazillen ein.
Nach und nach aber werden auch diese roten Inseln durch die
Produkte des Typhusbazillus in ein dunkles Braungelb umge¬
wandelt.
Im Tierversuch erweist sich der Metatyphusbazillus um
ein geringes weniger pathogen als der Typhusbazillus. In¬
jiziert man 0,5 ccm einer Maus subkutan, oder einem Meer-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3. September 1907.
1769
schweinchen intraperitoneal, so gehen die T iere innerhalb 20
Stunden an Sepsis zu Grunde.
Fütterungsversuche bei weissen Mäusen führten zu einem
negativen Ergebnis. .
Es gelingt leicht, weisse Mäuse durch Injektion nicht töd¬
licher Mengen von Metatyphusbazillen gegen die mehrfach
tödliche Dosis dieses Bakteriums zu immunisieren. Derartig
immunisierte Mäuse zeigen auch einen deutlichen Schutz gegen
echte Typhusbazillen. Nach der Injektion einer einfach töd¬
lichen Menge von echten Typhusbazillen erkranken zwar die
Versuchstiere, bleiben aber am Leben. Durch Verfütterung von
Metatyphusbazillen vorbehandelte Mäuse zeigen dagegen keine
erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber dein Typhusbazillus.
Dagegen schützt das Serum von Tieren, die mit Typhus- oder
Metatyphusbazillen vorbehandelt worden waren, sowohl gegen
den Erreger des echten Typhus wie gegen den des Metatyphus.
Genauere Angaben hierüber werde ich später folgen lassen,
wenn meine Versuche über diesen Gegenstand abgeschlossen
sind.
Weiter wäre noch der Beweis zu ‘erbringen, dass der von
mir als Metatyphus bezeichnete Bazillus in der Tat der Erreger
der fraglichen Krankheit ist. Dies geht schon daraus hervor,
dass es in der Mehrzahl der Fälle mit Leichtigkeit gelang, den
Metatyphusbazillus aus dem Blute der Erkrankten in Reinkultur
zu züchten. Sowohl das Verfahren nach C a s t e 1 1 a n i wie
das nach Schottmüller führte zu gleich guten Resultaten.
Ferner gelang es, denselben Bazillus aus Fäzes zu züchten.
Zur Züchtung benützte ich den Malachitgrünagarnährboden, den
ich nach den Angaben von Leuchs mir herstellte. Die Re¬
sultate, die ich mit diesem Nährboden erzielte, waren vorzüg¬
lich. Eine weitere Stütze für die Behauptung, das die Er¬
krankung durch den Metatyphusbazillus veranlasst werde, lie¬
fert die Bildung von Antikörpern gegen dieses Bakterium im
Blute der Erkrankten. Es gelingt sehr leicht, durch Injektion
geringer Mengen von jRekonvaleszentenserum Mäuse oder
Meerschweinchen gegen die nachfolgende Injektion tödlicher
Mengen Metatyphusbazillen zu schützen. Noch einiges über die
Bildung von Agglutininen bei Erkrankung an Metatyphus.
Schon Herrn Dr. v. Hösslin war es aufgefallen, dass das
Serum der Kranken, bei denen er die Diagnose Iyphus ab¬
dominalis gestellt hatte, nur geringe Werte in Bezug auf
Agglutination lieferte. Die höchste Verdünnung des Serums,
die noch einen kräftigen Ausschlag erkennen liess, betrug
1:400. Ich kann diese Beobachtung nur bestätigen. Es ist
ganz gleich, ob mit dem Serum echte Typhus- oder Meta¬
typhusbazillen zur Agglutination gebracht wurden, die Werte
blieben dieselben. Ob es gelingt, durch ein künstlich her¬
gestelltes hochwertiges Serum Differenzen in den Agglutina¬
tionswerten gegenüber Typhus- und Metatyphusbazillen zu er¬
halten, darüber habe ich systematische Versuche noch nicht an¬
gestellt.
Metatyphusbazillen aus den Organen von Verstorbenen,
die diesem Erreger erlagen, zu züchten, war bisher unmöglich,
da ein Todesfall durch dieses Bakterium bis jetzt nicht erfolgte.
Bei dem einen Fall, der durch Sturz der Kranken aus dem
Fenster tödlich endete, wurde es leider versäumt, Bazillen aus
den Organen zu züchten. Von einem Unterschied zwischen
echtem Typhusbazillus und dem Erreger der Krankheit, von
der die betreffende Patientin (Wbg.) befallen war, war damals
noch nichts bekannt.
Fasse ich das eben Geschilderte zusammen, so komme ich
zu dem Resultate, dass der Metatyphusbazillus ein naher Ver¬
wandter des E b e r t h - G a f f k y sehen Bazillus ist, der aber
durch seine Eigenschaften — Kristallbildung, Unvermögen den
Blutfarbstoff zu verändern, üppigeres Wachstum — streng von
diesem zu trennen ist. Hervorheben will ich noch einmal, dass
all diese Eigentümlichkeiten stets zusammen vorhanden sind.
Ist Kristallbildung vorhanden, so kann man auch die anderen
charakteristischen Merkmale konstatieren. Man könnte den
Einwurf machen, es handelte sich beim Metatyphusbazillus
nur um Jugenderscheinungen des echten Eberth-Gaffky-
schen Bazillus, die geschilderten Unterschiede wären nur vor¬
übergehende Erscheinungen, der Metatyphusbazillus mithin nur
eine Varietät des echten Typhusbazillus. Demgegenüber
möchte ich betonen, dass ich einige Stämme des Metatyphus-
No. 36.
bazillus schon seit 3 Monaten auf allen möglichen Nährböden
fortgeimpft habe, ohne eine Aenderung ihres Verhaltens her¬
beiführen zu können. Ausserdem besitze ich einen Stamm des
echten Typhusbazillus, der ungefähr gleichaltrig ist mit einem
des Metatyphusbazillus, die geschilderten Unterschiede sind
auch hier zu beobachten. Und umgekehrt, stehen mir Jahre
alte echte Typhusbazillenstämme zur Verfügung, die sich von
dem jüngsten, 4 Monate alten Stamm in keiner Weise unter¬
scheiden. Ferner verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Herrn Dr. W a 1 d m a n n zwei frische Paratyphusbazillen-
stämme. Dieselben wachsen auf Blutagar, wie ich oben ge¬
schildert, in gleicher Weise wie die echten Typhusbazillen.
Auch diese beiden Stämme rufen auf der Blutagarplatte die¬
selben Veränderungen hervor, wie Jahre alte, im Laboratorium
fortgezüchtete Stämme der gleichen Art.
Wenn aber die in jüngster Zeit aus allen Krankheits¬
fällen, bei denen die Diagnose auf „Typhus abdominalis“ lau¬
tete, gezüchteten Bazillen, die allein als Erreger der fraglichen
Krankheit in Betracht kommen können, nach meinen Unter¬
suchungen streng zu trennen sind von dem Eberth-
G a f f k y sehen Bazillus, so finde ich eine Erklärung dieser Er¬
scheinung viel natürlicher, wenn ich als Grund hierfür an¬
nehme, dass alle diese Erkrankungen ein und derselben Infek¬
tionsquelle entspringen.
Nachtrag bei der Korrektur:
Ausserdem wurde aus dem Blute einer Patientin, die vor 14 Ta¬
gen in die I. medizinische Klinik mit typhuisverdächtigen Symptomen
eingeliefert wurde, ein echter Eberth-Qaffky scher Bazillus
isoliert. Auch dieser jüngste Stamm unterscheidet sich in keinem
Punkte von den übrigen echten Typhusstämmen, hat ferner anderer¬
seits die für den Metatyphusbazillus charakteristischen Merkmale
nicht aufzuweisen.
Unterdessen konnte eine neue Erscheinung, hervorgerufen durch
das Wachstum des Metatyphusbazillus im Oberflächenausstrich im
Agarröhrchen, konstatiert werden, die, wie es scheint, als ein wei¬
teres differentialdiagnostisches Hilfsmittel zwischen Metatyphus-
und Typhusbazillus verwertet werden kann. Der Agar eines
mit Metatyphusbazillen beschickten Agarröhr¬
chens färbt sich nämlich nach 14 Tagen d u n k e 1 g e 1 b
bis gelbbraun, während der gleiche Nährboden
mit echten T y p h u s b a z i 1 1 e n geimpft seine ur¬
sprüngliche Farbe beibehält.
Aus der dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau.
Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung der
Bi er sehen Stauung auf den Entzündungsvorgang.
Von Dr. Franz Honigmann, Chirurg, und Privatdozent
Dr. Jean S c h äf f e r.
Der Prüfstein für die Brauchbarkeit einer Behandlungs¬
methode ist die klinische Erfahrung. Nicht theoretische Er¬
örterungen oder Laboratoriumsversuche, sondern die Beobach¬
tungen am Krankenbett müssen über den Wert eines thera¬
peutischen Verfahrens das letzte Wort sprechen. Dennoch lehrt
die Geschichte der Medizin, dass die Empirie allein oft auf
falsche Bahnen führt und keine sicheren Grundlagen für eine
exakte Indikationsstellung zu schaffen vermag, wenn sie nicht
durch wissenschaftliche Kritik geleitet und kontrolliert wird.
Gerade bei den einfachsten, alltäglich gebrauchten Behand¬
lungsmethoden, bei der Verwendung der Hitze, Kälte, feuchten
Wärme u. dgl. zeigt sich dies sehr deutlich, und es ist erstaun¬
lich, wie ganz verschieden die ärztlichen Ansichten über die
Zweckmässigkeit dieser Mittel bis zum heutigen läge sind.
Obgleich seit Jahrhunderten diese einfachen Prozeduren von
allen Praktikern geübt werden, ist noch heute die Indikations¬
stellung für die einzelnen Massnahmen schwankend, unsicher
und /willkürlich. Der eine behandelt eine akute Entzündung
mit Kälte, der andere mit heissen Applikationen; mancher
rühmt die feuchten Verbände als vorzügliches Antiphlogisti-
kum, mancher, verwirft sie, weil er eine Verschleppung odei
Verschlimmerung der Entzündung fürchtet. Ein Hauptgrund
für die Planlosigkeit bei 'der Verwendung dieser praktisch
wichtigen Behandlungsmethoden liegt gewiss darin, dass die
eigentliche Art und Weise ihrer Wirkung auf den Entzündungs¬
prozess noch wenig bekannt ist. Gelingt es erst, diese aulzu¬
klären und die Vorgänge unter dem Einfluss der verschie¬
denen Massnahmen genauer festzustellen, so werden wii ehei
2
1770
MUENCHENER MEDIZINISCEIE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
lernen sie in der Praxis systematischer, zweckmässiger und
damit erfolgreicher auszunützen. Von dieser Erwägung aus¬
gehend haben wir uns die Aufgabe gestellt, den Einfluss
der gebräuchlichsten Behandlungsmethoden
auf einen künstlich erregten Entzündungs-
vorgangbeimTierzu untersuchen.
Die Ergebnisse dieser experimentellen Studie sollen in
kurzer Zeit als Monographie erscheinen. x)
Nachdem nun die ,,B i e r sehe Stauung“ in den letzten
Jahren auch für die Behandlung akuter Entzündungen bei den
Praktikern immer mehr an Boden gewonnen hat, haben wir
sie gleichfalls in den Rahmen unserer Untersuchungen aufge-
nommen und unsere Befunde ausführlich in der genannten Mo¬
nographie geschildert. Bei dem allgemeinen Interesse, das
dieser aktuellen Frage engegengebracht wird, halten wir es für
angezeigt, schon jetzt an dieser Stelle das Wesentlichste in
Kürze mitzuteilen.
Ueber den Wert der Stauungsbehandlung akut entzünd¬
licher Prozesse ist ein abschliessendes Urteil noch nicht ge¬
fällt, vor allem auch nicht über die Abgrenzung der für diese
Therapie geeigneten Fälle. Wir glauben nun, dass es für die
Klärung mancher noch strittiger Punkte auf diesem Gebiet von
Vorteil sein wird, wenn es gelingt die besondere Wirkungs¬
weise der Stauung auf den Entzündungsvorgang festzustellen.
Es sind schon zahlreiche Untersuchungen vorgenommen
worden, um die Ursache des Heileffektes bei der Bier sehen
Behandlungsmethode zu ergründen, und manche Einzelfrage ist
schon beantwortet, manches wichtige und fruchtbare Ergebnis
dabei gezeitigt worden. Doch eine einheitliche Auffassung lässt
sich dabei nicht ableiten. Während die einen (vor allem Bier
und seine Schüler) auf die Veränderungen der Zirkula-
tionsverhältnisse im Sinne einer Verstärkung der Ent¬
zündungserscheinungen das Hauptgewicht Jegen, gingen andere
von der Ansicht aus, dass durch die Stauung die antibakteriellen
Kräfte des Organismus in ihrer Wirksamkeit erhöht werden.
J. H. Hamburger fand die Bakterizidie des Blutserums bei
Stauung erhöht, A. Laqueur dagegen wenig verändert. Dass
in dem Stauungsödem eine stärkere Ansammlung bak¬
terienfeindlicher Stoffe stattfindet, muss wohl aus den Unter¬
suchungen von Hamburger, Noetzel, Colley, Arndt,
Baumgarten, Gr über und Futaki geschlossen wer¬
den. 2)
Andererseits weisen aber L e x e r und Wolff-Eisner
daraufhin, dass das Stauungsödem durch Bakteriolyse die An¬
sammlung von Endotoxinen begünstige und dadurch nament¬
lich bei schweren Infektionen schädigend wirke’ wenn es auch '
durch Verdünnung der Bakterientoxine und Ausschwemmung
(Joseph) des mit dem Messer freigelegten Entzündungs¬
herdes Nutzen bringen kann.
Weiterhin sieht L e x e r in der schubweisen Resorption
(während der Stauungspause) eine Gefahr, die jedoch von
Bier und Joseph bestritten wird.
Auch über die Rolle der Leukozyten bei der Stauung
besteht keine Einigkeit. Hamburger konnte im Tier¬
experiment keinen wesentlichen Einfluss der venösen Stauung
auf Chemotaxis und Phagozytose nachweisen, N o e t z e 1 fand
bei seinen Infektionsversuchen die Leukozyten im Stauungs¬
gebiet vermehrt. Blutkörperchenzählungen, welche La¬
queur, v. Leyden und Lazarus sowie S t a h r an ge¬
stauten Gliedern bei Menschen Vornahmen, ergaben wider¬
sprechende Resultate. .Heile endlich nimmt an, dass die
Autolyse der Leukozyten durch die Stauung begünstigt werde
und für die Einleitung der Heilung von Bedeutung sei.
Noch fehlt aber eine exakte Untersuchung darüber, wie
denn die feineren Vorgänge des Entzündungsprozesses sich
unter dem Einfluss der Bier sehen Stauung gestalten und
1 ) J. S c h ä f f e r : „Der Einfluss thermischer und
anderer therapeutischer Massnahmen auf den
Entzündung 'S vorgan g“. (Experimentelle Untersuchungen
über: Heisse Umschläge. Thermophor, Heissluftbehandlung, Eisblase,
feuchte Verbände, P r i e s s n i t z sehe Umschläge, Spiritusverbände,
Jodpinselung, Pflasterbehandlung und die B i e r sehe Stauung.) Ver¬
lag von Ferdinand Enke, Stuttgart.
-) Ein ausführliches Literaturverzeichnis über unseren Gegen¬
stand findet sich in der erwähnten Monographie. Wir sehen daher
hier von genaueren Angaben ab.
verändern. Zwar hat N o e t z e 1 auch histologische Unter¬
suchungen angestellt, aber ohne einen vollständig gleichartigen
Entzündungsprozess ohne Stauung zum Vergleich heranzu¬
ziehen. Auch war seine Versuchsanordnung (subkutane In¬
jektion von Bakterienkulturen) für die Entscheidung dieser
Frage nicht geeignet.3)
Um den Einfluss der Bindenstauung auf den Entzündungs¬
prozess zu studieren, haben wir uns einer Methode bedient,
welche der eine von uns (Sch äff er) nach zahlreichen Vor¬
versuchen gerade für die Prüfung derartiger Fragen ausge¬
arbeitet und in der erwähnten Monographie genauer be¬
schrieben hat.
Das hier nur ganz kurz wiederzugebende Verfahren be¬
steht darin, Fäden, die mit bestimmten chemischen Lösungen
(z. B. Argent. nitr.) oder Bakterienaufschwemmungen impräg¬
niert waren, nach einer bestimmten Methode an symmetrischen
Stellen eines Versuchstieres unter die Haut einzuführen. Be¬
handelt man die eine Seite in der gewünschten Weise, so kann
man natürlich beurteilen, wie der Entzündungsprozess beein¬
flusst wird, da ja die andere unbehandelte Seite in jedem
Augenblick zum Vergleich und zur Kontrolle dient. Die Me¬
thode bietet den Vorteil, das man einen ganz bestimmten, wohl
graduierten Entzündungsvorgang auslösen kann (eine Vorbe¬
dingung für alle derartigen experimentellen Untersuchungen),
dass man vielfache Variationen, wie sie den klinischen Be¬
dingungen am meisten entsprechen, vorzunehmen und damit
verschiedene Fragen zu beantworten vermag. Man kann bald
nach der Einführung der entzündungserregenden Fäden die Be¬
handlung vornehmen; dabei erhält man natürlich die stärksten
Ausschläge und gewinnt die beste Vorstellung über die Wir¬
kung der geprüften Prozedur. Oder man leitet die Behandlung
erst ein, nachdem der Faden schon eine Zeitlang gelegen und
ein bestimmtes Infiltrat in seiner Umgebung veranlasst hat,
und untersucht so den Einfluss auf einen schon entwickelten
entzündlichen Prozess. Endlich kann man die Behandlung
nach einer gewissen Zeit aussetzen und weiter beobachten,
wie jetzt der Entzündungsprozess verläuft, welche Nachwir¬
kung also die Behandlungsmethode hatte. (Gerade dieser
Punkt spielt bei den verschiedenen, in der erwähnten Mono¬
graphie geprüften Behandlungsmethoden eine sehr grosse Rolle.)
Es bietet sich ferner die Möglichkeit, jederzeit die Behandlung
zu unterbrechen und von neuem zu beginnen, auch den Ent¬
zündungsreiz in jedem Augenblick zu sistieren, nämlich durch
Herausziehen der Fäden. Kurz in mannigfacher Weise lässt
sich die Versuchsanordnung einer beliebigen Fragestellung an¬
passen.
Diese Fadenmethode hat sich nun auch bei
der Untersuchung der Frage, wie die Stauung
auf akute Entzündungen wirkt, als geeignet
erwiesen. Die Fäden wurden an symmetrischen Stellen
der beiden (tags vorher rasierten) Hinterbeine des Tieres ein¬
geführt. Zwar hat Bier betont, dass es nur schwer gelingen
dürfte den von ihm geforderten Grad der Stauung am Ka-
3) Ueber die Wirkung der Saugglocke hat Hofmann
Untersuchungen an tuberkulösen Granulationen angestellt. Er fand
nach 3U ständiger Saugung, ausser starker Gefässerweiterung, inner¬
halb der Gefässe ein fast normales Verhältnis von roten und weissen
Blutkörperchen, dagegen im Gewebe fast alle Leukozyten ver¬
schwunden, die Gewebsmaschen erweitert, mit serösem Gerinnsel
erfüllt. Da im Schröpfkopf ein leukozytenreiches Exsudat aufgefangen
wurde, so glaubt er, dass das Granulationsgewebe durch die Saugung
förmlich ausgewaschen wird.
Nach Schluss unserer Untersuchungen hat Rosenberger
(Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und zur allge¬
meinen Pathologie, Bd. 41, Heft 2, 1907, S. 239) wichtige Experimente
publiziert: Ueber den Verlauf der akuten eitrigen Ent¬
zündung mit und ohne Stauungshyperämie (durch
Saugglocken). Er kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Sau¬
gung nicht nur die Hyperämie, Transsudation und Leukozytenemigra¬
tion vermehrt, sondern auch die Regenerationsvorgänge (Gefäss- und
Bindegewebsneubildung) beschleunigt und verstärkt werden.
Auch wir haben einige Versuche mit Saugung durchgeführt,
wollen aber die Resultate vorläufig nicht verwerten, da es uns bisher
nicht gelang, die Versuchstechnik bei der grossen Verschieblichkeit
der 1 ierhaut ganz entsprechend den menschlichen Verhältnissen zu
gestalten. Doch gewannen wir aus den bestgelungenen Versuchen
den Eindruck, dass Saugung und Bindenstauung nicht in der gleichen
Weise auf den Entzündungsvorgang wirken.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1771
3. September 1907.
ninchenbein zu erzielen. Doch haben ja auch N o e t z e 1, Jo¬
seph und Bau m garten bei diesem Tier eine erfolgreiche
Stauung hervorrufen können. Wir wollen allerdings nicht
leugnen, dass manche oft sogar nicht geringe Schwierig¬
keiten bestehen, eine den Verhältnissen beim Menschen ent¬
sprechende Stauung, namentlich für lange Dauer, beim Ka¬
ninchen zu erzielen. Doch glauben wir, dass es bei der Be¬
obachtung gewisser Vorsichtsmassregeln gelingt, auch beim
Kaninchen eine Stauung zu erreichen, die in Analogie zu setzen
ist zu der beim Menschen (wie auch wir sie übrigens praktisch
in zahlreichen Fällen mit gutem Erfolge vorgenommen haben).
Die Staubinde — ein 5 mm dicker weicher Gummischlauch
mit Mull überfüttert — wurde an der Schenkelbeuge eines
Hinterbeines angelegt, und der Effekt der Stauung beobachtet,
bis — öfters erst nach mehrfacher Modifikation der Umschnii-
rung — der gewünschte Grad erreicht war.
Als Kriterien der richtig angelegten Stauung sahen wir
folgende Erscheinungen an:
1 . Deutlich sichtbare A n f ü 1 1 u n g der Haut-
venen, die meist nach kurzer Zeit als pralle Stränge hervor¬
treten.
2. Erhalten bleibe n des Arterienpulses peri¬
pher von der Abschnürung (bei vielen Tieren wegen der
schlechten Fühlbarkeit der Poplitea auch am ungestauten Bein
schwer festzustellen).
3. Hyperä mische Verfärbung der Haut. We¬
gen der relativen Gefässarmut im Papillarkörper der Ka¬
ninchenhaut ist hier die Hyperämie nicht so augenfällig wie
bem Menschen; doch ist bei genauer Beobachtung oft schon
nach kurzer Zeit, je nach dem Stauungsgrad, eine rosa- bis
bläulichrote Verfärbung der Haut des igestauten Beines zu
konstatieren. Oefters sah man auch kleine Hautsuffusionen auf-
treten, in gelungenen Versuchen jedoch nie mit dem Charakter
einer Gewebsschädigung.
4. Warmbleiben der Hauttemperatur. Ver¬
suche, bei denen es zur „kalten Stauung“ kam, wurden nicht
verwertet.
Unbehandelte Seite.
erhoben haben, so meinen wir doch — wenn auch natürlich
mit der bei Tierversuchen stets nötigen Vorsicht — diese
experimentellen Untersuchungen verwerten zu können.
Wir haben bei unseren Experimenten eine relativ kurze Be-
handlungs- und Beobachtungszeit gewählt, um festzustellen, in
welcher Weisender Entzündungsprozess' in der ersten Zeit durch
die veränderten Zirkulationsverhältnisse modifiziert wird.
In einer Anzahl von Versuchen wurde die Stauungsbinde
sofort nach Einführung der Fäden angelegt (verschiedene
Grade der Stauung: schwach, mittelstark und sehr stark; ver¬
schiedene Zeitdauer, bis 24 Stunden). In einer zweiten Ver¬
suchsreihe begannen wir die Stauungsbehandlung erst, nach¬
dem ein umschriebener Entzündungsprozess sich entwickelt
hatte, und endlich bei einer dritten Gruppe wurde der Entzün¬
dungsvorgang untersucht, nachdem die Stauungsbinde wieder
entfernt worden war. Als Entzündungsreiz dienten Katgut
oder Seidenfäden, die imprägniert wurden mit verschieden
starken Argentum nitr. -Lösungen oder mit reichlichen Auf¬
schwemmungen von Staphylokokken.
Wir teilen hier nur die wichtigsten Tatsachen mit, die sich
aus unseren Tierversuchen — gegen 30 an Zahl — ergeben.
Betreffs der genaueren Versuchsprotokolle und der ausführ¬
lichen Schilderung der mikroskopischen Befunde verweisen wir
auf die erwähnte Monographie. Nur ein Versuch, auf den sich
auch die beigegebenen Abbildungen beziehen, soll als Para¬
digma hier kurz wiedergegeben werden. Es handelt sich um
ein Experiment aus der 3. Versuchsreihe (Behandlung
eines schon bestehenden Infiltrates) eine An¬
ordnung, wie sie also den praktischen Verhältnissen am meisten
entspricht.
Einfluss der Stauungsbehandlung auf ein ent¬
zündliches Infiltrat. Kaninchenversuch. — Auf der unb'e-
Gestaute Seite.
Einfluss der Stauungsbehandlung auf ein entzündliches Infiltration. Kaninchenversuch. — - Auf der unbehandelten . eite
sieht man eine mächtige, den Eadenquerschnitt umgebende Leukozytenansammlung. Auf der gestauten Seite ist diese sehr gering, dagegen
fallen die die Venen umgebenden Infiltrate auf. (Siehe die folgende Schilderung des mikroskopischen Befundes.)
5. Auftreten eines deutlich. enOedems. Dasselbe tritt
aus anatomischen Gründen beim Kaninchen mehr hervor als
beim Menschen, doch sei betont, dass wir niemals etwa die
von Bier als unwirksam bezeichnete „weisse Stauung“ bei
unseren Tieren hervorgerufen haben.
6. Am wichtigsten blieb der histologische Nach¬
weis, dass wirklich eine venöse Hvnerämie bestand, aber
keine nennenswerten Hämorrhagien und keine Veränderungen
im Sinne einer Stase oder überhaupt einer Gewebsschädigung
zu finden waren.
Endlich haben wir noch absichtlich die Intensi¬
tät der Umschnürung variiert, um dem Einwand zu
begegnen, dass der Grad der von ums verwandten Stauung
beim Tierversuch nicht die Verhältnisse bei der klinischen Be¬
handlung trifft. Da wir aber auch dabei konstante Befunde
handelten Seite sieht man eine mächtige, den Eadenquerschnitt um¬
gebende Leukozytenansammlung. Auf der gestauten Seite ist diese
sehr gering, dagegen fallen die die Venen umgebenden Infiltrate auf.
(Siehe die folgende Schilderung des mikroskopischen Befundes.)
Versuch:
Einführung eines mit lOproz. Argent. nitr. -Lösung getränkten
Katgutfadens an symmetrischen Stellen der hinteren Extremität eines
Kaninchens. Nach 5 Stunden wird auf der einen Seite (oberhalb der
Eadenstelle) eine Stauungsbinde angelegt, die 19 Stunden heget1
bleibt. Die andere Seite bleibt als Kontrolle unbehandelt. Nach
24 Stunden gleichzeitig Exzision der beiden Fadenstellen. Einbettung
in Zelloidin, Schneiden und Färben. ... ,
Makroskopischer Befund: Nach Anlegung dei Btau-
ungsbinde pralle Anfüllung der Hautvenen und rosarote Hypei arme.
Nach 19 Stunden starkes Oedem; Haut heiss und leicht rosarot. Bei
der Exzision starke seröse Gewebsdurchtränkung, keine parenchyma¬
töse Blutung; aus den sichtbaren Gefässen blutet es normah
2*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
1772
Mikroskopischer Befund: Epithel etwas schwächer
gefärbt als auf der Kontrollseite, sonst aber keinerlei Schädigung.
Qefässe: Starke venöse Hyperämie, gleichmässig
in den verschiedenen Schichten. Nirgends Andeutung einer Stase,
auch keine Hämorrhagien. Nur an einer Stelle, wo das Epithel ver¬
ändert ist (offenbar eine ältere Verletzung, wahrscheinlich Kratz¬
effekt), ist ein ganz unbedeutender zirkumskripter Blutaustritt sicht¬
bar. — Auffallend ist, dass gerade in der Umgebung des Fadens, also
im Entzündungsgebiet, die Venen besonders stark — auch im Ver¬
gleich mit der Kontrollseite — dilatiert sind.
Das O e d e m ist sehr beträchtlich, namentlich in der lockeren
supramuskulären Schicht, wo die Bindegewebsbiindel auseinander¬
gedrängt werden. Am meisten ausgeprägt ist es in der unmittelbaren
Umgebung des Eadens. Die durch Argentum gelbverfärbten Partien
stellen infolge der reichlichen Elüsigkeitsansammluing ein weit¬
maschiges Netzwerk dar (Zuströmen der Lymphe nach dem Locus
minoris resistentiae). Auch in der subepithelialen Schicht ist eine
ödematöse Durchtränkung zu konstatieren; in den darunterliegenden
straffer gefüllten Schichten ist sie nur sehr unbedeutend.
ln der Verteilung des Arg ent. nitr. findet sich eine
starke Differenz. Auf der Kontrollseite erkennt man die Argentum¬
niederschläge in Gestalt eines dunklen, den Eaden vollständig um-
schliessenden Streifens. Auf der gestauten Seite ist die entsprechende
Zone ganz blass, hellgelb, sich diffus in die Umgebung verlierend.
Es hat also eine deutliche Verteilung und Verarbei¬
tung der schädlichen Substanz (Ueberführung in lösliche
Verbindungen) stattgefunden.
Das Verhalten des entzündlichen Infiltrats weist
auf beiden Seiten einen ausserordentlich starken Unterschied auf.
Die in Gestalt eines mächtigen dichten Walles den Faden um-
schliessende Leukozytenansammlung auf der Kontrollseite nimmt etwa
das 4 — 5 fache des Eadenquerschnittes ein.
Auf der gesunden Seite ist von einem eigent¬
lichen massigen Infiltrat in keinem Präparat die
Rede. Es finden sich nur diffuse Leukozytenzüge, die hier und
dort zu etwas dichteren aggregierten Herden sich vereinigen, nirgends
aber den Faden umschliessen. Dagegen fallen Leukozytenansamm¬
lungen in und um die Venen herum in Gestalt umschrie¬
bener, die Ge fass Wandungen oft ganz überdecken¬
der Infiltratstränge sofort auf. Sie finden sich sowohl in
der Nähe des Eadens, als auch in weiterer Entfernung. Aber auch
mit Einrechnung dieser Leukozytenansammlungen beträgt das ent¬
zündliche Infiltrat nach schätzungsweiser Berechnung aus einer
grösseren Anzahl von Präparaten noch nicht den 15. Teil von dem
der nicht gestauten Seite.
Da uns aus unseren Vorversuchen bekannt ist, ein wie starkes ent¬
zündliches Infiltrat einem lOproz. Argentumfaden nach Verlauf von
5 Stunden entspricht, so können wir aus unserem Versuch mit Sicher¬
heit schliessen, dass d u r c h d i e 19 s t ii n d i g e Stauung nicht
nur das Hinzukommen einer stärkeren Leuko¬
zytose während der Behandlungszeit verhindert,
sondern auch das bereits vorhandene Infiltrat ver¬
teilt und stellenweise zur Resorption gebracht
wurde. Dafür sprechen auch die ausserordentlich zahl¬
reichen Degenerationserscheinungen der Leuko¬
zyten, die sich besonders ausgesprochen in der supramuskulären
Schicht mit der reichlichen lymphatischen Durchtränkung vorfinden.
Wir bemerken nämlich ein Abblassen der Kerne, die trotz absichtlich
intensiver Hämatoxylinfärbung einen nur zarten, hellgrauen Farbenton
bekommen, bei vollständig normalen und wohlerhaltenen Konturen.
Von einer Karyolyse ist nirgends die Rede. Das Protoplasma zeigt
keine Veränderungen. Es bleibt glasig und behält die scharf um¬
schriebene Randbegrenzung vollständig bei. Die Bindegewebszellen
weisen in den ödematisierten Partien leichte Quellungserschei¬
nungen auf. .
Uebersehen wir die Ergebnisse unserer zahlreichen, in
der mannigfachsten Weise variierten Versuche, so zeigen
sich einige regelmässig immer wieder zu beobachtende
ganz konstante Befunde. Sie sind so überzeugend, dass
wir glauben, eine gewisse Gesetzmässigkeit darin erblicken zu
dürfen, die wohl auch vorsichtige Rückschlüsse auf die Vor¬
gänge bei der Stauungstherapie gestatten. Unsere Versuche er¬
strecken sich zwar nur auf relativ kurze Zeit, während die
klinische Staiiungsbehandlung oft mehrere Tage wiederholt
wird. Die Vorgänge in den Experimenten mit vielfach modi¬
fizierter Versuchsanordnung sind aber so charakteristisch, die
Art der Entzündung stets in so bestimmtem Sinne geändert,
dass wir wohl annehmen können, dass auch bei oft wieder¬
holter Behandlung der Effekt prinzipiell sich nicht anders dar¬
stellen wird. Und so hoffen wir, dass die Versuche bei rich¬
tiger Verwertung doch einen Teil dazu beitragen werden,
manche noch strittigen Funkte besser aufzuklären und das Ver¬
ständnis der wirksamen Heilfaktoren bei der B i e r sehen Be¬
handlung zu erhöhen.
Hinsichtlich des Verhaltens der Blutgefässe er¬
gaben sich die bekannten, namentlich von Bier und seinen
Schülern festgestellten Tatsachen, so die frühzeitig auftretende
venöse Hyperämie, die natürlich je nach dem Grad und
der Zeitdauer der Stauung schwankte. Die Arterien fanden
wir nicht mitbeteiligt. — Beim Vergleich der verschiedenen Ver¬
suche unter einander gewannen wir oft den Eindruck, dass der
Zustand der Gefässe nicht einfach abhängig war von den phy¬
sikalischen Versuchsbedingungen, sondern dass in der Tat die
von Bier und Anderen mit Recht betonte Selbständigkeit der
peripheren Zirkulation eine Rolle spielt.
Gleichzeitig mit der venösen Hyperämie, nicht immer aber
in direkter Abhängigkeit von dieser war eine deutliche
Lymphstauung stets festzustellen. Sie lässt sich gerade
beim Kaninchen besonders leicht studieren, weil das sehr
locker gefügte subkutane Gewebe auch die geringsten Erschei¬
nungen der Lymphansammlung sehr deutlich zeigt. Alle unsere
Untersuchungen weisen nun daraufhin, dass gerade die
Veränderungen am Lymphgef ässapparat
einen wichtigen und massgebenden Faktor für
die physiologische Wirkung der Stauung dar¬
stellen. In engem Zusammenhang mit der veränderten
Lymphzirkulation stehen auch die Vorgänge der Resorption.
Am wichtigsten sind die Veränderungen, die der entzünd¬
liche Prozess, die Infiltratbildung um die chemische
oder bakterielle Reizstelle unter dem Einfluss der Stauung
erleidet. In allen Präparaten der Stauungsversuche ist nicht
nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Ver¬
änderung des Entzündungsvorganges festzustellen. Wie wir
bei nahezu allen daraufhin untersuchten therapeutischen Mass¬
nahmen eine ganz besondere und eigentümliche Modifikation
der Entzündung finden, so auch unter dem Einfluss der B i e r -
sehen Stauung. Zum Verständnis der hierbei sich abspielenden
Vorgänge ist es notwendig, eine Beobachtung an den Leuko¬
zyten vorauszuschicken. Man bemerkt nämlich schon
nach einer Stauung von nur w e n i g e n S t u n d e n
an einer grossen Zahl der Eiterkörperchen
deutliche Degenerationserscheinungen. Wäh¬
rend die Leukozyten in den Venen und in ihrer unmittelbaren
Umgebung tinktoriell und morphologisch ganz normal sind,
sehen wrir mit der Zunahme der Entfernung von den Gefässen,
die Zellen unter Beibehaltung ihrer morphologischen Eigen¬
schaften immer blasser werden. Nach längerer Stauung (z. B.
24 Stunden) sind einzelne Exemplare schon so schlecht tingiert,
dass sie selbst bei starker Vergrösserung (und enger Blende)
an der Grenze der Sichtbarkeit stehen. Mit überzeugender
Deutlichkeit weisen die Präparate der verschiedenen Versuche
daraufhin, dass diese Leukozytendegeneration in
unmittelbarer Abhängigkeit vom Stauungs-
Öde in steht.
Nach unseren Untersuchungen über die Einwirkung der
Hitzebehandlung und derSpiritusverbä'nde findet auch dabei eine
Degeneration der Leukozyten statt, aber in einer ganz anderen
Weise unter vollständig differenten histologischen Bildern.
(Schon nach kurzer Zeit, z. B. 1 Stunde Karyolyse und Bildung
von „Leukozytenschatten“. Vgl. die entsprechenden Kapitel
der Monographie.) Wir halten es jedenfalls nach unseren Be¬
funden für höchst wahrscheinlich, dass das Zugrundegehen der
Leukozyten bei der Wirkung der Stauungsbehandlung eine
wichtige Rolle spielt, wie es ja bereits Büchner, Heile u. a.
vermutet haben. Wir werden noch bei der Besprechung der
Bakterienversuche hierauf zurückkommen.
Was die histologischen Bilder des Entzündungsprozesses
selbst betrifft, so ist in erster Reihe hervorzuheben, dass wir
auf der gestauten Seite stets eine geringere Anzahlvon
Leukozyten finden, dass aber auch ausser dieser Vermin¬
derung eine eigenartige Verteilung der Entzün¬
dungszellen v o r 1 i e g t. Während nämlich — nament¬
lich in den Versuchen mit frühzeitiger Stauung — die Um¬
gebung des Höllenstein- oder Staphylokokkenfadens so gut wie
frei ist von entzündlichem Infiltrat, sind die Venen von Leuko¬
zyten dicht erfüllt und von ihnen stark umscheidet.
Wir bekommen dann sehr eigentümliche Bilder
von sträng förmigen Infiltraten, die die ü e -
fässwand vollständig überdecken, inmitten eines
sonst ziemlich entzündungsfreien Gew'ebes (vergl. auch die Ab¬
bildung der gestauten Seite des oben mitgeteilten Versuchs). In
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1773
der weiteren Entfernung von den Venen nimmt die Zahl der Zellen
schnell ab; sie zeigen aber immer mehr die geschilderten Merk¬
male der Degeneration. Bei absichtlich schwacher Stauung be¬
kommt man ganz ähnliche, wenn auch nicht so prägnante Bil¬
der dagegen ist hervorzuheben, dass bei absichtlich
übertriebener Stauung, die geschilderte Wir¬
kung der Behandlung nicht erhöht, sondern l m
Gegenteil geringer wird, wobei zahlreiche Hämor-
rhagien auftreten. Dies steht in Einklang mit dei klinischen
Erfahrung, dass übertriebene Umschnürung unzweckmässig ist,
worauf auch Bier wiederholt hinwies.
Die auffallenden histologischen Bilder unter dem Einfluss
der Stauung erinnern auf 'den ersten Blick etwas an die Voi-
tränge bei Kältebehandlung. Indessen konstatiert man bei der
genaueren Untersuchung prinzipielle Unterschiede, namentlich
hinsichtlich des Verhaltens der Blut- und Lymphgefässe. Auch
bei der aktiven Hyperämie spielt sich die Entzündung ganz
anders ab (vergleiche die Kapitel der Monographie: Hitze,
Heissluftbehandlung und Kälte. , ,
Aus der zweiten Versuchsreihe geht sicher hervor, dass
die unter der Stauung einmal eingeleiteten Vorgänge auch nach
dem Lösen der Staubinde längere Zeit bestehen bleiben, dass
also eine ausgesprochene Nachwirkung auf
den Entzündungsprozess vorliegt. Nach 4 Stunden
erscheint die Wirkung nahezu vollständig erhalten, nach 16
Stunden ist sie noch sehr erheblich, und auch nach 24 Stunden
noch deutlich erkennbar. (Hierin zeigt sich ein ganz ausge¬
sprochener Gegensatz zur Kälteeinwirkung, wo sofort, nach dem
Weglassen der Eisbehandlung eine besonders lebhafte Leu¬
kozytose einsetzte.) Unsere Versuche geben jedenfalls einen
Hinweis dafür, dass eine mehrstündige Unterbrechung der
Stauung, wie sie ja bekanntlich Bier auch bei der Behandlung
akuter Entzündungen empfiehlt, den Effekt keineswegs beein¬
trächtigt. _ , , ,
Endlich zeigen die Tierversuche mit Behandlung
eines schon bestehenden Infiltrats, dass die
Stauung auf dieses eine beträchtliche Wirkung entfaltet; denn
nicht nur eine weitere Ausbreitung des In¬
filtrats wird gehemmt, sondern auch die um¬
schriebene Eiterung verteilt und unter De¬
generation der Leukozyten zur Resorpti o n
gebracht (vergl. den oben mitgeteilten Versuch und die
Abbildungen). , . , , .
Dieser Einfluss ist, wie unsere Versuche sicher lehren,
schon nach 4 ständiger Stauung zu konstatieren und wird mit
zunehmender Dauer deutlicher. J e f r ü h e r di e B e han
1 u n g e i n s e t z t, um so grösser ist ihr Effekt.
Die auf Grund praktischer Beobachtung von mancher
Seite, namentlich von L e x e r betonte 1 atsache, dass die
Gewebseinschmelzung durch die Stauung begünstigt werde,
erscheint nach unseren übereinstimmenden histologischen Bil¬
dern sehr wohl verständlich. Wir finden nämlich stets, dass
die gestaute Lymphe nach dem Locus m i n o r l s
resistentiae (iu unseren Versuchen das durch Argem,
nitr. geschädigte Gewebe in der Umgebung des Fadens) be¬
sonders reichlich zu strömt, und dass dort in ei -
höhtem Masse ein Untergang von Leukozyten stattfindet.
Bemerkenswert sind die Ergebnisse der Ver¬
suche mit Staphylokokkenseidenfäden. Sie
bestätigen vor allem eine auch bei der Untersuchung der ande¬
ren therapeutischen Massnahmen (Hitze, Kälte, feuchte Wärme,
Spiritusbehandlung, Jodpinselung) immer wieder sich er¬
gebende Tatsache, dass ein entzündlicher Prozess in der glei¬
chen Weise beeinflusst wird, gleichviel ob er chemischen odei
bakteriellen Ursprungs ist. Unter dem Einfluss der Stauung
zeigte die Staphylokokkenentzündung wieder alle Modifika¬
tionen der reaktiven Vorgänge, wie wir sie bei den Argent.-
nitr.-Fäden fanden.
Wie verhalten sich nun die Mikroorganismen selbst unter
den bei der Stauung so veränderten Bedingungen und bei dem
so eigenartig modifizierten Entzündungsverlauf? Hier bietet
sich eine günstige Gelegenheit auch theoretisch die Frage zu
studieren, welche Bedeutung bei der Bekämpfung de? bak¬
teriellen Schädlichkeit einerseits den Leukozyten, andererseits
der Ansammlung von Blut und Lymphe zukommt. Nament¬
lich bei den Versuchen mit sofort angelegter Stauungsbinde
tritt der Gegensatz zwischen gestauter und unbehandelter
Seite scharf ausgeprägt hervor. Auf letzterer sehen wir die
normale intensive Leukozytose, während auf der gestauten
Seite die Leukozyten nicht nur an Zahl sehr viel geringer,
sondern auch geschwächt und unfähig zu einer phagozytären
Wirkung sind; ja sie können nicht einmal den Infektionsherd
erreichen (gehinderte Motilität).
Nun zeigen aber unsere Versuche, dass die Vorgänge an
der gestauten Extremität sich günstiger gestalten, dass hier
die Mikroorganismen in ihrer Entwicklung gehemmt und ge¬
schädigt erscheinen und sich auch weniger weit im Gewebe
verbreiten. Nach diesem Ergebnis scheinen
— natürlich nur für die hier gewählte
also — .. - - ~ * - ~ - — . - ,
Versuchsanordnung (lokalisierte Staphylo
kokkeninf ektion beim Kaninchen) — bei der
Bekämpfung der bakteriellen Erkrankung
Blut und Lymphe wirksamer zu sein als die
Leukozytose, wie wir sie auf der Kontrollseite fanden.
Unsere Befunde stehen demnach in Uebereinstimmung mit
der neuerdings immer mehr Geltung gewinnenden Anschauung,
dass in der Tat die Gewebsflüssigkeiten es sind, denen die
hauptsächlichste bakterizide Eigenschaft zukommt. Wii haben
ganz ähnliche Beobachtungen bei den Versuchen mit Hitze¬
behandlung und Spiritusverbänden gemacht, bei denen eine
starke Blut- und Lymphfluxion ausgelöst wird, während die
Leukozytose ganz in den Hintergrund tritt.
Die histologischen Bilder unserer Versuche sprechen übri¬
gens durchaus dafür, dass gerade der Anwesenheit reichlicher
Lymphmengen die grösste Bedeutung zukommt und zwar
noch mehr als der Hyperämie, Das scheint auch verständlich
mit Rücksicht auf die Tatsache, dass ja das Blut selbst die
Schutzstoffe nicht direkt, sondern nur auf dem Wege der
Lymphe zu den im Gewebe verbreiteten Krankheitskeimen
heranschaffen kann. . ..... . ,
Gerade mit Rücksicht auf die Baktenenmfektion ist die
schon erwähnte Leukozytendegeneration von besonderem
Interesse. Man kann in dieser Beobachtung eine Stutze für die
von Heile ausgesprochene Beobachtung sehen, dass durch
die Stauung die Autolyse der Leukozyten und dadurch das
Freiwerden proteolytischer Fermente (Büchner) befördert
und damit ein Heilfaktor geschaffen wird. (Vergl. auch die
Arbeit von Gruber und F u t a k i.) Natürlich ist auch diese
Anschauung zurzeit noch hypothetisch und bedarf noch w ei-
terer Begründung und experimenteller Untersuchung.
Zum Schluss müssen wir noch einmal betonen, dass es uns
fernliegt, unsere experimentellen Ergebnisse etwa direkt aut die
Vorgänge bei der klinischen Stauungsbehandlung zu übertragen
und die Resultate zu verallgemeinern. Dies wäre unstatthaft,
zumal bei den Bakterienversuchen, da ja das Verhalten dei in¬
fektiösen Prozesse natürlich von Fall zu Fall verschieden ist , je
nach der Art der Mikroorganismen und dem Körper, in dem die
Infektion sich abspielt (Menschen, verschiedene Tierarten).
Andererseits wird aber der Entzündungsvorgang nach den
Resultaten aller unserer Versuche in so eigenartiger und kon¬
stanter Weise beeinflusst, dass wir doch glauben, dass aueft
beim Menschen ähnliche Vorgänge sich abspielen werden.
Wissen wir doch, dass gerade mit bezug auf den Entzundungs-
vorgang allgemeine Grundgesetze für die verschiedenen Iieie,
insbesondere die Warmblüter Geltung haben, ja dass die ganze
Entzündungslehre grossenteils auf den Ergebnissen des 1 ier-
versuches aufgebaut ist. Ist uns aber erst einmal bekannt in
welchem Sinne der Entzündungsvorgang durch die Stauung
modifiziert wird, so dürfen wir gewiss erwarten ^ Methode
zweckentsprechender und mit sichererer Indikationsstellung
bei der Behandlung von Entzündungsprozessen verwenden zu
k°niFreilich bleibt das Ausschlaggebende doch die klinische
Erfahrung Und damit kommen wir auf das zuruck, was w n
in der Einleitung betont haben. Erst in Verbindung mit dei
Beobachtung am Krankenbett können Laboratoriumsversuc
auch praktischen Nutzen bringen. Und so mochten . wir de
Hauptwert unserer Versuche dann sehen, dass wir unter Z -
1 grundelegung der experimentell gefundenen Tatsach^ ^ e
1 nischen Beobachtungen besser verstehen leinen. K
1774
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
erst einmal die eigentliche Wirkungsweise einer Behandlungs¬
methode, so wird man auch die mit ihr gemachten praktischen
Erfahrungen besser verwerten und therapeutisch mehr aus-
niitzen können.
Aus dem hygienischen Universitätsinstitut zu Halle a. S.
(Geh. Med. -Rat Prof. Dr. F r a e n k e 1).
Zur Frage der Entstehung der Lungentuberkulose.
Von Dr. HorstStrassner, Assistenzarzt an der Kgl. medi¬
zinischen Universitätsklinik zu Breslau.
Im Juli 1906 veröffentlichten Schloss mann und
Engel [l] eine Arbeit, die den Beweis der enterogenen
Entstehung der Lungentuberkulose bezweckte.
Um die Möglichkeit zu umgehen, dass bei Einführung von Tu¬
berkelbazillen in den Magen ein Teil derselben durch die Be¬
rührung des bazillenhaltigen Endstücks der Schlundsonde beim
Herausziehen derselben an der Mundschleimhaut haften bleibt
und so, ohne den Magen zu passieren, in die Lungen geraten
kann, spritzten sie jungen Meerschweinchen eine grössere
Menge in Milch verriebener Tuberkelbazillen in den freigeleg¬
ten Magen ein. Schon Cadeac [2] hatte sich 1894 der¬
selben Methode bedient, und es war ihm gelungen, Meer¬
schweinchen auf diesem Wege tuberkulös zu machen. Später
wiesen Nicolas und D e s c o s [3] die verfütterten Bazillen
im Ductus thoracicus nach. Schlossmann und Engel
gingen nun von der Voraussetzung aus, dass die Bazillen nach
dem Passieren der Mesenterialdrüsen in den
Ductus thoracicus und von dort in das rechte Herz gelangen,
von wo aus sie dann die Lungen passieren müssen. Sie impf¬
ten daher die Lungen der vom Magen aus infizierten Tiere
intraperitoneal anderen Meerschweinchen ein und sahen diese
letzteren ausnahmslos an Tuberkulose erkran-
k e n. Herr Geheimrat Prof. Dr. F r a e n k e 1 beauftragte mich
mit der Nachprüfung dieser Versuche. Die Ausführung der¬
selben geschah im grossen und ganzen in der von Schloss-
m ann angegebenen Weise. :
Jungen Meerschweinchen oder Kaninchen, die vorher 6 Stunden
kein Futter erhalten, wird in Aethernarkose durch einen Schnitt der
Magen freigelegt; dieser wird herausgezogen und mit einer mit
Sublimat befeuchteten Wattelage umgeben. Mit einer Spritze wird
dann in den Magen eine in Milch fein verriebene Tuberkelbazillen¬
kultur eingespritzt und zwar so, dass die Möglichkeit einer Infizierung
der äusseren Magenwand und des Peritoneums ausgeschlossen ist.
Die in den Magen eingeführte Kanüle wird nach Entleerung der Spritze
schnell zurückgezogen, die Einstichstelle mit dem Glüheisen ver¬
schobt und die Umgebung vorsichtig mit Sublimat gereinigt. Ein
Vernähen der Einstichstelle, wie sie Schlossmann
angibt, habe ich unterlassen, da bei der Dünnheit der Magenwandung
so junger Tiere leicht Verletzungen entstehen können, welche ein
Hindurchdringen der Bazillen in die Bauchhöhle ermöglichen können,
und da ich mich andererseits von der guten Haltbarkeit und Zuver¬
lässigkeit ^einer einfachen Verschorfung überzeugen konnte. Schon
die von Schlossmann erwähnte Blutung der Randgefässe bei
der Vernähung der Einstichstelle macht neue Läsionen der Magen¬
wand notwendig, welche man besser vermeidet. Die Bauchwunde
wird, nachdem man den Magen wieder in die Bauchhöhle zurück¬
gebracht hat, durch Naht geschlossen und durch Kollodiumverband
geschützt.
Nun fanden Schloss mann und Engel regelmässig
nach einigen Stunden die Tuberkelbazillen in der
Lunge der geimpften Tiere, was sie durch folgende Versuchs¬
anordnung bewiesen, der. ich mich ebenfalls bediente:
Nach mehreren Stunden (6- — 9) werden die Tiere, denen die
Tuberkelbazillenemulsion in den Magen gespritzt ist, getötet, es
werden ihnen die Lungen vorsichtig herausgelöst und anderen Meer¬
schweinchen intraperitoneal in möglichst kleinen Stückchen ver-
impft; und zwar verwandte ich hierbei stets die ganze Lunge, um
jeden Bazillus, der sich event. in der Lunge vorfinden sollte, durch
die intraperitoneale UeberiniDfung nachweisen zu können,
Das Alter der geimpften Tiere Schlossmanns betrug bis
zu 4 Monate1), die Menge der injizierten Tuberkelbazillenkultur hatte
ungefähr die Grösse eines Stecknadelkopfes1) (entsprechend einer
Menge von ca. 1—lVs mg in meinen Versuchen). Auch ich verwandte
durchgehends junge Tiere, um die bei diesen vorhandene grös¬
sere Durchgängigkeit des Magendarmtraktus für die Bazillen aus-
niitzen zu können. Um die unterste Grenze der Wirksamkeit festzu-
stcllen, führte ich von Anfang an die Versuche quantitativ aus;
cs wurden Bazillenmengen von 0,001 mg bis 0,2 g einer vollvirulcnten
U Nach liebenswürdiger brieflicher Mitteilung.
i uberkelbazillenglyzerinagarkultur verwandt. Die Uebertragung der
Lungenstücke auf andere Meerschweinchen erfolgte nach 2 — 10
Stunden. Die Tiere, denen die Lungenstücke eingeimpft worden
waren, wurden nach 1 — 2 — 3 — 4Vs Monaten getötet und alle Organe
sorgfältig auf tuberkulöse Veränderungen geprüft; verdächtige Organe
wurden mikroskopisch untersucht und auf Bazillen gefärbt. Die an-
gostellten Versuche sind in der beigefügten Tabelle zusammengestellt.
I.
11.
III.
IV.
V.
Menge
Alter resp.
Gewicht
Übertragung
Tötung der mit
den Lungenstücken
Resultat
geimpften Tiere nach
1.
0,001 mg
210 g
7 Stunden
1 a) 272 Monaten
negativ
2.
0,002 „
b) 3
180 „
57» „
a) 3 Monaten
3.
6 Tage alt
b) 2
1
7
a) 10 Tagen
V
4.
b) 374 Monaten
1
1 ^ V v
7
a) 273 Monaten
5.
b) 3
V
1 »
6 „ „
7
a) 374 Monaten
6.
1
b) 8 Tagen
V
8 V V
7
a) 14 Tagen
V
7.
b) 3 Monaten
1
4 n „
7
a) 2 Tagen
44
8.
1
200 g
b) 2 Monaten
positiv
772 *
a) 3 Monaten
negativ
9.
b) 3
1
3 Wochen alt
9
a) 21/ 2 Monaten
10.
P/* *
bi 6 Tagen
200 g
6(2
a) 4(2 Monaten
11.
2
b) 372
150 „
2
a) 2 Monaten
12.
b) 3
9
200 „
3
a) 4 Monaten
13.
■
b) 4
250 „
5
a) 23/4 Monaten
14.
2
V
b) 3
200 „
6
a) 173 Monaten
b) U3
v
15.
c) 3
9
w V
235 „
6
a) 372 Monaten
16.
b) 4
9
w V
210 „
7
a) 41/a Monaten
17.
2
14 Tage alt
7 ' „
b). 4
a) 372 Monaten
V
18.
b) 3/4
2 „
180 g
7 * „
a) 10 Tagen
v
19.
b) 3 Monaten
positiv
170 „
7
a) 2V 4 Monaten
b)
a) 4 Monaten
negativ
20.
2
250 „
7
negativ
21.
2
200 „
7
b) 3
a) 3 Monaten
V
22.
2
230 „
9
b) 3
a) 4 Monaten
V
240 „
*
b) 3
23.
9
“ V
9
a) 3 Monaten
24.
b) 72 Monat
s
4
14 Tage alt
9
a) 472 Monaten
25.
8
b) 472
135 g
9
a) 472 Monaten
26.
8
135 „
9
b) 472
a) 14 Tagen
7)
27.
io
b) 472 Monaten
130 „
8
a) 47/2 Monaten
28.
20
b) 472.
145 „
9
a) 41 2 Monaten
29.
0,2 g!
b) 472
120 „
8
a) 472 Monaten
30.
b) 472
0,2 g!
140 „
10
a) 4 7* Monaten
V
b) 4‘/2
Wie sehen, dass bei den angestellten Versuchen, selbst
bei Anwendung grosser Dosen (0,2 g) Bazillen
fast ausnahmslos nicht nachzuweisen wäre n. Nur
die Versuche No. 7 und No. 18 waren als positiv zu bezeichnen.
Hierbei war jedoch, wie im Protokoll besonders bemerkt ist,
eine kleine Menge der Bazillenemnlsion, bei No. 18 infolge
der Anfüllung des Magens mit Futter, aus der Stichöffnung in
die Bauchhöhle zurückgeflossen; die Ueberimpfung wurde je¬
doch trotzdem angeschlossen um ein Verhalten der Bazillen bei
Hineingelangen kleinster Mengen in die Bauchhöhle zu be¬
obachten.
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1775
Es la£ nahe, bei diesen Versuchen die Infektiosität der Ba¬
zillenkulturen durch Injektion in den Magen festzustellen. Hier¬
bei fanden sich die Untersuchungen über die Dur c h 1 a s s l g-
keitderDarmwand für Bakterien ohne Erkrankung der¬
selben, wie sie unter anderen von 0 r t h, F r a enke 1, Co i -
n e t und in neuester Zeit von Uff enheime r [4] testgestellt
wurden, vollauf bestätigt. Dass Tuberkelbazillen schon aut
der Höhe der Verdauung bei Fütterungsversuchen in den Me¬
senterialdrüsen zu finden sind, hat in letzter Zeit Bai tel L5J
bewiesen. Ueber den weiteren Weg der Bazillen von diesen
aus konnte ich mich an der Hand der folgenden Versuche ubei-
ZeUSVersuch No. I. 8. VIII. 06. Meerschwein, 140 g schwer.
Injektion von 2 mg Tb.-Kultur in den Magen. Tod nach 2 Monaten.
Tuberkulös: Linke Achseldrüse, linke Leistendrüse, Drusen hintei dem
Sternum Mesenterialdrüsen stark verkäst. . ,
Versuch No. II. 24. VIII. 06. Meerschwein, 145 g schwer.
Injektion von 2 mg. Tod nach 314 Monaten. Tuberkulös: Leisten¬
drüsen beiderseits, 1. Achseldrtise, Mesenterialdrüsen.
V e r such No. III. 31. VII. 06. Meerschwein, 135 g schwer.
Injektion von 1 mg. Tod nach 314 Monaten. Tuberkulös. Achsel-
drusen.gMesenterialdrusen. 3i^ m ^ Meerschwein, 130 g schwer.
Injektion von 1 mg. Tod nach 3Va Monaten. Tuberkulös: Achsel¬
drüsen Drüsen hinter dem Sternum, Mesenterialdrusen.
Versuch N o. V. 31. VII. 06. Meerschwein, 150 g schwer.
Injektion von 1 mg. Tod nach 3% Monaten. Tuberkulös: Mesen-
tenaldruse^m c h ^ q yL 28. yn o6< Meerschwein, 140 g schwer.
Injektion von 0,2 mg. Tod nach 3Vz Monaten. Tuberkulös: Mesen-
terialdrüsem c h ^ ^ yn 1Q VIII. 06. Meerschwein, 130 g schwer.
Injektion von 0,2 mg. Tötung nach 3 Monaten. Tuberkulös: Line
MesenteualdruseN ^ ynL 3Q ym o6> Meerschwein, 125 g schwer.
Iniektion von 0,01 mg. Getötet nach 4 Monaten. Keine Tuberkulose.
‘ Versuch No. IX. 30. VIII. 06. Meerschwein, 130 g schwer.
Iniektion von 0,01 mg. Getötet nach 3V2 Monaten. Keine T uberkulose.
Versuch No X. 20. VIII. 06. Meerschwein, 145 g schwer.
Injektion von 0,004 g. Tötung nach 4 Monaten. Keine tuberkulösen
Demnach erkrankten bei 4 Tieren, denen Mengen von 1 bis
2 mg in den Magen injiziert wurden, ausser den Mesenterial-
driisen, die stets sehr stark ergriffen waren, auch die peripheren
Drüsen hinter dem Sternum, in de'r Leistenbeuge und in der
Achselhöhle, während in den übrigen Organen mikroskopisch
keine tuberkulösen Veränderungen nachzuweisen waren, ein
Beweis für den lymphogenen Charakter dieser Ver¬
suchstuberkulose, für den auch B a r t e 1 in seiner Arbeit ein-
tritt; denn auch er fand bei seinen Versuchen niemals Bazillen
im Blut, jedoch stets im Lymphapparat. Bei kleineren Dosen
erkrankten schliesslich nur noch die Mesenterialdrüsen, und
zwar trat noch eine Infektion bis zu Dosen von 0,02 mg ein,
während Uffenheimer bei seinen Fütterungsversuchen
0 125 g als unterste Grenze annehmen zu müssen glaubt. Bei
Dosen, die unter 0,02 mg betrugen, erkrankten die Tiere nicht
mehr, entgegen der Annahme Schloss manns, dass dann
die Lungen die einzige Ablagerungsstelle für die eingedrungenen
Bazillen sein müssen. Ganz besonders auffällig ist in den Ver¬
suchen die Tatsache, dass stets die B r o n ch i a 1 lym P h -
drüsen von der Infektion verschont blieben.
Wir haben gesehen, dass die Bazillen durch die Darmwand
dringen und die Mesenterialdrüsen infizieren. Nun behauptet
Schlossmann, es sei eine Eigentümlichkeit der letzteren,
die Bazillen nicht aufzuhalten, sondern passieren zu lassen.
Nach den Arbeiten N 0 e t z e 1 s [6] z. B. ist dies bis zu einem
gewissen Grade zuzugeben, und zwar ist dies nicht eine be¬
sondere Eigentümlichkeit der Mesenterialdrüsen, sondern es
ist auch bei den anderen Drüsen des Körpers der Fall. Es
beruht dieser Umstand einerseits auf dem Vorhandensein der an
der Oberfläche der Bindegewebskapsel der Drüsen verlaufen¬
den Anastomosen der Lymphgefässe, die also die Drüse um¬
gehen, ohne in ein Vas afferens einzutreten, andererseits bildet
der breite Randsinus der Drüsen eine Verbindung zwischen den
Vasa afferentia und efferentia, in welcher der Lymphstrom und
die darin vorhandenen Bakterien die Drüsen passieren können.
Wenn wir auch annehmen, dass selbst die Lymphv ege im
Innern der Drüsen für Bakterien durchgängig sind, so müssen
wir uns doch vergegenwärtigen, dass bei Einführung von
Fremdkörpern und kleinsten korpuskulären Elementen wir diese
überall in den Ly mph wegen abgelagert und da¬
durch zurückgehalten finden und dies um so mehr
in dem Inneren der Lymphdrüsen, wo durch die Verlang¬
samung des Lymphstromes die Bedingungen für die Ablage¬
rung derselben begünstigt werden. Wenn wir also den Drüsen
die Fähigkeit einer mechanischen Filtration nicht zuerkennen
wollen, so lehren uns doch die Erfahrungen und Versuche über
Ablagerung der korpuskulären Elemente in den Lymphwegen,
dass dieselben hier zurückgehalten weiden.
Auch beweist dies in meinen Versuchen das isolierte Be¬
fallensein derLy mph drüsen; ich versuchte auch in
5 Fällen Kulturen aus dem Blut des rechten Herzens und der
grösseren Arterien der vom Magen aus infizieiten Iieie, die
nach 8, 10 und 20 Stunden getötet wurden, anzulegen und durch
intraperitoneale Impfung nachzuweisen. In allen 5 Fällen, in
denen ich jedesmal diese beiden Methoden des Nachweises an¬
wandte, hatte ich stets ein negatives Resultat, und
auch Bartel und Uffenheimer fanden, wie ich mich nach¬
träglich überzeugte, niemals bei ihren Fütterungsversuchen Ba¬
zillen im Blut. Ein Nachweis von Bakterien im Blut, wie er
z. B. L ü d k e [7] bei Phthisikern gelang, findet daher nur
statt wenn dieselben in späteren Stadien der Erkrankung durch
Arrosion kleinerer Gefässe von den tuberkulösen Heiden in
grösserer Menge direkt in die Blutbahn übertreten.
Dass Schlossmann und Engel in ihren Versuchen
bereits nach wenigen Stunden nach der Injektion du ich die
Uebertragung der Lungen Bazillen nachweisen konnten, hegt
vielleicht an den schweren Schädigungen, welche
sie durch die Serosanaht und das Umnähen der Gefasse an dem
Magen des Meerschweinchens verursacht haben. Bei dei Liunn-
heit der Magenwand ist es, wie gesagt, leicht möglich, mit der
immerhin für diese Verhältnisse groben Nadel das Lumen des
Magens anzustechen und damit das Peritoneum zu infizieren;
damit würde aus der intestinalen Infektion eine intrapentoneale.
Die Resultate meiner Versuche lassen sich also kurz dahin
zusammenfassen, dass bei unter allen Kautelen vorgenommener
Injektion von Tuberkelbazillen in den Magendarmkanal ent¬
gegen den Angaben Schloss manns eine exquisit y m -
„hogene Infektion der vom Darm abführenden Lymph-
wege und der Lymphdrüsen eintritt, und zwar ohne dass
die Eintrittspforte, also die Darmwand, bleibende
Veränderungen erleidet. Infektion des Peritoneums
dagegen führt wahrscheinlich auf dem Wege der peifonei en¬
den Lymphgefässe des Zwerchfells zu metastatischer Ansiede¬
lung von Tuberkelbazillen in der Lunge. Die Schloss-
m a n n sehen Angaben dürften in der Mehrzahl der Falle duicli
eine Infektion auf diesem Wege bedingt sein.
Zum Schluss erlaube ich mir, Herrn Geheimrat Fraenkel
für die liebenswürdige Anregung und Unterstützung bei diesei
Arbeit meinen ergebensten Dank auszusprechen.
Literatur:
1. Deutsche med. Wochenschr., Jahrg 32, 1906 No. 27 - 2-Jol1'''
nal de med veter., t XLV, 1894. - 3 Ref. im Zentralbl. f. Bak der 10h
1903 Bd 32. — 4. Münch, med. Wochenschi., Jahrg. 52,_ 19(5.
5. Klin. Jahrbuch, Bd. 14, Heft 2. — 6. Beitr. z. klm Chirurgie, Bd. 51,
Heft 3. _ 7. Wien. klin. Wochenschr. 1906, No. 31.
Aus dem Friedrich-Wilhelms-Hospital und den Siechenan-
stalten der Stadt Berlin.
Studien über Tabes dorsalis mit besonderer Berück¬
sichtigung der Kehlkopfsymptome (221 Fälle).
Von Sanitätsrat Dr. G r a e f f n e r, leitendem Arzte.
Die Lektüre der Monographien von ßiirger1) und Dö¬
ren dorf2) hatte mich dazu angeregt, die Häufigkeit dei La-
rynxstörungen an meinem grossen TaWkermaterial, welches
fast ausnahmslos den Spätstadien angehort festzuste .
neben blieb meine Aufmerksamkeit auch der Aeticlogie, dei
Pulsfrequenz, der Art und Häufigkeit des Auftretens von Krisen
und Komplikationen zugewendet.
1891.
i) Burger: Die laryngealen Störungen der Tabes dorsalis.
’*) Dorendorf: Kehlkopfstörungen bei Tabes. 1903.
1776
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Im Verlaufe dieser 334 Jahre beanspruchenden Unter¬
suchungen haben sowohl die erhobenen Befunde, wie auch in¬
zwischen erfolgte einschlägige Publikationen, bei mir den
Wunsch gezeitigt, eine noch breitere Basis für die Beobach¬
tungen zu gewinnen. In die Tat jedoch wurde er erst zu einer
Zeit umgesetzt, wo schon eine grössere Zahl der zu Anfang
der Reihe Untersuchten durch Tod (-40) oder Austritt aus der
Anstalt (53) einem Ergänzungsverfahren entzogen waren. Der
Vorteil, welchen ich für diesen Ausfall eintauschte, bestand
darin, dass ich 113 Patienten nach mehr oder minder langer
Pause von neuem laryngoskopieren und dabei eine Reihe -in¬
teressanter Befunde erheben konnte.
Bei der Erforschung der Aetiologie hatte ich mit gewissen
Schwierigkeiten zu kämpfen, deren letzte Gründe wohl in der
sozialen Stellung der betr. Kranken und dem damit meist zu¬
sammenhängenden, negativen Interesse und Verständnis für
längst iiberstandene Uebel wurzelte. Ich konnte ermitteln, dass
von 118 Männern 57 Lues zugestanden und bei 16 die anam¬
nestischen Angaben wie der objektive Befund für ein non liquet
sprachen. Auch will ich nicht übergehen, dass unter den Leug¬
nern von Lues, also den 45 übrigen Patienten 14 Gonorrhoe und
4 Ulcus molle bereitwillig Zugaben. Bei 37 unter 88 weiblichen
Kranken war Lues eingestandenermassen vorangegangen, bei
23 bestand Verdacht. Die Zahl der geständigen Frauen und
Mädchen hatte sich bei der zweiten Befragung, welche anläss¬
lich der Kehlkopfspiegelung ohne Zeugen stattfand, um
8 erhöht.
Demgemäss war Lues nachgewiesen bei Männern in 48,3
Proz. (Verdacht in 13,5 Proz.), bei Weibern in 42 Proz. (Ver¬
dacht in 26,1 Proz.) resp. auf die Gesamtziffer von 206 Unter¬
suchten sichere Lues in 94 Fällen, darunter ein Ehepaar,
= 45,6 Proz., Verdacht in 39 Fällen = 18,9 Proz.
Die Bestimmung der Sensibilität und der Reflexerregbar¬
keit im Larynx wird immer Schwierigkeiten darbieten, ein¬
mal weil schon innerhalb der Norm erhebliche Schwankungen
stattfinden, sodann aber auch weil bezüglich der Reflextätigkeit
eine gewisse Abhängigkeit von der Willenskraft des Unter¬
suchten und der Technik des Untersuchers besteht. Man wird
leshalb die ermittelten Werte stets mit Reserve aufnehmen
nüssen.
Bei einer grossen Untersuchungsreihe jedoch, zumal wenn
Regelungen bei der gleichen Person zu wechselnden Tages¬
eiten, bei verschiedenartiger Allgemeindisposition, namentlich
Fer auch nach erlangter Gewöhnung an die Manipulation
X)rgenom,men wurden, ist die Aussonderung einiger extremen
Fälle die Regel.
So habe ich bei der II. Untersuchungsreihe von 113 Per¬
sonen eine Hyperästhesie nur in 2 Fällen (W.) also 1,7 Proz.,
t-ine Hypästhesie in 15 Fällen (4 M. 11 W.), 13.2 Proz.. gefunden.’
Völlige Anästhesie, wie sie M a s s e i in der Bernhard Fraen-
k el -Nummer3) der Berl. klin. Wochenschr. für Rekurrens¬
lähmung beschreibt, habe ich bei den wenigen, zu meiner Ver¬
fügung stehenden Fällen dieser Art nicht nachweisen können.
Hinsichtlich der motorischen Anomalien will ich vorweg
bemerken, dass mir kein einziger Fall begegnet ist, weicher
eine Einwendung gegen das Semon-Rosenbach sehe
Gesetz gestattet hätte. Wo ich isolierte, übrigens durchweg
unerhebliche und, wie sich nachmals herausstellte, nicht pro¬
gressive Störungen der Glottisschliesser oder -Spanner fand,
liess sich anamnestisch ein Zusammenhang mit früheren, ent¬
zündlichen Affektionen feststellen. Auch waren solche Zu¬
stände keineswegs in grösserer Zahl vorhanden, als sich an
einer umfänglicheren Reihe sonst klagloser Menschen bei der
Laryngoskopie zu ergeben pflegen.
\ oi 2 Jahren noch hätte man auf solche Bemerkungen
entgegnen können, dass ich offene Türen einzurennen trachte.
Jedoch die Debatte, welche vor reichlich einem Jahre in der
Berliner laryngologischen Gesellschaft anlässlich des
A. k u 1 1 n e r sehen \ortrages über die Rekurrensfrage 4) statt¬
fand, wie auch die Würdigung, welche den Broekaert-
schen 5) Ansichten und dem S a u n d b y sehen Falle6) zu teil
3) No. 47. 1906.
T Berl. klin. Wochenschr. 1906, S. 1411.
') Referat Berl. klin. Wochenschr. S. 1519.
") Brit. metl. Journ., 12. III. 04.
wurde, lässt es mir geraten erscheinen, für mein Material die
unerschütterte Geltung des Semon-Rosenbach sehen
Gesetzes zu betonen.
Die motorischen Störungen im Larynx scheiden sich in
Stimmbandlähmungen, Krisen und Parakinesen, unter welchen
perverse Aktion, Ataxie und zuckende, zitternde, oszillierende
Bewegungen — ich werde sie kurzweg als Tremor bezeichnen
— in Betracht kommen.
Dass die bei meinen Untersuchungen sich ergebenden Zif¬
fern die vieler anderen Beobachter nicht unwesentlich über¬
steigen, hängt sicherlich mit dem Charakter meiner Anstalt
zusammen. Es werden sich eben an keinem Orte Tabiker so
vorgeschrittenen Grades anhäufen, wie in einer Siechenanstalt.
Des weiteren sei auch hervorgehoben, dass es mir möglich
war, bei der Nachuntersuchung zahlreiche, pathologische Be¬
funde in Fällen zu erheben, welche 1 — 3 Jahre zuvor normale
Larynxverhältnisse aufwiesen. In einem Krankenhause, wel¬
ches von lebenbedrohenden Komplikationen freie Tabiker aus
äusseren Gründen nicht jahrelang festzuhalten vermag, hätten
derartige Fälle in der Schaar der Kehlkopfgesunden figurieren
müssen.
Stimmbandparesen resp. Paralysen wurden 54 mal, Kehl¬
kopfkrisen 26 mal, Parakinesen 28 mal ermittelt. Da jedoch
unter den Krisen sich 20 Fälle befinden, welche wegen gleich¬
zeitig vorhandener Stimmbandlähmungen schon dort rubri¬
ziert sind, so verteilen sich alle genannten Affektionen auf ins¬
gesamt 88 Individuen, was auf 206 der ersten Untersuchungs¬
reihe Angehörige berechnet, einem Prozentsätze von 42,7 ent¬
spricht resp. 54 Lähmungen 26,2 Proz.
Ataxien wurden 14 mal, davon 5 mal mit Stimmbandtremor
kombiniert beobachtet, ebenso 14 mal der letztere allein.
Unter den Lähmungszuständen, welche in allen Intensitäts¬
abstufungen konstatiert wurden, wiegt numerisch vor die iso¬
lierte Erkrankung des linken Postikus mit 28 Fällen; daran
schliessen sich linker Postikus mit gleichseitiger Internus¬
lähmung 7 mal, rechter Postikus 7 mal, Postikus doppelseitig
8 mal, linker Rekurrens 3 mal, Rekurrens doppelseitig 1 mal.
In der zweiten, 334 Jahre später begonnenen, 113 Personen
umfassenden Untersuchungsreihe stellte sich heraus, dass
2 früher als leicht paretisch notierte Fälle normale Stimmband¬
funktion darboten, ohne dass therapeutisch eingeschritten wor¬
den war.
Positive Ergebnisse waren: 42 Lähmungen (14 mal mit
I remor, 3 mal mit Ataxie kombiniert), 3 mal perverse In¬
nervation, 6 mal mit Ataxie, (davon 3 mal mit Tremor), 16 mal
I remor allein, 18 mal Larynxkrisen. Da von letzteren 15 Fälle
schon bei den anderen Störungeil gebucht waren, sind in
Summa 70 Personen betroffen, was einem Prozentsätze von
61,9 entspricht (davon Lähmungen 37,1 Proz.). Hier sei auch
eingeschaltet, dass in 3 Fällen eine Steigerung geringfügig be¬
hinderter Abduktion bis zur festen Medianstellung notiert ist.
Als neu aufgetreten sind nach meinen Tabellen in der
zweiten Untersuchungsreihe gewesen 14 mal Lähmungen
(1. Postikus 7 mal, r. Postikus 2 mal, beide Postici 5 mal), davon
Kombination mit Ataxie 1 mal, mit Tremor 4 mal (in einem
dieser Fälle bestand Jahre vorher nur Tremor), 3 mal per¬
verse Innervation und 6 mal Tremor allein. Mithin zeigten
23 Fälle = 20 Proz. bei der zweiten Untersuchung Störungen,
welche in der ersten Serie nicht gefunden worden waren. Ich
ziehe daraus den Schluss, dass der Larynx bei Tabes
sofern der Fall nicht durch interkurrente
Erkrankungen vorzeitig ad exitu m gelangt,
also bei natürlichem Ablauf — in viel höhe-
r e m G r a de, wie bisher anerkannt, ein locus
m i n o r i s resistentiae ist.
^ Erhebliche Beeinträchtigungen der Stimme lagen nur in
7 Fällen von Lähmung vor, zumal wenn der Rekurrens be¬
troffen war.
Es interessierte mich festzustellen, wie oft Stimmband¬
lähmungen mit Lues zusammentrafen. Von den in beiden
Untersuchungsreihen gefundenen 68 Lähmungen entfielen 39
auf erwiesen Luetische und 7 auf Verdächtige, während die
übrigen 22 Lähmungen selbst nach Abzug der weiteren 32 Ver¬
dächtigen von der Testierenden Gesamtziffer sich auf 128 nicht
als luetisch feststellbare Personen verteilen. Ich unterlasse,
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1777
hieraus schon jetzt zu folgern, dass zwischen Lues und Stimm¬
bandlähmung gewisse, kausale Beziehungen obwalten, event.
dass bei fraglicher Bewertung einer Luesanamnese die Stimm¬
bandlähmung affirmative Bedeutung beansprucht; immerhin
halte ich die Sache für wichtig genug, um die Aufmerksamkeit
der Kollegen darauf zu richten.
Betreffs der Larynxkrisen neigt die Mehrzahl der Be¬
obachter zu der Auffassung, dass dieselben zwar in allen Sta¬
dien der Tabes Vorkommen können, jedoch die Frühstadien be¬
vorzugen. Hiermit stimmen meine eigenen Wahrnehmungen
überein. Ich erhalte relativ selten Meldung von charakte¬
ristischen Anfällen, noch seltener sehe ich solche selbst. Es
geschah bei 4 Kranken. Bei 2 davon — recht dekrepiden In¬
dividuen _ wurde der Insult anscheinend durch den mit der
Einführung des Kehlkopfspiegels verbundenen Reiz ausgelöst,
in einem Falle so bedrohlich, dass bereits die Tracheotomie in
Erwägung gezogen wurde.
Bei 6 von meinen 26 mit Larynxkrisen Behafteten resp.
behaftet Gewesenen habe ich den Oppenheim sehen Punkt
(innerer 'Rand des Kopfnickers in der Höhe des Ringknorpels)
einseitig oder beiderseitig auf Druck schmerzhaft gefunden.*) Im
ganzen sah ich unter 113 Fällen 31 mal eine vermehrte Druck¬
empfindlichkeit dieser Stelle. Den beträchtlichen Prozentsatz,
welchen diesbezüglich Burger auch bei Gesunden er¬
mittelte, habe ich bei 100 gesunden, jugendlichen Menschen
(aus dem Dienstpersonal meiner Anstalt) nicht finden können,
nämlich nur 3 Prez. In diesen 3 Fällen zeigte der Larynx
negativen Befund. Etwas gross scheint ja bei Hysterischen
(unter 17 Fällen 4 mal) die Beteiligung dieser Stelle an der
multilokularen Hyperalgesie zu sein. Jedenfalls aber ergibt
sich aus meinen Erfahrungen, dass dem Oppenheim sehen
Druckschmerz bei Tabes eine grössere Rolle zukommt, als bei
der Mehrzahl anderer Nervenleiden.
Auch Oppenheims Hinweis auf das Verhältnis zwi¬
schen Larynx- und Magenkrisen habe ich zutreffen sehen, in¬
dem unter meinen 26 Fällen 20 mal auch Magenkrisen bestan¬
den. Dagegen koinzidierten meine 9 Fälle von Arthropathien
nicht mit Larynxkrisen.
Ataxie der Stimmbänder habe ich deutlich stets nur als
abduktorische gesehen.
Der Stimmbandtremor, welchen ich bei Tabischen kon¬
statierte, ist zweifellos identisch mit der von einigen Beobach¬
tern der letzten 15 Jahre beschriebenen Erscheinung. Während
ich in seiner Deutung namentlich mit Dorendorf über¬
einstimme, schätze ich doch die Häufigkeit des Vorkommens
erheblich höher als andere Autoren.
Wohl kann es sein, dass der Tremor schon zu Anfang in
einzelnen Fällen das Spiegelbild beherrscht, aber meistens ge¬
schieht das nicht. Er wird daher vielen, welche in eiliger
Spiegelung nur die Frage der Stimmbandlähmung zum Aus¬
trage bringen wollen, entgehen. Ich selbst möchte mich nicht
davon freisprechen, dass mir unter meinen ersten 50 Fällen,
ehe meine Aufmerksamkeit durch diese Anomalie öfter in An¬
spruch genommen wurde, einzelne entschlüpft sind, bei wel¬
chen, wie einleitend bemerkt wurde, eine Nachprüfung nicht
mehr ausführbar war. Setzt man jedoch die Spiegelung ge¬
nügend lange fort, hat man es insbesondere mit eingeübten
Patienten zu tun, welche auf Kommando nach tiefer Inspiration
eine längere Atmungspause machen können, besteht somit
seitens der Untersuchten eine auf Ruhigstellung der weiten
Glottis abzielende Intention, so sieht man oft das einwärts
zuckende, bis zu einem gewissen Grade an Frequenz und In¬
tensität allmählich zunehmende Spiel der Stimmbänder. Meist
zucken beide in gleichrnässigem Tempo, hin und wieder aber
prävaliert eines der beiden. Zumal bei einseitiger Prävalenz
sah ich Aryknorpel, Epiglottis, ja in einem Falle sogar die Tra-
chealringe mitschwingen.
Es erwies sich oft als schwierig, die Patienten zu der
Atmungspause nach tiefer Inspiration anzuhalten, meist gelang
dies erst nach einiger Gewöhnung an das Spiegeln. Ehe diese
*) Anmerkung bei der Korrektur: Die Nichtidentität
des Oppenheim sehen Druckpunktes mit dem oberen Boen-
n i n g h a u s sehen Druckpunkte ibetont letzterer Autor in seiner
Habilitationsschrift: „Ueber einen eigenartigen, sensiblen Reizzustand
des oberen und unteren Kehlkopfnerven“. Breslau 1906.
No. 36.
jedoch eingetreten war, hatte ich durch kurze, stossweise
Exspiration Störungen. Hierbei wurde die Annahme nahe
gelegt, dass die zuckenden Einwärtsbewegungen synchron
seien mit dem aus Angst und Aufregung zu stände gekommenen
Tremolo der Exspiration. Jedoch mannigfache, unter Assistenz
vorgenommene, vergleichende Zählungen ergaben in der Mehr¬
zahl der Fälle die Unabhängigkeit der Zuckungen von der
Atmung.
Die hieraus resultierenden Schwierigkeiten in der Beur¬
teilung des Tremors glaubte ich durch Untersuchung zahl¬
reicher Gesunder, wie auch zahlreicher Nervenkranker, zumal
mit allgemeinem Tremor Behafteter, einer Erklärung näher
bringen zu können.
Durch diese Untersuchungen bin ich darauf hingeführt wor¬
den, einen Tremor aus funktioneller Ursache, einen fortge¬
leiteten und einen aus organischen Veränderungen entstammen¬
den anzu nehmen.
Der erstere kommt auch bei gesunden Individuen vor,
welche mit Angstgefühlen an den Akt des Laryngoskopierens
herangehen. Erst die allmählig erwachsende Ueberzeugung,
dass sich weder Schmerzen, noch Erstickungsanfälle, noch Vo-
mitus daran knüpfen, bringt derartigen Tremor, wie dies bereits
S c h u 1 1 z e n 7) beobachtete, zum Schwinden. Ebenso möchte
ich auch den bei Hysterie auftretenden Tremor der Stimm¬
bänder auf einen emotionellen Reiz zurückführen.
Einen Stimmbandtremor, dessen Tempo so genau dem all¬
gemeinen entsprach, dass man hier lediglich von einer Pro¬
jektion desselben auf die Larynxmuskulatur sprechen kann,
habe ich in einer Reihe Fälle von Paralysis agitans, Marasmus
senilis, bei essentiellem Tremor und bei chronischen Intoxi¬
kationen (Alkohol, Blei) gesehen. Hierher scheint mir auch
der Fall Mosses8 9) zu gehören, bei welchem das Stimmband
der Seite lebhafter zitterte, deren Arm stärkeren Tremor auf¬
wies. Bezüglich der Paralysis agitans sei hier bemerkt, dass
ich auch Fälle von recht intensiver Art mit Beteiligung des
Kopfes und doch absoluter Ruhe im Larynx beobachtete.
Endlich ist zu erwähnen eine hochfrequente, von der At¬
mung wie von allgemeinem Tremor durchaus unabhängige
Zitterbewegung, welche ich in einzelnen Fällen feststellte von
multipler Sklerose, von Pseudobulbärparalyse und in vielen
Fällen von Tabes. Hier bin ich eben geneigt, eine organische
Ursache anzunehmen. Bei multipler Sklerose sind ja Larynx-
veränderungen an sich selten, so dass ich dem Falle von „In¬
tentionstremor der Stimmbänder“, welchen Krzywicki")
j aus B. Fraenkels Klinik beschrieben hat, nur 2 aus meinem
25 Fälle umfassenden Bestände an die Seite stellen kann.
Wenn ich nun bezüglich der Tabes auch weit entfernt bin,
den Tremor als ein pathognomonisches Zeichen, wie etwa das
Rombergsche oder Argyll R o b e r t s o n sehe Symptom
zu proklamieren, so kann ich ohne weiteres aussprechen, dass
ich ihn bei keiner anderen organischen Nervenkrankheit in
annähernd gleicher, prozentarischer Häufigkeit angetroffen
habe, wie eben bei Tabes.
Hiernach läge die Versuchung nahe, sich ein Schema zu¬
recht zu machen und in dessen drei Rubris alles Vorkom¬
mende unterzubringen. So einfach aber ist die Sache nicht.
Denn man begegnet nicht selten Mischfällen. Es ist z. B. gar
kein Grund abzusehen, weshalb nicht — wie bei einem Gesunden
— auch bei einem heruntergekommenen Tabiker das Spiegeln
als emotioneller Reiz wirken sollte. Andererseits habe ich
unter 17 Fällen von Paralysis agitans auch 2 gefunden, bei
welchen der Tremor der Stimmbänder nicht synchron mit dem
der Gliedmassen war. In solchen Fällen werden bei der
Autopsie die Zentralsphären Gegenstand peinlichster Unter¬
suchung sein müssen. .
Bei der Aufnahme der Tabiker mit Stimmbandtremor in
meine Tabellen war massgebend: Gewöhnung ans Spiegeln,
Ausschluss von Hysterie und die von der Atmung differierende
Frecjii enz.
Das Zustandekommen des Tremors erkläre ich mii mit
Dorendorf u. a. dahin, dass er als der erste Ausdruck
der gestörten Antagonistenharmonie, des beginnenden Uebei -
7) Charite-Annalen 1894.
8) Berl. klin. Wochenschr. 1906 No. 10,
9) Berl. laryngol. Gesellsch. 1891.
3
1//8
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
gewichtes der Adduktoren aufzufassen ist. Wie ich überhaupt
meine, dass wer erst mal das Semon-Rosenbach sehe
Gesetz als gültig akzeptiert hat, alle kinetischen Anomalien im
Larynx als verschiedene Erscheinungsformen oder Intensitäts¬
grade derselben zentralen Destruktion anerkennen muss. So
gelange ich z. B. dahin, in dem Stimmbandtremor die rudi¬
mentäre Form der Larynxkrisen zu vermuten. Fortgesetzte,
klinische Beobachtung, das pathologische Experiment und die
Vervollkommnung der histologischen Untersuchungsmethoden
könnten diesen Satz einmal seines hypothetischen Charakters
entkleiden.
Bezüglich der Pulsfrequenz sei bemerkt, dass 11 mal unter
80, dagegen 86 mal zwischen 80 und 100, und 109 mal über 100
Schläge gezählt wurden. Die mit Larynxkrisen einhergehen¬
den Fälle zeigten etwas mehr Neigung zu erhöhter Puls¬
frequenz. ■
In den bisherigen Ausführungen habe ich mich auf die im
Vagusgebiete auftretenden Störungen beschränkt und gedenke
von den anderen Gehirnnerven umsomehr abzusehen, als die
Beteiligung des Seh- und Gehörorgans am tabischen Prozesse
von den beiden resp. Konsiliarien meiner Anstalt zum Gegen¬
stände einer besonderen Publikation gemacht werden wird,
und ausserdem meine Wahrnehmungen in den noch übrigen
Gehirnnervenprovinzen weder qualitativ noch quantitativ be¬
sonders Bemerkenswertes darbieten.
Von jenem Programm nun weiche ich nicht ab, wenn ich
— im Sinne Grabowe rs den Akzessorius als spinalen Nerv
auffassend — über die von mir beobachteten Atrophien des
Sternokleidomastoideus und Kukullaris berichte, ohne meine
jeweiligen Vermutungen über die zentrale oder peripherische
Natur der Affektion zu äussern.
Solche Atrophien, wobei allerdings auch geringere, den
Sternokleidomastoideus vorzugsweise in den unteren, den Ku¬
kullaris in den oberen Partien betreffende Volumensminde¬
rungen mitgezählt sind, habe ich unter 113 Fällen 25 mal ange¬
troffen. 11 dieser Fälle figurieren auch in der Reihe der Stimm¬
bandlähmungen, 4 in der der Zitterbewegungen.
Dem Studium der Aortenverhältnisse bei Tabes habe ich
stets ein lebhaftes Interesse zugewendet. Ich konstatierte unter
meinen 206 Fällen 19 mal Klappeninsuffizienz und 8 mal Aneu¬
rysma (davon 3 Insuffizienzen erst in der zweiten Unter¬
suchungsreihe) also 13,1 Proz.
Als Rosenbach und O. Berger um die Mitte der
siebziger Jahre saec. pr. auf dieses Syndrom hinwiesen, er¬
kannte man wohl die Tatsache an, vermochte jedoch keine
plausible Erklärung dafür zu geben. Man könnte ja hier die
Aufbrauchstheorie analogisierend heranziehen. Indes nach der
\\ ichtigkeit, mit \\ elcher die Statistik die Lues-Aetiologie der
I abes betont, wie nach den Mitteilungen,, welche v. Düring,
v. Hanseman n und v. Renvers1") auf dem Dermato¬
logen ko ng ress 1904 gemacht, muss zunächst auch hier auf diese
Noxe Bezug genommen werden. Immerhin legen mir meine
Ergebnisse eine gewisse Reserve auf. Denn die Zahl der er-
v lesenen Luetiker unter meinen aortenkranken Tabischen zeigt
knapp dieselben Werte, wie sie nach meiner Statistik die Lues
zur T abes überhaupt kontribuiert, d. h. unter 27 Aortenleiden
II ma! sichere Lues. Aber ausserdem gehören hierzu 9 Lues-
veidachtige, darunter 7 Frauen. Bei diesen wird bekanntlich
die Lues manchmal bona fide, oft genug aber trotz inständigen,
aiztlichen Inquinerens bewusstermassen geleugnet. In meh¬
reren der hier in Frage stehenden Fälle ist durch die mehrere
Aborte autweisende, wie auch den Exitus des Ehemannes in
lugend hohem Alter durch Apoplexie oder progressive Paralyse
ei hartende Anamnese der Verdacht wohl als stark begründet
zu erachten Und wenn von diesen 9 Fällen ein wesentlicher
! eil, wo nicht alle, durch nachträgliches Geständnis oder son¬
stige IMerk male der Lues noch zuzurechnen wären, so wäre
damit für mein Material eine gewisse Prädilektion derselben
im die Aortengegend nachgewiesen, und es hätten ähnliche
Erwägungen I latz zu greifen, wie sie von mir über das Zu-
wurdmr1"6^11 ^ StimmbandIähmun2en mit Lues angestellt
Ba
In der Societe de neurologie de Paris hat am 2. Mai 1901
b i n s k i die wichtige Tatsache mitgeteilt, dass Fehlen oder
,n) Kongressverhamdl., Bd. II, S. 19 4—224.
Beeinträchtigung des Achillesreflexes zu den Frühsymptomen
der Tabes gehöre, welches manchmal noch bei erhaltenem Pa-
tellarreflex sich nachweisen lasse. Bei der Eigenart meines
Materials durfte ich nicht hoffen, grosse Ziffern zur Bestätigung
dieser Beobachtung beitragen zu können. Es waren auch nur
3 Fälle, in welchen 2 mal einseitig, einmal doppelseitig das
Phänomen konstatiert wurde. Hier war die Tabes als Neben¬
befund entdeckt worden.
So erwartete ich auch bei der Nachprüfung des A b a d i e -
sehen J1) Symptoms Anodynie der Achillessehne ähnliches zu
finden. Von A. war behauptet worden, dass es als Früh¬
symptom mit dem W e s t p h a 1 sehen und Argyll Ro¬
bertson sehen Zeichen rivalisiere, ja es an Häufigkeit über¬
träfe. Die hierauf gerichteten Ermittelungen haben auch dann,
wenn man in der von Racine12) angegebenen Weise Kau-
telen schafft, mit einer grossen Schwierigkeit zu kämpfen.
Nämlich, dass man am Ende auf subjektive Angaben der Unter¬
suchten angewiesen ist. Vielleicht gleichen sich gelegentliche
Irrtümer bei grösseren Reihen aus.
Zunächst jedenfalls ermächtigen mich meine Befunde nicht
zu einer glatten Zustimmung. Schon die drei bei der B a -
b i n s k i sehen Areflexia Achillea angezogenen Fälle waren
nicht anodynisch. Unter den weiteren 110 Kranken bestand
bei 14 die Druckschmerzhaftigkeit, 8 mal ausgesprochen (7 mal
beiderseits, 1 mal rechts) und 6 mal angedeutet (4 mal beider¬
seits, je einmal rechts und links). Diese 12,4 Proz. Ausnahmen
im Spätstadium sind doch wohl geeignet, hinsichtlich der Digni¬
tät der Erscheinung als Frühsymptom Bedenken zu erwecken
und rechtfertigen es, wenn man zunächst noch weitere Erfah¬
rungen abwartet. Jedenfalls darf man schon heute der Schluss¬
folgerung R a c i n e s beitreten, welcher das A b a d i e sehe
Symptom zwar als ein wichtiges und interessantes Merkmal
betrachtet, aber doch eine Gleichstellung mit dem Schwinden
des Patellarreflexes oder der Pupillenstarre ablehnt.
Nicht sehr wesentlich differieren meine Resultate bei der
Prüfung des B i e r n a c k i sehen 13) Ulnarissymptoms. Auf
Druck Schmerzlosigkeit der superfiziell gelegenen Stelle des
Nerven zwischen Condylus internus und Olecranon. Ich habe
es unter 100 Fällen 18 mal (7 mal doppelseitig, 6 mal rechts,
5 mal links) vermisst.
Ehe ich mich über die am Sektionstische gemachten Erfah¬
rungen äussere, sei es -mir gestattet, über einige seltenere
Symptome, welche zumeist dem Gebiete der trophischen Stö¬
rungen angehören, und über die beobachteten Komplikationen
zu berichten.
Die Arthropathien sind bereits bei den Larynxkrisen er¬
wähnt. Es wären sonst hervorzuhgben je ein Fall von spon¬
taner Fraktur eines Femur und beider Humeri, 2 Fälle von
hochgradigster Verdünnung der vorderen Bauch wand, durch
welche die Peristaltik genau sichtbar war, und 1 Fall von
spontaner halbseitiger Suggillierung des Trunkus, übrigens auf
derselben Seite, wo eine enorme Arthropathie der Schulter be¬
stand. (Lues.)
Als Komplikationen seien aufgezählt Dementia paralytica
10 mal, Hysterie 13 mal, Phthisis pulmonum resp. allgemeine
Tuberkulose 12 mal, Hemiplegie 3 mal, Karzinosis 2 mal, end¬
lich Paralysis agitans, Saturnismus und perniziöse Anämie je
1 mal.
2 Fälle jedoch, welche sich aus der ganzen Reihe als Unika
abheben, möchte ich mit den in Betracht kommenden Sym¬
ptomen in Kürze schildern:
Fall 183. A. P., Kaufmannswittwe, 61 Jahre (Beginn der spi¬
nalen Erscheinungen 1889, massige Ataxie der Extremitäten), klagt fast
andauernd über Schmerzen im Rücken, welche nach einer Sehnen¬
zerrung am linken Beine aufgetreten seien. Lässt man die angeklei¬
dete Patientin auf einen Stuhl derart setzen, dass sie die Lehne nicht
hinter dem Rücken hat, so ist ein eigentümliches teils wiegendes,
teils stossendes Spiel des gesamten Rumpfes mit stärkerer Tendenz
nach rechts zu beobachten. Werden alle Kleidungsstücke entfernt
so gewinnen die Bewegungen des Rumpfes an Heftigkeit, auch wird
über beträchtliche Zunahme der Rückenschmerzen geklagt. Man
sieht beiderseits besonders rechts, Muskelwülste dem Verlaufe des
Erector trunci entsprechend sich vorwölben, und zwar derart, dass
“) Gaz. hebdomad. des sc. medic. de Bordeaux, No. 38, 1905
“) Münch, med. Wochenschr., No. 20, 1906.
g q5(^ ^aZ’ *e*<ars*ia No. 2, ref. im Neurol. Zentralbl. 189J,
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1779
in der Längsrichtung des Muskels fingerphalanxlange, krampfhaft kon¬
trahierte Bündel erscheinen, zwischen denen in der ganzen Breite
des Muskels sich breite Depressionen befinden, also ungefähr ein Bild,
wie es die Inscriptiones tendineae an einem tetanisierten Rectus ab-
dominis darbieten würden **)• Veranlasst man die Pat. aufzustehen,
so macht sie, wie eine des Gleichgewichtes Ermangelnde, mit den
flektierten Armen einige Bewegungen, welche an das Hantieren eines
Seiltänzers mit der Balanzierstange erinnern. Sobald die Arme zur
Ruhe gekommen, strahlt die krankhafte Erregung der Muskeln in die
Serrati antici aus. Bei jetzt erfolgendem Schliessen der Augen
wiederum Zunahme in der Heftigkeit der Muskelerscheinungen, gleich¬
gewichtserstrebende Bewegungen der Arme. Alles das mildert sich
im Sitzen und schwindet, angeblich bis auf ein massiges Residuum
der Schmerzen in der Bettruhe. Die linke Lumbalgegend ist hyp-
ästhetisch. Dieser Befund wurde bei wohl 10 mal wiederholten
Untersuchungen erhoben, nur dass sich unbeträchtliche Schwankungen
in der Intensität der muskulären Ausschläge geltend machten.
Meines Erachtens besteht hier eine Kombination von hoch¬
gradiger Ataxie des Rumpfes mit jenen Zuständen, welche
Otfried Förster14) als
„seltenere Formen von
Krisen bei der Tabes dor-
salis“ beschreibt.
Fall 187. W. T., 59 Jahre,
Arbeiterswitwe (Lues 1876)
bietet das beinahe symmetri¬
sche Bild eines Muskel¬
schwundes an beiden Ober¬
armen derart, dass in der
Länge von 9,5 bezw. 8 cm der
etwas rauhe Humerusknochen,
nur mit der atrophischen Haut
bedeckt, gefühlt werden kann.
Die beigegebene Abbildung
erläutert den Status am
besten. Jedoch seien auch die
Masse auf beiden Seiten an¬
gegeben.
rechts links
Umfang des Schultergelenks . . .
Entfernung der oberen Defektgrenze vom Gelenk . .
Umfang des Oberarmes daselbst . 25,5
„ „ an der unteren Defektgrenze
* „ „ an der Stelle ausgeprägtesten
Schwundes . . .
Grösste Breite des Defektes .
Der Defekt entspricht rechts einem Halbring, welcher den Arm
von aussen und hinten umgibt. Besonders staik befallen ist dci
Trizeps. Der linksseitige Defekt sitzt nach aussen und vorn. Beson¬
ders stark mitgenommen ist das Caput longum bicipitis.
Mit grösster Wahrscheinlichkeit handelt es sich hier um
eine mit dem luetischen Prozess zusammenhängende Muskel-
sk lerose
Es wurden 32 Obduktionen gemacht. Aus den Protokollen
habe ich dasjenige herausgezogen, was neben der spinalen De¬
struktion im Vordergründe des Interesses stand, das den Exitus
unmittelbar veranlassende Moment.
Danach ergibt sich folgende Gruppierung: Aortenleiden
4 mal (darunter 3 Aneurysmen) Tuberkulose der Lungen resp.
Urogenitaltuberkulose 4 mal, Herzmuskeldegeneration, Pneu¬
monie und schwere Alterationen des uropoetischen Apparats
13 mal, Sepsis (Dekubitus) 7 mal, Carcinoma recti, Apoplexie,
perniziöse Anämie und Peritonitis nach Perforation eines
tuberkulösen Darmgeschwürs je 1 mal.
In bezug auf die Therapie kann ich mich kurz fassen. Für
die Linderung von Schmerzparoxysmen standen Aspititi und
Morphium in Vorderster Reihe. Auffallend war mir, wie viele
der au Magenkrisen Leidenden sich als intolerant gegen Mor-
phium und die Ersatzpräparate erwiesen. Bei einigen dieser
Eälle hatte ich den Eindruck, dass innerliche Darreichung von
Anästhcsin 0,2 3 mal täglich und gleichzeitiger Spray von
Chloräthyl auf die Magengrube eine günstige Wirkung aus¬
übten. In jüngster Zeit habe ich das Coryfin (Bayer), 3 mal
täglich 6 Tropfen auf ein Stück Zucker, angewendet und von
einigen Stellen die Versicherung erhalten, dass man diesem
34,5
35 1
15
14
25,5
24
21,2
21,5
19,2
17,5
9,5
10
Mittel eine schnellere Ueberwindung und minder schmerzliche
Gestaltung der Attacke zu verdanken glaube.
Während ich diese Arbeit schrieb, gelangten in der An¬
stalt noch 15 Fälle von Tabes zur Aufnahme. Dieselben
vermögen an den allgemeinen, statistischen Resultaten, welche
ich mitgeteilt, nichts zu ändern. Als Kuriosa seien lediglich
hervorgehoben, dass ich gerade unter diesen relativ wenigen
Fällen das Mal perforant du pied und Pharynxkrise zum ersten
Male sah. Jedenfalls auch ein Beitrag zu der schon von
Sem on bei den Stimmbandlähmungen erörterten Frage über
den Wert oder Unwert kleinerer Zahlenreihen und die Gefahr
derselben für die prozentarische Berechnung.
**) Anmerkung bei der Korrektur: Wiederholt vor¬
genommene psychische Ablenkung ergab zwar eine Iutensitätsmindc-
rung der Muskelausschläge, aber keineswegs ein Schwinden der-
selben.
11) Monatsschr. f. Psychol. u. Ncurol., XI, 1902, S. 281).
Aus der Breslauer chirurgischen Universitätsklinik (Direktor:
Prof. Dr. K ü 1 1 n e r).
Zur Pathologie des Frühstadiums der Appendiiztis.
Von-Dr. Alfred Peiser, Assistent der Klinik.
In der Kenntnis der Pathologie des Peritoneums haben wir,
wie auf vielen anderen Gebieten, der modernen Chirurgie
reiche Fortschritte zu verdanken. Neue Erkenntnisse sind uns
gekommen, aber auch neue Fragen, die der Erklärung harren.
Zu diesen letzteren gehört die gegenüber den früheren An¬
schauungen fast als Rätsel erscheinende latsache, dass wir im
Erühstadium der Appendizitis ungestraft durch die freie Bauch¬
höhle hindurch mit stinkendem Eiter gefüllte Abszesse eröffnen
dürfen. Wir sehen keinen Schaden daraus erwachsen, dass
der Eiter mit dem freien Peritoneum in Berührung kommt. Die
Praxis hat uns diese Erfahrung gebracht, eine exakte Erklä¬
rung fehlt uns.
Vielleicht die einleuchtendste Erklärung für die Möglich¬
keit dieses rücksichtslosen Vorgehens, das vor noch nicht lan¬
ger Zeit als ein schwerer Kunstfehler angesehen worden wäre,
hat Moszkowicz1) gegeben. Er geht auf Grund klinischer
Erfahrung von der Ansicht aus, dass in der weitaus grössten
Zahl der Perityphlitiden die Peritonitis zuerst diffus ist und
sich erst später auf einen zirkumskripten Abszess beschränkt.
Er weist darauf hin, dass so häufig nach den anamnestischen
Angaben in den ersten Tagen stürmischere Symptome, diffuse
Schmerzen, Meteorismus, Stuhl- und Windverhaltung, Er¬
brechen verzeichnet sind, die für Beteiligung des ganz e n
Peritoneums sprechen. Die diffuse Peritonitis oder, wie ich
mich vorsichtiger ausdrücken möchte, die diffuse „p eri-
tonealeReizun g“ ist bei den schweren Fällen von Appen¬
dizitis sehr häufig. Moszkowicz stellt sich den Verlauf dci
Entzündung in der Appendix folgendermassen vor: Zunächst
spielt sich die Entzündung an der Schleimhaut der Appendix
ab. Diese ist geschwollen, von kleinen Hämorrhagien durch¬
setzt. Stellenweise zerfallen die Blutungen zu kleinen Ge-
schwürchen. Auf dem Lymphwege dringen die Bakteriengifte
sehr bald bis an die Serosa. Es ergiessen sich aus dem mit
Infektionsmaterial gefüllten Eitersäckchen, das die Appendix
darstellt, Ströme von Bakteriengiften in die Bauchhöhle Diese
reagiert darauf durch Ausscheidung jenes klaren, sterilen Ex¬
sudates, das auch Sonnenburg, Riedel, Sprengel
u. a. bekannt ist. ... Ist schon das normale Peritoneum im¬
stande, eine gewisse Menge von Infektionsmaterial unschädlich
zu machen, so wird das durch die vorher diffundieiten Gift¬
stoffe gereizte Peritoneum diese Fähigkeit in noch gesteigertem
Masse besitzen. Moszkowicz meint, die allmählich durch
die Wand des Wurmfortsatzes durchfiltrierten Bakteiiengnte
könnten in gleicher Weise stimulierend auf das Peritoneum
wirken wie wir es aus der Immunitätsforschung von der
physiologischen Kochsalzlösung, Bouillon, Nukleinsäure etc.
wissen, so dass sich das Peritoneum in en nein Re izzustand 1 be¬
findet wenn die Perforation der Appendix erfolgt. Der Reiz
zustand ist aber gleichbedeutend mit der durch die erwähnten
Flüssigkeiten erzeugbaren Pseudoimmumtat (I feine u oc
der „erhöhten Resistenz“. . „ or
So einleuchtend diese Ansichten von M o s z k o w i c z er¬
scheinen, so fordern sie doch bei genauerem Zusehen teilweise
zum Widerspruche heraus und veranlassten mich Versuche .
U Langenbecks Archiv, Bd. 72. p. 7/3.
2) Sprengel: D. Chirurgie, 46. Bd.: Appendizitis,
s) Riedel: Langenbecks Archiv, Bd. 66, p. 1.
3*
1780
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
zustellen, die vielleicht eine andersartige Erklärung der frag¬
lichen, für die Pathologie der Appendizitis doch recht wichtigen
und interessanten Vorgänge erlauben.
In erster Linie ist darauf hinzuweisen, dass diese Fälle
mit dem serösen, keimfreien Frühexsudat durchaus nicht
etwa sehr häufig sind. S p r e n g e 1 :) fand sie unter 85 Früh¬
fällen 8 mal. Zudem ist die Keimfreiheit dieses Exsudates, wie
auch Sprengel zugibt, noch nicht sicher erwiesen. R i e -
d e 1 :t) konnte in einem Falle Bazillen von einer nicht genau be¬
stimmbaren Gattung nachweisen. Und ich selbst setze Zweifel
in die Keimfreiheit, seitdem ich in dem mikroskopisch von mor¬
phologischen Bestandteilen freien, klaren, serösen Exsudat
eines Falles, der allerdings, wenn die anamnestischen Angaben
richtig sind, erst am Morgen des vierten Tages zur Operation
kam, durch Bouillonanreicherung B. coli nachweisen
konnte, während die einfach mit mehreren Oesen beschickten
Agarröhrchen steril blieben.
In einer nicht geringen Anzahl von Frühfällen finden wir
trübes, bakterienhaltiges, ja sogar eitriges Exsudat. Merk¬
würdigerweise zeigen die zahlreichen histologischen Unter¬
suchungen mit Bakterienfärbung in solchen Fällen, dass Bak¬
terien wohl in der Mukosa, auch in den Lymphbahnen des
Mesenteriolum, nicht aber in den übrigen Wandungen der
Appendix nachweisbar sind.
Dieser Umstand führte mich zu einer anderen Deduktion.
Ich ging von der Tatsache aus, dass bei der Appendizitis von
den Geschwürsflächen der Schleimhaut Bakterien in das Blut
gelangen. Die Zahl der mitgeteilten Untersuchungen hierüber
in der Literatur scheint zwar nicht gross zu sein. Canon4)
wies in einem Falle Streptokokken nach, J e n s e n 5 *) fand in
10 Fällen Pneumokokken im lebenden Blute, ich konnte in
einem Falle Streptokokken, in einem zweiten ein der Koli-
gruppe angehörendes Bakterium aus dem Blute züchten. Die
neueren Untersuchungen des Blutes haben uns aber im Gegen¬
satz zu den früheren Anschauungen gezeigt, wie ausserordent¬
lich häufig Bakterien im Blute kreisen, dass nur der Nachweis
oft nicht leicht ist und nicht stets gelingt. Mit weiterer Aus¬
bildung der Untersuchungsmethoden ist die Zahl der positiven
Blutbefunde bei den verschiedensten Krankheiten derart ge¬
wachsen, dass Canon0) in seinem vortrefflichen, zusammen¬
fassenden Werke schreiben konnte: ,,Bei den verschiedensten,
geringfügigen Anlässen treten pathogene Keime ins Blut
über.... Wenn wir auch daran festhalten, dass bei völlig
normalem Körperzustande keine Bakterien ins Blut übertreten,
so müssen wir doch annehmen, dass die geringste auf Infek¬
tion beruhende Indisposition des Körpers, welche zu lokalen
Ansammlungen pathogener Bakterien führt, den letzteren Ge¬
legenheit zum Uebertritt ins Blut gibt, und dass es
auch sehr häufig, wahrscheinlich sogar immer, bei
solchen Gelegenheiten zu einem derartigen Uebertritt kommt/'
Für einen direkten Uebertritt der Bakterien in arrodierte Blut¬
gefässe bei der Appendizitis liegen auch histologische Befunde
vor [Brunn 7 8)].
Sollten nun nicht möglicherweise diese von der ulzerierten
Appendixschleimhaut ins Blut gelangenden Bakterien in Zu¬
sammenhang stehen mit der oben erwähnten, noch einer siche¬
ren Erklärung harrenden Immunisierung bezw. erhöhten Re¬
sistenz des Peritoneums im Frühstadium der Appendizitis?
Ich stellte zur Beantwortung dieser Frage eine grössere Zahl
von Versuchen s) am Kaninchen an und konnte feststellen,
dass das Peritoneum im normalen Zustand für
im Blute kreisende Bakterien undurchgängig
ist. Eine Invasion der Bakterien setzt erst
ein mit dem Eintritt schwerer Sepsis. Ganz
an d € r s verhält sich das im Reizzustande be¬
findliche Peritoneum. 30 — 40 Minuten nach Injektion
der Bakterien in die Blutbahn waren diese in der
Bauchhöhle nachzuweisen, wenn das Peri-
4) Canon: Bakteriologie des Blutes. Verlag Fischer. Jena
1906.
5) .1 e n s e n: Langenbecks Archiv, Bd. 69 u. 70.
°) 1. c.
T) v. Brunn: Beitr. z. klin. Chir., Bd. 42.
8) Pie ausführliche Darstellung der Versuche erfolgt gemeinsam
mit den die anderen serösen Häute betreffenden Experimenten in
Bruns Beitr. z. klin. Chir., Bd. 55.
! t o n e u m 20 Minuten vor der intravenösen Injektion der Bak¬
terien durch Einspritzung einiger Kubikzentimeter steriler
Bouillon — in einigen Fällen genügten sogar physiologische
Kochsalzlösung — in einen geringen Reizzustand
versetzt worden war.
Diesen experimentellen Nachweis der ausserordent¬
lich raschen Invasion von im Blute kreisen¬
den Bakterien in die in einem leichten Reiz¬
zustande befindliche Bauchhöhle möchte ich für
die Erklärung der erhöhten Resistenz des Peritoneums heran¬
ziehen. Ich stelle mir den Vorgang so vor, dass von der ulze¬
rierten Schleimhaut der Appendix kontinuierlich Bakterien in
die Blutbahn gelangen. Lokal führen die Bakterien und ihre
Stoffwechselprodukte zu einer Lymphangitis im Peritoneal¬
gebiet der Appendix und ihres Mesenteriolums, was sich
durch Hyperämie, stärkere Gefässinjektion, Spannung und
Dehnung der Serosa etc. makroskopisch kundgibt. Die im
Blute kreisenden Bakterien kommen in der Gegend des peri¬
tonealen Reizes zur Invasion, sie dringen, wie es nach den
heutigen Anschauungen der allgemeinen Pathologie auch ganz
natürlich erscheint, an der Stelle des Reizes, dem locus
minoris resistentiae in die Bauchhöhle ein. Sie ver¬
breiten sich, worauf ich schon in einer früheren Arbeit9) hin¬
gewiesen habe, sehr rasch über die grosse Oberfläche des
Peritoneums, das nun durch Absonderung des serösen Ex¬
sudates oder durch Leukozytose reagiert und zunächst der im
Verhältnis zur weiten Peritonealfläche geringen Bakterien¬
mengen leicht Herr wird. Das Peritoneum befindet
sich damit im Zustande der Pseudoimmunität,
der erhöhten Resistenz.
Vielleicht lässt sich auf diese Weise auch die so häufige,
diffuse peritonealeReizung im Anfangsstadium der Appendizitis
erklären. Versucht wäre man auch dabei an eine spezifische
Immunisierung zu denken, doch lehrt uns die Immunitäts¬
forschung, dass, da der Organismus die spezifischen Schutz¬
stoffe selbst produzieren muss, bis zum Eintritt der spezifischen
Immunität immer 5 — 10 Tage vergehen. Ich glaube also, dass
die Erhöhung der Resistenz des Peritoneums
auf hämatogenem Wege vor sich geht. Ein Beweis
für einen derartigen Vorgang in der Pathologie ist in absolut
exakter Weise kaum zu erbringen. Die Anschauungen, die
in dieser Frage bisher Boden gewonnen haben, basieren auch
nur auf theoretischen Erwägungen und experimentellen Ergeb¬
nissen, die sich auf die Wirkung von Bakterientoxinen be¬
ziehen.
Nachdem wir aber durch die Forschungen der letzten
Jahre wissen, wie fälschlicherweise die Bakteriologie des
Blutes früher unbeachtet blieb und wie ungeahnt häufig das
Blut als Transportmittel für Infektionskeime dient, glaube ich
die Ergebnisse meiner Versuche, die dem Blutwege in der vor¬
liegenden Frage eine gewisse Bedeutung zuweisen, zur Er¬
klärung der Frage verwerten zu dürfen.
Aus der Prosektur des Krankenhauses München r. d. J. (Privat¬
dozent Dr. Oberndorfer).
Appendizitis und Appendixkarzinom.
Von Dr. C. E. Brandts, Assistent.
Ueber die, Ursachen der Appendizitis hat sich eine ge¬
waltige Literatur angehäuft. Neben der mehr oder weniger
auch heute noch zu Recht bestehenden älteren Anschauung,
dass Fremdkörper — ich erinnere nur an die Perforation der
Appendix durch Nadeln usw. — und Kotstauung die Entzündung
des Wurmfortsatzes bewirken, ist man heute der Uefierzeu-
gung, dass Infektionserreger die Ursache der Appendizitis sind.
Die einen schreiben der direkten Wirkung der Bakterien auf
intestinalem Wege die Schädigung der Schleimhaut in Form
der akuten nekrotisierenden Entzündung zu (Asch off), die
anderen, wie Adrian, dem sich neuerdings mit grösserem
Material Kretz angeschlossen hat, führen die akute Appen¬
dizitis auf embolische Verschleppung der Bakterien in die Sub¬
mukosa bezw. in die Follikel bei anderswo im Körper bestehen¬
den Infektionsherden, besonders bei Angina, zurück; wieder
andere, wie R i b b e r t und Oberndorfer glauben, dass
9) Peiser: Beitr. z. klin. Chir., Bd. 51, p. 681.
die Bakterien die intakte Schleimhaut passieren und die Ent
Zündung der Submukosa zuerst verursachen; in letzterem ball
handle es sich hauptsächlich um die chronischen Formen.
Auch Parasiten des Darms können manchmal von einiger
Bedeutung sein, so vor allem Oxyuris vermiculans und 1 richo-
cephalus trichiurus. Dieselben können durch ihre beständige
Bewegung einen Reiz hervorrufen oder kleine Wunden
schaffen, die dann das Eindringen der Bakterien fordern.
Durch die wohl einwandsfreien Arbeiten von O. Wagner
wissen wir, dass die Parasiten in die Darmwand bezw. in die
Follikel eindringen und eventuell dort verkalken können. Auen
Askariseier sind mehrfach als Ursache akuter Wurmfortsatz-
entzündung beobachtet worden. Wir selbst fanden in -Fallen
der uns von der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses
r. d. I. von Herrn Hofrat Dr. Brunner im Jahre 1905 zur
Untersuchung übersandten exzidierten Wurmfortsätze einmal
2 Weibchen, und einmal 1 Männchen und 1 Weibchen von
Oxyuris vermicularis, wobei die Schleimhaut an ihrer Lagei-
stätte gerötet war. Der mikroskopische Befund ergab Hyper¬
ämie, Follikelschiwellung und oberflächlichen Substanzverlust
mit leichter Infiltration.
Wohl am wenigsten sind die Beziehungen des Karzinoms
zur Appendizitis bekannt. Sind ja doch erst relativ wenige
Fälle über das primäre Karzinom des Wurmfortsatzes in der
Literatur zu finden. Borst erwähnt in seiner Geschwulst ehre,
in der er die Häufigkeit der einzelnen Organe an Krebserkran¬
kung aufzählt, die Appendix nicht. Der Grund hierfür durfte
vielleicht darin zu finden sein, dass das Karzinom des Wurm¬
fortsatzes meist nur sehr geringe Ausdehnung erlangt, manch¬
mal nur in Form eines kleinen Knötchens zu beobachten ist, das
dann leicht übersehen werden kann; dann aber auch, dass die
exstirpierten Wurmfortsätze als exstirpiert betrachtet und hau-
fD nicht des Genaueren untersucht werden. Hessberg gibt
in seiner Dissertationsarbeit über Karzinom des Proc. vermit.
einen Ueberblick von 14 Fällen aus der Literatur, von denen
mehrere Ursache der Appendizitis waren, während die übrigen
erst bei der Sektion gefunden wurden. Diesen möchte ich noch
kurz einige neuere Fälle beifügen.
Ausser den in obiger Arbeit erwähnten 2 Fällen von L c -
t u 1 1 e und Weinberg berichteten diese im Jahre 1903 von
2 weiteren Fällen von chronischer Appendizitis mit Karzinom
des Wurmfortsatzes. Neri beschreibt ein beginnendes Kar¬
zinom der Schleimhaut und Submukosa eines Proc. vermit.,
der wegen chronischer Entzündung bei einem 29 Jahre alten
Patienten entfernt wurde; J e s s u p ein Adenokarzinom des bei
einer gynäkologischen Operation „gestohlenen Wurms,
N o r r i s ein Adenokarzinom mit Uebergang in Szirrhus.. Fer¬
ner stellte Becker im Rostocker Aerzteverein 1906 ein pri¬
märes Karzinom der Appendix eines 18 jährigen Mannes vor,
das zufällig in einer wegen chronischer Beschwerden exzidier¬
ten Appendix gefunden wurde. Th. Landau erwähnt in der
Berliner med. Geselschaft, Sitzung vom 14. November 1906, bei
der Vorstellung einer 33 jährigen Frau, der bei einei Laparo¬
tomie der am distalen Ende knopfartig verdickte, z. T. ge¬
knickte und adhärente Wurmfortsatz mitentfernt wuide ■
mikroskopische Untersuchung ergab ein Kaizinom — , noch
weitere 58 Fälle von Appendixkarzinomen aus der Literatur,
die zum grössten Teil wegen Appendizitis entfernt wurden.
Das primäre Karzinom des Proz. vermif. ist also nach der
Literatur durchaus nichts so Seltenes und in der Mehrzahl dei
Fälle waren seine klinischen Erscheinungen die einer Appendi¬
zitis. Am meisten scheint das jugendliche Alter bevorzugt zu
sein, wenigstens finden sich unter den mitgeteilten Fällen aut-
f allen d viele jugendliche Individuen, jedenfalls wesentlich mehr
als bei Karzinomen anderer Organe; doch lässt sich fiii die
sog. Altersdisposition keine bestimmte Norm aufstellen, da
der jüngste Patient 8 Jahre, der älteste 81 Jahre zählte. Was
den Sitz des Karzinoms in der Appendix anbelangt, so ist
meistens das distale Ende, das als obliteriert erscheint, bevoi-
zugt; doch kommt es auch im übrigen Teil und am proximalen
Ende vor. In letzteren Fällen liegen die vielfach äusserst klei¬
nen Neubildungen häufig zum grössten T eil in der Submukosa
und sind makroskopisch in der Schleimhaut entweder gai nicht
zu sehen oder ragen als kleine Prominenz in das Lumen voi ,
diese ist dann manchmal oberflächlich ulzeriert. Die Alt des
Karzinoms ist bald ein Adenokarzinom, bald ein Skirrhus oder
Gallertkrebs, meist ohne zu metastasieren.
Zur Kasuistik möchte ich nun in folgendem 2 Falle von pri¬
märem Karzinom des Proc. vermif. beifügen, die uns mit dei
Diagnose Appendizitis von Herrn Hofrat Dr. Br unner im
Jahre 1905 überwiesen wurden. Sie dürften vielleicht wegen
der Seltenheit und wegen ihrer Krankengeschichte einiges
Interesse erwecken. . , , . „
Den Krankengeschichten (Dr. W a 1 l n e r) entnehme ich folgen¬
des: Krankenjournal 3450/1905. Anamn.: Z. P., 8 Jahre alt. Auf-
!'ehe Patient wunde vorm. 12 Uhr am 28. VI. 05 durch die Sanitäts-
kolonne mit der Diagnose Appendizitis zur Operation vom Arzt
hereingeschickt. Gibt an. am 6. IV. 05 mit Schmerzen in der rechten
seitlichen unteren Bauchgegend erkrankt zu sein unter Ficbor
Appetitlosigkeit, starker Verstopfung und aufgetriebenem Leib. Nach
sechswöchentlichem Liegen zu Hause besuchte er 10 läge Urig die
Schule und erkrankte 'dann neuerdings unter den gleichen Erschei¬
nungen, doch befand er sich bald wieder besser. Seit 24 VI 05
neuerdings Rückfall mit Fieber, aufgetriebenem Leib Erbrechen,
starken Schmerzen, namentlich in der rechten seitlichen Bauchgegend,
Appetitlosigkeit und Verstopfung. _ ‘ . , . _
Status zur Zeit der Aufnahme: Kleiner, mittelkraftig gebauter
Juno-e in mittlerem Ernährungszustand, mit mittlerer Muskulatur,
bleicher Haut und geröteter Gesichtsfarbe. m5++*ii,rsfti<r
Herzfigur nicht verbreitert. Töne rein. Puls HO, miLelkraftu,
regelmässig. Abdomen aufgetrieben, Druck namentlich in der lleo-
zoekalgegend schmerzhaft. In der rechten Unterbauchgegend den -
liehe, mehr als gänseeigrosse Resistenz zu fühlen Perkussionsschall
darüber gedämpft An den Bauchdecken keine Schwellung keine ent¬
zündliche Rötung. Temperatur 38,2°. Diagnose: Appendicitis sub-
aCUtain Chloroformnarkose wird inzidiert. Es zeigt sich der Dunn-
und Dickdarm untereinander in ganzer Ausdehnung in der Regio ileo-
coecalis mit fibrösen Auflagerungen bedeckt, durch tibrose Spangen
miteinander zu einem Konvolut verwachsen. Nach Losung der Ver¬
wachsungen sieht man zwischen den Schlingen, dass Zoekurn und
Wurmfortsatz fest verbacken sind. Wurm, sehr lang, zeigt eine Per¬
foration, distal von derselben eine kleine Auftreibung. Entfernung des
Wurms, Versenkung des Stumpfes, Bauchetagennaht. Verband.
Heilungsverlauf ungestört. Patient wird am o. VIII. 05 ad med.
ext. entlassen^ . s c h . p a t h 0 , 0 * i s c h e U „ t e r su c h . u n . g : Der
Wurm ist etwa 6 cm lang. Das Lumen des proximalen Teiles massig
weit, gut durchgängig. Etwa in der Mitte kommt man auf eine ktei ,
ca. pfefferkorngrosse, mässig derbe, gelbweisse, knötchenartige Pro¬
minenz, die anscheinend mit der Schleimhaut im Zusammenhang steht
und das Lumen nahezu vollständig obliteriert. Hart hinter dieser,
also distal, findet sich die Schleimhaut etwa 3 mm ulzeriert von gelb¬
brauner, schmutziger Farbe, sämtliche Wandschichten perforiert.
Weiter distal neben der Perforation findet sich ein graugelbes ovoides
( 7 : 2'Va mm) der Längsrichtung des Wurms entsprechendes, spul¬
förmiges, weiches Konkrement — der distal gelegenen, oben er¬
wähnten Auftreibung entsprechend. Das Lumen von hier ab bis zum
distalen Ende wieder mässig weit. ,, ...
Das Knötchen wurde nach der makroskopischen Betrachtung für
einen Tuberkel gehalten: wir waren daher sehr überrascht, als wn
folgenden mikroskopischen Befund erhoben. Bei schwacher Vei-
grösserung sieht man, dass die Stenose des Lumens durch eine ^ein¬
seitige Verdickung der Submukosa und Mukosa durch Infiltration mit
Fpithelziigen bedingt ist. Das ganze Knötchen hat die borrn eines ab¬
gestumpften Kegels Die Schleimhaut ist in der Mitte der Prominenz
zu Verlust gegangen und mit epithelialen Zugen infiltriert proxima
hiervon ist die Schleimhaut intakt, aber unterminiert von den Krebs¬
massen der Submukosa: die Drüsen der Mukosa hier s<rh™f f ^ £
offenbar komprimiert durch die unter ihr hegenden Krebsmassen d e
auch in die Drüsenschicht selbst hmeinwuchern. Gegen die Per¬
foration zu an der distalen Seite fehlt die Schleimhaut und es zeigt
sich neben nicht deutlichen Follikeln starke Rundzelleninfilti ation.
Die Epithelmassen treten bald in Form zyhndrischer Strange vc
ungleicher Dicke auf, bald in Form ovaler oder rundlicher namen.
Die dem Stroma anliegenden äussersten Zellen sind zylindrisch odei
kubisch. Zwischen den Zellmassen finden sich Andeutungen von Fo -
likeln in Form von lymphoidzelhgen Haufen offenbar / '
Hekeln Am Rand der Neubildung sind deutliche, grosse Lympn
follikei deren erweiterte Lymphräume von Epithelien ‘ ausgeiuU . smjL
Das zwischen den Epithelzügen hegende Stroma besteh aus derbem
Bindegewebe. Die Muscularis mucosae ist nur noch in Spuren am
Rande zu sehen, die Zeichnung der Submukosa aufgehoben. Nach der
Tiefe und dem Rande zu nehmen die Epithetaassen an Glosse ^ •
Stroma nimmt zu, so dass das Ganze einen mehr skirrhosen Charakter
erlangt, während in den oberen und zentralen Schienten mehr uar
cinoma simplex-Typus besteht. Die Kpithe'massen _sim
inneren Muskelschicht durch eine gefassreiche bindegewebige fernen
abgegrenzt, die mehrfach in die Muskulatur hine^,cp^rler^^ei^t
verdrängt, so dass letztere im allgemeinen verschma ert ersehe .
Die Subserosa verdickt, die Serosa grossenteds abgesto. -
fibrinösen Auflagerungen bedeckt,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
1782
Die distal gelegene Perforationsstelle ergibt die Zeichen einer
akuten nekrotisierenden Entzündung. Das distale Ende, sowie die
proximalen 'Feile des Wurms zeigen keine Verwaschung der Sub¬
mukosaschichten, keine Sklerosierung, keine Zeichen einer perifolliku¬
lären Entzündung.
Mikroskopische Diagnose: Carcinoma solidum mit
sekundärer Perforation der Appendix durch nekrotisierende Ent¬
zündung.
Wir haben also hier die klinischen Symptome lind den
grob anatomischen Befund einer perforierenden Appendizitis,
die histologische Untersuchung ergab proximal der Perfora¬
tionsstelle die Entwicklung eines Karzinoms, welches das
Lumen stenosiert. Folge dieser Stenose war Sekretstauung
(Konkrementbildung), die ihrerseits die für einelnfektion günsti¬
gen Bedingungen schaffen konnte. Somit war das Karzinom
die Hauptursache der perforierenden Appendizitis.
Um einen ähnlichen zufälligen Befund handelt es sich im
Fall II.
Krankenjournal 5171/1905. Anamnese: Q. F., Frater, 35 Jahre.
Bei der Musterung wurde Patient angeblich wegen Leibschaden
und Schwerhörigkeit untauglich befunden.
Bereits vor mehreren Jahren hatte Patient Schmerzen im rechten
Hypochondrium. Vor 2 Jahren wurde er vom Arzt untersucht, an¬
geblich damals Gallensteine. Seitdem habe er öfters Schmerzanfälle
und die Gelbsucht gehabt. Der Stuhl sei weiss gewesen. Vor
14 Tagen habe er wieder starken Anfall gehabt, so dass er die ganze
Woche nicht arbeiten konnte. Der behandelnde Arzt verordnete Sal.
Carol., Ruhe und leichtverdauliche Speisen und wies ihn zur Operation
ins Krankenhaus.
Zu bemerken ist, dass Patient während dieser Jahre auch von
Zeit zu Zeit rechts Schmerzen in der Blinddarmgegend gehabt hat,
die öfters so stark wurden, dass er mehrmals im Bette bleiben und
Morphium nehmen musste.
Status praesens 26. X. 05: Mittelkräftiger Körper mit
namentlich gut entwickelter Muskulatur in etwas reduziertem Er¬
nährungszustand und mit ikterischer Hautfarbe. In der Lebergegend
keine Geschwulst. Druckempfindlichkeit der Gallenblasengegend und
der Gegend des Processus vermiformis.
Urinuntersuchung: Gallenfarbstoff positiv, kein Eiweiss, kein
Zucker. Stuhl: rahmfarben.
31. X. 05. In Chloroformnarkose Incisio obliqua reg. epigastr.
dextr. mit medianer Verschiebung des Muse, rectus. Nach Eröffnung
der Bauchhöhle liegt die Gallenblase in Taubeneigrösse und mässig
gefüllt vor. Die Serosa der Gallenblase leicht injiziert, geschwellt.
In der Gallenblase und im Ductus choledochus kein Stein zu fühlen.
Subseröse Ausschälung der Gallenblase und des Ductus cysticus. Ab¬
bindung, Serosanaht. Ductus choledochus, soweit zu fühlen, ohne
Stein.
Der Processus vermiformis ist ungefähr 8 cm lang nach innen
und oben geschlagen, an der Spitze kolbig verdickt, anscheinend dort-
selbst narbig induriert, mit vereinzelten Spangen bedeckt.
Ablatio proc. vermif. Einstülpung, Bauchhautnaht.
7. XI. Verbandwechsel, Entfernung der Nähte. Wunde geheilt.
Ikterus geschwunden, Stuhl gut gefärbt. Urin ohne Gallenfarbstoff.
Patient verlässt am 2. XII. geheilt das Krankenhaus.
Anatomisch-pathologische Untersuchung des Wurmfortsatzes er¬
gibt: Am distalen Ende des Wurmfortsatzes findet sich ein ca. linsen¬
grosses Knötchen von gelbbrauner Farbe, welches der Schleimhaut
anzugehören scheint und das Lumen vollständig verschliesst. Im
übrigen die Schleimhaut gequollen, von punktförmigen Blutungen
durchsetzt.
Mikroskopischer Befund: Das distal gelegene Knöt¬
chen hat ebenfalls auf dem Schnitt wie Fall I die Form eines ab¬
gestumpften Kegels und infiltriert Submukosa und Mukosa. An der
Spitze des Knötchens noch vereinzelte Drüsen. Das ganze Knötchen
zeigt zahlreiche kleinere und grössere — doch überwiegen die ersteren
— epitheliale Züge, die in einem derben Stroma liegen, das zum Teil
noch lymphoide Zellen, zum Teil selbst einige Follikel einschliesst.
Die Züge sind meist solid, doch sind in der Submukosa die Zellen
teilweise noch radiär gestellt und bilden so drüsige Formationen mit
deutlichem Lumen. Die äusseren Muskelschichten sind wie Sub¬
mukosa und Mukosa nur in geringerer Stärke von Epithelzügen durch¬
setzt; dieSuibserosa ist verbreitert, mit reichlichen elastischen Fasern:
an einer Stelle in der Nähe grösserer, in die Appendixmuskulatur
eindringender Gefässe ein ungefähr stecknadelkopfgrosser Knoten,
der sich aus zahlreichen Epithelinseln in derbem Stroma zusammen¬
setzt.
Stücke aus dem übrigen Teil des Wurms zeigen hochgradige
Verdickung der Submukosa und reichliche Wucherung von Fett¬
gewebe.
Mikroskopische Diagnose: Skirrhus mit Andeutung
von Adenokarzinom, j
Die Untersuchung der Gallenblase ergibt den Zustand der Chole¬
cystitis chronica.
Auch hier war das Karzinom die Ursache der bestehen¬
den klinisch diagnostizierten chronischen Appendizitis.
Beide Patienten sind völlig genesen. Rezidive oder Meta¬
stasen traten bei keinem auf. Es dürften wohl diese Befunde
bei der strittigen Frage, ob Operation oder nicht im appendi-
zitischen Anfall, mit ein Beweisgrund für die Vornahme des
operativen Eingriffs sein und auch eine Entfernung der Appen¬
dix bei Laparotomie, die wegen anderer Erkrankungen vor-
genommen wird, insofern das Befinden der Patienten es zu¬
lässt, rätlich erscheinen lassen; denn es kommen, wie
unsere Fälle zeigten, und wie aus der Literatur zu sehen
ist, maligne Neubildungen in der Appendix nicht so sehr selten
vor; ihre Zahl wäre wahrscheinlich noch viel grösser, wenn
jede operierte Appendix systematisch untersucht würde. Die
Karzinome der Appendix können, wie aus Vorstehendem er¬
sichtlich ist, völlig latent längere Zeit verlaufen und sich so der
klinischen Beobachtung entziehen.
Literatur:
E. Peiper: Tierische Parasiten. Lubarsch-Ostertag. IX. Jahrg.
1903, II. — Weinberg: Russische Literatur. Lubarsch-Ostertag.
X. Jahrg. 1904/05. — H. Succhanek: Pathologie der Atmungs¬
organe. Lubarsch-Ostertag. X. Jahrg. 1905. — Bruno G a 1 1 i - V a -
lerio: Sur un cas d’appendicite avec Oxyuris vermic. et Trichoce-
phalus trichiuries. Zentralbl. f. Bakt. 1903. 34. Bd. — O. Wagner:
Oxyuris vermic. Virchows Archiv. 182, Heft I. — Edens: Ueber
Oxyuris vermic. Zentralbl. f. Bakt. Bd. XL., Heft 4. — Hoppe-
Seyler: Ueber Erkrankungen des Wurmfortsatzes bei chronischen
Amöbenenteritis. Münch, med. Wochenschr. 1904, No. 15. —
Schul tes: Ueber Influenza, Appendizitis und ihre Beziehung zu
einander. Deutsche med. Wochenschr. 1903, Bd. 42. — Referate:
Path. Zentralbl. 1903 Bd. 14. 1905 Bd. 15. 1906 Bd. 16. — R e f e r a t e:
Münch, med. Wochenschr. 1903: S. 434. S. 1008, S. 2067. 1904: S. 1309,
1483, 1523, 1755, 978. 1906: S. 370, 1942, 1383, 2326. — R. Kretz:
Untersuchungen über die Aetiologie der ApDendizitis (Annendizitis
und Angina). Verhandl. d. deutschen pathol. Gesellsch. 1936.
Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München (Prof.
M. Pfaundler).
Hämolysiert die Frauenmilch?
Von Dr. Georg Frey. Volontärassistenten der Klinik.
In zwei Publikationen (,,Alcune ricerche sulla emolisi nei
Bambini“; Estratto dal volume pubblicato in occasione del Giu-
bileo clinico del Prof. Comm.-A. Riva und: „Sul potere emo-
litico del siero del latte di donna“; La Pediatria 1905, S. 488)
berichtet C a 1 1 a n e o über Versuche betreffend die hämo¬
lytische Wirkung von menschlichem Blutserum, Frauenmilch
und anderen Körperflüssigkeiten. Es schien uns insbesonders
von Bedeutung, dass nach Cattaneo die Frauenmilch eine
ausgesprochene hämolytische Wirkung auf menschliche Blut¬
körperchen ausübt. Dieses Ergebnis von Cattaneos For¬
schung steht im Widerspruch zu Befunden, welche an obiger
Klinik jüngst erhoben wurden und über welche Pfaundler
und Moro .demnächst an anderem Orte1) zu berichten ge¬
denken. Ich unternahm es daher, die Versuche Cattaneos
nachzuprüfen.
Der Autor bediente sich, wie er angibt, zu seinen Llnter-
suchungen der ,, klassischen Methode Maraglianos“ und
hatte die Liebenswürdigkeit, uns brieflich zu berichten, wel¬
ches das von ihm so genannte Vorgehen zum Nachweise hämo¬
lytischer Wirkung in Körperflüssigkeiten war. Es wird hier¬
bei 1 emm frisches Blut mit 1 ccm der auf Hämolysin zu prü¬
fenden Flüssigkeit versetzt und das Gemenge für 5 — 24 Stun¬
den ") in den Brutschrank gebracht; bei der ganzen Prozedur
ist nach Tunlichkeit aseptisch vorzugehen. Cattaneo be¬
stimmt vor und nach der Bebrütung die Zahl der Erythrozyten
im Gemenge und bemisst das hämolytische Vermögen der zu¬
gesetzten Flüssigkeit nach der Anzahl der am Ende des Ver¬
suches verschwundenen (aufgelösten) Blutkörperchen in Pro¬
zenten der ursprünglich vorhandenen Menge. Wenn nach Ab¬
lauf von Stunden oder Tagen eine Verminderung der Erythro-
zytenzahl statthatte, spricht Cattaneo bei den mit Serum,
Urin etc. angesetzten Proben (I. Mitteilung) von „autolytischem“
oder „isolytischem“ Vermögen der angewandten Flüssigkeit, je
nachdem Blutkörperchen und Zusatzflüssigkeit von demselben
U Zeitschrift für exper. Pathologie und. Theranie 1907.
2) In den Milchversuchen (2. Mitteilung) dauerte die Bebrütung
6 Stunden.
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1783
Individuum oder von zwei verschiedenen Individuen stamm¬
ten bei den mit Frauenmilch angesetzten Proben Ul. Mit¬
teilung) von „Isolyse“ oder „Heterolyse“, je nachdem
das Blut von dem eigenen Kinde der milchhefernden
Person oder einem ihr fremden Kinde herrührte. Be¬
sonders auffallend erschien uns Cattaneos Angabe, dass
in der Mehrzahl der Fälle das Blutserum gesunder
und mehr oder weniger schwer erkrankter Kinder eine be¬
trächtliche lytische Wirkung auf die eigenen Erythrozyten habe,
da ja ein solches autohämolytisches Vermögen des Blutserums
ijm Organismus selbst voraussichtlich zu den schwersten Er¬
scheinungen führen müsste. Auch der Umstand, dass Cat -
taneo leicht Hämolyse durch Frauenmilch erzielen konnte,
liess uns daran denken, dass seine Methodik nicht allen zu
stellenden Anforderungen gerecht wird.
In der Tat entfernt sich die von Cattaneo angewandte
Methodik wesentlich von dem im Pasteurschen und im
Ehr lieh sehen Institute gebräuchlichen Verfahren; und zwar
erstens dadurch, dass ungewaschene Blutkörperchen ver¬
wendet werden (also Blutplasma in jedem Falle beigemeng
bleibt) ferner dadurch, dass die Beobachtung durch mehr als
zwei ja bis zu 36 Stunden in der Brutwärme fortgesetzt wird
Es liegt ausserordentlich nahe, zu vermuten, dass hiedurch
bakterielle Zersetzungen und Bakteriohämolyse zustande kom¬
men welche eine echte Biohämolyse durch die Körpeiflussig-
keiten Vortäuschen. Cattaneo selbst hatte dieses Bedenken
in Betracht gezogen, glaubt aber, dass sein skrupulös asepti¬
sches Vorgehen eine Verunreinigung ausschhesse, und tum t
auch an, dass Fäulnisprozesse nach Experimenten von P a n -
zacchi die Hämolyse nicht merklich beeinflussen.
Dessenungeachtet sind wir der Ansicht, dass das positive
Ergebnis mit dem isohomologen Serum, sowie jenes mit der
Milch in Cattaneos Versuchen durchaus auf Bakterien¬
wirkung beruht und glauben dies durch unsere Nach¬
prüfung dartun zu können. Wir gingen wie folgt vor: Rote
Blutkörperchen, vom normalen Erwachsenen stammend, wur¬
den in der üblichen Art mit physiologischer Kochsalzlosung
wiederholt und sorgfältig gewaschen und in frischer 5 pro¬
zentiger Emulsion verwendet. Die Frauenmilch wurde gleich¬
falls stets in frischestem Zustande (sogleich nach der Ent¬
leerung) angewandt. Die angesetzten Proben wurden nach
zweistündigem Aufenthalte im Brutofen makroskopisch auf Hä¬
molyse geprüft.
V e r s u c h 1 : 0,5 ccm Frauenmilch -f- 0,1 ccm Erythro¬
zytenemulsion
Versuch II: 0.5 ccm Frauenmilch durch sehr ener¬
gische Zentrifugierung entrahmt -j- 0,1 ccm
Ervthrozvtenemulsion
Versuch III : 0,5 ccm Frauenmilch gekocht -f 0,1 ccm
Erythrozytenemulsion
Kontrolle: 0,5 ccm physiologischer Kochsalzlosung
4- 0,1 ccm Erythrozytenemulsion
Nach 6 stündigem Verweilen der Proben im Brutschrank
zeigte sich überall Hämolyse, auch in der Kontrolle die mit
steriler physiologischer Kochsalzlösung versetzt worden war.
Am stärksten fand sich die mit entrahmter Milch versetzte
Probe hämolysiert, am schwächsten jene mit gekochter Much.
In sämtlichen Proben fanden sich zahllose Bakterien ver¬
schiedener Art in der Flüssigkeit trotz des auch von meiner
Seite befolgten peinlich aseptischen Vorgehens; dies kann auch
nicht wundernehmen, da die Gewinnung einer vollständig s e-
rilen Frauenmilch wie einer brauchbaren Erythrozytenemulsion
wohl nur ausnahmsweise gelingen wird, und auch bei den ver¬
schiedenen nötigen Manipulationen das Hineingelangen ein¬
zelner verunreinigender Kerne, die dann in der Brutwärme sic l
rasch vermehren, kaum zu vermeiden ist. Die von C a t tan e o
und uns gleicherweise gemachte Beobachtung, dass die Hämo¬
lyse erst nach Ablauf einer gewissen Bebrütungsdauer einsetzt
und dann rasche Fortschritte macht, ist wohl nur mit der An¬
nahme einer Bakterienwirkung in Einklang zu bringen.
Es scheint uns durch diese Versuche festgestellt, dass
der Frauenmilch entgegen Cattaneos Angaben d l e
Fähigkeit zur Hämolyse von Menschenblut¬
körperchen (im Sinne B o r d e t s und E h r 1 i c h s) n l c h t
z u k o m m t. Zu erwägen bleibt, ob die Hämolyse unter den
angegebenen Bedingungen ausbleibt, weil die Frauenmilch w e
Nach 2 u. 3
Stunden in
sämtlichen
Proben keine
Spur von
Hämolvse
bemerkbar.
der geeignete Zwischenkörper noch Komplemente enthält, oder
ob es ihr nur an einem der beiden wirksamen Faktoren fehlt,
oder sie als Medium oder durch einen besonderen Bestandteil,
etwa komplexe Antikomplemente, eine die Hämolyse hem¬
mende Wirkung entfaltet.
Aus der Aussenstation Kaiserslautern der Kgl. bakterio¬
logischen Untersuchungsstation Landau (Pfalz) (Leiter: Stabs¬
arzt Dr. Georg Mayer).
Formaldehyd-Kalkverfahren zur Raumdesinfektion.
Von Oberarzt Dr. Huber und Dr. Bickel, Hilfsärzten der
Aussenstation.
Vorläufige Mitteilung.
Bei Versuchen, welche auf Veranlassung des Leiters der
Aussenstation über Vereinfachung der bestehenden Vei fahren
zur Raumdesinfektion mit Formaldehyd gemacht wurden, er¬
gab sich als einfachste Methode ein F o r m aldehyd-
Kalk- Verfahren, welches in folgendem kurz geschildert
werden soll.
Nach Vorversuchen wurden für 50 cbm Raum genommen:
3 Liter Form aldehyd,
3 kg frisch gebrannter Kalk,
9 Liter siedend heisses Wass er.
Der zu desinfizierende Raum wird in üblicher Weise ab¬
gedichtet.
In ein Holz- oder Blechgefäss von ungefähr 80 Liter In¬
halt wird obige Mischung gegeben, und zwar zuerst Kalk, dann
Wasser, dann Formaldehyd. Nach wenigen Minuten löscht sich
der Kalk unter lebhaftem Aufbrausen; während sich ein
Teil des Formaldehyd mit dem Kalk bindet, entweicht der
Rest und dazu Wasserdampf. Der Raum füllt sich rasch mit
undurchsichtigem Nebel, aus welchem sich alsbald reichlich
Feuchtigkeit niederschlägt.
Die Dauer der Einwirkung betrage 6 Stunden; alsdann
ist nach unseren bisherigen Versuchen eine Wirkung vor¬
handen, entsprechend der Wirkung von Autan, von welchem
auch die an hiesiger Station ausgeführten Versuche ergaben,
dass es die Desinfektionskraft der bisherigen Sprayapparate
noch nicht erreicht.
Man kann nun wie bei den bisherigen Formaldehydver¬
fahren eine Bindung mit Ammoniak herbeiführen zum Zv ecke
der rascheren Gebrauchsfähigkeit des Raumes; hiezu schiebt
man in den desinfizierten Raum ein Gefäss von ungefähr 25 Litei
Inhalt, beschickt mit 1kg frisch gebranntem Kalk, 3% Liter
siedend heissem Wasser, Y* Liter Ammoniak. Nach 14 Stunde
kann gelüftet werden.
Die Kalkrückstände könnten zur Desinfektion von Stühlen,
Abortgruben, zum Wandanstrich etc. benutzt werden.
Zusätze von Kaliumpermanganat, N a t i i u m -
Superoxyd und ähnlichen sauerstoffreichen Körpein be¬
schleunigen die Reaktion; ebenso lassen sich mit diesen Ver¬
bindungen Formaldehyddämpfe entwickeln, wie kürzlich für
Kaliumpermanganat von Dörr und Raubits chek (Wiener
klin. Wochenschr. No. 24, 1907) beschrieben und an hiesige i
Station für Natriumsuperoxyd festgestellt wurde.
Ueber die Verwendbarkeit letzterer Körper für sich allein
sowie über Kombinationen mit dem Kalkverfahren und deren
eventuelle Zweckmässigkeit wird in der an anderem Oit er¬
scheinenden ausführlichen Arbeit berichtet weiden.
Das angegebene Formaldehyd -Kalk-Verf ah i e n
würde für 50 cbm Raum kosten: 31 technisches Farmaldehyd
Mk. 3.60, 3 kg Kalk 9 Pf., in Summa Mk. 3.69. Die Ammoniak¬
entwicklung ist wie bei den anderen Verfahren nicht unbedingt
nötig, die Mehrkosten würden 13 Pf. betragen.
Das Formaldehyd-Kalk-Verfahren konnte
nach entsprechender Anleitung in jeder Art von Raum ausge¬
führt werden; es wäre einfach, ungefährlich und Verhältnis
Statt flüssigem Formaldehyd lassen sich auch Formalin¬
pastillen verwenden, allerdings mit Verteuerung des Verfahrens.
Das Formaldehyd-Kalk-Verfahren wurde sich dort zu
Verwendung eignen, wo Sprayapparate aus äusseren Grunde
(Feuergefährlichkeit u. a.) nicht anwendbar sind.
1784
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Aus der Chirurg. Klinik in Basel (Vorsteher: Prof. W i 1 m s).
Beitrag zur Herzchirurgie.
Von Dr. H a n s Meerwein, Assistenzarzt.
In den ausführlichen kasuistischen Zusammenstellungen
von Stewart1), Borchardt2 3), Tschernia-
c h o w s k i :i) und Guibal4 * *), in welchen mit Einschluss der
seither in der Literatur zerstreut erschienenen Mitteilungen
(Sultan0), Q o e b e 1 ") u. a.) über mehr als 120 verschiedene
Fälle von operativ behandelten Herzverletzungen berichtet
wird, ist nur 1 Fall von Verletzung des Herzohrs erwähnt.
Die Versorgung der Herzwunde geschah bisher in allen
Fällen durch die Naht. In unserem Fall, in dem es sich um
eine Stichverletzung des linken Herzohrs handelte, wurde
die Blutung zum ersten Mal beim Menschen durch Abbin¬
den des Herzohrs gestillt und dadurch ein voller Erfolg er¬
zielt. Die versteckte Lage der Herzohren und die flatternden
Bewegungen der Vorhöfe bringen es mit sich, dass die An¬
legung der Naht mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist.
Als erschwerendes Moment sind noch die dünnen Wandungen
in Betracht zu ziehen, da die Naht das Endokard nicht ver¬
letzen soll. Das Abbinden gelingt rasch und leicht, schont das
Endokard und bringt die Blutung vollständig -zum Stehen.
Im folgenden gebe ich einen Auszug aus der Kranken¬
geschichte:
Der 27 jährige Italiener C. hatte am 24. Juni morgens 2Vz Uhr
bei einer Rauferei mehrere Messerstiche in die linke Thoraxseite er¬
halten. Er hatte sofort starke Atemnot, fiel zu Boden, jedoch ohne
das Bewusstsein zu verlieren. Dann wurde er zu Bett gebracht; er
konnte nur auf der rechten Seite liegen, da jede andere Lage Atemnot
und Unwohlsein verursachte.
Der zugezogene Arzt legte einen Deckverband an und ver-
ordnete Bettruhe. Als im Laufe des Nachmittags das Allgemein¬
befinden beständig schlechter wurde, brachte man den Patienten in
einem Wagen in die chirurgische Klinik, wo er nach mehr als ein-
stiindigem Transport in sehr elendem Zustand ankam.
Beim Eintritt abends 6/4 Uhr war Patient äusserst blass, sehr
ängstlich und aufgeregt; die Atmung oberflächlich, stark beschleunigt
und angestrengt. Die linke Brustseite erschien etwas vorgewölbt.
Im 3. Interkostalraum fingerbreit ausserhalb des linken Sternalrandes
sah man eine 1 cm lange, wenig klaffende, quer verlaufende Stich¬
wunde, aus welcher sich kein Blut entleerte. Im 4. Interkostalraum
befand sich eine kleinere, oberflächliche, ähnliche Wunde. Eine
dritte Stichwunde wurde im 6. Interkostalraum in der linken hinteren
Axillarlinie and eine vierte etwas unterhalb der linken Spina scapulae
gefunden. — Die Herzdämpfung erschien normal; die Töne rein;
abnorme Geräusche wurden nicht beobachtet. Der Puls war regel¬
mässig, sehr klein und weich, zeitweise nur undeutlich fühlbar; seine
Frequenz betrug 120 pro Minute. Links vorne war der Lungenschall
voll und tief, das Atemgeräusch abgeschwächt, während hinten links
eine Dämpfung bis zur Mitte der Skapula und stark abgeschwächtes
Atemgeräusch zu konstatieren war. Die Untersuchung des Abdomens
ergab nichts besonderes.
Die Diagnose wurde in Anbetracht der Lokalisation des
Stiches im 3. linken Interkostalraum, des hochgradigen Angstgefühls
und schlechten Allgemeinzustands, sowie des frequenten und kleinen
Pulses auf eine Verletzung des Herzens gestellt; zugleich wurde auch
angenommen, dass der Stich im 6. linken Interkostalraum in der
hinteren Axillarlinie die Lunge verletzt und zu einem Pneumo- und
Hämothorax geführt habe.
Die Operation (Prof. W i 1 m s) wurde sofort, d. h. zirka
16 Stunden nach der Verletzung in Chloroformäthertropfnarkose vor¬
genommen. Ein Schnitt im 3. Interkostalraum parallel den Rippen
ergibt nach Unterbindung der Mammargefässe und Resektion eines
4 cm langen Stückes der 3. Rippe eine gute Uebersicht. Die Lunge
ist stark kollabiert; in der Pleurahöhle finden sich etwa lVz Liter
fliisigen Blutes. Das Perikard wird inzidiert; in ihm sind ca. 50 ccm
dunklen, flüssigen Blutes enthalten; auf dem parietalen Blatt sieht
man den Einstich, auf dem viszeralen eine weitere Stichverletzung
und zwar in der Gegend des linken Herzohrs. Aus dieser Wunde
quillt unter geringem Druck Blut in wechselnder Menge heraus. Es
gelingt nur schlecht, die Wunde zugänglich zu machen, und bei den
flatternden Bewegungen des Vorhofs wird gar nicht versucht, eine
Naht anzulegen, sondern man zieht das Herzohr mit 2 Kocher-Pinzen
etwas hervor und bindet dann die untere Hälfte samt der Stichwunde
mit einem dicken Zwirnfaden ab, worauf die Blutung steht. Das
M Stewart: Am. journ. of the med. sc. 1904, p. 431.
-) Borchardt: Sammlung klin. Vorträge. N. f. 411/412, 1906.
3) Tscherniachowski: Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 83’
18, 1906.
‘) Guibal: Revue de chir. 1905.
®) Sultan: Bruns Beiträge, Bd. 50, 1906.
') Goebel: Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 79, 1906.
Blut wird aus Herzbeutel und Pleurahöhle soweit .als möglich aus¬
getupft, das parietale Blatt des Perikards wird offen gelassen, die
Pleura parietalis samt Muskulatur über dem Defekt der Inzision mit
Zwirn genäht; fortlaufende Hautn.aht und Kompressionsverband.
Der weitere Verlauf war ein günstiger. An den 2 ersten Tagen
betrug die Temperatur 39; der Puls war klein und weich, 130. Am
3. Tag wurden durch Punktion noch etwa 800 ccm dunklen, flüssigen
Blutes (das sich als steril erwies) aus der linken Pleurahöhle entfernt,
worauf die Atmung freier wurde und sich Patient wohler fühlte. An
den folgenden Tagen fiel die Temperatur langsam bis auf 38° ab;
der Puls schwankte zwischen 110 und 90; das Allgemeinbefinden war
andauernd gut. Am 7. Tag stieg die Morgentemperatur auf 39,9;
durch Punktion wurden jetzt noch 500 ccm eines blutigserösen,
staphylokokkenhaltigen Exsudates aus der linken Pleurahöhle ent¬
fernt, worauf die Temperatur abends auf 37,6 abfiel und nur noch
einmal über 38 0 stieg. Die Pulsfrequenz sank allmählich bis
auf 60; der Puls war anfangs klein und weich, aber regel¬
mässig. In der dritten Woche war Patient vollkommen wohl, hatte
einen ruhigen und kräftigen Puls, der sich auch nicht veränderte,
seitdem Patient mehrere Stunden pro Tag ausser Bett ist und um¬
hergeht.
In der Literatur fand ich nur den Fall von G i u 1 a n 0 7),
er nähte eine Stichverletzung des linken Herzohrs mit Ver¬
letzung der linken Vena coronaria, worauf Heilung eintrat.
Die grosse Seltenheit der Verletzungen der Herzohren
beruht einesteils auf ihrer Kleinheit, andernteils auf ihrer ziem¬
lich geschützten Lage, indem das rechte in der Höhe des
3. Interkostalraums hinter dem Sternum, das linke in der Höhe
des Sternalansatzes des 3. Rippenknorpels liegt (Corning8),
Fischer9) erwähnt in seiner Kasuistik von 319 Fällen
mehrere Verletzungen der Herzohren, die jedoch meistens mit
anderen Wunden kombiniert sind. Die Vorhofsverletzungen
sind überhaupt relativ selten; so berechnet Fischer 8 Proz.,
Z a n e 1 1 i 10) auf 125 Fälle 10 Proz. ; L 0 i s 0 n “) auf 78 Stich¬
verletzungen 7,6 Proz. des rechten und 2,5 Proz. des linken,
auf 94 Schussverletzungen 7,6 Proz. des rechten und 2,1 Proz.
Verletzungen des linken Vorhofs.
Nach L e j a r s 12) sind die Verletzungen der Herzohren
noch gefährlicher als die der Ventrikel, was wohl darauf be¬
ruht, dass die Wunden wegen der dünnen Wandung immer
perforierend sind. N a p a 1 k o w 13) konstatierte, dass die
Stichverletzungen der Herzohren bei Kaninchen nicht stärker
bluten als die der Vorhöfe; doch ist bekannt, dass Vorhofs¬
wunden viel gefährlicher sind als Ventrikelwunden, denn wäh¬
rend bei diesen die Wunde durch Kontraktion der Muskulatur
verkleinert oder zum Verschluss gebracht werden kann, ist
das bei Vorhofswunden nicht der Fall. Guibal14) stellte an
Kaninchen fest, dass die kleinster? Wunden der Vorhöfe den
Tod herbeiführen, sofern nicht genäht wird.
Es lässt sich nicht feststellen, dass die Wunden der Herz¬
ohren andere Symptome hervorrufen als Ventrikel- oder Vor¬
hofswunden. Ueberhaupt ist die Diagnose der Herzver¬
letzung in zahlreichen Fällen so schwierig, dass die speziellere
Diagnose nur vermutungsweise aus der Lokalisation und Rich¬
tung des Einstichs resp. Einschusses zu stellen ist. Haben
wir die Anzeichen innerer Blutung, Verbreiterung der Herz¬
dämpfung, Dyspnoe, Zyanose, Angstzustände und unregel¬
mässigen Puls, alles Zeichen der Herztamponade, dazu noch
eigentümliche, oft gurgelnde, pfeifende oder knisternde Ge¬
räusche, so wird wohl niemand über die Art der Verletzung im
Zweifel sein. Aber diese Symptome sind nicht konstant; in
einer grossen Zahl von Fällen ist die Pleura, oft auch die Lunge
mitverletzt, so dass die innere Blutung der Lungenwunde zu¬
zuschreiben ist. Dann kann auch das durch die Herzwunde
austretende Blut durch das Loch im Perikard abfliessen oder
die Herzdämpfung durch ein Pneumoperikard noch verkleinert
sein. Es gibt Fälle, bei denen die physikalischen Symptome
am Herzen normal sind und doch eine Herzverletzung vor¬
liegt. Der Allgemeinzustand ist in der Regel ein schwerer,
Fälle, wie die von Parlavecchio 15), in dem der Ver-
7) G i u 1 a n 0 : zit. nach Borchardt, Fall 70.
8) Corning: Top. Anatomie 1907.
fl) Fischer: Arch. f. klin. Chir. Bd. 9.
10) Zanetti: zit. nach Guibal.
“) Loison: Rev. de chir. 1899.
12) Lejars: Dringl. Operationen. 1906.
13) Napalkow: zit. nach Zentralbl. f. Chir. 1900.
14) Guibal: 1. c.
15) Parlavecchio: zit. nach Borchardt.
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1785
letzte mit einer Wunde im linken Ventrikel zu küss in das
Spital kam, oder von Sultan 10), bei dem sich trotz per¬
forierender Wunde erst am 5. Tag Zeichen der Herztamponade
einstellten, sind Ausnahmen. Doch tragen gleichzeitige Lun¬
gen- und Pleuraverletzungen dazu bei, den Allgemeinzustand
zu erschweren und die Diagnose unsicher zu machen.
Was den Verlauf anbetrifft, so tritt der Tod in einer
kleinen Zahl von Fällen sofort nach der Herzverletzurug ein;
die Verwundeten sterben nicht, sie sind tot. Andere wiedei -
um etwa ein Drittel, bieten rasch das Bild schwerer Verletzung
dar und gehen vor Eintreffen ärztlicher Hilfe zu gründe. Eine
dritte Gruppe zeigt nach ein bis mehreren Stunden die Zeichen
innerer Blutung und stirbt im Lauf der ersten Tage an Anämie
oder an Herztamponade; das sind die Fälle, von denen durch
chirurgische Hilfe ein grosser Teil gerettet werden kann.
Spontane Heilung soll in ca. 10 Proz. der Fälle eintreten.
Die Therapie, die sich früher auf Kälteapplikation und
ausgiebige Aderlässe beschränkte, ist heutzutage unter allen
Umständen eine chirurgische und auch im Zweifelsfalle wird
die Explorativiinzision, analog der Probelaparotomie, immer
mehr in ihr Recht treten. Allerdings muss man unter pein¬
licher Asepsis vorgehen, denn nur zu häufig wird sonst das
günstige Operationsresultat durch eitrige Perikarditis und I eu-
ritis wieder illusorisch gemacht. Rehn erwähnte auf dem
diesjährigen Chirurgenkongress, dass immer noch 40 I roz. der
Todesursachen infektiöse Prozesse sind.
Zur Freilegung des Herzens wird am meisten der Lappen¬
schnitt mit äusserem Charnier empfohlen; doch haben wir erst
kürzlich wieder bei einer Probeperikardiotomie konstatieren
können, dass man durch den von Wilnas1') bei Herzver¬
letzung zuerst angewandten Interkostalschilitt einen völligen
Ueberblick über das Herz erhält, wobei die Möglichkeit der
raschen Ausführung nicht ausser Betracht gelassen werden
darf Sauerbruch18) hebt mit Recht die Vorzüge des
Unterdruckverfahrens für die Herzchirurgie hervor. Die
Pneumothoraxgefahr fällt weg, durch Erschlaffung der Herz¬
wand wird die Anlegung der Naht erleichtert und es lasst sich
vor Schluss der äusseren Wunde ein ev. vorhandener T neumo-
thorax durch Erhöhung des Minusdruckes beseitigen, wodurch
die Infektionsgefahr der Pleurahöhle wesentlich verringert
wird. Auch er empfiehlt den Interkostalschnitt.
Der Verschluss der Herzwunde geschieht durch Knopf¬
nähte mit Seide, resp. Zwirn oder mit Katgut. Die dünnen
Wandungen sind bei Wunden der Herzohren und der Voinote
in Rechnung zu ziehen. So sah sich auch Giordano )
genötigt, das parietale Perikard gleichzeitig mit öci Voi hots¬
wunde zu nähen, um eine solidere Narbe zu erhalten. Bei
nachträglicher Durchsicht der Literatur fanden wir auch, dass
V i 1 1 a r s 20) auf Grund experimenteller Studien für Vorhots¬
wunden die Ligatur empfohlen hat, doch wurde dieselbe bisher
beim Menschen noch nie ausgeführt.
Auch E 1 s b e r g 21) hat an Tieren Herzohren und Teile der
Vorhöfe mit günstigem Resultat abgebunden. In unserem hall
gelang die Ligatur ohne Mühe und hatte vollen Ei folg, sodass
man sie bei der leichten Ausführung für ähnliche Fälle
empfehlen kann.
Das eröffnete Perikard kann offen gelassen oder genäht
werden; Drainage ist nur anzuwenden, wenn man Grund hat,
eine Infektion befürchten zu müssen; auch die Drainage der
Pleurahöhle ist bei genügender Blutstillung nicht zu empfehlen.
Von den operierten Fällen von Herzverletzungen sind ca.
40 Proz. zur Heilung gekommen; die Erfolge der chirurgischen
Behandlung sind also derartig günstige, dass sie auffordern,
immer kühner auf dem noch relativ jungen Gebiet vorzugehen.
lw) Sultan: Bruns Beiträge. Bd. 50, p. 491.
17) Wilms: Zentralbl. f. Chir., 1906, p. 817.
18) Sauerbruch: Arch. f. klin. Chir. Bd. 83, p. o36.
i8) Giordano: zit. nach Semaine med. 1898, p. 407.
20) Villars: Arch. provinc.de chir. 1901.
21 ) Eisberg: Bruns Beiträge. Bd. 25, 1899.
Aus der medizinischen Klinik zu Giessen (Prof. Dr. V o i t).
Ueber einen Fall von primärer IVlundtuberkulose durch
Infektion mit Perlsuchtbazillen.
Von Dr. A. W e b e r, Assistenzarzt.
Seit Koch [8] im Jahre 1901 erklärt hatte, Rinder- und
Menschentuberkulose würden durch verschiedene Erreger ver¬
ursacht und Rindertuberkulose komme bei Menschen jeden¬
falls nur sehr selten vor, wie auch Menschentubeikelbazillen
für Rinder nicht pathogen seien, sind von einei Reihe von
Forschern ausgedehnte Untersuchungen darübei angestellt
worden, ob diese Angaben K o c h s zu Recht beständen. , v a i-
rend de J o n g [6], Dammann [2] und Eber [3] den An¬
schauungen Kochs entgegen für hohe Pathogenität der Men¬
schentuberkelbazillen für das Rind eintraten, konnten K ar -
linski [7], Arloing [l], Ravenei [13] und Orth 111]
nur mässige Pathogenität feststellen, und I ark UH, Moel-
1 e r [10] sowie Henschen, Jundell und Swenss o n [4J
vermochten Rinder mit Menschentuberkelbazillen überhaupt
nicht tuberkulös zu machen.
K o s s e 1, W e b e r und H e u s s [9] bestätigten nach e n -
gehenden Untersuchungen die Angaben von Ih. Smith [1 1
und Koch von der Verschiedenheit der-Rinder- und Menschen¬
tuberkelbazillen und stellten den Grund fest, weshalb man in
einer scheinbar so einfach zu entscheidenden Frage zu so
verschiedenen Resultaten kommen konnte. Sie führten den
Nachweis, dass bei Menschen 2 verschiedene Typen von 1 u-
berkelbazillen Vorkommen. Der eine Typ, von ihnen Typus
humanus genannt, ist sehr häufig und ist für Rinder nicht pa¬
thogen; der andere, Typus bovinus, wird seltener gefunden,
vorzugsweise bei der Intestinaltuberkulose dci Km ei.
ist hoch pathogen für Rinder, ruft bei ihnen regelrechte T er -
sucht hervor und unterscheidet sich in nichts von echten I eil-
In der Literatur sind nun sichere Bovinusinfektionen bei
Menschen bis jetzt nur in beschränkter Anzahl bekannt. Der
vorliegende Fall sei ihnen beigefügt, zumal der Ort der In¬
fektion eigenartig ist und die Ansteckungsquelle mit grosser
Wahrscheinlichkeit festzustellen war. . .
Am 10. April 1906 suchte eine Frau Aufnahme in der medizinischen
Klinik zu Giessen wegen einer schmerzlosen Anschwellung des rech¬
nen LndwinkeS! an der sie nach ihrer Angabe seit 4 Monaten litt
Sie stand vorher 5 Wochen lang in ärztlicher Behandlung; es wurde
ihr Gurgelwasser und Medizin zum einnehmen verschrieben auch
wurde sie geätzt, aber alles ohne Erfolg, eher war eine Verschlech
terung eingetreten. In den letzten Wochen schwollen auch die Kjefer-
drüsen und die rechte Mandel an und auf letzterer bildete sich ein
weisslicher Belag. Die Frau stammte aus gesunder Familie und war
bis 7u dieser Krankheit immer gesund gewesen.
Die 29 fahre alte Patientin machte bei der Aufnahme einen
schwer kranken Eindruck, war blass und in dürftigem Ernährungs¬
zustand. Die Gegend des rechten Mundwinkels war stark geschwol¬
len die äussere Haut im Bereich der Schwellung normal mit Aus¬
nahme eines kleinen trockenen Schorfes genau im Mundwinkel. Da¬
gegen war die Wangenschleimhaut da, wo sie den Zähnen des reckten
Oberkiefers anliegt, vom Mundwinkel bis Zur Gegend des letzten
Molaren gerötet, fest infiltriert und ubersat mit 1—2 mm tiefen, gan i
unregelmässigen, scharfrandigen Substanzverlusten, die etwa Mohn¬
korn- bis Linsengrösse hatten. Die Geschwürchen waren eürig be-
legt. Zwischen ihnen lagen zahlreiche mohnkorngrosse rotlicl
Knötchen, die nur wenig über das Niveau der Schleimhaut hervor-
ragten Genau die gleichen Veränderungen fanden sich auf der stark
geschwollenen*1 rechten Tonsille und dem fest infiltrierten ; rech en vor¬
deren und hinteren Qaumenbogen sowie an der zu 1 “' ' rechten
geschwollenen Uvula. Der weiche Gaumen wai in seiner reenten
Hälfte über und über mit hellroten Knötchen besetzt, aber fr ei von
Substanzverlusten. Die Geschwüre nahmen vom Mundwinke aus
nach Unten zu an Tiefe und Zahl ab. Die Drüsen am rechten Unter¬
kieferwinkel sowie längs des Sternokleidomastoideus wen s a k
geschwollen, etwa bis zu Bohnengrosse sie w^r®n ^en Lun-
empfindlich und mit der Umgebung nicht L Im
gen fand sich nirgends Dämpfung uberall ves.kulares Atmen.
Bereich der rechten Spitze SDarliches. nicht klingendes, teinoiasiges
Passein Herzgrösse und absolute Herzdämpfung waren normal,
aifder Spitze ein leises systolisches Geräusch An der J Ba"uen
liess sich nichts Abnormes nachweisen. Im Unn war eine ^ou n
weiss. kein Zucker, kein Eiter. Der StuhlgaiK letcht angehalt .
Zur Sicherung der Diagnose wurde vom Rand 1 eines Oeschwures
pin kleines Stück Wangenschleimhaut exzidieit und in. I _aninin ]
gebettet. In den gewonnenen Schnitten konnten zunachs u >ci ' -
bazillen oder Knötchen nicht nachgewiesen werden Nun nein wb
eine der stark vergrößerten Halsdrusen exstirpicrt und diese zeigt
1786
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
das typische Bild der Tuberkulose: Knötchen mit zentraler Verkäsung
und zahlreichen Riesenzellen, die oft mehrere Tuberkelbazillen ent¬
hielten. Nun wurden nach einigem Suchen auch in dem eitrigen Be¬
lag der Schleimhautgeschwüre Tuberkelbazillen nachgewiesen. Nach¬
träglich wurden dann nochmals Schnitte von dem exzidierten Mund¬
schleimhautstückchen angefertigt und in diesen ganz oberflächlich
in dem platten Mundepithel liegend kleine Rundzcllcnherde mit
grossen Mengen von Tuberkelbazillen gefunden. Zwischen den Epi-
thelien fanden sich hie und da einzelne Rundzellen mit Tuberkel¬
bazillen im Innern. Auch in der Tunica propria fanden sich kleine
Rundzellenanhäufungen mit reichlichen Tuberkelbazillen. Inzwischen
hatte die Patientin, durch ihre Angehörigen darauf aufmerksam ge¬
macht, angegeben, dass sie in den letzten 2 Jahren Milch bezogen
hätte, die von einer Kuh stammte, welche bei der jüngst erfolgten
Schlachtung als vollkommen tuberkulös befunden und deshalb ver¬
brannt worden war.
Es wurde nun sofort die Behandlung mit Tuberkulininjektionen
eingeleitet und ausserdem Aetzung der Geschwüre mit Milchsäure
vorgenommen. Aber unter unseren Augen breitete sich der Prozess
weiter aus und es trat auch noch auf der linken Spitze Knister¬
rasseln auf. Mitte Mai wurde zur chirurgischen Behandlung ge¬
schritten und die Exstirpation der geschwollenen Drüsen und Aus¬
kratzung und Kauterisation der Geschwüre vorgenommen. Aber auch
diese Behandlung brachte keinen Stillstand des Leidens, die Frau
wurde ungeteilt aus der chirurgischen Klinik in die Heimat ent¬
lassen und ist dort nach Angabe der Verwandten wenige Wochen
später gestorben. Eine Obduktion ist nicht gemacht worden.
Herr Prof. Kessel hat aus einer exstirpierten Halsdrüse der
rtau 1 uberkelbazillen in Reinkultur gezüchtet und festgestellt, dass
es sich um den Rindertube rkelbazillus handelt.
Wir fassen den Fall auf als eine primäre Tuberkulose der
Mundschleimhaut infolge von Infektion mit perlsuchtbazillen¬
haltiger Milch. Denn erstens hatte das Leiden nach der Anam¬
nese und dem objektiven Befund seinen Anfang vom Mund¬
winkel aus genommen, während die sekundäre Mundtuber¬
kulose meist an den hinteren Partien des Gaumens beginnt.
Zudem trat erst nach monatelangem Bestehen der Mund¬
erkrankung Husten auf.
In der Familie der Frau sind auch bis heute, über ein Jahr
nach ihrer Erkrankung, weitere Tuberkulosefälle nicht vorge¬
kommen. Der Mann und 2 Kinder sind kräftig und in vorzüg¬
lichem Ernährungszustand, es lässt sich an ihnen nichts auf
I uberkulose Verdächtiges nachweisen, auch mittels Röntgen¬
durchleuchtung nicht. Alle übrigen Familienmitglieder haben
die fragliche Milch nur in gekochtem Zustand genossen, wäh¬
rend die Frau sie ab und zu roh ..gekostet“ haben soll.
Von hohem Interesse war es zu erfahren, ob auch andere
Leute, die von der betreffenden Milch genossen haben, an Tu¬
berkulose erkrankt sind. Soweit ich in Erfahrung bringen
konnte, ist das nicht der Fall. Jedoch hatte Herr Dr, Hart¬
man n aus Diez die Freundlichkeit, mir mitzuteilen, dass das
Enkelkind des Besitzers der tuberkulösen Kuh an Meningitis
tuberculosa gestorben sei. Das Kind sei mit Milch einer an¬
deren, aber ebenfalls tuberkulösen Kuh ernährt worden. Des
weiteren war zur gleichen Zeit eine Gravida an Mundtuber¬
kulose mit nachfolgender Lungenphthise erkrankt. Da in bei¬
den Fällen die Sektion und bakteriologische Untersuchung
leider nicht gemacht werden konnte, lässt sich nicht mehr fest¬
stellen, ob Infektion mit Typus bovinus Vorgelegen hat oder
nicht.
Literatur.
J- A [Ioing: Revue 'de la Tuberculose. No. 3. Bulletin del’Acad.
de Med. No. 43. — 2. Damrnann: Ein Beitrag zur Frage der Be¬
ziehungen zwischen tierischer und menschlicher Tuberkulose. D.
tieiäiztl. Wochenschr. 1904, No. 53. — 3. Eber: Experimentelle
Uebertragung der Tuberkulose vom Menschen auf das Rind. Zeit-
schr. für Fleisch- und Milchhyeiene, April 1905. Beiträge zur Klinik
der I uberkulose, 1905, Bd. 3. Heft 4. — 4. H e n s c h e n - .1 u n d. e 1 1 -
Svvcnsson: La luttc contre la Tuberculose en Suede. Stockholm
1905 — 5. Hoelzinge r: Ein Beitrag zur Frage der Beziehungen
zwischen tierischer und menschlicher Tuberkulose. — 6. De Jong:-
De Esenheid der Zoogdiertuberculose. Leiden 1902. Verhandlungen
des XIII. internationalen Kongresses für Hygiene und Demographie,
Brussel 1905. Zur Steigerung der Virulenz des menschlichen Tuber¬
kulosebazillus zu der des Rindertuberkulosebazillus. Zentralbl. f
Hakt.. I. Abt. 1905. Original : Bd. 38. Heft 2 und 3. — 7. Karlinski-
Oester r. Monatsschrift für Tierheilkunde. — 8. R. Koch: Die Be¬
kämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen,
die bei der erfolgreichen Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten
gemacht sind. Deutsche med. Wochenschr. 1901. No. 33. Uebertrag-
barkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. Deutsche med.
\\ ochenschr. 1902, No. 48. Ueber die Agglutination der Tuberkel-
bazillcn und über die Verwertung didsef Agglutination. Deutsche
med. Wochenschr. 1901, No. 48. — 9. Kossel, Weber und Heuss:
Vergleichende Untersuchungen über Tuberkelbazillen verschiedener
Herkunft. Tuberkulosearbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt,
rieft 1 und 3, 1904 und 1905. Kossel und Weber: Wissenschaft-
liehe Ergebnisse usw. Zeitschr. für Tuberkulose und Heilstättenwesen,
Bd. VII. Heft 6, 1905. Kossel: Vergleichende Untersuchungen über
menschliche Tuberkulose. Bd. VIII, Heft 6, 1906. — 10. Mo eil er:
Deutsche med. Wochenschr. No. 40. — 11. O rth: Berl. klin. Wochen¬
schr., 1902, No. 34. — 12. P a r k: Zentralbl. f. Bakt., Ref. Bd. 32, No. 5.
— 13. Ravenei: Lancet 1901. University of Pensylv. Mod.
Bul. 1902, No. 3. — 14. I h. Smith: The Journal of exper. med. 1898.
vol. 3. Iransact. of the Assoc. of Americ. phvs. 1903, vol. 18
Journal of Med. Research, 1905. vol. 13.
Aus der II. inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in
Triest (Primarius Dr. V. Liebma n).
Schwere akute Anämie nach Gelenkrheumatismus.
Von Guido Mann.
Seitdem Biermer das klinische Bild der essentiellen
perniziösen Anämie aufgestellt hat, sind immer häufiger Fälle
beschrieben worden, welche wohl dieses bekannte Krankheits¬
bild Wiedergaben, aber doch als sekundär entstanden zu be-
ti achten waren. Abgesehen vbn der Helminthiasis und von den
Krankheiten gastro-intestinalen Ursprunges, sind es hauptsäch-
lich Syphilis, Karzinom, Malaria, Typhus abdominalis, die als
ätiologische Faktoren Jn Betracht gezogen wurden.
Allerdings meint Bloch1 2), dass die perniziöse Anämie
immer auf einer primären asthenischen Beschaffenheit des blut-
zellenbildenden Gewebes beruhe und dass selbst bei den ,,deu-
teropathischen“ Fällen erst neben der Konstitutionsanomalie
noch eine Oiganschwäche durch akzidentelle Momente oder
durch bestimmte Erkrankungen herbeigeführt werde. Dagegen
bestreiten D e v i c und 1' o 1 s t •), dass die perniziöse Anämie
nie eine klinische Einheit, sondern nur ein Symptomenkomplex
sei und dass ihr Bild eben bei einer Reihe sekundär zur Blut¬
armut führender Zustände wiedergefunden werde. Am rich¬
tigsten hat es wohl Birch - Hirschfeld getroffen, welcher
schon im Jahre 1892 3) den Ausdruck „kryptogenetische
perniziöse Anämie“ vorschlug und in der Tat sind heut¬
zutage fast alle Autoren darüber einig, dass in den meisten
Fällen die Ursache der perniziösen Anämie in gewissen, teil-,
weise bisher ungekannten Giften zu suchen sei, die im Blute
dieser Kranken kreisen.
Folgender Fall möge ein Beweis sein, wie vorsichtig man
in der Vorgeschichte des Patienten zurückzugreifen hat, bevor
man die Diagnose einer essentiellen Anämie stellt — und
soll nebenbei einen Beitrag liefern zur Therapie der akuten,
schweren Anämien:
M. L., 18 Jaln e alt, stammt aus gesunder Familie, hat mit
4 Jahren gehen gelernt, war nie ernstlich krank, ist noch nicht
menstruiert, hat in einer hiesigen Baumwollspinnerei gearbeitet. Vor
zwei Jahren war sie wegen leichter anämischer Beschwerden kurze
Zeit in ärztlicher Behandlung. Sonst ist sie nie auffallend blass
gewesen.
Am 17. Februar ds. Js. liess sie sich von einem Arzt untersuchen,
weil sie sich seit einigen Tagen matt fühlte und starke Schmerzen
m den Beinen und hauptsächlich im linken Arm verspürte. Der Arzt
konstatierte einen akut_en Gelenkrheurmatismus des linken Ellbogen-
und Handgelenkes, sowie der Interphalangealgelenke des 2. und 4
Fingers, und verordnete Bettruhe und. Salizylpräparate. Auf diese
reagierte Patientin so prompt, dass sie nach wenigen Tagen auf¬
stehen und sogar herumgehen konnte. Mitte März wurde der Arzt
wiederum zu derselben Patientin herbeigeholt mit der Angabe, dass
das Mädchen wiederholte Schüttelfröste habe und an starken Kopf¬
schmerzen leide. Diesmal fiel ihm sofort eine intensive Blässe der
allgemeinen Decke auf, er konstatierte nebenbei hohes Fieber, ein
rauhes systolisches Geräusch an der Herzspitze, eine Akzentuation
des zweiten Jones an der Basis, nahm das Vorhandensein einer
akuten rheumatischen Endokarditis an und leitete eine dement¬
sprechende Behandlung ein. Da sich aber der Zustand tagtäglich
verschlechterte, da die Hautblässe immer stärker wurde und die
Patientin an Kräften abnahm, schickte er sie ins Krankenhaus, wo
ich am 30. III. folgenden Befund erhob:
Mädchen von kräftigem Körperbau, in nicht zu schlechtem Er¬
nährungszustand. Extreme Blässe der Haut, sichtbare Schleim-
1) D. Archiv f. klin. Med., Bd. 77.
2) Lyon Medicale, No. 10, 1904.
3) NI. Kongress für innere Medizin: „Ueber schwere anämische
Zustände“.
J. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1787
lriute direkt grauweis, s. Die Patientin liegt mit geschlossenen Augen
auf dem Rücken, hat ein äusserst mattes Aussehen, reagiert aut An-
fraS Temperatur 39,5°; Puls 120, klein, regelmässig; Blutdruck nach
Riva-Rocci 142 mm. Weder Oedeme, noch Exantheme, noch
irgendwo vergrösserte Drüsen zu konstatieren; nur eine leichte
Hyperplasie beider Lappen der Schilddrüse. .
Pupillen gleichweit, dilatiert, auf Licht nicht reagieiend.
Zunge feucht und leicht fuliginös belegt.
Lungen ohne Befund,
Herz in normalen Grenzen, Spitzenstoss im 5. Interkostalraum
innerhalb der Mammillarlinie. Der erste Ton an der Spitze und
noch mehr an der Auskultationsstelle der A. pulmonahs von einem
sanften hauchenden Geräusch ersetzt, der zweite Ton hierselbst
etwas akzentuiert. Kein Nonnensausen an den bigakuwenen.
Abdomen eingesunken, gespannt, nirgends auf Druck schmerz
haft. Leber und Milz weder palpabel, noch perkutorisch vergiosse t.
Im^Haxn ^Spuren von Eiweiss, im Sediment keine pathologischen
Bcstandtede-eiig, gelbbräunlichi mikroskopisch bei mehrmals wieder¬
holter Untersuchung nur Eier von Trichocephalus dispar.
Mageninhaltsuntersuchung auf freie Salzsäure (Gunzburg, Coi go.
1 ° ^ugenspSgdbefund? Augenhintergrund graulichweiss. mehrere
retinale Blutungen im Zentrum und an der I eripherie, . ehnci
fnc+ weiss mit verschwommenen Grenzen.
Blutuntersuchung: Hämoglobin (Fleischl und Tallqvist). 10 1 0 •*
Frvthrozvten: 520 000. Leukozyten: 1200. Im gefärbten Irapmat
(Giemsa Leishman-Romanowsky): Poikilozytose, Mikro- und Makro-
zyten mehrere Normoblasten, hie und da ein Megaloblast, deutliche
Polyehromatophilie. Unter den weissen Zeller i, ^sser polymorph-
kernigen, auffallende Zahl von grossen
Mastzellen, Myelozyten mit basophiler Granulation. Fast ganznenes
r*Xn"«i Bouillon und Agar angelegt: steril.
Somit imponierte der Fall klinisch als eine schwere, akute
ä M ää |csr 1
Famüie iratte*' mir Q trotF wiederholten^ Sr" niSts von einer
ä« .JA-
informiert wuX ^
Da der Zustand als ein äusserst bedrohlicher zu betrachten war,
i irii mioh nicht mit den gewöhnlichen therapeutischen Ei
SHSSSslS
pulationen regelmässig die Gerinnung kürzester Zeit resorbiert,
meiden. Das injizierte Blut wui e i , Reaktion sondern es
und nicht nur entstand absolut keine Gesamt¬
fehlte überhaupt eine unangenehme Ruckwirkung
den Blutinjektionen fügte ich noch die gnv^leibung von
kakodylsaurem Natron und, nach der Angabe von Grawitz
Salzsäuretropfen hinzu. T . « Roscheid1
Ueber den Verlauf sagt folgende Tabelle bescneiu.
rawitz beschriebenen Fall0), von welchem dieser Autor
meint dass es sich um eine „toxisch entstandene akute Ha-
moptise mit ungeschädigter Regenerationsfähigkeit dci blut¬
bildenden Stätten handelt“. Der Unterschied besteht haupt¬
sächlich darin, dass Morawitzin seinem Falle eine infektiöse
Ursache nur vermute n konnte, während cs in unserem Falle
doch naheliegend ist, an den Gelenkrheumatismus als veran¬
lassendes Moment zu denken.
Was die Therapie anbelangt, so hat erst vor Kurzem M o -
r a w i t z 7) die wohltuende Wirkung der jetzt vernachlässigten
Bluttransfusionen durch einige Beispiele wieder lebhaft be¬
wiesen und diese Therapie bei der Behandlung schwerer Anä¬
mien zur weiteren Verbreitung empfohlen.
Wenn aber die Meinung richtig ist, dass die günstigen Re¬
sultate nicht durch die M e n g e des transfundierten Blutes zu
erklären sind, sondern dadurch, dass das Knocnenmaik m einen
Reizzustand versetzt und zu vermehrter Produktion angeregt
wird8), dann erreicht man doch dasselbe Ziel durch die ein¬
fache subkutane Blutiniektion; und wenn die in
meinem Falle so auffallend günstige Wirkung bei Nachprüfung
bestätigt werden sollte, so dürfte es in Zukunft angezeigt sein,
dieser Methode wegen der Einfachheit der Ausführung und
wegen der absoluten Ungefährlichkeit den Vorzug zu geben.
5. IV.
11.1V
29. IV
832 000
5 800
952 000
1 1 800
2 540 000
6 900
5. V.
12. V.
21. V.
Erythrozyten
Leukozyten
Erythrozyten
Leukozyten
Erythrozyten
Leukozyten
2 528 000
4 900
3 524 000
7 800
3 482 000
7 900
Erythrozyten
Leukozyten
Erythrozyten
Leukozyten
Erythrozyten
Leukozyten
uÄdm,£
Zustande und mit folgenden, Blutbefund: HSb.: 65 Proz.. Erythro
zvten: 3 810 000. Leukozyten: 6200.
Meiner Meinung nach gehört dieser Fall in die Rubnk
der schweren, akuten Anämien und reiht sich - obwohl ohne
Ikterus und ohne Milzschwellung verlaufen — zu dem v on
*) M~eli rings Lehrbuch der inneren Medizin.
5) D. med. Wochenschr. 1904, No. 10 u. 11.
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau (Direktor:
Geh.-Rat Prof. Dr. Küstner).
Ungewöhnliche Eniwicklungsdifferenzen von Zwillingen.
Von Dr. Ernst Hart o.g, Assistent der Klinik.
Frauen* Anspruch^enöiumYTbeid^Tp^ötzUcji'heh^^^l^^^^jg
und hatte ein sehr interessantes und selten schönes Praparat g
zeitigt. Es besteht dasselbe aus z*e'ei>se:’ Zwl!l"ypl\,fyj"ca 18
sä
iui^nichtdi^geringsfe'spur vö^Mazerationserscheinungen aufweist.
ungefähr eine halbe Stunde nach dem ersten geboien. __
' Diese auffallende Grössendifferenz der Zwillinge konnte
uns nun zu der Annahme veranlassen, dass der grosse Fötus
W Monate alt sei während der kleine erst ein Alter von
zwei Monaten erreicht habe; die Frau müsste somit zweimal
geschwängert sein. Eine derartige Anschauung nennt man be¬
kanntlich eine Superfoecundatio oder Superfoetatio d. h a
eine Befruchtung auf eine bereits bestehende Graviditr .
Die Hypothesen der Superfoecundatio und Sub^foc; fa ‘0
haben sich' lange Zeit erhalten und sind immer woeder aufge¬
taucht Ein Punkt, der dieselben wesentlich unterstützt un
früher als Beweis für das Vorkommen der Ueber Richtung an¬
gesehen wurde, ist das zuweilen schon im Uterus
o-ptrennte Schicksal der Zwillinge. So kommt es vor, dass ce
eine Fötus abstirbt; die nach Resorption ihres Fra^asser,
allmählich in Verschrumpfung übergehende Frucht wird du
den fortbestehenden intrauterinen Druck an *e aebarmutt
wand gedrängt und man findet dann nach der Gebuit des zur
Reife entwickelten Kindes an den Eihäuten desselben ausse
anliegend den manchmal bis zu einer fast papiei dünnen . e
zusammengedrückten Embryo, sogen. Foetus papyraceus.
In seltenen Fällen wird der abgestorbene Zwillingsfot vom
Uterus dr ch Abort ausgestossen. Der Uterus tntt sodann von
der Wehen pause in Wehenlosigkeit über, die zweite Frucht
bleibt in ihm und entwickelt sich ruhig weiter bis zur völligen
Peife Im Zentralblatt der Gynäkologie ist unter andeicn w>n
ü?net o“ derartiger Fall beschrieben worden wo we^
Placenta praevia im vierten Monat ein Abort statttanü,
o) D. Archiv f. klin. Med.. Bd. 88. H. 4—6.
•) S^nÄÄoi^ge^cht fischen Hämo¬
lysine und. Hämopoetine (s. Carnot und uetianor
medicale 1906, S. 429 u. 478).
1788
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36
Geburt der reifen anderen Frucht erfolgte dann 5 Monate und
6 Tage später.
Weiterhin hat man die Beobachtung gemacht, dass Zwil¬
lingsschwangerschaften in verhältnismässig weit auseiander¬
liegenden Geburtsterminen ihr Ende erreichen: Der mehr ent¬
wickelte Zwilling wird rechtzeitig geboren, der minder ent¬
wickelte bleibt im Uterus zurück, holt z. T. wenigstens das
versäumte Wachstum nach und verlässt nach einer Zwischen¬
zeit von mehreren Wochen ja Monaten zu mehr oder minder
vollständiger Reife entwickelt die Gebärmutter. In der ..ge¬
richtlichen Medizin“ von Hoff mann sind vier derartige,
übrigens ausserordentlich seltene Fälle angeführt, von denen
Fall T h i e 1 m a n n, in dem der zweite Zwilling 52 Tage nach
dem ersten geboren wurde und besonders Fall Eisenmann,
in dem die Geburt der zweiten Frucht 434 Monate nach der der
ersten erfolgte, seinerzeit berechtigtes Aufsehen erregten.
Die Grössendifferenz auf der einen Seite und Zeitdiffernz
auf der anderen sind es also, die die Veranlassung gegeben
haben zur Theorie der Superfoecundatio und Superfoetatio.
Soweit es sich in dieser Frage um die Superfoecundatio
(Ueberschwängerung) handelt, d. h. um die verschiedenzeitige
Befruchtung mehrerer ziemlich gleichzeitig ausgestossener
Eier, so lässt sich kein verständiger Grund gegen ihre Möglich¬
keit anführen, denn dem neu eingeführten Sperma steht ia kein
Hindernis entgegen um zum Ovulum vorzudringen. Ferner
wird ihr Vorkommen mit Bestimmtheit durch Erfahrungen aus
der Tierwelt bewiesen; existieren doch Fälle, wo eine Stute
gleichzeitig ein Pferde- und ein Maultierfüllen geworfen hat.
Indessen würde sie, abgesehen davon, dass sie beim Menschen
noch niemals beobachtet worden ist, niemals die genügende Er¬
klärung geben für die Grössendifferenz der Zwillinge und die
oft weit auseinanderliegenden Geburtstermine derselben, da ja,
wie schon erwähnt, der zweite befruchtende Koitus nur kurze
Zeit nach dem ersten erfolgen würde.
Man suchte nun den Grund für derartige Grössenunter¬
schiede in der Superfötation (Ueberfruchtung), d. h. also in
der Befruchtung eines während einer bestehenden Gravidität
neu ausgestossenen, einer späteren Ovulationsperiode ange-
hörigen Eies. Die Möglichkeit der Superfötation gründet sich
auf die Annahme, dass unabhängig von einer bestehenden Gra¬
vidität jederzeit von den Ovarien Ovula produziert werden
können. Zahlreiche Forscher der Neuzeit wie Scanzoni,
Depaul, Meigs, Brierre de Boismont u. a. haben
diesbezügliche Beobachtungen gemacht und auch während der
Schwangerschaft reife und frisch geplatzte Follikel angetroffen,
so dass die Möglichkeit der Ovulation während der Gravidität
wohl nicht mehr von der Hand zu weisen ist. Indessen scheint
physiologischer Weise die Tätigkeit der Ovarien während die¬
ser Zeit zu sistieren. Auch wird die Wahrscheinlichkeit einer
Superfötation schon in den ersten zwei Monaten bis auf ein
Minimum hcrabgedrückt, da zunächst einmal die deziduale
Schwellung, sodann die Grösse des sich entwickelnden Kindes
und schliesslich noch der Schleimpfropf in der Zervix fast un¬
überwindliche Schwierigkeiten und Hindernisse für eine neue
Konzeption bieten. Einfach unmöglich ist aber die Ueber-
fi uchtung von dem Augenblicke an, wo die Decidua vera mit
der Reflexa zu Verklebung gekommen ist, also vom Anfang
des dritten Monats an. Das Kavum uteri ist derartig verlegt,
dass das von aussen eingeführte Sperma mit einem etwa um
diese Zeit den Eierstock verlassenden Ei nicht in Berührung
kommen kann. Uebrigens ist die Annahme der Superfötation
die also somit in den ersten zwei Monaten allenfalls möglich
sein kann, schon in den Fällen nicht zulässig, wo die Ent¬
wicklungsdifferenzen bei in e i n e m Ei entwickelten Zwillingen
beobachtet werden — und das ist sogar eine verhältnismässig
häufigere Erscheinung als bei in getrennten Eiern entwickelten
kruchten — , denn niemand wird doch wohl so absurd sein und
chaupten wollen, dass ein Ei mit einem mehrmonatlichen
btus zum zw eiten Male befruchtet werden könne.
Die Hypothesen der Superfoetatio und Superfoecundatio, die
uns somit keinen genügenden oder besser gesagt absolut keinen
Aufschluss geben über die Grössen- und Entwicklungsdiffe-
lenzen \ on Zwillingen, haben wir daher heute verlassen und
nehmen zur Erklärung dieser letzteren einen rein örtlichen
Grund an, indem nämlich die eine Frucht die Entwicklung der
anderen behindert. Es mag dieses dadurch bedingt sein, dass
das eine Ei sich an einer Stelle des Uterus inseriert, die ihm
bessere Bedingungen zum Wachstum bietet und es gegen den
Druck des anderen besser schützt, während das andere unter
ungünstigeren Verhältnissen heranreift, indem es z. B. an einer
1 ubenecke sich inseriert hat.
Es ist diese ungleiche Entwicklung bei Zwillingen eine
häufig beobachtet Erscheinung, allerdings in dem Masse, wie
unsei I räparat uns demonstriert, gehört diese schon zu den
Seltenheiten. Das eklatanteste Beispiel für Grössendifferenzen
von Zwillingen, das bis jetzt überhaupt bekannt geworden ist,
ist seinerzeit von Schultze in den V o 1 k m a n n sehen Vor¬
trägen beschrieben worden, wo nämlich an der Plazenta eines
vollständig ausgewachsenen Kindes ein Ei mit einem Embryo
von der Form und Grösse eines ca. 6 wöchentlichen haftete.
Auch in unserem Falle handelt es sich also um eine un¬
gewöhnliche Entwicklungsdifferenz von Zwillingen; beide Eier
entstammen dei selben Ovulationsperiode und Konzeption.
Es sind dies ausserordentlich interessante Erscheinungen,
die eventuell auch in forensischer Beziehung eine gewisse Rolle
spielen können.
Die „Freie Vereinigung von Freunden der spezifischen
Tuberkulosetherapie“ und ihre Gegner.
Entgegnung auf Herrn Prof. Pet rusch kys Artikel in
No. 34 dieser Wochenschrift.
Von Chefarzt Dr. F. Köhler, Holsterhausen-Werden (Ruhr).
uUeberl. Petruschkys Artikel in No. 34 der „Münch, med.
Wochenschr.“^ würde ich ohne weiteres hinweggehen, wenn ich nicht
an mehreren Stellen desselben durchaus unangemessenen persönlichen
Angiiffen begegnete, die ich energisch zurückzuweisen mir selbst
schuldig bin. Wii haben uns lediglich über eine Sache auseinander-
zusetzen. Selbst meine persönlichen Anschauungen über die
I uberkuhnfrage gehören durchaus nicht hierher, sondern es han¬
delte sich lediglich um die Frage, ob die Gründung
eines derartigen Vereins zweckmässig sei. Herrn
1 etruschkys persönliche Ansichten über die Tuberkulin¬
trage selbst liess auch i c h ganz aus dem Spiele.
Vom ärztlichen Standpunkte aus sind derartige Sonderver-
e i n i g u n g e n, die eine Spaltung in eine Spezialdisziplin der inneren
Medizin bringen, zu verwerfen, da solche von vornherein einen fixier¬
ten Standpunkt involvieren, der dem'Studium und der objektiven Wür¬
digung entgegen ist, sodass die Aerste, welche den schweben¬
den Fragen ferner stehen, nicht umfassende, sondern einseitige Be¬
lehrung zu erwarten haben, nämlich im unbedingt positiven
Sinne. Die Richtlinie und Tendenz ist für jeden in ihrer einseitigen
Schärfe klar, der in Petruschkys Artikel von der „nutz¬
losen Diskussion mit Gegnern, die sich nicht überzeugen lassen
wolle n“ liest, wonach von vorneherein denjenigen also, welche
nicht mitmachen, in ganz unzulässiger Weise mala fides
untergeschoben wird,. So darf in wissenschaftlichen Dingen nicht zu
Werke gegangen werden!
Jede organisierte Sonderbestrebung birgt zudem die Ge¬
fahr in sich, eine Organisation der Kehrseitenvertreter zu veran¬
lassen. Ich würde zu einer solchen nie die Hand reichen, weil die
I uberkulinfrage. wie jede ähnliche schwebende medizinische Streit¬
frage gar kein Objekt ist für Sondervereinigungen. Es sollen meines
Erachtens die Tuberkuloseärzte einig nebeneinander arbeiten und
sich nicht in getrennte Lager spalten, die sich äusserlich durch
Sondervereinigungen kennzeichnen. Konservative und ra¬
dikale Therapie in der gleichen Krankheit spielen doch z. B. in der
Chirurgie und Gynäkologie eine grosse Rolle. Werden denn darauf
sogleich Vereinigungen gegründet? Sehe doch jeder zu, dass
er als Arzt, getreu sich selbst, möglichst segensreich wirke, dann
hat er seine Pflicht getan. Das Corpus medicorum gewinnt in den
Augen des Publikums keinenfalls an Gewicht und Vertrauen, durch
solche ad hoc gebildeten Vereinigungen. In der Literatur möge wer
es wünscht seine Erfahrungen und Anschauungen niederlegen und
begründen, wobei persönliches völlig ausscheiden sollte, aber auch
Schlagwörter, wie „Seifenblasen“, fehlen sollten, mit denen Herr
Petruschky meine kritischen Untersuchungen über die „Grund¬
lagen zur Wertung des therapeutischen Effektes des Tuberkulins“
in der Zeitschr. f. phys. u. diätet. Therapie wie meine Ansicht über die
Sondervereinigungen abtun zu dürfen vermeint. Auf die v o I I e Be¬
rechtigung der Frage, die ich der genannten Abhandlung zu
gründe legte, welche Voraussetzungen erforderlich sind, um
einen therapeutischen Tuberkulineffekt überhaupt statuieren zu
können, gehe ich an dieser Stelle nicht -ein. da diese Dinge ja gar
nicht zu der vorliegenden Frage gehören, die sich mit der Zweck¬
mässigkeit der Sondervereinigungen beschäftigt, was Herr Pe¬
truschky im Eifer übersah. Auch über Petruschkys Ideen
MUENCF1ENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3. September 1907. _ _
von der Ausgestaltung des praktischen Tuberkulinunterrichtes über¬
lasse ich dem Leser gerne ein eigenes Urteil. , .
Der Zweck meiner Ausführungen ist lediglich der darauf hinzu¬
weisen dass es im Interesse der Aerzte wie des Publikums keinen-
falls liegt, für ein bestimmtes Mittel, sei es 1 uberkulin I u läse Serum
Marmorek Styracol oder was es sein mag, S o n d e 1 vereim
srungen zu begründen. Darin weiss ich mich guten Gewissens
eins mit vielen unseres Standes, denen rechtes Handeln und Wandeln
atu Herzen liegt! —
Referate und Bücheranzeigen.
I. B o a s: Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten.
II. Teil. Spezielle Diagnostik und Therapie der Magen k ran -
heilen. Mit 10 Abbildungen. 5., vermehrte und neubearbeitete
Auflage. Leipzig, T h i e m e, 1907. 397 Seiten. Preis •
Es wird eine immer schwierigere Aufgabe, aus der kaum
übersehbaren Tagesliteratur das Wichtige und brauchbare zu
sondern und dem bisherigen Besitzstände einzuverleibe .
So äussert sich der Verf. in der Vorrede. Ohne eine wirkliche
Neubearbeitung geht es bei einem solchen Buche nicht,
solche bietet uns Boas, und man kann sagen dass ei d e
schwierige Aufgabe gelöst hat. Das rühmlich bekannte, in
dieser Wochenschrift wiederholt günstig beurteilte Werk halt
auch in diesem Teile und dieser Auflage, was es versprochen
hat. In gleicher Weise wissenschaftlich und praktisch ge¬
schrieben bringt es dem Forscher wie dem Praktiker, dem
Spezialarzt wie dem praktischen Arzt so viel Belehrung und
Anregung, dass es sich gewiss zu den alten Freunden auch
neue gewinen wird. 1 e n z o
Handbuch der Gynäkologie. Herausgegeben von J. V e i t.
Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Zweiter B an d.
Wiesbaden 1907. Verlag von J. F. Bergmann. 1 reis
Mk. 15.40. 602 Seiten.
Dem vor wenigen Monaten erschienenen ersten Bande des
V sehen Handbuches, den wir in diesem Blatte besprechen
konnten (No. 18 d. J., S. 891), ist der zweite rasch gefolgt Der¬
selbe enthält die gonorrhoischen Erkrankungen der weibliche)
Harn- und Geschlechtsorgane von E. Bumm, sowie die Ent¬
zündungen und die Atrophie des Uterus von A. Doderlein
bearbeitet, während die Bearbeitung der Erkrankungen der
weiblichen Harnorgane (mit Ausnahme der gonorrhoischen)
von W. S t o e c k e 1 übernommen worden ist.
106 Abbildungen im Text und 5 farbige 1 afeln zieren den
vorliegenden Band, der sich seinem Vorgänger würdig an-
schliesst. Wir behalten uns vor, auf Einzelheiten nach Ab¬
schluss des ganzen Werkes, der hoffentlich bald zu erwarten
ist, zurückzukommen. J a f f e - Hambi g.
Dr. W. v. Oettingen: Studien auf dem Gebif des
Kriegssanitätswesens im russisch-japanischen Kriege 1)04 .
Mit 50 Textfiiguren. Berlin 1907. Verlag von August
Hi r schwal d. 247 S.
Der Verfasser war Chefarzt des livländischen Feldlaza¬
retts vom russischen Roten Kreuz, das, jm April 1904 hmaus-
gesandt, anfangs nach dem mandschurischen Dörfchen Eho
verschlagen wurde, das halbwegs zwischen Charbin und
Wladiwostok liegt. Abseits der Hauptetappenlmie, fast 9 ' Tag-
reisen von der Front der Armee entfernt, bot sich naturgemass
hier wenig Gelegenheit zu umfangreicherer chirurgischer
Tätigkeit. Im November jedoch wurde v. Oettingen der
bei Mukden neu eingerichtete Sortierungspunkt (Sbormpun )
des russischen Roten Kreuzes übertragen, den er mit einer Ab¬
teilung seines Personals übernahm und einrichtete
Nur kurze Zeit, vom 3. Dezember 1904 bis 9. Marz 1905
dauerte die Tätigkeit, die v. O e 1 1 1 n g e n hier ausuben durfte.
Am 26 Februar 1905 war die Einrichtung des Lazaretts, die
einen grossen Aufwand von Mühe und Arbeit erforderte, voll¬
endet 11 Tage später befand sich der Sortierungspunkt in den
Händen des Feindes. Doch boten die Einrichtung und die
Organisation des Sortierungspunktes, namentlich in baulicher
Hinsicht, und die umfangreiche chirurgische 1 atigkeit in ^ e
ruhigen Zeit bis zur Schlacht von Mukden und schliesslich
diese 13 tägige Schlacht selbst, in der aus dem projektierten
Sortierungspunkt allmählich ein Hauptverbandplatz wurde,
1789
dem Verfasser reiche Gelegenheit, wertvolle kriegschirur¬
gische Erfahrungen zu sammeln.
Im ersten Teil seines Buches schildert uns der Verfasser
die Einrichtung des livländischen Lazaretts in Mukden und
die Tätigkeit desselben während der Waffenruhe.
Natiurgemäss nimmt den grösseren Raum des Buches die
Schilderung der Tätigkeit während der Mukdener Schlacht ein. .
Den Sortierungspunkt, an idem das livländische Feldlazarett
etabliert war, haben nach der Schätzung des Verf. von
67 000 Verwundeten etwa 40 000 passiert; von diesen wurden
ca. 2600 im livländischen Lazarett behandelt. Diese Zahlen
geben einen Begriff von der angestrengten i ätigkeit der Acizte
und des Personals des Lazarettes.
Für den ersten Verband schlägt Verf., der wie die meisten
in diesem Feldzuge tätigen Aerzte auf eine Desinfektion der
frischen Wunden wegen der Unmöglichkeit ihrer exakten
Durchführung vollständig verzichtet, den Mastix-Kollargol-
Verband vor, den er grundsätzlich stets angewendet hat und
mit dem er sehr zufrieden war. Aus dem umfangreichen
Kapitel über die grosse und die kleine Chirurgie des Haupt¬
verbandplatzes und des Feldlazarettes sei nur einiges heraus¬
gegriffen. v. Oettingen tritt nach seinen Erfahrungen ein
für die primäre Operation der Aneurysmen, die freilich nur
von guten Chirurgen vorgenommen werden darf, und für die
primäre Trepanation bei rangentialschüssen des Schädels, bei
welch letzteren er die Schwierigkeiten der Differentialdiagnose
nicht verkennt. Bei den Schussfrakturen und den Gelenk¬
schüssen betont Verf. die Wichtigkeit der exakten Fixation und
der konservativen Behandlung, bei den Bauchschüssen die
Wichtigkeit der Einheitstrage und der Vermeidung jeglichen
Transportes. .
Dem Wunsche des Verfassers nach Schaffung eines Sche¬
mas das dem Arzte auf Grund der gesammelten und ver¬
glichenen Erfahrungen der letzten Kriege für sein Verhalten
den verschiedenen Verwundungen gegenüber auf dem
Schlachtfelde, auf dem Verbandplätze und während des Trans¬
portes gegeben werden sollte, kann Ref. nur beistimmen, und
er kann die traurigen Erfahrungen bestätigen, die Verf. infolge
fehlerhafter Verbände, unangebrachter Tamponade und Naht
der Wunden etc. durch die erstbehandelnden Aerzte sammelte.
Das Buch ist, wie die Vorrede besagt, Ernst v. Berg¬
mann zum 70. Geburtstage gewidmet.
C o 1 m e r s - Heidelberg.
Joachimsthal: Handbuch der orthopädischen Chirurgie.
Achte (Schluss-) Lieferung. Jena, Gustav Fischer, 1907.
8 Mk.
Die lang ersehnte Schlusslieferung des orthopädischen
Handbuches bringt eine ausgezeichnete Bearbeitung der Wir¬
belentzündung von W u 1 1 s t e i n. Das grosse Mateiial ist in
sehr sorgfältiger Weise zusammengetragen und erfährt eine
strenge kritische Würdigung von Seiten des Verfassers, der
durch seine früheren Arbeiten über Spondylitis sich bereits
einen Namen gemacht hat. F. L a n g e - München. ^
. r i
Arzt und Schulbetrieb. Gutachten deutscher Aerzte, ge
rammelt vom Elternbund für Schulreform in Bremen. Heraus¬
gegeben von Fr. Steudel, Pastor an St. Remberti-Bremen
Leipzig 1907. Teutonia-Verlag. Preis 1 Mk.
Von ca. 800 Aerzten und Dozenten an Universitäten
deutscher Zunge liefen auf die grossstilige Umfrage des Bre¬
mer Elternbundes — 49 Antworten ein! Wir fühlen die Ent¬
täuschung über dieses klägliche Ergebnis, die der Heir Heraus¬
geber rot anstreicht, vollkommen nach und fragen uns, on
darin wirklich ein Gradmesser für das Interesse der deutschen
Aerzte an Schulfragen erblickt werden darf.
Uns zu dem Ergebnis der Umfrage wendend, müssen wir
vorweg bemerken, wie wenig wir mit dem Ione einverstanden
sind, den Herr Pastor St. einzelnen Gutachtern gegenüber a -
schlägt, deren gutachtliche Aeusserungen mit seinen Ansichtei.
disharmonieren. Wäre dieser Abkanzlungston gebrauch che,
so würde die so auffallend geringe Beteiligung an Umtragen
allerdings leicht zu erklären sein. Solche Reizbarkeiten scha er.
der Sache Mit noch grösserem Bedauern aber muss feste
stellt werden dass das fllgemeine Ergebnis der Umfrage, schon
1790
MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3e
numerisch so wenig ausschlaggebend, von vielen trefflichen
Einzelnbemerkungen abgesehen, dem Gedanken der Schul
reform nicht so viel neue Nahrung und Freundschaft Zubringer,
dürfte, als man hätte erwarten dürfen.
9 Fragen waren aufgestellt, sich beziehend 1. auf Fest
legung des schulpflichtigen Alters auf ein bestimmtes Lebens-
iahr; 2. die Frage des täglichen Schulbeginns; 3. den unge
teilten (Vormittags-)Unterricht; 4. Maximalzahl der Unterrichts
stunden für den Vormittag; 5. die Frist der Mittagspause; 6
die Hausaufgaben; 7. die Dauer der einzelnen Unterrichts¬
stunde; 8. den Unterricht im Freien; 9. das Mindestmass unc
die Einteilung der Ferien — also lauter wichtige schulhygieni¬
sche Erörterungsprobleme.
Die Zusammenfassung der Beantwortung kommt zu fol¬
genden Forderungen: Verbot der Aufnahme in eine Schule vo-
vollendetem 7. Jahre; Schulbeginn Winter und Sommer niclr
vor 9 Uhr; Abschaffung des Nachmittagsunterrichtes; 2 ganr
schulfreie Nachmittage; 4stündige Mittagspause; Maximum de*
Vormittagunterrichtsstunden je nach Alter 2K— 4 Stunden
giössere Hausaufgabe nur für Samstag Nachmittag; Kurzstunde
mit 40 Minuten Unterricht; Unterricht möglichst im Freien
Feriendauer 13 Wochen.
Fine Reihe ärztlicher Gutachten zeigt merkwürdige Ucber
rorderungen gegenüber dem Schulzweck und extreme Ar.
sichten, die scharfe Kritik herausfordern würden. Der Her-
Herausgeber liebt gerade solche Gutachten am meisten. Z. B
Beginn des Schulunterrichts mit dem 10. Lebensjahr (derselbe
Gutachter wünscht auch nur 1 — 2 stiindige geistige Arbeit!,'
4 ständige Mittagpause, weil die physiologische Verdauung so-
lange dauert und man inzwischen zum Arbeiten „nicht auf¬
gelegt“ ist; ein Gutachter lässt unsere Kinder durch die Haus¬
aufgaben, „die mit das Schlechteste sind, was sie erleiden“
körperlich ruiniert werden, der Herr Herausgeber selbst setz:
auseinander, dass jeder Schlaf, der geschlafen werden kann,
physiologisch notwendig ist u. s. f. Also vielfach mehr Tem-’
perament als Mässigung und Rücksicht auf das Erreichbare.
Ist etwa die ebenfalls aufgestellte Forderung: Unterricht iir
Freien „unter allen Bedingungen“ (pag. 56) für unsere Massen¬
verhältnisse an den städtischen Schulen innerlich berechtigte
und möglicher, als die utopische Forderung, jeder Staatsbürger
müsse unter allen Bedingungen zur Erleichterung seiner Fort-
bev egung fliegen können ? Man kann die Bemerkung nicln
unterdrücken, dass Aerzte in Schulsachen, bei denen doch auch
che Seite der Verwaltung, die für die Praxis nötige Organisation
desSchulbetriebes eine sehr grosse Rolle spielt, im Urteil zurück¬
haltender sein dürften. Ein Weg zu rascherer Verständigung
mit der Schule, als sie durch Umfragen bei Einzelnen zur Zeit
gesucht wird, liegt jedenfalls darin, dass möglichst zahlreich
gemeinsame Kommissionen von Aerzten und Schulmännern ge-
giundet und Umfragen von diesen Kommissionen beantwortet
werden. Dadurch wird viel beschwerlicher Ballast vor der
Drucklegung schon ausgeschieden.
Grassmann - München.
Dr. Richard Greeff: Reinbrandts Darstellungen der
Tobiasheilung. Mit 14 Tafeln und 9 Textabbildungen Ferd
Enke in Stuttgart, 1907. Preis 6 M.
Bei keinem Künstler lassen sich so vielfache, auch so viel¬
seitige Beziehungen zwischen Kunst und Medizin finden, als
geiade bei Rembrandt. Seinen Darstellungen der Tobias¬
heilung widmet der Direktor der Berliner Charitee-Augen-
klinik eine kulturhistorische Studie. Greeff hat alle Rem-
b ran d tsche Skizzen gesammelt, mit sonstigen Reproduk¬
tionen abgebildet und den Gegenstand von künstlerischen,
historischen und ärztlichen Gesichtspunkten aus zu einer höchst
interessanten und genussreichen Lektüre bearbeitet. Während
alle die anderen zahlreichen, bildlichen und plastischen Dar¬
stellungen die Heilung des alten Tobias durch Auflegen der
I Find aut das Auge, durch Einstreichung oder Einreibung der
Fischgallc, augenärztlich also höchstens durch eine Art
„Augeiunassage“ erfolgen lassen, hat Rembrandt auf
seinen Skizzen und dem reizvollen Brüsseler Bilde künstlerisch
schön, sachlich richtig eine Staroperation veranschaulicht, die
damals geübte Reklination; vermutlich beobachtete er sie bei
dt m Aiigcnaiztc Jakob van M c c k r e n, einem Schüler des
aus dem Anatomiegemälde bekannten Dr. T u 1 p. Re m -
b ran dt hob damit die Heilung aus dem Mystischen und Ge¬
heimnisvollen heraus und setzte an die Stelle einer Wunder¬
heilung die schönste Leistung ärztlicher Kunst, einen Blinde i
sehend zu machen. Dr. Carl Becker.
Richard Schmidt: Das Kamasutrain oder die indishe
Liebeskunsi. Dritte verbesserte Auflage. 500 Seiten. Berlin,
Bahrsdorf, 1907.
Dieses aus dem Sanskrit des Vatsyayana übersetzte und
nebst dem Kommentare des Yasodhara herausgegebene Werk
hat dadurch medizinische Bedeutung, weil es die Anomalien des
Sexuallebens in jenem fernen Osten genau kennen lehrt. Für
die vergleichende Völkerkunde wird dem Forscher manches
geboten, das er mit Dank annimmt. Andere können die Sache
von anderem Standpunkt aus betrachten, und werden die
Schrift als Bereicherung der in unseren Zeiten so üppig blühen¬
den Pornographie auffassen. Der Aesthetiker wird sich an den
Xenienkampf erinnern, den vor hundert und zehn Jahren unsere
Geistesheroen gegen literarische Auswüchse geführt haben.
Als nämlich der Breslauer Rektor M a n s o eine Nachahmung
des Ovid geschrieben hatte unter dem Titel „Die Kunst zu
lieben“. Ein Lehrgedicht in drei Büchern. Berlin 1794, erhielt
er von Schiller folgendes Gastgeschenk:
„Auch zum Lieben bedarfst du der Kunst? unglücklicher Mansc
„Dass die Natur auch nichts, gar nichts noch für dich getan!“
H u her- Memmingen.
Neueste Journalliteratur.
Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Herausgeg. von
Prof. L. Brauer. Band VIII. Heft 1.
S. Maciesca - Jelenska: Mitteilungen über den Befund
von Plasniazellen bei tuberkulös-pneumonischen Prozessen.
Verf. bespricht an der Hand eingehender Literaturübersicht die
Diskussion um die histiogene (Unna, Pappen heim) oder lympho-
zytare (v. Marschalk o) Genese der U n n a sehen Plasmazellen
und kommt auf Grund histologischer Untersuchungen an dem Material
des I athol. Instituts zu Zürich zu folgenden Resultaten: in allen 12
untersuchten ballen von käsiger (tuberkulöser) Pneumonie waren
1 lasmazellen sehr zahlreich, in 6 Fällen von fibrinöser Pneumonie
fehlten sie. Die Plasmazellen bevorzugen das perivaskuläre, peri-
bronchiale. mteralveoläre und subpleurale Gewebe, die Randzone der
1 uberkel, ferner alle Gebiete mit »regeneratorischen Auf¬
gaben des Gewebes. Im eigentlichen tuberkulösen Gewebe und im
Exsudat waren Plasmazellen stets spärlich. Plasmazellen werden
sowohl aus den an Ort und Stelle befindlichen, wie ausgewanderten
hämatogenen Lymphozyten gebildet. Bei tuberkulös-pneumonischen
1 rozessen entstehen sie grösstenteils nach dem ersteren Modus
Nach längerem Verweilen verfallen die Plasmazellen einer regres¬
siven Metamorphose oder werden auf dem Lymphwege ■ — auch in
Makrophagen eingeschlossen — entfernt. Wahrscheinlich kommt
den I lasmazellen die Funktion zu, antitoxisch wirkende Substanzen
zu bilden.
F. Köhler: Die psychophysische Gleichgewichtsstörung nebst
Beobachtungen an Phthisikern.
Veif. bespricht und analysiert die bekannten psychischen Stig¬
mata der Phthise meist euphorischer, selten hypochondrischer Art
und sucht sie in psycho-physische Gleichgewichtsstörungen 1. auf
1 c in tuberkulös-toxischer Basis, 2. auf rein psychopathologischer
Basis, 3. auf kombinierter Basis zu scheiden.
b. Köhler: Kritische Nachlese zur IV. Tuberkuloseärztever-
sammlung zu Berlin am 24. und 25. März 1907.
Epikritische Bemerkungen, die erstens die Röntgendiagnose det
Phthise, dann die Auswahl der Kranken: Heilstätte oder Kurort (z. B.
Lippspringe) behandeln. Weiter bespricht Verf. die Tuberkulin-
clebatte, die sich an den Vortrag von Bandelier anschloss und die
ergab, dass die Tuberkulintherapie zwar sicher unter den Heilstätten-
arzten immer an Boden gewinnt, aber noch fern von allgemeiner
Verbreitung ist, was in der zuzugebenden Unberechenbarkeit des
Leidens seine Ursache findet.
N. A. Michaelides: Ueber eine durch Ziehlfärbung nicht
darstellbare Form des Tuberkelbazillus. (Aus dem v. Behring-
schen Institut zu Marburg.)
Verf. kommt zu folgenden Schlussresultaten: Es gibt eine Form
des tuberkulösen Virus, welche durch die Zieh Ische Färbung nicht
darstellbar ist. Sie kann dann durch die Gram sehe und Löffler-
Giemsasche Methode sichtbar gemacht werden. Weder durch-
noch nach Gram färbbare Tuberkelbazillen können nach
L o f f 1 e r - G i e m s a gefärbt werden. Nach Z i e h 1 schwach färb¬
bares Virus kann nach Gram und etwas weniger gut nach Löff-
1 e r - (j i c m s a gefärbt werden. Es kommt eine Form des Virus vor,
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1791
das nach Gram und Z i e h 1, nicht aber nach L ö f f 1 e r - Q i e m s a
färbbar ist.
Hans Much -Marburg: Ueber die granuläre, nach Zielil nicht
färbbare Form des Tuberkulosevirus.
Die Tatsache, dass man in menschlichem und tierischem (sem-
infektiösen) tuberkulösen Material bisweilen keinen einzigen säure¬
festen Bazillus findet, veranlasste M. zu seinen Untersuchungen,
deren Einzelheiten im Original nachzulesen sind. Seine Resultate
sind: Es gibt eine nach Ziehl nicht darstellbare granuläre Form
des Tuberkulosevirus, die virulent ist. Sie kann in tuberkulösen
Organen Vorkommen als einzig färberisch nachweisbare Manifestation
des Tuberkel verursachenden Agens. Sie kann auch vergesell¬
schaftet sein mit einer feinen Stäbchenform, die ebenfalls nicht nach
Ziehl darstellbar ist. Es gibt Uebergänge von der nur nach Gram
färbbaren Granulaform zu der feinen, auch nur nach Gram färb¬
baren Stäbchenform und weiter zu den auch nach Ziehl färbbaren
Stäbchen (und Körnchen). Verf. betont übrigens, dass Michae¬
li d e s seine Resultate (s. o.) mit seiner, d. i. Muchs Methode
gewonnen hat (Michaelides erwähnt auffallenderweise dies
nicht, Ref.).
Karl L ex e r: Therapeutische Versuche mit künstlichem Pneumo¬
thorax. (Aus der med. Klinik Königsberg.)
Verf. hat nach dem Vorgang von Forlanini, Murphy,
B r a u e r u. a. in 4 Fällen von Phthise verschiedener Stadien Pneumo¬
thorax zu Heilzwecken erzeugt. Er bevorzugt die Einführung von
Stickstoff in kleinen Mengen in wiederholten Sitzungen, ln einem
Fall trat bei gutem technischen Gelingen des Eingriffes sehr erheb¬
liche Besserung ein, in 2 Fällen wurde durch interkurrente Exazer¬
bationen des Prozesses die Fortsetzung der Kur vereitelt, in einem
Falle misslang die N-Einblasung wegen starker pleuraler Verwach¬
sungen. Verf. glaubt, dass das Verfahren für gewisse Fälle eine
Zukunft hat, und wird seine Versuche fortsetzen.
Hans Curschmann - Mainz.
Archiv für klinische Chirurgie. 83. Band, 2. Heft. Berlin
Hirschwald, 1907.
19) L e x e r - Königsberg: Die ideale Operation des arteriellen
und des arterielLvenösen Aneurysma.
21) Stich: Zur Transplantation von Organen mittelst Gefäss-
naht. (Chirurg. Klinik in Breslau.)
23) S a u e r b r u c h - Greifswald: Die Verwendbarkeit des
Unterdruckverfahrens in der Herzchirurgie.
25) Thiemann: Nadeistichvertetzung des rechten Herz¬
ventrikels und Vorhofs. Naht. Heilung. (Chirurg. Klinik in Jena.)
27) G 1 u c k - Berlin: Die Entwicklung der Lungenchirurgie.
29) K ü s t e r - Marburg: Ueber Divertikel und zirkuläre Narben
der Speiseröhre.
31) W e ri d e 1 - Magdeburg: Beitrag zur endothorakalen Oeso-
phaguschirurgie.
Vorträge auf dem 36. Chirurgenkongress. Referate siehe No.
16— 20 dieser Wochenschrift.
18) Rüge: Zur Pathologie und Therapie der Proctitis purulenta
und ulcerosa. (Chirurg. Abteilung des Krankenhauses am Urban in
Berlin.)
An der Hand des grossen Materiales der Körte sehen Ab¬
teilung (75 Fälle in 17 Jahren) bespricht Verf. ausführlich die Aetio-
logie, pathologische Anatomie und Therapie der Rektumstrikturen,
mit besonaerer Berücksichtigung der Dauererfolge bei den verschie¬
denen Benandlungsmethoden. Er kommt zu folgenden Resultaten:
Die rein medikamentöse Behandlung der Proktitis führt nur dann
zur heilung, wenn ausgebildete Geschwüre noch nicht vorhanden sind.
Bei Ulzerationen und Strikteren ist auf diese Weise auch bei Unter¬
stützung durch Bougierkuren höchstens eine Besserung zu erzielen.
Dasselbe gilt von der Kolostomie in Verbindung mit medikamen¬
töser behanolung. Doch werden hierdurch in seltenen Fällen auch
ausgedehnte flächenhafte Geschwüre geheilt. Jedenfalls erreicht man
meist eine wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens.
Reichen die Geschwüre sicher nicht höher hinauf als bis zur
Flex. sigm. und ist diese ausreichend mobilisierbar, dann erreicht
man meist eine radikale Dauerheilung durch Exstirpation des Rek¬
tums. Bei hochreichenden Geschwüren und geschrumpftem Mesen¬
terium kann in Einzelfällen noch die kombinierte Methode zum Ziele
führen. Ein weiter, freier Zugang vom Operationsfeld ist wegen der
Schwierigkeiten der Exstirpation unerlässlich.
Die Exzision der Strikter von einem sakralen Schnitt aus mit
nachfolgender Querer Darmnaht ist nur bei völligem I chlen ausge¬
dehnter und tiefer Geschwüre anwendbar. Die Rectotomia posterior
ist zu versuchen, wenn eine Exstirpation unmöglich ist, die Schwere
der Erkrankung aber einen lokalen Eingriff erfordert. Die Aus¬
sichten für eine Heilung sind ziemlich gering. Jedenfalls muss duicli
Spaltung des Sphinkter für völlig freien Abfluss der Sekiete gesoigt
werden. . , .......
Die Aetiologie der Proctitis ulcerosa sowie der entzündlichen
Mastdarmstriktur ist meist eine syphilitische Doch kommen auch
tuberkulöse, dysenterische und gonorrhoische Erkrankungen vor.
die klinische Form der Erkrankung ist die Ursache ohne Bedeutung,
klinisch kann dieselbe meist nicht erkannt weiden.
20) v. B a r a c z - Lemberg: Brucheinklemmung, kompliziert
durch Thrombose der Vena mesaraica superior.
Bei einer eingeklemmten Leistenhernie eines 75 jährigen Man¬
nes fand sich die abführende Schlinge bis weit über den Schniir-
ring hinaus infolge Venenthrombose gangränös. Resektion von 3Va cm
Darm; Vorlagerung der Nahtstelle; Tod an Erschöpfung.
v. B. bespricht im Anschluss die Aetiologie, Erscheinungen, Dia¬
gnose und Therapie der Mesenterialgefässthrombose und Embolie,
Die Resektion des Darmes hat bisher unter 47 Fällen nur 4 mal zur
Heilung geführt. ...
22) Ü f f e r g e 1 d: Lungenkomplikationen nach Aethernarkose.
O. hat zahlreiche Tierversuche an Meerschweinchen, Kaninchen
und Katzen ausgeführt, um testzustellen, ob die Applikationsweise des
Aethers von wesentlichem Einfluss auf die Art und Schwere der
Lungenveränderungen ist. Er prüfte in 3 Versuchsreihen: 1. die
Gussmethode (Erstickungsmethode), 2. die kombinierte Aether-Sauor-
stoffnarkose mittels des R o t h - D r ä g e rschen Apparates und 3. die
Tropfmethode. Die Resultate sind recht interessante: Bei der Aether-
gussmethode in einer fest anschliessenden Maske stellen sich bion-
chopneumonische Prozesse ein, welchen ein I eil der Versuchstiere
unter dem Bilde der lobulären Pneumonie erliegt. Nach der Aether-
sauerstoffnarkose treten wohl auch bronchiolitische Verandei ungen
und vereinzelte lobulär pneumonische Herdchen auf, aber diese Er¬
scheinungen gehen sehr bald zurück und werden nicht gefähi lieh.
Nach der Aethertropfmethode treten gelegentlich im Epithel der Bron¬
chien ganz geringe Verfettungen ein, während das Lungenparenchym
und die Epithelien der Alveolen verschont bleiben. Diese geringe
Veränderung heilt ohne Schaden in ein paar Tagen aus. Wieder¬
holte Narkosen mit den verschiedenen Methoden wirken in gleicher
Weise. Das Tierexperiment zeigt also, dass die Aethertropfmethode
allen anderen Methoden — und zwar auch der Sauersioff-Aetlmi-
methode — bei weitem vorzuziehen ist.
24) Frank: Zur Frage der Behandlung subkutaner Nierenvcr-
letzungen. (Chirurg. Abteilung des Krankenhauses am Urban m
bUlF; wendet sich gegen die Ergebnisse der Statistik von Suter,
der eine geringere Mortalität der Nierenrupturen bei operativer als
bei exspektativer Behandlung berechnet und deshalb ein aktiveres
Vorgehen empfiehlt. Verf. hat das Material der Kort eschen Ab¬
teilung zusammengestellt und berichtet über 39 Fälle, daiuntei .
isolierte Nierenrupturen. Davon sind nur 5 operiert worden U wegen
Verdacht auf Blasenruptur, 1 wegen Peritonitis, 1 wegen Urinpldeg-
mone 1 wegen Nierenbeckenruptur mit Urinphlegmone). Gestorben
sind im ganzen 6 = 15,38 Proz. Von den isolierten Rupturen starb
nur einer an Eiterung. Von 33 geheilt Entlassenen konnten 24 nach¬
untersucht werden; davon waren 23 im wesentlichen gesund 1
an anderem Leiden gestorben. Nur 3 haben eine dauernde Unfall¬
rente bezogen. F. hat also allen Grund, mit der exspektativen Therapie
der Nierenrupturen zufrieden zu sein.
26) M o s z k o w i c z - Wien-Döbling : Zur Technik der Urano-
PlaStM tritt ein für die L an e sehe Operationsmethode mit Um-
klappung des Gaumenlappens, so. dass dessen Schleimhaut nach der
NasPeP zu gerichtet ist. Nach M.s Erfahrung lassen sich breite Spalten
mit der Lan eschen Methode leichter schlossen als mit der Lan¬
ge n b e c k sehen. Bei sehr breiten Spalten empfiehlt er auf der
einen Seite einen Lane sehen, auf der anderen Seite einen Lan g e n-
b eck sehen Lappen zu bilden, und diese beiden Lappen zum teil
übereinander zu legen, so dass sich breite Wundflachen berühren. Die
Laue sehen Lappen können sehr gross gemacht werden ; seitlich kan
man die Schleimhaut des Alveolarfortsatzes und selbst der Wange mit
hineinnehmen, nach hinten bis in die Tonsille heremeel hen und nach
vorne wenn der Alveolarfortsatz gespalten ist, bis in die Lippe
hinein Die Bildung eines grossen und nach hinten gut abschhessen-
detf 'Gaumensegels it bei der Lane sehen Methode besser möglich.
28) G u 1 e k e: Akute gelbe Leberatrophie im Gefolge der Cnforo-
fnrmnarkose. (Chirurg. Universitätsklinik in Berlin.)
Typische akute Leberatrophie nach kurzer ChloroformnaiTosc
(Radikaloperation einer Leistenhernie) bei einer 23 jährigen Frau,
in 4 Tagen tödlich verlaufend.
30) Owtschinnikow: Peritonitis chronica hbrosa incapsu-
lata. (Chirurg. Fakultätsklinik in Kasan.)
2 Fälle von sehr ausgedehnter derber fibröser Verwachsung dei
Darmschlingen, ohne bekannte Aetiologie. Die Därme waren wie
eingehüllt in eine derbe Bindegewebskapsel, das Peritoneum fast ganz
oblfteriert. Die Erkrankung hat einen chronischen Verlauf und ver¬
ursacht eine Reihe progredienter Störungen in der Darmfunktion.
hauDtsächlich in Form von chronischer Darmverschliüssung mit
periodisch auftretenden Darntblähungen; sie führt zu einer Beein¬
trächtigung der Ernährung und Kräfteverfall, mitunter zu den i
scheinungen des Ileus. Die Ursache der Erkrankung .st ^unklar m t
Tuberkulose scheint sie nichts zu tun zu haben. (). betrachtet -
als eine Erkrankung sui generis.
32) Kleinere Mitteilungen. .
Bai ly: Coxa vara tuberculosa. (Chirurg. Univ.-Khmk
BerlDie Verbiegung war bedingt durch einen tuberkulösen Heid
im Schenkelhals.
1792
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
S c h u 1 1 z e - Duisburg: Ein einfacher Hebeapparat. (Beitrag
zur Bauchchirurgie.)
Praktischer Apparat zur Lagerung bei Bauchoperationen, dessen
Konstruktion im Original nachzusehen ist.
Purpura: Mitteilung zu der Arbeit von Prof. Graser
(Bd. 80). (Chirurg. Klinik in Pavia.)
Historische Bemerkung zur Radikaloperation grosser Nabel¬
hernien. H e i n e k e - Leipzig.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 88. Band, 4. — 6. Heft,
Leipzig, Vogel, Juni 1907.
Franz König: Ueber Derangement im Kniegelenk mit beson¬
derer Berücksichtigung der Meniskusverletzung.
K. bespricht nach historischen und anatomischen Vorbemer¬
kungen seine 14 wegen Derangement intern gemachten Kniegelenks¬
operationen. 7 mal handelte es sich um Verletzung des inneren
Meniskus, stets als Resultat indirekter Gewalteinwirkung, gewöhnlich
gewaltsamer Rotationsbewegung nach aussen. Anatomisch kann
sich finden: Quetschung des Meniskus ohne Ablösung, Ablösung mit
Schlingenbildung oder Abtrennung, Dislokation des abgelösten Menis¬
kus nach aussen (Meniskusluxation) oder ins Qelenk, Umbildung der
dislozierten Meniskusteile zu band- und strickförmigen Gebilden nach
Gebrauch von Gelenken mit frischer Meniskusablösung, häufig
Arthritis deformans.
An 2 Fälle von äusserer Meniskusverletzung, 2 kompliziertere
Fälle und 3 Fälle von traumatischer Fettgeschwulst schliesst K.
klinische und therapeutische Bemerkungen an.
Die Art des Unfalls, bei dem manche Verletzte sogar auf den
Beinen bleiben, Steilheit in leichter Beugestellung, der lokale Befund
bei frischen Fällen, dazu die Schmerzanfälle bei veralteten Fällen sind
diagnostisch wesentlich.
Die frische Meniskusverletzung ist operativ (Reposition, Naht
oder Exstirpation) nur anzugreifen, wenn es sich um schwere Ver¬
schiebungen etc. handelt. Mit Ruhigstellung und Massage kommt
man in den meisten Fällen aus. Alte Fälle werden operiert. Streck¬
defekte und Witterungsschmerzen bleiben meistens auch nach der
Operation, die K. mittels seitlichem Längsschnitt, eventuell unter An¬
wendung eines kleinen elektrischen Spiegels ausführt.
Martina: Ueber die Dauererfolge der operativen Behandlung
der Meniskusluxationen im Kniegelenk.
Zwei im Jahre 1904 operierte Patienten mit Meniskusluxationen,
von denen ein Fall mit Gelenkmaus kompliziert war, hatten es bei
der ca. 2 jahre nach der Operation vorgenommenen Nachunter¬
suchung soweit gebracht, „dass sie auch bei stärkerer Inanspruch¬
nahme des geschädigten Beines keine störenden Ausfallserschei¬
nungen verspürten“.
Bezüglich der Diagnose der Meniskusluxationen bespricht M.
besonders die Verwertung der Röntgenbilder.
Konservative Behandlung führte nicht zum Ziele. Wichtig ist
zur Beurteilung des Resultates Nachuntersuchung nach längerem Zeit¬
raum (Erfolg kurz nach der Operation ist nicht massgebend), sowie
Berücksichtigung des Berufes. Der beste Operationsschnitt ist Längs¬
schnitt neben der Patella (Schonung des Bandapparates).
Kothe: Ueber die Leukozytose bei der Appendizitis. (Mit
32 Kurven.)
Nach einer allgemeinen Besprechung des Wesens der Leuko¬
zytose, ihres von örtlichen Bedingungen, Infektionsintensität und
,, Reaktionsfähigkeit des Organismus“ (Neubildung der weissen Blut¬
körperchen) abhängigen verschiedenen Verhaltens, ihrer Unabhängig-
keit von der infizierenden Bakterienart, der niedrigen Leukozytose
bei schwerster Infektion prüft K- nach Sonnenburgs Vorgang
an der Hand zahlreicher Krankengeschichten die Brauchbarkeit der
Leukozytenzählung und besonders der Leukozytenkurve bezüglich
der Pro- und Diagnose der akuten Appendizitis.
Als praktisch besonders wichtig sei hervorgehoben:
»Ein gleichmässiger und nicht hoher Anstieg der 3 Kurven
uls, I emper atur, Leukozytenzahl) spricht i. a. für eine gutartige
Erkrankung des Wurmfortsatzes.“
, , »Durchschnittswerte von 37,9 0 für Temperatur, 96 für Puls und
I40U0 für Leukozytose sprechen für eine einfache katarrhalische Ent¬
zündung des Wurmfortsatzes.“
, »HIeichmässige Steigerung der 3 Kurven bei schweren sonstigen
klinischen Symptomen, 38,2°, 116, 20 000 bedeutet schwere patho¬
logische Veränderungen am Wurmfortsatz.“ Bei noch grösserer
Steigerung (38,5", 122, 30 000) „ist meist schon eine mfh? odef
weniger ausgebreitete Peritonitis vorhanden“. „Nach der Operation
einer akuten Appendizitis pflegt, wenn es sich um einen gutartigen
«jinkpn^- n n-t ? ^ d!f Leukozytose mehr oder weniger rasch abzu-
Eiter "vö rhanden 16 ^ °dCr Ste‘gt 516 wieder’ so ist irgendwo noch
Bei diffuser Peritonitis kann die Leukozytose auch von Anfang
an niedrig sein und niedrig bleiben (2. Typ).
Prognostisch wichtig ist noch die sog. prämortale Leukozytose.
, • Der differentialdiagnostisch wichtige Vergleich der Leukozytose
bei Gallenstein- und -blasenerkrankungen, bei Bleikolik, akuter Pan-
kreaftrs, Nierenerkrankungen und Enteritis mit der Leukozytose bei
interessante ÄS"* mi‘ 32 inStr,lktiVen K“rVe" ausBes,attele
Fricker: Beiträge zur Kenntnis der therapeutischen Resultate,
speziell der Resultate der Seruintherapie bei Tetanus.
Nach einer Uebersicht über die bisherigen Tetanusstatistiken,
ihre verschiedene Bewertung, die Serumbehandlung des Tetanus in
ihren verschiedenen Formen, die Lokaltherapie gibt Fr. eine lücken¬
lose Beobachtungsreihe von 40 Tetanusfällen, von denen 18 ohne
Serum mit 88,8 Proz. Letalität, 22 mit Serum mit 55,5 Proz. Letalität
behandelt wurden. Das Vorhandensein mehr leichter und mittel¬
schwerer Fälle der 2. Rubrik, sowie eine energischere Lokalbehand¬
lung dieser Reihe macht die Rubriken bezüglich der Beurteilung des
therapeutischen Wertes des Serums ungleich.
Aus den wichtigen Schlussfolgerungen sei bemerkt: Bösartigkeit
der Infektion, individuelle Disposition zu rascher und fester Veranke¬
rung des Tetanustoxins mit dem Nervensystem, Schlingbeschwerden,
Inkubation spielen prognostisch eine Rolle.
Bei energischer Lokalbehandlung scheinen die Seruminjektionen
den Ausgang bezw. Verlauf zu modifizieren. Narkotika sind nicht
zu entbehren. Tetanusbazillenbefund in benachbarten Lymphdrüsen
sind kein seltenes Vorkommnis.
Deetz: Perforationsperitonitis von einem Darmdivertikel mit
Magenschleimhautbau ausgehend.
Bei dem 9 jährigen unter dem Bilde der Appendizitis erkrankten
Patienten fand sich Perforation eines einer Dünndarmschlinge auf¬
sitzenden Divertikels, das mikroskopisch Magenschleimhaut und
aussen ein akzessorisches einmündendes Pankreas zeigte. Bespre¬
ng von 8 Literaturfällen von sog. Ectopia ventriculi mit Erörte¬
rungen über ihre Genese (Tillmanns, Siegenbeck van
H e u k e 1 o m, F i s c h e 1) und die Literatur des akzessorischen Pan¬
kreas. Die Divertikulitis ähnelt der Appendizitis, Fremdkörper
scheinen bei ihrer Genese eine Rolle zu spielen.
O. E. Schulz: Zur Statistik der Gastroenterostomien bei be¬
nignen Magenerkrankungen.
Nach kurzem historischen Ueberblick über die Gastroentero¬
stomie, ihre verschiedenen Methoden (Circulus vitiosus), Nahttechnik
bespricht T. die wegen benigner Magenerkrankungen (Narbenstenose
H,nd Dlcus am Pylorus; Ulcus callosum; unklare, auf Ca verdächtige
Falle; Ulcus duodeni, Adhäsionen) von 1903 bis 1906 an Hochen-
eggs Klinik gemachten Gastroenterostomien (76 mit 5,26 Proz Mor¬
talität). Die Dauerresultate entsprechen 88 Proz. Erfolgen.
Die Gastroenterostomie bringt neben der Behebung der Stenose-
erscheinungen auch das Geschwür zum Heilen. Verf. empfiehlt die
n o c h e n egg -Pete r s e n sehe Methode, die besonders den Cir-
culus vitiosus und das postoperative Jejunalgeschwür vermeidet
und die Ausheilung des Magengeschwürs zu begünstigen scheint.
Mori: Ein Fall von Pneumatosis cystoides intestinorum
hominis.
Mitteilung der Krankengeschichte eines unter dem Bilde der
Magendilatation erkrankten 37 jährigen Patienten, bei dem sich auf
Ileum und Jejunum „zahllose banfkorn- bis haselnussgrosse Luft-
blaschen fanden. Gastroenterostomie mit Braun scher Enteroana-
stomose, Murphyanastomos® zweier verschont gebliebener Dünn¬
darmschlingen.
iZ V ./ 1
rr A s u ^ropmsqne iviuskuiatui, eimumeiiuse,
aus straffem Bindegewebe bestehende Bläschenwandung, Kokken in
einzelnen Zysten) weicht zum Teil von dem anderer Autoren (5 Fälle)
a ). Entstehung vielleicht durch Uebertragung vom Schwein auf
den Menschen.
Ebner: Ein Fall von Berstungsruptur des Darmes infolge Ein¬
wirkens stumpfer Gewalt bei gleichzeitiger Hernia umbilicalis epi-
ploica concreta.
, D®! d®r jährigen, mit einer Hernia umbilicalis epipl. behafte¬
ten Patientin fand sich 14 Tage nach leichtem Trauma (Fall im Zim¬
mer) I entomtis, 4 cm langer Serosariss im Zoekum mit Perforations-
o fnungen Verf fasst die Verletzung als Berstungsruptur auf, ent¬
standen durch doppelseitigen Darmverschluss infolge! Zusammen¬
wirkens der angewachsenen Hernie mit der Valvula Bauhini.
Kalb: Ein Fall von hoher Plexuszerreissung.
Der aus einer Höhe von 10—12 m herabgestürzte, mit der -Schul¬
ter wahrend des Falles aufgeschlagene Patient zeigte bei der Opera¬
tion eine Abreissung des Plexus vom Phrenikuseintritt bis zur Wur-
Ph den h Dorsalsegmentes; die Aeste für den Levator scapulae, die
fp°cf;id' und Skalem waren unversehrt. Die Nervennaht war ohne
wesentlichen Erfolg. Literatur und Besprechung der Differential-
Hand^fnes^Fahps h°her Plexuszerre'ssung und Hämatomyelie an der
nana eines Falles. Flörcken.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 30— 32.
No. 30. Wi 1ms -Basel: Zur lumbalen Ureterostomie nach
t i ' ° i luucKung ues ureters tre-
legentlich der extraperitonealen Unterbindung der Vena spermat. be
puei peraler Septikamie) die suprainguinale Ureterostomie vorge
"°“men Und o6i! fm.erP Kind, bei dem früher die Implantation in«
Rektum ausgefuhrt, jedoch eine Urinkotfistel entstanden war, diese
Operation vorgenommen, indem er zuerst rechts den Ureter 5 cn
iiber dem Eintritt öer Blase durchtrennte und hervorholte und in dei
ange von 4 cm ausserhalb die Hautwunde vor und etwas oberhalt
uei - pina ant. sup. vorlagerte und dann nach weiteren 14 Tager
links operierte, wobei er (um Verengerung durch Granulations¬
bildung etc. zu verhüten) den Ureter zunächst in einer Lange von
4 cm unter die Haut lagerte (ähnlich wie dies mit dem Darm bei der
v. Hacker sehen Kolostomie geschieht); man kann dann spater den
Ureter durch die nachbarliche Haut umkleiden und rüsselfoirmg voi-
stehen lassen. Als Hauptvorteil führt W. an, da?sA® ^aAei*?en als
der vorderen Lage der Mündungen besser sich rein halten können, als
bei deren Lage auf dem Rücken. .
G Marwedel; Querer Nierensteinschnitt.
M empfiehlt für alle unkomplizierten Nierensteinfalle mit saurem
Urin oder nur leichter Infektion des Nierenbeckens den queren Schnitt
von dessen Vorzügen er sich durch Nachprüfung der Tierversuche
von Her man überzeugt und den er in 5 Fallen erpiobt hat, bc
all diesen Fällen gelang die Entfernung des bis zehnpfennigstu -
grossen Steines überraschend leicht und wurde keinerlei Stoiung d
Nierenfunktion oder des Heilungsverlaufs als Folge der Schmttmethode
beobachtet. In einem Falle sekundärer Hämaturie nach Nephrektomie
erzielte M. durch Aufklappung der Niere und Umstechung des sputz -
den Gefässes (nahe dem Hilus) und Iamponade vollen Erfolg. Bei
Verdacht auf miliare oder grössere Abszesse im ]
ist der alte Schnitt beizubehalten, der eine ausgiebige Spaltung und
Entleerung der zerstreuten Eiterherde ermöglicht.
No. 31. L o t h e i s s e n - Wien : Der Weg durch das Mesokolon
(Cholecystojejunostomia, Gastroenterostomia transmesoc.)
L. hat bei keinem seiner betr. Fälle einen Circulus vitiosus ge¬
sehen, hält die G. retrocolica post, für das Normalverfahren und ei-
achtet es für selbstverständlich, dass auch für die Cholezystentero-
stomie nur die posterior in Betracht kommt und hat die Methode, ganz
wie Brentano sie angibt, mehrfach ausgeubt. Er band den Darm
nur durch Dochte ab; die Gallenblase wurde vor der Naht nach
sorgfältigem Abstopfen der Bauchhöhle, .durch Punktion und Aus-
tupfen völlig entleert (da man event. erst danach den Ropt des Pan¬
kreas genau abtasten und Choledochussteine ausschhessen Kann).
H. Hans: Eine neue chirurgische Hakenpinzette.
H. ahmt die Gegenüberstellung des Daumens and Zeigefingers
in spitzbogenartig abgeschrägten Branchenenden nach und sollen diese
Pinzetten (s. Abb.) wesentlich festeres und exakteres Anfassen er-
möglichen, während durch Aufschieben eines auf jede Pinzette passen¬
den Sperriegels sofort eine Fixierpinzette oder Blutstillungsklemme
daraus hergestellt werden kann. . «
No. 32. Fr. Stein man n - Bern: Eine neue Extensionsmethode
in der Frakturbehandlung . , , H
St. schlägt als Ersatz der immerhin etwas zeitraubenden Heft-
pflasterextension die Nagelextension vor, womit er alle Nachteile
ersterer (Ekzem, ischämische Muskellahmungen, Dekubitus etc.) ver¬
meiden will und vor allem bei völligem Freibleiben des ganzen peri¬
pheren Abschnittes der Extremität frühzeitige gymnastische Hebungen
ausführbar sind. Die Nagelextension kann fast uberah angewandt
werden, am leichtesten da, wo grosse Knochenmassen mit geringer
Weichteilbedeckung zur Verfügung stehen (unteres Femurende) sie
braucht einige aseptische Kautelen und häufig eine kurze Narkose, ist
einfacher und rascher besorgt, als die Heftpflasterex ensron und fu.
den Patienten bei stärkstem Zug schmerzlos Z. B. am Femur schh g
St. 2 spitze, schlanke, vernickelte Stahlnagel von 6—8 cm Lange n
breitem Kopf nach entsprechendem Sterilisieren mit Hai m e> beide -
seits am unteren Femurende durch die desinfizierte Haut in die Kon-
dylen ein (oberer Rand des Kondylus mit gegen den jenseitigen Epr-
kondvlus schräg abwärts gerichteter Spitze). An die etwa 1 cm
herausragenden Kopfenden werden mittels Draht beliebige Gewichte
angehängt oder man benutzt Anhängeapparate m Form einet i Doppel-
hakens mit über den Nagelkopf greifender Kappe. St. vei weist aut
eine im Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte erscheinende
AlbCRi edel -Jena: Die Unterbindung der Art. subclavia oberhalb
des Schlüsselbeins mittels Längsschnittes in der Richtung des Nerven
Da man " bei der gewöhnlichen Schnittführung oberhalb und
parallel der Klavikula ohne Palpation nicht auskommt, empfiehlt R.
einfachen Längsschnitt in der Richtung des Gefässes, derselbe beg nn
ungefähr in der Höhe des Proc. transv. des 5. Halswirbels und fuhrt
direkt bis zur Mitte der Klavikula. Nach Trennung von Haut und
Platysma und Unterbindung mehrerer Venen, event. Entfernung ver-
grösserter Lymphdriisen, wird die schon etwas tief ei liegende A .
transv. colli doppelt ligiert und nachdem man den zu oberst gelegenen
Nerven gefunden und dadurch genau zwischen Scalenus ant. und
medius unterscheidet, geht man in der Rinne zwischen beiden nach
abwärts und sieht bald den 2. und 3. Nerven und endlich in grosser
Tiefe die Arterie, deren Aufsuchen und Unterbinden bei gutem Lichte
leicht gelingt. c 11 '
Zentralblatt für Gynäkologie, No. 33 u. 34.
No. 33. Hammer sch 1 a g - Königsberg i. Pr.: Warnung vor
poliklinischer Ausführung der Hebosteotomie.
H machte bei einer 36 jährigen XVI. Para nach 17 «fündigem
Abwarten die Hebosteotomie, worauf 4 Stunden später spontane Ge¬
burt erfolgte. Am nächsten Tage bekam Pat. eine foudroyante
Sepsis, ausgehend von einer Blasenverletzung mit konsekutiver Urin-
infiltration infolge Verstopfung des Dauerkatheters. Am selben
Abend erfolgte der Exitus. Der Fall lehrt die Gefahren der poli¬
klinischen Ausführung der Hebosteotomie; bei rechtzeitiger Durch¬
gängigkeit des Dauerkatheters wäre es wahrscheinlich nicht zur Urin- (
Infiltration gekommen. . . . .
G. K 1 e i n - München: Versenkte Silknaht der Faszie bei ab¬
dominalen Köliotomien. , ,u
Auf Grund seiner Erfahrungen an 202 Laparotomien empfiehlt
K als bestes Nahtmaterial sowohl zur Faszien- als Hautnaht das
Silkwormgut. Die Zahl der primären Heilungen hing nicht von
der Benutzung von Gummihandschuhen oder dergleichen ab, son¬
dern nur vom Nahtmaterial. , , ,
O. Ulrich -Erfurt: Ein Fall von intrauteriner Leichenstarre.
Bei der Zwillingsgeburt einer I. Para kam der 1. Zwilling tot
und in völliger Leichenstarre zur Welt; der 2. lebte und gedieh gut.
Daneben fand sich ausgesprochene Insertio velamentosa der Nabel¬
schnur. Leichenstarre ist also kein Beweis für extrauterines Leben
der Frucht.
No. 34. Th. v. W e n c z e 1 - Ofen-Pest: Durch Operationen ent¬
standene grosse Bauchfellverluste. „
Grosse Bauchfellverluste verschlechtern bekanntlich die Pro¬
gnose jeder Laparotomie, speziell wegen der erhöhten Infektions¬
gefahr v W. beschreibt 2 Fälle (grosse Kolloidzysten). wo die
Tumoren so fest mit der Bauchwand und Umgebung verwachsen
waren, dass grosse Defekte im Bauchfell zuruckblieben. Trotzdem
verlief beide Male der Heilungsprozess günstig. Weitere Besondei-
heiten boten die Fälle nicht.
Domenico Tanturri: Ein schwerer Fall von Osteomalakie, ge-
heilt mit den Adrenalineinspritzungen nach der Methode Boss .
Auch im vorliegenden Falle handelt es sich um eine fast wunder¬
bar zu nennende Heilung einer schweren Osteomalakie < lie "ac 1
Bo ss is Vorschriften (ref. in dieser Wochenschrift 1907, No. 6.
o 278) mit Adrenalineinspritzungen behandelt worden war. l
26 jährige II. Para war seit Monaten bettlägerig und ausser Stande
sich zu bewegen. Eine Injektionskur mit Phosphorol (1 . 1000)
brachte keine nennenswerte Besserung. Darauf begann 1. die -
renalineinspritzungen (anfangs 1 mal täglich, spater 2 mal täglich
% ccm Adrenalin 1:1000). und nach 6 (!) Tagen war PM. volhg
geheilt. Näheres s. im Original. J a f f e - Hamburg.
Archiv für Hygiene. 62. Bd. 2. Heft. 1907.
1) W. Pi es -Strassburg i. E.: Untersuchungen über die Wachs¬
tumsgeschwindigkeit der Tvphusbazillen in Galle. ,
Die Wachstumsgeschwindigkeit in der C o n r ad i sehen und
Kayser sehen G a 1 1 e n r ö h r e ist für Typhus besonders bedeutend
und dürfte auf der die Entwicklung fordernden Wirkung der Galle,
auf der Aufhebung der bakteriziden Wirkung des Blutserums und
auf der Anwesenheit von reichlichen Nährstoffen beruhen. Alleidings
wird auch Koli ebensogut angereichert und deshalb kann man im
Bakteriengemisch eine Anreicherung des Typhus allem nicht er-
Zie'62) G. G r i j n s - Weltevreden (Java): Ueber Ernährungspoly¬
neuritis. (Entgegnung.) , , T. , „ ,
G r i j n s wendet sich gegen die Resultate der Versuche E y k -
man n s, nach denen die Entstehung der Hühnerpolyneuritis an be-
stimmte Sorten von Stärke in der Nahrung gebunden sei. Des Vert.
Versuche, besonders die mit Fleisch, sprechen dagegen.
3) R. Schuppius - Berlin : Die Milchleukozytenprobe nach
Trommsdorff. .. v , •>
Trommsdorff hatte angegeben, dass man aus einigen Kubik¬
zentimeter abzentrifugierter Milch mit Hilfe der gefundenen Leuko¬
zyten auf vorhandene Eiterung des Euters event. Mastitis der Ruhe
schlossen könnte. Die Nachprüfungen haben nun aber ergeben, dass
die von Trommsdorff angegebenen und im Handel befindlichen
Zentrifugierröhrchen nicht genau sind; dass zweitens der erhalten
Bodensatz nicht nur aus Leukozyten besteht, sondern bis zu 50 'Proz¬
aus Fett mit Kot, Haaren usw. gemischt: die wenigen Leukozyten
rühren auch nicht von Eiterungen her Es lässt sich andererseits
aus der Menge der Leukozyten im Bodensatz nicht auf die Menge
des der Milch beigemengten Eiters schlossen. da dei Leukozyten
gehalt der verschiedenen Eiterarten verschieden ist.
4) N a w i a s k y - Berlin: Das spezifische Gewicht gekochter und
r0heEsFwtmdenrtRind- und Kalbfleisch, roher und gekoch^r Schm-
ken zu den Versuchen verwendet. Zwischen Rind- und Kalbfleisch
ist kein Unterschied zu finden. Dagegen z?'?‘ n^Sht ° was mit
gekochten Schinken ein weit grosseres spezifisches De wicht, was
dem Verlust von Wasser beim Einsalzen zusammenhangt.
Erhitzung der Fleischsorten auf 100” sind die Differenzen ,m sne-
zifischen Gewicht nur sehr gering. Rinintrie des
5) Walter G a e h t g e n s - Strassburg: Beitrag zur Biolo„
Bacillus faecalis alcaligenes. . . . h - , eefun_
Die auffallende Tatsache, dass der von Alt S,CJ? “ rp Jf, .en
dpnp Bac alcaligenes in den Typhusibazillus sich hal e
lassen sScht sich Verf. so zu erklären, dass die Ausgangskultur vom
Alkaligenes nur einige wenige Tvphusbazillen enthalten habe und
nun^uf6 ungeklärte AVeise^ derLyphusbaziltus in doo Vordergrund ge-
treten ist. Die Versuche des Verf. mit einem Typhus- Alkaligene.
Gemisch ergaben dafür Anhaltspunkte.
1794
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
6) B e r g h a u s - Berlin: Ueber die Wirkung der Kohlensäure,
des Sauerstoffs und des Wasserstoffs auf Bakterien bei verschiedenen
Druckhöhen.
Unter den verwendeten Bakterien, Cholera, Milzbrand, Typhus,
Koli, Enteritis, Dysenterie, Paratyphus, Staphylokokken, Strepto¬
kokken und Proteus wurden auch die resistentesten, die Koliarten.
bei 15 Atmosphären Druck und Kohlemsäureeinsickerung abgetötet,
konnten eine grössere Anzahl Bakterien einen Sauerstoffdruck von
75 Atmosphären aushalten, so dass sie sich nachträglich noch ver¬
mehrten. Im Wasserstoffstrom lebten alle untersuchten Bakterien
weiter, wenn auch manche kümmerlich. Ein hoher Druck brachte
keinerlei störende Wirkung. R. O. N e u m a n n - Heidelberg.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 34.
1) Loeffler und R ii h s - Greifswald: Die Heilung der experi¬
mentellen Nagana (Tsetsekrankheit).
Verf. erprobte in der arsenigen Säure ein spezifisches Mittel
gegen die Naganatrypanosomen bei Meerschweinchen. Ratten und
Kaninchen. Es gelang, schwerkranke Tiere durch fünfmalige Be¬
handlung (per os oder intravenös oder intraperitoneal) zu heilen,
ohne Vergiftungsgefahr, ferner gesunde Tiere vor der Erkrankung
trotz wiederholter Infektion zu bewahren. Dje Therapie muss streng
systematisch erfolgen, nach Ermittlung der Dosis letalis und der
Dosis efficax (Blutkontrolle) für jede Tierspezies. Am besten be¬
währte sich die Darreichung der Dosis efficax in 5 tägigen Zwischen¬
räumen. Verf. hoffen, dass sich auch die anderen Trypanosomen¬
arten und Spirillen (Lues) in analoger Weise beeinflussen lassen.
2) Klapp und D ö n i t z - Berlin: Ueber Chirosoter.
Um die Bakterien in der Haut des Operateurs und des Opera¬
tionsfeldes zu fixieren, imprägnieren Verf. die möglichst wasserfreie
Haut (hochprozentiger Alkohol) mit Wachs. Das in Tetrachlorkohlen¬
stoff gelöste Wachs wird in dünner Schicht aufgesprayt. Kultur¬
versuche fielen günstig aus. Die nach dem Desinfizieren zurück¬
bleibenden Keime werden so zum grössten Teil ausgeschaltet, ähn¬
lich wie mit Gaudanin.
3) H e i 1 e - Wiesbaden: Neues über Aetiologie und Behandlung
der postoperativen Darmstörungen.
Vortrag auf dem diesjährigen Chirurgenkongress, ref. Münch,
med. Wochenschr. No. 17, S. 857.
4) M. K a e h 1 e r - Strassburg: Drei chirurgisch behandelte Fälle
von typhöser Darmperforation und Perforationsperitonitis.
In den 3 Fällen, welche jugendliche Kranke betrafen, trat die
Perforation im Typhusrezidiv ein. Einmal wurde die Bauchhöhle
nur drainiert, einmal genäht, einmal genäht und drainiert. Der erste
Fall kam durch, der zweite starb 23 Tage nach der Operation, hatte
multiple Abszesse zwischen den Darmschlingen, der dritte kollabierte
bald nach der Operation. Verf. befürwortet die „früheste Früh¬
operation“. Allerdings kann die Perforation schleichend eintreten,
ohne alarmierenden Schmerz. Im einen Fall fand man einen Netz¬
zipfel auf eine Perforationsöffnung geklebt.
5) L. W. W e b e r - Göttingen : Fortschritte in der Diagnostik der
Nervenkrankheiten. (Schluss.)
Belehrende Uebersicht.
6) W e d e r h a k e - Düsseldorf : Wie vermeidet man sicher das
Zurücklassen von Kompressen bei Operationen in der Bauchhöhle?
Zum Tupfen nimmt Verf. Stieltupfer, zum Abdedken 4— 8 zipflige
Gazeservietten.
7) G. J. M ii 1 1 e r - Berlin: Ueber den derzeitigen Stand und die
Aussichten der Aktinotherapie. (Schluss.)
Kritischer Ueberbliok (Finsenlicht, Hg-Lampe, Quarzlampe,
Röntgenlicht).
8) Artur L i s s a u e r - Holsterhausen : Versuche mit Thoms
„Ptyophagon“, als Beitrag zur Sputumhygiene.
Verf. lobt den Plan, die Abtötung der Keime sofort durch auf-
schliessende „Verdauung“ des Sputums einzuleiten, wünscht aber
noch technische Verbesserungen.
ö) Alfons F i s c he r - Karlsruhe: Staatliche und private Mutter¬
schaftsversicherung. (Schluss folgt.)
1") K 1 a m a n n - Berlin: Juristische Rundschau für die ärzt¬
liche Praxis.
II) Girard: Das Militärsanitätswesen in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika. R. Grashey- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 34. O. Stoerk-Wien: Ueber experimentelle Leber¬
zirrhose auf tuberkulöser Grundlage.
Schluss folgt.
E. S u e s s - Alland: Ueber die differentialdiagnostischen Färbe-
mcthoden der Perlsuchtbazillen nach Spengler.
S. spricht sich auf grund seiner Untersuchungen dahin aus, dass
die Spengler sehe Perlsuchtkaltfärbung nicht als eine für Perl¬
sucht charakteristische Färbung zu bezeichnen ist und nicht zur
Differenzierung des Typus humanus und bovinus des Tuberkel¬
bazillus geeignet ist. Gegenwärtig scheint es noch das richtigere,
die morphologisch und durch die Färbung erkennbaren verschiedenen
Formen des Tuberkelbazillus bei der Lungenschwindsucht nur als
Variationen des Typus humanus zu betrachten.
O. Axamit-Prag: Versuche über Stauungshyperämie an Ka¬
ninchen.
A.s Versuche an Kaninchen bestätigen, dass an demselben Tiere
das Serum der durch Stauung angesammelten Oedemfliissigkeit an
bakterizider Kraft ganz wesentlich überlegen ist und lassen den
Schluss zu, dass die Heilwirkung der Stauungshyperämie nicht auf
der aktiven Wirkung des zellfreien Stauungsödems beruhen kann.
.1. Hofmann - Nauheim : Pulsaussetzen und Magenblähungen.
Bei einem Patienten H.s Hess sich die zeitweilige Herzarrhythmie
durch Hochstand des Zwerchfells, hervorgerufen teils durch Obsti¬
pation und MagenbLähungen, teils durch falsches Atmen (ausschliess¬
lich durch den Thorax) erklären. Wechselstrombäder, Massage und
Atemgymnastik führten zur Heilung. B e r g e a t - München.
Italienische Literatur.
Volta bringt aus dem Hospital zu Cremona einen Beitrag zur
Heroinchloroformnarkose. (Gazzetta degli ospedali 1907, S. 38.)
Die Präventivinjektion von 5 mg salzsauren Heroins /4 Stunde
vor der Narkose begünstigt eine ruhige Narkose, macht die Atmung
rhythmisch und tief und ermöglicht so eine gleichmässige Aufnahme
des eingeführten Chloroforms. Es mildert die Reizbarkeit der Luft¬
wege und schaltet so die Gefahr der Reflexsynkope, sowie der Er¬
stickung aus. Die Exzitationsperiode wird gemildert und verkürzt.
Die Gefahr der Respirationssynkope und der Herzlähmung der
3. Periode wird geringer, da das Mittel auf das Gehirn unschädlich
wirkt und sehr wenig toxisch ist. Das schnelle Erwachen aus der
Narkose wird begünstigt.
Materazzi: Differentialdiagnose: klinische und bakterio¬
logische zwischen Typhus, Paratyphus und Schweissfieber. (Gazzetta
degli osped., 1907. No. 33.)
Aus der Arbeit M.s erscheint bemerkenswert, dass das Schweiss¬
fieber immer eine positive Widalreaktion geben soll und zwar erfolgt
dieselbe früher als bei Typhus. Im übrigen bietet die Differential¬
diagnose zwischen Miliaria und Typhus resp. Paratyphus klinisch
keine Schwierigkeit.
F i o r i o und Z a m b e 1 1 i : Klinische und experimentelle Studie
über Maretin. (il Morgagni, April und Mai 1907.)
F. und Z. bringen aus dem Stadthospital zu Verona einen Beitrag
zur Wirkung des Maretins. Sie berücksichtigen bei ihrer auf eine
über zweijährige Anwendung und Tierexperimente sich stützenden
Arbeit die ganze deutsche und italienische Literatur und kommen zu
einem sehr günstigen Ergebnis.
Das Mittel soll keinerlei ungünstige Wirkung haben. Es soll in
kleinen Dosen (0,15 — 0,2 bei Erwachsenen 2 stündlich) in langsamer
Weise, ohne alle Erscheinungen von Kollaps und Depression die Tem¬
peratur herabsetzen und einen günstigen Einfluss auf den Allgemein¬
zustand und das Nervensystem äussern. Seine Wirkung ist eine
wesentlich antifermentative, auf den organischen Chemismus sich
äussernde. Die Anwendung von Maretin ist bei fieberhaften Krank¬
heiten der Respirationsorgane in erster Linie zu empfehlen. Bei jeder
fieberhaften Krankheit kann es die anderen Antipyretika ersetzen:
seine Wirkung auf die Temperaturerhöhung bleibt eine konstante.
T i z z o n i und Panichi berichten über weitere Versuche mit
einem Pilze, welchen sie als das pathogene Agens der Pellagra an¬
sprechen zu müssen glauben.
Im April 1906 haben T i z z o n i und F a s o 1 i zuerst darüber be¬
richtet, dass sie aus akutesten, schnell tödlichen Formen von Pellagra
einen Pilz darstellen konnten, welcher Meerschweinchen unter den
charakteristischen Erscheinung der Pellagra tötete und welcher sich
auch bei Kaninchen als toxisch erwies.
Es erscheint wahrscheinlich, dass auch für die langsamer ver¬
laufenden gewöhnlichen Formen von Pellagra dieser Pilz das ätio¬
logische Agens ist.
Bemerkenswert namentlich erschien bei diesen Tierversuchen,
dass die Entwicklung des Infektionsträgers im Magen- und Darm¬
kanal der betreffenden Tiere an die Mitwirkung von Maisnahrung ge¬
bunden zu sein schien. Die giftige Wirkung äusserte sich nur bei den¬
jenigen Tieren, in welchen zu gleicher Zeit mit den Infektionsträgern
Mais in die Verdauungsorgane eingeführt wurde. Weitere Resultate
bleiben abzuwarten. (Gazzetta degli osped., 1907, No. 34.)
P a d o a bringt aus der med. Klinik zu Florenz einen Beitrag
zur Symptomatologie des G r o c c o sehen Dreiecks bei exsudativer
Pleuritis. (Gazetta degli osped. 1907, S. 33.)
Grocco betonte im Jahre 1902 in einer in der Rivista critica di
clinica medica erschienenen Arbeit, dass bei exsudativer Pleuritis in
den hinteren unteren Thoraxpartien eine Dämpfungszone neben der
Wirbelsäule entsteht, in derjenigen Lungenpartie, welche der er¬
krankten Seite entgegengesetzt ist. Fast zu gleicher Zeit machte
Koranyi (Wien. klin. Rundschau 1902: Beitrag zur Differential¬
diagnostik pleuritischer Ergüsse) auf das gleiche Symptom aufmerk¬
sam. P. erwähnt dann ferner die Bestätigung dieses Symptoms seitens
einer grossen Reihe von Autoren aller Länder. Wenn einige der¬
selben auch eine gedämpfte Zone der gesunden Seite bei pneumonischen
Prozessen gefunden haben wollen, so hält P. es für möglich, dass es
sich lin solchen Fällen um pleuropneumonische Prozesse gehandelt
habe, da das in Rede stehende Symptom doch nur eine Verschiebung
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1795
des hinteren Mediastinalraumes nach der gesunden beite hin sich ei-
kläre, welche nur durch Exsudat erfolgen könne.
p glaubt besonders die dreieckige Form dieser Damprungsfigui n
allen Fällen von Exsudat betonen zu müssen und beschreibt als be¬
sonders interessant Fälle mit doppelseitigen Pleuraergüssen von vei-
schiedenem und wechselndem Niveau. In solchen Fallen kann man
die merkwürdigsten Veränderungen des G r o c c o sehen Befundes
konstatieren. Der dreieckige Raum kann je nach dem Steigen um
Fallen der Exsudate von einer Seite nach der anderen wechseln.
j a r d i n i : lieber den Zusammenhang des Morbus Dupuytren mit
Arteriosklerose des Rückenmarkes, (il Morgagni, April 1907.)
Unter Morbus Dupuytren versteht die italieniscne Schule die
Palmarfaszienkontraktur. Der Zusammenhang dieses Leidens mit
Syringomyelie und mit trophischen Nervenstörungen ist allgemein an¬
erkannt; nichtsdestoweniger blieben aber eine grosse Anzahl von
Fällen übrig, in welchen ein derartiges Abhängigkeitsverhaltms nicht
C'S J. beschreibt einen von ihm beobachteten Fall mit pathologisch-
anatomischem Befund und kommt zu einem Schlüsse, welchei geneigt
erscheint die Basis der neuropathischen Entstehung dieses Leidens
erheblich zu verbreitern. Arteriosklerotische Veränderungen an den
kleinsten Gefässen des Rückenmarkes, so meint er, sind imstande,
den Morbus Dupuytren zu erzeugen, wenn diese Veränderungen sich,
in der grauen Zentralsubstanz des Rückenmarkes lokalisieren.
Solche Fälle von Morbus Dupuytren, welche man durch gichtische
Diathese: Bleiintoxikation und Senilität bedingt anzusehen pilegt,
sind wahrscheinlich auch so zu erklären, dass jene genannten Ur¬
sachen die Arteriosklerose begünstigen. Und ferner erscheint es nicht
notwendig, dass es zu organischen Läsionen der Ruckenmaikssub-
stanz zu kommen braucht, sondern es genügen zur Erklärung funk¬
tionelle, durch die Arteriosklerose gesetzte Veränderungen. _
Für die Amyotrophie arteriosklerotischen Ursprungs ist charak¬
teristisch eine grosse Unregelmässigkeit der Verteilung und t es ei
laufes^ie ^rterjoskierose kann in der Medulla Höhlenbildung veran¬
lassen analog wie im Zerebrum; diese pathologische Veränderung
würde als lakunäre Myelosklerose zu bezeichnen sein
Romani; Ueber Pylorusstenosen bei Tuberkulosen. Ul Mor-
SaS11AufUd.em Tuberkulosekongress zu Neapel im Jahre 1901 lenkte
Patella zuerst die Aufmerksamkeit auf eine seltene Form von
Pylorusstenose, bedingt durch einen Prozess von fibröser I Gorus-
entzündung oder fibröser Peripyloritis. Er stellte diese Foi m fest bei drei
Individuen, welche an unzweifelhafter Lungentuberkulose gelitten
hatten, welche klinisch geheilt erschien.
In ähnlichen Fällen handelt es sich nach Patella nicht um eine
tuberkulöse Lokalisation am Pylorus, sondern um indirekte Lasumen,
bewirkt durch Tuberkulosetoxine. P. stützt sich hierbei auf die Hypo¬
thesen von Hanot und Lanth und auf die Arbeiten Aue ans
über die sklerogene Eigenschaft der Tuberkeltoxine und er stellt eine
ähnliche Theorie auf, wie sie von Teissier Über die Endokardtum-
läsionen bei Tuberkulösen aufgestellt worden ist P 0 11 f
reine Mitralstenose eine heteromorphe Manifestation dei tuberku¬
lösen Heredität genannt und als den Effekt einer sklerogenen Intoxi¬
kation durch benigne Tuberkulose erklärt. .
Den drei Fällen, welche Patella beschrieben hat, fugt R. zwei
in der Klinik Sienas beobachtete hinzu.
Die Prognose solcher Fälle ist für günstig zu halten sobald die¬
selben einer chirurgischen Kur unterworfen werden und die turei-
kulösen Symptome seitens der Lungen und Pleuren eine vollständige
Heilung annehmen lassen. In allen Fällen hat die Gastroenterostomie
vorzügliche Resultate ergeben. . ... „„on{oh,prn
Ceranlo: Ueber Rekurrenslähmungen bei Mitralklappenfehlern.
(il Morgagni, Juni 1907.) . ™ _
Auf Rekurrenslähmungen bei Mitralstenose ohne Ektasie du
Aorta und ohne Aneurysmabildung hat zuerst O r t n e r (Wienei k lm.
Wochenschr. 1897) die Aufmerksamkeit gelenkt, nach ihm Kiaus
(Verhandlungen für innere Medizin 1900) und Horb au er (Wienei
klin. Wochenschr. 1902). . ., Alltnrpn
In der Erklärung dieses Phänomens stimmten beide Autoren
nicht überein. O r t n e r stellte die Hypothese auf, dass das ^datierte
und hypertrophische linke Herzohr eine Kompression auf den linken
Nervus recurrens ausübe. Wenn diese Hypothese für ein nicht kom¬
pensiertes Vitium gilt, bei welchem zu der Hypertrophie des Herz¬
ohrs die sekundäre Dilatation hinzutritt, so dass es zu einer eiheb-
lichen Vergrösserung kommt, so ist das doch nicht dei hal' ' ff
Zustand der Kompensation und der Wiederherstellung der unktion.
Kraus hat die Theorie aufgestellt, dass bei Mitralklappen¬
fehlern und besonders bei der Mitralstenose das Herz sich horizontal
verlagert durch den Eintritt einer Hypertrophie des rechten Ventukels.
Es ist in hohem Oracle wahrscheinlich, dass diese Verlagen, ns- eine
Erniedrigung des Aortenbogens mit sich fuhrt und mit ihr eine Zei-
rung des Nervus recurrens, welcher den Aortenbogen umschlingt.
C prüfte die Frage im Hospital Palermos an einem grosseren
Material von Herzkranken. Er fand an 20 Kranken, welche an einem
Mitralvitium litten (von einer Stenose bis zur Stenose md Insuffizienz
der Klappen, angeborener und konstitutioneller, arteriosklerotische
und seniler Art) nur viermal die Zeichen einer Läsion des Reku ren
und zwar in zwei Fällen von reiner und in zwei Fallen von kombi¬
nierter Stenose mit Insuffizienz. Er kommt zu dem Resultat, dass
beide Hypothesen, sowohl die von O r t n e r als die von Kraus sich
rechtfertigen. Die eine schliesst die andere nicht aus, wie auch
Ouadrone (scritti in onore di C. B o z z o 1 o, 1904) behauptet. Die
eine gilt für die unkompensierten Formen der Mitralklappenfehler,
die andere für die kompensierten. . .
Z i v e r i bringt einen Beitrag zur Albumosune bei Geistes¬
kranken. (il Morgagni, Juni 1907.)
Albumosurie wurde zuerst von Magnus-Lev y und M o -
teissier bei verschiedenen Krankheiten konstatiert, so bei Kai -
zinom, bei schweren Eiterungen, bei Septikämien, bei Tuberkulose, bei
Leukämie und Pseudoleukämie. In Abhandlungen älterer Autoren
aus der Zeit, wo man noch keinen Unterschied zwischen Albumosen
und Peptonen machte, wird sie als Peptonurie bezeichnet Sie deutet
auf schwere Stoffwechsel- und Gewebsschädigung. Von Erkiaii-
kungen der Nieren und Harnwege kann sie unabhängig sein, da Al iu-
mosen im Blute nachgewiesn wurden. . . . •
Zum Nachweis bediente sich Z. der Methode vonSalkowski
und von Aldor.
Er fand Albumosurie konstant im vorgerückten Stadium pro¬
gressiver Paralyse, nicht konstant und unregelmässig im ersten Sta¬
dium. Sehr deutlich ist sie in Formen mit rapidem Verlaut. Ferner
war sie deutlich und konstant nachzuweisen bei Amentia pellagrosa.
Bei der Heilung verminderte sie sich und verschwand.
In allen übrigen Formen von Geisteskrankheiten war eine nega¬
tive, manchmal auch eine leichte Albumosenreaktion zu konstatieren.
Derselben kommt keine diagnostische, aber eine prognostische Be¬
deutung zu. Hager- Magdeburg.
Schwedische und finnische Literatur. )
N. V. Ak'erblom-Falun (Schweden) : Peritenitfs (Tenalgia)
iiitradeltohlea. (Deutsch erschienen in Nordiskt medicinskt Arkiv
1906, Abt. I | Chirurgie] H. 4.) .... . .
Nach einer genauen Beschreibung der Ursprungsverhaltnisse des
mittleren Teiles des M. deltoideus, berichtet Verf. über 12 Falle von
Peritendinitis in den Sehnenbändern (3—4), welche diesen Ursprung
zum grossen Teil vermitteln, oder von Bursitis in den (von A. L ind¬
st r ö in und Forssell entdeckten) kleinen Bursen, welche häufig
dicht an diesen Sehnen vorhanden sind. Als sehr charakteristisch fm
diese beiden Affektionen hebt Verf. hervor: Der Arm kann nur sehr
selten mehr als etwa bis 45° gehoben werden (weder nach aussen,
noch nach vorne); dagegen ist die aktive Rotation bei hangendem Aim
unbehindert. Diese starke Funktionsbeschrankung steht in einem
auffallenden Gegensätze zu der geringen Ausdehnung der lokalen
Veränderung, welche nur in einer kleinen Anschwellung gleich untc -
halb des Akromions besteht. Die starke Druckempfindlichkeit er¬
klärt aber zur Genüge die Funktionsstörung. Als Aetiologie konnte
fast im nier ein akutes oder chronisches Trauma nachgewiesen werden,
nur in einem (doppelseitigen) Falle wurde ein rheumatischer Ursprung
angenommen. Behandlung: Einspritzung von %— 1 ccm 2 proz. Phenol¬
lösung wirkt rasch schmerzstillend: Ruhe; Massage.
N V A'kerblom - Falun (Schweden) : Eine Methode zum
Sterilisieren von Kateut (und Seidel durch Erwärmmia .n Oel
(Deutsch erschienen in Nordiskt medicinskt arikiv, Abt. I ILhirurgiei
i9°7VNert. ‘bedient sich seit 4 Jahren einer von ihm ausgea, -beiteten
Methode, das Katgut und die Seide durch tihitzung in Gel am .
zu sterilisieren und ist von den Resultaten sehr befriedigt. Die
Methode ist durch zahlreiche aerobe und anaerobe Kulturversuche
genau kontrolliert worden. Eine Reihe von für das Gelingen wichtigen
Detailvorschriften muss im Original nachgesehen werden. #
G. Heinricius - Helsingfors : Ueber die radikale abdominale
Totalexstirpation des karzinomatösen Uterus. (Deutsch erschienen,
ibidem 1906, H. 4 und 1907, No. 1.)
Die Arbeit enthält eine ausführliche Bearbeitung des sehr be¬
trächtlichen Materials der gynäkologischen Universitätsklinik in
Helsingfors; lässt sich in einem kurzen Referat nicht zusammen-
fassenjnar K gy _ stockhoim: Zur chirurgischen Behandlung des Ulcus
ventriculi. (Nordiskt medicinskt arkiv 1907, Abt. I I Chirurgie I, • •
Verf. bringt eine Zusammenstellung der von Prof. Berg und
Prof Akerman in Stockholm (zum grössten Teile in der chnur
gischen Klinik des Serafimerlazaretts) bis Ende ' ^ ^ ^^dem" weiteren
von Ulcus ventriculi mit Folgezustanden Verf. ‘st. sind Dcncrt
Verlauf durch Nachuntersuchungen gefolgt. 11/ 1 at. : sind )peri ;
und 211 Operationen ausgeführt worden. Einfache Gastu t
stomie lll mal mit einer Mortalität von 4,5 Proz.; davon 1894-1900
45 Operationen mit 8,8 Proz. Mortalität. 1 90 nUt'^T Proz
mit I 5 Proz Mortalität. Die Resektion wurde 25 mal mit _4 1 10Z-
Mortalität ausgeführt; 1901—1906 18 Resektionen mit 16,6 Proz. Mor¬
talität " Verf erwähnt folgende Komplikationen nach Gastroentero-
stornie Tnkarzbration in der Bursa oment. (I Fall), V«en*er«» ^
Gastroenterostomieöffnung (2 Falle), .Verengerung dei
enterostomie verwendeten Jejunalschhnge durch ad ^ Kompli-
(3 Fälle), und geht auf die Aetiologie dei verschiedenen Aomp
*) Wenn anders nicht angegeben wird, sind die referierten Ar-
beiden schwedisch erschienen.
1796
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
kationen näher ein. — 6 Fälle von Ulcus pepticum jejuni werden mit¬
geteilt. — Bei der Beurteilung der verschiedenen Operationsmethoden
muss man in Betracht ziehen einerseits die verschiedene patho¬
logisch-anatomische Beschaffenheit, die Lokalisation, die Kompli¬
kationen und die Folgezustände der verschiedenen Ulcera, anderseits
die direkte Gefährlichkeit der verschiedenen Operationen, ihre pri¬
märe Wirkung und ihre Prognose. Betreffs der Indikationen der ver¬
schiedenen Operationen muss auf das Original verwiesen werden. —
Verf. hebt hervor, dass die Wirkung der palliativen Operations¬
methoden besonders bei Ventrikelkrankheiten ohne motorische In¬
suffizienz nicht genügend aufgeklärt ist. Durch Röntgenunter¬
suchungen über die Einwirkung der Operationen auf die Entleerung
des Ventrikels bei unverändertem oder stenosiertem Pylorus und bei
verschiedener Form und Lage des Ventrikels und durch Unter¬
suchungen über den Stoffwechsel und den Magensaft, dürften wir neue
wichtige Stützpunkte für die Beurteilung der verschiedenen Opera¬
tionsmethoden gewinnen können. (Autoreferat.)
John B e r g - Stockholm: Ueber die Behandlung der Ectopia
vesicae. (Deutsch erschienen; ibidem 1907, H. 1.)
Verf. hat 28 Fälle von Ectopia vesicae nach verschiedenen Me¬
thoden operiert. In den letzten Jahren hat er 4 mal — und zwar in
2 Fällen mit sehr gutem Resultate — die Operation wesentlich nach
folgenden Prinzipien ausgeführt: In einer ersten Sitzung wird ein
Stück des Dünndarms herausgelöst, das distale Ende desselben durch
eine kleine Seitenanastomose mit dem Dickdarm vereinigt, das proxi¬
male an die Bauchwand befestigt. In einer zweiten Sitzung wird
extraperitoneal die Blasenwand exzidiert und das Trigonum mit den
Ureteren losgelöst; nach Durchtrennung des Blasenperitoneums das
Trigonum in das an die Bauchwand fixierte Ende des Dünndarm-
stiiekes implantiert. — Zuletzt skizziert Verf. eine weiter verbesserte
Methode, die jedoch noch nicht zur Ausführung gelangt ist. - —
Näheres muss im Original nachgesehen werden.
Gunnar K o r a e n - Stockholm: Zur Biologie des Erregers des
Darmtyphus. (Akademische Abhandlung. Stockholm 1907. Deutsch
erschienen.)
Schlussfolgerungen des Verfassers (vom Referenten abgekürzt):
1. Die Typhusbakterien vermehren sich reichlich in sterilisiertem
Düngerextrakt. (Betreffs gewisser Unterschiede zwischen den
Wachstumskurven verschiedener Typhusstämme bezw. der Typhus¬
bakterien einerseits, typhusähnlicher Bakterien anderseits, muss auf
das Original verwiesen werden). 2. In den Düngerextraktkulturen
bilden die Typhuskulturen nach ein paar Wochen kleinere bewegliche
Wachstumsformen, die „sporenähnlichen Bildungen“ Almquists;
in neue Extrakte übergeführt gehen sie in die gewöhnlichen breiteren
Stäbchen über. 3. In Düngerextrakt können die Typhusbakterien sich
bisweilen mehr als 1 Jahr am Leben erhalten; sie scheinen im Extrakt
ihre Virulenz etwas länger beibehalten zu können, als auf künstlichen
Nährsubstraten. 4. Nach ca. 1 oder 2 Wochen Wachstum in sterili¬
siertem Dünger bei 14° verlieren gewisse, aber nicht alle Typhus¬
stämme ihre Agglutinationsfähigkeit, können aber später diese Fähig¬
keit wieder annehmen. (Weitere Details siehe das Original!) 5. In
Dünger bei 14° gezüchtet erlangen gewisse Typhusstämme eine er¬
höhte Resistenz gegenüber der bakteriziden Wirkung des Blutserums.
Andere Stämme haben unter denselben Verhältnissen diesen höheren
biologischen Standpunkt nicht erworben. 6. Die Möglichkeit eines
spontanen Wachstums der Typhusbazillen ausserhalb des mensch¬
lichen Körpers lässt sich nicht in Abrede stellen. Dabei sollte' unter
gewissen Verhältnissen die Resistenz der Bakterien gesteigert werden.
7. Das, was wir seither den Typhuserreger genannt haben, ist viel¬
leicht keine einheitliche Art. sondern eine mehrere konstante Arten
umfassende Kollektivart.
C. L i n d a h 1 - Gefle (Schweden) : Zur Kenntnis der bakteriziden
Wirkung der Tränenflüssigkeit. (Hygiea 1907, H. 4.)
In 23 Versuchen prüfte Verf. die bakteriziden Eigenschaften des
Sekretes gegenüber den in der Augenpathologie wichtigen Pneumo-
und Streptokokken. Die Pneumokokken betreffend blieb das Resultat
unsicher; auf die Streptokokken wirkte das frische Sekret stärker
als das vorher erhitzte und als LLO. In 73 Versuchen mit Staphylo¬
kokken wurden die Ursachen der bakteriziden Wirkung näher unter¬
sucht. Lösungen von den verschiedenen Salzen, welche in einiger-
massen beträchtlicher Konzentration in dem Sekrete Vorkommen,
wirkten bakterizid, am stärksten die NasCOs-Lösung (14 Bestim¬
mungen ergaben eine Alkalimenge in der Tränenflüssigkeit gleich
0.32 Proz. Soda); ein Gemisch von den Salzen übte eine stärkere
Wirkung als das frische Sekret aus. — Die Bakterizidie
durch Tränenflüssigkeit beruht indessen nicht
auf den Salzen, sondern auf enzymähnlichen Sub¬
stanzen. Das bakterizide Vermögen wird durch Erhitzung auf
68 — 70 0 eingebüsst, ist von der Reaktion — eine gewisse Menge von
Alkali muss vorhanden sein — , von der Neutralsalzkonzentration
und von der Temperatur — Körpertemperatur günstig — abhängig.
Wahrscheinlich sind diese enzymähnlichen Körper nicht mit den
Bakteriolysinen des Serums identisch. (Autoreferat.)
G. Naumann und Gösta G ö t h 1 i n - Gothenburg: Ueber die
plastische Induration in Tunica albuginea und Corpora cavernosa
penis. (Hygiea 1907, No. 5.)
Kasuistische Mitteilung von einem Falle von chronischer Indura¬
tion mit echter Knochenbildung in der tiefen Schicht der Tunica albu¬
ginea penis. Die Verfasser sprechen sich nach eingehender Dis¬
kussion der verschiedenen diesbezüglichen Theorien dafür aus, dass
das Knochengewebe metaplastisch zustande gekommen ist.
.1. F e 1 1 ä n d e r - Stockholm: Ein Fall von Elephantiasis endo-
metrii fibrosarcomatosa gigantocellularis. (Aus dem pathologischen
Laboratorium der gynäkol. Klinik Prof. Landaus in Berlin; Vor¬
stand Dr. L. Pick.) (Ibidem 1907, No. 5.)
Kasuistischer Beitrag. Der Verf. nimmt an, dass die Riesenzellen
durch teils mitotische, teils amitotische Teilung des Kernes ohne Tei¬
lung des Protoplasmas entstehen.
G. E k e h o r n - Sundsvall (Schweden): Die anormalen Nieren-
gefässe können eine entscheidende Bedeutung fiir die Entstehung der
Hydronephrose haben. (Hygiea 1907, No. 6.)
Verf. teilt einen Fall mit, .in welchem die Hydronephrose von einer
akzessorischen Arterie verursacht war, die hinter dem Ureter zur
vorderen Fläche der Niere transversal nach aussen von der Aorta
verlief. Die Arterie wurde doppelt ligiert und durchschnitten: Ge¬
nesung. Durch diesen Fall ist Verf. auf den Gedanken gekommen,
dass eben die anormalen Arterien, welche hinter dem Ureter zur
vorderen Fläche der Niere, oder vor dem Ureter zur hinteren
Fläche gehen, für die Entstehung der Hydronephrose von Bedeutung
sind. Verf. hat in der Literatur 24 Fälle gefunden, in welchen anor¬
male Arterien als Ursache der Hydronephrose angenommen wurden,
und hat in allen Fällen, wo die Beschreibung ein Urteil erlaubte,
eben den oben erwähnten schiefen Verlauf der Arterie, dessen Be¬
deutung früher nicht beobachtet worden ist, konstatieren können.
E. B o v i n - Stockholm: Ueber beckenerweiternde Operationen,
spez. Pubiotomie. (Svenska Läkartidningen 1907.)
Verf. teilt einen Fall von wiederholter Pubiotomie mit. Der
Kallus nach der ersten Operation war sehr beträchtlich und trug
wahrscheinlich zu dem Geburtshindernis bei, welches die zweite
Operation indizierte.
H. F a b r i t i u s - Helsingfors: Ueber die Gruppierung der mo¬
torischen Bahnen innerhalb der Pyramidenseitenstränge des Men¬
schen. (Finska läkaresällskapets Handlingar, Mai 1907.)
Klinische Beobachtungen in einem Falle von Stichwunde im
Rückenmarke und ähnliche Fälle, die der Verf. aus der Literatur zu¬
sammengestellt hat, sollen für die folgende Auffassung sprechen:
L Die Bahnen des Beines — oder wenigstens die Hauptbahnen des¬
selben — verlaufen hinten und medial, die des Armes vorn und lateral.
2. Im Gebiete des Beines liegen die Bahnen zu den proximalen Teilen
medialwärts, die zu den distalen Teilen lateralwärts und die Bahnen
des Armes sind wahrscheinlich in entsprechender Weise angeordnet.
Carl Tigerstedt- Helsingfors: Ueber die Einwirkung von
Digitalis und Strophanthus auf den Kreislauf. (Ibidem, Mai 1907.)
Der Zweck der Untersuchung ist, zu prüfen, inwieweit Digitalis
und Strophanthus auf das wählend der Zeiteinheit ausgetriebene Blut¬
volumen einwirken. Verf. hat' die Methode von R. Tigerstedt
mit Einbindung einer Stromuhr in die Aorta ascendens verwendet;
10 Versuche mit Digitalis, 10 mit Strophanthus. Schlussfolgerungen:
1. Die durch Digitalis resp. Strophanthus verursachte Drucksteigerung
beruht wesentlich auf einer Gefässkontraktion. Die Zunahme des
Sekundvolumens hat eine entschieden geringere Bedeutung; meistens
spielt sie eine Rolle nur während einer kurzen Zeit nach der Injektion,
ehe der Druck sein Maximum erreicht 2. Nach der Injektion stellte
sich in den meisten Fällen eine — zuweilen eine bedeutende — Ver¬
mehrung der Herzarbeit ein; die Herzarbeit nimmt doch gewöhn¬
licherweise schon vor dem Zustandekommen des Druckmaximums
wieder ab und ist in vielen Fällen während desselben ziemlich gering.
3. Die Versuche ergaben keinen Unterschied zwischen Digitalis und
Strophanthus.
Herman v. W i 1 1 e b r a n d - Helsingfors: Studien über den
Stoffwechsel bei Knaben im Alter von 9 — 14 Jahren. (Ibidem, Juni
1907.)
Verf. hat nach folgender Methode gearbeitet: Gesunde Knaben
von 9 — 14 Jahren bekamen während wenigstens 3 Tagen eine be¬
stimmte Kost; der letzte Tag wurde in der Respirationskammer
(Tigerstedt) des physiologischen Instituts zugebracht; die Kost
des letzten Tages wurde analysiert, die COa-Produktion bei der Re¬
spiration und der N-Wert im Harne bestimmt, die Fäzes vollständig
analysiert. Die Zufuhr war verhältnismässig sehr gross; die Ver¬
brennung geringer als in den Versuchen anderer Untersucher, die
Ablagerung beträchtlich. Für nähere Auskunft muss auf das Original,
das ausführliche Versuchsprotokolle und zahlreiche Tabellen enthält,
verwiesen werden. G. Forssner - Stockholm.
Laryngo-Rhinologie.
1) Alfred Denker-Erlangen: Zur Operation der malignen Nasen-
geschwiilste. Mit 5 Abb.. (Archiv f. Laryngol. u. Rhinol., Bd. 19,
H. 3.)
Denker berichtet in extenso über 2 Fälle maligner Nasen¬
tumoren (Endotheliom und Karzinom), die er nach seiner neuen, in
dieser Wochenschrift 1906, No. 20 mitgeteilten Operationsmethode
radikal operierte. Die beiden Fälle, von denen der eine geheilt
wurde, der zweite infolge einer unvermeidlichen Duraverletzung an
Meningitis ad exitum kam, erwiesen wieder aufs neue die Zweck¬
mässigkeit der Operationsmethode, die neben Wegfall jeglicher Ent¬
stellung und kurzer Heilungsdauer eine gute Uebersichtlichkeit des
3. September 1907.
Operationsfeldes und die Möglichkeit radikaler Beseitigung alles Er
krankten gewährleistet.
2) Max Sch ei e r -Berlin: Lieber die Krankheiten der Mund-
"i>,,,ei„b?ii,1eI,aeh;“ehrende1uin.?t ibbild^en „nd Kranken^scUichten
versehenen Abhandlung erörtert Scheier obiges 'Ihema In ^ erster
1 inie bespricht er die, einen grossen Prozentsatz bildenden, Erweite
rungen des Ductus stenonianus mit konsekutiver 1 neumatozele der
Parotis deren Ursachen eingehend kritisch erörtert werden, sodann
die an Plaques muqueuses erinnernden typischen Veränderungen ei
Wangenschleimhaut, die Veränderungen der Zahne, insbesondere de
Schneidezähne, ferner die charakteristische Veränderung der Backen
der Glasbläser von aussen vor und nach dem Blasen, sowie des
H a * S An s c hf i es* send bespricht Autor die grosse, durch die Technik des
Glasblasens bedingte Gefahr einer Uebertragung von Syphilis (gemein¬
same Benutzung des Blasrohres), wie solche schon in zahlreichen
PäHen konstatiert wurde, in zweiter Linie auch Uebertragung de
Tuberkulose. Prophylaktische, gewierbehygienische Betrachtungen
bilden den Schluss der interessanten Arbeit, bezüglich deren Deta
auf das Original verwiesen werden muss. .
3) a Hamm und H. Torhorst- Strassburg l. L. : Beitrage
zur Pathologie der Keratosis pharyngis, mit ^ftTTaM (TbldT
gung der bakteriologischen Verhältnisse. Mit 1 Tafel, (miü.
Die früher als Mycosis benigna pharyngis oder als Mycosis
leDtothricia bezeichnete Keratosis untersuchten Autoren bei drei rallen
eingehend histologisch und bakteriologisch und konnten kulturell einen
stark schleimbildenden Kapselbazillus isolieren, den sm insoferne a s
snezifischen Erreger dieses Krankheitsprozesses ansprechen, „dass die
Kapselbazillen bei irgend einer Gelegenheit sich in den Krypten dei
Tonsillen einnisten vermöge ihrer zähschleimigen Beschaffenhei
innig mit der Epitheloberfläche verbacken und vermitels ihrer inten¬
siven Schleimproduktion einen spezifischen Reiz auf die Epithc zell
ausüben, der eine gesteigerte Zellproliferation mit Ausgang in Ver¬
hornung der oberflächlichen Zellschichten auslost.
4) J C. Henkes- Amsterdam: Zur Blutstillung nach Tonsillo¬
tomie/ Mit 5 Abbildungen. (Monatsgehr. f. Ohrenheilk. etc. 1907,
N°' Nach prophylaktischen und therapeutischen Erörterungen zur
Verhütung, bezw. Stillung von postoperativen Blutungen beschreibt
Autor ein auch in der Arbeit abgebildetes Instrument, das dazu dient
vermittels kleiner Metallklammern die beiden Gaumenbogen fest zu
vereinigen und einen auf die blutende Stelle gebrachten lampon
komprimierend festzuhalten. Ein zweites Instrument dient zui Ent¬
fernung der Klammern, die leicht bewerkstelligt werden kann. Ein
PrfoDreich mit dieser Methode behandelter Fall illustriert die Zweck-
mtsigkeCit Seses Eingdffes, zu dessen Nachprüfung Autor auffordert.
o) Karl Grünberg - Rostock: Ueber den günstigen Einfluss des
lnnerHchün Gebrauches von JodkaU auf die Tuberkulose der obere,,
I nftweee (Zeitschr. f. Ohrenheilk. etc. 1907, Bd. 53, n. •)
Ld!! Erfahrungen der K ö r n e r scheu Klinik über obiges Thema
werden von Grünberg an der Hand von 6 zur Illustration in ex-
tenso beigefügten Krankengeschichten kritisch besprochen und von
Autor zu folgenden Schlussfolgerungen zusammengefasst.
1 Die primäre (aszendierende) Schleimhauttuberkulose dei
oberen Luftwege lässt sich in vielen (nicht in allen) Fallen durch
innere Darreichung von Jodkalium günstig beeinflussen und zui He
lung bringen mit oder ohne gleichzeitige lokale Behandlung.
2 2 Da die in Rede stehende Tuberkulose auch spontan ausheilen
kann s? ist die günstige Wirkung der Therapie nicht mit absoluter
Sicherheit nur auf das Jodkalium zurückzuführen; da diese günstige
Wirkung aber häufig sehr schnell und auch in Fällen auf tritt .die
andere/ therapeutischen Massnahmen trotzen, so ist an ihrem \o
ÜÜ stammt von fitem anderen Ozänafal oder von emer Hunde-
tene Theorie über die Aetiologie der Ozäna, als deren Ursache Autor
len von ihm gefundenen Kokkobazillus anspricht, findet in diesei
Arbeit weheJe Belege. 180 einschlägige Fälle, die in extenso aus
o-pführt sind bieten durch ihre ätiologischen und anamnestischen
Erhebungen ein interessantes, auch statistisch verwertbares Material.
Aip a rt der Uebertragung, Biologie des Kokkobazillus nebst Jiei
snllt sowie ^PathoK der ozänös erkrankten Nase werden ein¬
gehend ^H e'ym a n n - Berlin : Beitrag zum Studium des Heu-
Hebers. (Archives internationales de laryngologie etc. 1907, Bd. 23,
N°‘ Fin seit Jahren an Heufieber leidender Kollege machte die Be-
SeSsSsSi
1797
drüse zu untersuchen, die sich bei einem auffallend grossen Prozent¬
satz vergrössert fand. Die Verabreichung von Thyreoidin (1-3 Ta-
bletten täglich) unter gleichzeitiger Beobachtung der bei Heufieber
üblichen Schutzmassregeln, Hess bei einer
Wahrnehmung machen, dass zur einschlägigen Zeit Anfalle überhaupt
nicht auftraten oder viel milder als sonst verliefen. Autor empfiehlt,
diese neue Therapie bei einem grösseren Material nachzuprufen und
gleichzeitg — unter Verwendung der verschiedenen! raparate (llivre-
oidin, Jodothyrin, Antithyreoidin Moebius etc.) — zu erforschen,
welches das hier wirksamste Schilddrusenpraparat ist.
s) lacaues - Nancy : Aesthetische Radikaloperation der chro¬
nischen Stirnhöhleneiterung. (Revue hebdomadaire de laryngologie
6tC‘ UnterNHinweis auf eine im Jahre 1903 erfolgte Publikation seiner
Methode? die sSh im VerhuM der Jahre bei über 40 Fällen aufs beste
hpwährte empfiehlt Autor diese Methode aufs neue. Ihr Haupt
wert »beruht auf der Erhaltung der Vorderwand der Stirnhöhle, wo¬
durch ein kosmetisch besseres Resultat erzielt werde, wie bei dei
Kil Manschen Radikaloperation, namentlich bei geräumigen und
tiefen Höhlen. Der Operationsgang ist in Kürze folgender . 1 y pisehei
Hautschnitt Eröffnung der Stirnhöhle von deren Boden her oberhalb
des medialen Augenwinkels, Fortnahme des ganzen Stirnhohlen-
bodens gründliche Ausräumung der Stirnhöhle von unten hei, Re¬
sektion des Processus nasalis des Oberkiefers und gründliche Aus¬
räumung des Siebbeines, zum mindesten seiner vorderen Zellen, damit
Herstellung einer breiten Kommunikation zwischen Stirnhöhle und
Cavum nasi. Primärnaht der Hautwunde.
9) Ludwig Löwe-Berlin: Rhinologische Wünsche, (lbid. 1907,
Nü> Nach einer entwicklungsgeschichtlichen Erklärung über die Ver¬
einigung1 1derieLa?yngologie, Rhmologie -d Otologie und deren ge¬
meinsame praktische Betätigung verbreitet sich Lowe ubu1
weiteren Ausbau den diese drei Spezialgebiete in dei Zukunft gerau
in chirurgischer Hinsicht erfahren werden, und verlangt, dass wieder
eine Trennung dieser drei Fächer, insbesondere^
und .Heren Lehrämtern eintreten müsse. Aus praktischen ucsicnxs
punkten will Autor die Rhinologie der Otologie angegliedert sehen,
während die Laryngologie als eigenes Fach abgespalten werden soll.
Bezüglich Details sei auf das Original verwiese^ e c h t „ München.
Inauguraldissertationen.
Universität Göttingen. Juli bis August 1907.
2o Brandt O.: Ueber traumatische Rupturen des 1 rommelfei s.
21. Danziger M.: Beitrag zur Kenntnis der Hirschsprungschen
22 düaBohe‘r' C.: Zur Behandlung der habituellen Schulterluxation.
23. Drake Fr.: Die Zangenentbindungen an der Göttinger U
versitäts-Frauenklinik vom Jahre 1888 1907.
24. Osten A.: Untersuchungen über die Gerinnung des Blute
* während der Menstruation.
2S PiooW.' Ueber 56 Fälle von Placenta praevia.
26. Rosenbach H.: Beitrag zur Frage der Entstehung der
Schwangerschaftsödeme. , • 1-lhpr 7u-
27 Sandhoff W.: Statistischer Beitrag zui Kenntnis über das zu
sammentreffen von Erkrankungen des Ohres mit solchen d
28. S c hw e“"edr R0.C:hezl;f Kasuistik der Anämiebehandlung nach E.
Z9 ThVopold R.: Statistische Erhebungen über die von KOI 1 bis
1907 iif der Universitäts-Augenklinik zu Gottingen behandelten
30. w'eTtwT r6E.f El/^Fall von kongenitaler Choledochuszyste.
Universität Leipzig. August 1907.
76. Feistkorn Otto: Kasuistischer Beitrag zur Lehre vom In¬
fantilismus. „ , . . ,
77 Hein Theodor: Ueber Mesenterialzysten.
78. Paarmann Johannes: Ueber Aetiologie und Therapie der
79. ReknTar dt Rudolf: .Beitrag zur Lehre von den Puerperal-
80. sTalfeTsiegfried Arthur: Ueber den Einfluss der Kohlehydrat¬
entziehung auf die Purinkörperausscheidung im Harn.
81. sfe null Heinrich: Ueber Bakteriämie bei Infekt, onskrank-
S2 bVvc r Walter: Ueber das häufige Vorkommen von systolischen
Herzgeräuschen bei Kindern; nebst Ben nerkung, en ''b« ^ ^
sikalische Natur der Pulmonalgerausche, ubei Akzent, a
2. Töne, über unreine Töne und Nonnensaum m den grossen
83. ßV hm e Max: Zwei Fälle von
“Se,^«S '|;rapie bei Mündung—.^ ^
84. Hartung Alench: Die Kennzeicnen uci s gründenden
artigen Neubildungen am os uteri und darum zu gm
ärztlichen Massnahmen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
1/9Ö
85. H e n 11 i r Gustav: Beiträge zur Kenntnis der Kieferperiostitis
dentalen Ursprungs.
86. Kuttner Paul: Zur Differentialdiagnose zwischen benigner und
maligner Pylorusstenose.
87. Schmiiderrich Bernhard: Kritische Erörterung der Frage,
ob es gerechtfertigt ist, eine Conjunctivitis follicularis von einer
Conjunctivitis granulosa zu trennen, nebst Vorschlägen zurBekämp-
fung dieser Krankheiten, unter Zugrundelegung der Lösung einer
von der Universität Greifswald gestellten Preisaufgabe.
Vereins- und Kongressberichte.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offizielles Protokoll.)
XXIV. S i t z u n g v o m 20. April 1907.
Vorsitzender: Herr F. Haenel.
Tagesordnung:
Herr Hermann Becker: Vorstellung operierter Augenkranker.
Vorgestellt wurden -4 Patienten:
1. Ein Patient mit operativ behandeltem Keratokonus.
2. Ein 7 jähriger Knabe, der auf Grund von doppelseitiger, in
frühester .lugend entstandener Katarakt blind geworden und durch
5 im -4. Lebensjahre ausgeführte Operationen ein gutes Sehvermögen
erlangte.
3. Zwei Patienten, bei denen vor 3 resp. 1% Jahren wegen höchst-
giadiger Kurzsichtigkeit die Eukalaoperaticn ausgeführt worden w.ar.
Bei dem zuerst vorgestellten Fall handelte es sich um einen
18 jährigen Kaufmann, welcher bereits 3 Jahre vor seiner Aufnahme
in die Augenabteilung des Stadtkrankenhauses Dresden-Johannstadt
an Diplopie des rechten Auges allein litt. Vor nunmehr 6 Monaten
empfand er bei Bewegungen des rechten Auges Schmerzen in diesem
und konsultierte deswegen den Vortragenden. Es wurde sofort schon
bei Profilansicht ein beträchtlicher Keratokonus des rechten und ein
beginnender des linken Auges festgestellt. Die Sehschärfe des rechten
Auges betrug 2/so der normalen; in der Nähe konnte keine Schriftprobe
gelesen werden. Das eine Auge hatte ein Sehvermögen von 4/7,s;
Gläser verbesserten die Sehschärfe nicht. Hier handelte es sich um
einen Keratokonus im Beginn.
Nachdem eine Zeitlang, weil jegliche Operation verweigert
wurde, Eserin sowie Pilokarpin in das rechte Auge eingeträufelt und
Druckverband nebst Bettruhe appliziert war, bequemte sich Patient
zur Operation. Es wurde die totale Durchtrennung der Hornhaut des
rechten Auges an der Spitze des Konus mit dem Galvanokauter in
Kokainanästhesie ausgeführt. Das linke Auge wurde nicht behandelt.
Trotz der bei der Heilung entstandenen zentralen Hornhautnarbe hatte
sich das Sehvermögen des rechten Auges bis zur Entlassung so ge¬
bessert, dass dasselbe gleich war. Mit Konvexglas 1,5 stieg die
Sehschärfe auf 4/io. Für die Nähe wurde Nieden 2 in 12 cm gelesen.
Die Hornhaut war gleichmässig abgeflacht. Da das Sehvermögen ein
so günstiges geworden, wurde von einer Iridektomie abgesehen.
Vortragender empfiehlt die vollständige Durchbrennung der kera-
tonisch geformten Hornhaut an der Spitze des Konus als beste opera¬
tive Behandlung des Keratokonus.
Bei dem zweiten Fall handelte es sich um einen 7 jährigen
Knaben, welcher vor 3 Jahren — also im 4. Lebensjahre — in das
Johannstädter Stadtkrankenhaus blind gebracht wurde. Nach
5 Operationen, welche in Diszisionen der kataraktösen Linsen be¬
standen, ist das Sehvermögen beider Augen ein so günstiges ge¬
worden, das er jetzt z. B. die Schule mit Erfolg besucht. Nach der
Angabe der Grosseltern — und diese ist richtig — wurde (das Kind
nicht blind geboren. Es ist vielmehr allmählich erblindet — wahr¬
scheinlich auf Grund von Krämpfen, welche von der 20. Lebenswoche
ab bis zum Alter von 3Vz Jahren regelmässig alle 8 — 10 Wochen auf¬
traten und wohl die langsam entstehende starige Linsentrübung ab-
gaben. Die Grossmutter, welcher die beginnende und fortschreitende
Starbildung entging, glaubte, weil das Kind nach der 20. Lebenswoche
immer ruhiger wurde, ihr Lächeln nicht erwiderte, nach vorgehaltenen
Gegenständen nicht mehr wie früher griff, der kleine Patient sei auf
Grund der häufig auftretenden Kränmfe geisteskrank geworden.
Bei der Aufnahme des Knaben am 22. November 1904 wurde fest¬
gestellt, dass derselbe nur hell und dunkel zu unterscheiden vermochte.
Vorgehaltene Gegenstände erkannte er absolut nicht. Da ihm die
Räume unbekannt waren, so folgte er seinem Tastsinn nach Gehör.
Er lief häufig gegen die Wand, gegen die Türen und gegen offen
stehende heilster. Niemals hat das Kind nach einem Gegenstand, auch
wenn derselbe ihm sehr nahe gehalten wurde, gegriffen. Es ist das
wiederum ein Beweis für die bestehende Blindheit. An den Aug¬
äpfeln, welche reguläre Grösse hatten und gut ausgebildet waren, fiel
besonders die immerwährende Unruhe auf. Es herrschte deutlich das
Bestreben vor, Endstellungen extrem nach rechts, nach links und nach •
oben weniger nach unten — einzunehmen. In diesen Endstellungen
bemerkte man auch häufig nystagmusartige Zuckungen. Bei dem
beständigen Umherrollen der Bulbi gewahrte man nicht selten rota¬
torischen Nystagmus. Die Bewegungen der Augäpfel waren stets
koordinierte. \\ ährend die Hornhäute und das Kammerwasser voll¬
kommen klar und durchsichtig waren, zeigten sich die Linsen beider
Augen zentral total grauweiss getrübt, sodass eine ophthalmoskopische
Untersuchung nicht ausgeführt werden konnte. Wurde atropinisiert,
so sah man, dass eine schmale äquatoriale Zone der Linsen voll¬
kommen durchsichtig war. Eine zweite sich an diese äquatoriale
Zone zentralwärts anschliessende ebenfalls sehr schmale Zone war
von bläulich-schwarzer Farbe und zum Teil durchsichtig. Der
übrige — also zentrale — Teil der Linse war gänzlich kataraktös.
Wenn auch die sogenannten Reiterchen äquatorial fehlten, so hatte
die Starbildung doch Aehnlichkeit mit dem Schichtstar, wie derselbe
bei Kindern mit Rhachitis und Krämpfen beobachtet wird.
Die 5 Diszissionen, von denen 3 die Katarakt des rechten, 2 die
Katarakt des linken Auges betrafen, wurden in Chloroformnarkose
ausgeführt. Die Linsenkapseln zeigten sich dabei stark vendickt.
Nachdem die Resorption erfolgt war, ergab die Augenspiegelunter¬
suchung im Augenhintergrund keine Abnormitäten. Bei der Ent¬
lassung bemerkte man in den fast kreisrunden Pupillen nur links einige
Nachstarreste. Nachdem der Knabe sein Sehvermögen wiederge¬
wonnen hatte, wurden seine Bewegungen sicherer und die Bulbi
rollten nicht unaufhaltsam wie bei der Aufnahme umher. Mit Kon¬
vexbrille beiderseits + 1U,0 wurde das Kind entlassen.
Bei diesem 4 jährigen Kind war es absolut unmöglich, irgend¬
welche Versuche resp. Untersuchungen bezüglich des Sehenlernens,
wie dieselben bei älteren Blindgeborenen und später Operierten
häufig ausgeführt und mitgeteilt sind, anzustellen. Der Knabe ging auf
nichts ein. Er sagte: „nicht mehr fragen!“ und lief davon. Mit Ge¬
walt war auch nichts zu erzwingen, weil er alsdann sofort zu schreien
begann und gar nichts mehr antwortete. In der Familie hat er all-
mühlig die Gegenstände und Dinge, welche man überall trifft, kennen
gelernt. So sind ihm jetzt Messer, Gabel, Schuhe, Schiefer etc. etc.
ganz geläufig. Er nennt auch die Farben. Er kenn: seine Bücher
und legt seit 8 Tagen den Schulweg, welcher 10 Minuten lang ist,
allein zurück. Mit seinen Kameraden spielt er auf der Strasse, geht
allein auf der Strasse umher, kauft ein usw. Dem Schulunterricht
vermag der sonst normal entwickelte Knabe zu folgen, nachdem ihm
noch eine Lesebrille beiderseits + 13,0 gegeben worden ist. So kann
man hoffen, dass der ganz intelligente Knabe ein nützliches Mitglied
der menschlichen Gesellschaft werden wird.
Zum Schluss wurden eine 26 jährige Frau und ein 32 Jahre altes
Fräulein vorgestellt, bei denen je ein Auge wegen höchstgradiger
Kurzsichtigkeit nach F u k a 1 a operiert worden war; bei der ersteren
vor 3 Jahren, bei dem Fräulein vor 1% Jahren.
Die Frau hatte bei der Aufnahme rechts eine Sehschärfe von
4/'i5 mit einem Konkavglas von 16 Dioptrien, links ebenfalls mit
— 16,0 ein Sehvermögen von 4/do. In der Nähe wurde Nieden 1 in
6—7 cm gelesen. Während die brechenden Medien des rechten Auges
vollkommen klar waren, befand sich auf der Hornhaut des linken
Auges eine grössere präpupillare Makula.
Deswegen wurde auch die Krystallinse des rechten Auges
operativ entfernt. Die ophthalmfokopische Untersuchung ergab beider¬
seits eine Myopie von 20 Dioptr. Im Augenhintergrund gewahrte
man ausser grossen hinteren Staphylomen nichts Pathologisches.
Nachdem die Diszission der Linse ausgeführt und die getrübten
Linsenmassen entfernt waren, wurde der Nachstar zerrissen. Die
Sehschärfe des rechten Auges betrug jetzt bei runder Pupille 4/is der
normalen; mit einem Konvexglas 2,0 4/io. Mit + 5,0 wurde rechts für
die Nähe Nieden 1 in 20 cm gelesen.
Die Fukalaoperation wurde bei dieser Patientin ebenso wie bei
der folgenden hauptsächlich deswegen ausgeführt, weil die korri¬
gierenden Brillen nicht vertragen wurden. Es traten Schwindel und
Uebelkeit beim Tragen der Brillen auf. Wäre die Operation nicht
gemacht, so hätte eine gewisse Arbeitsunfähigkeit resp. Beschrän¬
kung der Arbeitsfähigkeit bestanden. Mit der Operation wurden die
Patienten erst leistungsfähig, zugleich bekamen sie Freude am Leben
und an der Arbeit. Zu bemerken ist noch, dass bei dieser und der
folgenden Patientin die Kopfschmerzen, welche seit Jahren bestanden
hatten, mit der Operation verschwanden.
Das 32 Jahre alte Fräulein war von frühester Jugend an liöchst-
gradig kurzsichtig. Als Kind war sie von ihrem Vater sehr oft ge¬
schlagen worden, weil sie alle Gegenstände seiner Meinung nach, aus
schlechter Angewohnheit so ausserordentlich nahe hielt.
Das linke Auge, hatte mit — 19,0 eine Sehschärfe von s/sr,, das
rechte dieselbe Sehschärfe mit —20,0. Ophthalmokopisch wurde eine
Myopie von 25 Dioptrien bd. festgestellt. Stärkere chorioiditische
Veränderungen bestanden nicht. Für die Nähe wurde Snellen 0,5 in
5 cm gelesen.
Es wurde hier das linke Auge operiert mit runder Pupille und
Diszission der Linse. Die Sehschärfe beträgt heute noch 4/is (Gläser
verbessern das Sehvermögen nicht). Für die Nähe wird mit dem
nicht operierten Auge gelesen. Auch diese Patientin ist sehr glück¬
lich, dass die Operation ausgeführt wurde.
Vortragender ist der Ansicht, dass, so lange Brillen das Sehen
genügend gestalten und vertragen werden, die Operation nach
Fukala nicht ausgeführt wenden soll. Ergibt sich aber die Not¬
wendigkeit der operativen Behandlung der höchstgradigen Kurz¬
sichtigkeit, so operiert er stets nur e i n Auge, wenn eine Myopie von
mindestens 15 Dioptrien besteht und die makularen Veränderungen
nicht allzu hochgradige sind.
Diskussion: Herr 1 reutler wendet sich gegen die An¬
nahme des ätiologischen Momentes der Krämpfe für die Entstehung
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1799
Sääää
"IS‘ S;ÄÄ«“ÄcMe. hat. dass .die
k eKr',5Ä He?™ Ä dass das Kind «rüber
j.-rpv, Herrn Dr Wollmann behandelt ist. Herrn Ireutlei
-gäüber verwahrt er sich dagegen, einen Opt.jmsn.us be, der
Euka laschen Operation an den Tag gelegt zu haben, fcr hat die
MikHe™^e"yfae„"n:gDfeeindikationsstellnng des Herrn Becker
ist trewiss vorsichtig. In den vorgestellten Fällen ist das bessere Auge
operiert. Er hat das schlechtere operiert und hält hier die Operation
immHerr T r e uTl e r nimmt seinen Vorwurf des Optimismus zuiück
Herr v. Pflugk erwähnt einen Fall von 22 D Myopie dei nac
der Operation dann 3 D Hyperopie aufwies, die sich spater zu Emm -
tl°P1HerrA13e cker begründet sein Vorgehen, dass er „das ^sere
Auge operiert hat, damit das andere einen zentralen Hornhautfleck
''"“Herr D u n g e r (als Gast): Das Verhalten der Leukozyten
bei intravenösen Kollargolinjektionen und ihre klinische De-
Nach kurzem Eingehen auf die bisher vorliegende, ziem¬
lich spärliche Literatur, die sich vor allem auf I lerexperunente
erstreckt, berichtet Vortr. über seine eigenen Untersuchungen
an 16 Kranken, bei denen insgesamt 31 Kollargolinjektionen aus
geführt wurden. Das Blut wurde fortlaufend, bis zu neunmal
täglich, untersucht; die Zahl der Einzeluntersuchungen betrug
fast 300. Die unmittelbare Folge der Injektion ist regelmassig
ein sofortiger Leukozytensturz bis zur Hälfte der ursprüng¬
lichen Zahl; 1 bis 2 Stunden später tritt dann eine mehr oder
weniger hochgradige Leukozytose ein (130—150 Rroz Ma¬
ximum 260 Proz. des Anfangswertes). Spätestens nach 20 bis
24 Stunden ist der Anfangswert wieder erreicht. Bei einer
2. und 3. Injektion wird die Leukozytose immer geringer. A
diesen grossen Schwankungen sind in erster Linie die neun -
philen polymorphkernigen Leukozyten beteiligt. Die Lymp -
zyten und grossen mononukleären Leukozyten nehmen zugleich
mit dem Anstieg der Neutrophilen, relativ und absolut an Zahl
ab, um am nächsten Tage wieder anzusteigen und noch einige
Zeit leicht erhöht zu bleiben. Die Eosinophilen und Mastzelle
zeigen nur unerhebliche Schwankungen. Das Verhalten
einzelnen Leukozytenarten wird an einer Reihe von Leuko¬
zytenkurven demonstriert. Die Neutrophilen wurden m einer
Reihe von Fällen durch Kontrollierung des UA r "e *h sc^
Blutbildes noch genauer untersucht. Es ergab sich, dass mi
dem Einsetzen der Leukozytose das Blutbild sich stets nach
links verschiebt (imArnet h sehen Sinne), oder, dass die Kern¬
zahl erheblich sinkt (nach dem Wolf i sehen Prinzip 'der Ke -i n¬
zahl ausgedrückt); zugleich treten im Blute neutrophile Myelo¬
zyten und fast regelmässig Normoblasten und metachromatische
rote Blutkörperchen auf. Oefters wurden mit Silberkornchen
beladene Leukozyten angetroffen. ' , 7
Das Absinken der Leukozytenzahl erklärt Vortr. durch Zer¬
störung eines Teiles der Neutrophilen, den spateren Anstieg
durch Ueberkompensation dieses Defektes durch das Knochen¬
mark nach dem Weigert sehen Gesetz. , T P11vn
Vortr. erörtert nun die klinische Bedeutung dei Leuko¬
zytenveränderungen. Die Kollargolleukozytose wn k . , ganz
wie andere künstlich erzeugte Leukozytosen (durch Nuklein,
Antipyrin u. a. m.). günstig zunächst durch die Eigenschalt
Phagozytose, wobei nicht nur Mikroorganismen aiifgenomme
und vernichtet werden können, sondern auch anorganische
Bestandteile, z. B. Silberkörnchen, durch auswandernde Leu¬
kozyten an Orte ausserhalb des Blutkreislaufes (Gelenkhohlen .)
gebracht werden können. Wichtiger aber ist die durch die
Knochenmarksreizung gegebene vermehrte Anregung zur Bil¬
dung von Immunkörpern. . . . ., * •
Schliesslich geht Vortr. noch auf einige Begleiterschei¬
nungen der intravenösen Kollargolinjektionen ein. 1 ie i -
Stunden nach der Injektion auftretende stürmische „Reaktion
mit Schüttelfrost und hohem Fieber fasst Vortr. als Ausdruck
einer Fermentintoxikation auf, indem durch den starken Zerfall
der Leukozyten (er betrug in einem Falle im GesamtDlut 45
Milliarden Leukozyten binnen 15 Minuten) das in ihnen ent¬
haltene Ferment frei wird; dabei kommt sowohl Fibrinferment
wie auch proteolytisches Ferment (Müller und Joch-
mann) in Betracht. Dem Freiwerden dieses letzteren Fer¬
mentes kommt wahrscheinlich auch eine grosse praktische
Bedeutung zu für die Lösung und Resorption entzündlicher Ex¬
sudate (besonders pneumonischer Infiltrate), tur welche A
nähme eine Reihe von günstigen Erfahrungen an Pneumome-
kranken kSprechem Flimmer fragt, ob der Vortragende ge¬
merkt hat dass die Leukozyten ausserhalb des Körpers durch das
Kollargol direkt im Experiment abgetötet worden sind und ob lebens¬
fern sre I eukozvten geprüft worden sind.
Herr D u n g e r hat Experimente mit lebensfähigen Leukozyten
nicht gemacht.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzung vom 17. Juni Abends 7 Uhr
im grossen Hörsaal der Senckenbergischen Bibliothek.
Vorsitzender : Herr S i p p e 1.
Schriftführer : Herr S e 1 i g m a n n.
Herr Alb recht: Demonstrationen.
Herr Hans Hübner: Demonstration eines mit Röntgenstrahlen
SÄ
IfeSrÄSBÜ-Ä
ArIenb?tandTUng s" heiterte an der Idiosynkrasie des Patienten gegen
ArSC Aehnliche günstige Heilresultate durch die Röntgentherapie bei
Mvcosis fungoides hat der Vortragende im Lichtinstitut der Hautklinik
bereits an 3 früheren Fällen erreichen können, (während die / vor
Einführung der Lichttherapie behandelten Fälle sämtlich ad exitum ge-
k ,ninHerrS Emil Fromm: Bericht über die Infektionskrankheiten des
letzten Vierteljahres im Stadtkreis Frankfurt a. M. . , ,
Der VoHragende führt an, dass in den letzten 2 Jahren das
neue Gesetz über die übertragbaren Krankheiten in Wirkung ge¬
treten ist und dass es einige wichtige Aenderungen gegen früher ge-
bracht hat die der Vortragende genauer angibt. Er bespricht dann
einige Infektionskrankheiten und führt an, dass das letzte JJ®rte^ht
gesundheitlich günstig gewesen ist und dass schwere Epidean
aiifo-etreten sind. Er bespricht dann zunächst die Lepraerkrankung,
die seit August 1906 im städt. Krankenhaus sich befindet und die dort
gehen wurde Nur um eine Entlassung des Erkrankten zu bewirken,
musste trotzdem eine Latenz angenommen werden und fand dann am
Juni 1907 der Transport nach der rumänischen Grenze untei den g -
setzlichen Vorschriftsmassregeln statt. . . „
Pockenerkrankungen traten nicht auf, doch erforderten einige Er¬
krankungen der Nachbarschaft sanitäre Vorschriftsmassregeln.
Tvnhus wurde 7 mal beobachtet, derselbe war an den meisten Fc
von auslerhalb Wer eingeschleppt. Redner bespricht hierbei d e
Wichtigkeit der Untersuchung auf Bazillenträger und fuhrt ein Bei-
sniel an wie durch solche 30 Krankheiten mit 7 Todesfälle
aufeetreten sind Auch bei Genickstarre ist die Untersuchung auf
RÄ?toMehÄg. Die 5 in Frankfurt beobachteten Falle
von Genickstarre verliefen alle tödlich und betrafen zumeist Kinder,
bei denen sich die Erkrankung im Anschluss an einen Nasenkatarrh
eingeste Trachom, die zur Anzeige kamen, betrafen fast aus-
schliesSich ostpreussiische und Polnische Arbei her. Man tonnte b«
ihripn naebweisen dass sie verschiedentlich ihre Aibeitskamerau-n
angesteckt hatten.’ Scharlach und Diphtherie traten zwar gehäuft auf,
S war hier der Verlauf ein so günstiger, das» die Sterb tlK
a a prn7 betrug. Die Untersuchung auf Diphtneriepazmen an
Seruminstitut wird in immer häufigerer Weise angewendet, so das
etwa zwei Drittel der Fälle ein bakteriologischer Befund vorliegt.
Influenza wurde zwar nur vereinzelt beobachtet, doch führte sie u-
sei zu bemerken, wie schwierig sich oft die Diagnose gestalte.
1800
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
der sicherste Anhaltspunkt zur Feststellung der Krankheit, der In¬
fektionsträger selbst, nicht bekannt sei, so laufen vermutlich unter
dem Begriff Scharlach eine grosse Anzahl Erytheme, die ätiologisch
von Scharlach zu trennen sind. Gerade in den letzten 2 — 3 Monaten
sind ihm relativ viele derartige zweifelhafte scharlachähnliche
Exantheme zu Gesicht gekommen. Solche vielfach beschriebene
Formen (vierte Krankheit, Erythema scarlatiforme recidivum) habe
er vornehmlich bei Kindern mit starker Rachenmandelentwicklung
beobachtet.
Herr Hanau fragt den Herrn Vortragenden, ob unter den im
laufenden Quartal zur polizeilichen Anmeldung gelangten Typhus¬
fällen sich auch solche befinden, welche auf eine Entstehung durch
Mai n wasser verdächtig sind.
Herr Is. Schmidt fragt danach, ob einzelne Stadtteile be¬
sonders befallen waren.
Herr E. Fromm (Schlusswort): Der Vortragende erwidert auf
die Anfrage, dass zurzeit Erkrankungen an Typhus im Anschluss an
Baden im Main nicht beobachtet wurden, dass dagegen im Vorjahre
mehrere solcher Fälle auftraten, die vornehmlich den ungünstigen
Abwässerungsverhältnissen der Stadt Offenbach zuzuschreiben sind.
Da diese Stadt beabsichtigt, nunmehr genügende Kanalisation ein¬
zuführen, dürften die Gefahren des Badens im Main sich verringern.
Was die Frage des Fernhaltens von Schulkindern bei Masern,
Keuchhusten usw. angeht, so sind die früheren Bestimmungen durch
die neue Gesetzgebung nicht aufgehoben.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 19. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Schriftführer: Herr Herschel.
Diskussion über den Vortrag des Herrn Pfeifer:
Ueber die Diagnose der Hirntumoren durch Hirnpunktion.
Herr Hoeniger berichtet über einen weiteren Fall von Hirn¬
punktion. Die Operation erwies, dass der Tumor richtig war, aber der
Tumor war nicht völlig entfernbar. Patientin erlag nach 2 Tagen
einer Pneumonie.
Herr Anton bespricht ausführlich die Schwierigkeiten, Vorteile
und Nachteile der Methode der Hirnpunktion und charakterisiert sie
als vorzüglich in den für die Methode geeigneten Fällen.
Herr Schmidt-Rimpler erklärt seine Uebereinstimmung
mit den Anschauungen der Herren Pfeifer und v. Bramann be¬
treffs des Nutzens frühzeitiger Punktionen bezw. Trepanationen bei
Hirntumoren auch vom ophthalmoskopischen Standpunkte aus. Selbst
bei vollständiger Erblindung bei Stauungspapille kann die Operation
gelegentlich noch Besserung schaffen. So war eine der Kranken,
über die Herr Pfeifer berichtet hat, und die auch Redner gesehen
hatte, bei vorhandener doppelseitiger Stauungspapille vollständig er¬
blindet. Selbst nach der Exstirpation der Geschwulst konnte sie eine
Zeitlang nicht mehr das Licht von den ihrem Bette gegenüber befind¬
lichen Fenstern wahrnehmen. Allmählich stellte sich aber wieder
etwas Sehvermögen ein; jetzt hat sie auf einem Auge Vis Sehschärfe,
m einem allerdings stark konzentrisch eingeengten Gesichtsfelde.
Beide Pupillen sind atrophisch. Sicher dürfte durch frühzeitige
Schädeleröffnung selbst ohne Tumorentfernung manchen Kranken das
Sehvermögen erhalten bleiben, das sonst rettungslos zugrunde geht.
Herr v. Bramann berichtet das Nähere über die operative
Behandlung solcher Fälle.
Herr Veit: Nach den Erfahrungen, die wir in der Gynäkologie
gemacht haben, ist die Punktion für die Diagnostik der Äbdominal-
tumoren so gut wie aufgegeben: an ihre Stelle ist die Explorativ-
inzision getreten, deren Anwendung voraussetzt, dass die Opera¬
tion der Eröffnung des Abdomens an sich ungefährlich ist und dass
die gewissenhafte Anwendung der sonstigen diagnostischen Methoden
zu keiner Diagnose gelangen konnte. Mir scheint daher die Frage an
den Herrn Vortragenden berechtigt, ob er diesen Zeitpunkt nicht auch
schon für sein Gebiet bald gekommen ansieht, in dem man an Stelle
der Hirnpunktion gleich die Trepanation vornimmt, die nach dem
hier Gehörten an sich nicht bedenklich genannt werden kann.
Herr P f e i f f e r (Schlusswort) : Zu den Ausführungen von Herrn
Pr. H ö n i g e r bemerke ich bezüglich der Symptomatologie der Stirn-
hirngeschwülste, dass die sogen. Witzelsucht keineswegs als ein
sicheres Symptom eines Hirntumors aufgefasst werden kann. Vor
kurzem habe ich die Krankengeschichten von 78 in unserer Klinik
zur Operation oder Sektion gekommenen Fällen, bei welchen also der
Sitz des Tumors mit Sicherheit feststand, zum Studium der psychi¬
schen Störungen bei Hirntumoren durchgesehen. Unter diesen fand
sich das Symptom der Witzelsucht -4 mal und zwar stets als Begleit¬
erscheinung der Korsakow sehen Psychose. Dabei war das Stirn¬
hirn nur einmal allein, ein ander Mal in Verbindung mit Tumoren
anderen Sitzes beteiligt. Hiernach wird man wohl kaum berechtigt
sein, der Witzelsucht eine besondere lokaldiagnostische Bedeutung
für den Sitz eines Tumors im Stirnhirn beizumessen. Vielleicht ist die
Witzelsucht nur als eine besondere Färbung der Korsakow sehen
Psychose zu betrachten.
Herr Dr. H ö n i g e r hat weiterhin einen Fall angeführt, bei
welchem die Allgemeinsymptome sehr rasch und schwer einsetzten
und bei welchem bald passagere Zustände von Amaurose auftraten,
ohne dass deutliche Lokalsymptome nachweisbar waren. In einem
solchen Falle wäre jedenfalls zunächst eine Ventrikelpunktion indi¬
ziert, und zwar am besten von einem der sogen, „stummen Hirn¬
teile“ aus, welche nur wenige oder gar keine Lokalsymptome hervor¬
zubringen pflegen. Durch die Ventrikelpunktion wäre man in der
Lage, den starken Hirndruck zu vermindern und hätte zugleich Aus¬
sich, durch die mikroskopische Untersuchung der beim Durchstich ge¬
wonnenen Gewebsteile den Sitz des Tumors zu eruieren.
Herr v. Bramann hält in Fällen, wo der Tumor nicht zu lokali¬
sieren und daher eine Radikaloperation nicht möglich ist, die Palliativ¬
trepanation an indifferenter Stelle für sehr wirksam. Er stützt sich
dabei besonders auf die von S ä n g e r - Hamburg damit erzielten Er¬
folge und führte 2 Fälle an, die nach Palliativtrepanation zur vollstän¬
digen Heilung kamen. Der letztere Umstand macht es zum mindesten
seht wahrscheinlich, dass es sich bei diesen beiden Fällen nicht um
I umoren gehandelt -hat. Die Palliativtrepanation kann doch immer
nur bis zu einer gewissen Grenze Entlastung schaffen. Die Ventrikel¬
punktion ist ein viel leichterer Eingriff, kann bei wieder zunehmendem
Hirndrucke öfter wiederholt werden und bietet ausserdem die Mög¬
lichkeit, dass der I umor selbst durch Untersuchung der aspirierten
Gewebsteile ermittelt werden kann.
Die Ventrikelpunktion ist bei nicht lokalisierbaren Hirntumoren
mit starkem Hirndruck auch eine zuverlässigere Methode als die
Spinalpunktion, die bei Unterbrechung der Kommunikation zwischen
Gehirn und Rückenmark versagen kann, und die, wie eine Reihe von
I odesfällen nach 'Spinalpunktion gerade bei Hirntumoren beweisen,
mit erheblicher Geafahr verbunden 'ist.
Gegenüber den Bemerkungen von Herrn Veit betone ich noch¬
mals, dass die Sicherheit der klinischen Lokaldiagnose der Hirn¬
tumoren noch sehr viel zu wünschen übrig lässt. Nach den grossen
Statistiken von Oppenheimer und von Bergmann war -die
klinische Lokaldiagnose der zur Operation gekommenen Fälle von
Hiintumoien in etwa 30 Proz. der Fälle falsch. Nach v. B e r gm a n n
wurden von 273 Fällen 157 unnütz operiert. Bei den Fällen aus
unserer Klinik wurde die klinische Diagnose mittels der Hirnpunktion
mehrfach inodifizieit und ausserdem die histologische Beschaffenheit,
Ausdehnung und Tiefe des Sitzes der Tumoren festgestellt. So konnte
der Erfolg erzielt werden, dass unter 16 Fällen von Hirntumoren 14
richtig lokalisiert wurden.
Herr Beuttenmüller als Gast: Zur Pathologie der
hypertrophischen Leberzirrhose. (Wird in der Berliner klin
Wochenschrift veröffentlicht werden.)
licn munr: lut ratnoiogie und Iherapie des Lungen¬
emphysems. (Der Vortrag erscheint in extenso in der Berliner
klinischen Wochenschrift.)
Demonstration eines operierten Falles von auf starrer Dilatation
des Thorax beruhenden Emphysems.
Biologische Abteilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Juni 1907.
v uiMiztmuer . lieir o u ü e c K.
Schriftführer: Herr K o e r b e r.
Herr Preiser zeigt 1. die Röntgenbilder eines Falles von
pseudokongemtaier Hüftluxation. Es handelte sich um ein 6 jähriges
Mädchen, das eine rechtsseitige Hüftluxation darbot, welche als kon¬
genitale angesprochen wurde. Das Röntgenbild zeigt den Kopf ziem¬
lich hoch oben in einer neugebildeten Pfanne. Die Epiphysenlinie der
n?“e Sch,ffe Zacken’ die des Kopfes ist normal.
Dieser Befund und der Umstand, dass sich eine neue Pfanne schon
bei einem 6 jährigen Kinde fand, fielen auf und die Anamnese ergab
denn auch, dass das Kind in den ersten Lebensmonaten das rechte
cm gebeugt gehalten und bei jedem Streckversuch geschrieen habe.
Eme Augen-, Genital- und Nabeleiterung habe nicht bestanden. Zum
Durchbruch von Eiter wäre es nicht gekommen; die Schmerzhaftig¬
keit habe sich mit v± Jahren verloren, die Vorliebe, das Bein ge-
ciiR;t zu halten, eist mit 2 Jahren. Die Hüfte wurde dann eingerenkt
uiiel beim letzten Verbandwechsel ein neues Röntgenbild gemacht.
Der Kopi steht jetzt in der sehr flachen, schlechten Pfanne; jetzt
tre.i vom Beckenschatten, zeigt er 2 erbsengrosse tiefe Auszackungen
seinei Gelenkflache, die als Zeichen der früheren Entzündung zu
deuten sind, ebenso wie die Rauhigkeit der Pfannenepiphyse. Aus
dem Bilde geht hervor, dass der Knochen, dessen Kern im Femur-
kopf sich erst im 10. Lebensmonat bildet, während die Entzündung
klinisch hier schon mit 3 Monaten abgelaufen war, nicht imstande ist.
Naibenlöcher im Knorpel auszufüllen. P. bespricht dann die Aetio-
logie dieser Deformitäten nach Säuglingsarthritiden, deren Kenntnis
wir besonders Drehmann verdanken.
Herr Preiser zeigt dann 2. noch das Röntgenbild der klein¬
sten Fraktur des menschlichen Körpers, nämlich die Fraktur beider
Daumensesainbeiue, die bisher noch nicht beschrieben worden zu
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1801
sein scheint. Es handelte sich um eine Dame, die gefallen war und
das Bild einer Daumendistorsion darbot. An der grossen Zehe sind
Sesambeinfrakturen schon beschrieben worden, aber auch Doppel¬
bildungen, so dass man sich vor Verwachsungen hüten muss. P r e i -
ser hat an der Leiche über die Entstehung des Bruches, den er zu¬
erst für eine Rissfraktur hielt. Versuche angestellt. Es zeigte sich
aber, dass durch gewaltsame Abduktion die Fraktur nicht zu er¬
zeugen war; eher trat eine Luxation oder Luxationsfraktur der Grund-
phalange ein. Die Fraktur der Sesambeine kann nur dann entstehen,
wenn der abduzierte Daumen mit seinem Metakarpus dorsal ge¬
stützt wird und dann ein Trauma so die Sesambeine direkt trifft, dass
sie zwar selbst frakturieren, die Phalange und der Metakarpus jedoch
intakt bleiben. Zugleich fand P. dann an einer Leiche 3 Daumen-
sesambeine, nämlich eine Zweiteilung des lateralen,
während das mediale einen dementsprechenden Fortsatz zeigt. Man
hat sich also auch hier vor Verwechslungen zu hüten. Eine knöcherne
Vereinigung der Fragmente erfolgte nicht, trotzdem war die Funktion
eine gute.
Beide Demonstrationen werden ausführlich veröffentlicht werden.
Herr E. Paschen berichtet über einen Fall von Purpura im
Anschluss an die Impfung.
Das 12 jährige Mädchen A. W. beobachtete 10 Tage nach der
Wiederimpfung — am 8. Tage bei der Nachschau wurden 2 Pusteln
konstatiert — das Auftreten von punktförmigen bis linsengrossen
Hautblutungen, zuerst auf den Unterschenkeln, später an den Armen;
das Allgemeinbefinden war angeblich nicht wesentlich gestört. 14
Tage nach der Impfung kam das Mädchen in die Impfanstalt. Es
zeigten sich auf Armen und Beinen sehr dicht stehend nadelspitz-
bis linsengrosse blutrote Flecken, z. T. papulös; dieselben juckten.
Die Impfstellen waren abgeheilt. In der rechten Nasolabialfalte
punktförmige Hautblutungen, Brust und Rücken waren vollständig
frei; auch keine Schleimhautblutungen. Urin frei von Blut. Die
Untersuchung ergab im Uebrigen normale Brustorgane; Leber und
Milz nicht vergrössert. Das Blut war in seiner Zusammensetzung
nicht verändert; vielleicht waren die Blutplättchen über die Norm
vermehrt. „ , , , , ..
Vor 3 Tagen — 3Vz Wochen nach der Impfung — traten blutige
Stühle auf bei dem Kinde, das im übrigen sehr wenig geschont war;
deshalb erfolgte heute die Aufnahme ins Krankenhaus.
Purpura nach der Impfung gehört zu den grössten Seltenheiten;
Ebstein, Pfeiffer, Gregory und Fickert berichten über
derartige Fälle. Dr. L. Voigt beobachtete an seinem riesigen Ma¬
terial in Hamburg während einer 35 jährigen Tätigkeit nur einen
Fall. In seiner Pathologie der Impfung möchte Fürst das Auf¬
treten der Purpura auf Toxine zurückführen, die durch die spe¬
zifischen Vakzineerreger hervorgerufen seien. Danach bestände eine
Analogie mit Purpura variolosa, hämorrhagischem Schailach und
Masern. Die Prognose war aber bei der Purpura nach der Impfung
bis jetzt durchweg günstig, während sie bei obigen Krankheiten
infaust ist. Die Purpura kann natürlich auch ganz unabhängig von
der Impfung aufgetreten sein. Projektion von Diapositiven.
Herr Tr ö inner: Ueber Abasie.
Die von B 1 o c q und C h a r c o t 1888 geschaffene Lehre
von der Abasie erfuhr 1890 durch Binswanger eine Er¬
weiterung in dem Sinne, dass auch auf Grund neurasthenisch-
hypochondrischer Zustände dysbasische Störungen auftreten
können. Möbius widersprach dem und wollte, ähnlich
Charcot, die Abasie nur der Hysterie reserviert wissen und
bestritt u. a. auch die Möglichkeit einer organischen Entstehung
der Abasie, wie es B 1 o c q, wenn nicht festgestellt, so doch
vermutet hatte. Seitdem sind die Meinungen noch geteilt, wenn
gleich die Mehrzahl sich dem von Binswanger und
Ziehen gegebenen Standpunkte nähert.
Auch die von T. besprochenen Fälle rechtfertigen den
Standpunkt, dass Abasie kein exklusiv hysterisches Symptom
ist. Die Möglichkeit selbst einer organischen Grundlage der
Abasie hält T. aus verschiedenen Gründen aufrecht. Als kli¬
nische Beispiele dafür führt er an: Dysbasie in der Art einer
hysterischen als Anfangssymptom der Paralysis agitans, klein-
schrittig trippelnder Gang als Residuum einer leichten rechts¬
seitigen Hemiplegie infolge Gefässthrombose, und endlich die
nicht so seltene senile Abasie, welche vor allem Petren aus¬
führlich studierte und von der T. im ärztlichen Verein ein Bei¬
spiel zeigte.
Die von T. beobachteten Fälle rein funktioneller Abasie
bieten auch sonst Beachtenswertes.
1. Eine hysterische Abasie nach Typhus im 16. Jahre. Zuerst
Delirien, Mutismus, Doppeltsehen, beim Versuch wieder aufzustehen
Abasie mit allgemeiner Hypalgesie und Paralysis agitans-ähnlichem
Tremor des Kopfes und der rechten Schulter und rechtsseitigem
Fussklonus; Gang paretisch-ataktisch mit leichter Peroneusparese.
Unter Uebungstherapie und Elektrisieren langsame Besserung.
2. Spastische Form hysterischer Abasie, im 7. Jahre ebenfalls
nach Typhus aufgetreten. Spastische Paraparese, hauptsächlich beim
Gehen; der Gang breitbeinig, tappend, unter harter Spannung aller
Muskeln. Wechselnder Verlauf; fern vom häuslichen Milieu 'stets
Besserung, durch Aufregungen und längere Bettruhe stets Verschlim¬
merung. Eine Zeit lang tetanoide Anfälle nach Aufregungen. Bei¬
mischung von neurasthenischen Hyperästhesien und Krankheitsbefürch¬
tungen. Der Fall gehört z. T. zu der Gruppe der Pseudoparesis
spastica. Auch hier langsame remittierende Besserung.
3. Hysterische Dysbasie. Im 24. Jahre nach viermonatlicher
Laktation' hysterische Paraplegie mit totaler Analgesie, welche bei
Wiederkehr' der Menses sich allmählich verlor. 12 Jahre später,
infolge Aerger und Differenzen mit dem Ehemann, Wiedererkrankung
unter Depression und Steifwerden der Beine beim Gehen, besonders
des linken; trotz verschiedener ärztlicher Behandlung keine Besse¬
rung. Deutliche Affektbeeinflussbarkeit, spastische Parese des linken
Beines, sehr gering im Liegen, stark beim Versuch zu gehen; linkes
Bein U/s cm dünner als das rechte. Quantitative Herabsetzung der
elektrischen Erregbarkeit im Tibialis anticus. B a b i n s k i s Zefien-
phänomen, aber nur in Seitenlage und von wechselnder Intensität,
bald doppel- bald nur einseitig. Sonst keine auf organische Spinal¬
erkrankung (multiple Sklerose oder Lues) hindeutende Symptome.
Gemeinsames der drei Fälle; Geringe oder fehlende Be¬
lastung, chronischer Verlauf. Ursache in zwei Fällen Typhus,
zwei Fälle mit neurasthenisch-hypochondrischen Symptomen
verbunden. Ausführliche Publikation in „Ziehens Monats¬
schrift für Psychiatrie und Neurologie“.
Da von verschiedenen Seiten eine ausführliche Diskussion über
den Vortrag Herrn T r ö m n e r s gewünscht wird, wird wegen vor¬
gerückter Zeit die Sitzung geschlossen.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Frankenburger.
Herr Kraft demonstriert einen Fall von Buphthalmus, kombiniert
mit WehmfchB*? geboren am 11. November 1906. Geburt verlief nor¬
mal. Mutter litt in der Zeit an eitrigem Ausfluss. Post partum waren
die beiden Augen des Kindes nach Angabe der Mutter vollständig
normal und gleich. Im Alter von 9 Wochen litt der Knabe an Krump¬
fen. Kurze Zeit bevor die Krämpfe eingesetzt haben, soll das linke
Auge im auffallenden Lichte eigenartig gelblich aufgeleuchtet haben.
Die Mutter bezeichnete und verglich das Aufleuchten mit dem Leuchten
eines Katzenauges. Nach den bald verschwundenen Krampfantallen
wurde das Auge grau und soll auch grösser geworden sein. Einige
Tage nach der Geburt hat leichte Konjunktivitis bestanden.
Status: Stark anämisches schwächliches Kind. Rechtes Auge
normal. Linkes Auge erheblich vergrössert. Bedeutende Druck¬
steigerung. Infolge dichter Maculae corneae ist vom Lumen des
Auges nur sehr wenig zu sehen. Aus den noch durchsichtigen Teile
des Pupillargebietes der Kornea dringt aus der Tiefe ein gelblicher
Schein (amaurotisches Katzenauge). . .. .
Es wurde die Diagnose auf Baiphthalmus, vereint mit Glioma ret.
rypelpH j"
Unter Buphthalmus versteht man eine vollständige Ektasie der
Sklera und Vorwölbung der Kornea, die zu einer manchmal ganz ge¬
waltigen Vergrösserung des Bulbus führen kann. ..
Die Ursachen für diesen Zustand des Auges sind noch nicht vo -
ständig aufgeklärt. Die Hauptsache ist die Drucksteigerung im Innern,
die zur Vergrösserung führt. , , _ _
Prof. Schoen in Leipzig vermutet, dass der Hydrophthalmus
von angeborenem Fehlen der Meridionalfasern des Ziliarmuskel ler-
rührt, weshalb der Augendruck nicht wie im normalen Auge von
diesem elastisch aufgefangen wird, sondern unmittelbar gegen die
unelastische Lederhaut anprallt.
Bei Buphthalmus spielt die Vererbung eine sehr grosse Rolle. Der
Blutsverwandtschaft ist besonders ein gewisser Einfluss aut die En
stehung des Leidens zuzuschreiben. . , . , , . ..
In unserem Falle war etwas derartiges nicht festzustellen.
Gliom findet sich nur bei Kindern; es kommt ein- und doppelseitig
vor. Seine Entwicklung muss oft in das intrauterine Leben verlegt
Differentialdiagnostisch käme noch in Betracht die einfache,
eitrige Chorioiditis, bei der das Exsudat im Glaskörper einen ähnlichen
gelblichen Schimmer hervorrufen kann (Pseudogliome). Der untei-
schied liegt in den Druckerscheinungen.
Eine den Eltern vorgeschlagene Enukleation wird zuerst an¬
genommen, später aber verweigert, da Uebersiedelung nach Gesten¬
reich erfolgen sollte.
Herr Fiirnrohr hält einen ausführlichen Vortrag: Der Gelurn-
Im Anschluss hieran berichtet Herr Riegel über einen Fall, der
durch heftigste Kopfschmerzen ausgezeichnet war und U°tz ich ad
mortem kam. Die Sektion ergab einen freischwebenden Zystizerkus
im IV. Ventrikel.
1802
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Sitzung vom 16. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Fla tau.
Herr Gerl ach stellt eine 9 jährige Patientin vor. welche vor
3 Monaten infolge Ueberfahrenwerdens u. a. schwere Knochenver¬
letzungen der rechten Schulter und der rechten oberen Extremität
(Eract. claviculae, Eract. scapul., Ablösung der oberen Humerus-
diaphyse und des Epicondylus int. humeri) erlitten hatte. Die Ver¬
gleichung der Röntgenaufnahmen, welche kurz nach der Verletzung
und 3 Monate später aufgenommen waren, lassen eine vorzeitige Ver¬
knöcherung der unteren Humerusepiphyse (Tuberkulose liegt bestimmt
nicht vor) als Eolge der schweren Zertrümmerung der zentralwärts
gelegenen Knochenteile annehmen.
Herr Gernert spricht über rationelle Mund- und Zahnpflege.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Juli 1907.
Herr Basier: Ein neues einfaches Gärungssaccharo-
ineter.
Um den Zuckergehalt des Diabetesharnes zu bestimmen, ver¬
fährt man seit langer Zeit in der Weise, dass man in dazu geeigneten
Apparaten, sog. Gärungssaccharometern, die bei der Hefegärung ent¬
stehende CO2 auffängt und aus ihrer Menge einen Rückschluss macht
auf die in dem Harn enthaltene Zuckermenge. (Mehrere solcher
Apparate werden während der sich in ihnen abspielenden Gärung de¬
monstriert.)
Um die nachträgliche Absorption von Kohlensäure möglichst ein¬
zuschränken, konstruierte der Vortragende einen Apparat, der be¬
zweckt, dass die entstehende Kohlensäure über gesättigter Kochsalz¬
lösung aufgefangen wird, und bei dem ausserdem die zu vergärende
Eliissigkeitsmenge stets gleich bleibt.
Diesen Anforderungen entsprechend, musste dem Apparat die
im folgenden beschriebene Gestalt gegeben werden.
Als Reservoir für 5 ccm Harn, der zuvor mit einem Stückchen
Hefe geschüttelt wird, dient ein zylindrisches Glasgefäss, das ver¬
schlossen werden kann mit einem eingeschliffenen Glasstöpsel, wel¬
cher in eine schwere Metallplatte eingelassen ist, die als Fuss für
den ganzen Apparat dient.
An der dem Stöpsel gegenüberliegenden Seite geht das Gefäss
in eine 2 mm weite Glasröhre über. Zwischen Gefäss und Glasröhre
ist zur bequemeren Füllung ein Hahn eingeschaltet. Die Glasröhre
mündet nun ihrerseits in den Teil des Saccharometers, welcher dazu
dient, die abgeschiedene CO2 aufzufangen. Er besteht aus einem oben
zugieschmolzenen, etwa 1 cm weiten Glasrohr, von dessen unter¬
stem Abschnitt ein zweites, nach oben sich umbiegendes und dann
mit dem ersteren parallel verlaufendes Glasrohr abzweigt, das die
gleiche Weite und Länge besitzt, aber oben offen endet. Von hier
aus wird das oben verschlossene Glasrohr des Apparates mit ge¬
sättigter Kochsalzlösung gefüllt.
Die bei der Gärung entstehenden Kohlensäureblasen steigen
naturgemäss in 'der zuckerhaltigen Flüssigkeit in die Höhe und ver¬
mischen sich mit der zwischen dem Harn und der Kochsalzlösung be¬
findlichen Luft. Das Kohlensäureluftgemisch dehnt sich entsprechend
aus; es treten deshalb beständig Gasblasen aus dem engen Glas¬
rohr und sammeln sich an der Kuppe des verschlossenen Glasrohrs
an, die Kochsalzlösung in den offenen Schenkel verdrängend.
Aus dem Volumen des angesammelten Gases lässt sich die vor
der Gärung in der Flüssigkeit enthaltene Zuckermenge bestimmen.
Auf einer Skala kann der Zuckergehalt direkt in Prozenten abgelesen
werden.
In dieser Form ist der Apparat zur Untersuchung von Harnen
eingerichtet, welche nicht über 1 Proz. Zucker enthalten.
Für höhere Konzentration (1 — 10 proz. Lösungen) konstruierte
der Vortragende ein anderes Modell, welches im wesentlichen dem
beschriebenen gleich gebaut ist, dessen Reservoir aber viel kleiner
und nur zur Aufnahme von 0,5 ccm Flüssigkeit bestimmt ist.
Herr Bürker: Ueber Methoden und Probleme der Bluf-
imtersuchung. (Erscheint später unter den Originalien dieser
Wochenschrift.)
Herr Grützner macht eine kurze Mitteilung über die
Tätigkeit der Arterien, insonderheit über diejenige der Arterien
im menschlichen Nabclstrange. Wenn man durch diese stark
muskulösen Gefässe, die sich in ihrer natürlichen Lage im
Nabelstrange in körperwarmer physiologischer Kochsalzlösung
befinden, ernährende Flüssigkeiten, etwa Ringer sehe Lösung
unter einem Druck von — 1 A m Wasser treibt, so zeigt sich
schon bei kontinuierlichem Druck, vor allem aber bei pulsa-
toriseh schwankendem Druck die merkwürdige Erfahrung, dass
die lebenden Arterien vielfach besser in ihrer natürlichen als in
entgegengesetzter Richtung durchströmt werden, obwohl von
Klappen oder klappenartigen Einrichtungen nichts nachzuweisen
ist. Der Vortragende kann sich diese Tatsache vorläufig nicht
anders erklären, als dass eben die Arterien durch Muskel¬
tätigkeit ihren Inhalt befördern helfen, während ein entgegen¬
gesetzt gerichteter Strom durch ihre Tätigkeit gehemmt wird.
Sind die Arterien abgestorben, so ist es ganz gleichgültig, ob
sie rechtläufig oder gegenläufig durchströmt werden. In beiden
Fällen fliesst gleichviel und überhaupt sehr viel Flüssigkeit
durch sie hindurch. Weitere Untersuchungen müssen diese
eigenartigen Tatsachen weiter aufklären.
Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Aerzte in
Böhmen.
XV. Versammlung vom 19. Juni 1907, im Hörsaale
des deutschen anatomischen Institutes.
Herr Fick: Einiges über die Rippenbewegungen. (Mit De¬
monstration eines Modelles.)
Der Vortragende ging bei seinen Darlegungen von dem bekann¬
ten Satz von Trend eien bürg (1777) und Helmholtz (1856)
aus, dass die Rippendrehungsachsen mit Ausnahme der des ersten
Paares schräg liegen und sich .daraus die Erscheinung erklärt, dass
bei der Rippenhebung sich der Brustkorb sowohl in den antero-
posterioren (sagittalen) als auch 'in den queren (frontalen) Durch¬
messern erweitert. Herr Fick setzt weiterhin auseinander, dass
aus der Schräglage der Rippendrehungsachse aber auch die Not¬
wendigkeit von besonderen Zwischenstücken zwischen den Rippen
und dem Brustbein, sowie die Beweglichkeit dieser Zwischenstücke
(der Rippenknorpel) gegen das Brustbein und die Biegsamkeit der
„Rippenknorpelwinkel“ (vgl. R. Fick, Handbuch der Gelenklehre,
Jena 1904, S. 131) folgen. Nur durch die Stellungsänderung der Rip¬
penknorpel wird es nämlich den vorderen Rippenenden ermöglicht,
sich bei der Hebung von der Mittellinie zu entfernen. Diese Fol¬
gerung gilt natürlich für das ganze Tierreich. Der ganze Bewegungs¬
vorgang äst ein Beispiel der in der Technik viel angewandten sog.
„Geradführung“, bei der eine rotierende Bewegung unter Vermittlung
von Zwischenstücken, den sog. „Exzenter- oder Bleuelstangen“, in
eine hin- und hergehende Bewegung verwandelt wird oder umgekehrt
(wie z. B. bei einer Lokomotive). Alle diese Tatsachen lassen sich
an dem von Prof. R. Fick und Mechaniker Krusich (Prag) auf¬
gebauten Modell leicht anschaulich machen.
Herr Fischer: Miliare Nekrosen mit Wucherungen an den
Neurofibrillen als anatomische Grundlage der senilen Demenz.
F. demonstriert eiger*artige Veränderungen der Hirnrinde, die
sich nur in Fällen der von Wernicke als Presbyophrenie charak¬
terisierten Unterform der senilen Demenz vorfinden. Dieselben be¬
stehen in kleinsten Nekrosen, um die die Neurofibrillen radiär gestellte
keulenförmige Auswüchse und Wucherungen bilden. (Ausführliche
Publikation erfolgt in der Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neurologie.)
Herr Sträussler: Demonstration eines Hypophysengang¬
tumors.
S. demonstriert eine „Hypophysenganggeschwulst“, welche sich
als mit blutiger Flüssigkeit gefüllte Zyste von Hühnereigrösse an 'der
Gehirnbasis hinter dem Chiasma optic. präsentierte, den Boden des
III. Hirnventrikels nach oben verdrängte und mit einer Vergrösserung
der Hypophyse vergesellschaftet war. Das Präparat stammt von
einem 39 jährigen Offizier, welcher im wesentlichen eine beiderseitige
Optikusatrophie, eine Gesichtsfeldeinschränkung im Sinne einer
homonymen bilateralen Hemianopsie, allgemeine Tumorsymptome,
Kopfschmerzen, Erbrechen und eine psychische Störung mit dem
Bilde einer K o r s a k o f f sehen Psychose geboten hatte. Der kli¬
nische Verlauf zeichnete sich durch grosse Schwankungen in den
objektiven und subjektiven Erscheinungen aus. Radioskopisch war
eine Erweiterung der Sella turcica nachgewiesen worden. Die Sym¬
ptome waren aber zweifellos vornehmlich durch die Hypophysen¬
ganggeschwulst bedingt. Die vorläufige mikroskopische Untersuchung
eines Teiles der Zystenwand ergab den von Erdheim beschrie¬
benen typischen Befund.
XVI. wissenschaftliche Sitzung vom 26. Juni 1907 i m
Hörsaale des deutschen pathoJogisch-anato m i -
sehen Institutes.
Herr Hel ly: Demonstration der Präparate eines Falles von
Rotzinfektion. H. demonstriert Präparate von einem im hiesigen deut¬
schen pathologisch-anatomischen Institute zur Sektion gelangten
Falle von Laboratoriumsinfektion mit akutem Malleus. Die Sektion
wurde von Dr. Verocay in Gemeinsamkeit mit dem Vortragenden
vorgenommen und bot, gleichwie das klinische Bild die Zeichen einer
ausgesprochen bakteriämisch verlaufenden Infektion. Es fanden sich
typische Rotzknoten im Bereiche der Kopfhaut, des Stammes, der
oberen und unteren Extremitäten, daneben aber auch eine Unzahl
kleiner frischerer Effloreszenzen, angefangen von der eben auf-
schiessenden Quaddel bis zur bereits vereiterten Pustel. Die Musku¬
latur war insbesondere im Bereich der oberen Extremitäten, in ge¬
ringerem Grade an den unteren Extremitäten, da und dort auch in
anderen Regionen (z. B. M. masseter d.) von vereiterten Knoten
3. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
1803
m.rpWtyt welche ebenso wie die in anderen Organen Vorgefundenen,
t°eM
Von den inneren Organen waren befallen. Die Leber, jelcne in in
der Rotzaffektion im Leberartenengebiet, .fei\ie/]iSrV,1^se , Snitzen-
Glatfs penis fand sich je eine der Corona ^ teTurchRoS
ÄSjß* rgÄ
stelle der Erkrankung angesehen werden können wed die z g h R
inguinalen Lymphdrüsen der rechten Seite bereits in verenerung
(rriffen waren während die gesamten regionären Lymphdrüsen d
nbdgenTotzig erkrankten Körperstellen nur verhältnismassig genüge
Zeichen «er entzündliche, Schwellung darboten i es sind sonach
die Veränderungen an erstgenannter Stelle berechtfgt
jÄKÄt; KsUs sr ™ £
Herr Verocay: Demonstration mehrfacher Missbildungen bei
der^forn "nach’ toten abgeplatteten Doppelniere qum hinüberzog,
£ iSSSssÄ
Niere zur Vena cava inf. , , ., ,
Der Fall wies noch eine ganze Reihe von Besonderheiten auf.
ÄÄSLÄÄÄ
Ä Die aul
vierter Rippe findet sich ein uberzahiger 5,o cm langer Knorpel aui
der rechten Seite des Sternums
Herr Wiechowski: Zur Harnsäurefrage.
Die Ausführungen des Vortragenden beschäftigen sich mit dei
Zersetzlichkeit der Harnsäure durch das Saugetier. Während als
sichergestellt angesehen werden kann, dass Kaninchen, Hunde u
Katzen subkutan beigebrachte Harnsäure zerstören, is d die: s m ^
Menschen nicht bewiesen. Bur l an und Schur fan im
kutan verabreichter Harnsäure beim Menschen bloss 50 1 roz. i
Harn wieder Soetbeer und Ibrahim dagegen alles. Vo tr,
berichtet Übel' eine Selbstversuch, bei welchem von xTeen a^s^eschfe-
gereichter Harnsäure 87 Proz. m -den folgenden 3 ragen «'f™
den wurden. Dieser Versuch spricht zu Gunsten der 5 oetbe e i
sehen Auffassung der Unzerstörbarkeit der Harnsaure durch den
Menschen. Die gewöhnlichen Laboratoriumssaugetiere scheiden da¬
gegen von subkutan 'gereichter Harnsäure fast nichts aus:. ]? •
dukt dieser Zersetzung ist kontrovers. Im Anschluss an die Liter atu
dieses Gegenstandes berichtet Vortr. über bereits veröffentlichte Zer¬
setzungsversuche mit überlebenden Organen. In diesen Versuchen
wurde als einziges Zersetzungsprodukt Allantoin gefunden. Hi
raus ergab sich die Notwendigkeit, diesen Stoff auch im lebenden
Säugetier als Produkt -des Harnsäurestoffwechsels nachzuweisen. Die
bisherigen Methoden des Altantoinnachweises erwiesen sich als un¬
geeignet Es wurde eine neue Methode ausgearbeitet, welche Allan¬
toin in allen Quantitäten analysenrein abzuscheiden gestattet. I e
Anwendung dieser Methode auf die verschiedenen Saugetierharne
ergab, dass Allantoin in beträchtlicher Menge in
dein Säugetierharne bei jeder Ernährung und auch
im Hunger nachzuweisen ist - mit Ausnahme des
Menschenharnes. Dieser ist praktisch frei von Allantoin.
Einige Versuche über den Einfluss von Harnsäurezufuhr ergaben bei
Kaninchen und Hunden den völligen Uebergang aer Harnsaure in
Allantoin. Subkutan dem Menschen angeführtes Allantoin wuide
Quantitativ im Harne der nächsten 12 Stunden wiedergefunden, bu
den Menschen kann man also als erwiesen betrachten, dass er irgend
erhebliche Allantoinmengen de norma nicht bilde für die übrigen
Säugetiere ist Allantoin dagegen ein regelmässiges Produkt ihres ibtott-
wechsels. Aus den mitgeteilten Versuchen ergibt sich ein wichtige.
Unterschied zwischen Mensch und den übrigen Saugern quoadl urm-
stoffwechsel. Allem Anscheine nach ist die Harnsaure für den Men
•sehen terminales, für die übrigen Säuger aber intermediäres Stott-
wechselprodukt. Diese Erkenntnis muss unsere Anschauungen über
das Wesen und die Behandlung der Gicht beeinflussen; sie drückt sich
prägnant im Harnbilde aus: beim Menschen viel Harnsaure und kein
Allantoin, beim Säugetier wenig oder gar keine Harnsauie und viel
Allantoin.
XVII wissenschaftliche Versammlung am .1 Juli 1907,
im Hörsaale der deutschen chirurgischen Klinik.
Herr Doberauer zeigt eine Frau, welcher er einen aspirierten
Fremdkörper mittels oberer Bronchoskopie aus dein linken Bronchus
entfernte; es handelte sich um ein Stück einer Gebissplatte (2 a 2 cm)
mit einem Metallstift, welches einen Tag zuvor aspiriert worden war.
Die Diagnose war, abgesehen von der typischen Anamnese, durch
deutlichen Stridor über dem linken Bronchus höchstwahrscheinlich
und wurde durch die Bronchoskopie bestätigt. Die Extraktion gelang
in 2 Etappen, indem der unter Leitung des Auges im Bronchus gefasste
und mit -dem Tubus von dort entfernte Fremdkörper im Kehlkopf unter
dem rechten Stimmbande sich festhakte und der Zange entglitt, es
kostete einige Mühe und die Verwendung eines stärkeren T ubus und
einer kräftigeren Zange, um die Platte aus ihrer jetzigen Lage los¬
zubringen und zu entfernen. Der Vortragende bespricht die ausser¬
ordentlichen Vorteile, welche die Bronchoskopie speziell fui die
Fremdkörper, aber auch für viele andere Affektionen des Atemrohres
und seiner Umgebung bietet, und betont den un^sYcherheit
K i 1 1 i a n mit seiner Methode inbezug auf Exaktheit und bicnerneit
in der Diagnose und Behandlung der einschlägigen Erkrankungen
inauguriert hat. , ... ,
Herr Doberauer: Zur Chirurgie inoperabler Geschwülste.
Doberauer bespricht 2 Fälle von sehr grossen malignen u-
moren der Leistengegend, welche mit den grossen Gefassstämmen
verwachsen und so nach bisheriger Anschauung inoperabel waren.
Er legte präliminar die Iliaca ext., das anderemal die Kommums fiel,
und legte um dieselbe -einen elastischen Gummischlauch. der nun im
Verlaufe einTger Tage -allmählich so weit durch Torsion zugezogen
wurde, bis der Puls peripher vom Schiauch eriosch und der Blutstrom
in dem Hauptstamm unterbrochen war. Nach 2, beziehungsweise
Tagen wurde die Exstirpation des Tumors samt den grossen Gefass-
stämmen und ihren Seitenästen, einmal mit teilweise) Resektion des
Schambeines das anderemal der Harnblase gemacht; beidemal über-
Pebte die Ext’reraftät de,, Eingriff es erfolgte keine Gang.™ D.e eine
Patientin wird geheilt vorgestellt, die andere ist 12 Stunden nach der
Operation an Herzparalvse gestorben, doch wai vor dem Exitus dr
Ernährung der Extremität schon zweifellos gewesen i und bei der Ob¬
duktion fand sich überall in Arterien und Venen bis zui I lbialis postica
frisches flüssiges Blut. Die Stelle der temporären Ligatur wird, wenn
nur Schlauch verwendet wird, nicht lädiert, die Intima bleibt zait und
das Blu geht nach Lösung des Schlauches wieder durch, sodass man,
wenn d e8Nati” des Falles nicht eine zu ausgedehnte Resektion der
Qefässe erfordert, dieselben durch Naht wieder vereinigen kan .
Doberauer bespricht kurz -anderweitige ‘ähnliche versucne
und schliesst mit der Erklärung, dass es mit seiner Methode der all-
mähligen Gefässligatur und der dadurch ermöglichten systematischen
Ausbildung eines kollateralen Kreislaufes in manchen Fallen möglich
sein wird,' die Kranken einer erfolgreichen Operation zuzufuhren, ue
man bislang ihrem Schicksale überlassen musste. .
Herr Doberauer: Demonstration eines Falles von operierter
Embolie der Arteria axillaris. Tn,rpn pUip
Demonstration einer Kranken, bei welchei vor 1- la^en e
Embolie der rechten Arteria brachialis erfolgte. Wegen beginnender
Äta t/isSUcher Kontraktur wurde der Plan ge assE das
Arterienrohr wieder wegsam zu machen; F h mm hu c • N a 1 1 1 c r ' A r-
yi<xinn Ausräumung eines ca. 3 cm langen Thrombus, Nant oei a
terie-'es erfolgte jedoch trotz wiederholter Wiedereröffnung immer
wieder Thrombose an der Stelle, wo der Thrombus gesessen hatte
( a\c\ Onpration erfolgte ca. 52 Stunden nach dem Eintntt des (j <.
vprschbisses) Nach 2 Tagen wegen Fortschreitens der Oangran-
Schei Anastomose zwischen Arteria und Vena axillaris um das
Blut auf dem Wege der Vene zur Extremität zu leiten, nachdem die
Arterie offenbar nicht mehr frei zu bekommen war. Die Nah! ; gelang,
das Blut schoss unter explosionsartigem Geräusch in die Vene ein
und drang bis zum Handgelenke vor; jetzt. 8 Tage nach der Operation,
kann durch das Gefühl und ein mit dem Herzschlag synchrones sau¬
sendes Pulsgeräusch nachgewiesen werden, dass in de rat dasa
terielle Blut durch die Vene fliesst. Rotk> iag.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie de medecine.
Sitzung vom 9. Juli 1907.
Die Gefahren der Atoxylmedihation.
Hallopeau berichtet über einen Zufall, demnach
Behandlung mit deutschem Atoxyl entstanden ist. De : h d
mit alkoholischer Neuritis behaftete Frau ^Tage^nac^ der
Ändetoi Kinken voii Saint-Louis nichts ähnliches vorgekommen
1804
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
ist. Auf der Konferenz (zu London) zur Prophylaxe der Schlafkrank¬
heit wurde über 6 Fälle von Sehstörungen unter 14, dem Mittel unter¬
worfenen Fällen berichtet; diese Kranken haben fast das Doppelte
der Dosen, zu welchen er (H.) geraten habe, bekommen und es han¬
delte sich wahrscheinlich um das deutsche Atoxyl. H. rät, sich an
folgende Dosen zu halten: 1. eine Injektion von 0,75 cg; 2. zwei Tage
später 0,6 cg; 3. nach weiteren drei Tagen 0,5 cg; eine zweite Serie
von 3 Injektionen wird erst zwei Monate später gemacht. H. hat bei
dieser Methode immer nach der vierten Injektion Intoleranzerschei¬
nungen beobachtet. Die 4 jährige syphilitische Kur wird in folgender
Weise vorgenommen werden: 1. Anilarsens. Na in einer Serie von
4 Injektionen; 2. 10 Tage später Quecksilberbehandlung in der Dauer
von 2 Monaten; 3. nach 10 tägiger Pause eine neue Serie von Anil-
arsinat und so fort und 4. in den letzten (welchen? Ref.) Jahren Jod.
Sitzungen vom 16. — 30. Juli 1907.
Behandlung des Karzinoms mit Hochfrequenz- und hochgespannten
Strömen.
De Keating Heart bespricht diese Behandlungsart, welche
darin besteht, auf die bösartigen Tumoren starke elektrische Ströme
von hoher Spannung und hoher Frequenz vermittels eines, Resonator
genannten, Apparates einwirken zu lassen. Die Erfolge sind über¬
raschende und bestehen 1. in Unterdrückung der Hämorrhagien und
Schmerzen; 2. in Stillstand oder Verminderung im Wachstum der Tu¬
moren, welche zu- tief oder schlecht sitzen; 3. in elektiver Zerstörung
des kranken Gewebes und 4. in Elimination und Vernarbung in¬
operabler und rasch wachsender Tumoren, wobei die Heilung bereits
14, 15 und 16 Monate anhält. Die Zeit allein wird lehren, ob es sich
um Dauerheilungen handelt, aber immerhin sind die Resultate be¬
achtenswert, da es sich um verzweifelte Fälle handelte.
Pozzi kommt nach seinen Erfahrungen zu ähnlich günstigen
Schlüssen wie K; H.; wir besitzen in den Hochfrequenzströmen ein
physikalisches Mittel, welches blut- und schmerzstillend wirkt, hoch¬
gradig destruierende Wirkung auf das kranke und vernarbende, auf
das darunter liegende Gewebe besitzt und dessen Anwendung, auch
abgesehen von der Krebstherapie in der Medizin glückliche Folgen
haben könnte. Wenn auch noch keine jahrelang anhaltende Heilung
vorliegt, so möchte P. doch wünschen, dass mit dieser Therapie
weitere Versuche angestellt würden.
Die Ophthalmodiagnose bei Typhus abdominalis.
Chantemesse erwähnt zuerst die Untersuchungen Pir¬
quets über die Kutireaktion und jene von Wolff-Eisner über
die Ophthalmoreaktion durch Tuberkulin. Die Beobachtungen dieser
Autoren wurden in Frankreich von Vallee bei Rindern und von
Calmette beim Menschen bestätigt — positive Reaktion bei evi¬
denter oder latenter Tuberkulose, negative bei gesunden Individuen.
Ch. unternahm nun analoge Untersuchungen bei Typhuskranken und
hat mit absolutem Alkohol eine starke Lösung eines löslichen Typhus¬
toxins hergestellt. Er hat auf diese Weise ein Pulver erhalten, welches
in einem J ropfen Wasser auf die Dosis von Vso mg aufgelöst und
unter das Unterlid imstilliert, eine sehr ausgesprochene Öphthalmo-
diagnose des 1 yphus zeigt. Bei gesunden oder wenigstens typhus¬
freien Personen entsteht nach 2 — 3 Stunden eine geringe Röte. Tränen¬
träufeln und alles verschwindet wieder nach 4—5 Stunden. Bei
I yphuskranken ist die Reaktion viel ausgeprägter, erreicht ihr Maxi¬
mum nach 6 — 12 Stunden und hält bis zum nächsten Tag an: man kon¬
statiert Röte, I ränenträufeln und die Bildung eines sero-fibrinösen
Exsudats. Manchmal bleibt auf dem betreffenden Auge die Reaktion
noch nach 2 3 1 agen sichtbar. Diese Reaktion ist übrigens mit
keinerlei Nebenerscheinung verbunden, weder Temperatur noch All¬
gemeinzustand sind verändert. Ob die Ophthalmodiagnose ein sehr
fiiihzeitiges Zeichen des I yphus ist, vermag Ch. noch nicht zu sagen;
immerhin weist das Auge des Kaninchens, dem man 48 Stunden vorher
Iyphusbazillen subkutan injiziert hat. eine völlig positive Reaktion
auf, es handelt sich also um ein unschädliches und rasche Resultate
gebendes diagnostisches Mittel.
Zur Pathogenese der Wanderniere und der Ptosis im allgemeinen.
K e * e r s*aub* n>cht- wie Lucas-Championniere,
c ass die Nephroptose eine Folge der Enteroptose sei, sondern dass
beide zusammen entstehen und eine gemeinsame Ursache haben,
\\ eiche in primärer funktioneller Störung des Nervensystems beruht.
Dei Tonus der Bauchmuskeln wird unter diesem Einfluss erschlafft
und führt die verschiedenen Arten von Ptosis herbei. Bei Individuen
mit nervöser — erworbener oder kongenitaler — Disposition be¬
obachtet man daher besonders die Ptosis. Man darf aus diesem
Grunde nicht erstaunt sein, bei Individuen mit Wanderniere Geistes¬
störungen und Schmerzerscheiinungen zu finden, die nicht im Ver¬
hältnis zum Grade der Veränderungen stehen. Die chirurgische Be¬
handlung mit Fixierung der Niere gibt zweifellos dauernde Resultate;
bevor man aber daran geht, sollte man den Versuch mit einem Korsett
machen, das bis zui Scham reicht, den Hüften sich anschmiegt und
mich oben bis unterhalb des Magens geht. Sehr oft genügt diese
letztere Behandlungsmethode. ' st'.
Society medicale des höpitaux.
Sitzung vom 12. Juli 1907.
Die tuberkulöse Augenreaktion bei Kindern.
Comby hat die Angaben Calmettes über die Diagnose der
1 uberkulose durch die Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin an 16 Kin¬
dern, welchen er je 1 Tropfen einer Tuberkulinlösung (1:100) ins
Auge träufelte, nachgeprüft. Von diesen reagierten 8 positiv, 8 nicht.
2 der letzteren starben einige Tage nach der Instillation an Mascrn-
Lneumonie) und zeigten keinerlei tuberkulöse Veränderung. Bei den
8 Kindern mit positiver Reaktion — mehr weniger intensive Kon¬
gestion der Conjunctiva palpebralis und ocularis 8 Tage hindurch
wai die Reaktion von keiner Störung des Allgemeinbefindens oder
von Fieber begleitet. In zwei Fällen war die Kongestion sehr inten-
siv: I ränenträufeln, fibrinöseitrige Absonderung, entzündliches
Uedem. Um solche Stärke der Reaktion zu vermeiden, schlägt
Lo mby vor, nur 1 I ropfen einer 1:200 Lösung einzuspritzen. Die
C phthalmoreaktion scheint ihm ein bequemes, unschädliches und ab¬
solut sicheres Mittel zu sein, um verborgene Tuberkulose an den Tag
zu bringen, und kann sowohl bei Fieberlosen wie Fiebernden ange-
Sie übertrifft d'e nicht sichere Hautreaktion und die
schmerzhafte Subkutanreaktion.
Aus den englischen medizinischen Gesellschaften.
Medical Society of London.
Sitzung vom 13. Mai 1907.
diiucruiere.
H. Mackenzie hat im Krankenhause annähernd 4000 Pa¬
tienten mit und ohne diesbezügliche Symptome auf das Vorhanden¬
sein einei abnormen Beweglichkeit der Nieren untersucht Er
unterscheidet zwischen einer palpablen Niere und einer abnorm be¬
weglichen. Er redet von abnormer Beweglichkeit, wenn man mit
der tastenden Hand vollständig den oberen Rand der Niere umgreifen
kann das Ranze Organ somit palpieren kann. Unter einer palpablen
leie versteht er eine solche, die zwar in kleinerer oder grösserer
Ausdehnung befühlt werden kann, aber keine Dislozierung und Um¬
greifen des oberen Randes zulässt. Es wurden 2801 weibliche
Kranke in verschiedenen Lebensaltern und 1067 männliche untersucht.
Unter ersteren fanden sich 449 Fälle mit palpabler und 515 mit be¬
weglicher Niere. Unter dem männlichen Material fanden sich nur
^ 6 Palpable Nieren. Man hatte demnach beim
weiblichen Geschlecht 18 4 Proz. bewegliche Nieren und beim männ¬
lichen nur 1 von Hundert. Die Beweglichkeit betraf nur einmal die
linke Seite allein, dagegen 476 mal bloss die rechte Niere und 49 mal
oeide zugleich. Die untersuchten Fälle waren teils wegen Lungen-
Jmden, teils wegen Beschwerden seitens der Abdominalorgane und
anderer Leiden ins Krankenhaus aufgenommen worden. Man konnte
v.on feiner Krankheit nachweisen, dass sie besonders geeignet sei
eine Nierensenkung herbeizuführen. Auch konnte der Gravidität ein
Einfluss in dieser Beziehung durch diese Nachforschungen nicht nach¬
gewiesen werden. Betreffs der Symptomatologie ist zu bemerken,
dass unter 526 Fällen mit unzweifelhaft abnorm beweglicher Niere
wenigstens 411 keinerlei subjektive Empfindung davon hatten. Die
gewöhnlichste Erscheinung ist ein schwerer, ziehender Schmerz in
der Lendengegend, welcher durch Ruhe zum Verschwinden gebracht
wird. In therapeutischer Beziehung ist namentlich irgend eine
^ tiitze zu empfehlen. Chirurgische Eingriffe haben nur in etwa
57 Proz. der operierten Fälle einen Erfolg erzielt.
V. Bonney betont die Zweckmässigkeit einer Untersuchung
der Kranken in aufrechter Stellung. Das Mass der Beschwerden
stehe nicht immer im Verhältnis zu dem Grade der Beweglichkeit.
Ausschlaggebend sei dabei hauptsächlich die Spannung des Stieles"
der Niere. Man kann sicher auf Spannung schliessen, wenn die" Niere
schräg steht und bei der Exspiration nicht in die normale Stellung
zurückgleitet.
F. de Havilland Hall hält auch eine Operation für zwecklos
bei der Mehrzahl dieser Fälle; dagegen kann man mit .einer zweck¬
mässigen Ernährung viel erreichen.
H. W. Wilson hat die Nachgeschichte von 60 in St. Bar-
tholemews Hospital operierten Fällen verfolgt. Bei 40 Proz. konnte
von einer Heilung gesprochen werden. Seiner Erfahrung nach, die
er durch Experimente an Katzen bestätigt gefunden hat, empfiehlt es
sich, die Kapsel von der Niere abzuziehen. Der Erfolg ist dabei
besser als bei der einfachen Fixation.
L. B. Rawling stimmt dem Vorredner zu inbezug auf die
Prognose sowohl, wie betreffs der Nützlichkeit der Entkapselung.
Man muss das Organ dann möglichst hoch am oberen Rande der 12.
Rippe annähen.
S. West weist auf den Wert des Lagewechsels als dia¬
gnostisches Hilfsmittel hin.
3. September 190?.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1805
C. M. Howell hat auch gefunden, dass multiple Graviditäten
wenig Bedeutung in der Aetiologie der Affektion zu haben scheinen.
Bei akuten Fällen oder beim Vorhandensein von Abnormitäten am
Urin hält er die Operation für angezeigt.
Einige Herzaffektionen ohne Nebengeräusche.
W. Broadbent besprach zu diesem Thema namentlich die
Myokarditis, die trübe Schwellung und die fettige Degeneration. Bei
der erstgenannten Affektion findet man erhöhte Pulsfrequenz, Tem¬
peratursteigerung und etwas Ventrikelerweiterung, namentlich der
rechten Seite. Bei leichter Chorea und bei Rheumatismus wird der
Zustand oftmals unbeachtet gelassen; die nötige Bettruhe wird nicht
beobachtet, und die Folge ist eine dauernde Schädigung des Herzens.
Die trübe Schwellung ist die gewöhnlichste Veränderung am Herz¬
muskel, die häufige Begleiterscheinung fieberhafter Krankheiten, so
namentlich des Abdominaltyphus, der Diphtherie, Pneumonie etc.
Als wichtigste Symptome werden angeführt: eine fortschreitende
Abschwächung und Verkürzung des ersten Tones, erhöhte Schnellig¬
keit der Herzaktion und Verschwinden des Iktus, bei ernsteren Fällen
ist eine Verschmelzung oder wenigstens eine Annäherung des ersten
und zweiten Tones wahrzunehmen. Bei Influenza sieht man häufig
diese Komplikation schnell eintreten und eine ernste Gefahr bilden.
Ebenso sieht man sie, wenn auch jetzt seit Einführung der Antitoxin¬
behandlung seltener, bei Diphtherie einsetzen und rasch in fettige
Entartung übergehen. Ein intermittierender Puls ist dabei im febrilen
Stadium (ebenso wie bei der Pneumonie) ein Zeichen ernster Ge¬
fahr. Schon eine etwas erheblichere Ausdehnung des Magens oder
des Querdarmes kann durch Druck gegen das Herz eine lebensgefähr¬
liche Störung in der Herztätigkeit bewirken. Das gleiche gilt in noch
höherem Masse für Fälle von fettiger Entartung, wie solche bei
akuten Erkrankungen, Diphtherie z. B. und akuter gelber Leber¬
atrophie eintritt. Diese Herzaffektion kann aber auch im Verlauf von
chronischen Leiden, 1 uberkulose, Karzinom, namentlich abei im
höheren Lebensalter durch Verlegung der Koronararterien eintreten.
Die bekannten Symptome sind Kurzluftigkeit, Schmerz in der Herz¬
gegend, Schwindel, Angstgefühl, oder auch epileptiforine Attaken und
Bradykardie. Der Puls ist meist klein und unterdrückbar. Iktus
schwach, Töne, namentlich der erste, leise. Neben ruhiger Lebens¬
weise empfiehlt Redner eine zweckmässige Massage des Abends und
leichte, nicht zn lange ausgedehnte Kuren mit Jod, Strychnin
und anderen tonisierenden Mitteln.
S. West weist auf die Bedeutung der Perkussion für die Dia¬
gnose der Herzschwäche hin.
F. J. Poynton hat öfters bei Tieren, welche mit dem Diplo-
coccus rheuinaticus infiziert worden waren, Herzschwäche und
Dilatation ohne irgend welche Affektion der Klappen eintreten sehen.
In therapeutischer Hinsicht empfiehlt er Adrenalin und Natrium
formal. Ph'
Royal Medical and Chirurgical Society.
Sitzung vom 14. Mai 1907.
Ueber Frakturen des Zahnfortsatzes des Epistropheus (Process.
odontoideus).
E. M. Corner wendet sich zunächst gegen die allgemein ver¬
breitete Ansicht, dass beim Erhängen der Tod infolge von Bruch des
Zahnfortsatzes herbeigeführt werde. In einer früheren Publikation
hat er schon nachgewiesen, dass dabei eine Stelle weiter unten an
der Halswirbelsäule betroffen ist. Um weitere Anhaltspunkte zu ge¬
winnen, hat C. alle in den verschiedenen Museen ihm zu Gebote
stehenden Präparate untersucht. Aus diesen Untersuchungen und den
Aufzeichnungen in der Literatur sind folgende Schlüsse zu ziehen:
es ist ganz gut möglich, dass der Zahnfortsatz frakturiert wird, ohne
dem Patienten weitere Beschwerden als Nackensteifigkeit und etwas
Schmerzen zu verursachen. Lähmungen, Anästhesie und andere
Symptome seitens des Rückenmarks können vollständig fehlen, Lotz-
dem ein durch Röntgenstrahlen sicher nachzuweisender Bruch des
Zahnfortsatzes besteht. Falls die Verletzung rechtzeitig erkannt
und dementsprechend behandelt wird, kann auf Heilung ohne weitere
Störungen gerechnet werden. Am besten gelingt die Röntgenauf¬
nahme bei geöffnetem Munde; im allgemeinen gehört aber keine ge¬
ringe Uebung in der Radiographie dazu, um Verletzungen der Wirbel¬
säule richtig zu deuten. Am meisten gefährdet sind uaturbch me-
jenigen Fälle, bei denen bei Mangel an spinalen Symptomen der Bruch
unerkannt bleibt. * Hier ist der momentan eintretende J od das natur-
gemässe Resultat noch nach längerem anscheinenden Wohlbefinden.
Es ergibt sich hieraus die dringende Notwendigkeit allen Ver¬
letzungen' dieser Art eine sorgfältige Röntgenuntersuchung ange-
dedien zu lassen. erwähnt 2 Fälle von Bruch des Zahnfortsatzes,
bei denen die Patienten beide etwa 5 Monate ohne Beschwerden
arbeiteten, bis sie plötzlich Lähmungserscheinungen darboten und
schnell zu Grunde gingen. P h i 1 i p p i - Salzschlirf.
Aus italienischen medizinischen Gesellschaften.
Medizinische Akademie zu Rom.
Sitzung vom 27. Januar 1907.
Almagiä und Men des: Ueber Behandlung des Tetanus mit
Choleistearin.
Die Autoren berichten über 2 Fälle, in welchen die Wirkung
eine deutliche war. Im ersten Falle waren 5 Millionen Immunitäts¬
einheiten Tizzoni sehen Serums ohne Wirkung geblieben. Täg¬
liche Injektionen von 1,5 Cholestearin 15 Tage lang führten Heilung
herbei. ,
Im zweiten Falle wurden innerhalb 19 Tagen 17 g Cholestearin
injiziert. Das Mittel fand seine Anwendung auf grund von Tierver¬
suchen. Weitere Erfolge bleiben abzuwarten.
Societä Lancisiana in Rom.
Sitzung vom 6. April 1907.
De Sanctis: Ueber Mongolismus.
Der Typus mongolicus, vom englischen Autor Down vor 40
Jahren festgestellt, ist erst spät von französischen, deutschen unld
italienischen Berichterstattern berücksichtigt. Er ist eine Form des
Infantilismus, von welchem De Sanctis in Rom 14 Fälle beobachtet
hat Die somatischen Kennzeichen solcher Idioten sind zu suchen in
erster Linie in der Kopfform, der Form der Nase, des Ohres, der
Zunge und der Hand. Man erkennt ihn an der Gesamtphysiognomie,
welche den Typus der mongolischen Rasse trägt.
Die Pathogenese ist noch dunkel. De Sanctis fand als ur¬
sächliche Momente hereditäre Syphilis, Tuberkulose, Adenoismus,
oft auch Hypothyreoidie, aber die myxomatösen Symptome gesellen
sich hinzu und decken sich nicht mit dieser Krankheitsform soweit,
dass man sagen kann, sie sei eine klinische Form des Hypothyreoi¬
dismus. T„. , „ ,,
Die Prognose ist immer schwer. Kinder dieses Typus haben
wenig Lebenskraft und selten werden sie über 25 Jahre alt. In¬
dessen hat sich De Sanctis überzeugt, dass die Schilddrüsen¬
behandlung hinzugesellte Symptome von Myxödem günstig beein¬
flusst und bis zu einem gewissen Punkte auch das Wachstum des
Körpers fördert. Die vorteilhaftesten Kuren ausser der Schild¬
drüsenbehandlung sind immer die Jod- und Arsenikbehandlung.
Medizinische Akademie zu Turin.
Sitzung vom 19. April 1907.
Percival: Ueber Maretin.
Er hat von demselben bei Fieber weitgehendsten uebrauch ge¬
macht, namentlich bei Typhus. Er bediente sich einer Dosis von
0 25 zwei- bis dreimal am Tage, sobald die Temperatur über 39,5
stieg. Die Temperaturminderung betrug bisweilen bis 3 und hielt
sich 5 — 12 Stunden niedrig ohne Kollaps. Desgleichen verminderte
sich die Puls- und Atmungsfrequenz. ...
Im Gegensatz zu dieser günstigen Wirkung berichtet P. über
6 Fälle in welchen er hämolytische Erscheinungen nach dem Mittel
mit Auftreten von Ikterus beobachtete, von welchen einer tödlich
verlief.
Er schliesst daraus, dass das Maretin eine hämolytische, zu
schwerer Anämie führende Wirkung haben kann: deshalb ist es
mit Vorsicht zu gebrauchen und nicht als ein ideales Antipyretikum
anzusehen.
Battistini: Ueber febrile Azetonurie.
B. teilt die Untersuchungen Colombos mit, welcher Azeton
im Urin fast aller fieberhaften Kranken fand. Die Einfuhr von Kohlen¬
hydraten unter der Form von Syrup. simpl. 100 150 g pro die be¬
seitigte das Azeton in fast allen Fällen. , ,
B. erörtert die beiden über das Auftreten von Azeton herrschen-
dC11 ^Die Azetonurie rührt daher, dass die Kranken gezwungen sind
das Eiweiss der eigenen Gewebe zu benutzen, wenn sie sich nicht
mit einem genügenden Ouantum von Kohlenhydraten «ähren.
2. Die Azetonurie rührt von einer Vergiftung des Protoplasmas
her, dessen normale Stoffwechselfunktionen eine Veränderung er-
leiden , •
Die Untersuchungen Colombos würden der ersten Theorie
Recht geben und damit würde der Ernährung von Fieberkranken mit
Kohlenhydraten ein erhöhter Wert beigelegt werden müssen.
Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaften zu Cagliari.
Sitzung vom 13. April 1907.
Todde und Mura teilen aus der Kinderpraxis ihre Versuche
über Chinin. tannic.-Schokolade mit: gesammelt bei malaria-
kranken Kindern von 1 — 8 Jahren. Das Chinin in dieser Form hat
eine heilende Wirkung bei primärer Malaria wie..Je,i ?e^1Vfn: R‘-
lamrsame Wirkung des Tannats ist besonders nützlich bei den Ke
ziSfven Der Gebrauch dieser Präparate ist niemals von Intoleranz
betriebet und besserte in allen Fällen die gastrointestinalen Sto¬
rungen. Die Autoren halten diese Präparate für ein sehr schatze^:
wertes Mittel in der Malariapraxis der Kinder, weh sie ger g
nommen und gut resorbiert werden. (Chm. ta m, -«trapsen
Hungaric. Ref.) ö
1806
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Verschiedenes,
Therapeutische Notizen.
Das synthetische Suprarenin wurde von B i b e r f e 1 d
am pharmakologischen Institut zu Breslau auf seine pharmakolo¬
gischen Wirkungen untersucht. Es zeigte sich in seiner Wirkung
dem aus Nebennieren gewonnenen Präparat identisch; die stärkere
und gleichmässigere Wirkung des synthetischen Präparates scheint
auf die absolute chemische Reinheit zurückzuführen zu sein. Man
kann dasselbe in der benötigten Menge vor dem Gebrauch auf¬
kochen, ohne dadurch seine Wirkung zu beeinträchtigen. In Bezug
auf blutdrucksteigernde, gefässverengernde, pupillenerweiternde, diu-
retische und toxische Wirkung besteht zwischen dem chemischen
und dem aus, Organen gewonnenen Suprarenin keine Differenz. An¬
wendung findet das synthetische Suprarenin in fast allen Zweigen
der Medizin. In der Augenheilkunde in Verbindung mit einem
Lokalanästhetikum bei Episkleritis, Frühjahrskatarrh, chronischer
Konjunktivitis, Iritis, Glaukom, bei Operationen. In der Oto-
Rhino-Laryngologie bei Tubenkatarrh und blutenden Mittel¬
ohrpolypen, bei Operationen in der Nase, bei Nasenbluten, Heufieber.
Nebenhöhlenempyemen, auch zu diagnostischen Zwecken, um die
tieferen Teile der Nase besser sichtbar zu machen, ferner bei Ope¬
rationen am Larynx. In der Chirurgie als Zusatz zu Anästhetizis,
welche zur Infiltrations-, zentralen Leitungs- und Medullaranästhesie
Verwendung finden; dann bei lebensgefährlichen Blutungen zur Tam¬
ponade. In der Urologie bei Blasengeschwülsten, Blutungen und
Strikturen. In der Gynäkologie bei Uterusblutungen infolge
von Endometritis oder Fibromen. In Fällen von Magen- und
Darmblutungen. In der Ohren - und Nasenheilkunde
sowie in der Chirurgie verwendet man Lösungen von 1 : 1000
bis 1:5000; in den Konjunktivalsack braucht man, um Anämie zu
erzeugen, nur einige Tropfen der Lösungen von 1 : 5000 bis 1 : 10 000
einzubringen. Bei Blasenblutungen verwendet man die Lö¬
sung von 1 : 10 000. Zu subkutanen Injektionen werden als Maximal¬
dosis Vs cem einer 1 prom. Lösung genommen, bei Magendarm¬
blutungen 20 — 30 Tropfen dieser Lösung. Das synthetische Su¬
prarenin wird von den Farbwerken in Höchst als salzsaures Salz
in steriler Lösung 1 : 1000 unter der Bezeichnung S o 1 u t i o Su¬
prarenin. hydrochlor. s y n t h e t i c i in Fläschchen zu 5 und
10 ccm in den Handel gebracht. (Pharm. Ztg. No. 45, 1907.) F. L.
Haltbare Adrenalinlösungen erhält man nach Fin¬
ne m o r e aus Adrenalin 0,1, Alcohol. trichlorbutylic. 0,5, Natr. chlorat.
0,9, Acid. hydrochlor. dil. 0,25, Acid. sulfuros. 0,25, Aqu. ad 100,0.
Man kocht das Wasser 2—3 Minuten lang, kühlt es ab und löst in der
ziemlich kalten Flüssigkeit den Trichlorbutylalkohol und das Chlor¬
natrium. Zu 25 ccm dieser nunmehr gänzlich erkalteten Lösung gibt
man nacheinander die beiden Säuren und das Adrenalin, schüttelt bis
zur Lösung gut durch und fügt den Rest der Natriumchloridlösung zu.
(Pharm. Ztg. No. 42, 1907.) F. L.
Ueber das Jothion berichtet Erich Richter in einer
Dissertationsarbeit aus dem städtischen Krankenhause zu Kiel (Diss.,
Kiel 1907). Das von den Elberfelder Farbwerken im Jahre 1902 her¬
gestellte Präparat enthält ca. 80 Proz. Jod in organischer Bindung
und stellt eine schwach gelblich gefärbte, durchsichtige ölartige
Flüssigkeit mit schwachem Jodgeruch dar; es ist fast unlöslich in
Wasser, löslich in Alkohol, Oelen, Glyzerin und den üblichen orga¬
nischen Lösemitteln. Am schnellsten wird reines Jothion oder eine
Glyzerin-Alkohol-Lösung resorbiert, während sich bei Anwendung
eines Salbengemisches die Resorption verzögert. Der Schnelligkeit,
mit der die Resorption des Jothion vor sich -geht, entspricht auch die
Gründlichkeit, mit der dies geschieht. Es ist nicht nötig, zur Appli¬
kation grosse Mengen des Medikamentes an^uwenden, sondern schon
bei ganz kleinen Mengen erfolgt eine deutliche Aufnahme von Jod
in den Organismus. Es genügt zu einer Jodbehandlung, dass man
dem Patienten ca. 3 — 5 g einer 50 proz. Jothionlösung alle 2 Tage
einreibt, womit man eine gründliche Jodüberschwemmung des Orga¬
nismus erreichen kann. Es fehlen störende Nebenwirkungen bei der
Anwendung des Jothion. Ausserdem ist mit Sicherheit festgestellt
worden, dass das Jothion bedeutend leichter vertragen wird als Jod-
kali. Da bei Einreibung in reinem Zustande oder mit Glyzerin und
Alkohol verdünnt, an der Einreibungsstelle Brennen auftreten kann
benützt man eine Mischung von Jothion und Lanolin zu gleichen
Teilen, wodurch alle Reizerscheinungen vermieden werden. Indi-
zieit ist das Mittel bei; tertiär syphilitischen Prozessen, Ge¬
schwüren, gummösen Knochenaffektionen, ebenso auch bei chro¬
nischen inneren Erkrankungen, wie Asthma bronchiale, Bronchitis
sicca, wobei es günstig wirkt, indem das Sekret sich besser löst und
der Schwellungszustand der Schleimhaut nachlässt. Weiter ist auch
iiir die 'Iherapie der Arteriosklerose mit ihren Folgezuständen ein
Erfolg einer Jothionbehandlung zu erwarten. L
In einer Arbeit aus der chirurgischen Klinik zu Kiel berichtet
Jakob M o o g über die therapeutische Verwendung der
Stauungshyperämie bei akuter Osteomyelitis
(Dissertation Kiel 1907, 24 S., Druck von H. F i e n c k c). Vergleicht
man die erzielten Heilerfolge mit den so allgemein befriedigenden
bei Panaritien, Phlegmonen, Furunkeln, Karbunkeln, Abszessen, bei
Mastitis etc., so ist ersichtlich, das die Stauungshyperämie
bei der akuten Osteomyelitis nicht die Erwar¬
tungen erfüllt, wie sie es bei den meisten anderen eitrigen
Entzündungen tut. Vielleicht reagieren ganz frische Fälle besser;
leider kommen die meisten Fälle aber erst nach mehrtägiger, selbst
wochenlanger Erkrankung zur Behandlung. F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 2. September 1907.
— Die in vor. Nummer bereits erwähnte Resolution des
Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im
Deutschen Reiche gegen die freie Arztwahl hat nach
Med. Reform folgenden Wortlaut:
„Die 14. Jahresversammlung von Ortskrankenkassen im Deut¬
schen Reich in Mannheim erklärt in Uebereinstimmung mit den Aus¬
führungen ihres Referenten über das Verhältnis der Krankenkassen
zu den Aerzten, dass sie sich nach wie vor zu den Leitsätzen bekennt,
welche in der Resolution des Allgemeinen Kongresses der Kranken¬
kassen Deutschlands im Jahre 1904 niedergelegt sind.
Der grosse Kampf, welcher sich seither in Leipzig, Köln, Mün¬
chen, Solingen und Remscheid und vielen anderen Orten des Deut¬
schen Reiches zwischen den Aerzten und den Krankenkassen ab¬
spielte, liefert der Jahresversammlung den unumstösslichen Beweis,
dass unter der gegenwärtig gültigen Gesetzgebung den Aerzten
eine Machtvollkommenheit eingeräumt ist, durch welche die Kranken¬
kassen in Streitfällen denselben willenlos unterworfen werden. Da¬
durch wird nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit der Ortskran¬
kenkassen aufs schwerste erschüttert und die Selbstverwaltung in
Frage gestellt, sondern es werden die Krankenkassen auch mehr
und mehr ihren örtlichen sozialen Aufgaben entzogen. Machen die
Aerzte doch heute bereits an vielen Orten die Erhöhungen der
Leistungen der Krankenkassen von der vorherigen Erfüllung der
ärztlichen Forderungen abhängig. Die Jahresversammlung prote¬
stiert deshalb nicht nur auf das entschiedenste gegen die Absicht,
die freie Arztwahl gesetzlich allgemein einzuführen und erachtet
nach wie vor die Wahl des Systems der ärztlichen Versorgung als
Aufgabe der einzelnen Kassen und Verbände, sondern sie fordert
auch eine Aenderung der sich auf den ärztlichen Beruf erstreckenden
Bestimmungen der Gewerbeordnung, so lange die Krankenkassen
zur Gewährung ärztlicher Hilfeleistung gezwungen werden und so¬
mit den Aerzten gegenüber willenlos gemacht sind. Der Staat, der
den Krankenkassen die Gewährung dieser Leistungen direkt aufer¬
legt, muss auch gesetzlich für die Möglichkeit dieser Erfüllung da¬
durch Sorge tragen, dass er die Bezahlung einer staatlichen Minimal¬
taxe zur ärztlichen Hilfeleistung gegenüber den Krankenkassenmit-
gliedern regelt. Gegenüber den Tatsachen, dass Millionen Versicher¬
ter in Mitleidenschaft gezogen werden, kann es nicht verfangen, dass
die Majorität der deutschen Aerzteschaft aus dieser Forderung einen
Eingriff in die Gewerbefreiheit ableitet. Genau wie die Versicherten
müssen sich die Aerzte darüber klar sein, dass die Rechte, welche
ihnen durch das Krankenkassengesetz zugesprochen sind, notwendi¬
gerweise auch die Uebernahme von Pflichten in sich schliessen. Die
Jahresversammlung macht schliesslich den Krankenkassenvor¬
ständen wie den Verwaltungsbeamten zur Pflicht, keine Gelegenheit
vorübergehen zu lassen, um das reiche Material, das sich im Kampfe
mit den Aerzten angesammelt hat, zur Kenntnis der Versicherten
zu bringen. Die vorsitzfiihrende Kasse wird beauftragt, sich mit
den einzelnen Krankenkassen bezw. mit den Verbänden deshalb ins
Einvernehmen zu setzen. Insbesondere sollen die Jahresergebnisse
der Krankenkassen nach den verschiedenen ärztlichen Systemen zu¬
sammengestellt und. nicht nur den angeschlossenen Kassen, sondern
auch dem Bundesrat und dem Reichstag unterbreitet werden. Die
Jahresversammlung erklärt schliesslich, dass sie sich von jeder prin¬
zipiellen Aerztefeindschaft frei weiss und anerkennt, welche grosse
Aufgaben der Aerzteschaft auf dem Gebiete der Arbeiterversiche¬
rung. der Schule und Gewerbehygiene, bei der Fabrik- und Woh¬
nungskontrolle noch bevorstehen. In allen diesen Fragen darf aber
das Interesse der versicherungspflichtigen Bevölkerung nicht zu¬
gunsten eines einzelnen Standes geschädigt werden.
— Dem Bundesrat ist eine Novelle zur Gewerbeord¬
nung zugegangen, durch welche einige wichtige sozial-hygienische
Forderungen verwirklicht werden sollen, nämlich die Beschränkung
der Nachtarbeit der Frauen, die Einführung des zehnstündigen Arbeits¬
tages für Fabrikarbeiterinnen und die Gewerbeaufsicht über die Heim¬
arbeit.
— In Schöneberg b. Berlin haben die für die städtischen Mittel¬
und Volksschulen angestellten Schulärzte um Erhöhung
ihrer Vergütung, die 1000 M. jährlich beträgt, gebeten, da
diese Vergütung mit den von ihnen zu leistenden Arbeiten nicht im
Einklang stände. Der Magistrat ist nach Prüfung dieses Antrages
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die auf Grund der bisher gel-
tenc^n t>chula,fztoj'dnung von den Schulärzten ausgeübte Tätigkeit
ohne Nachteil der Schule sich in wesentlichen Punkten vermindern
lässt und dass dann die jetzt gezahlte Vergütung für die noch übrig
GJ.
September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1 so:
bleibende Tätigkeit als angemessen angesehen werden kann. In
diesem Sinne soll denn auch eine Abänderung der bestehenden _ chul-
arztordnung vorgenommen werden. (Voss. Ztg.)
— Unter der in voriger Nummer abgedruckten P r o t e s t -
erklärung bayerischer Bahnärzte fehlt der Name des
Herrn Dr. Mehler - Qeorgensgemiind. Es sind also 12 bayerische
Bahnärzte, die für die freie Arztwahl Farbe bekannt haben.
_ Oie Aeusserung, dass, wenn man aufhöre gegen die Bahnarzte
mit Oewalt vorzugehen, die freie Arztwahl hUde rl ost-
u„d Bahnkrankenkasse den Aerzten von selbst als reife
Frucht in den Schoss fallen werde, wurde in der ausserordentlichen
Sitzung der Sektion München des L. V. vom 30. Januar 1. J. von
Bahnarzt Dr. Burger (nicht von Dr. W e t :z .1 .t. r, wie s wir m vor.
Nummer schrieben) gemacht. Vergl. den Bericht d. W. No. 6, S. 3
_ Das deutsche Zentralkomitee für Krebsfor¬
schung hat sich an den Russischen Medizinalrat mit dem Vorschlag
gewandt, auch in Russland ein Nationales Komitee zur Erforschung
des Krebses zu bilden, welches der internationalen Gesellschaft für
Krebsforschung sich angliedern könnte. Zur Ausarbeitung dieser
Frage wurde eine Kommission, bestehend aus dem Direktoi des In¬
stituts für Experimentalmedizin, Prof. Dr. W. P o d w y s s o t zik i als
Vorsitzendem und den Mitgliedern des Medizinalrates Prot. Dr. W.
S i r o t i n i n und Dr. A. T r o j a n o w als Gliedern der Kommission,
niedergesetzt. , „ , . ,
_ Am 27. v. Mts. wurde das biologische Honenlabora-
torium auf dem Colle d’Olen (Monte Rosa) feierlich eröffnet.
_ Der Aerztlich-hygienische Verein für Eisass-
Lothringen hat den wegen Krankheit in den Ruhestand getre¬
tenen Medizinalreferenten im Ministerium, Geh. Obermedizinalrat
Dr. Biedert, in dankbarer Anerkennung all seiner Verdienste um
den Verein, insbesondere als langjähriges Vorstandsmitglied und
Schriftführer, zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
— In der Kgl. Frauenklinik zu Dresden werden im
kommenden Herbst und Winter wieder zwei Fortbildungs-
kursefür Aerzte abgehalten, und zwar der erste vom 21. Okto¬
ber bis 29. November, der zweite vom 13. Januar bis 14. Februar 1908.
_ Hin „Dreiwöchiger Fortbildungskursus für auswärtige prak¬
tische Aerzte“ findet an der Kölner Akademie für praktische Medizin
vom 30. September bis 19. Oktober 1907 statt, (hc.)
_ Die Deutsche laryngologische Gesellschaft halt
ihre Jahresversammlung vom 15. bis 17. September in Dresden (techn.
Hochschule Z. 8) ab. Dr. K u 1 1 n e r wird ein Referat erstatten: Kehl¬
kopftuberkulose und Schwangerschaft.
_ ln Paris (40 Boulevard Malesherbes) beginnt eine neue chirur¬
gische Monatsschrift zu erscheinen unter dem Titel: „Archiv es
generales de Chirurgi e“. Die Redaktion liegt in den Hän¬
den der Herren Prof. O. Lannelongue, Prof, le Den tu, DDr.
Nove-Josserand (Lyon), L. Picque und P. Mauclaire.
Jede Nummer soll 3 Originalbeiträge, ausserdem Referate, Sitzungs¬
berichte etc. enthalten. Der Preis beträgt 12 fres. für das Halbjahr,
13 fres. im Ausland. „ , . . , .
— Cholera. Russland. In Samara sind vom 12. bis einschl.
20. August weitere 64 Personen an der Cholera erkrankt; die Gesamt¬
zahl der Choleraerkrankungen daselbst wird bis zum 20. August amt¬
lich auf 178, der Choleratodesfälle auf 71 beziffert. In der Stadt Astra¬
chan sind vom 4. bis 21. August 99 Cholerafälle, davon 38 mit töd¬
lichem Ausgang, beobachtet worden. Choleraverdächtige Erkran¬
kungen sind verschiedenen Zeitungsnachrichten zufolge namentlich
aus dem Eisenbahnknotenpunkte Brest-Litewsk des Gouv. Grodno
angezeigt worden, doch war bis zum 20. August durch die bakterio¬
logische Untersuchung Cholera nicht festgestellt. Im Gouv. Simbirsk
waren laut amtlicher Bekanntmachung 3 choleraverdächtige Erkran¬
kungen beobachtet.
— Behufs- Verhütung der Einschleppung der
Cholera aus Russland hat die preussische Regierung die ge¬
sundheitliche Ueberwachung des Schiffahrts- und Flössereiverkehrs
auf dem oberen preussischen Teile der Weichsel eingeführt. Die ein¬
heitliche Leitung der Massregeln obliegt dem Oberpräsidenten der
Provinz Westpreussen.
— Pest. Aegypten. Vom 11. bis 17. August wurden 12 neue
Erkrankungen (und 5 Todesfälle) an der Pest festgestellt. — Hong¬
kong. Vom 2. bis einschl. 29. Juni wurden in der Kolonie 63 Erkran¬
kungen und 58 Todesfälle an der Pest, davon 20 Krankheitsfälle in
der Stadt Viktoria, festgestellt.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 11. bis
17. August sind 29 Erkrankungen (und 19 Todesfälle) angezeigt wor¬
den, davon im Reg.-Bez. Köln 5 (6), Düsseldorf 4 (2).
— In der 33. Jahreswoche ,vom 11. bis 17. August 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Halle a. S. mit 32,0, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit
5,6 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Unterleibstyphus in Lübeck.
V. d. K. G.-A.
(Hochschuln ach richten.)
Berlin. Der Chirurg Prof. Alfred Mitscherlich feiei te
sein goldenes Doktorjubiläum. - Dem Privatdozenten für Anatomie
und Assistenten am anatomisch-biologischen Institut der Beniner Uni¬
versität Dr. med. Heinrich Poll ist der Professortitel verliehen
worden Der Chirurgieprofessor an der Berliner Universität Geh.
Med -Rat Dr August Bier (v. Bergmanns Nachfolger) wurde
zum ordentlichen Mitgliede der Königl. Wissenschaftlichen Deputation
für das Medizinalwesen ernannt, (hc.) _
Bonn Den Privatdozenten an der Bonner Universität Dr. med.
Rudolf Eschweiler (Nasen- und Ohrenheilkunde) und Dr. med.
Max zur Nedden (Augenheilkunde), erster Assistenzarzt bei Geh.
Rat K u h n t an der Augenklinik wurde der Professortitel ver¬
liehen. (hc.) TI . , . , , .. , n ..
F r e i b u r g i. B. Prof. Dr. Hirsch, Direktor der Med. Poli¬
klinik und der Kinderklinik, hat vom preussischen Unterrichtsmini¬
sterium, eine Berufung nach Göttin gen zum Direktor der Med.
Klinik erhalten, als Nachfolger des nach Berlin berufenen I rof. H i s.
G ö 1 1 i n g e n. Dem Privatdozenten für innere Medizin und
Oberarzt an der medizinischen Klinik der Universität Göttingen,
Dr med Rudolf Staehelin, wurde der Professortitel Verliehen.
Den Roten Adlerorden 4. Klasse erhielt Prof. Verworn (Physio¬
logie). (hc.) Dem Direktor des pharmakologischen Institutes, Herrn
Prof. Jacob j und dem Direktor der Klinik und Poliklinik fiir
psychische und Nervenkrankheiten Herrn Prof. Cr am er, wurde dti
Charakter als Geheimer Medizinalrat, den Privatdozenten W a 1 d -
vogel und Schittenhelm das Prädikat Professor verliehen.
Kiel Der ordentliche Professor der Augenheilkunde und Direk¬
tor der Augenklinik an der Universität Greifsweid, Prof. Dr. Leo¬
pold Heine, hat den Ruf nach Kiel als Nachfolger Schirmers
angenommen. . , . .... . „
M ü n s t e r i. W. Anlässlich des Kaiserbesuches in Munster
wurde von dem Lehrkörper der Universität am 29. August vormittags
eine Festsitzung abgehalten, in welcher durch den Unterric)itsministei
Dr Holle der folgende Allerhöchste Erlass bekannt gegeben wurde:
Wilhelmshöhe, 22. August 1907. „Nachdem Ich durch meinen Erlass
vom 1. Juli 1902 bestimmt habe, dass die theologische und philo¬
sophische Akademie zu Münster mit Rücksicht auf die Begründung
einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in die Reihe der
Universitäten eingetreten und demgemäss die Bezeichnung als Uni¬
versität führt, will Ich dieser Universität in Anerkennung ihrer bis¬
herigen erfolgreichen Wirksamkeit den Namen Westfälische
Wilhelms-Universität zu Münster beilegen, in dem Ver¬
trauen, dass sie sich dieser Anerkennung dauernd würdig erweist."
Nach dein Festakt fand eine Besichtigung insbesondere der neuen Um-
versitätsbibliothelk und der medizinischen Universitätsinstitute für
Anatomie und Physiologie seitens des Unterrichtsministers statt. -
Durch Ministerialerlass vom 19. August dieses Jahres ist
der dirigierende Arzt der inneren Abteilung am städtischen Clemens-
hospital, Dr. med. Joseph Arnet'h, zum ausserordentlichen Honorar¬
professor in der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultät
in Münster ernannt worden. Zugleich hat der Minister die Erwartung
ausgesprochen, dass Dr. Arneth sich in seiner Stellung als aussei -
ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Münster in den
Wissenschaften, welche Gegenstand des lehrplanmassigen Studiums
sind, durch Vorlesungen und Uebungen betätigen wird. In erster
Linie wird es sich dabei wohl um medizinische Vorlesungen und
Uebungen in der klinischen Propädeutik handeln, wie sie die Medizin-
studierenden im 6. Semester hören müssen. Damit wäre der eiste
positive Schritt zur Einrichtung und Weiterentwicklung des medi¬
zinischen klinischen Unterrichtes getan, nachdem der medi¬
zinisch-propädeutische Unterricht bis zur ärztlichen Vorprüfung ein
schliesslich und eine eigene medizinisch-propädeutische Abteilung an
der Universität Münster schon seit 2 Jahren bestehen. Für die Ab¬
haltung von Vorlesungen und klinischen Demonstrationen besitzt das
Clemenshospital bereits ein grösseres Auditorium.
Bologna. Habilitiert: Dr. Carlo V i g n o 1 o - L u t a 1 1 für Dei -
matologie und Syphilis, Dr. Ugo Biffi Gen tili für Hygiene.
Charkow. Dr. P. B a r a b a c h e w wurde zum ordentlichen
Professor der Augenheilkunde ernannt. , ,, ■ o
Genua. Habilitiert: Dr. P. M. S egale für allgemeine Pa¬
thologie, Dr. M. A. C ä p u r r o für Chirürgie. ■
Manchester. Dr. Graham Steel wurde zum Professor der
Medizin an Stelle Dreschfelds ernannt.
Oxford. Dr. G. D r e y e r - Kopenhagen wurde zum Protessor
der allgemeinen Pathologie ernannt. . .
Parma. Der a. o. Professor der pathologischen Anatomie
Dr P. G u i z e 1 1 i wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
Wien. Habilitiert: Dr. med. Josef Meller für Augenheil¬
kunde. (hc.)
Berichtigung. In No. 34, S. 1702, K i 1 U a n : .„Aetzung der
vier Punkte“, 8. Zeile von oben, muss anstatt „mittleren unteren
stehen. Die betreffende Stelle liegt im Bereiche des vorderen Endes
der unteren Muschel. .... , ,
In No. 35, S. 1739, Sp. 1 (Kau p e, Eine neue Milchpumpe) ist
Zeile 8/9 v. o. zu lesen „dass ebi vollkommen dichter Abschluss ei-
zielt wird“ (statt „nie dichter Abschluss“).
In No. 35, S. 1742, Sp. 2, Z. 37 v. u. ist statt „Zemckel zu
lesen „J e n c k e 1“.
1808
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung. Dr. Bernhard Beyer, approb. 1903, als
Oberarzt an der Heilanstalt Herzoghöhe zu Bayreuth. Dr. Eugen
v. Malaise, approbiert 1900, München. Dr. Offersberger in
Bad Dürkheim.
Verzogen: Dr. Klein von Waldmohr nach Bensheim. Dr.
Hellwig von Obermoschel nach Frankfurt, Dr. Seiler von
Walsheim (Bezirk Zweibrüchen) nach Gersheim (Bezirk St. Ingbert).
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Alois Sitzberger in Hauzen-
nerg zum Bezirksarzt I. Klasse in Eggenfelden und der prakt. Arzt
Dr. Hans Schmid in Donauwörth zum Bezirksarzt I. Klasse in
Altötting, beide ihrer Bitte entsprechend.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Be¬
zirksarzt I. Klasse Dr. Alfred Riedel in Forchheim, seiner Bitte ent¬
sprechend, wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres unter Aller¬
höchster Anerkennung seiner langjährigen, treuen und eifrigen Dienst¬
leistung. — Der im zeitlichen Ruhestand befindliche Bezirksarzt
I. Klasse Dr. Johann Baptist S t ö c k 1, zurzeit in Mainburg, wegen
nachgewiesener physischer Gebrechlichkeit.
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Forchheim. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten Kgl. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 13. September 1. Js. einzureichen; die Bezirksarztstelle I. Klasse
in Kaufbeuren. Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig
belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten Kgl. Regierung, Kam¬
mer des Innern, bis zum 16. September 1. Js. einzureichen.
Gestorben: Dr. Wilhelm Goes, Ik. Bezirksarzt in Kauf¬
beuren, 56 Jahre alt.
Militärsanitätswesen.
Ernannt: der Oberstabsarzt z. D. Dr. Hillenbrand zum
diensttuenden Sanitätsoffizier beim Bezirkskommanao Nürnberg.
Auszeichnung: die Erlaubnis zum Tragen bewilligt: dem
Oberarzt Dr. I heodor Hoffa von der Reserve (Kaiserslautern)
für den Kgl. Preuss. Kronenorden 4. Klasse.
Korrespondenz.
Zum Fall Hau.
Köln, den 27. August 1907.
An die Redaktion der Münch, med. Wochenschrift.
Nachdem nunmehr auch in der medizinischen Fachpresse auf
grund von zum Teil sehr lückenhaften und in wichtigen Punkten un¬
zutreffenden Zeitungsberichten Angriffe gegen mich erfolgt sind, bitte
ich die verehrliche Redaktion mir den Raum zu gewähren, um den
zeitlichen Ablauf der Ereignisse im Falle Hau, soweit sie mich be¬
treffen, festzulegen:
Ich bin bald nach der Verhaftung des Rechtsanwaltes Hau von
der Verteidigung gebeten worden, dem Falle mein Interesse zuzu¬
wenden, da der Verteidiger mich als Gutachter dem Gericht Vor¬
schlägen wolle. Gleichzeitig übersandte mir Herr Rechtsanwalt Dr.
D i e t z seine Beweisanträge, die eine grosse Zahl auffallender —
in der Beweiserhebung später meist bestätigter — psychopathischer
Züge erkennen Hessen. Am 10. April 1907 schrieb Frau Hau an mich
einen Brief, in dem sie mich bat, diejenigen Fragen an sie zu richten,
die ich im Interesse der Feststellung des Geisteszustandes ihres
Mannes für notwendig hielte. Ich halte mich nicht für berechtigt, den
Brief der unglücklichen Frau zu veröffentlichen. Meine Antwort auf
den Brief, dessen Veröffentlichung durch die Familie Molitor ge¬
schehen ist, war folgende.
Köln, den 12. April 1907.
Sehr verehrte gnädige Frau!
Zufälligerweise hatte ich heute morgen gerade eine Unter¬
redung mit der I ante Ihres unglücklichen Mannes. Ich würde mich
nicht nur für den Unglücklichen selbst, sondern auch für Sie freuen,
wenn das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung die Feststellung der
geistigen Erkrankung sein würde. Es würde für Sie zweifellos eine
ausserordentliche Erleichterung sein, wenn Sie an Ihren Mann mit
dem Bewusstsein zurückdenken könnten, dass er die furchtbare Tat
infolge seiner geistigen Erkrankung begangen hat. Ich habe im Mai
einer Gerichtssitzung in Oldenburg anzuwohnen. In dem Falle würde
ich mii erlauben, Sie um eine Unterredung zu bitten, um mir die
nir mich notwendigen Unterlagen zu einem Gutachten zu schaffen.
Sollte daraus nichts werden oder würde es für mich notwendig sein
mich früher zu informieren, so werde ich mir erlauben, mich schrift¬
lich an Sie zu wenden.
In vorzüglichster Hochachtung
ergebenst
gez. Prof. Dr. A s c h a f f e n b u r g.
Das ganze Material, das ich bis dahin gesehen hatte, bestand in
der Abschrift der von dem Verteidiger gestellten Beweisanträge und
den Zeitungsnotizen, nach denen Hau mehrfach alles zugegeben haben
sollte.
Ende Mai erfuhr ich, dass Herr Kollege Hoche in Freiburg
Hau für geistig gesund erklärt hatte. Ich bat daraufhin in zwei
Briefen den Verteidiger dringeiid, auf meine Vernehmung als Sachver¬
ständiger zu verzichten, da ich überzeugt war, dass ich schwerlich
zu einem von der Ansicht des Herrn Kollegen Hoche in bezug auf
die Anwendbarkeit des § 51 abweichenden Urteile kommen würde.
Am 17. Juni 1907 wurde ich durch die grossherzogliche Staats¬
anwaltschaft benachrichtigt, dass ich auf Anordnung des Vorsitzenden
des Schwurgerichts zum Sachverständigen ernannt worden sei. Ich
bat sofort um Zusendung der Akten und um Genehmigung zum Besuche
des Angeklagten. Bis dahin hatte ich .keinerlei offizielle Aktenstücke
in der Hand gehabt, auch nicht, wie ich einzelnen Berichten der Zei¬
tungen nach getan haben soll, den Angeschuldigten schon in London
besucht. Am 22. Juni 1907 erhielt ich die Akten, die ich mit grosser'
Sorgfalt durchgearbeitet habe; am 29. Juni 1907 habe ich dann Hau
zum ersten Male gesehen.
Die Verhandlung begann am 17. Juli; am 20. Juli abends bin ich
vernommen worden. Da nach meiner und H o c h e s Vernehmung
der Verteidiger auf unsere weitere Anwesenheit verzichtete, wo¬
durch uns die Abreise und mir der Antritt meines Urlaubs, dessen
ich dringend bedurfte, ermöglicht wurde, so schrieb ich dem Herrn
\ eiteidiger ein paar Zeilen des Dankes, in denen ich erwähnte, dass
ich von der Unschuld des Angeschuldigten seit meinem ersten Be¬
suche bei ihm überzeugt gewesen sei. Ich konnte damit insofern
dem Verteidiger nichts Neues sagen, als ich in meinem mündlichen
Gutachten vor den Geschworenen auseinandergesetzt hatte, wo¬
durch in mir zuerst Zweifel an der Schuld des Angeklagten wach¬
gerufen worden waren. Von meiner Auffassung hatte ich bis dahin
weder dem Vorsitzenden des Schwurgerichtes, mit dem ich mich über
den Fall lange privat unterhalten hatte, noch dem Herrn Verteidiger,
noch endlich der Familie des Angeschuldigten eine Mitteilung gemacht!
Ich habe auch in meinem Gutachten mich aufs Sorgfältigste darauf
beschränkt, die Tatsachen sprechen zu lassen, und habe aus¬
drücklich erklärt, dass ich es nicht für die Aufgabe des Sachverständi¬
gen halte, seine Ansicht über Schuld oder Nichtschuld zu äussern. —
Ich kann nicht einsehen, warum ein Sachverständiger sich nicht
ebenso gut wie alle anderen Anwesenden ein Urteil über die Schuld
bilden darf, zumal dann nicht, wenn er vor den übrigen Beteiligten
die genauere Kenntnis der Persönlichkeit des Angeschuldigten voraus
hat, und vor den Geschworenen die Kenntnis der Akten. (In diesem
Falle waren die meisten Aussagen bereits vorher unter Eid abge¬
geben.) Das ermöglicht ein leichteres Verfolgen der Einzelheiten
der Verhandlung. Mir ein selbständiges Urteil zu bilden, ist mein
gutes Recht, dagegen bin ich nicht befugt, mein Urteil für oder gegen
einen Angeschuldigten in die Wagschale zu werfen, solange das Ge¬
richt nicht seine Entscheidung getroffen hat. Erst dann, wenn ich
annehmen müsste, dass der Prozess Hau endgültig erledigt, dass
das Wiedei aufnahmevei fahren abgelehnt, die Revision verworfen
sei, würde ich mich für berechtigt, vielleicht sogar für verpflichtet
halten, zu der Schuldfrage Stellung zu nehmen. Da das nicht der
Fall ist, so muss ich ein Eingehen auf die Schuldfrage in der Oeffent-
lichkeit aufs Entschiedenste ablehnen. Es ist mir leid genug, dass
meine Ansicht zur Unzeit in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Es
\väie aber wohl endlich an der Zeit, dass die Erörterungen in der
£r«»e aufhören würden, und man es derjenigen Instanz iiberliesse,
die Wahrheit festzustellen, die dazu berechtigt und verpflichtet ist
dem Gerichte.
In vorzüglichster Hochachtung
ergebenst
Prof. Dr. G. Aschaffenburg.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 33. Jahreswoche vom 11. bis 17. August 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M ) 10 (14*)
Altersschw. (üb. 60 J.) 8 (3), Kindbettfieber — (— ), and. Folgen der
Geburt 4 (1), Scharlach ( — ), Masern u. Röteln 1 (4), Diphth. u.
Krupp 2(— -), Keuchhusten 1 (— ), Typhus — (2), übertragb. Tierkrankh.
(~ )’ Rose (Erysipel) — (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 3 (2), Tuberkul. d. Lungen 15 (24), Tuberkul. and.
Org. 4 (2), Miliartuberkul. — (2), Lungenentzünd. (Pneumon.) 7 (8),
Influenza ( ), and. übertragb. Krankh. 2 (4), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 1 (3), sonst. Krankh. derselb. 3 (3), organ. Herzleid. 12 (15)
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 10 (3), Gehirnschlag
3 (3) Gmsteskrankh. 2 (3), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 7 (4), and
Krankh d. Nervensystems 6 (4), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 38 (39), Krankh. d. Leber — (3), Krankh. des
Bauchfells 1 (2), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (4), Krankh. d.
^aInxTU‘ Geschlechtsorg. 5 (6), Krebs (Karzinom Kankroid) 10 (13)
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 2 (6), Selbstmord 2 (3), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 1 (6), alle übrig. Krankh. 4 (5)
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 167 (191). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 15,8 (18,1), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,3 (12,4).
) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Letaro »nn in München. - Druck von E. MiiUIthaieri Buch- und Kunstdruckerei A.O.. München.
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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0! Innerer Gh Bäumler, 0. v. Bollinger, H. Curschmann, E. Heiferich, III. i Leute, 6. Merkel, J.». Michel, F. Penzoldt, H.» Hanke, 8. Spatz, F.vJinckel,
u. I. nuyui Ul, uu. uuum.«., a , ... _ _ n„..u„ Frlnncrpn. Mim.-hen. München. München.
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
No. 37. 10. September 1907.
Würzburg. Nürnberg.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
Erlangen. München. München. München.
54. Jahrgang.
Originalien.
Apparat zu objektiver Blutdruckmessung; gleichzeitig
auch ein Beitrag zur Sphygmo-Turgographie.
Von Privatdozent Dr. Egmont Münzer.
Im folgenden bringe ich die Beschreibung und Abbildung
zweier Vorrichtungen, welche es ermöglichen, die bei der
Blutdruckbestimmung nach Riva-Rocci in der Arm¬
manschette vor sich gehenden pulsatorischen Druckschwan¬
kungen zu sehen (Turgoskopie) bezw. graphisch festzuhalten
(Turgographie). , , ,. D1 . , , .
v. Basch *) war der erste, welcher die Blutdruckbe¬
stimmung dadurch objektiv zu gestalten ti achtete, dass er den
peripher von der Kompressionsstelle der Arterie liegenden, den
Puls kontrollierenden Finger durch ein Sphygmoskop ersetzte
und auf diese Weise die infolge der Qefässkompression ein-
tretenden Pulsänderungen sichtbar machte bezw. deren gra¬
phische Darstellung versuchte. Hiedurch wurde die Beur¬
teilung dieser Veränderungen unserem schärfsten Sinne, dem
Gesichte, unterworfen und gleichzeitig das Beobachtungs¬
material der Kritik nicht nur des Einzelnen sondern einer Mehr¬
heit zugänglich gemacht.
G r o e d e 1 und Kisch1) folgten dem Beispiele v. Baschs
und verwendeten, während die Kompression der Aiterie mit
der Ri va-Rocci sehen Manschette vorgenommen wurde,
verschiedene Kontrollapparate: Gärtners Pulskontroller,
O e h m k e s Turgoskop, Jaquets Sphygmograph. Während
aber diese Autoren die Apparate hauptsächlich zur Kontrolle
der Bestimmung des maximalen i. e. systolischen Blutdruckes
benützten und hierbei keine wesentlichen Vorteile in der Ver¬
wendung der angeführten Apparate fanden, hat Sahli-) den
Jaq u et sehen Sphygmographen auch zur Feststellung des
diastolischen Blutdruckes und damit zur Feststellung des sogen.
Pulsdruckes benützt und mit Hilfe desselben den Begriff und
die Bedeutung des absoluten Sphygmogramms ent¬
wickelt.
Da es bei diesen Bestimmungen nicht so sehr auf die ge¬
naue Pulsschreibung ankommt, die Verwendung des Sphygmo¬
graphen aber gewisse Geschicklichkeit und Zeit beansprucht,
wurden in der letzten Zeit zwei Instrumente empfohlen, welche,
dem gleichen Zwecke dienend, als T urgographen angesehen
werden dürfen: Das sehr nette Sphygmoskop von Rhein-
b o ld t 3) und der im Prinzip dem Oehmke sehen Turgo-
skope entsprechende Turgosphygmograph von K o -
ziezkowsky4).
Noch einfacher wäre es, die in der Armmanschette selbst
vor sich gehenden Druckschwankungen zut Blutdruckbestim¬
mung zu benützen. Die Einwände, welche v. Basch (1. c-.)
gegen die Verwertung jener an der Kompressionsstelle im kom¬
primierenden Objekte selbst zu beobachtenden Di uckschwan-
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
kungen zur Blutdruckbestimmung erhob, richteten sich wohl
hauptsächlich gegen die Versuche Waldenburgs und auch
gegen eine eventuelle Benützung seines eigenen geistvollen
Kompressoriums in dieser Hinsicht. Bei Verwendung der
Riva-Rocci sehen Manschette dürften diese Bedenken
jedenfalls nur in beschränkterem Umfange Geltung besitzen und
kaum mehr für den Fall, als man nach dem Vorgänge v. Reck¬
linghausens5) eine entsprechend breite Manschette zur
Kompression wählt.
Dieser eben genannte Autor hat dann auf Grund eingehen¬
der Ueberlegungen den Versuch gemacht, aus den bei ver¬
schiedenem Drucke in verschiedener Höhe geschriebenen Puls¬
bildern — der Treppenkurve — das wahre Pulsbild zu rekon¬
struieren und hat schliesslich vor kurzem ein eigenes Instru¬
ment angegeben, durch welches die in der Manschette vor sich
gehenden Druckschwankungen entsprechend sichtbar werden
und auch verzeichnet werden können.
Im Vorjahre hat dann Pal6) ein Sphygmoskop be¬
schrieben, durch welches ebenfalls die in der Arm- bezw.
Fingermanschette vor sich gehenden Druckschwankungen
sichtbar gemacht werden. .
Schon vorher hatte Erlanger') eine Einrichtung mit¬
geteilt, welche es gestattet, die in der Manschette voi sich
gehenden Schwankungen graphisch zu registrieien. _
. Dem gleichen Zwecke dienen auch die folgenden zwei Ein¬
richtungen, deren eine in Eig. 1 dargestellte, bereits früher von
mir erwähnte'*), im Prinzipe jener von Er langei ange¬
gebenen Einrichtung entspricht, in zweckentsprechender Ver-
*) v. Basch: Ueber die Messung des Blutdrucks am Menschen.
Zeitschr. f. klin. Med., II, S. 79.
1) Th. Groe.del II und Fr. Kisch: Ueber den Wert der Blut¬
druckmessung. Münch, med. Wochenschr. 1903, No. 16.
2) Sahli: Ueber das absolute Sphygmogramm etc. D. Archiv
f. klin. Med., 81 Bd., S. 493. , , ..
3) R h e i n b o bd t: Ueber ein Sphygmoskop. Berl. klin.
Wochenschr. 1907, No. 6. .
4) E. v. K o z i c z k o w s k y: Ueber Turgo-Sphygmographie etc.
Berl. klin. Wochenschr. 1907, No. 13,
No. 37.
bindung mit jenem Modelle des Instrumentes RU a - K o c c i s,
welches ich an anderer Stelle (1. c.) eingehend beschrieben
habe :
Fig. 1.
«) V. Recklinghausen: Ueber Blutdruckmessung beim
Menschen. Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmako^, q46. Bd.,
und: Unblutige Blutdruckmessung. Ebenda, 55. Bd., 1906.
o) p.al: Ein Sphygmoskop zur Bestimmung des 1 ulsdruckes.
Zentralbl. f. innere Med. 1906, No. 5. . . . qrup
7) Erlanger: IA new instrument for determining etc.
Johns Hopkins Hospital Reports 1904, XII. Bd.
7*) Münzer: Ueber Blutdruckmessung .... Zeitschr. t. exper.
Path. u. Therapie, IV. Bd., 1907. ^
IbiÜ •
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Die Leitung S, welche von der Luftpumpe P zur Manschette M
führt, ist an einer Stelle durch einen T Hahn h unterbrochen, durch
welch letzteren es möglich ist, in diese Leitung den Ballon B, welcher
im Glaskolben G eingeschlossen ist, einzuschalten. Der Glas¬
kolben G zeigt einen kleinen Ansatz t, von welchem ein dickwandiger
( iummischlauch, von der gleichen Qualität wie der Schlauch S, die
Leitung vom Glaskolben zum verzeichnenden Tambour bildet.
Wird nun die Luft aus der Pumpe in die Leitung getrieben, so
teilt sie sich bei entsprechender Stellung der beiden T-Hähne gleich-
massig zwischen drei Teilen: Steigrohr (St), Manschette (M) und
Ballon (B). Der Letztere wird also aufgetrieben; die zwischen B und
G gelegene Luft wird komprimiert und entweicht durch den Ansatz
t in die Leitung gegen den Tambour. Die Gummiplatte des letzteren
würde nun vorgewölbt, der Schreiber stark in die Höhe getrieben
werden, wenn dieses nicht durch Offenlassen des Hahnes hi während
der Drucksteigerung vermieden würde.
Hören wir nun in einem Momente mit der weiteren Druck¬
steigerung seitens der Pumpe auf und schliessen den Hahn hi, so
kommen jetzt die in der Manschette vor sich gehenden pulsatorischen
Schwankungen im ganzen System, also auch im Ballon und auch am
Schreiber des Tambours zum Ausdrucke. Die Ausschläge des Schreib¬
hebels werden nun entweder einfach beobachtet oder graphisch auf
einer berussten Trommel aufgenommen. Zu letzterem Behufe befindet
sich an dem Apparate, wie Figur 1 zeigt, ein K n o 1 1 scher Polygraph,
welcher für unsere Zwecke ein wenig adaptiert ist, insoferne als
1. das die Trommel bewegende Uhrwerk zwei Gänge besitzt — einen
langsamen für die Registrierung der Blutdruckbestimmung und einen
raschen für die Aufnahme des Sphygmo- bezw. Turgogrammes;
2. der Hebel 'des Zeitschreibers aus zwei gegeneinander verschieb¬
lichen Teilen besteht, um die Spitze desselben unter die Spitze des
Schreibhebels des Tambours einstellen zu können.
Um die Verhältnisse während der Oszillationsperioden gleich-
mässig zu gestalten, und stets die grösstmöglichen Ausschläge des
Schreibhebels zu erzielen, ist es nötig, nachdem man den Hahn hi
geschlossen hat, den T-Hahn des Ballons (h) oder jenen der Pumpe so
zu stellen, dass nur Manschette und Ballon miteinander kommuni¬
zieren, die Verbindung gegen die Pumpe und das Steigrohr aber ab¬
geschnitten ist.
Die in der Manschette vor sich gehenden Schwankungen müssen,
wie einfache Ueberlegung ergibt, und eine Reihe von Beobachtern
feststellen, bei verschiedenem Drucke verschieden gross sein.
Aus der verschie denen Grösse der pulsato¬
rischen Ausschläge des Schreibhebels bei ver¬
schiedenem Drucke können wir Rückschlüsse auf
die Grösse des Blutdruckes im betreffenden G e -
fässabschnitte ziehen.
Am klarsten dürften diese Verhältnisse werden bei Beschrei¬
bung einer bestimmten Aufnahme selbst, deren Resultat in Figur 2
wiedergegeben erscheint. Es handelte sich um einen ca. 50 jährigen
Mann, Herrn D., der über Verdauungsbeschwerden klagte und bei der
Untersuchung eine leichte Vergrösserung seines Herzens nach links
zeigte. Die Vornahme der Blutdruckbestimmung gestaltet sich nun
Fig. 2.
folgendermassen: Der Kranke wird auf den Untersuchungstisch ge¬
legt, die Manschette M um seinen Oberarm geschlungen, der Arm
selbst durch ein untergeschobenes Kissen in Herzhöhe gelagert. Nun
wird der Kranke aufgefordert, gleichmässig zu atmen und jede Be¬
wegung mit Kopf und Arm zu unterlassen, da solche Bewegungen das
Tono-Turgogramm beeinflussen. Es wird zunächst der Ballon aus¬
geschaltet und die palpatorische Messung vorgenommen; sie ergab
im vorliegenden Falle 140 mm systolischen und 100- mm diastolischen
Blutdruck; Pulsfrequenz: 88.
Nun stellt man den Nulldruck in der Manschette her, schaltet
mittels des 1 -Hahnes h den Ballon ein und beginnt die graphische
Bestimmung. Wie die Figur ergibt, wurde zunächst der Druck 70 ein¬
gestellt, die Ausschläge verzeichnet, dann von 10 zu 10 mm mit dem
Drucke in der Manschette gestiegen und immer wieder bei dem an¬
geschriebenen Drucke die entsprechenden Oszillationen des Schreib¬
hebels festgestellt, wobei man nicht vergessen darf, vor jeder Druck¬
steigerung den Hahn hi zu lüften. Zweckmässig ist es auch von Zeit
zu Zeit, am sichersten nach jeder Einzelbestimmung, den Druck in
der Manschette auf Null zu stellen, um den Einfluss jeder Stauung zu
vermeiden. Man sieht wie die Oszillationen im vorliegenden Falle
mit steigendem Drucke immer grösser und grösser werden, bis sie bei
110 die Maximalgrösse erreicht zu haben scheinen; gleich grosse Aus¬
schläge zeigt der Schreibhebel bei 120 und 130 mm Druck, während
diese bei 140 plötzlich stark abnehmen und bei 160 nur noch ganz
kleine Ausschläge verzeichnet werden **).
Diese kleinen Ausschläge, .bedingt durch das Anprallen der
Pulswellen an dem zentral, i. e. herzwärts gelegenen Manschetten-
Was lesen wir also dieser Kurve ab? Bei einem Drucke von
70 mm geht der Puls unter der Manschette glatt durch. Die pulsa¬
torischen Schwankungen der eingeschnürten Armpartie kommen in
der Manschette nur in Teilen zum Ausdrucke. Die Schwankungen
werden stärker, je mehr wir den Druck steigern.
Wird der Arm mit einem Drucke, der dem maximalen Blutdrucke
entspricht — hier 160 mm — komprimiert, dann ist die Pulswelle nicht
mehr im stände, in die komprimierte Partie einzudringen, der Schrei¬
ber verzeichnet eine mehr weniger gerade Linie, wir haben die Höhe
des maximalen Blutdruckes annähernd erreicht.
An welchem Punkte der Kurve haben wir den diastolischen
Druck zu suchen? Hier sind zwei Ansichten zu verzeichnen:
Line Reine von Autoren behaupten, dass der diastolische
Druck dort liegt, wo der Schreiber bei allmählicher Druck¬
steigerung die höchsten Ausschläge zu zeigen beginnt und be¬
gründen inre Auffassung folgendermassen: In dem Momente,
wo der Druck in der Manschette dem diastolischen Drucke der
Arterie entspricht oder ihn ein wenig iioerragt, muss während
der Diastole die Arterie vollkommen zusammenfallen.
Im Momente der Systole wird dieses üefäss vollkommen
entfaltet und der Puls kommt in seiner Gänze zum graphischen
(auch zum sensatorischen) Ausdrucke. Für diese Autoren
läge also der diastolische Druck im vorliegenden Falle bei 110.
Pal (1. c.), welcher den diastolischen Druck an der
gleichen Stelle sucht, gibt eine andere Erklärung; er sagt:
sobald der Druck in der Manschette bei allmählicher Druck-
Senkung ein wenig unter dem diastolischen Drucke liegt,
schiesst die Pulsweile unterhalb der Manschette vollkommen
durch und die gesehenen bezw. geschriebenen Ausschläge
müssen nun wesentlich kleiner erscheinen.
Nach Masings)-Strasburger9) hätten wir aller¬
dings den diastolischen Druck im vorliegenden Falle zwischen
130—140 mm zu suchen, an jener Stelle, an welcher bei Steige¬
rung des Manschettendruckes die Pulswelle deutlich ver¬
kleinert wird, bezw. eine deutliche Verkleinerung der Oszil¬
lationen des Schreibers eintritt. Bei diesem Drucke wird eben,
so schliessen diese Autoren, der untere Teil, der Pulswelle ab¬
geschnitten und kann nicht mehr in die Manschette eintreten,
was sich für den Finger durch ein deutliches Kleinerwerden
des Pulses zu erkennen gibt und im Tono-Turgogramm durch
ein Kleinerwerden der Oszillationen des Schreibers in Er¬
scheinung tritt. Es lässt sich gegen die Richtigkeit letzterer
Auffassung, wie auch v. Recklinghausen, anführt, theo¬
retisch nichts einwenden, obwohl man zugeben muss, dass sich
auch die erstzitierte Anschauung vorzüglich begründen lässt.
Es wird also am zweckmässigsten sein, vorderhand statt
einer Zahl für den diastolischen Blutdruck zwei Zahlen ent¬
sprechend der Breite der grössten Oszillationen
zu setzen (hier 110 — 130), während für den Maximaldruck ent¬
sprechend der einheitlichen Auffassung seiner Bestimmung,
eine Zahl gegeben ist.
Bevor ich nun weitergehe, will ich gleich die zweite Ein¬
richtung schildern, welche noch zweckmässiger und ein¬
facher in der Art der Einschaltung vielleicht aber auch etwas
sicherer in der Schreibung ist.
Die Schlauchleitung
ss (Fig. 3) von der
Pumpe zur Manschette ist
an einer Stelle dutch ein
kleines Stückchen dehn¬
baren Gummischlauchs b
ersetzt, welch letzterer
luftdicht von einem Glas¬
gehäuse g umgeben er¬
scheint.
Dieses ülasgehäuse
besitzt, ebenso wie G
in Fig. 1 einen kleinen
Fortsatz (t) zur Fort¬
führung der Leitung ge¬
gen den Tambour. Die
rande sind es, welche bei der angegebenen Versuchsanordnung die
Bestimmung des maximalen Blutdrucks ein wenig unsicher gestalten
und mich veranlassten, eine zweckmässiger.e Anordnung der re¬
gistrierenden Apparate zu treffen; ich komme hierauf am Schlüsse
zurück.
0 M a s i n g: Ueber das Verhalten des Blutdrucks etc. D. Archiv
f. klin. Med. 1902.
ö) Strasburger: Ein Verfahren zur Messung des diastoli¬
schen Druckes. Zeitschr. f. klin. Med., 54. Bd. etc.
Fi bi 3.
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1811
Verwendung des kleinen Apparates ist leicht verständlich. Die Vor¬
teile liegen darin, dass die die Luftschwingungen übertragende Mem¬
bran b an beiden Enden fixiert erscheint, äussere Erschütterungen also
weniger auf dieselbe einwirken. . Auch ist eine solche Gummimembran
leichter zu ersetzen und billiger im Preise als der Ballon B in Figur 1.
Sehr eigenartig und gewisse Vorteile bietend, ist auch die Ein-
und Ausschaltung dieser Vorrichtung; sobald man nur eine einfache
palpatorische Blutdruckbestimmung vorzunehmen wünscht, schiebt
man den Metallzylinder m über das Gummirohr b. Will man die
Druckschwankung graphisch registrieren oder wenigstens sehen, dann
zieht man m aus dem Glasgehäuse heraus und die Einrichtung ist
gebrauchsfertig. Sind die Ausschläge des Schreibhebels zu gross, so
kann man dieselben hier dämpfen, indem man m nicht voll heraus¬
zieht und nur einen Teil von b zur Registrierung verwendet. Natür¬
lich darf man dann während der ganzen Bestimmung keine weitere
Aenderung mit m vornehmen, sondern muss die Grösse der die
Schwankungen übertragenden Fläche unverändert lassen. Die bei der
zuteil wurde, sei es gestattet, hier eine grössere Zahl dies¬
bezüglicher Pulsbilder wiederzugeben.
Figur 6, 6 a, 6 b sind von einer Frau B. aufgenommen,
welche an paroxysmaler Tachykardie und Arrhythmie leidet. Die
junge Frau begann einige Monate nach der Geburt ihres ersten
Kindes, welches sie selbst nährte, über Herzklopfen zu klagen, und
war infolge dessen genötigt, das Kind im 7. Monat abzustillen. Seit¬
her d. i. seit drei Jahren, bestehen die Beschwerden, welche zur Zeit
der Regel besonders heftig sind, wobei das Klopfen bis zum Halse hin¬
auf gespürt wird. In der Zwischenzeit fühlt sich Frau B. vollkommen
wohl, besonders während des Sommers, wo sie Sport treiben kann.
Die Kranke, welche blühend aussieht, zeigt bei der ersten Unter¬
suchung (8. IV. 1907) eine stürmische Herzaktion so zwar, dass die
Pulsfrequenz anfangs nicht festgestellt werden konnte. Die Blutdruck¬
bestimmung war palpatorisch unausführbar; ihre graphische Durch¬
führung ist in Figur 6 wiedergegeben.
Fig. 6.
turgoskopischen bezw. turgograp’nischen Bestimmung behufs Er¬
zielung gleichrnässiger Resultate und grösster Ausschläge nötige Aus¬
schaltung der Pumpe und des Steigrohres kann bei dieser Einrichtung
nur mittels des T-Hahnes der Luftpumpe selbst vorgenommen werden,
während bei der Balloneinrichtung der Hahn h diesem Zwecke diente.
Will man beide Schreibvorrichtungen mit einander vergleichen, dann
darf die Ausschaltung von Pumpe und Steigrohr für beide gleich-
mässig nur durch den T-Hahn der Pumpe erfolgen, was gegenüber dei
Ausschaltung durch den Hahn h einen kaum nennenswerten Nachteil
bedeutet, insoferne als jetzt das kurze Schlauchstück von h bis zum
T-Hahne der Pumpe miteingeschaltet ist.
Die Bedeutung der angeführten Vorrichtungen ist mit ihrer
Verwendung zur objektiven Blutdruckmessung nicht erschöpft;
das Sphygmo-Turgogramm dürfte vielmehr für eine Reihe von
Fällen die Aufnahme des Sphygmogrammes ersetzen bezw.
entbehrlich machen.
Zunächst dürfte dies für alle jene Fälle zutreffen, in welchen
eine Pulsaufnahme mit Rücksicht auf die ausserordentliche
Kleinheit des Pulses beschwerlich oder unmöglich erscheint,
z. B. bei kleinen Kindern, Kyphoskoliotischen oder schwer
Herzkranken. Die Aufnahme des Turgogrammes bietet auch
in diesen Fällen keinerlei Schwierigkeit, wofür Fig. 4 und 5
entsprechende Belege liefern.
Figur 4 bringt das Tono-Turgogramm eines ca. 40 jährigen
kyphoskoliotischen Fräuleins (W.), welches Erscheinungen schwerer
Kurzatmigkeit zeigte. Am Herzen hörte man ein feines 1. Geräusch, der
2. Pulmonaliston war stark akzentuiert; der Puls kaum zu tasten.
Der Harn enthielt eine Spur Eiweiss. Die Tono-Turgograpbie ergab
Am 19. IV. zeigte die Kranke eine fast vollkommen regelmässige
Herzaktion, wie die neuerliche Aufnahme Figur 6 a ergab.
Will man in einem solchen Falle zu einem besseren Ver¬
ständnis der Herz- bezw. Pulsunregelmässigkeiten gelangen,
dann ist, wie Mackenzie, E. H. Hering und eine Zahl
anderer Autoren zeigten, die Aufnahme des Venenpulses
(auch des Kardiogramms) neben dem Sphygmogramm unbe¬
dingt erforderlich. Wir benützen nun als Ersatz des Sphyg-
mogramms das Turgogramm, welches wir in der Weise ge-
Fig. 6a.
winnen, dass wir in der Manschette jenen Druck einstellen, bei
welchem bei der vorangegangenen Blutdruckmessung die
schönsten Pulsbilder gesehen wurden. Es ist dies meist, wie
die Tonogramme zeigen, ein Druck, welcher etwas unter dem
diastolischen Blutdrucke liegt, so dass derselbe kaum un¬
angenehm empfunden wird und man die Pulsverzeichnung
durch lange Zeit ohne Beschwerden für den Kranken weiter
gehen lassen kann.
Figur 5 bringt das Resultat der Blutdruckmessung bei einem
sechsjährigen Kinde (K-), welches vor zwei Jahren im Anschlüsse an
einen Rheumatismus an Endo- und Perikarditis erkrankt war und sicli
seither nicht erholen konnte. Der transversale Durchmesser der Heiz-
dämpfung betrug 10,7 cm bei einem Brustumfänge von 58 cm; der
Spitzenstoss war im 6. Interkostalraum in der vorderen Axillarlinie
zu sehen; auskultatorisch ein lautes erstes Geräusch am Herzen
nachweisbar; der Puls kaum zu tasten. Das Turgogramm zeigte,
dass der systolische Blutdruck bei diesem Kinde bei 100 mm, der
.diastolische bei 70 mm lag.
50
Fig. 5.
Die Durchführung einer Blutdruckmessung bei starker
Arrhythmie bietet palpatorisch die grösste Schwierigkeit;
graphisch wird diese Aufgabe leicht und höchst exakt gelöst,
wobei gleichzeitig die Beurteilung der Herzunregelmässigkeit
selbst infolge der graphischen Registrierung wesentlich sicherer
erscheint. Da den Pulsunregelmässigkeiten in den letzten
Jahren besonderes Interesse seitens einer Reihe von Forschern
Zu diesem Sphygmo-Turgogramm nehmen wir den Venenpuls in
,der üblichen Weise mit .dem Trichter auf; so gingen wir in den vor¬
zitierten Beobachtungen vor. Ein Beispiel einer solchen Aufnahme
im vorliegenden Falle zeigt Figur 6 b, in welcher die unteie Kurve
das Sphygmo-Turgogramm bei 80 mm Hg-Druck wiedergibt, die obere
Kurve den Venenpuls von der rechten Halsseite (Vena jugularis
dextra = v. j. d.) darstellt.
Handelte es sich im eben mitgetei'lten Falle um eine junge Frau
von 27 Jahren mit vollständig gesunden Herzklappen, so bringen
Figur 7 und 7 a Blutdruckbestimmung und Pulsaufnahme, einer Dame
(Frau V.), welche im 60. Lebensjahre steht und ausgesprochene
Schwächeerscheinungen des Herzens darbietet. Bei dieser Kranken
ist die Herzdämpfung sehr stark nach links vergrössert und zeigt
einen transversalen Durchmesser von 10,7 cm; die Herzaktion ist
ausserordentlich unregelmässig, hie und da blasende Geräusche über
dem Herzen zu hören. Leber ein wenig geschwollen, im Harne eine
Spur Eiweiss, kein Zucker. Die graphische Blutdruckbestimmung
(Fig. 7) zeigte, dass der systolische i. e. maximale Blutdruck bei
110 mm Hg, der minimale — diastolische bei 70 ( 80) mm H° zu
ichen ist. „ , , _ _
Figur 7 a zeigt den Venenpuls dieser Kranken aufgenom
on der Vena jugularis dextra, während an Stelle des .p iygti i -
ramms das bei 70 mm Hg Manschettendruck geschriebene lurgo
ramm verwendet ist.
1812
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Die Venenpulskurve zeigt vollkommen normale Verhältnisse und ohne dass der Schreiber bei irgend einem Manschettendrucke auf-
die Unregelmässigkeiten der Herzaktion (z. B. bei x) können also | fallend hohe Wellen gezeichnet hätte.
Fig. 7.
durch Vergleich des Turgogramms mit dem Venenpulse genauer
analysiert werden.
Handelte es sich in
den letztgenannten Fäl¬
len um Darstellungen von
Pulsunregelmässigkeiten
bei normalem Blutdrucke,
so mag Figur 8 die Auf¬
nahme einer Blutdruck¬
bestimmung bei stark er¬
höhtem Blutdrucke (alil-
Fig. 7a. gemeiner Arteriosklerose)
illustrieren. Die Figur
bringt das Tono-Turgogramm einer Dame (Frau T.), welche,
im 69. Lebensjahre stehend, im Anschlüsse an eine Grippe seit dem
In der letzten Zeit hat Sahli 10) ausgehend von der
Stärke (Energie) des Pulses bezw. der verschiedenen Grösse
der Hg-Oszillationen bei verschiedenem Drucke in geistvoller
Weise den Arbeitswert jeder einzelnen Pulswelle festzustellen
gesucht und uns mit einer neuen Untersuchungsmethode — der
Sphygmobolometrie — beschenkt.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Sahli mit seinen
Auseinandersetzungen die Aufmerksamkeit auf einen we¬
sentlichen Faktor lenkte, der bisher gar keine oder
gewiss nicht genügende Berücksichtigung gefunden hat und
diesen auch rechnerischer Feststellung zugänglich gemacht hat.
Da die hier gebrachten Grössen einen vom benützten Instru-
Fig. 8.
Februar 1907 an Ohrensausen und heftigem Schwindel leidet. Ueber
die gleichen subjektiven Beschwerden klagte in noch höherem Masse
ein Kranker, Herr W., dessen Blutdruckbestimmung Fig. 9 zeigt.
Fig. 9.
Dieser 56 Jahre alte Mann klagte nur über Schwäche und Schwindel
von solcher Heftigkeit, dass er nicht allein auf die Strasse zu gehen
wagte. Objektiv zeigte dieser Kranke leichte Röte des Gesichtes
und glänzende Augen wie ein Fiebernder; der Puls war stark be¬
schleunigt, die Herzdämpfung ein wenig nach links vergrössert
(Transversaldurchmesser der Herzdämpfung: 8,5 cm, Brustumfang in
Warzenhöhe: 97 cm); dabei ein systolischer Blutdruck von über
250 mm, so dass die Bestimmung nicht zu Ende durchführbar war.
Gerade aus diesem Grunde schien es interessant, dieses Turgogramim
zu reproduzieren, weil eine grosse Reihe von Autoren der Möglich¬
keit solch hoher Blutdruciksteigerung skeptisch gegenübersteht.
Die in Fig. 8 und 9 wiedergegebenen Tonogramme zeichnen sich
durch ausserordentliche Höhe der Oszillationen aus; dass so grosse
mente abhängigen vorzüglich relativen Wert besitzen, könnte
der von Sahli als „relatives A r b e i t s in a s s“ einer
Pulswelle gebrachte Ausdruck A = h (h + H) direkt auf unsere
Tonogramme übertragen werden, wobei h durch die
Grösse der Oszillationen des stets gleich langen
Schreibers gegeben wäre, während H dem am Steig¬
rohr in mm Hg abgelesenen Manschettendrucke, unter
welchem diese Ausschläge (von der Höhe h) er¬
folgten, entspräche.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass an
meinem Instrumente, wie ich schon in meiner früheren
Arbeit (-1. c. S. 142) erwähnte, die pulsatorisc'hen Oszilla¬
tionen der Hg-Oberfläche im Steigrohre sehr schön zu be¬
obachten sind und ihre Grösse (h) jeweils auch direkt
abgelesen werden kann.
Doch genügen die in der vorliegenden Arbeit gebrachten
Tonogramme nicht den seitens Sahlis an sphygmobolo-
metrische Bestimmungen geknüpften Bedingungen, insoferne
als die von diesem Autor mit Recht geforderte Abschnürung
des peripheren Armabschnittes (unterhalb der Riva-Rocci-
manschette) nicht vorlag. Mir kommt es jedoch an dieser
Stelle nur darauf an, zu zeigen, wie vorzüglich sich der ein¬
gangs abgebildete Apparat zur Ausführung solcher Bestim¬
mungen eignet.
Und noch einen Punkt möchte ich am Schlüsse hervor¬
heben: Die vorgeführten Abbildungen zeigen, dass der Schrei¬
ber nicht einfache Oszillationen verzeichnet, sondern echte
Fig. 10.
Ausschläge nicht einfach Ausdruck der Blutdrucksteigerung sind,
zeigt ein Vergleich mit Fig. 10. Auch in diesem Falle — es handelte Pulse schreibt; ich verweise zur Stütze des eben gesagten
sich um ein 32 jähriges Fräulein K., welches sonst nichts Patho- noch auf Figur 11, das Tonogramm eines 26 jährigen stud. jur.
M., der bis auf verlangsamte Herzaktion —
56 Pulse in der Minute — nichts pathologisches
zeigte.
Ob darnach das Turgogramm auch in
anderen als den angeführten Fällen an Stelle
des Sphymogramms wird treten können,
Fig. 11.
logisches, insbesondere keine nennenswerte Herzvergrösserung zeigte
— hatte der maximale Blutdruck eine Höhe von über 200 mm Hg,
lü) Sahli: Die Sphygmobolometrie, eine neue Untersuchungs¬
methode der Zirkulation. D. med. Wochenschr. 1907, No. 16 u. 17,
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1813
müssen noch weitere Untersuchungen lehren, welche
jedenfalls zunächst den Einfluss der verschiedenen Man¬
schettenbreite auf die Form des lurgogramms feststellen
werden; auch die Aenderung des Turgogramms bei verschie¬
denem Drucke wird eingehende Berücksichtigung verlangen.
Einiges zur Lösung der zuletzt aufgeworfenen Frage liegt be¬
reits in der vorliegenden Mitteilung vor, so das eigentümliche
Tiefertreten der Rtickstosselevation bei steigendem Manschet¬
tendrucke (Fig. 11), das Verschwinden desselben in den
Sphygmo-Turgogrammen von einem gewissen Drucke an und
das eigentümliche Auftreten von nicht dem Pulse angehörigen
Zacken bei höherem Drucke.
Wie immer diesbezüglich die Entscheidung ausfallen möge,
gewiss ist, dass bei Verwendung des geschilderten Apparates
die Blutdruckbestimmung objektiven Charakter bekommt und
in Fällen möglich wird, in welchen die palpatorische Bestim¬
mung zumindest äusserst unsicher wäre; dass der Apparat
gleichzeitig die Pulsenergie anzeigt und zu sphygmobolo-
metrischen Bestimmungen vorzüglich geeignet ist und dass das
Studium der Pulsunregelmässigkeiten durch denselben wesent¬
lich vereinfacht und erleichtert wird.
Nachtrag. Um den Apparat in den verschiedenen oben
erwähnten Richtungen möglichst vollkommen zu gestalten,
wurde in den letzten Monaten eine etwas andere Anordnung
getroffen: Jeder der zwei Balken des T-Hahns der Pumpe
wurde mit einer eigenen Manschette verbunden, welche nahe
aneinander am Arme des zu untersuchenden Menschen an¬
gelegt wurden, die eine am Oberarme, die zweite Manschette
am Vorderarme. Beide Manschetten können nun gleichzeitig
oder nacheinander mit gleichem oder verschiedenem Drucke
von der Pumpe aus mit Luft gefüllt werden und die in beiden
Manschetten vor sich gehenden Druckschwankungen können
bequem auf der Trommel verzeichnet werden. Auf diese
Weise ist nun der Apparat ebensowohl zur Registrierung der
feinsten Pulsunregelmässigkeiten (Verwendung der Oberarm¬
manschette), als zur exakten Bestimmung des maximalen Blut¬
druckes (untere Manschette), als zur sphygmobolometrischen
Bestimmung (Pulsschreibung aus der oberen Manschette, nach¬
dem die untere allein über den maximalen Blutdruck aufge¬
trieben wurde) geeignet.
Aus der chirurgischen Klinik in Jena.
Zur Torsion der Appendices epiploicae.
Von Dr. Krüger.
Die Fettanhänge des Dickdarms, die bis vor kurzer Zeit in
der chirurgischen Pathologie keine Rolle zu spielen schienen,
haben an Interesse gewonnen, seit, durch die ersten Mitteilungen
Riedels angeregt, eine, wenn auch noch recht kleine Reihe
von Beobachtungen in der Literatur niedergelegt ist. Zwar
wäre bei der in anatomischer und physiologischer Hinsicht ein¬
fachen Beschaffenheit dieser Gebilde a priori nicht zu erwarten,
dass sie kompliziertere pathologische Verwicklungen würden
hervorrufen können, jedoch hat sich gezeigt, dass Strang¬
bildungen, entstanden durch adhärent gewordene, ausgezogene
Fettanhänge, freie Fettkörper, aus abgedrehten Appendizes her¬
vorgegangen, in Bruchsäcken gedrehte oder akut eingeklemmte
Appendices epiploicae unter Umständen recht verschiedene und
bisweilen recht ernste klinische Erscheinungen verursachen
können. Bisher liegen 13 Fälle in der Literatur vor, wo Fett¬
anhänge des Dickdarmes zu chirurgischem Eingreifen nötigten.
Die Fälle lassen sich zweckmässig einteilen einmal in
solche, wo die Ereignisse in der freien Bauchhöhle, das andere
Mal, wo sie in einem Bruchsack sich abspielen. Siebenmal
wurden die Appendizes im Bruchsack gefunden, und zwar wur¬
den in der Jenenser Klinik zweimal Drehungen derselben be¬
obachtet, während akute Einklemmungen von Bruns, Mus-
catello, Lorenz und zuletzt von Mohr berichtet worden
sind. Ich kann jetzt einen weiteren Fall beibringen, der man¬
ches neue bietet, der mir insbesondere deswegen von Bedeutung
zu sein scheint, weil durch ihn bewiesen wird, dass ein von
der Bauchhöhle im Bruchsack abgeschlossenes Gebilde inner¬
halb desselben sich torquieren kann, was nach den geläufigen
Vorstellungen über den Torsionsmechanismus intraabdomi¬
neller Organe zunächst nicht recht wahrscheinlich erscheint.
Am 17. Mai wurde ein 56 jähriger Mann in der Klinik .auf¬
genommen und unter der Diagnose: eingeklemmter Netzbruch ope¬
riert. Patient hatte bisher nichts von einem Bruch gemerkt. Bei der
Operation stellte sich heraus, dass eine von der Zökalgegend in den
rechten Leistenkanal verlaufende Appendix epiploiea durch einen
fadenförmigen, ganz kurzen Stiel, welcher durch den inneren Leisten¬
ring trat, mit dem walnussgrossen, klumpig verdickten Ende in Ver¬
bindung stand, und dass dieser Eettklumpen sich um seine Achse ge¬
dreht und dadurch Entzündungserscheinungen hervorgerufen hatte.
Da es sich offenbar um einen schon längere Zeit im Bruchsack ver¬
weilenden Fettanhang handelte, wurde nach der Operation eine ge¬
naue Anamnese aufgenommen, welche ausserordentlich interessante
Einzelheiten ergab, wodurch erst eine genaue Erklärung des Ope¬
rationsbefundes und umgekehrt der früheren Symptome möglich
wurde. Ich gebe im folgenden die Vorgeschichte und anschliessend
den Operationsbericht:
Aus gesunder Familie stammend, ist Patient selbst nicht ernstlich
krank gewesen. Von einem Bruchleiden hat er bisher nichts bemeikt.
Im Jahre 1887 hatte Patient in seinem Beruf als Steueramtsassistent
■sehr viel damit zu tun, in Bierbrauereien die Bräubottiche auszu¬
messen, wobei es viel zu klettern und zu bücken gab. Während er
eines Tages aus einem Bräubottiche stieg, verspürte er Schmelzen
in der rechten Leistenbeuge und beim Fortbewegen des rechten
Beines. Das Allgemeinbefinden war nicht weiter gestört, . jedoch
nötigten ihn die Schmerzen einige Tage zur Bettruhe. In geringerem
Masse hatte er dann noch mehrere Wochen Empfindungen. In der
Folgezeit fühlte sich Patient wohl, nur trat zeitweise ein unleidliches
Gefühl im Leib auf, in den letzten Jahren besonders dann, wenn er
lange gesessen hatte. Aus diesem Grunde hatte er sich gewöhnt, am
Stehpult zu arbeiten. Vor zwei Jahren hatte er wieder einmal stär¬
kere Schmerzen beim Gehen im rechten Bein, die aber bald wieder
schwanden. , ..
Vier Tage vor der Aufnahme in die Klinik litt er in den Morgen¬
stunden an Hustenanfällen und beim Aufstehen aus dem Bett fühlte
er Schmerzen, 'die von der Harnröhre nach idem Nabel zu ausstiahlteii.
Am nächsten Tag bemerkte Patient einen festen Knoten in der Leisten¬
beuge, der druckempfindlich war, beim Gehen jedoch nicht schmerzte.
Vom Arzt wurde Bettruhe verordnet und kalte Umschläge. Da die
Beschwerden nicht verschwanden, suchte der Kranke am vierten
Tage abends die Klinik auf.
Befund: Ziemlich fettleibiger, nicht krank aussehender Mann.
Temperatur und Puls normal, Zunge nicht belegt, Leib nicht aufge¬
trieben. Stuhlgang soll bis heute erfolgt, Erbrechen nicht aufgetreten
sein. In der rechten Leistenbeuge ist ein klein-hühnereigrosser läng¬
licher Tumor sichtbar, der sich hart anfühlt, leicht druckempfindlich
ist, und unverschieblich mit seinem oberen Pol im äusseren Leisten¬
ring liegt. Hautdecken über der Geschwulst sind unverändert. Die
Diagnose wird auf eingeklemmten Netzbruch gestellt.
Operation: In Chloroformnarkose Schnitt über dem Leisten-
kanal von 10 cm Länge; sehr dicke Fettschicht. Die Geschwulst liegt
ganz im Samenstrang eingebettet. Spaltung des Kremasters in der
Längsrichtung und stumpfe Ablösung nach beiden Seiten. So wird ein
sulzig infiltrierter Bruchsack freigelegt und nach Spaltung der Fibrae
intercrurales des Externus bis oberhalb des inneren Leistenringes
wird auch sein eng eingeschnürter Hals sichtbar. Nun Inzision des
Bruchsackes, der nur wenig klares Bruchwasser enthält, im übrigen
vollständig durch einen lappigen Netzklumpen ausgefüllt erscheint,
von dem ein ganz dünner Stiel durch den Bruchring in die Bauch-
Figur I.
ähle führt. Da das Verhalten des Netzsticles innerhalb der Bauch-
ähle klargestellt werden muss, wird der M. internus stumpf etwas
ach oben gedrängt und das Bauchfell oberhalb des Schnurrings ei¬
gnet. Jetzt ist ein bleistiftdicker, glatter, leicht spiralig gedrehter
ettstrang sichtbar, welcher sich nicht vorziehen lässt, vielmehr nac
ben und hinten sich breitbasig am Darm (Zokum?) und Unterer
arietalwand ansetzt. Es unterliegt nunmehr keinem Zwedel dass
in Fettanhang der Zökalgegend vorliegt, welcher offenbar vor lau
erer Zeit sich im Bruchsack eingeklemmt hatte und dessen Kuppe
ypertrophiert war. Die entzündlichen Erscheinungen waren aus-
elöst worden durch die vor 4 Tagen erfolgte Drehung Der intra-
bdominelle Strang wird ca. 3 cm oberhalb des inneren Leistennnge
iit Katgut doppelt unterbunden und durchschnitten, Totalexz s o
er Appendix samt Bruchsack und Schnürrmg. Verschluss des l eri-
1814
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
toneunis mit Katgutknopfnähten, Vernähung der Aponeurose des Ex¬
ternus mit Katgut. Hautzwirnnaht. Dermatolverband. Reaktions-
loser Wundverlauf.
Gehen wir nach diesem Operationsbefund die Vorgeschichte
des Mannes noch einmal durch, so wird der ganze Fall ausser¬
ordentlich durchsichtig. Der Patient hat infolge einer körper¬
lichen Anstrengung vor 20 Jahren eine Einklemmung einer
Appendix epiploica der Zoekalgegend in einen rechtsseitigen
Bruchsack sich zugezogen. Ob der Bruchsack präformiert war
oder gleichzeitig mit entstand, können wir nicht wissen. Sicher
scheint nur, dass er nicht gross war, sonst würde er bei der
Intensität der Inkarzeration, die den Mann zur Bettruhe nötigte,
sich bald prall mit Bruchwasser gefüllt und sich so seinem
Träger bemerkbar gemacht haben. Eine Reposition des Fett¬
anhangs in die Bauchhöhle trat seitdem nicht ein, er blieb durch
den Schnürring festgehalten im Bruchsack. Daher dauernd die
unangenehmen Sensationen in der rechten Unterbauchgegend
durch den Zug des Stranges an der hinteren Bauchwand. Durch
die Beziehungen zum M. ileopsoas finden die Schmerzen beim
Bewegen des rechten Schenkels ihre Erklärung; in gleicher
Weise fühlt ein Appendizitiker Unbequemlichkeiten beim Gehen,
wenn er durch Anspannen des Ileopsoas den mit diesem ent¬
zündlich verklebten Wurmfortsatz beunruhigt. Die folgenden
Jahre über hat sich dann langsam die Kuppe der Appendix
epiploica zu dem gegenwärtigen taubeneigrossen Fettklumpen
entwickelt. Wegen seines sonstigen gut entwickelten Fett¬
polsters wurde der Patient nichts gewahr, nur wurde ihm all¬
mählich längeres Sitzen unangenehm, da er dabei meist wieder
das dumpfe Gefühl im Leibe hatte: offenbar die Folge des
Druckes oder Zuges, die dabei auf das Fettgebilde einwirkten.
So gewöhnte er sich am Stehpult zu arbeiten. Als vor zwei
Jahren plötzlich wieder einmal stärkere Schmerzen einsetzten,
hatte möglicherweise eine kleine Achsendrehung des Fett¬
körpers stattgefunden, oder derselbe hatte sich entzündet,, wie
wir das bei kleinen Netzbrüchen, selbst auch bei leeren Bruch¬
säcken, des öfteren finden. Jetzt kam die zweite Drehung. Bei
der Kleinheit des Stieles, dessen Betrachtung die Zuhilfenahme
einer Lupe erforderte, konnte der Grad der Drehung nicht mit
Sicherheit festgestellt werden; er ist auch nicht so wichtig.
Wenn Payr der Ansicht ist, dass Zirkulationsstörungen erst
bei Drehungen um 180° eintreten, so ist das wohl nur bei den
intraabdominellen Organen mit relativ grossen Stielen zu¬
treffend, während bei einem so kurzen, dünnen Stiel, wie in
unserem Falle auch eine Drehung um 90 0 oder weniger schon
genügen würde, um Zirkulationsstörungen hervorzurufen. Be¬
sonders interessant war, dass die Torsion nicht lediglich an dem
dünnen, im Schnürring liegenden Stiel stattgefunden hatte, son¬
dern dass auch der intraabdominell gelegene Teil der Appendix
eine deutliche Spiralwindung zeigte. Trotz des zwanzigjährigen
Aufenthaltes im Bruchsackhals war also der Stiel nicht adhärent
geworden, so dass sich die Drehung des im Bruchsack befind¬
lichen Fettkörpers auf den am Darm inserierenden Teil des
Fettanhangs in Spiraltour fortsetzen konnte. Nur war durch
die Entzündung jetzt eine zarte fibrinöse Verklebung am Stiel
eingetreten, die sich aber schnell und leicht löste, sobald der
Schnürring gespalten war. Infolge der Drehung war es zu ve¬
nöser Stauung gekommen, Stiel und proximales Ende des Fett¬
körpers waren bläulich verfärbt, jedoch war die Zirkulations¬
störung nicht so hochgradig, dass Gangrän eingetreten wäre,
obwohl bereits vier Tage seit der Drehung vergangen waren.
Die Möglichkeit ist also nicht ausgeschlossen, dass auch dieses
Mal, wie vor zwanzig und vor zwei Jahren, die Entzündungs¬
erscheinungen spontan wieder abgeklungen wären. Aber die
Aussicht auf wiederholte Drehungen mit eventueller Gangrän
und Uebergreifen der Entzündung auf die Bauchhöhle recht¬
fertigt die Radikaloperation in vollem Masse.
Wie kam nun die Drehung des Fettkörpers im Bruchsack
zu stände? Payr unterscheidet bei den Torsionen intra-
abdomineller Organe die von aussen einwirkenden Ursachen
und die inneren, durch die Wachstumsverhältnisse und die Zir¬
kulation gegebenen: durch exzentrisches Wachstum entstehen
Gleichgewichtsschwankungen, die sich experimentell durch Im¬
plantation von Magnesiumkugeln imitieren liessen; verschie¬
dene Länge der Arterien und Venen und hochgradige Stauung
sollen ebenfalls einen Torsionsvorgang einleiten können. Für
unseren Fall können diese beiden Momente nicht in Betracht
kommen. Denn erstens konnten sich bei dem dichten Gefüge
des Fettklumpens Schwankungen in der Gefässlänge und
-füllung kaum im Sinne einer Torsion geltend machen, wie
etwa in einem lockeren Netzzipfel, und zweitens erschien der
Fettklumpen durchaus symmetrisch entwickelt. Ausserdem
gewährte der enge Bruchsack, welcher nur ganz wenig Bruch¬
wasser zwischen sich und dem Fettkörper zur Entwicklung ge¬
langen liess, sehr wenig Spielraum, so dass eine Lageverände¬
rung lediglich durch Gleichgewichtsstörung schwerlich ein¬
treten konnte; dies ist nur bei geräumigem Bruchsack denkbar,
wo mehr ein Hin- und Herpendeln stattfinden kann. Es bleibt
somit kaum etwas anderes übrig, als rein äussere mechanische
Momente für die Entstehung der Torsion heranzuziehen. Pa¬
tient hatte in den Morgenstunden, während er noch zu Bett lag,
mehrere Hustenanfälle gehabt; dabei hatte er vielleicht gleich¬
zeitig Bewegungen der Schenkel ausgeführt, sich im Bett
herumgeworfen etc. Den Mechanismus der Drehung genauer
anzugeben ist nicht möglich.
Bemerkenswert erscheint noch, dass es sich um rechts¬
seitigen Bruch und um einen Fettanhang der Zoekalgegend
handelte. Dass Einklemmungen der Appendices epiploicae in
linksseitige Bruchpforten häufiger beobachtet wurden — von
7 Fällen 6 mal — ist bei der Lage und der Beweglichkeit des
S romanum leicht verständlich. Das Zoekum weist allerdings
auch eine ausserordentlich verschiedene Lage auf, wie sich
bei der Operation der Appendizitis immer wieder zeigt, indem
es bald oben unter der Leber, bald tief im Becken, bald in grosse
Hernien herabgesunken zu finden ist, in der Regel ist es aber
an dem jeweiligen Standort fixiert, so dass auch die ihm zuge¬
hörigen Fettanhänge ihre Lage nur innerhalb geringer Grenzen
zu wechseln vermögen, während diejenigen der Flexur durch
die Peristaltik öfter an den linksseitigen Bruchüforten vorbeige¬
führt werden und so hineinschlüpfen können. In dem Lorenz-
schen Falle war sogar eine Appendix epiploica der Flexur in
einen rechtsseitigen Leistenbruch verlagert worden. In un¬
serem Falle stand das Zoekum an normaler Stelle, aber der
Fettanhang war sehr lang, so dass er mit seiner Kuppe in den
inneren Leistenring geraten konnte.
Der zwanzigjährige Aufenthalt im Bruchsack hatte in aus¬
geprägtester Weise die Veränderungen hervorgerufen, die von
V i r c h o w als linomatöse Polypen der Fettanhänge beschrie¬
ben sind. Nach Eröffnung des Bruchsackes glaubte ich in der
Tat zunächst einen Netzbruch vor mir zu haben, so sehr ähnelte
das Gebilde mit seiner lappigen Oberfläche einem Netzklumpen.
Die Länge betrug 4 cm, die Breite 1 U> cm.
Im Anschluss hieran möchte ich noch einen kleinen Beitrag
zum Kapitel der intraabdominellen Drehung der Fettanhänge
liefern. Durch Zufall gelangte ich gelegentlich der Sektion einer
aus anderen Ursachen verstorbenen Frau in den Besitz des in
Fig. II abgebildeten Präparates. An der lateralen Seite des
Fig. II.
ziemlich beweglichen Colon sigmoideum, welches reichlich mit
wohlausgebildeten Appendizes besetzt war, wurde ein flacher
Fettkörper gefunden, von der Grösse eines Zehnpfennigstücks,
welcher nur noch an einem haarfeinen, gefässführenden Stiel
hing. Dieser Stiel war gedreht und ebenso wie der proximale
Teil des Fettanhangs dunkel-bläulich gefärbt. Der am Darm
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1815
ansetzende Teil hatte etwa Bleistiftdicke. Auch in diesem Falle
war die Stielbildung offenbar schon älteren Datums, da sich
eine deutliche, herzförmige Inzisur ausgebildet hatte, von der
aus derbere Serosanarben über den pendelnden Eettkörper aus¬
strahlten. Ueber die ersten Anfänge der Stielbildung geben
interessanterweise die beiden benachbarten, nach unten hän¬
genden Appendizes einigen Aufschluss. Blattartig, unregel¬
mässig geformt zeigen sie eine offenkundige Neigung zur Tor-
siom die sich durch das exzentrische Wachstum im Payr-
sche'n Sinne zwanglos erklären lässt. Dieses Verhalten der
Appendices epiploicae habe ich seitdem bei Laparotomien in
vivo öfter beobachten können. Ist die Stielbildung erst bis zu
einem gewissen Grade gediehen, dann können auch äussere,
mechanische Momente, vor allen Dingen die Peristaltik, zur
Drehung, schliesslich zur völligen Abdrehung des distalen
Endes führen. Bei der grossen Zahl der Fettanhänge können
sich diese Vorgänge selbstverständlich an mehreren Stellen
gleichzeitig abspielen, und so wurden in der Tat mehrfache
freie Körper in der Bauchhöhle gefunden und aussei dem sah
Riedel in seinem Fall III am Querkolon noch mehreie
Appendizes, die nur an einem fadenförmigen Stiel hingen so-
dass also nach einer Entfernung eines Corpus liberum mit dem
späteren Auftreten neuer Torsionen resp. freier Körper ge¬
rechnet werden muss.
Ueberblicken wir die über die Pathologie der Fettanhänge
des Dickdarms vorhandene Literatur, so wissen wir bis jetz
also folgendes: . .
Erkrankungen der Fettanhänge sind bisher nur im mittleren
oder späteren Lebensalter beobachtet worden, ohne Unter¬
schied des Geschlechtes, aber besonders bei fettleibigen Per¬
sonen. Durch Drehung um ihre Längsachse, dm bedingt ist
durch Gleichgewichtsstörungen infolge exzentrischen Wachs¬
tums kommt es allmählich zu Stielbildungen, in deren Gefolge
häufig eine klumpige Entartung des distalen Teiles stattfindet.
Mit zunehmender Dünne des Stieles treten bei weiterer Torsion
Zirkulationsstörungen auf, die zur Entzündung des distalen
Teiles führen. So kann Adhärenz desselben eintreten mit der
Parietalserosa, dem Mesenterium oder Darmschlingen, . der
adhärente Fettanhang kann sich weiterhin ausziehen zu einem
dünnen Strang, seiner früheren Gestalt somit sehr unähnlich
werdend. Ileuserscheinungen durch Darmstrangulation sind
die Folge solcher Stränge. Wird die torquierte Appendix nicht
adhärent, so kann sich ihre distale Kuppe vollständig abdrehen,
entweder langsam und unmerklich, oder !intor akuten Er¬
scheinungen; in beiden Fällen entstehen freie Fettkorper, d e
entweder nir Schmerzanfälle oder Peritonitis verursachen
können. Durch Verkalkung der freien Körper kann ihre Her¬
kunft, infolge Einschmelzung im Exsudat der Ursprung einer
Peritonitis verschleiert werden. Geht die akute Abtrennung in
folge Gangrän des Stieles ohne stärkere Allgemeinreizung des
Peritoneums vorüber, so kann doch das proximale Ende des
Fettanhangs mit seiner Demarkationsstelle adharent werden
und wiederum Bedingungen für Strangabklemmungen schaffen.
Diese Vorgänge spielen sich entweder nur an einer oder gleic
zeitig an mehreren Appendices epiploicae ab; eventuell wieder¬
holen sie sich auch, sodass der Erfolg der Operation nur ein
vorübergehender ist. Aehnlich wie bei anderen Bauchein-
geweiden kommen Einklemmungen einer oder mehrerer Appen¬
dices epiploicae in Schenkel- und Leistenbrüche vor, besonders
in linksseitige, seltener in rechtsseitige. Die Einklemmung
kann rasch zur Gangrän der Kuppe führen, andererseits können
bei leichteren Graden die akuten Erscheinungen langsam zu¬
rückgehen. Reposition des Fettanhangs in die Bauchhöhle
scheint in der Regel nicht stattzufinden, vielmehr bleibt der¬
selbe im Bruchsack und wird entweder adhärent, später faden¬
förmig ausgezogen oder er erleidet dieselben Veränderungen,
wie der gestielte Fettanhang in der Bauchhöhle; er hyper-
trophiert klumpig, kann sich drehen und unter Umständen voll¬
ständig ablösen. Nach leichter Einklemmung kann ein ge¬
stielter Fettkörper entstehen, der rezidivierend Drehungen im
Bruchsack ausführen und dadurch Schmerzanfälle verursachen
kann Führt die Eniklemmung zur Gangrän oder vollständigen
Ablösung, so setzt damit auch eine entsprechende Entzündung
des Bruchsackes ein. Regelmässig sind die Schmelzen ziem¬
lich bedeutend, sodass der Patient die Arbeit einstellen muss.
Dabei strahlen dieselben oft in den Unterbauch aus, bei Ein¬
klemmungen der Zökalgegend auch in den Rücken wegen der
Fixation an der hinteren Parietalwand. Allgemeinerscheinungen
von Seiten des Bauches fehlen bei den Einklemmungen der
Fettanhänge im Bruchsack stets; lediglich die lokalen Schmerz¬
symptome charakterisieren das Krankheitsbild. Durch recht¬
zeitige Operation sind alle geheilt worden, während bei der
durch Fettkörper verursachten Peritonitis mehrmals letaler
Ausgang eintrat.
Literatur.
1. Riedel: Langenbecks Archiv, 47. — 2. Riedel: Ileus
infolge von etwas aussergewöhnlichen Strangbildungen. Verwach¬
sungen und Achsendrehungen, sowie von Darmsyphilis. Mitteilungen
a. d. Grenzgebieten, 1877, II. — 3. Payr: Ueber die Ursachen der
Stieldrehung intraperitoneal gelegener Organe. Verhandlungen d.
Deutschen Gesellschaft f. Chir.. 1902. — 4 Riedel: Uebei die
Drehung der Appendices epiploicae und ihre Folgen (Corpora aliena
und Stränge im Bauch). Münch, med, Wocbensoür. 1905, No. 48. —
5. L o r e n z: Wiener klin. Wochenschr. 1905. S. 1267. — 6. v.Bru ns:
Brucheinklemmung einer Appendix epinloica. Münch, med Wochen¬
schrift 1 906, No. 1 . — 7. M uscatello: Bi ucheinklemmung d ei
Appendices epiploicae und ihre Folgen. Münch, med. Wochenschr.
1906, No. 38. — 8. Mohr: Brucheinklemmung von Appendices epi¬
ploicae. Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 4.
Aus der psychiatrischen Klinik zu Marburg (Geh. Rat Prof.
Dr. Tuczek).
Zur Pachymeningitis interna haemorrhagica.
Von Privatdozent Dr. Jahrmärker.
Im ärztlichen Verein zu Marburg zeigte ich vor kurzem
zwei Präparate, welche von Kranken stammten, bei denen wir ,
mit Recht die Annahme einer Pachymeningitis interna hämor¬
rhagica gemacht hatten; im Anschluss an diese Demonstra¬
tion1) möchte ich über diese beiden Krankheitsfälle nach den
vorhandenen Aufzeichnungen kurz berichten.
Im Oktober v. .1. kam bei uns ein 63 jähriger Mann zur Auf¬
nahme. bei welchem seit Juli desselben Jahres eine Psychose vom
Charakter der Dementia senilis deutlich geworden war: er trug die
Zeichen der Arteriosklerose, den übrigen körperlichen Befund kann
ich übergehen: von früher überstandener Lues wurde nichts bekannt,
chronischer Alkoholismus war auszuschliessen. Im November sank
Patient eines Tages auf dem Wege zum Klosett plötzlich in die Knie,
sah erst blass, dann rot aus. musste zum Bett zurück geführt werden;
die letzten zwei Wochen etwa vorher hatte er sich in einem Zustand
deliranter Erregung befunden, hatte fortwährend geredet, mit den
Händen in der Luft herumgegriffen, triebartig aus dem Bett ge¬
drängt usw. Jetzt blieb er ruhig liegen, war etwas benommen, gab
aber auf Anrede noch kurze Antworten, zeigte auch auf w unsen die
Zunge: es war die linke Hand gelähmt, die Finger derselben wurden
nicht bewegt. In der folgenden Nacht und am anderen Tage winde
Patient noch benommener, schon am Morgen wurde beim Ausatmen
die linke Backe vorgeblasen, die eingeflösste Nahrung floss aus dem
linken Mundwinkel wieder heraus. Zuckungen in der linksseitigen
Gesichtsmuskulatur traten auf und rhvthmische Kau- und bchlucK-
bewegungen: die linke Hand war ödematös geschwollen und fühlte
sich kälter an als die rechte, der linke Arm fiel, wenn man ihn er¬
hoben hatte, schlaff herunter: bisweilen wurde er mit schlaff herunter¬
hängender Hand spontan erhaben, in seinen Gelenken fühlt, man bei
passiven Bewegungen einen Widerstand: die unteren Extremitäten
Hessen Bewegungsstörungen nicht erkennen, es verhess der Kranke
einmal von selbst das Bett und legte sich auf Aufforderung allein
wieder nieder: einmal fing er auch spontan an zu srechen: ..Bm von
N. ..Sie haben geschrieben für mich, zeigen §ie mal das vei.se
Papier“ und machte dabei Handbewegungen (rechts) nach dem Note¬
buch des Arztes. Die Pulsfreauenz betrug am Abend 54 Schlage in
der Minute, während He früher nicht verlangsamt gewesen war, die
Körpertemperatur 36.9. während sie am Morgen die Hohe von 37 4
gezeigt hatte: die Atmung bekam einen veränderten lyp. war zen-
weise geräuschvoll, schnarchend, ohne dass man einen regelmassig
Wechsel von flacherem und tieferem Atmen hätte erkennen können:
die Augäpfel waren zeitweise nach rechts, zeitweise auch nach links
gestellt Am dritten Tage war der Kranke vollkommen benommen
und reagierte nicht mehr auf Anrufen: Zuckungen im linksseitigen
Fazialrsgebiet, Kau- und Schluckbewegungen ^sta^5" ,f( °£
zuckten auch die leicht geschlossenen Lider, die Augap el ginge
zeitweise hin und her. der Kopf wurde zeitw se 1 in iR Gh tuschen
Ruckbewegungen nach links gedreht: der ganze linke A’n ,
kälter an als der rechte, nach passiven Bewegungen traten in ihm
leichte Zuckungen auf. aktive Bewegungen
sehen geringe Spannung in dein Gelenken war noch vorhanden, aucn
_ _ ; 1 i n i 3 i>
rfl) VergL diese Wochenschr., 1907, S. 295.
1816
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
das linke Bein wurde jetzt im Gegensatz zu dem rechten nicht mehr
bewegt und war kühler als das rechte; es fand sich beiderseits
Stauungspapille, und rechts waren mehrere kleine Blutungen in der
Nähe der Papille sichtbar; die Pulsfrequenz war wieder auf 72 Schläge
gestiegen, die Körpertemperatur betrug morgens 36,4, abends 37,1.
Am vierten Tage sah Patient verfallen und zyanotisch aus, stöhnte
laut mit halbgeöffnetem Munde, atmete nicht mehr in der oben ge¬
schilderten Weise; der rechte Arm machte vielfach Greifbewegungen,
hielt die Bettdecke fest, zog an derselben usw.; in dem linken Arm
traten nach passiven Bewegungen noch Zuckungen auf, zeitweise
wurde derselbe langsam angehoben, im Uebrigen erschien er ebenso
wie das linke Bein gelähmt; die Zuckungen im linken Fazialisgebiet
waren Tag und Nacht in kurzen Zwischenräumen gehäuft wiederge¬
kehrt, der Kopf wurde krampfartig nach links gedreht; der Urin
wurde nicht mehr gehalten, die Kornealreflexe waren nicht mehr aus¬
lösbar, der Patellarreflex erschien links erloschen, während er hier
anfangs gesteigert gewesen war: auch B a b i n s k i war links vorüber¬
gehend vorhanden gewesen. Am nächsten Tage war die Körper¬
temperatur erhöht, der Puls beschleunigt, der Kranke verfiel, und
es erfolgte der Exitus.
Der apoplektiforme Beginn, mit welchem bei unserem
Kranken der zum Ende führende Zustand einsetzte, konnte über
dessen wahre Natur nicht hinwegtäuschen; die von einem Glied
auf die ganze Körperhälfte gradatim übergreifenden Lähmungs¬
erscheinungen und die sie begleitenden Reizerscheinungen
Hessen ihrem Gesamtcharakter nach den kortikalen Ursprung
und die Art desselben unschwer erkennen, ein raumbeengendes,
der schnellen Zunahme fähiges Moment musste nach allen son¬
stigen Befunden im Schädelinnern plötzlich aufgetreten sein,
wir mussten zur Annahme einer ausgedehnten Blutung über
der rechten Hemisphäre kommen; ein Trauma hatte nicht statt¬
gehabt, es konnte sich nach Lage der Verhältnisse kaum um
etwas anderes handeln, als um ein sogen. Durhämatom; die
. Vorbedingungen für das Auftreten einer Pachymeningitis in¬
terna haemorrhagica waren in der Dementia senilis gegeben,
der Zustand deliranter Erregung, welcher dem Insult voraus¬
gegangen war, konnte die Diagnose nur stützen; die Reiz¬
erscheinungen, welche sich rechts eingestellt hatten, fanden un¬
schwer ihre Erklärung als Erscheinungen sekundärer Art. Bei
Gelegenheit einer klinischen Vorstellung zeigte ich ein altes
Präparat von Durhämatom, an welchem eine erhebliche Im¬
pression der betr. Hemisphäre zu sehen war, und stellte für
den Fall der Sektion einen ähnlichen Befund in Aussicht. Eine
Punktion wurde in Erwägung gezogen, aber aus bestimmten
Gründen nicht ausgeführt. Die Sektion bestätigte unsere An¬
nahme vollkommen, neben einer allgemeinen Pachymeningitis
int. häm. fand sich ein von pachymeningitischen Membranen
gebildeter Sack, welcher fast über die ganze rechte Konvexität
hinreichte, mit teils flüssigem, teils geronnenem Blut gefüllt
war und besonders in der Gegend der vorderen Zentralwindung
und des Stirnhirns eine ausgesprochene Impression zurück¬
gelassen hatte; in der Lunge fanden sich frische pneumo¬
nische Herde, eine allgemeine Arteriosklerose war deutlich.
In mancher Hinsicht anders als in diesem ersten Falle
lagen die Verhältnisse in dem zweiten, über welchen ich be¬
richten wollte.
Es handelte sich hier um eine 60 jährige Frau, die Anfang August
1905 aufgenommen wurde, nachdem sie seit einem Jahre geistige
Veränderungen gezeigt hatte und etwa 14 Tage vorher in einen
Erregungszustand geraten war; mit 46 Jahren hatte sie sich in ihrem
Beruf als Hebamme Syphilis zugezogen und hatte damals eine In¬
jektionskur durchgemacht. Ihre Psychose charakterisierte sich als
eine Dementia senilis, Zeiten bald heftigerer, bald geringerer Er¬
regung wechselten zuerst ab mit schlafsüchtigen Zuständen und
machten allmählich einem im allgemeinen ruhigeren Verhalten Platz;
die Pupillen waren eng und reagierten träge auf Lichteinfall (Licht,
Linse), die Temporales waren geschlängelt, im übrigen bot die stark
gealterte Frau keine erwähnenswerten körperlichen Besonderheiten.
Von Anfang an kehrten Klagen über Schmerzen in der Stirn und im
Hinterkopf immer wieder, und es war eine gewisse Ueberempfindlich-
keit gegen Lärm unverkennbar. Am 22. September 1905 wurde die
Kranke nach einer unruhigeren Nacht auf einmal eigenartig be¬
nommen, sah dabei etwas verfallen aus und zeigte am Abend eine
Körpertemperatur von 39,2 °; sie lag auch am nächsten Morgen be¬
nommen da, reagierte nur langsam auf Anruf, nannte den Arzt wie
früher „Herr Pfarrer“, bejahte die Frage, ob sie Kopfschmerzen habe,
und führte die Hand des Arztes nach ihrer Stirn, sprach sehr undeut¬
lich, so, als wenn sie etwas im Munde hätte, innervierte die Mund¬
muskulatur nur schwach, atmete etwas schwer und blies dabei die
Backen auf, zeigte eine Pulsfrequenz von 90 Schlägen und eine Tem¬
peratur von 38,6°; es nahm die Benommenheit am Vormittag an
Intensität noch zu, sie erkannte aber den Arzt noch, zog auf Nadel¬
stiche die Beine zurück; der linke Fazialis wurde weniger stark
innerviert als der rechte, der Mund war nach rechts verzogen, die
Pupillen waren über mittelweit und reagierten nicht auf Lichteinfall,
die rechte Hand fuhr öfters nach dem Hinterkopf, machte dann wieder
allerhand spielende Bewegungen, in Unruhe befand sich auch das
rechte Bein; der linke Arm war in so fester Beugestellung, dass man
ihn nur unter Kraftaufwand strecken konnte, der Patellarsehnen-
reflex zeigte sich links bis zu starkem Klonus gesteigert. Schlucken
war unmöglich, der Urin ging ins Bett, die Körpertemperatur stieg
auf 38,9, die Benommenheit Hess am Abend etwas nach. Am nächsten
Tage, am 24., zeigte die Kranke zunächst in der Hauptsache dasselbe
Bild, nur war die Differenz in der Fazialisinnervation noch viel deut¬
licher, betrug die Pulsfrequenz bei einer Temperatur von 38 — 39°
nur 60 — 64 Schläge, war die Benommenheit im ganzen etwas in¬
tensiver, am Abend lag Pat. aber vollkommen benommen da,
reagierte weder auf Anruf noch auf Nadelstiche, knirschte mit den
Zähnen; es sahen die Bulbi nach links oben, der linke viel mehr als
der rechte, und machten ständig nystagmusartige Bewegungen, in
allen Aesten des linken Fazialis bestand lebhaftes Zucken, das linke
Augenlid klappte fortwährend auf und zu; es machte jetzt die linke
Hand allerlei Beschäftigungsbewegungen, während der rechte Arm
spastisch gebeugt war und nur einige unwillkürliche langsame
drehende Bewegungen ausführte; die Beine lagen ruhig, der Patellar¬
reflex war beiderseits gesteigert, wenn auch links mehr wie rechts;
nach einiger Zeit trat im linksseitigen Fazialisgebiet an die Stelle
des Zuckens wieder die frühere Schwäche, die Beschäftigungsbewe¬
gungen ergriffen wieder den rechten Arm, und der linke zeigte
wieder Kontrakturen, es war jetzt links Babimski auslösbar; nach und
nach stellte sich vollkommene Ruhe ein, und die Kranke schien ruhig
zu schlafen. Es war dieselbe am anderen Tage wieder viel freier und
munterer, begriisste den Arzt in der alten Weise, klagte über Schmer¬
zen im Hinterkopf: die Antworten erfolgten langsam und so, als wenn
sie etwas im Munde hätte, nach wenigem Sprechen ermüdete sie zu¬
sehends; mit dem Schlucken ging es zuerst gar nicht, später nur
schwer, man sah. wie sie verschiedene Muskelgebiete des Mundes
innervierte, bis ihr schliesslich die richtige Bewegung gelang: die
Pupillen waren wieder ziemlich eng. erschienen lichtstarr, der Patel¬
larreflex zeigte sich links noch weit lebhafter als rechts. Babinski
liess sich nicht mehr auslösen; die Parese im linken Fazialisgebiet
war sehr ausgesnrochen. Arme und Beine waren zunächst frei von
Lähmungs- und Reizerscheinungen, am Abend hing aber der linke
Arm schlaff, während der rechte normale Bewegungen ausführte; die
Körpertemperatur war nicht mehr erhöht. Am Morgen des 26. hatte
Pat. einen ähnlichen Anfall wie am 24. abends, war hinterher noch
eine Zeitlanig benommen, dann aber wieder verhältnismässig sehr
frei; es kehrten im Laufe des Tages noch zwei derartige, nur kurz
währende Insulte wieder, in deren Verlaufe wieder Zuckungen in
den gelähmten Gebieten (linker Fazialis. linker Arm) auftraten: die
Körpertemperatur war nur leicht erhöht (morgens 37,5, abends 37,4).
In der Folge war Pat. nur hier und da leicht benommen und klagte
über Kopfschmerzen, nur gelegentlich zeigte sie leichte Temperatur¬
steigerungen: die Lähmungserscheinimgen schwanden schnell, nur
war Pat. sehr oft nass und öfters auch mit Stuhl unrein; die Patellar-
sehnenreflexe waren nicht mehr gesteigert, erschienen gelegentlich
different in ihrer Stärke, trotz verhältnismässig leidlicher Rüstigkeit
taumelte Pat. beim Gehen und drohte zu fallen. Am 19. Oktober war
sie abends wieder stärker benommen (Temperatur: 37,8°), hatte
Schmerzen im Hinterkopf; am 20. drehte sie morgens den Kopf
öfters hin und her. geriet am Vormittag in einen Zustand von Be¬
nommenheit, in welchem sie wie eine Träumende dalag und auf alle
Fragen nur schwerfällig mit ja antwortete; es drehte sich der Kopf
fortwährend von einer Seite zur anderen, die Extremitäten machten
ständig Beschäftigungsbewegungen, auch die Gesichtsmuskulatur be¬
fand sich in fortwährender unwillkürlicher Bewegung, das Gesicht
erschien bald verzerrt, bald grimassierend., selbst der Ausdruck
starren Lachens trat zutage; bei passiven Bewegungen geriet die
Muskulatur überall in Spannung, das Schlucken war erschwert, die
Pupillen waren eng und lichtstarr: nach etwa 2 — 3 Stunden Hessen
die Reizerscheinungen allmählich nach, die Benommenheit blieb für
den Tag bestehen; der Puls hatte am Abend bei einer Temperatur
von 37,9° eine Freauenz von 60 — 64 Schlägen, während diese vorher
im Durchschnitt 90 betragen hatte. Nachdem sich dann in den näch¬
sten Tagen etwas Besonderes nicht ereignet hatte, stellten sich
am 24. die am 20. in die Erscheinung getretenen Reizsvmptome von
neuem ein, es blieb aber dieses Mal die Benommenheit
aus, und während Extremitäten. Nacken, Gesicht in ständiger Be¬
wegung-;;. /aren, beantwortete Pat. Fragen sinngemäss, fiel, als der
Arzt die Oberpflegerin nach der Temperatur fragte, einmal selbst
mit der richtigen Auskunft ein (morgens: 36,5°. abends: 39.2°). An
den beiden folgenden Tagen klagte sie über starke Nackenschmerzen,
hielt den Nacken aber nicht steif; die Temperatur war abends er¬
heblich gesteigert, der Puls wurde kleiner, zeigte bei 39,2°
110 Schläge. Von dem 27. ab war die Kranke dann tief benommen
und reagierte nicht mehr auf Anruf: die Muskulatur war in hohem
Grade hvpertonisch, der Patellarreflex nicht auszulösen, der Fuss-
sohlenreflex indessen noch sehr lebhaft, öfters zeigten sich spielende
Bewegungen in den Fingern und Zehen; katarrhalische Erscheinungen
wurden über den Lungen bemerkbar, das Schlucken ging immer
schlechter, die Temperatur war andauernd erhöht, der Puls stark be
schleunigt; es begann Trachealrasseln, und am 31. Oktobei 19 d
erf0' Aufiafl en^mussten in diesem Falle von vorneherein die
ständigen Klagen der Kranken über Kopfschmerz und d e
Ueberempfindlichkeit der senil Dementen gegen Lärm; die bald
leichtere, bald tiefere Benommenheit, die Reiz- und Lahmungs-
erscheinungen, welche sich dann anfallsweise oder, wenn man
will, schubweise einstellten, waren ihrer Eigenart, ihrem Qe-
samtcharakter nach durch die Annahme seniler Hirnverande-
, ungen nicht zu erklären; dass es sich nur um kortikal bedingte
Störungen handeln konnte, lag auf der Hand, bei dei Flüchtig¬
keit dem wechselvollen Verhalten der Erscheinungen musste
der’ Reiz ein oberflächlicher und ausgedehnter zugleich sein,
die — gelegentlich weitestgehende — Inkongruenz zwischen
motorischen Störungen und Bewusstseinsveränderungen wies
darauf hin, dass sich das reizabgebende Moment wohl ausser-
halbe der Rinde befinden musste; die Fieberattacken konnten
der bei dem Vorliegen einer Dementia senilis sich auf d langen-
den Annahme einer ausgedehnten Pachymemng.tis hamorrh.
int nur zur Stütze dienen; nicht unwichtig erschienen u a.
auch das wechselvolle Verhalten des Pulses, das Taumeln,
welches Pat. bei verhältnismässig gutem Befinden zu zeigen
begann. - Die Leichenöffnung (es wurde nur die Hirnsektion
gestattet) bestätigte unsere Annahme m jeder Hinsicht ' es and
sich eine ausgebreitete Pachymemngitis mt. hamorrh., über
beiden Hemisphären bildeten schichtweise angeordnete pachy-
menSt che Membranen eine mit leichten teils älteren, teils
frischeren Blutungen durchsetzte Kappe; das Gehirn war in
töto atropldsch, die Gefässe zeigten arteriosklerotische Ver-
ändTu? dien'Erschein„ugen, welche unsere Kranken boten noch
im einzelnen einzugehen, verzichte ich, unsere diffeicntial-
diaenostischen Erwägungen im einzelnen wiederzugeben, habe
ich unterlassen, weil ihre Erörterung Erhebliches kaum er¬
geben hätte.
Zur Pathogenese der Hirschsprung sehen Krankheit.
Von Dr. Eugen Neter in Mannheim.
Trotz der mannigfachen Modifikationen, .welche die Be¬
zeichnung „Hirschsprung sehe Krankheit in den letzten
Jahren erfahren hat, kann diese Affektion doch kurz dahin defi¬
niert werden: Es handelt sich um eine im frühesten Kindesalter,
meist gleich schon in den ersten Lebenstagen auftretende Stuhl¬
verstopfung, die ausserordentlich hartnäckig ist, nicht selten
Sal endigt, aber in einer Reihe von Fällen einen günstigen
Ausgang nimmt. Anatomisch handelt es sich ste.s um eine
starke Dilatation des unteren Kolonabschnittes, hauptsächlich
des S romanum, gleichzeitig auch, in der Mehrzahl der zui
Sektion gekommenen Fälle, um eine abnorme Verlängerung
der KeXAnsichten‘üeber das Wesen der Hirschsprungschen
Krankheit sind sehr verschieden; und es scheint in du la
recht schwierig, die in der Literatur als H 1 r s c h s p 1 u n g -
sehe Krankheit beschriebenen Fälle in ein und demselben pa-
• thogenetischen Sinne zu deuten. Hirsch s p r u n g hatte an¬
genommen, dass die Dilatation (und Hypertrophie) des S ro-
manum angeboren sei; eine Reihe von Autoren hjbenwrter
noch diese Ansicht geteilt. Andere Beobachtei glaubten, in
einer kongenitalen Ektasie des unteren Kolontedes mit Aplasie
der Muskulatur, wieder andere in einer idiopathischen Dila
tation des Kolon oder in einem durch mangelhafte Innervation
hervorgerufenen schwachen Tonus der an sich nor™a1^ . "
darmmuskulatur das Primäre der vorheg enden Aktion zu
erblicken. In einer 1901 erschienenen Arbeit ) hatte ich die
besonders von Marfan vertretene Anschauung zu begnin de
versucht, die dahin geht, in einer abnormen Lange der Flexura
sigmoidea die wesentlichste Ursache zur Entwicklung der
Hirschsprungschen Krankheit zu erkennen die damals
angefügten Schlussfolgerungen lauteten: 1 Bei Ne^e^Pre”en
zeigt die Flexura sigmoidea eine im Verhältnis zu der des Er¬
wachsenen grössere Länge; diese infantile hinge ,ze g
nicht selten mehr oder weniger reichliche Schhngenbildung,
0 Arch. f. Kinderheilk., Bd. 32. — _ -
No. 37.
die ohne pathologisch-klinische Erscheinungen bestehen kann.
2 Es gibt eine angeborene abnorme Vergrösserung des
S romanum in seiner Längenausdehnung, gleichsam eine
Uebertreibung des infantilen Zustandes. Diese pathologische
Beschaffenheit der Flexur (im Verein mit gleichzeitiger Schlin-
genbildung, sekundärer Dilatation und dadurch oft \ciui-
sachte relative Stenose) kann nur Veranlassung zu den
Symptomen der Hirschsprungschen Krankheit geben
Es bedarf zur Erklärung des ganzen Bildes der Erkrankung und
des pathologisch-anatomischen Befundes nicht dei gleich¬
zeitigen Annahme eines kongenitalen Ursprungs der Dilatation
und Hypertrophie. v , , .,
3 Es wäre somit die H i r s c h s p r u n g sehe Krankheit
pathologisch-anatomisch als eine angeborene Verlängerung des
untersten Dickdarmabschnittes, insbesondere der Flexura sig¬
moidea zu präzisieren.
Die seitdem erschienenen zahlreichen Arbeiten haben
keinerlei Beweis für einen kongenitalen Ursprung der Dilatation
des Kolons erbringen können; fast ausnahmslos bestätigen sie
direkt oder indirekt die Auffassung von Marfan; einige ganz
wenige der beschriebenen Fälle bedürfen allerdings einer
anderen Erklärung. . .... .. , ,.
In meiner oben zitierten Arbeit hatte ich ausführlich die
Verschiedenheit besprochen, die zwischen den anatomischen
Verhältnissen der kindlichen Flexur und den beim Erwachsenen
bestehen. Als die drei wichtigsten Momente wurden hierbei
betont- Die grössere relative Länge des Dickdarms, insbe¬
sondere des S romanum, das lange Mesosigmoideum, welches
der Flexur eine ausgiebige Beweglichkeit gestattet, und die
im Kindesalter etwas ungünstigeren Raumverhaltnisse des
Beckens und der ganzen Bauchhöhle. Das Zusammenwirken
dieser drei Faktoren lässt es begreifen, wenn gerade im Saug-
lingsalter, wo sie am ausgesprochensten bestehen, eine auf¬
fallende Neigung zu Stuhlträgheit so häufig beobachtet wird.
Kommt nun zu diesen physiologischen Bedingungen noch eine
pathologische Veränderung im Sinne einer Uebertreibung jet e
an sich normalen Eigenschaften der kindlichen Flexur hinzu,
so resultiert ein Zustand, der an sich schon oder erstach das
Hinzutreten noch äusserer, zum Teil uns bekannter Schädlich¬
keiten (Entwöhnung von der Brust, unzweckmassige Nahrung
etc.) das Symptomenbild der Hirschsprung sehen Krank¬
heit zeigen kann. Liegt hierbei dann den anfänglichen klini¬
schen Erscheinungen noch nicht das volle anatomische Bild de
Hirschsprungschen Krankheit zu Grunde, fehlt zi e
sicherlich fast stets die Dilatation und Hypertrophie so ent¬
wickeln sich diese mehr oder weniger rasch wahrend des Be
Stehens der krankhaften Vorgänge in der leicht verständlichen
sekundären Weise. „
Bei dieser Auffassung der Pathogenese lasst sich nun eine
scharfe klinische Scheidung der schweren Formen von kind¬
licher Obstipation — soweit keine bestimmte anderweitige
organische Veränderung, eine Striktur u. a. vorhegt — nicht
leicht ausführen, ebenso wie ja auch die anatomischen Grund¬
lagen Uebergänge zeigen von der eben noch physiologischen
Gestalt der Flexur hinüber bis zu den schwersten Formen
der Kolondilatation. Und wir müssen ferner annehmen, dass
pathologische Abweichungen in den Verhältnissen des S roma-
n um bestehen können, ohne dass sie klinische Erscheinungen
hervorzurufen brauchen. Die Literatur weist eine Reihe von
Fällen auf, wo erst spät, im 2. Lebenshalbjahr, plötzlich die
Symptome der Hirschsprung sehen Krankheit eingesetzt
haben und der anatomische Befund es rätselhaft erscheinen
Hess, dass nicht schon früher krankhafte Symptome aufgetreten
WareAnis Assistent am Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus in
Berlin (Prof. Baginsky) hatte ich Gelegenheit, an einem sein
grossen Sektionsmaterial die topographischen Verhältnisse des
Dickdarms zu untersuchen. Und ich konnte hier die zuti eff en¬
den Worte von Engel nur bestätigen: „Es gibt von du
Oberbauchgegend angefangen keine Stelle der Bauchhöhle, wo
man die Flexur nicht antreffen kann“; gleichzeitig uberzeug c
ich mich von der so häufigen Schlingenbildung der kindliche
Flexur und von ihrer grösseren Beweglichkeit, ermöglicht d u
das lange, freie Mesosigmoideum. Oft reichte das S romanum
mit der Kuppe einer seiner Schlingen hinauf bis zur Lebu,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
sehr häufig lag die Flexur mit ihrer grössten Partie in der rech¬
ten Fossa iliaca ; nur selten verlief sie, vom Colon descendens
beginnend, direkt hinab zum Becken, um dort ins Rektum über¬
zugehen, sondern kehrte meist' mit einer oder mehreren Schlin¬
gen wieder nach oben zurück. Durch Messungen hatte ich
weiter die bereits mehrfach beschriebene (relativ) grössere
Länge des Dickdarms beim Rinde gegenüber der beim Er¬
wachsenen nachwcisen können.
Diese anatomischen Untersuchungen hatten mich in meiner
Auffassung bestärkt, dass die Länge und Form der kindlichen
Flexur wohl die wichtigste Rolle in der Aetiologie der
Hirschsprung sehen Krankheit spielen ; sie gaben mir
auch eine Erklärung dafür, wie bei frühzeitiger und geeigneter
Therapie die krankhaften Erscheinungen allmählich schwinden,
und lediglich dadurch, dass die spezifisch infantilen Verhältnisse
der Flexur den günstigeren des Erwachsenen weichen.
Im folgenden möchte ich über einen Fall berichten, der
einen Uebergang zu bilden scheint zwischen den einfacheren
Formen hartnäckiger Obstipation und dem typischen Bild der
Hirschsprung sehen Krankheit.
Fritz P., Beamtenskin,d, 9 Monate alt. Anamnese ohne Belang.
Ernährung mit der Flasche (Kindermehl). Noch nicht krank gewesen;
Stuhlgang stets regelmässig.
3. II. 06. Seit 1-4 Tagen absolute Stuhlverhaltung (trotz ärzt¬
licher Behandlung). Aenderung der Nahrung, Drastika und Einläufe
ohne Erfolg. Leib stark angeschwollen. Seit gestern Laryngo-
spasmen und Konvulsionen. Kein Erbrechen. Keine Urinverhaltung.
Die Untersuchung ergab folgenden Befund: Normal grosser, leidlich
gut genährter Säugling; schwer krankes Aussehen. Leichte, allge¬
meine Konvulsionen. Kraniotabes; Fontanelle 3X21/ b cm. Ge¬
ringer Rosenkranz. Mundhöhle, Brustorgane ohne Abweichungen.
Abdomen sehr stark aufgetrieben; grösster Umfang (oberhalb
des Nabels) 57 cm; Venenzeichnung der prall gespannten Bauchhaut.
Palpation wegen des sehr beträchtlichen Meteorismus unmöglich. Die
Perkussion Hess folgende Dämpfung erkennen: Die obere Begrenzung
der absoluten Dämpfung reicht fast bis zum rechtsseitigen Rippen¬
bogen und ist nach oben konvex; in breiter Zone zieht sich die
Dämpfung nach abwärts, leicht schräg gegen die Medianlinie zu,
überschreitet mit ihrer linksseitigen Begrenzung diese in Nabelhöhe
und wendet sich dann gegen die linke Fossa iliaca zu; in der Unter¬
bauchgegend reicht die Dämpfung, die sich hier wesentlich ver¬
breitert, ziemlich weit auch nach rechts über die Mittellinie hinaus.
Abdomen nicht druckempfindlich; kein Aszites nachweisbar. Im
Rektum lässt sich bei digitaler Palpation nichts Pathologisches fest¬
stellen; Mastdarm frei von Fäzes. Eine Magensonde dringt 30 bis
40 cm hoch ins Kolon hinauf, ohne auf Widerstand (im Sinne einer
Stenose oder Knickung) zu stossen. Bei der Oeleingiessung läuft die
Flüssigkeit nicht abnorm rasch ab; auch keine auffallend grosse
Menge. Die Diagnose musste in suspenso gelassen werden; die
Dämpfung wurde als Kottumor gedeutet, wahrscheinlich bedingt
durch das prall gefüllte, lange S romanum.
Die Therapie beschränkte sich auf sofortiges Aussetzen der
Milch (bes. mit Rücksicht auf den Laryngospasmus) und hohe, reich¬
liche Oeleinläufe; innerlich wurde Karlsbader Wasser verabreicht.
Erst bei der 3. Oeleingiessung wurden geringe Mengen von dünnem,
stinkendem Stuhl entleert. Flatus gingen schon beim Einführen der
langen Sonde ab.
4. II. Laryngospasmen, Konvulsionen sind seit gestern nicht
mehr aufgetreten. Kind trinkt wieder besser.
Abdomen noch gross, aber weich. Deutliche Peristaltik. Im Be¬
reich der gestern nachgewiesenen Dämpfung fühlt man heute einen,
selbst mit dem Auge schon abgrenzbaren Tumor, dessen Kuppe nach
oben konvex ist. Die Resistenz ist hart, nicht fluktuierend, wenig
beweglich und bei Lagewechsel nicht verschieblich. Der Tumor ist
sehr leicht abzutasten und lässt sich nach abwärts bis gegen das
kleine Becken zu deutlich verfolgen.
19. II. Trotz 14 tägiger Behandlung mit Laxantien und Ein¬
läufen keine wesentliche Veränderung des Zustandes. Abgang von
viel Flatus, doch von nur sehr spärlichen, harten Fäzes. ' Der ab¬
dominale Befund ist derselbe, die Resistenz unverändert. Allgemein¬
befinden hat sich nicht verschlimmert. Ein hinzugezogener Chirurg
schlägt die Operation vor.
18. III Seit dem 19. II. hatte ich das Kind nicht mehr gesehen.
Das Krankheitsbild hat sich unterdessen ganz verändert. Nach Aus¬
sage der Mutter blieb zuerst der Zustand unverändert; die Mutter
machte täglich mehrere Wasse’Feinläufe, «die fast immer ohne Fäzes-
beimischungen blieben; hingegen gingen beim Einführen des Gummi¬
rohrs stets sehr viel Flatus ab; digital oder mit der Haarnadel ent¬
fernte die Mutter die ins Rektum eingetretenen Kotstiicke Es er¬
folgten nun bald spontan Entleerungen, wie die Frau meinte von ganz
unglaublich grossen Kotmassen, die nicht verbrannt ausgesehen haben
sollen, beit über 8 lagen regelmässig täglich Stuhlgang.
Befund am 18. 111: Allgemeinzustand wesentlich besser. Ab¬
domen weich, noch etwas gross. Weder die Perkussion noch die Pal¬
pation ergibt einen von der Norm abweichenden Befund.
Seitdem hatte ich öfters Gelegenheit, den kleinen Patienten zu
untersuchen; zuletzt am 6. VI. 1907. Der Knabe hatte sich sehr gut
entwickelt, lief mit s/ 4 .lahren und zeigte niemals mehr eine Ver¬
dauungsstörung im Sinne einer Stuhlträgheit.
Die epikritische Betrachtung des geschilderten Falles lässt
wohl kaum eine andere Deutung des Befundes zu als die ge¬
gebene. Der ausgedehnte Tumor muss als die mit Fäkalmassen
angefüllte Flexura sigmeidea aufgefasst werden. Das, was
der vorliegenden Beobachtung ein gewisses Interesse verleiht,
ist der eigentümliche Verlauf der Erkrankung. Bei einem Säug¬
ling, der nie an Stuhlverstopfung gelitten, tritt plötzlich — im
10. Lebensmonate — eine 6 Wochen lang andauernde, fast
absolute Obstipation auf, nach deren Verschwinden die Ver¬
dauung wieder — seit nun über einem Jahr — völlig normales
Verhalten zeigt.
Aetiologisch kann — auf Grund des objektiven Befundes —
nichts anderes in Betracht kommen als die in der nach¬
gewiesenen grossen Länge und nicht gewöhnlichen Lagerung
des S romanum gegebene Disposition zu Stuhlverhaltung.
Diese in den anatomischen Verhältnissen bedingte Neigung zu
Obstipation kann bestehen, ohne klinische Erscheinungen her¬
vorzurufen; in meiner früheren Arbeit habe ich gerade dieses
Moment ausführlich besprochen und darauf hingewiesen, wie
durch das Hinzutreten auslösender Faktoren eine bis dahin
latent gebliebene Abnormität der Flexur plötzlich pathologische
Symptome hervorzurufen vermag. Ich hatte damals eine
eigene Beobachtung bei einem 2X> jährigen Kind beschrieben,
das erst bei der Entwöhnung — im 9. Monat — zum ersten Mal
Erscheinungen der Obstipation zeigte und sehr bald die typi¬
schen Symptome der Hirschsprung sehen Krankheit auf¬
wies; in diesem Falle war die Aenderung in der Ernährung das
auslösende Moment.
Der Verlauf der Affektion in unserem vorliegenden Falle
ist ein etwas ungewöhnlicher; so ausserordentlich schwer und
hartnäckig die Stuhlverhaltung sich zeigte — die weitere, über
ein Jahr hinaus sich ausdehnende Beobachtung berechtigt dazu,
von einer völligen Heilung zu sprechen. Eine solche hat des¬
halb nichts überraschendes, weil es sich bei unserem kleinen
Patienten um eine wesentliche (sekundäre) Dilatation des
S romanum nicht handeln konnte; die Therapie hatte sehr früh¬
zeitig eingesetzt und durch Beseitigung des akuten Obstipa¬
tionsanfalles das Entstehen einer Ektasie der Flexur hintan¬
gehalten.
Die sehr wichtige Frage, was als auslösende Ursache die
bis dahin latent gebliebene abnorme Länge und Lagerung des
S romanum nun plötzlich so bedrohliche Erscheinungen hervor-
rufen liess, kann leider nicht beantwortet werden. Die objek¬
tive Untersuchung gab keinen Anhaltspunkt nach dieser Rich¬
tung hin. Bei den meisten bisher beschriebenen ähnlichen Fäl¬
len handelte es sich um eine relative Stenose, in der Regel an
jener Stelle, wo die Flexur in das Rektum übergeht; eine
solche Stenose kommt sehr leicht dadurch zustande, dass eine
von den Schlingen des S romanum ins kleine Becken hinab¬
sinkt, mit Fäzesmassen sich anfüllt und entweder sich nun nicht
mehr leicht aufzurichten vermag oder auf das Rektum drückt
und dieses verengert. Solche Stenosen lassen sich meist nicht
unschwer feststellen. Bei unserem Falle konnte eine solche
relative Stenose nicht nachgewiesen werden; und doch musste
etwas Aehnliches Vorgelegen haben. Wie solche Störungen in
der Passage vom Darm selber überwunden werden können,
also das Hindernis spontan beseitigt werden und dann der
Stuhlgang wieder regelmässig erfolgen kann, habe ich früher
bereits ausführlich dargelegt. Um eine solche Spontanheilung
handelt es sich auch in dem beschriebenen Falle; die an¬
gewandte I herapie kam wohl nur unterstützend — aber
immerhin unumgänglich notwendig — hinzu.
Wenn ich das Gesagte noch einmal kurz zusammenfasse,
möchte ich das Bemerkenswerte an unserer Beobachtung
darin erklicken, dass es sich hier wohl nur um eine abnorme
Verlängerung und Verlagerung der Flexura sigmoidea ohne
nennenswerte Dilatation handelte; vielleicht gibt dieser Fall
eine weitere Stütze ab für jene Auffassung ^des Hirsch-
s p r u n g sehen Knankheitsbildes, nach welcher das Wesentliche
dieser Affektion in einer abnormen Verlängerung des S roma¬
num zu erkennen, und die Dilatation (und Hypertrophie) als se¬
kundäre (nicht kongenitale) Veränderung zu betrachten ist.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1819
iü. September 1907.
Eine neue Methode der Bubonenbehandlung.
Von Dr. Gustav Fei gl, k. k. Polizeiarzt in Prag.
Vereiterte Bubonen behandeln wir bisher operativ; daran
werden wohl auch die neueren Methoden der Behandlung mit
Saugapparaten nicht viel ändern.
Der ursprünglichste und zugleich radikalste Eingriff ist die
Exkochleation der vereiterten Drüsenmassen, bei strumösen
Bubonen die Exstirpation aller affizierten Drüsen. Selbstver¬
ständlich lässt sich der letztgenannte Eingriff nur in Narkose
und im Krankenhause (Sanatorium) vornehmen; ist ja doch
schon die blosse Exkochleation sehr schmerzhaft. Ausserdem
geschieht es sehr häufig, dass im Verlaufe der postoperativen
Behandlung sich tiefe Fistelgänge entwickeln, derentwegen
der Operateur wiederholt chirurgisch eingreifen muss.
Ziehen wir nun die zahlreichen Uebelstände einer grösseren
Operation in Erwägung — bei einer Erkrankung, die häufig
junge und event. auf ihren Erwerb angewiesene Leute betrifft,
welche überdies diese Affektion gern vor ihrer Umgebung ge¬
heim halten möchten — , d. i. die lange Dauer der postopera¬
tiven Behandlung (6 — 10 Wochen), Aufenthalt im Spital, Bett-
ruhe (2 — 5 Wochen), Erwerbsverlust, und nicht zuletzt die in¬
diskrete grosse verdickte Narbe, dann begreifen wir, warum
in den letzten Jahren so viel neue Vorschläge zur Behandlung
der Bubonen erstattet wurden.
W eiander empfahl Injektionen mit Hg benzoicum;
Ph. J. Pick benützte seinerzeit eine Modifikation dieser Me¬
thode. Später erfreute sich auch auf der Klinik des Professor
Janovsky in Prag einer grossen Beliebtheit die allgemein
geübte Methode nach Prof. Lang mit 1 proz. AgNOs. Ein
guter Erfolg war jedoch damit nur bei kleineren Bubonen zu
erreichen. Oft mussten wir an eine event. zweiwöchentliche
Behandlung nach Lang Diszission und Erkochleation der
Drüsen anschliessen. W a e 1 s c h injizierte mit gutem Erfolge
0,6—5 proz. NaCl in ausgesuchten Fällen. G r ü n f e 1 d emp¬
fahl das Aufsaugen der vereiterten Drüsenmassen mit einer
nach P r a v a z konstruierten Spritze und neuerdings werden
die Bi ersehen Saugapparate in Verwendung gezogen; mit
welchem Erfolge, ist mir nicht bekannt.
Auch ich stellte Versuche an, in der Absicht, den opera¬
tiven Eingriff hauptsächlich bei grossen s t r u m ö s e n
Bubonen zu vereinfachen und dadurch in die Möglichkeit ver¬
setzt zu werden, ohne Assistenz und ohne Narkose in der
Ordination solcher Fälle ambulatorisch behandeln zu können;
ich versuchte, von der Methode Prof. Längs ausgehend, ver¬
schiedene Modifikationen. Bei meinen ersten Fällen machte
ich kleine Inzisionen und injizierte AgN03 oder spülte die
Wundhöhle mit Sublimat aus und tamponierte mit Airol- oder
Jodoformgaze. Später machte ich Spülungen mit 2 proz.
wässerigem Lysol und tamponierte mit Hydrophilstreifen, die
mit 2 proz. Lysol durchtränkt waren, mit auffallend besserem
Erfolge.
Da ich mich bei gewissen Fällen, abgesehen von der
starken antiseptischen Wirkung des Formalins, von einer Art
„Fernwirkung“ desselben auf entzündete, entfernter liegende
Partien überzeugt hatte, zog ich dasselbe in Verbindung mit
Lysol in Verwendung.
Bei meinen letzten 4 auffallend grossen stru¬
mösen Bubonen ging ich nun folgendermassen vor: Ich be¬
handelte die Drüsenschwellung in gewöhnlicher Weise mit
essigsauren Tonerdepackungen so lange, bis ich mit Sicheiheit
im Tumor eine erweichte, auffallend schmerzhafte, eindrück-
bare Stelle, also kurz vereiterte Partie, nachweisen konnte;
nun wartete ich nicht etwa, bis die Fluktuation eine grösseie
Ausdehnung erreichte oder bis die bedeckende Haut entzünd¬
lich rot sich verändert oder gar schon verdünnt haben würde.
Bei Vorhandensein mehrerer auf Eiter verdächtiger Drüsen¬
partien wählte ich trotzdem nur eine, womöglich zentral
gelegene, zur Inzision. Nach vorausgegangener Reinigung des
Terrains machte ich mit dem Bistouri eine Inzision in die er¬
weichte Drüsenpartie, parallel zum P o u p a r t sehen Bande;
den Einstich erweiterte ich rasch auf 8—10 mm Länge. Mit
einem kleinen Löffel, der eben durch die Wimdöffnung durch¬
ging, setzte ich die erweichten, vereiterten Massen in Be¬
wegung, liess sie teils abfliessen, teils hob ich sie mit dem In¬
strument heraus, jedoch ohne zu schaben; gleichzeitig orien¬
tierte ich mich über die Ausdehnung der Wundhöhle und über
eventuell vorhandene tiefe Taschen. Die Blutung war immer
minimal. Darauf spülte ich mit einer 100 g fassenden Wund-
spritze unter stärkerem Druck die Wundhöhle mit 2 proz.
wässeriger Lysollösung aus, drückte nachher den in der Höhle
zurückgebliebenen Flüssigkeitsrest leicht ohne Gewaltanwen¬
dung aus und tamponierte nun nicht gar zu fest (aber bis an
den Boden der Höhlung) mit einem nassen schmalen (ca.
3 — 4 cm breiten) Gazestreifen, den ich tüchtig durchtränkt hatte
mit einer Lösung von Lysolformalin folgender Zusammen¬
setzung:
50 g wässerige 2 proz. Lysollösung (Orig. Raupenstrauch),
6—8 — 10 Tropfen konzentriertes Formalin (40 proz.).
Auf die Wunde legte ich einen trockenen Gazebauschen,
sodann eine Lage feuchter essigsaurer Tonerdewatte, Billroth-
battist und einen gewöhnlichen Calicotverband.
Die Operation selbst dauert höchstens- 2 — 3 Minuten; die
Inzision nahm ich in Lokalanästhesie mit Aethylenchlorid vor;
die Einführung des Löffels ist wohl etwas schmerzhaft, aber
bei der Kürze des Eingriffes erträglich. Auch die Tamponade
mit Lysolformalin ist etwas schmerzhaft, doch dauert das
Brennen in der Wunde nur 2- — 3 Minuten. Die Blutung hört
darnach fast sofort auf.
Der Verbandwechsel muss in der 1. Woche täglich statt¬
finden, da sonst Druckschmerzen in der Wunde auftreten; in
der 2. Woche jeden 2. Tag, in der 3. Woche jeden 3. Tag.
Gleich beim ersten Verbandwechsel konnte ich immer das
Fehlen jeglicher stärkerer Eiterung Konstatieren und nur eine
sehr geringe Menge blutig tingierten, dicklichen Wundsekretes;
Beim zweiten Verbandwechsel war selbst dieser nur minimal
nachweisbar und die Wundhöhle bot ein auffallend reines,
trockenes Aussehen. Die affizierten Drüsen, vordem so emp¬
findlich und schmerzhaft, teilweise auch schon erweicht, ver¬
kleinerten sich äusserst rasch, wurden selbst gegen kräftigen
Druck unempfindlich; die über ihnen befindliche Hautdecke,
vordem livid gerötet und geschwollen, bekam sehr bald ihr
natürliches Aussehen wieder. Die Wundgranulation war sehr
energisch, so dass in meinen Fällen, bei welchen sehr geräumige
Wundhöhlen vorhanden waren, die Ausheilung in 3 Wochen
vollendet war.
Diese Methode wandte ich ausser bei 2 kleineren Bubonen
auch bei 4 grossen strumösen an, welch letztere ich kurz in
folgendem beschreiben will. Dieses Verfahren führte ich kon¬
sequent durch ohne Rücksicht auf die Grösse des
Tumors, auf eine grössere Anzahl von Er w e i c h -
ungsli erden und ohne Rücksicht auf Fistel¬
gänge. Alle diese Patienten wurden ambulatorisch in der
Ordinationsstunde operiert, pflegten auch nicht einen Tag der
Bettruhe und unterbrachen nicht ihren Erwerb, trotzdem unter
ihnen ein Monteur und ein Feldwebel war.
I. 32 jähr. Rechnungsfeldwebel. Ulcera mollia, Bubo strumosus
lat. sin. von Faustgrösse, mit Drüsenschwellung über und unter
dem P o u p a r t sehen Bande (femoral). Zentral ist die livid-rot ge¬
färbte Haut verdünnt und an einigen Stellen fistulös mit eitrigem Aus¬
flusse. Temperatur 38°. (Patient behandelte sich durch 3 Wochen
selbst.) Die Fistelöffnungen vereinigte ich durch einen ovalen
Schnitt, wodurch ein Hautdefekt von Kronengrösse entstand; den
eitrigen Detritus entfernte ich, ohne Gewalt anzuwenden, mit dem
Löffel; im Wundhöhlengrunde fand ich einige in die Tiefe führende
Fistelgänge. Ausspülung der Wundhöhle und Tamponade mit Lysol¬
formalinstreifen. Dies geschah am 1. V. 05. Täglicher Verband¬
wechsel. Am 7. V. akutes Ekzem rings um die Wunde; mit Dymal¬
pulver eingestreut. 11. V. Das Ekzem geheilt. Verbandwechsel alle
2 Tage, später alle 3 Tage. 23. V. Die Wundhöhle duich granu¬
liertes Gewebe ausgefüllt, die umgebenden Drüsenschwellungen ge¬
schwunden; der Hautdefekt verkleinert; die Wundränder mit Lapis
bestrichen. 27. V. kam der Patient zum letzten Male. Der Defekt
gut epidermisierend. Pflasterverband.
II. 25 jähriger Monteur und Kupferschmied. Ulcus molle Bubo
strum. lat. sin. von Faustgrösse. Operation 15. IV. 06. 22. IV. Die
Wundhöhle um 2U verkleinert, keine Sekretion, die umgebenden in¬
filtrierten und schmerzhaften Drüsen grösstenteils geschwunden. Am
selben Tage, d. i. 1 Woche nach der Operation, musste Pat. auts Land
verreisen, wo er Montierungsarbeiten durchzuführen hatte. Et
wurde von mir unterrichtet, die WTndhöhle mit Airolgaze zu tam¬
ponieren. Am 4. V. stellte er sich wieder vor. Die W undhöhle aus¬
granuliert; Die etwas klaffenden verdickten Wundränder betupfte len
mit Lapis. Wie er mir schriftlich mitteilte, ist auch die W unde bald
darauf verheilt.
J820
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
III. 21 jähr. Jurist. Ulcus molle (6 Wochen dauernd). Bubo
strumos. lat. dextri von mehr als Faustgrösse über und unter dem
Po upart sehen Bande. Der Schanker heilte in 1 Woche, während
welcher Zeit Pat. Umschläge auf den Drüsentumor machte.
5. XII. 06. Operation. Eine einzige Inzision zentral über dem
P o u p a r t sehen Bande, obzwar auch die femoralen Drüsen affiziert
und zum Teil erweicht waren. Die Wundhöhle hatte eine Tiefe von
ca. 8 cm. 11. XII. Die Drüsen in der Umgebung der Wunde grössten¬
teils geschwunden, die Wundhöhle um verkleinert, keine Se¬
kretion. Verbandwechsel nunmehr alle 2 Tage, Burowverband weg¬
gelassen. 17. XII. Statt Lysolformalineinlage trockene Airolgaze.
21. XII. Die Wundhöhle durch neugebildetes Gewebe ausgefüllt, die
etwas klaffenden, verdickten, ca. 7 mm langen Wundränder mit Lapis
bestrichen. 23. XII. Die Wundränder verklebt, keine Infiltration der
Drüsen. Patient verreiste nach Hause. Wie ich nach dem Neuen
Jahre persönlich von ihm erfuhr, war die völlige Heilung einige
Tage nach seinem letzten Besuch erfolgt.
IV. 27 jähr. Privatbeamter. 25. IV. 07. stellte er sich vor mit
doppelseitigem (fast bis zur Höhe des Darmbeinkammes
reichenden) weit über Faustgrösse fassendem Bubo strumos.
(auch femorale Drüsen betreffend). Die Haut rotglänzend, die Drüsen
zum Teil erweicht, zentral beiderseits eine eingeschmolzene Drüsen¬
partie von Kronengrösse mit verdünnter Hautdecke. Die Driisen-
tumoren dauerten 7 Wochen. Pat. war so lange in Berlin mit
Jodkali innerlich und Jodvasogen behandelt worden (Pat. ist syphi¬
litisch). Grosse Schmerzhaftigkeit, Fieber; Pat. stark herunterge¬
kommen. 26. IV. Operation auf beiden Seiten. Blosse Inzision, rechts
etwas grösser (10mm), links ca. 8mm. Der Eiter floss spontan ab;
tiefliegendere Reste wurden ohne Gewalt mit dem Löffel ent¬
fernt; tiefe lange Fistelgänge nachweisbar, Lysolausspülung, Lysol¬
formalintampon. Täglicher Verbandwechsel bis 2. V. Die Wund¬
höhlen bedeutend verkleinert. Fistelgänge in der Tiefe noch vor¬
handen. Keine Sekretion. Die Wandungen trocken, rein: an ein¬
zelnen Stellen werden kleine nekrotische Gewebspartien abgestossen.
Von da bis 14. V. Verbandwechsel alle 2 Tage. Die Wundhöhle
links ausgranuliert; die Wundränder mit Lapis bestrichen und mit
Airolgaze und Pflaster versehen. Rechts ist die ursprünglich sehr
grosse Wundhöhle bis auf 2 cm Tiefe ausgefüllt. Die vergrösserten,
infiltrierten, fast bis zur Symphyse reichenden, teilweise schon er¬
weicht gewesenen Drüsen fast alle geschwunden. Die Wunde und
ihre Umgebung auch für Druck schmerzlos. Verbandwechsel mit
Airolgaze alle 3 Tage. 20. V. Links Wunde verklebt; die Drüsen
vollkommen geschwunden, rechts ist die Wundhöhle kaum 1 cm tief.
23. V. Lapis; die Wunde mit Airolgaze und Pflaster gedeckt. Der
Patient aus der Behandlung entlassen.
V. 26 jähr. Beamter. In diesem Falle handelte es sich um mäch¬
tige Lymphome tuberkulöser Natur. Die Krankheitsdauer erstreckte
sich auf einige Jahre. Zuerst entwickelte sich auf der rechten Hals¬
seite ein grosses Paket von Lymphomen, welches chirurgisch im
Krankenhause exstirpiert wurde. Bald darauf traten neue Drüsen¬
schwellungen auf von Bohnengrösse bis Faustgrösse; letztere unter¬
halb der Achselhöhle (Lin. axil. ant.), auf der rechten Halsseite, unter
dem Kinne, zahlreiche kleine links am Halse. Die grösseren Lym¬
phome erweichten zeitweise, es bildeten sich Fisteln, aus denen ein
kriimmliger Eiter ausfloss. Die Umgebung der Fistelöffnungen war
entzündlich infiltriert, schmerzhaft. Dabei ging es dem Patienten
schlecht, Abendtemperaturen gesteigert. Lange behandelte ich diese
Affektionen mit Jodoformemulsion bei entsprechender innerer The¬
rapie. Als das Leiden sich nicht besserte und der Pat. eine schwere
Hämoptoe üiberstanden hatte, versuchte ich bei ihm Lysolformalin,
da er zu einer Operation sich nicht verstehen wollte. Die Drüsen¬
höhlungen, die durch Fistelgänge untereinander und nach aussen
kommunizierten, spülte ich mit 100 — 200 g 2 proz. Lysol alle 3 — 4
Tage aus, spritzte das obengenannte Lysolformalin, ca. V2 — 1 ccm,
durch die Fistelöffnungen ein oder machte frische Inzisionen und
tamponierte wie bei Bubonen. Die Eiterung ging rapid zurück, die
Lymphome verkleinerten sich, die Fisteln schlossen sich, die Ent¬
zündungserscheinungen schwanden; die kleineren Drüsen verloren
sich vollkommen, der Allgemeinzustand besserte sich auffallend und
dauert noch heute, nach % Jahren, an.
Gleich gute und rasche Erfolge mit Lysolformalin hatte
ich bei einer ganzen Reihe von phlegmonösen Prozessen und
Furunkeln. Die letzteren eröffne ich bloss durch einen ca. 5 mm
langen Einstich, ziehe dabei rasch und ohne Gewaltanwendung
einen kleinen Löffel in Verwendung und tamponiere. Des¬
gleichen verfahre ich bei Abszessen. Auch hier mache ich die
Inzisionsöffnung nur so gross (ca. 7 mm), dass ich einen
schmalen Gazestreifen durchbringe. Die Dauer der Heilung
bei 2 Perinealabszessen betrug keine ganze Woche. Die Zahl
der beschriebenen Fälle ist klein, doch ist aus ihnen ersichtlich,
dass der Eingriff als solcher im Verhältnisse zur Grösse der
operierten Drüsentumoren ein geringfügiger ist, dement¬
sprechend auch die Schmerzhaftigkeit desselben; weiter die
kurze unkomplizierte Behandlungsdauer (21 — 24 Tage) und
eine kaum bemerkbare Narbe. Ausser mässigem, doch er-
No.37.
träglichem Schmerz durch die Formalinwirkung (ca. 3 Minuten)
begegneten mir niemals irgend welche unangenehme Kompli¬
kationen.
Aus dem städtischen Krankenhause zu Rixdorf (Berlin)
(Direktor: Prof. Dr. Sultan).
Ueber sogenannte erworbene Lymphangiome des Halses.
Von Dr. G. D e n c k s, Assistenzarzt.
Kavernöse Lymphangiome am Halse werden als kon¬
genitale Geschwülste nicht besonders selten beobachtet. Eine
grosse Zahl ist veröffentlicht und zum Teil genau beschrieben.
Als Neubildung, die im späteren Leben erworben, findet sich
das kavernöse Lymphangiom am Hals sehr selten. Unter der
grossen Zahl der veröffentlichten Fälle finden sich in der
Literatur, soweit ich diese übersehe, nur 6, in denen die Ge¬
schwulst erst im späteren Alter zur Entwicklung gelangte,
während sie in den übrigen Fällen regelmässig angeboren oder
doch in der allerersten Lebenszeit entstanden war, resp. be¬
merkt wurde. Deshalb führen tatsächlich eine Reihe von
Autoren die kongenitalen und erworbenen Lymphangiome des
Halses gesondert von einander an.
Ob eine solche Trennung berechtigt ist oder nicht, möchte
ich an der Hand zweier selbstbeobachteter Fälle zu entscheiden
versuchen. Berechtigt wäre die Trennung nur dann, wenn für
die eine Form ein besonderer Entstehungsmodus angenommen
werden müsste, oder wenn sie sonstige wesentliche morpho¬
logische Unterschiede zeigte.
Zunächst seien die von uns beobachteten Fälle kurz
wiedergegeben. Der eine davon wurde im städtischen
Krankenhause zu Rixdorf, der andere in der Privatklinik von
Prof. Sultan operiert.
Fall 1. Anna N., 26 Jahre alt, hat seit etwa 10 Jahren eine
kleine Anschwellung an der rechten Halsseite, die im Laufe des
letzten Jahres erheblich grösser geworden ist. Kongenitale Anlage
wird in Abrede gestellt. Wesentliche Beschwerden verursacht die
Geschwulst nicht, doch da sie infolge ihrer Grössenzunahme lästig
wird, wünscht Pat. die Exstirpation.
Im übrigen war Pat. stets gesund.
Status praesens 19. IX. 06. Grosses kräftiges Mädchen
in gutem Ernährungszustand. Keine Drüsenschwellungen. An der
rechten Halsseite findet sich eine faustgrosse, weiche, fluktuierende
Geschwulst von annähernd halbkugeliger Gestalt, die unmittelbar über
der Klavikula gelegen ist, nach
oben bis zum ireien Rand des
Kukullaris und median bis fast
zum Sternokleidomastoideus
reicht. Die genauere Lage und
Gestalt aus nebenstehendem
Bilde gut ersichtlich. Auf der
Unterlage ist die Geschwulst ver¬
schieblich; durch Druck nicht zu
verkleinern; Palpation nicht
schmerzhaft. Die Haut darüber
verschieblich, nicht verändert.
Geringe Vergrösserung der
Glandula thyreoidea.
Innere Organe 0. B.
20. IX. 06. Exstirpation der
ausserordentlich dünnwandigen,
mehrkammerigen, mit hellem,
klarem Inhalt gefüllten Zyste.
Nach der Entleerung fällt die Geschwulst ganz in sich zusammen;
eine derbere epitheliale Auskleidung an keiner Stelle der Innenwand
sichtbar.
28. IX. 06. Pat. geheilt entlassen.
F a 1 1 2. E. P., 30 Jahre altes Mädchen.
Seit etwa 6 Monaten hat sie die Geschwulst am Halse bemerkt,
die auffallend schnell grösser geworden ist. Besondere Beschwer¬
den hat sie nicht durch die Geschwulst; sie wünscht nur wegen der
Grössenzunahme, die ihr unbequem wird, die Exstirpation.
Kongenitale Anlage in Abrede gestellt.
Sonst war Pat. immer gesund.
Status praesens 13. X. 06: Mittelgrosses, grazil gebautes
Mädchen.
Innere Organe 0. B.
An der linken Halsseite findet sich ein apfelgrosser, prall ge¬
spannter, elastischer Tumor, der medial bis dicht an den Kehlkopf
heranreicht, sich aber beim Schlucken nicht mitbewegt. Die laterale
Abgrenzung nicht scharf ausgeprägt, da der Tumor augenscheinlich
noch zum Teil von Halsmuskeln bedeckt ist. Durch Druck ist eine
Verkleinerung nicht zu erzielen.
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1821
15. X. 06. Operation. Bei der Exstirpation erweist sich der
Tumor als durchsichtig dünnwandige Zyste, die dicht neben der
Schilddrüse sitzt, diese aber unberührt gelassen hat. Die Mm. omo-
und sterno-hyoidei ziehen über die Geschwulst hinweg; sie werden
durchschnitten und nach der Exstirpation durch Katgutnaht wieder
vereinigt.
Auffallend ist, dass die Zyste sich hinter den grossen Hals-
gefässen, und zwar zwischen diesen und dem Vagus ausgebreitet
hat, so dass die Gefässe vor, der Vagus hinter dem oberen Ausläufer
der Zyste liegen.
Kurz vor vollständiger Auslösung reisst die Zyste ein und zeigt
dabei kavernösen Bau. Es entleert sich eine weissliche, leicht mil¬
chige Flüssigkeit. Ein Zipfel reicht ziemlich tief in das Mediastinum .
hinein, lässt sich aber zusammen mit einer anhaftenden Lymphdriise
stumpf herausheben. An keiner Stelle der Innenwand eine epitheliale
Auskleidung wahrnehmbar. Aseptischer Verlauf, glatte Heilung.
Nach dem Gesagten handelte es sich also um typische,
kavernöse resp. zystische Lymphangiome. Die Operations¬
befunde decken sich im wesentlichen mit dem, was über ihre
Fälle die anderen Autoren berichten. Es sind das Buss e,
der in Hufelands Journal aus dem Jahre 1839 einen Fall
(3) veröffentlicht hat, Koni g, der in seinem Lehrbuch der spe¬
ziellen Chirurgie einen von ihm selbst operierten, dem vorigen
ganz analogen Fall (4) wiedergibt, W e g n e r, der aus der Ber¬
liner Klinik unter v. Langenbeck einen Fall (5) anführt,
Nasse, der aus der Berliner Klinik unter v. Bergmann
zwei Fälle (6 u. 7) veröffentlicht und Pätz old, der über
einen Fall (8) aus der Königsberger Chirurgischen Klinik unter
Oarre berichtet.
Ein Fall von Busch (wiedergegeben bei Vladan Gjor-
g j e w i c) ist so ungenau und nicht eindeutig beschrieben, dass
es mir richtig erscheint, ihn unberücksichtigt zu lassen.
In Fall 3 handelt es sich um ein Mädchen Mitte der 20er Jahre,
das seit einiger Zeit mit kaum merklich steigender Vermehrung ein
gewisses Hindernis bei seitlichen Bewegungen des Kopfes und ein
Gefühl von Druck links neben dem Kehlkopf in der Tiefe empfunden
hatte. Im ganzen waren die Beschwerden nicht grosse, doch da
Pat. beim Befühlen der linken Halsseite eine Geschwulst wahrnahm
und eine allmähliche Vergrösserung zu erkennen glaubte, beunruhigte
sie das und sie wünschte deshalb die operative Beseitigung jener.
Status: Links neben dem Kehlkopf, zwischen diesem und dem
Sternokleidomastoideus, äusserlich wenig sichtbar, aber durch das
Gefühl deutlich wahrzunehmen, zeigt sich eine kugelige, prall ela¬
stische, schmerzlose Geschwulst von der Grösse einer Haselnuss.
Auf Druck lässt sich der Tumor etwas nach der Tiefe zu kompji-
mieren, kehrt aber sofort wieder zu seiner vorigen Stelle zurück, so¬
bald der Druck aufgehoben wird. Fluktuation sicher vorhanden.
Operation: Nach Anlegen eines grossen Hautschnittes Er¬
öffnung der Geschwulst, worauf sich aus dieser wässrige Flüssigkeit
entleert. Hierauf zeigt sich, dass es sich um ein ganzes Konglomerat
solcher haselnussgrosser, traubenförmig verbundener Zysten handelt,
die die Interstitien zwischen den Halsmuskeln ausfüllen. Ein Teil
wird exstirpiert und dann die Operation „wegen der Gefahr, in der
Tiefe Gefässe und Nerven zu verletzen“ abgebrochen. Nachdem der
Rest des Tumors durch Eiterung zerstört war, wurde völlige Heilung
erzielt.
Fall 4. In dem Falle von König handelte es sich um eine
in der Regio supraclavicularis gelegene Geschwulst, die mit Leichtig¬
keit exstirpiert wurde und aus etwa 30 dünnwandigen, mit blutig¬
serösem Inhalt gefüllten Zysten bestand, „welche wie die Trauben
am Stiel auf einem starken Ast der Art. thyreoidea inf. aufsassen“.
Das genaue Alter der Pat. gibt König nicht an, doch ist aus seinen
Ausführungen zu ersehen, dass der Tumor bei einem Erwachsenen
entstanden war, ohne dass bei der Geburt oder in der ersten Lebens¬
zeit eine Geschwulst bemerkt war.
Fall 5 betrifft einen 25jährigen Arbeiter, der im Alter von
23 Jahren in der Regio supraclavicular. sinistra eine kirschgrosse,
nicht schmerzhafte Geschwulst bemerkte. Eine kongenitale Anlage
wurde sicher in Abrede gestellt. Die Geschwulst wuchs langsam
weiter; erst in der jüngsten Zeit hat sie sich schnell zu einer erheb¬
lichen Grösse entwickelt.
Behufs Verkleinerung des Tumors wurden mehrfach Punktionen
vorgenommen, die aber ohne nachhaltigen Erfolg blieben.
Bei der Aufnahme in die Klinik findet sich in der Regio supra¬
clavicularis sinistra eine etwa orangengrosse, flache Geschwulst. Sie
erscheint von weicher, leicht kompressibler Konsistenz, etwa wie
ein weiches Lipom. Nach oben und hinten geht der I umor bis zum
Rande des Kukullaris, nach unten gegen die Clavicula sinistra ist er
nur unschwer abzugrenzen; medianwärts erstreckt er sich unter dem
M. sternocleidomast. hindurch, ein Fortsatz nach dem Jugulum hin.
Die Halsbewegungen nach links waren behindert.
In der Diagnose war man schwankend. Am wahrscheinlichsten
schien es, ein Lipom anzunehmen, ausgehend vom subkutanen Fett¬
gewebe. Erst die Operation brachte Klarheit.
Exstirpation, glatte Heilung.
In F a 1 1 6 kam die Patientin im Alter von 25 Jahren zur Opera¬
tion. 3 Jahre vorher hatte sie eine Anschwellung der linken Hals¬
seite bemerkt. Die Geschwulst vergrösserte sich ständig, aber lang¬
sam; erst in den letzten 4 Wochen bemerkte sie ein plötzliches schnel¬
leres Wachstum.
Es findet sich in der linken seitlichen Halsgegend eine grosse,
elastische, fluktuierende Geschwulst, die von der Klavikula bis zur
Unterkiefergegend und von der Medianlinie bis zum Rande des Kukul¬
laris reicht und unter dem M. sternocleidomastoideus liegt. Die Haut
über ihr ist normal. Schluckbewegungen haben keine Lageverände¬
rung zur Folge.
Operation, glatte Heilung.
In Fall 7 bemerkten die Eltern bei einem 11 Jahre alten Jungen
vor etwa 7 Monaten eine apfelgrosse Geschwulst am Hals. Sie führ¬
ten die Entstehung derselben auf sehr starkes Turnen urzück, da
vorher keine Geschwulst gewesen sein soll. Die Geschwulst wuchs
allmählich bis zur Aufnahme in die Klinik.
Ueber der linken Klavikula wölbt sich hinter dem M. sterno¬
cleidomastoideus eine bis zum M. cucullaris reichende runde, deutlich
fluktuierende Geschwulst vor. Sie lässt sich leicht abgrenzen, ist
verschiebbar und mit der Haut nicht verwachsen.
Operation, glatte Heilung.
Fall 8 betrifft ein 37 jähriges Mädchen, das seit 3 Jahren in der
oberen Schlüsselbeingrube ein haselnussgrosses Knötchen, das keine
Beschwerden verursacht, bemerkt hatte. Allmähliches Wachstum.
In der rechten seitlichen Halsgegend findet sich über den media¬
len 2U der Klavikula eine kleinfaustgrosse, glatte, bewegliche, fluk¬
tuierende, weichelastische Schwellung, über der die Haut von nor¬
malem Aussehen und gut verschieblich ist. Medial reicht die Ge¬
schwulst bis zum Sternokleidomastoideus und nach oben bis zum
Rand des Trapezius. Ueber den Tumor verläuft die Vena jugularis
externa.
Exstirpation, Heilung.
In allen angeführten Fällen, die von uns beobachteten
miteingerechnet, sass die Geschwulst durchaus analog in der
seitlichen Halsgegend, d. h. in dem Dreieck zwischen Klavikula,
Sternokleidomastoideus und freiem Rand des Kukullaris. In
einzelnen Fällen erstreckten sich wohl Ausläufer des Tumors
bis in die vordere Halsgegend hinein, doch wurde das be¬
ginnende Wachstum der Geschwulst niemals hier beobachtet.
Auch die Operationsbefunde stimmen im wesentlichen überein.
Es fand sich entweder eine dünnwandige Zyste mit balken-
artigen Vorsprüngen an der Innenwand oder der Tumor be¬
stand aus einem Konglomerat von kleineren und grösseren
Zysten, die miteinander meist kommunizierten. Der Inhalt
war eine weissliche, milchartige oder auch dünne, gelbliche
Flüssigkeit mit den Charakteristicis der Lymphe.
In Fall 4 und 7 hatte der Zysteninhalt eine mehr bräunliche
Farbe; hier war es jedenfalls zu Blutung in den Tumor ge¬
kommen, was ja öfter bei Lymphangiomen beobachtet wird.
Bemerkenswert war die Lage des Tumors in unserem
zweiten Fall, in dem die grossen Halsgefässe und der N. vagus
weit auseinandergedrängt waren, sodass die Gefässe vor und
der Nerv hinter der Geschwulst lagen. Es ist dieses aus den
an dieser Stelle bestehenden anatomischen Verhältnissen leicht
verständlich, da der Vagus hinter dem die Arterie umgeben¬
den Spaltraum liegt, sodass Gefäss und Nerv durch lockeres
Bindegewebe voneinander getrennt sind, so nahe sie auch zu¬
sammenliegen.
In allen Fällen mit Ausnahme von Fall 3 wurde der Tumor
radikal entfernt und glatte Heilung erzielt, wenn sich auch die
Exstirpation nicht immer ganz leicht gestaltete. Dass in Fall 3
die Entfernung der Geschwulst nicht radikal ausgeführt wurde,
ist vielleicht weniger den sich darbietenden Schwierigkeiten,
als der damals (im Jahre 1839) weniger vollkommenen Ope¬
rationstechnik zuzuschreiben. Dass eine radikale Exstirpation
unter Umständen schwer sein kann, ist bei der Lage der Ge¬
schwulst natürlich, zumal, wenn festere Verwachsungen mit
den grösseren Gefässen oder nach dem Plexus brachialis hin
bestehen, oder Ausläufer des Tumors bis weit in das Media¬
stinum hinein Vordringen. In unseren beiden Fällen machte
die Exstirpation keine besonderen Schwierigkeiten.
Aus einem Vergleich der Operationsbefunde dieser Fälle,
in denen die Geschwülste erst im späteren Alter beobachtet
wurden, und jener, in denen sie kongenital bestand, ergibt sich,
dass letztere im allgemeinen erheblich schwerer radikal zu
entfernen waren, weil meist ein viel innigeres Verwachsensein
der Geschwulst mit dem umgebenden Gewebe und vor allem
mit den Gefässen beobachtet wurde. Der Grund hierfür ist
leicht ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die
1822
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
kongenitalen Lymphangiome in einem frühen Stadium des
intrauterinen Lebens vorhanden sind und bei der Geburt des
Fötus bereits eine stattliche Geschwulst darstellen können, so-
dass bei dem gleichzeitigen Wachstum des Tumors und seiner
benachbarten Organe ein Ineinandergreifen und inniges Ver¬
wachsensein zwischen beiden natürlich scheint. Entwickelt
sich die Geschwulst dagegen im späteren Alter, in dem das
Wachstum der Organe beendet ist, so wird die Neubildung
diese im wesentlichen auseinanderdrängen, ohne so feste Ver¬
bindungen mit ihnen einzugehen.
Ein erschwerendes Moment bei der radikalen Entfernung
der Geschwulst ist oft dadurch bedingt, dass die meist sehr
dünne Zystenwand im Laufe der Operation einreisst und der
ganze Tumor oder grosse Teile desselben kollabieren, so dass
es schwieriger wird, sie von dem umgebenden Gewebe zu
unterscheiden.
Schwierigkeit kann auch die Diagnose machen und Ver¬
wechslungen mit Lipomen, Echinokokken und anderen sehr
weichen Tumoren sind berichtet. Vor Verwechslungen mit
Struma schützt im allgemeinen die fehlende Lageveränderung
beim Schluckakt, doch kann dieses Kriterium bei Adhärenz
der Geschwulst an einen Schilddrüsenlappen im Stich lassen.
Die Probepunktion wird in den meisten Fällen Klarheit
schaffen.
Was nun Genese und Wachstum der Lymphangiome im
allgemeinen und unserer besonderen Form am Halse anlangt,
so ist völlige Uebereinstimmung in allen Punkten bis heute
noch nicht erzielt.
Ursprünglich spielte die Stauungstheorie in der Ent¬
stehungsdeutung der Lymphangiome eine grosse Rolle. Durch
behinderten Abfluss der Lymphe aus einem bestimmten Be¬
zirk des Lymphgefässystems sollte es zu ausgedehnter Ektasie
und Hyperplasie der Lymphgefässe kommen und eine tumor-
artige Neubildung entstehen können. Im Gegensatz dazu
fassen die neueren Autoren die Lymphangiome als wahre
Neubildungen auf. Langhans und Ribbert haben klar
gezeigt, dass Stauung allein unmöglich die fraglichen Ge¬
schwulstformen hervorbringen könne und dass primäre
Wucherung des Endothels samt dem Bindegewebe die Bildung
der Hohlräume zum Tumor bedingte. Einzelne Forscher
messen der Stauung bei grösseren Geschwülsten noch eine ge¬
wisse Bedeutung bei, die aber immer nur sekundärer Natur sein
soll. Wie nun das Wachstum von Bindegewebe und Endothel
zustande kommt und sich weiter vollzieht, ist noch immer
nicht übereinstimmend erklärt. Die beiden fraglichen Ent¬
stehungsarten sind die von W e g n e r so genannte homo¬
plastische und heteroplastische Neoplasie. Hiernach soll die
Geschwulst also einmal aus vorgebildeten kapillären Lymph¬
spalten durch Sprossung der Endothelien und Bildung neuer
Lymphgefässe entstehen, während das andere Mal neue
Lymphräume aus lymphoidem Gewebe und Bindesubstanz her¬
vorgehen können. Bis in die neueste Zeit verfechten einige
Autoren diesen und andere jenen Entwicklungsmodus, je nach¬
dem sie in ihren Präparaten eine aktive Proliferation von
Lymphgefäs'sendothelien und Bildung neuer Lymphgefässe
nachwiesen oder diese Bilder fehlten und dafür reichlich lym-
pihoides Gewebe und Bindesubstanz vorhanden war. Einige
Autoren neigen zu der Ansicht, dass wahrscheinlich beide Ent¬
stehungsarten nebeneinander Vorkommen.
Was den ersten Anlass zum Aufbau der Geschwulst an¬
langt, so schliessen sich die Autoren der neueren Zeit fast aus¬
nahmslos den Anschauungen Ribberts an, der eine Keim-
absprengung, einen selbständigen Geschwulstkeim annimmt.
Ribbert formuliert seinen Standpunkt folgendermassen :
„Das Lymphangiom entsteht aus einem während des intra-
oder extrauterinen Lebens selbständig gewordenen, aus Binde¬
gewebe und Lymphgefässen aufgebauten Gewebskeim, an
dessen Vergrösserung alle Bestandteile gleichmässig beteiligt
sind. Es bildet einen in sich abgeschlossenen, als Ganzes
gegen die Umgebung gut begrenzten Bezirk.“
Erwähnenswert ist noch die Auffassung von S a m t e r,
der in einem Falle Kiemengangs- und Lyrnphzysten neben¬
einander fand und daraus den Schluss zieht, 1. dass die Zysten¬
hygrome des Halses, abgesehen von den Fällen, in denen sich
Abnormitäten der gröberen Lymph- und Blutgefässe finden,
Kiemengangsgeschwülste sind, und 2. dass ihre erste Anlage
Lymphdrüsengewebe ist. Da aber Samt er in seinem Fall
neben Endothel echtes epitheliales Gewebe fand, das in allen
anderen Fällen fehlte, so dürfte eine Verallgemeinerung seiner
Anschauungen wohl nicht statthaft sein.
Bezüglich noch anderer, zum Teil komplizierter Ent-
stehungs- und Wachstumstheorien über Lymphangiome ver¬
weise ich auf die jüngste zusammenfassende Arbeit über
Lymphangiome von P a e t z o 1 d.
Der durch die Autorität Ribberts gestützten Anschau¬
ung, nach der eine Keimabsprengung als Ursprung der Lymph¬
angiome vorliegt, pflichten auch wir bei. Eine andere Ent¬
stehungsart ist gerade in unserem besonderen Fall mit dem
Sitz der Geschwulst am Halse kaum verständlich.
Auf Grund unserer eigenen und der übrigen 6 in der Litera¬
tur mitgeteilten Fälle von sogen, erworbenen Lymphangiomen
komme ich zu dem Schluss, dass die von manchen Autoren
noch durchgeführte Trennung zwischen angeborenen und er¬
worbenen Lymphangiomen des Halses nicht aufrecht erhalten
werden kann, dass es sich vielmehr genetisch wie morpho¬
logisch um eine und dieselbe Geschwulstform handelt. In
jedem Fall ist ein Geschwulstkeim als kongenital vorhanden
anzunehmen und nur das Selbständigwerden, die weitere Ent¬
wicklung zur Geschwulst ist in beiden Formen zeitlich ver¬
schieden. Während in der Mehrzahl der Lymphangiome am
Hals dieser Entwicklungsvorgang während des intrauterinen
Lebens stattfindet, so dass schon bei der Geburt des Fötus
ein beträchtlicher Tumor vorliegt, entwickelt sich in seltenen
Fällen erst im späteren Lebensalter aus dem latenten Keim
die Geschwulst. Was diesen ungewöhnlichen Verlauf be¬
dingt, ist mit Sicherheit natürlich schwer zu sagen. Es scheint,
als ob die Pubertätszeit — ähnlich wie es bei Kiemengangs¬
zysten angenommen wird — auch bei Entwicklung der Lymph¬
angiome eine gewisse Rolle spielt.
Literatur.
1. Burow: Zur Lehre von den serösen Halszysten. Archiv
f. klin. Chir., Bd. 12, 1871. — 2. Busse: Ueber Balggeschwülste.
Hufelands Journal, Bd. 89, 1839. — 3. G j o r g j e v i c: Ueber Lymphor-
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Bd. 1, 1904. — 6. Lücke: Ueber Atheromzysten der Lymphdrüsen.
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cavernos. cyst. Virchows Archiv, Bd. 46. — 11. Rheindorf:
Lymphangioma cavernosum congenitum: in Orth: Arbeiten a. d.
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Chir., Bd. 64, 1902. — 15. Sick: Bau und Wachstum der Lymph¬
angiome. Virchows Archiv, Bd. 170. — 16. Derselbe: Lymph¬
angiome. Ibid., Bd. 172. — 17. Sultan: Zur Kenntnis der Halszysten
und Fisteln. D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 48, 1898. — 18. T r e n d e 1 e n -
bürg: 4 Fälle von kongenitalen Halszysten. Archiv f. klin. Chir.,
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klin. Chir., Bd. 20, 1876. — 20. Winiwarter: Ein Fall von ange¬
borener Makroglossie, kombiniert mit Hygroma colli cyst. congenit.
Archiv f. klin. Chir., Bd. 16, 1874.
Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Göttingen
(Geheim. Medizinalrat Prof. Dr. Gramer).
Ein unter dem Bilde der W ei Ischen Krankheit ver¬
laufender Fall von Typhus abdominalis, entstanden
durch Autoinfektion von der Gallenblase her.
Von Dr. Grimme, Abteilungsarzt an der Anstalt.
Krankengeschichte. Die 52 jährige Patientin Meta B.
bricht plöitzlich bei der Arbeit zusammen, wird kurze Zeit bewusstlos,
bekommt epileptiforme Zuckungen und hat eine Temperatur von 38°.
Die Untersuchung ergibt kleinblasiges Rasseln auf der Lunge rechts
hinten unten und Dämpfung, Kavernensymptome oben links hinten.
Schwellung und Druckempfindlichkeit der Leber und geringe Schwel¬
lung der Milz. Während der Untersuchung tritt Erbrechen auf. Es
entwickelt sich jetzt folgendes Krankheitsbild. Die Schwellung der
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1823
Leber und Milz nimmt stark zu. Die Leber überragt schliesslich
um mehr als eine Hand breit -den Rippenbogen, fühlt sich glatt an.
Die Milz erreicht nicht ganz den Rippenbogen, _ ist leicht und deutlich
zu fühlen. Vom zweiten Tage an entwickelt sich Ikterus, der immer
mehr an Intensität zunimmt. Die Fäzes werden farblos; im Urin
Gallenfarbstoff und Eiweiss. Die Stühle sind anfangs breiig und
werden schliesslich ganz wässrig; ihre Farbe ist später gelegentlich
von kleinen Blutungen dunkler. Roseolen treten nicht auf. Es
besteht geringe Tympanie des Abdomens. Auf den Lungen ent¬
wickeln sich pneumonische Herde. Der Puls ist stets weich, leicht
unterdrückbar; die Pulszahl immer hoch, zwischen 120 und 140. Die
Herztöne leise. Dilatation des Herzens nach rechts und links. Die
Temperatur ist zwischen 39 und. 40°. Am 5., 6., 8. und 10. Krank¬
heitstage ist des Morgens ein starker Temperaturabfall bis unter
35° eingetreten, doch steigt die Temperatur im Laufe des Tages
mit Ausnahme vom 6. Krankheitstag, bei dem sie des abends nur
36° beträgt, wieder zu 39,5 an.
Puls und. Atmung ist bei diesen Abfällen nur einmal entsprechend
verändert. Die Zahl der Atemzüge schwankt während des ganzen
Verlaufes zwischen 20 und 30. An den Waden und den seitlichen
Gesässpartien treten diffuse Hautblutungen auf.
Am 5. Tage wird die W i d a 1 sehe Reaktion gemacht.1) Die
Agglutination ist bis 1 ; 800 positiv. Später werden im Blut und
Stuhlgang Tvphusbazillen nachgewiesen. Unter zunehmender Herz¬
schwäche -tritt der Exitus am 12. Krankheitstage ein. Das Sensorium
war bis zum Schluss frei; Patient klagte mehrmals über Schmelzen
in den Waden.
Die Diagnose wurde zunächst auf fieberhaften Ikterus ge¬
stellt; erst der Ausfall der W i d a 1 sehen Reaktion und der
Bazillenbefund im Blut und Stuhl Hess die Krankheit erkennen.
Dafür war aber jetzt zunächst der anormale Verlauf des Typhus
nicht erklärt und zweitens nicht die Herkunft der Infektion. Das
Auftreten von Ikterus bei Typhus gehört immerhin nicht zu den
alltäglichen Vorkommnissen. Die Erkrankungen der Gallen¬
wege sollen nach Riedel2) allerdings weit häufiger sein, als
sie diagnostiziert werden, da 95 Proz. von ihnen ohne Ikterus
verliefen; und speziell vom Typhus nehmen Förster3) und
seine Schüler, gestützt auf bakteriologische Befunde an, dass die
Erkrankungen der Gallenwege sehr viel häufiger auftreten, als
sie erkannt werden. Immerhin, wenn es zu Erkrankungen der
Gallenwege beim Typhus kommt, bilden sie einen mehr neben¬
sächlichen Befund und beherrschen nicht wie in diesem Fall
das ganze Krankheitsbild, so dass nach ihnen zunächst die Dia¬
gnose gestellt wird.
Das Auftreten der Agglutination in so starker Verdünnung
von 1:800 gab Veranlassung, sofort weiter auf Typhusbazillen
zu untersuchen. Denn bei diesem hohen Titer konnte die In¬
fektion, um die es sich nach dem ganzen Verlauf handelt, nur
durch den spezifischen Bazillus bedingt sein. Die gelegentlich
bei dem fieberhaften Ikterus auftretende Agglutination konnte
bis vor Kurzem noch nicht erklärt werden. Es wurde daran
gedacht, sie der Galle oder einzelnen ihrer Bestandteile zu¬
zuschreiben, doch ist bewiesen, dass der Galle keine aggluti¬
nierenden Eigenschaften zukommen4). Andere Autoren schoben
sie auf eine unbekannte chemische Veränderung des Blutes resp.
des ganzen Stoffwechsels, die durch eine pathologische Ver¬
änderung der Leberfunktion bedingt sei. Jetzt bestätigt sich
die Anschauung immer mehr, dass man es beim Auftreten von
höheren Agglutinationswerten beim Ikterus allemal mit einer
allgemeinen Infektion mit Typhusbazillen zu tun hat. Der
gegen früher erleichterte Nachweis der Bazillen im Blut und im
Stuhl trägt zur Klärung der Anschauungen immer mehr bei.
Ist die Agglutination nur in geringeren Verdünnungen nach¬
zuweisen, so braucht sie nicht weiter von Bedeutung zu sein.
Denn da es sich einerseits bei dem fieberhaften Ikterus immer
um eine Infektion handelt, die meistens von den J yphusbazillen
nahestehenden Bakterien (Fleischvergiftung, Infektion durch
Wasser) erzeugt wird, und anderseits dieGruber-Widal-
sche Reaktion nicht eine artspezifische, sondern eine gattungs¬
spezifische ist, so braucht es sich bei der Agglutination der
Q Die bakteriologischen Untersuchungen wurden im hiesigen,
unter der Leitung des Herrn Prof. Dr. v. Esmarch stehenden
Kgil. Untersuchungisamt ausgeführt.
2) Münch, med. Wochenschr. 1905, No. 17.
3) Ueber das Vorkommen von Typhusbazillen in der Galle bei
Tvphuskranken und Typhusbazillenträgern. Münch, med. Wochenschr.
1905, No. 31.
4) Blumenthal; Ueber die Bedeutung der Gruber-Wi-
d a 1 sehen Reaktion bei Erkrankungen der Leber und der Gallen¬
wege. Medizinische Klinik 1905, No. 48.
Typhusbazillen in nur geringerer Verdünnung nur um eine Mit-
agglutination der Typhusbazillen zu handeln.
In diesem Falle aber bestätigte der Bazillenbefund im Blut
und Stuhl, dass eine Infektion mit dem E b e r t h sehen Bazillus
vorlag und es kam darauf an, die Quelle dieser Infektion nach¬
zuweisen. Es war dies aber weder zur Zeit der Erkrankung
möglich, noch hat sich bis jetzt — 4 Wochen nach dem Tode
der Patientin — irgend ein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass
die Infektion von aussen kam, ihre Quelle in der Umgebung der
Patientin zu suchen war. Die Frau lebte mit den übrigen
Kranken zusammen auf der Abteilung und beteiligte sich
bis zu dem plötzlichen Zusammenbruch regelmässig an der ge¬
meinsamen Arbeit. Ihre Lebensbedingungen waren genau die¬
selben, wie für jede andere Kranke der Anstalt, und wenn
irgendwo ein Infektionsherd bestanden hätte, dann wäre er un¬
bedingt auch für andere Kranke zugänglich gewesen. Es ist
aber in der ganzen Zeit nicht eine typhusverdächtige Erkran¬
kung aufgetreten. Es wurden sämtliche Kranke mit der aller¬
grössten Sorgfalt beobachtet und bei dem geringsten Tem¬
peraturanstieg Blut und Stuhl bakteriologisch untersucht. Die
Anstalt beherbergt allerdings 3 Bazillenträger, doch sind diese
auf einer besonderen Infektionsabteilung so gut isoliert, dass
von ihnen eine Infektion nicht erfolgen kann und auch tat¬
sächlich seit der Entdeckung der Bazillenträger 2 Jahre nicht
erfolgt ist. Es kann demnach eine von aussen stammende
Infektion ausgeschlossen werden. Erst die Sektion gab über
die Art der Erkrankung und die Quelle der Infektion eine
Auskunft.
Es fand sich folgendes:
Starke Schwellung der Leber, die nach links bis in die Mammillar-
li-nie reichte, -sehr brüchig war, aber scharfe Ränder hatte. Die Ge-
fässe im Peritoneum der Darmschlingen waren injiziert. Die Mesen-
terialdrüsen waren nicht geschwollen. Sonst war das Peritoneum
normal. Das grosse Netz war mit dem unteren Leberrand ver¬
wachsen, so dass die Gallenblase nicht frei lag; doch konnte man sie
als einen prall gefüllten Sack durchfühlen. Sie lag in einem Gewebs-
knäuel, der gebildet war von dem fest miteinander verwachsenen
Netz, dem unteren Leberrand, dem Magen, dem Querkolon, dem
Duodenum und tumorartig verdickten Lymphdriisen. Die weitere
Sektion ergab, dass es sich bei diesen Verwachsungen um eine
maligne Neubildung handelte, die, soweit dies makroskopisch festzu¬
stellen war, von der Gallenblase ausging. Diese enthielt einen über
walnuissgrossen Stein, der an der Grenze zwischen Duot. cysticus und
der Gallenblase in einer ampullenartigen Erweiterung sass. Ihre
Wand war in eine ganz derbe, schwielige und verdickte Membran
verwandelt. Der Duct. hepatic. war verschlossen, während der Duct.
choled. noch durchgängig war. Die Gallengänge der Leber waren
am Hilus sämtlich stark erweitert und entleerten beim Durchschneiden
viel Galle. Das Pankreas zeigte einzelne nekrotische Herde, war
aber sonst intakt. Die Schleimhaut des Duodenums zeigte nur einen
geringen schleimigen Belag und stellenweise kleine Hämorihagien.
Geschwüre fanden sich im Duodenum nicht. Die Pe y e r sehen
Plaques im unteren Teil des Ileum waren dagegen schiefrig ver¬
färbt und die Darmwand in ihrem Bereich deutlich etwas atrophisch.
Im Anfangsteil des Zoekum in der Nähe der Ileozoekalklappe fand
sich ein kleines erbsengrosses Geschwür mit schlaffen, nicht infil¬
trierten Rändern und gelblichem Belag.
Nach diesem Befund war also das Primäre der Erkrankung
ein von der Gallenblase ausgehendes Karzinom, das zum Ver¬
schluss der abführenden Gallenwege und damit zur Stauung der
Galle und zum Ikterus mit seinen klinischen Symptomen ge¬
führt hatte. Hiermit war aber die allgemeine Infektion mit
Typhusbazillen noch nicht erklärt; diese war klinisch einwands-
frei festgestellt und konnte auch post mortem durch den Nach¬
weis der Typhusbazillen in der Milz, der Galle und dem Ex¬
sudat in der Bauchhöhle bewiesen werden. Die Erklärung
hierfür brachte dagegen der Befund an den P e y e r sehen
Plaques, die nicht nur nicht geschwollen, sondern etwas atro¬
phisch und bläulich pigmentiert waren, also die Residuen einer
früheren Erkrankung aufwiesen. Die Patientin musste also
früher einen Typhus durchgemacht haben. Dieser konnte nun
auch in der Anamnese mit grosser Wahrscheinlichkeit fest¬
gestellt werden, denn die Patientin war ausserhalb der Anstalt
im Jahre 1904 mit Fieber, Durchfällen und einer geringen Milz-
schwellung und allerdings etwas fraglich gebliebenen Roseolen
erkrankt. Das Fieber fiel alsbald nach Feststellung der Krank¬
heit lytisch ab. Es ist möglich, dass im Beginn die Krankheit
längere Zeit unbemerkt geblieben ist, denn die Patientin
war schon 1904 stark verblödet und nicht mehr fähig, eine
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1824
leichte Verschlechterung ihres Befindens zu beurteilen und
spontan darüber Auskunft zu geben. Das Fieber hielt damals
nur 10 Tage an. Eine Diagnose wurde damals nicht gestellt,
doch kann sie jetzt durch die bei der Sektion gefundenen Ver¬
änderungen an den P e y e r sehen Plaques nachgeholt werden.
Es ist nun nach der von Förster festgestellten Bedeutung
der Gallenblase als letzten Ausscheidungsort der 1 yphus-
bazillen aus dem Körper und als Lokalisationsstätte bei den
Bazillenträgern sehr wahrscheinlich, dass die Patientin von
dieser Infektion her Typhusbazillen zurückbehalten hat. Frei¬
lich der exakte Beweis hierfür kann nicht erbracht werden.
Er wäre gegeben, wenn die Patientin vorher schon als Bazillen¬
trägerin erkannt wäre, oder wenn sich in dem Gallenstein
Typhusbazillen vorgefunden hätten. Dies war nicht der Fall;
doch kann dieser negative Befund vielleicht damit erklärt
werden, dass nach seiner Grösse zu schliessen bei der jetzt
2 Vi Jahre zurückliegenden Infektion der Stein schon fertig ge¬
bildet war. Hat aber schon damals eine Entzündung der Gallen¬
blase und eine Stauung der Galle durch den Stein bestanden,
so kann erst recht angenommen werden, dass Typhusbazilien
in der Gallenblase zurückgeblieben sind. Gerade die Gegen¬
wart von Steinen erleichtert wegen der mehr oder weniger
durch sie bedingten Gallenstauung die Ansiedelung und das
Fortwuchern der Typhusbazillen 5). Bei dem jetzt durch das
Karzinom plötzlich bedingten Verschluss der Ausführungsgänge
der Galle sind nun die Bazillen zugleich mit der Galle in den
Blutkreislauf eingetreten und haben die Allgemeininfektion be¬
dingt. DamithättenwireinenFallvonRe-Auto-
infektion mit Typhusbazillen aus der Gallen¬
blase.
Einen Typhusfall derselben Aetiologie haben L e v y und
Kayser in No, 50 der Münch, med. Wochenschr. 1906 ver¬
öffentlicht. Die klinischen Symptome waren hier mehr allge¬
meiner Natur, sie bestanden in Magenbeschwerden und psychi¬
schen und nervösen Symptomen, konnten aber durch den
Typhusbazillenbefund in Leber, Milz, Galle und Gallenblasen¬
wand nachtiäglich noch als typhös erkannt werden.
Diese Patientin hatte im Jahre 1903 einen Typhus gehabt
und war Bazillenträgerin geblieben. In einem bei ihr Vor¬
gefundenen Stein konnten die Bazillen nachgewiesen werden.
L e v y und Kayser nehmen an, dass von den Bazillen in der
Galle von neuem die Allgemeininfektion, die sie als Typhus-
sepsis bezeichnen, ausgegangen ist. Wie schon erwähnt, fehlt
dies Beweisstück in dem von mir beschriebenen Fall. Doch
stehe ich in Anbetracht des trotz sorgfältigen Nachforschens
nicht geglückten Nachweises einer äusseren Infektionsquelle
und der pathologisch-anatomisch und anamnestisch bewiesenen
früheren Typhuserkrankung, der durch Förster und seine
Schüler bewiesenen Prädisposition krankhaft veränderter
Gallenblasen zum Zurückhalten der Typhusbazillen und end¬
lich in Anbetracht des Ausbruchs der Erkrankung beim Ueber-
tritt der Galle in das Blut nicht davon ab, die allgemeine In¬
fektion gleichfalls mit dem Uebertritt der Typhusbazillen aus
der Gallenblase in das Blut zu erklären.
Weiter hat einen ähnlichen Fall, soweit ich die Literatur
überschaue, Ehrlich'1) in Stettin unter dem Namen „biliöser
Typhus“ beschrieben. Auch hier trat mit dem Uebertritt von
Galle in das Blut eine unregelmässige fieberhafte Erkrankung
auf, die durch die positive W i d a 1 sehe Reaktion und den
Nachweis der Typhusbazillen im Blut als typhös gekenn¬
zeichnet wurde.
Klinisch ist in dem von mir erwähnten und den fremden
Fällen auffällig die geringe Beteiligung des Darmkanals. In
dem Fall von Ehrlich war bei 15 tägiger Krankheitsdauer
nur eine leichte Follikelschwellung, kein Geschwür und auch
keine Schwellung der Mesenteriallymphdrüsen vorhanden. In
dem Falle von L e v y und Kayser sind gleichfalls keine
typhösen Veränderungen erwähnt. Das in dem hier beschrie¬
benen Falle Vorgefundene kleine Geschwür war durchaus nicht
für ein Typhusgeschwür charakteristisch. Es sass auf der Höhe
der Schleimhautfalte und hatte keine verdickten Ränder. Man
konnte es ebensogut für ein cholämisches Geschwür halten.
5) Förster: 1. c.
ü) D. med. Wochenschr. 1906, No. 42.
Die zahlreichen kleinen Blutungen in der Darmschleimhaut
machten dies wahrscheinlich, während andererseits der Sitz
jenseits der Ileozoekalklappe und das Fehlen anderer Verände¬
rungen im Darm gegen die typhöse Natur des Geschwürs
sprachen.
Worauf dieser immerhin eigentümliche Befund zurück¬
zuführen ist, weiss ich nicht. Die Immunität kann bei den
schweren septischen Erscheinungen, die in allen drei Fällen
bestanden, nicht in Betracht kommen. Vielleicht spielt dabei
einerseits die Eingangspforte des Virus eine Rolle und andcrcr-
seit die von Wassermann betonte lokale Immunität des
Darmes.
In anderen Fällen, die speziell mit schweren nervösen
Symptomen verliefen, hat man eine Mischinfektion zur Er¬
klärung angenommen (E b s t e i n 7).
Praktisch wichtig sind diese Fälle deshalb, weil durch sie
der fieberhafte Ikterus eine besondere Bedeutung gewinnt. Bei
der immer mehr zunehmenden Zahl von Bazillenträgern, von
denen eine frühere Typhuserkrankung nicht bekannt ist, wird
man geradezu gezwungen, bei jedem Fall von Ikterus mit
Fieber, auch wenn dies nur gering ist, die W i d a 1 sehe Re¬
aktion anzustellen und nach einer spezifischen Aetiologie zu
forschen.. Aber auch wenn das Fieber nicht vorhanden ist,
sollte man in Anbetracht der grossen Verbreitung der Bazillen¬
träger und den Zufälligkeiten ihrer Entdeckung wenigstens
dort, wo grössere Menschenmengen in einer Behausung mit
einander leben müssen, bei dieser Gelegenheit auf Bazillen
untersuchen.
Die Heil- und Pflegeanstalten wenigstens mit ihrem sess¬
haften Material könnten sich sehr damit dienen.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheim. Medizinalrat
Prof. Dr. Cramer, sage ich für die Ueberlassung des Ma¬
terials und der Anregung zu dieser Arbeit meinen verbind¬
lichsten Dank.
Schwere Geburtsstörung infolge Spontanfixation im
letzten Wochenbett — Kaiserschnitt.
Von Dr. Brink, Frauenarzt in Braunschweig.
Sehr bald nachdem man durch Fixation des Uterus an
der Bauch-, Scheiden- oder Blasenwand die Prolapse und
Lageanomalien zu behandeln begonnen hatte, wurden zahl¬
reiche Stimmen laut, die wegen der danach beobachteten
ausserordentlich schweren Geburtsstörungen diesen Methoden
prinzipiell die Berechtigung absprachen. Damals entstand
eine zahlreiche Literatur über dieses Thema, man sprach von
Ventrifixations- und Vaginifixationsgeburten mit ebenso cha¬
rakteristischem Geburtstypus, wie man ihn beispielsweise für
das allgemein verengte oder platte Becken unterschied. In den
letzten Jahren sind nun diese Publikationen sehr spärlich ge¬
worden, weil man sich hatte angelegen sein lassen, derartige
Vorkommnisse nach Möglichkeit auszuschalten. Während dies
bei der Vaginifixur durch Modifikationen in der Technik vollauf
gelungen und so eine unserer leistungsfähigsten Pro¬
lapsoperationen auch bei Frauen im konzeptionsfähigen Alter
für die operative Gynäkologie erhalten ist, tauchen über Ventri-
fixationsgeburten mit mehr oder weniger grossen Störungen
immer noch vereinzelte Mitteilungen auf. Noch weit seltener
sind trotz der zahlreichen entzündlichen Adnexerkrankungen
die Fälle von Geburtsstörungen nach diesen.
Wenn nun auch in dem Falle, über den hier berichtet
werden soll, kein derartiger Eingriff voraufgegangen, son¬
dern im letzten Wochenbett eine Spontanfixation infolge von
Adhäsionsbildung erfolgt ist, so ist doch der Befund und Ver¬
lauf ein derartig charakteristischer, dass ich diese Geburt unter
allen Umständen zu den sogen. Fixationsgeburten rechnen
möchte.
Die normalen Verhältnisse gestatten bekanntlich dem gra¬
viden Uterus, sich unbehindert aus dem kleinen Becken nach
der Bauchhöhle hin zu entwickeln, und zwar ist die Oberflächen-
vergrösserung auf allen Punkten, die gleich weit von einem der
7) Ebstein: Ueber das Wechselverhältnis zwischen den ver¬
schiedenen Symptomenkomplexen des Abdominaltyphus. Deutsches
Archiv für klinische Medizin, 88. Bd., 1907.
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1825
Uteruspole entfernt sind, gleich, nimmt aber nach dem Fundus
hin ganz erheblich zu. Während sie in der Gegend der Zervix
fast gleich Null ist, hat man sie auf dem Fundus etwa = 100
berechnet. Die Entwicklung ist also eine symmetrische. Die
Stellung des Uterus zum Becken ist am Ende der Schwanger¬
schaft so, dass die Uterusachse auf der Beckeneingangsebene
senkrecht steht, die Uterus- und Beckenachse fallen
also physiologisch zusammen. Ist nun die Uteruswand an
irgend einem Punkte fixiert und in ihrer Entwicklung be¬
hindert, so resultieren daraus Veränderungen der verschieden¬
sten Art. , „ ,
Zunächst ist das Verhältnis der Uterusachse zur Becken¬
achse stets ein anderes. Beide schneiden sich unter einem
mehr oder weniger grossen Winkel. Der Fruchtachsendruck
erfolgt also nicht senkrecht auf die Beckeneingangsebene und
die Wirkung der Wehentätigkeit wird stets eine mangelhafte
sein. Die fixierte Stelle der Uterusoberfläche kann sich nicht
entfalten und es müssen andere Teile kompensatorisch durch
Ueberdelinung eintreten. Der Fundus bildet dann nicht mein
den höchsten Punkt des schwangeren Uterus. Die Portio ist
nach der der Fixationsstelle entgegengesetzten Seite verlagert,
also bei Fixation nach vorn Hochstand und Retroposition, oft
weit über dem Promontorium, und im vorderen Scheiden¬
gewölbe tastet man eventuell den unteren Pol des Uterus.
Durch Zug des überdehnten Uterusabschnittes ist also eine
Rotation in entgegengesetzter Richtung der Fixation eingetreten.
Infolge des nämlichen Zuges ist die hintere Muttermundslippe
frühzeitig entfaltet, während dies bei der vorderen nur zögernd
und mangelhaft eintritt. Bei den Vaginifixationsfällen ist das
besonders auffallend, wo sich dann beim Anziehen dei vordeien
Muttermundslippe die vordere Wand des Muttermundes „wie
ein eisenfester Ring“ anspannt, „alle geburtshilflichen Eingriffe,
sowie Durchtritt selbst des zerstückelten Rindes auf das
höchste erschwerend oder gar unmöglich machend.“ Dass bei
derartigen Veränderungen Geburtsstörungen allerschwerster
Natur eintreten können, ist wohl mehr wie erklärlich.
Am 11. I. 07 wurde ich zu einer angeblichen Querlage bei einer
V. Para gerufen, die schon vor genau 4 Wochen ihre Niederkunft er¬
wartet, aber nach 12 ständiger, mässiger Wehentätigkeit das Kreiss-
bett wieder verlassen hatte. Die früheren Geburten waren sämt¬
lich ohne erwähnenswerte Störungen vor sich gegangen. Das letzte
Wochenbett hatte sich infolge leichterer Temperatursteigerungen
etwas länger hingezogen, ohne dass Pat. indessen ärztliche nute
nötig gehabt hätte. Die letzte Schwangerschaft war ohne Besonder¬
heiten und Beschwerden verlaufen. Auffallend war nur, dass die
charakteristische Senkung des Fundus am Ende des 9. Monats aus¬
geblieben war. Ausser einem nicht geheilten, totalen Dammrisse,
von der ersten Geburt stammend, und einem nicht unerheblichen
Vitium cordis bot der Allgemeinbefund nichts Besonderes.
Das Abdomen war nicht besonders ausgedehnt, mässiger Hoch¬
stand des Fundus. Durch Palpation war bei dem tetanisch kontra¬
hierten, stark druckempfindlichen Uterus jedenfalls keine Querlage zu
konstatieren. Die kindlichen Herztöne in der Mitte dicht unter dem
Nabel gut zu hören. Seit einigen Stunden ausserordentlich reichlicher
Abgang von Mekonium. Der vaginale Befund stellte sich folgendei-
massen dar: Die Scheide war hart gegen die Symphyse resp. etwas
extramedian gepresst, lang ausgezogen, so dass selbst bei de,r
Untersuchung mit der ganzen Hand der Muttermund nicht erreicht
werden konnte. Die hintere Scheidenwand wurde durch einen etwa
kindskopfgrossen Tumor, der ganz den Eindruck eines im kleinen
Becken eingekeilten resp. dort adhärenten Dermoids machte, nach vorn
gedrängt. Ein vorsichtiger Repositionsversuch misslang, eine Punk¬
tion sprach gegen diese Annahme. Bei dem im unmittelbaren An¬
schluss vorgenommenen Kaiserschnitt — bei dem reichlich unklaren
öefunde wählte ich den abdominalen Weg — klärte sich die ganze
Lage der Dinge folgendermassen auf: Durch zahlreiche Adhäsionen
mit Netz, Darm und hinterer Beckenwand war der Uterus an seiner
hinteren Fläche fest fixiert, die Ligamentansätze weit nach hinten
verlagert, die Vorderfläche des Uterus enorm kompensatorisch aus¬
gedehnt. ’ Entleerung des Uterus durch queren Fundalschnitt, mässig
asphyktisches Rind in Schädellage mit dem Rücken nach vorn. Ent¬
fernung der Nachgeburt, Schluss des entleerten Uterus in typischer
Weise und ohne Störung. Bei der Inspektion der Bauchhöhle und
des Beckens klärte sich der rätselhafte Befund nun folgendermassen
auf: Adnexe und vordere Utemsfläche ganz frei. Auf der hinteren
Seite teilweise ausserordentlich feste Fixationen, vor allen Dingen
nach der Hinterwand des Beckens, die folgende Entwicklungshem¬
mung des gravid sich vergrössernden Uterus bewirkt hatten: I unc-
tum fixum etwa in der Gegend des Promontorium, Entfaltungshem¬
mung fast der ganzen hinteren Uteruswand. Ein nicht unerhebliches
Segment unterhalb der Fixation ist frei und hat sich nach dein kleinen
Becken zu entwickelt, wo es den obenerwähnten Tumor vortauschte.
No. 37.
Enorme Entwicklung und Ueberdehnung der vorderen Uteruswand.
Weiter eine Rotation des ganzen Uterus mit dem ganzen Zervikal¬
teil bis weit über die Symphyse. Die vom Abdomen aus noch enorm
ausgezogen zu tastende Scheide wie die physiologischen Befesti¬
gungen des Uterus hatten eine weitere Rotation, die ich auf minde¬
stens 60 0 taxiere, verhindert.
Also Hochstand und Anteposition der Portio, Rotation des Uterus
nach der der Fixationsstelle entgegengesetzten Seite, mangelhafte
Entfaltung der fixierten Partien und Ueberdehnung der anderen,
höchst unwirksame Wehentätigkeit, die bereits 4 Wochen vorher die
Geburt auf physiologischem Wege nicht hatte herbeiführen können,
ferner die früheren Erfahrungen bei den sog. Fixationsgeburten
charakterisieren diesen Fall als eine absolute Geburtsunmöglichkeit.
Die Patientin überstand den Eingriff ohne Störung und verliess
nach 3 Wochen die Klinik. Von seiten des Herzens trat keine Kompli¬
kation ein. Das Kind war, offenbar infolge der Narkose, leicht
asphyktisch, erholte sich aber sehr bald. Abgesehen von den Daten
der Mutter — letzte Periode, erste Kindsbewegungen, Einsetzen der
Wehen am normalen Niederkunftstermin — deuten auch das Gewicht
und die Körperlänge im Vergleich zu den früheren Kindern, sowie
die Kopfdurchmesser darauf hin, dass in diesem Falle eine Ueber-
tragung des Kindes stattgefunden hat, und zwar infolge obiger
Komplikation als Beweis einer absoluten Geburtsunmöglichkeit.
Ueber Methylatropinum bromatum bei Kindereklampsie.
Von Dr. B o e s 1 in Oberstdorf.
Am 26. Mai 1907 spät abends wurde ich zu dem 2 jährigen Kinde
des Herrn R. gerufen, das plötzlich an Krämpfen erkrankt war. Ich
fand ein kräftig entwickeltes Kind vor, das bisher keine nennens¬
werten Erkrankungen durchgemacht hatte. Die klonischen und toni¬
schen Krämpfe waren überaus heftig und erstreckten sich über die
Gesamtmuskulatur des Körpers und Gesichts; die Pupillenreaktion
war vorhanden, der Puls äusserst frequent, die Lippen staik zya¬
notisch gefärbt. Auf ein heisses Bad, das vor meiner Ankunft auf
Veranlassung zweier bereits vorhandener Aerzte verabreicht woiden
war, war vorübergehend Stillstand der Zuckungen eingetreten; die¬
selben kamen aber bald darauf mit um so grösserer Intensität wieder.
Temperaturaufnahme 39,2 u in Achselhöhle. Mit Uebereinstimmung
der beiden Kollegen wandte ich nun bei dem Kinde eine subkutane
Injektion von 0,0002 Methylatropinum bromat. an, das mir zu Ver¬
suchszwecken von der chemischen Fabrik E. Meick in Darmstadt
in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt woiden wai. Nach
etwa 3 Minuten lassen die Konvulsionen nach, die gesamte Muskulatur
wird ruhig, die Atmung ist noch unregelmässig. Indessen kehren die
Krämpfe nach einiger Zeit in schwächerem Grade wieder.
Hierauf wird eine neuerliche Injektion von 0,0002 Methylatropin,
brom. appliziert.
Nach Verlauf von etwa 5 Minuten setzen die Konvulsionen mi¬
die ganze Folgezeit aus. „ , A ,
Auf meine Empfehlung wird nun das Kind zur Herabsetzung der
hohen Temperatur in ein Bad von 27 u R gebracht, das allmählich
auf 24° abgekühlt wird. Darauf wird es ins Bett gelegt.
Bis zum Morgen ruhiger Schlaf. Aftertemperatur am Morgen
36,6°. Nahrung wird anstandslos angenommen.
Seit dieser Zeit kam .kein Anfall mehr; das Kind wurde nach
Mitteilung des behandelnden Arztes nach einigen Tagen als völlig ge¬
sund entlassen. . , ± „
Ueber die Anwendung von Methylatropinum bromatum bei Kon¬
vulsionen der Kinder existiert bisher keine Veröffentlichung, so dass
die Bekanntgabe obigen Falles gerechtfertigt erscheinen dürfte. Aller¬
dings ist es ja im allgemeinen immer ein etwas gewagtes Beginnen,
aus einer einzelnen Beobachtung weitere Folgerungen zu ziehen;
hier aber war die Wirkung der Methylatropinum-bromatum-lnjektion
so klar und sicher, dass man getrost zu weiterer Anwendung in
ähnlich gelagerten Fällen aufmuntern darf, um so mehr, als das reld
der therapeutischen Möglichkeiten in solchen akuten Anfällen von
Kindereklampsie ohnehin begrenzt ist.
Aus der chirurgischen Abteilung des herzoglichen Land-
crankenhauses zu Gotha (Chefarzt: Geh. Med. -Rat 1 io . r.
E. M e u s e 1).
Ein Fall von Spina bifida occulta.
Von Dr. W. Binder, Assistenzarzt.
In der Literatur sind nur relativ wenige Fälle von Spina
bifida occulta bekannt. T i 1 1 m a n n s hat in der „Deutsc ich
Chirurgie, Verletzungen und chirurgische Krankheiten des
Beckens“ im ganzen nur 42 sichere Fälle aus der Literatu
sammeln können. . . •
Es dürfte daher von Interesse sein, einen weiteren typi¬
schen Fall von Spina bifida occulta kennen zu leinen.
Nur kurz sei auf das anatomische Verhalten und auf die
Symptome dieser Erkrankung hingewiesen. Wahrend bei der
3
1826
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
gewöhnlichen Spina bifida an dem Rückgrat aussen meist eine
zystenartige Geschwulst hängt, die durch einen deutlichen Spalt
in der Wirbelsäule mit dem Spinalkanal kommuniziert, ist bei
der Spina bifida occulta weder eine zystische Her.vorbuchtung,
noch eine deutliche Wirbelspalte äusserlich zu bemerken. Nur
bei ganz genauer Betastung kann man an der betroffenen Stelle
zuweilen eine Lücke in einem oder mehreren Wirbelbögen der
Lendenwirbel oder des Kreuzbeines nachweisen. Es können
ausnahmsweise äusserlich aufsitzende Geschwülste Vorkom¬
men. Fast regelmässig dagegen ist ein auffallender Haarwuchs
im Bereiche der Rückenmarksanomalie zu beobachten.
Nach v. Recklinghausen, Marchand u. a. ist
meist das Rückenmark nach unten verlängert, das untere Ende
reicht bis in den Kreuzbeinkanal hinab und geht hier in Form
einer geschwulstartigen fibromyolipomatösen Masse in die
äusseren Weichteile und Haut über. Durch diese indirekte
Verwachsung des Rückenmarks mit dem Unterhautzellgewebe
und der Haut wird nach Katzenstein bei dem Körper¬
wachstum durch einen von der Haut auf das Rückenmark aus¬
geübten Zug dieses in die Länge gezogen. So kommt es, dass
die sekundären, weiter unten zu besprechenden Erscheinungen
an den unteren Extremitäten meist erst in der Zeit des schnell¬
sten Körperwachstums, nämlich zwischen dem 9. und 17. Le¬
bensjahre, auftreten. Durch den obenerwähnten Zug kann
nebenbei auch die äussere Haut eingezogen werden. An der
Stelle der geschwulstartigen Masse entsteht meistens eine Er¬
weiterung des Spinalkanals.
Was den Sitz der Spina bifida occulta anbelangt, so war
er bei den bisher bekannten Fällen bis auf wenige Ausnahmen
die Regio lumbosacralis resp. sacralis.
Infolge der eigentümlichen Verbildung am Rückenmarks¬
ende treten meist mehr oder weniger ausgeprägte trophische,
sensible und motorische Störungen in einem oder in beiden
Extremitäten auf. Ferner sind Störungen der Blase und des
Mastdarmes, z. B. Incontinentia urinae et alvi, nicht selten.
Als Folgezustände der Sensibilitätsverminderung sind
Phlegmonen und Geschwüre, z. B. in Form des sogen. Mal
perforant du pied, von grosser Bedeutung, denn durch diese
ist das Leben des Betroffenen wegen der Gefahr der Sepsis
stets bedroht. Diese peripher auftretenden, sekundären Stö¬
rungen treten, wie schon oben gesagt, meist erst im zweiten
Dezennium des Lebens in Erscheinung.
Bei dem auf der chirurgischen Abteilung des Landkrankenhauses
zu Gotha kürzlich beobachteten Falle handelt es sich um eine
26jährige Frau H. aus Fr, angeblich aus gesunder und normaler
Familie stammend. Die Frau wird geschickt wegen phlegmonenarti¬
ger Entzündung des linken Fusses, ausgehend von einem an der
unteren Fläche der grossen Zehe sitzenden, runden Geschwüre, einem
Mal perforant du pied. Aus diesem ergiesst sich Eiter und man stösst
mit der Sonde auf rauhen Knochen. Auffallend ist, dass gar nicht,
auch nicht bei den vorgenommenen lokalen Untersuchungsmanipu¬
lationen, über Schmerzen an der Zehe geklagt wird. Die Fnau gibt
an, seit ihrem 12. Lebensjahre weder an der grossen, noch an den
anderen Zehen jemals schmerzempfindlich gewesen zu sein. Sie
erklärt dies dadurch, dass sie damals wahrscheinlich den Fuss er¬
froren habe. Sie habe von da an auch nie mit dem vorderen Teile
des Fusses fühlen können, ob das Badewasser warm oder kalt war,
während sie mit der Hacke die Temperatur gut unterscheiden konnte.
Im Laufe der Jahre habe sie schon öfters eine schlimme linke
Grosszehe gehabt, der Arzt habe ihr auch schon kleinere, abge-
stossene Knochenstückchen entfernt; niemals aber sei dies schmerz¬
haft gewesen.
Die genauere Sensibilitätsprüfung ergibt völlige Analgesie der
5 Zehen bis an das Phalango-Metatarsalgelenk. Fussriicken und
Fussohle zeigen bis etwa an die Lisfrancsche Gelenklinie Ver¬
minderung des Schmerzgefühls und Erloschensein des Temperatur¬
sinns.
Sämtliche Zehen sind mehr oder weniger verkümmert und ver¬
krüppelt (s. Abbild.) Auf dem Röntgenbilde sind ebenfalls neben Zer¬
störung der Phalangen und des Metatarsusköpfchens der Grosszehe
trophische Veränderungen der Phalangen der übrigen Zehen im Sinne
der Verkümmerung zu erkennen. Die Nägel sind gleichfalls
atrophisch.
Die Beweglichkeit der Zehen ist aufgehoben; der Fuss als solcher
dagegen wird normal bewegt. Die eigentlichen Fussreflexe sind er¬
loschen.
Am rechten Fusse ist keine anormale Erscheinung festzustellen.
Betreffs der Blase wird von der Patientin angegeben, dass sie
den Urin nie lange habe halten können. Seitens des Mastdarmes sind
keine Störungen vorhanden.
Auf die Diagnose der Sp. bif. occulta führte uns erst die Hyper-
trichosis im Gebiete des 3. bis 5. Lendenwirbels. Die Haare stehen
mässig dicht und sind bis 6 cm lang. Eine Wirbelspalte ist nicht
nachzuweisen, dagegen besteht ein deutliches, wenn auch geringes
Hervorspringen der Dornfortsätze der 2 letzten Lendenwirbel. Dies
dürfte auf eine bestehende Erweiterung des Spinalkanals an dieser
Stelle hindeuten.
Ein Fall von rapid verlaufenem Magenkarzinom mit
Metastasen in den Femur.
Von Dr. Rahner, Gaggenau.
In der Literatur sind eine Reihe von Fällen beschrieben, in
welchen sich ein primäres oder sekundäres Karzinom in den
Knochen der Extremitäten entwickelt hat und dürfte auch fol¬
gender Fall mit Rücksicht auf seinen Verlauf ein gewisses In¬
teresse für eine kurze Veröffentlichung bieten.
Am 14. März 1907 wurde ich zu der 48 Jahre alten Frau M. W.
in S. gerufen, welche über allgemeine Mattigkeit und Unlust zum
Essen klagte. Die Anamnese ergab, dass Pat. bisher immer gesund
war und erst seit 14 Tagen etwas zu kränkeln anfing. Die Unter¬
suchung der etwas abgemagerten und anämischen Patientin ergab
einen vollständig negativen Befund. Am Magen konnte nichts Patho¬
logisches nachgewiesen werden. Rektum und Uterus waren sicher
frei von einer bösartigen Neubildung. Am 25. März bekam Patien¬
tin täglich 6 — 7 mal Erbrechen, dem Erbrochenen war Blut bei¬
gemischt, so dass ich, obwohl kein Tumor palpabel war, unter Be¬
rücksichtigung des allgemeinen Zustandes der Patientin die Dia¬
gnose auf „Carcinoma ventriculi“ stellte. Bereits am 5. Mai war das
Karzinom als mannsfaustgrosser Tumor in der Mitte der grossen
Kurvatur nachweisbar. 2 Tage später klagte die Frau über Schmer¬
zen in der Gegend des linken Oberschenkels. Objektiv nichts nach¬
weisbar. Am 13. Mai begann der Oberschenkel in der Mitte sich
spindelförmig aufzutreiben. Bis zum 20. Mai hatte die Geschwulst,
welche von mir als eine Karzinommetastase aufgefasst wurde, die
Grösse eines Gänseeies. Am 22. Mai erlitt die Frau beim sich Heben
im Bette an der Stelle dieser Geschwulst eine Spontanfraktur
in der Mitte des linken Femur und am 23. Mai trat unter dem Bilde
der Krebskachexie der Exitus ein.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung der Knochen¬
geschwulst ergab ein Adenokarzinom. Die übrige Sektion der
Leiche wurde verweigert, doch dürfte aus dem Krankheitsbilde
mit Sicherheit zu erschliessen sein, dass es sich hier um ein
sekundäres Adenokarzinom im Knochen gehandelt hat, welches
durch Metastase vom primären Karzinom des Magens aus ent¬
standen ist. Besonders auffallend ist in diesem Falle die rapide
Entwicklung des Krebses sowohl am Magen als auch die des
sekundären Knochenkarzinoms.
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1827
Schutz des Arztes und des Patienten gegen Schädigung
durch Röntgen- und Radiumstrahlen.
Von Ingenieur Friedrich Dessauer.
In einer kleinen Arbeit habe ich kürzlich aui Einladung des
Herausgebers der Deutschen Revue darzustellen versucht,
worin eigentlich die Gefahren der Röntgenstrahlen für Aerzte
und Patienten bestehen und inwieweit man überhaupt von Ge¬
fahr sprechen darf. , .
Diese Arbeit wendet sich an die gebildeten Laien. Sie ver¬
folgt den zweifachen Zweck, die übertriebene Vorstellung,
welche gerade oft in diesen Kreisen von den Gefahren der
Röntgenuntersuchung und Röntgenbehandlung besteht, zu koi-
rigieren, andererseits aber mit besonderem Nachdruck daraut
hinzuweisen, dass nur der Fachkundige, nur der röntgeno-|
logisch gut vorgebildete Arzt die Methode anwenden daif und
soll. So wollte ich auch der Kurpfuscherei, die sich hie und daj.
auf diesem Gebiet versucht, entgegenarbeiten. 1 1
Die Fragestellung in unserer nachfolgenden kleinen Unter- •
suchung ist eine andere, beschäftigt sich mit den Schutzmitteln
für den Arzt und den Patienten bei der Ausübung des Ver¬
fahrens. Kann doch bestimmt die Röntgenologie bei rationeller
Ausübung nicht nur als eine der dankbarsten, sondern auch als
eine der gefahrlosesten medizinischen Methoden bezeichnet
werden. , . ,
Bei diagnostischen Versuchen kann nur bei Verwendung
ganz weicher Röhren, bei sehr langer Durchleuchtung oder
mehrmals wiederholter Aufnahme derselben Stelle eine Haut¬
reizung zustande kommen. Abgesehen davon, dass die Not¬
wendigkeit einer sehr oft und kurze Zeit hintereinander wieder¬
holten Aufnahme in der Praxis fast nie vorkommt, wäre es hier
sehr leicht, zu schützen. Gefährlich sind bei solchen immerhin
recht kurz dauernden Bestrahlungen nur die weichen, wenig
penetrierenden Strahlen, denen die höchste chemische Wirk¬
samkeit zukommt. Man kann sie zum grössten Teile daduich
eliminieren, dass man über die Haut eine oder mehrere Lagen
Leinwand oder besser ein dünnes Ledertuch legt, welches die
gefährliche Strahlung hinreichend absorbiert.
Die Expositionszeit und auch die wirklich notwendigen Be¬
leuchtungszeiten beschränken sich ja in der Regel auf eine oder
zwei Minuten. Das ist, wenn die Röhre nicht geradezu un¬
verständig überlastet wird oder wenn sie nicht gerade un¬
tauglich weich ist, eine viel zu kurze Zeit, als dass eine Schädi¬
gung eintreten könnte. Nur allenfalls beim Absuchen nach
Steinen kommt es zu wiederholt länger dauernden Bestrah¬
lungen derselben Gegend. Eine geringe Aufmerksamkeit be¬
seitigt die minimale Gefahr.
Ein wenig grösser ist die Gefahr für den Patienten untei
Umständen in der Therapie. Ein exaktes Mass für die Dosie¬
rung der Strahlung ist zwar da. Das neue Holzknecht-
sche Chromoradiometer, das von Bordier oder das von
Sabouraud und Noire sind, richtig angewendet, Indika¬
toren für die Strahlendosis. Man kann die applizierte „physio¬
logische Energie“ damit einigermassen messen — indessen sind
sie ungenau, und die Farbunterschiede sind so gering, dass
Irrtümer nicht ausgeschlossen bleiben.
Lässt man sie hinweg, dann gehört für den Therapeuten
Uebung dazu, um in der einen Richtung durch zu vorsichtige
Dosierung sich nicht die Erfolge zu verderben und nach der
anderen Richtung nicht zu schaden.
Wenn man kräftige Einheitsdosen gibt, dazwischen aber
die Latenzzeit verstreichen lässt, wird man nicht leicht fehl¬
gehen. Im übrigen muss man sich immer das Grundgesetz vor
Augen halten, dass mit wachsender Durchdringungskraft der
X-Strahlen, mit wachsender Härte der Röntgenröhre die phy¬
siologisch-chemische Energie der X-Strahlen sehr lasch ab¬
nimmt und damit auch die Gefahr. Gefahr besteht also im
wesentlichen nur bei weicher oder doch einigermassen weicher
Röhre. Um mit mittelharter oder harter Röhre zu verbrennen,
muss man schon sehr lange dosieren.
Um die Umgebung der bestrahlten Partien zu schützen, hat man
zwei Wege eingeschlagen. Der eine bedeckte diese Partien mit un¬
durchlässigem Stoff, in dem die Strahlung absorbiert und undurch¬
lässig gemacht wird. Die andere Methode hüllt die Röhre derartig ein,
dass von ihr nur noch ein kleines Strahlenbündel durch einen Blei-
glastubus oder einen Metalltubus entweicht. Dann braucht man die
gesunden Körperstellen nicht zu bedecken; das Strahlenbündel reicht
nur für die erkrankte Stelle aus.
Der erste Weg führte zur Gewinnung der mit undurchlässiger
Masse (imprägnierten Schutzstoffe. Insbesondere die Gummistoffe
von T r a u n und Müller finden weit verbreitete Anwendung. Der
andere Weg führte zur Schaffung der Röhrenüberdeckung, zu den so¬
genannten Blendenkästchen, die aber meiner Ansicht nach wegen
ihrer Schwere, Umständlichkeit und wegen der in ihnen auftretenden
elektrischen Entladung wenig zweckmässig sind. Ausserdem aber
führte er zur Konstruktion der Bleiglashauben und diese halte ich für
die zweifellos günstigste Lösung. Eine Halbkugel aus Bleiglas nimmt
die Röhre auf. Auf der Höhe der Wölbung ist ein Ausschnitt, durch
den die Strahlung herausdringen kann, und an den man Bleiglastuben
oder Metalltuben beliebiger Form, wie es eben das zu bestrahlende
Feld erheischt, ansetzt. Ich verweise auf die diesbezüglichen Publi¬
kationen von Dr. Wiesner in der Münch, med. Wochenschr. und
in dem Archiv für physikalische Medizin. (Abb. 1.)
Was übnig bleibt, ist ein Rest von Fällen, bei denen man mit
aller Energie bestrahlt, um zu retten oder zu bessern, was noch zu
retten oder zu bessern ist. Inoperable Karzinome und Sarkome kann
man gründlich bestrahlen, man riskiert ja auch im Verhältnisse nicht
viel und erzielt recht oft eine Besserung.
Abbildung 1.
Unvergleichlich wichtiger als der Schutz des Patienten ist der
Schutz des Arztes, denn für ihn ist die Gefahr unvergleichlich
grösser. Er setzt sich der Schädlichkeit immer und immer wieder
aus. Der Patient unterliegt ihr ja nur einmal oder einige Male. Und
wenn dem unvorsichtigen Röntgenologen auch eine einmalige, auch
eine mehrmalige Bestrahlung nichts schadet; die Wirkung akkumu¬
liert sich fortwährend und nach einem Jahre oder später tritt sie in
jenen Formen hervor, von denen man bis jetzt weiss, dass sie v ohl
schlimmer, aber nicht, dass sie besser werden können Chronische
Dermatitis ist therapeutisch eine der undankbarsten Erkrankungen,
die man kennt. .
Aber sie ist ebenso, nach dem heutigen Stande der Technik, eine
unnotwendige Erkrankung. Ein gewisses Mass von Aufmerksamkeit,
und der Arzt kann sich dauernd dem schädigenden Einfluss entziehen.
Dazu ist aber eine gewisse Selbstbeherrschung in erster Lime und
gewisse technische Hilfsmittel sind in zweiter Linie unbedingte Vor-
3 ussetzung.
Die erste Voraussetzung ist leicht dargetan. Der Arzt soll sich
nie und nimmer ohne dringende Notwendigkeit dem Strahlenfeld aus¬
setzen. Vor allen Dingen soll er nie seine eigenen Hände, oder all¬
gemein seinen Körper zur Durchleuchtung hergeben, me, wenn er
Freunden den Apparat demonstriert, nie als Prüfobjekt für die Duali¬
tät seiner Strahlen. Will er an einem durchleuchteten Körperteile die
Qualität der Strahlen feststellen, dann ist der Körper des Patienten,
dann ist insbesondere die Hand des Patienten dafür da. Dem schadet
es nichts, denn er setzt sich nur ein oder nur einige Male den
Strahlen aus. , , , , . , . _ .
Dass der Arzt aber ,im übrigen nicht in das Strahlenfeld kommt,
dafür hat die neuere Technik ihm genügende Hilfsmittel gegeben.
Wendet man die oben erwähnte Bleiglaskappe an, dann ist der
Raum des Zimmers nicht stark durchstrahlt. Hält der Untersucher
sich so im Raume auf, dass die Wand der Bleiglaskappe zwischen ihm
und der Röhre liegt, und tritt er nie in den eigentlichen btrahlenkegel
— es sei denn er durchleuchte und dann muss sich der Körper des
Patienten zwischen ihm und der Röhre befinden — so darf er sich als
ziemlich gut beschützt betrachten.
Arbeitet der Arzt aber mit unbedeckter Rohre, dann soll ei
keinen Augenblick vergessen, dass der ganze Untersucliungsraum nun¬
mehr ein Feld schädigender Strahlen geworden ist. Denn die dittus
reflektierten X-Strahlen, die Sekundärstrahlen dringen überall hin.
Alle Körper im Untersuchungsraum — die Luft des Raumes, sein
Fussboden, seine Decke — sind Ausgangsorte schädlicher und aut die
Dauer gefährlicher Sekundärstrahlung. Hiervor heisst es sicn
schützen.
1828
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Bei allen Aufnahmen sei deshalb der Platz des Arztes möglichst
weit entfernt von der Röhre. Die Konstruktion der Apparate soll dem
Rechnung tragen. Der Reguliermechanismus des Röntgeninstrumen¬
tariums soll getrennt sein vom Induktorium, zweckmässig auf einem
separaten Reguliertisch angeordnet sein, sodass nur eine lange ela¬
stische Kabelleitung Reguliertisch und Induktor verbindet. (Siehe
Abb. 2.) Dann stellt der Arzt den Patienten zur Aufnahme und Be¬
strahlung sorgfältig unter die Röhre, geht nachher an seinen Regulier¬
tisch in eine andere Ecke des Zimmers und schaltet von da ein und
aus. Auch die Bedienung des ganzen Reguliermechanismus, soweit
er während einer Aufnahme zur Bedienung der Röhre in Frage kommt,
sollte von dieser getrennten Stelle aus geschehen.
Aber damit nicht genug, soll zwischen Reguliertisch und Röhre
noch eine undurchlässige, oder sagen wir richtiger, wenig durch¬
lässige Beobachtungswand aufgestellt werden. Dazu eignet sich das
von Qundelach und von S i e b e r t in den Handel gebrachte
Bleiglas, aus dem man fahrbare Beobachtungsgestelle macht. Sehr
zweckmässig ist es, die fahrbare Bleiglaswand mit drehbaren Flügeln
rechts und links auszugestalten, sodass sie den Beobachter vorn und
von beiden Seiten schützt.
Die Benützung dieser fahrbaren Bleiglaswand, hinter der der
Arzt mit dem Reguliertisch seinen Platz findet, macht meines Er¬
achtens die in einzelnen Instituten angeordneten Schalthäuschen über¬
flüssig. Solche Schalthäuschen (Abb. 3) sind allseitig mit schwer
durchlässigen Stoffen beschlagen und mit Beobachtungsfenstern aus¬
gestattet, hinter die sich der Untersucher vor Einschalten des Appa¬
rates zurückzieht. Abgesehen von der Umständlichkeit und der
Preiserhöhung eines solchen grossen Möbels versperrt ein solches
Schalthäuschen sehr viel Platz, ist ein Staubfänger mit seinen vielen
Winkeln und Ecken und macht auch wohl auf die Patienten kaum
einen übermässig günstigen Eindruck. Fahrbare grosse Bleiglaswände
Abbildung 3.
Abbildung 2.
Abbildung 5.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1829
und fahrbare Reguliertische, die man nach Belieben in jede Ecke des
Zimmers bringen kann, sind nach meiner Ansicht aus diesem Eirunde
Nun gibt es aber eine Reihe von Fällen, bei denen dei Arzt
nicht hinter der Schutzwand oder in seinem Schalthäuschen bleiben
kann Bei therapeutischen Behandlungen und bei Aufnahmen kann ei
ruhig sich aus dem Strahlenfeld zurückziehen. Wenn er aber durch¬
leuchtet, kann er das nicht. Dann findet sich sein Gesicht voi dem
Leuchtschirm, seine Hand hält oft den Leuchtschirm und er wird
nicht immer ganz geschützt sein. .. .. n„ r rh
Zunächst möchte ich auch hier raten, man möge die Du r c h-
Eeuchtungis'd'auer ab kürzen, soweit dies vernünftig und
möglich ist. Und es ist in sehr vielen Fällen in weitgehendem Masse
möglich. Wer mit ausgeruhtem, an die Dunkelheit gewohntem Auge
an den Leuchtschirm herantritt und die Bildhelligkeit ganz langsam
verstärkt, der sieht viel mehr Details und erkennt viel rascher die
Konturen der Schatten als der hastige Beobachter, der mit vom 1 ages-
ücht oder vom künstlichen Licht abgestumpften Auge an den Schirm
herantritt. Deshalb empfehle ich immer, sofort beim Eintritt in das
Untersuchungszimmer zu verdunkeln und zunächst den Uebergang m
künstliches (elektrisches) Licht herbei zu führen, dann dieses künst¬
liche Licht durch einen zweiten Uebergang vom weissen zum gelben
oder roten Licht fortzusetzen, was man ganz gewohnheitsmassig
während der Vorbereitung tun soll. Und endlich sollte man vor der
Durchleuchtung das Auge eine halbe Minute im Dunkeln geöffnet
halten, dann erst einschalten.
Wer so beobachtet sieht rasch und deutlich, was er sehen will.
Er kürzt dadurch die Dauer der auf ihn wirkenden Bestrahlung ab und
redU Ausserdem gibt es aber auch hier eine Reihe von technischen
HllfSZunächst, bei Thorax- und Abdominaluntersuchungen, schützt den
Arzt zum Teil der Körper des Patienten. Man verwende die Durch¬
leuchtungsblenden mit grossen undurchlässigen Flachen, die nur das
Untersuchungsfeld frei lassen. Das Trochoskop schützt nach allen
Richtungen mit Ausnahme der Untersuchungsstelle Den Duich-
leuchtungsschirm hält man, wenn man mit der Blende untersucht,
nicht mit der Hand, weil die Hand genötigt ist, um ihn hei um zu
greifen und dadurch sich der Schädlichkeit aussetzt. Der Leucht¬
schirm soll vielmehr vom Blendenapparat selbst getragen werden und
sich gleichzeitig und gleichmässig mit der Blendenebene versc hieb en.
wie dies bei der abgebildeten Konstruktion der Fall ist. (Abb. 4.)
Ueberdeckt man die fluoreszierende Seite des Durchleuchtungs¬
schirms mit Bleiglas, so ist das Gesicht geschützt. Aber der Durch¬
leuchtungsschirm wird so
schwer, dass man ihn auf die
Dauer nicht gut mit der
Hand halten kann. Wenn er
an der Blende befestigt ist,
schadet dies nichts.
Will man wirklich ohne
Blende — man sollte dies nie
tun — durchleuchten, dann
muss die Hand, die den
Leuchtschirm hält, ge¬
schützt sein. Entweder in¬
dem man rechts und links an
den Leuchtschirm Metallar¬
maturen befestigt, welche
die haltende Hand über¬
decken (siehe Abb. 5). Oder
indem man den Handrücken
mit den sehr zweckmässigen,
aus elastischen Schutzstoffen
hergestellten Protektoren
überzieht, die ähnlich wie
früher die Fechthandschuhe
die ganze Innenfläche der
Hand zum Greifen frei
lassen.
Vor den undurchlässi¬
gen Handschuhen muss ich
warnen. Sie sind schwer
oder durchlässig. Die
durchlässigen schützen nicht
sehr gut. mit den schweren,
groben, undurchlässigen kann
man nichts angreifen.
Eine unter gewissen
Umständen brauchbare und
empfehlenswerte Schutzvor¬
richtung ist die Schutz¬
schürze aus elastischem
Schutzstoff. (Siehe Abbil¬
dung 6.) Was den Schutz der Augen anlangt, so muss ich ge¬
stehen, dass mir aus meiner tausendfältigen Erfahrung heraus die
Augen als ein sehr wenig gegen Rontgenstrahlen empfindliches Organ
erscheinen. Die Uebermüdung der Augen verbunden mit leichten
Reizungen stammen sicher überwiegend nicht von der Röntgenstrah¬
lung sondern von der ausserordentlichen Anstrengung bei der Durch¬
leuchtung und dem häufigen und raschen Uebergang zwischen Dun¬
kel und Licht im Laboratorium. Dort wird eben tatsächlich den
Au^en sehr viel zugemutet. Will man die Augen schützen, so kann
man die Bleiglasbrillen verwenden. Für notwendig erachte ich sie
'^'^Durchleuchtungen mit offener unbedeckter Röhre ohne Blende
soll man aber immer vermeiden. Wenn man durchleuchtet soll man
entweder die Blende benutzen, oder die Röhre in eine Glas¬
haube einspannen oder ein 1 rochoskop zu Hilfe nehmen. A on cinei
offen arbeitenden Röhre gehen allseitig Strahlen aus; ist man nicht
selbst durch eine Blendenebene gedeckt, dann wirken die Stiahlen
auf alle Körperteile und daraus kann auf die Dauer eine . chadigung
entstellen.
Das Eine aber ist zum Schluss mit Bestimmtheit auszu¬
sagen: bei 'dem vorsichtig arbeitenden Arzte ist heute, nach¬
dem wir die Gefahren kennen, eine Verletzung durch Röntgen¬
strahlen durch einige Vorsicht und Selbstzucht mit Bestimmt¬
heit und auf die Dauer zu vermeiden. Wer nicht schon aus
früherer Zeit geschädigt ist, der kann nach meinem Erachten
ein Lebensalter Röntgenologe sein, ohne die schädigenden
Hautwirkungen der X-Strahlen auch nur einigermassen erheb¬
lich an sich konstatieren zu müssen.
Eine neue Nadel.
Von Prof. Dr. A. Zeller in Stuttgart.
Die unendlich grosse Anzahl von Modellen von Nadelhaltern be¬
weist, dass es bis jetzt noch keines gibt, das für alle balle Befriedi¬
gendes leistet. Eine einfache Ueberlegung zeigt auch die Schwierig¬
keit die es haben dürfte, ein Instrument zu konstruieren, das eine
dünne Dannnadel in gleicher Weise festhalten konnte wie eine
dicke Nadel, wie man sie zur Naht von Bauchdecken braucht. I mtz-
dem werden immer wieder neue Nadelhalter angepriesen, denen zur
Empfehlung die Versicherung mitgegeben wird, dass sie jede Nade
unverrückbar festhalten. Ich habe mehrere derselben geprüft und
mich überzeugt, dass sie diese Eigenschaft, wenn überhaupt nur
ganz kurze Zeit beibehalten. Sehr bald beginnt die Nadel sich im
Maul des Halters zu drehen. Wenn dies auch tur Nahte an der Koi-
peroberfläche von geringerer Bedeutung ist, so ist es beim Nahen
in tiefen Wundhöhlen um so unangenehmer. Ich bin daher für die
gewöhnlichen Nähte längst zu dem alten D i eff e nb ach sehen
Nadelhalter zurückgekehrt, der für die meisten Falle ausreicht. E
bleiben aber dann noch die Nähte in tiefen Korperhohlen übrig, die
sich auch mit 'ihm nur unter grossen Schwierigkeiten oder gar nicht
anlegen lassen, weil man bei der Länge, die das Instrument dann
haben muss, die Nadel nicht so fest halten kann, als es notig ist, um
das Ä Drehen derselben zu vermeiden. Offenbar haben auch
andere Chirurgen das Bedürfnis gehabt, für solche Falle em siel ei
wirkendes Instrument zur Verfügung zu haben, aber alle diese In¬
strumente dienen mehr zur Unterbindung und Umstechung als zu
eigentlichen Naht. So auch der vortreffliche Nadelhalter von Edgar
Kurz, den ich oft mit grossem Nutzen verwendet habe. - eine
kurze dicke Nadel würde aber bei der Naht feiner Kanäle, z. B. dei
Gallengänge, viel zu grosse Löcher machen, als dass man sie luci-
bEine absolut feststehende Nadel konnte man nur erhalten, wenn
dieselbe aus einem Stück bestand, also eine gestielte Nadel dar-
stellte Es lag dann nahe, auf das Prinzip der D e c h a m o s Sehen
Unterbindungsnadel zurückzukommen und ich habe mn darnach die
in der nebenstehenden Zeichnung abgebildete Nadel anfertigen lassen.
Abbildung 6.
Ein 20 cm langer Stiel verjüngt sich nach unten und geht in eine
Nadel über, die ungefähr die Krümmung der Decha mp s. sehen Nadel
hat die Stärke einer gewöhnlichen Nadel aber nicht überschreitet.
Dicht unter der scharfen Spitze sitzt das Oehr. Mit einer solchen
Nadel kann man in jeder Tiefe absolut sicher und beciuem nahen.
Ich habe sie mir für die verschiedenen Bedürfnisse in 3 (
fertigen lassen, deren halbkreisförmiges Ende einen Pjj^messer v
2 5 15 und 1 cm hat. Mit diesen 3 Grossen bin ich bis jetzt aus
gekommen, es steht aber natürlich nichts im Wege, der Nadel jeden
anderen gewünschten Durchmesser zu geben. ' ,
Anwendung findet die Nadel bei der Naht d|s D«ct. cysticüs und
choledochus, ferner im Rektum der Vagina und dem Douglas ; z. K
nach Adnexexstirpationen, bei Magenoperationen in der
Kardia usw. So habe ich kürzlich eine für 2 Finger durchgängige,
*) Zu” beziehen ist die Nadel von Instrumentenmacher
J. H a n k h, Stuttgart, Marktstr. 9.
1830
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
ungünstig gelegene Blasenscheidenfistel mit ihr genäht und völlige
prima intentio erzielt. Bei der Uranoplastik habe ich noch keine Ge¬
legenheit gehabt, sie zu versuchen, ich zweifle aber nicht, dass sich
die Nadel auch hierfür gut eignet und sie dürfte wegen ihrer Schlank¬
heit einen Vorzug vor der Langenbeck sehen Nadel haben. —
Nachdem sich mir die Nadel seit Jahr und Tag bei allen möglichen
Operationen in der Tiefe der Körperhöhlen bewährt hat, glaube ich,
sie den Fachgenossen empfehlen zu dürfen.
Mentholdampfapparat zur Behandlung des Katarrhs der
Tuba Eustachii.*)
Von L. M a d e r - München.
M. H.l Ich zeige Ihnen hier einen nach meinen Angaben her¬
gestellten Mentholdampfapparat speziell zur Behandlung des Katarrhs
der Tuba Eustachii. Ein solcher existiert meines Wissens bis jetzt
nicht. Derselbe hat sich mir seit mehr als % Jahren so gut bewährt,
dass ich glaube, Ihnen denselben und das in ihm vertretene Prinzip
(das zwar nicht neu ist, aber sich wahrscheinlich mangels geeigneter
Applikationsweise nicht eingebürgert hat) empfehlen zu dürfen.
Die Konstruktion des Apparates ist sehr einfach: Ein Glaskolben,
welcher etwa 50 g einer mentholhaltigen Flüssigkeit enthält, ist
(leicht abnehmbar) auf einem mit einer Handhabe versehenen Ge¬
stell befestigt. Unter dem Glaskolben befindet sich eine Spiritus¬
lampe; beide sind, um das Zerspringen des Glaskolbens zu verhüten,
durch eine Asbestplatte getrennt. Der Kolben ist mit einem Gummi-
stopsel luftdicht verschlossen. Durch diesen hindurch führen zwei
dünne, aussen rechtwinklig gebogene Glasröhrchen ins Innere. An
dem einen dieser Röhrchen ist ein kurzer Gummischlauch angesteckt,
der an seinem freien Ende ein kleines, konisches, hohles Hartgummi¬
stück, passend in die Mündung eines Ohrkatheters, besitzt, an dem
andern ein Ventilgebläse, versehen mit einem Quetschhahn.
Soll nun der Apparat benützt werden, so wird die Spirituslampe
angezündet und der Glaskolben leicht erwärmt. Sobald derselbe an¬
fängt, sich warm anzufühlen, findet eine lebhafte Entwicklung von
Mentholdämpfen in seinem Innern statt; dann muss, um die Dämpfe
nicht zu heiss werden zu lassen, die Flamme ausgelöscht werden.
Man führt jetzt den Ohrkatheter ein, verbindet denselben mit Hilfe
des einen, zu diesem Zwecke mit dem erwähnten Hartgummiausatz
versehenen Gummischlauches mit dem Kolben und lässt nun durch
einen Gehilfen, welcher den Apparat hält und mittlerweile das Gebläse
aufgeblasen hat, den Quetschhahn öffnen. Sofort strömt der Men¬
tholdampf in den Katheter und die Tuba, resp. das Mittelohr ein.
Diese Prozedur muss einigemale wiederholt werden und zwar
hat es sich mir als besonders günstig erwiesen, zwischen den ein¬
zelnen Einblasungen kleine Pausen von ein paar Minuten zu machen,
sodass ich bitten möchte, diesen Punkt wohl zu beachten. Auch ist
cs von Vorteil, während des Einströmens des Dampfes in den Ka¬
theter schlucken zu lassen.
Der Effekt ist fast immer ein guter, manchmal sogar ein über¬
raschender. Gegenüber der gewöhnlichen Luftdusche ist ein wesent¬
licher Unterschied vorhanden, wie ich von Patienten, denen auf
dem einen Ohr Luft, auf dem andern Mentholdämpfe eingeblasen
wurden, oft habe hören können. Manchmal sind die Mentholdämpfe
noch wirksam, wo Einspritzungen oder Bougierung nicht mehr oder
unvollständig gelingen. Das ist ja leicht erklärlich. Dazu kommt,
dass die Behandlung mit Mentholdämpfen viel angenehmer ist, als
z. B. die Bougierung.
Zum Schlüsse möchte ich noch bemerken, dass mir der Apparat
nicht bloss beim akuten und chronischen Tubenkatarrh und seinen
*) Demonstration in der laryngo-otol. Gesellschaft München
am 25. II. 07.
Folgen gute Dienste geleistet hat, sondern auch in der Regel bei
akuten schmerzhaften Otitiden. Häufig ist es gelungen, nach einigen
Einblasungen Erleichterung und Besserung zu erzielen, nur habe ich
in diesem Falle gewöhnlich nicht katheterisiert, sondern, besonders
bei Kindern, den Mentholdampf in einen Gummiballon eingesaugt und
mittels des P o 1 i t z e r sehen Verfahrens in das Mittelohr gebracht.
Es erübrigt noch, das Rezept für die mentholhaltige Flüssigkeit
mitzuteilen. Herr Dr. König (Ludwigsapotheke) hatte die Freund¬
lichkeit, auf mein Ersuchen verschiedene diesbezügliche Versuche
anzustellen. Am besten hat sich bewährt:
Rp. : Menthol., Ol. pini pumilionis aa 25,0.
Zur Sterilisation.
Von Dr. Langemak, Spezialarzt für Chirurgie in Erfurt.
Um die Vereinfachung und die einheitliche Gestaltung des Sterili¬
sationsverfahrens hat sich in letzter Zeit besonders Grosse1) Ver¬
dienste erworben, welcher den exakten Nachweis erbrachte, dass
wir im Wasserdampf ein Sterilisationsmittel besitzen, dem allein
sämtliche Objekte, deren wir zu aseptischen Operationen in keim¬
freiem Zustande bedürfen, exponiert werden können.
G. schreibt: „Wir bedürfen keiner „präformierten“ Apparate,
sondern können uns einen Dampfsterilisator an Ort und Stelle der
Operation aus dort sicher vorhandenem Material im Handumdrehen
zusammenstellen. Es ist dazu weiter nichts erforderlich als zwei
Kochtöpfe, deren einer in den anderen hineingestellt werden kann.
Auf den Boden des grösseren Topfes wird ein Glas Wasser ge¬
gossen, der kleinere nimmt das zu sterilisierende Material auf —
Instrumente, Verbandstoffe, Katheter, Spritzen, Gummihandschuhe,
oder was man sonst zu einer Operation, einem Verbandwechsel, einem
Katheterismus, einer Infusion etc. braucht.“
Da eine so kleine Quantität Wasser in wenigen Minuten zum
Sieden kommt, und da eine 10 Minuten währende Dampfdurchströ-
mung durchaus hinreicht, ein einwandsfreies aseptisches Material zu
schaffen, so erfordert die ganze Sterilisationsprozedur höchstens eine
Viertelstunde.
Ich möchte im Folgenden die Kollegen auf einen Apparat hin-
weisen, der sich zu der Sterilisation nach Grosse vorzüglich eignet,
den viele wold schon in der Küche gesehen haben. Es ist der
Kartoffelkocher 2), auch sächsischer Kartoffelkocher oder Kartoffel¬
dämpfer genannt. Es stehen hier nicht zwei Töpfe in-,
sondern übereinander, was die Sache noch vereinfacht.
(Der Boden des Oberteiles ist gelocht, in den Unterteil kommt
das Wasser.) Für die ärztliche Sprechstunde genügt dieser Kocher
bei genügender Grösse als Universalsterilisator, aber auch im grossen
Betriebe wird man gerne einen oder mehrere solcher Kocher in
Benutzung nehmen, weil man nicht nur Trichter, Schlauch und Nadel
zur Kochsalzinfusion oder Gummihandschuhe, Flaschen mit Inhalt,
Gläser, Spritzen etc. sterilisieren, sondern diese Gegenstände auch
steril darin aufbewahren kann.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Eine Festsetzung der Vergütungen für ärztliche Dienst¬
leistungen auf dem Verordnungswege.
Der Vorstand der Kgl. Postagentur X. liess mir jüngsit nach¬
folgendes Schreiben zugehen:
Vergütungen für ärztliche Dienstleistungen.
a) Für den ersten Besuch bei Tag in der Wohnung des Kranken,
soferne dieser nicht weiter als 2 Kilometer vom Wohnorte des
Arztes entfernt wohnt, 2 Mk. (zwei Mark), für jeden folgenden Tag¬
besuch 1 Mk. (eine Mark), zur Nachtzeit das Doppelte, wobei für
Zeitaufwand und für Fahrtkosten nichts berechnet wird.
Sind in derselben Wohnung gleichzeitig mehrere anspruchs¬
berechtigte Kranke zu behandeln, so kommt für die zweite und die
weiteren Personen je die Hälfte der Gebühr in Ansatz;
b) für Beratungen des Kranken in der Wohnung des Arztes bei
Tag 50 Pf (fünfzig Pfennig), zur Nachtzeit das Doppelte;
c) für Besuch in der Wohnung von Kranken, welche weiter als
2 Kilometer vom Wohnorte des Arztes entfernt wohnen, neben der
Gebühr unter a) eine Vergütung für Zeitaufwand und Fahrt- oder
Reisekosten von 50 Pf. (fünfzig Pfennig), für jeden vollen Kilometer
1 ) Grosse: Eine neue Methode der Sterilisation chirurgischer
Messer. Ein chirurgischer Universalsterilisator. Arch. f. klin. Chir.
1905, Bd. 77, H. 2. Ueber Kathetersterilisation. Monatsberichte für
Urologie 1903, Bd. 8, H. 7 und Bd. 10, H. 8. Neues über Sterili¬
sation. Med. Blätter 1905, No. 37 — 39. Improvisierte Asepsis. Berl.
klin. Wochenschr. 1907, No. 28.
") Zu erhalten in jedem Küchengeschäfte. Es empfiehlt sich,
die als gut bekannten Fabrikate der Amberger Emaillier- und Stanz¬
werke (Fa. Joh. Baumanns Wwe.) zu verlangen, und zwar das hohe
Modell, welches in Weiten von 12 — 30 cm Durchmesser geliefert wird
Preis bei einem Durchmesser von 22— 24 cm 5—6 Mk,
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1831
,>Pc /urüokeelegten Hinweges und Rückweges (also 1 Mark für
icden vollen Kilometer Ortsentfernung); besucht der Arzt auf dem¬
selben Wege mehrere Kranke an verschiedenen Stellen, so darf er für
jeden weiteren Besuch die Gebühr unter a), jedoch die vorstehende
EntschldS für Zeitaufwand und Fahrt- oder Reisekosten nur
ei,,fad) äs"ScheTenichtunee„ können nur soweit in An-
V°n e3) mr ärzmehe “shZbTwdbifohen «
TJXZ Gebühren betr ehe lfd,
UnteV?r"lb Äh "die pekuniäre ^age'der Kasse bessern
sollte ist eine Neuregelung der Vergütungen in Aussicht genommen.
S Die nach Art Zeit und Zahl der einzelnen Hilfeleistungen zer¬
gliederte Rechnung wäre an den Kassenvorstand einzusenden. _
Auffallend an der Festsetzung“ ist vor allem, dass man sicn
die Behörde^welohe r dieselbe erlassen hat. 0“ isTdie
dass die Kgl. Postagembur die Festsetzung zustellte. Offenbar ist die
Behörde die Betriebskrankenkasse der Kgl. bayer. Posten- und "
^ranhen Die Festsetzung“ war offenbar einem anderen amtlichen
lÄückbeiS wie aus den Anheftmerkmalen ersichtlich: es
fehl e auch fedes Begleitschreiben und, was man weiter erwarte
Mt te es war auch keine Erklärung verlangt welche sich auf das
Finverständnis mit dieser „Festsetzung“ erstreckt. ) Ob auch Aerzte
bei dieser Festsetzung mitgewirkt, darüber schweigt sich der -
Hut der Festsetzung völlig aus. In welchem Masse diese .Test
se zung“ die Vergütungen des Arztes, welche ihm nach der Kg .
AUerh Verordnung vom 17. Oktober 1901 zustehen beschneidet
wolle sich der Leser an der Hand eben dieser Kgl. Allerh. Verordnung
k°nSDieeFenstsetzung unter e) leistet geradezu Erstaunliches. Hier
sind dem Arzte die Hilfeleistungen geradezu vorgeschrieben, welche
ihm zustehen. Was soll der Arzt tun wenn /ÄeSef] Festsitzung
andere Hilfeleistungen nötig sind, welche unter e) dieser hestsetzui s
nicht benannt sind? . Q
Die Bewertung der ärztlichen Dienstleistungen im Sinne der
IC tri Allerh Verordnung vom 17. Oktober 1901 kann auch im Eitizel-
fal le e ne recht "n e sein, obwohl kein Tarif vorhegt Unter
welche Rubrik dir Gebühren Bll (Wundärztliche Verrichtungen)
o-ehören die Verbände einer komplizierten, eitrig infizierten Knochei
fraktur? Die nötigen gefensterten festen Verbände scbe^®n £“s’.
handelt sich ausschliesslich um die nötigen Verbände etc. der m
fizierten Wunde, deren Ausheilung einige Monate ^ ine
liabe die Wunde unter diesen Umstanden im Sinne Ziffer 6 alseme
J össere angesehen, die Verrichtungen und ^ Sch=kerter . hiebe
berechtigen doch offenbar zu dieser Annahme. Anders daef de d ler
Amtsarzt, welcher die Liquidation für eine öffentliche Kasse
llltl'[ier Verband der bezeichneten Wunde wurde unter Ziffer 5
(Verband einer kleinen Wunde) gebracht .welcher im Wiederholung-
failp mit 1 Mk in Worten einer Mark, bewertet ist. Aut meine
fruchtlosen Dar'ie “ungen der Umstände, welche nur die Annahme
einer grösseren Wunde im Sinne Ziffer 6 zulassen, erhob ich i Be-
schwerde zur Kgl. Regierung gegen diese Festsetzung nach Ziffer 5.
Das Kgl. Kreismedizinalreferat gab meinen Darlegungen insofern
recht als es begutachtete, dass mir die Wohltat des § 2 Absatz 2
zitierter Allerh. Verordnung zukomme (id est, dass ein höherer -atz
gerechtfertigt erscheint, dieser höhere Satz ist eben in Ziffer 6
festgelegt), und setzte die Gebühr von einer Mark auf zwei Mai k
hinauf. Mein Antrag, diese Sachverständigenfrage einem Univer¬
sitätslehrer der Konsequenzen wegen zur Lösung vorzulegen, winde
abschlägig beschieden; das angerufene Ministerium beschied ohne
Sachverständigenanhörung die Sache als formell richtig. Einen an¬
deren Rechtsweg gibt es nicht. Deshalb unterbreite ich die Ange¬
legenheit wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung der öffentlichen Dis-
kussiom A]lerh- Verordnung vom 18. Dezember 1875 enthielt für
de in Frage stehenden wundärztlichen Hilfeleistungen keinerlei Norm.
Diesem Uebelstande hilft die zur Zeit geltende Gebührenordnung unter
B II 5 und 6 auf. Man sollte meinen, es könne keinem Sachver¬
ständigen ein Zweifel kommen, welche von den Ziffern 5 und 6 m
konkretem Falle anzuwenden ist Ziffer 5 bewertet diese Leistung
im Wiederholungsfälle mit einer Mark = mit der Gelbuhr für 1 Kon¬
sultation oder für eine subkutane Einspritzung. Unmöglich kann der
Gesetzgeber im Auge gehabt haben, dass die in Frage stehenden
wundärztlichen Verrichtungen finanziell gleich bewertet werden mit
einer Konsultation. Das Kreismedizinalreferat hat sich auch von
diesem meinem Standpunkt überzeugt und die Anwendung des 9 2,
Abs. 2 begutachtet. Wenn nach § 2, Abs. 2 ein höherer Satz gerecht-
*) Nachträglich wurde mir der Tarif mit einem Begleitschreiben
zur Anerkennung, bezw. Aeusserung vom Postagenten noch^f1^Jor"
gelegt Ich erklärte jedoch, dass ich ihn nicht anerkenne. Nur wenn
auclf Aerzte bei der Bearbeitung mitgewirkt hatten, konnte ich zu¬
stimmen.
fertigt erscheint, so ist doch sinngemäss die Schlussfolgerung richtig,
dass es sich im konkreten Falle gar nicht um eine einfache Wunde
handelt im Sinne der Ziffer 5, sondern um eine Wunde im Sinne von
Ziffer 6 welche Hilfeleistung eben im Wiederholungsfälle mit fünf
Mark zu bewerten ist; wenn das Kgl. Kreismedizinalreferat die Be¬
gutachtung im Sinne § 2 Abs. 2 vornahm, dann musste folgerichtig
die Feststellung erfolgen, dass Ziffer 6 massgebend ist.
Es ist mir bisher in keinem einzigen Falle eine derartige Herab¬
setzung ärztlicher Leistungen auf ein solch niederes Niveau vorge¬
kommen. Bisher wurde die Anwendung der Ziffer 6 bei derartigen
Hilfeleistungen, wie sie im vorliegenden Falle notig waren, ohne Be¬
denken von der amtlichen Revision gutgeheissen. . . . ,
Die Sache ist von zu grosser Tragweite, als dass sie einfach
unter den alten Akten vergraben bleiben sollte und der Geschichte
anheimgegeben werden könnte. iDr. w e b e r . Burghaslach.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr med. M. Löhlein: lieber die entzündlichen Ver¬
änderungen der Glomeruli der menschlichen Nieren und ihre
Bedeutung für die Nephritis. (Arbeiten aus dem pathologischen
Institute zu Leipzig, herausgegeben von F. Marchand.
Heft 4.) Leipzig, S. H i r z e 1, 1907. 98 S. M. 4.
Die vorliegende Arbeit verfolgt ein doppeltes Ziel: in erster
Linie soll nach einer genauen Analyse der Morphologie der
menschlichen Niere im ersten Stadium der akuten Glomerulo¬
nephritis der Versuch unternommen werden, die vielfältigen
Veränderungen des Organs zu verfolgen, die sich entwickeln
können, wenn das akute Stadium von dem erkrankten Indivi¬
duum überlebt wird. Als zweites wesentliches Ziel gilt der
Versuch einer Beantwortung der Frage nach der Stellung, die
der akuten Glomerulonephritis — im Sinne der Darlegung
Friedrich Müllers auf der Meraner Tagung der Deutschen
pathologischen Gesellschaft — in dem Gesamtgebiete der
Nephritis zukommt.
Zum Bilde der frischen Stadien der akuten Glomerulo¬
nephritis gehören nach L. folgende histologische Merkmale.
Volumzunahme der M a 1 p i g h i sehen Knäuel, abnorme
Beschaffenheit des Inhaltes der Schlingen, deren stark erwei¬
terte Kapillaren wenig Blut und mehr zellige Elemente von
teils leukozytärem und teils endothelialem Typus enthalten.
Veränderungen am Knäuelepithel von Schwellung bis zu
Proliferation und Degeneration. _ , „
Degenerative Veränderungen am Epithel der lubuli con-
torti erster Ordnung. Im Lumen der lubuli contorti zweiter
Ordnung hyaline Zylinder und Konglomerate von roten Blut¬
körperchen.
Die Verödung der Glomeruli bei den subakuten und chro¬
nischen Glomerulonephritiden kommt zustande entweder nach
Desquamation des Knäuelepithels und Verklebung der Schlingen
mit der in Auffaserung begriffenen B o w m a n sehen Kapsel,
welche die Hauptquelle des später den Kapselraum erfüllenden
Bindegewebes bildet, oder deren Thrombose und Nekrose ein¬
zelner Glomerulusschlingen oder ganzer Knäuel mit nachfolgen¬
der bindegewebiger Homogenisierung, oder endlich bei ausge¬
sprochen chronischen Prozessen von sekundärer Schrumpf¬
niere durch hyaline Umwandlung einzelner Schlingen, die
event. unter Epitheldesquamation mit der verdickten Kapsel
verschmelzen.
Aus seinem Material hat L. die bemerkenswerte Auf¬
fassung gewonnen, dass für den Untergang des Parenchyms
bei derNephritis in ganz überwiegendem Masse die Glomerulus-
veränderungen massgebend sind, dass gerade die chronische
parenchymatösen Nephritiden Weigerts, bei denen dieser
primäre degenerative Prozesse am Parenchym angenommen
hatte, Glomerulonephritiden sind mit sekundärer Paren¬
chymdegeneration.
Die rein degenerativen Erkrankungen der Niere Uubhnit ,
Cholera, Diphtherie, Schwangerschaftsniere) we Ich« ^ vor¬
wiegend das Parenchym betreffen und sich durch eine auf der
grossen Regenerationsfähigkeit des Epithels beruhenden g-
fichkeit einer raschen und vollständigen Heilung auszeichnen,
rechnet L. nicht zu den Entzündungen.
Die eigentlichen entzündlichen Erkrankungen der Niere
sind am häufigsten Glomerulonephritiden. Aetiologisch kommt
iöOü
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
in ganz überwiegendem Masse eine Streptokokkeninfektiön in
Betracht.
Im Anfang beherrscht die Glomerulitis das histologische
Bild, die Parenchymveränderungen scheinen wesentlich von
der Dauer und Schwere der Glomeruluserkrankung abzu¬
hängen.
Die akuten hämorrhagischen Nephritiden sind häufig iden¬
tisch mit abklingender, aber nicht völlig ausgeheilter Glome¬
rulonephritis. Verhältnismässig selten ist daneben die andere
Hauptfonn der akuten entzündlichen Nierenerkrankungen, die
akute „interstitielle“ Nephritis, der eine selbständige Stellung
zukommt.
Die chronisch „parenchymatöse“ Nephritis mit Hydrops,
die grosse weisse Niere ist so gut wie regelmässig ein schwere,
nicht abgeheilte Glomerulonephritis mit sekundärer Paren-
chymdegeneration.
Sehr interessant ist die Angabe L.s, dass in allen seinen
Fällen von chronischer Nephritis mit Hydrops Herzhypertrophie
bestand, mit einer einzigen Ausnahme, die durch einen Fall
von anscheinend „reiner“ parenchymatöser (vielleicht besser
tubulärer) Nephritis gebildet wird, in welchem die M a 1 p i g h i-
schen Körperchen auffallend intakt gefunden wurden. Die
Knäuel waren von gewöhnlicher Grösse, ihre Schlingen zart,
hie und da etwas kernreicher, aber fast durchweg mit roten
Blutkörperchen erfüllt. In diesem einzigen Falle, in welchem
also unzweifelhaft die Blutzirkulation in den Glomerulis intakt
war, fehlte jede Spur einer Herzhypertrophie, eine treffliche
Bestätigung der vom Referenten wie von M. B. Schmidt
in Meran vertretenen Auffassung, dass die Herzhypertrophie
hauptsächlich abhängig sei von der Erkrankung der Glomeruli,
unabhängig von der der Tubuli.
Die sorgfältige Arbeit Löh 1 eins, welche über ein sehr
wertvolles Material von 34 Fällen so eingehende morpho¬
logische Untersuchungen bringt, zeichnet sich u. a. auch da¬
durch vorteilhaft aus, dass auch der klinische Verlauf der Er¬
krankung mit berücksichtigt und kurz erwähnt worden ist.
Für das Verständnis der Nierenkrankheiten und ihre Beurteilung
am Krankenbett ist diese Art der Bearbeitung von grossem
Werte und von einer sorgfältigen klinischen und anatomischen
Analyse der einzelnen Fälle mit Vergleich der anatomischen
und der funktionellen Störungen sind sicher noch weitere
wichtige Aufschlüsse zu erwarten. S c h r i d d e.
Dr. M. L e w a n d o w s k y, Nervenarzt und Privatdozent
der Physiologie in Berlin: Die Funktionen des zentralen Ner¬
vensystems. Ein Lehrbuch. Mit 1 Tafel und 81 Abbildungen.
Jena, Verlag von S. Fischer, 1907. (420 S. ; 11 M.)
Das Buch will die Lehre von den Funktionen des Zentral¬
nervensystems von Anfang an und von den einfachsten Voraus¬
setzungen beginnend darstellen bis zu dem Punkt, wo die
Psychologie weiterzuarbeiten hat. Vor allem legt es Nach¬
druck auf eine Verschmelzung der Ergebnisse des Experiments
und der Klinik. Mit den einleitenden Bemerkungen, in denen
u:e psychischen Vorgänge als die materiellen Vorgänge in den
Molekülen des zentralen Nervensystems selbst bezeichnet wer¬
den und das Psychische als aus dem Physischen entwickelt,
wie das Organische aus dem Anorganischen, hingestellt wird!
wollen wir an dieser Stelle nicht rechten, so wenig sie auch
vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus haltbar sind.
Nach einer kurzen Darstellung der Phylogenese des Ner-
\ stems werden die einfachen Elemente nach Struktur
und Funktion besprochen unter einer präzisen Wiedergabe und
überzeugenden Ablehnung der Neuronentheorie. Eingehend
sind die Tatsachen und Theorien der Reflexe abgehandelt, vor
Allem wird auch dem Gesichtspunkt der Hemmung gebührende
Beachtung geschenkt. Es folgt die Darstellung des Rücken¬
mai ks als Zentralorgan und seiner Gliederung, dann die aus¬
giebige Schilderung des Sympathikussystems und darauf die
Besprechung der trophischen Funktionen des Nervensystems.
Die Ei öite Hing der Funktionen des Hirnstammes führt zu einer
gründlichen kritischen Würdigung der Versuche mit gross¬
hirnlosen Tieren. Das besonders ausführlich behandelte Cere-
bellum wird vorzugsweise aufgefasst als ein subkortikales
sensomotoi isches Zentralorgan. Der Autor verhält sich ab¬
lehnend gegen die Flechsig sehe Lehre von der Myelo-
genese und ihrer Bedeutung. Weiterhin berührt L. die noch
nicht ausreichend begründeten Bemühungen um eine teilweise
Rehabilitation der Lokalisationslehre von Gail, dessen Auf¬
fassung der Geistesstörungen als Erkrankungen der grauen
Rinde jedoch als Zeichen einer genialen Intuition bezeichnet
wird. Treffend werden die mannigfachen verfrühten Schlaf¬
theorien zurückgewiesen.
An eine Besprechung der Grosshirnrindenreizung und des
epileptischen Krampfes schliessen sich die experimentellen Er¬
fahrungen über die Grosshirnlokalisation. Es wird betont,
dass, je isolierter eine Bewegung erscheint, um so grössere Rin¬
dengebiete zu dieser Isolierung mitgewirkt haben müssen. Die
Mehrzahl der Versuche scheint zu bestätigen, dass zwar inner¬
halb der sensomotorischen Region bestimmte Felder bestehen,
deren Zerstörung die Sensibilität und die Motilität eines Gliedes
besonders stark schädigt, dass aber im allgemeinen diese Gren¬
zen sich mehr oder weniger stark überlagern. Der scharfen
Trennung wenigstens der grossen Sphären, Sehsphäre, Hör¬
sphäre, sensomotorische Sphäre nach H. Munk schliesst sich
L. auf Grund von 20 eigenen Versuchen an.
Nach der Besprechung der zerebralen Lähmungen und Be¬
wegungsstörungen des Menschen werden die motorischen Lei¬
tungsbahnen erörtert. Als Weg der durch den Hirnschenkelfuss
über den roten Kern zum Monakowbündel ziehenden Impulse
kommen folgende Etappen in Betracht: Rinde, innere Kapsel,
Hirnschenkel, Brückengrau (kreuzend), Brückenarm, Kleinhirn¬
rinde, Corpus dentatum, Bindearm (kreuzend), roter Kern,
Monakow sches Bündel (kreuzend).
Anschaulich werden die Fragen der Sprache und Aphasie,
sowie später die der Apraxie aufgerollt. Ein Kapitel ist der
kortikalen Vertretung der Sensibilität und der Sinne beim Men¬
schen gewidmet. Als Anhang findet sich ein Kapitel über die
Zerebrospinalflüssigkeit. Eine reichhaltige Literaturübersicht,
die sich naturgemäss auf die wichtigsten Arbeiten beschrän¬
ken muss, schliesst das grosszügig angelegte Werk, das mit
seiner klaren Diktion, seiner geschickten Berücksichtigung der
veischiedenartigsten Ansichten und seiner präzisen Kritik eine
'ortreffliche Einführung in das komplizierte Gebiet darbietet.
Weygand t.
Carl v. Noorden: Die Zuckerkrankheit und ihre Be¬
handlung. IV. Auflage. Berlin 1907. A. Hirschwald.
Das Noorden sehe Buch, das nun in vierter Auflage
erschienen ist, ist für den praktischen Arzt geschrieben. Die
ausgedehnte Erfahrung des Verfassers auf dem Gebiete, die
sich in dem ganzen Buch wiederspiegelt, die knappe und klare
Ausdrncksweise machen es zum sicheren Wegweiser für den
Praktiker. Das Buch hat ein durchaus subjektives Gepräge.
Denn wenn auch überall die Anschauungen anderer gebührend
Berücksichtigung finden, so gibt speziell das grosse Kapitel
über die Therapie des Diabetes ein Bild, wie sich dem Ver¬
fasser nach seiner reichen Erfahrung die Behandlung am ratio¬
nellsten erwiesen hat. F. V o i t.
A. Döderlein: Leitfaden für den geburtshilflichen
Operationskurs. 7. Aufl. Leipzig 1907. Georg Thieme. Geb.
M. 4. — .
Die neue Auflage des bekannten D. sehen Leitfadens, der
ein unentbehrliches Vademekum für jeden Studierenden der
Medizin geworden sein dürfte, unterscheidet sich nur wenig
von der letzten, 6. Auflage, die vor 2 Jahren hier besprochen
wurde (cf. diese Wochenschr. 1905, No. 2, p. 84). Neu hinzu¬
gekommen sind kurze historische Abrisse bei den
einzelnen Operationen und eigene Kapitel über die G e f a h r e n
der Wendung. Zange und manuellen Extraktion. Mit diesen
Abschnitten kommt D. einem vielfach gefühlten Bedürfnis ent¬
gegen, da der Anfänger von den mannigfaltigen Gefahren, die
mit geburtshilflichen Operationen an der Lebenden verbunden
sind, gewöhnlich gar keine Vorstellung hat.
J a f f e - Hamburg.
Klapp: Funktionelle Behandlung der Skoliose. 95 Seiten
mit 44 Abbildungen im Text. Jena, Gustav Fischer, 1907.
Preis 3 M.
Der Verfasser gibt in dem kleinen Buche eine ausführliche
Darstellung seiner Skoliosentherapie. Der Leser sieht daraus,
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1833
dass Klapp nicht nur die von ihm eingeführte Kriechbehand¬
lung, sondern auch andere altbewährte Methoden, z. B. das
Loren z sehe Qipstbett, gleichseitige Freiübungen zur Stär¬
kung der Rückenmuskulatur im Stehen, Gehen, Liegen und
Sitzen, sowie die Heissluftbehandlung des Rückens anwendet.
Die Kriechübungen lässt Klapp auf 2 Arten machen. Bei
der ersten Uebung kriechen die Kinder gerade aus. Die Wir¬
belsäule wird also bei dem einen Schritt in stark rechts-kon-
vexern, bei dem andern in einem ebenso starken links-kon-
vexen Bogen eingestellt.
Die zweite Kriechübung wird am Ort ausgeführt. Wenn
ich den Verfasser richtig verstehe, wird dabei auch die Wirbel¬
säule abwechselnd bald in links-, bald in rechtskonvexem
Bogen eingestellt, die einzelne Uebung aber forciert, so dass der
Patient länger in der seitlichen Abbiegung verharrt, als bei der
ersten Knechübung. Es finden also ebensoviele Uebungen
statt, welche die Krümmung der skoliotischen Wirbelsäule
vorübergehend vermehren, als solche, welche dieselbe ver¬
mindern. Darin liegt m. E. die eine Schwäche der ganzen
Methode. Wir sollen Uebungen machen lassen, die eine Ab¬
flachung des skoliotischen Bogens bewirken, aber wir dürfen
mit unserer Therapie nie eine Verstärkung des Bogens ver¬
anlassen.
Den anderen Nachteil der Kriechmethode sehe ich darin,
dass es z. B. auf diese Weise nicht möglich ist, die Korrektur
auf einen bestimmten Abschnitt der Wirbelsäule zu beschrän¬
ken, wie es bei der doppelten oder dreifachen Krümmung der
Wirbelsäule notwendig ist. Klapp hofft, durch den Passgang
eine rationelle Bekämpfung der S-förmigen Skoliose zu ermög¬
lichen, aber er selbst empfiehlt, von dieser Uebung zunächst ab¬
zusehen, da noch zu wenig Erfahrungen vorliegen.
Wir werden es mit aufrichtiger Freude begrüssen, wenn
es dem geschätzten Verfasser gelingen wird, die Bedenken,
die wir zurzeit noch gegen seine Methode haben müssen, durch
weitere Verbesserungen zu beseitigen, denn seine Bestre¬
bungen, eine erfolgreiche Behandlung einer Volkskrankheit wie
der Skoliose den weitesten Bevölkerungsschichten zugänglich
zu machen, verdienen die wärmste Sympathie. Das Buch
enthält so viel gut Beobachtungen und neue Gedanken, dass es
auch denjenigen, welche die Kriechmethode nicht anwenden
wollen, wärmstens zum Studium empfohlen werden kann.
F. Lange- München.
Dr. Karl Oetker: Die Negerseele und die Deutschen in
Afrika. Ein Kampf gegen Missionen, Sittlichkeitsfanatismus
und Bürokratie vom Standpunkt moderner Psychologie. Mün¬
chen 1907. J. F. Lehmanns Verlag. 46 S. Preis M. 1.20.
Die kleine Broschüre bringt einen Versuch der Rassen¬
psychologie, und zwar beschäftigt sie sich vorzüglich mit dem
Einfluss der christlichen Lehre auf den Neger und der Frage,
ob dieser vermöge seiner Veranlagung überhaupt die Möglich¬
keit hat, in absehbarer Zeit die abendländische Kultur mit ihren
komplizierten individuellen und sozialen Bestrebungen zur
seinigen zu machen. Von dem Einfluss der christlichen Lehre
auf den Neger verspricht sich der Verf. keine guten Erfolge;
die Frage nach der Möglichkeit der Gewinnung des Negers für
abendländische Kultur beantwortet er im wesentlichen negativ.
Viele durch lange Erfahrung gewonnene und ohne Voreinge¬
nommenheit gefällte Urteile werden den Leser mit der Art der
Darstellung, die nicht jedem sympathisch sein wird, aussöhnen.
zur Verth - Berlin.
Einführung in die Versicherungsmedizin. Vorlesungen für
Studierende und Aerzte von Dr. J. Grober, a. o. Professor
an der Universität Jena. gr. 8°, 187 S. Jena 1907. Gustav
Fischer. Preis 3.50 Mk.
„Ein Arzt ohne die Kenntnis der Versicherungsmedizin
kann heute nicht mehr seinem Beruf in vollem Masse vor¬
stehen“. Das von diesem Gedanken aus eine Einführung in das
Gesamtgebiet der Versicherungsmedizin darstellende Buch
bringt alles das, was zum Verständnis versicherungsmedi¬
zinischer Fragen auf dem Gebiet aer Kranken-, Alters- und
Invaliden-, staatlichen Unfall-, privaten Unfall-, Haftpflicht-
und Lebensversicherung Wissens- und beachtenswert ist, in
grosszügiger, allgemein orientierender Darlegung mit kritischer
Beleuchtung wichtiger Einzelheiten und in flüssiger, den (ja nur
scheinbar trockenen) Stoff geschickt belebender, fesselnder
Vortragsform. Mit Recht wird neben anderen gewichtigeren
Gründen auch die Notwendigkeit versicherungsmedizinischcr
Kenntnisse aus der Tatsache heraus betont, dass der Arzt von
seinen Klienten häufig über diese Dinge und über die rein
äusserlichen Fragen dabei angegangen wird.
Die Ansicht des Verf., dass die freie Arztwahl
bei der Krankenversicherung zweifellos im
Interesse der Versicherten liege, sei auch an
dieser Stelle mit Nachdruck hervorgehoben. Wenn aber Gr.
meint, dass früher bei Bewerbungen um Kassenarztstellen bei
den Vorständen der Krankenkassen und bei einflussreichen Mit¬
gliedern ihrer Generalversammlungen oft eigenartige Mittel an¬
gewandt worden seien, wir aber allen Grund hätten anzu¬
nehmen, dass sie jetzt nicht mehr angewandt werden, so macht
dies seinem Optimismus alle Ehre; als allgemein gültiger Satz
aber ist es ein Irrtum : eswerden noch solche „eigen¬
artige“ Mittel angewandt! —
Einzelne Berichtigungen betreffend sei bemerkt, dass der
Satz: „Die direkte Erzeugung von Herzklappenfehlern durch
Unfall ist ganz ausgeschlossen“, in seiner strikten Negation zu
weit geht (es sind solche Fälle beobachtet worden); ebenso
würde es in dem Passus: „Hernien dürfen als Unfall nicht ent¬
schädigt werden“ besser heissen: „nur ganz ausnahms¬
weise“. Dass weibliche Personen von der Lebensversicherung
ausgeschlossen sind, ist nicht zutreffend, auch gilt die Be¬
hauptung, im Kriegsfall ruhe die Lebensversicherung nicht,
mindestens nicht für jede Gesellschaft. S. 61 (Z. 21 v. o.) wäre
„Aufgabe“ der Behandlung (im Sinne von: die Behandlung wird
aufgegeben) durch „Einstellung“ oder dergl. zu ersetzen.
Das Buch kann, auch im Hinblick auf seinen billigen Preis,
jedem Arzte wärmstens empfohlen werden.
Schwab- Berlin (Schöneberg).
Warum kommen die Kinder in der Schule nicht vorwärts?
2 Vorträge vor der Schulkommission des ärztlichen Vereins
in München von Dr. Alb. Uffenheimer, Privatdozent für
Kinderheilkunde in München und Dr. Otto S t ä h 1 i n, Professor
am k. Maxgymnasium in München. Verlag der „Aerztl. Rund¬
schau“ (Otto Gmelin, München). Der Arzt als Erzieher.
Heft 28. Preis 1.40 M.
Die eingehende Beantwortung dieser so sehr aktuellen
Frage von einem Kinderarzt und von einem Gymnasial¬
professor wird gewiss allgemeines Interesse erwecken. Es ist
erfreulich, dass weder der Arzt noch der Schulmann in das jetzt
so gebräuchliche, sentimentale Gejammer über die Ueber-
biirdung unserer Schule mit einstimmen. Der Arzt beantwortet
die Frage — wie uns scheinen möchte, doch etwas einseitig —
damit, dass die meisten Kinder in der Schule nicht vorwärts
kommen, weil sie nicht ganz normal sind; fast % des ganzen
Vortrages beschäftigt sich mit den psychopathischen Kindern,
deren Prozentsatz doch kein dem entsprechender sein dürfte
und für deren Fortkommen ein gesundes Schulsystem auch
nicht eingerichtet werden kann. Auch dass die Schule auf vor¬
übergehende Störungen z. B. im Pubertätsalter Rücksicht
nehme, scheint uns mit Prof. S t ä h 1 i n zu viel gefordert, da die
Schüler derselben Klasse an Alter und Entwicklung viel zu ver¬
schieden sind. Beherzigenswert erscheint uns in dem Vortrag
hauptsächlich die Erwähnung, in wie weit die häuslichen Ver¬
hältnisse an den psychischen Störungen der Kinder Schuld
tragen; auf der einen Seite durch ungenügende Ernährung,
Mangel an Schlaf etc., auf der andern durch allzu grosse Ver¬
wöhnung, ängstliches Fernhalten namentlich der einzigen Kin¬
der von gleichaltrigen Kameraden, Genuss von Alkohol und
Nikotin, Besuch von abendlichen Vergnügungen, aufregende
Privatlektüre etc.
Der 2. Vortragende, Prof. S t ä h 1 i n, der zu dem nicht er¬
freulichen Resultat kommt, dass nur % der Schüler die Mittel¬
schule ganz glatt und ohne zu grosse Anstrengung absolviert,
beantwortet die gestellte Frage damit: an den schlechten Lei¬
stungen kann der Schüler, die Einrichtung der Schule und end¬
lich der Lehrer selbst die Schuld tragen; der Schüler durch
Mangel an Begabung, Fleiss und Aufmerksamkeit; die Schule
durch schlechte Räume, Mangel an Spielplätzen, zu grosses
1834
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Vielerlei der Unterrichtsgegenstände, vor allem durch zu grosse
Schülerzahl; die Lehrer endlich dadurch, dass sie das Interesse
der Schüler nicht zu fesseln vermögen und deren Liebe durch
verletzende Behandlung verlieren. Vortragender betont mit
Recht, welch grosses Interesse gerade Eltern und Aerzte
daran hätten, den Lehrerstand zu heben durch höhere soziale
Wertschätzung und bessere Besoldung. Es würde zu weit
führen, auf die Einzelheiten des trefflichen Vortrages hier näher
einzugehen; die Lektüre beider Vorträge kann Eltern und
Aerzten aufs Wärmste empfohlen werden.
A. Gr assmann - München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 91. l.u.2. Heft
l) A. Pdehn: Die Wasserbilanz des Blutes. Mit 3 Kurven.
Ein direkter Einfluss von Wasseraufnahme und Wasserabgabe,
wie er als „Verwässerung“ oder „Eindickung“ des Blutes, speziell
des Blutserums sich bekunden soll, existiert beim Gesunden nicht: das
gleiche gilt für verschiedene Erkrankungen des Herzens, der Nieren
und des Blutes, sowie für die Rekonvaleszenz. Das Blut besitzt
vielmehr in ausserordentlichem Grade die Fähig¬
keit, seinen Wassergehalt bei dem gleichen Indi¬
viduum konstant zu erhalten. Bei Flüssigkejtszufuhr in
den Verdauungskanal gelangt das Wasser nicht sofort in die Blutbahn¬
kapillaren, sondern zunächst durch Imbibition und Diffusion von den
Zellen oder den Interzellularräumen der Darmschleimhaut aus in das
Zellzwischengewebe und die Lymphspalten, um von hier aus erst
später seitens der Blutkapillarzellen (Endothelien) aufgenommen zu
werden, oder zum Teil auch allmählich durch Vermittlung des Lymph-
gefässystems in' die Blutbahn überzugehen. Diese Flüssigkeitsauf¬
nahme aus dem Zellzwischengewebe in das Blut kann man nicht durch
Filtrationsvorgänge erklären; es ist anzunehmen, dass eine aktiv
sekretorische bezw. resorptive Tätigkeit der Blutkapillarendothelien
den Stoffaustausch zwischen Körpergewebe und Blutflüssigkeit ver¬
mittelt. 'Das Blutgefässystem besitzt offenbar die
Fähigkeit, den Wasseranteil seines Inhalts unab¬
hängig von seiner Umgebung zu regulieren. Diese
Regulierung kann man sich vielleicht in der Weise vorstellen, dass
die aktiv sekretorische Tätigkeit der Blutkapillarwandzellen an den
Stätten der Wasserabgabe, also in den Nieren (Glomerulusschlingen)
und der Haut (Schweissdrüsen) direkt vom Nervensystem abhängig
ist, indem diese Zellen bei reichlicher Flüssigkeitsaufnahme in den
Magen reflektorisch von diesem aus die Anregung erhalten, das Blut
von jenem Zuviel an Wasser zu befreien, welches sich mangels
eines die Abscheidung auslösenden derartigen Reizes vorher ins
Blut gewissermassen „eingeschlichen“ hatte. Diese Vorstellungen
gelten in gewissem Umfange auch für andere Blutbestandteile, z. B.
NaCl, Na2S04, Harnstoff und Zucker.
2) H. Boruttau und E. Stadeil mann: Ueber Kreosot- und
Lysolvergiftung. (Aus der I. medizin. Abteilung und dem chemischen
Laboratorium des städtischen Krankenhauses Friedrichshain in Berlin.)
Krankengeschichte und Autopsiebefund unter besonderer Berück¬
sichtigung der Harnuntersuchung.
3) Schlayer, Hedinger und Takayasu: Ueber ne-
phritisches Oedem. (Aus der Tübinger medizin. Klinik.) (Mit
Tafel I und II.)
Wie bei der menschlichen Nephritis mit Oedem kann auch bei
der einzigen von spontanem Oedem begleiteten toxischen Nephritis,
der Urannephritis, weder das anatomische Bild noch die Unter¬
suchung des Urins Aufschluss über die Ursache der Oedembildung
geben. Die Uranniere, die ihren Anfangs- wie Endstadien nach zu
den tubulären zu rechnen ist, die, wie z. B. Chrom- und Sublimat¬
niere, ohne spontanes Oedem verlaufen, unterscheidet sich von diesen
durch ein auffallendes funktionelles Verhalten. Nach einer Dauer
der Vergiftung, nach welcher die anderen tubulären ödemlosen Ne¬
phritiden noch starke Polyurie auf erhöhte Zufuhr aufweisen, ver¬
sagt bei Uran unter gleichen Bedingungen, namentlich gleichem Ver¬
halten der Nierengefässe, die Ausscheidung plötzlich. Dieses Ver¬
sagen auf Mehrbeanspruchung ist nicht durch extrarenale Momente
bedingt, sondern eine Folge der vom Uran erzeugten Nierenschädi-
gung. Dadurch werden die Nierengefässe für Wasser und NaCl un¬
durchlässig, ohne dass diese schweren Störungen der Nierengefäss-
tätigkcit anatomisch erkennbar wären; letzteres dürfte wohl auch
für die von Oedem begleitete Nephritis beim Menschen zutreffen.
Das frühzeitige Undurchlässigwerden der Nierengefässe bei der
Urannephritis und die dadurch bedingte Retention von Wasser und
NaCl in Verbindung mit einer geschädigten Kontraktions- und Dila¬
tationsfähigkeit der Nierengefässe führen zur Oedembildung, indem
im Sinne einer fortschreitenden Schädigung des Gefässystems durch
das Uran die Hautgefässe unter Bildung von Oedem durchlässig wer¬
den. Zum Auftreten des Oedems bei der Urannephritis sind also 2
zusammenwirkende Faktoren nötig: eine starke Kochsalz- und Was¬
serretention infolge Nierenstörung und eine Schädigung der Haut¬
gefässe.
4) E. Stadler: Experimentelle und histologische Beiträge zur
Herzhypertrophie. (Aus der medizin. Klinik zu Leipzig.) (Mit Tafel
III und IV.)
Bei experimentell an Kaninchen erzeugten Klappenfehlern fand
sich neben der Hypertrophie der Muskelfasern im rechten Vorhofe,
bisweilen im rechten Ventrikel, sowie in den Papillarmuskeln eine
mehr weniger hochgradige diffuse Vermehrung des Bindegewebes,
die jedoch nicht als ein entzündlicher Vorgang oder als Ernährungs¬
störung aufzufassen ist. Lokalisation und das Mass der Bindegewebs¬
vermehrung wiesen vielmehr auf die mechanischen Verhältnisse der
Klappenfehler als Entstehungsursache hin. Muskulatur und
Bindegewebe hypertrophieren entsprechend den
gesteigerten Anforderungen und bestätigen die
Auffassung von der mechanischen Entstehungs¬
weise der „Myofibrosis cordi s“. In den ersten Stadien
ihrer Entwicklung kann der Myofibrose wohl ein gewisser Schutz
gegen stärkere Ueberdehnung der Herzwand zugeschrieben werden;
bei weiterer Entwickelung wird sie jedoch infolge Veränderung der
Herzwand zu einer Verminderung des Nutzeffektes der Herzarbeit
führen. Neben den mechanisch bedingten Veränderungen können
natürlich z. B. bei Nephritikerherzen auch echte Entzündungsherde
Vorkommen.
5) E. Hessdörfer: Zur Pathologie und Physiologie der spi¬
nalen Temperatursinnesstörung. (Mit 5 Abbildungen.)
Es gibt Temperaturempfindungslähmungen für einen kleinen Um¬
fang von Temperaturen bei im übrigen erhaltenem Wärme- und
Kälteempfinden. Sowohl die Erfahrung am Krankenbett als das Ex¬
periment zeigen, dass infolge rein zentraler Einflüsse ein Temperatur¬
reiz als warm empfunden werden kann, der unter anderen zen¬
tralen Verhältnissen als kalt empfunden wird. Wir schliessen daraus,
dass es peripher getrennte Leitungen für die einzelnen Temperaturen
gibt, und dass erst zentral diese Empfindungen von Temperaturen
mit ihrem bestimmten Oualitätscharakter belegt werden.
6) A. N i c o 1 a i e r und M. D o h r n : Ueber den Wert der H i s -
sehen Methode zur Harnsäurebestimmung.
Die Hissche Methode ist zur quantitativen Bestimmung der
Harnsäure im Urin nicht brauchbar.
7) E. Bruck: Ueber den Blutdruck bei plötzlichen starken An¬
strengungen und beim V a 1 s a 1 v a sehen Versuch nebst Unter¬
suchungen über die hierbei eintretenden Veränderungen der Herz¬
grösse. (Aus der medizin. Universitätspoliklinik in Breslau.) (Mit
5 Kurven.)
Die in allen Fällen vorhandene Drucksteigerung am Anfang des
Versuches schwankt zwischen 20 und etwa 70 mm; sie beträgt im
Durchschnitt 30— 40 mm. Die in sämtlichen Fällen darauffolgende
Drucksenkung reicht in der Mehrzahl der Fälle bis unter den Normal¬
druck herab. In der Mehrzahl der Fälle tritt eine 2. Drucksteigerung
ein, die in der Regel das ursprüngliche Druckniveau überschreitet,
das Anfangsmaximum jedoch oft nicht erreicht. Das Herz kann durch
den Mechanismus plötzlicher Anstrengung in doppelter Weise ge¬
schädigt werden: einmal durch Kompression, die mit mangelhafter
Blutzufuhr einhergeht, andererseits durch die plötzliche Dehnung
nach Aufhören der Anstrengung.
8) E. Gottstein: Ueber Polymyositis. (Aus der inneren Ab¬
teilung der Akademie für praktische Medizin.) (Mit 3 Abbildungen.)
Die Untersuchung exzidierter Muskelstückchen ergab rein
parenchymatöse Veränderungen, zum Teil fand sich ödematöse Durch¬
tränkung der Muskelfasern, in schwerer veränderten Partien waren
fast gar keine Kerne mehr zu sehen; das interstitielle Gewebe zeigte
keinerlei Veränderungen. Die erwähnten Erscheinungen der Mus¬
kulatur gingen allmählich, aber völlig zurück, ohne Atrophien zu
hinterlassen. Das Blut des Kranken war steril. Salizylpräparate
waren erfolglos, dagegen erwies sich das permanente Bad sehr
wirksam. ,
9) A. Bittorf: Ueber die Verteilung des proteolytischen Leu¬
kozytenferments und seines Antiferments in Harn, Blut und Auswurf
im Verlaufe der kruppösen Pneumonie. (Aus der medizin. Univer¬
sitätsklinik Breslau.) (Mit 5 Kurven.)
Zur Zeit der Krise resp. Lösung der Pneumonie besitzt der
Harn ein gesteigertes Lösungsvermögen für Fibrin, da das bei der
Lösung der Lungenentzündung wirksame, das fibrinöse Exsudat auf¬
lösende Ferment teilweise resorbiert wird. Es handelt sich dabei
um ein tryptisch wirkendes, neu auftretendes Harnferment, das von
den Leukozyten stammend aus dem Pneumonieexsudat ins Blut über¬
geht. Da tatsächlich ein Teil des zur Autolyse des pneumonischen
Infiltrates führenden proteolytischen Leukozytenferments resorbiert
wird, sinkt der normale Antifermentgehalt des Blutes; in lytisch
endenden Fällen oder bei sehr rasch verlaufenden Krisen ist dieser
Nachweis schwerer zu führen. Das typische Pneumoniesputum zeigt
im Beginne der Erkrankung trotz reichen Leukozytengehaltes keine
proteolytische Wirkung, die erst im Beginne der Lösung in Erschei¬
nung tritt; dieser Uebergang erfolgt plötzlich. Atypische Pneumonien
zeigen natürlich auch Abweichungen von diesem Verhalten des Spu¬
tums. Bamberger- Kronach.
Archiv für klinische Chirurgie. 83. Bd. 3. Heft. Hirsch-
wald, 1907.
34) R e h n - Frankfurt a. M.: Zur Chirurgie des Herzens und des
Herzbeutels.
36) Göbell: Zur Totalexstirpation von Pankreaszysten.
(Chirurg. Klinik in Kiel.)
38) G 1 u c k - Berlin: Zur Chirurgie des Herzbeutels.
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1835
40) Stettiner- Berlin : Ueber Atresia ani et coinmunicatio
recti cum parte prostatica urethrae (Atresia ani urethralis) und über
multiple Darmatresien und Stenosen.
42) Haas ler: Die rechtsseitige Hernia duodeiio-jejunalis.
(Chirurg. Klinik in Halle.)
Vorträge auf dem 36. Chirurgen-Kongress. Referate siehe No.
16 — 20 dieser Wochenschrift.
33) Klein: Ueber abdominale Radikaloperation bei eitrigen
Adnexerkrankungen. (Chirurg. Abteilung des Kaiser Franz-Joseph-
Krankenhauses in Mährisch-Ostrau.)
K. berichtet über 48 operierte Fälle von eitrigen Adnexerkran¬
kungen mit besonderer Berücksichtigung der Dauerresultate. Er
verwirft auf grund seiner Erfahrungen sowohl die isolierte Tuben¬
exstirpationen wie die Inzisionen von Abszessen und alles vaginale
Operieren bei diesem Leiden. Wenn es überhaupt einmal zur Ope¬
ration kommt, soll radikal vorgegangen und der Uterus samt den
Adnexen entfernt werden: auch die Zurücklassung der Zervix ist
wegen der häufigen Stumpfexsudate nicht zu empfehlen.
K. bespricht ausführlich Befund, Diagnose und Operationsme¬
thode bei seinen Fällen und schildert die häufigen durch Verwachsung
entstehenden Schwierigkeiten und daraus resultierenden Komplika¬
tionen, Darmfisteln, Blasenverletzung etc. Die Mortalität betrug
6,25 Proz. Die Dauerresultate waren recht gute, die Ausfallerschei¬
nungen im allgemeinen sehr gering; allerdings war in 56 Proz.
der Fälle ein Ovarium zurückgelassen worden. Die Krankenge¬
schichten sind ausführlich wiedergegeben.
35) V i 1 1 i n g e r - Altona: Ueber Versuche mit einem neuen
Mittel für Inhalationsnarkose (Dioform).
V. hat das Mittel — Azetylendichlorid — zunächst an Hunden
versucht und festgestellt, dass sich damit sehr gute Narkosen ohne
schädliche Neben- und Nachwirkungen erzielen lassen. Beim Menschen
hat er das Dioform 5 mal zu Narkosen verwendet: diese Narkosen
verliefen sehr gut und ohne jede Störung. Das Mittel dürfte also
der weiteren Prüfung wert sein.
37) P o u 1 s e n - Kopenhagen: Luxatio ossis iunati.
Im Anschluss an drei selbstbeobachtete Fälle bespricht P. die
Literatur und den Mechanismus der Verletzung. Die Symptome sind
ausser der Stellungsveränderung und der Schwellung des Handgelenkes
vor allem Schmerzen und Sensibilitätsstörungen im Medianusgebiete
und Einschränkung der Funktion, vor allem der Volarflexion. In
älteren Fällen sind die Erscheinungen wohl mehr durch die be¬
gleitende chronische Arthritis des Handgelenkes, als durch das lu-
xierte Lunatum bedingt.
Die unblutige Reposition glückt nur selten, die blutige Reposition
kann in frischen Fällen manchmal mit gutem Erfolg gemacht werden.
Meist ist aber die Exstirpation das beste Verfahren und zwar wird
sie am zweckmässigsten bald nach der Verletzung ausgeführt. Auch
in älteren Fällen, wo Schmerzen und Paresen den Gebrauch der
Hand unmöglich machen, ist die Exstirpation indiziert. Findet sich
nur Steifigkeit des Handgelenkes und ist der Fall sehr alt, dann ist
von der Entfernung des Mondbeines kein Erfolg mehr zu erwarten.
39) Guleke: Zwergwuchs infolge prämaturer Synostose. (Chi¬
rurgische Universitätsklinik in Berlin.)
G. beschreibt drei interessante Fälle. Der erste betrifft ein
19 jähriges Mädchen, das in seiner Jugend an schwerer Rachitis ge¬
litten hatte und noch deutliche Zeichen derselben aufwies. Die
Kranke, die 132 cm gross war, war bis zu ihrem 13. Jahre ge¬
wachsen, dann hatte jedes Wachstum aufgehört: das Röntgenbild
ergab eine völlige Verknöcherung sämtlicher Epiphysen, sowohl der
langen Röhrenknochen, als auch des Handskeletts. Ganz ähnliche
Verhältnisse fanden sich auch bei der 15 jährigen, nur 123 cm grossen
Schwester der Patientin, die ebenfalls seit ihrem 13. Jahre nicht mehr
gewachsen war und auch eine fast vollständige Verknöcherung der
Knorpelfugen neben alten rachitischen Veränderungen aufwies. End¬
lich führt G. noch einen dritten Fall der gleichen Art an: 1 9 jäh r .
Mädchen, 134 cm gross, seit dem 9. Jahre Wachstumsstillstand, Ver¬
knöcherung aller Epiphysenfugen. Da alle 3 Patientinnen Rachitis
gehabt haben, ist die vorzeitige Synostose wohl damit in Beziehung
zu bringen, ohne dass aber etwas genaueres über den Zusammen¬
hang des Leidens gesagt werden könnte.
41) Hen sehen: Ueber Schiefhalsbildung und Wirbelsäulever-
krüinmungen bei dyspnoischen Strumen. (Chirurg. Klinik in Zürich.)
Wie K r ö n 1 e i n gezeigt hat, ist die Dyspnoe der Struma¬
kranken in der Hauptsache durch forcierte Muskelaktion der auxiliären
Atemmuskeln am Halse bedingt, die den Kopf wie eine Druckpelotte
gegen die Trachea andrücken. Bei einseitigen Kröpfen spielt der
Sternokleidomastoideus in dieser Beziehung die Hauptrolle. Aus
diesem Verhalten erklären sich gewisse stereotype Haltungsanomalien
und Zwangsstellungen des Kopfes, durch die der Kropfige instinktiv
und automatisch einmal diese Druckwirkung der überlagernden
Muskeln auszuschalten sucht, andererseits mittelst der Umbiegung der
Wirbelsäule ein Ausweichen der Luftröhre, eine skoliotische Tracheal-
deviation begünstigt. Bei medianer symmetrischer Struma mit retro¬
sternaler Lagerung begegnet man einer Anteflexion des Kopfes, bei
suprasternalen Medianstrumen oft einer Retroflexion des Kopfes; bei
einseitigen Kompressionsstrumen kommt es zur Schiefhalsstellung mit
Neigung des Kopfes nach der kranken und Drehung nach der ge¬
sunden Seite.
Bei Erwachsenen gleichen sich diese Haltungsanomalien nach
Entfernung des Kropfes sofort wieder aus; bei jugendlichen Indi¬
viduen mit dyspnoischen Strumen kann sich durch funktionelle An¬
passung des Muskels aber ein reeller myogener Schiefhals mit allen
Folgeerscheinungen am Kopfe und Thoraxskelett entwickeln.
H. führt mehrere Beobachtungen dieser Art an und geht dann
noch genauer ein auf die Mechanik und die verschiedenen Formen
der Wirbelsäuledeviationen bei Kropfträgern.
43) Kleinere Mitteilungen.
G r ü n e i s e n - Weissenfels: Zur Kasuistik der Hernia obtura-
toria incarcerata.
Operation vom Bauch aus. Der Darm war intakt. Heilung.
H e i n e k e - Leipzig.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 35.
A. R i e c k - Altona: Ein Fall von interstitieller Tubenschwanger¬
schaft. Perforation durch die Uterus- und Tubensondierung.
Der Fall betraf eine 28 jähr. II. Para, die wegen vermuteten
Aborts ausgekratzt war, wieder Blutungen bekam und nun einen
apfelgrossen Tumor links neben dem Uterus aufwies. Sondierung zur
Entscheidung der Frage, ob Myom oder Abortreste Vorlagen? Hier¬
bei kam es zur Perforation mit Kollaps und allen Zeichen innerer
Verblutung. Bei der Laparotomie erwies sich der Tumor als inter¬
stitielle Gravidität, die durch die Sonde perforiert worden war. Hei¬
lung nach 24 Tagen.
Der Fall lehrt einwandsfrei die Möglichkeit eines Vordringens der
Sonde in die Tube bei der Sondierung des Uterus, Dass hierbei eine
Tubenschwangerschaft perforiert und dadurch eine fast tödlich ver¬
laufende Blutung verursacht wurde, macht den Fall doppelt lehrreich.
Die Perforation war übrigens nicht von R., sondern vom behandelnden
Arzte gemacht worden.
W. S. G r o u z d e w - Kasan: Zur Frage der Komplikation der
Vesiko-Vaginalfisteln durch Inkarzeration der vorgefallenen Blase.
Inkarzeration der vorgefallenen Blase bei Blasenscheidenfisteln
ist sehr selten. G. beschreibt einen einschlägigen Fall bei einer
35 jähr. VI. Para. Ein Teil der Blasenschleimhaut war nekrotisch ge¬
worden. Da die manuelle Reposition nicht gelang, so versuchte G.
dieselbe durch methodische Tamponade, was nach 3 Tagen Erfolg
hatte. 17 Tage später schloss G. die Fistel. Die Heilung trat ohne
Störung ein; eine im Gehen noch vorhandene Inkontinenz wurde durch
Faradisation der Harnröhre erheblich gebessert.
W. R u b e s k a - Prag: Geburten bei Gebärmuttermyomen.
5 Fälle von Geburten, die durch Myome kompliziert waren. Am
bemerkenswertesten war der 1. Fall, wo R. nach Beginn der Geburt
zuerst das Myom durch Laparotomie entfernte, dann sofort die Ge¬
burt durch Wendung und Extraktion beendete und nun erst die Nähte
in dem Operationsgebiete legte. Mutter und Kind blieben am Leben.
Die übrigen Fälle wurden teils durch Sectio caesarea, teils durch
hintere Kolpotomie, Morcellement oder Enukleation vom inneren
Muttermund aus beendet.
E. Jaeggy-Bern: Ueber den Eiweissabbau im Fötus.
J. konnte das Erepsin, ein für den Eiweissabbau wichtiges
Ferment, schon vom 5. Monat an im fötalen Darme nachweisen, nicht
aber im Pankreas. J. schliesst daraus, dass dem fötalen Darm, ganz
abgesehen von der Verdauung, eine besondere Rolle im Eiweiss¬
abbau zukommt. J a f f e - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 66, Heft 1.
1) H. F i n k e 1 s t e i n - Berlin: Ueber alimentäre Intoxikation.
In dem vorliegenden Aufsatz entwickelt Verf. seine Auffassung
von der Einheitlichkeit der Ernährungsstörung, von der es
wohl verschiedene Abarten und Entwicklungsstufen gäbe, die aber
stets eine Wesenseinheit sei, nicht aber verschiedene Krankheitstypen
darstelle. Die Intoxikation, welche stets ihre Vorgeschichte hat,
ist nach Finkeistein nur der höchste Grad dieser einheitlichen
Störung, die, wie schon früher ausgeführt wurde, lediglich alimentären
Ursprunges ist. Die Untersuchungsmethodik hat sich dabei auf die
Feststellung der Funktionsstörung zu erstrecken, die sich in einem
mehr weniger abnormen Ablauf in der Erledigung des Ernährungs¬
vorganges zu erkennen gibt. So beispielsweise die „paradoxe Re¬
aktion“, welche auf Erhöhung der Nahrungszufuhr eine Schädigung
des Organismus (Gewichtsabnahme) erkennen lässt. Neben den 1 eil-
erscheinungen der „Ernährungsreaktion“ an Magen und Darm, sind
die anderen Symptome — Gewicht, Temperatur, Herztätigkeit,
Atmung, der Bewegungen, der psychischen und nervösen Vorgänge,
die Beschaffenheit des Urins u. a. m. — von Bedeutung. Verf. schil¬
dert weiter die Kennzeichen der Gesundheit, die sich neben anderem
in einer gewissen Toleranzbreite der Ernährungsfunktion kenn¬
zeichnet, während bei der Ernährungsstörung eine kianlkhafte Be¬
einflussung aller jener Merkmale zu erwarten ist, deren untadelige
Gestaltung das Korrelat der Gesundheit bildet. Minderwertigkeit
des Ernährungszustandes und krankhafter Ablauf des Ernährungsvoi -
ganges, besonders aber Herabsetzung der Toleranzbreite m Quali¬
tativer und quantitativer Hinsicht gegen Abänderungen in der ni-
nährungsweise sind die Anzeichen bestehender Erkrankung. I
k eist ein unterscheidet innerhalb der einheitlichen Ernährungs¬
störung vier durch Ueber gänge innig verknüpfte Stadien. Stadium
der „Bilanzstörung“, „Stadium dyspepticum“, dem diejenigen sclnve-
1836
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
rer Art, „Stadium der Dekomposition“ und der „Intoxikation“ folgen
können; nähere Charakteristik derselben und Illustration durch Dia¬
gramme und Krankengeschichten bilden den Schluss.
2) F. K e r m a u n e r - Heidelberg: Das Gedeihen der Brust¬
kinder in Gehäranstalten und der Einfluss des Fiebers der Wöch¬
nerinnen auf dieselben.
Verf. leitet aus seinen sorgfältigen Beobachtungen den Satz ab,
dass zweifellos in dem Fieber der Mutter ein äusserliches, eines
von den hygienischen Momenten gefunden sei, welches das Gedeihen
der Brustkinder in den ersten Tagen in entschiedener und ganz auf¬
fälliger Weise beeinflusst; dies rein äusserliche Moment ist durch
gewissenhafte Sorgfalt in der Pflege wenigstens bis zu einem ge¬
wissen Grade auszuschalten. Die vorliegende Arbeit sei besonders
den Leitern von Gebäranstalten und den Geburtshelfern überhaupt zur
Lektüre wärmstens empfohlen.
3) L. T o b 1 e r - Heidelberg: Ueber kongenitale Muskelatonie
(Myatonia congenita Oppenheim). (Aus der Universitäts-Kinderklinik
zu Heidelberg.)
Kasuistische Mitteilung. Hierzu 2 Tafeln.
4) H. K o e p p e - Giessen : Die Ernährung mit „Holländischer
Säuglingsnahrung“, ein Buttermilchgemisch-Dauerpräparat.
Verf. gibt im ersten Teil seiner Mitteilung die auf Grund vier¬
jähriger Erfahrung gegründeten Indikationen für die Buttermilch¬
ernährung bekannt, im zweiten Teil verbreitet er sich über die
Chemie des „Buttermilchgemisches“ und über das Verhalten der H. S.
(Holländischen Säuglingsnahrung) im Säuglingsmagen.
5) O. R o t h b e r g - Dorpat: Ueber den Einfluss der organischen
Nahrungskomponenten (Eiweiss, Fett, Kohlehydrate) auf den Kalk-
umsatz künstlich genährter Säuglinge. (Aus der Universitäts-Kinder¬
klinik zu Breslau.)
Die Versuchsergebnisse lassen erkennen, dass der Kalkstoff¬
wechsel in erheblichem Grade von der Art der Ernährung abhängig
ist — so bewirkt eine an Milchfett reiche Nahrung bei einer Reihe von
künstlich genährten Säuglingen eine negative Kalkbilanz. Das¬
selbe kann auch eine kohlehvdratreiche Nahrung bewirken, aber
wahrscheinlich in weit geringerem Masse. Die Grösse der Kalkzufuhr
(kommt nach dem Verf. beim Umsatz erst in zweiter Linie in Betracht.
N- und Ca-Bilanz zeigten in den untersuchten Fällen keine Ueber-
einstimmung. Die Retention des Kalkes hängt nach Rothberg
offenbar von dem Verhalten des Organismus bezw. den Vorgängen im
intermediären Stoffwechsel und weiter von den Vorgängen im Darm-
traktus ab (wie Ref. auch schon früher betont hat). Zum Schlüsse
wird im Hinblick auf die negative Kalkbilanz der Versuchskinder bei
Vollmilch auf die klinische Erfahrungstatsache hingewiesen, dass bei
Vollmilchernährung bei einer grossen Reihe von Kindern schwere
Rachitis beobachtet wird (Ad. Czerny).
Vereinsberichte. Literaturbericht von L. Langstein.
• * O. R o m m e 1 - München.
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-ge¬
richtliche Medizin. Band 64, Heft 2 u. 3. 1907.
v. V 1 e u te n -Dalldorf: Linksseitige motorische Apraxie. Ein
Beitrag zur Physiologie des Balkens.
Ein bis dahin gesunder. 55 jähriger Mann erkrankte mit psychi¬
schen Symptomen. Bei der Aufnahme: Intelligenz im ganzen gut.
Störung der Wortfindung mit Paraphasie. Apraktische Störungen der
linksseitigen, Reizerscheinungen in der rechtsseitigen Muskulatur.
Später auch rechtshändig dyspraktisch. Zum Schluss eine Art Be¬
nommenheit. Die Sektion ergab einen zentralen, linkssitzenden
Tumor, welcher Teile <des Markes vom Gvrus limbicus, des Stirnhirn¬
markes und namentlich des Balkens zerstört hatte. Die Apraxie wird
auf Unterbrechung der Balkenleitung bezogen.
G o 1 ds t e iln - Königsberg: Ein Beitrag zur Lehre von den
Alkoholpsychosen. Nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung
von Halluzinationen.
Mitteilung von 11 Krankengeschichten. Sie betreffen zum Teil
Mischzustände zwischen der akuten Alkoholhalluzinose und dem De¬
lirium tremens alkoholicum, zum Teil chronisch-alkoholistische
Psvchosen. — Wenn optische Halluzinationen vorwiegen, ist eine
stärkere Bewusstseinstrübung vorhanden, während bei akusti¬
schen Halluzinationen die Kranken viel besonnener sind.
Awtokratow: Die Geisteskranken im russischen Heere
während des japanischen Krieges.
In einem kurzen Referat nicht gut wiederzugeben. Verf., Be¬
vollmächtigter des Roten Kreuzes für Verpflegungs-. Behandlungs¬
und Evakuationswesen Geisteskranker im Felde, schildert namentlich
die Organisation der Verpflegung, Behandlung und Evakuation Geistes¬
kranker am Kriegsschauplätze und bringt dann eine Uebersicht über
die aufgetretenen Psychosen. Unter den Erkrankungen der Offiziere
nimmt der chronische Alkoholismus die erste Stelle ein, bei den Sol¬
daten die epileptischen Psychosen.
H o p p e - Allenberg (Ostpreussen) : Psychiatrisches aus Nord-
Amerika.
Der interessante Aufsatz muss im Original nachgelesen werden.
Er behandelt u. a. die Irrenfürsorge, die Stellung der Aerzte an den
Irrenanstalten (welche keine wesentlichen Unterschiede zu deutschen
Verhältnissen zeigt), das Pflegepersonal (das in den New Yorker An¬
stalten sozial besser gestellt ist, wie bei uns), die Verpflegung und
ärztliche Behandlung der Kranken, den Modus der Einlieferung Kran¬
ker, die innere Einrichtung der Anstalten, die Fürsorge für Epilep¬
tische und Schwachsinnige.
W o 1 f s o h n - Zürich: Die Heredität bei Dementia praecox.
Sorgfältige statistische Arbeit. Ca. 90 Proz. aller Fälle von
Dementia praecox waren hereditär belastet. Von den Belastungs¬
faktoren ist Geisteskrankheit mit 64 Proz. am häufigsten vertreten;
sodann folgen Nervenkrankheiten, Alkoholismus, sonderbare Charak¬
tere. Die Heredität war in 34 Proz. kombiniert; namentlich Geistes¬
krankheit mit Alkoholismus, Geisteskrankheit mit Nervenkrank¬
heiten. Der Einfluss der Belastung hat keine ausschlaggebende Be¬
deutung für den Ausgang des ersten Schubes der Dementia praecox.
B i r n b a u m - Herzberge (Berlin): Ueber degenerative Phan¬
tasten.
Unter den „degenerativen Phantasten“ wird eine Unterabteilung
der „psychopathischen Persönlichkeiten“ verstanden, bei denen eine
„Ungleichmässigkeit in der Ausbildung der Vorstellungselemente, ein
Ueberwiegen des Phantasiespieles im Vorstellungsleben“ das hervor¬
stechendste Merkmal ist. Dem entsprechend ist bei solchen Kranken
auch die Lebensführung abnorm. — Uebergänge zu den pathologischen
Schwindlern und anderen Degenerierten. Aehnlichkeit mit bestimm¬
ten Aeusserungen des angeborenen Schwachsinns, der Dementia
paranoides, der Paranoia.
Verhandlungen psychiatrischer Vereine.
Psychiatrischer Verein zu Berlin. 120. (15. Dezember 1906) bis
122. Sitzung. — Jahresversammlung des Deutschen Vereins für
Psychiatrie am 26. bis 28. April 1907 in Frankfurt a. M. und Giessen.
- — Verein der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens, 4. Mai 1907,
Hannover.
Kleinere Mitteilungen. M. R e i c h a r d t - Wiirzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 34 u. 35, 1907.
No. 34. l) H ö 1 k e r - Berlin: Ueber sporadische Meningitis cere¬
brospinalis epidemica und ihre diagnostische Abgrenzung von anderen
meningealen Erkrankungen.
Verf. gibt eine Besprechung, zum Teil mit Wiedergabe der Kran¬
kengeschichten von neun Fällen, in welchen das Bild einer Genick¬
starreerkrankung bestand und die Diagnose grössere Schwierigkeiten
machte. In zwei Fällen liess sich der Erreger der Krankheit erst im
späteren Verlaufe [2. und 5. Woche) feststellen, was für die Pro¬
phylaxe der Seuche von praktischer Bedeutung ist. In anderen Fällen
handelte es sich um eine eitrige tuberkulöse Meningitis; bei 6 Fällen
bestand Verdacht auf epidemische Genickstarre, während die Lumbal¬
punktionen immer einen negativen Befund ergaben (einmal Syphilis,
einmal Tumor, einmal hämorrhagische Diathese mit Blutungen, zwei¬
mal Tuberkulose). Das Symptom der Lymphozytose erwies sich
betreff der Differentialdiagnose als nicht sehr zuverlässig.
2) E. Benjamin und E. S 1 u k a - Wien : Ueber eine chro¬
nische, mit Ikterus einhergehende Erkrankung des Blutes.
Die Verfasser bringen die Krankheitsgeschichte von Grossvater,
Vater und Kind. Ersterer erkrankte mit 25 Jahren, letztere waren
schon bei der Geburt ikterisch. Lues bestand nicht. Bei allen Kran¬
ken fand sich Urobilin im Harn, sowie gallehaltige Stühle, auch erwies
sich das Blutbild als ähnlich. Beim Grossvater bestand kein Milz¬
tumor, dagegen bei den 2 anderen Patienten eine mächtige Milz¬
schwellung. Die Form der Erkrankung wird von den Verfassern mit
dem hämatopoetischen System in Zusammenhang gebracht und zwar
handelt es sich entweder um eine Bildungsanomalie des letzteren
oder um eine die roten Blutkörperchen schädigende Noxe.
3) F. P r o s k au e r - Berlin: Ueber die Anwendung von Gua-
jakolpräparaten bei anämischen Zuständen (Sorisin-Ferrarsenat und
Eisen=Sorisin).
Es wurden 8 Fälle von Anämien mit den genannten Präparaten
behandelt und bei allen Erfolge erzielt, mit Ausnahme eines Falles
von perniziöser Anämie.
4) E. R e h f i s c h - Berlin: Ueber die Ursprungsstelle der Ven¬
trikelkontraktion.
Bekanntlich wird der Kontraktionsreiz von der Vorkammer mit¬
telst des H i s sehen Bündels nach der Herzkammer hingeleitet. Verf.
hat nun darüber Experimente an Hunden angestellt, an welcher Stelle
des Ventrikels die Kontraktion ihren Ausgang nimmt. Er setzte eine
Vagusreizung, liess die Kontraktion sowohl der Herzbasis als der
Spitze auf eine Trommel aufschreiben und fand, dass der Beginn der
Systole der Basis später einsetzt als jene der Spitze, woraus zu
folgern ist. dass der Impuls zur Kontraktion zuerst nach der Spitze
hingeht. Die anatomischen Untersuchungen von A 1 b r e c h t und
T a w a r a sprechen auch dafür, dass der Papillarmuskel den Reiz
zur Kontraktion zuerst empfängt: es wird also der untere Herzab¬
schnitt zuerst in Kontraktion versetzt.
5) E. B r a-n d - Frankfurt a. M.: Ueber das Verhalten der Kom¬
plemente bei der Dyalvse.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
6) O. B. M e y e r - Pankow: Zur Kenntnis des Fussriicken-
reflexes.
Nach K. Mendel verursacht Beklopfen des Fussriickens bei
Gesunden eine Dorsalflexion der 2. — 5. Zehe, bei bestimmten organi¬
schen Nervenkrankheiten dagegen eine Plantarflexion. M. berichtet
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1837
über 10 Fälle, wo der B a b i n s k i sehe Reflex entweder gar nicht
oder nur undeutlich gefunden wurde, während die Mendel sehe
Plantarflexion auftrat. Diese Beobachtungen widersprechen den An¬
gaben von L i s s m a n n.
7) Q. Glücksmann - Berlin : Kongestive Zustände in der
weiblichen Sexualsphäre und Appendizitis.
Vergleiche das Referat Seite 1309 der Münch, med. Wochenschr.
1907. Mitteilung zweier Krankengeschichten mit Epikrise.
8) E. Barth: Ueber funktionelle Stimmstörungen und ihre Be¬
handlung.
Nach Darlegung der Bedingungen für das Zustandekommen der
normalen Stimme bespricht Verf. das Wesen und die verschiedenen
Erscheinungsformen der funktionellen Stimmstörungen, wie der hy¬
sterischen Stummheit, der spastischenAphonie. Funktionelle Stö¬
rungen müssen auch funktionell behandelt werden. Erörtert wird
ferner die Aphonie nach katarrhalischen Erkrankungen, dann die Stö¬
rung der sogenannten persistierenden Fistelstimme, ferner der Mogi-
phonie und der Phonasthenie.
9) A. L a q u e u r - Berlin: Neuere Anschauungen über die Wir¬
kungsweise der Hydrotherapie.
Kurzdauernde heisse Bäder wirken günstig bei Erschöpfungszu¬
ständen, ferner zur Anregung der Herztätigkeit, zur Steigerung der
Muskelleistung, zur Behandlung mancher Fälle von Bleichsucht. Hin¬
sichtlich der indifferenten Temperaturen der Thermalquellen
haben die neueren Forschungen bekanntlich ergeben, dass
ihre Wirkung zum Teil mit der Radiumemanation zusammen¬
hängt. Indifferent warme Bäder steigern die Funktion der
Niere als Ausscheidungsorgan, besonders des Kochsalzes.
Es ist unrichtig, bei allen Formen von Nierenentzündungen
immer heisse Vollbäder zu geben, da die indifferent warmen Bäder
zur Anregung der Nierentätigkeit oft zweckmässiger sind. Verf.
fand nach Kälteanwendung keine Verminderung der natürlichen bak¬
teriziden Eigenschaften des Blutserums.
No. 35. 1) Hans Käthe- Halle a. S.: Die Lungenschwimmprobe
und ihre Beurteilung.
Vergl. d. Referat in No. 31, S. 1554.
2) L. M i c h a e 1 i s - Berlin : Die Wassermann sehe Syphilis¬
reaktion.
Darstellung der Wassermann sehen Versuchsanordnung und
Deutung derselben. Verf. stellte zur Kritik dieser Deutung eine An¬
zahl eigener Versuche an, über deren Einzelheiten und die daraus
gezogenen Folgerungen das Original zu vergleichen ist. Aus den
Schlussätzen ist hervorzuheben, dass gewisse Beobachtungen dieser
Versuche berechtigten Zweifel erwecken, ob die Reaktion wirklich
das Vorhandensein eines Antikörpers gegen den Syphiliserreger oder
seine Gifte anzeigt.
3) O. W a t e r m a n n - Berlin: Zur Behandlung zentraler Augen¬
nervenleiden luetischen Ursprungs mit Atoxyl.
W. berichtet über die mit der Atoxylbehandlung an 1U Fällen
zerebraler Lues und tabischer Atrophie gemachten Erfahrungen. Die
Versuche — Krankengeschichten sind beigefügt — enttäuschten völlig.
Verf. warnt vor dem Atoxylgebrauch gegenüber diesen Leiden.
4) F. Fleischer - Berlin : Ueber turgo-tonographische Puls¬
druckbestimmung.
Nachdem Verf. ein Referat über alle bisherigen Methoden zur
Bestimmung des Pulsdruckes gegeben, berichtet er über die von ihm
mittels des S t r a u s s sehen Turgosphygmographen angestellten
Untersuchungen, unter genauer Beschreibung des Instrumentes und
der Versuchsanordnung.
5) J. Seil ei und H. U n t e r b e r g - Ofen-Pest: Beiträge zur
Pathologie und Therapie der gonorrhoischen Pyelitis.
Die Verf. teilen die Krankengeschichten von 5 Pyelitiskranken
gonorrhoischen Ursprungs mit. Darnach ist der Gonokokkus zwar
im stände, für sich direkt eine Pyelitis zu verursachen, meistens je¬
doch sind dabei noch andere Bakterien mit tätig, so dass es sich bei
der sog. gonorrhoischen Pyelitis meist um Mischinfektionen handelt.
6) R. E. Achert-Bad Nauheim: Ueber die protrahierte Dar¬
reichung der Digitalisdroge.
Verf. hat bei Gebrauch von Digalen keine kumulativen Wirkungen
gesehen. Er erörtert die Indikationen protrahierter Digitalisdar-
reichung in Kürze und erklärt sie für besonders angezeigt bei chroni¬
schen Erkrankungen des Herzmuskels. Das Mastfettherz verträgt die
Digitalis gewöhnlich schlecht, bei den nervösen Herzleiden sieht man
davon selten Erfolge. Hinsichtlich der Dosis empfiehlt A c h e r t,
täglich ein bis zweimal 7 — 14 Tropfen Digalen zu geben.
7) L ö w e n t h a 1 - Braunschweig: Ueber die Wirkung der Ra¬
diumemanation auf den Menschen.
L. hat Kranken mit Ischias, chronischen Gelenkleiden Kohlen¬
säurebäder mit Zusatz von emanationshaltigem Wasser gegeben und
konnte dabei bemerken, dass bei Fällen, welche nach längerer An¬
wendung in Heilung ausgingen, zuerst immer eine „Reaktion“, d. h.
eine Zunahme der Schmerzen eintrat. Rückfälle wurden mit einer
Trinkkur von Emanationswasser behandelt, welche wiederholt zur
Heilung führte. Auch bei Fällen chronischer Neuritis sah Verf. Er¬
folge. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 35.
1) K ö r te - Berlin: Zur Behandlung des Angioma arteriale race-
mosum.
Zusammenstellung von 8, teils früher schon besprochenen Fällen
von Rankenangiom. Exstirpation ist dringend geboten, aber tech¬
nisch wegen der Blutung nicht einfach. Am besten kam K. am Schä¬
del zureent mit einem auch von Krause geübten Verfahren: Unter¬
bindung der grössten zuführenden Aeste, dann ein Kranz von Um¬
stechungsnähten, mit Ausnahme einer Brücke, welche die Basis des
auszuschneidenden Lappens bildet und digital komprimiert wird. Der
Lappen wird bis auf das Periost geschnitten und rasch samt der Ge-
scnwulst vom Periost abgelöst, dann unter Tamponade der Wund¬
höhle die Geschwulst vom Lappen abgeschält.
2) M. Ge n t z e n -Königsberg: Ueber die Saftabscheidung des
Magens im nüchternen Zustande.
Versuche mit den Sahli sehen Desmoidpillen sprachen für die
Schreiber sehe Ansicht, dass der nüchterne Magen des gesunden
Menschen Magensaft vorrätig enthält. Seine Sekretion wird, wie G.
annimmt, angeregt durch die im Magen stets vorhandenen, aus der
Luft mit dem Mund-, Nasen- und Rachenschleim verschluckten an¬
organischen und organischen, eiweisshaltigen Substanzen.
3) H. S c h i r o k a u e r - Berlin: Magenatonie und Chlorose.
Verf. erörtert die nahe Beziehung der Chlorose zur St Gier¬
schen Asthenia universalis, die diagnostische Bedeutung des
Plätschergeräusches („nicht immer ein Zeichen von Atonie, aber bei
Atonie stets vorhanden“); die diätetische (roborierend), medikamen¬
töse (Eisen, Arsen, Atoxyl) und physikalische Therapie.
4) B. G o 1 d b e r g - Wildungen: Beiträge zur Kenntnis der ner¬
vösen Blasenerkrankungen.
G. bespricht Fälle von nervöser Pollakiurie, welche teilweise vom
Sexualleben abhängig waren, dann Fälle von postenuretischer Pollaki¬
urie nicht neurasthenischen Ursprungs, ferner 2 Fälle der seltenen
neurasthenischen Retentio urinae completa.
5) Leo Cohn-Posen: Versuche mit Theophorin.
Das Mittel, ein Doppelsalz des Theobrominnatrium mit Natrium
formicicum, bewährte sich als nachhaltig wirksames Diuretikum, be¬
sonders bei kardialem Hydrops.
6) E. P o r t - Chemnitz: Ueber Maretinvergiftung.
Warnung vor dem inzwischen aus dem Handel zurückgezogenen
Mittel.
7) N e u b e r g - Magdeburg: Ueber die Kontagiosität der spitzen
Kondylome.
Mitteilung einer für Kontagiosität sprechenden Beobachtung des
Leidens bei einem Brautpaar.
8) Alfons F i s c h e r - Karlsruhe: Staatliche und private Mutter¬
schaftsversicherung. (Schluss.)
Eingehende Besprechung der Frage. F. ist für das private Insti¬
tut, das sich aber frei Von politischen und religiösen Nebenabsichten
zu halten hat und das von Gemeinde und Staat unterstützt wer¬
den soll.
9) A. K ö h 1 e r - Berlin: Neuere Vorschläge für die Kriegs¬
chirurgie.
Verf. erklärt die Lumbalanästhesie für unbrauchbar in der Kriegs¬
chirurgie. i
P. S c h Ob e r - Paris: Die deutschen Hospitäler im Ausland.
R. Grashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 16. 1907.
Hans I sei in: Kasuistischer Beitrag zu den irreponiblen und
veralteten Kniegelenksluxationen. (Aus der Chirurg. Klinik Basel.)
Mit 4 Fig. i. T.)
Besprechung zweier Fälle und der Literatur.
H. Z i e g 1 er : Aus der Unfallversicherung der Aerzte.
Bringt einige Daten aus den Zählkarten der Unfallversicherungen
über Unfälle der Aerzte. P i s c h i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 35. A. M o 1 e k - Wien: Ueber Zoekumblähung infolge karzi-
nomatöser Striktur des Dickdarmes.
Drei Krankengeschichten; zwei Fälle endeten nach der Lapa¬
rotomie wegen Entkräftung tödlich, bei dem anderen, zunächst als
Appendizitis angesehen, wurde -das Karzinom bei der zweiten Lapa¬
rotomie erkannt und trat nach Anlegung eines Anus praeternaturalis
eine wesentliche Erholung ein. Die Disposition gerade des Zoekums
zu der Ueberdehnung ist wohl in dem Mangel eines vollkommenen
Peritonealüberzuges zu suchen, wodurch mitunter das Zoekum und
ein Teil des Kolons gleichsam extraperitoneal gelagert und an diesen
Stellen besonders ausdehnungsfähig sind.
R. Bachrach und .1. Bartel- Wien: Ueber den Einfluss der
Hefenukleinsäure auf die Virulenz menschlicher Tuberkelbazillen.
Das Ergebnis der an Meerschweinchen durchgeführten Versuche
war, dass durch den Zusatz von Nukleinsäure von 1 : 100 und 1 : 100Q
•die die Virulenz in kurzer Zeit aufhebende Wirkung des destillierten
Wassers eine Verzögerung erfährt, d. h. die Virulenz gestärkt wird.
1838
MUENCHENER MEDIZINISCEIE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Dagegen wurde in Eiweisslösungen, in welchen die Virulenz lange
erhalten bleibt, bei Zusatz von Nukleinsäure (lü : 100 und 1 : 1000)
die Virulenz nach einiger Zeit vernichtet.
O. Axamit und K. Tsuda-Prag: Versuche über die Spe¬
zifität der opsonischen Wirkung des Normalserums.
Die Versuche sprechen nicht für eine Spezifität; „es gelingt zwar
die Opsonine des normalen Meerschweinchens durch Bakterien zu er¬
schöpfen, es besteht jedoch kein Grund, im Serum nicht vorbe¬
handelter Tiere eine Vielheit eigener Opsonine anzunehmen, wenig¬
stens mit Bezug auf die untersuchten Bakterienarten (Staphylokokken,
Bacillus subtilis, Bacter. dysenteriae).“
O. Stoerk-Wien: Ueber experimentelle Leberzirrhose auf
tuberkulöser Grundlage. (Schluss.)
Sehr eingehende Schilderung der an der Leber des Meerschwein¬
chens nach tuberkulöser Infektion erhobenen Befunde, welche bestä¬
tigen, dass sich auf experimentellem Wege Veränderungen erzielen
lassen, welche mit der menschlichen Leberzirrhose eine weitgehende
Uebereinstimmung zeigen. Beim Meerschweinchen setzt aber im
weiteren Verlauf eine eigenartige reparatorische Gallengangprolifera¬
tion ein, welche durch junges Parenchym die fibrös-zirrhotischen Ge¬
webe durchsetzt und so das Bild der am Menschen beobachteten
Zirrhose modifiziert. Es scheint nicht zweifelhaft, dass zu den ver¬
schiedenen Schädlichkeiten, welche die menschliche Leberzirrhose
verursachen, auch die Tuberkulose gehört. Zum genaueren Studium
dieser tuberkulösen Zirrhose eignet sich aber nicht das voll ausge¬
bildete chronische Stadium, sondern es müssten die früheren Perioden
der Erkrankung, in denen nach der Erfahrung St.s eine weitgehende
Uebereinstimmung mit der experimentellen Erkrankung der Leber
beim Meerschweinchen zu bestehen scheint, genauer verfolgt wer¬
den. Zu diesen übereinstimmenden Befunden rechnet Verfasser
vor allem die in die Verzweigung der Glisson sehen Kapsel sich
erstreckenden Tuberkel mit Verkäsung, die Portalverschlüsse, die
Wucherung des G 1 i s s o n sehen Bindegewebes im Bereiche der spe¬
zifischen Erkrankungsstellen. Bergeat - München.
Englische Literatur.
G. Oliver: Die Kontrolle des übernormalen arteriellen Druckes.
(Lancet, 18. Mai 1907.)
Verf. versucht in dieser Arbeit zu zeigen, wie es durch prak¬
tische Anwendung festgestellter physiologischer Tatsachen gelingt,
den dauernd erhöhten Blutdruck günstig zu beeinflussen. Der Tactus
eruditus 'des Arztes genügt heute nicht mehr, sondern ein Hämo¬
manometer gehört zur Ausrüstung des Arztes. Temporäre Er¬
höhungen des Blutdrucks beruhen meist auf nervösen Einflüssen,
dauernde dagegen auf Veränderungen des Chemismus des Blutes oder
auf organischen Störungen im Zirkulationssystem. Da die Diät des
Kranken vielfach eine grosse Rolle bei dem Zustandekommen des
erhöhten Blutdrucks spielt, so legt Oliver grosses Gewicht auf die
Besprechung einer passenden Diät. Man soll einerseits die Gesamt¬
menge der einzelnen Mahlzeit beträchtlich reduzieren, dann aber vor
allem alles vermeiden, was den kardiovaskulären Apparat stimulieren
kann. Hierzu gehören vor allem die Salze, die löslichen Extraktiv¬
stoffe, und der Alkohol, die gleichzeitig das Herz und die Kapillaren
stimulieren. Er empfiehlt im allgemeinen Verminderung der ani¬
malischen und Uebergehen zu mehr vegetabilischer Nahrung. Er
bekämpft die in England sonst so verbreitete Ansicht, dass gewisse
(rote) Fleischarten gefährlicher sind als andere (weisse). Viel
wichtiger ist die Art der Zubereitung; gekochtes Fleisch oder Fisch
sind viel harmloser als gebratenes; vor allem zu vermeiden sind
Fleischsäfte, Saucen und Fleischsuppen. Die Menge der Flüssigkeits¬
aufnahme bei den Mahlzeiten ist zu beschränken, am besten ist
weiches, destilliertes, kohlensäurefreies Wasser oder schwach alka¬
lische Wasser. Dieselben sind leicht gewärmt und womöglich nicht
mit den Mahlzeiten zu nehmen. Thee und Kaffee in massigen Mengen
ist zu erlauben. Alkohol und Tabak werden am besten ganz ver¬
boten. Ob eine salzfreie Diät zu empfehlen ist, ist noch unentschieden,
jedenfalls können die Kranken nur sehr kurze Zeit ohne Salz auo-
koinmen, da ihnen eine salzfreie Nahrung bald widerlich wird. Häufig
wirkt eine Milchdiät mit wenig Brot und Käse sehr günstig. Abso¬
lute Ruhe ist von der allergrössten Bedeutung. Für manche Fälle
genügt es, wenn sie 1 bis 2 Tage in der Woche vollkommen ruhig
liegen, für andere sind Liegekuren von 8 bis 4 Wochen nötig. Stets
sorge man, dass nach der Ruhe die Kranken nur sehr langsam wieder
mit der Körperbewegung beginnen. Daneben sind wohl regulierte
Bewegungen, Gehen oder Radfahren auf ebener Erde sehr zu
empfehlen. Die Bäderbehandlung ist ein gutes Hilfsmittel, ist aber
ohne Diät etc. nicht genügend. Am besten ist die Massagedusche
von Aix-les-Bains, gefolgt von Nadelbädern mit wechselnder Tem¬
peratur und warmen Packungen am Schluss. Auch tägliche Behand¬
lung mit d’Arsonvalströmen scheint manchmal von Nutzen zu sein.
Man sorge für warme Kleider und schicke wohlhabende Kranke im
Winter nach Aegypten. Zuweilen wirkt ein Aderlass sehr günstig.
Die arzneiliche Behandlung sorge für gute Entleerungen und Darm¬
antisepsis. Die Herzdepressoren sind zu vermeiden, manchmal wirkt
aber Thyreoidin, das vorsichtig gegeben wird, sehr günstig. Gut
wirken zuweilen auch die Nitrate, die Nitrite und die Ammoniumsalze
der Hippur- und Benzoesäure. Auch länger fortgesetzter Gebrauch
kleiner Jodkalimengen wird warm empfohlen.
J. Liddell: Leber Colitis muco-membranacea. (Ibid.)
Verf. glaubt, dass die beste Behandlung in kopiösen Ausspülungen
des Darmes mit dem Sclrwefelwasser von Harrogate besteht. Un¬
mittelbar nach der Ausspülung erhält Patient ein Schwefelbad und
wird der Bauch, während er im Bade sitzt geduscht. Näheres im
Original.
J. Herbert Par sons: Ueber Verletzungen des Trigeminus.
(Lancet, 25. Mai 1907.)
Verf. bespricht in dieser Arbeit den Herpes zoster der Kornea,
als dessen Ursache er eine Erkrankung des Ganglion Gasseri an¬
sieht, das morphologisch als ein Ganglion einer Spinalwurzel an¬
gesehen werden muss. Dann spricht er über die Kornealerkran-
kungen, die zuweilen nach Entfernung des Ganglion Gasseri be¬
obachtet werden. Er glaubt, dass es nur dann zu einer besonderen
Vulnerabilität der Hornhaut kommt, wenn die durchschnittenen Enden
des Trigeminus einer abnormen Reizung durch Blutgerinnsel, Eiter
etc. ausgesetzt werden.
Hugh M. Rigby: Die Torsion des Hodens. (Ibid.)
Die Arbeit des Verf. stützt sich auf 9 genau beobachtete und
beschriebene Fälle. Die Affektion kann in jedem Lebensalter und
sowohl am nicht herabgestiegenen als am normal gelegenen Hoden
Vorkommen. Als prädisponierende Ursache ist eine angeborene
Missbildung anzusehen, die darin besteht, dass das gemeinsame Me¬
senterium und die Gefässe am unteren Pole des Corpus testis und
des Globus minor befestigt ist, so dass der Hoden statt an einem
breiten Bande an einem dünnen Stiele hängt. Dabei .ist der Globus
minor verlängert, und die abnorme Weite und Schlaffheit der Tunica
vaginalis befördert ebenfalls das Zustandekommen der Torsion.
Ferner weist Verf. «darauf hin, dass der Hoden schon vor dem Zu¬
standekommen der Torsion bestand, wie man durch den operativen
Befund feststellen konnte. Die Diagnose ist zuweilen schwierig,
bei nicht herabgestiegenem Hoden ist die Verwechslung mit einer
eingeklemmten Hernie nahe, bei herabgestiegenem mit einer akuten
Orchitis und Epididymitis. Wichtig ist das sehr frühzeitige Auftreten
von Oedem und Rötung des Hodensacks. Die Behandlung ist ver¬
schieden bei Torsion des nicht herabgestiegenen Hodens. Im ersteren
Falle entferne man sobald wie möglich den torquierten Hoden, der
ja doch nicht viel wert ist. Im letzteren Falle versuche man, falls
man den Fall sehr frühzeitig sieht, den Hoden zurückzudrehen, was
zuweilen gelingt. Siebt man den Fall erst später, so schlage man
womöglich ein abwartendes Verfahren ein. Vereiterung oder son¬
stige schwere Komplikationen sind selten, bei Kindern kommt es leicht
zu Atrophie des Hodens, aber selbst in diesem Falle behält der Kranke
•einen Ueberrest des Hodens im Skrotum, was psychisch immer noch
besser ist, als wenn der Hoden entfernt wurde. Häufiger rezidi¬
vierende Fälle, die auch beobachtet wurden, werden am besten
kastriert. Die Arbeit enthält eine Reihe guter Abbildungen, die die
bei der Aetiologie wichtigen anatomischen Momente gut veranschau¬
lichen. Bei der abwartenden Behandlung lege man den Hoden hoch,
halte den Kranken im Bett und mache Bleiwasserumschläge. Die
Schmerzen verschwinden unter dieser Behandlung meist nach ein
bis zwei Tagen.
Saint Rene Bonnet: Die medizinische oder chirurgische Be¬
handlung der Appendixschmerzen. (Ibid.)
Verf., der in Chatel Guyon les Bains, einem vielfach von an
chronischer Appendizitis leidenden Kranken aufgesuchtem Badeorte
praktiziert, glaubt, dass man in Frankreich neuerdings zu zurück¬
haltend mit der Operation dieser Fälle geworden ist. Wenn auch
eine Anzahl von Fällen ohne Operation ausheilen, ,so empfiehlt er
doch bei Kranken, die andauernd oder in häufigen Zwischenräumen
an Schmerzen in der Zoekalgegend leiden die Operation ä froid.
Er hat selbst dann sehr gute Erfolge gesehen, wenn die Operation
einen nur wenig veränderten Wurm ergab, da die Schmerzen häu¬
fig rein reflektorischer Natur sind. Auch bei der Colitis muco-mem¬
branacea bringt die Entfernung des Wurms oft Nutzen.
P. Tetens Haid: Die Hypopharyngoskopie. (Ibid.)
W.rf, berichtet üb°< die Erfahrungen, die er mit der von
v. Eicken angegebenen Methode der Untersuchung des unteren
Pharynxabschnitts erzielt hat und spricht sich sehr lobend über die¬
selbe aus.
W. D, Halliburton: Die Degeneration und Regeneration der
Nerven. (Lancet, 4. u. 11. Mai 1907.)
Verf. hat aus seinen Versuchen die Ueberzeugung gewonnen,
dass die alte Waller sehe Lehre von der Regeneration der Nerven
vom zentralen Ende des durchtrennten Nerven die richtige ist. Die
neuerdings von Bet he, Kennedy und anderen vertretene Lehre
von der Regeneration der Nerven vom peripheren Ende aus ist falsch,
und es handelt sich bei Fällen, in denen eine periphere Regeneration
angeblich beobachtet wurde, wahrscheinlich um zufällige und un¬
beachtete Verbindungen des peripheren Endes mit dem Zentral¬
nervensystem. Wenn derartige Verbindungen mit anderen bei der
Operation durchtrennten Nerven erfolgreich verhindert werden, so
wird nie eine Regeneration im peripheren Ende beobachtet. Die re¬
generierten Fasern degenerieren übrigens stets in peripherer Rich¬
tung und nur in dieser, wenn die zum Zentralnervensystem führende
Verbindung wieder durchtrennt wird. Die Markscheide der neu-
gebildeten Nerven erscheint zuerst dort, wo die Nervenstümpfe ver¬
einigt werden, sie wächst dann allmählich nach der Peripherie zu. Im
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1839
peripheren Segmente eines durchschnittenen Nerven kommt es zu
einer Vermehrung, Verlängerung und kettenförmigen Vereinigung von
Neurilemmzellen. Derselbe Vorgang, nur in verstärktem Masse, wird
am zentralen Ende beobachtet und es scheint, als ob dem Neurilemm
wichtige phagozytische und nutritive Bedeutung zukäme. Am zen¬
tralen Ende ist diese nutritive Tätigkeit erfolgreich und besorgt die
Ernährung der wachsenden Achsenzylinder. Am peripheren Ende
tritt 'das Neurilemm erst dann in wirksame Tätigkeit, wenn die
Achsenzylinder in dasselbe einwachsen, dann sorgt auch hier das
Neurilemm für Stützte und Ernährung derselben. Die Tätigkeit der
Neurilemmzellen ist unbedingt nötig, ohne dieselbe regenerieren sich
die Nerven nicht.
W. Arbuthnot La ne: Die Behandlung der Frakturen in der
Nähe der Gelenke. (Ibid.)
Verf. empfiehlt warm die Naht der gebrochenen Knochenenden
oder ihre Vernagelung und Verschraubung. Röntgenbilder illu¬
strieren das Gesagte.
C. S. Shaw: Der opsonische Index gegen verschiedene Bak¬
terien bei Geisteskranken. (Ibid.)
Verf. glaubt, aus dem Vergleiche des tuberkuloopsonischen In¬
dex bei Gesunden und Geisteskranken schliessen zu können, dass
man die Bestimmung des opsonischen Index prophylaktisch verwerten
kann. Ein niedriger opsonischer Index gegen Tuberkelbazillen geht
der Infektion mit Tuberkulose oft lange voraus und ist 'deshalb bei
Geisteskrankheiten, die ja so oft an Tuberkulose erkranken, von
grosser prophylaktischer und prognostischer Bedeutung. Injektionen
kleiner Mengen von Tuberkulin (T.R.) rufen bei Gesunden keine
negative Phase des opsonischen Index hervor, wohl aber bei Tuber¬
kulösen. Die opsonischen Indices gegen verschiedene Organismen
variieren nur unbedeutend bei gesunden Individuen. Injektion einer
grösseren Menge von Tuberkulin ruft bei gesunden Menschen einen
Fall in der Höhe des opsonischen Index nicht nur gegen Tuberkel¬
bazillen, sondern auch gegen andere Mikroorganismen hervor. Dies
erklärt die Leichtigkeit, mit der tuberkulöse Herde sekundär mit
anderen Organismen infiziert werden.
A. Lewin Sheppard: Die Perforation bei Typhus und der
Blutdruck. (Ibid.)
Unter den Zeichen der Perforation beim Typhus nimmt die Stei¬
gerung des Blutdrucks einen wichtigen Platz ein. Sie ist ebenso be¬
deutsam, wie 'die Leukozytosis und leichter zu bestimmen. Ein
Stationärbleiben des Blutdrucks beweist nicht, dass keine Perfora¬
tion eingetreten ist.
Robert Saundby: Die chronische Splenomegalie und Poly¬
zythämie. (Brit. Med. Journ., 18. Mai 1907.)
Verf. glaubt nicht, dass es sich bei dieser in den letzten Jahren
häufiger studierten Krankheit um eine primäre Erkrankung des Kno¬
chenmarkes oder der Milz handelt oder dass, wie von anderer Seite
behauptet wurde, die letzte Ursache in einer Erkrankung des Herzens
zu suchen ist. Seiner Meinung nach sind die Arterien mittleren Kali¬
bers und die Arteriolen durch einen vasomotorischen Spasmus ver¬
engt; allmählich bildet sich eine organische Verengerung durch Ver¬
dickung der fibrösen und der muskulären Schichten aus. Hierdurch
kommt es zu einer Behinderung der Zirkulation, zu Splenomegalie
und Polyzythämie. Häufig gehen diesem Gefässspasmus Infektionen,
vor allem Influenza voraus.
J. W. Pare: Die lokale Anästhesie mit Novokain. (Ibid.)
Novokain erzeugt eine vollkommene Anästhesie, die länger an¬
hält, als die durch Ko'kain hervorgerufene. Selbst starke Lösungen
reizen die Gewiebe nicht. Während es mindestens so stark an¬
ästhesierend wirkt wie Kokain, ist es viel weniger giftig, sehr kon¬
stant und ruft weder Schock noch Nachschmerzen oder Zirkulations¬
und Atmungsstörungen hervor. Es ist im Verhältnis zu den meisten
anderen Anästhetizis billig.
J. C. Bond: Beitrag zur Chirurgie gewisser Lähmungen.
(Ibid.) .
Verf. legte bei einem 46 jährigen Manne 20 Tage nach einer Wir¬
belsäulenverletzung, die zu kompletter Paraplegie geführt hatte, das
Rückenmark frei. Dann durchtrennte er beiderseits die letzten
Dorsalwurzeln, die oberhalb der Verletzung noch intakt schienen
innerhalb der Theka, die zentralen Enden derselben vernähte er
mit den gleichfalls intrathekal durchtrennten ersten Lumbalwurzeln.
Er hoffte auf diese Weise einen neuen Weg für die Nervenleitung, die
durch die Zerquetschung des Markes ganz aufgehoben war, zu
schaffen. Patient überstand die Operation, zeigte aber keine Bes¬
serung (starb 3 Monate später). Immerhin glaubt Verf., dass es in ge¬
eigneten Fällen gelingen könnte, auf diese Weise die Leitung wieder
herzustellen.
M. J. G i b s o n: Zur Frage der Pubiotomie. (Journal of Obstetrics
and Gynaecology. Mai 1907.)
Verf. gibt 3 eigene Fälle, die er als Assistent im Dubliner Kran¬
kenhause mit Erfolg für Mutter und Kind ausgeführt hat. Seine wei¬
teren Bemerkungen über Indikation und Technik der Operation stützen
sich auf weitere 12 Fälle aus dem Krankenhause. Er hält die Opera¬
tion für sehr gefährlich, wenn schon vorher Sepsis besteht.
John Malcolm: Die Vorzüge der totalen Hysterektomie.
(Ibidem.)
Verf. empfiehlt jedes grössere Fibrom zu entfernen, ebenso jedes
andere, das Beschwerden macht. Wenn irgend möglich führe man die
Panhysterektomie aus, die in jeder Beziehung der supravaginalen Ab¬
tragung vorzuziehen ist.
R. G. McKerron: Die Einleitung der Geburt bei verlängerter
Schwangerschaft. (Ibidem.)
Verf. glaubt, dass in etwa 8 Prozent aller Fälle die Schwanger¬
schaft über die normale Zeitdauer .hinaus verlängert ist. ln diesen
Fällen ist das Kind gefährdet einerseits durch Veränderungen in der
Plazenta und andererseits durch eine lange Dauer oder Schwere der
Geburt. Die Mutter ist gefährdet durch übermässige Dehnung und
nachfolgende Atonie der Bauchmuskeln, durch eine schwierige Ent¬
bindung und durch Trägheit des Uterus mit Neigung zu post partum-
Blutung. Die Gefahren für Mutter und Kind sollte man durch recht¬
zeitige Einleitung der Geburt zu verhindern suchen, wenn man sicher
ist, dass die Schwangerschaft zu lange dauert.
E. Hastings Tweedy: Zur Frage der Pubiotomie. (Ibidem.)
Genauerer Bericht über einen komplizierten und 2 glatt ver¬
laufende Fälle von Pubiotomie; bei allen 3 Fällen wurden Mutter
und Kind gerettet. Im ersten Falle musste gleichzeitig gewendet
werden.
James M. Anders: Die Freiluftbehandlung akuter Krank¬
heiten der Atmungsorgane. (Journal of Balneology and Climatology,
Mai 1907.)
Verf. empfiehlt vor allem die Pneumonie in frischer Luft zu be¬
handeln; wo es unmöglich ist, den Kranken im Freien zu halten,
sollte wenigstens für häufige Durchlüftung des Zimmers gesorgt wer¬
den. Auch für Bronchitiker eignet sich die frische Luft besser als das
warme, schlecht ventilierte Krankenzimmer.
Albert Carless: Frakturen in der Nähe des Ellbogengelenkes.
(Practitioner. Mai 1907.)
Verf. spricht zuerst über die häufigen Epiphysenlösungen des
unteren Humerusendes. Sieht man den Fall frühzeitig, ehe noch
starke Schwellung aufgetreten ist, so ist es meist leicht, durch Zug
am Vorderarm und allmähliche Beugung desselben die Dislokation zu
beseitigen. Dann beugt man den supinierten Vorderarm so gegen
den Oberarm, dass die Hand der Schulter genähert wird, ln dieser
Stellung wird er 12 bis 14 Tage lang fixiert gehalten. Sieht man
den Fall erst, wenn starke Schwellung besteht, so genügt es meist,
beiderseits einen Hautschnitt zu machen, dann stumpf das Periost
zu eröffnen und den Bluterguss zu entleeren. Dann gelingt es meist
leicht, die Fragmente richtig zu stellen. Die Brüche der Kondylen
werden am besten, ebenso wie die Frakturen des Olekranon sofort
mit Silberdraht genäht. Dasselbe gilt vom Bruche des Radius¬
köpfchens.
Newman N e i 1 d: Opium als Heilmittel bei der Hypertrophie des
Pylorus. (Ibidem.)
Verf. bespricht zuerst die motorische Neurose der Erwachsenen,
die zu Hypertrophie des Pylorus führt und die ebenso wie die später
besprochene kongenitale Pylorusstenose durch Opium heilbar ist. Bei
beiden Erkrankungen scheint ein operativer Eingriff dem Verf. voll¬
kommen verwerflich.
P. Lockhart Mummery: Der Pruritus ani. (Ibidem.)
Verf. betont, dass in jedem Falle von Pruritus ani eine lokale Ur¬
sache zu gründe liegt, die meist im Anfangsteil des Rektums resp.
im Analkanal zu finden ist. Oft sind es kleine Geschwüre oder Fisteln,
die im Gebiete einer der V a 1 s a 1 v a sehen Klappen liegen., in an¬
deren Fällen findet man Fissuren oder kleine Polypen. Häufig führen
Hämorrhoiden zu Pruritus, indem sie den kompleten Sphinkterschluss
hindern; es entleert sich fortwährend etwas Schleim aus dem Anus,
die Analgegend ist immer feucht und dies verursacht das Jucken. Sehr
häufig handelt es sich um die katarrhalische hypertrophische Proktitis;
diese führt zu einer Hypersekretion und der stark ätzende Schleim er¬
zeugt den Pruritus. Alle diese Ursachen sind zu beseitigen; dann muss
man versuchen, die geschwollene und durchtränkte Haut der Anal¬
gegend wieder normal zu machen. Dies gelingt am besten durch häu¬
figes Pinseln mit Karbol und durch häufige Karbolumschläge.
S. Moritz: Die Frühdiagnose der Lungentuberkulose. (Me¬
dical Chronicle. Mai 1907.)
Verf., der als Chefarzt des Tuberkulosekrankenhauses in Man¬
chester und des Crossley-Sanatoriums über eine grosse klinische Er¬
fahrung verfügt, bespricht in dieser Arbeit genau die verschiedenen
Untersuchungsmethoden und die durch sie mögliche Frühdiagnose.
Durch Laboratoriumsarbeit gelingt es sehr häufig nicht, eine Diagnose
zu stellen, ganz besonders spricht er den Tuberkulininjektionen und
der Bestimmung des opsonischen Index jede Bedeutung ab. Am wert¬
vollsten sind immer noch die physikalischen Methoden, die durch den
Bazillenbefund und manchmal durch die Skiagraphie wesentlich unter¬
stützt werden. „ ,, ,
Jan S. Stewart und L. C. Peel Ritchie: Der diagnostische
Wert des opsonischen Index bei Tuberkulose. (Edinb. Med. Journ.
Mai 1907.) „ ,,
Die beiden Verfasser haben bei einer grossen Zahl von an chi¬
rurgischer Tuberkulose leidenden Kranken häufige Bestimmungen des
opsonischen Index vorgenommen. Sie haben dabei gefunden, dass
eine einmalige Bestimmung des Index völlig wertlos ist, da sowohl
tuberkulöse wie nichttuberkulöse Fälle innerhalb und ausserhalb der
Norm fallen können. Sehr wichtig ist das Auftreten einer negativen
Phase nach der Injektion, tritt dieselbe ein, so handelt es sich sicher
um Tuberkulose, im anderen Falle kann man Tuberkulose aus-
schliessen. Sehr wichtig ist die Bestimmung des opsonischen linlex
1840
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
auch zur Entscheidung der Erage, ob ein tuberkulös gewesener Kran¬
ker von 'der Krankheit befreit ist. Auch hier entscheidet das Auftreten
oder Ausbleiben der negativen Phase die ausgebliebene oder voll¬
zogene Heilung.
Gerichtliche Medizin.
P u p p e - Königsberg: Zur Eröffnung des Institutes für gericht¬
liche Medizin der Kgl. Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr.
(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. 1906, Supplementheft.)
P. schildert den Entwicklungsgang der gerichtlichen Medizin in
Königsberg während der letzten hundert Jahre, die Einrichtung des
neuen Institutes, die Beschaffung und Verwertung des Unterrichts¬
materiales. „Das öffentliche Rechtsbewusstsein hat ein Interesse daran,
dass Pflegestätten der ärztlichen Sachverständigentätigkeit vorhanden
sind, welche die für eine gute Erledigung straf- und zivilrechtlicher
Eragen nötigen Grundlagen schaffen helfen.“ P. betont die Bedeutung
und Notwendigkeit eines gehörigen Unterrichtes in der gerichtlichen
Medizin und sozialen Gesetzgebung und hält nicht nur das Hören
eines Kollegs, sondern auch die Teilnahme an einem gerichtlich-medi¬
zinischen Praktikum für erforderlich.
Pfeiffer- Graz: Weitere Beiträge zur Herzbeuteltamponade.
(Vierteljahrsschr. f. ger. Med., 1906, Heft 4.)
Bei plötzlichem Tod infolge spontaner Ruptur eines Aorten¬
aneurysmas fanden sich im Herzbeutel ca. 300 ccm locker geronnenen
Blutes; nach einer traumatischen Ruptur des rechten Vorhofes und
der rechten Kammer trat zwar sofort Bewusstlosigkeit, der Tod aber
erst nach Vz Stunde ein, der Herzbeutel enthielt ca. 100 ccm flüssiges
Blut. Komplette „Tamponade“ des Herzbeutels liegt nur im ersten
Ealle vor, im zweiten werden für das Ausbleiben derselben und des
raschen Todeseintrittes der geringere Druck, unter dem das aus¬
strömende Blut stand und die Möglichkeit des Rückfliessens von
Blut in die Herzhöhle während der Ventrikeldiastole geltend gemacht.
S tu b e n r a t h - Würzburg: Ueber Ohrenblutung beim Er-
hängungstod. (Friedreichs Bl., 1906, Heft 3.)
Eine ungewöhnlich starke und noch nach dem Tode andauernde
Blutung aus den Ohren war veranlasst durch Einrisse in den hinteren
unteren Quadranten beider Trommelfelle. Für die Entstehung dieser
Verletzung wirkte eine Steigerung des Blutdruckes und des Luft¬
druckes im Mittelohrraume zusammen, bestehende vitale Kongestion,
Blutstauung durch den umschnürenden Strang, rasche Verlegung der
Rachenmündung der Ohrtrompete mit Erhöhung des intratympaniti-
schen Druckes.
Martini- Breslau: Ueber einen Fäll von epiduralem Bluterguss
in einer verbrannten Leiche. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med., 1906,
Heft 4.)
An der stark verkohlten Leiche einer Frau, die nach vorausge¬
gangener Brandlegung sich erhängt hatte, fand sich zwischen Schädel
und harter Hirnhaut eine ausgebreitete, 4 — 5 mm dicke Schicht einer
ziegelroten weichen Masse, die das Aussehen von gekochtem Blut
hatte, entsprechend der stärkeren Verbrennung der linken Körper¬
seite links. Das Schädeldach bildete eine schwärzliche, trockene
und sich abschilfernde Masse und zeigte keine penetrierende Ver¬
letzung, die stark gespannte Dura war unversehrt, *das Gehirn ent¬
sprechend der Auflagerung abgeplattet, trocken. Das Blutextravasat
war postmortal durch die Hitzewirkung entstanden, die Frage nach
der näheren Genese wird offen gelassen.
v. Horvskiewicz und Leeris: Ueber die Entstehungs¬
weise des epiduralen Blutextravasates in verbrannten Leichen.
(Ibidem.)
Nach den in der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde in
Berlin gemachten Versuchen findet unter der Einwirkung der Hitze
eine Aenderung der Blutverteilung am Schädelknochen ln der Weise
statt, dass das Blut von der erhitzten Stelle wegdrängt, unter Blasen-
und Schaumbildung sich einen Ausweg aus dem Knochen sucht und
dabei die Dura abhebt. Erst längere und intensivere Hitzewirkung
bringt auch die Dura zur Schrumpfung und Retraktion, in welchem
Momente ihre Gefässe Ausgüsse von trockenem, geronnenem Blute
enthalten. Als das Primäre erscheint demnach die Blutverdrängung,
nicht die Schrumpfung der Dura.
K 1 a r e - Königsberg: Ueber einen merkwürdigen Fall von
Rückenmarkstichverletzung. (Zeitschr. f. Med.-Beamte 1906, No. 24.)
Obwohl das Rückenmark am 4. Brustwirbel in der Längsrichtung
durchstochen und die abgebrochene Messerklinge stecken geblieben
war, hatte der .Verletzte keine Lähmungs- oder Reizerscheinungen
und konnte nach der Tat nach Hause gehen. Am 7. Tage suchte er
wegen meningitischer Erscheinungen das Krankenhaus auf, wo die
Messerklinge entfernt wurde. Tod an Meningitis.
Z e 1 1 e - Muskau: Tod durch Venenverletzung und verhängnis¬
volle Laienhilfe. (Zeitschr. f. Med. -Beamte, 1906, No. 19.)
Isolierte Stichverletzung der linken Achselvene. Obwohl ein
Krankenhaus und vier Aerzte in nächster Nähe waren, versuchte ein
Mitglied der Sanitätskolonne 2 Stunden lang allein die vermeintliche
arterielle Blutung durch Umschnürung oberhalb der Verletzung zu
stillen, doch rutschte dieselbe immer ab. Da hierdurch die arterielle
Blutzufuhr nicht, wohl aber der Rückfluss des Venenblutes zum Kör¬
per behindert war, trug die fehlerhafte Kunsthilfe zum letalen Aus¬
gange mit bei. Uebrigens ein Beitrag für die Gefährlichkeit selb¬
ständigen Eingreifens des Hilfspersonals.
L e e r s - Berlin: Zur Aetiologie plötzlicher Todesfälle im
Kindesalter in gerichtsärztlicher Beziehung. (Zeitschr. f. Med.-
Beamte, 1906, No. 18.)
Die Obduktion unvermutet gestorbener Kinder ergibt haupt¬
sächlich zwei Gruppen von Krankheiten, solche der Bronchien und
Lungen und des Darmtraktus, sehr oft vergesellschaftet. Für die
lobulären katarrhalischen Bronchopneumonien, die sich auffallend
rasch entwickeln und bei dem geschilderten mikroskopischen Bilde
den plötzlichen natürlichen Tod hinreichend erklären, liegt die bron-
chogene Entstehung näher als die hämatogene; sie wird durch allge¬
meine äussere und innere Schädlichkeiten begünstigt, unter denen
das Darmleiden insofern indirekt beteiligt ist, als es ganz besonders
den Organismus schwächt.
S c h o 1 z - Görlitz: Tod durch Erhängen am Bauche. (Zeitschr.
f. Med. -Beamte, 1906, No. 19.)
Bei der seltsamen, vielleicht zur Beseitigung von Magenbe¬
schwerden gewählten Erhängung — der Betreffende hatte sich früher
einmal an den Füssen aufgehängt, um das stockende Blut zu ver¬
treiben — wurden äusserlich keine Strangmarke, innerlich Sugillationen
der Magen- und Darmwand, Erstickungserscheinungen und ein chro¬
nisches Herzleiden konstatiert, als eigentliche Todesursache Herz¬
lähmung.
R o t h - Frankfurt a. M.: Fast völlige Luftleere der Lungen nach
24 ständigem Leben. (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1906, No. 20.)
Ein spontan geborenes, ausgetragenes und kräftiges Kind schrie
laut nach der Geburt, atmete auch in den ersten Stunden ruhig, später
wimmerte es und wurde immer mehr zyanotisch. Obwohl das Leben
über einen Tag gedauert, waren die Lungen nur in einzelnen kleinen
Inseln der Oberlappen und der vorderen Ränder lufthaltig, sonst
leberartig derb und luftleer; dagegen waren Magen und Dünndarm
schwimmfähig.
S e i f e r t - Sonnenstein: Ueber die forensische Beurteilung von
Kleiderschüssen. (Zeitschr. f. Med. -Beamte 1906, No. 12.)
In einem gerichtlichen Falle gingen die Ansichten der ärztlichen
Sachverständigen darüber auseinander, ob die ’ Verletzung am Beine
bezw. das Loch in der Hose durch -einen Revolverschuss oder durch
Werfen eines kantigen, mit einem Nagel versehenen Brettes ent¬
standen sei. Angestellte Schiessversuche ergaben, dass die Schuss-
löcher in Kleidern in gleicher Weise wie die Schussöffnungen am
Körper durch Vorbuchtung nach Art eines Kegelmantels und Durch¬
bohrung an der Spitze dieser Ausstülpung erfolgen. Je elastischer ein
Gewebe ist, um so kleiner ist das Loch; seine Form wird ausserdem
von der Richtung des Schusses, dem Faserverlauf des Gewebes und
etwaigen Falten beeinflusst; es können dabei auch wirkliche Einrisse
in den Kleidern entstehen. Auf das Kaliber des Geschosses lassen
sich keine sicheren Schlüsse ziehen; Nahschüsse kennzeichnen sich
durch die Wirkung des Feuerstrahles und Einstreuung von Pulver¬
körnchen.
D o e b e r t - Berlin: Die pathologische Anatomie des Abdominal¬
typhus bei Erwachsenen und Kindern vom Standpunkt der gericht¬
lichen Medizin. (Friedreichs Bl. 1906, H. 5 u. 6.)
Plötzliche Todesfälle mit Verdacht auf eine strafbare Handlung
oder Selbstmord finden zuweilen ihre Aufklärung durch den Nach¬
weis von Abdominaltyphus; als nächste Todesursache lassen sich
hiebei feststellen; Degeneration des Herzens, Perforationsperitonitis,
Milzruptur, auch Embolie der Lungen und Hirnarterien und sonstige
seltenere Vorkommnisse. Septische Erkrankungen nach Verletzungen
und Geburten können ähnlich wie Typhus verlaufen und umgekehrt,
es kommen auch Mischinfektionen von Sepsis und Typhus vor; kli¬
nisch und anatomisch kann die Differentialdiagnose Schwierigkeiten
begegnen. Wegen der Frage des Verschuldens des Urhebers der
Verletzung oder der bei der Entbindung zugezogenen Hebamme be¬
darf es bei der Begutachtung solcher Fälle sorgfältiger Erwägung.
Auch Fleischvergiftungen können tvphusähnliche Erkrankungen her-
vorrufen. In der Unfallversicherungspraxis kann Typhus besondere
Wichtigkeit erlangen, wenn er nach Hineingeraten in ein mit Fäkalien
verunreinigtes Flusswasser eintrat — es wurde dies auch wiederholt
als Betriebsunfall anerkannt — oder wenn nach abgelaufenem Typhus
ein Trauma die Gelegenheitsursache zur Entstehung eines post¬
typhösen Abszesses abgibt.
A s c a r e 1 1 i - Rom: Histologische Studien und bakteriologische
Versuche über Adipocire. (Vierteljahrsschr. f. prakt. Med. 1906, H. 4.)
Die Saponifikation tritt nach vorausgegangener, mehr oder min¬
der vorgeschrittener Fäulnis auf und verbreitet sich von der Ober¬
fläche nach der Tiefe; am meisten widerstandsfähig sind Binde¬
gewebe, elastische Fasern und Knorpeln. Die beigefügten 9 Tafeln
veranschaulichen die Uebergangsstufen des Prozesses an den ein¬
zelnen Geweben, deren gröbere anatomische Struktur noch kenntlich
ist. Die Verseifung entwickelt sich in Gegenwart einer zahlreichen
Bakterienflora, die der des Wassers und der gewöhnlichen Fäulnis
entspricht. Hinsichtlich der Genesis nimmt A. eine Mittelstellung
ein; ohne triftige Gründe für seine Meinung anzuführen, lässt er die
verseifte Substanz sowohl aus den präexistierenden Fetten als auch
und grösstenteils aus den Albuminoiden entstehen.
Hoffmann - Berlin : Defloration einer Schlafenden? (Zeitschr.
f. Med.-Beamte 1906, No. 23.)
Bei dem allgemein gebotenen Skepticismus in solchen Fragen
verdient es gerichtsärztliches Interesse, dass nach dem Zugeständ-
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1841
nisse des Angeklagten eine durch ungewohnten reichlichen Alkohol-
genuss in tiefen Schlaf versunkene Dienstmagd nichts davon merkte,
wie sie vom Tische, an dem sie eingeschlafen wai, weggetiagen und
ins Bett hineingelegt wurde, und erst durch den Schmerz beim Ein¬
dringen des männlichen Gliedes in die Scheide erwachte.
Schwabe-Hannover: Versuchte Notzucht an einem im Zu¬
stande von oberflächlicher Hypnose (Hypotaxie) befindlichen jungen
Mädchen durch einen sog. Magnetopathen. (Zeitschr. 1. Med. -Beamte
191 ^Eingehende Darlegung des Falles, bei dem insbesondere die
Glaubwürdigkeit der Zeugin ärztliche Beobachtung und Begutachtung
erforderte. Bei der Gemeingefährlichkeit der Magnetopathen wird
als dringend notwendig bezeichnet, das Verbot der hypnotischen
Schaustellungen durch Laien auch auf die Laienkuiiereiei mittels
Hypnose (Magnetismus) auszudehnen.
Best- Hirschhorn a. N. : Ein Fall von Purgenvergiftung. (Zeit¬
schr. f. Med.-Beamte 1906, No. 12.) .
Zwei Tabletten Purgen „für Bettlägerige“, das „selbst in grössten
Dosen unschädlich“ sein soll, verursachte ausser überaus häufigen
wässerigen Stühlen stundenlange grosse Unruhe, Beängstigung,
Athemnot, gerötetes Gesicht, starkes Herzklopfen und Pulsbeschleum-
SU11RRoth -Braunschweig: Ein Fall von tödlicher Benzinvergiftung.
(Zeitschr. f. Med.-Beamte 1906, No. 24.) .
Ein U/s jähriger Knabe trank aus einer Benzinflasche eine ganz
geringe Menge und starb nach 1 Stunde. Im Verdauungstraktus fan¬
den sich Leine Aetzungs- oder Reizungserscheinungen unter dem
Ueberzuge der Leber, der Milz und der Nieren waren zahlreiche Blut¬
austritte sichtbar, das Lungengewebe war von kleineien Blutungen
durchsetzt. Chemisch liess sich das Benzin im Magen und Darm
nicht mehr, jedoch noch in den Organen nachweisen.
Mucha-Wien: Zwei Fälle von Vergiftungen mit Chrompräpa-
rateiZdar ek-Wien: Ueber die Verteilung des Chroms im mensch¬
lichen Organismus bei Vergiftung mit Chromsäure bezw. Kalium-
dichromat. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. 1906, H. 4.)
In dem ersten Falle erfolgte nach Einnahme von ca. 80 g einer
gesättigten Kaliumdichromatlösung wiederholt Erbrechen: nach Aut-
liahme in das Krankenhaus wurde der Magen aiisgespült und Magnes.
carbon verabreicht. Tod nach 12 Stunden. Anatomisch (Dr. Mucha)
fanden sich im Munde und Rachen keine Veränderungen im Magen
Schwellung der Schleimhaut mit Ekchymosen, im Duodenum und
oberen Jejunum desquamativer Katarrh; im oberen Ileum war die
Schleimhaut noch rosafarben, weiter abwärts blassgrau. Die Leber
zeigte gleichmässige fettige Degeneration der Zellen, die Nieren Ne¬
krose und parenchymatöse Degeneration der Epithelien, vorwiegend
in den gewundenen Harnkanälchen. Bei der chemischen Untei-
suchung (Dr. Zdarek) war die Menge des im Körper Vorgefun¬
denen Chroms eine auffallend geringe, wenn es sich auch noch in a len
Organen nachweisen liess; dieses rasche Verschwinden aus dem
Organismus und die verhältnismässig grosse Menge im Harn sprechen
wohl entschieden für eine rasche Elimination durch die Nieren; nachst-
dem enthielt am meisten die Leber.
Im zweiten Falle wurden 6 g Chromsäurelösung genommen;
kein Erbrechen, aber flüssige Stühle; Magenausspülung wegen hoch¬
gradiger Kyphose unmöglich, als Gegenmittel Magnesia usta.; lod
nach' 4 Stunden. Die stark alkalische Reaktion des Magen- und
oberen Darminhaltes, sowie die Erweichung und Quellung der
Schleimhaut waren durch das Gegenmittel bedingt, nur an der vor¬
deren Magenwand war die Schleimhaut starr, die bis in den obeien
Teil des Dünndarmes graugrün verfärbt war. Auffällig war die In¬
tensität der entzündlichen Veränderungen im unteren Ileum, wo der
stark geröteten Schleimhaut kruppähnliche Membranen auflagerten
und die Ausdehnung über den ganzen Dickdarm, bedingt durch die
Ausscheidung des Giftes ; Z. schreibt die schädigende Wirkung haupt-
sächlich dem Magnesiumchromat zu. Chemisch wurde, beinahe die
Gesamtmenge des eingenommenen Chroms im Oiganismus aufge
funden, die Leber enthielt nahezu 1 g.
Hoff mann -Berlin: Mord- und Selbstmord durch Chloroform.
(Zeitschr. f. Med.-Beamte 1906, No. 23.)
Nach vorgängiger Tötung des 4 jährigen Kindes mittels Chloio-
forminhalation banden sich die Eltern behufs gemeinsamen Selbst¬
mordes mit Chloroform gefüllte Tropfflaschen derart an die Stirne,
dass dasselbe selbständig auf die vor Mund und Nase gelegte Watte
träufelte Der Mann erwachte wieder, wahrscheinlich weil sich die
Flasche verschob und das Chloroform daneben tropfte, und brachte
sich dann 2 nicht-tödliche Schüsse bei. Abgesehen von der lokalen
Reizwirkung des teilweise verschluckten Chloroforms — Rötung dei
Schleimhaut des Rachens, der Luftröhre und des Magens, teilweise
Abschilferung des Speiseröhrenepithels — fand sich kein spezifischer
Obduktionsbefund, Chloroform machte sich nicht durch den Geruch
bemerkbar, liess sich aber chemisch in den Leichenteden nachweisen.
Wachholz-Krakau: Zur Kohlenoxydvergiftung. (Viertel¬
jahrsschr. f. gerichtl. Med. 1906, Supplementheft.)
Aus einzelnen Beobachtungen von Vergiftungen bei Menschen
und mehreren Tierversuchen wird gefolgert, dass das CO im Körper
nicht zerstört bezw. zu CO2 oxydiert wird und im Blute überlebender
Individuen trotz ihrer Atmung in reiner Luft noch lange nachgewiesen
werden kann, bedeutend länger, als man bisher annahm; dei Nacli-
weiss lässt sich aber nur mit den empfindlichsten Proben, der modi¬
fizierten Tannin- oder der Palladiumchloriirprobe erbringen. Es ist
anzunehmen, dass das nach längerer Zeit im Blute überlebender In¬
dividuen noch nachweisbare CO von jener seiner Menge herrührt,
welche von den Geweben, besonders den Muskeln aufgenommen und
sodann allmählich wieder, an das kreisende, zuvor in den Lungen von
seinem eigenen CO-Gehalt befreite Blut abgegeben worden ist. Das
CO scheint direkt auf das Muskelgewebe einzuwirken, d. i. seine Er-
regbarkeit zu steigern und dadurch mehr oder wenigei heftige
Krämpfe leichter auszulösen. Es beeinflusst den Blutkreislauf schäd¬
lich, indem es Gefässerweiterung, rasches Sinken des Blutdruckes,
Blutstase und Thrombenbildung herbeiführt, die des weiteren Embo¬
lien mit nachfolgenden Erweichungsherden in den Organen des zen¬
tralen Nervensystems, Nekrosen des Herzmuskels und massige
Pleuraexsudate veranlassen können.
Peter sen-Bor st e 1 - Plagwitz a. B.: Gutachten über den
Zusammenhang zwischen Gasvergiftung und Geisteskrankheit. (Vier¬
teljahrsschr. f. gerichtl. Med. 1906, H. 3.)
Infolge Gasausströmung aus einem Wassergasregenerator er¬
krankten gleichzeitig mehrere Arbeiter an Vergiftungserscheinungen,
genasen jedoch wieder bis auf einen 17 jährigen Hiittenai beiter, in
dessen Vorleben keine wesentlichen, Geisteskrankheit voi bereitende
oder veranlassende Momente bemerkbar waren. Er klagte über Kopf¬
schmerzen und Uebelkeit, war ganz irre, musste nach Haus gefüllt t
und am nächsten Tage wegen Delirien dem Krankenhause überwiesen
werden, wo Zustände von Somnolenz und Apathie mit Eiregungs-
zuständen abwechselten. P. stellte einige Monate später das typische
Bild der Manie fest und bejahte den Kausalzusammenhang mit der
Gasvergiftung. . . , . ,
Näc'ke- Hubertusburg: Sind die Degenerationszeichen wirk¬
lich wertlos? (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. 1906, H. 3.)
N. polemisiert gegen die Abhandlung von D 0 h r n und
Scheele und vertritt seinen bisher eingenommenen Standpunkt.
Darnach besteht im allgemeinen ganz entschieden ein Zusammenhang
zwischen Zahl, Wichtigkeit und Verbreitung der Stigmata und dem
Zustande des Zentralnervensystems. Die physiologisch-psycho¬
logischen Entartungserscheinungen sind entschieden viel wichtiger
als die äusseren Stigmen. Letztere sollen nur ein Signal sein, eine
Aufforderung, das betreffende Individuum näher zu uutei suchen.
Während ein einzelnes Stigma oder nur wenige unwichtige ohne
Wert sind, steigt ihre Bedeutung mit der Zahl, Wichtigkeit und Aus¬
breitung am Körper.
Dan 11 emann- Giessen: Die Wahl des Vormundes im, Ent¬
mündigungsverfahren vom psychiatrischen Standpunkte. (Fried¬
reichs Bl. 1907, H. 4.) J J .. .
Der Vormund hat für die Person und das Vermögen des
Mündels zu sorgen. Die Bestellung des Vormundes wesentlich nach
dem Gesichtspunkte der Vermögensverwaltung kann stattfinden bei
allen Fällen von Geisteskrankheiten, in welchen das Interesse an der
Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten erloschen oder zeitweilig
aufgehoben ist. In den sonstigen Fällen beanspruchen die besonderen
Eigenschaften des Mündels und seine Beziehungen zum Vormund Be¬
rücksichtigung. Die Tätigkeit des ärztlichen Sachverständigen soll
nicht mit der Abgabe des Entmündigungsgutachtens enden; er sollte
sich auch über die von einem Vormund zu beachtenden charakte¬
ristischen Züge des Kranken aussprechen, den Richter bei der Wahl
des Vormundes beraten. Ungeeignet als solche sind Personen, die
das Vorliegen einer Geistesstörung und die Notwendigkeit einer
Kuratel nicht anerkennen, von dem Kranken in den Kieis seinei
falschen Vorstellungen als Gegner miteinbezogen werden, unter dem
Einflüsse des Kranken stehen (Ehefrauen) oder kein Verständnis für
das Wesen des Kranken zeigen. Dr. Carl Beckei.
Inauguraldissertationen.
Universität Freiburg i. Br. August 1907.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
den
Br.
Gruber Friedrich : Beitrag zur Kasuistik der sexuellen Per¬
versionen. , . , , . ,
Schuster Paul : Statistische und klinische Analyse der 111
Jahren 1852—1906 auf der medizinischen Klinik zu Freiburg 1.
beobachteten Fälle von Erysipelas.
Dessl er Bernhard: Zur Aetiologie der Todesfälle und der
schweren Zufälle bei der Lumbalanästhesie.
Obermiller Richard: Ueber Sandkörperchen. (Einschliess¬
lich Corpora libera tunicae vaginalis testis.) Nebst einem hall
von Fibrom des Hodens mit Sandkörnern.
Hof stein Hermann: Ueber Scoliosis ischiadica.
Gerschmann Josef: Aspiration von Mageninhalt bei Opc-
rcitinnpn WPCPll TleilS.
21.
22.
23.
24.
Universität Rostock. Juli — August 1907.
Liessie Walter: Beitrag zur Untersuchung der Merkfähigkeit
im hohen Greisenalter. .
Go sh i da Schutos: Ueber Leucoderma psoriaticum.
Konow Wilhelm: Pseudotabes arsemcalis P^rIPh^rlcV,,F-np
Hinrichsen Richard: Bericht über 34 operativ behandelte alle
von gutartigen Magenerkrankungen.
1842
MUFNCHFNFR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
25. Müller Johann: Ueber die Reaktion der normalen Säuglings¬
fäzes.
26. Wi Icke Ulrich: Beiträge zur Kenntnis metastatischer renaler
und perirenaler Abszesse.
27. Erd mann Paul: Ueber experimentelles Glaukom nebst Unter¬
suchungen am glaukomatösen Tierauge. (Habilitionsschrift.)
28. Neu mann Walther: Die Behandlung der Stomatitis mercurialis
mit Wasserstoffsuperoxyd.
29. Bartz Johannes: Ueber die Diplobazillenkonjunktivitis mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Hornhautkomplikationen.
30. Reitz Bruno: Zur Kasuistik der Verletzungen des Ductus thora-
cicus, mit besonderer Berücksichtigung der operativen.
31. Lüsing Kuno: Ein Beitrag zur Frage: Appendizitis oder Appen¬
dixeinklemmung im Bruchsack?
32. Böttcher Alfred: Ein Beitrag zur forensen Medizin. I. Mutter¬
mord ; II. Mord des Kindes vom Dienstherrn.
33. Meyer Karl: Die Behandlung der Beclkenenölagen durch die
äussere Wendung.
34. Voll mann Otto: Ueber einen Fall von multiplen Zottenge¬
schwülsten der Harnblase.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Blatternfälle und Impfrummel in Wien. — Mangel an
Kälberlymphe. — Die passive Resistenz der niederöster¬
reichischen Gemeindeärzte hält an. — Vom XII. österreichischen
Aerztekammertag. — Honorierung der Sanitätsanzeigen. —
Der Gatte muss die zahnärztliche Behandlung seiner Gattin
bezahlen.
Die Wiener haben in den letzten zwei Wochen infolge
zahlreicheren Auftretens von Erkrankungs- und Todesfällen an
Blattern einen argen Impfrummel erlebt. Seit dem Jahre 1895
sind die Blattern in Wien nur mehr sporadisch aufgetreten.
Unrichtig ist freilich die offizielle Mitteilung, dass Wien und das
ganze Land Niederösterreich seit mehr als 10 Jahren „ganz
blatternfrei“ gewesen seien. In dem 1905 erschienenen „Be¬
richt des Wiener Stadtphysikates“ lesen wir, dass in den Jahren
1897 — 1899 nur 2, 7 und 3 Fälle zu verzeichnen waren, in den
drei Berichtjahren 1900 — 1902 nur 3 und 6 (sämtlich auswärtige
[Provenienzen) vorgekommen sind, während das Jahr 1902
blatternfrei blieb. Das war freilich eine starke Verminderung
dieser Fälle, denn noch im Jahre 1891 zählte Wien 2038 (!),
im Jahre 1892 noch 52, 1893 noch immer 183, 1894 noch 66 Fälle.
Im heurigen Jahre trat im April ein Blatternfall auf, „der
erwiesenermassen durch Verbreitung offenbar infizierter
Gänsefedern galizischer oder russischer Provenienz ver¬
anlasst wurde“. Von Anfang Mai bis Mitte Juni wurden im
10. Wiener Bezirke 12 Fälle konstatiert, sodann im 12. Bezirke
2 neue schwere Blatternfälle bei ungeimpften Personen, die
auch tödlich verliefen. Nunmehr kamen in verschiedenen Be¬
zirken Blatternfälle zur Beobachtung, auch 3 Fälle von Haus¬
infektion im Franz-Joseph-Spitale, wohin alle Blatternkranke
abgegeben wurden. Die unmittelbaren Wohnungsgenossen der
Erkrankten mussten sich in die Hospitäler der Gemeinde Wien
behufs 14 tägiger Kontumaz begeben. Ende August zählte man
schon einige 70 Erkrankungen mit 7 Todesfällen.
Das gab Veranlassung zu intensiven prophylaktischen
Massnahmen seitens der staatlichen und städtischen Sanitäts¬
behörden. Am 23. August leitete das Ministerium des Innern
das sogen. Epidemieverfahren ein. Danach muss jeder Er¬
krankungs- und jeder blatternverdächtige Fall sofort zur An¬
zeige gebracht werden, ungeimpfte Personen „sollen“ sofort
der Erstimpfung und Personen, die schon vor 6 oder mehr
Jahren geimpft wurden, „sollen“ der Wiederimpfung unter¬
zogen werden. (In Oesterreich gibt es keinen gesetzlichen
Impfzwang!) Diese Verlautbarung wirkte wie eine Bombe, sie
beunruhigte die Bevölkerung in ungeahnter Weise, es entstand
ein Impfrummel sondergleichen. Die anfangs in zu geringer
Zahl und mit wenig Impfärzten ausgestatteten öffentlichen
Impfstationen, an welchen Jedermann — Gross und Klein _
unentgeltlich der Erstimpfung resp. der Revakzination unter¬
zogen wurde, wurden in lebensgefährlicher Weise bestürmt;
man sah sich gezwungen, allmählich 24 solche öffentliche Impf¬
stellen zu errichten und in den meisten derselben waren mehrere
Impfärzte stundenlang zugleich tätig. Dabei mussten die Imp¬
fungen oft abgebrochen werden, weil die k. k. Impfstoffgewin¬
nungsanstalt keinen Stoff mehr zur Verfügung stellen konnte.
Arbeiter und Frauen mit ungeimpften Kindern hatten sich
stundenlang halbtot drücken lassen, um dann ungeimpft, mit
dem Tröste, am nächsten Tage wieder zu kommen, nach Hause
zu gehen. Das gab Stürme der Entrüstung an Ort und Stelle
und später auch in den politischen Zeitungen.
Aber auch die Privatärzte wurden stark bedrängt, alle
Welt wollte sofort geimpft werden. Dabei bekamen die
Aerzte an manchen Tagen keinen, an anderen Tagen zu wenig
Impfstoff, um ihre Klientel zu befriedigen. Das gab auch zu
argen Reibereien Anlass, es regnete in den politischen Zei¬
tungen ärztliche Zuschriften, die Not an Impfstoff wurde
Tagesgespräch. Der Direktor der Impfstoffgewinnungsanstalt
warf den praktischen Aerzten vor, dass sie den Impfstoff ver¬
schwenden und riet ihnen, mit demselben sparsamer umzu¬
gehen. Mit einer Phiole könne man 10 Erstimpfungen resp.
20 Revakzinationen vornehmen, was — nebenbei gesagt —
absolut nicht zutrifft, zumal wenn die zu Impfenden nicht alle
gleichzeitig beim Arzte erscheinen. Auch war es nicht schön,
dass die k. k. Anstalt die Konjunktur benützte und sich für eine
Phiole mit Kälberlymphe 100 Heller = 1 Krone bezahlen liess,
nachdem sie die Phiole früher für 60 Heller verkauft hatte. Und
die offiziöse „Wiener Abendpost“ führte in einer amtlichen
Mitteilung aus, dass die Vorräte an Kälberlymphe voll¬
kommen ausreichen würden, „wenn die öffentlichen, gleichwie
die privaten Impfungen nicht mehr in dem Tempo vorgenom¬
men werden, wie es der impetuöse Zudrang der Bevölkerung
in der letzten Zeit mit sich brachte.“ Das heisst: die Leutchen
sollten sich schön Zeit lassen und sich nach und nach impfen
lassen. Die Not lehrt aber bekanntlich beten. Wenn Gefahr
droht, dann will jeder der Erste sein, der sich und die Seinen
zu schützen sucht; da nützen keine guten Lehren und keine
Ermahnungen zur Geduld. Auch so mancher brave Mann, der,
irregeführt durch die Reden und Schriften der Naturheiler,
Impf- und Vivisektionsgegner, noch vor einigen Tagen die
Schutzimpfung gegen Blattern als wissenschaftlichen Schwin¬
del und als Vergiftung der Menschheit ausgeschrien hatte,
war jetzt mit einem Male selbst einer jener, die sich sofort
revakzinieren lassen wollten, oder der seine Hausgenossen der
Erstimpfung zuführte. Zur rechten Zeit erinnerte ein Blatt
daran, dass im Wiener Gemeinderate während der Budget¬
debatte am 7. Dezember 1904 der Arzt und Gemeinderat
Dr. K 1 o t z b e r g gegen die Impfung gesprochen und beantragt
habe, 4150 Kronen, die für die öffentliche Impfung im Budget
angesetzt waren, zu streichen, worauf die christlich-soziale
Majorität den Antrag Klotzberg annahm. Man erinnerte
sich auch, dass vor 2 Jahren der Landesausschuss Dr.
Scheicher im niederösterreichischen Landtage in öffent¬
licher Sitzung die Impfärzte dieses Kronlandes beleidigte, indem
er ihnen insinuierte, sie impften bloss, weil es einträglich sei;
wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen, würden vielleicht auch
Gutachten der Aerzte in dem Sinne einlaufen, dass die Schutz¬
impfung gegen Blattern wertlos sei. Die dagegen erhobenen
Proteste der Aerzte, aber auch die Lehren der ärztlichen und
Laienimpfgegner waren jetzt vergessen, es gab kein politisches
Blatt, welcher Richtung immer, welches den Mut gehabt hätte,
jetzt gegen die Impfung aufzutreten; Blattern und Impfung
füllte Tag für Tag die Spalten aller Blätter.
Es wurden auch 30 Epidemieärzte angestellt, die vom
Staate bezahlt werden, aber dem Stadtphysikate unterstellt
sind. Weitere Massnahmen — um nur einiges zu erwähnen —
waren folgende: In infizierten Häusern (sie werden offiziell be¬
kannt gemacht) werden Briefe von den Postboten nicht ad
manus zugestellt, sondern beim Hausbesorger deponiert. Die
Knabenhorte, Kindergärten und ähnliche Anstalten wurden in
den gefährdeten Bezirken geschlossen, die Schuleröffnung in
diesen Stadtteilen bis auf weiteres verschoben. Die Wagen der
städtischen Strassenbalmen wurden besonders gereinigt und
desinfiziert und die Holzgitter von den Fussböden entfernt. Die
k. k. Impfstoffgewinnungsanstalt vergrösserte das Feld ihrer
Tätigkeit, aus österreichischen Provinzstädten, aber auch aus
Ofen-Pest, München, Berlin, Weimar etc. wurde Impfstoff von
Privat- und Kassenärzten in grossen Mengen bezogen. Die
Gemeinde Wien iibcrüess das städtische Notspital im XX. Be-
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1843
zirke dem k. k. Krankenanstaltenfonds für Zwecke der etwaigen
Unterbringung Blatternkranker und die Errichtung und Inbe¬
triebsetzung eines Barackenspitales wurde im Prinzipe ge¬
nehmigt. Das Eisenbahnministerium hatte für den Dienst¬
bereich der Staatseisenbahnverwaltungen mehrere Impfstellen
errichtet, in welchen das dem genannten Ministerium unter¬
stehende Personal unentgeltlich geimpft wurde. Der Verband
der Genossenschaftskrankenkassen, dem auch die allgemeine
Arbeiterkrankenkasse angehört, errichtete ebenfalls zahlreiche
Impfstellen, in welchen alle Abende und am Sonntag vormittags
von ihren angestellten Aerzten unentgeltlich geimpft wurde.
Alle Kranken der grossen Spitäler Wiens, die Angestellten und
Arbeiter der Fabriken in und um Wien, die Angestellten der
Grossbetriebe aller Art etc. wurden unentgeltlich geimpft.
Die Wiener Aerztekammer hat im Vereine mit der wirt¬
schaftlichen Organisation der Aerzte Wiens beschlossen, ihren
Mitgliedern die Annahme von Stellen als Epidemieärzte gegen
ein monatliches Honorar von 600 — 900 Kronen freizugeben,
„behält sich aber vor, die bekannten alten Forderungen des
ärztlichen Standes (Einführung des Impfzwanges, eines Epi¬
demiegesetzes etc.) mit allem Nachdruck bei der Regierung
geltend zu machen“. Dagegen hat die wirtschaftliche Organi¬
sation der Aerzte Niederösterreichs einstimmig beschlossen,
in der passiven Resistenz zu verharren und demnach die Vor¬
nahme der öffentlichen Impfungen insolange abzulehnen, als
nicht vom niederösterreichischen Landesausschuss die ge¬
rechten Forderungen der Gemeindeärzte erfüllt werden. Pri¬
vate Impfungen werden nach wie vor von allen Aerzten vor¬
genommen werden. Da bereits in einigen Orten Niederöster¬
reichs einzelne Blatternfälle aufgetreten sind und die Gefahr
der weiteren Verschleppung der Krankheit aus Wien naheliegt,
kann dieser Beschluss von folgenschwerer Bedeutung sein.
Die Gemeindeärzte Niederösterreichs verlangen aber nichts
anderes, als eine standesgemässe Honorierung dieser öffent¬
lichen Impfungen und diese müsste ihnen jetzt zugestanden
werden, da die Landesbehörden unmöglich die schwere Ver¬
antwortung für etwaige krasse Unterlassungen und deren
Folgen übernehmen werden.
Der XII. österreichische Aerztekammertag wird am 19. und
20. September 1. J. in Troppau, dem Sitze der geschäfts¬
führenden schlesischen Aerztekammer, abgehalten werden.
Auf der Tagesordnung befindet sich u. a. auch der Antrag der
böhmischen Kammer, es möge eine Eingabe an das k. k. Eisen¬
bahnministerium betr. die Erhöhung des Honorars für Unfall¬
anzeigen von 2 Kronen auf 6 Kronen gerichtet werden. Die
niederösterreichische Kammer urgiert in einem Anträge die
gesetzliche Einführung einer ärztlichen Standesordnung, die
böhmische Kammer wieder, dass den Aerzten für jede richtig
ausgefüllte und erstattete Anzeige einer Infektionskrankheit ein
Honorar von 1 Krone zuerkannt werde. In der Regelung der
Orthopädensache hat die steiermärkische Aerztekammer das
Referat, ebenso in der Regelung der Honorarangelegenheiten
mit den Versicherungsanstalten. Die Wiener Aerztekammer
stellt die Frage über den Abschluss von Lebensversicherungen
der Aerzte und die Anwendung des Gesetzes der Privat¬
beamtenversicherung auf Aerzte zur Diskussion.
In der oben erwähnten Angelegenheit der Honorierung
jeder Anzeige einer Infektionskrankheit mit 1 Krone haben
54 Grazer Aerzte an die steiermärkische Aerztekammer eine
Eingabe gerichtet, in welcher die Richtigkeit der Forderung
anerkannt und eingehend begründet, gleichzeitig aber betont
wird, man möge der Regierung gegenüber aussprechen, dass
wir Aerzte die Honorierung der Sanitätsanzeigen vor ailern
deshalb verlangen, weil wir uns auf diesem Wege die Mittel zur
Gründung und Ausgestaltung unserer Wohlfahrtseinrichtungen
(Kranken-, Invaliden-, Witwen- und Waisenkassen) verschaffen
wollen. Das Honorar für jede einzelne Sanitätsanzeige solle
nicht dem die Anzeige erstattenden Arzte, sondern seiner
Kammer zugewiesen werden, welche es ausschliesslich zur
Stärkung schon bestehender oder zur Gründung neuer ärzt¬
licher Wohlfahrtsinstitute verwendet. In Steiermark würden
alljährlich ca. 12 000 Sanitätsanzeigen, die alljährlich auf dieses
Land allein entfallende Stimme von 12 000 Kronen also den
Aerzten zugute kommen. Der Kammervorstand beschloss,
den Kammertag zu ersuchen, eine Petition abzufassen, es
möge in dem neuen Epidemiegesetze eine Bestimmung auf-
genommen werden, dass die praktischen Aerzte für jede solche
Anzeige vom Staate eine entsprechende Entschädigung be¬
kommen mögen. In der Begründung möge u. a. auch darauf
hingewiesen werden, dass in England den Aerzten für solche
Anzeigen eine Gebühr von 2 M. 50 Pf. gesetzlich gewährt
werde.
Die Reichsorganisation der Aerzte Oesterreichs teilt eine
interessante Entscheidung des obersten Gerichtshofes mit. Ein
Zahnarzt klagte den Gatten einer Frau, die er über ihren
Auftrag behandelt hatte, auf Bezahlung des Honorars. Der
Gatte hatte behauptet, er habe keinen Auftrag zur Behandlung
seiner Frau erteilt, sei daher nicht ersatzpflichtig. Das Be¬
zirksgericht verurteilte den Gatten, welcher beim Landgerichte
berief, das den Zahnarzt abwies. Der beim Landgericht mit
seiner Forderung abgewiesene Zahnarzt verlangte eine Re¬
vision beim Obersten Gerichtshöfe, welcher das Urteil des
ersten Gerichtes wieder herstellte. Auf Grund des § 91 des
Landesgesetzes obliegt dem Gatten die Bestreitung des „Unter¬
haltes“, zu dem nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes auch
die Kosten der zahnärztlichen Behandlung gehören. Die Or¬
ganisation fügt bei: Es wird sich in allen unklaren Gerichts¬
fällen von Aerzten und gegen Aerzte empfehlen, den In¬
stanzenweg zu betreten. Die auf diesem Wege gesammelten
Erkenntnisse dienen als Präjudizfälle, dem ganzen ärztlichen
Stande nur zum Nutzen. Jeder standesbewusste Kollege ist
verpflichtet, auch in dieser Hinsicht eifrigst tätig zu sein und
ähnliche Angelegenheiten der Oeffentlichkeit zu übergeben.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. NI.
(Offizielles Protokoll.)
Ordentliche Sitzungvom 1. Juli 1907, abends 7 Uhr
im grossen Hörsaal der Senckenbergischen Bibliothek.
Vorsitzender: Herr S i p p e 1.
Schriftführer: Herr Seligmann.
Herr A 1 b r e c h t demonstriert 3 Fälle von Verschluss der Koro-
nararterien •
a) bei' luetischer Aortitis (ca. 35 jähriger Mann) linke Arteria
coronaria fast vollkommen verschlossen, mit frischen Qerinnseln an
der Abgangsstelle bei oberflächlicher geschwiiriger Zerstörung der
Plaques der Aorta; . . .
b) fast vollständiger Verschluss der linken Koronararterie durch
einengende Verdickung der Aortenwand (kombinierte Aortitis tho¬
racica und Endaortitis deformans bei 60 jähriger kinderloser Frau)
vollkommener Verschluss der Abgangsstelle der rechten Arteria
coronaria durch Kalkplatten der Aortenwand und Kranzarterien;
c) hochgradige Verengerung der Arteria coronaria sinistra durch
in Organisation begriffenen Thrombus an der gewöhnlichen Stelle
Ramus circumflexus dexter, ca. 3 cm von der Abgangsstelle ent-
frischer Verschluss durch abgelöste Griitzbreimasse von atheroma-
tösem Geschwür der Kranzarterienwand. Auch hier bestand im
Ramus circumflexus dexter, ca. 3 cm von der Abgangsstelle ent¬
fernt, fast vollständiger Verschluss durch einen in Organisation be¬
griffenen Thrombus auf einem atheromatösen Geschwür (ca. 40 jährige
Frau)- „ , . , , ,
Im ersten Falle bestand disseminierte Schwielenbildung in der
ganzen Muskulatur des linken Ventrikels (Narbenherz), offenbar ent¬
sprechend der Abreissung der reichlich vorhandenen feinen atheroma¬
tösen Auflagerungen auf den oberflächlich erodierten Plaques; mi
zweiten Falle waren im rechten Ventrikel nur zwei kleine Schwielen
in der Hinterrwand des linken Ventrikels oberhalb der Spitze, giosse
subendokardiale alte Schwiele entlang der Seitenlkante, subakute, in
Abheilung begriffene Schwiele in den mittleren, frische Nekrose in
den äusseren Wandarterien entlang der linken Kante; kleine Schwie¬
len in der Vorderwand. Im dritten Falle war vor etwa 8 Wochen der
letzte schwere stenokardische Anfall eingetreten; der lod erfolgte
ca. 24 Stunden nach einer heftigen Aufregung. .
Der Vortragende bespricht im Anschluss daran in Kürze den
gegenwärtigen Stand der Frage nach den Ursachen der Herzinsuffi¬
zienz, insbesondere bei Klappenfehlern und demonstriert eine ver¬
dickte Chorda aberrans des linken Ventrikels, welche dem hinteren
Strange des Tawara sehen Reizbiindels entsprechend vom Septum
zu der Basis des hinteren Papillarmuskels verläuft.
Diskussion: Herr B e n a r i o erwähnt, dass auf dem dies¬
jährigen Kongress für innere Medizin Fah r 2 mikroskopische Serien-
schnittreihen von Degeneration des His sehen Bündels demonstriei
habe. Die Patienten, von denen diese Präparate stammten, ha >en
in vivo das A d a m s - S t o k e s sehe Phänomen gezeigt, so dass aus
1844
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
dem pathologischen Befund auf die physiologische Bedeutung dieses
Bündels geschlossen werden kann.
Herr Lüthje: Wenn ich Herrn Prof. Alb recht recht ver¬
standen habe, so hielt er den Beweis für die physiologische Funk¬
tion des H i s sehen Uebergangsbiindels noch nicht erbracht. Ich
glaube, dass man die Heringschen Versuche doch als Beweis gel¬
ten lassen darf. Hering gelang es, das Uebergangsibiindel zu
durchschneiden; er sah dann Vorhof und Ventrikel unabhängig von¬
einander schlagen: die Ueberleitung des Reizes vom Vorhof auf den
Ventrikel hatte aufgehört.
Herr Julius Friedländer spricht über habituellen Chloro¬
formmissbrauch, indem er zunächst aus der Literatur der letzten
50 Jahre die wenigen Fälle zusammenstellt, in denen Chloroform
gewolmheitsmässig zur Beseitigung von Schmerzen oder Erzielung
von Schlaf inhaliert wurde und sodann über eine eigene Beobachtung
berichtet, die sich sowohl durch die ungemein lange Dauer des ge¬
übten Abusus auszeichnet, wie auch durch seine eigenartigen Folgen,
die nicht, wie sonst in psychischer Alteration bestanden: es handelte
sich um eine im allgemeinen gesunde und sehr kräftige Dame, die im
Alter von 51 Jahren wegen nervöser Schlaflosigkeit heimlich damit
begann, sich durch Einatmung kleiner Mengen von Chloroform mit
Aether (ana) zu betäuben und diese Selbstnarkotisierung einge-
standenermassen 14 Jahre lang fast allabendlich betrieb. Mit
59 Jahren erlitt sie. ohne irgend ein greifbares ätiologisches Moment,
eine rechtsseitige Hirnapoplexie und 6 Jahre später erlag sie einer
zweiten schweren Hirnblutung, die die linke Hemisphäre betraf.
F. ist geneigt, die den Hämorrhagien zu gründe liegende Arterio¬
sklerose der Qehirngefässe. um so mehr, als sonstige Ursachen da¬
für bei der sehr rüstigen Frau fehlten, auf den chronischen Chloro¬
formmissbrauch zurückzuführen, indem er einerseits auf die spezifisch
toxische Wirkung des Chloroforms (bezw. Aethers) auf das Gehirn
hinweist, andererseits seinen zirkulationsschädigenden Einfluss be¬
tont. der. ähnlich wie beim Alkohol- und Tabakmissbrauch, die vor¬
zeitige Degeneration der Gefässe begünstigen müsse.
Herr Jac. Meyer: Ein früher Kokainist gewesener Kollege hat
Monate lang Chloroform — 1 ..Schuss“ auf Maske — in Verbindung
mit Morphium per inj. genommen. Die Folge war stärkste Neur¬
asthenie und Arbeitsunfähigkeit. Heilung durch Ruhe. Exzitation
nie beobachtet, dagegen typischer Rauschzustand. Vielleicht steht
mit dem Chloroformismus ein chronischer Magenkatarrh in Verbin¬
dung.
Herr E. Cohn: Bericht über den Aerztetag zu Münster.
Dem anregenden Bericht des Vereinsdelegierten, der sich im
wesentlichen mit dem offiziellen Bericht im Vereinsblatt deckt, folgt
einstimmiger Beifall der Anwesenden.
Alsdann gedenikt der Vorsitzende in einigen Abschieds¬
worten angesichts der heutigen letzten Sitzung im alten Bau der lang¬
jährigen Tätigkeit des Vereins in diesem Saale.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 3. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Herr Kleist: Ueber nachdauernde Muskelkontraktionen.
(Mit Krankenvorstellung.)
Vortr. stellt einen Fall vor, .der folgenden Symptomenkomplex
bietet: Nachdauer willkürlicher Muskelkontraktionen, mechanische
und elektrische myotonische Reaktion, vorwiegend in den langen
Fingerbeugern, den kleinen Handmuskeln, nächstdem in den anderen
Beugern .am Vorderarm (rechts mehr wie links). An den unteren
Extremitäten dieselben Symptome, vorwiegend in den M. peroneis und
den Muskeln des Gross- und Kleinzehenballens. Kontraktionsnach-
dauer in den Muskeln des Kehlkopfes und den Kaumuskeln. Gelegent¬
liche choreaartige, unwillkürliche Muskelzuckungen in den gleichen
Muskeln, aber auch in anderen Muskelgebieten. Erschwerung ab¬
wechselnder antagonistischer Bewegungen infolge der Kontraktions-
nachdauer (Diadochokinesie). Langsamkeit und Ungeschicklichkeit
feinerer Bewegungen der Hände, die mindestens hauptsächlich auf
dem erschwerten Wechsel antagonistischer Bewegungen beruhen.
Schwäche der gesamten Muskulatur und grosse Ermüdbarkeit.
Stärkere Paresen, zum Teil mit nichtdegenerativer Atrophie, in den
dorsalen Vorderarmmuskeln (besonders rechts) den Dorsalflexoren
der Füsse, den Bauchmuskeln, den Sternokleidomastoideis; Parese
des rechten Mundfazialis. Muskelverkürzungen (Schrumpfungen)
und Skelettverbildungen (Kyphoskoliose, Pes equinovarus, Flexions¬
und Pronationskontraktur geringen Grades der Arme, Hände und
Finger mit leichter Hohlhandbildung rechts), die sich .aus den Pa¬
resen, bezw. dem Zusammenwirken von Paresen bestimmter Muskeln
und der Neigung zu tonischen Erscheinungen in den ihnen anta¬
gonistischen Muskeln erklären.
Andeutungen von Nystagmus beim Blick nach rechts und von
Intentionstremor der rechten Hand, sowie von Schwanken nach
rechts (bei Rumpfdrehungen und bei gelegentlichen Schwindelan¬
wandlungen). Hypotonie (genauer Verminderung der reflektorischen
Muskelspannung bei passiver Dehnung). Aufhebung sämtlicher
Sehnenreflexe. Geringfügige Sensibilitätsstörungen (Verlangsamung
der Temperaturempfindung an der Aussenseite der Unterschenkel,
Hyperalgesie der Bauchhaut, seltene Parästhesien an der Rückseite
der Unterschenkel und sehr seltene Schmerzen in Armen und Beinen.)
Oefter Blähungen, Durchfälle und vasomotorische Störungen (Hitze¬
wallungen). Degenerationssymptome: Infantiler Habitus, kongeni¬
tale Ptosis, Hutchinson sehe Zähne.
Das Leiden begann bei der jetzt 29 jährigen Pat. im 7. Lebens¬
jahre im Anschluss an eine infektiöse Chorea. Langsamer Fortschritt
der Krankheit unter zeitweiligen stärkeren Verschlimmerungen (in
der Pubertät, vor 3 Jahren und jetzt). Keine nervöse Heredität und
Familiarität. Verdacht auf kongenitale Lues. (2 Aborte der Mutter.)
Eine typische Thomson sehe Krankheit in zufälliger Verbin¬
dung mit anderen nervösen Störungen kann nicht vorliegen, da die
Kontraktionsnaohdauer mit wiederholten Bewegungen nicht ver¬
schwindet. Es könnte sich nur um eine sogen, atypische Myotonie
handeln. Möglicherweise sind aber die myotonieartigen Symptome
hier nicht muskulären, sondern nervösen Ürsprungs: Die myotonie-
artigen Erscheinungen sind nicht identisch mit Krampis; sie hängen
auch nicht mit Reizerscheinungen innerhalb der spinalen Reflexbögen
zusammen. Die myotonieartigen Erscheinungen können auch nicht
von einer Erkrankung der Pyramidenbahnen abgeleitet werden, da bei
Hemiplegien ähnliche Erscheinungen nur selten und nie in dem Masse
Vorkommen. Es handelt sich hier um die pathologische Steigerung
der reflektorischen Mitspannung der Muskeln, während der Dehnungs¬
reflex sehr herabgesetzt ist. Bei Hemiplegien ist im Gegenteil der
Dehnungsreflex weit mehr gesteigert als der Mitspannungsreflex. Die
fraglichen Symptome können vielleicht durch die Erkran¬
kung absteigender Kleinhirnbahnen, erklärt werden. Für
diese Auffassung spricht ein, dem vorgestellten ähnlicher Fall von
K 1 i p p e 1 - D u r a n t e, bei dessen Sektion Thomas-Roux in¬
takte Pyramidenhahnen bei schwerer Erkrankung der Gowers-
schen Stränge, der direkten Kleinhirnbahnen und der G o 1 1 sehen
Stränge fanden. Im Vergleich mit den gewöhnlichen Fällen Fried-
reich scher Ataxie, welche keine myotonieartigen Symptome zeigen,
muss man annehmen, dass die in dem zitierten Falle degeneriert ge¬
fundenen Bahnen mehr darstellten als nur aufsteigende Kleinhirn¬
bahnen. Kontraktionsnaehdauer fand sich auch in N o n n e s zweitem
Fall St üben: Kleinhirnatrophie bei intaktem Rückenmark, und in
einem zweiten Falle K 1 i P P e 1 - D u r a n t e s: Kleinhirnatrophie und
Erkrankung von Rückenmarksbahnen mit Ausschluss der Pyramiden¬
bahnen. Von besonderem Interesse ist die Beobachtung von Kon-
traktionsnachdauer bei der von D e j e r i n e und Thomas aufge¬
stellten „Atrophie olivo-ponto-cerebelleuse“. In diesen Fällen ist ein
bestimmtes Kleinhirnsystem erkrankt, das zusammen mit den vom
Kleinhirn zum Rückenmark absteigenden Bahnen und den vom Gross¬
hirn (Stirnhirn) zu den Brückenkernen verlaufenden Bahnen die
grössere funktionelle Einheit einer über das Kleinhirn verlaufenden
Nebenschliessung der Pyramidenbahn darstellt. Myotonieartige Er¬
scheinungen sind danach möglicherweise die Folgeerscheinungen
einer Unterbrechung dieser zweiten motorischen Bahn überhaupt.
Die klinischen Unterschiede der einzelnen Beobachtungen könnten auf
die Unterbrechung dieser Bahn in jeweils verschiedenen Strecken
ihres Verlaufes zurückgeführt werden. (Ausführliche Veröffentlichung
im Journal für Psvchologie unö Neurologie.)
Herr Kauff mann: Ueber Kohlenhydraturie beim Al-
koholdelirium. (Wird ausführlich in dieser Wochenschrift pu¬
bliziert werden.)
Diskussion: Herr W i n t e r n i t z : Ich möchte an den Herrn
Kollegen Kauff mann die Frage richten, ob er in seinen Fällen den
Harn auf die Anwesenheit von Azeton bezw. Azetessigsäure unter¬
sucht hat. Ich werde zu dieser Frage durch den Hinweis des Vor¬
tragenden veranlasst, dass das Auftreten des Delirs durch voraus¬
gegangene Inanition begünstigt wird. Ich habe nun bei Inanition,
speziell bei unstillbarem Erbrechen Hysterischer und Schwangerer,
dann aber auch bei Männern mit Erbrechen häufig — und das ist ja
wohl auch sonst genügend bekannt — im Harn Azetessigsäure und
zwar in recht erheblicher Menge nachweisen können. Ganz besonders
aber ist es mir aufgefallen, dass speziell bei Potatoren, die mit
Magenstörungen — Erbrechen und Appetitlosigkeit — gewöhnlich im
Zustand weitgehender Unterernährung zur Aufnahme kommen,
Azetessigsäure oft in ganz erheblicher Menge nachweisbar ist. Es
liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um einen vielleicht durch
den Alkoholmissbrauch und. die dadurch veranlasste Schädigung der
Gewebe begünstigten toxogenen Stoffzerfall handelt. In einem Fall
habe ich neben geringen vorübergehend nachweisbaren Zucker¬
mengen Azetessigsäure und Oxybuttersäure — ca. Vz Proz. Links¬
drehung — nachweisen können.
Herr Kohlhardt: Bericht über den Aerztetag in
Münster.
Naturwissenschaftl.-medizinische Gesellschaft zu Jena.
(Sektion für Heilkunde.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Juli 1907.
Herr Ben necke berichtet über 3 Fälle sporadischer epidemi¬
scher Genickstarre, die im Laufe eines Jahres in der medizinischen
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1845
Klinik zur Beobachtung kamen und- vom klinischen und bakterio¬
logischen Standpunkte einiges Interesse boten.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.)
Herr Stroh in ayer teilt 2 Fälle von tabischen Symptombüdern
auf erblich-degenerativer Grundlage mit. Es handelt sich um
2 Schwestern im Alter von 33 und 24 Jahren, bei denen doppelseitige
reflektorische Pupillenstarre und Fehlen des Kniephänomens be¬
steht Bei der älteren Schwester wurde der Befund im November
v. J., bei der jüngeren bereits im Jahre 1899 erhoben. Bei ihr be¬
stand damals auch Bewegungsataxie der Beine und Blasenschwäche.
Die erstere ist jetzt verschwunden, die letztere noch vorhanden.
Andere tabische Symptome zeigten sich bei beiden Schwestern
nicht. Die syphilitische Aetiologie war weder anamnestisch, noch
durch persönliche Untersuchung nachzuweisen. Dagegen ergab das
Studium der Familiengeschichte der beiden Schwestern, dass es sich
um einen Stamm mit schwerer konvergenter erblicher Belastung han¬
delt. Vater und Grossmutter väterlicherseits litten an Diabetes.
Vortr. ist geneigt anzunehmen, dass seine Fälle in die aus der Char-
c o t sehen Schule mitgeteilte Gruppe (Guiiion und Fouques) ge¬
hören, wo im Erbgange schwer neuropathischer Familien der Dia¬
betes mit der Tabes alterniert.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer: Herr R i e c k e.
Herr Milner stellt einen 32 Jahre alten Patienten mit Ostitis
deformans vor, bei dem sich das Leiden vollständig beschwerdelos
im Lauf von mindestens 5 Jahren entwickelt hat. Femora, Patellae,
Tibiae beiderseits,' rechte Schädelhälfte, linker Humerus und linke
Ulna und rechte Klavikula sind verdickt und teilweise verbogen,
ihr innerer Bau ganz unregelmässig verändert, Zysten nicht nach¬
zuweisen. Hierin und in der Verbiegung und beginnenden Steifheit
der Wirbelsäule gleicht das Krankheitsbild des Falles sehr dem von
Paget geschilderten. Die verschiedenen Formen der Ostitis de¬
formans gegeneinander und gegen die Osteomalazie abgrenzen zu
wollen, ist wegen vorkommenüer Uebergänge unmöglich und un¬
richtig, solange wir über die Ursachen gar nichts wissen. Bei dem
vorgestellten Patienten ist auffallend eine seit vielen Jahren von ihm
selbst bemerkte hochgradige Schlängelung und Verdickung der Tem¬
poralarterien; auch die peripheren Arterien der Extremitäten scheinen
verdickt, auf den Röntgenbildern sind aber Kalkablagerungen in den
Gefässen nicht erkennbar.
Zur Behandlung ist ein Versuch mit Röntgenstrahlen angezeigt,
da nach inneren Mitteln nur in zwei Fällen angeblich Besserung
oder Heilung eingetreten ist.
(Ausführliche Veröffentlichung erscheint in den Fortschritten auf
dem Gebiete der Röntgenstrahlen.)
Herr Soltmann demonstriert die Organe eines 3 Monate
alten Kindes (SVz Pfund Gewicht) das an generalisierter, käsiger
Tuberkulose, die latent verlief, verstarb. Aufgenommen mit Enteritis,
Soor und Krämpfen, ergab die Abimpfung des profusen Nasensekretes
Löfflerbazillen (typische Nasendiphtherie). Nach Seruminjektion
prompter Temperaturabfall, Stühle normal, Appetit rege. 10 Tage dar¬
nach erneuter Temperaturanstieg, intermittierender Typus. Furunku¬
lose, Ohrekzem, rapide Abmagerung. Gewichtsabsturz, Verfall, Herz¬
paralyse, Exitus. An der Basis des Gehirns und der Pia einzelne
verkäste Knötchen. Tonsillen und Schlundring frei. Glandulae retro¬
sternales, interkostales, interbronchiales total verkäst. Der Zentral¬
stock der Bronchialdrüsen umklammert die Bifurkation, in bohnen¬
grosse käsige Pakete verwandelt. Eines innen mit dem Oberlappen
fast verklebt, diesen durch die ganze Dicke mit einem keilförmigen
gelben Herd durchsetzend, der zentral eine mit breiiger Masse er¬
füllte Höhle birgt, die bei Lösung der mit grauen Knötchen be¬
schütteten Pleuraverwachsungen eröffnet wurde. Auf Oberfläche und
Schnittfläche der Lungen massenhafte Aussaat verkäster hirsekorn¬
grosser Knötchen bis erbsengrosser Konglomerate, das gleiche in der
höckerigen vergrösserten Milz, an den Nieren und der Leber, bei
welcher am Hilus eine erbsengrosse verkäste Portaldrüse vorspringt.
Ein verkäster Herd auch in der Nebenniere. Im Magen und Harn¬
blase vereinzelte Schleimhautgeschwüre, zahlreichere grössere im
Dickdarm. Mesenterialdrüsen durchweg verkäst. (Mesenterium mit
dem noch nicht eröffneten Dünndarm belassen). Im Herzen über dem
Endokard des Septums ein hirsekorngrosses Knötchen vorspringend;
mehrere kleine und eine grosser in Verkäsung begriffener Herd im
Mark des linken Femur. Infektionsquelle war die phthisische Mutter.
Sie hat 7 Tage gestillt, 8 Wochen das Kind bei künstlicher Ernährung
bei sich gehabt. Beweisend für die intrauterine Infektion ist nichts.
Auch den alimentären Infektionsweg lehnt S. ab bei den geringen
Veränderungen im Darm gegenüber den hochgradigen der Bronchial¬
drüsen. Der Dunstkreis der mütterlichen Atmosphäre umgibt den
Säugling wie ein Bazillenspray. S. bespricht die Unterschiede der
primären, meist in der Spitze der Lungen beginnenden Tuberkulose
beim Erwachsenen gegenüber der sekundären im Unterlappen bei
Säuglingen und die Gründe für das abweichende Verhalten im vor¬
liegenden Falle. Die Lokalisation der Tuberkulose in den Bronchial¬
drüsen beherrscht das ganze Säuglingsalter und erklärt den meist
latenten Verlauf unter dem Bilde der Atrophie. Auch später be¬
herrscht die Bronchialdrüsentuberkulose das ganze Kindesalter, bildet
ein geheimes Depot, von wo plötzlich nach Masern, Keuchhusten, In¬
fluenza oder wie hier nach Diphtherie das keimfähige Material in den
Organismus ausgesät wird. Wenn auch zugestanden werden muss,
dass die intrauterine Entstehung der Tuberkulose nicht so ganz selten
ist, als man annahm, und die Zahl der enterogenen Infektionen sich
gemehrt hat, so behauptet doch der Häufigkeit nach bei der Säng-
lingstuberkulose die aerogene Entstehung, durch ihr reiches Beweis¬
material siegreich das Feld.
Herr K r i t z gibt an der Hand der Literatur eine kurze Ueber-
sicht der bei der Impfung eventuell zur Beobachtung kommenden
Allgemeineruptionen. Veranlassung dazu gab folgender Fall: Am 17.
Juni dieses Jahres kam ein vollkommen verfallener 7Vs Monat alter
Knabe im Kinderkrankenhaus zur Aufnahme mit äusserst reduziertem
Körpergewicht und hohen Temperaturen. Am rechten Arm finden
sich 4, der Vorschrift entsprechende Impfschnitte, die offenbar nach
Verlust der Pusteln infolge Kratzens in kraterförmige, mit schmie¬
rigen Belägen bedeckte Geschwüre verwandelt sind. Eine tiefe.
3 cm breite Geschwürsfläche zieht sich von hier nach innen und
unten den Arm halb umkreisend, wie auf der Abbildung deutlich
zu sehen ist. An Stirn, Wange und Augenlider zahlreiche inkrustierte
Pusteln, die gleichen, teils völlig isoliert, teils noch konfluierend
an Handgelenken, auf Brust, Bauch und Oberschenkeln. An den ein¬
zelstehenden, nicht durch Kratzeffekte zerstörten Effloreszenzen ist
der Charakter der Impfpusteln ein unverkennbarer.
Anamnese: 4 Geschwister, jetzt gesund, bis zum 2. Lebens¬
jahr mit skrofulösen Hautausschlägen und Drüsenschwellungen be¬
haftet. Knabe litt seit 9. Lebenswoche an teils trockenem, teils •
stark nässendem Ekzem. 14 Tage vor der Impfung war die Haut bis
auf leichte Schuppung und Sprödigkeit völlig normal, so dass die
Impfung vorgenommen werden konnte, in deren Verlauf nicht nur am
Arm, sondern auch am Ort des früheren Ekzems massenhafte Vak-
zineeffloreszenzen auftraten. 4 Tage nach der Aufnahme unter hyper-
pyretischen Temperaturen und schwerster Herzparalyse Exitus letalis.
Sektion und histologische Untersuchung ohne bemerkenswerten Be¬
fund, insonderheit keine Beteiligung des Digestionstraktus an dem
pustulösen Prozess.
Verimpfung auf vakzineempfängliches Tier war nicht möglich,
dieselbe am Menschen vorzunehmen verbot der schwer infektiöse
Zustand des Knaben. Der zeitliche Zusammenhang mit der Vakzina¬
tion, das Aussehen der Effloreszenzen, das gleichzeitige Abklingen
des ganzen Prozesses gemäss dem von v. Pirquet gefundenen Ge¬
setz der Frühreaktion lassen Zweifel an der Vakzinenatur des Aus¬
schlages nicht aufkommen. Vaccine generalisee im Sinne der Fran¬
zosen kommt wegen des zweifellosen Zusammenhanges mit Ekzem
und dem letalen Ausgang, der bei Vaccine generalisee niemals ver¬
zeichnet ist, nicht in Frage. Die zerkratzten, ulzerierten Flachen
am Arm lassen annehmen, dass das Kind, von heftigem Juckreiz
geplagt, die Ueberimpfung selbst vorgenommen hat; es Hesse sich
auch denken, dass die bei der Impfung etwa überschüssige und an
der Haut angetrocknete Lymphe verschleppt sei.
Herr H o h 1 f e 1 d spricht an der Hand vergleichender Ernah-
rungsversuche, die er an neugeborenen Ziegen, Hunden und Meer¬
schweinchen anstellte, über die Bedeutung des Kolostrums für die
Ernährung dieser Tiere. (Erscheint im Archiv für Kinderheilkunde.)
Diskussion: Herr Taube hat mit Versuchen für Säuglings-
ernährung mittels Milch von Kühen, kurz nach der Kalbung, schlechte
Resultate erzielt.
Herr H. Ri sei führt an der Hand von 7 Ernährungs- und Körper¬
gewichtskurven, deren Beobachtungsdauer sich über den grössten
Teil des ersten Lebensjahres erstreckt, aus: Im Säuglingsalter werden
Kinder beobachtet, die trotz hinreichender Grösse der an der Brust
aufgenommenen Nahrungsmengen weit hinter dem normalen Anstieg
der Körpergewichtskurve Zurückbleiben. Durch Beifütterung kann
eine Besserung des Allgemeinzustandes und des Körperansatzes dieser
1846
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Kinder nicht erzielt werden, so lange nur Milchmischungen ohne we¬
sentlichen Zusatz von Kohlehydraten gegeben werden. Dagegen tritt
trotz vorhergehendem oft monatelangem üewichtsstillstand erheb¬
liche und dauernde Gewichtszunahme ein, sobald der Fettgehalt der
Nahrung beschränkt wird und dafür Kohlehydrate eingesetzt werden.
Diese Störung des Fettstoffwechsels wird unter anderem häufig bei
Säuglingen beobachtet, die Symptome der exsudativen Diathese, wie
chronische Ekzeme und Neigung zu Katarrhen des Respirationstraktus
zeigen.
Herr Seiffert hält einen Vortrag über die Grundlagen
und Aufgaben der aseptischen Milchgewinnung. (Wird später
originaliter publiziert.)
Aerztiicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung am 10. April 1907.
Herr Rommel: Ueber Reformgymnasien und hygie¬
nische Forderungen der Aerzte.*)
M. H.! Zur Frage des Reformgymnasiums erstattete in der
letzten Sitzung der Schulkommission des Aerztlichen Vereins Herr
Dr. B e r g e a t ausführlich Bericht. In Abwesenheit des Kollegen
habe ich es übernommen, Ihnen über dieses Thema in etwas er¬
weiterter Fassung zu referieren. Die Frage zerfällt, wie leicht er¬
sichtlich, in zwei Teile — einen schultechnischen und einen hygi¬
enischen. Die schultechnische Seite — betrachtet vom
Standpunkt des Arztes — wurde vom Kollegen Bergeat in so aus¬
gezeichneter Weise behandelt, dass ich gern den Ausführungen des
Herrn Kollegen folge, welcher sagte: „Von Reformen an unseren
Gymnasien und von Reformgymnasien wird seit Jahren so viel ge¬
sprochen, dass es sich wohl einmal verlohnt, sich darüber klar zu
werden, inwieweit das Reformgymnasium den weit verbreiteten Re¬
formhoffnungen und -Ideen gerecht geworden ist oder gerecht zu
werden verspricht. Diese Hoffnungen und Wünsche werden ver¬
schiedene sein bei den Eltern, bei den Schulmännern und bei den
Aerzten.
Den Eltern wird es wohl am meisten am Herzen liegen, dass
zwischen Schule und Haus in bezug auf pädagogische Fragen eine
möglichste Harmonie erzielt und namentlich alles, was wir unter dem
Begriffe Pedanterie und Schuldespotismus zusammenfassen, mehr und
mehr gemildert und ausgeschaltet werde. Solche Fortschritte lassen
sich am wenigsten dekretieren, hier kommt es auf Persönlichkeiten
und den Geist an, in dem das Lehrpersonal herangebildet und von den
Rektoren geleitet wird. Es lässt sich gewiss nicht bestreiten, dass
viele Erfahrungen der älteren Generation auf den modernen Betrieb
in grossstädtischen Gymnasien nicht mehr zutreffen und wir haben ja
gerade im persönlichen Gedankenaustausch und Zusammenarbeiten
mit den Führern der Münchener Gymnasiallehrerschaft die erfreu¬
lichsten Eindrücke von dem in ihr lebendigen fortschrittlichen, mo¬
dernen und wohlwollenden Geiste empfangen. Aber besonders aus
kleineren Städten dringen doch auch heute noch manche merkwürdige
Dinge zu uns und heute noch kann mancher deutsche Vater von sich
sagen, „ich fürchte den Professor meines Buben und sonst nichts auf
der Welt“.
In dieser Richtung eine Besserung der Verhältnisse zu schaffen,
ist gewiss eine dankbare Aufgabe und so darf man wohl der in erster
Linie auf Initiative des Herrn Hofrat Crämer jüngst ins Leben ge¬
rufenen Elternvereinigung, wenn sie mit der Schulbehörde in ein ver¬
trauensvolles Verhältnis eintritt, ein segensreiches Wirken prophe¬
zeien, umsomehr, wenn sie, woran nicht zu zweifeln ist, auch mit den
ärztlich hygienischen Bestrebungen sich verbündet.
M. H. Die Bestrebungen zur Begründung von Reformgymnasien
in Preussen sind hervorgegangen aus der zunehmenden Ueber-
lastung der humanistischen Gymnasien und aus dem immer komplizier¬
teren Berechtigungswesen. Es war gewiss (kein gesunder und halt¬
barer Zustand mehr, dass von 100 Schülern, welche in ein Gymnasium
eintraten, nur 20 das Ziel der Gymnasialbildung erreichten, während
40 Prozent das Gymnasium mit der Berechtigung zum Einjährigen
verliessen und die übrigen 40 Prozent schon vorher aus der Anstalt
ausschieden. Die Berechtigungsfrage Hess ein immer grösseres Miss¬
verhältnis zwischen den Anforderungen der Berufe und der bei teil¬
weiser oder vollständiger Absolvierung des Gymnasiums erlangten
Ausbildung zutage treten. Der grosse Unterschied zwischen dem
Lehrgang des humanistischen und des Realgymnasiums erschwerte
mit jedem Jahre mehr den Uebergang aus einer Anstalt in die andere.
Daraus entstand das Bestreben, die Trennung des Lehrganges und
die Entscheidung der Berufswahl möglichst hinauszuschieben: man
gab daher den höheren Lehranstalten (Gymnasium, Realgymnasium
und Oberrealschule) sozusagen eine neutrale Vorschule, den soge¬
nannten lateinlosen Unterbau, d. h. in den drei untersten Klassen der
genannten Schulen wird das Latein vollständig beiseite gelassen; an
seine Stelle tritt eine ausgiebige Pflege des Französischen mit wö-
; ) Referat im Aufträge der Schulkommission des Aerztlichen
Vereins München, unter Benützung eines Manuskriptes von H.
Bergeat.
chentiich sechs Stunden. Es ist gewiss sehr erwünscht, dass auf diese
Weise die Berufswahl um 3 Jahre hinausgeschoben wird und für viele
Schüler ein um so längerer Aufenthalt im Elternhaus ermöglicht wird.
In der 4. Klasse beginnt im Gymnasium und Realgymnasium der
lateinische, in der auf jede alte Sprache verzichtenden Oberreal¬
schule der englische Unterricht, und erst in der 6. Klasse kommt im
Gymnasium der griechische, im Realgymnasium der englische Unter¬
richt hinzu. Aus dieser ganz kurzen Beschreibung ergibt sich, dass
die einschneidendsten Aenderungen das humanistische Gymnasium
betreffen, indem es erst von der 4. Klasse an das Lateinische und von
der 6. Klasse an das Griechische aufnimmt, was früher wohl kein
Philologe für möglich gehalten hätte; und doch sollen nach dem Ur¬
teile altphilologischer Schulmänner die erzielten Resultate ganz be¬
friedigend ausgefallen sein.
80 höhere Schulen im deutschen Reich waren bereits im Jahre
1905 nach diesem System, das für das humanistische Gymnasium zum
erstenmale in Frankfurt a. ,M. verwirklicht wturde, eingerichtet; in
Bayern existiert meines Wissens erst eine solche Anstalt in dem
Realgymnasium zu Nürnberg. Die Hälfte des Realgymnasiums in
Nürnberg ist nach dem Frankfurter Muster eingerichtet: 3 jähriger
Unterbau mit Französisch, erst im vierten beginnt das Latein.
Betrieb im Uebrigen ganz wie bei den andern Gymnasien. In hygi¬
enischer Beziehung finden wir keine Neuerung.
Interessant ist ein näherer Vergleich der Stundenpläne des
Reformgymnasiums nach Frankfurter Muster und des baye¬
rischen Gymnasiums bisheriger Ordnung. Während bei ersterem für
alle Jahrgänge zusammen eine Stundenzahl von 286 vorgesehen ist,
nach einem Vorschlag sogar von 303, beträgt sie in Bayern nur 246,
das bedeutet also ein für Bayern jedenfalls sehr günstiges Ergebnis
und es wird bei gleicher häuslicher Arbeit einer so bedeutenden Mehr¬
belastung der Schüler (um ein Sechstel oder gar ein Viertel) mit
Unterrichtsstunden nicht das Wort geredet werden können. Für die
einzelnen Klassen beträgt das Verhältnis beispielsweise 30:25, 31:26,
33:28, 35:29. Dieses Mehr an Stunden nach dem Frankfurter Plan
trifft nur zum kleinen Teil auf Turn- und Singstunden, im Uebrigen
auf Gegenstände mit starker geistiger Beanspruchung der Schüler.
Dagegen müssen wir, meiner Ansicht nach, entschieden Stellung
nehmen — nicht eine Vermehrung, sondern eine Verminderung der
Stundenzahl muss das Reformgymnasium bringen, wenn anders es
auf diesen Titel Anspruch erheben will.
Aus unserer bisherigen Betrachtung ergibt sich, dass in der
Frage des „Re-formgymnasiums“ schultechnische Rücksichten aus¬
schliesslich oder nahezu ausschliesslich massgebend gewesen sind,
und wo immer die Frage weiterdiskutiert wird, geschieht es auch
jetzt noch von diesem Gesichtspunkte aus; die Hauptrolle spielt der
Lehrplan, das Mehr oder Weniger an deutschen, lateinischen und
griechischen Stunden.
So aussichtsreich und zweckmässig diese Umgestaltung unseres
höheren Bildungswesens zu sein scheint, so bietet sie auf dem Ge¬
biete, das die Schulhygiene angeht, doch zu wenig.
Seit die Aerzte ihre Aufmerksamkeit dem Mittelschulwesen zu¬
gewendet haben, und seit gerade in München eine eifrige Bewegung
zu Gunsten einer hygienischen Reform unserer Gymnasien ins Leben
getreten ist, kann eine Schulreform in dem bisherigen rein schul¬
technischen Sinne nicht mehr als zureichend anerkannt werden.
Schon in dem berühmt gewordenen Erlass des Kaisers vom 26. XI. 00,
der die Gesichtspunkte für die Reform der höheren Schulen in
Preussen in grundlegenden Sätzen niedergelegt hat, findet sich der
Satz:
Ausser den körperlichen Uebungen, die in ausgiebiger Weise
zu betreiben sind, hat auch die Anordnung des Stundenplanes mehr
der Gesundheit Rechnung zu tragen, insbesondere durch ange¬
messene Lage und wesentliche Verstärkung der bisher zu kurz be¬
messenen Pausen.
Mit Ausnahme einer weiteren Turnstunde macht sich die Wir¬
kung der hier gegebenen Direktive in den Reformlehrplänen nicht
geltend. Wir Aerzte dürfen hoffen und erwarten, dass die Rücksicht
auf die gesundheitliche Entwicklung der Schüler mehr als je in der
Diskussion über Reformen des Schulwesens gewürdigt und in die
Tat übergeführt wird, wo eine Schulverwaltung an Reformen heran¬
tritt, Letzteres scheint in Bayern zur Zeit der Fall zu sein und des¬
halb besteht für uns die Pflicht, die gegebene Gelegenheit nicht zu
versäumen. Mannigfach sind die Fragen, die in Betracht kommen und
gerade jetzt sind in unserer Kommission nach gemeinsamer Arbeit mit
Schulmännern Vorschläge, zur Reife gelangt, deren Durchführung
unserem Schulwesen zur inneren Förderung und gewiss auch zu
äusserem Ansehen dienen wird.
Zur Förderung der körperlichen Ausbildung
unserer Gymnasiasten wurden durch die Schulkommission
des Münchener Aerztlichen Vereins wie bekannt die folgenden Leit¬
sätze aufgestellt.
Leitsätze für die körperliche Ausbildung un¬
serer Mittelschüler, abgefasst von der Schulkommission des
Aerztlichen Vereins München unter Redaktion des Herrn Dr. Neu¬
st ä 1 1 e r.
Durch den Ministerialerlass, der die Förderung der Jugendturn¬
spiele empfiehlt, ist eine neue Aera in der körperlichen Ausbildung der
Mittelschüler eingeleitet. Damit dieser Erlass aber tatsächlich die
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wünschenswerte Wirkung erzielt, sind folgende Forderungen (für
beide Geschlechter) zu erfüllen:
1. Die körperliche Ausbildung unserer Mittelschüler soll er¬
folgen durch Turnen/T Umspiele, Wanderungen, Eislauf, ‘Schwimmen etc.
2. Der körperlichen Ausbildung ist als Mindestmass täglich eine
Stunde, wenn irgend angängig im Freien/ zu widmen. Auch im
Winter soll keine Unterbrechung stattfinden. Für ausreichende
Turn- und Spielplätze muss baldigst von Seite des Ministeriums ge¬
sorgt werden.
3. Die körperliche Betätigung stellt nur unter gewissen Be¬
dingungen eine Erholung und Kräftigung dar. Auch sie nimmt Körper
und Geist in Anspruch. Die Stunden für die körperliche Ausbildung
dürfen daher nicht einfach in den bisherigen Stundenplan eingefügt
werden. Das würde eine Neubelastung der Schüler bedeuten, die
absolut unzulässig ist. Die nötige Zeit muss vielmehr durch Ein¬
schränkung anderweitger Anforderungen gewonnen werden. Nach
dem Turnen und den Turnspielen dürfen geistige Anstrengungen
durch den Unterricht oder Hausaufgaben nicht ohne genügende Pause
verlangt werden.
4. Am besten wird der gesamte Unterricht auf den Vormittag ver¬
legt. Jedenfalls müssen die anstrengenden Lehrgegenstände vor¬
mittags erledigt werden, den leichteren Fächern und der körperlichen
Ausbildung soll der Nachmittag gewidmet sein. Hausaufgaben sollten
nach Möglichkeit eingeschränkt werden.
5. Die Beteiligung an den Turnspielen usw. ist obligatorisch zu
machen. Die Wahl der Spiele soll den Schülern freigestellt werden.
6. Beaufsichtigung durch Fachlehrer ist nur zur Verhütung ge¬
sundheitlicher Schäden bezw. zur Einführung in die Spiele wünschens¬
wert.
7. Der von obligatorischen Stunden freizuhaltende Sonntag soll
ausschliesslich der körperlichen und geistigen Erholung gewidmet
werden.
Die Schulkommission trat dann in Unterhandlungen zunächst mit
Professoren der humanistischen Gymnasien, da ja diese die grösste
Zahl der Mittelschüler umfassen. Zu ihrer grossen Befriedigung zeigte
sich, dass auch in deren Kreisen der Wunsch eines Zusammengehens
mit der Schulkommission des Aerztlichen Vereins bestand. Von seiten
der aus den Kreisen der Gymnasialprofessoren gewählten Kommission
wurden dann im Anschluss an die ärztlichen Leitsätze schultech¬
nische aufgestellt, die hier ohne die ihnen angefügte Begründung
wiedergegeben sind.
Schultechnische Leitsätze, zu den ärztlichen Re¬
formvorschlägen der Schulkommission des Aerzt¬
lichen Vereins München (für die humanistischen
Gymnasien)
ausgearbeitet von der Schulkommission des Aerztlichen Vereins
München in Gemeinschaft mit Professoren der humanistischen
Gymnasien.
Die körperliche Ausbildung der Schüler an den humanistischen
Gymnasien kann in der von den Aerzten als unbedingt notwendig er¬
kannten und von den Schulmännern vollkommen gebilligten Art und
Ausdehnung nur betätigt werden, wenn die Inanspruchnahme der
Schüler durch Beschränkung der häuslichen Arbeiten und durch öko¬
nomische Anordnung des Stundenplanes vermindert wird. Dies setzt
eine den Forderungen der modernen Didaktik und der Hygiene ent¬
sprechende Umänderung der Schulordnung und besonders eine
Herabsetzung der Schülerzahl (in den einzelnen Klassen
voraus.
I. Die häuslichen Arbeiten können beschränkt werden:
a) durch erhebliche Verminderung der deutschen
Hausaufgaben und durch deren Einlieferung gegen Ende der
Woche (um den Sonntag freiizuhalten);
b) durch Einschränkung der täglichen Präparation bG ver¬
änderter Behandlung der Klassikerlektüre;
c) durch Beschränkung der häuslichen Uebersetzungen und
d) durch Beschränkung der häuslichen Arbeiten in den mathe¬
matischen Fächern.
II. Der Stundenplan ist nach Massgabe der örtlichen Verhält¬
nisse einzurichten auf der Grundlage des „Vormittagsunter¬
richtes“. Es lässt sich ein Stundenplan aufstelien, bei dem in den
ersten 5 Klassen der Unterricht in den obligatorischen wissenschaft¬
lichen Fächern in allen Tagen auf den Vormittag beschränkt bleibt,
während in den 4 oberen Klassen wenigstens 4 Nachmittage von
diesen Fächern frei sind und auf die übrigen 2 Nachmittagsstunden
fallen.
Für die Wahlfächer muss eventuell der Nachmittag herangezogen
werden.
III. Dabei sind entsprechende Erholungspausen und zwar lin der
Weise, dass im Sommer von 8 — 8,50, von 9 — 9,50, von 10,10 — 11, von
11,15 — 12 und von 12,15 — 1 Uhr, im Winter von 8,15 — 9, von 9,5 — 10,
von 10,15 — 11, von 11,10 — 12 und von 12,15 — 1 Uhr Unterricht erteilt
wird. Etwa nötiger Nachmittagsunterricht soll mit einer viertel¬
stündigen Zwischenpause von 3 — 5 Uhr stattfinden, soweit dies die
Lichtverhältnisse zulassen. An Tagen, an welchen der Unterricht
Morgens bis 1 Uhr dauert, muss der Nachmittag frei sein.
IV. An den freien Nachmittagen sollen Jugendspiele, Turnen etc.
Stattfinden, in der Weise, wie dies in den Leitsätzen der Schulkom¬
1847
mission des ärztlichen Vereins festgelegt ist. Für das Pflichtturnen
und für die Turnspiele müssen geeignete Plätze geschaffen werden.
Die Leitung der Spiele soll eigens vorgebildeten Lehrkräften über¬
tragen werden. Die Haftofllcht für den Lehrer muss natürlich der
Staat übernehmen auf Grund des § 823 des BGB.
V. Der Sonntag muss von allen obligatorischen Stunden frei
bleiben und der körperlichen und geistigen Erholung gewidmet sein.
Wir werden teilweise auf die Leitsätze zum Schluss noch zu¬
rückkommen.
Vieles wäre mit Genehmigung dieser Vorschläge schon ge¬
wonnen, worüber seit Jahr und Tag gesprochen, aber nur gesprochen
wird: die Frage der Ueberbürdung, die geschlossene Unterrichtszeit,
die Regelung der Pausen und vor allem die körperliche Ausbildung
der heranwachsenden Jugend muss nach unserer Meinung endlich in
lebhafteren Fluss gebracht werden; niemand verlangt eine Lösung
dieser Aufgabe mit einem Schlag, aber dem Fortschritt müssen sie
zugeführt werden und sie können es, ohne dass ein Lehrer versetzt,
ohne dass ein neuer Schuilpalast errichtet wird.
Damit ist die Reihe der hygienischen Probleme für die Mittel¬
schulen erschöpft, für das Reformgymnasium im beson¬
deren müssen wir mit Fug und Recht eine Reihe hygienischer
Forderungen stellen, welche wiederholt auch schon anderenorts ge¬
stellt wurden, die aber leider stets ein pium desiderium geblieben
sind.
1 . Zur Errichtung des Schulhauses.
Das Schulgebäude sollte nicht nur allen schulhygienischen An¬
sprüchen gerecht werden, sondern es sollte auch (bei guter Ver¬
bindung) möglichst an die Peripherie der Grossstadt, in eine Lage
mit gesunder Luft und Waldnähe (z. B. Holzapfelkreuth) verlegt
werden, um dem Ideal der „Freiluftschule“ wenigstens teilweise ge¬
recht zu werden. Für die Bereithaltung von Turnsälen und Schul¬
bädern — womöglich mit Schwimmbassin — grössere Schulhöfe bezw.
Spielplätze für die Abhaltung der Jugendspiele müsste natürlich Sorge
getragen sein.
2. Was den Unterricht selbst anbetrifft, so ist für das Re¬
formgymnasium die erste unerlässliche hygienische Forderung der
ungeteilte Vormittagsunterricht mit „40 Minuten-Stunden“ — wobei
also 6 Unterrichtsstunden ä 40 Minuten mit je 10 Minuten Pause in
300 Minuten = 5 Stunden absolviert werden könnten. Eine Ver¬
minderung der Unterrichtsstunden und der häus¬
lichen Aufgaben ist — wie Sie oben gesehen haben — auch
nach Ansicht der Schulmänner wohl durchführbar. Wenn das nur
durch ökonomischere Zeiteinteilung und Verkleinerung der Klassen
durchführbar ist, ist das vom hygienischen Standpunkte aus nur zu
begriissen. Auch offizielle Nachhilfe für Minderbegabte muss
verlangt werden. Ganz besondere Berücksichtigung aber und Ver¬
meidung von Ueberlastung verlangt das Pubertätsalter, worauf bisher
nicht genügend geachtet wurde. Mehr als bisher werde der Unter¬
richt einiger dazu geeigneter Fächer (wie Zeichnen, Naturkunde etc.)
ins Freie verlegt oder Schulexkursionen zu Lehrzwecken unter¬
nommen. Neben einheitlichen Ferien mit den anderen Lehranstalten sind
für das Reformgymnasium besonders eine Verminderung des Unter¬
richts im Sommer und eine völlige Freihaltung des Sonn¬
tags eine hygienische Forderung, an der nicht zu deuteln ist.
3. Die Hebung der körperlichen Ausbildung und
J u g e n d s p i e 1 e, welche wir Aerzte für die Mittelschulen überhaupt
anstreben — ich erinnere an die verlesenen Leitsätze — gilt im be¬
sonderen und im verstärkten Masse für die Reformgymnasien unter
Vermeidung jeden Uebermasses und Schablonenhaften.
4. Eine wichtige und unerlässliche hygienische Forderung ist die
Anstellung eines entsprechend vorgebildeten praktischen
Arztes im V o 1 1 a m t als Schularzt. Ohne des näheren auf eine
Dienstanweisung desselben einzugehen, müsste dem Schulärzte ob¬
liegen:
a) die Beaufsichtigung der Hygiene des Schulbaues und eines
hygienisch einwandfreien Betriebes (Reinigung, Lüftung, Bäder etc.).
b) fortlaufende Beaufsichtigung des Gesundheitszustandes
der Schüler (Gesundheitsbögen).
c) Erteilung von Unterricht in der Hygiene als obligatorischem
Lehrfache an höheren Schulen (aus den Gebieten der Ernährungs¬
lehre, Abhärtung, körperliche Ausbildung, Nerven, Zähne, Alkohol,
Tabak, geschlechtliche Fragen etc.)
d) Vornahme experimenteller und statistischer Untersuchungen
und Messungen an Schülern (deren Ergebnisse festere Grundlagen
für Reorganisationen im Schulbetriebe abgeben würden).
e) Sitz und Stimme im Schulkuratorium.
5) Die Herstellung guter und innigerer Beziehungen zwischen
Schule und Elternhaus ist eine Forderung, die gewiss nicht nur von
uns Aerzten, sondern ebenso auch von einsichtigen Schulmännern
erhoben wird. Vom hygienischen Standpunkt ist eine Annäherung
und Belehrung (Elternabende) erwünscht, damit die S c h ä d e n,
welche so häufig der Schule zur Last gelegt werden und die beim
Reformgymuasiium auf das erreichbare Minimum herabgedrückt
■werden sollen, auch im Elternhause nach Möglichkeit ver¬
mieden werden.
Zum Schlüsse zitiere ich mit Ihrer Erlaubnis nochmal Kollegen
B e r g e a t, welcher sagt :
„Eine gewisse Scheu vor der ärztlichen Mitarbeit auf einem Ge¬
biet, das ihr bisher gänzlich verschlossen war, ist nur zu begreifen.
1848
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Aber vielleicht ist die Zeit nicht fern, wo unsere Mittelschulen dem
ärztlichen Einfluss ebenso zugänglich werden, wie das in zunehmen¬
dem Masse unsere Rechtspflege und die Armee geworden ist bei
aller Wahrung ihrer Strenge, nicht zum Schaden ihres Ansehens.
Ein erster nicht zu unterschätzender Schritt wäre auch die von
dem Herrn Kultusminister bereits in Aussicht genommene Einberufung
eines erfahrenen Mannes aus den Reihen der praktischen Aerzte in
den obersten Schulrat. . .
Dieses Beispiel könnte vorbildlich wirken, wie es ein Ruhmes¬
titel unseres bayerischen Schulwesens werden könnte, wenn unser
Reformgymnasdum, das ja gewiss nicht ausbleiben wird, nicht nur in
schultechnischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit stünde, sondern auch
in überlegener Weise allen Forderungen der modernen Schulhygiene
entsprechen würde.“
Hoffen wir — möchte ich mit Schubert schlossen — , dass
wir nach mancher mühevollen Vorarbeit der Mitarbeit des Staates,
der bisher als wohlwollender Beobachter seitwärts stand, nicht länger
entraten müssen.
Diskussion: HerrCrämer: M. H.l Damit Sie sehen, dass
wir nicht allein stehen mit unseren Vorschlägen, teile ich Ihnen mit,
dass der Vorstand des Vereines für Schulgesundheitspflege in Berlin
die gleichen Forderungen wie wir an das preussische Kultusmini¬
sterium gestellt hat. Es liegt dieser Gedanke gewissermassen in der
Luft und wird überall in Deutschland in die Tat umzusetzen versucht.
Wenn man sich frägt, ob man mit diesen Reformvorschlägen
etwas erreichen wird, so bin ich der Ueberzeugung, dass dieses aller¬
dings der Fall ist. Bei meinem Besuche im Ministerium wurde mir
eröffnet, dass der Herr Kultusminister in schultechnischen Fragen
soweit als möglich entgegenkommen wird.
Wenn man auch derartige Aeusserungen mit Vorsicht auffassen
muss, weil man nie wissen kann, was das „möglich“ heisst, so dürften
wir doch die Aussicht haben, mit unseren Reformvorschlägen etwas
zu erreichen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch die Frage be¬
rühren, die mir sehr wichtiig erscheint: Man könnte der Meinung
sein, dass der ärztliche Verein nicht dazu da ist, sich an derartigen
hygienischen Fragen des Allgemeinwohls zu beteiligen; ja ich weiss,
dass so manches der Mitglieder das nicht gerne sieht. Ich bin aber
der Ueberzeugung, dass der ärztliche Verein nicht bloss das Recht,
sondern auch die Pflicht hat, in diesen wichtigen Fragen Stellung zu
nehmen. Ich möchte daher die Bitte an den ärztlichen Verein richten,
uns bei unseren Bestrebungen den Rücken zu decken; denn davon
darf man überzeugt sein, wenn der ärztliche Verein hinter uns steht,
so wird die Tätigkeit der Schulkommission eine viel fruchtbringendere
sein, als wenn nur wenige Kollegen für eine Sache eintreten.
Herr Pfaundler: Ich kann nicht umhin, trotz des anscheinend
günstigen Urteiles der Herren Vorredner Bedenken gegen den 6 Kurz¬
stunden oder 5 Zeitstunden währenden Vormittagsunterricht zu
äussern. Ich glaube nämlich nicht, dass der Unterricht in der 5. oder
6. Stunde für das Gros der Schüler ein so erspriessl'icher und erfolg¬
reicher sein kann, wie nach 4 stündiger Pause in den Nachmittags¬
stunden ab 3 Uhr. Meines Wissens liegen auch von schulärztlicher
Seite zahle nmässige Bestimmungen des Aufmerk¬
samkeitswertes bezw. der Fehlerhäufigkeit vor,
welche sehr zu Gunsten eines höchstens 3 Stunden währenden Unter¬
richtes sprechen. Dazu kommt noch, dass nach 5 stündigem Aufent¬
halte einer grösseren Schülerzahl in einem Klassenzimmer die Atmo¬
sphäre in demselben sehr viel zu wünschen übrig lässt, wenn die
Ventilationsverhältnisse nicht ausnahmsweise günstige sind. Es ist
mir sehr wohl bekannt, dass nach der Aussage verschiedener Schul¬
männer der Vormittagsunterricht gut bewährt befunden worden ist.
Doch möchte ich zu bedenken geben, dass hier materielle Interessen
der Lehrerschaft einen suggestiven Einfluss auf das Urteil haben
können. Wenn der Lehrer nur einmal des Tages den Weg nach
und von der Schule zurücklegen muss, so kann er leicht in billigen
Vorstädten wohnen und wenn er den Nachmittag völlig frei hat, dann
ist ihm auch Gelegenheit geboten, sich iin Privatschulen oder sonstwie
nachmittags einen Nebenverdienst zu schaffen, ein Bestreben, das ja
bei der ungünstigen materiellen Lage vieler Lehrer sehr begreiflich
erscheinen muss. Der Einwand, dass in grossen Städten der zwei¬
malige Schulweg zu viel Zeit für die Kinder in Anspruch nimmt, kann
nicht als stichhaltig erachtet werden, wenn in den einzelnen Schulen
die Frequenz ein gewisses Maximum nicht übersteigt, somit jeder
einzelne Schulbezirk nicht allzu gross wird.
Der Nachmittagsunterricht kann aber die körperliche Ausbildung
der Kinder wohl nicht behindern, wenn den Schülern 3 Nachmittage
der Woche vollkommen frei bleiben und wenn es Ihnen ermöglicht
ist, die namentlich in der dealten Jahreszeit dem Aufenthalte im Freien
günstigsten Stunden zwischen 11 und 3 Uhr zweckmässig auszunützen.
Ich möchte mir somit an unsere sachverständigen Vereinsmit¬
glieder die Anfrage erlauben, ob die Erfolge des 6 stünidiigen Vor¬
mittagsunterrichtes neuerdings in exakter, objektiverWeise
geprüft und wirklich so günstig befunden worden sind.
Herr Nenstätter verweist auf das Interesse, das die Aerzte
auch auf Seite der Schulmänner gefunden haben. Er habe von An¬
fang an auf die Notwendigkeit eines Zusammenarbeitens mit ihnen
hingewiesen und habe mit besonderer Freude, wie wohl alle Be¬
teiligten gesehen, dass die Gedanken der Schulkommission auf schon
vorbereiteten Boden fielen.
Gegenüber Pfaundler: Ich bin nicht der Ansicht, dass man
aus den Beobachtungen hier in München schon definitive Schlüsse
ziehen kann. Es heisst in den Berichten, dass die Schüler nicht stärker
ermüden, im Gegenteil beim geschlossenen Vormittagsunterricht
frischer sind. Jedenfalls .aber könne man daraus schliessen, dass die
Ermüdung keine besondere sei. Natürlich seien Voraussetzungen
richtige Pausen und richtige Folge der Lehrstoffe. Man könnte in die
späteren Stunden geistig weniger Anstrengendes verlegen. Es ist
schon ein derartiger Schulplan ausgearbeitet worden. Wesentlich ist
schliesslich, dass man den geschlossenen Vormittagsunterricht nicht
vom absoluten Standpunkt ansieht, sondern mit Rücksicht darauf, dass
er eben das relativ Bessere ist. Dass der Vormittagsunterricht nicht aus
dem Grund der Bequemlichkeit oder materiellen Gründen von den Pro¬
fessoren propagiert worden ist, dafür sprechen eine Reihe von Tat¬
sachen. Es hat die Einführung im Anfang mit viel Bedenken zu
kämpfen gehabt. Im übrigen wäre es auch für die Lehrer — und in- *
direkt wieder die Schüler — gut, wenn sie den Nachmittag für sich
hätten, dadurch weiter draussen wohnen, sich besser erholen usw.
In der Grossstadt sei. der Vormittagsunterricht von so weittragender
Bedeutung, dass er durchgeführt werden muss. Etwaige Schäden
sollten nicht zur Wiederbesetzung des Nachmittags, sondern zu
weiteren Reformen führen.
Herr Grassmann: Da in der Frage der besseren körperlichen
Ausbildung unserer Mittelschüler unzweifelhaft eine neue, kräftige
Strömung besteht, so haben die Aerzte die dringende Pflicht, sich an
den Neuerungen mit energisch zu vertretenden hygienischen Forde¬
rungen zu beteiligen. Der jetzige Zeitpunkt darf nicht verpasst
werden. Die Frage, ob unbeschadet des Bildungsniveaus mehr Zeit
für die systematische Körperpflege in den Mittelschulen zur Ver¬
fügung gestellt werden kann, wird von den Schulmännern bejaht, so
dass hygienische Forderungen tatsächlich ventiliert werden können.
Bezüglich des Reformgymnasiums sei jetzt der rechte Zeitpunkt,
solche Forderungen zu stellen. Unsere Gymnasien hätten zurzeit
unter den übrigen deutschen Bildungsanstalten ihrer Art die geringste
Zahl von Lehrstunden. Dieses Reservatrecht müsse auch bei der Er¬
richtung des Reformgymnasiums zur Geltung kommen. Der ärztliche
Verein möge die von seiner Schulkommission formulierten Forde¬
rungen kräftig, etwa durch eine Resolution, unterstützen.
Herr E r d t erwähnt eine Mutter, welche über den ausschliess¬
lichen Vormittagsunterricht klagte, weil „ihr Sohn so viele freie Zeit
habe“. Das sei gewiss ein unparteiisches Lob!
Die geistige Ermüdung gegen Ende des Vormittagsunterrichtes
könne durch geeignete Verteilung der Fächer vermieden werden;
auch wäre in dieser Hinsicht eine öftere Besprechung und ein geeig¬
netes Einvernehmen der einzelnen Lehrer untereinander wünschens¬
wert. Die Frankfurter Reformschule eigne sich nicht zum Vorbilde.
Denn an ihr befände sich nur auserlesenes Lehrer- und Schülermaterial.
Man müsse aber bei Reformschulen auf die durchschnittliche Lei¬
stungsfähigkeit Rücksicht nehmen. Keinesfalls dürfen, wie dort, die
Unterrichtsstunden noch vermehrt werden.
E. hat (ausserhalb Münchens) häufig die Turnspiele an „freien“
Mittwoch- und Samstagnachmittagen beobachtet. Die Schüler durften
ohne Krankheitsnachwefs nicht fern bleiben; ein kleinerer Teil der
Schüler spielte und erhitzte sich stundenlang mit Schleuderball,
Faustball u. a., der grössere Teil sah untätig zu. Abends kamen dann
die Spielenden müde und abgespannt heim und mussten die treffenden
Hausaufgaben erledigen, die auch darnach entsprechend ausfielen.
An diesen „halbfreien Tagen“ wurden also viele Schüler körper¬
lich und geistig mehr angestrengt, als an anderen.
Mit Recht versuche die Schulkommission diesen Misständcn
zu begegnen.
Herr Doernberger: Das Referat Rommels fusst nicht
nur auf den Beratüngen der Schulkommission, sondern auch aut der
Ansicht der Majorität der Schulmänner, Hygieniker und Aerzte in der
ganzen Welt, welche sich mit den einschlägigen Fragen befasst haben.
Mag wie ausserhalb so auch innerhalb unseres Vereins eine Minorität
in verschiedenen Dingen andere Meinung haben z. B. bezüglich des
Vormittagsunterrichts, der Unterrichtspausen, des obligatorischen
Zwanges zur Beteiligung an den Turnspielen usw., so möge sich doch
der ärztliche Verein als solcher dem Sinne des Referates, welches
wohlerwogen und durch Erfahrungen gestützt ist, anschliessen.
Herr Rommel (Schlusswort) spricht sich nochmals entschieden
für den ungeteilten Vormittagsunterricht aus. . Er bemerkt zugleich,
dass über Schulschädigungen noch weitere exakte Untersuchungen
angestellt werden sollen nach Methoden, die erst noch ausgearbeitet
werden müssten, da die bisherigen zum grossen Teil einer ernsten
Kritik nicht Stand hielten. Es sei dies eine der Aufgaben der Schul¬
ärzte, wie schon iim Referat angedeutet worden sei.
Es wird hierauf eine Resolution gefasst, in welcher der Aerzt-
liche Verein sein Einverständnis mit den Ausführungen des Herrn
Rommel erklärt und die Schulkommission beauftragt, dessen For¬
derungen nach Kräften zu unterstützen.
Herr R. Grashey: Seltene und schwer nachweisbare
Frakturen (Projektionsvortrag). Die Mitteilungen bilden einen
Teil eines in den „Fortschr. a. d. Geb. der Röntgenstrahlen“
(XI. 3) erschienenen Aufsatzes über Frakturdiagnostik.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1849
Herr Grosse: Ueber improvisierte Asepsis, mit De¬
monstrationen.
Eine vollkommen einwandfreie Asepsis ist entgegen immei
noch bestehenden Vorurteilen — unter den primitivsten Verhältnissen
und mit überall zu beschaffenden Hilfsmitteln durchführbar Wie
Vortr. bereits 1905 im Archiv für klinische Chirurgie (Bd. 77, Heft d)
| siehe auch Münch, med. Wochenschr. 1905, No. 31] nachgewiesen,
besitzen wir im Wasserdampf, dem überhaupt zuverlässigsten bak¬
teriziden Agens, ein Sterilisationsmittel, dem allein sämtliche
Objekte, deren wir zu aseptischen Operationen in keimfi eiern Zu¬
stande bedürfen, exponiert werden können. Stellt schon die hie i -
durch ermöglichte Einheitlichkeit des Verfahi ens eme ei ■
hebliche Vereinfachung der Sterilisationsprozeduren dar, so ist die
Wasserdampfsterilisation auch deshalb als die denkbar einfachste
Methode zu bezeichnen, weil man sich einen Dampfsterilisator an Ort
und Stelle der Operation im Handumdrehen improvisieren kann. Es
bedarf hierzu — Vortr. demonstriert als Beispiel den ganzen Gang
der aseptischen Vorbereitungen zu einer Herniotomie — lediglich
zweier Kochtöpfe, deren einer in den andern hineingestellt
werden kann. Auf den Boden des grösseren Topfes wird ein
Wasserglas (200 g) Wasser gegossen, der kleinere, auch
durch eine Obertasse, Porzellanschale oder dergl. ersetzbare, nimmt
das zu sterilisierende Material, Instrumente (die Messer sind zur Er¬
haltung ihrer Schärfe und ihres Glanzes in korkverschlossenem Rea-
gensrohr unterzubringen, desgl. die Kanülen zur Spinalanasthesie 1,
Verbandstoffe., kleine Tücher, Katheter, Spritzen, Gummihandschuhe
oder was man sonst zu einer Operation, einem Verbandwechsel, einem
Katheterismus, einer Infusion etc. gebraucht, auf. Wird nun das
Wasser in dem grösseren, zugedeckten, Topfe zum Sieden gebracht,
so stellt sein ganzer Innenraum den Dampfraum eines Wassei darnpt-
sterilisators dar, in dem durch die Einwirkung des Wasseidampfes
in wenigen Minuten eine unbedingt sichere Sterilisation zu stände
kommt. Als Wärmequelle dient Herdfeuer oder irgend ein Koch¬
apparat; einen Spirituskocher improvisiert Vortr. aus einem tiefen
Teller, über den, sich kreuzend, zwei Blechlöffel gelegt werden.
Aus der Verschiedenheit des jeweilen benötigten Instrumental iutns
und Verbandmaterials sowie aus der Verschiedenheit des hier oder
dort zur Verfügung stehenden Inventars ergeben sich unendlich viel¬
fache Modifikationen, sodass dem Verfahren neben ausserordentlicher
Leichtigkeit der Durchführung auch der Vorzug weitgehender An¬
passungsfähigkeit an die differentesten Verhältnisse zukommt;
mehrere angeführte Beispiele erläutern dies. Eine 10 Minuten
währende Dampfdurchströmung ist für alle Objekte zu sicherei
Sterilisation ausreichend, auch, wie Vortr. bakteriologisch nachge¬
wiesen, für kleine, zu den in Rede stehenden Operationen ei forder¬
liche Mengen nicht zu fest gepackter Verbandstoffe. Mit schema¬
tischem Vorgehen bei Sterilisation der letzteren ist zu brechen, eben¬
so wie mit schablonenmässiger Auffassung der Asepsis überhaupt.
Die zur Zeit speziell in der Landpraxis übliche Handhabung der
Asepsis ist bei aller Umständlichkeit zumeist doch mangelhaft;
grösstenteils herrscht hier trotz hundertfach nachgewiesenei Unzu¬
länglichkeit noch immer die Antisepsis, und zwar recht oft in
einer Form, die man geradezu gewissenlos nennen muss. Vorti.
zeigt die, nach nunmehr beendeter Sterilisation dem improvisierten
Dampfsterilisator entnommenen Instrumente, die tadellos glänzend
und von Belag oder Flecken, wie solche beim Kochverfahren aut-
treten, gänzlich frei sind; sie werden .albald durch ihre eigene Hitze
vollkommen trocken. Auch die Verbandstoffe enthalten nur ganz ge¬
ringe Feuchtigkeit. Die gesamte Sterilisation nimmt, da. die erforder¬
liche minimale Wassermenge in wenigen Minuten zum Sieden kommt,
nur e i n e V i e r t e 1 s t u n d e in Anspruch, die durch sonstige Vor¬
bereitungen so vollauf ausgefüllt wird, dass sich jeder Zeitveilust
— NB. auch v o r dem Aufbruch des Arztes zum Patienten — ver¬
meiden lässt. Auch für die Desinfektion der Hände und des Ope¬
rationsfeldes besitzen wir in der von Schumburg 1906 (Archiv
f. klin. Chirurgie, Bd. 79,- Heft l) |s. auch Münch, med. Wochenschi,
1906, No. 19] angegebenen Desinfektion mittels Brennspiritus ein
Verfahren, das bei grösster erreichbarer Zuverlässigkeit (Entfernung
von 99 Proz. der an der Hand befindlichen Bakterien) ohne jede Vor¬
bereitung überall anwendbar ist. Vortr. empfiehlt, direkt aus einer
mitgebrachten Halbliterflasche rriit Brennspiritus, der ja sowieso
eventuell als Heizmaterial gebraucht wird, etwa 1ls des Inhaltes sich
nach und nach auf ca. 10 Wattebäusche giessen zu lassen, mit denen
man Hände und Arme, selbstverständlich nach gründlicher mecha¬
nischer Nagelreinigung, aber ohne voraufgehende Anwendung von
Bürste und Seife, 3 Minuten sorgfältig abreibt; ebenso wird das
Operationsfeld behandelt. Man erreicht auf diese Weise dieselbe fast
vollkommene Keimfreiheit wie mit der F ü r b r i n g e r sehen oder
A h 1 f e 1 d sehen Methode. Gleichwohl ist dem vielbeschäftigten
Landarzt zu eigenem wie zu seiner Patienten Schutz das Anlegen von
Gummihandschuhen zur Operation anzuraten, die ebenfalls im Dampf
schnell, sicher und ohne Schädigung zu sterilisieren sind. Wenn auch
das angegebene Verfahren seine Grenzen in allzugiossem Umfange
I
*) Zu letzterem Zweck werden neuerdings — für den stän-
di gen Gebrauch — „Kanülensterilisationsrohre“ analog den „Mes¬
sersterilisationsrohren“ von der Firma C. Stiefenhofer, München,
angefertigt.
der Operation einerseits und in allzugrosser Unzulänglichkeit der Ver¬
hältnisse andererseits findet, so ist es doch vermöge seiner wohl kaum
noch zu übertreffenden Einfachheit in der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle wo Operationen überhaupt im Privathause vorgenommen
werden können, anwendbar. Vortr. hofft, dass es dazu beitragt, eine
tad e 1 1 o s e A s e p s i s e n dl i ch — auch in der Praxis! — zum
Gemeingut aller Aerzte werden zu assen. - Der Vortrag ist
in extenso in der Berliner klinischen Wochenschrift No. 28, 1907,
erschienen.
Nürnberger medizinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr F 1 a t a u.
Herr Helbing demonstriert einen Fall von Sattelnase infolge
Ozäna.
Herr Kraus demonstriert einen 6 jährigen Knaben, der seit etwas
über einem Jahr in Behandlung der Poliklinik steht. Die Augenerkran¬
kung begann als eine beiderseitige Iridozyklitis, zu der sich nach
kurzer Zeit beiderseits 2 grosse, dichte, tief gelegene Hornhautinfil¬
trate gesellten, denen dann eine geringe diffuse Trübung in den
oberen Parenchymschichten folgte. Rechts sieht man jetzt im unteren
Kammerwinkel ein gelbbräunliches Granulationsgewebe, zwischen
diesem und der Iris ein klein-stecknadelkopfgrosses Knötchen von
grauweisser Farbe, ein gleiches nasal von ersterem. Anamnestisch
keine Anhaltspunkte für hereditäre Lues — Jodkali ohne jeglichen Ein¬
fluss auf den Krankheitsprozess — , für Tuberkulose ebenfalls nicht.
Herr Kraus hält die Erkrankung für tuberkulöser Natur und will
nun Hetolinstillationen machen, von denen Paul Cohn bei Keratitis
parenchymatosa tuberculosa gute Erfolge sah (Münch, med. Wochen¬
schrift 1906, No. 25). Später soll wieder über den Fall berichtet
werden.
Des ferneren demonstriert Herr Kraus einen jungen Mann, dem
am 27. März 1905 ein Eisensplitter ins rechte Auge geflogen war. Der
Splitter hatte die Kornea ca. 2 mm vom temporalen Rand perforiert,
hatte die Iris im Pupillarrand und die Linse durchbohrt und war
hinten in der Netzhaut stecken geblieben. Linse war entlang der Per¬
forationswunde getrübt. Ophthalmoskopisch war eine Blutung auf der
Netzhaut zu sehen, in die der Splitter eingehüllt war. Das Sideroskop
gab trotz vorheriger Magnetisierung nur einen ganz geringen Aus¬
schlag. 28. III. 05 Skleralschnitt in meridionaler Richtung, Einführung
des Handmagneten. Extraktion eines kleinen Eisensplitters. Heilungs¬
verlauf glatt. Sehvermögen bei der Entlassung mit + cyl. 1,5 D. Achse
wagrecht S = Vs—1 Vs. Heute ist der Visus noch der gleiche.
Herr G ö r I demonstriert eine 12 jährige Patientin mit atypischem
Lupus erythematodes am rechten Supraorbitalrand, mitten auf dem
Kopf und im Nacken.
Herr Kraus demonstriert die gleiche Patientin wegen beider¬
seitiger abgelaufener Keratitis parenchymatosa. Während die Rand¬
zone vollkommen durchsichtig, zeigt die Mitte eine grosse Zahl
grösserer und kleiner Trübungen, die ganz bizarre können auf-
weisen, die bei makroskopischer Betrachtung am besten mit Knochen¬
körperchen verglichen wenden können, bei Lupenbetrachtung sieht man
zwischen den mit unbewaffnetem Auge sichtbaren Infiltraten kleineie
punktförmige. Eine Prominenz der Hornhautflecke besteht nicht.
Eltern leben und sind gesund, desgleichen der einzige Bruder.
Herr G e s s n e r spricht über Morbus Basedowii.
Diskussion: Herr Hofrat H e i n 1 e i n glaubt, dass das von
dem Herrn Vortragenden erwähnte Symptom des Schwirrens, welches
bei Basedowkröpfen nicht selten gefühlt und gehört wird, dann ent¬
steht, wenn bei gesteigerter Herztätigkeit die arterielle Blutwelle
gegen das der Arterie unmittelbar anliegende erweiterte, äusserst
zarte und dünnwandige venöse Gefässohr, wie es sich namentlich
am oberen Pol der Schilddrüse darstellt, geschleudert wird und das
im Varix der V. thyr. sup. zirkulierende Blut in Wirbelströnuiug vei-
setzt. Die physikalische Entstehung des Schwirrens ist völlig analog
dem Entstehen des gleichen Phänomens bei arteriovenösen Aneurys-
men, nur fehlt in jenem Fall die freie Kommunikation beider Gefässe,
die ausserordentliche Diinnwandigkeit der Basedowkropfvenen be¬
günstigt hier die Entstehung des in beiden Fällen völlig gleichen
Effektes. In einem Falle eigener Beobachtung konnte das Geräusch
deutlich vom aufgelegten Finger gefühlt, aber auch deutlich, namentlich
nachdem Haut und Platysma durchtrennt und zurückpräpariert waren,
vom nicht angelegten Öhr vernommen werden; es verschwand somit
mit dem Knotenschluss des um den zuführenden Abschnitt der Alt.
thyr. sup. herumgeführten Unterbindungsfadens.
In einem im Verein mit Herrn K r a p f beobachteten mittel-
schweren Fall von Mort). Based. sah H. dauernden Erfolg von einer
mehrere Wochen hindurch fortgesetzten Darreichung von Glyzenn-
Beziiglich der Exothvreopexie bemerkt H., dass urn die Mitte des
vorigen Jahrhunderts ein Arzt in Lyon, Bonett,
lagerung zuerst ausgeführt habe; laboulay habe die F..\ot >
pexie zur Methode erhoben. Letztere sei scharf zu trennen von i u
durch W ö 1 f 1 e r in Aufnahme gekommenen K r o p f v erläget u g,
wobei der Kropf nicht zwischen die Wundrander, sondern meist
1850
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
«regen die oberen Halsbezirke hin, jedoch unter die Haut, verlagert
werde. Bezüglich der Exothyreopexie sei mit .1 a b o u 1 a y daran fest¬
zuhalten, dass die im Anschluss an den Akt aus dem Kropfgewebe —
offenbar den oberflächlichen Drüsenbläschen — sich einstellende ziem¬
lich reichliche, wie Tauperlen erscheinende Absonderung, welche nicht
den Charakter einer entzündlichen Ausschwitzung trägt, und welche
sonst von dem den Kropf einhiillenden lockeren Bindegewebe auf¬
genommen wird, nunmehr frei nach aussen treten kann und so eine
Veränderung der Lymphzirkulation im Gefolge hat, welche wahr¬
scheinlich die Besserung einleitet. Die sich anschliessende Kropfver¬
kleinerung wird vielleicht auch noch begünstigt durch die nach dem
Eingriff entstehende venöse Stauung mit Gefässverschlüssen, welche
zunächst eine Schwellung des Kropfgewebes bedingt, der später die
Schrumpfung folgt. Jaboulay konnte in einem Falle eine Rück¬
fälligwerden des durch den Eingriff gebesserten Leidens feststellen,
als zum Zweck der Beschleunigung der Heilung die Haut über dem
Kropf wieder vereinigt, das aussickernde Fluidum nicht mehr nach
aussen geleitet, sondern wieder von den lockeren Kropfhüllen auf¬
genommen und so wieder dem Blut zugeführt wurde. Nach bald be¬
werkstelligter wiederholter Entblössung des Kropfes wurden die
schweren Erscheinungen in Kurzem wieder rückgängig.
H. hat im eigenen Falle nach Kropffreilegung, einseitiger Unter¬
bindung der oberen, doppelseitiger Ligatur der unteren Schilddrüsen-
gefässe, als nach 2Vz stündiger Dauer der ohne Inhalationsnarkose
betätigten Operation die Pat. den Abschluss des Eingriffes dringend
wünschte, auch die Pulsbeschaffenheit zu wünschen übrig liess, die
Exothyreopexie als „Notbehelf1 ausgeführt und konnte in der Folge
die oben erwähnte reichliche, klare Absonderung deutlich beob¬
achten. Sehr langsam, aber stetig bildeten sich die schweren Erschei¬
nungen bis auf einen geringen bleibenden Exophthalmus zurück. Dass
die Exothyreopexie zu Unrecht verworfen wird, und die Indikation be¬
sonders dann, wenn man nicht den Luftröhrenschnitt ausfiihren will,
zu Recht besteht, beweisen u. a. zwei aus der von Bruns sehen
Klinik hervorgegangenen Beobachtungen von B 1 a u e 1 (Beitr. z. klin.
Chir., Bd. 50, H. 1).
•j Bezüglich der Durchschneidung des Sympathikus wird im Auge
behalten werden müssen, dass demselben die Exstirpation des unteren
Halsganglion zu folgen hätte. Unterlässt man das letztere, so würde
Herzklopfen und Zittern unter Umständen sich einige Zeit nach dem
Eingriff wieder einstellen. Denn der Acceler. cordis erhält seine
Fasern nicht nur aus dem Sympathikus, sondern auch durch das
untere Halsganglion aus den Ramis communic.
Rostocker Aerzteverem.
Sitzung vom 11. Mai 1907.
Herr Körner: Die Behandlung der Kehlkopftuberkulose.
Nachdem Vortragender die verschiedenen anatomischen
und klinischen Bilder, unter denen die Kehlkopftuberkulose auf-
tritt, eingehend geschildert hat, bespricht er die intra- und
extralaryngealen Operationsmethoden eingehend und wendet
sich dann zu denjenigen Formen der Erkrankung, bei welchen
wir von vornherein gute Aussicht haben, ein langjähriges
Latentwerden des Prozesses oder gar eine vollständige Heilung
zu erzielen.
Die besten Erfolge erzielt man nach seiner Erfahrung bei
der aszendierenden Tuberkulose, das ist bei der Tuber¬
kulose, die in Nase und Schlund beginnt und dann den Kehlkopf
ergreift, aber nur in geringem Masse oder gar nicht auf die
Lungen übergeht. Die Bezeichnung aszendierende Tuber¬
kulose ist von Holländer in diesem Sinne angewendet
worden in Analogie mit der von aussen beginnenden und bis
auf die Nieren sich verbreitenden Form der Urogenitaltuber¬
kulose. Die in den Lungen beginnende und dann den Kehlkopf
ergreifende Tuberkulose muss demgemäss als deszendierend
bezeichnet werden, wenngleich es manchem anfangs schwer
sein wird, hier von dem Oben und Unten am aufrechten Körper
abzusehen und den von aussen nach innen fortschreitenden
Prozess stets als absteigend, und den von innen nach aussen
als aufsteigend zu bezeichnen. Manche Formen der Kehlkopf¬
tuberkulose, die man bisher als primär bezeichnet hat, gehören
in die Gruppe der aszendierenden Formen. Eine wahre primäre
Kehlkopftuberkulose, d. h. eine tuberkulöse Erkrankung des
Kehlkopfs allein, gehört zu den allergrössten Seltenheiten und
kommt praktisch kaum in Betracht.
Redner schildert ausführlich zwei Beispiele der aszendierenden
Tuberkulose in den Luftwegen. Der erste Fall betraf einen 13 jähr.
Knaben, der aus einer tuberkulösen Familie stammte und wegen
Heiserkeit der Klinik zugeführt wurde. Der Befund war: sehr guter
Ernährungszustand, kein Fieber, Lunge normal, Rachenmandel ge-
schwiirig zerfallen, Epiglottis gerötet und geschwollen, in der vor¬
deren Kommissur der Stimmbänder blassrote, klein-erbsengrosse Ge¬
schwulst. Sowohl die geschwürige Rachenmandel als auch die Kehl¬
kopfgeschwulst wurden entfernt und erwiesen sich als mit typischen
Tuberkeln durchsetzt. Auf die Behandlung wird später eingegangen
Der zweite Fall betraf eine zirka 30 jährige Frau mit Ulzera-
tionen am weichen Gaumen und an der rechten seitlichen Rachen¬
wand. Die Epiglottis war turbanförmig geschwollen, zeigte eine klein¬
höckerige, stellenweise ulzerierte Oberfläche und verhinderte den
Einblick in den Kehlkopf fast völlig. Das rechte Ligamentum glosso-
epiglotticum laterale war ebenfalls ulzeriert. Die Temperatur war
normal und die Lungen ohne Befund. Aus der Epiglottis exzidierte
Stücke enthielten typische Tuberkel mit Bazillen; zwei mit exzidierten
Stückchen intraperitoneal infizierte Meerschweinchen gingen an Tuber¬
kulose zugrunde.
In beiden Fällen wurde ausser den erwähnten, zunächst
aus diagnostischen Gründen vorgenommenen, operativen Ein¬
griffen keine weitere Lokalbehandlung, sondern nur eine interne
vorgenommen. Der erste Fall heilte vollständig, ja ein unter
dem entfernten Kehlkopftumor zum Vorschein gekommener
zweiter ebenso grosser Tumor verschwand unter der internen
Anwendung von Jodkali, wie sie aus der Klinik des Vor¬
tragenden von Grünberg im 53. Bande der Zeitschrift für
Ohrenheilkunde ausführlich besprochen und mit weiteren Bei¬
spielen belegt ist. Vier Jahre lang erwies sich die Heilung als
völlig und dauernd, bis der Patient durch einen Unglücksfall
starb. In dieser ganzen Zeit wurde die Lunge sehr häufig unter¬
sucht und stets normal gefunden.
Indessen gibt es Fälle von aszendierender Kehlkopftuber¬
kulose, die sich auf Jodkali nur wenig bessern. Hierher gehört
der oben geschilderte zweite Fall. In diesem wirkten dagegen
4 intramuskuläre Injektionen von Hydragyrum salicylicum so
günstig, dass alle Ulzerationen mit Hinterlassung weisslicher
Narben vollständig abheilten und der Epiglottisrest so ab¬
schwoll, dass man jetzt das ganze Kehlkopfinnere völlig über¬
sehen kann und kaum mehr ein Zweifel an der schliesslich
yölligen Heilung besteht. Dass es sich in solchen Fällen, die
durch Jodkali oder Quecksilber heilen, um eine Kombination
von Lues und Tuberkulose gehandelt haben könnte, ist bereits
von Grünberg widerlegt.
Drei ähnliche Fälle, die Kinder betrafen und bei denen das
Jodkali ebenfalls nur eine geringe Wirkung zeigte, heilten voll¬
ständig nach Ruhigstellung des Kehlkopfs durch die Trache¬
otomie. Sie sind von H e n r i c i im 15. und 18. Bande des Ar¬
chivs für Laryngologie ausführlich beschrieben worden.
Viel ungünstiger gestaltet sich die Prognose der deszen¬
dierenden Tuberkulose. Von den Ausführungen des Vor¬
tragenden sei hier nur einiges hervorgehoben. Geschlossene
Infiltrate dürfen nicht durch intralaryngeale Eingriffe in offene
verwandelt werden. Man darf sie nur operativ angreifen,
wenn man auch die Aussicht hat, sie vollständig zu entfernen.
Ulzerierende Teile sollen nicht mit der einfachen Kürette an¬
geschabt, sondern mit der Doppelkurette möglichst vollständig
exzidiert werden. Weiter finden bei den Ulzerationen Milch¬
säureätzungen und die Galvanokaustik ausgedehnte Anwen¬
dung, falls es der Allgemeinzustand, der vor der Indikations-
stellung und während der Behandlung auf das sorgfältigste be¬
rücksichtigt werden muss, erlaubt. Die günstigste Prognose
geben hier die stationären Fälle von Lungenphthise, bei denen
der Vortragende, wie z. B. auch Moritz Schmidt und Krieg
sehr gute Dauererfolge (in einem Falle seit 11 Jahren kontrol¬
liert) erzielen konnte. Es handelte sich dabei meist um Ulze¬
rationen an der Kehlkopfhinterwand.
Eine weitere, prognostisch günstige Form der deszen¬
dierenden Kehlkopftuberkulose ist die neben stationärer
Lungenphthise auftretende isolierte Erkrankung der Epi-
g 1 o 1 1 i s. Hier hat die Abtragung der Epiglottis bei zwei, in
einer Rostocker Dissertation von B o 1 d t beschriebenen Fällen,
die kräftige Männer betrafen, zu einer seit mehreren Jahren
bestehenden Heilung geführt. Dagegen hat der Vortragende
mit der Amputation der Epiglottis in Fällen, bei welchen auch
andere Teile des Kehlkopfes erkrankt waren, die Tuberkulose
stets am Epiglottisreste rezidivieren sehen.
Von den äusseren Operationen wird die Tracheotomie
zur Ruhigstellung des Kehlkopfs ausführlich besprochen. So
gut die Resultate derselben bei dertaszendierenden Tuberkulose
im Kindesalter sind, so schlecht waren sie nach der Erfahrung
des Vortragenden bei der deszendierenden Tuberkulose der Er¬
wachsenen. Indessen sind auch hier von Moritz Schmidt-
einige sehr gute Erfolge erzielt jworden. , V -:!l „ '
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1851
Schliesslich fordert der Vortragende die Errichtung von
Sanatorien für Kehlkopftuberkulose, da in manchen der Lungen¬
sanatorien die Behandlung des Kehlkopfs keine genügende Be¬
rücksichtigung findet. Bezeichnend für die geringe Bewertung
der Kehlkopfbehandlung ist das dem Vortragenden wiederholt
gestellte Ansinnen von Lungen-Sanatoriumsärzten, 2 bis 3
Wochen in der Klinik hospitieren zu wollen, um die Kehlkopf¬
behandlung zu lernen. Endlich fordert der Vortragende die
Behandlung der unheilbaren Fälle in besonderen Heimstätten,
zur Herbeiführung der Euphorie und Euthanasie und zur Si¬
cherung der Familienmitglieder gegen die gerade in solchen
Fällen grosse Gefahr der Infektion.
Diskussion: Die Herren Müller, Peters, D u g g e,
Körner.
75. Jahresversammlung der British Medical Association.
Die 75. Jahresversammlung der British Medical Association
wurde am 27. Juli in Exeter durch 'den Vorsitzenden Dr. Henry D a v y
mit einer Rede eröffnet, in welcher er den Einfluss beleuchtete, den
die wissenschaftliche Forschung der letzten Dezennien auf die Volks¬
gesundheit gehabt hatte. Er trat warm für die Schaffung von Schul¬
ärzten ein und zeigte an zahlreichen Beispielen, was wissenschaftliche
Forschung und die praktische Anwendung ihrer Ergebnisse zur
Besserung des Volkswohles, zur Verhütung epidemischer Krank¬
heiten etc. getan hat.
Die medizinische Abteilung wurde eröffnet von Haie White-
London mit einer Rede über genaues Denken in der Medizin. In
meisterhafter Rede geisselte der Vortragende die unter Aerzten so
häufige Untugend, alles das, was sich nicht erklären lässt, mit iigend
einem passenden oder unpassenden Namen zu bezeichnen und nicht
nur haltlose Diagnosen zu stellen, sondern auch ganz törichte Ver-
haltungsmassregeln zu geben. So zeigt er, wie in England, alles
mögliche als Gicht und besonders als irreguläre Gicht bezeichnet
wird, wie1 ohne jeden wissenschaftlichen Beweis alle möglichen
Symptome auf einen Ueberschuss von Säure im Blute zurückgeführt
werden und wie dann weiter mit ebensowenig Berechtigung weisses
Fleisch erlaubt und rotes verboten wird. Er zeigt, wie das andere
Refugium der englischen Aerzte, „die Leberstorungen ebenfalls
mehr in der Phantasie der Aerzte und des Publikums bestehen,
als in der Verwertung pathologischer und klinischer Li Kenntnis,
und er zeigt weiter, wie dieselben Irrtümer von Autor zu Autor und
von Lehrbuch zu Lehrbuch weiterwandern resp. abgeschrieben wer¬
den und wie der blinde Autoritätsglaube immer noch dem bort¬
schritt den Weg versperrt. Es wäre zu wünschen, dass in der
Plethora der ärztlichen Kongresse, deren Vorträge oft ebenso über¬
flüssig wie langweilig sind, häufiger ein Redner aufstehe, dei es
versteht, in ebenso geistreichen wie wahren Worten seinen Hörern
auseinanderzusetzen, dass sowohl unten wie oben in unserem Stande
manches faul und verbesserungsbedürftig ist. . .
Dann eröffnete Risien Russell- London eine Diskussion ubei
die Indikationen der Operationen bei Hirntumoren. Er bedauert die
grosse Skepsis, die viele Aerzte noch diesen Operationen entgegen¬
bringen. Die schlechten Erfolge sind m vielen Fallen darauf zu¬
rückzuführen, dass der Chirurg zu spät zugezogen wird Er be¬
spricht die Diagnose und die möglichen Irrtümer bei derselben.
Die Operationen werden eingeteilt in solche, die kurativen und solche,
die nur palliativen Zwecken dienen. Ehe man eine Operation emp¬
fiehlt, muss der genaue Sitz des Tumors bekannt sein; günstig für
die Operation liegen Tumoren an der Oberfläche des Orosshirns,
Tumoren der seitlichen Rezesse und der Seitenlappen des Kleinhirns.
Tumoren des Mittelhirns und tiefliegende Tumoren der Grotsshirn-
hemisphären sollten der Radikaloperation nicht unterworfen wer¬
den Auch ist Gewicht auf die voraussichtliche Natur des Tumors
und auf eventuelle Multiplizität zu legen. Syphilitische Tumoren
müssen häufig operiert werden, man verlieie nicht zu viel Z^it nn
der spezifischen Behandlung. Die Gefahr der Operation ist keine
Gegenindikation, ebensowenig das wahrscheinliche Zurückbleiben
von Lähmungen. (Nur wenn voraussichtlich Aphasie Zurückbleiben
würde, rät Redner von der Operation ab.) Ist die Radikaloperation
unmöglich, so trepaniere man, um die Kopfschmerzen zu beseitigen
und die Optikusatrophie zu verhindern. Die Lumbalpunktion bringt
nur ganz vorübergehenden Nutzen und kann die 1 repanation ment
ersetzen. Sie sollte häufiger zu diagnostischen Zwecken verwandt
werden, auch kann man durch sie dringende Drucksymptome für
kUr/ M a^e w e^-^Glasgow glaubt, dass grosse verkäste Gummen
nur operativ zu heilen sind. Wenn möglich operiert er Hirntumoren
in einer Sitzung. Wenn er fest davon überzeugt ist dass nach der
Operation dauernde Hemiplegie oder Aphasie zurückbleibt, empfiehlt
er die Operation nicht. Allerdings kann man sich dabei tauschen,
denn die Lähmung geht später zuweilen völlig zuruck.
Michel! C 1 a r k e - Bristol sprach über die Diagnose der sog.
Pseudotumoren. Er rät zur frühzeitigen Operation der syphilitischen
Tumoi'en. -Die Operatioii soll womöglich einzeitig gemacht werden.
Man bestimme während der Operation den Blutdruck, bleibt derselbe
gut, so kann man sie einzeitig beenden. Er spricht sich warm für die
palliative Trepanation aus.
Marcus Gunn - London spricht über den Erfolg der Operation
auf das Sehvermögen. Neuritis optica und gutes Sehvermögen
können zusammen Vorkommen; auch kommt Neuritis optica ohne
ophthalmoskopischen Befund vor. Gunn glaubt, dass es sich bei
der sog. Stauungspapille nicht um Entzündungsvorgänge, sondern
um ein mechanisch erzeugtes Oedem handelt. Er beschreibt 5 Sta¬
dien der Stauungspapille und zeigt, welche eine gute Prognose für
die Wiederherstellung durch die Operation geben. Ist die Papille
schon blass geworden und zeigt sie weniger Gefässe, so ist es
nutzlos, zu operieren, um die Sehschärfe zu bessern. Retinablutungen
sind keine Gegenanzeige. Die einfache Trepanation mit breiter Spal¬
tung der Dura wirkt ebenso günstig auf die Papillitis, wie die Ent¬
fernung des Tumors. Es ist zweifelhaft ob häufig wiederholte Lum¬
balpunktionen die Trepanation ersetzen können.
A r m o u r - London empfiehlt, die palliativen Operationen über
einem „unwichtigen“ Hirnabschnitt vorzunehmen und nach Möglich¬
keit die Bildung grösserer Hernien zu vermeiden.
O s 1 e r - Oxford wünscht die Schaffung besonderer Hirnspezia¬
listen, die die interne und chirurgische Behandlung der Hirntumoren
übernehmen können. Der allgemeine Chirurg hat zu wenig Er fahl ung
auf diesem Gebiete. Er hält die Operation von Syphilomen fiii un-
Lee s - London sah zuweilen vorübergehende Erleichterung nach
der Punktion eines Ventrikels.
Gordon- Exeter sah in zwei Fällen keinerlei Besserung nach
wiederholten Ventrikelpunktionen, beide wurden gebessert durch
subtentorische Trepanation. . . ,
Gardner R o b b - Belfast sprach über die Meningitisepidemie in
Belfast. , , . _ .... ,
Die Krankheit begann Ende Dezember bei 5 Mitgliedern einer
Familie, von denen 3 genasen und 2 starben. Am 24. .Tanuai eikiank-
teil 5 Mitglieder einer anderen Familie, von denen 4 innerhalb von
30 Stunden starben. Im ganzen kamen 230 Fälle zur Beobachtung.
Redner spricht über mild verlaufende Fälle, die leicht übersehen
werden. 162 Fälle endeten tödlich. 3 verschiedene Arten von
Serum wurden ohne jeden Erfolg angewendet. Phenazetin wirkte
günstiger auf die Kopfschmerzen als Morphium und Opium. Die
Bestimmung des opsonischen Index und die Agglutinierungsprobe
gaben besonders nach dem 6 Krankheitstage bessere diagnostische
Resultate als die Lumbalpunktion. Direkte Infektion wurde nicht be- .
obachtet
Osler und Povnton glauben, dass die sog. postbasische
(sporadische) Meningitis denselben Erreger hat wie die epidemische
^ 1 HjVl c K i s a c k - Belfast bestreitet dies, ebenso wie Robb s, der
zahlreiche darauf bezügliche Versuche mit Opsoninen etc. ge-
macht hat
Cleve R i v i e r e - London sprach über die Tuberkulinbehandlung
der Tuberkulose im Kindesalter. Am besten geeignet für die Be¬
handlung sind streng lokalisierte Fälle. Schlechte Erfolge beruhen
meist auf Ueberdosierung. Kinder bis zu einem Jahi ei halten
Ä - 8^0 m§’ bis ZU 5 Jahren iööo ältere Kinder 3000-
Dann eröffnete O s 1 e r - Oxford eine Diskussion über die akute
Pankreatitis.
Er unterscheidet 2 grosse Gruppen, die hämorrhagische und die
eitrige, die zur Nekrose oder Gangrän führt Die Ursachen sind
mechanische (Stein im Duktus), chemische (Galle und Magensaft)
und bakterielle. 45 von 105 Fällen waren mit Gallensteinen ver¬
gesellschaftet. Bei 32 Fällen bestand Gastroenteritis (meist alko¬
holischen Ursprungs). In 11 Fällen bestand Mumps (10 wurden ge¬
heilt, 1 starb durch Eiterung). Es gibt akute Falle, die schwer zu
erkennen sind, und subakute, bei denen die Untersuchung des Urins
und des Stuhls die Diagnose stützen kann. Therapeutisch kommt
nur die rasche Operation in Frage: 90 Proz der Nichtoperierten
sterben gegen 52,8 Proz. der Operierten. (Statistik von Ebner
HÜ a m m i d g e -London betont die Seltenheit, mit der die rich¬
tige Diagnose gestellt wird. Er glaubt, dass das Vorhandensein
von Urobilin im Urin für Pankreatitis spricht Er bespricht dann
die von ihm angegebene Pankreasreaktion, nach der / akute raue
untersucht wurden. In allen Fällen war die Reaktion positiv während
des Anfalls und positiv nach demselben. (Refer. hat in dieser Wochen¬
schrift mehrfach über diese Reaktion referieit.) ... , , v .
Die Diskussion, an der sich zahlreiche Aerzte beteiligten brachte
leider nichts Neues, sondern bestand hauptsächlich in dei Aut-
zählung einer Reihe von Krankengeschichten.
Dann sprach N o r t h r u o - New York über die Freiluftbehand¬
lung akuter Krankheiten. Er hat in seinem Hospitale eine Re he ; von
Schutzhütten auf dem Dache bauen lassen, die nach Süden vo g
offen sind und in denen Fälle von Pneumonie und anderen akuten
Krankheiten behandelt werden. Selbst ltn Winter kamen me .
kältungen vor, die Erfolge waren sehr gute. (Omncke De
handelte schon in den 80 er Jahren in Kiel viele akute Kranke nn
Garten seines Hospitals. Refer.)
Watson Williams- Bristol und Sir Sydney Jones- Sydney
bestätigen die guten Erfolge dieser Methode.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1852
Michell Clarke- Bristol berichtet über einen Knaben, der
an Lymphadenomen litt; unter Röntgenbestrahlung verschwanden
die Drüsentumoren. Der Knabe starb, und es zeigte sich, dass die
Metastasen in der Milz und Leber unbeeinflusst geblieben waren.
Samuel West- London sprach über die Diagnose und Behand¬
lung der Perikarditis. Auch bei Fällen ohne Erguss ist die Herz¬
dämpfung vergrössert. Schmerzen und Reibegeräusche fehlen oft.
Pulsus paradoxus findet sich nur bei Mediastino-Perikarditis. Er
empfiehlt warm Opium. Eine etwaige Parazentese oder Inzision
wird am besten nach aussen von der Mammilla gemacht; Rippen¬
resektionen sind unnötig. Die Perforation der Pleura schadet nichts.
W. Hunter- London sprach über Scharlach und Mundsepsis.
Letztere ist eine häufige und sehr gefährliche Komplikation des
Scharlachs und kann durch sorgfältige Mundpflege vermieden
werden.
Tyson- Folkestone sprach über die Prophylaxe der Appendi¬
zitis. Er führt die Zunahme dieser Krankheit auf übermässiges Essen,
auf das Essen gefrorener Speisen und auf fehlerhafte Stellung des
Körpers bei der Stuhlentleerung zurück.
Dann eröffnete L u f f - London eine Diskussion über Arthritis
rheumatica. Er hält die Krankheit für eine klinische Einheit und
führt sie auf eine Bakterieninvasion zurück. Die monoartikuläre
Form ist traumatischer Natur. Die akute Form befällt vor allem die
Synovia, bei der chronischen kommt es zu Zerstörungen des Knorpels
und zu Osteophytenbildung. Harnsäure hat nichts mit dieser Er¬
krankung zu tun. Frühzeitige und lange fortgesetzte Behandlung
mit guter Ernährung, Guajakolkarbonat, Jodkali, Salzbädern, heisser
Luft und Massage kann die Krankheit zur Heilung bringen.
Strang eways - Cambridge bestreitet die Existenz der sog.
„rheumatoid arthritis“ überhaupt; auch Davy glaubt, dass- unter
diesem Namen die verschiedensten Gelenkerkrankungen zusammen¬
gefasst werden.
■ ii McCrae glaubt an die Einheit der Erkrankung, die vom Ge¬
lenkrheumatismus sich durch die bleibenden Knochenverände¬
rungen unterscheidet. Er empfiehlt Bier sehe Stauung und eine
der Phthisisbehandlung ähnliche Hygiene.
Preston King glaubt, dass viele Fälle gichtischen Ursprungs
sind, auch die gonorrhoischen Arthritiden machen die gleichen Sym¬
ptome.
Michael F o s t e r verwirft jede medikamentöse Behandlung und
empfiehlt Freiluftbehandlung in warmem Klima.
Povmton und Sykes sprechen sich für die gichtische Natur
vieler Fälle aus.
Greenyer empfiehlt die chirurgische Eröffnung der Gelenke,
Thomas die forcierte Sprengung von Adhäsionen in der Narkose.
O d e 1 1 hat von Ichthyol, G o r d o n von Guajakolkarbonat grossen
Nutzen gesehen.
Abteilung für Chirurgie: B u 1 1 i n, der die Eröffnungsrede hielt,
sprach über Kontagiosität des menschlichen Krebses, und zwar be¬
sonders über die Autoinokulation. Uebertragungen von einem auf
den anderen Menschen sind so .selten, dass man den Krebs für nicht
kontagiös erklären würde, wenn nicht die sichergestellten Fälle von
Autoinokulation vorhanden wären. Gibt es aber einen absoluten Be¬
weis für das Vorkommen dieser Autoinfektion, so kann man die Kon¬
tagiosität nicht mehr leugnen. Redner geht dann des Näheren auf
derartige Fälle ein, er zeigt, wie Kontaktkrebse an den Labien der
Vulva, an den Stimmbändern und, wenn auch sehr selten, an den
Lippen Vorkommen. Er hält das Vorkommen dieser Autoinokulation
für sicher erwiesen und. betont seine grosse Bedeutung für die Chirur¬
gie und besonders die Technik der Krebsoperationen. Der Vor¬
trag enthielt eine Anzahl recht interessanter Krankengeschichten,
der Frage nach der Kontagiosität des Krebses ist er aber, wie es
dem Refer. scheint, nicht näher gekommen.
Dann eröffnete iSampson - London in der Abwesenheit von
Dean- London eine Diskussion über die Vorzüge der verschiedenen
Anästhesierungsmethoden.
Dean betont die geringe Verbreitung, die die Spinalanästhesie
bisher in England gefunden hat. Er selbst verwendet sie besonders
bei Fällen von akuter Peritonitis. Am besten hat sich ihm eine
Lösung von Stovain (Stovain, Natr. chlor, ana 0,1 Aqu. dest. 1,0)
bewährt. Er injiziert 0,6 bis 1,2 ccm dieser Lösung. Der grösste
Nutzen der Spinalanästhesie besteht in dem völligen Fehlen des
Schocks.
Ward Cousins- Portsmouth betont die ziemlich häufigen
Todesfälle nach der Spinalanästhesie.
L e e d h a m - G r e e n - Birmingham verwendet die spinale
Methode bei allen grösseren Operationen unterhalb des Nabels. Er
benutzt nur noch Tropakokain und verwirft den Zusatz von Adrena¬
lin. Er injiziert zwischen 2. und 3.. resp. zwischen 1. und 2. Lumbal¬
wirbel, er bringt den Kranken nicht in Beckenhochlage. Er injiziert
1,0 einer 5 proz. Lösung. Er hält die Lumbalanästhesie für kontra¬
indiziert bei akuter Peritonitis, bei langen und schweren Operationen
in der Nabelgegend, bei septischen Prozessen der Haut und bei Kin¬
dern unter 12 Jahren.
Le vy- London tritt warm für die Aethernarkose ein; man
muss allerdings den Aether mit einer gewöhnlichen (offenen) Maske
geben.
R o d m a n - Philadelphia will die Lumbalanästhesie nur in Aus¬
nahmefällen, bei bestimmter Indikation, wie Bronchitis, Nephritis,
Herzkrankheit und Alkoholismus anwenden.
Ryall-London benutzt zur Lumbalanästhesie Novokain. Vor
der Operation gibt man Rizinusöl mit 0,2 Pyramidon, dadurch ver¬
meidet man Kopfweh.
Dann sprach P a r d o e - London über die Indikationen zur
Prostatektomie. Operiert werden soll in allen Fällen (selbst bei
sehr alten, kranken Leuten) von adenomatöser Vergrösserung der
Drüse. Bei der fibrösen Form kommt der Bottini in Frage;
maligne Tumoren sind nach Möglichkeit auszuschliessen. Der beste
Weg für die Prostatektomie ist der suprapubische.
F r e y e r - London berichtet über eine neue Serie von 107 Fällen
von Prostatektomie mit 7 Todesfällen. 9 Kranke waren mehr als
80 Jahre alt. Bei urämischen (septischen? Refer.). Kranken ope¬
riert er zweizeitig. Zuerst eröffnet er die Blase, in einer zweiten
Sitzung enukleiert er die Prostata. Er hat bis jetzt 432 Fälle mit
7 Proz. Mortalität operiert.
Ward Cousins zeigt ein zusammengesetztes Odontom, das er
von dem Kiefer eines 10 jährigen Knaben entfernte.
C h i 1 d e - Southsea berichtet über die glücklich gelungene Re¬
sektion von 9/4 Fuss Dünndarm wegen Gangrän bei einer 59 jähri¬
gen Frau.
Bland S u t t o n eröffnet eine Diskussion über die Cholezyst¬
ektomie.
75 Proz. aller Gallensteine entstehen in der völlig überflüssi¬
gen Gallenblase, die deshalb bei Steinen, bei Verletzungen, Chole¬
zystitis, Ulzerationen, Empyem, Fistel und maligner Entartung ent¬
fernt werden muss. Die bei den verschiedenen Krankheiten des
Gallensystems oft notwendige Drainage kann am besten nach der
Entfernung der Gallenblase ausgeführt werden.
M a y 1 a r d will nur bei strenger Indikation die Gallenblase ent¬
fernen.
Symons hat bei 23 Exzisionen 3, bei 16 Inzisionen 2 Todes¬
fälle erlebt. Er hält die Exzision bei Männern für schwierig, glaubt
aber doch, dass die Exzision die einfache Cholezystotomie all¬
mählich verdrängen wird.
Stanmore B i s h o p und Malcolm glauben, dass die Chole¬
zystotomie bei einfacher Cholelithiasis genügt, die sog. Nachteile
derselben beruhen meistens auf fehlerhafter Technik.
Ward Cousins empfiehlt für alle komplizierten Fälle die
Cholezystektomie.
Sinclair White, Cameron und N e w b o 1 1 sprechen gegen
die Vornahme der Cholezystektomie als Operation der Wahl, während
R o d m a n - Philadelphia auf dem Standpunkt von Bland Sutton
steht.
Dann sprach Mummery- London über Verletzungen der Fie-
xura sigmoidea als Ursachen von chronischer Kolitis. Andere Redner
machten kasuistische Mitteilungen.
Der dritte Sitzungstag brachte eine Vortrag von Maylard
über die beste Inzision bei Bauchoperationen. Er bevorzugt bei
Beckenoperationen einen Ouerschnitt, der beide Rekti durchtrennt.
Stanmore B i s h o p berichtet über eine neue Operation zur
Heilung der Wanderniere. Er legt die Niere transperitoneal frei und
bildet am unteren Pole der Niere eine Kansellappen, den er um
den unteren Nierenabschnitt legt und mit die hintere Bauchwand
durchgreifenden Nähten befestigt. Er sucht auf diese Weise ein
neues Aufhängeband für die Niere zu schaffen.
Murray berichtet über 200 Sektionen an Personen, die an¬
geblich nie an Hernien gelitten hatten. Er fand bei 47 einen Bruch¬
sack. Er schliesst aus diesem Befunde sowie aus den bei zahlreichen
Operationen gemachten Beobachtungen, dass der präformierte Sack
(Ausstülpungen des Peritoneums) die Hauptursache der Entstehung
der Hernien ist. Die Beseitigung des Sackes ist deshalb auch der
Hauptpunkt für eine erfolgreiche Radikaloperation.
Zum Schlüsse beschrieb V e r n o n eine Modifikation der
W h i t e h e a d sehen Operation für Hämorrhoiden.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie: J a r d i n e - Glas¬
gow eröffnete eine Diskussion über die beste Methode der Zervix¬
dilatation zur Beschleunigung der Geburt am Ende der Schwanger¬
schaft.
Bei strenger Indikationsstellung kann über die Berechtigung der
Dilatation kein Zweifel herrschen. Redner besprach dann sehr gründ¬
lich die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden und rät dem
praktischen Arzte nur die einfacheren Methoden wie die von Bar¬
nes und Champetier de Ribes zu versuchen; die Dilatatoren
von B o z z i etc. sind nur in der Hand des Geübten verwendbar
und auch von ihm nur mit grosser Vorsicht. Für den Gynäkologen
von Fach kommen vor allem die Inzisionen und der vaginale Kaiser¬
schnitt in Frage; letzterer ist durchaus nicht so ungefährlich wie viel¬
fach behauptet wird. Bei Placenta praevia sollte er nie zur An¬
wendung kommen, da genügen schonendere Methoden.
S t r a s s m a n n -Berlin stimmt im allgemeinen mit Jardine
überein; auch er hält die Methode von Champetier de Ribes
für die beste für den praktischen Arzt. Nach der Anwendung des
B o z z i sehen Instrumentes hat er schwere Verletzungen gesehen.
Bei sehr engem Zervikalkanal dilatiert er zuerst mit 4 Nummern
Hegar und tamponiert dann Zervix und Scheide mit Jodoform. Bei
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
10. September 1907.
1853
der Notwendigkeit, sehr rasch zu entbinden, würde er im Hause
der Schwangeren seitliche Inzisionen machen, in der IKinik den vagi¬
nalen Kaiserschnitt.
G a 1 a b i n - London empfiehlt vor allem die manuelle Erweite¬
rung event. mit der teilweisen Lösung der Membranen. Bei uner¬
weiterter Zervix beginnt er mit dem Instrument von Bozzi und
legt dann einen Kolpeurynter ein.
Munro K e r r - Glasgow betont, dass für das Kind die am
schnellsten wirkenden, für die Mutter dagegen die langsamsten Me¬
thoden am besten sind. Den vaginalen Kaiserschnitt halt er für
die allergefährlichste Methode; er darf nur selten und nur in Kranken¬
häusern zur Anwendung kommen. Bozzis Instrument macht auch
bei langsamster Anwendung Zerreißungen; nur bei schon teilweise
eröffneter Zervix ist es anzuwenden, ln den späteren Monaten der
Schwangerschaft rät Redner zum abdominalen Kaiserschnitt.
Auch E d g e - Birmingham warnt vor dem B o s s i sehen Instru¬
ment und empfiehlt in der Privatpraxis die Dilatation mit der Hand.
Johnston - Belfast hält das Bozzi sehe Instrument für unge¬
fährlich, wenn es richtig angewendet wird.,
C a m e r o n - Belfast warnt vor seiner Anwendung bei der sogen,
akzidentellen Blutung; für viele Fälle ist es aber ein brauchbares
Instrument. .
Swayne- Bristol hat das Instrument vielfach mit Ertolg ange¬
wendet.
T w e e dy- Dublin, der etwa 4000 Geburten im Jahre leitet, er¬
weitert niemals die starre Zervix.
Par so ns -London und T e m p 1 e - Toronto ziehen den ab¬
dominalen dem vaginalen Kaiserschnitt vor.
Dann sprach Swayne- Bristol über das Chorionepitheliom.
Er hält auf grund eigener Beobachtungen Lungenmetastasen nicht
für eine Gegenindikation zur Operation. Diese Metastasen können
schrumpfen.
Strassmann fordert die längere Ueberwachung von Frauen,
bei denen Blasenmolen entfernt wurden, da diese Kranken später
nicht selten an Chorionepitheliom erkranken.
Auch Cameron berichtet über retrograde Veränderungen in
Lungenmetastasen.
McCann - London sah Vaginalmetastasen nach der Radikal¬
operation verschwinden.
Edge verlangt in allen Fällen die Entfernung der Vagina mit
dem Uterus.
Dann eröffnete S p e n ce r - London eine Diskussion über die
Massnahmen, die zu ergreifen wären, um den Uteruskrebs früher zu
erkennen.
Er glaubt, dass die hohe Amputation der Zervix in vielen Fällen
Dauerheilung herbeiführt. Er möchte alle Frauen über 25 Jahre über
die Gefahren des Uteruskrebses aufklären und darüber, dass nur eine
genaue innere Untersuchung die Diagnose sichern kann. Dann sollen
alle praktischen Aerzte aufgefordert werden, in allen verdächtigen
Fällen genau zu untersuchen (Probeexzision). Die Studenten sollen
gründlicher in der Gynäkologie ausgebildet werden. Schliesslich
weist Redner daraufhin, dass Dilatation der Zervix und manuelle
Austastung des Korpus ebenso wichtig sind wie Probekiirettements.
Mrs. S c h a r 1 i e b - London fordert ebenfalls zu häufigerem Un¬
tersuchen auf.
Galabin bedauert die Indolenz so vieler praktischen Aerzte.
die diese Kranken nie untersuchen. Er verlangt die vaginale Hy¬
sterektomie in Fällen von Blutungen nach der Menopause, in denen
das Kürettement die Symptome nicht beseitigt, auch wenn kein Krebs
nachgewiesen werden kann. Er will allen Frauen, die in die Poli¬
kliniken kommen, sowie Hebammen, Krankenpflegerinnen und Aerzten
Zettel geben, auf denen auf die ersten Symptome, sowie auf die Wich¬
tigkeit frühzeitiger Untersuchung und Operation hingeiwiesen wird.
Strassmann macht Mitteilungen über diesbezügliche Mass¬
nahmen in Berlin und Königsberg.
Wilson glaubt, dass man den Arzt nicht nur warnen, sondern
auch unterrichten müsse, da die meisten Aerzte nicht im stände seien,
einen beginnenden Uteruskrebs zu erkennen. Er verwirft die Be¬
unruhigung des Publikums durch Flugblätter.
R y a 1 1 - London verlangt besseren Unterricht für die Studenten
und die Aufklärung des Publikums, besonders auch darüber, dass
der Krebs oft ganz ohne Schmerzen verläuft.
Cameron bestätigt dies und fordert unter anderem die Ein¬
richtung öffentlicher Laboratorien, in denen von den Aerzten ge¬
schickte Probestückchen etc. umsonst untersucht werden.
Rice-Derby glaubt, dass das neue Hebammengesetz viele
Frauen den Aerzten fortgenommen hat und dass seither weniger
Krebse erkannt werden. Er verlangt bessere Ausbildung der He¬
bammen, die jetzt nur 3 Monate beträgt.
Tweedy glaubt, dass der Fehler weder am Publikum noch an
den Hebammen liegt, sondern allein an den vielen Aerzten, die Krebs
nicht diagnostizieren können. Er verlangt bessere Ausbildung
der Studenten in der Gynäkologie.
Die Versammlung beschliesst ein Komitee zum Studium dieser
Fragen einzusetzen. , , „ ,
Dann sprach Lockyer über die Werthei in sehe Radikal¬
operation, die er allein für gerechtfertigt hält, da nur 'bei ihr Impf-
metastasen vermieden werden können. Seit er diese Methode ubt,
operiert er 70,5 Proz. statt 18,5 Proz. der krebskranken Frauen,
Mrs. B o v d und M a 1 c o 1 m stimmen L ockyer bei, während
Spencer den abdominalen Weg nur bei besonders schwierigen
Fällen betreten will.
Wilson, der die W e r t h e i m sehe Operation bei vorgeschrit¬
tenen Fällen macht, hat dabei über 40 Prozent Mortalität gegenüber
2 Prozent bei der vaginalen Methode.
Dann sprach Strassmann - Berlin über die Indikationen und
Methoden der Operation bei Myomen. Er legt grosses Gewicht auf
den schädlichen Einfluss der Myome auf das Herz und auf die
Adnexe. Er empfiehlt den vaginalen Weg; die Blutstillung ist leicht
und häufig genügt die Enukleation.
Es folgte ein Vortrag von Edge über abdominale Hysterektomie,
von Cameron über ungewöhnlich gelagerte Myome, von K e r r
über Ruptur des Uterus und von Parsons über 100 konsekutive
Laparotomien.
Abteilung für Hygiene: N e w s h o 1 m e - Brighton eröffnete ein'e
Diskussion über die Notwendigkeit der Koordination des ärztlichen
Dienstes. Heutzutage werden die Krankheiten mit ganz ungenügenden
Waffen bekämpft, Armenärzte und Kassenärzte, freiwillige Hospitäler
und staatliche Anstalten sind nicht genügend organisiert, arbeiten oft
direkt gegeneinander und sind meist überbürdet. Die Aerzte sind
ungenügend bezahlt und die Kranken werden ungenügend behandelt.
Er verlangt staatliche ärztliche Hilfe nach Art der freien Erziehung.
Zahlreiche Aerzte nahmen an der Diskussion teil und sprachen sich
in der Mehrzahl für die Schaffung eines freien, vom Staate bezahlten
ärztlichen Dienstes aus.
Nachdem H o r d e r einen nur für englische Hörer interessanten
Vortrag über Impfung gehalten hatte, sprach G i 1 c h r i s t - Nizza
über die Notwendigkeit, die Immunität gegen Pocken zu erhöhen.
Redner sprach über die Geschichte der Pocken, über ihre Beziehungen
zu Kriegen und über die zunehmende Indolenz der englichen Re¬
gierung gegen diese Fragen. Unter diesen Umständen muss der ein¬
zelne darauf bedacht sein, durch mehrfache Revakzinationen mit
guter Lymphe seinen eigenen Schutz gegen die Erkrankung zu er¬
höhen.
Die Diskussion beschäftigt sich besonders mit der Stellung und
Bezahlung des öffentlichen Impfarztes in England.
Dann sprach Kenwood - London über Kindersterblichkeit und
Milchversorgung.
Redner verlangt, dass die Milch an der Ursprungsstelle
rein ist; er erwartet nicht viel von staatlicher Beaufsichtigung,
sondern nur von dem Druck, den der Konsument auf den Produ¬
zenten ausüben kann. Städtische Milchdepots haben nur dann einen
Nutzen, wenn sie mit Konsultationen für Säuglinge verbunden sind.
Alle Plätze, in denen Milch aufbewahrt und verkauft wird, müssen
jährlich registriert werden und sollen unter ständiger Aufsicht stehen;
Milchkühe" sollen ebenfalls beaufsichtigt werden; tuberkulöse Kühe
sollen gegen angemessene Entschädigung geschlachtet werden. Er
glaubt, dass sterilisierte Milch nicht so schädlich ist, wie vielfach
behauptet wird.
R o u 1 1 e y sprach über die Verunreinigung der Milch im Hause.
In Aldershot, dem Lagerplatz der englischen Armee gibt es eine
militärische Bevölkerung von 19 000 und eine Zivilbevölkerung von
15 000. Beide erhalten ihre Milch von derselben Ouelle. Trotzdem
ist die Kindersterblichkeit (namentlich an Durchfall) viel geringer
beim Militär, was Redner auf die gesunderen Wohnungsverhältnisse
'zurückführt. Er glaubt, dass die Milch (soweit nicht Tuberkulose in
Frage kommt) meist erst im Hause des Konsumenten verunreinigt
wird.
S t a r k e y - Montreal sprach über die ökonomische Behandlung
der Fäkalien in ländlichen Bezirken. Er verwirft die einzelnen Abort-
gruben und die Trennung der flüssigen und festen Fäkalien und be¬
schreibt die Erdbehandlung 'der Fäkalien, wie er sie auf dem Lande
in Kanada eingeführt hat. . _
Dann sprach T i d s w e 1 1 - Torquay über die Gefahren des la-
bakrauchens und -Kauens. Er glaubt, dass die ganze Volksmenge
durch den Tabakmissbrauch (besonders auch das Zigarettenrauchen
der Kinder) degeneriert und verlangt, Knaben und Mädchen sollen
schon frühzeitig das Versprechen geben, nie zu rauchen, da ein
Mensch, der das Rauchen einmal angefangen hat. es doch nur sehr
schwer wieder lassen kann. Andere Redner traten für den massigen
Gebrauch des Tabaks ein. , . T
McWalter glaubt sogar, dass das Rauchen gegen die In¬
fektion mit Tuberkulose schütze. . ,. ,.
Derselbe Redner sprach über 'die Verwesung, er verwirft die
jetzigen Methoden der Bestattung und empfiehlt, alle Leichen vor
der Beerdigung mit Formalin zu desinfizieren.
Abteilung für Psychologie: Claye Shaw, der Vorsitzende, ei-
iffnete die Sitzung mit einem Vortrag, in dein er die
n der Behandlung der Geisteskrankheiten beleuchtete. Er 'verla ngt
lie Schaffung von Krankenhäusern für Geisteskranke an SteUe der
\svle- ebenso die Schaffung von Polikliniken. Ei spncht dann
iber die mit diesen Anstalten verbundenen Lab,^at°^ U^e„
lie notwendige Abänderung der Gesetze über die Beliaiu te
dnnender Geisteskrankheiten. Er bedauert. dass ,1IPni,epr.,n^hw‘ •
3 eginn Narkotika und Sedativa gegeben werden und fordert zu wei-
1854
MUENCHFNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
teren Studien über den Einfluss des Alkohols auf die Geisteskrank¬
heiten auf.
Dann sprach Mott über Irrsinn und Alkohol. Redner hat bei
seinen sehr zahlreichen Sektionen an Geisteskranken nur 1 mal einen
Fall von alkoholischer Leberzirrhose gefunden. Er zeigt, dass die
Statistiken der Irrenhäuser in Bezug auf den Zusammenhang zwischen
Alkoholismus und Irrsinn wenig zuverlässig sind. Delirium tremens,
mania a potu und polyneuritische Psychose werden in Irrenhäusern
nicht sehr häufig gesehen. Alkoholische Psychosen kann man ein¬
teilen in solche mit einem Locus minoris resistentiae im Nerven¬
system und in solche, in denen chronischer Alkoholismus mit Sy¬
philis, Toxämie, Arteriosklerose, Verletzungen oder organischen Er¬
krankungen des Gehirns zusammen besteht. Mott glaubt, dass Al-
Kohol als Ursache des Irrsinns lange nicht so häufig ist als nach den
Statistiken behauptet wird. Die ländlichen Bevölkerungen haben die.
grösste Armut und die meisten Irren, dabei aber viel weniger Al¬
koholiker als die Bevölkerung die in Fabriken, Minen und auf dem
Meere lebt, bei der aber die Verhältnisse gerade umgekehrt liegen.
M e r* c i e r - London glaubt, dass es nicht die Menge des Al¬
kohols ist, sondern der kräftigere oder schwächere Organismus auf
den er wirkt.
White- London glaubt, dass Alkoholismus oft das erste Zeichen
beginnender Psychose ist.
Auch Macdonald - Dorchester bestreitet die grosse Bedeu¬
tung des Alkohols für die Entstehung der Geisteskranken.
Andere Redner, wie Robertson, Yellowless, Oswald,
betonen dagegen die grosse Rolle, die der Alkohol in der Entstehung
des Irrsinns spielt.
Anderson- Galway und E 1 d r i d g e - Green bezeichnen den
Alkohol als eines der besten therapeutischen Hilfsmittel bei Er¬
müdungszuständen des Gehirns und der Muskeln.
Auch der Physiologe Halliburton tritt für den Alkohol ein
und wendet sich gegen die Uebertreibungen der Abstinenzler, von
dienen S c h o f i e 1 d behauptet, dass sie alle Fanatiker seien.
Rivers- Cambridge befürwortet den mässigen Gebrauch des
Alkohols, den er besonders bei geistiger Ermüdung anwenden will.
Dann sprach M e r c i e r über Periodische Demenz. Er betont
den Zusammenhang zwischen periodischem Verlust der Psyche (De¬
mentia) mit doppeltem resp. wechselndem Bewusstsein und epilepti¬
schen Zuständen. Diese Fälle werden durch antiepileptische Be¬
handlung gebessert.
Y e 1 1 o w 1 e s s und andere Redner verwerfen die Ausdehnung,
die Mercier dem Begriffe Demenz gibt.
Dann sprach P e t e r s o n - NewYork über den Galvanometer
als Messer für die Gemütsbewegungen. Er berichtet ausführlich über
Versuche, die er im Züricher Laboratorium angestellt hat und aus
welchen hervorzugehen scheint, dass der Galvanometer unabhängig
vom Willen des Untersuchten den Tonus der Gemütsbewegungen
anzeigt.
Dann berichtete Robertson noch über seine bakteriologischen
Untersuchungen bei Dementia paralytica. Er und seine Kollegen
glauben in einem dem Diphtheriebazillus ähnlichen Organismus, den
sie aus Blut und Zerebrospinalflüssigkeit von Paralytikern rein züchten
konnten, die Ursache der Erkrankung gefunden zu haben.
Candler, der die Versuche nachgeprüft hat, ist dagegen zu
absolut negativen Resultaten gekommen.
Die letzte Sitzung brachte eine Diskussion über Hypnotismus.
Woods hat sich seit 1892 mit Hypnotismus beschäftigt und
2076 Kranke damit behandelt. 1578 wurden geheilt. 293 gebessert,
205 blieben unbeeinflusst. 881 Fälle waren Geisteskranke (mit Ein¬
schluss der Grenzfälle von Neurasthenie, Hysterie etc.). 118 Fälle
von Melancholie ergaben 80 Heilungen, 44 Fälle von Manie 20; 28
Fälle von „Lampenfieber“ 23 Heilungen. Redner beschreibt genauer
seine Methode, den hypnotischen Schlaf wendet er fast nie an; meist
genügen Wachsuggestionen. Von 10 Fällen von Schreibkrampf ge¬
nasen 6, von 65 Fällen von Dyspepsie 59, von 41 Fällen von Neuritis
27; von 10 Fällen von Gicht 7 und von 140 Fällen von Neuralgie 114.
Die Mehrzahl der Redner, die sich an der Diskussion beteiligten,
betonen den Nutzen des Hypnotismus in der Therapie.
Robertson ist von der Anwendung der Hypnose mehr und
mehr bei Irrsinnigen zurückgekommen.
Dann sprach S c h o f i e 1 d über den Unterricht in der Psy¬
chiatrie, der sehr verbesserungsbedürftig ist.
Schluss folgt. J. P. zum Busch - London.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
SocietS medicale des höpitaux.
Sitzung vom 19. Juli 1907.
Comby bringt 53 weitere Beobachtungen, welche er an
Kindern seiner Abteilung mit Roux schem und C a 1 in e 1 1 e schem
Tuberkulin in der Lösung von 1:200 gemacht hat. Eine Anzahl aus¬
geführter Autopsien ermöglichen die Bestätigung des diagnostischen
Wertes der Augenreaktion, welche ein sicheres und unschädliches
Mittel zur Aufdeckung latenter Tuberkulose ist.
Henri D u f o u r und Brusle haben bei Kindern die Augen-
und Hautreaktion angewandt und vollkommene Uebereinstimmung
zwischen diesen beiden klinischen Beweismitteln konstatiert. Sie
stellen den diagnostischen Wert beider Verfahren und deren Un¬
schädlichkeit ausdrücklich fest. Mit der Dosis von 2 Tropfen haben
sie bei gesunden Personen keinerlei Reaktion beobachtet.
Sitzung vom 26. Juli 1907.
Q u e y r a t bespricht die Behandlung der Arthritis
blennorrhagica und schlägt folgenden Modus vor: Punktion
des Gelenks, Pointes de feu- frühzeitige passive Bewegung, weicne
im Allgemeinen vier läge nach der Punktion und mittelst eines
speziellen Apparates ausgetührt wird. Qu. hat durch Punktion aus
dem Kniegelenk den Gonokokkus gewonnen. St.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Abteilung für freie Arztwahl des ärztlichen Bezirksvereins
München.
Sitzung v o m 6. September 1907.
Der Vorsitzende, HeVr F. Bauer, eröffnet um 8Vz Uhr die
Sitzung. Eingelaufen ist ein Gesuch von Dr. Stöger in Planegg
um teilweise Erlassung der Karenzzeit. Der Vorsitzende will sich
entsprechend einem Beschluss der Abteilung erkundigen, ob in Planegg
ein Bedürfnis nach sofortiger Einführung eines Mitgliedes der Ab¬
teilung besteht. Ferner stellt Dr. Rascher, der als angestellter
Arzt des Naturheilvereins nicht Mitglied des ärztlichen Bezirksvereins
sein kann, das Ersuchen um Aufnahme in die Abteilung. Gleichzeitig
hat der Naturheilverein dieses Gesuch durch ein Scnreiben an die
Ortskrankenkasse unterstützt, in dem die Bedürfnisfrage bejaht wird.
Herr Küster mann betont, dass jener Verein seinen Mitgliedern
unentgeltlich ärztlicheHilfe durch den Vereinsarzt gewähre, dieser also
fest angestellter Arzt sei. Herr Höflmayr hebt hervor, dass es
eine Naturheilmethode ausserhalb des Rahmens der mit physikalisch-
diätetischen Heilmethoden arbeitenden Medizin nicht gibt. Demnach
bestehe keine Bedürfnisfrage. Er beantragt Uebergang zur Tages¬
ordnung, was geschieht. Ein Zusatzvertrag der Militärkranken¬
kasse, der auf der Mindesttaxe basiert und sich auf die Behandlung
der kamilien der Kassenmitglieder bezieht, wird angenommen. Die
Krankenkasse des Kaufmännischen Vereins Frank¬
furt a. M. hat laut Mitteilung eines Kollegen die Bezahlung von
Liquidationen abgelehnt, die höher lauten als die Mindesttaxe. Sie
hat ferner in solchen Fällen die Patienten angewiesen einen anderen
Arzt aufzusuchen, der bil'iger sei. Herr Scholl betont, dass man
bei solchen Kassen, die keinen Vertrag mit der Abteilung haben, nicht
zur Minimaltaxe liquidieren soll, ferner dass mit der neuzugründenden
Kranken- und Sterbekasse München Verträge von Mitgliedern der
Abteilung selbstverständlich nicht abgeschlossen werden dürfen.
Der Vorsitzende berichtet über Besprechungen, die mit
der Vorstandschaft der Ortskrankenkasse stattgefunden haben. Diese
Kasse will nunmehr für Benützung von Operationssälen in Privat¬
kliniken 5 — 10 Mk. zahlen. Als Delegierte der Abteilung zum Zwölfer¬
ausschuss wurden die Herren Bauer und Schwertfeiner, als
Ersatzmänner die Herren Cohn und Einhorn gewählt. Herr
Stern feld bringt eine von 7 Kollegen Unterzeichnete Inter¬
pellation betreffend die Stellungnahme der Abteilung zur kürzlich
erschienenen Erklärung der Bahnärzte, durch die Mitglieder der Ab¬
teilung für freie Arztwahl zur Stellungnahme gegen deren Ein¬
führung veranlasst werden. Die Interpellation wird vorläufig zurück¬
gestellt und am Schluss der Sitzung auf die nächste vertagt. Herr
Scholl lenkt die Aufmerksamkeit der Mitglieder auf die am 24. Sep¬
tember stattfindende Alkoholausstellung im Arbeitermuseum, in der
Führungsvorträge durch Aerzte gehalten werden sollen. Herr Höfl¬
mayr beschwert sich darüber, dass der Vertrauensarzt der Ge¬
meindekrankenversicherung durch Kontrolle von Moorbäderverord¬
nungen sich Eingriffe in seine Therapie erlaube, ferner dass er eine
Patientin als arbeitsunfähig ins Krankenhaus eingewiesen habe, was
zu den Kompetenzen des behandelnden Arztes gehöre. Im Verlauf
der Diskussion, an der sich die Herren Bauer, Kustermann.
Einhorn und Höflmayr beteiligen, wird der Briefwechsel zwi¬
schen Herrn Höflmayr und der Vorstandschaft, sowie der Ver¬
waltung der Gemeindekrankenversicherung, an die sich Herr Höfl¬
mayr direkt gewandt hat, verlesen. Letzterer bestreitet der Kasse
das Recht, Bäderverordnungen begutachten zu lassen, die sie nur
abzustempeln habe. Die Kassenbeamten dagegen suchen die Begut¬
achtung des Vertrauensarztes bisweilen als Deckung, um nicht per¬
sönlich zur Begleichung von Unkosten herangezogen zu werden. Be¬
züglich der Kontrolle kann die Kassenverwaltung die Beschlüsse
der Abteilung ignorieren. JJerr Höflmayr verlangt eine Aeusse-
rung der Versammlung wegen der Kompetenzüberschreitung, die sich
der Vertrauensarzt durch die Krankschreibung der Patientin zu
Schulden kommen liess. Er verlässt aber, bevor eine solche zu¬
stande kommt, demonstrativ den Saal, nachdem die Diskussion be¬
dauerlicherweise einen persönlichen Charakter angenommen hat. Herr
P e r u t z wünscht, dass die Vorstandschaft die Angelegenheit weiter
verfolge.
Als Punkt 2 der Tagesordnung wurde die Berufung eines
Kollegen gegen die von der Vorstandschaft über ihn verhängte vier¬
monatliche Suspension behandelt. Ueber die Verfehlungen erstattet
10. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Herr Scholl das Referat. Er führt aus,, dass der Kollege im ersten
jahr seiner Niederlassung die grösste Kassenpraxis unter den hiesigen
Aerzten erreicht hat. Seine Krankenlisten sind aber seit Einführung
der Bezahlung nach Kopfzahl so ungenau geführt, dass der Eindruck
entsteht, es werde infolge dieses Bezahlungssystems die Behandlung
der Kranken vernachlässigt, da Einzelleistungen nicht eingetragen
sind. Dagegen wurden die letzteren bei Innungskassen, welche sie
bezahlen, genau gebucht. Auffallend ist ferner die grosse Zahl der
Ueberschreibungen von einem Quartal ins andere mit nur einer' Einzel¬
leistung. Bei Nachuntersuchungen angeblich Arbeitsunfähiger wur¬
den von der Krankenkontrolle 78 Proz. der Patienten (gegenüber 68
Proz. aus der Praxis der übrigen Aerzte) abgeschrieben. Die Arznei¬
mittelkommission sah sich schon einmal zur Verhängung einer Strafe
veranlasst, da die Rezeptkosten des Kollegen die Durchschnittskosten
um Mk. 1.05 pro Rezept übersteigen. Der Grund hierfür liegt in
ungeschickter Verordnungsweise und unnötiger Verwendung teurer
Arzneimittel oder grosser Quantitäten, z. B. erhielt eine Patientin in
6 Tagen 1,5 Liter Liquor ferri. Eine Kasse beschwerte sich über
die Verdoppelung ihrer Arzneikosten durch dieses Vorgehen. Aus den
Darlegungen des Kollegen, der seine Fehler im allgemeinen zugibt,
geht "hervor, dass seine Buchführung aus verschiedenen privaten
Gründen im Anfang dieses Jahres eine sehr unordentliche gewesen
ist, wodurch sich die obigen Erscheinungen in den Listen erklären.
Der betreffende Kollege ist durch Erkrankung und Wegzug mehrerer
Aerzte plötzlich zu einer Praxis gekommen, die ihm über den Kopf
wuchs. Seine mangelnde Erfahrung in kassenärztlichen Angelegen¬
heiten, besonders auch bezüglich der Arzneikosten, hat die Ver¬
fehlungen grösstenteils verschuldet. An der Diskussion über diese
Angelegenheit beteiligen sich die Herren Krecke, F.Loeb.Kre s s,
Einhorn, Lukas, Neusta dt, S te r n f e 1 d, Ludwig Fi i-
scher, der Vorsitzende sowie Frau Dr. Adams-Lehmann.
Obwohl alle Diskussionsredner den Verfehlungen des Kollegen gegen¬
über gerne Milde walten lassen möchten, so ist man doch nicht ge¬
neigt, den einstimmigen Beschluss der Vorstandschaft zu desavouieren.
Eine 'bedingte Verurteilung ist leider statutarisch unmöglich: Durch
Verschwendung des Kassenvermögens aber wird das System der
freien Arztwahl so geschädigt, dass man ein Einschreiten für nötig
erachtet — insbesondere einem Arzt gegenüber, der seine Praxis ganz
diesem System zu danken hat — , nachdem eine Regresspflicht nicht
besteht. Die Berufung wurde am Schlüsse der Diskussion zurück¬
gezogen. Der Vorsitzende hebt die Verantwortlichkeit der Vor¬
standschaft besonders hervor und betont, dass er in seinen Bestre¬
bungen für die freie Arztwahl vorsichtiger geworden sei, seit er an
verantwortlicher Stelle stehe.
Zum Schlüsse wurde ein Vortrag genehmigt, laut welchem die
Abteilung das Eigentumsrecht auf die „Anleitung zu ökonomischer
Verordnungsweise“ von den Herren Carl, Einhorn, Götz und
Kustermann erwirbt, die ihrerseits Herrn Oberapotheker Dr.
Rapp für seine liebenswürdige Mithilfe entschädigen. Schluss der
Sitzung 11% Uhr. Anwesend: 82 Mitglieder und 1 Gast.
Nadoleczny.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 9. September 1907.
— In der wiederholt in .dieser Wochenschrift besprochenen Frage,
ob der praktische Arzt ohne zahnärztliche Appro¬
bation sich „Spezialarzt für Zahn - und Mundkrank¬
heit e n“ nennen darf, liegt jetzt ein reichsgerichtliches Urteil
vor. Bekanntlich hat der Verein approbierter Zahnärzte in Dresden
gegen den Arzt Dr. Breitbach, der ohne als Zahnarzt approbieit
zu sein, in Dresden eine umfangreiche zahnärztliche Praxis ausübt,
Klage aus § 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wett¬
bewerbes erhoben und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die
Führung des Titels „Spezialarzt für Zahn- und Mundkrankheiten“ zu
unterlassen. Das Landgericht in Dresden hatte Dr. Breitbach
in diesem Sinne verurteilt, das Oberlandesgericht in Dresden wies auf
Berufung des Beklagten die Klage unter Abänderung des landgericht¬
lichen Urteils kostenfällig ab und das vom Kläger nunmehr ange¬
rufene Reichsgericht hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und
verwies die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an
einen anderen Senat des Berufungsgerichtes. Das Reichsgericht nimmt
bei der Zulassung der Revision mangelhafte Begründung des Be¬
rufungsurteils an. Es sei aus der Begründung nicht zu ersehen, ob
der vom Landgericht geltend gemachte Tatbestand, dass der Beklagte
die Zahnheilkunde in ihrem ganzen Umfange ausübe, dass er eine Poli¬
klinik für Zahn- und Mundkrankheiten betreibe, dass er Aerzte, Zahn¬
ärzte und Studenten in der Zahnheilkunde ausbilde u. dgl., genügend
gewürdigt worden sei. Diese Tatsachen könnten von Bedeutung sein
für den Sinn, in welchem das Publikum die Bezeichnung „Spezial¬
arzt für Zahn- und Mundkrankheiten“ auslege. Mit dem reichsge¬
richtlichen Urteil ist eine Entscheidung der strittigen Frage noch nicht
getroffen; diese liegt vielmehr wieder beim Oberlandesgericht, das
den Fall von neuem frei zu würdigen hat. Das Reichsgericht scheint
aber doch der Ansicht gewesen zu sein, dass die Art des Betriebes
des Beklagten, die Unterhaltung einer Poliklinik, die Ausbildung von
Schülern, die Beschäftigung von Hilfskräften etc. von Bedeutung für
die Beurteilung sei, da aus diesen Umständen das Publikum vielleicht
1855
schliessen könne, die streitige Angabe besage, der Beklagte sei
approbierter Zahnarzt. Wenn dies die Auffassung des Reichsgerichtes
ist, so muss ihr ärztlicherseits widersprochen werden. Für den ge-
danken- und urteilslosen Teil des Publikums ist jeder, der sich mit
der Behandlung von Zähnen befasst, ein Zahnarzt; dieser Teil des
Publikums unterscheidet auch nicht zwischen Zahn techniker und
Zahnarzt. Wenn die Meinung dieses Teiles des Publikums aus¬
schlaggebend sein soll, dann müsste auch die Bezeichnung Zahn¬
techniker, ja das blosse Aushängen eines Kästchens mit Zahnersatz¬
stücken untersagt werden, weil auch dadurch bei manchen der Glaube
erweckt werden kann, dass da ein Zahnarzt wohne. Tatsächlich
würde nach obiger Auffassung ein Zahjiheilkunde ausübender Arzt
schlechter gestellt sein als jeder Zahntechniker, der sich ungehindert
dem Publikum für die Behandlung seiner Zähne anbieten kann, wäh¬
rend dies dem Arzt in Zukunft fast unmöglich gemacht würde, wenn
Dr. B r e i t b a c h in seinem Rechtsstreit unterläge. Damit aber
würde der Sinn des Gesetzes in sein gerades Gegenteil verkehrt
werden. Denn der Zweck der betreffenden Bestimmungen der Ge¬
werbeordnung ist offenbar nicht der, die Zahnheilkunde von der durch
die ärztliche Approbation gewährten Berechtigung zur Ausübung der
Heilkunde im weitesten Umfange auszunehmen, was doch keinen Sinn
hätte, da die Zahnheilkunde gerade der mit der geringsten Verant¬
wortlichkeit verbundene Zweig der ärztlichen Tätigkeit ist, sondern
vielmehr der, der Bevölkerung durch Schaffung besonderer Zahnärzte
Gelegenheit zu ausreichender zahnärztlicher Hilfe zu gewähren und
sie gleichzeitig gegen das Pfuschertum auf diesem Gebiete zu schützen.
Wenn schon der Wortlaut der Gewerbeordnung dem Arzte die
Führung des Titels Zahnarzt verwehrt, so sollten im Hinblick auf den
unzweifelhaften Sinn des Gesetzes die einschränkenden Bestim¬
mungen den Aerzten gegenüber eine liberale Auslegung finden, wie
dies auch seitens des 10. Zivilsenats des Dresdener Oberlandesge¬
richtes geschehen ist. Den zahnärztlichen Vereinigungen aber würde
es besser anstehen, sich gegen das üppig wuchernde Zahntechniker-
tum zu wenden, als die durchaus legitime Ausübung der Zahnbeil¬
kunde durch approbierte Aerzte als „unlauteren Wettbewerb“ zu be¬
kämpfen.
— Die Geschäftsordnung der preussischem
Aerztekammern hat durch Verordnung vom 8. Juli 1. J. eine
Abänderung dahin erfahren, dass „die Wahl durch Zuruf erfolgen kann,
wenn von keiner Seite Widerspruch erhoben wird".
— Wie uns aus Dresden geschrieben wird, sind die Differenzen
der Assistenzärzte der städtischen Heil- und Pflegeanstait mit der
Verwaltung (s. No. 34 d. W.) durch die entgegenkommende Inter¬
vention des Rates der Stadt beseitigt worden. Daraufhin haben die
beteiligten Herren sämtlich ihre Entlassungsgesuche wieder zurück¬
gezogen.
— Im September 1907 sind 4 Jahrzehnte verflossen, seitdem
A. K u s s m a u 1 die Sonde in die Therapie der Magenkrankheiten
eingeführt hat (4L Naturforscherversammlung 1867 zu Frankfurt a. M.).
Wie wir hören, beabsichtigt die innere Klinik zu Freiburg i. Br. (Gell.
Rat B ä u m 1 e r) diese für die Therapie wie für die Diagnostik gleich
bedeutsame Tat zu feiern durch die Errichtung eines Denkmals
von Kussmaul vor dem klinischen Hospital. Ein Aufruf zur
Anteilnahme an diesem Werke wird Mitte Oktober erfolgen.
— Einer Anregung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten folgend, sollen an den Berliner und Char¬
lottenburger Gymnasien in Zukunft regelmässig für die zur Entlassung
kommenden Abiturienten Vorträge über Hygiene, insbesondere sexuelle
Hygiene von Aerzten gehalten werden. Auch vor Fortbildungsschülern
sollen auf Grund des Erlasses des Handelsministers Belehrungen über
die Gefahren des Geschlechtslebens und der Geschlechtskrankheiten
stattfinden.
— Ueber die Osiris-Erbschaft des Institus Pa¬
steur enthält die Internationale Wochenschrift für Wissenschaft,
Kunst und Technik einige nähere Mitteilungen. Danach hat der
kürzlich im Alter von 82 Jahren verstorbene Bankier Osiris ein
Vermögen von 46 Millionen Fr. hinterlassen, die Erbschaftssteuer wird
etwa 6 Millionen Fr. betragen, das Pasteurinstitut ist zum Universal¬
erben eingesetzt und wird nach Abzug einer Reihe von Legaten in
etwa zwei Jahren — so lange dürfte die Abwicklung dauern in
den Besitz von etwa 30 Millionen Fr. gelangen. Die Zuwendung'
ist ein besonderes Verdienst des Direktors, des berühmten Bak¬
teriologen E. Roux. Osiris gehörte nicht, wie der Fernstehende
glauben möchte, zur Hochfinanz. Er entstammte einer sehr beschei¬
denen jüdischen Familie in Bordeaux, hatte als Angestellter eines Bank¬
hauses in den letzten Jahren des zweiten Kaiserreiches durch ge¬
schickte Börsengeschäfte sein Vermögen erworben und als reicher
Mann die einfache Lebenshaltung beibehalten; sein Kapital hat sich
in den letzten Jahren verfünffacht. Er war lange als Philanthrop
und Mäzen bekannt. Der Staat verdankte ihm das in ein napoleoni-
sches Museum umgewandelte Schloss Josephinens La Malmaison,
Paris die Musset-Statue von Mercie, seine Glaubensgenossen die
Synagoge in der Rue Buffault. Für die Wissenschaft stiftete er den
alle drei Jahre zu verteilenden 100 000 Fr.-Preis für eine wichtige
Entdeckung oder ein hervorragendes Werk. Es haben ihn u. a. Albei t
Sorel, Frau Curie zusammen mit dem Ingenieur Br au ly und
auch E. R o u x erhalten. Dieser, der in den einfachsten Verhältnissen
lebt, hatte die ganze Summe seinem Institut überwnesen zum Aii\aui
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1856
von Menschenaffen für das Studium der Syphilis. Es ist auf diese
Weise die Ucbertragbarkeit der Syphilis auf den Affen entdeckt wor¬
den. Die uneigennützige Verwendung des Preises durch Roux ver-
anlasste Osiris, das Institut zum Universalerben einzusetzen, nicht
den Staat, wie er zuerst wollte. Der Staat erbt die Kunstsamm¬
lungen des Verstorbenen. Osiris, dem man es nicht verzeihen
wollte, dass er bei seiner früheren schlichten Lebensweise blieb, hat
oft Vorwürfe und Spöttereien über seinen Geiz gehört. Auf solche
Angriffe bemerkte er: „Es erfüllt mich mit Befriedigung, dass dieser
Geiz den Unglücklichen zu Gute kommt, und dass ich für Arme und
Elende gearbeitet habe“.
— Die Landesversammlung pro 1907 des Bayerischen Me¬
dizinalbeamtenvereins, deren diesjähriges Hauptberatungs¬
thema die Reform des bayerischen Medizinalwesens, Vorbildung und
dienstliche Stellung der Amtsärzte betrifft, findet am 13. Oktober in
München statt.
— Der IV. Kongress für Klimatotherapie und
Städtehygiene wird in Biarritz vom 20. — 25. April 1908 (Oster¬
woche) unter dem Präsidium des Prof. P i t r e s (Dekan der med.
Fakultät von Bordeaux) stattfinden.
— Ein Dr. James Silberstein in Wien sucht für ein von
ihm herauszugebendes Lexikon der Kurorte und Heil¬
anstalten Annoncenaufräge zu erhalten. Wie von der Firma
Anton A. Salzger in Wien, Herausgeberin eines Illustrierten Lexi¬
kons der Bade-, Brunnen- und Luftkurorte etc. festgestellt wurde, ist
ein Dr. James Silberstein in Wien nicht gemeldet, Bestellungen
auf das Lexikon blieben unbeantwortet. Es scheint daher Vorsicht
dem genannten Unternehmen gegenüber am Platze zu sein. Vermut¬
lich handelt es sich um denselben James Silberstein, der be¬
kannt dafür ist, dass er gegen Bezahlung die Empfehlung von Arznei¬
mitteln und Nährpräparaten in scheinbar wissenschaftlichen Artikeln
übernimmt.
— Dem dirigierenden Arzt der chirurgischen Abteilung am städti¬
schen Krankenhause zu Wiesbaden, Dr. Max Landow, dem Stabs¬
arzt ä la suite der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, Dr. med.
F ii 1 1 e b o r n in Berlin, dem Spezialarzt für Hautkrankheiten, Dr.
Karl To u ton in Wiesbaden und dem praktischen Arzt Dr. med.
Waldemar Ammann in Wilmersdorf bei Berlin ist der Professor¬
titel verliehen worden, (hc.)
— Dem Gründer der Eichsfeldischen medizinischen Gesellschaft,
Kreisarzt, Geheimen Medizinalrat Dr. Koppen in Heiligenstadt,
wurde anlässlich seines goldenen Doktorjubiläums der Rote Adler¬
orden dritter Klasse mit der Schleife verliehen, (hc.)
— Medizinalrat Dr. Burkard in Bamberg, langjähriger Vor¬
stand der Kgl. Hebammenschule und Entbindungsanstalt, feierte am
5. dieses Monats seinen 80. Geburtstag.
— Von Prof. Forels gemeinsam mit A. Mahaim heraus¬
gegebenen Schrift „Crimes et anomalies mentales constitutionelles“
(Genf 1901, bei H. Kündig) ist jetzt eine deutsche Uebersetzung
im Verlage von Ernst Reinhardt in München erschienen (Ver¬
brechen und konstitutionelle Seelenabnormi¬
täten, übersetzt von F. Jahn).
— Cholera. Russland. In der Stadt Astrachan sind am 22.,
23., 24. und 25. August an der Cholera 213 Personen erkrankt und 61
gestorben; seit Beginn der Seuche kamen im ganzen 354 Erkrankungen
und 123 Todesfälle dort vor. Die Gesamtzahl der in der Stadt Samara
bis zum 25. August festgestellten Choleraerkrankungen war aut 202,
der Todesfälle auf 92 gestiegen. Zufolge einer Drahtnachricht vom
31. August ist in Moskau ein Fall von Cholera bei einem von auswärts
— angeblich aus Saratow — gekommenen Kranken bakteriologisch
festgestellt worden.
— Pest. Aegypten. Vom 17. bis 24. August wurden 7 neue
Erkrankungen (und 4 Todesfälle) an der Pest festgestellt. — Britisch-
Ostindien. In Moulmein sind vom 7. bis 27. Juli 42 Personen der
Pest erlegen.
- Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 18. bis
24. August sind 25 Erkrankungen (und 14 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 34. Jahreswoche, vom 18.— 24. August 1907, hatten
von deutschen Städten über 40000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Zabrze mit 35,9, die geringste Remscheid mit 6,3 Todesfällen pro
Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Masern und Röteln in Kolmar, an Diphtherie und Krupp in
Altenessen, an 'Unterleibstyphus in Halberstadt. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Der Charakter als „Geheimer Medizinalrat“ wurde
den ordentlichen Professoren an der hiesigen Universität Dr. med.
Otto Hildebrand, Direktor der chirurgischen Klinik und Poli¬
klinik im Charitekrankenhause und Dr. med. Wilhelm H i s, Direktor
der ersten medizinischen Klinik, verliehen, (hc.) — Privatdozent
Dr. Schittenhelm, Assistent der Klinik Kraus, wurde zum Pro¬
fessor ernannt. — Dem Direktor der chirurgischen Abteilung am Ru-
dorf-Virchow-Krankenhause in Berlin, Dr. med. Otto Hermes wurde
der Professortitel verliehen, (hc.)
Göttingen. Der Privatdozent für innere Medizin und Ober¬
arzt an der medizinischen Klinik, Dr. med. Rudolf S t a e h e 1 i n, dem
erst dieser Tage das Prädikat Professor verliehen wurde, folgt zum
1. Oktober d. J. seinem Chef, Prof. H i s, in gleicher Eigenschaft
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von
an die erste medizinische (v. Leyde n sehe) Klinik im Charite¬
krankenhause in Berlin; er tritt hier an Stelle von Prof. Dr. A. La¬
zarus. (hc.) Prof. Dr. Hirsch, Direktor der medizinischen Poli¬
klinik in Freiburg hat den Ruf als Ordinarius für innere Medizin
und Direktor der medizinischen Poliklinik angenommen.
Greifswald. Der a. o. Professor und erste Assistent bei
Prof. Hess an der Würzburger Augenklinik, Dr. med. Paul Römer
hat einen Ruf als ausserordentlicher Professor und Direktor der
Augenklinik an der hiesigen Universität an Stelle von Prof. L. Heine
erhalten und wird demselben zum bevorstehenden Wintersemester
folgen, (hc.)
Halle a. S. Seinen 70. Geburtstag feierte am 7. September der
ordentliche Professor und Direktor der Ohrenklinik und Poliklinik
an der hiesigen Universität, Geh. Med.-Rat Dr. med. Hermann
Schwartze. (hc.)
München. Seinen 70. Geburtstag feierte am 8. September der
a. o. Professor für Dermatologie und Syphilidologie an der hiesigen
Universität Oberarzt der Abteilung für Haut- und syphilitische Krank¬
heiten am städtischen Krankenhause 1. J., Dr. Karl P o s s e 1 1. (hc.)
Tübingen. Amtlich wird die Ernennung des Direktors der
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an den städtischen Kran¬
kenanstalten und ordentliches Mitglied an der Akademie für praktische
Medizin in Düsseldorf, Prof. Dr. Hugo SeLlheim, zum ordent¬
lichen Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der hiesigen
Universität als Nachfolger Döderleins bestätigt, (hc.) — Privat¬
dozent Dr. J. F i n c k h, I. Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik,
ist als Oberarzt an die Irrenanstalt Niederschönhausen bei Berlin
übergesiedelt.
Charkow. Habilitiert: Dr. Petine für Histologie.
Modena. Habilitiert: Dr. Lombardo für Dermatologie und
Syphilis; Dr. V a 1 e n t i für Bakteriologie.
Montreal. Zu Professoren wurden ernannt: Dr. Todd (Pa¬
rasitologie) ; Andrew M a c P h a i 1 (Geschichte der Medizin).
Padua. Habilitiert: Dr. Messedaglia für innere Medizin.
Parma. Habilitiert: Dr. Pelicelli und Dr. Cordero für
Chirurgie.
Pa via. Habilitiert: Dr. Fornaroli für innere Medizin; Dr.
Acconci und Dr. Pinto für Geburtshilfe.
Pisa. Habilitiert: Dr. Marrassini für allgemeine Patho¬
logie; Dr. H. Torri für innere Medizin; Dr. Ferrarini für Chi¬
rurgie.
Rom. Habilitiert: Dr. Giulio Galli für innere Medizin; Dr.
Fossataro für Unfallheilkunde.
Berichtigung. In No. 35 (Kuh n, Vermehrung der roten
und weissen Blutkörperchen durch die Lungensaugmaske etc.) ist
auf S. 1719, Sp. 1, Z. 8 v. u. statt „Blutkörperchen“ zu lesen „Blut-
p 1 ä 1 1 c h e n“.
In das Referat über die Arbeit von Dr. v. Brunn: „Ueber neuere
Methoden der Hautdesinfektion des Operationsfeldes“ (No. 32,
S. 1601) hat sich ein sinnstörender Irrtum eingeschlichen, insofern
es heisst: „5 — 10 Minuten lange Abreibung mit lOprom. Jodbenzin“,
anstatt „1 p r o m. Jodbenzin“. Wir bitten den Druckfehler zu be¬
richtigen.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Heinrich Staedtler, appr. 1906, in
Feuchtwangen.
Gestorben: Dr. Heinr. Schroeder in Feuchtwangen,
60 Jahre alt.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 34. Jahreswoche vom 18. bis 24. August 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 13 (10*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 4 (8), Kindbettfieber — (— ), and. Folgen der
Geburt — (4), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln — (1), Diphth. u.
Krupp 3 (2), Keuchhusten 2 (lj, Typhus 1 (— ), iibertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) 1 (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 3 (3), Tuberkul. d. Lungen 23 (15), Tuberkul. and.
Org. 8 (4), Miliartuberkul. 2 (— ), Lungenentzünd. (Pneutnon.) 7 (7),
Influenza — (— ), and. iibertragb. Krankh. 1 (2), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 1 (1), sonst. Krankh. derselb. 2 (3), organ. Herzleid. 16 (12),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 4 (10), Gehirnschlag
8 (3), Geisteskrankh. 1 (2), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 2 (7), and.
Krankh. d. Nervensystems 3(6), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 32 (38), Krankh. d. Leber 2 (— ), Krankh. des
Bauchfells 2 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 2 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 4 (5), Krebs (Karzinom Kankroid) 15 (10),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 4 (2), Selbstmord 2 (2), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 3 (1), alle übrig. Krankh. 2 (4).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 173 (167). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 16,4 (15,8), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,4 (10,3).
_ *) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
f\ie Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
im Umfang von durchschnittlich 6“-7 Bogen. # Preis der einzelnen
Nummer 80 • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
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strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/, — 1 Uhr. • Für
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
No. 38. 17. September 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. 54, Jahrgang.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. _ * _
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Originalien.
Aus der I. inneren Abteilung (Prof. Dr. Pässler) und der
I. äusseren Abteilung (Geh. Rat Dr. L i n d n e r) des Stadt¬
krankenhauses Friedrichstadt zu Dresden.
Beitrag zur Pathologie und Therapie des alveolären
Lungenemphysems.
Von Prof. H. P ä s s 1 e r, Vorstand der I. inneren Abteilung und
Dr. H. Seidel, II. Arzt der I. äusseren Abteilung.
Beim Emphysem stehen zwei Symptome im Vordergrund
der klinischen Erscheinungen: 1. die Zunahme des Lungen-
volumens und 2. die Veränderung der Thoraxform (fassförmiger
Thorax). Als krankhafte Veränderung hat man lange Zeit nur
die erste Erscheinung, die Ueberausdehnung des Lungen¬
gewebes, angesehen, indem man gleichzeitig dazu neigte, die
Veränderungen am Thorax mehr nur als sekundäre Folge¬
erscheinungen oder zum Teil auch als zufällige Begleiterschei¬
nungen aufzufassen.
Diese heute noch landläufige Auffassung von der Patho¬
logie des Lungenemphysems hat W. A. Freund1) schon vor
'etwa 50 Jahren bekämpft. Auf Grund eingehender Unter¬
suchungen über das anatomische Verhalten der oberen Brust¬
apertur bei verschiedenen Lungenkrankheiten kam er zu der
Ansicht, dass teils angeborene, teils erworbene Anomalien der
Rippenknorpel sehr häufig die Ursache einer abnormen Archi¬
tektur der oberen Brustkorböffnung sind, und dass diese Ab¬
weichungen wieder bei der Entstehung der gewöhnlichsten
Lungenkrankheiten, der Tuberkulose und des Emphysems, eine
hervorragende Rolle spielen. In den letzten Jahren hat
Freund seine anatomischen Untersuchungen über das Ver¬
halten der oberen Thoraxapertur und des Brustkorbs überhaupt
wieder aufgenommen; er konnte seine alten Befunde und
Schlussfolgerungen durchaus bestätigen, teilweise erweitern
und besser stützen besonders auch durch eingehende Unter¬
suchungen C. Harts. Die Resultate F reunds sind zu¬
nächst theoretisch in hohem Masse interessant, versprechen
jedoch auch praktisch bedeutungsvoll zu werden. In
letzterer Beziehung eröffnen sie uns die Aussicht, in gemein¬
samer Arbeit des internen Klinikers und des Chirurgen die
beiden verbreitetsten schweren Lungenkrankheiten mit neuer
Methode und vielleicht mit Erfolg therapeutisch in Angriff zu
nehmen.
Was zunächst die Lungentuberkulose betrifft —
bei der Wichtigkeit des Gegenstandes und bei der sogleich zu
erwähnenden Bedeutung unserer eigenen Beobachtung auch flii
die (Inangriffnahme d i e s e' r Krankheit sei uns die Abschweifung
gestattet — , so hält Freund eine Verkürzung des
ersten Rippenknorpels und die dadurch be¬
dingte Stenose der oberen Brustapertur in
vielen Fällen bei der Entwicklung der tuberku¬
lösen Spitzenaffekt i.on für ätiologisch be¬
deutungsvoll. Die Verkürzung des ersten Rippenknorpels
i) Beiträge zur Histologie der Rippenknorpel im normalen und
pathologischen Zustande. Breslau 1858, und: Der Zusammenhang ge¬
wisser Lungenkrankheiten mit primären Rippenknorpelanomalien.
Erlangen 1859. Beides nach Freund: Ueber primäre Thorax
anomalien, Berlin 1906.
No. 38. - .
führt nach F r e u n d zu Schwerbeweglichkeit, ja selbst zu voll¬
kommener Starre des ersten Rippenringes. Infolgedessen
werden die Lungenspitzen, welche bei vollendetem Wachstum
die Schlüsselbeine weit überragen, eingeengt. Diese Einengung
kann, worauf neuerdings besonders Schmorl2) hingewiesen
hat, bis zu einer deutlichen Furchenbildung an der Lungenober¬
fläche führen. Aus dieser Einengüng resultiert aber weiter eine
geringere respiratorische Ausdehnbarkeit und damit eine ver¬
schlechterte Blut- und Luftzirkulation in den Lungenspitzen.
Dadurch wird nach Freund der locus minoris resistentiae
für die Entwicklung der tuberkulösen Spitzenaffektion ge¬
schaffen. Im Sinne dieser Annahme verwertet Freund
weiter den Umstand, dass er narbige Ausheilung von
Spitzentuberkulosen in solchen Fällen konstatieren konnte, wo
die ursprünglich vorhandene Stenose des ersten Rippenringes
eine Art Kompensierung erfahren hatte, so durch eine besonders
starke Knickung des Angulus Ludovici, oder durch eine be¬
sonders günstige Entwicklung und erhöhte Beweglich¬
keit des zweiten Rippenringes, oder schliesslich
durch eine Pseudarthrosenbildung in dem durch
die Skalenuswirkung frakturierten 1. Rippen¬
knorpel. Wie also durch die Stenose des 1. Rippen¬
ringes eine Prädisposition für die Entwicklung einer Spitzen¬
tuberkulose gegeben sein soll, so soll die „kompen¬
satorisch“ erhöhte Beweglichkeit des zweiten Rippenringes
oder die Pseudarthrosenbildung an der ersten Rippe die Aus¬
heilung einer Spitzeninfektion begünstigen. Auf Grund dieser
Schlussfolgerung fordert F reund logischerweise die ein¬
seitige oder doppelseitige Durchschneidung des ersten Rippen¬
knorpels, sobald sich bei einer auf die Lungenspitzen be¬
schränkten Tuberkulose gleichzeitig Stenose und Unbeweglich¬
keit der oberen Brustapertur findet. Ausgeführt worden ist
diese von Freund geforderte Operation unseres Wissens
bisher nicht. Dass sie aber technisch möglich und durchaus
nicht eingreifend ist, soll unten gezeigt werden. Ob und wie
sich das Prinzip der Mobilisierung der Lunge mit der neuer¬
dings von verschiedenen Seiten (Murphy, Brauer, Ad.
Schmidt) versuchten Ruhigstellung und Kompression der
erkrankten Lunge durch Gaseinblasungen und Oelinjektionen
in den Pleuraraum vereinigen lässt, mag dahingestellt bleiben.
Im Gegensatz zu der die Prädisposition für die Spitzen¬
tuberkulose schaffenden Verkürzung des ersten Rippenknorpels
handelt es sich beim Emphysem um Veränderungen, welche
in der Regel, und zwar meist erst vom erwachsenen Indivi-
iuum, erworben werden.
Freund konnte in vielen Fällen beim alveolaren Lm-
ihysem Veränderungen der Rippenknorpel feststellen, welche
n Zerfaserung, Höhlenbildung, Kalkeinlagerung und damit em-
lergehender Volumenszunahme bestehen. Die Rippenknorpe
lehmen dabei auf dem Durchschnitt eine schmutzigge e ai e
m, werden dicker und deform, spröde, unelastisch, rigide und
assen sich schwerer als in der Norm schneiden. ie _ ei -
Änderungen können sich verschieden entwickeln. Bei der
ersten Form tritt die Entartung lokal, zunächst am 2. und
T Rippenknorpel, und zwar oft auch «ur^einseittig auL il
2) Zur Frage der beginnenden Lungentuberkulose. Münch, med
Wochenschr. 1Ö. Dez. 1901.
1858
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
ganzen Thorax oder kann auch auf einzelne Partien desselben
beschränkt bleiben. Bei der zweiten Form werden alle Rippen¬
knorpel fast gleichzeitig befallen. Beide Male scheint der
erste Rippenknorpel zuletzt zu erkranken (Freu n d, S. 10).
Die zweite Form beobachtet man namentlich im späteren
Lebensalter, während die erste Form hauptsächlich jugend¬
lichere Individuen betrifft.
Die Folgezustände dieser Erkrankung der Rippenknorpel
sind markant. J» nachdem die Knorpel gleichzeitig oder nach¬
einander und in verschiedener Reihenfolge erkranken, drängen
sie durch ihre Volumenszunahme Rippen und Brustbein gleich-
mässig (allgemeine starre Dilatation des Tho-
r ax) oder in verschiedenem Masse und verschiedener Richtung
(partiell fortschreitende starre Thoraxdila¬
tation) nach aussen. Hat die dadurch gegebene Inspira¬
tionsstellung von Rippe und Sternum die mögliche Grenze
erlangt, so wird der sich weiter vergrössernde Knorpel einen
dauernden Spannungszustand am ganzen Thoraxgebäude her-
vorrufen und sich endlich über einen kürzeren Radius stärker
nach aussen beugen. Dies ist nach Fr e u n d der Entstehungs¬
modus des beim Lungenemphysem beobachteten fassförmigen
Thorax und der häufig dafei festzustellenden Verdickungen
und Verbiegungen der Rippenknorpel. Erklärt wird dadurch
auch die von F r eund an der Leiche gemachte Beobachtung,
dass nach Durchschneidung eines solchen Rippenknorpels die
freigewordene Rippe nach unten und innen, also in Exspira¬
tionsstellung, zurückfedert.
Als weiteren Folgezustand der Thoraxstarre betrachtet
Freund die Degeneration des Diaphragmas, das durch die
gedehnte untere Thoraxapertur in dauernder Spannung ge¬
halten wii;d und zunächst einfacher Atrophie, in vorgeschrit¬
tenen Fällen aber brauner, fettiger Degeneration anheimfällt.
Als klinisch wichtigste Folge resultiert aus der Thorax¬
starre in Verbindung mit den oben geschilderten Veränderungen
aber ein alveoläres Emphysem — nicht jedes Em¬
physem, wie Freund ausdrücklich hervorhebt.
Man kann diese Form des Emphysems aus der geschil¬
derten charakteristischen Thoraxveränderung und aus dem
Mangel einer anderen Entstehungsursache (vergl unten) genau
klinisch differenzieren. Der Vorschlag Freunds, durch
Exzision von Rippenknorpelstücken den Spannungszustand der
Thoraxwandungen aufzuheben, die extreme Inspirationsstel¬
lung so zu beseitigen und damit wieder ausgiebige Respirations¬
bewegungen des Thorax zu ermöglichen, erscheint demnach,
wenn man die Richtigkeit der ätiologischen Deduktionen zu¬
gibt, durchaus gerechtfertigt.
Unseres Wissens ist diese Operation bisher zweimal vor¬
genommen worden. Die erzielten Erfolge waren, obwohl
unseres Erachtens beide Fälle durchaus nicht besonders günstig
lagen, entschieden gute. Die beiden Fälle seien hier kurz
wiedergegeben.
1. Fall Kraus - Hildebrand, referiert von W. A. Freund 3).
46 jähriger Mann. 1895 Pneumonie, seitdem zunehmende Atemnot
mit Anfällen von Herzklopfen. Bei der Aufnahme in die Charitee
am 6. Februar 1906 starke Beschwerden. Fassförmiger Thorax.
Kurzer Hals. Unterer Rippenbogen kolossal ausgedehnt. Starke
Beteiligung der Hilfsmuskulatur bei der Atmung. Trotzdem Differenz
des Thoraxumfanges in Höhe der Mammillarlinie bei Ein- und Aus¬
atmung nur 2 cm. Lungen ad maximum gedehnt; .bronchitische Ge¬
räusche. Vitale Lungenkapazität 800. Herz dilatiert. Aktion arrhyth-
misch. Arteriosklerose. Albuminurie und Zylindrurie. Fussödeme.
Leber und Milz herabgedrängt.
8. III. 06. Operation (Hildebrand). Schl eich sehe
Anästhesie. Flachbogenförmiger Schnitt über zweite und dritte rechte
Rippe. Peiktoralis wird abpräpariert. Aus dem 2. und 3. rechten
Rippenknorpel wird je ein etwa lVz cm breites Stück, nach unten zu
keilförmig verjüngt, ausgeschnitten. Sofort nach Durchschneidung
des Knorpels fallen die befreiten Rippen nach ab- und einwärts in
Exspirationsstellung und bewegen sich bei der Atmung in normaler
Weise. Blutung aus den gestauten Venen bei Durchtrennung der
Weichteile nicht unbeträchtlich. Am 9. III. behauptet der Operierte
bedeutend leichter Atem holen zu können. Oedeme, Aszites, Herz¬
beschwerden treten zunächst noch stark hervor. Auf ausdrücklichen
Wunsch des Patienten am 24. IV. Durchschneidung der 2., 3. und
3) Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten, ins-
besomlers des »auf -starrer Thoraxdilatation beruhenden alveolären
Emphysems. Zeitschr. f. experiment. Pahtologie und Therapie, II., 3.,
1906. * . _ _ ; _ ......
4. Rippe auf der linken Seite. Pektoralis nicht mehr abpräpariert,
sondern über den Rippenknorpeln gespalten. Mechanischer Effekt
nicht so eklatant wie rechts, wegen der festen Unterlage des stark
dilatietten Herzens. In der Folge wesentliche Besserung des Zu¬
standes. Nach dem 16. V. auf der inneren Station (Prof. Kraus)
Feststellung einer inspiratorischen Erweiterungsfähigkeit des Thorax
von 95 auf 100 cm, einer vitalen Kapazität von 1250, die sich weiter¬
hin auf 1400 hebt. Der Kranke rühmt die freie Atmung, wird aber
durch Herzklopfen, Leberschmerzhaftigkeit, Bauchauftreibung (As¬
zites) gequält. Befund am Herzen unverändert.
2. Fall. Mohr-Bramann.4) 46 jähriger Glasermeister, der
seinen früheren Beruf als Kassenbote wegen starker Atembeschwer¬
den seit 5 Jahren nicht mehr ausüben kann.
11. I. 07. Starke Dyspnoe. Thorax völlig starr. Atemexkur¬
sionen ausserordentlich gering. Rippenknorpel beiderseits vom 2. ab¬
wärts bis 5. verdickt und aufgetrieben, besonders der rechte 2.
und 3, Rippenknorpel. Tiefstand der unteren Lungengrenzen bei
leidlicher respiratorischer Verschieblichkeit. Bronchitis. Herz von
Lunge überlagert. Abdomen eingezogen. Bauchmuskeln kontrahiert.
15. IV. 07. Exzision eines Wz cm langen Stückes aus 2. und
3. Rippenknorpel und angrenzender Rippe (Haas ler). Atmung da¬
nach subjektiv freier. Anhaltende Besserung bis Ende Mai, dann
Wiederkehr von Husten und Atemnot. Der Kranke wünscht selbst
die Durchschneidung der anderen Thoraxseite.
29. V. 07. Exzision von 2 cm langen Stücken aus 2. bis 5.
linken (in der Mohr sehen Arbeit rechten, wahrscheinlich Druck¬
fehler) Rippenknorpel und angrenzender Rippe (Braman n). Rippen
sinken sofort in Exspirationsstellung zurück, Lungenrand verschiebt
sich normal. Sofortige Erleichterung der Atmung. Am 19. VI. 07.
beträgt die inspiratorische Ausdehnung des Thorax 5 cm, die hintere
untere Lungengrenze hat sich etwas gehoben, die Bronchitis ist ver¬
ringert.
Diesen beiden Fällen können wir einen dritten eigenen
Fall hinzufügen.
Der Patient G. ist der 50 jährige Werkmeister einer Ofen¬
fabrik. Bis zum 19. Jahre litt er wiederholt an Rheumatismus, mit
42 Jahren will er zweimal Diphtherie mit Herzmuskelentzündung ge¬
habt haben, die aber wieder ausheilte. Niemals Neigung zu Katarrhen.
Seit 5 Jahren bekommt G. bei seiner durchaus leichten Arbeit Atem¬
not. In der Ruhe ist er noch heute vollkommen frei von subjektiver
Dyspnoe, dagegen vermag jetzt schon die geringste Anstrengung,
ein kurzes Treppensteigen, ja selbst ein kurzer Gang von 5 — 10
Minuten Dauer so schwere Atemnot zu erzeugen, dass Patient sich
alsbald hinlegen muss. In der Ruhelage schwindet die Atemnot all¬
mählich, nach spätestens einer Viertelstunde ist sie stets vollkommen
vorüber. Die Arbeitsfähigkeit G.s erscheint durch das Leiden nahezu
völlig aufgehoben, obwohl er im wesentlichen nur als Aufseher tätig
ist. Es handelt sich darum, den Mann zu invalidisieren. Der be¬
handelnde Arzt wünscht vorher noch den Versuch eines Heilver¬
fahrens in Gestalt einer Luft- und Ruhekur zu machen. G. wird des¬
halb von der Landesversicherungsanstalt zur weiteren Begutachtung
in das Krankenhaus (innere Station) geschickt.
Der Befund war folgender: Kaum mittelgrosser, mittelkräftig ge¬
bauter Mann. Körpergewicht 64,5 ikg. Gesichtsfarbe etwas blass,
nicht zyanotisch. Atmung bei Bettruhe leicht beschleunigt, kaum
eine Spur angestrengt, nicht vertieft. Der Thorax ‘ist ausge¬
sprochen fassförmig und erscheint absolut starr. Brust¬
umfang in der Höhe der Brustwarzen bei tiefster Exspiration 90 cm,
bei tiefster Inspiration 92 cm. Rippenknorpel nach aussen konvex
gebogen, etwas verbreitert, starr, nicht elastisch. Der Hals ist sehr
kurz. Die untere Thoraxapertur ist stark erweitert, und der Thorax
ist vorn dauernd so stark gehoben, dass selbst forcierte Inspiration
kaum noch eine Spur weiterer Hebung hervorzurufen vermag.
Die Atmung erfolgt also rein a b d o m i p a 1.,, Bei geringer körper¬
licher Anstrengung (kurzem Treppensteigen, schnellerem Gehen) tritt
sofort Dyspnoe auf. Der Gesichtsausdruck wird gespannt, die
Schleimhäute werden zyanotisch. Die forcierte Atmung zeigt sich
namentlich in einer starken exspiratorischen Anspannung der Bauch-
decken. Der LungehschalUisf 'hibefsonöt. Lurtg'engrenzen in der
rechten Mammillarlinie auf der 7. Rippe, links oberer Rand der
7. Rippe. Hintere untere Grenzen beiderseits in der Höhe des 12.
Brustwirbels. Respiratorische Verschieblichkeit vorn knapp 1 cm.
Herzdämpfung überlagert. Das Atemgeräusch ist überall rein vesi¬
kulär mit stark verlängertem Exspirium. Ab und zu findet sich hier
und da ein vereinzelter Rhonchus; im allgemeinen keine Bronchitis.
Kein Husten. Kein Auswurf. Vitale Lungenkapazität 2000 ccm. Herz
und Herztätigkeit normal. Das Abdomen zeigt, abgesehen vom Tief¬
stand der Leber, keine Besonderheiten. Urinausscheidung normal.
Keine Oedeme.
Der geschilderte Befund lässt ohne weiteres erkennen,
dass der Kranke von der vorgeschlagenen Luft- und Ruhekur
keinen Nutzen zu erwarten hatte. Es bestand weder eine Bron¬
chitis oder ein Asthma bronchiale, die durch Luftwechsel ge¬
hoben werden konnten, noch eine Herzinsuffizienz, die sich
durch Ruhe hätte beseitigen lassen. Die Bedingupgpn( fänden
4) Berliner klinische Wochenschrift 1907, No. 27.
17. September 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
1859
pathologischen Zustand des Patienten waren durch eine Luftkur
offenkundig nicht zu beeinflussen. Dagegen erschien der Fall
zu einem Versuch mit der von Freund vorgeschlagenen
Operation überaus geeignet. Sind die Deduktionen Fr eunds
richtig, so mussten die Bedingungen für einen vollen Erfolg der
Operation hier sehr günstige sein: Wir vermissten vor allem
im Gegensatz zu den Fällen von Kraus-Hildebrand und
von Mohr-Bramann jede schwerere Folgeerscheinung,
deren Ausgleich durch die Mobilisierung von vornherein nicht
zu erwarten sein konnte. Aus diesen Erwägungen heraus
wurde die Operation vorgenommen.
7. VI. 07. Operation (Seidel). Chloroformnarkose. Schnitt
parallel und dicht neben dem rechten Sternalrand von der Klavikula
bis zum oberen Rand des 6. Rippenknorpels. Durchtrennung: der auf
den Knorpeln I— III liegenden Pektoralisfasern. Die auf Knorpel IV
und V liegenden Rasern werden stumpf auseinander gezogen. Der
erste Rippenknorpel ist absolut verkalkt, knochenhart. Schrittweise
Durchtrennung mit L u e r scher Zange. Lücke etwa 1 14 cm breit.
Sofort nach Fortnahme der letzten dünnen Spange macht die vorher
unbewegliche Rippe die Atembewegungen in ausgiebiger Weise mit.
Rippenknorpel II — V werden subperichondral in 2 cm Ausdehnung
reseziert und zwar mühelos unter Durchtrennung mittels Giglisäge.
Die durchtrennten Rippen federn sofort nach innen und unten, be¬
wegen sich in- und exspiratorisch ausserordentlich stark, was im
Gegensatz zu den nicht durchtrennten Rippen besonders auffällt. In
der durch Fortnahme des 2. Rippenknorpels entstandenen Lücke sieht
man unter der freigelegten Pleura die normal gefärbte Lunge sich
bei der Atmung verschieben. Naht der wenigen durchtrennten
Pektoralispartien. Gazestreifen in den 2. und 4. breit klaffenden
Resektionsspalt. Hautnaht.
Die resezierten Knorpelstücke lassen sich mit dem Messer
schneiden, aber schwerer als gewöhnlich. Ihr Durchschnitt ist bräun¬
lich. In dem 4. Rippenknorpel bohnengrosse Kalkplatte. Mikro¬
skopisch Zerfaserung und Auflockerung der Knorpelfasern, Kalkein-
lageruhg an sämtlichen Stücken.
Wundverlauf reaktionslos. Am 1. Tage handtellergrosses
Hautemphysem ;im oberen Wundgebiet. Keine Atemnot. Nur bei
tiefer Respiration Schmerzen in der operierten Seite. Vitale Ka¬
pazität am 4. Tage post Operation em 1200, steigt in
der Folge bis zu 2700 bei der Entlassung.
Entlassungsbefund am 13. VII. 07 : Rechte rhoraxhälfte
deutlich flacher als die linke. An Resektionsstelle 2 und 3 neben
dem Sternum deutliche Lücke zu fühlen. Der ganze Thorax weitet
sich inspiratorisch bedeutend, besonders in seinen oberen Partien.
Inspiratorische Ausdehnung in Brustwarzenhöhe 5 cm (90—95). Das
Jugulum steigt bei forcierter Atmung bis an den Kehlkopf. Die linke,
nicht durchschnittene Seite geht bei der Respiration eben¬
falls stärker mit als vor der Operation, aber schwächer
als die rechte Seite. Die automatische Atmung hat einen auffallend
stark kostalen Typus angenommen. Indessen ist auch Zwerchfell¬
atmung allein oder zusammen mit kostaler Atmung möglich. Lungen¬
grenzen vorn beiderseits in der Mammillarlinie oberer Rand der 7.
Rippe, hinten an der Wirbelsäule 11. Brustwirbel. Respiratorische
Verschieblichkeit 1 Vz cm. Herz noch von Lunge überlagert. Am
Herzen öfter Extrasystolen, sonst nichts Besonderes.
Patient hat seit der Operation nie mehr Atemnot gehabt, steigt
3 Stockwerke mühelos, legt 300 Meter im Dauerlauf zurück, unter¬
hält sich danach sofort ohne Zeichen von Atemnot, kann auch ange¬
strengte körperliche Arbeit (im mediko-mechanischen Institut, Sand¬
schaufeln) leisten. Nimmt seine Berufstätigkeit wieder auf.
Der Erfolg in unserem Falle ist,- wie die Gegenüberstellung
des Aufnahme- und Entlassungsbefundes zeigt, einwandsfrei.
Subjektiv sind die Beschwerden des Patienten so weit gehoben,
dass er sich wieder arbeitsfähig fühlt. Objektiv ist festzu¬
stellen: Abflachung der vorher fassförmigen Thoraxhälfte,
grosse respiratorische Beweglichkeit der operierten Seite, Zu¬
nahme der Beweglichkeit auch auf der nichtoperierten Seite,
geringes Höhertreten des Zwerchfelles, Hebung der inspira¬
torischen Ausdehnung des Thorax von 2 auf 5 cm, Vergrös-
serung der vitalen Kapazität um 700 ccm (von 2000 auf 2700).
Es ist damit, was ja auch von sozialer Bedeutung ist, ge¬
lungen, die Invalidisierung des Patienten unnötig zu machen.
Ob die an Heilung grenzende Besserung eine dauernde sein
wird, muss noch abgewartet werden; sollte es nicht der Fall
sein, so wird die entsprechende Operation auf der linken Seite
vorgenommen werden.
Unter allen Umständen ist unser Fall dazu angetan, die
beiden bisher publizierten günstigen Erfahrungen zu bestätigen
und in gewissen Punkten zu ergänzen. Da die chirurgische
Technik keine schwierige und bei einiger Vorsicht gefahrlose
ist, die Indikationsstellung zur Operation bei genauer Beob¬
achtung und Untersuchung des Patienten keinen erheblichen
Schwierigkeiten begegnen dürfte, so erscheint es berechtigt,
das Verfahren auch weiteren Kreisen zu empfehlen.
Während der Kraus-Hildebrand sehe Fall schon
die schwersten Folgezustände des Emphysems aufwies, war der
Fall von Mohr-Bramann zwar ebenfalls hochgradig aus¬
gebildet, zeigte aber noch keine wesentlichen Komplikationen.
(J n s e r F a 1 1 ist ein klinisch und anatomisch vollkommen aus-
gebildetes Emphysem, aber noch nicht von sehr langer Dauer
(5 Jahre) und ohne jegliche Komplikationen, — ein
reiner Fall von Lungenemphysem bei primärer starrer Dila¬
tation des Thorax. Es ist demnach nicht unangebracht, ihn im
Vergleich zu den beiden anderen Fällen als Beispiel für eine
Frühoperation des Emphysems zu bezeichnen, wie sie von
Freund empfohlen wurde.
Hervorheben möchten wir ausserdem, dass hier zum ersten
Male der Beweis geliefert wurde, dass auch die erste Rippe
ohne wesentliche Schwierigkeiten gefahrlos durchtrennt wer¬
den kann. Dies erscheint uns wichtig im Hinblick auf den von
F r e u n d gemachten, bisher aber noch nicht ausgeführten Vor¬
schlag, bei tuberkulösem Spitzenkatarrh und Enge des ersten
Rippenringes letzteren zu durchschneiden. Es ist dazu nicht
nötig, auf Hildebrands Vorschlag zurückzukommen, nach
welchem zur besseren Freilegung der ersten Rippe ein Stück
vom unteren Rande der Klavikula fortgenommen werden soll.
Man kann, wie S e i d e 1 im vorliegenden Falle zeigte, ohne jede
Nebenverletzung auskommen, wenn man es nicht darauf ab¬
sieht, wie gewöhnlich bei der Rippenresektion etwa mit der
Rippenschere vorzugehen, sondern wenn man vielmehr mit der
Euer sehen Zange Stück für Stück von der Rippe abträgt.
Letztere war in unserem Falle ausserordentlich dick, sodass
die entstehende Lücke in ihr sehr tief war. Nimmt man in
solchem Falle für die tieferen Schichten kleinere Zangen, wie
sie in der otiatrischen Technik üblich sind, so hat man auch
hier ein bequemes Operieren. Es ist auf diese Weise sogar
möglich, sich bis ziemlich weit unter die Klavikula durchzu¬
arbeiten. Interessant war die Beobachtung, dass sich keine
Bewegung der ersten Rippe zeigte, solange auch nur noch eine
schmale, etwa 2 mm dicke Spange an ihrer pleuralen Seite
stand, dass aber sofort die ausgiebigsten respiratorischen Be¬
wegungen eirisetzten, sowie diese letzte Spange durch¬
trennt war.
Ganz kurz sei noch auf die bei der Resektion der übrigen
Rippenknorpel beobachtete Technik hingewiesen. Da wir es
in den Fällen von Lungenemphysem in der Regel durchaus
nicht mit einer verdickten Pleura costalis zu tun haben,, so ist
eine gewisse Vorsicht bei der Operation angebracht, um nicht
unnötig einen Pneumothorax zu erzeugen. Hat man letzteren
aber doch nicht vermeiden können, so schadet er, wenn die
Pleuraöffnung nur klein ist und man schnell eine Kompresse
fest und möglichst luftdicht aufdrückt, bei leidlich kräftigen
Individuen allerdings kaum. Bei versehentlich gesetzten
grösseren Oeffnungen käme die Ausschaltung des Pneumo¬
thorax mit Unterdrück- oder Ueberdruckapparat in Frage, wie
denn auch in unserem Falle der Ueberdruckapparat zum Ge¬
brauch bereit stand. Bei normalem Operationsverlauf muss
sich aber jede Komplikation durch den Pneumothorax ver¬
meiden lassen. Man braucht nur vorsichtig das Perichondrium
mit dem Raspatorium abzuschieben, was auch auf der Rück¬
seite ohne allzu grosse Schwierigkeiten gelingt. Im Interesse
der subtileren Technik empfiehlt es sich dann, nicht mit den
gewöhnlichen schweren Rippenscheren oder gar einem Messe:
die Knorpel zu durchtrennen, wie man es etw^a an de i Leiche
gewöhnt ist. Nebenverletzungen sind dann wohl nie auszu-
schliessen. Man geht vielmehr am besten mit stumpfer, halb¬
kreisförmig gebogener Führungsnadel, an welcher eine Gigli¬
säge befestigt ist, um den Rippenknorpel herum und durchsägt
denselben nun von hinten nach vorn; üble Zufälle sind dabei
ganz ausgeschlossen. Es ist übrigens zunächst nicht nötig, den
Rippenknorpel an der Hinterfläche in der ganzen für die Re¬
sektion gewünschten Ausdehnung vom Perichondrium zu ent-
blössen. Man braucht nur an der Rückseite so viel Platz,
um die Giglisäge bequem durchführen zu können. Ist die Rippe
dann lineär durchtrennt, so kann man die beiden ungleichen
Stücke mit einem in jede Schnittfläche eingesetzten Haken aus-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1860
einanderziehen und nun bequem an der Rückfläche der Rippen¬
knorpel arbeiten.
Wir haben die Technik etwas ausführlicher geschildert,
weil die Schwierigkeiten der Operation selbst von chirurgischer
Seite häufig überschätzt werden.
In dem Mohr-Bramann sehen Falle wurden Stücke
vom Knorpel und dem angrenzenden knöchernen I eil der Rippe
reseziert; besser beschränkt man sich wohl, wie im K rau s-
Hildebrand sehen und in unsere m Falle geschehen ist,
auf Resektion des Knorpels allein. Nach F reund setzt sich
der Muscul. triangul. sterni, der namentlich beim Emphysem
infolge seiner Hypertrophie eine kräftige exspiratorische Wir¬
kung entfalten kann, mit seinem oberen Ende gerade an der
Knorpelknochengrenze an. Es liegt auf der Hand, dass die
Schonung dieser Ansatzpunkte sehr erwünscht ist.
Die Gestalt der resezierten Knorpelstücke war im Falle
Kraus - Hildebrand „keilförmig“, besser gesagt wohl ab¬
gestumpft pyramidenförmig, wie nebenstehend ^ _ J . In
unserem Falle hatten die Stücke ebenfalls die Form einer ab¬
gestumpften Pyramide, aber mit breiteren Grundflächen:
\ 7
Die Resektion ist stets subperichondral ausgeführt,
nur die vordere Partie des Perichondriums ist teilweise ent¬
fernt worden. Man brhucht aus Furcht vor Regeneration des
Knorpels bei stehen gebliebenem Perichondrium auf totale Mit¬
nahme des letzteren keinen allzu grossen Wert zu legen, wie
auch aus den jüngsten Mitteilungen von Fritz König5) und
B 1 a u e 1 6) für die Kardiolyse hervorgeht.
Als Operarionsschnitt empfiehlt sich am besten ein Para¬
sternalschnitt in nicht zu geringer Ausdehnung. Man kann
sich dann mühelos durch Verziehen der Haut breiten Zugang
für Gesicht und Hand zu allen notwendigen Punkten ver¬
schaffen. Nur für die event. Durchschneidung des ersten
Rippenknorpels allein, wie sie bei Spitzentuberkulose in Frage
kommt, würde sich ein Schrägschnitt, bei doppelseitiger Durch¬
schneidung ein Bogenschnitt quer über das Manubrium sterni
empfehlen.
Ablösung oder Durchtrennung von Muskeln, wie sie von
Hildebrand einseitig und auch in unserem Falle bei den
drei ersten Rippen ausgeführt wurde, ist unnötig. Stumpfe
Durchtrennung und Auseinanderzichen der Pektoralisfasern
über jeder Rippe gibt genügend Raum für das operative Vor¬
gehen.
Stärkere Blutung bei der Operation kann im wesentlichen
nur aus durchrissenen Rami perforantes der Mammaria interna
erfolgen. Dieselbe steht wohl meist auf Tamponade. Bei
etwaiger Unterbindung muss auf die Pleura Rücksicht ge¬
nommen werden.
Die Rekonvaleszenz verlief in unserem Falle ganz un¬
gestört. Ein handtellergrosses Hautemphysem, das durch
Luftaspiration von der Resektionsstelle der zweiten Rippe aus
entstanden war, resorbierte sich in kürzester Frist. Hervor¬
heben möchten wir die Tatsache, dass die vitale Kapazität
unmittelbar nach der Operation bedeutend
verringert (von 2000 auf 1200 ccm) war und erst all¬
mählich wieder an stieg. Das erscheint natürlich,
wenn wir bedenken, dass wir es in jedem solchen Falle gleich¬
sam mit komplizierten Rippenfrakturen zu tun haben, bei denen
wir immer eine Schonung der erkrankten Seite und dement¬
sprechend Abnahme der Vitalkapazität bemerken können. Mit
fortschreitender Rekonvaleszenz nahm auch die Vitalkapazität
wieder zu und stieg zum Schluss, wie wir bereits gesehen
haben, bis 2700 ccm.
Dass bei schwächlichen Patienten Lungen- und Herztätig¬
keit rechtzeitig durch unsere bekannten Mittel unterstützt
werden muss, braucht wohl nur erwähnt zu werden.
Bevor wir nun dazu übergehen, die Indikations-
Stellung zur Operation zu erörtern, wird es gut sein, noch
r>) Zentralblatt für Chirurgie 1907, No. 27.
u) Zentralblatt für Chirurgie 1907, No. 33.
kurz einige theoretische Fragen und Schlussfolgerungen zu
streifen.
Was die Pathologie des alveolären Em¬
physems anlangt, so wurde schon eingangs erwähnt, dass
bisher die Freund sehen Ansichten von der Bedeutung der
starren Thoraxdilatation keine durchgreifende Anerkennung ge¬
funden hätten. Um nur die massgebendsten Autoren zu zitieren,
so meint F. A.Hoffmann 7), die einseitige Thoraxtheorie des
Emphysem sei ebenso falsch, wie die einseitige Lungentheorie.
Die Lungen drängen zwar nicht den Brustkorb auseinander und
bilden so das Emphysem, aber sie widerstehen dem exspira-
torischen Zusammenfallen des Thorax, bezw. der exspiratori-
schen Erschlaffung des Zwerchfells, und das genüge schon, um
das Zwerchfell zu hindern, in seine natürliche Erschlaffungs-
Stellung zurückzukehren.
Auch K r e h 1 8) hält zwar die starre Thoraxdilatation nicht
für gleichgültig, schätzt aber ihre Bedeutung gering ein, da er
sie durch verstärkte Aktion des Zwerchfelles und der Thorax¬
inspiration für ausgleichbar hält. Wie Freund ausführlich
und überzeugend auseinandersetzt, wird die Möglichkeit ge¬
rade dieser von K r e h 1 angenommenen Kompensation bei
höheren Graden von starrer Thoraxdilatation sehr bald illu¬
sorisch.
In ganz eklatanter Weise illustriert aber der Erfolg unserer
Operation die essentielle Bedeutung der starren Thoraxdila¬
tation für das klinische Krankheitsbild „Emphysem“. Vor
der Operation bei starr dilatiertem Thorax: hochgradige
Beschränkung der kostalen Atmung, infolgedessen völlige In¬
suffizienz der Zw erchfellatmung bei der geringsten Steigerung
der Anforderungen durch körperliche Bewegung usw., starke
Herabsetzung der vitalen Kapazität. Nach der Opera¬
tion bei mobilem Thorax: Die automatische Atmung findet
fast ausschliesslich kostal statt; das vorher übermässig ge¬
spannte und angestrengte Zwerchfell wird geschont, kann aber
willkürlich in Anspruch genommen werden. Die Atmung wird
selbst bei beträchtlichen körperlichen Anstrengungen nicht
mehr insuffizient. Die vitale Kapazität ist bis zum Ende des
Krankenhausaufenthaltes um 700 ccm gestiegen. Theoretisch
interessant ist ferner das auch von Mohr beobachtete Herauf¬
steigen der unteren Lungengrenzen und ihre, wenn auch mässig
erhöhte Verschieblichkeit nach der Operation. Wird dieser Be¬
fund durch weitere Beobachtungen bestätigt, so bildet er eine
ganzbesondersgewichtigeStützederFreund-
schen Emphysemtheorie.
Selbstverständlich stimmen wir mit Freund überein,
dass nicht jedes Emphysem seine Ursache in einer
primären starren Thoraxdilatation hat. Ueberall, wo die Ex¬
spiration im Verhältnis zur Inspiration eine Er¬
schwerung erfährt, sind Verhältnisse gegeben, welche
zur intraalveolären Drucksteigerung und damit zu einer pas¬
siven Lungendehnung führen können, ohne dass der Thorax
starr dilatiert ist. Wie man leicht einsieht, wird für alle diese
Fälle auch die Verminderung der Widerstands¬
fähigkeit des Lungengewebes, auf welche manche
Autoren bei allen Emphysemarten ohne Unterschied grosses
Gewicht legen, eine wichtige Rolle spielen können, während
wir sie für die allmähliche Atrophie der elastischen Elemente
der Lunge bei starrer Thoraxdilatation zum mindesten nicht
in Anspruch zu nehmen brauchen. Ob aber ausser diesen
beiden Möglichkeiten, der starren Thoraxdilatation und der
intraalveolären Drucksteigerung bei relativ behinderter Ex¬
spiration, noch weitere Möglichkeiten primär für die Entstehung
des Emphysems überhaupt in Betracht kommen, scheint in
hohem Masse zweifelhaft. Allenfalls wird man zugeben
können, dass die normale oder prämature Invo¬
lution der elastischen Elemente des Lungenparenchyms zu
einer Art Emphysem führt; vielleicht sind hierher manche
Fälle von Altersemphysem zu rechnen. Dagegen erscheint es
uns ganz unverständlich und unnötig, wenn man der for-
zierten Inspiration noch immer die Rolle eines ätio¬
logischen Faktors bei der Entstehung des Emphysems zu¬
schreiben will. Zunächst kennen wir, im Gegensatz zu den
7) Nothnagels Handbuch XIV, Seite 37.
8) Pathologische Physiologie, 3. Auflage, 1904, Seite 244.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1861
Verhältnissen bei der Exspiration, feinen pathologisch
verstärkten Inspirationsdruck auf die Alveolenwandungen
überhaupt nicht. Die tiefste, durch die Leistungsfähigkeit
der Inspirationsmuskeln übrigens physiologisch begrenzte
aktive Inspiration vermag den Druck in den
Alveolen nicht über den auch sonst herr¬
schenden atmosphärischen Druck zu stei¬
gern, und eine passive Verstärkung der In¬
spiration (Insufflation von Luft unter höherem als dem
atmosphärischen Druck) kommt für die spontane, nicht trau¬
matische Krankheitsentstehung praktisch nicht in Betracht.
Man könnte wohl auf die Idee kommen, das Emphysem
bei primärer starrer Dilatation des Thorax als ein
„inspiratorisches“ bezeichnen zu wollen, weil hier die Ver¬
änderungen in der Lunge, die Abnahme der elastischen Eigen¬
schaften und der partielle Schwund der Alveolarsepten, als eine
Folge der dauernden Inspirationsstellung des Thorax gedacht
werden müssen. Wenn aber somit dieses Emphysem auch
inspiratorisch bedingt wird, so würde seine Bezeichnung als
inspiratorisches Emphysem doch ein falsches Bild von dem
wirklichen Vorgänge geben, denn die Schädigung des
Lungenparenchyms geschieht auch hier
keinesfalls durch eine inspiratorischeüeber-
dehnung, sondern offenkundig nur durch das
Ausbleiben der normalerweise den Span¬
nungszustand des Lungengewebes rhyth¬
misch unterbrechenden Exspiration. Man
könnte hier also eher an eine Art Inaktivitätsatrophie der
elastischen Elemente des Lungengewebes denken, als dass man
den bekannten Vergleich von dem überdehnten Gummiband
heranziehen dürfte.
Auch das vikariierende Emphysem darf, wie
schon- Hoffmann9) andeutet, nicht als Beweis für
die Existenz eines inspiratorisch entstan¬
denen Emphysems herangezogen werden, weil
sich seine Entstehung stets durch andere Faktoren erklären
lässt. Entweder sind die zuführenden Luftwege durch die Er¬
krankung der benachbarten Lungenpartien derart verändert,
dass die Exspiration behindert ist, oder das vom Emphysem
betroffene Lungengewebe ist selbst krankhaft verändert.
Bei dem Mangel an ausgedehnterer praktischer Erfahrung
über die Wirkung der Rippenknorpelresektionen beim Emphy¬
sem müssen für die Indikationsstellung für die Opera -
tion unsere theoretischen Anschauungen von der Aetiologie und
Pathologie der Krankheit natürlich von grösster Bedeutung
sein. Nach unseren Ausführungen kommen von vornherein nur
solche Fälle von Emphysem für die F r e u n d sehe Operation
nicht in Betracht, bei denen entweder überhaupt keine
Thoraxdilatation besteht (meist handelt es sich dann wohl um
einfachen Altersschwund der Lunge, bei dem das typische kli¬
nische Bild des Emphysems überhaupt nicht voll entwickelt ist),
oder wo als Ursache der mit Thoraxdilatation einhergehenden
Erkrankung Exspirationshindernisse (Bronchialasthma, chro¬
nische Bronchitis, Herzleiden mit Insuffizienz des linken Ven¬
trikels) nachgewiesen werden können. Gewiss sind diese Fälle
zahlreich, ob sie aber die Mehrzahl bilden, erscheint doch sehr
zweifelhaft.
In allen anderen Fällen halten wir die vorhandene Thorax¬
dilatation mit denkbar grösster Wahrscheinlichkeit für die Ur¬
sache des Emphysems und damit an sich einen Angriffs¬
punkt für die operative Therapie für gegeben.
Indessen führen uns eine Reihe von Erwägungen zu dem
Rate, einstweilen noch nicht jeden dieser Fälle an den Chirurgen
zu empfehlen. Der Hauptgrund dafür liegt darin, das der
theoretisch zu erwartende Nutzen nur dann
ein vollkommener sein kann, wenn die durch
den Bestand der starren Thoraxdilatation
bedingten sekundären Veränderungen als
solche noch eines Ausgleiches fähig sind. Ist
der Gesamtquerschnitt der Lungenkapillaren durch das Schwin¬
den der letzteren so weit verringert, dass dem rechten Herzen
eine auf die Dauer nicht mehr zu leistende Arbeit zugemutet
wird, so kann dafür durch die Mobilisierung des Thorax kein
Ausgleich geschaffen werden. Schon aus diesem Grunde
würden wir einstweilen abraten, Fälle mit schwerer Herz¬
insuffizienz noch zu operieren: Die Methode könnte dadurch
leicht in Misskredit geraten.
Wie unsere eigene Beobachtung gezeigt hat, folgt der
Operation unmittelbar eine Periode mit Herabsetzung der vi¬
talen Kapazität der Lunge. Hierin liegt eine weitere Warnung
vor Operationen bei Emphysematikern mit ausgesprochener
Herzinsuffizienz.
Will man aber doch noch vorgeschrittenere Fälle ope¬
rieren, so wäre zum mindesten zu raten, die Operation zu¬
nächst nicht zu eingreifend zu gestalten, sondern höchstens die
Resektion eines oder zweier Rippenknorpel auf einmal vor¬
zunehmen und dieses Vorgehen dann in verschiedenen
Sitzungen zu wiederholen. Spätere Erfahrung muss lehren,
in welchem Verhältnisse die Operationsgefahr zu dem allen¬
falls auch hier noch zu erwartenden Nutzen steht.
Schon der Umstand, dass bei allzu langem Abwarten Kom¬
plikationen zu erwarten sind, die nach dem Gesagten von der
Operation abraten und die zum mindesten den Operationserfolg
beeinträchtigen, muss uns dazu führen, die Freund sehe
Forderung einer frühzeitigen Operation zu unterstützen.
Wann ist aber der Zeitpunkt der Wahl? In
unserem eigenen Falle haben wir den Zeitpunkt zur Operation
für gegeben erachtet, als der Patient in der Ruhe noch aus¬
reichend atmete, während jede körperliche Leistung zu At-
rnungsinsuffizienz führte. Wir glauben, dass dieser Zeitpunkt
der späteste sein sollte, an dem die Operation vom Arzt vor¬
geschlagen werden soll. Wir halten den Vorschlag der Opera¬
tion also bereits dann für gerechtfertigt, wenn nicht schon die
kleinsten, sondern wenn erst mittlere körperliche Anstreng¬
ungen (Treppensteigen, leichte Arbeit) Dyspnoe hervorrufen,
die durch nicht anderes als das Emphysem bedingt sein kann.
Wir geben zu, dass sich die Patienten vorläufig noch nicht leicht
in diesem Stadium zur Operation entschliessen werden. Der
Nutzen, welchen die Operation bringen kann, muss aber in
solchen Fällen ein nahezu absoluter sein, während er natur-
gemäss in späteren Stadien der Krankheit ein relativer bleiben
wird.
Zum Schlüsse seien die Ergebnisse der Arbeit nochmals
kurz zusammengefasst:
1. DieFreundsche Operation bei Emphysem
mit starrer Thoraxdilatation ist von unver¬
kennbarem Nutzen.
2. Die Operation kann einseitig ausgeführt
bereits bedeutenden Erfolg haben.
3. Die Operation ist technisch nicht be¬
sonders schwierig und für den Patienten
nicht allzu eingreifend.
4. Es dürfte sich empfehlen, den miter¬
krankten Knorpel auch der ersten Rippe zu
resezieren.
5. Zeitpunkt der Wahl ist das Auftreten von
Dyspnoe bei mittleren, spätestens das Auf¬
treten von Dypsnoe bei ganz leichten An¬
strengungen.
6. Ein Nutzen ist auch dann nicht ausge¬
schlossen, wenn bereits sekundäre He r z i n -
suffizienz besteht. Einstweilen ist jedoch
von der Operation so vorgeschrittener Fälle
abzuraten.
7. Was die Aetiologie und Pathologie des
alveolären Emphysems anlangt, so ergeben
sich aus dem Erfolg der Freundschen Ope¬
ration wesentliche Stützen auch für die
Freundsche Theorie von der Bedeutung der
starren Dilatation des Thorax.
8. Die Ausführung der Resektion auch des
ersten Rippenknorpels durch Seidel liefert
den Beweis, dass die von Freund für die Spit¬
zentuberkulose geforderte Operation (Mobi¬
lisierung und Erweiterung der starren Ste¬
nose der oberen Thoraxaper tu r) e b e n t a 1 1 s
keine erheblichen Schwierigkeiten erwaiten
lässt.
9) 1. c. Seite 116.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1862
Diabetes und Katalyse.*)
Von Privatdozent Dr. H. Schade in Kiel.
Als ich 1905 in dieser Zeitschrift (No. 23 u. 36) meine Ver¬
suche über die katalytische Beeinflussbarkeit der Zuckerver¬
brennung mitteilte, war das Ziel, dem diese Versuche zu¬
strebten, noch verschwommen und wenig scharf zu präzisieren;
es fehlte eben noch, wie auch v. Noorden1) mit Recht her¬
vorgehoben hat, „die Brücke zwischen jenen physikalischen
Erscheinungen und den biochemischen Prozessen“. Weitere
Untersuchungen, welche ich in den Zwischenjahren zum Teil
im physikochemischen Institut der Universität Leipzig an¬
gestellt habe, scheinen mir nun geeignet, diesen Zusammen¬
hang herzustellen: sie geben, wie ich glaube, von einer neuen
Seite eine Beleuchtung der Probleme des intermediären Kohle¬
hydratstoffwechsels und eröffnen speziell für eine therapeuti¬
sche Beeinflussung des Diabetes Perspektiven, deren weitere
Verfolgung ein allgemeineres Interesse beanspruchen darf.
Da die Eigenart des Stoffes wegen des zum Teil aus¬
gesprochen chemischen, resp. physikalisch-chemischen Cha¬
rakters in der hier wünschenwerten Kürze eine experimentell
belegte Wiedergabe nicht möglich macht, so ist es mir rätlich
erschienen, das eigentliche Beweismaterial in einer Mono¬
graphie (Schade: Die Bedeutung der Katalyse für die
Medizin, 1907, Kiel, Verlag W. Q. Müh lau [Kapitel III,
pag. 86 — 134]) niederzulegen und hier in erster Linie die Re¬
sultate in ihrer Bewertung für die Probleme des Diabetes zu
besprechen.
Bekanntlich hat die erst in den letzten Jahren wissenschaft¬
lich ausgebaute Lehre von der Katalyse die Geschwindigkeit
des Ablaufes chemischer Reaktionen zum Gegenstand. Sie
umfasst insbesondere die gesetzmässige Regelung der Einflüsse,
welche auf den zeitlichen Verlauf der chemischen Prozesse
modifizierend, sei es nun beschleunigend oder hemmend, ein¬
wirken. Durch das grosse Material physikochemischer Einzel¬
messungen hat sich die wichtige Tatsache ergeben, dass die
Geschwindigkeit sehr vieler (wenn nicht gar aller) Reaktionen
in hohem Grade von Umständen abhängig ist, die anscheinend
ohne direkte Beziehung zu der beobachteten Reaktion stehen.
Vor allem zeitigten sie das überraschende Ergebnis, dass unter
Umständen schon minimale Zusätze scheinbar indifferenter
Stoffe zur Hervorbringung intensiver Abänderungen in der
Grösse der Reaktionsgeschwindigkeit befähigt sind. Bedeutet
diese Aenderung eine Beschleunigung der Reaktion, so heisst
man die Zusatzstoffe positive Katalysatoren; im anderen Falle
nennt man sie negativ. Nach der bekannten 0 s t w a 1 d sehen
Definition sind unter diesen „Katalysatoren“ nur solche Stoffe
zu verstehen, welche durch ihre blosse Anwesenheit, d. h. ohne
in den Endprodukten der Reaktion zu erscheinen und daher
ohne während der Reaktion aufgebraucht zu werden, die Ge¬
schwindigkeit des Reaktionsablaufes ändern.
Dass diese Art der katalytischen Reaktionsbeeinflussung,
deren Zustandekommen im Einzelfall wenn überhaupt vor¬
liegend nicht an irgend welche besondere Voraussetzungen ge¬
knüpft ist, auch für die chemischen Vorgänge innerhalb des
Organismus Gültigkeit besitzt und dass ihr bei diesen eine
grosse Wichtigkeit zukommen kann, habe ich in früheren Ar¬
beiten •) an der katalytischen Wirkung der therapeutisch be¬
nutzten Schwermetalle, des Eisens, Silbers und Quecksilbers
und deren Verbindungen nachgewiesen und letzthin in meiner
Habilitationsschrift* 3) zusammenfassend dargelegt.
Wenn es aber möglich ist, Reaktionen, welche sich im
Körperinnern abspielen, durch künstliche medikamentöse Zu-
*) Nach einem Doppel vortrag im Physiologischen Verein zu
Kiel am 17. Juni 1907, dessen Themata lauteten: 1. Ueber die Re¬
produzierbarkeit der Gärungen durch anorganische Katalysotoren
und 2. Diabetes und Katalyse.
‘) Zitiert nach v. N o o r d e n, Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels
1907, Bd. II, pag. 63.
-) Vergl. namentlich Zeitschr. f. exper. Pathologie und Therapie,
Bd. 1, Heft 3 (Ueber Metall- und Jodionenkatalyse).
3) Medizinisch-katalytische Studien. Habilitionsschrift 1907. (Im
Handel als unveränderter Abdruck in der Monographie: Schade:
Die Bedeutung der Katalyse für die Medizin, 1907, Kiel, Verlag W. Q.
M ii h 1 a u.)
fuhr von Katalysatoren in ihrem Ablauf zu beschleunigen, so
muss diese Forschungsrichtung für die Frage der diabetischen
Stoffwechselstörung ein ganz besonderes Interesse ^ bean¬
spruchen. Denn beim Diabetes handelt es sich um Erkran¬
kungen, deren wesentlichstes gemeinsames Symptom in dem
Ausbleiben einer bestimmten Gruppe vonZersetzungsreaktionen
besteht: für eine grosse Zahl der hierher gehörigen Krankheits¬
fälle ist dem Organismus die Fähigkeit verloren gegangen, den
Zucker, speziell die Dextrose, in dem normalen Umfange ab¬
zubauen.
In Fortsetzung meiner früheren Untersuchungen habe ich
mir daher zur Aufgabe gestellt, die Frage zu prüfen, ob und in
wie weit künstlich zugeführte Katalysatoren
in Betracht ko rn m e n können, um die beim Dia¬
betes pathologisch ausfallenden Reaktionen
wieder in Gang zu setzen.
Die ersten experimentellen Untersuchungen hatten sich
naturgemäss mit der Beantwortung der Frage zu be¬
schäftigen, ob es überhaupt möglich ist, die
Zersetzungsreaktionen des Zuckers kata¬
lytisch zu beschleunigen.
Diese Frage konnte bereits in meiner schon oben er¬
wähnten Arbeit „über die katalytische Beeinflussung der
Zuckerverbrennung“ (s. d. Wochenschr. 1905 No. 23 u. 36)
auf Grund einer nicht geringen Zahl von Versuchen in bejahen¬
dem Sinne beantwortet werden. Es zeigte sich, dass die Ge¬
schwindigkeit der Oxydationsvorgänge bei der Saccharose und
ebenso der Dextrose (in gleicher Weise auch Fruktose!) durch
eine Reihe von Substanzen, wie z. B. durch die Anwesenheit
von Alkalien (Kalilauge, Natronlauge, Soda, Natr. bicarbonic.
usw.), von Kupfer-, Eisen- und manchen anderen Salzen, von
einigen Metallen wie Kupfer etc. etc. eine beträchtliche Stei¬
gerung erfuhr. Die Beschleunigung der Oxydationsreaktionen
bezog sich einmal auf Versuche in der Trockne (cf. nament¬
lich meine „Flammenbrennbarkeitsprobe“ des Zuckers!); sie
zeigte sich aber in gleich ausgedehnter Weise, wenn der Zucker
in wässerigen Lösungen unter der katalytischen Beeinflussung
der genannten Substanzen der Einwirkung des Luftsauerstoffes
überlassen wurde. Derartige Beobachtungen, die ich in syste¬
matischer Weise anzustellen mich bemüht habe, sind jedoch
nur für die Trockne von mir als erstem erhoben worden. Für
Lösungen finden sich in der chemischen Literatur, wie ich nach¬
träglich habe feststellen können, von den verschiedensten
Autoren gelegentlich ähnliche Befunde über beschleunigte
Oxydierung registriert. So möchte ich z. B. an Bourquelot4)
erinnern, der Indigo als katalytischen Sauerstoffüberträger für
Traubenzuckerlösungen erkannte, oder an Job’), der das
gleiche für die Cersalze feststellte. In einer ausführlichen Ab¬
handlung sind jüngst auch Bendix und Bickel1') für die
Einwirkung der Alkalien auf den Zucker zu dem Resultat ge¬
langt, dass es sich hierbei nur um eine katalytische Wirkung
nach der Art einer Sauerstoffübertragung handeln könne.
An die hiermit gegebene Bejahung der ersten Frage schloss
sich die weitere Fragestellung: Ist es möglich, mit
Hilfe von Katalysatoren Zersetzungen des
Zuckers von der Art der physiologisch vor
sich gehenden Zuckerabbaureaktionen zu er¬
halten, resp. solche zu beschleunigen?
Es ist leicht verständlich, dass an eine direkte Beant¬
wortung dieser Frage bei dem heutigen Stande unseres Wissens
nicht gedacht werden konnte; denn die wesentlichste Voraus¬
setzung derselben, die Kenntnis der physiologischen Wege des
Zuckerabbaues, fehlt noch so gut wie vollständig. Was von
dem ganzen Abbau der Dextrose im menschlichen Körper als
feststehend bekannt ist, betrifft eigentlich nur die letzte Stufe
jenes sicherlich kompliziert verlaufenden Prozesses. Wir
kennen als die Endprodukte Kohlensäure und Wasser und
wissen, dass diese Produkte durch Oxydation entstehen.
Unklar bleibt es aber vorläufig noch, über welche Zwischen¬
stufen der Weg von der Dextrose zu diesen letzten Endstadien
der Verbrennung führt. Durch die erfolgreichen Unter-
4) Bull, de la societe chimique III, 17, 669.
3) Compt. rend. 134, 1349.
“) Zeitschr. f. iklin. Medizin. 48, Heft 1 und 2.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1863
suchüngen der letzten Jahre, so namentlich durch die Arbeiten
Cohnheims, S t o k 1 a s a s u. a. ist jedoch diese Lücke
insofern in etwas ausgefüllt, als wir annehmen dürfen, d^ss es
sich hier um fermentativ-bedingte Prozesse handelt, für die
eine mehr oder weniger grosse Verwandtschaft mit den Gä¬
rungsvorgängen wahrscheinlich ist. Ich habe daher, um vor¬
erst wenigstens in einem gewissen allgemeinen Sinne eine
Beantwortung meiner obigen Frage anstreben zu können, mir
als Ziel gesetzt, die Möglichkeit zu prüfen, mit Hilfe von Kata¬
lysatoren gärungsähnliche Zuckerzersetzungen zu erhalten.
Auch hier möchte ich unter Hinweis auf meine bereits ver¬
öffentlichten Experimentalarbeiten7), die zum grössten Teil im
physikochemischen Institut der Universität Leipzig ausge¬
arbeitet worden sind, unter Verzicht auf Einzelheiten nur die
Resultate selber anführen, insoweit als sie mit der hier be¬
handelten Frage in direktem Zusammenhang stehen.
Diese meine Versuche nehmen ihren Ausgang von der
„Milchsäu regärung“ des Zuckers. Es ist bekannt,
dass dieser Prozess, der sowohl durch lebende Gärungs¬
erreger (Bact. acidi. lactici etc.), als auch durch ein Ferment,
die „Milchsäurebakterienzymase“ (Büchner) ausgelöst
wird, sich durch eine einfache Spaltung des Zuckermoleküls
vollzieht, nach der Gleichung:
CoHisOe = 2 C3H0O3
Dextrose = 2 Milchsäure.
Aber auch auf rein chemischem Wege ist die Milchsäure¬
bildung aus der Dextrose und den andern Hexosen zu er¬
halten. Schon F. Hoppe-Seyler und Kiliani sowie
andere haben die Beobachtung festgelegt, dass die Dextrose
unter der Einwirkung des Alkalis Milchsäure entstehen lässt.
D u c 1 a u x und Schützenberger ist es sodann unab¬
hängig von einander gelungen, diese Milchsäurebildung durch
Auswahl geeigneter Reaktionsbedingungen, namentlich durch
Verwendung konz. Alkalis bis zu solcher Höhe zu steigein,
dass die gebildete Menge bis zu 60 Proz. vom zersetzten
Zucker betrug. Bewiesen schon die ersten Beobachtungen die
rein chemische Entstehungsmöglichkeit der Milchsäure, so
lieferte die Tatsache, dass mehr als das halbe Gewicht des
Zuckers sich in Milchsäure umzusetzen vermochte, dazu den
weiteren Nachweis, das auch hier — durch die Einwirkung des
Alkalis bedingt — ein Spaltungsprozess des Zuckers vorlag,
bei dem jede der entstehenden Hälften als Milchsäure aufticten
konnte. Es darf daher als feststehend betrachtet werden, dass
auch rein chemisch unter der katalytischen Einv irkung des
Alkalis aus der Dextrose sich durch Spaltung Milchsäure zu
bilden vermag, dass mithin diese Gärungsart des Zuckers eine
rein chemische Parallele besitzt.
Es ist ferner bekannt, dass die Milchsäure unter dem Ein¬
fluss eines Zusatzes von verdünnter Schwefelsäure beim Er¬
wärmen einen weiteren Spaltungsprozess erleidet: es entsteht
aus ihr Azetaldehyd und Ameisensäure nach der Gleichung
CHsCHO/HCOOH = CHsCHO + HCOOH. Auch diese Re¬
aktion ist fraglos nach der Ostwald sehen Definition eine
katalytische; denn die Schwefelsäure beschleunigt den Zer¬
setzungsprozess der Milchsäure, sie geht dabei aber nicht in
die Endprodukte der Zersetzung ein, sondern verbleibt unver¬
braucht und unverändert im Rückstand. Von diesen beiden
Produkten, dem Azetaldehyd und der Ameisensäure aus aber
ist es mir gelungen, durch weitere katalytische Beeinflussung
die Brücke zum Alkohol und zur Kohlensäure zu schlagen und
damit aus dem Zucker katalytisch die gleichen Endprodukte
entstehen zu lassen, die für die alkoholische Gärung
charakteristisch sind. Denn wie ich8) zeigen konnte, bewirkt
Rhodium 9) als Katalysator in dem Gemenge der erstgenannten
Stoffe eine Spaltung der Ameisensäure in Kohlensäure und
Wasserstoff, wobei der letztere in statu nascendi sofort die
Reduktion des Aldehyds zu Alkohol besorgt. Die Gleichung
ist die folgende:
CHsCHO + H[COO]H = CHsCIfeOH + CO2.
Wir sehen somit, wie unter fortgesetzter, ausgewählter
katalytischer Beeinflussung der Zucker (Dextrose) sich rein
chemisch bis zu Alkohol und Kohlensäure abbaut über die
Stufen :
Dextrose
v (Alkali als Katalysator)
Milchsäure
(Schwefelsäure als Katalysator)
Acetaldehyd + Ameisensäuere
(Rhodium als Katalysator)
Alkohol -f- Kohlensäure.
Das Ergebnis dieser Versuche beweist, dass sowohl die
Milchsäuregärung als auch die alkoholische Gärung, deren
Zustandekommen wir bisher an die Wirkung der in den Zellen
enthaltenen Gärungsenzyme gebunden hielten, auch rein che¬
misch unter der Einwirkung von Katalysatoren — jedenfalls
was das Entstehen der jeweiligen Gärungsendprodukte an¬
langt — reproduzierbar sind. Es ist somit der Nach-
weis geliefert, dass es m ö glich ist, durch ein-
facheanorganischeKatalysatoren den Zucker
in die gleichen Produkte aufzuspalten, wie
sie uns von den Gärungsvorgängen her be¬
kannt sind und wie wir sie in verwandter Art
auch für den menschlichen Körper vermuten
dürfen.
Allerdings wäre es verfehlt, ans der Uebereinstimmung
der Endprodukte bei der enzymatischen Gärung und der kata¬
lytischen Spaltung den Schluss herleiten zu wollen, dass den
gleichen Endstufen auch ein gleicher Entstehungsweg zu
Grunde liegen müsste. Aber eine grössere Zahl von Einzel¬
momenten, speziell die Art der bei den Gärungen entstehenden
Nebenprodukte, die Umwandelbarkeit der alkoholischen Gärung
in eine solche mit Ameisensäurebildung, die eigenartige Ver¬
knüpfung der Zymasewirkung mit einer Rednktionswirkung
und andres mehr drängen, wie hier nur kurz bemerkt sein
möge,10) zu der Anschauung, dass auch in den Wegen eine Ver¬
wandtschaft vorliegt. Denn das dem katalytischen Abbau ent¬
lehnte, nur leicht modifizierte Schema, welches beistehend
wiedergegeben ist, vermag in einer weitgehenden Weise den
Dextrose
1
Milchsäure
Azetaldehyd -f- Ameisensäure
Wasserstoff
7) Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. 57, pag. 1—46, vergl. „Be¬
richtigung und Nachtrag“ ebendort (September 1907). Es sei be¬
merkt, dass ich demnächst nochmals zusammenfassend in der Bio¬
chemischen Zeitschr. (Bd. 1907) auf diese Fragen einzugehen be¬
absichtige. , ... , ,
8) Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. 57, pag. 1—46, vergl. auch
Anmerkung 7.
«) Rhodium wurde deswegen gewählt, weil von ihm bereits eine
katalytische spaltende Wirkung aut" die Ameisensäure beobachte
worden war (D e b r a y und Deville, F. Hoppe-Seylei).
4- Sauerstoff
Je' t
Essigsäure Alkohol — j- Kohlensäure
biologischen Gärungserscheinungen gerecht zu werden; vor
allem scheint es geeignet, die Beziehungen der einzelnen
Gärungen zu einander unserem Verständnis näher zu bringen,
so namentlich auch die „Essigsäuregärung und die „Ameisen¬
säuregärung“, deren Verwandtschaft mit der alkoholischen
Gärung durch biologische Beobachtungen nahegelegt wird,
dem Kreis der gemeinschaftlichen Betrachtung einzufügen.
Um nach diesen Vorarbeiten den Versuch zu machen, die
katalytischen Parallelbefunde zur biologischen Gärung für die
Physiologie des Kohlehydratumsatzes im menschlichen Korpei
zu verwerten, möchte ich zunächst in kurzer Zusammenstellung
einen Ueberblick der wesentlichen Teilvorgänge geben,
welche uns vom intermediären Kohlehydratstotr Wechsel bisliei
bekannt geworden sind. Sie lassen sich unter folgende
Gruppen zusammenfassen:
10) Näheres siehe Zeitschr. f. physikal. Chemie, o7, Pa^- n; ‘
Vergl. dabei diese Arbeit, Anmerkung 7; cf. auch S ch a d .
Bedeutung' der Katalyse ff., pag. 86—10/.
1864
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1. Vorbereitende Vorgänge im Intestinal traktus:
Hydrolytische Spaltung der Stärke durch diastatische Fermente
über Dextrine bis zur Maltose.
Hydrolytische Spaltung der Maltose durch ein Ferment (Malto-
dextrase) in 2 Traubenzuckermoleküle.
Hydrolytische Spaltung der Saccharose durch ein Ferment (In¬
vertin) in Dextrose und Fruktose.
Hydrolytische Spaltung der Laktose durch ein Ferment (Lakto-
dextrase) in Dextrose und Galaktose.
„Das wichtigste Ergebnis des gesamten Abbaues der Kohle¬
hydrate im Verdauungsikanal ist, dass durch hydrolytische Spaltung
unter dem Einfluss der Fermente das eine Ziel angestrebt wird, die
einfachsten Bausteine, vor allem Hexosen, herzustellen und so dem
Organismus ein einheitliches Baumaterial zum Aufbau seiner Körper¬
substanz zu bieten. Mit dem Aufbau wird das dem tierischen Orga¬
nismus fremde Molekül zerstört, in ein einheitliches „indifferentes“
Material verwandelt, aus dem der tierische Organismus seine eigenen
Kohlehydrate aufibauen kann“ (Abderhalden 11).
II. Umbildung in Reservestoffe:
A. Bildung des Glykogens „durch die Tätigkeit der Leber¬
zellen 12)“ etc. aus Dextrose, vielleicht auch in gleicher Weise aus
Fruktose 13).
Hydrolytische Spaltung des Glykogens durch ein Ferment 14) in
Traubenzuckermoleküle, vielleicht ähnlich wie bei der diastatischen
Spaltung der Stärke über Dextrine und Maltose15).
B. Bildung von Fett, vielleicht über die Zwischenstufe von Fett¬
säuren16).
III. Umwandlung unter Beibehaltung der Hexosen-
struktur:
Umwandlung der Fruktose in Dextrose17).
Umwandlung der 1-Mannose in 1-Dextrose 18).
Auch für die Galaktose ist eine ähnliche Umlagerungsfähigkeit
mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen19).
IV. Abbau und Verbrennung der Hexosen:
„Wir kennen zwar die Endprodukte: Kohlensäure und Wasser,
und wissen, dass eine Oxydation stattfindet; unklar bleibt jedoch vor¬
läufig, über welche Produkte diese führt“ (Abderhalden 20).
Ich habe mich bemüht, aus der Literatur dasjenige zu¬
sammenzustellen, was über rein chemische Parallelvorgänge
beobachtet werden konnte. Für einzelne dieser Fermentpro¬
zesse, speziell für die hydrolytischen Zuckerspaltungen, ist der
Eintritt der gleichen Reaktion unter der Einwirkung von
Säuren allbekannt. Dass hierbei die Säuren, resp. deren
H-Ionen als Katalysatoren wirken, kann keinem Zweifel unter¬
liegen und ist zum grossen Teil auch durch Messungen physiko¬
chemischer Art (O s t w a 1 d u. a.) zahlenmässig belegt worden.
Da aber die Katalyse bisher noch nicht in die medizinischen
Arbeitsmethoden Eingang gefunden hat, so erklärt es sich, dass
diesen Parallelen nicht die gebührende Beachtung zu Teil ge¬
worden ist. Die folgenden Zusammenstellungen, welche das
verstreut und unbeachtet gelegene Material wertvoller Einzel¬
beobachtungen in sich vereinigen, scheinen mir nun in geradezu
überraschender Weise den ganz auffälligen Parallelismus dar¬
zutun zwischen dem, was Fermente an Umsetzungen „hervor¬
zubringen“ vermögen und demjenigen, was die spontane, nur
durch einfache Katalysatoren beschleunigte Zersetzung der
Stoffe zutage treten lässt.
Die erste Gruppe der genannten Reaktionen betraf die zu¬
meist im Darmkanal sich abspielenden, vorbereitenden Fer¬
mentprozesse. Es sind die hydrolytischen Spaltungen der zu¬
sammengesetzten Zuckerarten und der Stärke. Sie sind sämt¬
lich — wenigstens in ähnlicher Form — auch als rein anorga¬
nisch reproduzierbare Katalysen bekannt:
11 ) Abderhalden: Physiol. Chemie 1906, pag. 66.
'"’) Abderhalden: l.c. pag. 70. Der gleiche Prozess ist auch
anderen Zellen, z. B. den Muskelzellen, Leukozyten etc. möglich.
13) cf. N a u n y n in Nothnagels Spez. Pathol. u. Therapie 1900,
VII, I, pag. 428; cf. auch Abderhalden, 1. c. pag. 71, 72.
“) cf. Pflügers Archiv 7, 28 (v. Witt ich) etc.
15) Aus Glykogen spaltet Diastase Maltose ab (Zeitschr. f. phy¬
siol. Chemie, 2, 413; 4, 93, Musculus und v. M e r i n g), vielleicht
auch Dextrin (cf. Abderhalden, 1. c. p. 78).
16 ) cf. Abderhalden: 1. c. pag. 335.
17) Zeitschr. f. physiol. Chemie, 19, 137 (John Haycraft) etc.
) Zeitschr. f. physiol. Chemie, 37, 530 (N e u b e r g u. Mayer).
) cf. Nothnagels Spez. Pathol. u. Therapie 1900, VII, I. pag. 89.
) Abderhalden: 1. c. pag. 78.
Substanz
Art der hydrolyti¬
schen Spaltung
Ferment
Katalysator
Auto.on*)
Kirchhoff
Stärke
über Dextrine
in Zucker
Diastase
H-Ionen
Musculus u.
v. Mering
Lintner
Maltose
in Dextrose
Maltodex-
trase
H-Ionen
Melssl
Sigmond
Saccharose
in Dextrose und
Fruktose
Invertin
H-Ionen,
Platin etc.
Ostwald
Arrhenius
Hoffmann
Laktose
in Dextrose und
Galaktose
Laktodex-
trase
H-Ionen
( Pasteur
Tollens u.
Kent.
Betreffs der zweiten Gruppe der Kohlehydratreaktionen,
durch die eine Umbildung in Reservestoffe des Körpers be¬
werkstelligt wird, ist chemisch zwar weniger bekannt; immer¬
hin aber fehlt es auch hier nicht an Fingerzeigen, dass diese
Vorgänge sich auf Wegen vollziehen, wie sie ähnlich rein
chemische Parallelprozesse unter dem Einfluss von Katalysa¬
toren benutzen:
Reaktion
Ferment
Katalysator
Autoren*)
Synthese der Hexosen zu
?
?
•
Glykogen
Hydrolytische Spaltung
Diastase-
H-Ionen
cf. Abderhal-
desGlykogens in Dextrose
ähnliches
Ferment
den
Umbildung von Dextrose
„durch Zell-
Platin
Loew
in Fett, resp. Fettsäuren
thätigkeit“
(lässt Fettsäure aus
Dextrose enstehen)
Für die dritte der obigen Gruppen, für jene eigenartigen
Umwandlungen der Hexosen, von denen die Umbildung der
Fruktose und der Mannose in die Dextrose am besten unter¬
sucht sind, haben die Arbeiten von Lobry de Bruyn und
Alberda van Ek enstein in hohem Masse aufklärend gewirkt.
Denn aus ihnen hat sich ergeben, dass auch rein chemisch, und
zwar unter der katalytischen Einwirkung der Hydroxylionen,
artähnliche Umwandlungen statthaben. Wir wissen, dass sich
unter dem Einfluss von Alkalien und alkalischen Salzen zwi¬
schen der Dextrose, der Fruktose und der Mannose ein gleich¬
gewichtsähnlicher Zustand einstellt, dass mithin jede der ge¬
nannten Zuckerarten in alkalischer Lösung bis zu bestimmten
Bruchteilen ihrer Menge — die Umwandlungsfähigkeit ist
wechselseitig nach dem Schema Dextrose Fruktose
Manose — in die beiden anderen der genannten Zuckerarten
übergeht. Es tritt somit auch hier wiederum deutlich hervor, dass
die Bahnen, in denen sich die fermentartigen Stoffwechsel¬
reaktionen des Organismus vollziehen, im wesentlichen ähnlich
sind wie diejenigen, auf denen die chemischen Umsetzungen
unter der Einwirkung von Katalysatoren erfolgen:
Reaktion im Körper
Katalysator
Reaktion bei
Katalyse
Autoren*)
Fruktose Dextrose
1-Mannose 1-Dextrose
j OH-Ionen
[Fruktose y^tDex-
trose f^Mannose
[ Lobry de Bruyn
u. Alberda van
[ Ekenstein
Sprechender noch als diese Tabellen zeigt sich die weit¬
gehende Uebereinstimmung der Wege bei der Fermentwirkung
und der Katalyse in dem folgenden Schema, welches die ex¬
perimentell nachgewiesenen katalytischen Umsetzungen sum¬
marisch vereinigt:
*) Es sind hier nur die Autorennamen verzeichnet; ausführliche
Literaturangaben siehe S'chade: Die Bedeutung der Katalyse für
die Medizin, Kiel 1907 (Verlag W. G. Miihlau), pag. 110—111.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1865
A m y 1 u m
Saccharose
Ma
tose
Laktose
1 — i
Yt f
+
Fruktose Dextrose Mannose Galaktose
Ä
1
1
Y
Glykogen >
f Fettsäuren
Ah
bau.
Es bedarf nur geringer Aenderungen oder Zusätze, um
dieses Schema der anorganisch-katalyti¬
schen Umsetzungen mit dem in Einklang zu bringen,
was wir vom Kohlehydratstoffwechsel des menschlichen Kör¬
pers wissen. Diese Aenderungen beziehen sich auf die folgen¬
den Punkte:
1. Die Reaktion Fruktose i-« Dextrose Mannose ist
bisher im Körper nur in dem beschränkten Sinne der Glei¬
chung Fruktose Dextrose -<-ä Mannose beobacht worden,
2. Neben der hydrolytischen Spaltung des Glykogens
findet im Körper auch dessen Synthese statt; die letztere ist
katalytisch nicht reproduzierbar gewesen 2i).
3. Die Umbildung der Dextrose zu Fett hat keine kata¬
lytische Parallele gefunden; dafür ist allerdings auch beim
Zucker katalytisch das Entstehen von Fettsäuren beobachtet
worden, doch ist zweifelhaft, ob diese Reaktion mit der Fett¬
bildung im Körper in einen Zusammenhang gesetzt werden
4 Ueber den physiologischen Abbau der Dextrose herrscht
noch eine grosse Unsicherheit. Eine ähnliche vergleichende
Gegenüberstellung mit den katalytischen Befunden ist daher
zurzeit nicht möglich. Immerhin aber sei erwähnt, dass die
Analogie des sonst vorliegenden Parallelismus auch hie i eine
Verwandtschaft möglich erscheinen lassen muss und dass in
der Tat die bisher gemachten, allerdings noch nicht allgemein
anerkannten Befunde des fermentativen Dextroseabbaues im
Körper (S t o k 1 a s a etc.) durch eine weitgehende Anlehnung
an meine katalytischen Beobachtungen charakterisiert sind").
So sehr auch nach allem die Abbauwege der Kohlehydrate
bei der Fermentwirkung und bei der Katalyse sich gleichen,
so entschieden muss doch andererseits betont werden, dass die
Enzyme und die Katalysatoren, die beide hie i als Mittel zu dem
gleichen Zweck erscheinen, an und für sich nichts weiter als
eben die ähnliche Wirkung gemeinsam haben. Es kann nicht
daran gedacht werden, hier ernstlich eine Parallele zwischen
den Katalysatoren und den Enzymen des Körpers ziehen zu
wollen. Dagegen spricht neben anderen vor allem die unge¬
mein hoch entwickelte Spezifität der Wirkung aller Körper¬
enzyme. Während z. B. die Wasserstoffionen, resp. die
Hydroxylionen bei diesen Vorgängen jede eine ganze Gruppe
von Vorgängen unterschiedslos katalysieren, entspricht im
Körper jeder einzelnen Substanz aus der langen Kette der Ab¬
baustoffe ein besonderes Ferment und die Wirkung desselben
pflegt sich selbst bei dem adäquaten Stoff nur auf eine kleine
Teilreaktion zu beschränken. Bei den Fermenten ist, um mich
eines vielgebrauchten Bildes zu bedienen, die Annahme einet
Einrichtung unerlässlich, die wie der Schlüssel beim Schloss
eine ganz spezifische Auslese gestattet. Nur die ,,z\\ eite
Phase der fermentativen Prozesse, der eigentliche Zerfall des
Substrates“ (Oppenheimer) vollzieht sich, wie auch hier
gezeigt werden konnte, im wesentlichen unter den Bedingungen
der Katalyse. .
Wenn wir uns nunmehr zu der rein praktischen Seite dieser
Forschungsrichtung wenden, so muss zunächst gesagt werden,
dass die bei den obigen Versuchen zur Anwendung gelangenden
Katalysatoren ihrem allgemeinen Charakter nach wenig physio¬
logisch anmuten. Denn es erscheint ausgeschlossen, im Körpei
durch stärkere Säuren und Alkalien oder auf ähnlichem Wege
21 ) An sich sind auch Synthesen vermittels Katalysatoren er¬
reichbar, vergl. z. B. die Synthese der Maltose, resp. Isomaltose aus
Dextrose. Croft Hill, Journ. of chem. Soc., 73, 634.
“) Näheres siehe bei Schade: Die Bedeutung der Katalyse
für die Medizin 1907, pag. 112 — 117.
^ 33
den Abbau gewisser Stufen des Kohlehydratstoffwechsels kata¬
lytisch beschleunigen zu wollen. Ueberhaupt ist bei der ausser¬
ordentlichen Kompliziertheit und dem so mannigfachen In-
einandergeifen der Zuckerabbauprozesse — wenigstens vor¬
erst, wo die katalytische Forschung sich noch ganz in ihrem
Anfangsstadium befindet — nicht daran zu denken, irgend eines
der hier wirkamen Fermente vikariierend durch einen künstlich
dem Körper zugeführten anorganischen oder organischen Kata¬
lysator ersetzen zu wollen.
Trotzdem aber stehen, wie ich glaube, der
Katalyse indirekte Wege zur Verfügung, auch
im Körper auf Fermentprozesse beschleuni¬
gend e i n z u w i r k e n. Durch eine nicht mehr geringe Zahl
von Untersuchungen wissen wir, dass die Intensität einer
Fermentwirkung nicht allein von der Menge und der Be¬
schaffenheit des Fermentes, sondern in hohem Masse auch von
dem „Milieu“, in dem sich der Prozess abspielt, abhängig ist.
Diese Art der Mediumbeeinflussung erscheint mir nun wegen
ihrer Beziehungen zu der antidiabetischen 1 herapie derartig
wichtig, dass ein kurzes Eingehen auf dieselbe hier unerläss¬
lich ist.
Der Einfluss des Mediums kann sich, wie die quantitativen
Messungen von Fermentprozessen in Reagenzglasversuchen
ergeben haben, auf verschiedenen Wegen geltend machen.
I. Die Fermente sind wie alle anderen in kolloidaler Lö¬
sung befindlichen Substanzen in ihrer Oberflächenentwicklung
und damit auch in ihrer spezifischen Funktion von der quanti¬
tativen und qualitativen Beschaffenheit der Lösungsflüssigkeit,
speziell von dem Gehalt an Salzen, abhängig.
II. Für eine grosse Anzahl von Fermenten sind Stoffe be¬
kannt, die — wenn auch nur in minimaler Menge beigegeben —
die Fermentwirksamkeit in auffälliger Weise vermehren; diese
Substanzen, die an und für sich mit der Fermentwirkung nichts
zu tun haben brauchen, oft auch als alleinige Zusatzstoffe bei
den Reaktionen nichts von einer katalytischen Parallelwirkung
erkennen lassen, werden als „Zymoexzitatoren“ bezeichnet.
III. Schliesslich können diejenigen Stoffe, welche rein che¬
misch vermittels der Katalyse einen dem Fermentprozess
gleichsinnigen Vorgang entstehen lassen, auch bei der fer¬
mentativen Auslösung des Prozesses noch unterstützend wirk¬
sam werden, wie u. a. für die Hydroxylionen (Alkali) am Bei¬
spiel der Hämase von S enter und von der Milchsäure-
bakterienzymase von Büchner gezeigt worden ist.
Sind aber jene in extrazellulären Experimenten erhobenen
Befunde auf den Chemismus der lebenden Zellen übertragbar ?
Gibt es Belege dafür, dass der intermediäre
Kohlehydrat st offwechsel der Zelle in vivo
durch künstliche Zufuhr katalytischer Stoffe
zu steigern ist? In der Beantwortung dieser Satze
scheint mir der Kernpunkt der ganzen Frage nach der prak¬
tischen Bewertung der Katalyse für Diabetes zu liegen.
Die Antwort aber ist eine günstige. Der Nachwei s,
den wir als Grundlage einer weiteren Forschung in piaktischei
Richtung brauchen, scheint mir durch die U n t c i -
suchungen Effronts23) im Prinzip geliefert zu
sein. Diesem Forscher gelang es, in lebenden riefezellen
durch allmähliche Gewöhnung an fluorammoniumhaltige
Nährböden das Gärvertnögen anhaltend um sehr erhebliche Be¬
träge, bis zum 10 fachen des ursprünglichen Wertes, zu stei¬
gern. Dass hierbei im eigentlichen Sinne eine intrazellu nie
Förderung des enzymatischen Zuckerabbaues (hier in der Form
der alkoholischen Gärung) erreicht wurde, liess der Umstand
erkennen, dass der Zucker schneller aus der Lösung ver¬
schwand und dass dabei, wie quantitativ nachgewiesen wurde,
mehr Alkohol, aber nur eine verhältnismässig viel kleineie
Menge von Nebenprodukten entstand. Ausserdem liess sich
zeigen, dass die Beeinflussung eine elektive war; denn v ie
namentlich die Versuche mit noch nicht voll an Fluor ge¬
wöhnten Heferassen ergeben, entsprach die Erhöhung der Gar¬
leistung nicht einer allgemeinen Steigerung der Lebensvoi-
gänge, da beobachtet werden konnte, dass gleichzeitig mit o^m
Anstieg der Gärtätigkeit die Vermehrungsfähigkeit dei Huc
2a) Compt. rend.
6, 786.
17, 559. Bull. Soc. chim. 63) 4, 148, 476, /31;
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
I«66
zurückging. Diese auffallenden und, wie mir scheint, für die
Oesamtbeurteilung der Frage hochbedeutsamen Beobachtungen
sind auch von anderer Seite, so z. B. von S o r e 1 24) nach¬
geprüft worden und bestätigt gefunden. Zur Erklärung dieser
Beeinflussung des intrazellulären Kohlehydratumsatzes ist es
von Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, dass obwohl systema¬
tische Untersuchungen auf diesem Gebiet noch so gut wie ganz
fehlen, doch gerade vom Fluor bereits mehrere Beobachtungen
über Fermentaktivierungen in vitro gemacht worden sind. So
konstatierte z. B. Herissey 25), dass ein Zusatz von Natrium¬
fluorid die hydrolytische Spaltung der Mannane (zusammen¬
gesetzte Zuckerarten) durch die „Seminase“ (spez. Enzyme des
Johannisbrodes) beschleunigte; derselbe Erfolg der Aktivierung
zeigte sich auch bei der Hydrolyse der Reservekohlehydrate
durch die „Zytase“ der Leguminosen28); und schliesslich sei
erwähnt, dass von Loevenhart und P e i r c e 27) ein
gleicher beschleunigender Einfluss minimaler Mengen Fluor¬
natriums (z. B. 1 : 5 000 000) auch noch bei der „Lipase“, dem
fettspaltenden Ferment aus dem Pankreas des Rindes, fest¬
gestellt worden ist. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ergibt
sich daher auch für die E f f r o n t sehen Versuche die Annahme,
eine katalytisch-aktivierende Beeinflussung als die Ursache der
dauernden spezifischen Steigerung des Zuckerumsatzes in der
Zelle anzusehen, wenn es auch erst Aufgabe der Zukunft ist,
diese Verhältnisse im einzelnen klar zu legen.
Der Wert aber, den diese Befunde trotz der noch überall
bestehenden Lücken auch jetzt schon für unsere Diabetes¬
therapie besitzen, besteht vor allem in dem in ihnen enthaltenen
N ach weis, dass selbst Vorgänge, welche wie
diejenigen des Kohlehydratstoffwechsels
aufs innigste mit dem „Zelleben“ verknüpft
scheinen, innerhalb der intakten Zelle durch
Zufuhr geringer Mengen von chemischen
Substanzen in der Geschwindigkeit ihres Ab¬
laufes modifiziert werden können. Sie die¬
nen daher als eine Stütze für die Aussicht,
dass auch im menschlichen Körper eine Be¬
einflussung des Kohlehydratstoffwechsels
durch chemische Mittel statthaben kann. Ent¬
gegen unseren jetzigen Anschauungen werden deshalb die Ver¬
suche, die Toleranz für Kohlehydrate beim Diabetes auf medi¬
kamentösem Wege zu steigern, nicht mehr als vornherein aus¬
sichtslos vernachlässigt werden dürfen.
Wie mir scheint, haben gerade in jüngster Zeit die Erfolge
der v. N o o r d e n sehen Haferkuren 28) durch ihre paradoxe
Wirkungsart gezeigt, dass auch beim Diabetes chemische Diffe¬
renzen in der Nahrung, selbst solche, die unseren analytischen
Methoden noch nicht einmal zugängig sind, von der ein-
schneidensten Bedeutung für den praktischen Erfolg werden
können. Ebenso ist die unterschiedliche Wirkung, welche die
Verabreichung der verschiedenen Eiweisspräparate als Beikost
zu den Kohlehydraten auf eine bestehende Glykosurie ausübt
(cf. Skala nach v. N o o r d e n : für Kohlenhydrattoleranz am
günstigsten Beikost von Eierklar, sodann von Pflanzeneiweiss,
Kasein und der natürlichen Mischung von Eierklar und Eigelb,
weniger günstig von Muskeleiweiss), geeignet, die Aufmerk¬
samkeit auf die chemische Beschaffenheit der neben den Kohle¬
hydraten verabreichten Stoffe, seien es nun natürliche Nah¬
rungsmittel oder medikamentöse Substanzen, zu lenken.
Dass auch im menschlichen Körper gewisse — allerdings
ihrer chemischen Natur nach noch nicht fixierte — Stoffe vor¬
handen sind, welche in einer mit der Katalyse verwandten Art
den Kohlehydratstoffwechsel, speziell den Abbau der Dextrose
beeinflussen, ergibt sich aus den bekannten Untersuchungen,
welche sich auf die „innere Sekretion“ des Pankreas er-
24 ) Compt. rend., 118, 253.
25) Compt. rend., 133, 49.
2e) Compt. rend., 138, 1003.
27 ) Journ. of biological Chemistry, Vol. II, No. 5, März 1907.
2S) Bekanntlich hat S. L i p e t z (Zeitschr. f. klin. Med. 56, 188)
diese Sonderstellung des Hafermehls bestritten und auf eine ver¬
ringerte Resorption infolge vermehrter Darmgärung zurückführen
wollen. „Die Verminderung der Azetonurie widerlegt diesen Ein¬
wand sofort“ (v. No orden: Handbuch der Pathol. d. Stoffwechsels,
1907, Bd. II, pag. 63).
strecken. „Für das Pankreas darf es als sicher gelten, dass
in dem Organe das Blut eine Veränderung erfährt, welche für
den normalen Ablauf des Zuckerstoffwechsels unerlässlich ist
und deren Ausbleiben bei bestimmten Erkrankungen dieses
Organs sich im Auftreten des Diabetes äussert“ (Naunyn).
„Fassen wir alles zusammen, was wir Positives über die Ur¬
sachen der Hyperglykämie nach der Pankreasexstirpation
wissen, so können wir sagen, dass eine Störung der Regu¬
lation des Zuckerumsatzes vorliegt und dass offenbar normaler
Weise die Pankreasdrüse an die Blutbahn einen Stoff abgibt,
der den Kohlehydratstoffwechsel regelt“ (Abderhalde n).
Da nun bei einer nicht gerade kleinen Zahl jener unter dem
Sammelbegriff des Diabetes mellitus zusammengefassten Er¬
krankungen auch pathologische Veränderungen des Pankreas,
speziell solche in den Langerhans sehen Zellgruppen, die
besonders als an der inneren Sekretion beteiligt angesprochen
werden, zu finden sind, so scheint mir für diese Fälle der Weg
zu einer kausalen katalytischen Therapie vorgezeichnet, und
es sollte die weitere Verfolgung dieses ersten, aussichtsreich
erscheinenden Weges nicht durch das negative Ergebnis der
bisherigen therapeutischen Versuche (Darreichung von Pan¬
kreaspräparaten per os und ähnlichem) eine Hemmung erfahren.
Allerdings darf man nicht zu viel von einer einzelnen Art der
Beeinflussung erwarten: sie wird bei der sicher vorhandenen
Mannigfaltigkeit der beim Diabetes vorliegenden Störungen
immer nur eine gewisse Gruppe der Fälle betreffen können.
Für andere wird man event. nach sonstigen katalytischen Be¬
einflussungen suchen müssen.
Auch das Alkali, dessen günstiger Einfluss auf den Diabetes
in manchen Fällen (auch solchen ohne Azidosis!) sicher gestellt
zu sein scheint, verdient in Rückblick auf die oben sub III
genannten Ergebnisse von diesen neuen Gesichtspunkten aus
betrachtet zu werden.
Dass über diesen Versuchen die bewährte diätetische Be¬
handlung des Diabetikers nicht vernachlässigt werden darf,
ist selbstverständlich. Den neuen und wichtigen
Fortschritt aber, den wir der Heranziehung
der Katalyse verdanken, sehe ich darin, dass
sie mitdemz urZeitherrsche n denmedikame n-
tosen Nihilismus bricht und uns hilft, schär¬
fer präzisierte Aufgaben zu finden, um das,
was bislang wie z. B. bei der v. Noordenschen
Haferkur unerkannt wirksam geworden ist,
bewusst und systematisch für die Therapie
zu verwerte n.
Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Asch off).
Bakteriologische Untersuchungen bei Cholelithiasis.
Von Dr. Bacmeister, Assistent am pathologischen Institut.
Seit Naunyns grundlegenden Arbeiten über die Chole¬
lithiasis haben namentlich die Bakteriologen sich vielfach mit
der Galle und den Gallensteinen beschäftigt. Besonders die
Franzosen haben auf Grund bakteriologischer Untersuchungen
des Gallenblaseninhalts und experimentellen Versuchen die
Entstehung von Gallensteinen auf den Einfluss von Bazillen zu¬
rückzuführen versucht. Dass die Galle des lebenden Menschen
unter den verschiedensten pathologischen Zuständen Bakterien
enthalten kann, ist jetzt allgemein bekannt und durch eine aus¬
gedehnte Literatur bezeugt. Spärlicher sind die Mitteilungen
über den Bakteriengehalt der Gallensteine. Systematisch haben
sich nur Gilbert und seine Mitarbeiter damit beschäftigt,
die eine Anzahl von 70 Steinen untersuchten. Es wurden in
einem Drittel der untersuchten Fälle Mikroorganismen lebend
oder abgestorben gefunden, hauptsächlich das Bacterium coli
Escherich. Gilbert gibt an, in den klinisch frischeren Fällen
der Cholelithiasis stets auf lebende Bakterien in den Steinen
gestossen zu sein, während bei länger zurückliegenden
Attacken und bei den als Zufallsbefund gefundenen Steinen bei
den Autopsien älterer Leute die Steine keinen bakteriellen In¬
halt bargen.
Die Frage, ob Bakterien wirklich das auslösende oder ein
mitwirkendes Moment bei der Gallensteinbildung sind,
schwankt immer noch hin und her. Die bei weitem grössere
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1867
17. September 1907.
Zahl von Forschern neigt jetzt der Ansicht zu, dass neben an¬
deren pathologischen Veränderungen Infektionserregern ein An¬
teil an der Steinbildung zufällt. Ob allerdings alle Steinarten
der Mitwirkung von Bakterien zu ihrer Entstehung bedürfen und
unter welchen Bedingungen der verschiedene Aufbau der ein¬
zelnen Steinarten zu stände kommt, darüber fehlen die Unter¬
suchungen noch völlig. Vielleicht können in der Gallenblase
reine Cholesterinsteine abakteriell entstehen, während bei den
mit Kalk und Pigment gemischten die bazilläre Einwirkung nötig
sein mag. Wenn aber wirklich in allen frischen Fällen von
Cholelithiasis Bazillen im Innern des Steines nachgewiesen wer¬
den können, in den älteren aber solche fehlen, so ist damit der
bakteriellen Entstehung eine wichtige Stütze gegeben.
Um dieser Frage näherzukommen, habe ich zunächst alle
Fälle von Cholelithiasis der letzten Zeit, die im hiesigen In¬
stitut zur Sektion kamen, auf den Keimgehalt ihrer Steine mit
folgender Methode untersucht. Die Oberfläche eines Steines
wurde vorsichtig in kleiner Flamme abgesengt. Bei Steinen
mit facettierten glatten Flächen gelang es ohne Schwierigkeiten
eine sterile Oberfläche zu erhalten, ohne eine Tiefenwirkung
der Hitze fürchten zu müssen. Bei grösseren rauhen Steinen
musste sehr sorgfältig gearbeitet werden, um alle Buchten zu
sterilisieren, was durch mehrfaches kurzes Erhitzen erreicht
wurde. Nur bei ganz grossen Steinen wurde die Oberfläche
abgeschmolzen. Die so behandelten Steine wurden in steriler
Bouillon völlig untergetaucht und hin und her bewegt. Blieb
diese Bouillon steril, war die Keimfreiheit der Steinoberfläche
eine absolute. Dann wurde der Stein steril eröffnet und aus
dem Zentrum, stets möglichst vom Rande entfernt, mehrere
Bouillonkulturen angelegt.
Es wurden im ganzen Steine von 20 Fällen untersucht.
Unter diesen befanden sich alle gewöhnlichen Steine vom reinen
Cholesterinsteine bis zum weichen Pigmentstein. Von diesen
20 Fällen erwiesen sich 16 als steril, während in 4 Fällen Bak¬
terien im Zentrum gefunden wurden.
In den etwa kirschgrossen, facettierten Pigmentkalksteinen
einer 50 jährigen Frau wurden Kolibazillen nachgewiesen, des¬
gleichen fanden sich in einem über kirschgrossen reinen Chole¬
sterinstein, um den, die nur wenig Galle enthaltende, narbig
geschrumpfte Gallenblase stark kontrahiert war, Kolibazillen.
ln beiden Fällen wurde derselbe Bazillus aus der Galle ge¬
züchtet. Ein weicher Pigmentstein aus einem erweiterten
Gallengang bei Choledochenverschluss enthielt denselben Mi¬
kroorganismus, während andere Steine derselben Art steril ge¬
funden wurden. Zuletzt gelang es, aus zwei facettierten Steinen
einer 34 jährigen Frau, die in der 4. Woche einem Typhus
erlag, typische (agglutinierte) Typhusbazillen zu kultivieren, die
sich ebenfalls in der Galle fanden.
Nach Gilberts Angaben müssten diese vier Fälle von
Cholelithiasis jüngeren Datums sein, da sie lebende Bakterien
beherbergen. Schon auf den ersten Fall trifft es nicht zu. Kli¬
nisch war bei der Frau von Kolikanfällen nichts in Erfahrung
zu bringen, wenn solche bestanden haben, müssen sie schon
lange zurückliegen. Der anatomische Befund spricht für einen
alten Zustand; dass in der Galle das Bacterium coli noch zu
finden war, ist kein Gegenbeweis, da die einmal infizierte Galle
lange Zeit die Bakterien symptomlos beherbergen kann —
Droba hat sogar Typhusbazillen 17 Jahre nach der Erkran¬
kung in der Galle gefunden.
Bei dem reinen Cholesterinstein handelte es sich um einen
74 jährigen Mann, mit alten narbigen Schrumpfungen, also
sicher ein ganz alter Prozess.
Besonders hinweisen möchte ich aber auf die mit Typhus
behafteten Steine. Ein etwa früher durchgemachter Typhus ist
klinisch ausgeschlossen. Die Steine waren gut kirschkerngross
mit harter geschichteter Schale und weichem Kern. Dass in
3 Wochen ein solcher Stein um die Typhusbazillen entstehen
könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Wir sind allerdings über
die Entstehungszeit solcher grösserer Steine noch sehr im
Dunkeln, da wir auf zufällige Rezidivoperationsbefunde ange¬
wiesen sind. v. Hansemann fand nach 7 Monaten zwei
Gallensteine mit fester Schale im Duodenum neben der Papille
um einen Seidenfaden (nach Ausschaltung des Duodenums durch
Gastroenterostomie). Naunyn demonstrierte einmal 15 win¬
zige, offenbar ganz junge Steine als Sektionsbefiind bei einem
15 jährigen Knaben, der typhösen profusen Darmblutungen er¬
lag, ein Fall wo der Typhus wohl ebenso alt ist wie mein an¬
geführter. Auch hier waren nur winzige Steine vorhanden.
M i y a k e und M i g n o t fanden bei experimentellen Versuchen
erst nach 34 — 1 Jahre strukturierte Konkremente in der Hunde¬
galle, ein schnelleres Entstehen ist damit zwar nicht ausge¬
schlossen, doch liegt eine andere Erklärung für die Anwesen¬
heit von Bakterien näher, auf die ich unten zurückkommen
•werde.
Im Gegensatz zu diesen bei Sektionen gewonnenen Steinen
hatte ich Gelegenheit in 4 Fällen Gallensteine zu untersuchen,
die operativ von Professor Kehr in Halberstadt entfernt
waren, und bei denen die klinischen Erscheinungen innerhalb
der letzten Jahre lagen. Die ersten Anfälle waren vor 6, 2 mal
vor 4 und einmal vor 134 Jahren aufgetreten. Bei dem letzten,
134 Jahre zurückliegenden, Fall schlossen sich die klinischen
Erscheinungen unmittelbar an einen Typhus an. Gerade Ty¬
phusbazillen sind in der letzten Zeit mehrfach und noch nach
Jahren post infectionem in den Gallensteinen gefunden worden
— wenn die Galle ebenfalls diese Bakterien enthielt. In diesem
Falle wurden in den facettierten Pigmentkalksteinen, die ein
weiches Zentrum hatten und von denen eine grössere Zahl
untersucht wurde, keine Bakterien gefunden. Auch in den 3
anderen Fällen erwiesen sich sämtliche Steine als steril.
Schliesslich konnten auch in den grösseren Gallensteinen eines
16 jährigen Mädchens keine Mikroorganismen gefunden wer¬
den, ebenfalls ein Fall, wo die Steinbildung nicht lange zuriick-
iie'gen kann.
Es ist also durch meine Untersuchungen festgestellt, dass
in Fällen, die klinisch jüngeren Datums sind, keine Mikro¬
organismen im Zentrum nachweisbar zu sein brauchen, während
im höheren Alter, auch wenn seit langer Zeit keine Krank¬
heitserscheinungen von der Gallenblase aus Vorlagen, Zufalls¬
befund bei der Sektion, Bakterien im Innern der Steine ge¬
funden wurden.
Schon diese Untersuchungen sprechen dafür, dass in den
älteren Fällen die Keime eingewandert sind. Gilbert ist
es gelungen beim reinen Cholesterinstein eine Einwanderung
von Kolibazillen durch Einbringen des Steines in eine Bouillon¬
kultur zu erzielen. Da bei den anderen Steinen ihm dies nicht
gelungen ist, hält er sie für uneinnehmbar für eine sekundäre
Bazilleninvasion. Er schliesst daraus, dass alle mit Pigment
gemischten Steine die Bakterien, denen sie ihre Entstehung
verdanken sollen, bei der Genese einschliessen.
Es wurde nun eine grössere Reihe Steine aller Art von
mir in Bouillon und menschlicher Galle fraktioniert sterilisiert
_ ausgenommen die reinen Cholesterinsteine, für deren Durch¬
dringbarkeit ausser Gilberts Versuchen auch mein oben an¬
geführter Fall spricht — und mit den verschiedensten Bakterien
beschickt. Während die grössere Zahl der Steine steril blieb,
gelang es in zwei Fällen, in einer 8 tägigen und einer 24 tägigen
Typhus-Bouiilon-Steinkultur die Typhusbazillen aus der Mitte
des Steines zu kultivieren, bei absoluter Sterilität der abge¬
sengten Steinoberfläche, wie das Kontrollröhrchen zeigte. Es
handelte sich um einen maulbeerartigen, haselnussgrossen
Cholesterinkalkstein von einer 38 jährigen Frau und einen
kirschkerngrossen gewöhnlichen, facettierten Stein mit glatter
Oberfläche von einer 82 jährigen Frau.
Damit ist wohl der Beweis geliefert, dass in alle Arten
von Gallensteinen Bakterien sekundär einwandern können. Wie
häufig die Einwanderung vorkommt, lässt sich nach diesen
Untersuchungen natürlich noch nicht entscheiden, doch scheint
der Bakterienbefund in den Steinen (4 unter 24) zu den Fin-
wanderungsversuchen (2 unter 11) in einem gewissen Verhältnis
zu stehen. Die Fähigkeit Bakterien den Eintritt zu gestatten,
liegt jedenfalls in einer besonderen Beschaffenheit des Steines,
nach der sich auch die Zeit des Eindringens richtet, vielleicht
auch in der Beweglichkeit des Bazillus. Zu erwähnen ist noch,
dass eine Einwanderung in Steine, die in die infizierte Bauch¬
höhle eines Kaninchens gebracht wurden, nicht erfolgte, ein
Umstand, der wohl darauf zurückzuführen ist, dass bei viru¬
lenten Stämmen der Tod schon nach ein paar Stunden ein¬
trat, während bei schwachvirulenten keine genügende Exsu¬
dation erfolgte. _
1868
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Durch diese Untersuchungen ist natürlich die Möglichkeit,
dass Bakterien bei der Bildung von Steinen im Innern einge¬
schlossen werden und sich dort lebend erhalten, nicht auszu-
schliessen. Aber der Umstand, dass eine sekundäre Einwande¬
rung in Steine jeder Art und jeden Alters möglich ist, zeigt
ebenso wie die Keimfreiheit jüngerer Steine, dass man das Vor¬
kommen der Bazillen im Zentrum allein nicht zur Stütze der
bazillären Genese der Steine heranziehen darf.
Literatur.
Naunyn: Klinik der Cholelithiasis. — Naunyn: Einige sel¬
tenere Vorkommnisse bei der Cholelithiasis. Münch, med. Wochen¬
schrift No. 4, 1900. — Gilbert und Fournier: Du röle des
Microbes dans la genese des calcules biliaires. Comptes rendus des
seances et Memoires de la Societe de biologie, 48, 1896. — Gilbert
und Domin ici: La lithiase biliaire est-elle de nature microbienne? j
Comptes rendus etc. 1894. — Gilbert: Note pour servir ä l’histoire
de la theorie microbienne de la lithiase biliaire. Comptes rendus etc.
J 898. — Mignot: L’origine microbienne de la lithiase biliaire.
Comptes rendus etc. 1898. — Mignot: Cholecystite calculeuses ex¬
perimentales. Bull de la soc. anatom. de Paris 1898, No. 12. —
Miyake: Zur experimentellen Erzeugung von Gallensteinen. Mitt.
aus den Grenzgeb. der Med. u. Chir., 6., 1900. — Hart mann: Bak¬
teriologische Studien an der Hand von 46 Gallensteinoperationen.
D. Zeitschr. f. Chir., 68, 1903. — v. Hansemann: Ein Beitrag zur
Entstehung von Gallensteinen. Virchows Archiv, 154, Folge XV,
Bd. IV. — Levy und Kays er: Bakteriologischer Befund bei der
Autopsie eines Typhusbazillenträgers. Münch, med. Wochenschr.
No. 50, 1906. — Droba: Der Zusammenhang zwischen Typhus¬
infektion und Cholelithiasis auf Grund eines in der Klinik operierten
Falles. Wiener klin. Wochenschr. No. 46, 1899.
lieber das Vorkommen von Spirochaeten bei pseudo¬
leukämischer Lymphdrüsenhyperplasie.
Von
Dr. Proescher, und Dr. C. White,
Prosektor am Allegheny-General-Hospital Chefarzt des Pittsburger Tuberkulose¬
sanatoriums.
Pittsburg Pa. U. S. A.
Vorläufige Mitteilung.
Pathologisch-anatomische sowie bakteriologische Unter¬
suchungen über das unter dem Sammelnamen „Pseudoleu¬
kämie“ zusammengefasste Krankheitsbild generalisierter
Lymphomatosis, haben uns noch keinen befriedigenden Auf¬
schluss über das die Lymphdrüsenhyperplasie bedingende
Gift gegeben.
Nach der zur Zeit akzeptierten Auffassung unterscheiden
wir histologisch und ätiologisch drei verschiedene Lymph-
drtisenerkrankungen, die als anatomische Substrate der
Pseudoleukämie angesehen werden: 1. das Lymphoma Simplex,
2. das Lymphoma tuberculosum, 3. das Lymphoma syphiliticum
oder gummosum.
Alle drei Formen zeigen dasselbe klinische Krankheitsbild.
Rationeller ist es, nur die beiden ersten Formen hierher zu
rechnen, das Lymphoma gummosum auszuscheiden, da es
keine primäre Erkrankung der Lymphdrüsen darstellt.
Ueber das ätiologische Agens, das die primäre maligne
Lymphdrüsenhyperplasie bedingt, wissen wir nichts.
Alle exakten und mit einwandsfreien Methoden vorge¬
nommenen bakteriologischen Untersuchungen haben gezeigt,
dass bakterielle Infektionen keine Rolle spielen.
Die von einer Reihe Untersucher wie Maffucci und
Traber s a, Majocchi und Picchini, Klein sowie
R o u x und Lannois gefundenen Bakterien sind nur als se¬
kundär invasierte Keime aufzufassen.
Möglicherweise ist das unter dem klinischen Bilde einer
Pseudoleukämie verlaufende generalisierte Lymphoma tuber¬
culosum nur sekundär mit Tuberkelbazillen infiziert, die pri¬
märe toxische Noxe aber dieselbe wie beim Lymphoma Simplex.
Nach allen klinischen Erfahrungen kann gar nicht daran
gezweifelt werden, dass die lymphdrüsenhyperplasierende
Noxe ein infektiöses Agens ist.
Die unter allgemeiner Abmagerung, Fieber, Albuminurie
und hämorrhagischer Diathese verlaufende Krankheit macht
den Eindruck einer schweren Allgemeininfektion.
Da alle einwandfreien bakteriologischen Untersuchungen
negativ ausgefallen sind, so drängte sich uns die Annahme auf,
ob es sich nicht um eine Protozoeninfektion handeln könnte.
Haben wir doch durch die Untersuchungen der letzten
Jahre für eine Reihe von Krankheiten Protozoen als deren
Erreger kennen gelernt (Syphilis, Schlafkrankheit, Kalaazar,
Framboesia etc.).
Wir untersuchten daher die Lymphdrüsen zweier typischer
Fälle von generalisierter maligner Lymphomatosis, die uns von
Dr. M c C a 1 1 u m in Baltimore gütigst überlassen wurden, auf
Spirochäten.
Die eine Drüse wurde nach der L e v a d i t i sehen Silber¬
methode behandelt, die andere nach Formalinhärtung direkt in
Paraffin eingebettet.
Beide Drüsen zeigten mikroskopisch das typische Bild
einer hyperplastischen Lymphadenitis mit vereinzelten Riesen¬
zellen und mononukleären Eosinophilen, ohne irgend welche
regressiven Veränderungen.
Die nach Levaditi behandelte Lymphdriise zeigte eine
enorme Menge Spirochäten, die in ihrem Aussehen an die
Spirochaeta pallida erinnerten.
Ebenso Hessen sich mittelst Giemsafärbung in der anderen
Lymphdriise eine grosse Anzahl zarter Spirochäten nachweisen.
Da wir bis jetzt noch nicht über frisches Material verfügten,
um Ausstrichpräparate anzufertigen, die eine bessere Diffe¬
rentialdiagnose gestatten, so bleibt vorläufig die Frage nach
der Art der Spirochäten eine offene.
Es wäre verfrüht, aus den ersten orientierenden Unter¬
suchungen irgend welche bindenden Schlüsse zu ziehen.
Weitere Untersuchungen an typischen Fällen generali¬
sierender Lymphomatosis, über die wir später berichten
werden, werden uns zeigen, ob der Befund ein konstanter ist
oder nicht und ob wir die Spirochäten als die langgesuchten
Erreger der idopathischen Lymphdrüsenhyperplasie anzusehen
haben.
Aus der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Johann¬
stadt in Dresden (Direktor: Geh. Medizinalrat Dr. Schmaltz).
Ueber die Wechselbeziehungen zwischen dem Ovulations¬
vorgang inkl. der Menstruation und inneren Krankheiten.*)
Von Dr. med. Georg R Leb old.
Die M e n s t r u a t i on stellt im Leben des Weibes zwei¬
fellos eine kritische Periode dar, in welcher selbst dann, wenn
die damit verbundenen Erscheinungen sich durchaus in den
Grenzen des Normalen halten, häufig gewisse Störungen der
Gesundheit und des Allgemeinbefindens auftreten oder doch
mindestens die allgemeine Widerstandsfähigkeit herabgesetzt
wird.
Man ist deshalb wohl berechtigt, auch die Menstruation als
ein physiologisches Leiden anzusehen, in demselben
Sinne, in dem schon Soranus von Ephesus die Schwan¬
gerschaft, Geburt und Laktation als Karo, yvaiv nex^rj be-
zeichnete.
Wird schon der gesunde Organismus zur Zeit der Men¬
struation mitunter schwer in Mitleidenschaft gezogen, so gilt
dies unter gewissen Bedingungen in noch weit höherem Grade
von einem kranken. Zahlreiche Krankheiten des weiblichen
Geschlechts stehen in nahen Wechselbeziehungen zu den Ge¬
schlechtsfunktionen, speziell zur Menstruation. Wenn
auch viele Einzelheiten über diese Beziehungen längst bekannt
und auch schon zusammenfassend in Monographien dargestellt
worden sind, so ist doch gerade der Einfluss, den die Men¬
struation auf die Entstehung und den Verlauf einer ganzen
Anzahl innerer Krankheiten ausübt, bisher nur sehr wenig be¬
rücksichtigt worden.
Es soll versucht werden, einen Ueberblick der wichtigsten,
hierbei in Frage kommenden Punkte zu geben.
Zunächst muss auf einige, für unsere Betrachtungen wich¬
tige Tatsachen aus der Physiologie der Menstruation einge¬
gangen werden. Bei jeder Menstruation kommt es neben den
lokalen Veränderungen in den Genitalien und den daraus
*) Nach cirem Vortrag in der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde zu Dresden. .
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1869
resultierenden Beschwerden, wie Kreuzschmerzen, Abwärts¬
drängen im Unterleib, Urindrang usw. zu gewissen A 1 1 -
gemeinerscheinungen.
Ich übergehe die mannigfachen nervösen Beschwer¬
den, die Steigerung der nervösen und psychi¬
schen Reizbarkeit, u. a. wie sie bei vielen Frauen mehr
oder weniger kurz vor und während jeder Menstruation zu
bemerken sind, und wende mich zu Beobachtungen, auf die
zuerst Goodman im Jahre 1878 aufmerksam gemacht hat.
Er stellte eine Theorie auf, nach der sich alle Lebenspro¬
zesse des Weibes wellenförmig abspielen und wie Ebbe und
Flut verlaufen. Die Dauer einer solchen Welle entspricht einer
Menstruationsepoche.
Zur Zeit der Flut hat eine Steigerung aller Lebensfunk¬
tionen statt, während der Ebbe hingegen eine Verminderung in
der Intensität derselben. Meistens fällt die Menstruation auf
den Uebergang der ersten in die 2. Hälfte, auf den Beginn der
Ebbe. Der Höhepunkt der Flut fällt demnach in
die Prämenstrualzeit.
Die Goodman sehe Lehre ist in der Folgezeit durch
eine ganze Reihe exakter Untersuchungen gestützt worden,
und darf wohl nunmehr als ein wissenschaftlich begründetes,
physiologisches Gesetz angesehen werden.
Die einzelnen Untersuchungen, die in dieser Richtung aus¬
geführt wurden, erstrecken sich auf Stoffwechsel, Muskelkraft,
Lungenkapazität, Temperatur, Pulsfrequenz, Blutdruck u. a.
(cf. meine Arbeit ,,Ueber prämenstruelle Temperatursteige¬
rungen“, D. med. Wochenschr. 1906. No. 11 u. 12).
Was den Blutdruck betrifft, so sei, ohne dass ich an dieser
Stelle auf die Befunde von Mary Jacob y, Wiessner, v. Ott,
Schichareff, Siredey und Francillon u. a. eingehe, nur
erwähnt, dass ich selbst in fast vollkommener Uebereinstiinmung
mit den genannten Autoren und mit der G o o d m a n sehen Lehre
unter 35 Fällen 32 mal einen prämenstruellen Anstieg des
Blutdrucks über das Mittel aus der Intermenstrualzeit konstatieren
konnte. 7 mal betrug derselbe 20 — 30 mm, 14 mal 10 — 20 mm und
11 mal 3 — 10 mm. Das Maximum der Drucksteigerung fiel 8 mal auf
den 3., 10 mal auf den 2., 9 mal auf den 1. Tag vor der Menstruation,
4 mal endlich auf den 1. Tag der Menstruation und 1 mal auf den
2. Menstruationstag. Das Ansteigen des Blutdrucks erfolgte meist
allmählich, innerhalb weniger Tage, manchmal aber auch ganz un¬
vermittelt. Während oder unmittelbar nach der Menstruation sah
ich 26 mal ein Absinken des Blutdruckes auf oder häufig unter das
Mittel, 3 mal sogar bis zu 20 mm unter das Mittel. Der niedrigste
Wert wurde 11 mal am letzten Menstruationstag, 15 mal an dem der
Menstruation folgenden Tage erreicht. (Apparat von Riva-Rocci-
Recklinghausen.)
Die erwähnten periodischen Schwankungen der Lebens¬
funktionen beim weiblichen Geschlecht fanden sich nicht bei
kleinen Mädchen, die noch nicht menstruiert waren, und bei
Frauen, die jenseits des Klimakteriums standen (v. Ott), sie
mussten also in direkte Abhängigkeit von der Tätigkeit der
Keimdrüsen gebracht werden. Und während man sich
früher dachte, dass alle die Erscheinungen, die mit der Ovu¬
lation einhergehen, durch den Reiz des heranreifenden Follikels
ausgelöst würden und reflektorisch bedingt wären (Pflüger),
neigt man jetzt zu der Ansicht (F r e u n d), dass aus der
ovulierenden, tätigen Keimdrüse Stoffe in die
Blut bahn gelangen, welche alle diese Veränderungen,
die Steigerung der vitalen Leistungen und der nervösen und
psychischen Erregbarkeit, herbeizuführen imstande sind. Mit
der Follikelberstung ist wahrscheinlich die Akme in
der Intensität dieser Veränderungen erreicht, d. h. zu diesem
Zeitpunkt ist die prämenstruelle Flut auf ihrem
Gipfel angelangt.
Bei meinen Blutdruckuntersuchungen fand ich, dass die
Akme der Drucksteigerung meist auf einen der 3 der Menstrua¬
tion vorausgehenden Tage fiel.
Danach scheint es, dass die Menstruation, deren
kausale Abhängigkeit von der Ovulation heute allgemein an¬
erkannt ist, zeitlich gewöhnlich der Ovulation
folgt. Diese Annahme stimmt mit Untersuchungen Leo¬
polds überein, und die meisten Autoren pflichten jetzt dieser
Ansicht bei (Archiv f. Gynäkologie, XXI).
Es muss aber betont werden, dass der zeitliche Zu¬
sammenhang von Ovulation und Menstruation ein lok-
k e r e r ist und innerhalb weiter Grenzen schwankt.
Bei der Auslösung der menstruellen Blutung spielen fie¬
berhafte Krankheiten und ganz besonders psychi¬
sche Momente eine grosse Rolle. Eine Periode kann da¬
durch wesentlich früher oder später eintreten, als die Frauen
nach den Erfahrungen aus der vorangehenden Zeit erwartet
haben, oder sie kann auch gänzlich ausbleiben.
Hochinteressant ist nun die Beobachtung, dass die
nächstfolgende Periode immer wieder den ur¬
sprünglichen Termin einhält. Auch in den Fällen,
in denen die Periode habituell unregelmässig auftritt, scheint,
wie Fliess angedeutet hat, gleichwohl immer ein be¬
stimmter, individuell schwankender Zeitabschnitt eingehalten
zu werden. Auf eine verfrühte folgt meist eine annähernd ent¬
sprechend verspätete Menstruation oder umgekehrt. Die
kleinen Abweichungen von wenigen Tagen heben sich in grös¬
seren Reihen schliesslich ganz auf. Fast immer wird ein
bestimmter Menstruationstermin, der individuell
verschieden ist, und 14 — 31, in den meisten Fällen etwa 28 Tage
beträgt, streng eingehalten (cf. die Anmerkung bei der
Korrektur).
Ich verfüge über Fälle, in denen der Menstruationstermin im
Verlauf von mehreren Jahren, abgesehen von kleinen Schwan¬
kungen, die sich wieder ausglichen, immer derselbe blieb. Besonders
beweisend ist ein Fall, in dem Aufzeichnungen von ziemlich 5 Jahren
vorliegen, und in dem immer ein Termin von 27,3 Jagen beibehalten
wurde, wenn auch die Periode bald mehrere Tage veifiüht, bald
entsprechend verspätet eintrat1).
Für diese Beobachtungen gebe ich die Erklärung, dass die
Ovulation, und nicht die Menstruation, derjenige Vorgang
ist, der streng periodisch verläuft und an den die
Periodizität in den Lebensprozessen der
Frau geknüpft ist. Die Frage freilich, ob die Eigenschaft
der Periodizität den tätigen Ovarien selbst innewohnt ' oder
ob da äussere, speziell kosmische Einflüsse eine Rolle spie¬
len, was S c h a t z in einer kürzlich erschienenen, sehr ausführ¬
lichen Arbeit nachzuweisen versucht (Archiv f. Gynäkol.
Bd. 72 u. 80), muss vorläufig noch unbeantwortet bleiben 2).
Da die Ovulation der Menstruation meist um
einen oder mehrere Tage vorausgeht, werden wir erwai-
ten, dass alle Erscheinungen, die mit der Ovulation Zusammen¬
hängen, meist prämenstruell auftreten.
Da eine Menstruation auch einmal ganz ausbleiben kann,
ist es verständlich, dass die von der Menstruation, d. h.
der Uterusblutung unabhängigen, nur durch die Ovulation
bedingten Vorgänge auch auftreten können, ohne dass ihnen
eine menstruelle Blutung folgte. Es ist nur nötig, dass man den
aus einer ganzen Reihe von Menstruationen leicht
zu bestimmenden Menstruations- oder besser Ov ula-
tionstermin kennt, wenn man irgendwelche Erscheinungen auf
die Ovulation beziehen will. Unser Standpunkt ist nach alle¬
dem folgender: Mit der streng periodisch sich
vollziehenden Ovulation gelangen gewisse
Sekrete in den Kreislauf, die unter physio¬
logischen Verhältnissen einmal eine Steige¬
rung der nervösen und psychischen Reizbar.-
keitund dann eine Steigerung des Blutdrucks
und der vitalen Energie, eine allgemeine Er¬
höhung der Stoffwechselvorgänge, eine da¬
mit einhergehende, stärkere Hyperämisie-
rung der inneren Organe und einen regeren
Säfteaustausch bedingen.
M e i s t f o 1 g t die Menstruation jenen m 1 1 d e r
Ovulation einhergehenden Vorgängen ^ um
einen oder mehrere Tage nach; alle jene \ o i ■
gänge a b e r, d i e mit derUterusblutung als s o 1 -
U Die Mitteilung einer ausführlichen Kasuistik hierher ceT rigei
und ebenso zahlreicher anderer Fälle, die meiner heutigen Wittcihim*
zu gründe liegen, muss ich mir auf spätere Publikationen versparen.
2) Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass durch periodisch
sich vollziehende Schwankungen der Luftelektrizität und an
elektrischer Frscheinungen in der Atmosphäre, deren Lxisu i /
wiesen ist (cf. Schatz 1. c.), die Keimdruse des Ge¬
schlechtsreifen Weibes zur Sekretion angeregt wird, dass
diese also gewissermassen ein Reagens dafür abgibt. So vnte ns
verständlich, dass eine ev. von kosmischen Einflüssen anhängige
Periodizität der Lebensprozesse bisher nur beim geschlechtsi eiten
Weibe sicher nachgewiesen ist.
1870
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
eher gar nichts zu tun haben, können auch
gänzlich unabhängig von ihr auftrete n.
Welche pathologische Erscheinungen kann
nun eine ganz normal sich vollziehende Ovulation im Gefolge
haben ?
Ich wende mich zunächst dem Zirkulationsappa¬
rate zu. Die prämenstruelle, normalerweise nur unbedeu¬
tende Pulssteigerung tritt manchmal bei nervösen Per¬
sonen, ohne dass am Herzen etwas Krankhaftes
nachweisbar wäre, besonders deutlich in die Erscheinung und
äussert sich subjektiv durch starkes Herzklopfen, objektiv
durch eine enorm leichte Erregbarkeit und Labilität der Herz¬
tätigkeit.
In diesen Fällen hat man es entweder mit einer, mehrere
Tage währenden Tachykardie zu tun oder es kommt nur ge¬
legentlich, namentlich am Abend zu Paroxysmen von Herz¬
klopfen. Die Erregbarkeit der Herztätigkeit tritt öfter schon
1 oder 2 Tage vor Beginn, manchmal erst während der Periode
auf, sie hält meistens während der Periode noch an, und kann
dieselbe auch noch um einen oder 2 Tage überdauern.
Häufiger finden sich Störungen der Herztätigkeit zur Zeit
der Ovulation bei H e r z k r a n k e n, die in diesen Tagen unge¬
mein oft unter sehr heftigem und quälenden Herzklopfen zu
leiden haben. Aber ebenso können in diesen Tagen die schwer¬
sten Kompensationsstörungen auftreten, und ganz
besonders oft findet man, dass Kranke mit Mitralsteno¬
sen oder chronischer Myokarditis kurz vor oder
während der Menstruation dekompensiert werden. Am häu¬
figsten sieht man prämenstruelle Kompensationsstörungen bei
Frauen, die im Klimakterium stehen. Ich erlebte es, dass Herz¬
kranke regelmässig immer wieder mit Eintritt der Menstruation
dekompensiert wurden, kaum dass sie sich in der Zwischenzeit
einigermassen erholt hatten.
In gleicher Weise kommen auch nicht selten Embolien
in den Tagen der Ovulation, also meist prämenstruell,
zur Beobachtung und wiederum stellen hierbei Kranke mit
einer Mitralstenose oder chronischer Myokar¬
ditis das grösste Kontingent.
Endlich muss hervorgehoben werden, dass eine akute
Myokarditis nach Infektionskrankheiten häufig in der Prä-
menstrualzeit erstmalig objektive Symptome macht (Dilatation.
Steigerung der Pulsfrequenz, Auftreten von Geräuschen usw.)
Die erwähnten Herzstörungen treten nicht selten an
einem bekannten Ovulationstermin auf, während die men¬
struelle Blutung ganz ausbleibt. Dies ist verständlich, denn
sie haben ja nach meiner Theorie mit der Uterusblutung als
solcher gar nichts zu tun; sie sind vielmehr lediglich auf die
streng periodisch sich vollziehende sekretorische Tätigkeit der
Ovarien zurückzuführen. Die in diesen Tagen phvsiologischer-
weise auftretende Blutdrucksteigerung (die im Klimakterium
besonders hochgradig zu sein scheint), die in dieser Zeit ganz
gewöhnliche nervöse Erregung sind genügend Grund dafür,
dass kranke Herzen in diesen Tagen nach verschiedenen Rich¬
tungen hin versagen können.
Eine ziemlich bekannte • und durchaus verständliche
Erscheinung ist die Neigung zu Blutungen wäh¬
rend der Menstruation. Eine grosse Rolle bei
ihrem Zustandekommen mag die prämenstruelle Hyperämie
der inneren Organe und die Erregbarkeit der Herz¬
tätigkeit spielen, eine noch grössere die prämenstruelle
Blutdrucksteigerung. Man sieht derartige Blutungen dem¬
entsprechend auch besonders häufig prämenstruell auftreten;
aber auch während des ganzen Verlaufes und namentlich am
Ende der Menstruation sind sie nicht selten. Beim Auftreten
derartiger Blutungen ist die eigentliche uterine Blutung bis¬
weilen auffallend schwach. Tch sah einigeinale, dass die eine
Blutung durch die andere gleichsam abgelöst wurde. In man¬
chen Fällen bleibt die uterine Blutung auch ganz aus, und man
hat es dann mit einer wirklichen vikariierenden Blu¬
tung zu tun, die an einem bekannten Menstrnationstermin an
Stelle der Uterusblutung auftritt. Viel häufiger sind die erstge¬
nannten Blutungen, die ich Mitblutungen nenne.
Am häufigsten beobachtet man während der Menstruation
vikariierende oder Mitblutungen aus erkrankten Organen,
in erster Linie Lungenblutungen aus phthisischen Ka¬
vernen. Besonders interessant sind solche Fälle, in denen
wiederholt bei vielen Menstruationen Hämoptysen auftreten.
Nächst den Lungenblutungen kommen während der Menstrua¬
tion Magenblutungen aus Magengeschwüren zur Be¬
obachtung. Ich sah ferner bei Typhuskranken kurz vor Ein¬
tritt der Menstruation Darmblutunge n, endlich bei einem
Mädchen mit tertiärer Lues fast gleichzeitig mit dem Einsetzen
der sehr profusen Menses eine starke Blutung aus einem
G u m m a am rechten Bein, und gleichzeitig Blutbrechen
und blutige Stühle auftreten.
Es ist aber auch möglich, dass zur Zeit der Menstruation
vikariierende und Mitblutungen (per diapedesin) aus vollständig
gesunden Organen, aus einer unverletzten Schleimhaut, bei
ganz gesunden Individuen auftreten können. Am bekanntesten
ist das Nasenbluten, das bei vielen Mädchen geradezu eine
Begleiterscheinung der Menstruation ist, oder, wie man sicher
beobachtet hat, vikariierend für eine solche eintreten kann.
Nächsthäufig sind menstruelle Zahnfleischblu-
t u n.g e n.
Sehr selten sind menstruelle Blutungen aus dem äusseren
Gehörgang, ferner Glaskörperblutungen, die be¬
sonders zur Zeit der Pubertät beobachtet werden.
Nicht einwandfrei sind die Mitteilungen über vikariierende
menstruelle Blasenblutungen oder über Magenblu-
t u n g e n aus einer ganz intakten Schleimhaut, denn es lässt
sich meistens weder durch die Anamnese, noch durch die kli¬
nische Untersuchung, noch durch die Sektion, eir. kleiner
Schleimhautdefekt sicher ausschliessen. Auffallend sind manche
Mitteilungen über vikariierende menstruelle Lungenblu¬
tungen aus gesunden Lungen.
W i n d m ii 1 1 e r beschreibt z. B. einen derartigen Fall bei einer
42 jährigen Frau, die seit 13 Jahren amenorrhoisch war und alle
4 Wochen vikariierende Lungenblutungen bekam. Auf den Lungen
war nichts nachweisbar. Es erscheint doch ziemlich unwahrschein¬
lich, dass eine Lungentuberkulose, die regelmässig alle 4 Wochen
Lungenblutungen verursacht, 13 Jahre ganz vollständig latent ver¬
laufen sollte.
Folgender Fall gehört vielleicht hierher: Eine 33jährige Erau
gab an, seit längerer Zeit regelmässig in der Mitte zwischen
2 Menstruationen, alle 4 Wochen Bluthusten zu haben. Die Men¬
struation selbst trat immer regelmässig 4 wöchentlich ein. Im Kran¬
kenhaus wurde einmal an einem, den Angaben der Kranken ent¬
sprechenden Termin eine Lungenblutung beobachtet. Die Kranke
hustete an 2 aufeinander folgenden Tagen ie 1 — 2 Esslöffel schau¬
migen Blutes aus. Danach war weder Uu.sten noch Auswurf
vorhanden. Die Kranke ging an einer tuberkulösen Meningitis zu
gründe. Auf der rechten Spitze war das Atemgeräusch nicht ganz
normal, es waren aber keinerlei sichere Zeichen von Lungentuber¬
kulose vorhanden. Die Sektion wurde leider verweigert, deshalb
bleibt der Eall unaufgeklärt und die Möglichkeit, dass eine latente
Lungentuberkulose als Ursache der Blutungen vorlag, kann nicht von
der Hand gewiesen werden.
In einem weiteren Eall, auf den ich hier nicht näher eingehen
kann, lag vielleicht ebenfalls eine menstruelle parenchymatöse
Mitblutung der Lungen vor. Es handelte sich um ein 21 jähriges Mäd¬
chen. das an einer die menstruelle Blutung ablösenden, d. h. gegen
das Ende derselben auftretenden, ganz profusen Lungenblutung inner¬
halb von 12 Stunden zu gründe ging. Bei der durch Prosektor
Dr. G e i n e 1 ausgeführten Sektion fand sich nicht die geringste Er¬
klärung für die Blutung. Beide Lungen waren gleichmässig mit Blut
durchsetzt, waren aber sonst völlig intakt, ebenso wie die
Bronchien, die Pulmonalgefässe und die Bronchialdrüsen. Die
Art der Blutung war durchaus absonderlich, indem ganz kontinuier¬
lich hellrotes, dicht mit Luftbläschen durchsetztes,
schaumiges Blut entleert wurde, das eine ähnliche Beschaffenheit
wie beim Lungenödem hatte.
Ganz anders sind doch die Hämoptysen, denen eine Arrosion
eines Gefäses zu gründe liegt, bei denen gewöhnlich grössere Mengen
Blutes stoss- oder schubweise ausgehustet werden, und bei denen
man, falls sie zur Autopsie kommen, auch nicht beide Lungen ganz
gleichmässig mit Blut durchtränkt findet, wie in unserem Falle.
Eine Anzahl sekretorisch er Störungen, die wäh¬
rend der Menstruation bisweilen Vorkommen, wurden früher
immer als reflektorisch bedingt aufgefasst, erklären sich aber
vielleicht auch durch eine Reizwirkung von ovariellen Se¬
kreten auf die in Frage kommenden Organe.
P e y e r beschreibt einen am Beginn der Menstruation auf¬
tretenden, ganz flüchtigen, oft nur wenige Stunden anhalten¬
den nervösen Schnupfen. Ferner ist hier zu erwähnen,
dass man in den Tagen der Menstruation nicht selten einen
starken Speichelfluss und eine vermehrte Schweiss-
Sekretion beobachten kann. Endlich sei darauf hinge-
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1871
wiesen, dass eine Anzahl von H au t af f ek t i o n e n, wie
Erytheme, Urtikaria, Pigmentanomalien u. a. gelegentlich zu
Beginn und während der Menstruation auftreten und vielleicht
ebenso, d. h. durch eine Reizwirkung ovarieller Sekrete auf
die Haut erklärt werden kann. Recht häufig klagen die Frauen
in der Prämenstrualzeit über Neuralgien, namentlich un
Bereich des Trigeminus und Ischiadikus und über rheuma¬
toide Schmerzen in den Muskeln und Gelenken. Häufig
treten in Organen, die früher einmal erkrankt waren, oder
die noch krank sind, kurz vor Eintritt der Menstruation regel¬
mässig wieder Schmerzen auf (Zahnschmerzen bei kariösen
Zähnen, Schmerzen im Ohr bei einer früher überstandenen
Otitis media, Schmerzen in einer früher einmal fraktuierten
Extremität, Gelenkschmerzen nach Polyarthritis, Rücken¬
schmerzen bei früher überstandener Pleuritis, Schmerzen in
der Nierengegend bei Pyelitis, Blinddarmschmerzen bei aa-e^
Perityphlitis, Schmerzen im Unterleib (Dysmenorrhöen) bei
gynäkologischen Krankheiten (Endometritis etc.)
Die Deutung der mannigfachen Schmerzen, die in den
Tagen der Menstruation auftreten können, ist nicht immer
leicht. Oft mögen sie psychisch bedingt sein, oft mag die prä¬
menstruelle Hyperämie bei ihrem Zustandekommen eine Rolle
spielen (z. B. bei kariösen Zähnen durch Druck auf die Nerven),
oft handelt es sich auch wahrscheinlich dabei um leichteste
toxische Neuritiden, namentlich wenn die Schmerzen erst gegen
das Ende einer menstruellen Blutung eintreten (cf. meine Arbeit
„Ueber Menstruationsfieber“, D. med. Wochenschr. 1906,
No. 28 u. 29). . . J . . . .
Schmerzen, die während der Menstruation in der Milz¬
gegend auftreten, werden auf eine kongestive Hyperämie
der Milz zurückgeführt, ebenso Kopfschmerzen unter
Umständen auf eine Hyperämie des Gehirns. Veränderungen
der Stimme zur Zeit der Menses erklären sich durch Hyper¬
ämie der Stimmbänder.
Menstrueller Ikterus beruht nach der Ansicht
Senators auf vikariierender Leberhyperämie.
In einem kürzlich von Metzger mitgeteilten, äusseist leht-
reichen Falle (Münch. me,d. Wochenschr. 1905, No. 24) beruhte der
fast regelmässig zu Beginn der Menstruation auftretende Ikterus, wie
die Sektion ergab, auf einer jedesmaligen Einklemmung eines Gallen¬
steins. In der Intermenstrualzeit lag der Stein beweglich im Zystikus
und Anfangsteil des Choledochus, ohne den Gallenabfluss wesentlich
zu hindern: zu Beginn der Menstruation wurde er, wahrscheinlich in-
folge der Hyperämie un<d Schwellung der Qallengangswandung regel-
massig eingekeilt, so dass er den Choledochus völlig verspente.
Ich habe einigemale Gallenstein- und Nieren-
steinkoliken in der Prämenstrualzeit auftreten sehen, die
vielleicht auf ähnliche Vorgänge zurückzuführen waren.
Sehr häufig beobachtet man kurz vor Eintritt und während
der Menstruation Verdauungsstörungen. Die
psychische Erregung, die Steigerung der Stoffwechselvorgänge
in der Prämenstrualzeit mögen ätiologische Momente hierfür
abgeben. Appetitlosigkeit, Uebelkeit, die manchmal bis zum
Erbrechen führt, sind namentlich im Beginn der Menstruation
nicht selten. Recht oft sieht man prämenstruelle Durchfälle,
noch häufiger Verstopfung. 30 Proz. der Menstruierenden sind
nach Krieger obstipiert. Die menstruelle Verstopfung kann
zu den schwersten und bedrohlichsten Erscheinungen führen.
In vielen Fällen sind die dysmenorrhoischen Beschwerden auf
chronische Obstipation zurückzuführen, und werden durch
Regelung des Stuhlgangs beseitigt.
Wir behandelten 3 ausgesprochen hysterische Mädchen,
bei denen wahrscheinlich durch eine einfache Obstipation kurz
vor und zu Beginn der Menstruation das vollständige Bild einer
schweren Perityphlitis vorgetäuscht wurde. Mit dem
Augenblick, wo Stuhlgang erfolgte, waren alle Erscheinungen
wie mit einem Schlag spurlos geschwunden.
Bei der Beurteilung solcher Fälle muss man vorsichtig
sein. Es wurde schon erwähnt, dass Kranke, die früher einmal
eine Perityphlitis durchgemacht haben, nicht selten prämen¬
struelle Blinddarmschmerzen bekommen. Ebenso kommen
aber auch echte Rezidive einer Perityphlitis prämenstruell zum
Ausbruch. Endlich können ähnliche Bilder wahrscheinlich bei
Neuropathischen allein schon durch die Hyperämie eines Ova-
riums, namentlich dann, wenn es entzündliche Veränderungen
aufweist, vorgetäuscht werden.
Nur wenn, wie in den erwähnten Fällen, die schweren Er¬
scheinungen nach einer Darmentleerung momen-
t a n schwinden, darf man sie wohl auf eine einfache Obstipa¬
tion beziehen.
Es ist verständlich, dass die nervöse und psychi¬
sche Reizbarkeit, die sich schon bei ganz normalen In¬
dividuen so häufig zur Zeit der Menstruation findet, nament¬
lich bei Neuropathischen und Psychopathischen
in die Erscheinung tritt. Die schweren Depressionszustände,
die sich bei psvchisch sonst scheinbar ganz intakten Personen
manchmal zur Zeit der Menses einstellen, grenzen oft schon ans
Psychotische. T entamina suicidii werden besonders oft
zur Zeit der Menstruation vorgenommen.
In der Psychiatrie ist es eine ganz bekannte Erscheinung,
dass bei zahlreichen chronischen und namentlich akuten
Psychosen das Eintreten der Menstruation gelegentlich mit
einer stärkeren Erregung verbunden ist. Derartige Erregungs¬
zustände treten oft schon 1 oder 2 Tage vor der Menstiuation,
manchmal förmlich explosionsartig auf. Es gibt Fälle perio¬
discher Tobsucht, die sich so eng an die Menses anschliessen,
dass man geradezu von einem menstruellen Irresein
reden kann. Von diesen menstruellen Psvchosen berichtet
Mendel, dass sie meist prämenstruell auftreten. Diese
Beobachtung ist wieder ganz im Sinne unserer bisherigen Dar¬
legungen zu verwerten, dass nämlich das auslösende Moment
nicht die uterine Blutung, sondern vielmehr die ihr meist
vorausgehende Ovulation abgibt. So erklärt es sich auch,
dass Psychosen zur Zeit der fälligen, aber nicht eintretenden
Menstruation exazerbieren können (Schröter), dass auch im
Klimakterium nach Verschwinden der Menstruation Fälle perio¬
dischen Irreseins mit menstruellem Typus Vorkommen, und
endlich, dass gewisse psychische Störungen — es handelt sich
dabei um meist kurzdauernde Verwirrungs- und Erregungs¬
zustände, wahrscheinlich auf epileptischer Basis — auch schon
vor Eintritt der Menstruation in regelmässigen Zwischenzeiten,
streng periodisch auftreten können.
In allen diesen Fällen handelt es sich um das Ausbleiben
der uterinen Blutung trotz regelmässig wiederkehrender Ovu¬
lation resp. periodischer sekretorischer Tätigkeit der Ovarien.
Dass die periodischen Wellenbewegungen der Lebensfunktionen
bei jungen Mädchen schon eine Zeitlang vor Eintritt der eigent¬
lichen Menstruation, und ebenso bei klimakterischen Frauen noch eine
Zeitlang nach Ausbleiben der Menstruation fortbestehen können, dafur
stehen mir selbst mehrere Beispiele zur Verfügung, auf die ich hier
nicht eingehen kann. Einen Beweis für das Vorkommen von Ovula¬
tion ohne Menstruation geben die Fälle ab, in denen Amenori hoische
konzipierten.
Sehr bekannt ist es, dass alle möglichen hysterischen
Symptome sich zur Zeit der Menstruation verschlimmern
können, ferner, dass die intensivsten Formen der C h o r e a
während der Menstruation, namentlich zur Zeit der Pubertät
auftreten, dass epileptische Zustände zur Zeit der
Pubertätsentwicklung erstmalig sich zeigen, und bei der jedes¬
maligen Menstruation (nach eigenen Beobachtungen namentlich
in der Prämenstrualzeit) rezidivieren können, dass
M i g r ä n e a n f ä 1 1 e, die in den Entwicklungsiahren erstmalig
auftreten, periodisch mit der Menstruation oder auch zu i Zeit
der erwarteten und nicht eintretenden Blutung sich einstellen.
Auch tabische gastrische Krisen kommen nach
meiner Erfahrung nicht selten kurz vor Eintritt der Menstiua¬
tion zur Beobachtung. Auf den Verlauf der Basedow sehen
Krankheit übt der Eintritt der Menses zweifellos in man¬
chen Fällen einen ungünstigen Einfluss aus. Die subjektiven
Beschwerden der Basedowkranken sind zur Zeit dei Men¬
struation oft viel stärker, als in der Zwischenzeit und auch
objektiv kann man nicht selten (ebenso manchmal bei Gesun¬
den) ein deutliches Anschwellen der Schilddrüse in diesen
Tagen nachweisen. Ganz bedeutende Strumen wurden ge¬
legentlich bei einem völligen Ausbleiben der Menses beobachtet.
(Schluss folgt.)
1872
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Aus der chirurgischen Klinik Würzburg.
Ueber Jod-Benzin-Desinfektion.
Von Prof. E n d e r 1 e n.
Heusner beschrieb im vergangenen Jahre eine
neue Art der Haut- und Händedesinfektion. Die zuletzt emp¬
fohlene Flüssigkeit bestand aus: Jodtinktur 10,0; Benzin 750,0;
Paraffinöl 250,0. Von dieser wird pro Person K Liter in eine
Porzellanschüssel gegossen, die Hände werden mit Bürste und
rauhem Handtuchlappen 5 Minuten abgerieben. Bei dem
Operationsfeld ist es besser, die Bürste beiseite zu lassen und
nur den Lappen zu verwenden. Eine vorhergehende Waschung
mit Wasser empfiehlt sich nicht, weil die Flüssigkeit in die
durchfeuchtete Oberhaut nicht gut eindringt. Wegen der
Schlüpfrigkeit der Hände empfahl Heusner Leinenhand¬
schuhe zu tragen; Gummihandschuhe eignen sich weniger, weil
sie infolge der Berührung mit Benzin brüchig werden.
Heusner rühmt die Zeitersparnis, das wohlg'epflegte
Aussehen der Hände; Gesundheitsschädigungen infolge der Auf¬
nahme von Jod durch Haut oder Lungen wurden nicht beob¬
achtet. „Die einzige wesentliche Unannehmlichkeit besteht
in einer leichten Braunfärbung der Hände, welche auf der
Attraktion des Epitheleiweisses auf das Jod beruht und sich
übrigens nach einer Reihe von Stunden von selbst wieder ver¬
liert Da sie ein sichtbares Zeichen für die Tiefenwirkung der
Desinfektion bildet und den Chirurgen nötigt, sich am Ende
der Operation noch einmal gründlich zu waschen, so hat die
Färbung auch ihr Gutes.“
Heusner verwendet Jodbenzin auch zur Bereitung des
Näh- und Unterbindungsmateriales. Rohkatgut und Seide
kommen für 14 Tage in eine 2 prom. jodhaltige Benzinlösung
und werden in einer 2 prom. „Jodparaffinlösung“ aufbewahrt.
Die Erfahrungen mit der Wundheilung waren günstige,
„wobei das Urteil sich allerdings mehr auf den subjektiven Ein¬
druck stützt.“ Die Resultate waren mindestens so gut, wie bei
der Heisswasser-Alkohol-Sublimatdesinfektion ; die Anzahl der
Stichkanaleiterungen nahm erheblich ab. Auch v. Brunn
äusserte sich günstig.
Mit der ausgedehnten gründlichen Heisswasser-Alkohol-
Lysoldesinfektion (20 Minuten heisses Wasser, Alkohol und
Lysol je 5 Minuten), dem Tragen von häufig gewechselten
Zwirnhandschuhen, Seide zur Unterbindung, So eins Draht
zur Hautnaht (bei aseptischen Operationen) hatte ich in Basel
einwandsfreie Resultate (insbesondere bei Strumen, welche nach
Kocher das beste Kriterium für Wundheilung sind). — (Anm. :
Alle übrigen Operationen werden mit Gummihandschuhen aus¬
geführt.)
Die Gründe, zur Jodbenzindesinfektion, deren Autor das
vollste Vertrauen verdient, überzeugen, waren die Zeiterspar¬
nis; das lange Bürsten ist ausserdem sicher keine geistreiche
Beschäftigung (Bier); ferner war massgebend, dass in der
hiesigen Klinik das gleichmässig strömende heisse Wasser
neben manchem anderen ein pium desiderium ist.
Das Jodbenzinparaffin fand ausgedehnte Anwendung bei
Hernien-, Nieren-, Magen-, Darm-, Drüsen- und Gelenkopera¬
tionen (nur die Strumen blieben dem alten Verfahren reser¬
viert).
Was nun die Resultate anlangt, so stehen sie hinter denen
der langen Waschung zurück. Rötung der Stichkanäle war fast
regelmässig (sie ging allerdings unter dem Kocher sehen
Wismutsublimatbrei nach Entfernung der Drahtnähte rasch zu¬
rück). Die Mündungen der Stichkanäle bleiben länger sichtbar.
An bedeckten Stellen hat dies wenig zu sagen, ist vielleicht nur
ein kleiner Schönheitsfehler; bei Operationen, die der Kosmetik
halber unternommen werden, muss man aber mit ihm rechnen.
Die Braunfärbung der Hände, welche sich bei vielem Ope¬
rieren nicht völlig verliert, hat wenig zu bedeuten; wirklich
unangenehm ist aber, dass sich nach intensivem Gebrauch trotz
Handpflege, doch Ekzem einstellen kann, das erst nach Aufgabe
des Jodbenzins schwindet.
Ein weiterer Uebelstand ist, dass die Gummischürzen und
die teuren Gummischuhe stark geschädigt werden.
All dies hat die Veranlassung gegeben, die Anwendung des
Jodbenzins stark einzuschränken; sie stellt eine brauchbare
Methode dar, aber nicht das Ideal der Händedesinfektion.
Aus der Königsberger chirurgischen Klinik des Professor
Erich L e x e r.
Vereinfachung- des Verbandes nach Mammaamputation
und anderen Operationen in der Achselhöhle.
Von Dr. Ad. Ebner.
Die bisher allgemein übliche Feststellung des Armes im
Verband nach Amputation der Mamma oder nach sonstigen be¬
liebigen Operationen in der Achselhöhle hat den Uebelstand,
dass die Beweglichkeit des Schultergelenkes darunter leidet
und z. B. nach einer gut verlaufenen Mammaamputation noch „
mindestens 2 Wochen zur Beweglichmachung des Schulter¬
gelenkes erforderlich sind, wenn die Wunde bereits geheilt ist.
Zum Teil wurde nach Mammaamputation die Beschränkung der
Elevation des Armes darauf zurückgeführt, dass die Narbe in
der Achselhöhle, wenn sie in dieser wie zur Unterbindung der
Art. axillaris ausläuft, sich stark zusammenzieht und auf diese
Weise ein Hindernis für die spätere Beweglichkeit des Armes
bildet.
Eine Reihe von Schnittführungen ist infolgedessen emp¬
fohlen worden, um diese Narbenbildung zu vermeiden. Ich er¬
innere nur an die bekannte Schnittführung von Kocher.
Dieser legt bekanntlich den Hautschnitt von der Klavikula ab¬
wärts bis zur vorderen Axillarfalte nahe dem Armansatz des
Muse, pectoral. maj. an und ist von der Narbenbildung sehr
befriedigt. Die Umschneidung der Mamma erfolgt dann von
dem ersten Schnitt aus in der gewöhnlichen Weise.
Der von Bardenheuer gemachte Vorschlag, nach Re¬
sektion des Schultergelenkes den Arm in steiler Erhebung mit
einem Streckverband zu versehen, hat L e x e r vor 3 K Jahren
zu dem Versuch bewogen, einen Streckverband auch nach der
Mammaamputation anzulegen. Ein ganz ähnliches Verfahren
ist dann später im April 1907 von C. Ewald empfohlen
worden, der an einem in der umwickelten Faust gehaltenen
Holzstab den Arm aufhängt oder sich der üblichen, in der
Längsrichtung angelegten Heftpflasterstreifen zur Erhebung des
Armes bedient.
Es hat aber der Heftpflasterstreckverband doch einige Un¬
annehmlichkeiten, weshalb an der hiesigen Klinik folgende Ver¬
einfachung erprobt worden ist, die ich hier kurz mitteilen will.
Die Elevation des Armes wird in überaus einfacher und
bequemer Weise durch einen über den Arm bis zur Mitte des Ober¬
armes gezogenen Trikotschlauch erreicht, der mit seinem freien Ende
vermittelst einer anzuknüpfenden Mullbinde leicht an dem oberen
Kopfstück des Bettgestelles befestigt werden kann. Der Grad der
Elevation lässt sich in einfacher Weise durch Verkürzung oder Ver¬
längerung des befestigenden Bindenendes verändern. In der Regel
wird bei uns die Elevation so weit getrieben, dass der Oberarm in
einem stumpfen, mindestens aber in einem rechten Winkel vom
Körper absteht. Das Abgleiten des Trikotschlauches wird verhindert
durch eine Mullbinde, welche am unteren Ende des Schlauches durch
zwei eingeschnittene Löcher befestigt und dann unter dem gesunden
Arm um die Brust herum vereinigt wird. Es empfiehlt sich jedoch
vor dem Einschneiden der Löcher das untere Ende des Schlauches
1 — 2 mal nach oben umzulegen, da so ein Ausreissen der Binde bei
dem dünnen Gewebe des Trikotschlauches leicht vermieden werden
kann.
Abbildung I.
Bei der Versorgung der Wunde kann der den Thorax umfassende,
namentlich dicken Patienten unbequeme Verband, wie ihn auch
Ewald nach der Zeichnung in seiner Publikation zu gebrauchen
scheint, vermieden werden mit Hilfe eines einfachen Heftpflasterver¬
bandes. Bei diesem ist jedoch zu berücksichtigen, dass man nicht
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1873
nur in der Achselhöhle, sondern auch am untersten Wundwinkel,
wo häufig die Haut etwas reichlich vorhanden ist und leicht Re¬
tentionen entstehen können, dicke Bäusche von Krüllgase verwendet
und diese fest mit Heftpflaster andrückt. Gerade an der letzteren
Stelle ist es deshalb auch empfehlenswert, die Nähte nicht nur durch
die Haut zu legen, sondern auch die Muskulatur mitzufassen, um
so noch sicherer diese Retentionen zu vermeiden.
Der Heftpflasterstreifen 1 in der Abbildung I hat den Zweck, die
Haut fest in die Achselhöhle zu pressen, die 2 anderen Streifen 2 und
3 die Haut am Thorax mit einiger Gasepolsterung anzulegen. Da¬
rüber kommen noch Heftpflasterstreifen nach Belieben, um die Ver¬
bandstoffe genügend fest zu halten. Das Drainrohr, das stets in die
Achselhöhle zu liegen kommt, wird am 5. oder 6. Tage entfernt.
Die Patienten dürfen durchschnittlich nach einer Woche auf¬
stehen. Es empfiehlt sich aber, sie in der nächsten Woche darauf
wenigstens in der Nacht diesen Trikotschlauch noch tragen zu lassen
mit entsprechender Erhebung des Armes.
Abbildung II. Abbildung III.
Die Abbildung II und III zeigt die Bewegungsfähigkeit einer
Patientin am 7. Tage nach der Operation, nachdem soeben die
Fäden herausgenommen sind. Es lässt sich somit
durch dieses einfache Verfahren eine aus¬
gezeichnete Beweglichkeit des Schulterge¬
lenkes erzielen. Dasselbe hat weiterhin auch den Vor¬
teil, dass bei notwendiger Unterbindung der Vena axillaris das
übliche Stauungsödem vermieden wird.
Es ist dabei gleichgültig, welche Schnittführung man wählt.
Muss bei ausgedehnten und tiefsitzenden Mammakarzinomen
die Pektoralismuskulatur weggenommen werden, so bevorzugt
L e x e r den Kocher sehen Schnitt. Andernfalls wird die
Operation in der bekannten typischen Weise so ausgeführt,
dass die beiden die Mamma spindelförmig umgreifenden
Schnitte in der Achselhöhle wie zur Unterbindung der Art.
axillaris auslaufen.
Eine hypertrophische Narbe, welche in der
Achselhöhle spannend und hemmend wirkt, ist bei diesem
Verfahren nicht beobachtet w o r de n. Es ist leicht
einzusehen, dass die Narbe der Achselhöhle viel eher der Nei¬
gung zu einer hypertrophischen Wucherung unterliegen muss,
wenn nach dem älteren Verfahren der Arm am Thorax fest¬
gestellt war und nun erst nach der Heilung der Wunde mit
aktiven und passiven Bewegungen eine Dehnung des Narben¬
gewebes bewirkt wird. Dass dann das so gereizte Gewebe
der Narbe in Wucherung gerät, sich später zusammenzieht und
zu einem Hindernis für die Beweglichkeit wird, ist nicht zu
verwundern.
Der Vorteil des Verbandes besteht in ausserordentlicher
Einfachheit und Leichtigkeit der Anlegung, die mir auch der
Elevation des Armes an der eingewickelten Faust bei dem
Ewald sehen Verbände überlegen zu sein scheint, bei gleich¬
zeitiger Erhaltung einer normalen Beweglichkeit im Schulter¬
gelenk. Als einziger Nachteil dieses einfachen Verfahrens ist
anzuführen, dass bei manchen Kranken am ersten Tage nach
der Operation über die Lage des Armes geklagt worden ist.
Doch haben sich sämtliche Kranke schnell an diese Lage ge¬
wöhnt und weiter keine Beschwerden mehr davon gehabt.
Ein besonderer Vorteil des von uns angewendeten Trikot¬
schlauches gegenüber der Befestigung nach Ewald an einem
No. 38
in der umwickelten Faust gehaltenen Stabe scheint mir durch
die Möglichkeit gegeben, dass es im letzteren Falle leicht zu
erheblichen Druckbeschwerden für die Hand des Kranken
kommen kann, was bei dem von uns angewendeten Verfahren
von vornherein ausgeschlossen ist.
Zum Schluss möchte ich noch besonders hervorheben, dass
sämtliche mit dem Verbände behandelten Patientinnen bei der
Entlassung bereits imstande waren, sich ohne Beschwerden
selbst die haare zu machen.
Ueber die Heilungsaussichten beim Magen- und Darm¬
karzinom.*)
Von Professor Dr. Willy An schütz, z. Z. in Marburg.
Von 1891- 1906 wurden über 800 Karzinome des Magens
und etwa 150 des Darmes an der Breslauer Chirurgischen
Klinik beobachtet. Dies Material ist gross genug, um über die
Heilungsaussichten zu urteilen. Bei der grossen Mehrzahl der
Fälle wurden die genauen Untersuchungen ante operationem
alsbald durch die Laparotomie kontrolliert, und auch das
spätere Schicksal der Patienten verfolgt. Wir haben danach
eine gewisse Verpflichtung, dieses Material für die Allgemein¬
heit der Aerzte öffentlich zu verwerten, von unseren Resultaten
divergierenden Ansichten entgegen zu treten und zu versuchen,
einen Austausch der Meinungen herbeizuführen.1)
Ich werde mich in folgendem nur an die Erfahrungen der
Breslauer Klinik halten, wie sie unter M i k u 1 i c z s und später
unter Gar res Leitung erworben wurden.
Der Krebs ist in seinem Beginn ein lokales Leiden und kann
lokal geheilt werden. Dieser alte Satz Virchows sollte uns
immer leiten. Es folgt daraus, dass jedes Karzinom, so lange
es operabel ist, dem Chirurgen zugewiesen werden muss; aus¬
genommen vielleicht manche Formen der Hautkarzinome. Die¬
ser Leitsatz wird wohl in seiner Allgemeinheit kaum Wider¬
spruch erfahren, und doch wird er so oft nicht befolgt, gerade
wenn es sich um Magendarmkarzinome handelt. Warum?
In allererste Linie stelle ich nicht die schlechten
augenblicklichen und dauernden operativen Erfolge, die zur
Zeit den Arzt noch abhalten könnten zur Operation zu raten.
Nein, die Hauptursache ist, dass die Aerzte noch immer n i c h t
streng genug die Parallele zwischen innerem
und äusserem Krebs ziehen. Falsches Mitleid, Fata¬
lismus, Furcht durch eine gewagte Operation in den Gang der
Dinge einzugreifen, spielen beim Zögern des Arztes eine grosse
Rolle. Es wird aber noch die Zeit kommen, wo die Kranken
oder ihre Angehörigen für eine verspätete Karzinomdiagnose,
resp. Operation den Arzt ebenso verantwortlich machen wer¬
den, wie beim Brustkrebs z. B. — und das in der grösseren Zahl
der Fälle mit Recht.
Gleich eingangs will ich erwähnen, dass ich von dem Wider¬
stand des Publikums gegen derartige Operationen nicht spre¬
chen will. Ich weiss recht wohl, welche sehr grosse Rolle dieser
Widerstand in der Praxis spielt und wie oft die Patienten dem Rat
des Arztes, sich operieren zu lassen, nicht folgen. Diesen Faktor will
ich ausser Acht lassen. Er ist zur Zeit noch mächtig, aber er ist
sicher abhängig von der Stellungnahme der Aerzte auf diesem Ge¬
biet und im Laufe der Jahre wohl zu .beeinflussen. Das haben wir
bei den Operationen wegen Appendizitis, Gallensteinen, Kropf etc.
erfahren.
Ich sagte, so lange ein Magen- oder Darmkarzinom ope¬
rabel ist, gehört es dem Chirurgen. Nun ist aber O p e r a b i 1 i-
*) Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu Marburg am
19. Juli 1907.
H Die Grundlagen zu diesen Ausführungen finden sich in Arbeiten
aus der Breslauer chirurgischen Klinik von Makkas: Beiträge zur
Chirurgie des Magenkarzinoms. Die in den Jahren 1891 — 190-4 in
der M i k u 1 i c z sehen Klinik ausgeführten Magenresektionen. Von
Hoff mann: Haben wir in Zukunft günstigere Resultate von der
chirurgischen Behandlung des Magenkarzinoms zu erwarten und be¬
steht ein Zusammenhang zwischen klinischer Krankheitsdauer und
Radikaloperabilität? Und von An schütz: Beiträge zur Klinik des
Dickdarmkrebses. Sämtlich in dem Gedenkband für J. v. Mikulicz,
III. Supplementband zu den Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Cliir.,
Jena 1907. Vergleiche auch Kausch: der Magenkrebs und die
Chirurgie. Berl. klin. Wochenschr. 1907, No. 17 u. 18.
3
18M
—
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
tat ein recht schwankender Begriff. Ich über¬
gehe die Aerzte, die überhaupt noch nicht an die Möglichkeit
einer erfolgreichen radikalen Operation glauben: Das ist ein¬
fach Unkenntnis. Ich gebe aber zu, dass man über die Grenzen
der Operabilität verschiedener Meinung sein kann. Für mich
persönlich gibt es eigentlich nur zwei Punkte, die ohne
Probelaparotomie eine sichere Kontraindikation gegen
einen Eingriff darstellen: erstens der Nachweis entfernterer
Metastasen, zweitens komplizierende Erkrankungen, wie
schwere Tuberkulose, Nephritis etc. Alle anderen Kontra¬
indikationen (höheres Alter, Kachexie, Fixationen und Grösse
des Tumors etc.) sind nur relative und sollten gründlichst er¬
wogen werden, ehe man sie den Ausschlag gegen einen radi¬
kalen Eingriff geben lässt.
Das Verzichten auf die Operation ist das sichere Todes¬
urteil für den Patienten. Sind die Aerzte sich über diesen Punkt
so klar, wie wir das verlangen müssen? Wer wie wir gewöhnt
ist, seine Untersuchungen und speziell seine Palpation so oft
und so schnell durch die Operation zu kontrollieren, wird seinen
Befunden gegenüber skeptisch und möchte sie nicht gerne da¬
rüber entscheiden lassen, ob der Patient unrettbar verloren ist
oder nicht. In manchen Fällen hängt die Operabilität eines
Tumors nicht von seiner Grösse, von Verwachsungen etc. ab,
sondern von anderen technischen Schwierigkeiten. Dies gilt
besonders von den Darmkarzinomen. Ueberhaupt entzieht sich
die Entscheidung, ob ein intestinales Karzinom noch operabel
ist oder nicht, oft der Kompetenz des Nichtchirurgen und nicht
selten wird auch der Chirurg die Entscheidung dieser schwieri¬
gen technischen Probleme nur nach Prüfung der lokalen Ver¬
hältnisse bei offenem Abdomen treffen können. Es wäre zu
wünschen, dass die Aerzte und Laien den Magen-Darmkrebsen
gegenüber dasselbe verantwortliche ängstliche Gefühl hätten,
wie dem Brustkrebs gegenüber, wo heutzutage jeder ver¬
nünftige Arzt und jeder halbwegs intelligente Patient zur
Operation oder mindestens zur Zuziehung eines Chirurgen
drängt, sobald der Verdacht auf Karzinom auftaucht.
Der Leitsatz: Das operable Magen-Darmkarzinom gehört
dem Chirurgen, wird dann bedeutungslos in der Praxis, wenn
das Karzinom einfach nicht erkannt wird. Wir
verlangen gar nicht vom vielbeschäftigten praktischen Arzt
die feineren Untersuchungsmethoden, auch nicht die Unter¬
suchung des Mageninhaltes oder eine ausgebildete Palpations¬
technik, wir wünschen nur, dass in Fällen, wo sich bei vorher
gesunden fiteren Leuten die typischen Magen- oder Darm¬
beschwerden einstellen, so gut wie möglich untersucht wird
und dass der Verdacht auf Karzinom auftaucht, wenn die Be¬
schwerden anhalten. Jeder muss die Grenzen seiner dia¬
gnostischen Fähigkeiten kennen und richtig einschätzen lernen.
Gelingt es dem praktischen Arzte nicht, den Verdacht auf Kar¬
zinom durch genaueste Untersuchung auszuschliessen, so muss
die nächste Instanz zugezogen werden, von der er denkt, dass
die Diagnose gefördert werden könnte. Gelingt es auch dem
auf diesem Gebiete Erfahrenen nicht, das Karzinom aus¬
zuschliessen, reichen alle modernen Untersuchungsmethoden
zusammengenommen dazu nicht aus, dann bleibt als letztes
Hilfsmittel die diagnostische Laparotomie,
über deren Berechtigung und Notwendigkeit kein Zweifel be¬
stehen sollte.
Führt es nicht zu einer Ueberspannung des Begriffes
der Wissenschaftlichkeit, wenn man immer erst die Diagnose
des Magen- oder Darmkarzinoms absolut sicher stellen will,
ehe man eine Operation empfiehlt? Soll für unsere mangel¬
haften Untersuchungsmethoden der Kranke biissen?
Wenn ein so erfahrener Untersucher, wie Boas, nur in 10 Proz.
der Fälle die Diagnose des Magenkarzinoms nicht zu stellen ver¬
mochte 2), so gilt dies nicht von der Mehrzahl der Aerzte, die nur
durch Abwarten eine unklare Diagnose sichern können. Hoff-
mann fand, dass unter 321 von unseren Patienten, bei denen genaue
Angaben über diesen Punkt vorhanden waren, 213 länger als 3 Monate
vor der Aufnahme in ärztlicher Behandlung gewesen waren, 66 Proz.
Für einen grossen Teil dieser Verzögerungen ist gewiss das Publikum
selbst verantwortlich zu machen, aber der Arzt muss von Anfang an
die Operation schärfer ins Auge fassen.
Würden auch nur die Fälle mit sicherer Diagnose (leicht
palpabler Tumor mit Stauung) zeitiger geschickt, so würden
2) Boas: Welche Aussichten bestehen für eine Frühdiagnose
der Intestinalkarzinome? Mitteil. a. d. Grenzgeb., Bd. 15.
die operativen Erfolge erheblich bessere werden. Hier wenig¬
stens sollte der Arzt mit grösster Festigkeit zur Konsultation
mit einem Chirurgen drängen und diesem die Entscheidung
überlassen, ob das Leiden noch heilbar ist oder nicht.
M. H. ! Ich habe abgeschweift, ich wollte nur von den
Fällen sprechen, wo es nicht gelingt, unter voller Berück¬
sichtigung aller Untersuchungsmethoden zu einer sicheren
Diagnose des Karzinoms zu kommen, wo die L a p a r o t o m i e
als letztes diagnostisches Hilfsmittel ange¬
wendet werden muss. M. H., eine solche diagnostische Laparo¬
tomie ist wirklich nicht gefährlich. Ihre Mortalität lässt sich
nicht berechnen, ihre Gefahr ist nahezu der der Narkosen
gleich zu setzen. Man darf aber nicht die diagnostische und die
Probelaparotomie verwechseln! Die erstere soll feststellen,
ob überhaupt ein Karzinom vorhanden ist, die letztere, ob ein
vorgeschrittener Tumor eben noch operabel ist oder nicht.
Folgende Verhältnisse können sich bei der diagnostischen La¬
parotomie finden: Es ist kein Tumor und keine Stenose vor¬
handen; dann ist die Gefährlichkeit des Eingriffs nahezu gleich
Null. Findet sich ein Ulcus oder eine gutartige Stenose, so
liegt eine sichere Krankheit vor, welche die Gesundheit beein¬
trächtigt. Ist dann eine Gastroenterostomie angezeigt, so
handelt es sich um eine Mortalität von 3 — 10 Proz. Wird ein
Karzinom gefunden, so ist die radikale Operation das einzige
Hilfsmittel. Ohne sie ist der Tod sicher.
Man sagt, die diagnostische Laparotomie sei unpopulär.
Sie habe naturgemäss einen engen Indikationskreis. Dass sie
populär werde, dafür haben die Aerzte zu kämpfen, dass ihr
Indikationskreis ein weiter sein muss, dafür spricht das ge¬
fährliche latente Wachstum der inneren Kar¬
zinome, auf welches Boas3) so nachdrücklich hingewiesen
hat. Niemanden, der ein grösseres Material von Intestinal¬
karzinomen beobachtet, werden die traurigen Erfahrungen er¬
spart bleiben, dass selbst bei kurzer Krankheitsdauer die Ope¬
ration zu spät kommt. Hier war, wenn überhaupt, höchstens
durch eine diagnostische Laparotomie zu helfen, die noch
früher, auf den ersten Verdacht hin, zu unternehmen gewesen
wäre. Auf Boas Arbeit hin ist an dem Breslauer Material
das Verhältnis zwischen Dauer der Krankheit und Operabilität
bei den Magen-Darmkarzinomen genau untersucht worden.
Es war für den Chirurgen von höchster Wichtigkeit, festzu¬
stellen, wie gross ungefähr die Zahl der Karzinome ist, die in
der Latenzzeit, ohne irgend welche Störungen zu machen,
schon inoperabel werden; derjenigen Fälle also, wo selbst die
frühe oder gar die früheste Diagnose zu spät kommt, um einen
radikalen Eingriff gewährleisten zu können.
Nachfolgende Tabelle von Hoffmann über den Magen¬
krebs und eine von mir zusammengestellte beim Darmkrebs
bringen diese Zahlen an unserem Materiale.
Magenkrebs:
Dauer
der Krankheit:
bis
V* Jahr
bis
Va Jahr
bis
1 Jahr
mehr als
1 Jahr
Summa
ohne An¬
gabe un¬
bestimmt
verwei¬
gerte
Operat.
Zahl der Fälle:
104
174
179
124
581
24
49
operabel:
24 = 23
Proz.
53 = 30
Proz.
58 = 30
Proz.
26 = 20
Proz.
16t = 27
Proz.
3 = 13
Proz.
?
inoperabel:
80 = 77
Proz.
121 = 70
Proz.
121 =70
Proz.
98 = 80
Proz.
420 = 73
Proz.
21 = 87
Proz.
?
Darmkrebs:
Dauer der Krankheit:
bis Vi Jahr
bis V2 Jahr
bis 1 Jahr
mehr als
1 Jahr
Summa
Zahl der Fälle:
37
22
45
35
139
operabel :
16 = 44 Prz.
9 = 41 Prz.
25 = 55 Prz.
15 = 43 Prz.
65 = 47 Prz.
inoperabel :
21 = 56 Prz.
13 = 56 Prz.
20 = 45 Prz. j 20 = 57 Prz. 74 = 53 Prz.
Magenkrebs:
Auf 681 verwertbare Fälle 80 sicher inoperabel = 15 Proz., 161 operabel = 27 Proz.
15 Proz.
inoperabel
27 Proz. operabel
Darmkrebs:
Auf 139 verwertbare Fälle 21 sicher inoperabel = 15 Proz., operabel 65 = 46 Proz.
15 Proz.
inoperabel
3) Am angeführten Orte.
i7. September 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1875
Erschreckend hoch, das muss man zugeben, ist auf den
ersten Blick die Zahl der Fälle, die schon nach der kurzen
Frist von Yi Jahr inoperabel waren, 77 Proz. beim Magen,
56 Proz. beim Darm. Im Vergleich zur Gesamtziffer ist diese
Zahl aber dennoch keine allzu grosse, 15 — 20 Proz. Vielleicht
waren auch von den nicht Operabein des zweiten Quartals
einige schon im ersten Quartal der Beschwerden nicht zu rese¬
zieren. Aber es ist ebenfalls nicht ganz unwahrscheinlich, dass
von Fällen der ersten 3 Monate einige bei früherer Operation
zu retten gewesen wären. Und andererseits waren unter den
Magen-Darmkarzinomen, trotz Verzögerung der Diagnose und
trotz des Widerstandes der Kranken gegen operative Eingriffe,
immerhin noch 27 Proz. resp. 46 Proz. aller Fälle resezierbar.
Zwischen diesen Zahlen der sicher operabeln
und sicher inoperablen Fälle liegt das Gebiet
(auf dem Schema weisses Feld) um das die ärztliche
Kunst zu kämpfen hat, auf dem sie auch grosse
Erfolge noch erringen kann.
Je mehr man sich mit diesen Fragen beschäftigt, um so
mehr erkennt man das Verdienst von Boas an, wenn er die
Malignität der Intestinalkarzinome hauptsächlich in ihrem
latenten Wachstum sieht. Um so energischer muss aber dann
darauf hingewiesen werden, dass man unter den bekannten Um¬
ständen schon bei geringen Symptomen daran zu denken hat,
ob nicht etwa ein Karzinom aus seiner Uatenz heraustritt. Die
Konsequenz ist klar: Die Diagnose muss mit allen Mitteln
schnell gesichert werden.
Aber auch noch etwas anderes haben unsere Tabellen
ergeben: Selbst bei längerer Dauer des Leidens sind noch
20 Proz. resp. 43 Proz. der Fälle operabel gewesen. Man
soll also weder früh noch spät zögern, zu
operieren. Es unterliegt keinem Zweifel, dass, je früher
wir operieren, wir um so bessere Resultate erhalten müssen.
Eine Zusammenstellung von Hoffmann zeigt das über¬
zeugend: Diejenigen Fälle von Magenkrebs, welche sich zur
Resektion eigneten, und besonders die, welche dabei gute Re¬
sultate ergaben, hatten eine um 3 — 5 Monate kürzere Krank¬
heitsdauer als die schlechten.
Die Heilungs möglichkeit habe ich graphisch dar¬
gestellt. Sie ist gegeben in 27 Proz. resp. 46 Proz. der Fälle.
Um die Heilungsziffer zu erhöhen, bedarf es der Hilfe
auf verschiedenen Punkten. Erstens frühere Operation, mehr
Mut, mehr Klarheit. Je mehr frühere Fälle, um so mehr Erfolge.
Ferner müssen auch die Chirurgen energischer Vorgehen und
die Resektion öfter anwenden. Die palliative Operation ist ein
Todesurteil, die Resektion schwerer Fälle ist die bedingte Ver¬
urteilung. Keine Chance sollte aufgegeben werden.
Die Beweggründe zu einer weiteren Indika¬
tionsstellung, spez. bei den Magen re Sektionen,
sind in folgendem zu erblicken: 1. ist die Gefährlichkeit der Gastro¬
enterostomie bei Karzinom nicht sehr viel geringer, als bei der
Resektion; 2. ist die Lebensdauer durchschnittlich erheblich kürzer als
nach der Resektion, selbst wenn das Rezidiv eintritt; und vor allem
ist 3. nach unserer Erfahrung das postoperative Leben nach der
Gastroenterostomie viel schlechter, weil der ulzerierende Tumor zu-
riickbleibt. An der Breslauer Klinik wurden für die Resektion immer
weitere Indikationen gestellt. Mikulicz führte sogar in Fällen,
die geeignet schienen (zirkumskripter kleiner I umor, unerreichbare
Lymphdriisenmetastasen) bewusst die palliative Resektion aus.
Von Makkas sind die Magenresektionen von 1890—1904
bearbeitet worden. 163 Resektionen mit 57 Todesfällen,
eine Mortalität von 35 Proz.! Das ist eine erschreckend hohe
Ziffer. Die Schwankungen der Mortalität sind sehr grosse. So
hatten wir z. B. 1904 hintereinander 22 Fälle mit 15 Proz. Mor¬
talität. Es hängt eben ganz davon ab, wie ausgedehnte Tu¬
moren man operiert. Wie weit wir gegangen, zeigt sich daran,
dass unter unseren Fällen 9 mal das Kolon mitreseziert wurde
(l Fall dauernd geheilt), 36 mal Stücke des Pankreas (5 Fälle
dauernd geheilt), 4 mal Leber- und 3 mal Bauchwandver¬
wachsungen reseziert werden mussten. Ausgezeichnete Re¬
sultate haben Kocher und M a y o in den letzten Jahren mit
17 Proz. und 16 Proz. Mortalität gehabt. Man sieht also, welch
günstige Ziffern erreicht werden können.
Die Hälfte unserer Kranken starb an Peritonitis, ein
Viertel an Lungenkomplikationen; die erstere lässt sich durch
.Verbesserung der Technik vermeiden und wir sind in dieser
Beziehung der besten Zuversicht. Auch die Lungenkompli¬
kationen schliessen sich gern an versteckte peritoneale In¬
fektionen an.
Nun aber zum allerwichtigsten, zu den Dauererfol¬
gen. Nimmt man das übliche T r i e n n i u m zur Beurteilung
des Wertes der radikalen Operation einer bösartigen
Geschwulst, so ergibt sich, dass von 119 Fällen,
die von 1890 b i s 1902 operiert wurden, 22 E r -
f o 1 g e (= 18,4 Proz.) erzielt wurden. Von diesen 119 starben
48 im Anschluss an die Operation und leider nicht bloss die Aus¬
sichtslosen. Die Operation spielt nicht etwa die Rolle der
Selektion ! 71 überlebten, unter diesen sind
22 Erfolge über 3 Jahre, also 30 Proz., darunter 10
über 5 Jahre. M. H., das ist eine sehr hohe Ziffer, die uns zeigt,
dass die Malignität vieler Magenkrebse gar keine so hohe ist,
wie man früher dachte. Eine Statistik der radikal operierten
Mammakarzinome aus der Breslauer Klinik 4) von Scheu aus
dem gleichen Zeiträume ergab eine dreijährige Heilung bei
20 Proz.
Ich habe noch einiges über die Heilungsverhält¬
nisse bei Darmkarzinom hinzuzufügen. Aus der Ta¬
belle sahen wir, dass die Zahl der aussichtslosen Fälle ungefähr
dieselbe wie beim Magen ist. Bei 15 — 20 Proz. aller Fälle
kommen wir auch mit der frühen Operation zu spät. Aber
bei 46 Proz. der Fälle wurden tatsächlich operable Karzinome
gefunden. Es liegen hier an sich die Verhältnisse wesentlich
günstiger als beim Magenkrebs. Die Diagnose ist oft noch un¬
sicherer. Beim Darmkrebs kommt aber noch eines hinzu, was
sehr für die frühe Operation spricht, das ist die Ueberlegung,
dass fast alle Fälle früher oder später wegen der Darmstenose
resp. des Ileus doch operiert werden müssen. Die Operation wird
also nur aufgeschoben. In 63 Proz. aller Fälle hatte der Tumor
zu Ileus geführt. Was die Operationserfolge beim
Darmkrebs betrifft, so sind wir hier auf einer Höhe an¬
gelangt, die weit über der bei Magenkrebs steht, und zwar
gilt dies sowohl von den operativen augenblicklichen, sowie
von den Dauerresultaten. Man kann beim Darm viel rück¬
sichtsloser ausgedehntere Resektionen vornehmen, als beim
Magen, ohne die Gefahr allzusehr zu vermehren. Durch die
Einführung der mehrzeitigen Operationsmethoden, speziell der
von Mikulicz empfohlenen Vorlagerung, ist es gelungen,
die Mortalität auf 12 Proz. (32 Fälle) herabzudrücken. Der
Hauptvorteil der Vorlagerung liegt meines Erachtens darin,
das man bei grossen Tumoren die ganze Lebenskraft des
Patienten dazu in Anspruch nehmen kann, dass die Exstirpation
als solche gut überstanden wird. Der Darm wird bei offener
Bauchhöhle nicht eröffnet und damit fällt die Peritonitisgefahr,
die bei den Magenresektionen die Hälfte der Todesfälle aus¬
macht, weg. Diese ausschlaggebenden Vorteile werden durch
die Nachteile, längere Dauer, Anus praeternaturalis, nicht ge¬
mindert. Die Indikationen zur Resektion wurden in den letzten
Jahren auch beim Darmkrebs immer weiter gestellt, und trotz¬
dem sind die Todesfälle immer seltener geworden, die Dauer¬
erfolge gute geblieben.
Es wurden operiert von 1890 — 1906 50 Fälle; davon sind
bis jetzt rezidivfrei 40 Proz. Gehen- wir wieder auf das
Triennium der Heilung zurück, so sind es 41 Fälle m i t
14 E rf olgen, 34 P roz. Es sind dabei 9 Fälle, die mehr
als 6 Jahre geheilt sind. Wir haben leider früher bei den
einzeitigen Operationsmethoden viele Fälle verloren (50 bis
33 Proz.). Berechnen wir die Erfolge nur auf die Fälle, die
die Operation überlebten, so haben wir auf 27 Fälle 15 H e i -
lungen, 52Proz. Wir haben es -also bei dem Karzinom des
Darmes mit einer relativ gutartigen Form zu tun.
Getrübt wird die Freude an den Heilungsresultaten bei
den Magen- und Darmkarzinomen dadurch, dass die Zahl der
Erfolge im Vergleich zur Gesamtzahl dieser Krebskranken eine
geringe ist. Es wird eine lohnende Aufgabe für die behandelnden
Aerzte sein, immer mehr Patienten frühzeitig, oder doch wenig¬
stens früher als jetzt zu einer Operation zu bewegen, zu einer
Operation, die von einem tödlichen Leiden befreien und heut¬
zutage so gestaltet werden kann, dass sie beim Magen eine
Gefährlichkeit von 20—30 Proz., beim Darm von 10—15 Proz.
4) Gedenkband für Mikulicz.
3*
1876
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
hat und, wenn die Operation überwunden, Heilungsaussichten
bietet von 30 resp. 50 Proz.
Was ist als generalisierte Vakzine zu bezeichnen?
Von Dr. L. Voigt, Oberimpfarzt in Hamburg.
Der Name generalisierte Vakzine, zu deutsch allgemeiner
Kuhpockenausschlag, wird neuerdings in so verwirrender
Weise für ganz verschiedene vakzinale Erscheinungen ge¬
braucht, dass es an der Zeit ist, einmal wieder auf die alt¬
hergebrachte Bedeutung dieses Namens hinzuweisen. Mit
Recht ist mit dem Namen generalisierte Vakzine von jeher
nur ein auf hämatogenem Wege entstandener allgemeiner Aus¬
schlag in Gestalt von mehr oder weniger vollständig ausge¬
bildeten Vakzinepusteln bezeichnet worden, welcher sich bei
den mit Kuhpockenimpfstoff Geimpften ziemlich selten um die
Zeit des Aufhörens des Vakzinefiebers zeigt und der einfach
abtrocknet ohne nennenswerte Narben zu hinterlassen. Ein
solcher Ausschlag entspricht dem Allgemeinausschlag der
Variola, der ebenfalls nach dem Abklingen des Eingangsfiebers
der Variola ausbricht und die ernsteren Erscheinungen dieser
Kranken bedingt. An dieser Bedeutung des Namens allgemeine
oder generalisierte Vakzine ist durchaus festzuhalten.
Wie die K i r 1 a n d sehen Tafeln dartun, umgibt sich die
Variolainokulationspustel am Arm des Menschen mit einem
mehr oder weniger dichten Kranze oder Wall von Neben- oder
Beipocken, noch vor dem Ausbruch des allgemeinen Pocken¬
ausschlags. Andeutungen hievon sehen wir in geringerem
Masse bei der Vakzineimpfpustel, nach Verwendung sehr
wirksamer Impflymphe, auf empfindlicher Haut, manchmal be¬
günstigt durch reizende Behandlung des Impffeldes. Solche
Neben- oder Beipocken, Pustulae supernumerariae, entstehen
nicht auf hämatogenem Wege, sie sind keine generalisierte
hämatogene Vakzine, sondern sie verdanken ihr Dasein dem
Vordringen der Vakzine in den um die Impfpustel befindlichen
Lymphespalten, zum Teil auch der aus zerkratzten Impfpusteln
aussickernden und sich in ihrer ebenfalls zerkratzten Nach¬
barschaft einnistenden Impflymphe.
Wird Kuhpockenimpfstoff aus einer verletzten Kuhpocken¬
pustel am Arm des Impflings auf eine andere der Epidermis
beraubte Stelle seines Körpers übertragen, sei es mit dem
kratzenden Finger oder mit dem Wasch- oder Badewasser
oder mit einem. Schwamm, Handtuch usw., so bekommt der
Impfling sekundäre Pusteln an dieser oder an diesen der Epi¬
dermis beraubten Stellen, sogen. Vaccina secundaria. Wird
in ganz gleicher Weise der Kuhpockenimpfstoff zufällig auf eine
von Epidermis entblösste Stelle zum Beispiel auf das Gesicht
einer anderen Person übertragen, so handelt es sich um einen
einfachen unbeabsichtigten Impfakt, und es entstehen dann je
nach Art der Uebertragung auf gesundes Hautgewebe eine oder
wenige einzelne Pusteln. Ist aber die mit dem Kuhpocken¬
impfstoff in Berührung gekommene Stelle ekzematös, so han¬
delt es sich um die Impfung eines Ekzems, um Ekzema vac-
cinatum. Das Ekzem überzieht sich mit mehr oder weniger
dicht gestellten konfluierenden Pusteln, weil unter dem Reize
der Vakzine am Ekzem ein Saftstrom ausbricht, der die Vakzine
über die ganze Oberfläche des Ekzems ausbreitet. Das Ekzema
vaccinatum ist in letzter Zeit oft, ganz unklarer Weise, als
generalisierte Vakzine bezeichnet worden, obwohl es ein zu¬
nächst örtliches Uebel ist, das sich nur auf der Oberfläche des
Körpers per contiguitatem, durchaus nicht auf hämatogenem
Wege verbreitet.
Sind erst die Vakzinepusteln des mit Kuhpockenimpfstoff
in Berührung gekommenen Ekzems abgeheilt, so hinterlassen
sie in ihrem Träger einen ebenso vollständigen Impfschutz, als
ob er nach den Regeln der Kunst geimpft worden wäre, dann
hat die Vakzine den Körper durchsetzt. Ereignen sich jetzt
Nachschübe des vakzinalen Ekzemausschlags, sei es am Orte
des erstmals befallenen Ekzems, sei es an anderen Stellen, so
darf man annehmen, dass diese Nachschübe auf hämatogenem
Wege entstehen. Das Ekzema vaccinatum selbst aber war ein
auf direkte Uebertragung zurückzuführendes örtliches, ein nicht
allgemeines, ein nicht generalisiertes Hautübel.
Nachschübe eines Ekzema vaccinatum müssen den vak¬
zinalen Ausschlagsformen an die Seite gestellt werden, welche
sich gelegentlich um das Ende der Impfwoche oder etwas
später bei solchen Geimpften zeigen, die zwar zur Zeit der
Impfung frei von anderem Ausschlag, die aber früher an Aus¬
schlag gelitten, oder die bisher eine latent empfindliche Haut
haben. Es sind das die vielgestaltigen postvakzinalen Aus¬
schlagsformen rnorbillöser, skarlatinöser Art, sowie Exan¬
theme, welche als Urticaria, Papeln, Bläschen und selten auch
in Pustelform auftreten und bald nach erreichter Immunität
zurückgehen. Solche Ausschlagsformen sieht man reichlicher
nur während der heissen Sommerwochen und besonders an
Kindern, die während ihrer Impfwoche von anderen mit Aus¬
schlag verbundenen Krankheiten ergriffen werden, wie z. B.
der Stomatitis aphthosa. Solche Ausschläge segeln zumeist
unter der Flagge der sogen. Impfschäden. Man nahm allgemein
an, die postvakzinalen Ausschläge entstünden infolge der im
Blute kreisenden Träger der Vakzine, wahrscheinlich werden
sie aber in zum Ausschlag geneigter Haut hervorgerufen von
den im Blute kreisenden Toxinen des Kontagiums, denn die
hämatogenen postvakzinalen Ausschläge entfalten fast niemals
einen übertragbaren vakzinalen Ansteckungsstoff. Im Gegen¬
satz hiezu wirkt der Inhalt der auf örtliche Einpfropfung ent¬
standenen sekundären Pusteln ansteckend, die Sekrete des
Ekzema vaccinatum und den Mischformen des Impetigo mit
der Vakzine besitzen sogar eine hochgradige Kontagiosität.
Vom Inhalt der Bläschen des ebenfalls postvakzinalen Aus¬
schlags der generalisierten Vakzine, dem Analogon des Allge¬
meinausschlags der Variola, hat man allgemein von jeher an¬
genommen und verlangt, dass er übertragbaren Kuhpocken¬
impfstoff enthalte. Letzteres Verlangen scheint aber nun sehr
selten erfüllt zu werden. L. Pfeiffers Versuche, das Kon-
tagium der generalisierten Vakzine zu verimpfen, sind ergebnis¬
los geblieben. Seitdem ich in der Hamburger Staatsimpfanstalt
über Kaninchen verfüge, habe ich zahlreiche von uns beob¬
achtete postvakzinale Papeln- und Bläschenausschläge auf
ihre vakzinale Eigenschaft geprüft. In keinem einzigen Falle rief
der auf das Kaninchenauge übertragene Bläschen- oder Papel¬
saft charakteristische Zellveränderungen hervor, die zum Teil
derben Erosionen der Kaninchenhornhaut heilten ausnahmslos,
ohne eine Trübung des Gewebes der Kornea herbeizuführen,
hiernach kommt die generalisierte Vakzine entweder äusserst
selten vor oder der Inhalt ihres Bläschenausschlages enthält
nur ausnahmsweise wirksam übertragbaren Kuhpockenimpf¬
stoff.
Der Name generalisierte Vakzine muss aber nach wie vor
dem auf hämatogenemWege entstandenen allgemeinen Vakzine¬
ausschlag verbleiben zur Unterscheidung von den auf örtliche
Uebertragung zurückzuführenden vakzinalen Formen, als da
sind: Nebenpusteln, supernumeräre oder sekundäre Pusteln und
Ekzema vaccinatum.
Aus dem Herz-Jesu-Hospital in Bonn.
Ueber einen Fall von doppelseitigem Chylothorax
traumaticus.
Von A. Hammesfahr, dirigierendem Arzt der chirurgischen
Abteilung.
Der Chylothorax ist bisher noch nicht oft beobachtet
worden; Lotheissen zählt in seiner Arbeit (Wiener klinische
Rundschau 1907, 2) 23 Fälle von einseitigem oder doppel¬
seitigem Chylothorax auf; in allen Fällen handelte es sich um
echten Chylus, nicht um ein Produkt der tuberkulös oder kar-
zinomatös erkrankten Pleura. Diese 23 Fälle sind in 2 Gruppen
zu teilen: in 11 Fällen hatte eine äussere Gewalteinwirkung,
ein „Trauma“ zur Zerreissung des Ductus thoracicus geführt,
während in 12 Fällen Chylangiektasien oder Kompression des
Duktus durch Tumoren Veranlassung zum Austritt des Chylus
gewesen waren. Dass es bei Chylangiektasien, wo die an sich'
schon zarte Wandung der Chylusgefässe noch dünner ge¬
worden ist, zu einem Bersten der Gefässwände und damit zu
einem Austritt von Chylus kommen kann, ist wohl verständ¬
lich; auch bei Kompressionsverschlüssen des Duktus durch
Tumoren wird man annehmen müssen, dass die Chylusgefässe
vor dem Hindernis sich erweitern, dass es also zu
Chylangiektasien und damit zu der Möglichkeit der Gefäss-
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1877
berstung kommen wird. Der Austritt des Chylus im Bereich
seiner Thoraxgefässe erfolgt natürlich in das lockere Gewebe
des hinteren Mediastinums. Wie kommt der Chylus beim
nichttraumatischen Chylothorax nun aber in die Pleurahöhlen
hinein oder mit anderen Worten: Ist die intakte Pleura für eine
Flüssigkeit wie sie der Chylus darstellt, durchlässig? Diese
Frage ist bejahend zu beantworten, wenn es auch zunächst auf¬
fällig erscheint, dass nicht nur das Serum des Chylus, sondern
auch seine Formelemente wie Lymphozyten und Fettzellen die
Pleura passieren können. Für diese Passage kommt nach den
anatomischen Verhältnissen nur die Pleura mediastinalis in
Betracht. Die Pleura (ob besonders die Pleura mediastinalis?)
hat feine Oeffnungen, Stomata, die dadurch gebildet werden,
dass die Zellen sich nicht überall fest aneinander legen, sondern
Lücken zwischen sich lassen. Durch diese Stomata wird der
Chylus in die unter negativem Druck stehende Pleurahöhle
hineingesogen; die Stomata sind offenbar gross genug, um
auch die Lymphozyten und das ja ganz besonders fein ver¬
teilte Fett passieren zu lassen. Man wird diese Erklärung für
den Uebertritt des Chylus aus dem Mediastinum in die Pleura¬
höhle zuweilen auch zur Klarstellung beim Chylothorax trau-
maticus heranziehen müssen, und zwar dann, wenn die trau¬
matische Entstehung der Gefässruptur zweifellos war, eine
Verletzung der Pleura aber bei der Sektion nicht gefunden
wurde.
Beim Chylothorax traumaticus wird man im allgemeinen
annehmen können, dass dieselbe Gewalteinwirkung, die die
Ruptur des Duktus herbeigeführt hat, auch eine Pleuraver¬
letzung hervorbringen konnte. In den- bisher beobachteten
Fällen ist die Verletzung des Duktus nur einmal durch ein
Geschoss, in den anderen Fällen aber dadurch zustande ge¬
kommen, dass eine Quetschung des Thorax oder eine Ueber-
dehnung der Wirbelsäule nach hinten (im Sinne einer Lordose)
stattfand. Dabei sind einige Male Rippen oder Wirbelkörper
frakturiert worden und nach dem Sitz der Fraktur war anzu¬
nehmen, dass ein Fragment gleichzeitig Duktus und Pleura an-
gespiesst hatte. Meist aber war die Verletzung des Duktus und
der Pleura nur mit der Annahme zu erklären, dass eine solche
Gewalteinwirkung auf den Thorax oder die Wirbelsäule zwar
Duktuswand und Pleura zum Einreissen bringen, alle übrigen
Brustorgane aber intakt lassen kann.
Ich habe nun vor Kurzem einen doppelseitigen Chylothorax
traumaticus beobachtet und behandelt, bei dem die Gewaltein¬
wirkung derart war, dass sehr wohl Duktus thoracicus und
linke Pleura, nicht aber die rechte Pleura verletzt sein
konnte. Da der Erguss in die Pleurahöhle aber beiderseits
bestand, so musste die Chylusansammlung auf der rechte n
Seite auf dem oben beschriebenen Wege der Ansaugung zu¬
stande gekommen sein. Es handelte sich um einen 10 jährigen
Jungen, der beim Rodeln unter ein Pferd geraten war und einen
Huftritt in die Gegend des linken Sternoklavikulargelenks be¬
kommen hatte. Der Befund, der am 6. II. 07, 5 Tage nach dem
Unfall, aufgenommen wurde, besagt im Wesentlichen:
Schlecht genährter und nur mässig entwickelter Junge von
10 Jahren; im Winkel zwischen Sternum und linker Klavikula gelbe
und. bläuliche Verfärbung, geringe Schwellung und geringe Druck-
emofindlichkeit; keine Krepitation an Sternum, Klavikula oder erster
Rippe, im Röntgenbild dieser Gegend keine Fraktur oder Splitterung
zu erkennen. Hochgradige Zyanose der Lippen und der Nase, auf¬
fallende Blässe des übrigen Gesichtes; Atmung schwer unter An¬
spannung aller Hilfsmuskeln; über der ganzen linken Thoraxhälfte
absolute Dämpfung hinten wie vorn, Herzgrenze nach oben und links
nicht festzustellen; Spitzenstoss 3 Finger breit nach aussen vom
rechten Sternalrand; also sehr starke Verdrängung des Herzens
nach rechts. Auf der rechten Seite handbreiter Dämpfungsbeziik
hinten unten, sonst überall hell; Stimmfremitus links überall, rechts
im Bereich der Dämpfung aufgehoben; Atemgeräusch links nirgendwo
zu hören, rechts hinten unten stark abgeschwächt, deutlich nur rechts
hinten oben und rechts vorne. Puls klein, 140 in der Minute, Tem¬
peratur im Rektum Mittags gemessen 37,4. Die Diagnose konnte
zunächst nur lauten: Erguss in beiden Pleurahöhlen. Welcher Art
war der Erguss? Ein Empyem konnte es nach dem Verlauf dei Ei-
kratikung und nach dem Befunde nicht sein: ein Hämatothorax? Mög¬
lich, trotzdem eine Rippenfraktur nicht nachweisbar war. Die Probe¬
punktion war erst aufklärend: Chylus in beiden Pleurahöhlen. F)ass
es sich um echten Chylus handelte, sah man auf den ersten Blick:
die Flüssigkeit sah aus wie Vollmilch. Eine Untersuchung im physio¬
logischen Institute stellte einen Fettgehalt von 2,95 Proz. fest. Be¬
handlung: Mit Biiil au scher Drainage wurden aus der linken Pleura¬
höhle 2 Liter Chylus, mit einer Aspirationsspritze aus dem rechten
Pleuraraum ca. % Liter Chylus entfernt. Die Drainage links liess
ich 24 Stunden weiter wirken und es entleerte sich noch in dieser
Zeit ein Liter Chylus langsam in das Standgefäss. Dann hörte der
Abfluss völlig auf, der Schlauch wurde entfernt und eine neue An¬
sammlung trat weder in der rechten noch in der linken Pleurahöhle
ein. Es lag also wohl keine vollständige quere Durchtrennung des
Duktus vor, sondern seine Wandung hatte nur einen Einriss gehabt,
der sich schliessen konnte, so dass der Chylus wieder in seine ge¬
wohnte Bahn gezwungen wurde. Daher auch der weitere günstige
Verlauf: Der Junge erholte sich schnell und war nach 8 Tagen als
wiederhergestellt zu betrachten.
Ueber das Zustandekommen dieses doppelseitigen Chylo¬
thorax habe ich mir folgende Vorstellung gemacht: Stumpfe,
doch kräftige Gewalteinwirkung auf die Gegend des linken
Sternoklavikulargelenks, infolge dessen Verletzung des hier in
die Vena subclavia einmündenden Duktus nicht weit von seiner
Mündung; gleichzeitige Verletzung der linken Pleurakuppe
durch dieselbe Gewalteinwirkung; der Chylus ergoss sich nun
grösstenteils in die linke Pleurahöhle, ein Teil aber nahm den
Weg in das hintere Mediastinum und wurde nun von hier in
die rechte Pleurahöhle getrieben in der oben geschilderten
Weise durch Ansaugung. Diese Vorstellung würde auch die
erhebliche Differenz der Chylusmengen zwischen links und
rechts erklären: durch einen Riss in der Pleura kann sich na¬
türlich mehr ergiessen, als durch die feinen Stomata angesaugt
werden kann.
Die Diagnose war ohne Probepunktion nicht zu stellen;
man denkt zunächst nicht an eine Duktusverletzung, obwohl
man Bedenken gegen die Diagnose Empyem oder Häma¬
tothorax hat; in meinem Falle sprach gegen Empyem Ent¬
stehung und Verlauf der Erkrankung und das Fehlen einer
Temperatursteigerung, gegen Hämatothorax das Fehlen einer
Fraktur, gegen beides die Doppelseitigkeit des Ergusses. Die
Probepunktion wirkte schnell klärend: schon die makro¬
skopische Betrachtung des Ergusses liess keinen Zweifel dar¬
über, dass es sich um echten Chylus handelte.
Beseitigung der durch Radiumstrahlen bewirkten
Gefässerweiterungen.
Von Hans Axmann in Erfurt.
Jedem Kollegen, welcher sich mit Radium behand-
lung beschäftigt, sind die unangenehmen Gefässerwei¬
terungen in der Umgebung der sonst schön weissen und
glatten Radiumnarbe bekannt. Dieselben pflegen manchmal
erst lange Zeit, monatelang nach der Behandlung sichtbar zu
werden und den glücklich geheilten Patienten zu enttäuschen.
Bisweilen wird der erzielte Erfolg tatsächlich zweifelhaft.
Schon seit ungefähr 3 Jahren habe auch ich mich mit der
Verhütung dieser nachteiligen Beigabe be¬
schäftigt. Aetzmittel und dergl. pflegten die Sache oft noch
schlimmer zu machen, bis ich eine andere Art von Strahlen zum
Ausgleich heranzog, und zwar die Uviolstrahlen. Diese
kurzwelligen ultravioletten Strahlen stehen in einem
gewissen Antagonismus auch in sonstigen Wirkungs¬
weisen, physikalisch wie chemisch betrachtet, zu den kor¬
puskularen Strahlungen des Radiums, sowie der Anode
und Kathode überhaupt; auch physiologisch scheint es
der Fall zu sein.
Einige kräftige Bestrahlungen mittels der Uviol- oder auch
Quarzlampe genügten, die erwähnten Teleangiektasien dauernd
zum Schwinden zu bringen. Znm experimentellen
Nachweis dieser Tatsache benutzte ich meine Vorderarme,
auf denen infolge meiner vielen Radiumversuche reichliche
Radiumnarben vorhanden sind. Während auf dem linken
Vorderarm nach ein- bis zweimaliger Strahleneinwirkung die
erwähnten Gefässnetze verschwanden, bestehen dieselben auf
dem nicht behandelten rechten Arm nach einem halben Jahre
heute noch.
Darum möchte ich allerseits dieses einfache Verfahren ge-
wissermassen zur Politur mit Radium behandelter Hautstellen
zur Nachprüfung empfehlen. Der Vorgang hat aber auch noch
eine theoretische Bedeutung; gestattet er doch die jetzt
vielfach in Anwendung gezogene Heilung der Naevi vasculosi
mittels ultravioletter Strahlen zu studieren, nachdem man sic
auf künstlichem Wege hervorgerufen hat.
1878
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Die Stellung der Fürsorgestellen für Lungenkranke im
Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit.*)
Von Dr. med. H. Beschorner, Arzt der Fürsorgestelle für
Lungenkranke in Dresden-Neustadt.
In der Einleitung des 5. die Tuberkulose behandelnden Kapitels
seines Werkes „L’Hygiene sociale“ kommt der Nachfolger Pa¬
steurs- Emil Ducleaux, darauf zu sprechen, dass diejenigen
Perioden, die sich im Verlaufe aller verheerenden Seuchen unter¬
scheiden lassen, besonders deutlich bei der Tuberkulose zum Aus¬
druck kämen. Er führt etwa aus:
Wir können in der Geschichte der Tuberkulose 3 Entwicklungs¬
stufen erkennen:
Die erste ist diejenige, in der sich der Mensch keine Rechen¬
schaft gibt über die Gefahr, in welcher er sich befindet. Erst die
verderbenbringende Ausbreitung der Tuberkulose rüttelt den Träumer
aus seinem Schlafe.
In der zweiten Periode beginnt man der Tuberkulose Beachtung
zu schenken. Man erkennt wie furchtbar die Verheerungen sind, die
durch die Seuche angerichtet werden.
In der dritten Periode endlich schreitet man zum Kampfe gegen
die Volksseuche. Dieser Kampf wird im Anfänge mit fieberhafter
Hast geführt, gewinnt jedoch in der Folge an Bedeutung durch wis¬
senschaftliche Vertiefung und planmässige Durchführung der als
richtig erkannten Massregeln.
Diese von Ducleaux gekennzeichnete Entwicklung ist eine
ebenso naturgemässe wie wissenschaftlich begründete. Ein jeder Kampf
kann nur dann mit Erfolg geführt werden, wenn man den Gegner sieht
d. h. also gegen eine verheerende Seuche kann man im allgemeinen
nur dann mit Erfolg Vorgehen, wenn man über das Wesen der
Krankheit, ihre Entstehung und Verbreitungsweise genau unterrichtet
ist. Noch vor 50 Jahren waren wenige Gelehrte der Ueberzeugung,
dass die Tuberkulose eine durch Verschleppung übertragbare Krank¬
heit sei. Obwohl K 1 e n c k e 1843, später V i 1 1 e m i n Q und end¬
lich einwandsfrei Cohnheim2) Tuberkulose erfolgreich auf Tiere
überimpft hatten, musste Cohnheim in seiner allgemeinen Pa¬
thologie dennoch zugeben, dass man sich aus der Geschichte
der Tuberkulose selbst die Entscheidung ableiten müsse, ob diese
eine reguläre Infektionskrankheit oder aber das Produkt einer Kon¬
stitutionsanomalie des Individuums sei.
Alle wissenschaftlichen Streitfragen auf diesem Gebiete löste
Robert Koch mit einem Schlage durch die Entdeckung des Tuberkel¬
bazillus. Es waren am 24. März dieses Jahres gerade 25 Jahre,
dass Koch in der Berliner physiologischen Gesellschaft die Ent¬
deckung der Tuberkelbazillen bekannt gab.3) Durch dieselbe wurde
unzweifelhaft dargetan, dass man unter Tuberkulose nicht mehr den
pathologischen Zustand eines oder des anderen Organes zu ver¬
stehen habe, sondern eine spezifische Infektionskrankheit, welche
akut oder chronisch verlaufen und die verschiedensten Organe des
Körpers befallen könne.
Diese einmal gewonnene Einsicht in das Wesen der Krankheit
und die Erkenntnis, dass es in der Hauptsache die Ausscheidungs¬
produkte, besonders aber der Auswurf der Tuberkulösen seien, welche
die Weiterverbreitung bewirkten, Hessen den Versuch aussichts¬
voll erscheinen, diejenigen Grundsätze auch bei der Bekämpfung der
I uberkulose in Anwendung zu bringen, welche im Kampfe gegen
andere Infektionskrankheiten erprobt worden waren.
Das charakteristische der Koch sehen Seuchenbekämpfung, die
sich gegen Cholera, Typhus, Malaria und andere Infektionskrank¬
heiten glänzend bewährt hatte, besteht in dem direkten Vorgehen
gegen den Krankheitserreger selbst. Der Versuch, diese erfolg¬
reichen Methoden auch bei der Bekämpfung der Tuberkulose anzu¬
wenden, brachte nicht den erhofften Erfolg. Das wesentliche Hin¬
dernis lag im C h a r a k t e r der Krankheit.
Cholera, Typhus, Malaria waren akute Infektionskrankheiten
die bei ihrem Auftreten die Menschheit mit Furcht und Schrecken
erfüllten, bei der 1 uberkulose aber hatte man es mit einer exquisit
chronischen Krankheit zu tun, an die sich der Mensch bereits
gewöhnt hatte, der es infolgedessen gelungen war, sich tief in die
sozialen Verhältnisse einzunisten.
Man hat der Tuberkulose nicht mit Unrecht den Namen Pro¬
letarierkrankheit gegeben, denn sie ist, wie keine andere Krankheit
die Geissei der in schlechten Wohnungs- und Ernährungsverhältnissen
lebenden armen Bevölkerung.
Wie alle Krankheiten an gewisse äussere Verhältnisse gebunden
sind, so ist der innige Zusammenhang zwischen Wohnungsdichtig¬
keit und Tuberkulose unverkennbar. Ruinier4) erklärte 1899 auf
dem Tuberkulosekongress zu Berlin: „Die Tuberkulose geht der
*) Nach einem Vortrag in der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde zu Dresden gehalten am 27. April 1907.
D Etüde sur la tuberculose. Paris 1868.
") Allgemeine Pathologie, Bd. 1, S. 609.
3) Veröffentlicht: Berl. klin. Wochenschr. 1882. Verh. d. physiol.
Gescllsch. Berlin, Jahrg. VII, 65. Arb. d. K. Gesundheitsamtes, Bd. II.
‘) Bericht über den Kongress für Tuberkulose in Berlin 1899,
S. 309..
Wohnungsdichtigkeit parallel“. Diese Tatsache wird durch die auf
der Fürsorgestelle Dresden-Neustadt gemachten Erfahrungen durchaus
bestätigt. Die dichtbewohntesten Strassen weisen die meisten Fiir-
sorgestellenbesucher auf. Der vom Kaiserlichen Gesundheitsamt in
seiner Denkschrift „Ueber die Tuberkulose und ihre Bekämpfung“
ausgesprochene Satz: „Die Uebertragung der Tuberkulose findet am
häufigsten durch das Zusammenleben mit Tuberkulösen unter un¬
günstigen Wohnungsverhältnissen statt“, — wird durch statistische
Zusammenstellungen in verschiedenen Städten (so Lübeck, Hamburg,
Marburg, Mannheim, Berlin) bestätigt. Auch die mit Krankenbe¬
suchen beauftragte Schwester der Eiirsorgestelle Dresden-Neustadt
berichtet mir besonders häufig darüber, dass die Wohnungen der
Kranken eng und ohne Sonne seien, dass eine zahlreiche Familie
in einem ungenügenden Raume zusammenlebe, dass mehrere Fa¬
milienmitglieder und zwar auffallend häufig Tuberkulöse und Ge¬
sunde in einem Bette schliefen.
Einige Male ist es auch vorgekommen, dass wir Kranke, deren
Wohnungen von der Wohlfahrtspolizei beanstandet worden waren,
in Fürsorge nehmen mussten, da eine tuberkulöse Erkrankung sich
rasch verschlimmerte.
In dieser Beziehung haben sehr interessante Ergebnisse und
für eine zielbewusste Tuberkulosebekämpfung wertvolle Aufschlüsse
die Häuserregister (casiers sanitaires des maisons) geliefert, die in
Paris seit dem 1. Januar 1894 eingeführt sind.5) Dieselben geben
über die gesundheitlichen Verhältnisse der einzelnen Häuser Auf¬
schluss und ermöglichen eine genaue Feststellung derjenigen Stras¬
sen und Häuser, in denen die meisten Todesfälle an Tuberkulose
nicht nur die ältesten und am meisten bevölkerten Häuser Tuber¬
kuloseherde waren, sondern häufig diejenigen Wohnungen am meisten
Erkrankungs- und Todesfälle aufwiesen, in die am wenigsten Sonnen¬
schein drang.
Da in den kleinen, schlechten, dunklen und ungesunden Woh¬
nungen fast ausschliesslich die ärmeren Schichten der Bevölkerung
wohnen, so ist der Zusammenhang zwischen Tuberkulose und Armut
nicht zu leugnen, und die Erfahrung gibt dieser Annahme Recht. Eine
zahlenmässige Darstellung für diesen Zusammenhang zu geben ist z. Z.
noch nicht möglich. Die Untersuchungen des Reichsgesundheits-
amtes in dieser Frage haben nicht zu befriedigenden Resultaten ge¬
führt. Es fehlen noch die exakten Unterlagen (Trennung des Alters,
der Berufe etc. 6). Den Versuch, einen Beweis dadurch erbringen
zu wollen, dass man die Tuberkulosesterblichkeit in den verschiedenen
Steuerklassen berechnete, halte ich für ebenso unglücklich, wie den¬
jenigen, den Zusammenhang zwischen Tuberkulose und Armut da¬
durch erbringen zu wollen, dass man die Bevölkerung in 3 will¬
kürliche Klassen einteilt und berechnet, wie viel Tuberkulosetodes¬
fälle bei Selbständigen, Angestellten und Arbeitern gemeldet wur¬
den. Es spielen doch hier zu viele andere Fragen mit. Ein jeder
weiss z. B., dass die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Selbständigen
häufig viel schlechter sind wie bei Angestellten und Arbeitern.
Die Tuberkulose ist aber nicht nur eine Krankheit der Armen,
sie ist auch eine der häufigsten Quellen der Armut.
Da die Schwindsucht nicht rasch zum Tode führt, sondern der
Kranke erst nach langem Siechtum der Seuche erliegt, so werden
selbst Familien, die vorher in guten wirtschaftlichen Verhältnissen
lebten, tatsächlich durch die Tuberkulose an den Bettelstab gebracht.
Das schlimmste aber ist, dass der Verstorbene bei den engen räum¬
lichen Verhältnissen, durch Unwissenheit über die Gefährlichkeit
seines Zustandes oder durch Unvorsichtigkeit den Keim der Krankheit
auf die Frau und besonders auf die am meisten gefährdeten Kinder
übertragen hat. Nach wenigen Jahren wiederholt sich in der Fa¬
milie dasselbe Trauerspiel, nur ist es weit tragischer, da die Familie
durch die Krankheit des Mannes resp. Vaters bereits der Armut ver¬
fallen war.
Die bisher gemachten Erfahrungen haben deutlich gezeigt, dass
die Tuberkulosebekämpfung hauptsächlich eine soziale Frage ist.
So lange nicht jemand ein Mittel ausfindig macht, die soziale Frage
in ihrem ganzen Umfange zu lösen, müssen diejenigen, welche sich
für den Teil dieser Frage interessieren, der als „Die Tuberkulose als
Volkskrankheit“ zu bezeichnen ist, sich damit begnügen, die bisher
als notwendig erachteten Massnahmen im einzelnen und im grossen
durchzuführen.
Die Wahl der Abwehrmassregeln und die durch sie erzielten
Erfolge sind in jedem Staate von dem Charakter und dem Geiste
der betreffenden Nation abhängig, richten sich aber, wenn auch von
verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, alle auf dasselbe Ziel.
In der Organisation des Kampfes gegen die Tuberkulose als Volks¬
krankheit spiegelt sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche
Ordnung des betreffenden Landes und seine sozial-ökonomische
Lage wieder.
In Frankreich und Belgien führt man gegen die Tuberkulose
fast die gleichen Waffen ins Feld: Verbreitung der antituberkulösen
Ideen auf jede mögliche Weise und Beeinflussung der öffentlichen
5) Lucien-Graux: Les casiers sanitaires et la lutte contre
la tuberculose Tuberculosis V. 203.
0 Raths: Ueber den Einfluss sozialer Verhältnisse auf die
Häufigkeit der Schwindsuchtstodesfälle. Bericht über den Berliner
Tuberkulosekongress 1899, S. 162 ff.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1879
Meinung. Durch beides sucht man die kommunalen Einrichtungen,
die repräsentativen Körperschaften und in letzter Linie die Regierung
selbst zu einer aktiven Beteiligung am Kreuzzuge gegen die Tuber¬
kulose zu veranlassen. Es wird in beiden Staaten der Hauptwert
auf die Prophylaxe, die Fürsorge in den sogen. Dispensaires und
vor allem auf eine mustergültige Sorge für tuberkulöse und tuber¬
kuloseverdächtige Kinder gelegt.
In England fasst man das Uebel mehr an der Wurzel an. Durch
einen stetig fortschreitenden, organisch sich entwickelnden, wohl-
durchdachten Ausbau der Sanitätsgesetzgebung und durch eine kon¬
sequente, umsichtige, vor Kosten sich nicht scheuende Durchführung
hygienisch prophylaktischer Massnahmen auf dem Gebiete der
Wohnungsfürsorge und der Arbeiterwohlfahrt, sucht man hier der
Tuberkulosemorbidität und -mortalität einen wirksamen Damm ent¬
gegenzusetzen. In England wurden auch die ersten Spezialkianken-
häuser für Tuberkulöse errichtet. _ , , , • r,-
In hoher Blüte steht die Bekämpfung der Tuberkulose in Däne¬
mark, Schweden und Norwegen. Auch die übrigen Länder gehen in
voller Uebereinstimmung — nur in individuell verschiedenen Gienzen
— auf gleichem Wege gegen die Tuberkulose vor.
Die Grundlagen der Tuberkulosebekämpfung in Deutschland
sind in der Hauptsache:
1. die hygienisch-diätetische Behandlungsmethode Brehmers
und seiner Schüler, besonders D e 1 1 w e i 1 e r s, durch welche man
zu der Erkenntnis kam, dass die Tuberkulose heilbar sei und
2. die soziale Gesetzgebung, welche durch Kaiserliche Botschaft
vom 17. November 1881 als Antwort Kaiser Wilhelm I. auf die
Attentate Nobilings und Hödels, zweier dem Arbeiterstande
angehörenden Männer, dem deutschen Volke verkündet wurde und
von Bismarck in der obligatorischen Arbeiterversicherung gegen
Krankheit und Invalidität verwirklicht und ausgebaut wurde.
Man hat die Art der Tuberkulosebekämpfung in Deutschland als
Heilstättenbewegung bezeichnet und hat damit zum Ausdruck bringen
wollen, dass der Deutsche, dank der hohen Entwicklung seiner so¬
zialpolitischen Gesetzgebung den Kampf gegen die Tuberkulose auf
eine besondere Art und Weise zu führen imstande war. Die Be¬
zeichnung trifft auch heute noch insofern das Richtige, als nach wie
vor die Heilstättenbehandlung in Deutschland das Rückgrat der
ganzen gegen die Tuberkulose gerichteten Massnahmen geblieben
ist. Heilstätten gab es aber in Deutschland auch schon, als man
noch nicht von einer Heilstättenbewegung sprach, dieselben waren
aber nur dem Reichen zugängig. Auch durch die soziale Gesetz¬
gebung kam zunächst eine Heilstättenbehandlung dem Minder¬
bemittelten und dem Arbeiter nur in beschränktem Masse zu Gute.
Von einer Heilistättenbewegung im heutigen Sinne konnte
man erst sprechen, nachdem es dem Scharfsinne eines Mannes ge¬
lungen war, die soziale Gesetzgebung so auszulegen, dass sie dei
Gesamtheit der Versicherten zu Gute kam.
Das grosse unsterbliche Verdienst, die durch die soziale Gesetz¬
gebung für die Arbeiterwohlfahrt aufgehäuften Mittel den Lungen¬
kranken zugängig gemacht zu haben, gebührt dem am 6. Oktober 1906
verstorbenen Direktor der hanseatischen Versicherungsanstalt in
Lübeck, Hermann Gebhard, der bald nach Inkrafttreten des
Invalidengesetzes nicht nur mit weitausschauendem Blicke die der
Invalidenversicherung drohende Gefahr von Seiten der Tuberkulose
erkannte, .sondern auch mit genialem Scharfblick einen Ausweg fand.
Ihm gebührt das Verdienst, dem § 12 des Invalidengesetzes vom
22. Juni 1889 — es ist der § 18 des Invalidengesetzes in neuer
Fassung — eine Auslegung gegeben zu haben, die es ermöglichte,
ein mächtiges Bollwerk gegen den erbarmungslosesten Feind des
Menschengeschlechtes zu errichten.
Dem segensreichen Wirken eines Mannes ist es also zu ver¬
danken, dass gegenwärtig jährlich etwa 30 000 Lungenkranke in
Deutschland in Heilstätten verpflegt werden können und dass infolge
der stetig steigenden Anteilnahme der Invalidenversicherung am
Kampfe gegen die Tuberkulose das In validitäts- und Altersver¬
sicherungsgesetz eine Erweiterung und Umgestaltung erfuhr.
Man sah aber auch in Deutschland bald ein, dass man zwar
auf dem rechten Wege war, dass man mit einseitigen Massnahmen
aber nicht zum Ziele kommen könne. Man erkannte, dass es eines
viel komplizierteren Apparates bedürfe, um nachhaltige Ei folge zu
erzielen. In Deutschland blieb zwar die Heilstättenbewegung das
Zentrum der gegen die Tuberkulose gerichteten Bestrebungen, man
fühlte sich aber doch veranlasst, der sozialen Tuberkulosebekämpfung
grössere Beachtung zu schenken.
Nachdem Deutschland mit einem Netz von Heilstätten überzogen
und die Heilstättenbewegung zu einem gewissen Abschluss gekommen
war, wendete man sich daher mehr und mehr den vorbeugen¬
den Massnahmen zu. Während bei der Errichtung von Heilstätten
und bei deren Unterhaltung hauptsächlich die Reichsbehörden sich
beteiligten, begannen in der Folge auch die Gemeinden einzusehen,
dass sie der Bekämpfung der Tuberkulose sich anschliessen mussten.
Auch die deutsche Zentralbehörde der gegen die Tuberkulose
gerichteten Bestrebungen, das Deutsche Zentralkomitee zur Er¬
richtung von Heilstätten für Lungenkranke hat sich mit der Zeit den
vorbeugenden Massnahmen gegen die Verbreitung der Tuberkulose
zugewendet und die gesamte Tuberkulosefürsor ge rn
seinen Arbeitskreis einbezogen. Die Veranlassung hierzu gab dei
Bericht einer im Herbst 1903, im Anschluss an den Brüsseler Kon¬
gress für Hygiene und Demographie, vom Deutschen Zentralkomitee
entsendeten' Kommission zur Besichtigung der belgischen und fran¬
zösischen „Dispensaires antituberculeux“ besonders des für alle der¬
artigen Einrichtungen vorbildlichen, von Prof. Calmette in Lille
ins Leben gerufenen, Dispensaire. Dieser Bericht hatte zur Folge
ein Rundschreiben des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinalangelegenheiten vom 28. Dezember 1903 betreffend die Er¬
richtung von „Wohlfahrtsstellen für Lungenkranke“ für das Gebiet
des deutschen Reiches nach dem Muster der französischen und bel¬
gischen Dispensaires.7) Die Anregung fiel auf fruchtbaren Boden,
denn in rascher Folge gliederten sich den bereits in Halle a. S. und
Charlottenburg bestehenden Fürsorgestellen ähnliche Anstalten in
allen grösseren Städten des Reiches an. Gegenwärtig sind über 80
Fürsorgestellen für Lungenkranke, wie sie jetzt all¬
gemein genannt werden, im Deutschen Reiche in Tätigkeit.
Diese Fürsorgestellen decken sich nicht durchaus mit den fran¬
zösischen Dispensaires, sie decken sich noch viel weniger mit den
Polikliniken für Lungenkranke, wie sie in Berlin und anderen Städten
bereits bestanden. Ihr wesentlicher Unterschied von derartigen Poli¬
kliniken liegt, wie besonders hervorgehoben werden soll, darin, dass
sie jede ärztliche Behandlung der Krankheit a u s -
schliessen, das Interesse des behandelnden Arztes also in jeder
Weise wahren. Die Fürsorgestellenärzte sind angewiesen, alle in das
therapeutische Gebiet hineinreichenden Massnahmen, z. B. Ueber-
weisung in Heilstätten nur in Verbindung mit dem behandelnden
Arzte, mit dem sie stets in engster Fühlung zu bleiben bestrebt sind,
vorzunehmen. Die Fürsorgestellen gewähren niemals Medizin —
ausser wenn es vom behandelnden Arzte besonders verlangt wird
— unterstützen aber die ärztliche Behandlung dadurch, dass sie, wo
Bedürftigkeit vorliegt, die Wohnungs- und Ernährungsverhältnisse
zu bessern bestrebt sind.
Wie die Heilstätten sich zum Mittelpunkte der therapeu¬
tischen Bestrebungen im Kampfe gegen die Schwindsucht heraus¬
gebildet haben, so sind die Fürsorgestellen berufen, das Zentrum der
gesamten vorbeugenden Tuberkulosebekämpfung zu werden.
Von der Fürsorgestelle aus soll die systematische Bekämptung der
Seuche geleitet werden, die Fürsorgestellen sollen im öfienthchen
Interesse und zwar im Interesse des Kranken, wie des Gesunden, die
bestmögliche Ausnutzung sämtlicher für die Tuberkulosebekämpfung
als wichtig erkannten Massnahmen gewährleisten.
Die beiden Dresdner Fürsorgestellen, welche am 6. Juli 1906
eröffnet wurden, bestehen zur Zeit je aus 3 Räumen, einem Warte¬
zimmer, dem Aufnahmeraume, in dem die Schwestern die Perso¬
nalien der Hilfesuchenden feststellen, und dem ärztlichen Unter-
siichipigSjätigkeit des Arztes besteht in der genauen Untersuchung
eines jeden Kranken und Eintragung des Befundes in ein von den
Schwestern mit den Personalien versehenes Formular. Dieser Unter¬
suchung folgt der Besuch einer Schwester in der Wohnung des Hilfe¬
suchenden, möglichst am nächstfolgenden Tage. Je nach dem Ausfall
der ärztlichen Untersuchung und den Wahrnehmungen der Schwester
wird die Hilfeleistung festgesetzt, welche dem Kranken zu teil werden
soll. Ausserdem sind den Fürsorgestellen noch eine Anzahl Damen
beigegeben, welche in schwierigen Fällen nach Erhebungen an Urt
und Stelle, d. h. in den Wohnungen der Kranken, die Entscheidung
zu treffen haben, in welcher Weise Hilfe zu leisten ist. Das Urteil
dieser Damen ist deshalb häufig wertvoll, da es den Aerztem der
Fürsorgestelle grundsätzlich untersagt ist, den Kranken resp.
Hilfesuchenden in seiner Wohnung aufzusuchen.
Entscheidungen von besonderer Bedeutung werden von dem
Arbeitsausschuss, welcher sich aus dem „Freien Ausschuss zu r Forde¬
rung der Bekämpfung der Schwindsucht in Dresden gebildet hat,
erledigt. Auf welche dje Fürsorgestellen im Kampfe gegen die
Tuberkulose zu erfüllen haben, ist eine doppelte: Sie sollen einmal
durch genaue Untersuchung der Kranken, seiner Wohnungs¬
und sonstigen Verhältnisse die Infektionsträger und die Seuchen¬
herde feststellen,
und es sollen weiterhin: „ , ... ...
durch die Hilfeleistung die den Kranken zu teil wild.
1. bestehende Seuchenherde assaniert werden,
2 die Bildung neuer Seuchenherde verhindert werden.
Der wichtigste Teil der den Fürsorgestellen obliegenden Auf¬
gaben fällt, wie schon erwähnt, der einer jeden Fürsorgestelle bei-
Etei ^der* Be^eu tu n g, welche der Beurteilung der ■ Wohnungs- und
der sonstigen häuslichen Verhältnisse zukommt, halte : ich eine k u-
fige Kontrolle für dringend notwendig und ich haKe daher ae l c g
keit nur einer Schwester für unzureichend. Diese Erfahrungen
decken sich durchaus mit d e n j e n i g e n, die man m anderen Städ¬
ten ee macht hat. Pütt er und Kayserling in Berlin emp
fehlen daher, gebildete Damen zu den Besuchen in den Wohnungen
zu nehmen und entsprechend zu besolden. In Hai e werden die
Waisenpflegerinnen zur Fürsorgetätigkeit verwendet, in Kass
7) Abgedruckt in: Kurze Uebersicht über die Tätigkeit des Zen-
Ikomitees in den Jahren 1896 — 1905, S. 36.
1880
MUKNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
den die Armenpflegerinnen und andere Damen dazu herangezogen.
In Frankreich fällt diese Aufgabe des Wohnungsbesuches dem
„Ouvrier enqucteur“ zu. Meiner Ansicht nach müssen für diesen
wichtigsten 1 eil der Fürsorgetätigkeit, die dem Fürsorgestellenarzt
absolut verschlossen ist, verschiedene Faktoren Verwendung finden.
Den behandelnden Aerzten resp. den Armenärzten kann man diese
Aufgabe nicht zumuten, wenn man sie nicht, wie dies in Hamburg
der Fall ist, besonders dafür besoldet. Ich glaube aber wohl, dass
man neben den Fürsorgeschwestern, mehr noch als dies bisher ge¬
schehen, die Krankenkassenkontrolleure, die Waisenräte, Armen¬
pfleger, die Wohlfahrtspolizei und vor allem auch Damen der gebil¬
deten Stände heranziehen könnte. Die Stadt muss, um eine wirksame
Kontrolle der in Fürsorge Genommenen durch alle 2—3 Wochen
zu wiederholende Besuche zu ermöglichen, in kleinere Bezirke ein¬
geteilt werden, die möglichst, um Einheitlichkeit zu wahren, sich mit
den Armenpflegedistrikten decken müssten.
Kann der Fürsorgestellenarzt, da ihm, wie schon erwähnt, Be¬
suche in der Wohnung der Kranken grundsätzlich verboten sind, bei
der Aufsuchung der Seuchenherde nicht mitwirken, sondern nur
aus den ihm überbrachten Meldungen die möglichen Schlüsse ziehen,
so besteht seine Haupttätigkeit in der Feststellung der Infektions-
träger. Hierzu ist eine genaue Untersuchung eines jeden die
hiirsorgestelle Aufsuchenden unbedingt notwendig. Die Diagnose
der Tuberkulose muss sicher und möglichst frühzeitig ge¬
stellt \\ erden. Hierzu bedarf es aller Hilfsmittel, die zu Gebote stehen
Neben Mensuration, Inspektion, Perkussion, Auskultation sind zur
Diagnose besonders auch zu verwenden die Röntgenphotographie und
Hie 1 über kulininjektionen. Die erstere ist besonders zur Feststel¬
lung der Diagno.se bei Kindern, die häufig ganz besonderen Schwie¬
rigkeiten begegnet, von hoher Wichtigkeit, wie auf dem I. Röntgen¬
kongress in Berlin 1905 von Köhler- Wiesbaden 8) u. a. dar¬
getan würde. Ebensowenig wie Röntgenphotographien können wir
auf den Fürsorgestellen bis jetzt diagnostische Tuberkulininjektionen
machen. Dass ihre Einführung, der besonders von Petrusch ky-
Danzig das Wort geredet wird, für die Sache selbst, aber auch für
die Tätigkeit der praktischen Aerzte von Vorteil wäre, liegt ausser
allem Zweifel. Die Fürsorgestellen würden alsdann in den Stand
gesetzt werden, die Nachuntersuchung und Kontrollierung der an¬
scheinend geheilt aus Heilstätten Entlassenen auszuführen und die
Nichtgeheilten in weitere Beobachtung und ev. in Behandlung mit
luberkulin zu nehmen. Weiterhin kommen Tuberkulininjektionen be¬
sonders m Betracht bei der Auswahl der in die Lungenheilstätten
Aufzunehmenden. Ich bin überzeugt, dass bei der sorgfältigen Aus¬
wahl, welche die Leiter der Heilstätten bei den zu einem Heilver¬
fahren Vorgeschlagenen treffen, nicht immer Kranke Aufnahme
fiiK en, bei denen 1 uberkulose vorliegt. Solche Kranke werden be'i
den vorzüglichen Luft- und Verpflegeverhältnissen natürlich kräftig
und verlieren ihre subjektiven Beschwerden, kosten aber viel Geld,
das den anderen Kranken entzogen wird.
Dass auf den Fürsorgestellen auch Sputumuntersuchungen der
in Fürsorge stehenden Kranken vorgenommen werden, bedarf keiner
besonderen Erwähnung.
Als besonders wichtig muss hervorgehoben werden, dass sich
die Untersuchung nicht nur auf den die Fürsorgestelle Aufsuchen-
den, sondern auch auf dessen gesamte Familie und die mit
ihnen in räumlicher Gemeinschaft Lebenden zu erstrecken hat.
Der praktische Arzt weiss aus Erfahrung, wie ungenau die An¬
gaben vieler akut Erkrankter bei der Aufnahme der Anamnese sind.
Handelt es sich aber um eine Krankheit, die mit so unbestimmten
Symptomen beginnt und so chronisch verläuft, wie die Tuberkulose,
so werden die Aussagen besonders ungenügend. Kann der Kranke
sich aber schon bei Angaben über die eigene Person nicht genau
entsinnen, so verlieren die Antworten vielfach jeden Wert bei Fragen
nach Ki ankheitserscheinungen bei den Familienangehörigen. Der
praktische Arzt muss sich meist auf derartige Fragen beschränken und
den Angaben mehr oder weniger Glauben schenken, Pflicht des Für¬
sorgestellenarztes aber ist es, sich durch die Untersuchung eines
jeden Familienmitgliedes von dessen Gesundheitszustand zu über¬
zeugen.
Wie die Wohnungsinspektionen durch die Schwester, haben sich
auch die körperlichen Untersuchungen in bestimmten Zeiträumen zu
wiederholen. Es hat sich als zweckmässig herausgestellt, Gesunde
alle halben Jahre, Kranke alle 6 — 8 Wochen erneut zu untersuchen.
Besonderen Wert lege ich auf die Untersuchung der Kinder!
die besonders gefährdet sind, wenn sie mit an offener Tuberkulose
Leidenden in engen räumlichen Verhältnissen Zusammenleben. Solche
Kinder nehmen den Infektionsstoff in sich auf und können dabei noch
lange gesund aussehen und keinerlei Erscheinungen darbieten, die
auf eine Erkrankung schliessen lassen. Die Kinder sind in dieser
Beziehung als Bazillenträger 10) aufzufassen bis zu dem Zeit¬
punkte, da erhöhte Anforderungen an den Körper gestellt werden.
") Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, Bd. I, S. 98.
9) Petruschky: Der gegenwärtige Stand der Tuberkulin¬
behandlung. Leipzig 1901.
10) Kayserling: Die Organisation der Auskunfts- und Für-
sorgestellen für Tuberkulöse nach den Grundsätzen der Seuchen¬
bekämpfung. Tuberkulosis VI, 240 ff.
d. h. bis zum Alter der Pubertät. Die statistischen Zusammen¬
stellungen der mir bisher zugängigen Städte und Länder ergeben für
die Häufigkeit der Tuberkulosesterblichkeit nach Alter und Geschlecht
ein auffallendes Verhalten, wie es sich in den von mir für Dresden und
fiir England und Amerika zusammengestellten 'Tabellen ausgedrückt
findet. Sieht man ab von der hohen Mortalität in der Altersklasse von
0 — 5 Jahren, welche auf die hohe Säuglingssterblichkeit am Ende des
1. Lebensjahres zu beziehen ist, so ist besonders beachtenswert dass
die Sterblichkeitszahlen, die vom 2. bis etwa zum 12. Jahre niedrig
waren, rasch in die Höhe gehen und dass in der Entwicklungszeit
des kindlichen Körpers d. i. im Alter von 10—15 Jahren das weibliche
Geschlecht wenigstens doppelt so häufig der Tuberkulose erliegt, als
das männliche. ) Es scheint dies eine Folge zu sein, dass die Ent¬
wicklung des weiblichen Organismus in dieser Zeit eine viel inten¬
sivere ist, als die des männlichen.
Wenn sich auch die Verhältnisse in der Altersklasse von 15
bis 20 Jahren, infolge des Eintritts der Knaben in 'die Lehrzeit, aus-
gleichen, so bleibt doch die Sterblichkeit der Frau bis zum 30. Lebens-
jalne, also während der Zeit ihrer Gebärtätigkeit, erheblich grösser,
als die des Mannes. Bei letzterem steigt die Mortalität an Tuber¬
kulose vom 30. Jahre an rapid und erreicht ihren Höhepunkt im Alter
c0!1 1? Jahren, also in der Zeit, da der Mann auf der Höhe seines
^ cn affen s steht, da die Sorge um die Existenz und die Familie be¬
sonders hohe Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit stellt.
Die Untersuchung auf Tuberkuloseverdächtigkeit möchte ich
daher besonders auf die Schulkinder ausgedehnt wissen. Auf ein von
mir erlassenes Rundschreiben an die Schuldirektoren der Bezirks¬
und Bürgerschulen in Dresden-Neustadt wurden mir teils von ‘den
1 nektoren, teils von den Lehrern zahlreiche Kinder zugeschickt.
Ajlein der Direktor und das Lehrerkollegium der II. kath. Bezirks¬
schule Jordanstrasse 7 überwiesen mir 80 Knaben und Mädchen als
tuberkuloseverdächtig. Die Untersuchung dieser Kinder und die Be¬
suche, welche die der Fürsorgestelle Dresden-Neustadt zugewiesenen
Damen zur Feststellung der Wohnungs- und Lebensverhältnisse der
Kinder auszuführen die Liebenswürdigkeit hatten, lieferten in¬
teressante Resultate und führten zur Aufdeckung manchen Tuber¬
kulosenherdes, der uns sonst verborgen geblieben wäre. Es wäre
zu wünschen, dass derartige genaue Untersuchungen von den Schul¬
ärzten öfters ausgeführt würden und dass 'die als verdächtig bezeich¬
nt611 Kinder den Fürsorgestellen zur weiteren Beobachtung über¬
wiesen würden. Auch die Impfärzte könnten in dieser Beziehung
fordernd wirken. Weiterhin könnten zur Feststellung alle diejenigen
^'e. ’h? Dienste der öffentlichen Armenpflege stehen. Die
Wohlfahrtspolizei, der wir von jeder den hygienisch zu fordernden
Verhältnissen zuwiderlaufenden Wohnung Meldung erstatten, könnte
auch ihrerseits die Fürsorgestellen auf die Bewohner beanstandeter
Wohnungen aufmerksam machen. Ich möchte an dieser Stelle noch
besonders hinweisen auf die Wichtigkeit der Untersuchungen von
Lehrlingen und jugendlichen Arbeitern. Desgleichen würde es sich
empfehlen, von den Musterungs-, Aushebungs- und Einstellungs¬
behörden Mitteilung über Tuberkulosefälle zu erbitten, um die Fa¬
milien der krank Befundenen in Fürsorge zu nehmen.
Der Feststellung der Seuchenherde und der Infektionsträger hat
die eigentliche Fürsorge auf dem Fusse zu folgen.
Die Durchführung dieses praktisch-sozialen Teiles ist an gewisse
Vorbedingungen gebunden, deren Erfüllung zum Teil — soweit sie
nicht der Staat, die Gemeinde, die Schule u. a. übernehmen — als
Aufgabe der Fürsorgestellen zu betrachten sind.
Um erfolgreich wirken zu können, muss mehr noch als dies bis-
liei geschehen, die Anschauung ins Volk getragen werden, dass die
! uberkulose eine ansteckende Krankheit ist; alle Schichten der Be¬
völkerung müssen mit den Ideen der Tuberkuloseverhütung gleich¬
sam imprägniert werden und jedem einzelnen muss die Rolle zuge¬
teilt werden, die ihm im Kampf gegen die J uberkulose zufällt.
Unter allen Ländern, aus denen Berichte vorliegen, besteht nur
in Norwegen die behördliche Bestimmung, dass in den höheren
Klassen der Volksschulen Vorträge über die Tuberkulose und deren
Verhütung gehalten werden, in Schweden steht die Frage noch auf
der Tagesordnung, in der Schweiz ist man bemüht, entsprechende
Verfügungen der Schulbehörde zu erwirken.12) In Deutschland
würde die antituberkulöse Erziehung, mit der Weckung des Sinnes
fiii Reinlichkeit und für Resundheitsmassiges Verhalten in und ausser-
halb der Schule durch die Lehrer zu beginnen haben und ihre Fort¬
setzung in den Fortbildungsschulen, Fachschulen, Gvmnasien usw
finden und zwar in Vorträgen der Aerzte resp. Schulärzte über die
Ansteckungsgefahr, die Entstehung und Verbreitungsweise der
'Tuberkulose usw.
Für die Aufklärung des werktätigen Volkes fallen den Fürsorge¬
stellen wichtige Aufgaben zu. Sowohl durch Verteilung von allgemein
verständlichen Druckschriften — wir verteilen an jeden Besucher
unserer Für, Sorgesprechstunden ein Exemplar des Tuberkulosemerk¬
blattes, bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamte — , als auch
durch Belehrung eines jeden Besuchers und durch öffentliche Vor¬
träge kann in dieser Beziehung viel erreicht werden.
") Die gleiche Erfahrung machte Kayserling 1. c.
'■) Fischer: Internationale Enquete über den gegenwärtigen
Stand der „antituberkulösen Erziehung“. Tuberkulosis V, S. 174.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
18 Öl
17. September 1907.
—
Die Erziehung des Volkes muss aber auch von anderen Stellen
aus in Angriff genommen werden: Staat, Gemeinde, Wohlfahrts¬
polizeiwesen, öffentliche und private Armenpflege müssen hier mit-
wirken. Eine der Triebfedern in der Heilstättenbewegung war, von
Anfang an in den Lungenheilstätten eine Institution zu schaffen,
welche, ausser dem Bestreben den Kranken zu heilen, darauf hinaus¬
ging, den Kranken zu belehren, wie er leben muss. Man hoffte durch
niese Erziehung die Umgebung vor event. noch bazillenhaltigem Aus¬
wurf zu schützen und dadurch sowohl dem Entlassenen, als auch
seinen Angehörigen zu nützen.
Als Anschauungsmittel zur Belehrung des Volkes haben sich die
Tuberkulosemuseen, wie sie in Berlin und Karlsruhe bereits bestehen,
vortrefflich bewährt, besonders wenn ihre Räume zur Abhaltung von
Vorträgen über die soziale Bedeutung der Tuberkulose verwendet
werden konnten.
So notwendig die Aufklärung über Aetiologie, Wesen, Heilbarkeit
und Ansteckungsfähigkeit der Tuberkulose auch ist, so hat sie den¬
noch in gewissen Kreisen zu einer übertriebenen Furcht vor An¬
steckung Veranlassung gegeben. Viele, die im Kampfe gegen die
Tuberkulose wertvolle Kämpfer sein könnten, verweigern ihre Mit¬
arbeit aus unbegründeter Furcht vor Ansteckung. Diese übertriebene
Furcht ist unbegründet. Ein Tuberkulöser, der mit seinem Auswurfe
vorsichtig umgeht und beim Husten die Hand vor dem Mund hält, ist
im gewöhnlichen Verkehr nicht ansteckend. Dass bei richtiger Er¬
ziehung der Lungenkranken selbst bei Ueberschwemmung eines
Ortes mit Tuberkulösen, wie dies in Davos, Arosa und an anderen
Orten doch der Fall ist, eine Ansteckungsgefahr nicht vorliegt, zeigt
die Tatsache, dass die Sterblichkeit der eingeborenen Bevölkerung
in diesen Orten, seitdem sie Kurorte für Tuberkulöse geworden, von
Jahr zu Jahr zurückgeht. Eifrigste Nachahmung an allen Orten ver¬
dient aber jedenfalls das Vorgehen der schon genannten Behörden
von Davos, Arosa und ähnlicher Orte, welche jedes auf die Erde spucken
mit Strafe belegen. Das einfache Verbot „Nicht auf die Erde spucken“
nützt nichts und die in Dresden auf belebten Strassen in den Gang¬
bahnen eingelassenen Spucknäpfe werden ihren Zweck nur mangel¬
haft erfüllen, wenn nicht jedes auf die Erde spucken mit Strafe be¬
legt wird. Auch in den Eisenbahnwagen wäre eine derartige Straf¬
androhung wünschenswert, wie sie in den Wagen der österreichischen
Eisenbahnverwaltungen sich bereits vorfindet.
(Schluss folgt.)
Neuer Kochsalzsterilisationsapparat mit Wasserkühlung
und Höhenverschiebung.
Von Stabsarzt Dr. Becker.
Mehr und mehr neigt man in der Chirurgie bei der Behandlung
eitriger Prozesse der Bauchhöhle der Kochsalzspülung zu,
vielfach haben Autoren die trockene Methode des Auswischens, deren
begeisterte Verfechter sie waren, zu gunsten der schonenden Spül¬
methode aufgegeben. Aber nicht nur für die eitrige Peritonitis, son¬
dern zur Ausspülung des Leibes bei Perforationen (Ulcusperforationen
des Magens, Darmruptur, Milzblasenruptur, Leber- und sonstige Ver¬
letzungen der Eingeweide, welche die Laparotomie schnell nötig
machen, und zur Auswaschung anderer Abszesshöhlen, zur zeitweisen
Abspülung des Operationsfeldes bei ausgedehnten Verletzungen und
Operationen ist die Kochsalzlösung von unschätzbarem Wert, wenn
sie schnell steril und richtig temperiert zur Hand ist.
Ausser der Verwendung während der Operation kann sie bei
Blutverlusten plötzlich nötig werden und die lebensrettende sub¬
kutane Infusion oder intravenöse Injektion damit in denkbar kürzester
Zeit ausgeführt werden.
Ihre Anwendung hätte vielleicht schon allgemeinere Verbreitung
und Sympathie gefunden, wenn die Herstellung nicht mit viel Um¬
ständen oder kostspieligen Apparaten verbunden wäre. Einerseits
ist man bei primitiver Zurichtung wegen ungenügender Asepsis oft
nicht geneigt sie zu gebrauchen, andererseits sind die vollkom¬
meneren Apparate so teuer und zum Teil so kompliziert, dass sie
aus diesen Gründen keinen Zuspruch und Verwendung fanden. In
dem regelmässigen Betrieb einer grossen Klinik, wo fast täglich Lapa¬
rotomien und sonstige grössere Operationen gemacht werden, ist ja
ihre Anschaffung ein unumgängliches Bedürfnis und lohnend. Viele
kleinere Krankenhäuser, Lazarette, Privatkliniiken aber, bei denen
das Material nicht so regelmässig einströmt, und die zeitweise keinen
Gebrauch, dann unvermutet schnell Zugang haben, lohnt sich ein
dauernd unterhaltener, grosser, mit allen Regulier- und selbsttätigen
Einrichtungen komplizierter Apparat nicht.
Dem Bedürfnis eines Apparates, der jeden Augenblick ohne be¬
sondere Vorrichtung, ohne besonderes Personal, Monteur etc., von
jeder Schwester oder Krankenwärter bedient weinen kann, und
namentlich bei plötzlichen Unglücksfällen schnell eine gen ü g e n d e
Menge gebrauchsfertiger Kochsalzlösung liefert, bin
ich zu Hilfe gekommen, mit einem einfachen Apparat, der nicht
viel Raum beansprucht, überall leicht angebracht werden
kann, ausser Gas- und Wasserleitung keine besondere Anlage nötig
macht, ja auch bei nicht vorhandenem Gas mit Spiritusheizung ver¬
wandt werden kann, und der es erlaubt, die Spülung unter
beliebigem Druck auszuführen, indem er an einer Gleitschiene
No. 38.
in die Höhe verschiebbar ist. Die mit Spiritusheizung versehenen
Apparate werden, da eine sehr kräftige Flamme angebracht ist, nicht
minder schnell eine gebrauchsfertige Lösung liefern, da diese Flamme
25 Liter in 30 Minuten zum Kochen erhitzt. Der Apparat ist einfach
zusammengesetzt, in allen seinen Teilen leicht zugäng¬
lich, kann gut gereinigt werden und lässt sich innerhalb
und ausserhalb des Operationszimmers in gleicher Weise zweck¬
dienlich anbringen. Ich habe seit einem Jahre einen solchen im
hiesigen Lazarett im Gebrauch, er hat sich mir stets gut bewährt und
ich glaube ihn daher empfehlen zu sollen.
Die Einrichtung ist kurz folgende: Ein aus verzinntem Kupfer¬
blech hergestellter Topf, dessen Declkel mit einem bis zum Boden
reichenden Thermometer, gut gedichtet, versehen ist und durch
Nickelhülse geschützt, nimmt die Kochsalzlösung auf. Dieser Koch¬
salzbehälter ist in einen weiteren eingesetzt, dessen Boden mit ihm
verbunden ist. Es entsteht dadurch zwischen beiden ein zylindrischer
Raum, in dem das von der Wasserleitung (W) einströmende und in ein
Ablaufrohr ablaufende kalte Wasser zirkulieren kann. (Der
weitere Abfluss ist in Figur nicht gezeichnet, wird durch einfache
Regenwasserröhre den sonstigen Abflüssen angeschlossen.) Damit
lach Gebrauch der Kühlraum leer laufen und trocknen kann, ist der
Wasserleitungszulauf (W) mit einem Hahn versehen. Man schliesst
ihn einen Augenblick, nimmt den Schlauch ab, und öffnet ihn wieder,
um das Wasser in einen untergehaltenen Eimer ausströmen zu lassen
und lässt den Hahn dann offen stehen. Die beiden Kessel umgibt ein
asbestbekleideter, vernickelter Heizmantel, mit Luftlöchern ver¬
sehen, welcher die Behälter nach unten überragt und die Hitze duich
die allseitige Umgebung möglichst zusammenhält und auf alle Flächen
wirken lässt. Unter dem Kochsalzbehälter liegt eine Heiz¬
schlange (konzentrische Rohrringe) mit sehr zahlreichen Bunsen-
flämmchen, die eine starke Heizkraft haben. Ihre Gaszuleitung ist
bei F. Ueber dem Hahn ist eine drehbare Stichflamme angebracht,
womit man sehr bequem und ohne Gefahr die Flämmchen anzündet.
Der Ablauf der Kochsalzlösung befindet sich bei L und wird durch
einen starken Gummischlauch zum Operationsfeld geleitet, unmittel¬
bar, wenn der Apparat im Ooerationszimmer sich befindet, oder zu
einer die Wand durchsetzenden Röhre, wenn er ausserhalb ange¬
bracht ist. Diese Röhre wird etwas höher als der Operationstisch is
angelegt und an der Mündung nach dem Operationssaal zu mit einem
Verschlusskopf V versehen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1882
Der Apparat bewegt sich an zwei Gleitschienen G, die
an der Wand direkt oder auf Holzleisten angebracht werden, auf
und ab mittelst einer Zugkette K, die über zwei Rollen R läuft.
Er wird nun so angebracht, dass sein tiefster Stand (— unteres Ende
der Schienen) in ca. 1,50 m überm Eussboden ist, und von da gehen
die Leisten 2 — 3 m in die Höhe, so dass man den Apparat in solche
Höhe ziehen und entweder bei niedrigem Stand o h n e, oder bei
Höherem m i t entsprechendem Druc k spülen kann.
Beim Gebrauch geht man nun so wor: Zunächst muss der zum
Abfluss bestimmte Hahn und Kochsalzschlauch L desinfiziert werden
und dazu lässt man mit dem abgenommenen Wasserzuleitungsschlauch
W etwas Wasser (ca. 2 — 3 Liter) in den Kochsalzbehälter und dann
ebenso in den Kühlraum von oben etwa bis zur Hälfte einströmen,
was jedesmal vor dem Anzünden der Heizung geschehen soll, damit
die Lötungen nicht leiden. Dann zündet man die Heizung an. Sobald
das Wasser kocht, was bei der geringen Menge und der starken
Heizung sehr schnell geschieht, öffnet man den Hahn des Kochsalz¬
abflusses L und lässt das kochende Wasser und Dampf durch den
Schlauch ausströmen, dessen Verschlusskopf bei V abgenommen ist.
Dann verschliesst man dieses Ende mit einem sterilen Wattepfropf,
schliesst den Kochsalzhahn L wieder und gibt nun die bestimmte
Menge Kochsalzlösung in den Kochsalzbehälter. Oder man lässt, was
noch einfacher ist, von der Wasserleitung mit dem am oberen Hahn
abgenommenen Schlauch Wasser in den Kochsalzbehälter einströmen
und gibt die entsprechende Menge Kochsalz hinzu, die man in Vorrat
abgewogen bereit hält (also z. B. 70 g für 10 Liter). Alsdann steckt
man den Wasserleitungsschlauch wieder an seinen Hahn und zündet
die Heizung mit der noch brennenden Stichflamme an. Nun kann
der Wärter seinen übrigen Vorbereitungen zur Operation weiter nach¬
gehen, indem er ab und zu einmal nach dem Thermometer sieht. So¬
bald die Lösung einige Minuten gekocht hat, öffnet man die Wasser¬
leitung, und nun findet unter der fortwährenden Zirkulation des
kühlen Wassers in dem Kühlraum eine rasche Abkühlung statt, die
man bei 40 oder 42° beschliesst, da während des Durchlaufens durch
den Schlauch die Lösung einige Grade verliert. Ist die Lösung somit
auf Körpertemperatur und gebrauchsfertig, so dreht man Wasser¬
leitung und Gas bezw. Spiritusheizung ab und zieht den Apparat zur
gewünschten Höhe auf. Indem man die Kette K in einen an der
Gleitschiene angebrachten Stift einhakt, hält sie fest. Die Weiter¬
leitung der Lösung von der Wand bis zum Operationsfeld habe ich
mit einem Schlauch gemacht, den ich vor den Instrumenten im In¬
strumentenkocher sterilisiere. Dieser Schlauch hat an einem Ende
einen vernickelten Metallkonus, der in die Mündung des Rohres an
der Wand passt. Ich ziehe dort den sterilen oben erwähnten Watte¬
bausch ab und setze den Konus auf. Der Schlauch selbst wird bis
zum Gebrauch in einer Schüssel mit Sublimat oder steriler Borlösung
belassen.
Ist die Lösung bei einer Operation verbraucht, so benötigt man
natürlich zur nächsten Operation nicht mehr der Desinfektion des
Schlauches L vom Kochsalztopf. Es wird wie oben der Behälter
wieder aufgefüllt und ist rasch zum Gebrauch wieder fertig. Ist der
Apparat im Operationsraum angebracht, oder befindet sich zwischen
Vorraum und Operationszimmer eine kleines Fenster oder ähnliche
geeignete Kommunikationsöffnung in passender Höhe, so ist das Rohr
durch die Wand nicht nötig. Man versieht den Schlauch von L mit
einem Verschlusskopf und setzt dann das abnehmbare auszukochende
Schlauchende zur Operation an.
Auf den ersten Blick sieht das ganze nach der Beschreibung
etwas umständlich aus, aber in praxi gestaltet sich der Gebrauch
sehr einfach und leicht, wie ich dies hier erprobt habe.
Der Apparat wird von der Firma Lii scher & Bö m per,
Neuwied, hergestellt. Der Preis beträgt für einen Apparat von 20
Liter 200 M.
Abreissung von Wirbeldornfortsätzen durch Muskelzug.
Bemerkungen zur Arbeit von Dr. Franz Sauer in No. 27
dieser Wochenschrift.
Von Dr. Karl Henschen, Assistenzarzt der chirurgischen
Klinik in Zürich.
Im 53. Band von B r u n s Beiträgen zur klinischen Chirurgie
(März 1907; S. 687. Referiert in No. 24 dieser Wochenschr. S. 1189)
habe ich die Muskelzugbrüche der W i r b e 1 d o r n e n. für
welche zufolge ihrer besonderen Gestalt und Musikelbeziehungen der
7. Hals- u n d die 2—3 obersten Brustwirbel ganz be¬
sonders privilegiert sind, in einer eingehenden, monographischen
Studie dargestellt, da es sich hier um einen hinsichtlich seines Ent¬
stehungsmechanismus und. des klinischen Bildes wohl charakteri¬
sierten und scharf umzeichneten Bruchtyp handelt. Unmittelbai da¬
nach oder fast gleichzeitig erschien eine kurze kasuistische Mitteilung
von v. Frisch aus der v, E i s e 1 s b e r g sehen Klinik über einen
„Fall von Abrissfraktur eines Dornfortsatzes“ (Wien. klin. Wochen¬
schrift 1907, No. 12, S. 348—49), aus der in wenigen Strichen folgendes
entnommen sei:
Ein 18 jähriger hagerer Mann verspürt in dem Augenblick, da
er mit einer schwer mit Kohlen beladenen Schaufel eine vehemente
Drehung des Körpers machte, um die Kohlen nach links rückwärts
zu werfen, einen stechenden Schmerz zwischen den Schulterblättern;
Armmanipulationen, Bücken, Kopfbewegungen, Rückenlage schmerz¬
haft. Der Dornfortsatz des 1. Brustwirbels, zwar in Reih und Glied
der übrigen und nicht eingedrückt, ist intensiv tastempfindlich, lässt
sich unter Krepitation verschieben, schnellt aber spontan wieder in
die Ursprungslage zurück. Im Röntgenbild erschien .das Dornfragment
um ein weniges nach abwärts verschoben. Der Abbruch ist nach
v. Frisch die Folge eines allzugrossen einseitigen Muskelzuges
des Rhomboideus major, während die Fragmentverlagerung nach
unten in ansprechender und plausibler Weise durch symmetrische se¬
kundäre Verziehung durch die beidseitigen Rautenmuskeln erklärt
wird. Aus der Literatur werden die auch in den Lehr- und Hand¬
büchern zitierten Fälle von Terrier und Schulte angeführt.
Die nun weiter erschienene Arbeit von Sauer bestätigt meine
damals nur aprioristische Behauptung, dass dieser Frakturtypus er¬
heblich häufiger vorkomme, als Literatur und Lehrbücher vermuten
lassen, dass er insbesondere als professioneller Bruch bestimmten,
mit grober schwerer Muskelarbeit betrauten Berufszweigen, nament¬
lich Lastträgern, Frdschauflern etc. eigentümlich ist. Aus England
kam mir von befreundeter Seite die Mitteilung, dass wahrscheinlich
die nämlichen Verletzungen mit gleichem typi¬
schen und charakteristischen Sitz bei Cricket-
Spielern nach übermässigen Schleuderbewegun¬
gen mit dem Cricketschläger sich ereignen, dass diese
Cricketspiel erbräche aber auch in England noch misskannt
sind und unter allgemeineren und unbestimmteren Diagnosen wie
Distorsionen etc. laufen.
Nach Besprechung der T e r r i e r sehen (ersten) Beobachtung,
sowie eines weiteren Falles von May dl und nach Ausscheidung
des vom Schulte mitgeteil ten Lendendornbruches, der als A b -
knickungsbruch im Anschluss an eine brüskierte Hyperexten¬
sion der Wirbelsäule zu deuten ist, sprach ich die Vermutung aus,
dass namentlich unter der in der französischen Literatur als „Mouton“
bezeichneten Affektion der Kognition entgangene Dornbriiche dieses
Ursprunges mit untergelaufen seien: „Bourgougnon (These de
Paris, 1875, No. 340) skizzierte im Jahre 1875 eine von ihm auf eine
Zerreissung der tiefen Zervikalmuskeln zuriickgeleitete eigenartige
und typische Verletzung, die von ihm namentlich bei Erdschauflern,
die Schaufeln voll Schutt auf Wagen hinaufzuwerfen hatten, be¬
obachtet wurde: Unter krachendem Geräusch tritt ein jäher, heftiger
Schmerz tief im Nacken auf, die Schaufel entfällt dem Verletzten, der
seinen Kopf ängstlich steif hält, jede Drehung meidet, Schultern und
Arme nicht mehr heben kann, ängstlich die Ellbogen dem Rumpf an-
drückt; die Bewegungen der Hände und Vorderarme bleiben unge¬
stört. Der von den Erdarbeitern und Lastträgern in ihrem Jargon
für diese Verletzung gebrauchte vulgäre Name „le mouton“ bezeichnet
in drastischer, treffender Kürze die charakteristische Haltungsano¬
malie des Verletzten: der Kopf wird tief und ängstlich zwischen die
Schultern eingezogen, wie wenn der Verunglückte einen Hammel auf
dem Nacken forttrüge.“ Man erkennt die Aehnlichkeit und Ueberein-
stinnnung dieser „Mouton“-Affektion bezüglich Hergang, klinischem
Bild und last not least auch der Berufsart der Verletzten mit dem von
mir dargestellten Bruchtypus.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1883
iDie Cricketspiel Verletzung und jene Dornbriiche, die im An¬
schluss an „ii'berdosierte“ •Schleuderbewegungen bei Kohlen- und
Erdschauflern auftreten, haben gemeinsam die Mitwirkung eines ge¬
wichtigen mechanischen Momentes, der Zentrifugalkraft, wie
ja bei allen durch brüskiertes Muskelspiel zu stände kommenden
Knochentrennungen wechselnde mechanische Faktoren wesentlich und
bestimmend mitwirken. Neben der Eigenart der Beschäftigung und
des Berufes schien mir noch von Bedeutung, dass es bei schwei köi-
oerlich arbeitenden Berufszweigen und beim sportlichen Training unter
Einfluss des Leistungsreizes zu einer exzessiven Ausbildung der
Muskelmasse kommt, mit der die Eestigkeitszunahme am Knochen
nicht Schritt hält, so dass ein Missverhältnis zwischen Muskelkraft
und Knochenfestigkeit, d. h. eine Präponderanz der ersteren ie-
Im übrigen deckt sich Sauers Analyse dei Bi uchentstehung
mit der in meiner Arbeit vertretenen Auffassung: asymmet r i s c h e.
einseitige Traktion der mittleren, mit den kürze¬
sten Muskelbündeln versehenen Portion des Kap¬
penmuskels unter Einfluss einer u n z w e c k m a s s i -
gen, üh -er dosierten „Streckaktion . Die Mithilfe des
Rautenmuskels und des hinteren oberen Sägemuskels beim Akt der
Abreissung ist selbstverständlich, doch dürfte in Analogie zu den
Muskelzugbrüchen an anderen Körperstellen, w o n u r s e h r k r a t -
t i g e Muskeln oder Muskelgruppen (Ouac izeps bei der
Patellardistraktion, Triceps surae beim Abreissungsbruc des Achilles¬
sehnenansatzes etc.) Urheber der Knochentrennung sind, er Trapezius
der Hauptbeteiligte und Hauptschuldige sein.
Die wenig beängstigenden und imponierenden Sa iptome. die
jedoch ein typisches, durchaus eigenartiges und anderen erletzungei«
nicht zukommendes Bild einfassen, sind mit ein Grüne dass diese
Brüche bisher nicht chirurgischen Beobachtungsstellen zugegangen
sind.
Zur Eröffnung des internationalen Höhenlaboratoriums
auf dem Monte Rose (Coile d Olen 3000 m) :
„Laboratorio scientifico Angelo Mosso“.
Von R. F. Fuchs in Erlangen.
Mit der Erschliessung der Hochgebirge ist nicht nur der Beig-
sport mächtig erblüht, auch die Wissenschaft in ihren verschiedenen
Disziplinen hat dieHochgebirge mit grossem Eifer und Erfolg erforscht.
Allerdings sind die Naturwissenschaftler im engeren Sinne des Wortes
schon lange im Hochgebirge erfolgreich tätig gewesen bevor die
Physiologen und Mediziner ihre systematischen Forschungen be¬
gonnen haben. Wohl haben Forschungsreisende vielfach über die
Einwirkung des Hochgebirges auf den menschlichen Organismus be¬
richtet, ja die ersten Aufzeichnungen über die Bergkrankheit reichen
sogar bis ins 16. Jahrhundert zurück, zu welcher Zeit Pater Jose
de Acosta in seiner berühmten Historia natural y Moral de las
Indias eine Beschreibung seiner Reisen in den Anden gibt. Auch
Saussure, der berühmte Montblanc-Ersteiger, hat 1/88 Studien
über Atmung und Puls im Hochgebirge angestellt. Dann folgen eine
Reihe von Beobachtungen, welche an die Namen H u g 1, J. Wood,
Falz Buksh u. a. geknüpft sind. Die Physiologie beginnt ver¬
hältnismässig spät ihre Studien im Hochgebirge von Neuem, denn
der berühmte Schweizer Arzt und Professor Konrad Ge s n e 1 hatte
schon 1540 eine wirkliche Hochgebirgsphysiologie veröffentlicht. Als
Vorläufer der modernen physiologischen Forschung sind in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nennen L o r t e t, Chauvea u, M a r-
c et. Die systematische Forschung setzt aber erst 1890 mit den
Arbeiten V i a u 1 1 s und der M i e s c h e r sehen Schule über die Blut-
Veränderungen im Hochgebirge ein. Daran schliessen sich die Lntei-
suchungen Krön eck er s über die Bergkrankheit. Aber erst in
Angelo Mosso, dem bekannten Vertreter der Physiologie an der
Turiner Universität, einem Schüler Carl Ludwigs, ei steht der
Mann der die physiologische Forschung im Hochgebirge in jene Bahnen
leitet,’ die dem jetzigen Stande der Physiologie entsprechen. Schon im
Jahre 1892 weilte er mit Egli-Sinclair im Vallot sehen Mont¬
blanc-Laboratorium, um physiologische Studien zu betreiben und
führte 1894 eine aus 12 Personen bestehende Expedition auf die aut
der Punta Guifetti (4560 m) gelegene Capanna Regina Mar-
gherita, um deren Erbauung er sich grosse Verdienste erworben
hat Die reichen Ergebnisse seiner Forschungen hat M o s s o in seinem
Werke „Der Mensch auf den Hochalpen“ (Deutsche Ausgabe 1899
und 3 italienische Auflagen) veröffentlicht: damit war überhaupt dem
grossen Publikum zum erstenmale eine zusammenfassende Darstel¬
lung der Physiologie des Hochgebirges geboten, die sich den Schriften
Tyndalls über die Alpen würdig an die Seite stellt.
Aber auch die deutsche Physiologie sandte einen ihrer hervor¬
ragendsten Vertreter ins Treffen. N. Z u n t z unternahm mit seinem
Schüler Schumburg 1895 eine Forschungsreise von Zermatt aus
ins Monte-Rosa-Gebiet, bei der die Betempshiitte (2800 m) das Stand¬
quartier bildete. Dann folgen von Z u n t z’ Schülern die Bruder
L o e w y mit Leo Zuntz und bald erblüht ein edler Wettkampf um
die Siegespalme zwischen der Turiner Schule Mos so s und dei Bei-
liner Schule von Zuntz. Nach dem Neubau der Capanna Regina
Margherita (1901) wird daselbst ein internationales Labora¬
torium eingerichtet, in welchem während der Sommer 1902 und 1903
wiederum Mosso mit seinen Schülern an der Arbeit ist und wo
während des Sommers 1903 auch Zuntz und sein Schüler Durig
arbeiten. In den folgenden Jahren ist W e n d t und besonders Durig
wieder auf dem Monte-Rosa-Gipfel tätig, welch letzterer am längsten,
durch fast 2 Monate am Gipfel ausgehalten hat. Die Ergebnisse der
Durig sehen Expeditionen sind noch nicht vollständig erschienen,
jedenfalls bilden auch sie einen wichtigen Markstein in der Ent¬
wicklung der Hochgebirgsforsclningen. Im Jahre 1906 erschien das
grosse Werk von N. Zuntz und seinen Mitarbeitern (A. Loewy,
Frz. Müller, W. Caspar!) „Höhenklima und Bergwanderungen
in ihrer Wirkung auf den Menschen“, welches nicht nur die ergebnis¬
reichen Arbeiten der Zuntz sehen Schule enthält, sondern eine gross
angelegte Darstellung der gesamten physiologischen For¬
schung im Hochgebirge gibt, die nach jeder Richtung hin
einzig dasteht. M o s s o s Buch und besonders das grosse Werk von
Zuntz und seinen Schülern werden stets als Standard works auf
diesem Forschungsgebiet gelten.
Der letzte grosse Schritt für die glückliche Weiterentwicklung der
Hochgebirgsforschung ist nunmehr getan. Dank der grossen Energie
und Umsicht AngeloMos.sos, des Vorsitzenden des internationalen
Monte-Rosa-Komitees ist es gelungen, auf C o 1 d O 1 e n in ca. 3000 m
Höhe ein neues, grosses Laboratorium zu erbauen, das dei
gesamten Hochgebirgsforschung als Zentralstätte dienen soll.
Es ist nur eine gerechte Würdigung der grossen Verdienste Mossos
um das Zustandekommen dieses Werkes, wenn der diesjährige inter¬
nationale Physiologenkongress in Heidelberg beschlossen hat, dieses
Institut „L ab o r a t o r i o scientifico Angelo Mosso zu
taufen. . T , mm
Die Baugeschichte des Laboratoriums reicht bis in das Jam 1903
zurück, wo zum ersten Male das Projekt eines grossen internationalen
Höhenlaboratoriums auftaucht. Mosso gelang es, tib sein Projekt
die Unterstützung Ihrer Majestät der Königin Mutter Margherita
zu gewinnen, der hochherzigen und begeisterten Förderin des Alpinis¬
mus, welche ihren Namen für ewige Zeiten mit einer der höchsten
Spitzen des Monte-Rosa verknüpft hat. Die Königin Mutter und
S. M. der König Victor Emanuel III. zeichneten ja 5000 Frc.
zur Erbauung des Laboratoriums, die italienischen Mini¬
sterien für Unterricht und für Ackerbau stellten zusammen^ die
Summe von 22 000 Frc. zur Verfügung. Aber auch von Privater Seite
flössen reichliche Spenden: Dr. P. De Vecchi schenkte 5000 Fic.,
C o m m. G. B. P i r e 1 1 i 1000 Frc.. Senator E. de A n geh
gleichfalls 1000 Frc. und die bekannten Mäzene der Wissenschaft,
E Solvay und L. Mond je 10 000 Frc. Nicht ohne Beschämung
sieht man als Deutscher diese Unterstützung der Wissenschaft von
privater Seite. Deutschlands Finanzgrössen haben keinen Sinn tur
die Wissenschaft, sie sind an dem Ansehen und Emporblühen dei
deutschen Wissenschaft unschuldig.
Für die Erbauung des Laboratoriums haben der Zentralausschuss
des Club A 1 p i n o 1 1 a 1 i a n o und der Club A lpino Milanese
je 5000 Frc. zur Verfügung gestellt, ferner haben die Regierungen von
Deutschland, Oesterreich. Frankreich und S c h w e i z
je 10 000 Frc. gespendet, wofür jedem der genannten Staaten zwei
Arbeitsplätze im Laboratorium eingeräumt wurden Die Akademie
der Wissenschaften in Washington mit dem Elizabeth 1 <? Tip'
s o n Science F o u n d steuerte 5000 Frc. zum Bau des Institutes
bei, wofür Amerika einen Arbeitsplatz erhielt S o 1 v a v trat seine
beiden Plätze der Universität Brussel ab und Mo id de
Royal Society in London für 2 Engländer. Di . _P. d e V e c c h
hat den von ihm gestifteten Arbeitsplatz der m e d l z in i s ch e n F^-
•kultät Turin zugewiesen. Je ein Arbeitsplatz wird von dei
Zentralleitung und der Sektion Mailand d e s 1 1 a 1 i e i -
sehen Alpen klubs besetzt, sodass Italien im Ganzen diei
^’^^Das^italienisch^'Unterrichtsministerium hat angeordnet, dass das
neue Institut dem physiologischen Institut der Gmversitat »rni ang -
eliedert wird, wofür es für die Stelle eines Assistenten am Monte
Rosa-Laboratorium, der zugleich die Funktion als ^
ausiibt, eine Summe von 2000 frc. und eine Dotation von 1500' frc.
in das jährliche Unterrichtsbudget emstellt. Zum Direktoi des
stitutes wurde der bisherige Assistent Prof. Mossos, Dr. Aggaz-
Z ° * Das" Institut wird von einer Kommission verwaltet, welche aus
den Professoren der Physiologie, Botanik und Hygmne der Univei si at
Turin, sowie dem Präsidenten und Schatzmeister des Club Alpino
ItaUa.no besteht. Als Präsident des Kuratoriums fungier A M o s o.
als Sekretär der Turiner Botaniker Professor. O Mattirolo. Irn
fessor L Pa gl i an i und Ingenieur Richai d Bianctn .
stent am hygienischen Institut in Turin, haben die I Fine zi ^
sehr zweckmässig eingerichteten Institut ausgeat roei e , 1
ÄÄ “Ach? rÄÄ —
S6lC Am 22. Juli 1904 wurde der 100 000 qm grosse Bauplatz etwa
% Stunde östlich oberhalb des bekannten Albergo ■ Col d
einer von Lawinen geschützten Stelle ausgewu Bau¬
messungsarbeiten im Terrain begonnen. Die eigentlichen
1884
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
arbeiten begannen unter grossen Schwierigkeiten
erst am 1. Juli 1905, zumal der Sommer 1905 einer der ungünstigsten
in den Alpen war. Von den Schwierigkeiten, die bei diesem Bau zu
überwinden waren, kann nur der ein rechtes Bild gewinnen, der das
Fortschreiten der Arbeiten selbst mit angesehen hat. Ausser Bruch¬
steinen und Wasser ist nichts am Bauplatz zu finden; alle anderen
Baumaterialien müssen mit Maultieren, oder auf den Schultern der
Menschen von A 1 a g n a, der Talstation (1191m), zum Bauplatz
(3000 m) heraufgetragen werden. Hiebei konnten geradezu wunder¬
bare Kraftleistungen des menschlichen Körpers beobachtet
werden. So hat je ein Bergamaskischer Träger einen 80 kg schweren
Eisenträger auf den Schultern von Alagna bis zum Bauplatz in der
Zeit von 8 Stunden getragen. Bei einem durchschnittlichen Körper¬
gewicht von 75 kg für diese kräftigen Menschen ergibt sich daraus
eine Stundenleistung von rund 34 875 kgm. Das ist nur die geleistete
mechanische Arbeit, die wirkliche Arbeitsleistung des Körpers ist
natürlich viel grösser, weil Faktoren wie verlorene Steigung etc. nicht
mit inbegriffen sind.
Auch im laufenden Jahre waren die Witterungsverhältnisse so un¬
günstige, dass es unmöglich war das Institut Anfang August zu er¬
öffnen. Die feierliche Inauguration des Institutes musste vielmehr
bis zum 27. August verschoben werden. Wer aber glauben wollte,
dass an diesem Tage das Institut wirklich fertig war, würde einem
schweren Irrtum verfallen. Mit dem Institut geht es wie mit den
Ausstellungen, die am Tage der Eröffnung niemals fertig sind,
und es ist deshalb auch gerechtfertigt die Inauguration des In¬
stitutes mit dem Stapellauf eines unserer modernen Schiffe zu
vergleichen. Denn nach dem Feste der Inauguration zogen die Hand¬
werker von neuem ins Haus ein, um noch zu vollenden, was noch
fehlt, und das ist nicht wenig. Von neuem schallen die Hammer¬
schläge der Qas- und Wasserinstallateure sowie der Schreiner, so dass
die Laboratorien noch nicht benützbar sind. Zudem fehlen noch die
nötigen Hilfsmittel zur Laboratoriumsarbeit, wie Flaschen, Reagenzien,
weil der Transport der in der Talstation aufgestapelten Bedarfs¬
gegenstände zur Zeit der Fremdensaison nur sehr langsam von statten
geht. Denn die Maultierbesitzer vermieten lieber ihre Tiere den
Fremden um höhere Preise, als dem Institut. Ich habe oft erregte
Szenen mit angesehen, wenn anstatt der versprochenen fünf Muli
keiner, oder nur einer für das Institut disponibel war, während die
anderen Tiere mit Proviant für das Albergo beladen waren, oder
den Touristen als Reittiere dienten.
Wer aber, so vorsichtig war wie ich, ein kleines Privatlabora¬
torium mit sich zu führen (106 kg Gepäck, wofür natürlich sehr er¬
hebliche Transportkosten erwachsen), der kann in seinem freund¬
lichen, sehr sauber und nett eingerichteten Schlafzimmer immerhin
arbeiten, so dass die feierliche Eröffnung des Laboratoriums kein
leerer Traum ist. Ich habe sogar, allerdings unter ziemlich
schwierigen Verhältnissen schon am 14. August im Institut ar¬
beiten können; nur hätte ich gewünscht, dass ich mir noch mehr
Apparate und Reagenzien von Erlangen mitgebracht hätte, das ist
nun zu spät und, mancher meiner Versuchspläne muss deshalb einer
späteren Ausführung Vorbehalten bleiben. Um nur ein Beispiel
anzuführen, ist es mir lange unmöglich gewesen, Salzsäure zu
Hämoglobinbestimmungen zu bekommen, nachdem der von Erlangen
mitgebrachte Vorrat aufgebraucht worden war. Nach 6 Tagen konnte
ich endlich aus der Apotheke von Varallo (2 Tagreisen vom Institut)
eine kleine Menge Salzsäure bekommen.
Die Feierlichkeit der Eröffnung des Laboratoriums erhielt ihren
besonderen Glanz dadurch, dass I. M. die Königin Mutter Mar¬
sh e r i t a mit Gefolge dem Festakte beiwohnte. Leider war das
Wetter nicht freundlich, dichte Wolkenschleier zogen aus dem Sesia-
tale herauf und verhüllten die Wunderpracht des Gebirgspanoramas,
das einen einzigartigen Hintergrund für das Institut abgibt. Die
Ungunst der Witterung konnte die allgemeine Festesstimmung nicht
beeinträchtigen, die ihren Höhepunkt erreichte, als die Königin vor
dem Institut eintraf. Professor Pagliani begrüsst zunächst die
Königin Mutter und dankt ihr in beredten Worten für ihr Erscheinen;
ferner dankt der Redner den Behörden für die munifiziente Unter¬
stützung und gibt den Beschluss des Heidelberger internationalen
Physiologenkongresses bekannt, demzufolge das neue Institut den
Namen Angelo Mossos tragen soll. Im Namen der ausländischen
Gelehrten überbringt der berühmte Forschungsreisende F r i t z S a r a-
s i n - Basel die Glückwünsche für das Gedeihen des Institutes. So¬
dann spricht der Präsident des Club Alpino Italiano. Com men da¬
to re Grober und endlich erläutert Angelo Mosso in klarer
und präziser Weise die Aufgaben des Institutes. Die Königin
dankt den Herren vom Kuratorium, worauf ihr die ausländischen Gäste,
sowie der Direktor des Institutes, Dr. Aggazzotti, vorgestellt
werden. Sodann unternimmt die Königin mit ihrem Gefolge einen
Rundgang durch das Institut, dessen Einrichtungen sie mit grossem
Interesse und vieler Gründlichkeit besichtigt.
Folgen auch wir dem Rundgang durch das Institut, das seine
Hauptfront nach Südosten richtet und über dem im Hintergrund der
Stola in b e r c und das ganze Monte-Rosa-Massiv, von
der Ludwigshöhe. St. Vincentoyramide bis zur Punta Guifetti mit den
gewaltigen Eisfeldern des Sesia- und Borsgletschcrs majestätisch
thront. Das Institut gliedert sich in einen Mittelbau, der zwei
Stockwerke besitzt und zwei anstossende einstöckige Seitentrakte
von denen nach Südosten zwei ebenerdige Seitenflügel vor¬
springen, zwischen denen eine grosse Terrasse sich befindet, von der
man einen herrlichen Rundblick auf die Ausläufer der Monte-Rosa-
Gruppe und die südlichen Randgebirge bis weit hinaus in die ober¬
italienische Ebene hat.
Die zwei vorspringenden Seitenflügel enthalten je ein grosses
(7,6m X 3,3 m) Laboratorium, eines für die Physiologie, das
andere für die Bakteriologie bestimmt, ferner ein Wage¬
zimmer, Thermostatenzimmer, sowie zwei kleine für Spe¬
zialuntersuchungen bestimmte Zimmer. Der Haupttrakt enthält die
Laboratorien für Botanik und Zoologie, die Dunkelkam¬
mer, Speisesaal, Speisekammer, Küche, Garderobe, Bureau und einen
grossen Raum für Apparate und Chemikalien, ferner eine zweite
Dunkelkammer, die vorläufig als Proviantdepot dient. Auf einer
bequemen lichten Stiege gelangen wir in den ersten Stock, welcher
die Bibliothek und 15 Wohnräume für wissenschaftliche Arbeiter
sowie ein Duschebad enthält. Zunächst sind von den Räumen nur
wenige besetzt. Der Direktor des Institutes. Dr. Aggazotti,
Privätdozent Dr. W. Magnus - Berlin (Botanik), Prof. F e d e r i c i -
Rom (Meteorologe), sowie 2 Brüsseler Studenten, Desguin und
Spehl, und der Schreiber des Berichtes bewohnen je ein Zimmer.
Der zweite Stock enthält das meteorologische und geo¬
physikalische Laboratorium sowie 3 Wohnräume. Das
ganze Institut, ibgesehen von den Wohnzimmern, wird mit Benzin¬
gas erleuchte' ein G 1 ü h 1 i c h t, welches dem Auer sehen ganz
ähnlich ist, ar .1 für Laboratoriums- und Küchenzwecke wird Benzin¬
gas verwend . ebenso werden einige kleine Heizkörper mit diesem
Gas geheizt. Für die grossen Laboratorien sind ausserdem noch
eiserne Oefe mit Kohlenfeuerung vorgesehen, weil die kleinen Gas¬
öfen bei eil germassen kühler Aussentemperatur nicht ausreichen.
Auqh Wassei eitung ist im Institut vorhanden, indem eine Pumpe das
Wasser aus em unmittelbar hinter dem Institut gelegenen Schmelz¬
wassersee i ein grosses, auf dem Dachboden befindliches Reservoir
nunrnt. Die ganze Einrichtung des Institutes ist in allen technischen
Punkten wohl durchdacht und macht dem Konstrukteur alle
Ehre.
Jedem wissenschaftlichen Arbeiter wird ein Zimmer als Wohn-
raum und ein Arbeitsplatz im Laboratorium zugewiesen, ferner stehen
ihm die Apparate des Institutes zur freien Benützung zur Verfügung,
dagegen hat jeder Arbeiter für mikroskopische Untersuchungen ein
Mikroskop mitzubringen. Die Bedarfsgegenstände, wie Reagentien,
Glassachen, werden vom Institut an die einzelnen Arbeiter zum Ein¬
kaufspreis abgegeben; ausserdem hat jeder täglich 2 Fr. für Be¬
dienung und Beleuchtung zu zahlen. Soll ein Wohnzimmer geheizt
werden, dann wird der hiefür entfallende Betrag extra berechnet.
Alle Bewerbungen wegen eines Arbeitsplatzes sind vor dem
25. Juli des laufenden Jahres an den Präsidenten der Kom¬
mission, Prof. Angelo Mosso (Corso Raffaello 30. Turin) zu rich¬
ten. unter Angabe des Versuchsplanes, sowie der Dauer der Ver¬
suche und der dazu erforderlichen Instrumente. Jeder Bewerbung
muss eine Befürwortung desjenigen Institutes oder
derjenigen Regierung beigefügt sein, deren Platz der Bewer¬
ber einnehmen will.
Die Ausstattung des Institutes mit Apparaten ist eine recht gut**,
zumal eine grosse Anzahl insbesondere deutscher Firmen dem
Institute ansehnliche Schankungen zukommen lies>s (Zei<=^. Jena;
Hcraeus. Hanau; Schmidt & Haensch. Berlin; Sendtner. München;
Elster. Berlin: Petzold. Leipzig; Hensoldt & Söhne. Wetzlar; Bu”ge,
Hamburg; Verdin. Paris: Societe de bains mer. Monaco: Chem. scient.
Compagnie: Officina St. Giorgio. Turin: Corino, Turin).
Nach dieser Schilderung der Einrichtungen des Institutes sei der
, wissenschaftlichen Aufgaben in Kürze gedacht, die hier
gelöst werden sollen. Wer die einschlägige Literatur verfolgt hat,
wird im grossen und ganzen wohl darüber unterrichtet sein, in wel¬
chen Bahnen sich die Forschungsarbeit zu bewegen hat. Ein Blick
in die Bücher von Z u n t z und Mosso, sowie in die beiden bereits
erschienenen Bände des Archivs „Laboratoire scientifique
international du Mont Ros a“, welch letztere kurze Inhalts¬
angaben der in den Jahren 1903 — 1907 auf der Capanna Regina Mar-
gherita ausgeführten Arbeiten enthält, zeigt uns die Errungenschaften
der bisherigen rastlosen Arbeit. Durch das neue Institut wird aber
das Bereich der Untersuchungen noch wesentlich erweitert, denn
die Capanna Margherita ist als zweites Laboratorium für Versuche
in besonders grossen Höhen (4560 m) dem Col-d’Olen-Laroratorium
angegliedert.
Beginnen wir mit der Besprechung der für den Mediziner
besonders wichtigen Aufgaben, dem Studium der Einwirkung des
Hochgebirges auf den menschlichen Organismus. Der günstige
Einfluss der Gebirgswanderu n gen ist schon lange be¬
kannt. Schon Konrad Qesner hat in seinem Werke: Descriptio
montis fracti, sive montis Pilati, ut vulgo nominant, juxta Lucernam in
Helvetia“ 1540 eine ausführliche, durchaus wissenschaftlich begrün¬
dete Physiologie des Alpinismus gegeben. Die Heilbäder am
Nord- und. Siidrand der Alpen und in der Schweiz haben das ganze
Mittelalter hindurch, bis in die neueste Zeit geblüht, wenn auch manch
besondere Freuden des mittelalterlichen und modernen Badelebens
ihren reichen Besuch rechtfertigen. Ganz in Vergessenheit sind die
Heilwirkungen des Gebirges niemals geraten; so hat der Schwei-
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1885
zer Arzt Meyer bereits im Jahre 1749 Milchkuren im Ge¬
birge bei Lungenkrankheiten verordnet. Allgemein be¬
kannt wurden die Höhenkuren bei Lungenkranken erst durch den
peruanischen Arzt Archibald Smith, dem in Deutschland
Brehmer in Görbersdorf und in der Schweiz Spengler- Davos
folgten. Seit diesen Gründungen sind die Höhensanatorien wie Pilze
aus der Erde gewachsen, ihre Anzahl ist Legion. Aber nicht nur
für Lungenkranke, sondern auch für andere Erkrankungen
(Konstitutionskrankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe,
Stoffwechselkrankheiten, Krankheiten des Nervensystems) ist der
Gebirgsaufenthalt mit Erfolg verordnet worden.
Welches sind nun die besonderen Heilwirkungen
des Gebirges? Darüber herrschen zurzeit noch die unsichersten
Ansichten; auch ist die Frage, welche Kranke sind ins Gebirge
zu schicken und in welche Höhenlagen, welche Kranke dürfen
nicht ins Gebirge gesandt werden, keineswegs einfach zu beantwor¬
ten; denn das Gebirge bietet dem menschlichen Körper nicht nur
Vorteile, sondern auch ernste Gefahren und schwere
Schädigungen der Gesundheit. Auch das Ueberhand-
nehmen des alpinen Sportes fordert die Aufmerksamkeit der Aerzte
heraus; aber der Arzt wird nur dann richtig urteilen können, wenn
ihm die Wirkungen des Hochgebirges auf den menschlichen Organis¬
mus genügend bekannt sind. Wer darf Hochtouren machen, wie soll
die Bekleidung und Ernährung im Hochgebirge und auf Touren sein?
Darüber ist viel gestritten und geschrieben worden. Solange aber
alle diese Fragen ohne genügende Spezialforschungen
entschieden werden aus einer mehr oder weniger rohen Empirie,
werden schwere Irrtiimer nicht vermieden werden können, Irr-
tiimer, die um so verhängnisvoller sind, weil sie im Gebirge mit seinen
mannigfachen Gefahren leider nur allzu oft mit dem T o d e gebtisst
werden müssen. So wie die moderne klinische Medizin ohne
Physiologie nicht auskommen kann, so muss auch in den in
Rede stehenden Spezialfragen, die von so grosser Tragweite sind,
erst eine zuverlässige physiologische Basis ge¬
schaffen werden, auf welcher der Kliniker weiterbauen kann, in¬
dem er die Heilwirkungen des Gebirges vorsichtig indivi¬
dualisierend ausniitzt. Denn die Medizin ist nicht nur eine
Wissenschaft, sie ist auch eine Kunst, und nur derjenige Arzt der
Wissenschaftler und Künstler zugleich ist, kann segenbringend wirken.
Eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Laboratoriums ist es,
eine Physiologie des Hochgebirges zu schaffen, die dem
Stande und den Anforderungen der modernen Naturwissenschaft ent¬
spricht. Das ist natürlich nur durch sorgfältig ausgedachte und pein¬
lich ausgeführte Laboratoriumsversuche möglich. Freilich darf man
nicht darauf vergessen, dass hier der Mensch in erster Linie
das Versuchsobjekt sein muss. Denn eine Uebertragung der
Erfahrungen aus den Tierexperimenten, so nützlich und unerlässlich
sie auch sind, ohne eigene Versuche am Menschen, würde uns in
schwere Irrtiimer stürzen. Man muss sich nach den Ergebnissen der
vergleichenden Physiologie endlich daran gewöhnen, auch in Fragen
der vegetativen Physiologie die menschliche Physiologie nicht
nur aus einer Physiologie des Frosches, Kaninchens und Hundes auf¬
zubauen.
Vielfach scheint die Meinung vertreten zu sein, dass eine be¬
sondere Physiologie des Hochgebirges ein Unding sei, denn der
Mensch müsse sich einfach gesetzmässig nach den gegebenen äusseren
mechanischen Lebensbedingungen verhalten. Diese Anschauung der
Lebenstheoretiker ist ebenso widersinnig als unüberlegt. Wenn auch
der Ablauf des organischen Lebens in letzter Instanz chemischen und
physikalischen Gesetzen gehorchen muss, so kommt doch noch das
Leben hinzu, eine Summe von Regulationen, die ändernd
und modifizierend in dien Ablauf des Lebensgetriebes eingreifen. Wie
weit sind nun diese Regulationen im besonderen für die speziellen
äusseren Lebensbedingungen des Hochgebirges hinreichend und
welche Regulationen müssen wirken, um den Körper diesen be¬
sonderen Lebensbedingungen anzupassen? Hier rollt sich uns mit
einem Schlage ein grosses Forschungsgebiet, das der funktio-
nellenAnpassung, auf. Wir müssen einen Blick in jene geheim¬
nisvollen Vorgänge des Lebensprozesses tun, die wir zusammen als
Akklimatisation bezeichnen. Alle diese Rätsel sind noch zu
lösen.
Gerade diese Fragen haben eine eminent praktische Be¬
deutung für den Kliniker. Die zahlreichen Arbeiten, welche
bisher über die Einwirkung des Hochgebirges auf den Menschen
vorliegen, haben diese Fragen noch keineswegs entschieden, sie sind
nur Wegweiser für die weitere Forschung, ohne dass man sagen
könnte, was von all den bisherigen Ergebnissen einer neuen exakten
Prüfung standhalten wird. Vor allem ist die Zahl der Versuche
undVer suchsobjekte noch viel zu gering, um mit vollstän¬
diger Sicherheit die individuellen Besonderheiten auszuschalten
und das allgemeingültige Gesetz ableiten zu können. Dieser
Mangel der bisherigen Forschung ist durch die besonderen
äusseren Verhältnisse, unter denen diese Forschungen be¬
trieben werden mussten, tief begründet. Solange wie bisher
nur wenige berggewandte Forscher unter grossen Mühen und Kosten
eine Lösung dieser Fragen versuchten und versuchen konnten,
musste der Individualitätsfaktor eine grosse Rolle spielen.
Das neue Institut mit seinen Bequemlichkeiten bietet nunmehr auch
dem wenig berggewandten Forscher gute Gelegenheit, sich an der
Lösung dieser schwierigen Probleme zu beteiligen.
Um nur einige der vielen physiologischen Probleme anzuführen,
welche noch im besondereren durchgearbeitet werden müssen, sei
vor allem der Einfluss des Hochgebirges auf das Herz
genannt. Die Frage der akuten Herzermüdung ist eine
ausserordentlich wichtige, zumal sie für die Ausübung des Bergsportes
von ausschlaggebender Bedeutung ist. Wie ist die Herzhypertrophie
des Bergsteigers zu beurteilen, wann leidet das Herz Schaden? Nicht
minder wichtig und für den Kliniker bedeutungsvoll sind die Ver¬
änderungen des Blutdrucks, die Vermehrung der roten
Blutkörperchen im Gebirge. Auch die Physiologie der
A t m u n g bietet eine Fülle neuer Probleme. In engster Beziehung
zu den Veränderungen des respiratorischen Gaswechsels steht die
Bergkrankheit, über deren Ursachen die Turiner und Berliner
Schule geradezu entgegengesetzte Meinungen vertreten. Während
Mo sso und seine Schüler in der Verarmung des Blutes an Kohlen¬
dioxyd die Ursache der Bergkrankheit erblicken, führen Zunts und
seine Schule die Bergkrankheit auf eine Verarmung des Blutes, be¬
ziehungsweise des Organismus, an Sauerstoff zurück.
Auch die Veränderungen des Stoffwechsels im
Hochgebirge müssen noch genauer erforscht werden, zumal
nach den Arbeiten der Z u n t z sehen Schule der Eiweis sstoff-
Wechsel im Hochgebirge wesentlich gesteigert er¬
scheint, ja sogar besonders günstige Bedingungen für einen Ei¬
weissansatz vorhanden zu sein scheinen. Eine der wichtigsten
Fragen, nämlich die des Alkoholgenusses im Hochgebirge,
ist besonders durch die Arbeiten von Durig in den Vordergrund
des Interesses gerückt worden, zumal Durig in seinen Versuchen
fand, dass bereits eine Menge von 30 ccm Alkohol, der Alkoholmenge
eines Liter Bier etwa entsprechend, eine wesentliche Herab¬
setzung der Leistungen unseres Muskelsystems
bewirkt.
Nicht minder wichtig und interessant sind die Untersuchungen
über den Mechanismus der Wärmeregulierung des
Körpers im Hochgebirge, ein Gebiet, das noch sehr wenig bearbeitet
ist; und doch sind die äusseren Entwärmungsfaktoren, wie Wasser¬
verdunstung, Temperaturschwankungen, so ausserordentlich ver¬
schieden von denen des Flachlandes, so dass eine genaue Unter¬
suchung der Wärmeproduktion und Wärmeregulierung im Hoch¬
gebirge interessante Aufschlüsse zu geben verspricht.
Zwei Faktoren von ausserordentlicher Wichtigkeit, in ihrer Wir¬
kung auf den Menschen aber so gut wie noch gänzlich unerforscht,
sind die Einwirkungen der ultravioletten Strahlen und der
enormen Luftelektrizität, welche einen starken Gehalt an
positiven Ionen, die sog. „unipolare Leitfähigkeit“ auf¬
weist. Auch eine gesteigerte Radioaktivität der Luft ist be¬
obachtet worden. Wie diese Modifikationen der strahlenden Energie
auf den menschlichen Körper wirken, bietet ein reiches Feld für
physiologische und therapeutische Forschungen.
Aber auch die Hygiene findet grosse Aufgaben im neuen
Laboratorium, denn die Fragen der zweckmässigen Beklei¬
dung des Gebirgswanderers, der Gestaltung von Gebäu¬
den, Heizung usw. sind noch vielfach durchzuarbeiten. Die
Bakteriologie des Hochgebirges ist, um ein Wort M o s s o s
zu gebrauchen, noch nicht geboren, sie soll im neuen Institut ihr
erstes Heim finden.
Damit habe ich die wichtigsten den Mediziner interessieren¬
den Aufgaben des neuen Institutes flüchtig skizziert. Ich möchte zum
Schluss doch auch mit wenigen Worten auf die grossen allge¬
mein naturwissenschaftlichen Aufgaben hinweisen,
welche der Botanik und Zoologie hier erblühen. Jedem Alpen¬
wanderer sind die eigenartigen Formveränderungen der Pflanzen und
Tiere aufgefallen, welche uns aus der Ebene bekannte Formen im
Hochgebirge erfahren. Aehnliche Formveränderungen finden sich auch
in den Polarregionen. Hier wie dort lässt ein kurzer, ikühler Sommer
ein dürftiges Leben erstehen und in dieser kurzen Frist muss die
Blüte, Befruchtung und Reifung der Frucht erfolgen, alles in der
kurzen Zeit von 2 — 3 Monaten, denn während des übrigen Teiles
des Jahres schläft das Leben unter der zentnerschweren Last des
Schnees. Es ist klar, dass in diesen Regionen nur solche Lebe¬
wesen sich erhalten können, welche diesen besonderen Existenz¬
bedingungen möglichst vollkommen an gepasst sind. Aber
wie ist diese Anpassung zustande gekommen? Ist sie durch Aus¬
lese im Kampfe ums Dasein, also im Sinne der Darwin¬
schen Selektionstheorie entstanden oder ist diese An¬
passung ein direktes Reizgeschehen, eine funktionelle
Anpassung im Sinne Laniarcks? Diese grossen Fragen auf
Grund experimenteller Forschungen zu entscheiden, ist eine
der vornehmsten Aufgaben der Pflanzenphysiologie und
Zoologie, und für solche Studien wird das neue Institut in erster
Linie auszugestalten sein. Das ist nur eines der grossen Probleme,
aber auch viele Fragen der Befruchtungs- und Fntwi c k -
lungslehre werden hier von Zoologen und Botanikern in An¬
griff genommen werden können.
Aber zu all diesen Studien müssen noch die meteoro¬
logischen und geophysikalischen Beobachtungen hinzu¬
kommen, für welche das Hochgebirge ein reiches Arbeitsfeld bietet.
1886
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Die elektrischen Erscheinungen der Atmosphäre,
die Leitfähigkeit und Radioaktivität, Luft in ihrem Zu¬
sammenhang mit den übrigen Klimafaktoren stellen den Geophysi-
k e r n eine Fülle allgemein interessanter Probleme.
So sehen wir, dass das neue Laboratorium vor einer unge¬
heueren Fülle v on wissenschaftlichen Aufgaben
steht, welche fast das ganze gewaltige Reich der
Naturwissenschaften umspanne n, Aufgaben, die der
Arbeit der Besten würdig sind. Möge dem neuen Laboratorium ein
günstiges Geschick beschieden sein, möge es vor allem die Hoffnungen
erfüllen, welche die Gründer des Institutes und die gesamte wissen¬
schaftliche Welt an dieses Werk geknüpft haben. Die Aufgaben sind
keine leichten. Vor allem ist natürlich die Durchführung einer plan-
mässigen Organisation nötig, die das gedeihliche Zusammenwirken so
vieler diametraler Interessen ermöglicht. Möge die Direktion in der
Erfüllung ihrer schwierigen Aufgabe eine glückliche Hand haben,
denn von ihr wird zum grossen Teil die glückliche Weiterentwicklung
des Institutes abhängen.
Das „Laboratorio seien tifico Angelo Moss o“
blühe, wachse und gedeihe!
Endlich möchte ich dem Herausgeberkollegium der Münch, med.
Wochenschr. für die überaus munifizente Unterstützung meiner Stu¬
dien im neuen Institute meinen ergebensten Dank aussprechen.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Aus der Gr. Universitäts-Ohrenklinik Ereiburg i. B. (Direktor:
Prof. Dr. E. Bloch).
Die Kurpfuscherei in der Ohrenheilkunde.
Von Dr. Julius Heching er, I. Assistenten der Klinik.
Dass in einem Fache, das so lange als Stiefkind Aeskulaps be¬
handelt wurde wie die Ohrenheilkunde, die Kurpfuscherei von jeher
den fruchtbarsten Boden fand, und geradezu dominierte, ist nicht zu
verwundern. Eine chronische Ohreiterung betrachtete man als will¬
kommene Reinigung des- Gehirns oder des Blutes, traten Schmerzen
ein, so wusste schon der Bader, die Hebamme oder bestenfalls der
Apotheker ein Mittelchen aufzulegen oder einzuträufeln. Während
diese naive Art der Kurpfuscherei Gesundheit, ja sogar das Leben
der armen Patienten gefährdeten, hat es die moderne Kurpfuscherei
mehr auf den Geldbeutel der leidenden Menschheit abgesehen. Lei¬
der hat sie zur Betreibung ihres gewissenlosen Geschäftes eine mäch¬
tige Verbündete, die Presse. Man kann heutzutage kaum mehr eine
Zeitung in die Hand nehmen, ohne die Anpreisung einer neuen Er¬
findung zu lesen, die imstande ist, jedes Ohrenleiden rasch und sicher
zu heilen: Gehörpatronen, Hörtroinmeln, Schalltrompeten — wer
könnte all die „gesetzlich geschützten“ Namen aufzählen. Mit wel¬
cher Schlauheit zuweilen diese Reklame betrieben wird, das mögen
folgende Zeilen beweisen.
T.
In No. 47 der „Woche“ vorigen Jahrgangs erschien ein Artikel
„Neues vom Telephon“ von Hans Dominik, der unter anderem
scheinbar so ganz nebenbei die Beschreibung und Abbildung eines
„Tischapparates für Schwerhörige“ enthielt. Dieser Apparat dürfte
nach Ansicht des Verfassers „geeignet sein, das wenig wirksame Hör¬
rohr vollkommen zu verdrängen. Auch bei gedämpfter Sprache
brüllt das kleine Telephon dermassen, dass gesunde Ohren den Ver¬
such überhaupt nicht aushalten und selbst Halbtaube deutlich hören“.
Da wir schon früher mit ähnlichen Apparaten Versuche an¬
gestellt und uns von der Wertlosigkeit derselben überzeugt hatten, bat
ich die Redaktion der „Woche“, von der Ueberzeugung ausgehend,
dass sie es für ihre Pflicht erachte, ihre Leser vor Schaden zu be¬
wahren. das von Dominik über das Telephon für Schwerhörige
Mitgeteilte berichtigen zu wollen.
Die Berichtigung erschien nicht. Es kam auch keine Antwort
von der Redaktion der „Woche“, wohl aber ein Schreiben aus
Berlin W„ das im Auszuge folgt:
r*-- ***£**<» -* •*-. — :■ — w * »
Deutsche Akustik-Gesellschaft m. b. H„ B erlin W. 50.
Export. — Telegramme: Akustik, Berlin 50.
Fernsprecher: Amt Wilm. 2915.
A. B. C. Code. — Correspondenz: Deutsch, franz., englisch.
Ihr wertes Schreiben vom 2. d s., an die Redak¬
tion de r „W o c h e“ gerichtet, wurde uns zur E r 1 e d i -
g u n g ii b ergebe n. Aus ihrem wr. Schreiben entnehmen wir, dass
Sie Versuche mit MikroteleDhoncn, welche Sie von einer Berliner
Firma bezogen haben, mit Schwerhörigen gemacht haben und dass
diese Versuche negative Resultate gezeitigt hätten etc. - -
Wenn sie nun mit Apparaten dieser Provenienz Versuche anstellten,
dann sind auch wir überzeugt, dass ihre Versuche nicht zufrieden¬
stellende waren, immerhin dürften Sie doch die ganze Theorie dieser-
lialb nicht in Bausch und Bogen verdammen.
Hunderte von Schwerhörigen sind glücklich,
unsere Akustikapparate zu besitzen, eine Reihe nam¬
hafter Spezialärzte haben sich und interessieren sich noch in hohem
Grade für unsere Apparate etc.
- Angesichts dieser Umstände empfehlen wir Ihnen
die Anschaffung der Akustikapparate und bemerken wir, dass diese
Apparate in der Type „C“, welche gegen Ende dieser Woche die
Werkstätten verlässt, eine neue Verbesserung erfahren haben
etc. -
Die Tatsache, dass mein Brief von der Redaktion der „Woche“,
sei es nun direkt oder via D o m i n i k in die Hände der Deutschen
Akustikgesellschaft gelangte, scheint zu beweisen, dass es sich um
ein Reiklamemanöver handelte. Wir Hessen den Apparat kommen.
In auffallendem Gegensatz zu dem vorstehenden vielversprechenden
Firmenkopf, der auf einen grossartigen Geschäftsbetrieb hinzuweisen
scheint, bestand die primitive Verpackung desselben, in einem alten
Zigarrenkistchen. Wir stellten zahlreiche Versuche an Normal¬
hörenden, Schwerhörigen und fast Tauben an und kamen zu dem¬
selben Ergebnis, wie bei den früheren Versuchen an unserer Klinik
mit ähnlichen Apparaten : Von allen Kranken wurde durch
das Telephon schlechter gehört als durch das von
Dominik geschmähte Hörrohr. Einzelne Kranke
hörten- durch das Telephon überhaupt nichts, wohl
aber durch das H ö r r o h r.
Wen man bedenkt, wie viele Hunderte von Schwerhörigen den
Artikel in der „Woche“ gelesen haben und wie sich diese Unglück¬
lichen an jedes neu angepriesene Mittel, wie an einen letzten Hoff¬
nungsstrahl klammern und selbst den letzten Pfennig opfern — der
Apparat kostet nebenbei bemerkt 30 M. — , so kann man sich eine
Vorstellung bilden von dem Schaden, den derartige Reklamen an¬
zurichten imstande sind.
II.
Die Absicht, gegen einen gewissen „Professor“ G. Keith-
Harvey aus London vorzugehen, der seit einer Reihe von Mona¬
ten die Presse des In- und Auslandes mit riesenhaften, marktschreie¬
rischen Reklamen erfüllt, (konnte aufgegeben werden, da bereits einige
Zeitungen vor dem Wunderdoktor warnten und ein grosser Teil der an¬
ständigen Presse seine Inserate zurückweist. Vollends dürfte ihm
aber das Handwerk gelegt werden durch den Antrag, den Hofrat
Politzer in der Märzsitzung der otologischen Gesellschaft stellte,
es mögen sich die otologischen Gesellschaften des In- und Aus¬
landes zur Bekämpfung des Londoner „Professors“ und zur Warnung
des Publikums vor seinen und ähnlichen anderen Anpreisungen ver¬
einigen. Mit Recht hob Politzer hervor, dass gerade die arme
Bevölkerung infolge ihrer Leichtgläubigkeit am häufigsten diesen
Wunderdoktoren zur Beute fällt.
III.
In etwas bescheidenerer Form tauchen von Zeit zu Zeit in den
verschiedensten Zeitungen ähnliche Anpreisungen auf, die den armen
Ohrenleidenden sichere Heilung versprechen, selbst wenn es bisher
aller ärztlichen Kunst nicht gelungen sei, das Leiden zu heilen oder
zu bessern. Als Beispiele mögen genannt sein das „Gehör öl“
des Oberstabsarztes*) und Physikus Dr. G. Schmidt, das „schnell
und gründlich temporäre Taubheit, Ohrenfluss. Ohrensausen und
Schwerhörigkeit selbst in veralteten Fällen heilt“**): oder folgendes
Inserat: „J. D. Möller empfiehlt erfolgreiche Behandlung
ca. 20 jährigen Nasen-. Rachen- und Mittelohrkatarrhs mit Ohren¬
sausen und starker Schwerhörigkeit. Preis 2 M. Verfasser be¬
schäftigt sich nicht mit Behandlungen.“ Oder die „für Schwer¬
hörige unentbehrliche neuverbesserte Hörtrommel“ von
A. PI ob n er. Oder die vom Hygienischen Versandhaus
E. O b e r 1 e angepriesenen, patentamtlich geschützten „Schall-
trompeten, durch die Schwerhörigkeit beseitigt, nervöse Ohren¬
geräusche geheilt werden“. Endlich seien noch die Gehör¬
patronen erwähnt, durch die es nach Ansicht des „genialen Erfin¬
ders“ Hans Sieger ..gelungen ist. das voll und ganz zu erfüllen,
was jahrelang vergeblich erstrebt wurde. Wie man sich“, so wendet
sich dieser Retter der leidenden Menschheit an diese, „eines Instru¬
mentes, nämlich der Brille bedient, wenn das Augenlicht schwach
ist. so bedarf man eines geeigneten Instruments, wenn das Gehör
defekt wird.“ Und dieses Instrument sei die Gehörpatrone. Das
Gehör vorvollkommne sich beim Gebrauch der Patrone selbst in
hartnäckigen Fällen und man könne deshalb mit Recht behaupten, dass
das, was für das Augenlicht die Brille, die Gehörpatrone für das
Ohr sei.
IV.
Welche Art von Ohrenleidenden fällt nun hauptsächlich diesen
Kurpfuschern zum Opfer ? Es Ikommen hier nur veraltete chronische
Fälle in Frage, und zwar Fälle von Schwerhörigkeit
*) Es ist unerklärlich, wie jemand, der das Recht hat, den
Titel eines Oberstabsarztes zu führen, also einem militärärztlichen
Ehrengericht untersteht, seinen Namen für derartige Schwindel¬
reklamen hergeben kann.
**) Anmerkung bei der Korrektur: Laut einer am
1. Oktober 1907 in Kraft tretenden Verordnung auf grund des § 367
No. 5 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich wird das Gehöröl
Schmidts unter die Geheimmittel gezählt, deren öffentliche An¬
kündigung oder Anpreisung verboten ist.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
17. September 1907.
1. infolge chronischer Ohreiterung;
2. infolge von Knochenneubildung und dadurch bedingter Un¬
beweglichkeit des Steigbügels im ovalen Fenster, ein Krankheits¬
prozess, welcher bedauerlicherweise neuerdings Wieder unter dem
Namen Otosklerose geschildert wird, trotzdem schon lange P o -
1 i t z e r und andere Autoren festgestellt haben, dass es sich um eine
Knochenneubildung in der Labyrinthkapsel handelt, die auf die
Fussplatte des Steigbügels übergreift und diese immobilisiert;
3. Fälle von Schwerhörigkeit infolge von Schwund der Hör¬
nervenfasern und Ganglienzellen.
Patienten der Gruppe 1, d. h. solchen mit chronischen Ohr¬
eiterungen, eines der obenerwähnten Mittel zu empfehlen, ist ein
Verbrechen, ähnlich demjenigen, das von Kurpfuschern so häufig
begangen wird, noch operable und heilbare Karzinome solange mit
Salben und Pasten zu behandeln, bis sie inoperabel geworden sind.
Ohreiterungen, die durch sachgemässe konservative oder operative
Behandlung meist geheilt werden können, führen durch unsach-
gemässe Behandlung leider nur zu oft zu den lebensgefährlichen
Komplikationen: Meningitis, Sinnsthrombose, Pyämie oder Hirn¬
abszess.
Dass die Fälle der 2. Gruppe durch die oben erwähnten Mittel
nicht geheilt und nicht gebessert werden können, d. h. dass durch
sie ein durch Knochenneubildung oder auch durch Verkalkung des
Ringbandes unbeweglicher Steigbügel nicht mobilisiert werden kann,
bedarf wohl kaum der Begründung. Auch lehrt uns die tägliche kli¬
nische Erfahrung auf Grund exakter Funktionsprüfungen, dass in
den meisten Fällen der sog. Otosklerose ein zweifelloses und nicht
unerhebliches Mitergriffensein des nervösen, also des schallperzi-
pierenden Apparates zugegen ist.
Macht man dagegen solche Patienten, sobald die fachmännische
Funktionsprüfung die Diagnose gesichert hat, auf die Unheilbarlkeit
ihres Leidens aufmerksam und. rät ihnen, möglichst frühzeitig das Ab¬
lesen von den Lippen des Sprechenden zu lernen, so kann man sie in
den meisten Fällen soweit bringen, dass sie, solange sie die Be¬
wegungen der Lippen sehen, auch jedes Wort verstehen.
Was endlich die Gruppe 3 betrifft, nämlich die Patienten, deren
Schwerhörigkeit oder Taubheit durch Atrophie des Hörnerven be¬
dingt ist, so lässt sich die absurde Behauptung, man könne diese
durch eines der erwähnten Schwindelmittel heilen, nur vergleichen
mit dem Versuche, ein durch Sehnervenatrophie erblindetes Auge
durch eine Brille wieder sehend machen zu wollen.
Von all den erwähnten Mitteln ist kein einziges
imstande den Kranken zu helfen, wohl aber ver¬
mögen sie, ihnen pekuniären, psychischen und
häufig sogar erheblichen physischen Schaden zu-
z u f ii g e n.
Referate und Bücheranzeigen.
Archiv für Geschichte der Medizin. Herausgegeben von
Karl Sud hoff. Band I. September 1907. Heft 1, 80 Seiten.
Im Oktober 1845 begann A. W. E. Th. Henschel die
Veröffentlichung seines „Janus“, Zeitschrift für Geschichte und
Literatur der Medizin im Vereine mit den besten Historikern
seiner Zeit. Aber die Stürme des Jahres 1848 brachten dem
Unternehmen einen baldigen Untergang. Ermutigt durch in-
und ausländische Gelehrte wurde die Zeitschrift unter dem
Titel „Janus, Zentralmagazin für Geschichte und Literär-
geschichte der Medizin“ von B r e t s c h n e i d e r, H e n s c h e 1,
Heusinger und Thierfelder 1851 wieder in das Dasein
zurückgerufen. Auch dieser „Janus“ endete 1853 mit dem
zweiten Bande. Ein Vierteljahrhundert verfloss, bis die Brüder
Heinrich und Gerhard R o h 1 f s mit dem „Deutschen Archiv
für Geschichte der Medizin und med. Geographie“ auf den
Plan traten. Nach den ersten vier Bänden gab man sich der
Hoffnung hin, dass das Werk die Kinderkrankheiten glücklich
überstanden habe, aber bald erlahmte. die Teilnahme der Leser
und die verdienstvollen Verfasser mussten mit dem 8. Bande
abschliessen. Das sind Erfahrungen, die zu neuen Unter¬
nehmungen im Felde der geschichtlichen Journalistik nicht ge¬
rade aufmuntern können. — Wenn man trotzdem der neuen
Zeitschrift eine erfreulichere Lebensdauer prophezeien möchte,
so stützt sich diese Prognose zunächst auf die Person des
Herausgebers, dessen Tatkraft, dessen weit- und tiefblickender
Geist, dessen vorausgegangene Leistungen ihm den Rang eines
Historikers erster Klasse sichern. Ein weiterer günstiger Um¬
stand ist das in neuester Zeit wachsende Verständnis für die
Bedeutung medizin-geschichtlicher Arbeiten.
Das Programm des Archivs gibt der Herausgeber in einem
einführenden Artikel. Wir sehen unter anderm hieraus, dass
die neue Zeitschrift, die in zwanglosen Heften erscheint, zu¬
nächst Referate fern halten will, da für dieselben das Organ
1887
der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der
Naturwissenschaft, die rühmlich bekannten „Mitteilungen“ be¬
stimmt sind. — Ausser kleineren Texten, Urkunden, Lebens¬
läufen, Forschungen über Literaturdenkmäler soll besonders
die Geschichte der Krankheiten berücksichtigt werden. Erster
Grundsatz bleibt, nur Originalarbeiten zu bringen. — Das erste
Heft enthält ausser der Vorrede Sudhoffs gediegene Bei¬
träge von Felix v. O e f e 1 e (Papyrus Ebers), Rudolf H ö r n 1 e
(Charaka-Kompendium), Sudhoff (Brunsehwigs Anatomie
und zur Anatomie des Lionardo da Vinci), kleinere Mitteilungen
von Wustmann und S u d h o f f. Sämtliche Arbeiten tragen
den Stempel der Gediegenheit und Gründlichkeit. —
Nun ist der Bauplatz geöffnet, die Bauhütte errichtet; bald
wird der vielbewährte Meister eine Schar fleissiger Gesellen
um sich sehen, die das reichlich vorhandene Rohmaterial mit
emsigen Händen formend gestalten. Und so rufen wir der
wackern Schar ein freudiges „Glückauf“ zu.
J. Ch. FI u b e r, Memmingen.
O. Hammarsten - Upsala : Lehrbuch der physio¬
logischen Chemie. 6. völlig umgearbeitete Auflage. 836 Seiten
mit einer Spektraltafel. Verlag von .1. F. Bergma n n, Wies¬
baden 1907. Preis 19.60 Mk.
Die gewaltige Entwicklung der physiologischen Chemie in
den letzten Jahren erschwert schon dem Fachmanne, noch viel¬
mehr demjenigen, der physiologische Chemie als Hilfswissen¬
schaft betreibt, den Ueberblick über das ausgedehnte ' Gebiet.
Um so dankbarer muss daher ein Buch wie das vorliegende
begrüsst werden, das bei aller Beschränkung in gleich ausführ¬
licher wie ausgiebiger Weise über die physiologische Chemie
bis in die jüngste Gegenwart berichtet. Den neuen Errungen¬
schaften Rechnung tragend, musste der Verfasser gelegentlich
dieser Neuauflage eine gründliche Revision sämtlicher und eine
Umarbeitung der meisten Kapitel vornehmen, was zu einer
Vergrcsserung des Buchumfanges führte.
Im ersten Kapitel leitet der Verfasser in das Gebiet ein und
behandelt in den folgenden siebzehn Kapiteln nacheinander die
Proteinstoffe — die Kohlehydrate — das Tierfett — die tierische
Zelle — das Blut — Chylus, Lymphe, Transsudate und Exsu¬
date — die Leber — die Verdauung — Gewebe der Bindesub¬
stanzgruppe - — die Muskeln — Gehirn und Nerven — die Fort¬
pflanzungsorgane — die Milch — den Harn — die Haut und ihre
Ausscheidungen — Chemie der Atmung — den Stoffwechsel
bei verschiedener Nahrung und den Bedarf des Menschen an
Nahrungsstoffen.
Mit ausserordentlicher Sorgfalt hat der Verfasser das ge¬
waltige Material bearbeitet und sich bemüht, möglichst jeden
Autor, in einer bestimmten Frage zum Worte kommen zu
lassen. Leidet darunter auch die Einheitlichkeit der Dar¬
stellung, so gibt sie andererseits ein getreues objektives Bild
von der Wandlung der Lehren in der physiologischen Chemie.
Zahlreiche Literaturangaben und ein ausführliches Sachregister
ermöglichen rasche Orientierung, ein Autorenregister hat der
Verfasser auf vielfach ausgesprochenen Wunsch hin zum ersten
Male dieser Auflage beigegeben. Möge der Verfasser, der im
vergangenen Jahre durch eine von Freunden und Schülern ge¬
legentlich seines 65. Geburtstags herausgegebene Festschrift
geehrt wurde, in der Lage sein, baldigst die 7. Auflage vor¬
zubereiten. K- B ür k e r - Tübingen.
J. v. Me ring: Lehrbuch der inneren Medizin. Vierte,
teilweise umgearbeitete Auflage. 1. Abt. mit 83, 2. Abt. mit
146 Abbildungen und 6 Tafeln. Gustav Fischer, Jena
1906/07. 1228 Seiten. Preis 12 M. 50 Pf.
Die Auflagen dieses Lehrbuchs folgen so rasch aufein¬
ander, dass der Rez. dieser Tatsache kaum mehr etwas hinzu¬
zufügen braucht. Dass es sich auf der Höhe hält ist der
Grund der schnellen Folge der Auflagen und diese ist der
Grund, dass sich das Buch leicht auf der Höhe halten kann.
Ausser den eingestreuten Zusätzen und den eingefügten mehr¬
fachen neuen Abbildungen ist besonders hervorzuheben, dass
v. N o o r d e n an Stelle Klemperers die Bearbeitung der
Blutkrankheiten übernommen hat. Wenn man die vorzügliche
Ausstattung betrachtet, so wundert man sich immer wieder,
was die Verlagshandlung für den geringen Preis geboten hat.
1888
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 88.
Dass es so ist, mus man dankend anerkennen; denn unsere
Studierenden in klinischen Semestern haben jetzt wirklich ein
ebenso billiges wie zuverlässiges und anregendes Lehrbuch
der inneren Medizin. P e n z o 1 d t.
R. v. Jaksch: Klinische Diagnostik innerer Krankheiten
mittels bakteriologischer, chemischer und mikroskopischer
Untersuchungsmethoden. 6., vollständig umgearbeitete Auf¬
lage. Mit 174 teilweise mehrfarbigen Illustrationen. Urban
&. Schwarzenberg, Berlin-Wien, 1907. 640 Seiten.
Seit der letzten Ausgabe dieses, in dieser Wochenschrift
1887 No. 19, 1892 No. 33, 1896 No. 43, 1902 No. 9 besprochenen,
Werkes ist eine etwras längere Zeit verstrichen und die enorme
Arbeit auf dem in dem Buche behandelten Gebiete der Dia¬
gnostik hat an vielfachen Stellen eine Umarbeitung nötig ge¬
macht. So erscheint es wieder in durchaus modernem Kleide.
Wenn auch der Umfang und die Gründlichkeit in der Schilde¬
rung diagnostischer Methoden, die in der Praxis nicht ohne
Weiteres ausführbar sind, das Buch für den praktischen Arzt
nur als ein Nachschlagebuch brauchbar erscheinen lässt, so
ist es ein unentbehrlicher Ratgeber für jeden, der in klinischen
oder anderen der Praxis dienenden Untersuchungslaboratorien
zu arbeiten hat. Die zum grössten Teil vorzüglichen Abbil¬
dungen sowie die neu revidierten Literaturangaben erleich¬
tern ausserordentlich die praktische wie die wissenschaftliche
Laboratoriumsarbeit. Das vorzüglich ausgestattete Werk wird
somit seinen mit Recht erworbenen Platz in der Literatur auch
ferner behaupten. P e n z o 1 d t.
Carl v. Noorden: Handbuch der Pathologie des Stoff¬
wechsels. II. Auflage. II. Band. Berlin 1907. A. Hirsch-
w a 1 d.
Mit dem zweiten Band ist das grosse Werk v. Noor¬
dens vollendet und es hat in seiner Vollendung zum grössten
Teil das gehalten, was schon der erste Band versprochen hatte.
Es bildet eine erschöpfende Darstellung des Stoffwechsels unter
normalen und pathologischen Verhältnissen. Da überall die
Literatur in ausgedehntestem Masse angeführt und berück¬
sichtigt ist, so erscheint das Werk als ein fester Grundstock, auf
welchem bei künftigen Arbeiten sicher weitergebaut werden
kann. Auch für den zweiten Band ist es dem Herausgeber ge¬
lungen, die geeigneten Bearbeiter für die einzelnen Kapitel zu
gewinnen. F. V o i t.
E. Meyer und H. Rieder: Atlas der klinischen Mikro¬
skopie des Blutes. Zweite Auflage. Verlag von F. C. W.
Vogel. Leipzig 1907. Preis 15 Mk.
Der Atlas enthält 16 lose Tafeln, denen in einem besonders
gebundenen Hefte die notwendigen Erklärungen und eine kurze,
aber für den praktischen Gebrauch völlig ausreichende tech¬
nische Anleitung beigegeben sind. Die Tafeln bringen die ver¬
schiedenen Formen der menschlichen Blutzellen unter normalen
wie pathologischen Verhältnissen, sie führen ferner die wich¬
tigsten, morphologischen Blutveränderungen und zum Schlüsse
parasitäre Erkrankungen, besonders Malaria, vor. Es ist
ausserordentlich anzuerkennen, dass die vortrefflich gelun¬
genen Abbildungen nach Präparaten hergestellt sind, 'die mit
den verschiedensten Färbungen tingiert sind, und dass man
daneben in gleich guter Ausführung nach frischen Präparaten
angefertigte Zeichnungen vorfindet. Das ist meiner Ansicht
nach ein ganz besonderer Vorzug dieses Atlas, da allein durch
ein Nebeneinanderhalten verschieden gefärbter und frischer
Biutpräparate ein erfolgreiches Studium möglich ist.
Die einzelnen Zellbilder sind in hohem Grade getreu
wiedergegeben. Davon haben mich Vergleiche mit eigenen
Präparaten überzeugt. Unter anderem ist besonders erfreu¬
lich, dass einwandsfreie Bilder von Megaloblasten geboten
werden. Aber auch die übrigen roten wie farblosen Blut¬
elemente sind in guten Abbildungen dargestellt. Bei
der Deutung und Benennung der Zellen sind die Autoren mit
rühmlicher Objektivität vorgegangen. Eine Stellungnahme in
genetischen Fragen ist vermieden. Persönlich bedauere ich es
allerdings, dass die Lehren über die Trennung der lympho-
zytären und leukozytären Mutterzellen, der Lymphoblasten und
Myeloblasten, noch keinen Eingang gefunden haben. Aber trotz
dieses Umstandes möchte ich den M e y e r - R i e d e r sehen
Atlas auf das wärmste empfehlen, da er mir aus den oben ge¬
nannten Gründen sowohl zum Selbststudium wie zu Unter¬
richtszwecken in gleichem Masse geeignet erscheint. Der
billige Preis wird seine Verbreitung besonders unterstützen.
Schridde - Freiburg.
Enderlen und Gasser: Stereoskopbilder zur Lehre
von den Hernien. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1906.
Das vorliegende Werk ist für Aerzte und Studierende be¬
stimmt. Neben den schon bekannten Publikationen stereo¬
skopischer Bilder nimmt dieses Werk einen besonderen Cha¬
rakter ein; etwas ähnliches ist mir bis jetzt nicht bekannt. Vor¬
bildlich ist es in mehrfacher Beziehung: das glückliche Zu¬
sammenwirken von Chirurg und Anatom; ein Inhalt von sel¬
tener Reichhaltigkeit; praktische Unterbringung der Bilder, so
dass dieselben sowohl wie ein Atlas als auch einzeln im Appa¬
rat Verwendung finden können; ein knapper Text neben den
Fildern mit dem Hinweis auf alles Wesentliche. Mit Hingebung
und Geschick ist die Darstellung des Deszensus testiculorum,
dann die Topographie der Leistengegend, die Beschreibung der
äusseren und inneren Leistenbrüche, dann die Topographie
der Regio subinguinalis und die Darstellung der Schenkel¬
brüche gegeben. Dann folgen die selteneren Bruchformen.
Es hat mich interessiert, zu sehen, dass schon Billroth
im Jahre 1867 (Brief an Prof. Esmarch in Kiel vom 6. Fe¬
bruar 1867) stereoskopische Abbildungen von chirurgischen
Kranken herausgegeben hat. Und heute leistet die Technik
noch erheblich mehr als damals, wofür gerade das vorliegende
Werk der beste Beweis ist. Es bedeutet zum Studium der
Hernien ein Hilfsmittel, wie es bisher nicht vorhanden war,
vielleicht nicht einmal gedacht werden konnte.
H e 1 f e r i c h.
Redard: Technique orthopedique. 591 Seiten mit 492
Figuren im Text. Paris, R u d e v a 1, 1907.
Das vorliegende Buch gibt Zeugnis von dem Interesse, das
die orthopädische Chirurgie in Frankreich findet. Es gibt auf
497 Seiten im ersten Abschnitt die ganze orthopädische Technik
der Verbände, Apparate, Gipsabgüsse, der blutigen und nicht
blutigen Operationen an Weichteilen und Knochen. Der zweite
Teil bringt die spezielle Technik, welche die Behandlung der
einzelnen Leiden erfordert. Der Text ist kurz und knapp. Die
Bilder entsprechend dem Format des Buches klein, aber klar
und deutlich. Das Buch eignet sich wegen seines ungemein
reichen Inhalts und seines geringen Umfangs sehr gut als Nach¬
schlagewerk zur raschen Orientierung über technische Fragen.
F. Lange- München.
Ueber das eheliche Glück. Erfahrungen, Reflexionen und
Ratschläge eines Arztes. Wiesbaden. Verlag von J. F. B e r g-
mann, 1906. Preis 4.60 Mk. Seitenzahl 398.
Unzweifelhaft ist unter den gegenwärtig in der breiten
Oeffentlichkeit diskutierten Problemen jenes der Ehe nicht nur
eines der populärsten, sondern wirklich auch wichtigsten. Man
mag dem anonymen Verfasser des vorliegenden Werkes darin
recht geben, dass für alle die reformatorischen Bestrebungen
auf diesem Gebiete etwas notwendiges fehlt, nämlich eine, wenn
man sagen will, wissenschaftliche Einsicht in die einzelnen
Faktoren, welche das eheliche Glück bedingen. Und so hat es
der Verfasser unternommen, diese systematisch zu analysieren.
Aber ist das nicht ein Unternehmen, wie wenn man die Schöp¬
fung eines vortrefflichen Kunstwerkes aus der korrekten
Zeichnung der Umrisse, der richtigen Anwendung der Per¬
spektive, dem guten Material und der Art der Farbenmischung
erklären wollte? Zum Teil wohl. Immerhin zeigt die Durch¬
führung dieser Untersuchung, dass die sehr summarische Vor¬
stellung, welche jedem Beobachter seine Erfahrung über die
Voraussetzungen ehelichen Glückes gestaltet, theoretisch wohl
in eine Summe einzelner Leitmotive auseinander gelegt werden
kann. Praktisch freilich kann daraus wohl niemand die Sym¬
phonie des ehelichen Glückes sich konstruieren. Nach einer
Einleitung über das Glück im Allgemeinen und das eheliche im
Besonderen, wendet sich Verf. zu der Quellenforschung des
ehelichen Glückes, in welcher er prädisponierende Momente
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1889
(z. B. Lebensalter, Gesundheitsverhältnisse, Vermögen, Bil¬
dung, Religion, Beruf, sexuelles Vorleben, Motive der Ehe-
schliessung u. s. f.) und sogenannte essentielle Momente aus¬
scheidet, unter letzteren die seelischen Eigenschaften der
Gatten, den sexuellen Verkehr in der Ehe erörternd. Im 3. Ab¬
schnitt: ,,Wege zur Förderung des ehelichen Glückes“ werden
die Ehereformvorschläge der Gegenwart durchgesprochen, so¬
wie die staatlichen und individuellen Mittel zur Anbahnung
besserer Zustände, als sie heute bestehen. Verf. selbst schlägt
u. a. vor, eine nicht unter 6 Monate zu bemessende Wartezeit
für Verlobte, Einführung ärztlicher Untersuchung vor der Ehe,
Erleichterung der Ehescheidungen. Innerhalb dieses Rahmens
wird jeder Leser viel Belehrendes und Interessantes finden.
Im ganzen hat das Werk unseres Kollegen Eigenschaften, die
es in einen gewaltigen und im ganzen wohltuenden Gegensatz
zur modernen Tagesliteratur über diese Frage bringen. Es ist
eine ruhige, stellenweise fast nüchterne Erörterung, des schwie¬
rigen Problems, eine so vorsichtige und umsichtige Zusammen¬
fassung alles über unsere Frage zu Sagenden, dass es eigent¬
lich nirgends den Leser zu ernstem Widerspruch reizt; Para¬
doxa, welche, wenn sie auch unrichtig sind, doch beleben,
fehlen hier in voller Absicht, das Werk hält sich frei von allen
Uebertreibungen und Leidenschaftlichkeiten, es ist überall rich¬
tig und klug. Mancher Leser wird das vielleicht nicht span¬
nend genug finden, er will mehr schillernde Sätze, wie sie z. B.
Ellen Key in ihren geistreichen Aufsätzen so meisterlich ein¬
zuflechten versteht. Offenbar geht das vorliegende Werk mehr
nach Wahrheit und Klarheit als nach Erfolg. Möge es die vom
Verf. gewünschten Ziele erreichen!
Grass m a n n - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Heilkunde. Herausgegeben von Kretz
in Wien. XXVIII. Bd. (Neue Folge, VIII. Bd.) Jahrg. 1907.
Heft 7.
1) B rüg sch: Zur Frage der Schwanzbildung beim Menschen.
Verfasser, der schon früher auf diesem Gebiete gearbeitet hat,
bestätigt die von Konstantino witsch in der gleichnamigen
Arbeit (s. Ref. dieser Zeitschr. Münch, med. Wochenschr. 1907,
S. 532, No. 11) gemachten Beobachtungen und Schlussfolgerungen.
Entwicklungsgeschichtliche Ueberlegungen führen ebenso wie die
tatsächlichen Beobachtungen zu dem Ergebnis, dass echte Schwanz¬
bildungen beim Menschen ausserordentlich selten sind und knöcherne
Schwänze niemals Vorkommen, da die Rückbildung der embryonalen-
Schwanzwirbel schon sehr frühzeitig erfolgt.
2) Fellner und N e u m a n n: Der Einfluss der Röntgenstrahlen
auf die Eierstöcke trächtiger Kaninchen und auf die Trächtigkeit.
(Aus dem Institut für pathologische Histologie von Pal tauf und der
Heilstätte für Lupuskranke von Lang.)
Versuche an 14 Kaninchen mit Röntgenbestrahlung ergaben eine
Verschmälerung der Rinde der Ovarien, Schwund der Ureier und
der kleinen Follikel, beginnende zystische Degeneration der grösse¬
ren Follikel, Schwund des Bindegewebes und Degeneration der Fol¬
likelluteinzellen. Späterhin scheint eine Neubildung von Ureiern
stattzufinden, welche wiederum der Degeneration anheimfallen.
Der Embryo geht dabei zu gründe, wahrscheinlich unter dem
Einfluss der Ovariendegeneration, da der Rückgang der Trächtigkeit
auch dann erfolgte, wenn der Uterus gegen die Röntgenwirkung ge¬
schützt war.
Für die ärztliche Therapie dürfte die Röntgenbestrahlung zur
Erzielung eines Abortes nicht in Frage kommen, da wir zuverlässigere
und ungefährlichere Mittel hierzu besitzen. Dagegen kann die Rönt¬
genbestrahlung für den kriminellen Abort von grosser praktischer
Bedeutung sein. Sterilisierung für einige Zeit lässt sich auch bei
der Frau sicherlich durchführen. Von der Annahme ausgehend, dass
die Ursache der Osteomalazie in einer Hypersekretion des Ovariums
zu suchen sei, empfehlen die Verfasser, einmal einen Versuch mit
Röntgenbehandlung dies'er Erkrankung zu machen.
3) Kaufmaiyi: Anatomisch-experimentelle Studien über die
Magenmuskulatur (über die Riunenbildung an der kleinen Kurvatur).
(Aus dem anatomischen Institut von Zuckerkandl in Wien.)
Mit Abbildungen.
Die Arbeit, welche auf Röntgenuntersuchungen von Menschen
und auf Experimenten an Hunden basiert, zeigt, dass die motorischen
Vorrichtungen des Magens komplizierter und der Muskelapparat fei¬
ner differenziert ist, als gewöhnlich angenommen wird. Besondere
Beachtung verdient eine oft wahrzunehmende zirkuläre Einschnü¬
rung, welche das Antrum pylori von dem übrigen Magen scheidet, so
dass vorübergehend zwei ganz getrennte Lumina entstehen, und eine
an der kleinen Kurvatur sich entwickelnde Rinne, die wohl der Fort¬
leitung der Speisen vom Oesophagus her dient.
Bändel- Nürnberg.
Archiv für klinische Chirurgie. 83. Band, 4. Heft. Berlin,
Hirschwald, 1907.
45) Sprengel- Braunschweig :Der relroperitoneale Abszess im
Zusammenhang m?t den Erkrankungen der Gallenwege.
47) Kotzenberg: Erfahrungen mit der Füllung von Knochen¬
höhlen mit Jodoform-Wallratgemisch. (Chirurgische Abteilung des
Krankenhauses Hamburg-Eppendorf.)
49) Manasse: Die arterielle Gefässversorgung des S. romanuni
in ihrer Bedeutung für die operative Verlagerung desselben. Mit¬
teilung über eine Anastomose bei Mastdarmstenosen (Sigmoideo-
rectostomia externa). (Pathologisches Institut des Krankenhauses
am Urban in Berlin.)
51) K ö n i g - Altona: Ueber die blutige Behandlung subkutaner
Frakturen des Oberschenkels.
53) Haas ler: Ueber Cholezystektomie. (Chirurgische Klinik
in Halle.)
55) E h r h a r d t - Königsberg: Beiträge zur pathologischen Ana¬
tomie und Klinik des Gallensteinleidens.
Vorträge auf dem 36. Chirurgenkongress. Referate siehe No. 16
bis 20 dieser Wochenschrift.
44) M a r t i n a - Graz: Ueber Knorpelnekrose.
M. beschreibt 5 Fälle von Nekrose der Rippenknorpel: zwei
Fälle entstanden im Anschluss an Typhus, einmal lag eine infizierte
Stichverletzung, einmal eine Infektion des Knorpels beim Abpräpa¬
rieren einer Krebsmetastase vor und einmal ein vom Sternoklavikular-
gelenk fortschreitender tuberkulöser Prozess. Die Heilung der sehr
hartnäckigen Fisteleiterungen gelang erst nach radikaler Entfernung
der erkrankten Knorpelteile und ihrer Umgebung. Da es bei äusserer
Betrachtung nicht möglich ist, die Ausdehnung und das Fortschreiten
der Veränderungen im Knorpel zu erkennen, ist das radikale Ver¬
fahren, vollkommene Exstirpation des erkrankten Rippenknorpels
samt dem Perichondrium und den allenfalls gebildeten Chondrophyten,
unter Umständen auch der verdächtig aussehenden benachbarten
Knorpel, besonders wenn sie bereits kleine, mit Granulationsgewebe
ausgefüllte Substanzverluste zeigen, angebracht. Die konservative
Behandlung ist unsicher und ausserordentlich langwierig.
46) G a u g e 1 e - Zwickau: Zur Frage der Knochenzysten und der
Ostitis fibrosa v. Recklinghausens. (Mit 1 Tafel und 4 Text¬
figuren.)
G. bringt in dieser Arbeit den Sektionsbefund und die genaue
makro- und mikroskopische Untersuchung des von ihm in Band IX
der Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen beschrie¬
benen Falles von Ostitis deformans. Verf. geht dann nochmals ge¬
nauer auf die Aetiologie der Knochenzvsten ein, und fixiert nochmals
seinen Standüunkt, dass die grosse Mehrzahl der in der Literatur
mitgeteilten Knochenzvsten auf einer allgemeinen oder lokalisierten
Ostitis deformans beruhen. Dass daneben auch Knochenhöhlen durch
loikale Erweichung von Enchondromen und Sarkomen Vorkommen, wie
der kürzlich von L e x e r beschriebene Fall, wird nicht geleugnet.
Im besonderen bespricht G. endlich noch die Stellung der sogenannten
Riesenzellsarkome, die bei der Ostitis deformans meist gefunden wer¬
den und auch in seinem eigenen Falle vorhanden waren. G. sieht
diese Tumoren nicht als echte Geschwülste, sondern als entzünd¬
liche Neubildungen an und beruft sich dabei auf das ausführlich mit¬
geteilte Gutachten von Lubarsch, der den Fall von G. seziert hat.
48) H e r h o 1 d - Brandenburg: Nahschussverletzungen der
Knochen. (Mti 16 Textfiguren.)
Verf. beschreibt 15 Fälle von Schussfrakturen aus .kurzer Ent¬
fernung, die aus dem südwestafrikanischen Kriege stammen und zur
Nachbehandlung nach der Heimat kamen. Die Fälle zeigen be¬
sonders, dass durch das Ausstossen der zahlreichen Splitter infolge
von Infektion bei diesen Verletzungen sehr häufig Pseudarthrosen zu
stände kommen. Die grosse, durch das Ausstossen der Splitter ent¬
standene Lücke kann in der Regel nur dadurch ausgefüllt werden, dass
sich die beiden Knochenenden aneinanderschieben: es ist nicht zweck¬
mässig, dieses Aneinanderschieben durch gewaltsame Extension zu
verhindern. Ein Teil der beschriebenen Fälle von Pseudarthrose
wurde durch Knochennaht geheilt.
50) Coenen: Zur plastischen Behandlung der Unterschenkel-
nseudarthrosen. (Chirurgische Klinik v. Bergmann in Berlin'
(Mit mehreren Textfiguren.)
C. teilt 2 Fälle von Unterschenkeloseudarthrosen bei Kindern
mit — nach Osteotomie wegen rachitischer Deformitäten entstanden
— . die mit Erfolg mit dem Reichel sehen Verfahren der 1 ransplan-
tation eines gestielten Haut-Periost-Knochenlappens vom anderen Un¬
terschenkel behandelt worden sind. Ferner beschreibt Verf. 2 erfolg¬
reich mit Drahtnaht behandelte Fälle, und endlich einen Fall von
Pseud. am oberen Ende der Tibia mit 3,5 cm grossem Defekt, der durch
freie Einpflanzung eines PeriosUKnochenstückes aus der anderen I ibia
geheilt wurde. Die letztere Operation gewinnt dadurch besonderes
Interesse, dass sie die letzte war, die v. Bergman n in seiner
Klinik am 2. II. 07 ausgeführt hat.
52) Bircher: Eine Modifikation der Urethrotomia externa bei
der Behandlung der Zerreissungen und Strikturen der männlichen
Harnröhre. (Chirurgische Abteilung der kantonalen Krankenanstalt
in Aarau.) (Mit 1 Abbildung.)
Um die Nachteile des Dauerkatheters nach der Urethrotomie,
Urethritis und Zystitis, mit ihren Gefahren zu vermeiden, ohne seine
1890
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Vorteile aufgeben zu müssen, verfährt B. so, dass er ein etwa 7 cm
langes gekrümmtes Stuck eines Silberkatheters in die Urethra an der
Operationsstelle einlegt, das Stück mit einem Seidenfaden armiert
und nach 6 — 10 Tagen aus der Urethra nach vorne herauszieht. Die
Urethra wird, wenn es irgend möglich ist, durch Naht vereinigt. B.
hat mit seiner Methode 12 Fälle von frischer Ruptur der Urethra, 5
posttraumatische und 6 gonorrhoische Strikturen behandelt und war
sowohl mit den Operations- wie den Dauererfolgen sehr züfrieden.
Die Arbeit bringt eine sehr ausführliche Uebersicht über die
Literatur der verschiedenen bei Urethralstrikturen zur Verwendung
kommenden Methoden.
54) H e i n e k e - Leipzig: Ueber Meteorismus nach Bauchkon¬
tusionen.
H. hat in 4 Fällen nach Kontusionen des Abdomens einen inner¬
halb weniger Stunden entstehenden starken Meteorismus beobachtet.
Es handelte sich stets um Verletzungen der Oberbauchgegend durch
stumpfe Gewalt, bei denen weder eine innere Blutung noch eine Zer-
reissung des Magendarmkanals vorlag. 2 Fälle sind ohne Operation
glatt geheilt, einmal wurde eine ergebnislose Probelaparotomie ge¬
macht und einmal fand sich bei der Operation eine Abreissung der
Darmserosa ohne Eröffnung des Lumens. Der Meteorismus ging in
allen Fällen nach wenigen Tagen zurück und es trat nach kurzer Zeit
Heilung ein.
Ueber die Ursache dieses ungewöhnlichen primären Meteorismus
kann nichts Bestimmtes gesagt werden. Eine weitere Beobachtung
des Verf., einen hochgradigen primären Meteorismus bei Nierenruptur
mit ausgedehntem retroperitonealem Hämatom betreffend, legt aber
die Vermutung nahe, dass der Meteorismus in allen diesen Fällen auf
eine Schädigung der retroperitonealen Nervenplexus zurückzuführen
ist. Meist scheinen dabei grössere Blutergüsse im retroperitonealen
Bindegewebe vorzuliegen.
Bei Magendarmrupturen und bei inneren Blutungen scheint der
primäre Meteorismus so gut wie niemals vorzukommen, weil die bei
solchen Verletzungen fast immer vorhandene Spannung der Bauch¬
decken die Ausbildung des Meteorismus verhindert.
H e i n e k e - Leipzig.
Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von P. v. Bruns.
55. Band, 1. Heft. Tübingen, Lau pp. Juni 1907.
Das 1. Heft des 55. Bandes enthält Arbeiten aus der I. chirur¬
gischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses zu Hamburg-Eppen¬
dorf. Zunächst bespricht Walther Grimm die mit Skopolamin-Mor¬
phin kombinierte Inhalationsnarkose und ihre günstige Beziehung zu
den Pneumonien nach Bauchoperationen und stellt den diesbezüglich
mitgeteilten mannigfachen günstigen Erfahrungen die der betreffenden
Abteilung an die Seite, wobei das Skopolamin 0,0005 mit 0,01 Morphin
1 — U/2 Stunden vor der Operation subkutan getrennt injiziert und als
unterstützendes Moment der allgemeinen, kombinierten Chloroform-
Aether-Narkose anfangs nur bei Laparotomien, später bei allen grösse¬
ren Operationen angewandt wurde. Die Patienten werden in som-
nolentem Zustand, wobei die Aufregung vor der Operation wegfällt,
ins Vorbereitungszimmer gelagert, mit Roth-Dräger schem Appa¬
rat die Narkose eingeleitet, ohne dass es zu lästigem Erstickungsgefühl
oder Exzitation (abgesehen eventuell bei Potatoren) kommt; da keine
Salivation, kaum je Erbrechen oder Brechreiz eintritt, so ist die
Menge des Narkotikums sehr gering, sind die Pneumonien danach
wesentlich seltener. Alle 2 — 3 Tage wird das Skopolamin (M ercik)
in Lösung frisch hergestellt; Scopolamin. hydrobrom. 0,005: 10,0 Aqu.
dest., wovon 1 Spritze injiziert wird, wenn der volle Erfolg eintreten
soll. Von November 1895 ab bis 1. April 1905 wurden nach 1754 La¬
parotomien bei 43 (2,5 Proz.) postoperative Pneumonien beobachtet,
von denen 18 starben. Mit der kombinierten Narkose wurden bis
August 1906 839 Laparotomien vorgenommen mit nur 0,7 postopera¬
tiven Pneumonien, unter denen kein Todesfall zu verzeichnen ist.
Fischer berichtet über Extrauteringravidität und ihre opera¬
tive Behandlung nach den auf der betreffenden Abteilung vom Okto¬
ber 1895 bis Oktober 1905 behandelten 78 Fällen. 4 mal wurde
2 malige Extrauteringravidität bei derselben Frau beobachtet, in
68 Fällen .konnte die Diagnose vorher gestellt werden, die Hälfte der
Fälle gelangte in schwerem Kollaps mit Zeichen innerer Blutung zur
Aufnahme, alle Fälle wurden operiert, 77 mal laparotomiert, 1 mal
Kolpotomie vorgenommen. F. bespricht die differentialdiagnostischen
Momente.
Goldammer gibt Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege und
verwertet dabei 228 operativ behandelte Fälle, in erster Linie von
Choleli thiasis, aus den Jahren 1895- — 1906 (192 aus der Abteilung, die
übrigen aus Prof. K ü m m e 1 1 s Privatpraxis) und vergleicht seine
Statistik mit der K e h r s und Ritters, wovon die letztere (des In¬
ternisten) nur 0,046 Proz. Mortalität ergibt, und zeigt, dass die Sta¬
tistik über die Karlsbader Patienten ein völlig schiefes Bild von der
Bedeutung, besonders Prognose der Cholelithiasis gibt, da sie die Er¬
krankung nur von ihrer günstigsten Seite zeigt, über den endgültigen
Zustand keinen Aufschluss gibt und dass die ganz schweren akuten
Fälle darin nicht zur Aufnahme kommen und führt die Statistik von
Binder als massgebend an, der von 96 während der Dauer von
12 Jahren beobachteten Gallensteinkranken seiner Klientel 11 der
Krankheit erliegen sah. Dem radikalen Standpunkt Riedels, jede
manifeste Gallensteinkrankheit zu operieren, schliesst sich G. nicht
an, stimmt in der Indikationsstellung im wesentlichen mit Kehr und
Körte überein, d. h. operiert, wenn innere Kuren erfolglos waren
oder die Krankheit von Anbeginn so auftritt, dass interne, abwartende
Behandlung gefährlicher erscheint, als operative; er präzisiert den
Standpunkt der Kümmell sehen Abteilung dahin, dass operiert wer¬
den soll: 1. bei der akuten infektiösen Cholezystitis in jedem Stadium.
2. bei der rezidivierenden Cholezystitis, wenn auch zwischen den An¬
fällen Krankheitssymptome vorhanden, Erwerbsfähigkeit und Lebens¬
genuss beeinträchtigt sind. 3. bei Hydrops und chronischem Empyem
der Gallenblase. 4. bei pericholezystischen Eiterungen. 5. bei jedem
chronischen Choledochusverschluss. 6. bei Kombination jeder Form
des Gallensteinleidens mit Morphinismus (ausgehend von der Er¬
fahrung, dass die Entwöhnung des Morphiums nach einer Operation
leicht, ohne gleichzeitige Beseitigung des kausalen Leidens fast un¬
möglich ist). 7. bei sonst unheilbaren Folgezuständen der Chole¬
lithiasis, Cholangitis, Leberabszess, Perforationsperitonitis, sekundäre
Veränderungen am Magen und Dannkanal. 8. bei Vorliegen -beson¬
derer sozialer Verhältnisse. Nach der Kehr sehen Einteilung be¬
spricht G. nun sein Material unter Anführung der betreffenden Kran¬
kengeschichten. Von den Fällen rechtzeitig zur Operation kommender
Fälle akuter infektiöser Cholezystitis gelang es 4 von 5 zu retten, von
den im Stadium der Peritonitis operierten 7 Fällen starben 5, von ins¬
gesamt 16 akuten Fällen gelang es 10 zu retten, woraus die Berechtigung
des operativen Eingriffs ersichtlich. Bei der überwiegend häufigen
chronischen Cholezystitis hält sich K. für verpflichtet, im Interesse der
Patienten in den Fällen besonders auf Operation zu dringen, in denen
es zu Hydrops und chronischem Empyem gekommen (da der stag¬
nierende Zerfall in diesen abgeschlossenen Hohlräumen erfahrungs-
gemäss in hohem Grad zu bakteriellen Infektionen disponiert ist. Das
Material wird in 3 Gruppen eingeteilt, die Cholecystitis chron. recidiva,
der Hydrops vesicae felleae, das Empyema c. f. (38 Fälle) der Reihe
nach unter Anführung der Fälle, diagnostischer Momente etc. be¬
sprochen, sodann wird der akute und chronische Choledochusver¬
schluss durch Stein und der chronische Choledochusver¬
schluss durch Tumor, die Operation wegen anderweitiger Erkran¬
kungen der Gallenwege oder im Vordergrund stehender Komplika¬
tionen (Ileus, traumatische Ruptur etc.) und das Karzinom der Gal¬
lenwege besprochen (von letzterem 26 Fälle). G. gibt an der Hand
des 229 Fälle umfassenden Materials statistische Angaben betreffs
Alter, Geschlecht, Aetiologie etc. (von 191 Fällen konnte 8 mal ein
Trauma anamnestisch festgestellt werden), bespricht die einzelnen
Symptome, speziell u. a. -die Anwendung der Röntgenstrahlen in der
Diagnose der Cholelithen resp. deren Ergebnisse (Beck, T r e p 1 i n).
An den 228 Fällen wurden 310 einzelne Eingriffe vorgenommen (90 mal
einzeitige Zystostomie, 39 mal ideale extraperitoneale Cystendyse,
53 mal Zystektomie, 38 mal Choledochotomia ext. etc. G. betont, wie
Prof. Kümmell bei der Operation auf möglichst unkompliziertes
Arbeiten und schweigsames Operieren besonderen Wert legt, be¬
treffs der Schnittführung wurde in der Mehrzahl der Fälle pararek¬
taler Längsschnitt ausgeführt, als Nahtmaterial in Ammonium sulfur.
gekochtes festes Katgut verwendet. G. bespricht die einzelnen Opera¬
tionen und gibt eine statistische Uebersicht über die Operations¬
erfolge.
Joh. O e h 1 e r — Unsere Erfahrungen bei 1000 Fällen von
Riickenmarksanästhesie — gibt die Erfahrungen bei 1000 Fällen von
Lumbalinjektionen, die in der letzten Zeit zunehmend bessere Resul¬
tate hatten, Misserfolge seltener darboten, wenn sie auch nicht die
ideal ruhige Lage erreichten, wie nach kombinierten Narkosen nach
vorgängiger Skopolamin-Morohin-Injektion. O. schildert die bei Sto-
vain, Novokain, Alypin und Tropakokain gemachten Beobachtungen;
das letztere Mittel ist das relativ harmloseste, die Wirkung der In¬
jektion aber relativ kurz, im Mittel % Stunden. Bei 148 wurden nur
4 mal ungenügende Wirkung und 5 mal Kollapse beobachtet, auch war
die motorische Lähmung meist keine vollständige. Von frisch be¬
reiteter steriler 5 prozentiger Tropakokainlösung werden 1—1 der
1 Tropfen der üblichen Suprareninlösung 1: 1000 nach der Sterilisation
zugemischt wird, injiziert. Vor den in zugeschmolzenen Ampullen in
den Handel gebrachten Lösungen warnt Oe., da er bei ihrer Anwen¬
dung auffallend starke Nebenwirkungen (Kollapszustände) be¬
obachtete; bei alten schwachen Leuten zieht er Skopolamin-Morphium
mit Lokalanästhesie vor. Als absolute Kontraindikation für Rücken¬
marksanästhesie müssen septische und pvämische Fälle bezeichnet
werden; als warnendes Exempel fügt Oe. einen Fall infizierten Abor-
tus incompl. an. in dem der unter Lumbalanästhesie erfolgten Opera¬
tion Zerebrospinalmeningitis mit tödlichem Ausgang folgte.
C. Hartwig — Beitrag zur Kasuistik der Chyluszysten —
bespricht eine bei 49 jährigem Mann exstirpierte kindskopfgrosse
Zyste im Mesenterium des Ileum.
Kotzenberg — Operative Entfernung eines Tumors des
Ductus omphalo-mesentericus — die operative Entfernung eines pri¬
mären Karzinoms auf der Basis des nicht vollständig geschwundenen
Dottergangs bei 41 jähriger Frau.
Goldammer — Kasuistischer Beitrag zur osteoplastischen
Fussresektion — schildert die von Kümmell vor mehr als 20 Jahren
beschriebene und seitdem mehrfach geübte Operation zur Herstellung
eines Sohlenfusses nach ausgedehnter Zerstörung der Fusswurzel
(Tarsectomia post, oder totalis) unter Verzicht auf die sonst allgemein
übliche Osteoplastik nach Wladimirow - Mikulicz. G. zeigt
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1891
an den Röntgenogrammen etc. den Ansatz des Fussrestes an der vor¬
deren Tibiafläche und Fixation durch Verschraubung und die günsti¬
gen funktionellen Resultate.
H. Denks — Tumor des Okzipitallappens des Gehirns durch
Operation geheilt — gibt die Schilderung eines bei 27 jährigem Herrn
erfolgreich operierten Spindelzellensarkoms des Hinterhauptlappens,
der bei Kopfschmerz, Stauungspapille und rechtsseitiger Hemianopsie
gefunden und stumpf ausgelöst wurde.
E i c h 1 e r — Zur Behandlung der Malleolarfrakturen — gibt
eine Uebersicht der von 1895 — 1898 und von 1898 — 1906 im Eppen-
dorfer Krankenhaus behandelten Knöchelbrüche and schildert die
Vorzüge der in der letzteren Periode vorwiegend angewendeten Be¬
handlung mit Extension in Schultzscher Lade, wobei durch
unten dicht an der Sohle zusammengebrachte Heftpflasterstreifen
die Gegend der Malleolen komprimiert, ein Auseinanderweichen der
Fussgabel verhütet wird, wodurch erhebliche Besserung der Funktion
(in 71,8 Proz. gutes Gehvermögen, wie früher), Vermeidung chroni¬
schen Oedems und des bei Gipsverbandbehandlung so relativ häufigen
traumatischen Plattfusses erreicht wird.
T i 1 1 m a n n gibt die Endresultate von 228 Fixationen des Lig.
rotunda. (A 1 e x a n d e r - A d a m s sehe Operation).
Kotzenberg: Zur Frage der operativen Behandlung der
idiopathischen Epilepsie. K. führt nach Besprechung der chirurgi¬
schen Arbeiten über Epilepsie 16 in den Jahren 1896 — 1906 im Eppen-
dorfer Krankenhaus trepanierte Fälle genuiner Epilepsie an; von
diesen 13 für die Besprechung in Betracht kommen, von denen in
2 Fällen durch die Trepanation definitive, 11 Jahre bestehende, Heilung
erzielt und in 3 anderen entschiedene Besserung (bei 1 weiteren
ist die Zeit noch zu kurz) erreicht wurde, während in 6 Fällen die
Epilepsie durch die Operation nicht beeinflusst wurde. 1 Fall starb.
Derselbe bespricht „unsere Untersuchungsniethoden bei Nie¬
renkrankheiten“. Die hier speziell in Betracht kommenden chemi¬
schen, pathologischen, bakteriologischen und radiologischen Unter¬
suchungen und speziell die der funktionellen Nierendiagnostik (Kryo-
skopie etc.).
H. Kümm eil: Das Operationsgebäude des Eppendorfer Kran¬
kenhauses nach seiner Neugestaltung.
K. schildert unter Beigabe zahlreicher Abbildungen und Pläne
das vorzüglich eingerichtete neue Operationsgebäude, dessen ganzes
Parterre ausschliesslich durch die 4 aseptischen Operationssäle und
die dazugehörigen Narkose- und Untersuchungsräume (mit Nieder¬
druckdampfheizung etc.) in Anspruch genommen wird, von denen
besonders der neue grosse Operationssaal die Aufgabe zu lösen hatte,
gleichzeitig als Lehrsaal zu dienen und einer grösseren Zahl von
Studierenden und Aerzten genaueren Einblick in die Details der
operativen Technik zu gestatten. Alle Details, Wände, Boden, Sterili¬
satoren etc. werden besprochen und hat sich das Operationshaus in
seiner jetzigen Gestalt nach jeder Hinsicht bewährt (fast 4000 Ope¬
rationen wurden im letzten Jahre ausgeführt und Gästen und Zu¬
hörern genaueres Beobachten der Einzelheiten der Operation er¬
möglicht.
Manuel — Zur Bakteriologie der akuten und chronischen Ap¬
pendizitis — bespricht an der Hand von 120 Fällen 37 bei akuter
Appendizitis operierte Fälle unter Beifügung entsprechender Kranken¬
geschichten. Die bakteriologischen Befunde hierbei, das Bact. coli
com. allein oder mit anderen Bakterienarten (Kokken) bildet das
Hauptkontingent der Appendizitiserreger. Ein schwerer oder leichter
Anfallsbeginn lässt keinen definitiven klinischen Schluss auf die Art
der Krankheitserreger zu. Auch die im freien Intervall operierte
Appendix ist nie steril, enthält hauptsächlich Bact. coli. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 33 — 34.
No. 33. R. K o t h e - Berlin : Ueber die analeptische Wirkung
des Nebennierenextraktes bei akuten, schweren Herzkollapsen.
K. bespricht die stark erregende Wirkung von Nebennierenextrakt
auf das Säugetierherz (Gott lieb). Er schildert an 2 Fällen von
schweren Kollapsen nach Lumbalanästhesie mit vollkommenem Aus¬
setzen von Atmung und Herztätigkeit, die bei vollständigem Ver¬
sagen der üblichen Wiederbelebungsmittel als hoffnungslos angesehen
werden mussten und in denen die intravenöse Injektion von 0,0005
bis 0,001 Epirenan eine ganz vorzügliche war, deren Effekt; beidemal
wurde der Puls nach 10 Sekunden wieder fühlbar und kräftig, wenn
auch der eine Fall einer Aspiration beim Erbrechen erlag. Aller¬
dings ist hier grosse Vorsicht geboten, da bei den meist in Betracht
kommenden geschwächten Individuen eventuell das geschwächte Herz
der gewaltigen Anstrengung durch die starke Verengerung der Ge-
fässe und Blutdrucksteigerung erliegt. Ohne aus den auf der internen
Abteilung von Moabit gemachten Versuchen Schlüsse zu ziehen, glaubt
K. doch das Nebennierenextrakt für schwere Chloroform- und Kokain¬
kollapse empfehlen zu können.
Georg Meyer-Gotha: Ueber die Behandlung frischer Wunden.
M. hat, in dem Bestreben, den Mull wegen des Anklebens und
der dadurch oft bewirkten Stagnation und Keimentwicklung auszu¬
schalten und einen löslichen hygroskopischen Stoff als Wundbelag zu
finden, den ungeblauten Zucker in gut ventiliertem Heissluftapparat
langsam unter Schütteln auf 140 0 erhitzt und dann zu je 100 g 2 g
Salizylsäure zugefügt, diese Zuckerschicht saugt Blut- und Gewebs¬
flüssigkeit sehr energisch auf, hindert die Fibrinbildung, das darüber¬
gelegte Mull klebt nicht an, die Zuckerreste können mit Wasser¬
strahl leicht abgespült werden. M. rühmt die rasche gute Heilung
von akzidentellen Wunden etc. unter dieser Behandlung. Bei tieferen
Wunden legt M. statt Gazedrains entsprechend gearbeitete zylin¬
drische Zuckerstücke, die mehrere Tage in einer Lösung von 2 Proz.
Acidum salicylicum in 100 Alcohol. abs. gelegen haben und danach in
sterilen Gefässen unter Watteabschluss getrocknet sind, ein. Für
kontraindiziert hält er die Zuckerbehandlung bei grossen, stark ver¬
unreinigten Wunden und solchen, die eine Blutungsgefahr in sich
bergen.
B 1 a u e 1 - Tübingen : Zur Technik der Kardiolysis.
Bl. erwähnt, dass das von König empfohlene Verfahren, nur
das vordere Periost mit den Rippen dabei zu resezieren, auf der
v. Brunsschen Klinik bereits in 3 Fällen geübt wurde und in 2
(bei denen schon längere Zeit danach verflossen) guten Erfolg er¬
gab, auch Bl. erkennt die hierdurch sich ergebende wichtige Abkürzung
der Operation durch Schonung der Pleura an, wodurch die Kardiolyse
für die Patienten ungefährlicher, ihr Anwendungsgebiet ein grösseres
wird.
No. 34. Allen B. Kanavel: Eitrige Infektionsprozesse der
Hand und des Unterarms.
K. bespricht unter Beigabe entsprechender anatomischer rönt¬
genographischer Abbildungen speziell die Methoden der hiebei ge¬
botenen Inzisionen.
Schlesinger: Zur Nachbehandlung der an Mammakarzinom
Operierten.
Nach Schl, ist die Berücksichtigung der mechanischen Wundver¬
hältnisse, die Vermeidung auch nur des kleinsten Zwischenraumes im
Wundgebiete für eine Reihe von Operationen von eben so grosser
Bedeutung für den Erfolg, wie die exakte Innehaltung der Asepsis,
er empfiehlt deshalb auch, um Steifigkeit durch Organisation von
Extravasaten zu verhüten, nach Mammaexstirpation feste Ausstopfung
der Achselhöhle mit einzelnen Tupfern, ebenso die Kompression nach
Hernienoperationen.
K. Lengfellner: Ein wissenschaftlich orthopädischer Schuh¬
leisten. Sehr.
Archiv für Orthopädie, Mechanotherapie und Unfall¬
chirurgie. 6. Bd., 1. Heft.
Thomas- Köln : Zur Prothesenfrage.
Th. plädiert dafür, dass man Amputierten besonders in der
ersten Zeit nach der Operation mehr Stelzfiisse geben solle, da der
Pat. wegen des grösseren Gewichtes ein künstliches Bein zunächst
nicht dirigieren könne und ausserdem die Stumpfatrophie immer
wieder Aenderungen nötig mache. Bei Amputationen der oberen
Extremität soll der Arzt auf Beschaffung einer Arbeitsklaue hinwirken
an Stelle einer nur kosmetisch befriedigenden Hand. Für die Be¬
messung der Rente macht ja die Art des Ersatzes keinen Unter¬
schied. Die Anfertigung der Prothesen soll häufiger den ärztlichen
Instituten, die sich mit mechanischer Chirurgie befassen, übertragen
werden und nicht dem Bandagisten ohne Kontrolle überlassen bleiben.
Landwehr - Köln: Winkelmesser für die tägliche Praxis des
Orthooäden und Gutachters.
L. beschreibt einen Winkelmesser, der mittels zweier Skalen so¬
wohl bei grossen wie bei kleinen Gelenken eine genaue Messung der
Exkursionsfähigkeit ermöglicht. Genauere Beschreibung ist nur an der
Hand von Abbildungen möglich.
B y s t r o w - Königsberg : Ueber die angeborene Trichterbrust.
Im Anschluss an einen Fall, den B. beobachtete, bespricht er
die Aetiologie dieses Leidens mit Berücksichtigung aller bisher auf¬
gestellten Theorien. Bei B.s Pat. war die Einsenkung des Thorax
in der Weise gebildet, dass der rechte Arm genau hineinpasste. B.
sieht deshalb auch die Ursache der Trichterbrust in der Impression
des Armes in den Thorax durch Raumbeengung in utero. Das von
vielen Autoren angeführte Vitium primae formationis erscheint Verf.
als allerunwahrscheinlichst in ätiologischer Beziehung.
Schultze- Duisburg: Das maschinelle modellierende Redresse¬
ment des Plattfusses durch einen Plattfussosteoklasten.
Sch. benutzt eine Modifikation seines Klumpfussosteoklasten, der
ein Redressement des Plattfusses unter Leitung der Hand ermöglicht,
so dass der Apparat nur die Kraft vermehrt mit der redressiert wird.
Vorher geht eine Verlängerung der Achillessehne durch Tenotomie.
Mit den erreichten Resultaten ist Sch. sehr zufrieden.
S c h u 1 1 z e - Duisburg: Zur Behandlung des Klumpfusses.
In Beantwortung des in der Münch, med. Wochensch. er¬
schienenen Artikels von Lange: Was kann der praktische Arzt
zur Linderung des Krüppelelends tun? stellt Sch. seine Grundsätze bei
der Behandlung des Klumpfusses auf. Tenotomie der Achillessehne
soll prinzipiell in allen Fällen gemacht werden. Das Redressement
soll ausgiebig erfolgen, bis der Fuss ganz weich geworden ist. dann
Gipsverband und keine Bandagen- Dekubitus ist nur bei ungenügender
Mobilisation zu fürchten. Bei Erwachsenen muss das maschinelle
Redressement durch den Lorenz sehen und Schultze scheu
Osteoklasten dazu kommen. Damit gelingt dann die Korrektur auch
verhältnismässig leicht und vollständig.
Kof mann -Odessa: Ein Fall von angeborener Kmegelcnks-
luxation mit Fehlen der Patella. Operative Herstellung der Knie¬
scheibe.
1892
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Verf. beobachtete einen dieser seltenen Fälle von Knieluxation
mit Genu recurvatum. Da der stark gespannte (Juadrizeps die Re¬
position resp. Flexion verhinderte, so wurde der Ansatz der Qua-
drizepssehne mit der Tuberositas tibiae abgetrennt und letztere am
oberen Rand der Tibia wieder angenäht. Fs wurde damit sowohl
eine ziemlich gute Beweglichkeit erzielt als auch eine neue Patella
geschaffen.
B a d e - Hannover: Ueber das Zusammenwirken von Arzt und
Schule in Krüppelheimen.
B. tritt für ein Zusammenwirken von Arzt und Schule bei der
Behandlung der Krüppelkinder ein, da weitaus der grösste Teil (63
Proz.) an Krankheiten leidet, für die ein gemeinsames Arbeiten förder¬
lich ist. Besonders in Frage kommt dabei die spinale Kinderlähmung,
Klumpfuss, Hiiftluxation, schwere Skoliosen sowie chronische Tuber¬
kulosen, in zweiter Linie auch die zerebrale Lähmung und die
L i tt 1 e sehe Krankheit. Ein geringerer Teil eignet sich entweder nur
für die Schule (15,75 Proz.) oder nur für den Arzt (13,3 Proz.). Für
beide ungeeignet sind 7,9 Proz. Ferner ergibt sich aus der Zu¬
sammenstellung von 55 Krüppelheimen, dass davon bereits 44 Proz.
es dahin gebracht haben, dass Arzt und Schule Zusammenarbeiten.
D e s s a u e r - Aschaffenburg: Ueber einen neuen röntgenologi¬
schen Untersuchungsapparat (Trochoskop).
D. beschreibt einen Tisch zur Untersuchung mittels Röntgen¬
strahlen, der die Durchleuchtung des liegenden Pat. gestattet. Die
Röhre, die sich unterhalb des Tisches befindet, ist nach Belieben
verschieblich, sodass jeder Teil des Körpers durchleuchtet werden
kann, ohne die Lage des Kranken zu ändern. Da die Röhre voll¬
ständig eingeschlossen ist und die ausgesandten Strahlen nach Be¬
lieben abgeblendet werden können, so ist die Differenzierung auf dem
Leuchtschirm eine sehr gute. Auch für Photographie kann der
Apparat verwendet werden.
C o 1 m e r s - Heidelberg: Die Lokalanästhesie als Hilfsmittel bei
der Untersuchung von Unfallverletzten.
Bei zwei Unfallverletzten, die an erheblichen Bewegungsstörungen
infolge schmerzhafter Narben resp. Muskelpartien litten, konnte C.
durch Infiltration der schmerzempfindlichen Partien' mit Novokain¬
lösung eine völlig freie Beweglichkeit erzielen. Nach dem Ab¬
klingen der Anästhesie stellten sich die alten Beschwerden wieder ein.
C. schliesst daraus, dass eine tatsächlich lokale Erkrankung mit Re¬
flexneurose vorlag und keine Simulation. Auch hofft Verf. von der
operativen Entfernung der erkrankten Partien Heilung oder wenig¬
stens Besserung. O 1 1 e n d o r f f - Heidelberg.'
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 60.
Heft 2. Stuttgart 1907, F. E n k e.
1) B ab -Berlin: Bakteriologie und Biologie der kongenitalen
Syphilis.
Verf. gibt in einem mit ausgezeichneten Mikrophotogrammen
versehenen Ueberblick eine Darstellung der Spirochätenbefunde in
den meisten fötalen Organen, sowie eine Zusammenstellung und eine
Kritik der hämolytischen Fähigkeiten. Die Arbeit ist durch die Fülle
des untersuchten Materiales von Bedeutung. Besonders wichtig sind
wohl die Forschungen über den Infektionsmodus, der ein ausschliess¬
lich spermatogener zu sein scheint.
2) M a e n n e 1 -Breslau: Anatomische Untersuchungen über den
Bau und die Aetiologie der Hämatozelenmembran.
Das Endergebnis der preisgekrönten Arbeit lässt sich dahin zu¬
sammenfassen: Das Blut kommt nicht flüssig in die Bauchhöhle, sondern
geronnen und geformt, in seinen periphersten Schichten durchsetzt
mit organisierten Bestandteilen aus der Tubenwand stammend, Binde-
gewebskeimen, Muskelfasern, durch die eine Resorption verhindert
wird, und die Verklebungen und Verwachsungen mit der Nachbarschaft
eingehen. Von hier schreitet die weitere bindegewebige Ausbildung
der Hämatozelenmembran weiter fort.
3) v. F r a n q u e - Prag: Leukoplakia und Carcinoma vaginae
et uteri.
Die Leukoplakia vaginae ist stets als verdächtiges Symptom auf-
zufassen, da sich in fast allen bisher bekannten Fällen Karzinom
schliesslich anschloss. Daher stets mikroskopisch untersuchen! Die
Leukoplakia stellt eine auf dem Boden chronischer Entzündung ent¬
stehende atypische Epithelwucherung mit starker Tendenz zur ma¬
lignen Degeneration dar. Die weiteren Untersuchungen befassen sich
mit der Genese, Histologie und operativen Behandlung des Scheiden¬
karzinoms. Besondere Erwähnung verdienen die ausgezeichneten Ta¬
feln und Abbildungen, die der Arbeit beigefügt sind.
3) Derselbe: Zur Nekrose und Vereiterung der Myome.
Bei gangränösen, fetzig in die Scheide herabhängenden Myomen
ist bei Notwendigkeit abdominellen Vorgehens die Totalexstirpation
des Uterus nach Austamponierung desselben mit Formalingaze und
Vernähung der Zervix und zwar mit primärer Eröffnung des vor¬
deren Scheidengewölbes angezeigt und erfolgversprechend. Nekro¬
tische Myome können durch Uteruskontraktionen in die Bauchhöhle
und zwischen die Blätter des Lig. latum ausgestossen werden, womit
im ersteren Falle erhebliche Gefahren verbunden sind. Die bei Total¬
nekrose interstitieller Myome nicht selten beobachteten subfebrilen
I emperaturen sind Folge von Resorption pyogener Substanzen aus
den nekrotischen Massen. Vereiterung interstitieller Myome nach
Infektion auf dem Blutwege kann auch in der Menopause ohne
nachweisbare Ursachen Vorkommen.
Bei allen weichen Myomen ist das Anhaken des Tumors während
der Operation zu vermeiden, um die eventuell verderbliche Zcrreis-
sung des Geschwulstmantels sicher zu vermeiden.
Werner- Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrgang I. 16. Heft.
1) Karl Ernst L a u b en b u r g - Remscheid: Zur Frage der
Myomoperationen in der Schwangerschaft.
L. tritt unter Mitteilung eines diesbezüglichen Falles für ein mehr
konservatives Verfahren bei den Myomoperationen in der Gravidi¬
tät ein.
2) Bernhard Engländer- Krakau : Oberflächliche Nekrose der
Scheidenschleimhaut im Verlaufe einer Entzündung des Beckenbinde¬
gewebes.
Beschreibung eines Falles, bei welchem infolge Einfiihrens von
Ichthyolkugeln (ä 0,20) wegen Parametritis posterior die oberfläch¬
liche Scheidenschleimhaut sich nekrotisch abstiess.
3) Karl E i s e n s t e i n - Szegedin: Eine Steisszange. (Heb¬
ammenklinik Szegedin.) (Mit 2 Abbildungen.)
E. empfiehlt eine von ihm angegebene dreiarmige Steisszange.
welche so anzulegen ist, dass die Blätter je eines über den Darm¬
beinkämmen, das dritte über der Symphyse liegt. Das Anlegen ist
einfach (?!), Verletzungen der Kinder sollen nicht Vorkommen können.
•4) August Rieländer - Marburg a. L. : Ueber Erfahrungen, die
mit dem neuen preussischen Hebammenlehrbuche in Unterricht und
Praxis gemacht worden sind. (Schluss folgt.)
Heft 17.
1 ) Max v. H o 1 s t - Dresden : Wie operieren wir am rationellsten?
Mit besonderer Berücksichtigung des Pfannen stiel sehen Quer¬
schnittes. (Carolakrankenhaus Dresden.)
Gynäkologische Laparotomien sollen, wenn irgend die Verhält¬
nisse es gestatten, mittels des P f a n n e n s t i e 1 sehen Ouerschnittes
ausgeführt werden. Aufzählung der Vorzüge dieser Schnittführung
an der Hand von 143 von v. H. ausgeführten Laparotomien, bei
welchen 125 mal der Pfannenstiel sehe Faszienkreuzschnitt in An¬
wendung kam.
2) Alois R o s e n b e r g e r - Ofen-Pest: Haematoma (Thrombus)
vulvae als Geburtshindernis.
Entstehung, Symptome, Prognose, Diagnose und Therapie des
Haematoma vulvae. Im Anschluss Schilderung eines selbst beobach¬
teten Falles.
3) August R i e 1 ä n d e r - Marburg: Ueber Erfahrungen, die mit
dem neuen preussischen Hebammenlehrbuche in Unterricht und
Praxis gemacht worden sind.
Besprechung der letzten Auflage des preussischen Hebammen¬
lehrbuches 1905. Enthält Vorschläge betr. Aenderungen und Zusätze,
welche nach den in der Marburger Hebammenlehranstalt gemachten
Erfahrungen für die in Aussicht gestellte Neuauflage erwünscht er¬
scheinen. A. Rieländer - Marburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. VI. No. 4. (Juli
1907.)
1 ) Angiola Borrino-7 urin: Proteolytische Fermente im
Säuglingsurin. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Breslau.)
Es ist dem Verfasser gelungen, im Urin von Kindern jeden Alters,
auch von Neugeborenen, Uropepsin nachzuweisen. Die beim
Säugling vorhandene Menge ist zusammen mit einer entsprechenden
Salzsäurelösung im Stande, Fibrinflocken, aber nicht abgekochtes
Hiihnereiweiss zu verdauen.
~) F. G o e p p e r t - Kattowitz: Sammelreferat über Arbeiten aus
der oto-, rhino- und laryngologischen Literatur.
Referate. Albert Uffenheimer - München.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 36. 1907.
1) H. Oppenheim und M. Borchardt- Berlin : Ueber einen
weiteren, differentialdiagnostisch schwierigen Fall von Rückenmarks¬
hautgeschwulst mit erfolgreicher Behandlung.
O. bespricht die klinischen Erscheinungen bei dem 23 jährigen
Patienten, einem Schneider, bei welchem sich besonders eine spa¬
stische Parese des linken Beines mit Atrophie des M. quadriceps, fer¬
ne’.' rein spastische Erscheinungen am rechten Bein, erhebliche Sensi¬
bilitätsstörungen, sowie leichtere Blasenmastdarmstörungen fanden.
Die von B. vorgenommene Operation ergab ein von der Höhe des
mittleren Lendenmarks bis über den Konus sich hinab erstreckendes
Fibrom. Das Resultat bestand in einer erheblichen Besserung aller
genannten Störungen. Auffallend war, dass die klinischen Erschei¬
nungen ausschliesslich durch die Kompression des Markes durch den
oberen Pol der Geschwulst bedingt waren. Herr B. berichtet über
die chirurgisch interessanten Einzelheiten des Falles.
2) J. C i t r o n - Berlin : Ueber Tuberkuloseantikörper und das
Wesen der Tuberkulinreaktion,
Die hier mitgeteilten ausgedehnten Versuche und die daran ge¬
knüpften Folgerungen eignen sich nicht zu kurzem Auszuge.
3) A. G u t m a n n - Berlin : M i k u I i c z sehe Krankheit in ihrer
Beziehung zur Lues,
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1893
Die Mikulicz sehe Krankheit besteht im allgemeinen in einer
symmetrischen Schwellung der Thränen- und Speicheldrüsen. Q.
berichtet über eine von ihm gemachte Beobachtung der Art bei einem
27 jährigen Manne, welcher vor 3 Jahren bestimmt luetisch erkrankt
war. Auf Jodtherapie und allgemein kräftigende Behandlung erfolgte
ein Rückgang der Erkrankung der genannten Drüsengruppen und
schliesslich völlige Heilung. Verf. stellt eine Anzahl ähnlicher Be¬
obachtungen aus der Literatur zusammen.
4) J. Glaub er man n- Moskau: Klinische Beobachtungen über
die Einwirkung des Atoxyls auf den Verlauf des Rückfallfiebers.
Die gemachten Mitteilungen beziehen sich auf 70 mit subkutanen
Injektionen einer 20 proz. Atoxyllösung behandelte Rekurrenspatien-
ten. Alle diese Fälle zeigten keinerlei Erscheinungen von Arsenintoxi¬
kation. Bei 30 mit kleineren Dosen behandelten Fällen wurde hin¬
sichtlich der Verhütung weiterer Anfälle kein Erfolg erzielt, nur dauer¬
ten die zweiten Anfälle kürzer. Bei den anderen, mit hohen Dosen be¬
handelten Fällen kam es in 63 Proz. überhaupt nur zu einem Anfall,
auch hier bestand gutes Allgemeinbefinden und traten keine Vergif¬
tungserscheinungen auf.
5) G. Tugendreich - Berlin : Mongolenkinderfleck bei 2 Ber¬
liner Säuglingen. , . , 4 rx . ,
Die genannte Affektion besteht in dem Auftreten eines oder
mehrerer direkt über der Rima ani gelegener Flecke von Erbsen- bis
Handtellergrösse von mattblauer Farbe und kommt speziell bei Mon¬
golen und Mongoloiden, z. B. bei 90 Proz. aller Neugeborenen in
Japan, vor. Verf. konnte in der Berliner medizinischen Gesellschaft
2 Berliner Säuglinge mit dieser Veränderung, welche als Rassenmerk¬
mal bedeutsam ist, vorstellen.
6) R o 1 1 i n - Stettin: Ueber nutritive Anämie.
Verf. hat schon früher den Nachweis geliefert, dass mit dem Sin¬
ken der Azidität des Magensaftes die Durchmesser der roten Blut¬
körperchen abnehmen und kleinere Formen erscheinen. Durch Dar¬
reichung von Salzsäure kann diese nutritive Anämie günstig beein¬
flusst werden. Dieser Zusammenhang ist ein so konstanter, dass
Roll in angibt, aus der physikalischen Körperuntersuchung und
Durchsicht des frischen Blutpräparates eine ausreichende Einsicht in
die Säureverhältnisse des Magens zu bekommen. Der Zungenbelag
ist nach R. ein Symptom der nutritiven Anämie, wozu die Disposition
mit der Höhe der Papillen zunimmt.
7) C. B r u h n s - Berlin: Die Lebensprognose des Syphilitikers.
Bei Abwesenheit klinischer Symptome besitzen wir auch heute
noch kein ganz sicheres Zeichen, einen früher luetisch Infizierten be¬
stimmt als geheilt zu bezeichnen. Ueber das Schicksal der Syphi¬
litiker wird auch Aufschluss erhalten aus den Papieren der Lebens¬
versicherungsanstalten, aus welchen festzustellen ist, wie viele der
Versicherten an Folgezuständen ihrer Syphilis gestorben sind. Verf.
gibt eine Zusammenstellung solcher Arbeiten und eine Kritik der darin
enthaltenen Angaben, aus welchen im allgemeinen hervorgeht, dass
jeder 4 bis 5. versicherte Syphilitische an den Folgen seiner Infektion
stirbt, und zwar im Mittel etwa 20 Jahre nach Eintritt derselben. Wie
gross’ der Einfluss früherer Behandlung auf diese Prozentsätze ist.
lässt sich statistisch noch nicht hinreichend erkennen und wünscht
Verf. daher eine wohlorganisierte grosse Sammelforschung, welche
sich zweckmässigerweise speziell auch auf Aerzte, welche sich syphi¬
litisch infiziert haben, zu erstrecken hätte.
Grass mann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 36.
1) Heine-Greifswald: Die Diagnose und Therapie der Iritiden.
(Klinischer Vortrag.)
2) Cassirer und B a m b e r g e r - Grunewald: Ein Fall von
Polyzythämie und Zwangsvorstellungsneurose.
39jähr. Mann aus nervöser Familie, leidet an Zwangsvorstel¬
lungen sexuell-obszönen Inhalts, zeitweilig auch an Gesichtshalluzina-
tionen; daneben Bild der Polyzythämie: Vermehrung der roten Blut¬
körperchen bei normalem Leukozytengehalt, Erhöhung des Hb-Gehal-
tes, Zyanose ohne Stauungserscheinungen, Vergrösserung der Milz
und Leber. Verf. denken an möglichen Zusammenhang zwischen der
gesteigerten Reizbarkeit der Sinnessphären und Steigerung des Stoff-
Ein Beitrag zur patho-
Siehe das Referat in
Wechsels.
3) M. W e s t e n h oeff e r - Berlin
logischen Anatomie der Plethora vera.
Vortrag im Verein für innere Medizin.
No 30, S. 1508 dieser Wochenschrift.
4) W. V e i 1 - Strassburg: Weitere Beobachtungen über Unter¬
suchung des Bluts auf Typhusbazillen und auf Agglutination.
Untersuchungen an 210 Abdominaltyphusfällen ergaben folgendes.
Für die Frühdiagnose ist negative Agglutinationsreaktion nur sehr
bedingt verwertbar, die Blutzüchtung überlegen; in der 2. und
3. Krankheitswoche gewinnt die Agglutinationsprobe
Oberhand. Paratyphusbazillen konnten in 3 von 13
Blut gezüchtet werden.
5) W. Poljakoff und W. C h o r o s c h k o - Moskau
neuritis und Bakterium coli.
Vergleiche das Referat auf Seite 1895/96 dieser Nummer.
6) W. G u 1 1 m a n n - Freiburg i. B. : Zur Beurteilung und Prüfung
des Patellarreflexes.
immer mehr die
Fällen aus dem
Poly-
Verf. empfiehlt, mit einem Handtuch den Unterschenkel zu suspen¬
dieren und mit einem zweiten Handtuch den Oberschenkel etwas
schräg nach oben zu ziehen zwecks Entspannung der Muskulatur.
7) Hugo N e u h ä u ser - Berlin: Ueber Aktinomykose der weib¬
lichen Genitalien.
Mitteilung eines Falles mit dieser seltenen Lokalisation. Ob pri¬
märe oder sekundäre Infektion der Genitalien (vom Darm her), konnte
auch die Autopsie nicht entscheiden.
8) S c h ii r m a n n - Berlin: Zerreissung des Halses mit Abreissen
des Kehlkopfes.
Automobilunfall; zunächst Tracheotomie, später Annähung des
abgerissenen Larynx ans Zungenbein.
9) Gustav B r a d t - Berlin: Zur Kasuistik der Verbrennung der
Halsorgane.
10) £. S a r d e m a n n - Marburg: Die Lebensversicherung im
Kriegsfälle.
11) III. Bericht des Herrn Geh. Med.-Rat Prof. Robert Koch von
der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit.
Die Expedition begab sich von Sese aus nach Kisiba, welches zu
dem deutschen Bezirk Bukoba gehört, und nach dem Bezirk Shirati,
um die Schlafkranken in einem stehenden Lazarett zu behandeln. Die
Zahl der im nördlichen Teil von Bukoba vorhandenen Schlafkranken
schätzt Koch auf mindestens 400. Fast alle haben sich in. Uganda
infiziert, in Kisiba war die Glossina palpalis nicht aufzufinden, ln
Shirati sind nur etwa 70 Kranke vorhanden, wovon etwa die Hälfte
die Krankheit aus englischem Gebiet eingeschleppt haben. In Mohurru
wurde die Glossina palpalis gefunden, also das Bestehen eines en¬
demischen Herdes nachgewiesen. Man denkt die ca. 100 Einwohner
weiter im Innern des Landes anzusiedeln. Im Lande Kirugu, am öst¬
lichen Ende der Moribucht, scheint die Seuche in Ausbreitung begriffen
zu sein. Sie scheint überhaupt auf deutschem Gebiete an der Küste
fortzuschreiten, während im Innern nur verschleppte Fälle Vor¬
kommen. Auf der unterwegs berührten Insel Sijawanda, wo vor einem
halben Jahr ein Abholzungsversuch gemacht worden war, fanden sich
nur mehr an den nicht abgeholzten Stellen Glossinen.
R. Grashey - München.
* Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 36. R. Kauf man n- Wien: Ueber Kontraktionsphänomene
am Magen.
Durch die neueren Untersuchungen ist erkannt worden, dass die
Muskelarbeit des Magens nicht eine einfache Peristaltik darstellt, son¬
dern der komplizierte Muskelapparat eine Reihe von Bewegungs¬
formen vermittelt, welche am Eingänge in das Antrum rhythmische
Bewegungen erzielen und dadurch das Antrum von der Kardia als
vollständig getrennten Hohlraum abscheiden. Dadurch werden nach
Ansicht des Verfassers die unverdauten Speisen zunächst in die Fun¬
dushöhle geleitet, die Flüssigkeiten direkt in das Antrum befördert.
Hierzu ist in erster Linie eine von der zirkulären Kontraktion und
den Drehungen des Magens zu unterscheidende Rinnenbildung an der
kleinen Kurvatur geeignet, die von R e t z i u s und Luschka be¬
reits beschrieben, von dem Verfasser am kontrahierten Hundemagen
mit aller Deutlichkeit beobachtet wurde. An der kleinen Kurvatur
und der anliegenden kardialen Magenpartie wird die Rinne durch die
Kontraktion der Fibrae obliquae gebildet; an der Grenze zwischen
Antrum pyloricum und Magenkörper entsteht durch die Kontraktion
der Hufeisenschlinge eine zentrale Furche. So scheint die beim
Wiederkäuer deutlich ausgeprägte Teilung des Magens auch bei
anderen Tieren und dem Menschen durch die eigentümliche Kontrak¬
tion der Muskulatur zur Wirkung zu kommen. Das genauere Stu¬
dium dieser physiologischen Bewegungen der Muskulatur wird viel¬
leicht auch bei der operativen Technik noch Berücksichtigung finden
und manche funktionelle Störungen nach Operationen erklären und
'ermeiden lassen. . , ,
F. Hamburger - Wien: Zur Kenntnis der Tuberkuloseinfektion
m Kindesalter. . ,
Die statistische Betrachtung von 848 obduzierten Fallen d^r
Viener Universitäts-Kinderklinik zeigt ein Ansteigen der Tuberkulose-
läufigkeit bis zum 3. und 4. Lebensjahr (60 Proz. der Gestorbenen)
nd ein zweites Maximum (70 Proz.) in der Pubertätszeit. Als iodes-
irsache war die Tuberkulose am häufigsten im 1. Lebensjahre zu
>ezeichnen, in den späteren Jahren nahm die Letalität ab, bis zur
Pubertätszeit bereits auf 50 Proz. Besonders bemerkenswert ist die
lusserordentliche Seltenheit der isolierten D a r m t u be r k u o s e
n diesem Wiener Materiale, unter den 335 tuberkulösen Kinderle clien
var überhaupt kein sicher feststellbarer Fall primärer Darmerkt an-
[UnSj. Bartel und R. Hartl- Wien: Zur Biologie des Perlsucht-
" Das Resultat der vorliegenden Untersuchungen ist, dass die
ruberkelbazillen des Typus bovinus, in derselben Weise wie die des
I'vdus humanus, in Organgeweben — Milz, Mesenterialdiusen, Lei i,
Sen und N^ren normaler Kaninchen nach intravenöse, ^ taek tion
curze Zeit vor dem Tode — ängere £eit bei 37 steril trocken ein
beschlossen/ soweit beeinflusst werden, dass sie mit Organgeweben an
Meerschweinchen verimpft sich avirulent erweisen. Eine ähnliche Be-
1694
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
einflussung durch die Einwirkung des Blutes, wie dieser abtötende
Einfluss des Organgewebes war nicht festzustellen.
H. S c h 1 o f f e r - Innsbruck: Weiterer Bericht über den Fall von
operiertem Hyponhysentumor.
Der in No. 21/22 beschriebene Kranke lebte nach der Operation
noch 2V 2 Monate bei gutem Befinden. Nach vorhergehenden, innerhalb
8 Tagen wiederholten Anfällen von Kopfschmerz, Uebelsein, Erbrechen
und Obstipation ging er in wenigen Stunden in Bewusstlosigkeit unter
Verlangsamung der Atmung und des Pulses zu gründe. Bei der
Obduktion zeigte sich, dass ein viel grösserer Teil der Geschwulst als
angenommen wurde, bei der Operation zurückgelassen worden war.
Die durchgreifende Besserung des Befindens nach der Operation ist
jedenfalls auf die Druckentlastung und die Verkleinerung der Ge¬
schwulst zurückzuführen. Der Abfluss des Liquor nach der Operation
war jedenfalls nicht das allein Wirksame. Bei inoperabel erscheinen¬
den Fällen wird man sich demnach auch von einer 'teilweisen Ent¬
fernung des Tumors einen gewissen Erfolg versprechen dürfen. Und
das in diesem Falle erreichte Fehlen einer sekundären Meningitis wird
auch die Indikation für die basale Operation erweitern können.
Bergeat - München.
Englische Literatur.
(Schluss.)
Lawrence G. Fink: Die Radikalbehandlung der Hydrozele durch
Eversion des Sackes. (Indian Medic. Gaz. Mai 1907.)
Verf. hat die in Deutschland sogenannte Winkelmannsche
Hydrozelenoperation in Indien 21 mal mit bestem Dauererfolge ge¬
macht. Er gibt D o y n e die Priorität, da er die Operation schon
1895 (3 Jahre vor Winkelmann) beschrieben hat. In einer kurzen
Fussnote teilt der Herausgeber der Ind. Med. Gazette mit. dass schon
viele Jahre früher P r a 1 1, ein anglo-indischer Chirurg in der Ind.
Med. Gazette diese Operation als erster beschrieben hat und dass sie
seit langen Jahren in Indien erfolgreich geübt wird.
A. Mitra: Ueber die Pest in Kashmir. (Indian Medic. Gazette.
April 1907.)
Bericht über die Pestepidemie in Kashmir, die von November
1903 bis August 1904 dauerte. In der Stadt Srinagar, wo Verf. sehr
energisch gegen die Weiterverbreitung der Krankheit vorging, dauerte
sie nur 1% Monat, es kamen 56 Fälle vor, die alle tödlich endeten.
In der Umgegend kamen 1443 Fälle vor, von denen 20 geheilt wurden.
Die geheilten Fälle betrafen sämtlich Fälle von Beulenpest und kamen
gegen das Ende der Epidemie zur Beobachtung. Verf. gibt an, dass
trotz genauesten Nachforschens während der Epidemie keine Sterb¬
lichkeit unter den Ratten beobachtet wurde. Ferner gibt er an, dass
während der Dauer der Pestepidemie auffallend viele und schwere
Fälle von kruppöser Pneumonie (die nicht Pest waren) vor¬
kamen. Von 8 Kulis,, die er impfte, ehe sie mit der Fortschaffung
der Leichen und mit Desinfektionsarbeiten beschäftigt wurden, er¬
krankte einer 21 Tage nach der Impfung (H a f f k i n e sehe Vakzine)
an Pest und starb.
Alfred Austin Lendon: Puerperale Sepsis. Ligatur der rechten
Vena spermatica. Heilung. (Australasian Medic. Gazette. 20
März 1907.)
34jähr. II. Para wurde am 17. September leicht entbunden, nur
eine vaginale Untersuchung. Plazenta ging spontan und ganz ab. Am
19. September Schüttelfrost, am 20. hohes Fieber ohne lokale Sym¬
ptome. Am 21. und 22. wurde der Uterus ausgespült; am 25. wurden
die Lochien übelriechend; die Temperatur blieb hoch, am 30. starker
Schüttelfrost. An diesem Inge fühlte man deutlich eine schmerz-
hafte Resistenz rechts von der Zervix. Die Kranke war so elend,
dass ein Transport in ein Krankenhaus unmöglich schien. Nach Er¬
öffnung der Bauchhöhle von der Scheide aus fand man die Venen
des rechten Ligam. latum thrombosiert. Verf. machte nun rasch einen
Bauchschnitt und unterband die Vasa spermatica der rechten Seite
Der Douglas wurde von der Scheide aus mit Gaze drainiert. Bis
zum 10. Oktober Besserung, dann wieder höhere Temperaturen, man
spritzte 10 ccm Antistreptokokkenserum ein. Vom 27. Oktober an
rasche Rekonvaleszenz. (Ob wirklich die Ligatur der Venen die
Kranke gerettet hat, scheint zweifelhaft. Refer.)
d. Wilson Pai ry: Zur Differentialdiagnose des Menier eschen
Symptomenkomplexes. (Brit. Med. Journas. 11. Mai 1907.)
Die Hauptarbeit des Verfassers eignet sich nicht zu einem Re-
leiate, sondern ist im Originale nachzulesen; hier sei nur erwähnt,
dass vert. bei Fällen von Ohrenschwindel ganz ausserordentlich gute
Erfolge mit depi längeren Tragen eines Haarseils hatte. Fälle, die ganz
geh esse 1 1 waren, verschlimmerten sich wieder, wenn das Haarseil
fortgelassen wurde.
David Wall ace: Zur Frage der Karbolgangrän. (Ibidem.)
sn inuf rtt vieleicTht. ganz gut, dass gerade jetzt, wo durch den
l. t 1 • Je )U1 t-stag L l s t e r s die Karbolsäure (die in England übrigens
immer noch eine sehr grosse Rolle spielt) wieder in den Vordergrund
geruckt wurde, einmal wieder auf die der Karbolsäure anhaftenden
Gefahren hingewiesen wird. Verf. berichtet über selbstbeobachtete
Ealle von Gangran nach verhältnismässig geringen Verletzungen der
Emgei (meist handelt es sich um kleine Schnittwunden). Die Pa¬
tienten machten Umschläge mit Karbol, 2 mal wurde wahrscheinlich
Hiphre[f S uJlde{1 .. ang reine Karbolsäure gebraucht, in 4 Fällen war
die gebrauchte Losung sicherlich nicht stärker als 5 Proz. Niemals
waren schnürende oder impermeable Verbände angelegt worden und
stets war die ursprüngliche Verletzung eine sehr geringe gewesen.
In jedem Falle mussten die gangränösen Finger amputiert werden.
Bilton Pollard: Das Oesophagusdivertikel. (Brit. Med. Journ.
4. Mai 1907.)
Das häufigste Divertikel am Oesophagus und das, welches am
meisten zu chirurgischen Eingriffen Anlass gibt, sitzt in der Mittel¬
linie der hinteren Wand, dort, wo Pharynx und Oesophagus zu-
sammenstossen. Die Patienten bemerken gewöhnlich zuerst, dass
Speisen wieder heraufkommen, die viele Stunden vorher geschluckt
wurden. Ein sehr typisches Symptom ist ein heftiger Husten, der
anfallsweise in der Nacht auftritt und bei dem grössere Mengen
schaumigen Schleimes ausgehustet werden. Es handelt sich dabei
hauptsächlich um Speichel, der sich im Divertikel ansammelt und der
in liegender Stellung überfliesst. Das Schlucken wird allmählich
schwieriger und es tritt eine Schwellung an der linken Halsseite auf,
die sich unter gurgelndem Geräusch entleeren lässt. Wenn man das
Divertikel mit Wismutbrei anfüllt, kann man es skiagraphieren. Verf.
beschreibt dann genauer einen von ihm operierten Fall. Es gelang
ohne grosse Mühe von einem am Rande des Kopfnickers (links) ge¬
führten Schnitte aus auf den Sack vorzudringen und ihn aus dem
Mediastinum herauszuheben. Er hatte die Form und Grösse eines
Wasserglases. Der Sack enthielt keine Muskulatur, sondern nur
Schleimhaut und Bindegewebe. Nach Durchtrennung des engen Halses
wurde die Oeffnung im Schlunde mit 3 Nahtreihen (L e m b e r t) ge¬
schlossen. Die Kranke durfte sofort Milch schlucken und konnte am
6. Jage feste Nahrung schlucken. Zwei Jahre nach der Operation
war sie noch ohne Rezidiv und in bestem Wohlsein.
E. R. Ihompson: Tetanus und Serumbehandlung. (Ibidem.)
Am 2. September verletzte sich der Kranke in der Trunkenheit
mit einem Messer an beiden Ellenbogenbeugen. Am 17. September
traten Spasmen auf, die am 20. zu schweren, allgemeinen Krämpfen
wurden, die alle paar Minuten auftraten. Am selben Tage wurde sub¬
kutan 10 ccm Serum verabreicht; ausserdem 4 stündlich 2,0 Chloral
pei os. Am folgenden Morgen waren die Krämpfe geringer, traten
aber, als man das Chloral aussetzte wieder stärker auf. Man gab
wieder Chloral und auch Morphium, am Abend 30 ccm Serum. Am
22. September war der Zustand sehr schlimm, man gab Morphium
und dann in Zwischenräumen Chloroformnarkose, diese Behandlung
wurde während der nächsten 6 läge beibehalten. Am 27. September
begann die Besserung, am 6. Oktober war er bis auf Steifigkeit im
rechten Arm ziemlich wohl. Am 23. Oktober wurde er geheilt ent¬
lassen. Verf. hat nicht den Eindruck gewonnen, als ob die Serum¬
behandlung auch nur den geringsten Nutzen gebracht hätte. Die
Krämpfe waren nach den Einspritzungen eher schlimmer. Am meisten
Linderung brachten die Chloroformeinatmungen und Verf. glaubt, dass
der Patient denselben sein Leben verdankt.
Archibald G. H a y : Die Behandlung der Ischias mit Kochsalz-
injektionen. (Glasgow Medic. Journ. Mai 1907.)
. Yerf- sucht den Nerv an einem Punkt auf, der in der Mitte
zwischen dem Tuber ischii und dem grossen Trochanter liegt- er
Slch diese stelle auf d«r Haut und sticht dann die Nadel
emer 10 ccm Kochsalzlosung haltenden Spritze in den Nerv ein- das
Bern zuckt heftig, sobald die Spitze der Nadel den Nerven berührt.
Die Spritze wird rasch entleert und nachdem die Emstichstelle mit
Kol odium verklebt ist muss der Patient herumgehen. Gewöhnlich
snid mehrere Injektionen nötig, um Heilung herbeizuführen. Verf
erklärt den guten Erfolg der Einspritzungen dadurch, dass durch die
Auseinanderdrangung der Nervenfasern die Lymphbahnen wieder ge-
a,UCh Wlrd.der Stoffwechsel am Orte der Injektion an-
geiegt. Nach den von ihm gegebenen Krankengeschichten hat er
gute Dauererfolge erzielt.
l i P" Mädeod Neave: Die Wirkung des Digalens auf die Zir¬
kulation. (Scottish Med. and Surgic. Journal. Mai 1907 )
Auf Grund eigener Versuche kommt Verf. zu dem Schlüsse dass
lgalen die der Digitalis eigentümlichen Wirkungen entfaltet. Es
ist aber viel weniger wirksam und bedeutend teurer als die offizielle
Iinctura Digitalis. Es ist ebenfalls viel weniger wirksam als ent-
spiechende Quantitäten des krystallinischen Digitoxins Es ist
Vorzüge vifihnen ^ genannten Präparate> hat aber keine anderen
- — * -
r U ye.rf- hält das Argyrol fiir ein sehr nützliches Mitei, das nament-
I'c.h,be‘ Konjunktivitis und Erkrankungen der Tränenwege ausge-
lchnete Erfolge erzielt und keinerlei üble Nebenwirkungen hat Vor
für'den Kranket gC Schmerzlosigkeit Anwendung sehr angenehm
(Ibidcml)ry PCterkin: Die Behand,unS der akuten Otitis media.
Tromtp]fpl|esmPfn,hplt Fne frühzeitige und ausgiebige Inzision des
° ?! e,rung wir,d am besten mit Spülungen von
Wassers offsuperoxyd bekämpft. Es ist ganz unzulässig, dem Kranken
dm Einblasung von Borsäure oder anderen Pulvern zu überlassen
Man warte nicht zu lange mit der Aufmeisselung des Warzenfort¬
satzes, da sonst das Gehör unrettbar verloren geht
lungen. ^(IbidemT Behandlu^ der Gonorrhoe mit Spü-
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1895
Verf. hat an Leichenversuchen nachgewiesen, dass die gewöhn¬
lichen Einspritzungen, die mit der Hand gemacht werden, nicht über
die Urethra membranacea hinaufgehen. Frische Gonorrhoen be¬
handelt er mit 5 proz. Argyrollösungen, die 4 mal täglich gemacht
werden und mindestens 5 Minuten lang in der Harnröhre bleiben.
Meist schwand der Ausfluss nach 4 bis 10 Tagen; dann liess er
y2 Minute dauernde Einspritzungen von schwacher Zinksulphatlösung
machen. Viele Tripper wurden auf diese Weise in 14 Tagen geheilt.
Alle Einspritzungen müssen angewärmt werden. Man gebe dem
Kranken geschriebene oder gedruckte Anweisungen, wie und wann er
spritzen soll. Die Urethritis posterior weicht am besten den Spü¬
lungen der hinteren Harnröhre und der Blase. Verf. benutzt warme
Kal. permang.-Lösung, alle 3 Tage eine Spülung. Daneben spritzt der
Kranke mit 5 bis 10 proz. Argyrol. Von der Verwendung des Ure-
throskopes hat Verf. nicht viel Nutzen gesehen. In hartnäckigen Fällen
verwendet er die G u y o n sehen Instillationen mit starken Höllen¬
steinlösungen.
J. M’Intosh: Die Tuberkulinbehandlung der chirurgischen
Tuberkulosen der Kinder. (Ibidem.)
Verf. hat im Kinderspital zu Aberdeen 50 Kinder mit Tuberkulin
(T. R.) behandelt. Stets wurde der opsonische Index vor und während
der Dauer der Behandlung bestimmt. Es gelang in allen Fällen diesen
Index zu erhöhen; trotzdem waren die klinisch nachweisbaren Erfolge
der Tuberkulinbehandlung äusserst geringe und es ist durchaus
zweifelhaft, ob die Behandlung irgend einen Nutzen gebracht hat.
Sir Halliday Croom: Basedowkrankheit in der Geburtshilfe
und Gynäkologie. (Edinburgh Medic. Journal. Mai 1907.)
Die Basedow sehe Krankheit ist sehr häufig bei Frauen, trotz¬
dem sind Schwangerschaft und Basedow eine recht seltene Kombi¬
nation. Bei 15 000 Geburten im Hospital sah Verf. die Kombination
nie, in der Privatpraxis sah er 12 Fälle. In der Schwangerschaft
schwillt die Schilddrüse normalerweise an. Der Einfluss der Schwan¬
gerschaft auf den Basedow ist gewöhnlich ein ungünstiger. Der
Basedow scheint kaum einen Einfluss auf die Schwangerschaft aus-
zuiiben, die in der grossen Mehrzahl der Fälle ihren regelmässigen
Gang geht. Bei frischen Fällen von Basedow findet man zuweilen
irreguläre Menstruation, bei älteren öfters Amenorrhoe. Es ist des¬
halb nicht nötig, Kranken, die an Basedow leiden, das Heiraten zu
verbieten; auch kann man die Schwangerschaft in der Mehrzahl der
Fälle ruhig zu Ende gehen lassen. Es scheint allerdings, als ob die
Kinder solcher Mütter häufig Neuropathiker wären.
W. G. Porter: Zur Geschichte und Technik der submukösen
Resektion des Nasenseptums. (Ibidem.)
Gute Monographie über diesen Gegenstand. Verf. rät in der
Mehrzahl der Fälle ohne allgemeine Narkose zu operieren und die
Gegend mit Einspritzungen einer Vs proz. Kokainadrenalinlösung
unempfindlich zu machen. Auch bei der allgemeinen Narkose muss
man Kokainadrenalin lokal injizieren, man erspart sich dadurch die
Tamponade des Nasopharynx. Nach Beendigung der Narkose ist es
nur dann nötig zu nähen, wenn man eine Perforation gemacht hat. Die
' ' ' • mit in Wasserstoffsuperoxyd getränkter Gaze tam-
E. P. Cathcart: Die physiologische
die Zirkulation. (Brit. Med. Journal.
Nase wird locker
poniert.
F. J. Charteris und
Wirkung des Whiskys auf
18. Mai 1907.) „ J ,
Die Wirkung des Whisky auf Puls und Blutdruck beruht aus¬
schliesslich auf seinem Gehalt an Alkohol und nicht auf dem Gehalt
an sonstigen überdestillierten Substanzen.
W. James Wilson: Zur Isolierung des Typhusbazillus aus
infiziertem Wasser. (Ibidem.)
Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem das Wasser unter ge¬
ringem Druck evaporiert wird. Der Apparat wird abgebildet, die
Methode genau beschrieben. Der Typhusbazillus wird bei diesem
Verfahren nicht zerstört, sondern er vermehrt sich und diese Ver¬
mehrung kann noch begünstigt werden durch den Zusatz von 10 ccm
Bouillon zum Liter Wasser. Das Verfahren ist einfach und sicher.
David F o r s y t h: Die Struktur und Sekretion der Parathyreoidea
beim Menschen. (Ibidem.)
Die Gland. parathyreoidea zeigt, wie andere Drüsen, die histo¬
logischen Unterschiede des Aktivitäts- und des Ruhezustandes. Die
sogen, oxyphilen Zellen sind Zellen, die mit dem granulären Sekret
gefüllt sind, die sogen. Hauptzellen sind dieselben Zellen in der Ruhe.
Die Sekretion gelangt aus den Zellen in kleinste Lymphspalten und
Hohlräume zwischen den Zellen, von wo aus es durch grössere
Lymphgänge an der Oberfläche der Drüse gelangt. Physikalisch und
mikrochemisch zeigt dies Sekret keinen Unterschied von dem Kolloid
der Schilddrüse. Die Sekretion beginnt ersFvom 3. Lebensmonat an,
in manchen Fällen sogar erst viel später.
Edmund Olven: Die Hernien im Kindesalter. (Brit. Med.
Journal. 1. Juni 1907.)
Verf. glaubt, dass es in vielen Fällen gelingt, durch sorgfältige
Diät und Bandbehandlung den Bruch zu heilen. Sehr wichtig ist es,
die kleinen Patienten so zu lagern, dass der Kopf tief und das Becken
hoch liegt. Nur hierdurch kann man es vermeiden, dass Netz in den
Bruchsack rutscht. Man kann die Kinder sehr gut lange Zeit hin¬
durch in dieser Stellung halten. Wenn eine Operation nötig wird, so
entferne man stets den Hoden, wenn derselbe nicht herabgestiegen
War. Die Hauptsache bei der Operation ist stets die möglichst hohe
Abbindung des Sackes, sodass kein Trichter zurückbleibt. Die Bas¬
si n i sehe Operation ist bei Kindern überflüssig. Verf. rät, sich an
kein bestimmtes Lebensalter zu binden, sondern jeden Fall dann zu
operieren, wenn es angezeigt scheint.
P. Lockhart Mumm er y: Die Entfernung des krebsigen Mast¬
darms mit den Drüsen. (Ibidem.)
Verf. rät in jedem Falle von stenosierendem Mastdarmkrebs eine
präliminäre Kolotomie zu machen, dieselbe darf nur unterbleiben,
wenn man sicher sein kann, den Darm vollkommen entleert zu haben.
Wenn man kolotomiert, so lege man die Operation möglichst hoch
oben an, um nachher das Rektum noch genügend nach abwärts ziehen
zu können. In allen Fällen, in denen die Sphinkteren geopfert werden
müssen, mache man einen Kunstafter, der nachher dauernd bleibt; da
ein Inguinalafter besser zu kontrollieren ist, als ein sakraler. Verf.
rät in allen Fällen von Mastdarmkrebs das ganze Rektum zu ent¬
fernen und zwar im Zusammenhang mit den Drüsen, die in der Kreuz¬
beinhöhle liegen. Er beschrieb genau seine Operation, die übrigens
mit der schon lange von Hartmann ausgeführten und beschriebenen
perinealen Methode identisch ist.
Robert T. Leiper: Ueber zwei neue Genera von Nematoden,
die gelegentlich beim Menschen Vorkommen. (Ibidem.)
Verf. beschreibt genau zwei Askariden, die gewöhnlich beim
Hunde resp. bei der Katze Vorkommen, die aber auch zuweilen als
menschliche Parasiten gefunden werden. Beide sind gut von einander
zu unterscheiden und bilden verschiedene Genera.
W. Camac Wilkinson: Ueber den häufigeren Gebrauch des
Tuberkulins. (Ibidem.)
Verf. rät bei allen Tuberkulosen und besonders bei der Phthise
einen häufigeren Gebrauch von der Tuberkulinbehandlung zu machen.
Namentlich sollte die Sanatoriumsbehandlung stets mit der Tuber¬
kulinbehandlung kombiniert werden, da beide zusammen sehr gute
Erfolge geben.
G. F. Blacker: Herzkrankheiten bei Schwangerschaft und
Geburt. (Brit. Med. Journal. 25. Mai 1907.)
Verf. glaubt, dass die Gefahren, die Herzkranken durch
Schwangerschaft und Entbindung drohen, vielfach überschätzt werden.
Ist der Herzmuskel gesund und ein Klappenfehler gut kompensiert, so
sind die Gefahren sehr gering. Im allgemeinen kann man sagen, dass
wenn man einen Fall von Herzkrankheit und Schwangerschaft hat,
man die Herzkrankheit behandeln und auf die Schwangerschaft keine
Rücksicht nehmen soll. Wenn die Symptome der Herzkrankheit nicht
besser werden, so muss man allerdings die Schwangerschaft unter¬
brechen. Während der Geburt beobachte man genau die Herztätig¬
keit. Zeigen sich Symptome von Erweiterung der rechten Herzseite,
so begünstige man die Nachblutung oder mache einen Aderlass. In
der grossen Mehrzahl der Fälle mit gut kompensierten Herzfehlern
kann man den Mädchen ruhig die Ehe erlauben.
Malcolm Campbell: Der Einfluss der Diät auf die Entwicklung
und Struktur des Uterus. (Ibidem.)
Der Gebrauch einer exklusiven Fleisch- oder Reisnahrung be¬
wirkt eine Veränderung in der Uterusschleimhaut und zwar ver¬
mindern sich die grossen Bindegewebszellen, die zu einer physio¬
logischen Tätigkeit der Uterusschleimhaut nötig zu sein scheinen.
Diese Veränderung ist am meisten bemerkbar bei Tieren, die von der
Entwöhnung an ausschliesslich mit Rindfleisch genährt wurden. Bei
diesen Tieren entwickelt sich der Uterus überhaupt mangelhaft.
Solche Tiere sind stets steril. Verf. glaubt, dass die verminderte
Fruchtbarkeit der wohlhabenden Klassen in England zum Teil auf
die grosse Zunahme der Fleischnahrung zu setzen ist.
E. W. A. Walker: Ueber die aus dem Gelenkrheumatismus
isolierten Mikroorganismen. (Ibidem.)
Verf. glaubt, dass der von Poynton und Paine gezüchtete
Micrococcus rheumaticus der Erreger des Gelenkrheumatismus ist
und dass er als eine gut unterscheidbare Varietät der Streptokokken
aufzufassen ist. J. C. zum Busch - London.
Russische Literatur.
Fainschmidt: Materialien zur Klinik der Fleischvergif¬
tungen. (Charkowsche,s medizinisches Journal 1907, No. 1 — 2, p. 27
und 120.) .
Verf. hat 8 Fälle von Fleischvergiftung in Wladiwostok zur
Zeit des russisch-japanischen Krieges zu beobachten Gelegenheit
gehabt, die er alle auf die Lebenstätigkeit des Bacillus enteritidis
Gärtner zurückführt,, obgleich der bakteriologische Teil der Unter¬
suchung nur mangelhaft ausgeführt zu sein scheint. Er weist dabei
auf einige klinische Merkmale hin, die er in den früher beschriebenen
Fällen von Fleischvergiftung vermisst hat. Das Aussehen des. Urins
soll sehr charakteristisch sein, hellgelb, schwach getrübt, opaleszierend.
Die Opaleszenz des Urins schwand erst nach vollständigem Schwin¬
den der Vergiftungserscheinungen. Endlich weist er noch auf die
Schmerzhaftigkeit und Rigidität der Nackenmuskeln hin, ein Sym¬
ptom, das in ihm den Verdacht erweckte, es mit zerebrospinaler
Meningitis zu tun zu haben. _ , ... .
W. P o 1 j a k o w und W. Choroschko: Polyneuritis und
Bacterium coli commune. (Medizinische Rundschau, herausgege >en
von der Gesellschaft russischer Aerzte in Moskau. Red.: W. bpri-
m o n. Bd. LXVII, 1907, No. 1, p. 3.)
18%
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Durch Bacterium coli hervorgerufene Polyneuritis ist bis dato
nicht beobachtet worden. Die Verfasser beschreiben einen typischen
ball dieser Erkrankung des Nervensystems, bei dem sie "es für mög¬
lich halten, dass er auf die Lebenstätigkeit des Bact. coli zurück¬
zuführen ist.
Mit den klinischen Beobachtungen verbanden die Verfasser pa¬
thologisch-anatomische, sowie experimentelle Untersuchungen. Durch
Toxineinspritzungen gelang es ihnen, in den Organen von Meer¬
schweinchen dieselben pathologischen Erscheinungen hervorzurufen,
die sie bei ihrer Patientin vorgefunden hatten. Das Bacterium coli
konnte stets in höchst virulentem Zustande aus dem Urin der Kranken
isoliert werden.
A. Wyssotsky: Die Veränderungen des Blutes bei septischen
Erkrankungen. (Ebenda, No. 2, pag. 136.)
Auf grund früherer Untersuchungen, die der Verfasser zu einem
allgemeinen Bilde gruppiert, kommt er zu folgenden Schlussätzen:
I. Die Konzentration des Blutes fällt stark, wobei die Energie dieses
Prozesses von der Schwere des Krankheitsfalles abhängt, 2. die
Quantität des Trockenrückstandes und des Blutserums nimmt ab,
3. nur in seltenen Fällen kann im Serum Hb konstatiert werden,
4- das Blut wird bedeutend ärmer an weissen Blutkörperchen.
L. Ehrlich: Ueber den Erreger der Syphilis. (Russisches
Journal für Haut- und Geschlechtskrankheiten, 1907, Bd XIII
pag. 22.)
Die Beobachtungen des Verfassers umfassten 22 Syphilisfälle
und 12 gesunde Menschen, die zur Kontrolle herangezogen waren.
V on den 22 Syphilitikern, deren Krankheit klinisch unzweifelhaft
festgestellt war, gaben 17 positiven Spirochätenbefund. Die 12 Kon-
trol hälfe gaben nie positives Resultat auf das Vorhandensein der
Silberspirochäte. Was die Syphilitiker anbetrifft, so handelte es sich
in 1 1 Fällen um harten Schanker, wobei 9 mal Spirochäten gefunden
wurden, in Schleimhautpapeln wurden 4 mal von 5 Fällen die Spiro¬
chäten nachgewiesen. Papulöse Hautsyphiliden wurden nur 1 mal
beobachtet und zeigten gleichfalls das Vorhandensein der Spiro-
chaete pailida. Negativen Spirochätenbefund gaben ein Fall von Ro¬
seola, sodann das Blut eines Syphilitikers im zweiten Inkubations¬
stadium und die Hautgummen eines 4 jährigen Kindes.
Auf Grund seiner Beobachtungen kommt der Verfasser zu folgen¬
den Schlussätzen. 1. Spirochaete pailida ist eine ständige Begleiterin
derjenigen syphilitischen Produkte, deren Kontagiosität auch klinisch
leststeht, 2. morphologisch steht der Spirochaete pailida die Spiro¬
chaete refringens am nächsten, doch ist die scharfe Unterscheidung
dieser zwei Typen auf Grund einiger Merkmale möglich (Charakter
der Spiralbildung, Geisselbildung etc.), 3. in Produkten nicht syphi-
li tischen Charakters muss das Vorhandensein der Spirochaete pal-
lida als nicht bewiesen betrachtet werden. Die Unterscheidung
der banalen Spirochätenformen, die wir hier antreffen, von der Silber¬
spirochäte macht keine Schwierigkeiten.
Prof. W. Sarubin: Ueber aussergeschlechtliche Syphilisan¬
steckung. (Ebenda, Febr., pag. 100.)
Der Verfasser gibt Daten über 117 Fälle aussergeschlechtlicher
Ansteckung. Im ganzen gingen durch seine Hände 5305 Syphilis-
talle (dai unter 869 Ulcus durum und 4436 Lues): davon entfielen 1145
(179 bezw. 966) auf seine Privatpraxis und 4160'(690 bezw. 3770) auf
Hospitäler.
Das Verhältnis der aussergeschlechtlichen Fälle zu sämtlichen
Syphilisfällen, 47 zu 5305, gleicht 0,88 Proz. Das Verhältnis der
aussergeschlechtlichen Fälle von Ulcus durum zu den geschlecht¬
lichen, 4/ zu 869, beträgt 5,40 Proz. Das Verhältnis der ausserge¬
schlechtlichen Syphilisfälle zu sämtlichen Fällen in der Privatpraxis,
47 zu 1145, beträgt 2,35 Proz. Das Verhältnis des aussergeschlecht-
lichen Ulcus durum zum geschlechtlichen in der Privatpraxis, 27 zu
J/T beträgt 15,08 Proz. Das Verhältnis der aussergeschlechtlichen
Syphilis zur Syphilis im allgemeinen jn Hospitälern, 20 zu 4160, be¬
trägt 0,47 Proz. Das Verhältnis des aussergeschlechtlichen Ulcus
dm um zu den geschlechtlichen in Hospitälern, 20 zu 690 beträgt
2,89 Proz. Die einzelnen Fälle aussergeschlechtlicher Ansteckung
sind sehr^ ausführlich beschrieben und bieten viel Interessantes,
Di. S. Bogroff: Ein Fall aussergewöhnlicher Lokalisation der
primären Syphilisinfektion. (Praktitschesky Wratsch, 1907 No 7
pag. 121.) , 1
\ erfasser hatte die Gelegenheit, das primäre Geschwür im
Rektum 8 cm vom Anus entfernt zu beobachten.
Max Grimm- Moskau.
Amerikanische Literatur.
L. N. D e n s 1 o w: Eine neue Ansicht über die Ursache der Tabes
dorsalis. (Med. Record, N. Y., No. 24.)
Verfasser ist der Ansicht, dass die pathologischen Veränderungen
dieser Krankheit durch langanhaltenden Reizzustand peripherischer
Nerven hervorgerufen werden. Während er viele der von ihm be¬
obachteten Fälle nicht auf Syphilis zurückführen konnte, fand er in
allen Fällen ohne Ausnahme irgend eine Form peripherischer Rei¬
zung vor. 1 ast in allen Fällen war die Reizung im Urogenitalsystem
zu suchen. Ob in jenen Fällen, welche von Atrophie des N. opticus
begleitet sind, übermässige Anstrengung der Augen die erregende
Ursache sei. vermag V. nicht zu entscheiden. Gestützt auf seine
I heorie hat er eine Anzahl von Patienten durch Hebung des Reizzu¬
standes behandelt und hat Heilungen in mehreren, Besserung in allen
Fällen erzielt.
L. A. Gönner: Akute Magenerweiterung und ihr Verhältnis zu
mesenterialer Obstruktion des Zwölffingerdarmes. (Am. Journ of
Med. Sc., Phila., No. 3.)
Die akute Magenerweiterung entsteht unter sehr verschiedenen
Bedingungen, ist aber besonders häufig nach Operationen unter all¬
gemeiner Narkose. In der Mehrzahl der Fälle begleitet sie eine
Erweiterung des Duodenums. Der Mechanismus der akuten Magen¬
erweiterung ist noch nicht ganz aufgeklärt, aber in einer grossen
Zahl von Fällen (vielleicht der Hälfte) geht die Magenerweiterung
mit duodenaler Obstruktion einher und scheint die Folge derselben
zu sein. Weitaus die gewöhnlichste Ursache dieser Obstruktion ist
die Verengerung des unteren Endes des Zwölffingerdarmes. Eine
solche Verengerung kann nur statthaben wenn die Mesenterialwurzel
mit der Art. mesent. sup. straff über das Duodenum gestreckt wird
und dies scheint nur möglich zu sein, wenn ein Zug ausgeübt wird
durch den über den Rand des kleinen Beckens hängenden Dünn¬
darm. Die Entstehung mesenterialer Konstriktion wird daher be-
* giinstigt durch irgendwelche Umstände, welche den Eintritt des
Dünndarmes in das kleine Becken erleichtern (Rückenlage, langes
Mesenterium etc.). Ein hoher Grad von MagenerWeiterung ver¬
mehrt zweifellos die Neigung zu mesenterialer Obstruktion dadurch,
dass die Gedärme in das Becken gedrängt werden und dient dazu, die
Obstruktion, wenn sie einmal besteht, vollständiger und permanenter
zu machen, indem sie das Zurückweichen des Darmes au$ dem Becken
verhindert. Ob die Magenerweiterung oder die mesenteriale Ob¬
struktion den ersten Schritt zu diesem krankhaften Zustand bildet, ist
noch ungewiss, aber es unterliegt keinem Zweifel, dass wenigstens
in einigen Fällen die duodenale Obstruktion der Magenerweiterung
vorausgeht.
H. C. Gor dinier: Die Lage des motorischen Gebietes der
menschlichen Grosshirnrinde. (Am. Journ. Med. Sc., Phila., No. 5.)
Verfasser beobachtete drei Fälle von Erkrankungen des mo¬
torischen Gebietes (Glioma, Abszess, Gumma) und kommt zu folgen¬
den Schlüssen: 1. Es gibt ein bestimmtes Gebiet in der Grosshirn¬
rinde, welches die motorischen Funktionen regiert. Dieses Gebiet
umfasst die präzentrale Windung und ihren parazentralen Anhang. Die
Basen der oberen und mittleren frontalen Windungen sollten viel¬
leicht mit inbegriffen werden. 2. Die motorischen und sensorischen
Gebiete des Gehirns sind vollkommen getrennt von einander, obgleich
sie von einander abhängig sind, wie dies im Rückenmark der Fall
ist.
G. M. Edebohls: Untersuchung und Entkapselung der zweiten
Niere vor der Beendigung einer Nephrektomie. (Journ. Am. Med.
Ass., Chicago, No. 22.)
Die Untersuchungsmethoden der funktionellen Tätigkeit der
Nieren sind zur Zeit noch unvollkommen und unzuverlässig. Im
Falle einer Nephrektomie verfährt Verfasser daher folgendermassen:
1. Einschnitt und genaue Untersuchung der zu entfernenden Niere,
wobei Harnleiter und Blutgefässe an der Nierenwurzel sorgfältig ge¬
schont werden. 2. Wenn sich durch die Untersuchung die Notwendig¬
keit einer Nephrektomie ergibt, wird die Niere vorläufig belassen und
ein zweiter Einschnitt über der anderen Niere gemacht. Wenn die
zweite Niere in gesundem Zustande befunden wird, wird die Wunde
einfach geschlossen und die krankhafte Niere entfernt. Wenn jedoch
auch die zweite Niere als krankhaft befunden wird, werden beide
Nieren belassen, es sei denn, dass eine Entkapselung als vorteil¬
haft erkannt wird. Vorteile dieses Verfahrens: 1. Absolut sichere
Feststellung der Existenz einer zweiten Niere. 2. Möglichkeit einer
genauen Untersuchung derselben. 3. Möglichkeit einer Entkapselung
der verbleibenden Niere.
Die letztere auszuführen ist Verfasser mehrmals in der Lage
gewesen, um dem Tode durch Niereninsuffizienz soviel als möglich
vorzubeugen. Nach ihm hat die Entkapselung zwei konstante und
unveränderliche Wirkungen: 1. Sie vermehrt die tägliche Ausschei¬
dung des Harnstoffes. 2. Sie setzt die Niere in den Stand eine
grössere Arbeit als sonst zu vollbringen.
D. Riesman: Das akute Lungenödem mit besonderer Berück¬
sichtigung einer wiederkehrenden Form. (Am. Journ. Med. Sc., Phila
No. I.)
1. Es gibt eine Form des akuten Lungenödems, die augenscheinlich
ohne eine erregende Ursache auftritt und oft in kurzer Zeit mit Tod
endigt. 2. Genesung von einem Anfall ist häufig, aber die Krankheit
hat eine bemerkenswerte Neigung wiederzukehren. Die Anfälle kom¬
men plötzlich, gewöhnlich bei Nacht, und bedrohen das Leben des
Patienten. 3. Die klinischen Ursachen sind verschieden; Arterioskle¬
rose, Herz- und Nierenkrankheiten sind die wichtigsten. 4. Die Pa-
thogenese ist dunkel; vasomotorische Störungen und eine abnorme
Tätigkeit dei beiden Herzkammern (hauptsächlich der rechten) sind
die Hauptfaktoren. 5. Die hauptsächlichsten Symptome sind qual¬
volle Dyrspnoe, Zy^anose. Husten, Auswurf einer eiweissartigen Flüs¬
sigkeit und äusserste Abmattung. 6. Ueber den Lungen, besonders
über den oberen Partien hört man das charakteristische feuchte
Rasseln des Oedems. 7. Die wichtigsten Heilmittel sind Aderlass
trockene Schröpfköpfe und herzstärkende Mittel.
E L. Key es: Die Hodentuberkulose. (Ann. of Surg., Phila.,
No. 6.)
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1897
1. Die Hodentuberkulose ist 'klinisch niemals eine isolierte Erschei¬
nung. sondern sie ist nur die Aeusserung einer allgemeinen Genital-
tuberkulose, denn es besteht häufig Sterilität zur Zeit da der erste
Hoden angegriffen wird und man kann deutliche Zeichen einer Ent¬
zündung der inneren Genitalien bemerken. 2. Die Tuberkulose tritt
im anderen Hoden in weitaus den meisten Fällen innerhalb weniger
Jahre auf und zwar kann dies nicht verhindert oder aufgeschoben
werden durch eine frühzeitige Entfernung des krankhaften Hodens.
3. In keinem Falle ist die Heilung eine sichere, wenn der tuberkulöse
Nebenhoden nicht entfernt wird, und eine leichte Hodentuberkulose
wird sicher spontan heilen, wenn der Nebenhoden exstirpiert .worden
ist. 4. Die Epididymektomie ist die folgerichtige Operation, es sei
denn, dass eine hyperakute Epididymoorchitis besteht oder dass der
Hoden durch Eiterung zerstört worden. 5. Diese Operation hat eine
günstige Wirkung auf das allgemeine Wohlbefinden des Kranken
sowie auf die Tuberkulose der inneren Genitalorgane. Sie sollte daher
frühzeitig ausgeführt werden, selbst in denjenigen Fällen, in welchen
die Hodentuberkulose nur eine unbedeutende Aeusserung einer allge¬
meinen progressiven Tuberkulose darstellt oder oft viele Jahre lang
das einzige äussere Zeichen der Krankheit bildet.
F. A. Marshall: Die vergleichende Physiologie der Men¬
struation und verwandter Prozesse. (Internat. Clin., Phila., II.)
Verfasser kommt zu folgenden Resultaten: Das Ovarium ist ein
Organ, das ein inneres Sekret absondert. Dieses Sekret, welches im
Blut zirkuliert, bringt eine Reihe von Veränderungen hervor, welche
dazu beitragen, das Phänomen der „Brunst“ und der Menstruation
herbeizuführen. Nach der Ovulation bildet sich das Coipus luteum
und dieses Gebilde scheidet ein weiteres Sekret aus, das für die
Veränderungen während der Bildung lind Entwickelung des Embryos
in den ersten Tagen der Schwangerschaft von wesentlicher Wichtig¬
keit ist. Hieraus folgt, was pharmakologisch wichtig ist, dass die
Wirkungen des Ovarialextraktes verschieden sein müssen je nach dem
Zustande der Tiere (brünstig, nicht brünstig, trächtig), von welchen
das Extrakt gewonnen wird.
G. G e 1 1 h o r n: Eine neue Behandlungsweise des nichtoperierten
Uteruskarzinoms durch Azeton. (Journ. Am. Med. Ass., Chicago.
No. 17.)
Um den unausstehlichen Geruch, der das Uteruskarzinom be¬
gleitet, zu beseitigen und das Leben der Patientin erträglich zu
machen, gebraucht der Verf. Azeton, das vermöge seiner bedeutenden
hygroskopischen Eigenschaft alle Gewebe zum Schrumpfen bringt und
härtet. Das Karzinom wird zuerst mit der Kürette ausgekratzt und
die Höhlung mit Watte sorgfältig getrocknet. Dann wird etwa eine
Unze Azeton durch ein Rohrspekulum in die Wunde gegossen, zu
welchem Zwecke das Becken erhöht wird wie in der T r e n d e 1 e n-
bürg sehen Lage. Die Narkose wird dann eingestellt und nach
15 — 30 Minuten lässt man das Azeton durch das Rohrspekulum wieder
abfliessen. Bei der weiteren Behandlung ist die Narkose nicht mein
notwendig. Das Azeton wird ohne Kürettage 2 — 3 mal wöchentlich
appliziert. Sowie die Höhlung sich verringert, werden kleinere
Spekula verwendet. Resultate: Verschwinden des unausstehlichen
Geruches, Verhinderung von Blutungen. Abnehmen der Wundhöhle,
Besserung des Allgemeinbefindens der Patientin.
L. K- Baldauf: Die Chemie des Atheroma und der Verkalkung.
(Albany Med. Annals, No. 1.) „ , . , , .
1. Die Abwesenheit von Kalkseifen in den Extrakten veischie-
dener Aorten, die untersucht wurden, lässt darauf schliessen, dass
bei pathologischer Verkalkung wenigstens der Aorta, die Bildung von
Kalkseife kein intermediärer Prozess ist. 2. Die Analysen der Rück¬
stände scheinen auf die Tatsache hinzuweisen, dass in pathologischer
Verkalkung die anorganischen Salze in ungefähr demselben Verhalt-
niss abgelagert werden wie bei der normalen Knochenbildung. Dies
bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass die Prozesse, welche
pathologischer Verkalkung und normaler Knochenbildung voraus¬
gehen, identisch sind. 3. Der bemerkenswert hohe Prozentsatz des
Lezithins im Anfangsstadium der Verkalkung und die Tatsache, dass
mit der Vermehrung des Kalkgehaltes eine gleichzeitige Verminde¬
rung des Prozentsatzes an Lezithin Hand in Hand geht, fuhit zui
Vermutung, dass das Phosphatradikal durch den Zeifall des Lezi-
thin geliefert wird. . „ . , . . .
C. A. H e r t e r: Ueber bakterielle Prozesse im Darmkanal in eini¬
gen Formen vorgeschrittener Anämie, mit besonderer Rücksicht auf
die Infektion durch Bacillus aerogenes capsulatus (B. Welchn).
(Journ. Biolog. Chem., N. Y., No. 1.) .
1. Der B. aerog. caps. wird in geringer Anzahl öfters im Darme
gesunder Erwachsener und gesunder Kinder vorgefunden. 2. In
krankhaften Zuständen ist dieser Bazillus in grosser Anzahl vertreten.
3. Viele diarrhoische Erkrankungen bei Säuglingen und künstlich er¬
nährten Kindern sowie viele krankhafte Störungen im Darme Er¬
wachsener sind mit ziemlicher Sicherheit auf den B aerog. caps.
zurückzuführen. 4. Die übermässige Gasbildung und nachfolgende
Flatulenz in vielen Fällen von Kapsulatusinfektion sind auf über¬
mässige saccharobutyrische Gärung zurückzuführen. 5. B. aerog.
caps. wirkt stark hämolytisch. 6. Viele Fälle primärer perniziöser
Anämie sowie Fälle von sekundärer Anämie ^weisen deutliche Meik-
male einer übermässigen saccharo-buty rischen Garung aut. 7- *
einigen Fällen vorgeschrittener Anämie zeigen die Fäzes, sowie das
Blutbild und die allgemeinen Verhältnisse sich günstiger gestalten.
eine deutliche Verminderung in der Zahl des B. aerog. caps. 8. Die
engen Beziehungen zwischen gewissen Anämien und dei Kapsulatus
infektion des Magendarmkanals führen zu der Vermutung, dass diese
Infektion in einem ursächlichen Verhältnis zu diesen Anämien steht,
obgleich der experimentelle Beweis soweit noch fehlt.
Dr. A. Allemann.
Otologie.
P Tetens Haid: Ueber die Steigerung des spezifischen Ge¬
wichtes des Ohreiters bei Otitis tned. suppurativa acuta als Indikation
für die Eröffnung des Proc. mastoideus und über die mit der Häm¬
in e r s c h I a g sehen Dichtebestimmungsmethode verbundenen Fehler.
(Aus der Klinik und Poliklinik für Hals- und Ohrenkranke des Kom¬
munehospitals zu Kopenhagen. Dir.: Prof. Holger Mygind.) (Zeit-
schr. f. Ohrenheilk., 53. Bd.. 4 Heft.) ..
Verf. hält es für zweifelhaft, ob man überhaupt die Diagnose
eines Empyems des Warzenteils mittels Dichtebestimmungen des im
äusseren Gehörgang gefundenen Eiters stellen kann.
F. Voss -Riga: Lasst den Thrombus in Ruh! (Ibidem.)
Verf. warnt vor der Anwendung des scharfen Löffels im er-
öffneten Sinus und empfiehlt Inzision und Abtragung der ausseren
Sinuswand fast in der ganzen Ausdehnung des Thrombus, so dass
er frei zutage liegt und etwa vorhandene infektiöse Massen einen
Abfluss nach aussen haben. Der Thrombus bleibt an seinei -Jene
liegem a g g j a u e r . München: Die Difierentialdiagnose bei den endo-
kraniellen otogenen Komplikationen. (Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung,
Unter Anführung mehrerer Fälle beleuchtet Verf. die Schwiei ig-
keiten, welche sich beim Zusammentreffen einer entzündlichen Mittel-
ohrerkrankung mit einer anderen allgemeinen Erkrankung für die
richtige Beurteilung namentlich hinsichtlich der Vornahme operativei
Eingriffe ergeben. .. . , „ .. ... . . . nhr
Fritz Scholz-Berlin: Hyperämie als Heilmittel bei Ohr¬
erkrankungen. (Sammelreferat.) (Deutsche militärärzthehe Zeitschi.,
^Datfach präzisiert sich der gegenwärtige Standpunkt in dieser
Frage folgendermassen:
Für die Stauungsbehandlung eignen sich _
]. alle akuten entzündlichen Prozesse des äusseren Gehoigangs,
in erster Linie die Furunkulose, , , „„
2. von Mittelohrerkrankungen alle nicht infektiösen, akuten, un¬
komplizierten einfachen und die eitrigen, • .
3. die akuten Mastoitiden mit und ohne Abszessbildung.
Auszuschliessen von dieser Behandlung sind:
1. alle akut-infektiösen Otitiden (nach Influenza, Scharlach etc.),
2. alle chronischen Mittelohrerkrankungen,
3. alle Otitiden mit intrakraniellen Komplikationen.
Weitere Kontraindikationen für die Kopfstauung sind: Rachen¬
wucherungen bei Kindern, grosse Drüsenpakete am Halse, tiefe ie Ei¬
krankungen von Kehlkopf und Luftröhre, Struma, Arteriosklerose,
Diabetes und Stauungskrankheiten. , ,
Mit Recht bemerkt Verf. noch: „Für die Sprechstunde und
• Klientel des prakt. Arztes ist die venöse Hyperämie am Kopf leidei
nicht zu gebrauchen. Sie muss in den meisten Fallen auf das Krank ei-
haus beschränkt bleiben, wo der Pat. unter ständiger Beobachtung
steht ^
E. U r bau tschitsch- Wien: Ueber die Beziehungen der
Nasenrachenerkranktingen zur Taubstummheit. (Monatsscln. fui
Ohrenheilk., 41. .Tahrg., 3. Heft.) tt , , rptl
Ueberblickt man die Ergebnisse der Untersuchungen nach ihren
Hauptpunkten, so findet man, dass die meisten Taubstummen an chro¬
nisch-katarrhalischen Mittelohrprozessen leiden, dass feiner die Mehi-
zahl derselben eine mehr oder minder heftige chronische 1 haryngitis
aufweist und dass die Taubstummen fast durchweg Neigung zu Hyper¬
plasien des lymphatischen Gewebes im Nasenrachenraum aufweisen.
D ö 1 g e r - Frankfurt a. ivv.
Inauguraldissertationen.
Universität Berlin. August 1907.
45. Käscher Sara: Die Oberflächenspannung von Körpersäften
unter normalen und pathologischen Bedingungen.
46 Drevbladt Hermann: Ueber das Pseudoadenoma adatnan-
tinum, mit besonderer Berücksichtigung der Diagnose und
47. EisSmann Arnold: Zur Kenntnis des chemischen Verhaltens
Hpt Toxine
48. Marimön Juan: Beiträge zur Kenntnis der Darmbewegungen.
49 Pabow Erich: Zur Prognose der Otitis media im Saughngsa c .
50. Ressel Adolf: Ueber fäkale Verunreinigungen auf Obst und
51. Taub mann Judel: Ikterus im Frühstadium der Syphilis.
Universität Erlangen. Juli August 1907.
8. Daxl Gottfried: Ein Fall von Fibrom der grossen Schamlippe
9. JtUmefer Karl: Ueber eine,, Kall von Thrombose der rechten
1898
Arteria pulmonalis und Bildung eines Kollateralkreislaufes in den
Lungen.
Ui. Miller Eduard: Ueber einen Fall von einem Fremdkörper in den
Luftwegen.
11. Rothdauscher Anton: Beitrag zur Pathologie und Therapie
der Ileozoekaltumoren.
12. Städtler Heinrich: Ueber den diagnostischen Wert des Dermo¬
graphismus.
Universität Jena. August 19D7.
21. der mann G.: Ueber vorzeitige Lösung der normal sitzenden
Plazenta.
22. Kessel Otmar H.: Zur Kasuistik der hysterischen Dämmer¬
zustände.
22. N i p p o 1 d Otto Ernst Theodor: Ueber Verletzungen des Os navi-
culare pedis.
24. Dunzelt Hans: Beiträge zur Pathologie und Therapie des Lichen
ruber planus mit besonderer Berücksichtigung der Arsenbe¬
handlung.
25. Lehmann Friedrich: Ein unter dem Bilde der amyotrophischen
Lateralsklerose verlaufener Fall von Syringomyelie.
26. Serno Otto: Ueber die Beziehungen zwischen Schwangerschaft,
Wochenbett und Tuberkulose.
• Universität Leipzig. August 1907.
88. Voll brecht Richard: Ueber Arteriosklerose.
89. Zachen Richard: Ileus bei Schwangerschaft.
90. Kuttner Ernst: Ueber die Wahrnehmung passiver Bewegungen.
91. Hahlweg Ernst Karl: Kasuistische Beiträge zur Kenntnis der
otogenen serösen Meningitis.
Auswärtige Briefe.
Briefe aus Amerika.
Das Rockefeller Institute for Medical Research in New
York. — Frau E d d y und Christian Science. — Sanitäre Ver¬
hältnisse auf den Philippinen.
Die grossartige industrielle und kommerzielle Entwicke¬
lung der Vereinigten Staaten während der letzten vierzig Jahre
hat eine sehr grosse Zahl von ungeheuer reichen Leuten ge¬
schaffen. Viele dieser Geldkönige zählen ihr Vermögen nach
Hunderten von Millionen. So gewaltige Vermögen sind in den
letzten Zeiten angesammelt worden, dass das Volk in allen
Staaten auf Einschränkung des wuchernden Kapitalismus dringt,
obschon gegenwärtig alle Klassen eines ungewöhnlichen Ge¬
deihens und Wohlstandes sich erfreuen. Es muss aber auf der
anderen Seite auch anerkannt werden, dass während der letzten
fünfundzwanzig Jahre viele dieser reichen Leute ungeheure
Summen zu gemeinnützigen Zwecken verwendet haben. Neben
Spitälern, Museen, Kunst- und wissenschaftlichen Instituten
sind namentlich eine grosse Anzahl höherer Schulen gegründet
und reichlich dotiert worden. Man denke nur an die Leland
Stanford Universität in San Franzisko und an die Universität
von Chicago, welche beide ihr Vermögen nach vielen Millionen
zählen.
Unter den Instituten, welche speziell zur Förderung der
medizinischen Wissenschaften gegründet wurden, sind nament¬
lich zu nennen: Das Institute for the Study, Treatment and
Prevention of Tuberculosis, welches im Jahre 1903 in Phila¬
delphia von Henry P h i p p s gegründet wurde, das Memorial
Institute for Infectious Diseases in Chicago, das seine Ent¬
stehung der Freigebigkeit des Herrn McCormick und
dessen Frau verdankt und das gegenwärtig unter Leitung des
Herrn Prof. H e k t o e n steht, dann die Carnegie Institution
in Washington, welche Herr Carnegie mit zehn Millionen
begabt hat und endlich das Rockefeller Institute for Medi¬
cal Research in New-York, welches am 11. Mai dieses Jahres
eröffnet wurde.
Das Rockefeller Institut wurde schon im Jahre 1902
organisiert. Damals berief der bekannte Milliardär Rocke¬
feller eine Anzahl hervorragender Männer, um den Plan zu
einem medizinischen Institut auszuarbeiten, wozu er alle nö¬
tigen Summen hergeben würde. Die Herren Welch, Prud-
<1 e n, 11 e r t e r, Smith, B i g g s, F 1 e x n e r und Holt
wurden zu Direktoren ernannt. Die Tätigkeit des Institutes
\\ ährend der ersten Jahre bestand darin, dass man grössere
Summen an tüchtige junge Forscher abgab, um sie in ihren
wissenschaftlichen Arbeiten zu unterstützen. Ueberdies wurde
No. 38.
es einer Anzahl junger Männer ermöglicht, sich an deutschen
Laboratorien auszubilden.
Um aber die I ätigkeit des Institutes erspriesslicher und
einheitlicher zu gestalten beschlossen die Direktoren, für das¬
selbe ein eigenes Heim zu gründen, und zwar in New York
welche Stadt die grössten Vorteile für ein solches Unternehmen
zu .. *e^en schien. So wurden denn die Gebäulichkeiten in
schöner Lage, am East River, im nördlichen Teile der Stadt
aufgefuhrt. Das Hauptgebäude umfasst die Räumlichkeiten für
die verschiedenen Laboratorien, Bibliothek, Operationssaal
usw. Um auch die praktische Medizin in den Bereich des In¬
stituts zu ziehen, wird in nächster Zeit ein Hospital ganz in der
Nahe des Hauptgebäudes errichtet werden. Das Institut um-
tasst gegenwärtig folgende Abteilungen: Pathologie, Bak¬
teriologie, physiologische und pathologische Chemie, Phy¬
siologie und vergleichende Zoologie. Die Anstalt gibt auch eine
Zeitschrift heraus, The Journal of Experimental Medicine. Zum
Leiter der Anstalt wurde Herr Dr. Simon Flexner, bisher
1 i ofessor der Pathologie an der Universität von Pennsylvanien
berufen.
Gegen Frau Mary Baker E d d y, die bekannte „Ent¬
deckerin und Gründerin“ der Christian Science ist kürzlich vor
dem Gericht von ihrem eigenen Sohne ein Prozess wegen gei¬
stiger Unzurechnungsfähigkeit anhängig gemacht worden.
Diese Flau ist jetzt in ihrem 86. Lebensjahr; sie zeigt sich in
der Oeffentlichkeit nur selten und lässt sich von ihren An-
hängern wie eine Heilige verehren. Es wird behauptet, dass
sie völlig geistesschwach sei und dass sie von einigen schlauen
Aposteln, die sie in ihrer Obhut haben, zu ihren eigenen selbst¬
süchtigen Zwecken benutzt werde. Es ist nämlich bekannt ge¬
worden, dass Frau Eddy all ihr Vermögen, das sich auf
mehrere Millionen beläuft, mit Uebergehung ihres eigenen
Sohnes der Christian Science Church vermacht hat. Dieser
Sohn, ein ehrlicher Farmer, der von der „Wissenschaft“ seiner
Mutter nichts wissen will, hat daher zur Wahrung seiner Rechte
Klage erhoben. Der zuständige Gerichtshof hat denn auch eine
Kommission bestehend aus zwei Aerzten und einem Laien er¬
nannt, w elche die Frau auf ihren derzeitigen Geisteszustand
untersuchen soll. So hat die Ironie des Schicksals es gewrollt,
dass die alte Frau, die in ihren Schriften den Aerztestand so
sehr angefeindet hat, nun von Aerzten auf ihre geistige Zu¬
rechnungsfähigkeit geprüft werden soll.
Dieser Christian Science Wahn hat in den letzten Jahren
grosse Fortschritte gemacht. Die Anhänger sollen sich auf
zwei Millionen belaufen. Es ist jedoch mehr als wahrschein¬
lich^ dass nach dem 1 ode der Frau Eddy die ganze Bewegung
im Sande verlaufen wird, denn bisher hat nur die ausserordent¬
liche Pei sönlichkeit der Gründerin das Ganze zusammen¬
gehalten.
Der Name Christian Science könnte leicht zu irrtümlichen
Ansichten über diese wunderlichen Heilkünstler führen. Denn
weder Wissenschaft noch christlicher Sinn ist darin zu finden.
Nach ihnen war Christus nur eine Art Heilprophet, der in die
Welt kam, um die Menschen von den Krankheiten des Körpers
zu befreien und zu lehren, wie man die Krankheiten durch die
Einwirkung des Geistes kurieren könne. Nachher ging diese
Wissenschaft wieder verloren und erst nach vielen Jahr¬
hunderten gelang es der Frau Eddy, das Geheimnis wieder
aufzufinden. Sie gilt daher auch unter ihren Anhängern als
eine Prophetin und wird als solche Christus gleichgestellt. Frau
Eddy hat auch eine^ neue Bibel verfasst, nämlich das Buch
„Wissenschaft und Gesundheit nebst Schlüssel zur heiligen
Schrift • Darnach hat nur der Geist wirkliche Existenz, nicht
abei die Materie. Die Krankheiten des Körpers beruhen nur
auf einer Einbildung des Geistes und sobald der Kranke zur
Ueberzeugung dieser Wahrheit kommt, wird er sich gesund
fühlen. Zum Beweise dieses neuen Evangeliums werden
Hunderte und Tausende von wunderbaren Heilungen angeführt.
Wie die Osteopathen kurieren auch diese Leute alle Krank¬
heiten, auch die unheilbaren. Die Bakterien sind nach ihnen
eine Einbildung, ein Betrug. So kam es denn, dass in den
letzten Jahren sehr viele dieser Heilkünstler, welche die
Lungenentzündung, Diphtheritis, Typhus usw. „geistig“ be¬
handeln wollten, und wobei die Patienten erlagen, vor den
üeiichten wegen „Malpractice“ belangt und verurteil wurden.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1899
Neulich ist von Herrn Dr. Heiser, Direktor des Gesund¬
heitsamtes auf den Philippinen der Jahresbericht über die ge¬
sundheitlichen Verhältnisse der Inseln für das vergangene
Fiskaljahr (Juni 1906 bis Juni 1907) veröffentlicht worden. Dar¬
nach ergibt sich, dass die Tätigkeit der amerikanischen Sani¬
tätsbehörden den Inseln zu grossem Vorteile gereichen. Die
Cholera trat letztes Jahr zuerst in einem Gefängnis auf, wurde
aber durch geeignete Massregeln in engen Grenzen gehalten.
Im Ganzen wurden 1443 Fälle beobachtet. Von Interesse ist
die Erklärung des Herrn Heiser, dass eine gemeinverständ¬
liche Aufklärung des Volkes über das Wesen der Krankheit
weit mehr dazu beitrage die Verbreitung derselben zu hindern,
als Zwangsmassregeln. Es wurden daher Flugblätter mit In¬
struktionen, wie man sich gegen die Krankheit schützen soll,
unter die ganze Bevölkerung verteilt. Gleichzeitig wurden an
alle Lehrer Broschüren geschickt, welche Instruktionen ent¬
hielten, wie die Schüler über das Wesen und die Verbreitungs¬
weise der Cholera aufzuklären seien. Pestfälle sind während
des vergangenen Jahres nur eine geringe Zahl beobachtet
worden. Die Zahl der Leprakranken auf den Philippinen wird
auf 4—5000 geschätzt. Eine Leprakolonie wurde auf einer der
kleineren Inseln angelegt, woselbst sich gegenwärtig etwa 800
Patienten befinden. Während des Jahres wurden über eine
Million Personen gegen die Pocken geimpft. In jenen Gegenden
wo die Malaria herrscht, wurde das Chinin unentgeltlich an die
Bevölkerung abgegeben. Flüsse, welche Städte mit J rink¬
wasser versorgen, wurden unter Aufsicht gestellt. Auch der
Handel mit Fleisch und anderen Lebensmitteln wurde der Kon¬
trolle des Gesundheitsamtes unterstellt. Nach dem Bericht
war die Sterblichkeit unter den Amerikanern 9,4 vom Tausend,
unter der einheimischen Bevölkerung 40,9 vom 1 ausend, eine
hohe Ziffer, aber doch geringer als in früheren Jahren. Es
muss auch bemerkt werden, dass eine sehr grosse Kinder¬
sterblichkeit die allgemeine Mortalitätsziffer sehr erhöht.
A. A 1 1 e m a n n.
Brasilianische Briefe.
R i o d e Janeiro,- 2. August 1907.
Medizinschulen. — Aerztliche Verhältnisse. — Zulassung aus¬
ländischer Aerzte.
Wenn man nach dem Inhalt des feuilletonistischen 1 eiles der
deutschen medizinischen Zeitschriften mit Recht auf ein grösseres
Interesse für die ärztlichen Verhältnisse im Ausland schliessen daif,
so können vielleicht auch die folgenden Zeilen einige Leser finden.
Für den Arzt ist ja Brasilien als Ursprungsland so mancher wichtiger
Droge und deren Verwendungsalt, als Heimat oder Herd verschie¬
dener Krankheiten sowieso von Interesse, ganz abgesehen davon, dass
mancher deutsche Arzt europamiide hier sein Arbeitsfeld gesucht hat.
der eine mit Qliick, der andere, was so leicht übersehen wird, ohne den
erträumten Erfolg. Himmelweit verschieden ist das Milieu hier selbst
in den fortgeschrittensten Zentren von dem deutschen oder überhaupt
mitteleuropäischen, und man würde deshalb unrecht tun, an hiesige
ärztliche Verhältnisse den dortigen Massstab zu legen, wie es jedoch
bei einer beschreibenden Gegenüberstellung nötig ist. Keine Fiage,
dass in dieser bunt zusammengewürfelten Bevölkerung aus einge¬
borenen Indianern, eingewanderten Europäern und als Sklaven im-
portierten Negern und Mischlingen aller Schattiei ungen tausende
Männer von feiner Bildung und ernstem Streben sind, ihnen gegenübei
aber auch Millionen erwachsener Analphabeten. So stossen modern¬
ster Fortschritt und primitive Unkultur allenthalben, eng aneinander:
wenige Schritte von dem glänzenden Wohnhaus, das jedes europäische
Zentrum zieren könnte, trifft man die elende Bretterbude, die mit ihrem
lebenden und toten Inventar fast an Zentralafrika erinnern kann.
Solche Halbheit und Gegensätzlichkeit in geistiger und technischer
Kultur und allen Institutionen ist wohl notwendig das wesentliche
Charakteristikum eines „neuen“ Landes mit einer Bevölkerung aus
den heterogensten Elementen und mit die Annalen füllenden. De¬
volutionen rein politischer Natur. Und diese Halbfertigkeit spiegelt
sich natürlich auch in dem ärztlichen Milieu wieder, von dem hier
ein paar Zeilen folgen sollen, nur aus der Kenntnis der Landeshaupt¬
stadt heraus.
Von den beiden in Brasilien existierenden Medizinschulen — die
eine in Bahia, die andere in Rio — ist die letztere wohl die grössere,
zugleich verbunden mit Schulen für Zahnärzte, Apotheker und Heb¬
ammen. Die Gebäulichkeiten sind ein recht schlichtes altes Haus
mit einer Anzahl ziemlich primitiver Hörsäle, in dessen Hofe einige
hübsche, moderne Pavillons für Präparierübungen stehen, ein neuerer
Doppelstock mit Kurssälen für Histologie und Bakteriologie und die
Bibliothek mit einer Sammlung meist französischer Bücher und ziem¬
lich vielen, auch deutschen Journalen, deren Jahrgänge indes wohl
nicht gerade sorgfältig gesammelt werden. Und überall recht viel
ehrwürdiger Staub, trotzdem zahlreiche Diener überall herumstehen
und mit ihrer entsetzlich dürftigen Kleidung den Beweis liefern, dass
ihr Gehalt und die teuren Preise der Lebensführung in argem Miss¬
verhältnis stehen.
Die klinischen Institute werden dargestellt durch die Santa Casa
da Misericordia, ein grosses Hospital mit ca. 1600 Betten, das interne,
chirurgische, gvnäkologische, geburtshilfliche. Augen-. Hautkliniken
enthält, ausserdem einige, allerdings recht dürftige poliklinische Ab¬
teilungen. Grosse, helle, luftige Krankenzimmer, moderne Operations¬
säle und viele gute Einrichtungen machen einen vorteilhaften Eindruck.
Beklagt wird indes mit vollstem Recht von den dort tätigen Aerzten,
soweit sie europäische Kliniken kennen, der absolute Mangel eines
geschulten Personals! Eine statistische Verarbeitung des inter¬
essanten Krankenmaterials fehlt ebenfalls. Sehr rückständig ist auch
der Sektionsdienst, der weder den Anforderungen eines grossen Kran¬
kenhauses, geschweige denn einer Unterrichtsanstalt genügt; die
Sektion macht ein Koassistent des betreffenden Krankensaales in
Anwesenheit seines Assistenzarztes; eine gesonderte Leitung dieses
wichtigsten Kontrolldienstes der Klinik fehlt vollständig. Unter den
Aerzten des Hospitals, die jeder zum grossen Schaden für den Unter¬
richt nur einen Saal von 32 Betten zur Verfügung haben und harte
Kämpfe für fortschreitende Verbesserungen nicht fürchten, finden
sich die besten Namen der hiesigen Aerzteschaft, z. B. die Internen
Sodre und Couto (die Verfasser der Gelbfiebermonographie in
der Nothnagel sehen Sammlung), die Chirurgen Braut P a e s
Lerne und Chapöt-Prevost, der Ophthalmologe Abren
F i a 1 h o usw. Besonders bemerkenswert ist noch, dass dieses grosse
Hospital seine Existenz und Unterhaltung vollständig der privaten
Wohltätigkeit verdankt. Staat und Kommune sind hier noch weit
entfernt in dieser Beziehung ihrer Pflicht genügen zu können: es tritt
für sie in einer ganz grossartigen Weise die zwar nicht einem sozialen,
sondern religiösen Bedürfnis entspringende Wohltätigkeit ein, das
innerhalb des Hospitals sich auch in einer Unzahl von Heiligenbildern
und Altären Luft macht..
Die Vorbildung des etwa 18 jährigen Medizinstudenten (auch
weibliche sind zugelassen) verlangt Materien der allgemeinen Bil¬
dung inklusive elementarer Kenntnisse in den Naturwissenschaften,
ohne irgendwie den deutschen Ansprüchen gleichzukommen. Die
Ausbildung geschieht schulmässig in 6 jährigem Kursus, so dass der
Uebergang zum nächsthöheren von einem Examen abhängig ist. Es
wird im Jahr indes nur etwa 5 Monate gelesen, während für die
Examina, die sich auf die Fächer des betreffenden Kursus beziehen,
ungeheuer viel Zeit verwendet wird. Ein Staatsexamen in deutschem
Sinne fällt daher fort, während dafür die Doktordissertation am Ende
des 6. Jahres den Abschluss der Studienzeit bildet. Von irgendwel¬
chem geselligen oder sportlichen Leben innerhalb der Studentenschaft
ist keine Spur vorhanden. Als Svm'bol der erworbenen Doktorwürde
werden hier Ringe getragen, und zwar unterscheidet den Arzt von
den übrigen Fakultäten ein von Brillanten umgebener Smaragd. Bis
vor kurzem war es ausserdem rigorose Mode, dass der Arzt schwarz
gekleidet ging, eine unserem Klima geradezu hohnsprechende Unsitte,
gegen die jetzt ein hiesiger geselliger Aerzteverein mit Erfolg Front
gemacht hat. Die Zahl der Aerzte, die nach hier vollendeten Studien
zu weiterer Ausbildung nach Europa (früher ausschliesslich nach
Paris, jetzt sehr vielfach auch nach Deutschland. Oesterreich, Italien,
England) gehen, ist in ständigem Steigen begriffen.
Die Lehrbücher sind fast ausschliesslich in französischer Sprache.
Originale oder Uebersetzungen, in welchem fremden Gewände man
auch den in Deutschland weitest verbreiteten sehr häufig begegnet.
Die Verwandtschaft mit der portugiesischen Landessprache gestattet
auch leicht das Studium der spanischen und italienischen Literatur,
während die deutsche durch die grosse Schwierigkeit des Idioms
nur wenigen zugänglich ist. Die landessprachliche Literatur tritt hin¬
ter der fremden so bescheiden zurück, dass brasilianische Aerzte
grössere Publikationen öfter in französischer Sprache schreiben.
Die Einteilung des Unterrichtsstoffes ist ungefähr wie in Deutsch¬
land, zunächst die Hilfsfächer, dann die Kliniken, wenn natürlich
auch nicht mit so weitgehender Spezialisierung. Unter den klinischen
Spezialfächern: Ophthalmologie, Psvchiatrie, Dermatologie. Pädiatrie
kann der Student zwei wählen; Otiatrie etc. existiert noch nicht als
besonderes Lehrfach. Auch alle nichtklinischen Disziplinen (Botanik
etc., Anatomie etc.) werden von praktischen Aerzten mit zum I eil
grosser Klientel vertreten. Dieses Faktum führt mich dazu, ein paai
Worte über den ausschliesslich aus Inländern bestehenden Lehrkörper
zu sagen, woraus man am besten den Unterschied zwischen dr üben
und hüben erkennen wird, zwischen einer Fakultät, die am weiteren
Fortschritt unserer Wissenschaft mitarbeitet, und einer Schule, die
dort errungene Resultate einfach weiter zu vermitteln hat. Diesei
Unterschied tritt weniger in den klinischen Fächern zutage, wo gewiss
brasilianischen Aerzten manche gute Beobachtung zu verdanken ist .
*) Es wird vielleicht interessieren, zu erfahren, dass z. B. jenes
Phänomen des „D u r o z i e z sehen Doppelgeräusches“ hier unter dem
Namen des Brasilianers Costa A 1 v a r e n ? a gelehrt wird (et.
Costa Alvarenga: Memoire sur l’insuffisance des valvules
aortiques et considerations generales sur les maladies du coeur.
Paris 1856 — und D u r o z i e z: Du double Souffle mtermittent crural
1900
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
als in den nichtklinischen, da deren Pflege zurzeit eben noch ganz
rehlt. Die Institution der Privatdozenten existiert noch nicht. Daher
wnd zur Besetzung einer \akanz zum Wettbewerb („concurso“) ge-
griffen, bei dem die Kandidaten in mündlichen und praktischen Proben
(schriftliche Examina in Klausur) vor dem Lehrkörper und den Stu¬
denten ihre Befähigung nachzuweisen haben. So ein Kandidat hat es
gewiss nicht leicht, sich Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, da
ja Ausbildungsinstitute fehlen, und man kann ihren ausdauernden Be¬
mühungen seine Achtung nicht versagen; es liegt dabei in der Natur
fj®rT u V ,.s es wohi stets junse Aerzte sind (meist unter
•/u Jahren), die am „concurso“ teilnehmen, und denen die leichte Auf¬
fassungsgabe der romanischen Rasse, ein gutes Gedächtnis und ora-
to risches Talent sehr zu stattep kommt. Doch wird die allzu deut-
liche Mangelhaftigkeit dieses Systems immer allgemeiner empfunden
und daher auf baldige Abhilfe gedacht.
Noch ein paar Notizen über allgemeine ärztliche Verhältnisse.
Die ausgesprochene Trennung der Stadt Rio de Janeiro in ein
Geschäfts- und mehrere Wohnviertel hat es zuwege gebracht, dass
auch die ärztlichen Sprechstunden im Geschäftsviertel,' fern von der
eigenen Wohnung abgehalten werden, wodurch das Budget des Arztes
mit doppelten Ausgaben für Miete belastet wird. Diese „consultorios“
sind im allgemeinen recht dürftige Räume mit überraschend schlichter
Ausstattung: der noch mangelnde Sinn der Bevölkerung für modernen
Komfort und die ganz exorbitanten Preise der allgemeinen Lebens¬
führung erklären das wohl. Bei einem Spaziergang durch die Ge-
schaftsstadt fällt nicht nur die recht grosse Zahl der Aerzte überhaupt
aut (und Apotheken!), sondern besonders das Ueberwiegen der Spe¬
zialarzte. Schon die Tatsache indes, dass es im Lande an Gelegen¬
heiten zu gründlicher spezialistischer Schulung vieler Aerzte fehlt,
beweist, dass man die Bezeichnung „Spezialarzt“ nicht im deutschen
Sinne aufzufassen hat. Charakteristisch ist die unausbleibliche Frage
des Publikums bezüglich jedes Arztes nach seiner Spezialität, und
es ist nicht ganz selten, dass die Spezialitäten eines Arztes "ganz
merkwürdig zusammengewürfelt sind: Tuberkulose und Syphilis
Ohren und Harnwege etc. Eine grosse Rolle spielen hier die Homöo¬
pathen, und es können nicht die ärmsten Kreise der Bevölkerung sein
die zu deren Banner schwören, da jene Herren, unter ihnen gewiss
einige tüchtige Psychologen, die ihr Publikum verstehen, bei ihren
Honorarforderungen nicht gerade homöopathische Dosen bevorzugen.
Bedeutend ist die Rolle, die die Tageszeitungen im Leben des
1 V un(^ auch nur bei genauerer Kenntnis des hiesi-
gen Mdieus verstehen lässt. Die Zeitung ruft den Kandidaten all¬
jährlich zum Examen, sie veröffentlicht deren Resultate, wobei sie
zartfühlend genug ist, den Durchgefallenen nicht mit Namen anzu¬
geben. sie bespricht seine Doktorarbeit und schliesst kühn aus ihr
auf sein Talent und seine Aussichten für die Zukunft; sie nimmt regel¬
mässig die Annoncen der Aerzte in einer eigens dafür bestimmten
^ palte auf, sie schildeit die Einrichtung dieses oder jenes neueröffne¬
ten „consultorio“ und den regen Betrieb dort: sie beschreibt mit
rührender Ausführlichkeit mehr oder minder merkwürdige Opera¬
tionen, sie bringt dem Publikum die Dankesbezeugungen geheilter
atienten zur Kenntnis, und es ist gewiss nur schnöde Missgunst
wenn manchmal behauptet wird, der betreffende Doktor hätte das
Inserat selbst bezahlt.
P.ie,.^a^ ^er Merzte, denen das Erträgnis der Praxis allein nicht
das tägliche Brot verschafft, soll ziemlich gross sein. Man findet
sie daher nicht selten mit Nebenbeschäftigungen (auch aus freier
Neigung), nicht nur in kleineren Sanitätsposten, sondern in allen mög-
hchen Fächern, als Lehrer an Schulen, als Journalisten usw. In der
politischen Vertretung des Landes sitzen ziemlich viel Aerzte, ohne
dass dies meines Wissens für die ärztlichen Verhältnisse bemerkens¬
werte Fortschritte gezeitigt hätte, während Aerzte als Minister und
hohe Verwaltungsbeamte sich vielfach verdient gemacht haben.
Zum Schluss interessieren vielleicht noch ein Daar Worte über
das „exame de sufficiencia“. dem sich der im Ausland ausgebildete
Arzt hier zu unterwerfen hat und das im Sinne einer schutzzöllne-
i ischen Institution wie anderwärts seine Berechtigung haben mag.
Dasselbe enthält nicht nur klinische Fächer, in denen äusserG liebens¬
würdig und glimpflich geprüft wird, sondern auch Physiologie, topo-
giaphiscbc Anatomie etc. mit schriftlichen, mündlichen und prak¬
tischen Proben und gerade diese Materien, die man schon lange „hin¬
tu sich zu haben pflegt, und unzureichende Kenntnis der Landes¬
sprache und deren medizinische Technizismen pflegen einem recht
grossen Prozentsatz der Fremden einen Reinfall zu bereiten, obwohl
man sich das bei der Existenz von 10 positiven Zensurgraden nicht
leicht vorstellen kann. Es gibt zwar die Möglichkeit, sich durch
Kurse zu diesen Examina vorzubereiten, indes sind die finanziellen
Bedingungen derart, dass ich fürchte, mit ihrer Angabe bei dem Fern¬
stehenden meine Glaubwürdigkeit einzubiissen, während man sonst
immerfort Gelegenheit hat, in den hiesigen Aerzten Mitglieder einer
ausserst liebenswürdigen, geistig regsamen Nation kennen zu lernen.
No. 38.
Vereins- und Kongressberichte.
34. Zusammenkunft der Ophthalmologischen Gesellschaft
in H e i d e 1 b e r g, 5., 6. und 7. August 1907.
Bericht zum Teil mit Benützung von Autoreferaten erstattet
von Oberarzt Dr. v. H e u s s - München.
Bei der Eröffnung des Kongresses am 5. August in der Aula der
Universität konnte Geh. -Rat L e b e r - Heidelberg eine grosse Anzahl
voiWTeilnehmern begrüssen. Leber wies daraufhin, dass schon seit
l.So/ in Heidelberg Zusammenkünfte von Ophthalmologen unter
Albi echt v. Gräfe stattfanden. Eine dem Kongress von Dr H
W e b e r - Darmstadt überreichte Schrift „gewidmet dem fünfzigsten
Jubeljahre der Konstituierung der Gräfe sehen Schule“ gab einen
wertvollen Beitrag zu der Geschichte der Gründung der heute so
blühenden Gesellschaft.
Es wurden drei Vortragssitzungen (Vorsitz: A x e n f e 1 d - Frei¬
burg, H ö d e r a t h - Saarbrücken, E 1 s c h n i g - Prag) und zwei De¬
monstrationssitzungen (Vorsitz : Heine- Greifswald, Hertel- lena)
abgehalten.
Ein Festmahl in der Stadthalle vereinigte sämtliche Teilnehmer
am 2. Kongresstage. Ein gemütliches Abendessen auf der Stiftsmühle
bei Heidelberg mit Heimfahrt auf dem Neckar an dem beleuchteten
Schloss vorbei beschloss die Tagung.
E 1 s c h n i g - Prag: Ueber physiologische, atrophische und glau-
komatöse Exkavation.
E. bespricht unter Verwendung eigener und fremder Beobach¬
tungen die anatomischen Merkmale der im Titel erwähnten Exkava¬
tionen der Sehnervenpapille. Er kommt zu dem Hauptschluss, dass
bei einfachem Sehnervenschwunde das Nervenfasergewebe allein
schwinde; Glia und Bindegewebe bleibe erhalten; daher komme es
in einem Auge ohne schon vorhandene grössere physiologische Ex¬
kavation niemals zu einer physiologisch wahrnehmbaren Exkavation.
Nm bei dem sogen, kavernösen glaukomatösen Sehnervenschwund
werde eine wirkliche Aushöhlung des Sehnerven erzeugt.
B e s t - Dresden: Der Zusammenhang zwischen Naharbeit und
Kurzsichtigkeit.
Die ^.ur.c^ Naharbeit entstehende Kurzsichtigkeit ist mit grosser
Wahrscheinlichkeit als Anpassung des Auges an den dauernden Ge¬
brauch in der Nähe aufzufassen. Naharbeit kann nur durch Ver¬
mittlung der Akkommodation Kurzsichtigkeit erzeugen. Der Zusammen¬
hang lässt sich durch die Anordnung der Spannkräfte bei der Akkom¬
modation erklären. Bei der Akkommodation ist die elastische Kraft,
die die Tätigkeit des Ciliarmuskels reguliert und die Ferneinstellung
des Auges bewirkt, der muskulösen Gegenkraft gleichwertig. Sie
hat ihren Sitz teils zirkulär, teils in der Aderhaut, die auch am
hinteren Pol, nicht allein vorne elastisch in Anspruch genommen
wird. Bei dauernder Naharbeit kommt es zu gleichmässiger Deh¬
nung des elastischen Fernakkomodationsmechanismus, die als Wachs¬
tumsreiz für diesen wirkt. Es ist wahrscheinlicher, dass das Wachs¬
tum des Auges von der Aderhaut, die seine Wand ernährt, abhängig
ist, als von den starren Geweben der Sklera. Bei Myopie mit starker
Dehnung am hinteren Pol ist die Dehnung der Sklera (sofern nicht
angeboren) gegenüber derjenigen der Aderhaut sekundär. Dass die
Dehnung der elastischen Aderhaut gerade am hinteren Pol erfolgt,
hängt mit ihrer Unterbrechung bezw. mangelhaften Ausbildung in und
am Sehnerven zusammen. Die Disposition zur Kurzsichtigkeit wird
teils durch die Anlage des Muse, ciliaris geschaffen (Ueberwiegen der
meridionalen Partie gegenüber der zirkulären), teils durch unge¬
nügende Widerstandskraft des elastischen Mechanismus für die Fern-
akkommodation nach der Aderhaut (Konusbildung). Dauernde Voll¬
korrektion wirkt günstig, weil sie eine normale Inanspruchnahme der
elastischen Akkomodationselemente, ähnlich wie bet EmmetroDie
schafft. ’
R ö m e r - Würzburg: Vollendung der Serumtherapie bei Ulcus
seroens.
R. berichtet über die Entwicklungsphasen, welche die Serum¬
therapie des Ulcus serpens bisher durchlaufen hat. Durch die Aus¬
einandersetzung mit der Aggressin- und Opsoninforschung ist jetzt
die Vollendung der Serumtherapie erreicht worden. Aus der Ag-
gressinforschung wurden 2 Folgerungen gezogen. Zur Herstellung
des Serums müssen hochvirulente Pneumokokkenstämme verwendet
werden und ferner muss- bei jedem Ulcus serpens die Virulenz des
betreffenden Stammes genau bestimmt werden. Dabei hat sich er-
veben, dass der Satz, nach dem die I iervirulenz keinen bindenden
Schluss für die Menschenpathogenität zulasse, für das Ulcus serpens
nicht zutrifft. Vielmehr entspricht gesetzmässig der Schwere des
klinischen Bildes ein höherer Grad von Aggressivität der Pneumo¬
kokken. Es wurden bisher Virulenzunterschiede von 1 : 40 — 1 : 150 000
beim Ulcus serpens gefunden. Dadurch ist es jetzt möglich geworden
zu entscheiden, ein wie grosser Prozentsatz von Pneumokokkenin-
fektionen der menschlichen Kornea überhaupt nicht zum Ulcus serpens
führt, ein wie grosser Prozentsatz spontan ausheilt und innerhalb
welcher Virulenzbreite die Serumtherapie zum Ziele führt. Der
Vergleich mit der Spontanheilung unter gleich-
massiger Virulenzkontrolle hat den definitiven
Beweis für eine Heilwirkung des Pneumokokken-
comme signe de Tinsuffisance aortique; Archives generales de mede-
cine, April und Mai 1861).
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1901
serums beim Ulcus serpens erbracht. Nachdem so ein
einheitlicher Massstab für die Kontrolle des Krankheitserregers ge¬
schaffen war, hat Römer dann auch die Vollendung des Pneumo¬
kokkenserums erreicht. Bei der Heilung des Ulcus serpens spielt die
Phagozytose nicht die Hauptrolle, nur Pneumokokkenindividuen mit
mangelhafter Aggressivität sind phagozytierbar. Phagozytose in der
Kornea ist die Wirkung thermolabiler Substanzen des Serums; soll
sie zu stände kommen, so müssen diese Antikörper von den Pneumo¬
kokken gebunden werden. Diese W r i g h t sehen Opsonine sind keine
neuen Antikörper, sondern mit den hämolytischen Komplementen
identisch. Durch Absorption des Serums mit genuinen Ulcus serpens-
Stämmen wird dem Serum sowohl die phagozytierte wie die hämo¬
lytische Wirkung und zwar durch Bindung der Komplemente ent¬
zogen. Darum kann auch bei der aktiven Pneumokokkenimmunität
kehie Vermehrung der Opsonine stattfinden. Die virulenten Pneumo¬
kokken binden die Opsonine gerade so gut wie die avirulenten, sind
aber trotzdem für die Phagozyten vollkommen unzugänglich ge¬
worden. Das Wesen der Pathogenität steht hiermit in einem ur¬
sächlichen Zusammenhang. Heilt daher eine Infektion mit solchen
überhaupt nicht phagozytierbaren Stämmen, sei es spontan, sei es
im Tierversuch unter der Serumwirkung, so kann die Pneumokokken-
immunität nicht auf 'der Phagozytose beruhen. Das Pneumo¬
kokkenserum ist kein bakteriotropes, sondein ein
a n t i i n f e k t i ö s e s Serum. Zur Herstellung desselben haben
sich jetzt auch die Höchster Farbwerke entschlossen.
zur Ned den -Bonn: Ueber das Vorkommen bakterizider Sub¬
stanzen ira Bindehautsekret.
Während die Thränenflüssigkeit und das Sekret der n ormale n
Konjunktiva keine bakteriziden Eigenschaften besitzen, wirkt
das pathologische Bindehautsekret für Typhusbazillen
und Morax-Axenfeld sehe Diplobazillen keimtötend. Die bak¬
terizide Wirkung ist um so ausgesprochener, je stärker die Sekretion
ist, bei den chronischen Konjunktivitiden ist sie daher gering. D l e
Art der Infektion, ob Gonokokken, Pneu m o k o k k e n,
Koch-Weeksche Bazillen oder Diplobazillen, hat
hierauf keinen Einfluss, vielmehr hängt die bak¬
terizide Kraft lediglich von der Intensität dei Se¬
kretion ab; sie bleibt aber in allen Fällen noch hinter derjenigen
des Blutserums des betreffenden Patienten zurück. Durch Erhitzen
und starkes Austrocknen verliert das Sekret seine bakteriziden
Eigenschaften völlig. ,
Da die bakterizid wirkenden Bestandteile des Bindehautsekrets
aus dem entzündeten Kr'ijunktivalgewebe und in letzter Instanz aus
dem Blut stammen, so müssen naturgemäss die in dem erkrankten
□ewebe sich ansammelnden Entzündungsprodukte gleichfalls bak¬
terizid wirken. , D. ,
Hierauf beruht im wesentlichen der Heilungsprozess der Binde-
hautkatarrhe. • Dementsprechend ist auch der Heileffekt der
Adstringentien in erster Linie darin zu erblicken, dass sie
eine vermehrte Transsudation von bakterizid wirkenden Entzün
dungsprodukten hervorrufen und hierdurch das Gewebe selbst zur
Vernichtung der Krankheitserreger anregen. Die diiekt keimtötende
Wirkung der Adstringentien ist dagegen von geringerer Bedeutung,
da hiervon nur die oberflächlich im Epithel und im bekret haften¬
den Keime betroffen werden, aber nicht die tiefer im Gewebe haften¬
den, welche .den Krankheitsprozess in erster Linie unterhalten.
A. Leb er -Berlin: Klinisches und Experimentelles zur Sero¬
diagnostik der Augenerkrankungen.
Zum Nachweis der verschiedenartigen Ursachen spezihschei
Augenerkrankungen, die wie die Iuberkulose und die Syphilis oft
eine ganz gleichartige Ausdrucksweise erlangen, hat Vortr. bei einer
Reihe der verschiedenartigsten Augenerkrankungen Blutserum und
Humor aqueus auf ihren Antikörpergehalt untersucht. Mit der Me
thode der Komplen^ntfixation ist es ihm gelungen, i n 100 1 r o z
der sicher syphilitischem Augenerkrankungen
eine spezifisch positive Reaktion zu ei zielen (Kci atitis
parenchymatosa, Iritis, Neuritis, Skleritis, Augenveränderungen bei
Tabes, progr. Paralyse, Lues cerebri). Ausserdem in einer Reihe von
zweifelhaften Fällen, bei denen die Diagnose schwankend und die
Anamnese negativ war, z. B. Gumma n. optici, konnte er aus dem
serologischen Befund die Aetiologie erklären. Aehnlich verhalten
sich die Ergebnisse bei mehreren Untersuchungen auf Tuberku¬
lose des Auges, wobei in ersfer Linie der Humor aqueus untersucht
wurde. Auch der Nachweis von tuberkulösem Antigen im tuber¬
kulösen Konjunktivalgewebe gelang unter besonderei Anordnung dei
Reaktion. Zahlreiche Impfungen mit der vonPirquet angegebenen
kutanen Tuberkulinreaktion ergaben bei sicher tuberkulösen Erwach-
senen ausgesprochen quantitative Unterschiede gegenüber den ue-
sunden; bei Kindern hat die Methode anscheinend einen diagnosti¬
schen Wert für die Augenerkrankungen tuberkulöser Natur, denen die
ekzematösen gegenüberstehen, die etwa nur in 75 80 Proz. der balle
die positive Reaktion geben.
Derselbe: Zur Trachomfrage. . . , ,
Beim Menschen und beim Affen, auf dessen Konjunktiva tracho-
matöses Material übertragen worden war, ist es Vortr. gelungen,
eigenartige kleine Gebilde, die meist intrazellulär gelagert waren,
zu beobachten, die rundlich bis länglich gestaltet sind, manchmal
Einschnürungen zeigen und eine eigenartige Gruppierung aut w eist n,
über deren Verhältnis zu den Befunden von Prowazek und Hal¬
berstädter Vortr. sich aber noch nicht aussprechen kann.
Hertel -Jena: Einiges über die Empfindlichkeit des Auges
gegen Lichtstrahlen. .
Vortr. weist darauf hin, dass zu verschiedenen Zwecken, z. B.
zum Studium der objektiven Veränderungen in der Netzhaut infolge
von Belichtungen, photometrische Bestimmung der verwendeten
Lichtstärke nicht genüge, da wir nicht wissen, ob die mit dem
Photometer gemessene sichtbare Energie der Strahlung die Gesamt¬
energie repräsentiert, welche bei einer Belichtung auf die Netzhaut
fällt. Vortr. bespricht näher mehrere zur Bestimmung dieser Ge¬
samtenergie von ihm angestellte Untersuchungen und gefundene Er¬
gebnisse. . , . .
Bartels-Strassburg: Ueber Fibrillen und Fibrillensaure in
den Nervenfasern des Optikus. (Zu kurzem Referat nicht geeignet.)
Birch-Hirschfeld - Leipzig : Zur Kenntnis der Oedeme der
Orbita. ^ , , . .
Vortr. berichtet über zwei Fälle von Osteom des Sinus frontal,
und ein solches der Siebbeinhöhle. Die beiden ersten wurden mit
temporärer Resektion der vorderen Stirnhöhlenwand operiert, nach¬
dem im Röntgenbild Sitz und Grösse des Tumors genau festgestellt
worden war. Die Resultate waren vorzügliche, trotzdem in
dem einen Falle, wo der Tumor von der hinteren
Sinuswand ausging, die Dura in grösser er Aus¬
dehnung f r e i g e 1 e g t wurde. Der dritte Fall von Siebbein-
osteom endete letal, da offenbar von der Nase her postoperativ eine
Gehirnaffektion eintrat. . , .
Vortr. weist darauf hin, dass durch den günstigen Ausgang des 2.
Falles die Ansicht nicht mehr zu Recht bestehe, man dürfe nur dann
ein Osteom operieren, wenn die obere Sinuswand nicht beteiligt
sei. Eingehende Röntgenuntersuchung wird verlangt. Vortr. demon¬
striert ausserdem Präparate von orbitalen Osteomen (Röntgenbilder,
Knochenschliffe, mikroskopische Präparate).
F. Schieck - Göttingen: Ueber Retinitis albuminurica.
In der Literatur ist vor allem die Ansicht vertreten, dass die
Retinitis albuminurica eine Erkrankung sei, deren Ursache in einer
Degeneration der nervösen Elemente infolge von Gefässerkrankungen
gesucht werden müsse. In diesem Sinne haben sich Herzog Karl
Theodor, Weeks, Koppen, H o f m a n n, Wehrli und
v. Michel ausgesprochen, während Opin und Rochon-Du-
vigneaud ebenso wie Birch-Hirschfeld Zweifel an dei
ätiologischen Rolle der Gefässveränderungen hegen.
S c h i e c k konnte nun zwei Krankheitsfälle klinisch und patho¬
logisch-anatomisch studieren, die entschieden dagegen
sprechen, d ä s s die Erkrankung dei Qefässe die De**
dingung für das Zustandekommen der Affektion ab¬
gibt In dem einen Falle handelte es sich um eine 25 jährige
Erstgebärende mit Netzhautödem und weissen Trübungen in der Ma¬
kulagegend und im zweiten Falle um einen 35 jährigen Mann, welcher
auf beiden Augen die typische Spritzfigur in der Makula, sowie Ver-
waschenheit der Papillengrenzen aufwies. Beide Kranke litten an
einer parenchymatösen Nephritis, die im ersten Falle in ungefähr drei
Wochen, in dem zweiten in ungefähr einem Vierteljahre zum I ode
führte Die Sektion ergab nirgends im Körper Gefässveränderungen.
In beiden Fällen, namentlich aber im zweiten lagen schwere
Schädigungen der -nervösen Elemente der Retina vor, ohne dass das
Zentralgefässystem irgendwie an einer Sklerose erkrankt war. Nur
hie und da fand sich im Bereiche der angegriffenen Gebiete ein
obliteriertes Gefäss kleinsten Kalibers, während in unmittelbarer Nach¬
barschaft grosser Degenerationsherde die zuführenden Gefässe bis
in die Kapillaren hinein intakt gefunden wurden.
Auf grund dieser Befunde kommt der Vortragende zu dem
Schlüsse, dass man den bei Nierenleiden auftretenden Stoffwechsel-
Störungen und den hieraus resultierenden toxischen Einflüssen eine
grössere Bedeutung beimessen muss, als dies bislang geschehen ist.
Nur unter diesem Gesichtspunkte erklärt es sich auch, wieso es mög¬
lich ist, dass bestimmte Fälle von Retinitis albuminurica ausheilen
können, während die Störungen, wenn sie von Gefässerkrankungen
ausgelöst wären, eine dauernde Schädigung zur Folge haben müssten.
Indessen unterschätzt Schieck keineswegs die Rolle der so oft zu
findenden sklerotischen Prozesse am Gefässystem der Retina; denn
dieselben erleichtern durch die mangelhafte Möglichkeit der Er¬
nährung das Zustandekommen der Intoxikation der nervösen Ele¬
mente. Hierauf beruht der relativ hohe Prozentsatz, den die arterio¬
sklerotische Schrumpfniere zur Retinitis albuminurica stellt. Es ist
aber sicher eine falsche Auslegung der Befunde, wenn man die Geiass¬
erkrankung als Conditio sine qua 'non hinstellt. n
In der Demonstrationssitzung erläutert Schi eck seine Um¬
legungen an seinen Präparaten und an Diapositiven von Mikrophoto¬
grammen.
Derselbe: IJeher Chorioretinitis sympath‘ca- ,
Der Vortragende hatte Gelegenheit, einen Fall von sympathischer
Ophthalmie zu beobachten, der sich an die Perforation eines Ul
serpens anschloss und dadurch ausgezewhnet yr, dass sich dw
Krankheitserscheinungen an dem vorderen Abschnitte d s
traktus so schnell zurückbildeten, dass es möglich war, .
Augenspiegel die Veränderungen im Fundus zu verfolgen. Es zeigte
sich zunächst eine Rötung und Verwaschenheit der Papille mit in die
iyu 2
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Netzhaut ausstrahlender streifenförmiger Trübung, dann eine milchige
Trübung der ganzen Retina mit leichten Faltenbildungen und schliess¬
lich, nach Rückgang der Verschleierung das Bild einer abgelaufenen
Chorioretinitis. Der Visus war im Anfänge auf 0,5 heruntergegangen,
sank dann im Stadium der Netzhauttrübung auf Fingerzählen in 2 m
und hob sich schliesslich wieder auf 0,5.
Drei während der einzelnen Stadien vom Vortragenden gemalte
lafeln erläutern das Krankheitsbild.
K r a u s s - Marburg: Ueber die Orbitalvenen des Menschen.
Kr. bespricht die Anatomie der Orbitalvenen auf ürund einer
Untersuchung von 60 Augenhöhlen.
G r e e f - Berlin: Ueber Doppelkörperchen in Trachomzellen.
Ur. berichtet über seit 1906 angestellte Untersuchungen über das
1 rachom. Stets wiederkehrend fanden sich im Sekret, an der Ober¬
fläche und im Follikelinhalt kleinste, eben sichtbare Doppelbakterien,
die bei 2000 facher Vergrösserung rund zu sein schienen, manchmal
indes wie Doppelstäbchen aussahen. Sie sind von einem Hof um¬
geben. Sie lassen sich darstellen mit verdünntem Karbolfuchsin,
Alkohol und gewöhnlichem Methylenblau, Bismarckbraun, dagegen
nicht nach Q r a m.
U 1 b r i c h - Prag: Zur Lehre von der intraokularen Flüssigkeits¬
strömung.
U. berichtet über ein kongenitales, partielles Kolobom der Iris,
das durch eine bewegliche Membran verschlossen ist. Der Fall ist
die erste unmittelbare Beobachtung von Druckdifferenzen zwischen
vorderer und hinterer Kammer ohne vorausgeschickten operativen
Eingriff. Die Membran macht folgende Bewegungen: 1. Ein künst¬
lich hervorzurufender Druck auf die Kornea bewirkt eine Einstülpung,
Nachlassen desselben eine Ausstülpung, Druck auf den Aequator eine
Ausstülpung der Membran. 2. Völlig unregelmässige Ein- und Aus¬
stülpungen der Membran, die nicht mit Bulbusbewegungen, nicht mit
Pupillarbewegungen, nicht mit der Akkomodation im Zusammenhänge
stehen. Nach Lidschlag und Lidschluss tritt öfters eine Einstülpung
der Membran ein. 3. Bei Akkommodation tritt die Membran zurück,
beim Nachlassen derselben vor; bei länger fortgesetzter Akkommo¬
dationsanspannung erfolgt Ausstülpung der Membran. Aus den Be¬
wegungen der Membran zieht der Vortragende folgende Schlüsse:
Die Schwankungen der Membran beweisen an und für sich das Vor¬
handensein intraokularer Druckdifferenzen. Die Unregelmässigkeit
der Membranbildung ist nur durch die Tatsache des physiologischen
Pupillenabschlusses zu erklären. Die spontane Ausstülpung der Mem¬
bran bei Akkommodationsruhe bezw. Anspannung spricht für die
Produktion des Kammerwassers in der hinteren Kammer. Der Lid¬
schlag scheint den physiologischen Pupillarabschluss zu lösen und
so den Uebertritt des Kammerwassers z-ustande zu bringen.
A x e n f e 1 d - Freiburg i. Br.: Operative Mitteilungen. Re¬
klination bei Blepharitis-Ektropium.
A. bespricht die Indikation der Skleronyxis anterior und berichtet
über deren I echnik, wie auch über 2 nach dieser Methode günstig
operierte Fälle. Auserdem beschreibt A. eine Methode zur Behebung
des Ektropium nach Blepharitis.
U h t h o f f - Breslau : Beitrag zur Kenntnis der Hypophysis-
tumoren.
U. hat schon im Jahre 1897 über Sehstörungen bei Zwergwuchs
und Riesenwuchs resp. Akromegalie Mitteilungen gemacht und ver¬
weist kurz auf die damaligen Beobachtungen. Im Anschluss an einige
weitere neue Fälle bespricht U. Fragen der allgemeinen Wachstums¬
und trop'hischen Störungen bei diesen Affektionen und die dia¬
gnostische Bedeutung dieser Erscheinungen bei der temporalen
Hemianopsie.
Bernheimer - Innsbruck : Zur Kenntnis der G u d d e n sehen
Kommissur.
ß. hatte im vergangenen Jahr über Untersuchungen an Gehirnen
von weissen Ratten mit einseitigem Anophthalmus congenitus be¬
richtet. Auf Grund weiterer Studien vermutet B., dass die G u d d e n -
sehe Kommissur, weiche dem Chiasma nur anliegt, als eine Art Ge¬
hörkommissur aufzufassen ist.
Trendelenburg und Burnke- Freiburg i. Br. : Zur Frage
der Bach sehen Pupillenzentren in der Medulla oblongata.
(Ausführliche Veröffentlichung erfolgt in den Klinischen Monats¬
blättern für Augenheilkunde.)
W e h r 1 i - Frauenfeld: Neue klinische und histologische Unter¬
suchungen über die Aetiologie der knötchenförmigen Keratitis.
W . legt die klinischen und histologischen Untersuchungsresultate,
sich beziehend auf die Augen zweier Brüder mit chroa. progress.'
knötchenförmiger Keratitis Groenouw vor. Die Summe der Unter¬
suchungen der Augen und der Lungen (Spitzenaffektion R.) lässt an
einen Zusammenhang zwischen Augenleiden und Lungenaffektion den-
ken und ersteres als 1 eilerscheinung einer zuweilen allgemeinen tuber¬
tuberkulösen Infektion auffassen.
H a r m s - Tübingen : Ueber retinale Bindegewebsneubildung.
Man muss die in der Literatur niedergelegten Fälle von Reti¬
nitis proliferans in 2 grosse Gruppen teilen, in solche, bei
denen Blutungen zu irgend einer Zeit des Krankheitsverlaufs be¬
obachtet wurden, und solche, in denen Blutungen nie gesehen wurden.
Die meisten Fälle der letzteren Art sind nicht beweisend dafür, dass
das Mauz sehe Krankheitsbild ohne Blutungen entstehen kann, da
sie viel zu spät zur Untersuchung kamen. Beweisend sind vielmehr
| nur die beiden Fälle von Dahrenste-dt und F e h r, die einige
läge nach der ersten plötzlich eingetretenen Sehstörung in Beobach¬
tung kamen und das Bild einer Neuro retinitis exsudativa
mit Ihrombose eines Arterienastes darboten. Diesen
beiden letzteren Fällen fügt Vortr. einen ähnlichen, dritten Fall hinzu
den er anatomisch untersuchen konnte: Ein 25 jähriger Mann mit all¬
gemeiner Arteriosklerose erleidet eine plötzliche, spontane Sehstörung
die von selbst wieder zurückgeht, sich aber nach 2Vz Wochen wieder¬
holt. Die nun vorgenommene ophthalmologische Untersuchung er¬
gibt das Bild einer Neuritis optica mit graubläulichem Exsudat unter¬
halb der Papille ohne Blutungen. Später entwickelten sich
Bindegewebsmassen, welche bogenförmig dem Zuge der grossen Ge-
fässe folgten, und Glaukom, weshalb das Auge enukleiert wurde Die
anatomische Untersuchung ergab: Bindegewebsbildung vor der Limi-
tans interna, welche sich fächerförmig nach vorn ausbreitet, die Re-„
tina durch Zug stark verbreitert und zum Teil abhebt, hochgradige Ver- '
änderungen der retinalen Gefässe, nur minimale Blutungen und Throm¬
bose des Zentralvenenstamms. In mehreren anderen Fällen m i t
klinisch beobachteten Blutungen fand Vortr. ebenfalls Verschluss der
Zentralvene. Vortr. glaubt, dass die Retinitis proliferans fast immer
entstehe infolge von Gefässerkrankungen der Retina und dadurch be¬
dingte Zirkulationsstörungen, dass aber das dabei auftretende Extra¬
vasat nicht notwendig hämorrhagischen Charakter zu haben brauche.
F r e y t a g - München: Die natürlichen Grundlagen für die Meri¬
dianbezeichnung des Bulbus.
Für Beginn und Richtung der Meridianbezeichnung am Bulbus
sollten in erster Linie topographisch-anatomische, d. h. in der natür¬
lichen Anordnung des Sehorgans gelegene Anhaltspunkte in Betracht
gezogen werden. Auf Grund solcher Erwägungen erscheint der hori¬
zontale als der prädestinierte Nullmeridian. In Berücksichtigung der
symmetr ischen Lage der Augen zu der Medianlinie des Körpers sind
auch die Meridianzahlen symmetrisch zu führen.
Die VViirdigung aller einschlägigen Verhältnisse ergibt, dass die
Meridianbezeichnung am besten beiderseits nasal
beginnt und von hier aus in der oberen Hälfte des
Bulbusäquators nach der temporalen Seite ge¬
führt wird. Der senkrechte Meridian wird also oben mit 9ü be¬
zeichnet, das temporale Ende des horizontalen mit 180. Um nicht zu
hohe Zahlen zu erhalten, wird vorgeschlagen, beim Gesichtsfeld¬
schema im unteren Halbkreise die Zählung nicht über 180 fortzusetzen
sondern die Verlängerungen der oberen Halbmeridane nach unten
bloss mit dem Zusatz „u." zu versehen. Der senkrechte untere Halb¬
meridian trägt also die Bezeichnung „90 u.“.
Beim Ophthalmometer trägt der äussere feststehende Kreis¬
bogen die Gradteilung, der innere, mit den Lichtern drehbare die
Marke. Es kann somit an einer festen Gradeinteilung abgelesen wer¬
den. Diese ist im oberen Halbkreise für das rechte Auge weiss, im
unteren für das linke rot. Das Brillengestell trägt natürlich im oberen
iialbki eise die beiderseits von der Nase ausgehende, bis 180 reichende
Einteilung.
Frank e- Hamburg: Ueber plastische Operationen an den
Lidern und der Augenhöhle.
Vorschläge und Besprechung einschlägiger Technicismen.
v. Sicherer - München : Ophthalmoskopische Untersuchung
Neugeborener.
Unter 200 innerhalb der ersten 24 Stunden post partum ophthalmo¬
skopisch untersuchten Neugeborenen fanden sich 42 (= 21 Proz.)
Kinder mit Netzhautblutungen.
Doppelseitig traten dieselben auf bei 23 Kindern, bei 14 nur auf
dem rechten und bei 5 nur auf dem linken Auge; im ganzen fanden
sich also unter 400 Augen 65 mit Blutungen.
Sämtliche pathologischen Spiegelbefunde wurden zur Abbildung
gebracht.
Form und Sitz der Blutungen stimmen im wesentlichen mit den
Befunden von Schleich, Königstein und Paul überein. Sie
finden sich meist in der Gegend des hinteren Poles, erstrecken sich
abei bisweilen ziemlich weit nach der Peripherie und treten entweder
in kleineren oder grösseren rundlichen Flecken oder mehr radiär ver¬
laufenden, zarteren oder breiteren, flammigen Streifen, sehr häufig
längs des Verlaufes der grösseren Gefässstämme auf. Oft ist fast der
ganze Fundus mit Blutextravasaten förmlich iibersät, oft aber finden
sich nur vereinzelte Flecke oder Streifen in der Nähe der Papille oder
in der Gegend der Makula. Auf der Papille selbst treten die Blu¬
tungen oft in solcher Stärke auf, dass dadurch die Papillengrenzen
im ganzen oder innerhalb einzelner Sektoren völlig verschwommen
erscheinen.
Im Zusammenhang mit einer Sehnervenscheidenblutung steht
wahrscheinlich auch die bei einzelnen Kindern sehr deutlich vorhan¬
dene, dunkelgraue bis blaugraue Verfärbung der Papille, die auch
Jäger und König stein beobachtet haben. Da bei einzelnen Fäl¬
len, welche diesen grauen Farbenton der Papille aufwiesen, gleich¬
zeitig eine Blutung in den Sehnervenscheidenraum erfolgt war und
gleichzeitig mit der nach einigen Tagen erfolgten Resorption der Blu¬
tung die graue Farbe mehr oder minder vollständig verschwand,
glaubt S. annehmen zu dürfen, dass der graue Farbenton mit einer
Durchblutung des Optikus in Zusammenhang steht.
Der klinische Verlauf der Blutungen verhielt sich übereinstim¬
mend mit den von früheren Untersuchern angegebenen Beobach-
17. September 19U7.
müenchener Medizinische Wochenschrift.
19U3
tungen. Selbst ziemlich grosse, ausgedehnte Blutungen verschwanden
schon nach wenigen l agen spurlos und nur in ganz vereinzelten Fällen
waren b Tage nach der (Jeburt noch einzelne verwaschene, hellrötliche
Flecke oder Streiten als Residuen der Hämorrhagien nacüzuweisen.
Bezüglich der Ursache der Blutungen schliesst sich S. der An¬
schauung S c h 1 e i c h s an, dass dieselbe in einer hochgradigen Stau¬
ung bei der Geburt besteht.
Bestärkt in dieser Annahme wird S. ferner dadurch, dass, wie
aus seinen Untersuchungen hervorgeht, das Auftreten der Blutungen
mit der Lage des Kindes in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis
steht. Es fand sich nämlich in der Kegel, dass bei 1. Schädellage ent¬
weder das rechte Auge allein oder, bei beiderseitigen Blutungen,
das rechte in stärkerem Masse betroffen ist, während wir bei 11. Schä¬
dellage das umgekehrte Verhältnis vorfinden. Nur in einigen wenigen
Fällen war kein erheblicher Unterschied in der Stärke der Blutung auf
beiden Augen zu bemerken.
Die in einem ganz bestimmten, zirkumskripten Gefässgebiet des
Kopfes durch den Geburtsakt bedingte Zirkulationsbehinderung und
dadurch hervorgerufene Blutstauung ist imstande, in der Regel auf
dem gleichseitigen Auge eine Netzhauthämorrhagie zu veranlassen.
hinsichtlich der Bedeutung dieser Netzhautblutungen für die
spätere Funktion der Retina schliesst sich S. der Anschauung an, dass
zentral gelegene hämorrhagien die Netzhautelemente in ihrer Struk¬
tur und ihrer weiteren Entwicklung beträchtlich schädigen können.
Die Frage des Zusammenhanges zwischen diesen Blutungen und
der sog. Amblyopie ohne Befund kann erst nach einer abermaligen,
nach Jahren erfolgenden Untersuchung der Augen der Kinder ent¬
schieden werden.
H a p p e - Giessen: Ueber den Ringabszess der Kornea.
happe berichtet über 3 klinische Fälle von Kingabszess. In
Fall 1 und 11 entstand letzterer im Anschluss an eine Perforationsver¬
letzung, im Fall 111 im Anschluss an ein Ulcus serpens.
Im letzten halle, in dem keine intraokulare Infektion eintrat, ge¬
lang es, das Auge zu erhalten, während in den beiden ersten wegen
Panophthalmie die Exenteration vorgenommen werden musste.
Aus dem Glaskörpereiter von Fall 1 wurde ein heubazillus, aus
dem Glaskörpereiter von Fall II ein Staphylokokkus albus und aus
dem Hornhautgeschwür von Fall III der Pyozyaneus gezüchtet.
Durch Injektionen von Bouillonkulturen jeder einzelnen Bak¬
terienart in den Kanmchenglaskörper konnte wiederum eine Panoph¬
thalmie mit Bildung eines typischen, ganz in der Peripherie am Lim-
bus gelegenen gelben Infiltrationsringes hervorgerufen werden.
Infektionen eines Epitheldefektes der Hornhaut mit Heubazillen
oder mit Staphylococcus albus blieben am Kaninchenauge entweder
wirkungslos, oder hatten ein oberflächliches Ulcus zur Folge, das aber
auch nach 1 — 2 Tagen wieder abgeheilt war.
Dagegen Hess sich mit dem Pyozyaneus ein Ulcus serpens er¬
zeugen, das stets von einer eitrigen Kinginfiltration umgeben war.
Die vom Glaskörper aus erzeugte Kinginfiltration unterscheidet
sich von der von der Kornea aus erzeugten schon makroskopisch
durch ihre Lage. Im ersten Falle, in dem man eine Nekrose der
ganzen hinteren, der Deszemet aufliegenden Hornhautschichten findet,
liegt der Infiltrationsring ganz peripher am Limbus, während in dem
letzten Falle, in dem es sich nur um eine partielle Nekrose der
Hornhaut in der Umgebung der Infektionsstelle handelt, der Infil¬
trationsring mehr zentral gelegen ist.
Dimmer-Graz: Eine subkonjunktivale Methode der Star¬
operation.
Die Methode, deren nähere Beschreibung in den Spezialzeit¬
schriften einzusehen ist, hat sich in einer Reihe von Fällen gut be¬
währt.
Co Hin -Berlin: Erfahrungen mit den B e h r i n g sehen Tu-
losepräparaten bei der Behandlung tuberkulöser Augenerkrankungen.
In No. 36 d. W. ausfiirlich erschienen.
F 1 e i s c h e r - Tübingen : Ueber Vererbung von Kurzsichtigkeit.
Der Vortr. berichtet über Untersuchung sämtlicher Schulkinder
in einem Dorfe, in welchem die hochgradige Kurzsichtigkeit besonders
häufig ist. Fl. konnte feststellen, dass die hochgradige Kurzsichtigkeit
erst nach der Schulzeit einsetzt. Der Grad derselben nimmt
mit zunehmendem Alter zu. Fl. macht aufmerksam auf die relative
Häufigkeit von Papillen ohne Sichel und von Sicheln und Ektasie des
Bulbus nach unten. Inzucht soll in dem untersuchten Dorf Vorkommen.
Ob dies für die Aetiologie in Betracht kommt, lässt Fl. dahingestellt.
H a 1 1 a u e r - Basel : Einige Gesichtspunkte für die Wahl des
Brillenmateriales.
Auf Grund eingehender Versuche kommt H. zu folgenden
Schlüssen:
1. Helle Gläser, wie Crown, Flint, Bergkristall, Isometropglas
sind für alle untersuchten Lichtarten (Tageslicht, Nernstlampe, Auer-
licht, elektrisches Glühlich und Petrollicht) stark durchlässig.
2. Selbst Bleigehalt von 45 Proz. (bei Flint) zeigt für die Durch¬
gängigkeit keine auffallend hemmende Wirkung.
3. Die bestehende Lichtabsorption der hellen Gläser ist in der
geringen Glasstärke von 1 — 4 mm annähernd dieselbe.
4. Blau- und Rauchgläser sind in den gebräuchlichen Fabrikaten
und Nuancen für Tages-, Nernst- und Auerlicht sehr durchgängig.
Sie eignen sich für diese Beleuchtungsarten deshalb nicht als Blen¬
dungsschutz.
5. Rauchgläser schützen in mittleren und dunklen Nuancen gegen
elektriscnes Ulühlicht und Petrollicht.
6. Gegen Licntblenaung clurcn lages-, Nernst-, Auer-, elektrisches
Glühlicht und Petrollicht wirken hervorragend grüne, rote, gelbe,
grau-gelbe und namentlich grau-grüne Gläser.
7. Als Schutz gegen maximale Lichtwirkung empfehlen sich für
allgemeine Verwendung nach ihren Eigenschaften am meisten gelbe,
grau-gelbe und hauptsächlich grau-grüne Gläser.
II. Demonstrationen.
Eine Reihe der Vortragenden demonstrierten Präparate zu ihrem
Vortrag. Ausserdem: G u 1 1 s t r a n d - Upsala demonstriert Präparate
von Netzhäuten, die durch Trocknung gewonnen und auf Glastäfel¬
chen aufgezogen sind, und die keine Spur von Makulapigment zeigen.
A b e 1 s d o r f f und Wessely- Berlin : Demonstrationen zur
vergleichenden Physiologie des intraokularen Flüssigkeitswechsels.
Unter anderem wird von den Vortragenden hervorgehoben, dass
bei Amphibien, Reptilien und Vögeln, besonders bei letzteren, der
Wiederersatz der Augenflüssigkeiten ein viel schnellerer als bei Säuge¬
tieren ist, während die Fische eine äusserst langsame Flüssigkeits¬
regeneration aufweisen.
S t o c k - Freiburg: Ueber Sehnervenveränderungen bei Myopie.
St. fand unter 8 exzessiv myopischen Augen bei 2 Augen aus¬
gesprochen lakunär atrophische Stellen. Die Veränderungen lagen in
4 Fällen auf der temporalen Seite. St. bringt diese lakunäre Atrophie
mit der Dehnung des Auges, die ja auf der temporalen Seite am
stärksten ist, in Zusammenhang.
Derselbe berichtet über experimentelle Veränderungen am
Auge des Kaninchens durch Blutinfektion mit pathogener Hefe.
Und über experimentelle Veränderungen des Auges durch Try¬
panosomen.
St. konnte sicher feststellen, dass die Trypanosomen isoliert
in die gefässlose intakte Kornea eindringen und hier
zu Entzündungsvorgängen Anlass geben.
W a g e m a n n - Jena: 1. Epithelimplantation hinter der Iris mit
beginnender Zystenbildung nach perforierender Stichverletzung der
Sklera.
2. Perforierende Verletzung des Auges durch Radfahrerknall¬
erbse mit zinnoberroten Massen im Glaskörper und umschriebener
Fremdkörperentzündung.
3. Ein Fall von doppelseitiger echter Ptosis adiposa bei einem
löjähr. jungen Manne.
U h t h o f f - Breslau: Ein seltener Fall von grosser syphilitischer
Ulzeration von Kornea und Sklera mit chronischem Verlauf und
schliesslicher Enucleatio bulbi.
Clausen- Berlin : Demonstration von Kaninchensyphilis.
Vertr. gelang bei Kaninchen die Uebertragung der experimen¬
tellen Keratitis interstitialis von Tier zu Tier bis zur 12. Generation.
Injektion des Kammerwassers bei Iritis und Keratitis interstitialis des
Menschen in die Kornea von Kaninchen rief nach 10 — 14 Tagen eine
tiefe, sich zungenförmig bis zur Hornhautmitte vorschiebende, von
einem Pannus begleitete Keratitis auf, die nach 3—4 Wochen langem
Bestände zurückging. Impfungen mit Kammerwasser in die vordere
Kammer fielen negativ aus .
A x e n f e 1 d - Freiburg: Glioma iridis; metastatisches Karzinom
der Orbita, besonders der Augenmuskeln; episklerale Ziliarganglien.
G i 1 b e r t - München: Präparate von Pannus degenerativus.
G. untersuchte ein erblindetes glaukomatöses Auge, welches kli¬
nisch das Bild der rezidivierenden Blaseneruption geboten hatte. G.
kommt zu folgendem Schluss: tritt bei Keratitis bullosa Pannusbil¬
dung auf, so kann man hierin einen anatomischen Heilungsvorgang
erblicken, indem die subepitheliale Gewebslage die Durchtränkung des
Epithels mit Oedemflüssigkeit erschwert.
L. S c h r e i b e r - Heidelberg: Ueber markhaltige Nervenfasern
der Hundepapille.
Sehr, beobachtete einen Hund, bei welchem die Papille beider
Augen von gleichmässig glänzend weisser Farbe erschien. Er dia¬
gnostizierte „markhaltige Nervenfasern“ und fand die ophthalmo¬
skopische Diagnose durch die mikroskopische Untersuchung bestätigt.
Das Verhalten der Markscheiden in diesem Falle unterschied sich
dadurch prinzipiell von dem Befunde bei markhaltigen Nervenfasern
der Papille und Netzhaut des Menschen, dass 'bei dem Hunde sämt¬
liche Fasern des Optikusstammes ihre Markhüllen auch innerhalb der
Lamina cribrosa bis zum Rande der Sehnervenscheibe hin kontinuier¬
lich beibehielten. Ueberraschenderweise zeigte sich nun auch bei
12 anderen Hunden, deren Papille ophthalmoskopisch von gewöhn¬
licher Farbe erschien, im mikroskopischen Präparate genau der
gleiche Befund wie bei dem erst untersuchten Tiere, nur dass bei
jenen die Zahl der markhaltigen Nervenfasern innerhalb des Sklerotico-
chorioidealkanals geringer war. Die Lamina cribrosa fand Sehr, bei
allen Hunden kräftig ausgebildet.
Vortr. erblickt in dem Befunde des physiologischen Vorkommens
markhaltiger Nervenfasern in der Hundepapille bei wohlausgebildeter
Lamina cribrosa einen strikten Beweis für die Unrichtigkeit der mehr¬
fach vertretenen Anschauung, dass diese Membran der Markscheiden¬
entwicklung im Sehnerven des Menschen einen mechanischen Wider¬
stand entgegensetze.
Relsi-Bonn: Topische Fehldiagnose eines Aderhautsarkoms.
Präparate von Keratitis profunda.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1904
Seefelder - Leipzig : Präparate embryonaler menschlicher
Augen.
S. demonstriert Schnitte und Diapositive menschlicher Embry¬
onen von 19, 31 (21 Scheitelsteiss-) und 56 mm (43 mm Scheitel-
steiss-) Körperlänge.
I g e r s h e i m e r - Heidelberg: Zur pathologischen Anatomie der
Conjunct. diphtheritica.
Auf Grund des bakteriologischen Befundes glaubt J., dass die
Nekrose und das Fortschreiten des diphtheritischen Prozesses haupt¬
sächlich der Sekundärinfektion zur Last zu legen ist.
Z a d e - Leipzig: Fruktifikationsorgane des Aspergillus fumigatus
in Schnittpräparaten der Kaninchenkornea.
Hanke- Wien: Präparate von Neuritis optica bei Tetanie.
H. fand, ähnlich wie bei Diabetes, Quellung und Proliferation der
Zellen des Pigmentepithels der Iris, partielle Abhebung und Zysten¬
bildung im Epithelbeiag.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 17. Juli 1907.
Vorsitzender: Herr Veit.
Herr Veit demonstriert eine Kranke von 25 Jahren, virginell,
mit Osteomalazie seit ihrem 13. Lebensjahr. Die Kranke zeigt extreme
Abmagerung, wiegt nur 31 Pfund (!) und bietet neben ver¬
schiedenen Spontanfrakturen die typischen Beckenveränderungen
dar. Veit will auch hier die Kastration machen.
Herr Frese: Ueber Oesophagoskopie mit Demonstrationen.
Nach einem geschichtlichen Ueberblick der Entwicklung der Oeso¬
phagoskopie berichtet Vortr. über den gegenwärtigen Stand der
ösophagoskopischen Technik. Wie die meisten Autoren, ist Vortr.
von der Untersuchung der Patienten in sitzender Stellung ganz ab¬
gekommen und verwendet ausschliesslich die Rückenlage bei hängen¬
dem Kopf. Exakte Kokainisierung des Kehldeckels und des Speise¬
röhreneingangs erleichtert zweifellos die Einführung der Röhre.
Vortr. benützt vorwiegend das Kill Pansche Instrumentarium; als
Mandrin erwiesen sich ihm die von S t a r c k empfohlenen geknöpften
Bougies als praktisch.
Die Oesophagoskopie hat unsere Kenntnisse von den normalen
und pathologischen Verhältnissen der Speiseröhre wesentlich er¬
weitert und ist therapeutisch besonders für die Extraktion von
Fremdkörpern von hervorragender Bedeutung geworden.
Bei zwei Patienten wird die Einführung des Oesophagoskops
demonstriert; bei dem einen handelt es sich um einen, seit 2 Jahren
bestehenden Kardiospasmus, bei dem andern um eine Kompression
der Speiseröhre von aussen; 26 cm von der Zahnreihe entfernt ist die
vordere Wand des Oesophagus, dessen Schleimhaut keine Ver¬
änderungen aufweist, stark nach innen vorgewölbt. In Bezug auf die
Ursache der Kompression kann man an geschwollenen Lymphdrüsen
oder an Veränderungen der Pleura (Kalkplatte?) denken, da Patient
vor Jahren eine eitrige Brustfellentzündung durchgemacht hat.
Herr Käthe: Ueber die anatomischen Veränderungen bei
Emphysem. Vortr. demonstriert unter Hinweis auf die bekannten
Untersuchungen A. W. Freunds über primäre Thoraxver¬
änderungen und dadurch bedingte Lungenerkrankungen mikroskopi¬
sche Präparate von Rippenknorpeln bei sogen, starrer Dilatation
des Thorax. Die Objekte stammten von einem Patienten, an dem
Herr Geheimrat v. Bramann die Freund sehe Operation der Re¬
sektion mehrerer Rippenknorpel mit Erfolg ausgeführt hat und der
von Herrn Mohr in der vorletzten Sitzung vorgestellt wurde.
(Herr Privatdozent Dr. S t i e d a wird über diesen Fall an
anderer Stelle berichten.)
Diskussion: Herr Stieda berichtet über einen neuen von
ihm kürzlich operierten Fall von starrer Dilatation des Thorax und
Lungenemphysem. Der Erfolg war ein überaus günstiger. (Aus¬
führliche Mitteilung an anderer Stelle.)
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 8. Mai 1907.
Herr Ach: Ueber Lumbalanästhesie. (Der Vortrag er¬
schien in No. 33 der Münch, med. Wochenschr.)
Diskussion: Herr A. Schmitt: So sehr ich natürlich, wie
jeder Chirurg, ein unschädliches Ersatzmittel für Chloroform und
Aether begrüsse, muss ich doch sagen, dass die Riiokenmarks-
anästhesie für mich einen vollwertigen Ersatz noch nicht darstellt.
Ich habe nicht bloss nach der Injektion von Stovain, sondern auch
nach Tropakokain eine verhältnismässig grosse Zahl von so erheb¬
lichen üblen Nachwirkungen gesehen, dass ich die Anwendung der
Lumbalinjektion wieder eingeschränkt habe. Ganz besonders quä¬
lend war in dem Drittel der Fälle etwa der längere Zeit, in einigen
Fällen bis 14 Tage anhaltende, offenbar äusserst heftige Kopfschmerz,
der sich durch keines der von verschiedenen Seiten angegebenen
Mittel in merklicher Weise beeinflussen liess. In 3 Fällen habe ich
während der Operation ausgesprochenen Kollaps und bedrohlich aus¬
sehende Atmungsstörungen beobachtet, denen man nach meinem Ge¬
fühl noch wesentlich wehrloser gegenübersteht, als den bei Chloro¬
formnarkose eintretenden Zufällen. Unangenehm empfunden habe ich
wiederholt das völlige oder teilweise Ausbleiben der Anästhesie trotz
der wie ich glaube einwandfreien Injektionstechnik und Injektions¬
flüssigkeit. Mehrere Patienten, die wiederholt operiert werden muss¬
ten, und die früher in Allgemeinnarkose und darnach in Lumbal¬
anästhesie operiert worden waren, weigerten sich ganz entschieden,
bei einer weiteren Operation die letztere anwenden zu lassen. Natür¬
lich habe ich auch eine Reihe von ideal verlaufenen Lumbalanästhesien
gehabt, bevorzuge aber trotzdem, besonders bei länger dauernden
Operationen, die Morphium-Chloroform-Narkose und beschränke die
Lumbalanästhesie auf die Fälle, bei denen schlechtes Herz usw. eine
Allgemeinnarkose allzu gefährlich erscheinen Hesse.
Herr G. Klein (wird einen diesbezüglichen Originalartikel in
dieser Wochenschrift veröffentlichen).
Herr Gilmer: Seit 2 Jahren verwende ich fast ausschliesslich
die Lumbalanästhesie für alle Operationen von den Mammillen an
abwärts und bin mit der Methode ganz ausserordentlich zufrieden,
so dass ich nur in Ausnahmefällen zur Allgemeinnarkose zurück¬
kehren werde. Zwar sind auch mir, besonders im Anfang, Miss¬
erfolge nicht erspart geblieben. Schwerere Nachwirkungen habe ich
keine gesehen, ausser in 3 Fällen tagelang anhaltende heftige Kopf¬
schmerzen, von denen 2 der Patienten durch nochmals vorgenom¬
mene Lumbalpunktion und Entnahme von ca. 10 ccm Liquor sofort be¬
freit werden konnten. In beiden Fällen war der Liquor leicht ge¬
trübt, opaleszierend, mit vereinzelten Leukozyten im Sediment, bak¬
teriologischer Befund negativ. An mehreren Patienten wurde zwei-
und dreimal die Lumbalanästhesie ohne Schaden vorgenommen; eine
Patientin vertrug die 1. und 3. Anästhesie vorzüglich, nach der 2.
hatte sie 3 Tage lang mässige Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit.
Auch Kinder unter 14 Jahren vertragen die Spinalanästhesie vor¬
züglich. Der Grund für die noch immer relativ häufig beschriebenen
Versager und Nachwirkungen liegt m. E. zum weitaus grössten Teil
in kleinen Fehlern der Technik und in der Wahl des Anästhetikums.
Die Nadel soll nicht zu dick sein, da leicht aus dem dicken Stichkanal
der Liquor nebst dem Anästhetikum zum Teil wieder in das peri-
arachnoideale Gewebe aussickern ikann. Die Nadel soll ferner mög¬
lichst stumpf abgeschrägt sein; bei lang abgeschrägten Nadeln kann
es Vorkommen, dass nur ein Teil des Nadellumens im Kanal liegt,
der andere noch oder schon ausserhalb desselben; bei Injektion des
Anästhetikums wird dann ein Teil ausserhalb des Lumbalkanals de¬
poniert. Man injiziere möglichst nur dann, wenn vorher der Liquor
im Strahl oder in rascher Tropfenfolge abgeflossen ist, wenn also die
Nadelspitze genau in der Mittellinie, dem Filum terminale ent¬
sprechend, sich befindet. Fliesst der Liquor nur in sehr langsamer
Tropfenfolge ab, dann hat sich die Nadel in die seitlichen Fasern der
Kauda verirrt und man wird dann meistens Versager, oder verspätete,
ungenügende oder halbseitige Anästhesie bekommen. Man versuche
daher in solchem Falle durch vorsichtiges Zurückziehen und Vor-
stossen der Nadel in die Mittellinie zu gelangen und raschen Tropfen¬
fall zu erzielen, was nach einigen Versuchen fast immer gelingt.
Was die unangenehmen Nachwirkungen anbelangt, so glaube ich,
dass sie nicht dem Verfahren als solchem oder der Disposition des
Kranken zur Last gelegt werden dürfen, sondern dass sie in der Haupt¬
sache durch fehlerhafte Technik und ungeeignete Anästhetika ver¬
ursacht werden. Alle Autoren, die Serien von Hunderten und Tausen¬
den von Lumbalanästhesien vorgenommen haben, berichten über¬
einstimmend, dass sie anfangs sehr viele und schwere, später nur
noch sehr wenig Nachwirkungen zu verzeichnen hatten. Interessant
sind die Publikationen von S 1 a j m e r, der bei plötzlichem Ansteigen
in der Häufigkeit der Nachwirkungen stets einen neuen Fehler in
der Technik nachweisen konnte (Verwendung von schlechtem Reini¬
gungsalkohol, Bespritzen der Injektionsstelle mit Chloräthyl oder
Betupfen derselben mit Jodtinktur). Eine Hauptursache für üble
Nachwirkungen glaube ich in der unzweckmässigen Behandlung der
Spritzen und besonders der Nadeln gefunden zu haben. Dass das
Auskochen derselben in Sodalösung und ihre Berührung mit des¬
infizierenden Lösungen verhütet werden muss, ist bekannt. Aber
auch das Auskochen in gewöhnlichem Wasser (Kalkgehalt!) oder in
destilliertem Wasser oder in physiologischer Kochsalzlösung ist
nicht zweckmässig. Auch bei gründlichster Reinigung vor und nach
dem Gebrauche lässt sich Rostansatz in den langen Hohlnadeln nie¬
mals verhüten. Nach jedem Auskochen lässt sich aus der Nadel eine
Schmutzbrühe entleeren, und selbst nach wiederholtem Durchspritzen
sammelt sich immer wieder eine vom Rost herrührende Verunreini¬
gung an. Dass diese Verunreinigung bei der hochgradigen Empfind¬
lichkeit der Rückenmarkshäute nicht ohne Folgen bleiben kann, ist
klar. Ich habe die Nadeln innen und aussen vernickeln, versilbern,
vergolden lassen, doch gelingt es nicht, auf diese Weise im Innern der
langen Nadeln einen gleichmässigen oder dauerhaften Ueberzug
herzustellen. Am besten sind Nadeln aus reinem Platin-Iridium;
leider wird ihr hoher Preis (60 — 90 M.) einer allgemeinen Verwen¬
dung im Wege stehen. Wir haben jedoch in dem Verfahren von
Dr. Grosse (Sterilisation im Wasserdampf in geschlossenen Glas¬
tuben) ein Mittel, auch gewöhnliche Stahlnadeln sicher und ohne jede
Rostentwicklung keimfrei zu machen. Ich kann diese Methode
wärmstens empfehlen.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1905
Als Anästhetiikum verwende ich nur noch das Tropakokain, nach- |
dem ich so ziemlich alle anderen Mittel durchprobiert habe. Es
hat den grossen Vorteil, sich leicht sterilisieren zu lassen und lange
haltbar zu sein; ferner wirkt es nur sehr wenig auf die motorischen
Wurzeln der Nervenfasern, vor allem nicht auf das Atemzentrum,
so dass sich damit gefahrlos hohe Anästhesien, bis zum Kopf, erzielen
lassen. Wichtig ist, dass das Tropakokain in isotonischer Lösung
verwandt wird. Einen Zusatz von Nebennierenpräparaten halte ich
nicht ,für wünschenswert, ich habe keine Verlängerung der Anästhesie
damit erreicht. Andererseits zersetzen sich die Nebennierenprä¬
parate in Lösungen sehr leicht und geben dann zu schweren Nach¬
wirkungen Anlass. Bräunlich gefärbte Lösungen dürfen unter keinen
Umständen verwandt werden. Zu warnen ist vor dem englischen
Präparat Adrenalin, das Salzsäure enthält und schwere Nacherschei¬
nungen verursacht. Die schlimmsten Nachwirkungen, vor allem Läh¬
mungen, hat man bei Stovain beobachtet, namentlich bei Verwendung
der B i 1 1 o n sehen Ampullen, die neben Adrenalin noch Kai boisäure
enthalten und nicht isotonisch sind.
Herr Baum: Auf Grund von 96 Lumbalanästhesien, welche in
einem Zeitraum von 2 Jahren in der Privatklinik des Herrn
Dr. Kr ecke vorgenommen wurden, glaube ich annehmen zu müssen,
dass nicht Fehler in der Technik ausschliesslich für das Auftreten
von üblen Begleit- und Nacherscheinungen anzuschuldigen sind, son¬
dern die anästhesierenden Mittel selber. Unter diesen als das harm¬
loseste hat sich auch uns das Tropakokain bewährt, bei dem nur
25,9 Proz. schwerere Nacherscheinungen zur Beobachtung kamen
gegen 39,3 Proz. beim Stovain und gar 53,9 Proz. beim Novokain.
Weitere Mängel des Verfahrens sind ferner die Beschränkung des
Operationsfeldes und der Wirkungsdauer, die Unikontrollierbarkeit der
Wirkung und besonders die psychische Mitleidenschaft des Patien¬
ten, die vielleicht durch das Skopolamin wird ausgeschaltet werden
können. Dagegen müssen als schwerwiegende Vorteile der Lumbal¬
anästhesie bezeichnet werden: ihre gefahrlose Verwendbarkeit bei
Herz- und Lungenkranken, bei alten und bei sehr fetten Leuten, bei
Potatoren, die Entbehrlichkeit eines Narkotiseurs, die vollkommenste
Muskelerschlaffung; hiernach richtet sich unsere Indikationsstellung.
Herr Grosse fügt den Ausführungen des Herrn Kollegen G i 1 -
m e r über die Asepsis des Instrumentariums ergänzend bei, dass er
nicht nur die Kanülen zur Spinalanästhesie, sondern auch die Spritze
selbst im Wasserdampf sterilisiert, erstere in ein ad hoc jetzt her¬
gestelltes „Kanülensterilisationsrohr“ eingeschlossen, letztere frei im
Wasserdampf mit den sonstigen Instrumenten zusammen. G. erhält so
ein von jeglicher Verunreinigung — sei es Rost, seien es
Reste von Soda, Kalksalzen, Kochsalz oder Antiseptizis — ab¬
solut freies Instrumentarium, welches nach beendeter
Sterilisation ohne weitere Reinigungsprozeduren zur Aspiration und
Injektion gebrauchsfertig ist. Dass bei der grossen Empfindlichkeit
der nervösen Zentralorgane eine solche mit peinlichster Sauberkeit
kombinierte Asepsis zur Vermeidung fataler Nachwirkungen unerläss¬
lich ist, steht auch für G., der bei genannter Behandlung seines In¬
strumentariums niemals derartige Erscheinungen beobachtete, ausser
allem Zweifel. Die von Herrn Vorredner berichteten unangenehmen
Zufälle dürften vielleicht grossenteils auf Verwendung von Kochsalz¬
lösung bei der Sterilisation zurückzuführen sein.
Herr J. A. Amann: M. H.l Nachdem ich bereits 1900 in Paris
eine Reihe von gut verlaufenen Lumbalanästhesien bei Tuffier ge¬
sehen hatte, wandte ich dieselbe mehrfach und mit ganz befriedigen¬
dem Resultat an. Da aber damals noch Kokain verwendet wurde
und die Gefährlichkeit dieses Mittels durch die Publikation verschie¬
dener ungünstiger Ausgänge mehr erkannt wurde, stand ich davon wie¬
der ab. 3 Jahre später nahm ich die lumbalen Anästhesien mit Tropa¬
kokain wieder auf, hatte aber neben guten auch manche unge¬
nügende Resultate, offenbar, wie es nunmehr scheint, durch unge¬
eignete Dosierung. Erst in den letzten Jahren liess ich in meiner
Klinik in systematischer Weise die Lumbalanästhesien wieder aus¬
führen und zwar mit Novokain. Ueber eine grössere Reihe dieser
Narkosen hat mein Assistent, Herr Dr. Brunner, bereits im vorigen
Jahre berichtet. In letzter Zeit sind wir nach den neueren Emp¬
fehlungen wieder zu Tropakokain übergegangen.
Die über 100 lumbalen Anästhesien, welche Im
letzten Jahre mit Novokain und Tropakokain in
meiner Klinik ausgeführt wurden, betrafen die verschiedenartigsten
gynäkologischen Operationen; selbstverständlich wurden diese Nar¬
kosen besonders bei alten, dekrepiden Leuten, bei denen die allge¬
meine Inhalationsnarkose bedenklich schien, angewandt.
Im allgemeinen war der Effekt der Analgesie ein sehr guter,
nur bei wenigen Fällen trat keine Unempfindlichkeit ein. Bei länger
dauernden Operationen, wie komplizierteren abdominalen Becken¬
ausräumungen bei Uteruskarzinomen etc. musste im Verlaufe der
Operation zu Chloroform übergegangen werden, aber es zeigte sich
dabei der grosse Vorteil der Ersparung von Chloro¬
form; einige Gramm genügten meist vollkommen für die Fertig¬
stellung der in der Hauptsache mit lumbaler Anästhesie ausgeführten
Operation. Zerrungen am Uterus resp. an den Liga tu. sacro-
uterina, besonders vom Abdomen aus, riefen gewöhnlich
Schmerzensäusserungen der Patientin hervor, während bei vaginalen
Totalexstirpationen der Zug an den gleichen Ligamenten nach
unten gewöhnlich nicht besonders empfunden wurde, ebensowenig
wurden ausgedehnte Schuchardt sehe Schnittführungen bis zum
Steissbein und Verschiebungen des Rektums etc. als Schmerzen emp¬
funden; eher noch kam es zu Reaktionen der Patientin bei Lapa¬
rotomien, beim Zug am Mesenterium des Darmes. Bei sehr anämi¬
schen Patientinnen habe ich mehrfach zu grossen Eingriffen die lum¬
bale Anästhesie angewandt, so liegen z. B. gegenwärtig wieder 3 Fälle
auf meiner Abteilung, ausgeblutete Myomkranke, von denen 2 von
der psychiatrischen Abteilung mir überwiesen wurden mit 25 Proz.,
28 Proz. und 32 Proz. Hämoglobin, bei denen ich die abdominale
Totalexstirpation des myomatösen Uterus (in einem Falle Myosarkom)
in lumbaler Anästhesie ausgeführt habe. (Allerdings wird eine ge¬
schickt und vorsichtig ausgeführte Inhalationsnarkose auch von sehr
anämischen Patientinnen gut vertragen; ich erinnere mich an zahl¬
reiche Totalexstirpationen des mvomatösen und karzinomatösen
Uterus, die ich an Patientinnen mit Hämoglobingehalt unter 30 Proz.
mit Erfolg ausgeführt habe und speziell an eine Totalexstirpat'on des
Uterus mit Adnexen bei fortgeschrittener Genitaltuberkulose, wobei
nur mehr ein Hämoglobingehalt von 16 Proz. vorhanden war, die Pat.
hat sich ziemlich schnell wieder erholt. )
Schwere Zufälle habe ich bei der lumbalen Anä¬
sthesie nicht gesehen, dagegen doch in einer nicht ge¬
ringen Anzahl von Fällen lange dauerndes, in ein¬
zelnen Fällen sogar Monate dauerndes intensives
Kopfweh, das durch keines der hiefür angegebenen
zahlreichen Mittel zu beseitigen war. Meist, aber
nicht immer, handelte es sich dabei um Operationen, die in
Beckenhochlagerung ausgeführt werden mussten.
Die Beckenhochlagerung können wir Gynäkologen nicht gut entbehren
und dies bedingt einen gewissen Nachteil für die Anwendung der
Lumbalanästhesie in der Gynäkologie. Besser scheint es in dieser
Beziehung zu sein, wenn man die Beckenhochlagerung
erst ziemlich spät im Laufe der Operation zur An¬
wendung bringt. Vielleicht spielen auch Druckschwankungen beim
Ablassen des Liquor und bei der Injektion der Flüssigkeit eine Rolle,
jedenfalls muss man sehr langsam injizieren.
Oft haben wir Morphium Vz Stunde vor der Operation injiziert
und dies als zweckmässig befunden. Skopolamin habe ich bisher nicht
mit der Lumbalanästhesie kombiniert, obgleich ich vor Jahren mit
der Skopolaminnarkose ausgedehnte Versuche an meiner Klinik an¬
stellen Hess; mein damaliger Assistent, Dr. Roith, hat darüber be¬
richtet. Einige sehr schwere Zustände, die ich nach Skopolamin ge¬
sehen, besonders enorme Verlangsamung der Atmung, 1 — 2 Tage lang,
bleiben mir immer noch in unangenehmer Erinnerung, wenn ich auch
annehmen muss, dass damals die Dosierung keine entsprechende ge-
i wesen ist; später sind keine derartigen Störungen mehr bekannt
geworden.
Die Desinfektion der Haut an der Einstichstelle scheint mir auch
noch nicht ganz einwandfrei durchzuführen zu sein; Keime, welche
in den tieferen Schichten der Haut sich befinden können, könnten
möglicherweise mit der Nadel eingeführt werden. Daher scheint mir
der Vorschlag, der von einer Seite gemacht wurde, statt durch die
Haut einzustechen, erst eine kleine Inzision zu machen und hier ein¬
zustechen, theoretisch wenigstens ganz richtig.
Herr G e b e 1 e wendet sich gegen die von Klein vorge-
schlagene und empfohlene Kombination von Lumbalanästhesie und
Allgemeinnarkose, denn die Lumbalanästhesie soll gerade dann An¬
wendung finden, wenn Kontraindikationen gegen die Narkose be¬
stehen. Die Lumbalanästhesie ersetze auch die Narkose bei Opera¬
tionen an den unteren Extremitäten, am Damm. After, an den Geni¬
talien und bei Bauchoperationen. Bei sehr nervösen Leuten erscheint
G e b e 1 e die Lumbalanästhesie nicht angezeigt, da hierdurch zwar die
Schmerzempfindung, nicht aber die Tastempfindung aufgehoben werde.
Nervöse Leute werden infolgedessen während der Operation in der
Regel unruhig und dies umsomehr, als sie alles um sich hören und
sehen.
Herr Ludwig Seitz: Bereits vor mehreren Jahren wurde an
hiesiger Universitäts-Frauenklinik die Lumbalanästhesie bei gynä¬
kologischen und geburtshilflichen Operationen angewendet und zwar
ausschliesslich mit Tropakokain. Die Resultate waren im grossen
und ganzen befriedigend, die Anästhesie, auch beim Hervorziehen des
Uterus, vollständig, doch traten einigemale starke Nacherscheinungen.
heftige Kopfschmerzen, Erbrechen und 2 mal Temperatursteigerung
auf 39 0 auf (letzteres bei Kreissenden). Bei Gebärenden ist die
Injektion wegen der beständigen Unruhe häufig erschwert.
Herr Perutz berichtet über zwei Fälle von fast totalem Py-
lorusverschluss durch Karzinom, die von Herrn G i 1 m e r im Skopo¬
lamindämmerschlaf unter Lumbalanästhesie gastroenterostomiert
wurden. Beide Patientinnen kamen durch wochenlanges Erbrechen
hochgradig entkräftet und wasserverarmt in Behandlung; sie ver¬
trugen trotzdem den Eingriff erstaunlich gut. Er hat den Eindruck
gewonnen, dass dieses Verfahren der Anästhesierung geeignet ist,
die hohe Mortalität der Gastroenterostomie beim Magenkarzinom er¬
heblich zu verringern und deshalb besonders bei heruntergekommenen
Kranken Anwendung finden sollte.
Herr Ach: Ich vertrete nach wie vor den Standpunkt, dass die
Nacherscheinungen zum grössten Teil auf eine fehlerhafte Technik
zurückzuführen sind. Es ist deshalb eine bis ins kleinste Detail
gehende, peinliche Befolgung der Technik unbedingt erforderlich;
1906
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
nur so können die Nacherscheinungen, wenn auch nicht völlig aus¬
geschaltet, so doch auf ein Minimum beschränkt werden.
Rostocker Aerzteverein.
Sitzung vom 8. Juni 1907.
Privatdozent Dr. Brüning: Säuglingssterblichkeit in Rostock.
Unter Hinweis auf die politische, volkswirtschaftliche und hu¬
manitäre Bedeutung der grossen Säuglingssterblichkeit in Deutsch¬
land, berichtet der Vortragende über einschlägige, in Gemeinschaft
mit Herrn Dr. B a 1 c k angesteilte Erhebungen betreffs der Rostocker
Säuglingswelt. Während in dem 15 jährigen Zeitraum von 1882 bis
1896 in Rostock 16,25 Proz. der Lebendgeborenen bereits vor Ablauf
des ersten Lebensjahres wieder abstarben, betrug die Säuglings¬
mortalität in dem 10 jährigen Zeitraum von 1897 — 1906 laut der Ver¬
öffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes durchschnittlich
16,70 Proz. Im Gegensatz zu dem letztgenannten Werte belief sich
während derselben Zeitperiode die Sterblichkeit der Säuglinge, d. h.
der Kinder im ersten Lebensjahre, in Schwerin auf 14,02 Proz., in
Güstrow auf 15,76 Proz. und in dem zum Vergleich herangezogenen
Lübeck auf 17,09 Proz. Was die genaueren Ziffern für die Stadt
Rostock anlangt, so wurde verfolgt, wie viele von den im Jahre 1904
in Rostock lebend zur Welt gekommenen Kindern nachweislich das
erste Lebensjahr vollendeten. Nach endgültiger Berechnung wurden
im Jahre 1904 in Rostock 1904 Lebendgeburten standesamtlich ge¬
meldet. Von diesen starben 285 = 16,73 Proz., bevor sie das zweite
Lebensjahr erreicht, wieder ab. Von den Geburten waren 1442 ehe¬
lich (84,62 Proz.) und 262 unehelich (15,38 Proz.). Auf die Lebens¬
quartale berechnet, erfolgten von den 285 Todesfällen bei Säuglingen
130 im ersten, 69 im zweiten, 42 im dritten und 44 im vierten Quar¬
tale, so dass also fast die Hälfte der in Betracht kommenden Säug¬
linge (46 Proz.) bereits im ersten Lebenshalbjahr wieder abgestor¬
ben ist. Die meisten Todesfälle — 71 — entfielen auf die Monate
August und September. Was das Verhältnis der Sterbefälle zu den
Geburten anlangt, so starben von den 1442 ehelich geborenen 222
15,40 Proz., von den 262 unehelich zur Welt gekommenen 63
24,05 Proz., d. h. also, das Mortalitätsverhältnis der legitimen zu
den illegitimen Säuglingen verhielt sich wie 2:3. Hinsichtlich der
Todesursachen sind die Sterblichkeitsziffern, wie zu erwarten stand,
ausserordentlich verschieden. Bei einem Maximum der Todesfälle
für die Störung der Atmungsorgane in der kälteren Jahreszeit und
einem solchen für die Verdauungsstörungen in den heissen Sommer¬
monaten erreichten die letzteren mit 48 Proz. den höchsten Wert über¬
haupt, dem gegenüber z. B. die durch akute Infektionskrankheiten
bedingten Sterbefälle nur 6 Proz. ausmachten. Von besonderem Inter¬
esse ist die Verteilung der Todesfälle auf die verschiedenen Bevöl¬
kerungsklassen. Rechnet man die unehelich geborenen Säuglinge als
eine Gruppe, so beliefen sich die Todesfälle auf die zugehörigen Ge¬
burten berechnet, bei dieser und bei den drei weiteren je nach der
sozialen Lage des Vaters angenommenen Ständen (Arbeiter, Mittel¬
und höhere Stände) wie folgt: 24,05: 17,08: 10,48: 3,85, d. h. also,
anders ausgedrückt: es starb von den im Jahre 1904 in Rostock ge¬
borenen Säuglingen jeder 4., 6., 10. bezw. erst 30. wieder ab, je nach¬
dem er unehelich oder aus den drei vorhin genannten Bevölkerungs¬
schichten hervorgegangen war. Die Durchschnittssterblichkeitsziffer
betrug, wie eingangs erwähnt, 16,73 Proz. Dieser Wert erhöht sich
jedoch auf 16,95 Proz., wenn die 23 als „auswärtige“ zu bezeichnen¬
den Geburten ausgeschaltet werden. Die Säuglingssterblichkeit in
Rostock ist also bei den sonst günstigen Lebensbedingungen für die
Bevölkerung relativ hoch und hat in den letzten Jahren zugenommen.
Ursächlich kommen für diese betrübende Erscheinung verschiedene
Punkte in Betracht. Da mehr als die Hälfte aller Säuglinge in
Rostock länger als 3 Monate von der Mutter gestillt werden, ist ein
Hauptmoment weniger in der natürlichen als vielmehr in der künst¬
lichen Ernährung zu suchen. Hierbei spielen Ueberfiitterung und
vielfach ungeeignete Darreichung der Flasche eine Hauptrolle, weil
hierdurch erfahrungsmässig eine häufige Ursache für akute und chro¬
nische Verdauungsstörungen und damit auch Rhachitis u. dgl. ab¬
gegeben wird. Dazu kommt, dass nicht so ganz selten die Kinder der
ärmeren Volksschichten in ungesunden hygienischen Verhältnissen
leben müssen, von denen die Kellerwohnungen, die niedrigen dumpfen
Stübchen in der Altstadt und die übervölkerten Wohnräume des
Kasernenviertels besonders in der heissen Jahreszeit gefährlich wer¬
den müssen. Ein weiterer Grund liegt in der Art der Milchversor-
gung der Flaschenkinder, die vieles zu wünschen übrig lässt und nicht
im entferntesten den Ansprüchen genügt, die an eine zur Säuglings¬
ernährung dienende Milch billigerweise gestellt werden müssen. Für
die höhere Sterblichkeit der unehelichen Kinder im Verhältnis zu
den ehelichen fällt u. a. die mangelhafte Organisation des Kost- und
Ziehkinderwesens in Rostock als begünstigender Faktor in die Wag-
schalc. Nach Ansicht wohlinformierter Kreise treten gerade hier er¬
hebliche Mängel zutage insofern, als Kostkinder gelegentlich gar
nicht, nicht selten aber erst wochenlang nach ihrer Geburt den mit
ihrer Aufsicht betrauten, ehrenamtlich angestellten Waisenpflege¬
rinnen gemeldet werden. Auch sind eine ganze Reihe von Fällen be¬
kannt, in denen 8—9 Monate alt gewordene Ziehkinder 4—5 mal
ihre Koststelle gewechselt haben und ausserdem noch 1—2 mal im
Krankenhause behandelt worden sind.
Aus seinen Auseinandersetzungen schliesst der Vortragende, dass
im Interesse der Rostocker Säuglinge manche Dinge der Besserung
bedürftig sind; er bittet die Anwesenden, einschlägigen Bestrebungen
das verdiente Interesse entgegenzubringen, damit Rostock, als grösste
Stadt des Landes, auf dem Gebiete der modernen Säuglingsfürsorge
für ganz Mecklenburg vorbildlich werden könne.
75. Jahresversammlung der British Medical Association.
(Schlussbericht.)
Abteilung für Pathologie. W. H u n t e r eröffnete eine Diskussion
über perniziöse Anämie und verwandte Erkrankungen. Redner hat
seit Jahren zu beweisen gesucht, dass diese Krankheitsformen die
Folge septischer Prozesse im Gastrointestinalkanal sind und auf
hämolytischen Vorgängen beruhen. Besonders schuldig an der Ent¬
stehung der Anämie ist die Mundsepsis (Pyorrhoea alveolaris). Man
findet hämolytische Veränderungen in der Leber, den Nieren und im
Urin und infektiöse Läsionen im Magen, Darm und in der Zunge.
Die letzte Ursache ist ein Mangel in der Fähigkeit Blut zu bilden,
nicht aber eine völlige Aufhebung dieses Prozesses. Die Ehrlich-
sehe Anschauung, dass es sich lediglich um eine Blutkrankheit (De¬
generation der Megaloblasten) handelt, ist nach Redners Ansicht
völlig falsch. Dass Redners Theorie richtig ist, beweisen auch die
Heilungserfolge selbst sehr lange bestehender Fälle durch anti¬
septische Behandlung und Antistreptokokkenserum. Redner schiiesst
seine Rede mit einer Ermahnung an seine Hörer, ihre Ohren vor
deutschen Theorien über Erkrankungen des Blutes und des Knochen¬
markes zu verschliessen. (Ein recht naiver Einfall. Refer.)
G u 1 1 a n berichtet über gute Erfolge mit der Verabreichung
von Knochenmark.
B u s h n e 1 1 hat von der Behandlung mit Antistreptokokken¬
serum keinen Nutzen gesehen.
Dann beschrieb Walker Hall eine neue Methode der Fettbestim¬
mung in den Fäzes, die sich sehr rasch ausführen lässt.
Am zweiten Tage eröffnete Dean eine Diskussion über Phago¬
zytose und bakterizide Tätigkeit. Redner sprach über den Einfluss
von Serum auf die Phagozytose und über die verschiedenen im
Serum gefundenen Stoffe. Das Serum wirkt auf Organismen der¬
artig ein, dass sie zu vorher abgestorbenen Leukozyten gezogen wer¬
den. Die Virulenz der Organismen ist ein wichtiger Faktor in der
Phagozytose; Leukozyten nehmen virulente Bakterien häufig nicht
auf, während sie weniger virulente verschlingen. Redner spricht
dann über seine Versuche mit erhitzten Seren.
Buxton sprach über Versuche über die phagozytisch.e Tätig¬
keit der in der Peritonealhöhle befindlichen Zellen. Er glaubt, dass
die vermehrte Widerstandsfähigkeit eines immunisierten Tieres fast
ausschliesslich auf einer vermehrten phagozytischen Kraft beruht;
ferner hat er gefunden, dass das Serum immunisierter Tiere nicht
stärker bakteriolytisch wirkt als das normaler Tiere. Die Makro¬
phagen verhalten sich soliden inerten Körperchen gegenüber ebenso
wie Bakterien.
B r i s c o e glaubt, dass im Blute Opsinogene aber keine Opso¬
nine bestehen, Immunkörper werden erst nach und durch die Imp¬
fung frei und werden im Urin ausgeschieden.
Houston und R a n k i n sprachen über den Meningokokkus
der Belfaster Epidemie. Sie fanden, dass Patienten mit Meningitis
vermehrte Agglutination und Phagozytose gegen diesen Kokkus
zeigten; Kranke, die an Meningitis basilaris posterior (Still)
litten, taten dies nicht, woraus die Verfasser auf die Verschiedenheit
beider Erkrankungen schliessen.
Beattie glaubt, dass die einkernigen Zellen des Netzendothels
gewisse antibakterielle Substanzen erzeugen.
Peel R i t c h i e berichtet über die Bestimmung der spezifischen
Substanzen des Blutserums, die die Phagozytose beeinflussen und
über die Verwendbarkeit dieser Bestimmung zur Diagnose bakteriel¬
ler Erkrankungen.
Dann sprach Browning über experimentelle Chemotherapie
bei Trypanosomiasis und Bayon über das Peritheliom und Endo-
theliom.
Am dritten Sitzungstage berichteten B a s h f o r d - London und
C I o w e s - Buffalo über neuere Forschungen auf dem Gebiete des
Krebses; Forsyth über seine Untersuchungen über die Be¬
ziehungen zwischen Thyreoidea und Parathyreoidea. Nach Redners
Meinung stellen die genannten Organe nur verschiedene Entwick¬
lungsstufen desselben Organs vor.
F e r g u s o n - Aegypten gab eine vorzügliche Demonstration
der Bilharziaerkrankungen des Urogenitalsystems und des Verdau¬
ungskanales.
McLennan sprach über die Spirochaete pallida und zeigte an
Silbemräparaten sog. Entwicklungsstadien derselben.
Es wurde dann noch eine Arbeit von C a s t e 1 1 a n i - Ceylon
über Framboesia verlesen, die Verf. auf die Spirochaete pertenuis
zurückführt.
Abteilung für Kinderheilkunde. D’Arcy Power eröffnete eine
Diskussion über die Verlagerungen und Erkrankungen der Hoden.
Ist nur ein Hoden im Leistenkanal zurückgeblieben, der andere aber
normal, so entferne man ihn; sind beide Hoden retiniert, so schiebe
17. September 1907. _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1907
man sie in die Bauchhöhle zurück, geschieht dies frühzeitig, so
können, sie sich normal entwickeln. Bei Tuberkulose entferne man
den Hoden, sobald Erweichung eingetreten ist.
Russell Howard glaubt, dass die Torsion des Samenstranges
durch eine angeborene Missbildung des Mesenteriolums hervor¬
gerufen wird. Statt am ganzen Nebenhoden ist das Mesorchium in
diesen Fällen nur am Globus minor befestigt, so dass der Hoden an
einem Stiel hängt; gleichzeitig besteht eine voluminöse Tunica vagi¬
nalis. Wenn möglich reponiere man den Hoden, sonst entferne man
ihn, da er doch atrophiert. . ' , _ , ..
D i x o n sprach über Organotherapie, er spricht der Behandlung
mit Spermin und anderen Hodenpräparaten jeden Wert ab.
McAdam E c c 1 e s empfiehlt ebenfalls bei doppelseitigem
Kryptorchismus beide Hoden in die Bauchhöhle zurückzuschieben und
dort zu fixieren.
Dann eröffnete V ö 1 c k e r eine Diskussion über akute Nephritis.
Er sprach über die Formen, die nicht im Anschluss an akute In¬
fektionskrankheiten auftreten. Sie sind bei Kindern häufiger als
gewöhnlich angenommen wird; meist gehen sie in Heilung über, zu¬
weilen besteht intermittierende Albuminurie für längere Zeit. Chro¬
nische Nephritis ist selten. .
S i k e s betont die Notwendigkeit, diese Kranken im Stickstott-
gleichgewicht zu erhalten. Man muss eine an Stickstoff reiche Diät
geben. Die Chloride müssen dagegen vermieden werden, da ihre
Retention zu Oedemen führt. Man vermeide aus derselben Ursache
reichliche Flüssigkeitsmengen.
Stephen son sprach über die Augenkomplikationen. Bei
akuter Nephritis sah er als einzige Komplikation doppelseitige Nein i-
tis optica. Retinablutungen und weisse Flecke sind bei akuter
Nephritis äusserst selten. Bei chronischer interstitieller Nephntis
findet man bei 75, bei parenchymatöser bei 14 Proz. der Fälle Fundus¬
veränderungen. r . c , ~ f
Parkinson und C a n 1 1 e y empfehlen trockene Schropt-
köpfe bei Nephritis.
Nach dem Vortrag einiger kürzerer Arbeiten über Retropharyn¬
gealabszesse, Purpura und Azetonämie bei Kindern eröffnete
Farquhar B u z z a r d eine Diskussion über die Lumbalpunktion.
Er empfiehlt, nur wenig Flüssigkeit zu entfernen, Aspiration ist un¬
nötig und gefährlich. Weder der Flüssigkeitsdruck, noch die che¬
mische Untersuchung auf Cholin, reduzierende Stoffe etc. sind von
diagnostischer Bedeutung. Die mikroskopische Untersuchung und
die genaue differentielle Zählung der Leukozyten sind wichtig. Man
kann dadurch z. B. feststellen, ob bei Ohreneiterungen die Meningen
ergriffen sind. Bei Urämie hat die Lumbalpunktion kurativen Wert,
dagegen ist sie bei Hirntumoren, Hydrozephalus etc. wertlos, bei
Meningitis kann sie Nutzen bringen.
Batten betont den diagnostischen Wert der Lumbalpunktion
bei Meningitis, bei Poliomyelitis anterior ist die Flüssigkeit normal.
Halliburton bespricht die physikalische und chemische
Natur der Spinalflüssigkeit. Die Anwesenheit von Cholin beweist das
Bestehen organischer Erkrankung. . .
E v e - Hüll empfiehlt, die Halsvenen zu komprimieren, wenn die
Flüssigkeit nicht gleich abfliesst. Es folgten eine Reihe von ge¬
naueren Mitteilungen über Cvtodiagnose der Lumbalflüssigkeit.
Zum Schluss sprach Langdon Down über zu frühe Entwicklung.
Abteilung für Elektrotherapie. Leduc -Nantes sprach über
Elektrolysis und die kataphoretische Einverleibung von Medika-
mentem _ d - London zeigt ein Kryptoskop, das es ermöglicht die
durch den gewöhnlichen Nierenschnitt freigelegte und vor die Wunde
taxierte Niere direkt skiagraphisch auf Steine 7M untersuchen.
Wertheim zeigt eine Modifikation des E i n t h o v e n sehen
Galvanometers, das besonders geeignet ist, Schwankungen zu re¬
gistrieren, die durch Muskelkontraktionen oder den Herzschlag hei -
vorgerufen werden.
Hugh Walsham und Halls Da ly sprachen über Orthodia¬
graphie und gaben Demonstrationen mit dem Instrument.
Sommerville -"Glasgow berichtete über den Einfluss hoch¬
frequenter Ströme auf die Harnorgane. In vielen Fällen wird eine
Vermehrung der Urinausscheidung hervorgerufen; bei Polyurie wird
sie vermindert. In jedem Falle wird der Stoffwechsel gesteigeit.
Dann eröffnete Mackenzie Davids o n eine . Diskussion
über Xstrahlen und lichtempfindliche Platten. Ei zeigt eine einfache
Methode, den Fokus einer Röhre zu finden und bespricht dann die
Eigenschaften der im Handel käuflichen Platten. Ei vei langt, dass
nur Aerzte sich mit skiagraphischer Diagnose und Therapie be¬
schäftigen dürfen. .
O r t o n stellt den Satz auf, dass je niedriger die Rohre ist,
desto stärker die Wirkung der Strahlen auf die Platte ist.
Salomo n son spricht über sekundäre Radiation durch Jonen,
die auf die Kathode stossen. ,
S h e n t o n betont, dass es für chirurgische Zwecke durchaus
nicht nötig ist, dichte Negative zu erhalten.
Pearson - Bideford spricht über den praktischen Arzt und die
Skiagraphie. Er glaubt, dass die Röntgenstrahlen eine grosse Bedeu¬
tung für die Therapie des Krebses besitzen.
S h e n t o n, der über die Untersuchung des Hüftgelenkes durch
Röntgenstrahlen spricht, hält nur wenig von der stereoskopischen Me¬
thode.
R i d d e 1 1 - Glasgow glaubt, dass man die Beckendurchmesser
am genauesten durch Stereoradiographie des Beckeneingangs messen
kann.
Tomkinson - Glasgow zeigt mit Röntgenstrahlen behandelte
Fälle von Lupus vulgaris. Er wendet gleichzeitig Kokain an und
kann dadurch rascher behandeln.
Taylor zeigt einen durch Xstrahlen geheilten Fall der P a g e t-
schen Krankheit.
P i r i e - London spricht über die Messung des umgekehrten
Stromes in Röhren.
Dann sprach Seoueira - London über die Dosierung von
Xstrahlen. Er glaubt, dass häufige Anwendung sehr kleiner Mengen
doch eine Dermatitis hervorrufen können.
Bruce-London filtriert die Strahlen, indem er sie durch 2 Zoll
dicken Filz gehen lässt, der zwischen Röhre und Patient eingeschoben
wird.
Shenton glaubt, dass starke Bestrahlungen bei malignen Er¬
krankungen das Wachstum beschleunigen können.
Harris berichtet über 19 Fälle von Ulcus rodens, die er mit
Xstrahlen behandelt hat. 8 wurden geheilt, 6 wesentlich gebessert,
in 1 trat kein Erfolg ein.
Morton- London empfiehlt bei Muskeldegeneration die An¬
wendung von Wechselströmen von niedriger Frequenz.
Es folgten noch eine Anzahl kürzerer Vorträge über elektro-
diagnostische Untersuchungsmethoden.
Abteilung für Tropenkrankheiten. Simpson sprach über die
Bekämpfung und Hans Z i e m a n n über die Prophylaxe der Malaria
in unbekannten Gegenden,
Dann eröffnete Havelock Charles eine Diskussion über
den Diabetes in den Tropen. Er sowohl wie mehrere andere Rednei
wiesen auf die Häufigkeit des Diabetes bei den vorwiegend vege-
tarianisch lebenden Eingeborenen Indiens und Aegyptens hin.
Sir Patrik M anson berichtete über die neue Klassifizierung
der Hämoprotozoen durch Samtion. Man unterscheidet I. Hämo-
gregarinidae (1 genus): II. Plasmodidae. a) Plasmodium, b) Laverama;
III. Schaudinnidae, a) Leukozytoon ,b) Schaudinnia, c) Treponema,
IV. Hämoproteideae. 1. Hämoproteineae, a) Hämoproteus, b) 1 ßa-
besia, c) Leishmania, 2. Trypanosominae, a) Trypanosoma, b) Try-
panoplasma. , . . e f
Mott- London berichtet über Zellveränderungen bei Schlaf¬
krankheit und Durina.
W i 1 1 i a m s o n über das Vorkommen der Bilharzia in Cvpern.
p r o u t. der über Schwarzwasserfieber spricht, glaubt, dass
die Malaria das prädisponierende Element ist, dass aber eine bishei
noch unbekannte Ursache die Krankheit hervorruft.
Cantlie berichtet über 100 von ihm durch einfache 1 rokar-
punktion und Drainage behandelte Lebeiabszesse.
Abteilung für Augenheilkunde. L a n d o 1 1 - Paris eröffnete eine
Diskussion über die Konstruktion und die Handhabung von Augen¬
instrumenten. Er zeigt, dass die Messer meist schlecht bilanziert
sind (zu lange Schneiden, zu schwere Griffe). Elfenbein ist das beste
Material für Handgriffe, ausserdem kann man Aluminium gebrauchen.
Dann sprach S. S n e 1 1 über die Ursache der Blindheit bei 350
Zöglingen einer Blindenschule. Mehr als /» waren durch Ophthalmia
neonatorum erblindet, die Mehrzahl der übrigen durch Optikus¬
atrophie, angeborenen Katarakt und sympathische Ophthalmie. L
Versammlung beschloss die Brit. Med. Assoc. zu ersuchen, Mass¬
nahmen zu treffen um der Ophthalmia neonatorum zu steuern. Die
Mehrzahl der anwesenden englischen Aerzte glaubt, dass die Häufig¬
keit dieser Erkrankung im Zunehmen begriffen ist.
Fish- Chicago sprach über Neuritis optica im Gefolge von Si¬
nuseiterungen. P
Andere Redner bestätigten die Häufigkeit dieser Falle.
Dann eröffnete Richardson Cross eine Diskussion
über Iridozyklitis. Er empfiehlt den Gebrauch von Atropin, in ge¬
eigneten Fällen macht er die Parazentese, spater die Iridektomie.
und vor
der
Im
Landolt warnt vor subkonjunktivalen Einspritzungen
Vornahme von Operationen.
Holmes Spicer spricht sich ebenso aus. . ,
Roper empfiehlt in alle,, Fällen Ouecksilber und Jod innerlich,
allgemeinen warnten die verschiedenen Redner voi subkonjunk
tivalen Injektionen und vor operativen Eingriffen.
Hinshelwood sprach über 4 Fälle von angeborener V or
blindheit in derselben Familie. . , ,
Herbert sprach über Frühlingskatarrh und das pat < k -
monische Vorkommen von Eosinophilen bei demselben. Andere
lische Redner halten den Frühlingskatarrh für sehr selte .
Hill Griffith, Cross, Stephenson und andere sprachen
über Fälle von Orbitalthrombose ohne nachweisbare Ursache.
Dann berichtete Coulte r über gute Erfo ge die er bei Strabis¬
mus mit dem Amblioskop von W o r t h erzielt hatte.
1908
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Am dritten Tage eröffnete Holmes Spie er eine Diskussion
über Vesikuläre Kornealerkrankungen. Bei Keratitis filamentaris emp¬
fiehlt er das Geschwür mit reiner Karbolsäure zu berühren, zuweilen
benutzt er absoluten Alkohol oder den Galvanokauter. Keratitis bul¬
losa recidivans kommt meist nach leichten Verletzungen bei Frauen
vor und widersteht der Behandlung sehr hartnäckig. Hierbei, wie
bei Keratitis punctata superfic. sah er gute Erfolge mit Dionin.
Einige Redner wiesen auf den häufigen Zusammenhang zwischen
Keratitis und Malaria hin.
MacCallan berichtete über die Augenspitäler in Aegypten.
Dann sprach Henderson über die Wirkung der Iridektomie
beim primären Glaukom; er glaubt, dass die Iris nie heilt und dadurch
als permanentes Drain wirkt.
R o p e r sprach über 302 Fälle von Kataraktextraktion. Er hatte
1 1 Proz. Prolapse. Die Inzision macht er im Bereiche der oberen
Hornhautgrenze. Frühe Prolapse exzidiert er; spätere lässt er meist
in Ruhe.
Die meisten Redner sprachen sich für die Linsenextraktion ohne
Vorhergehende Iridektomie aus.
Abteilung für Laryngologie, Otologie und Rhinologie. Sir Felix
S e m o n sprach über die Differentialdiagnose zwischen Syphilis, Tu¬
berkulose und Tumoren.
Home- London über die Diagnose der Larvnxtuberkulose.
Häring hält frühzeitige Unbeweglichkeit eines Stimmbandes
für pathognomonisch für Krebs.
Stuart Low sprach über submuköse Entfernung der Muscheln.
Watson Williams beschrieb seine Methode der Eröffnung
der Keilbeinhöhle.
M i 1 1 i g a n sprach über die Behandlung der chronischen Mittel¬
ohreiterung ohne Radikaloperation. Er empfiehlt sorgfältige Drai¬
nage und Aspiration durch das Trommelfell; Irrigation durch die
Tube und sorgfältige Behandlung der die Otitis meist verursachenden
Nasen- und Nasopharynxerkrankungen. Er hält viel von einer ge¬
nauen mikroskopischen und bakteriologischen Untersuchung des Se-
kretes und basiert seine Therapie auf dem Befund der Untersuchung
Diplokokken und nach ihnen Streptokokken sind die gefährlichsten
Bakterien.
• Creswell Baber bezweifelt die Wichtigkeit der bakterio¬
logischen Untersuchung.
Im allgemeinen sprachen sich die zahlreichen Redner, die an der
Diskussion teilnahmen, mehr für konservative Methoden aus und
wollen erst bei Versagen dieser zur Radikaloperation schreiten.
Y o n g e und andere Redner sprachen über die Entstehung der
Nasenpolypen.
o- . Jackson sprach über den Krebs der Nasenmuscheln und des
Siebbeins.
Abteilung für Zalinheilkunde. Still -London eröffnete eine
Diskussion über den Einfluss von Zahnkrankheiten auf die Gesundheit
der Kinder.
... ..Owen- London, der über dasselbe Thema sprach, betonte den
hantigen Zusammenhang zwischen schlechter Entwickelung der Zähne
und Rachitis.
Es wird im allgemeinen empfohlen, kariöse Milchzähne, die nicht
mehr plombiert werden können, auszuziehen.
Ben nett sprach über anatomische Folgen des gründlichen
Kauens und C o 1 y e r über Zahnunregelmässigkeiten bei Tieren.
Fair bank sprach über Kiefersarkom. Er hat HO Fälle stu¬
diert, die in jedem Alter (vom Neugeborenen bis zum Greise) vor¬
kamen.
Am häufigsten und am wenigsten gefährlich sind die Myelome,
i usen und allgemeine Metastasen sind 'bei allen Formen selten.
Abteilung für Heer und Marine. Gaskell sprach über die
Behandlung der Verwundeten in der Seeschlacht. Er verlangt den
Bau spezieller Hospitalschiffe. Vor der Schlacht sollen alle Mann¬
schaften ein heisses antiseptisches Bad. erhalten und dann einen
t,Mr,eri ‘ ,anel,anzug anziehen. Er bespricht im einzelnen die erste
Hilfeleistung.
Bassett-Smith spricht über die Häufigkeit der Aneu¬
rysmen m der Marine und behauptet, dass Alkohol und Syphilis nichts
damit zu tun haben.
C. H. Busche spricht über die Behandlung der Lues zur See.
Er empfiehlt wöchentliche intramuskuläre Einspritzungen.
Norris verlangt, dass Hospitalschiffe mit Apparaten für draht¬
lose I elegraphie ausgerüstet werden.
Es folgten noch eine Anzahl von Vorträgen über die Wasser¬
versorgung im Biwack und über die Verhütung ansteckender Krank -
lieitcn- -L P. zum Busch- London.
Aus den Pariser medizinischen Gesellschaften.
Academie des Sciences.
Sitzung vom 8. Juli 1907.
Zur Behandlung der Pellagra mit Atoxyl.
Nachdem Arsenik gegen Pellagra schon verschiedentlich (von
Lombroso u. a.) empfohlen worden ist, wandte sich Babes an
das Atoxyl, welches weniger giftig wie die übrigen Arsenverbindungen
ist und in höheren Dosen wie diese gegeben werden kann. . Er be¬
handelte eine Anzahl von Pellagrakranken mit Atoxyl und kam dabei
zu folgenden Allgemeinschlüssen: Die Pellagrakranken sind sehr
empfänglich für Atoxyl; diese Empfänglichkeit ist bei Kindern und
jüngeren Individuen am Beginn oder bei voller Entwicklung der akuten
Pellagrasymptome ausgesprochener als bei älteren Leuten, bei
Kachektischen und solchen, die einen sehr chronischen indolenten Zu¬
stand aufweisen. Die Kranken der ersten Kategorie fühlen infolge der
Inokulation von 0,1 cg Atoxyl eine rasche, ganz ausgeprägte Besse¬
rung, gleichzeitig mit einer Temperaturerhöhung auf 38 — 39°, welche
I — 2 Tage anhält; besonders nach dem Verschwinden dieser Reaktion
ist die Besserung eine deutliche. Die auch gegen .diese Behandlung
hartnäckigsten Erscheinungen sind Tachykardie, chronische Geistes¬
störungen, Demenz, Paralyse, Myelitis. Die Besserungen und selbst
temporären Heilungen treten bei Kindern am raschesten und auf¬
fallendsten ein. Das Verschwinden der Symptome hat in den meisten
Fällen über 20 Tage (Dauer .der Beobachtung) angehalten. Bei sehr
schweren Fällen haben sich einige der Symptome wieder eingestellt,
aber unter einer milden Form (Diarrhöe, Erytheme, Exzitationen), so
dasis der Allgemeinzustand immerhin ein sehr gebesserter blieb. Er¬
höht man die Dosis auf 0,2 cg, so wird die Fieberreaktion ausge¬
sprochener und länger anhaltend; die Anwendung höherer Dosen
scheint jedoch nicht mehr Erfolg zu bringen, wie die von 0,1 cg.
Wenn es auch scheint, dass die Besserungen und Heilungen, welche
B. mit Atoxyl erzielt hat, nicht anhaltend sind, so hofft er doch, dass
es durch geeignete Dosierung und geeignetes Regime gelingen wird,
eine grosse Anzahl von Pellagrakranken zur Heilung zu bringen.
St.
Societe de biologie.
Sitzung vom 13. und 20. Juli 1907.
Vergiftungserscheinungen bei Genuss von Miessmuscheln.
Netter und Ribabeau - Dumas haben an 13 Pensonen eine
Vergiftung durch Miessmuscheln, welche von einer Boje eines Bassins
im Hafen von Calais stammten, beobachtet. Die Erkrankung trat 3
bis -4 Stunden nach der Einnahme auf und zwei der Erkrankten
starben. Aufregungszustände und abnorme Beweglichkeit, gefolgt
von Muskellähmung waren die Hauptsymptome; Katzen und Hühner,
welche von demselben Muscheln bekamen, gingen rasch zu Grunde.
Es handelte sich um den essbaren Mytilus edulis. Das Gift muss
ein dem Kurare ähnliches sein, widersteht dem Kochen und ist in
der Leber der grösseren Muscheln lokalisiert. Die Fische aus dem¬
selben Seebecken waren nicht giftig, aber der Saft der aus diesen
Stellen entnommenen Seesterne hatte denselben Grad von Giftigkeit,
welcher, wie bei den Muscheln, nach 14 Tagen verschwindet. Andere
Vergiftungen, in England, Amerika, Schottland, Deutschland usw. be¬
obachtet, zeigten völlig dieselben Erscheinungen. Vielleicht dürfte
diese Vergiftung, charakterisiert durch Muskelstörungen und von
Muscheln und Seesternen hervorgerufen, auf eine Lebererkrankung
dieser Mollusken zurückzuführen sein.
Die Hautreaktion auf Tuberkulin beim Erwachsenen.
P. Abrami und Et. Burnet konstatierten an einer ziemlich
grossen Anzahl von Fällen, dass bei Erwachsenen die Reaktion auf
Tuberkulin unregelmässig in ihrem Auftreten und ihrer Intensität ist
und, wie ja auch v. Pirquet festgestellt hat, keineswegs zur
Diagnose der Tuberkulose zu verwenden ist oder den klinischen
Mitteln gleichkommt. Nach den untersuchten 47 Fällen gibt es (kli¬
nisch erkannte) Tuberkulöse, welche nicht reagieren, und Nicht-
Tuberkulöse, welche reagieren; auch gibt es Erwachsene, welche
gar keine Reaktion zeigen und die .stärksten Reaktionen boten Kranke,
welche klinisch nicht tuberkulös waren. Nach einer Anzahl Beob¬
achtern tritt die Reaktion erst nach 48 Stunden auf; mit Ausnahme
von 3 Fällen, wo die Reaktion am folgenden Tag zweifelhaft und
später ausgesprochener war, stellte sich dieselbe in den Fällen der
Verfasser immer innerhalb der ersten 24 Stunden ein. St.
•
Society de Chirurgie.
Sitzung vom 31. Juli 1907.
Die Ophthalmoreaktion in der Chirurgie.
Bazy hat an 20 Kranken diese Reaktion versucht. In vier
Fällen (Nieren-, Hüftgelenkstuberkulose, tuberkulöse Pleuritis mit
Arthritis) war die Reaktion sehr intensiv, in den anderen Fällen mässig
und hat nur eine leichte Kongestion der Konjunktiva bewirkt. Zwei¬
mal war die Reaktion verzögert und trat erst nach 18 Stunden auf.
Bei einigen Kranken hat man ausgesprochene Röte, Kongestion der
Lider und mehr weniger ausgeprägtes fibrinöses Exsudat beob¬
achtet. Bei einem Kranken mit einer sehr tiefen Mastdarmfissur
war die Reaktion negativ und bestätigte so das durch die Ueber-
impfung erzielte negative Resultat. St.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1909
Verschiedenes.
Geburten und Sterbefälle in deutschen Gross- und Mittelstädten.
Aus dem von 82 deutschen Gross- und Mittelstädten (darunter
auch Wien und Zürich) eingelaufenen Material über Geburten und
Sterbefälle im Jahre 1906 hat das Statistische Amt der Stadt München
eine Broschüre veröffentlicht, in der die Ergebnisse zusammenge¬
stellt sind und mit denen früherer Jahre verglichen werden. Die
Hauptergebnisse sollen in den folgenden Zeilen in Kürze einer Be¬
trachtung unterzogen werden. Die 82 Städte hatten eine Einwohner¬
zahl von etwa 16,5 Millionen, 44 Städte hatten über 100 000 und 38
50 — 100 000 Einwohner. Die Geburtenziffer zeigt zum ersten
Male seit einer Reihe von Jahren eine geringe Zunahme, sie betrug
29 6 gegen 29,4 auf 1000 Einwohner und pro Jahr berechnet, 1893 war
die Geburtenziffer noch 33,7. In den einzelnen Städten ergeben sich
ausserordentlich grosse Verschiedenheiten. Die höchste Geburten¬
ziffer (Lebendgeborene) haben Borbeck in Westfalen mit 53,0 und Gel¬
senkirchen mit 49,5, die niedrigste Potsdam mit 17,9 und Charlotten¬
burg mit 22,0, in Borbeck werden also durchschnittlich dreimal so
viel Kinder geboren als in Potsdam. In Berlin ist die Geburtenziffer
für 1906: 24,9, in München 29,1, in Wien 26,4 und in Hamburg 25,9.
In der übergrossen Mehrzahl der Städte haben wir in dem 1 6 i äh r i-
gen Zeitraum 1891—1906 einen starken Rückgang der Ge¬
burtenziffer zu verzeichnen, so in Berlin von 32,4 auf 24,9, in Chem¬
nitz von 44,9 auf 33,5, in Krefeld von 38,2 auf 24,4, in Hamburg von
36,6 auf -25,9, in Leipzig von 40,6 auf 28,9, in München von 37,0 auf
29,1, in Wien von 34,0 auf 26,4. Nur in einigen wenigen Städten ist
die Geburtenziffer gestiegen, so in Bochum von 43,8 auf 44, 3^ in Frank¬
furt a. M. von 28,3 auf 28,7, in Mannheim von 37,6 auf 37,7, in Dort¬
mund, Duisburg, Essen und Plauen ist der Rückgang nur ganz unbe¬
deutend.
Sehr interessant ist die Entwicklung der Sterblicnkeits-
ziffer. Im Jahre 1893 starben in 62 Städten mit 10,2 Millionen
Einwohnern 237,000 Menschen, im Jahre 1906 dagegen in 82 Städten
mit 16,5 Millionen Einwohnern 282,500, bei einer Vermehrung der
Einwohnerzahl um weit mehr als die Hälfte, ist die Zahl der Sterbe¬
fälle nur um etwa 1/e gestiegen. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis.
Die Sterblichkeitsziffer betrug für die Gesamtheit der Städte im Jahre
1893 23,3 (auf 1000 Einwohner 'berechnet), im Jahre 1906 dagegen nur
noch 17,1, das letzte Jahr hat die niedrigste bisher überhaupt be¬
obachtete Sterbeziffer. Die einzelnen Städte weisen wieder sehr
grosse Unterschiede auf. Die höchste Sterbeziffer in 1906 hatten
Königshütte mit 27,1 und Beuthen mit 23,0 die niedrigste Schöneberg
mit 10,4 und die Schwesterstadt Charlottenburg mit 12,1, in Berlin
war sie 15,8, in München 18,0, in Hamburg 15,3 und in Wien 17,5,
Dass die Sterbeziffer der einzelnen Städte durch Kliniken, Kranken¬
häuser, Heilanstalten beeinflusst wird, braucht hier nicht besonders
erwähnt zu werden. Die Sterbeziffer für die ortsansässige Be¬
völkerung ist im allgemeinen noch etwas niedriger als die oben an¬
gegebene Ziffer da die von auswärts stammenden Verstorbenen in
Abzug zu bringen sind. In wie starkem Masse die Sterblichkeit in
allen unseren Grossstädten zurückgegangen ist, geht aus folgenden
Zahlen hervor: sie sank von 1891 — 1906 in Berlin von 20,9 auf 15,8,
in Breslau von 29,2 auf 21,2, in Köln von 25,6 auf 19,2, in Dresden von
19,3 auf 15,4, in Hamburg von 23,4 auf 15,3, in Leipzig von 20,7 auf
15,9, in München von 27,6 auf 18,0 und in Wien von 25,0 auf 17,5. Nur
Dortmund weist keinen Rückgang auf, 1891: 20,5, 1906: 20,8. Ueber die
Gründe dieses sehr beträchtlichen Rückganges der Sterblichkeit in
allen Gegenden unseres Vaterlandes braucht wohl an dieser Stelle
nichts gesagt zu werden, nur so viel sei erwähnt, dass sie neben der
fortschreitenden Hebung des Wohlstandes in allen Schichten der Be¬
völkerung nicht zum wenigsten den Fortschritten unserer
medizinischen Wissenschaft und der Tüchtigkeit unserer
Aerzte zuzuschreiben sind. Bei der Abnahme der Geburtenziffer liegt
aber in dem Rückgang der Sterblichkeit die Hauptquelle unserer
Bevölkerungszunahme und damit ein entscheidender Faktor für die
künftige Entwicklung unseres deutschen Volkes.
Der Rückgang der Sterblichkeit wird in sehr erheblichem Grade
beeinflusst durch die Abnahme der Säuglingssterblich¬
keit und die A'b n a h-m e der Sterblichkeit an L u n g e n -
tuberkulöse. Die Säuglingssterblichkeit, diese in jeder Hinsicht
so beklagenswerte Tatsache, zeigt einen ganz besonders eifieulichen
Rückgang. Im Jahre 1893 starben in 62 Städten von 343 000 lebend
geborenen Kindern 79 600 im 1. Lebensjahr oder 23,6 Proz., im Jahre
1906 dagegen von 489 100 lebend geborenen Kindern 90 400 oder nur
18,5 Proz. Die höchste Säuglingssterblichkeit haben Fürth mit 26,7 und
Bromberg mit 26,2 Proz., die niedrigste Remscheid mit 10,8 und Bar¬
men mit 11,9 Proz., in Berlin betrug sie 17,7, in Wien 17,0, in Ham¬
burg 16,6 und in München 19,6. Sehr bedeutend ist der Rückgang der
Sterblichkeit der Säuglinge von 1891 — 1906 besonders in folgenden
Städten, sie ging zurück in Berlin von 24,9 auf 17,7 Proz., in Köln
von 27,1 auf 22,2 Proz., in Breslau von 28,3 auf 21,3 Proz.., in Hamburg
von 23,3 auf 16,6 Proz., in München von 30,9 auf 19,6 und in Wien
von 22,2 auf 17,0 Proz. Das sind wirklich Zahlen, die zu der Hoffnung
berechtigen, dass in Zukunft noch ein weiterer Rückgang eintreten
wird. , . ,.
Die verheerendste aller Volkskrankheiten ist noch immer die
Lungentuberkulose, aber auch hier sind ganz besonders ei-
treuliche Fortschritte zu verzeichnen. Im Jahre 1893 starben in den
genannten Städten 30 740 an Lungentuberkulose, 1906 dagegen 30 860,
das ist eine Zunahme um nur rund 100, während die Einwohnerzahl
um mehr als 6 Millionen gestiegen ist. Mit anderen Zahlen ausge¬
drückt, starben im Jahre 1893 von 10 000 Menschen etwa 30 an Lungen¬
tuberkulose, 1906 dagegen nur noch etwa 19! ln allen Grossstädten
ist ein Rückgang zu verzeichnen. Die mannigfachen Bestrebungen
zur Bekämpfung der Lungentuberkulose sind also von bestem Erfolge
gekrönt, die bereits erzielten Ergebnisse spornen aber geradezu zu
weiterer, rastloser Tätigkeit an zum Segen der gesamten Bevölkerung.
Therapeutische Notizen.
S o r o s i n stellt ein neues Guajakolpräparat dar. Es ist ein in
Orangensirup gelöstes Kalium sulfoguajacolicum, das mit Eisen oder
Arsenicum verbunden ist: Sorosinum ferratum und Sorosinum ferrar-
senatum. G ö r g e s - Berlin empfiehlt dasselbe besonders für kleine
Kinder von einem halben Jahr bis zu 5 Jahren, wenn sie an Rhachitis
und Ernährungsstörungen mit chronischer Bronchitis leiden ( 1 her.
Monatsh. 07, 7). Die Dosis ist für kleine Kinder 3—4 mal täglich
% Theelöffel, für ältere Kinder 3 mal täglich ein Theelöffel. Kr.
Das E u s e m i n ist eine Verbindung von Kokain mit Suprarenin,
das von R o s e n b e r g - Berlin hergestellt wird und den Vorzug der
unbegrenzten Haltbarkeit haben soll. Es kommt in Tablettenform in
sterilen Kölbchen in den Handel. I d e 1 e r - Königsberg (Ther.
Monatsh. 07, 7) berichtet über 100 Augenoperationen, 'bei denen das
Mittel subkutan oder subkonjunktival injiziert wurde. Die Erfolge
waren nahezu immer befriedigend. Die Anästhesie dauert allerdings
nur 15 Minuten. Kr.
Zur Behandlung der Seekrankheit empfiehlt
Schepelmann (Ther. Monatsh. 8, 07) als zuverlässigstes Mittel
das V e r o n a 1. In einer Dosis von 0,5 g bewies es sich prophy¬
laktisch im stände bei einer Reihe von sonst zur Seekrankheit ge¬
neigten Personen dieselbe zu verhüten. Auf der Höhe der Erkran¬
kung gab Sch. 0,5— 1,0 g per os oder 1,0— 1,5 g per rectum. Nur
bei wenigen Kranken blieb ein gewisser Erfolg aus, die meisten spür¬
ten darnach grosse Erleichterung. Kr.
Das Castoreum-Bromid — eine Kombination von Brom¬
salz, Valeriana und kanadischem Bibergeil — bewährt sich nach
D a e u b 1 e r besonders bei Neurasthenie mit vasomotorischen Stö¬
rungen, hohem Blutdruck, Unruhe und Insomnie. Man gibt von dem
Mittel nachmittags und abends je ein Messglas voll. (1 her. Monatsh.
8, 07.) Kr.
Das in neuerer Zeit vielfach, besonders gegen Lues empfohlene
Atoxyl bedingt nach einer Zusammenstellung von Langgaard
so viele Nebenerscheinungen, dass bei seiner Anwendung einige Vor¬
sicht dringend am Platze ist. (Ther. Monatsh. 8, 07). Diese Neben¬
erscheinungen treten manchmal in 60 Proz. der Fälle auf. Sie be¬
standen in Magenschmerzen, Durchfall, Albuminurie, Blasenreizung.
Stenokardie, Appetit- und Schlaflosigkeit, Somnolenz, Husten, rieber
u. a. Diese sog. „ungiftigere Medikation des Arsens“ ist ein äusserst
gefährliches Mittel. K>-
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 16. September 1907.
— In der chirurgischen Behandlung interner Krankheiten stellt
die an anderer Stelle dieser Nummer von P ä s s 1 e r und Seidel
beschriebene operative Behandlung des Lu n ge ne mph y-
sems einen Fortschritt von grösster Bedeutung dar. Man verdankt
die Methode (Resektion von Rippenknorpelstücken) einer Anregung
von W. A. Freund. Es sind auch bereits nach dieser Methode
erfolgreich operierte Fälle itn der Literatur bekannt, in keinem wurde
jedoch ein so überraschendes Resultat erzielt, wie in dem Pä.ssler-
Seidel sehen. Ein weiterer mit Erfolg operierter Fall wird in dem
Sitzungsbericht des Vereins der Aerzte in Halle vom 17. Juli 1. J.
in der vorliegenden Nummer (S. 1902) erwähnt. Man kann also mellt
zweifeln, dass man es hier mit einer in geeigneten Fällen höchst aus¬
sichtsreichen chirurgischen Behandlungsmethode zu tun hat einem
Leiden gegenüber, bei dem man bis vor kurzem an die Möglichkeit
eines chirurgischen Eingriffes inicht zu denken wagte.
_ Hin Urteil von weittragender Bedeutung hat unterm 1-. Marz
1 J das Reichsversicherungsamt (V. Rekurssenat) gefällt, indem es
einen Todesfall an Cholera als Betriebsunfa l aner¬
kannte. Wir entnehmen darüber folgendes der Voss. Zig. „Im Herost
1905 erkrankte ein Flösser auf der Netze in Ausübung seines Berufes
an der Cholera und starb. Die Witwe machte für sich und ihre Kinder
Entschädigungsansprüche geltend, welche von der Ostdeutschen
Binnenschiffahrtsberufsgenossenschaft mit der Begründung zuruckge-
wiesen wurden, dass der Tod des “ de[^
Unfall bezw. Folge eines im Sinne des S.U.V.G. erlittenen »etrieDs
Unfalles angesehen werden könne. Gegen diesen Bescheid^ 'H-Hc .
Witwe Berufung beim Schiedsgericht für Arbeiterversicheiung .
1010
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Bromberg ein, welches die Berufung aber als unbegründet zurückwies.
Nunmehr legte die Witwe Rekurs beim Reichsversicherungsamt ein,
welches die Beklagte, d. i. die Ostdeutsche Binnenschiffahrtsberufs¬
genossenschaft, verurteilte, die Klägerin aus Anlass des Todes des
Blössers gemäss § 15 des S.U.V.ü. zu entschädigen, ln den Urteils¬
gründen wird hierzu ausgeführt: . . . Danach war in Abweichung von
der Auffassung der Berufsgenossenschaft und des Schiedsgerichts
für festgestellt zu erachten, dass einerseits die Choleraerkrankung, an
welcher der Blosser . . . gestorben ist, wahrscheinlich während seines
Aufenthaltes auf dem Blosse . . . durch mittelbare oder unmittelbare
Berührung mit dem verseuchten Kanalwasser entstanden ist und
dass anderseits eine einmalige Aufnahme der Krankheitserreger in den
Körper zum Hervorrufen der tödlichen Krankheit genügt hat, dass
also das schädigende Ereignis in einem eng begrenzten Zeitraum
eingeschlossen gewesen war und sich somit als ein Unfall im Sinne
des S 1 des S.U.V.Q. darstellt. Der auf dem Blosse eingetretene
Unfall ist aber dem versicherten Betriebe zuzurechnen, ohne dass es
darauf ankommt, ob die gefährdete Berührung mit dem verseuchten
Wasser gerade während einer eigentlichen Betriebstätigkeit statt¬
gefunden hat. Denn der auf dem Wasser befindliche Blosser scheidet
auch während der Arbeitspausen nicht aus dem Bereiche der Gefahren
seines Berufes aus; gegen die Gefahren ist er daher auch bei der
Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse versichert (zu vergleichen
Handbuch der Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 742, Anmerkung 10,
auch S. 66 a. E.). Ist der Blosser aber infolge eines bei dem Be¬
triebe erlittenen Unfalls gestorben, so haben die Kläger als seine
Hinterbliebenen gemäss § 15 S.U.V.Q. Anspruch auf Entschädigung.
Die Beklagte war demgemäss zu verurteilen.“ — Das Urteil ist vom
Standpunkte der sozialen Bürsorge und insbesondere im Interesse
der öffentlichen Gesundheitspflege zu begriissen; denn wenn die
Binnenschiffahrtsberufsgenossenschaft für die in ihren Betrieben vor¬
kommenden Choleratodesfälle haftbar gemacht werden kann, wird sie
mit viel grösserer Energie die Durchführung der sanitären Vorsichts-
massregejn auf den Fahrzeugen betreiben, als es bisher der Bali ge¬
wesen sein mag. Bür die Berufsgenossenschaften allerdings bedeutet
das Urteil eine Erweiterung ihrer Haftpflicht, deren Folgen zunächst
nicht abzusehen sind.
■ — Der Deutsche Medizinalbeamten verein, der am
9. und 10. ds. seine 6. Hauptversammlung in Bremen abhielt, be¬
schäftigte sich am 2. Versammlungstag mit dem Entwurf des Reichs¬
apothekengesetzes. Nach eingehenden Referaten von Medizinalrat
Gumprecht - Weimar und Obermedizinalrat Hauser- Darmstadt
wurde folgende Resolution angenommen: „Der vorliegende Entwurf
eines Reichsapothekengesetzes ist annehmbar; er bedarf jedoch der
Abänderung verschiedener Einzelbestimmungen und einer Ergänzung
dahin, dass die Verleihung von Apothekenberechtigungen auch an
Gemeinden, Kreise oder kommunale Zweckverbände zulässig ist.“
— Das badische Ministerium des Innern hat bis auf weiteres ge¬
stattet, dass in dringenden Bällen, insbesondere wenn es sich um
Abwendung von Lebensgefahr handelt, die Bestellung stark¬
wirkender Arzneimittel auch mittelst Fernspre¬
cher erfolgen darf. Die Bestellung ist jedoch von dem Arzte, Zahn¬
arzte oder Tierarzte in eigener Person durch Ablesen von der von
ihm geschriebenen Anweisung aufzugeben. Der Apotheker muss die
Anweisung sofort niederschreiben und dem Arzte, Zahnarzte oder Tier¬
ärzte vorlesen. Die schriftliche Anweisung ist dann dem Apotheker
umgehend einzureichen.
Vom 24. September bis 21. Oktober 1. J. findet im Arbeitermuseum
zu München (Pfarrstrasse 3, zunächst dem Maxmonument) eine
Wanderausstellung über den Alkoholismus statt,
veranstaltet vom Münchener Zentralverband zur Bekämpfung des
Alkoholismus. Sie ist eine selbständige Abteilung der ständigen” Aus¬
stellung für Aibeiterwohlfahrt in Charlottenburg, aber durch Mün¬
chener Material, insbesondere 10 neue Tabellen der Herren Profes¬
soren Hofrat Dr. Kraepelin und Oberrrtedizinalrat Dr. Gr über
ergänzt. Sie umfasst das ganze Gebiet der Alkoholfrage in hygie-
Mischer, ethischer, ökonomischer Beziehung. Der Eintritt ist unent-
seitlich. Allgemeine Besuchszeit von 11— 2Uhr. Durch das dankens¬
werte Entgegenkommen der Kommission für Arbeite'rhvgienfe und
Statistik und des Volkshygienevereines sind ärztliche Führungsvor-
tiäge gesichert, abends von 7 Uhr an. Den ersten dieser Vorträge
\v ird Herr Hofrat Dr. Kraepelin am 24. September — dem Er¬
öffnungstage. , abends um 8 Uhr für die Herren Aerzte halten. In
dei allgemeinen Besuchszeit wird der Verwalter der Ausstellung
Buhrung und Erklärung gewähren und hierin von Mitgliedern des
ausstellenden Verbandes, Aerzten u. a. unterstützt werden.
— Das internationale Komitee zur Bekämpfung
der Chariatanerie, gegründet am 11. November 1905, ge¬
legentlich des 25 jährigen Jubiläums der „Vereeniging tegen de
Kwakzalverij“ in Amsterdam, ladet ein zu einer internationalen Zu¬
sammenkunft am Dienstag den 24. September in Berlin, abends 7 Uhr,
im kleinen. Saal des Langenbeckhauses, Zieglerstrasse No. 11 _ Id!
um u. a. Folgendes zur Besprechung zu bringen: 1. Definitive Auf¬
lösung des genannten internationalen Komitees in einen internatio¬
nalen Bund; Wahl einer Kommission zur Festsetzung der Statuten
dieses Bundes.. Das niederländische Sjjjbkpmitee .schlägt "vor, in
diese Statuten folgende Grundsätze aufzunehmen: Es ist zu erstreben:
a) Gleichmässige gesetzliche Bestimmungen gegen die Chariatanerie,
so weit international möglich; b) Internationale Gesetzgebung zur
Bekämpfung von Kurpfuscher- und Geheimmittelinseraten in Zei¬
tungen, Broschüren usw. 2. Sammlung und Vergleich der in den
verschiedenen Staaten bestehenden gesetzlichen Verordnungen gegen
Chariatanerie. 3. Gründung eines internationalen Organs.
Lenhartz Mikroskopie und Chemie am Kran¬
kenbett ist soeben in 5. wesentlich umgearbeiteter Auflage er¬
schienen (J. Springer, Berlin 1907, Pr. 9 M.). Die Neubearbeitung
berücksichtigt alle neuen Untersuchungsmethoden, die in den letzten
Jahren Bedeutung gewonnen haben, so vor allem die Untersuchung
auf Spirochaete pallida und Trypanosomen, denen auch eine neue
I afel gewidmet ist, neue Blutfärbeverfahren etc. Das Buch ist durch¬
aus den Bedürfnissen der Praxis angepasst und als vortreffliche An¬
leitung zu allen in der Praxis vorkommenden chemischen und mikro¬
skopischen Untersuchungen den Kollegen von neuem aufs wärmste
zu empfehlen.
— Cholera. Russland. Im Gouvernement Astrachan waren
bis zum -4. September insgesamt 1231 Erkrankungen (und 574 Todes¬
fälle) an der Cholera verzeichnet, im Gouv. Saratow bis zum 3. Sep¬
tember 157 (60), im Gouv. Nischni-Nowgorod bis zum 3. September
60 (26), im Gouv. Samara bis zum 3. September 344 (237). In Perm
waien vom 24.- — 29. August 6 Cholerafälle vorgekommen.
— P e s t. Russland. Zeitungsnachrichten zufolge soll die Pest
im Gouv. Saratow erloschen, dagegen in gewissen Teilen des Gouv.
Astiachan, besonders im Bezirke der Bukejewschen Kirgisenhorde,
endemisch sein. — Aegypten. Vom 24. — 31. August wurden 3 neue
Erkrankungen, sämtlich in Alexandrien, festgestellt. — Britisch-Ost-
indien. Vom 21.— 27. Juli sind in ganz Indien an der Pest 3995 Per¬
sonen erkrankt und 3335 gestorben. — China. Gegen Ende Juli wurden
in der Stadt Amoy täglich etwa 10 Pesttodesfälle festgestellt. —
Zanzibar. Nach einer Aufstellung des beamteten Arztes in Zanzibar
sind dort bis zum 29. Juli im ganzen 7 Personen sicher an der
I est gestorben. Britisch-Südafrika. Von King Williams Town
ist die Pest im Juni d. J. nach 2 benachbarten Orten verschleppt
worden; nach den am 3. August abgeschlossenen Ermittelungen sind
dort 7 Personen der Seuche erlegen. — Vereinigte Staaten von
Amerika. Vom 12. 14. August wurden in San Franzisko 5 Pest¬
falle beobachtet, von denen 4 alsbald tödlich verliefen.
— Pocken. Oesterreich. Vom 18.— 24. August in Wien 42,
sonst in Niederösterreich 2 Erkrankungen, in Mähren und Galizien
je 1, vom 25. 31. August in Wien 18, sonst in Niederösterreich 1, in
Oberösterreich und in Galizien je 1.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 25.— 31.
August sind 21 Erkrankungen (und 13 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der ' 35. Jahreswoche, vom 25.— 31. August 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Kolmar i. E. mit 31,2, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit 6,3
I odesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Beuthen, Magdeburg, an Diphtherie
und Kiupp in Rostock, an Keuchhusten in Regensburg, Thorn.
/ YY , V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Düsseldorf. An Stelle des Professors S e 1 1 h e i m, der
einem Rufe nach Tübingen folgt, sind vom Akademischen Rate in
Düsseldorf für die Professur für Gynäkologie und Geburtshilfe vor¬
geschlagen: primo loco: Professor O p i t z - Marburg, secundo loco*
Irofessor S c hr ö d e r - Dortmund und Professor Kermauner-
Heidelberg, tertio loco: Privatdozent Dr. P a n k o w - Freiburg.
Bei ichtigung. Die in No. 37 erschienene Besprechung der
Arbeit von Dr. M. L ö h 1 e i n : Ueber die entzündlichen Veränderungen
der Glomeruli etc. stammt von Prof. V o 1 h a r d - Dortmund, nicht
wie dort angegeben von Prof. S c h r i d d e.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
\ ei zogen. Dr. Glarus von Falkenstein nach Hauzen-
Jierg, jDr, Lo ch per von Pfreimd unbekannt wohin.
Gestorben. Dr. Anton Beck in Diessen am Ammersee.
Korrespondenz.
Erwiderung auf den Aufsatz des Herrn Emil Hesse: Zur Tiefen¬
wirkung des Quarzlampenlichtes (No.35 der Münch, med. Wochenschr.).
Von Dr. Paul Wichmann in Hamburg.
Hesse unterzieht meine in No. 28 dieser Wochenschrift publi¬
zierten experimentellen Untersuchungen über die Tiefenwirkung des
Quarzlampenlichtes einer Kritik und verweist zugleich auf seine ge¬
meinsam mit Carl Stern .in H. 8 der Dermatol. Zeitschr. veröffent¬
lichten Mitteilungen. Nach meinen Untersuchungen hatte sich heraus¬
gestellt, dass das Quarzlampenlicht, wenn der grösste Teil seines kurz¬
welligen Ultravioletts abfiltriert wird, in derselben Tiefe eine grössere
photochemische Wirkung entfaltet als das Finsenlicht. Die in dieser
Hinsicht von genannten Autoren angestellten Untersuchungen ergaben
für beide Lichtquellen ein negatives Resultat, d. h. bei beiden Licht¬
quellen blieb jede Reaktion in der Tiefe aus. Es ist unverständlich.
17. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1011
warum diesen Untersuchungen eine beweisende Kraft gegenüber
meinem positiven Ergebnis zukommen soll, Hesse kann nach diesen
negativen Resultaten doch nur für sich ein non liquet aussprechen.
Um zu einem eindeutigen Ergebnis zu gelangen, hätte Hesse die
Bestrahlungsdauer bei beiden Lichtquellen so lange verlängern müssen,
bis eine Reaktion aufgetreten wäre, merkwürdigerweise hat H. diesen
Weg nicht eingeschlagen.
In zwei Versuchen war von mir nach der Finsenbelichtung eine
Breimwirkung konstatiert worden. Vom physikalischen Standpunkte
ist es durchaus natürlich, dass die roten und gelben Strahlen, welche
das Einsenlicht ja in reichlicher Menge enthält, nicht unbehelligt durch
die Gewebe hindurchgehen, sondern eine Absorption erleiden müssen,
und dass da, wo unter besonders günstigen Umständen diese Absorp¬
tion eine stärkere ist, dieselbe in Gestalt einer Brennwirkung sich
äussern muss.
Selbstverständlich darf man derartige Beobachtungen nicht ver¬
allgemeinern, ich selbst habe betont, dass -es mir nicht erlaubt er¬
scheint, derartige Vorkommnisse als massgebend bei der Finsen¬
behandlung anzusehen.
Ferner geht H. auf die von mir geäusserte Meinung ein, dass
eine starke Beeinflussung 4er oberen Hautschichten durch eine zu
reichliche Beimengung von kurzwelligem Ultraviolett im unfiltr ierten
Licht der Quarzlampe dem Durchgang der tiefergehenden Strahlung
hinderlich sei- und führt hiergegen ausführlich Jansens Unter¬
suchungen an. Er übersieht nur, dass Jansen mit Finsenlicht (!!)
gearbeitet hat, welches im Vergleich zum nichtfiltrierten Quarz¬
lampenlicht arm an kurzwelligem Ultraviolett ist, ja nach H.s eigenen
Worten noch weniger Oberflächenreizung hervorzurufen imstande
ist, als selbst das eines grossen Teils seines Ultravioletts • beraubte
Quarzblaulicht. Wie aus meiner Ausführung deutlich hervorgeht, ist
eine mässige Beimengung von Ultraviolett der Passage der tiefer¬
gehenden Strahlung durchaus nicht hinderlich, eine solche massige
Beimengung („Optimum“) ist ja eben im filtrierten Licht der Quarz¬
lampe (Quarzblaulicht), natürlich nach dem obigen in noch geringerem
Masse im Finsenlicht gegeben. Meine eigenen Ausführungen werden
also durch Jansens Untersuchungen nur bestätigt.
H. vergisst ferner, dass bereits von dem Moment an, wo die Ab¬
sorption des Ultraviolett im lebenden Gewebe vor sich geht, ver¬
änderte Bedingungen für die Passage der tiefergehenden Strahlen ge¬
schaffen werden können, es wird selbstverständlich niemandem ein¬
fallen, das erst nach Stunden einsetzende Lichterythem für die Er¬
schwerung dieser Passage verantwortlich zn machen.
Meine Worte, dass die Quarzlampe „dem Finsenapparate in jeder
Beziehung vorzuziehen ist“, sind im Sinne gewisser Voraussetzungen
gebraucht worden, die vor allem natürlich die praktische Erfahrung
bestätigen muss, — nicht in der Art, in welcher H. dieselben aus dem
Zusammenhänge genommen anführt.
Amtliches.
(Preusse n.)
Seuchenbekämpfung.
Erlass vom 9. Juli 1907, betreffend die Anweisung zur
Verhütung der Verbreitung übertragbarer Krank¬
heiten durch die Schulen. — M. 11957. U II. U III.
Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes, betreffend
die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 28. August 1905
(Gesetzsamml. S. 373) sind die Vorschriften des Regulativs vom
8. August 1835 (Gesetzsamml. S. 240) ausser kraft getreten. Die auf
Grund des Regulativs durch Verfügung meines Herrn Amtsvorgängers
und des Herrn Ministers des Innern vom 14. Juli 1884 erlassene „An¬
weisung zur Verhütung der Uebertragung ansteckender Krankheiten
durch die Schulen (MinBl d. i. V. 198) hebe ich daher im Einverständ¬
nis mit dem Herrn Minister des Innern hiermit auf. Anstelle dieser An¬
weisung tritt von jetzt an die in der Anlage beigefügte „Anweisung
zur Verhütung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch die
Schulen“.
Durch diese Anweisung werden die Vorsteher der Schülern und
die Schulaufsichtsbehörden zu einer gesteigerten Mitwirkung bei der
Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten herangezogen.
Ich gebe mich der Erwartung hin, dass sie dieser Aufgabe im Inter¬
esse der ihnen anvertrauten Jugend ihre volle Aufmerksamkeit wid¬
men werden.
Die Rechte und Pflichten der Polizeibehörden hinsichtlich der Be¬
kämpfung übertragbarer Krankheiten werden durch diese Anweisung
nicht berührt.
Euerer Hochwohlgeboren stelle ich ergebenst anheim, hiernach
das weitere im Benehmen mit der Schulabteilung zu veranlassen.
Berlin, den 9. Juli 1907.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medjzinalangelegen-
heiten.
Holle.
An die Herren Regierungspräsidenten und den Herrn Polizeipräsiden¬
ten in Berlin; abschriftlich den Herren Oberpräsidenten und den
Schulkollegien.
Anweisung zur Verhütung der Verbreitung über¬
tragbarer Krankheiten durch die Schulen.
§ 1. Die Schulbehörden sind verpflichtet, der Verbreitung über¬
tragbarer Krankheiten durch die Schule tunlichst entgegenzuwirken
und die beim Auftreten dieser Krankheiten hinsichtlich der Schulen
Und anderen Unterrichtsanstalten erforderlichen Anordnungen nach
Massgabe der nachstehenden Vorschriften zu treffen.
§ 2. Auf die Reinhaltung der Schulgrundstücke, namentlich der
Umgebung der Brunnen lind der Schulräume einschliesslich der Be¬
dürfnisanstalten, ist besondere Aufmerksamkeit zu richten. Die
Klassenzimmer sind täglich auszukehren und wöchentlich mindestens
zweimal feucht aufzuwischen, während der Schulpausen und der schul¬
freien Zeit zu lüften und in der kalten Jahreszeit angemessen zu er¬
wärmen. Die Bedürfnisanstalten sind regelmässig zu reinigen und
erforderlichenfalls zu desinfizieren. Jährlich mindestens dreimal hat
eine gründliche Reinigung der gesamten Schulräume einschliesslich
des Schulhofs zu erfolgen. Auch empfiehlt es sich, in angemessenen
Zwischenräumen das Wasser der Schulbrunnen bakteriologisch unter¬
suchen zu lassen.
§ 3. Folgende Krankheiten machen wegen ihrer Uebertragbar-
keit besondere Anordnungen für die Schulen und andere Unterrichts¬
anstalten erforderlich;
a) Aussatz (Lepra), Cholera (asiatische), Diphtherie
(Rachenbräune), Fleckfieber (Flecktyphus), Gelbfieber,
Genickstarre (übertragbare), Pest (orientalische Beulenpest),
Pocken (Blattern), Rückfallfieber (Febris recurrens), Ruhr
(übertragbare Dysenterie), Scharlach (Scharlachfieber) und
Typhus (Unterleibstyphus) ;
b) Favus (Erbgrind). Keuchhusten (Stickhusten), Kör¬
nerkrankheit (Granulöse, Trachom), Krätze, Lungen- und
Kehlkopftuberkulose, wenn und solange in dem Auswurf
Tuberkelbazillen enthalten sind, Masern, Milzbrand, Mumps
(übertragbare Ohrspeicheldrüsenentzündung, Ziegenpeter), Röteln,
Rotz, Tollwut (Wasserscheu, Lyssa) und Windpocken.
§ 4. Lehrer und Schüler, welche an einer der in § 3 genannten
Krankheiten leiden, bei Körnerkrankheit jedoch nur, solange die Kran¬
ken deutliche Eiterabsonderung haben, dürfen die Schulräume nicht
betreten. Dies gilt auch von solchen Personen, welche unter Er¬
scheinungen erkrankt sind, welche nur den Verdacht von Aussatz,
Cholera, F 1 e c k f i e b e r, Pest, Pocken, Rotz, Rückfall-
f i e b e r oder Typhus erwecken.
Die Ortspolizeibehörden sind angewiesen, von jeder Erkrankung
eines Lehrers oder Schülers an einer der in Absatz 6 bezeichneten
Krankheiten, welche zu ihrer Kenntnis gelangt, dem Vorsteher der
Anstalt (Direktor, Rektor, Hauptlehrer, ersten Lehrer, Vorsteherin
usw.) unverzüglich Mitteilung zu machen.
Werden Lehrer oder Schüler von einer der in Absatz 1 bezeich¬
neten Krankheiten befallen, so ist dies dem Vorstener der Anstalt
unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.
§ 5. Gesunde Lehrer und Schüler aus Behausungen, in denen
Erkrankungen an einer der in § 3 a genannten Krankheiten vorge¬
kommen sind, dürfen die Schulräume nicht betreten, soweit und so¬
lange eine Weiterverbreitung der Krankheit aus diesen Behausungen
durch sie zu befürchten ist.
Die Ortspolizeibehörden sind angewiesen, von jeder Fernhaltung
einer Person vom Schul- und Unterrichtsbesuche dem Vorsteher der
Schule (Direktor, Rektor, Hauptlehrer, ersten Lehrer, Vorsteherin
usw.) unverzüglich Mitteilung zu machen.
Es ist auch seitens der Schule darauf hinzuwirken, dass der Ver¬
kehr der vom Unterricht ferngehaltenen Schüler mit anderen Kindern,
insbesondere auf öffentlichen Strassen und Plätzen, möglichst ein¬
geschränkt wird.
Lehrer und Schüler sind davor zu warnen, Behausungen zu be¬
treten, in denen sich Kranke der in § 3 a bezeichneten Art oder Leichen
von Personen, welche an einer dieser Krankheiten gestorben sind,
befinden. Die Begleitung dieser Leichen durch Schulkinder und das
Singen der Schulkinder am offenen Grabe ist zu verbieten.
§ 6. Die Wiederzulassung zur Schule darf erfolgen :
a) bei den in § 4 genannten Personem wenn entweder eine Wei¬
terverbreitung der Krankheit durch sie nach ärztlicher Bescheinigung
nicht mehr zu befürchten oder die für den Verlauf der Krankheit er-
fahrungsmässig als Regel geltende Zeit abgelaufen ist.
In der Regel dauern Pocken und Scharlach 6, Masern und Röteln
4 Wochen. Es ist darauf zu achten, dass die erkrankt gewesenen
Personen vor ihrer Wiederzulassung gebadet und ihre Wäsche, Klei¬
dung und persönlichen Gebrauchsgegenstände vorschriftsmässig ge¬
reinigt bezw. desinfiziert worden sind. _ .
§ 7. Kommt in einer Schule oder anderen Unterrichtsanstalt eine
Erkrankung an Diphtherie vor, so ist allen Personen, welche in
der Anstalt mit dem Erkrankten in Berührung gekommen sind, drin¬
gend anzuraten, sich unverzüglich durch Einspritzungen von Diph¬
therieheilserum gegen die Krankheit immunisieren zu lassen.
§ 8. Kommt in einer Schule oder anderen Unterrichtsanstalt eine
Erkrankung an D i p h t h e r i e, übertragbarer Ge n i ckstarr e oder
Scharlach vor, so ist allen Personen, welche in der Anstalt mit
dem Erkrankten in Berührung gekommen sind, dringend atizui atui.
in den nächsten Tagöri täglich Rachen und Nase mit einem des¬
infizierenden Mundwasser auszuspülen.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
§ 9. Schüler, welche an K örnerkrankheit leiden, dürfen,
solange sic keine deutliche Eiterabsonderung haben, am Unterricht
teilnehmen, müssen aber besondere, von den gesunden Schülern ge¬
nügend weit entfernte Plätze angewiesen erhalten und haben Be¬
rührungen mit den gesunden Schülern tunlichst zu vermeiden.
§ 10. Es ist darauf zu halten, dass Lehrer und Schüler, welche
unter Erscheinungen erkrankt sind, die den Verdacht der Lungen-
und Kehlkopftuberkulose erwecken — Mattigkeit, Abmage¬
rung, Blässe, Hüsteln, Auswurf usw. — , einen Arzt befragen und
ihren Auswurf bakteriologisch untersuchen lassen.
Es ist Sorge dafür zu tragen, dass in den Schulen an geeigneten
Plätzen leicht erreichbare, mit Wasser gefüllte Speigefässe in aus¬
reichender Anzahl vorhanden sind. Das Spucken auf den Eussboden
der Schulzimmer, Korridore, Treppen sowie auf den Schulhof ist zu
untersagen und nötigenfalls zu bestrafen.
§ 11. Kommt in einer Schule oder anderen Unterrichtsanstalt
eine Erkrankung an Pocken vor, so ist allen Personen, welche in
der Anstalt mit dem Erkrankten in Berührung gekommen sind, so¬
weit sie nicht die Pocken überstanden haben oder innerhalb der letz¬
ten 5 Jahre mit Erfolg geimpft worden sind, dringend anzuraten, sich
unverzüglich der Schutzpockenimpfung zu unterziehen.
§ 12. Wenn eine im Schulgebäude selbst wohnhafte Person an
Aussatz, Cholera, Diphtherie, Fleckfieber, Gelb¬
fieber, übertragbare Genickstarre, Keuchhusten,
Masern, Mumps, Pest, Pocken, Röteln, Rotz, Rück¬
fall f i e b e r, übertragbare Ruhr, Scharlach oder Typhus
oder unter Erscheinungen erkrankt, welche den Verdacht von
Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest,
Pocken, Rotz, Rückfallfieber oder Typhus erwecken,
so ist die Schule unverzüglich zu schliessen, falls die erkrankte Per¬
son nach dem Gutachten des Kreisarztes weder in ihrer Wohnung
wirksam abgesondert noch in ein Krankenhaus oder einen anderen
geeigneten Unterkunftsraum übergeführt werden kann.
Die Anordnung der Schulschliessung trifft bei höheren Lehranstal¬
ten und bei Lehrerbildungsanstalten der Direktor, im übrigen in Land¬
kreisen der Landrat, in Stadtkreisen der Bürgermeister. Vor jeder
Schulschliessung ist der Kreisarzt zu hören; auch ist dem Patronat
(Kuratorium) in der Regel schon vor Schliessung der Anstalt von der
Sachlage Kenntnis zu geben.
§ 13. Kommt eine der in § 12 genannten Krankheiten in Pen¬
sion a t e n, Konvikten, Alumnaten, Internaten u. dergl.
zum Ausbruch, so sind die Erkrankten mit besonderer Sorgfalt ab¬
zusondern und erforderlichenfalls unverzüglich in ein geeignetes
Krankenhaus oder in einen anderen geeigneten Unterkunftsraum über¬
zuführen. Die Schliessung derartiger Anstalten darf nur im äussersten
Notfall geschehen, weil sie die Gefahr einer Verbreitung der Krankheit
in sich schliesst.
Während der Dauer und unmittelbar nach dem Erlöschen der
Krankheit empfiehlt es sich, das der Anstaltsvorstand nur solche Zög¬
linge aus der Anstalt vorübergehend oder dauernd entlässt, welche
nach ärztlichem Gutachten gesund, und in deren Absonderungen die
Erreger der Krankheit bei der bakteriologischen Untersuchung nicht
nachgewiesen sind.
§ 14. Für die Beobachtung der in den §§ 2, 4 Abs. 1, 5, Abs. 1
und 4., 6 bis 11 und 13 gegebenen Vorschriften ist der Vorsteher
der Schule (Direktor, Rektor, Hauptlehrer, erster Lehrer, Vor¬
steherin usw.), bei einklassigen Schulen der Lehrer verantwort¬
lich. In den Fällen des § 12 hat der Vorsteher der Schule an den
zur Schliessung der Schule befugten Beamten unverzüglich zu be¬
richten.
§ 15. In Ortschaften, in welchen Cholera, Diphtherie,
Fleckfieber, Gelbfieber, übertragbare Genickstarre,
Keuchhusten, Masern, Mumps, Pest, Pocken, Röteln,
Rückfallfieber, übertragbare Ruhr, Scharlach oder Ty-
p h u s in epidemischer Verbreitung auftritt, kann die Schliessung
von Schulen oder einzelnen Schulklassen erforderlich
werden. Ueber diese Massregel hat die Schulaufsichtsbehörde nach
Anhörung des Kreisarztes zu entscheiden. Bei Gefahr im Verzüge
kann der Vorsteher der Schule (bei höheren Lehranstalten und bfei
Lehrerbildungsanstalten der Direktor) auf Grund eines ärztlichen
Gutachtens die Schliessung vorläufig anordnen, hat aber hiervon un¬
verzüglich der Schulaufsichtsbehörde sowie dem Landrat Anzeige zu
machen. Auch ist dem Patronat (Kuratorium) in der Regel schon vor
Schliessung der Anstalt von der Sachlage Kenntnis zu geben. Ausser¬
dem ist der Vorsteher der Schule (Direktor) verpflichtet, alle gefahr¬
drohenden Krankheitsverhältnisse, welche die Schliessung einer
Schule oder Schulklasse angezeigt erscheinen lassen, zur Kenntnis
der Schulaufsichtsbehörde zu bringen.
§ 16. Die Wiedereröffnung einer wegen Krankheit ge¬
schlossenen Schule oder Schulklasse kann nur von der in § 12 Abs. 2
bezeiclmeten Behörde auf Grund eines Gutachtens des Kreisarztes an¬
geordnet werden. Auch muss ihr eine gründliche Reinigung und Des¬
infektion dei Schule oder Schulklasse sowie der dazu gehörigen
Nebenräume vorangehen.
§ 17. Die vorstehenden Vorschriften finden auch auf Er¬
ziehungsanstalten, Kinder b..e wahranstalten, Spiel¬
schulen, Warteschulen, Kindergärten, Krippen und
dergl. entsprechende Anwendung.
§ 18. Es empfiehlt sich, die Schüler gelegentlich des natur¬
wissenschaftlichen Unterrichtes und bei sonstigen geeigneten Veran¬
lassungen über die Bedeutung, die Verhütung und Bekämpfung der
übertragbaren Krankheiten aufzuklären und die Eltern der Schüler
für das Zusammenarbeiten mit der Schule und für die Unterstützung
der von ihr zu treffenden Masregeln zu gewinnen.
Berlin, den 9. Juli 1907.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.
Holle.
Generalkrankenrapport über die K. Bayer. Armee
für den Monat Juli 1907.
Iststärke des Heeres:
66556 Mann, 70 Kadetten, 148 Unteroffiziersvorschüler.
1. Bestand waren
am 30. Juni 1907:
Mann
Kadetten
Unteroffiz. -
vorschüler
1069
_
3
[im Lazarett:
781
,
2. Zugang:
im Revier:
1078
1
_
. in Summa:
1859
1
—
Im ganzen sind behandelt:
2928
1
3
°/oo der Iststärke:
44,0
14,3
20,3
dienstfähig:
1901
1
3
°/oo der Erkrankten :
649,2
1000,0
1000,0
gestorben :
8
_
°/oo der Erkrankten :
2,7
____
dienstunbrauchbar :
mit Versorgung:
51
—
■
3. Abgang: ^
ohne „
7
—
Auf Grund vor der
Einstellung in den Militär-
dienst vorhanden gewese-
ner Leiden als dienstun-
brauchbar erkannt und
entlassen :
17
_
-
anderweitig:
101
_
_
in Summa:
2085
1
3
4. Rpstanrl
in Summa:
843
— — .
_
hlpihpn
°/oo der Iststärke:
12,7
—
.
31. Juni 1907
davon im Lazarett:
644
—
r
davon im Revier:
199
—
—
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten an:
Gesichtsrose 1, Blutvergiftung 1, Lungentuberkulose 1, epi¬
demischer Genickstarre 2, Lungenentzündung 1, Brustfellentzündung 1
und fettiger Entartung der Leber 1.
Aussei halb der ärztlichen Behandlung starben 4 Mann und zwar
1 durch Unglücksfall (Ertrinken), 3 durch Selbstmord (1 Erhängen
1 Erschiessen, 1 Sturz in die Tiefe).
Der Gesamtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Juli 12 Mann.
1 Unteroffiziervorschiiler starb im Urlaub ausser ärztlicher Be¬
handlung an Schlagfluss.
Nachtrug zum Generalkrankenrapport für den
Monat Juni 1907.
1 Mann ist im Urlaub durch Sturz von einem Baugerüst tödlich
verunglückt.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 35. Jahreswoche vom 25. bis 31. August 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 7 (13*J
Altersschw. (üb. 60 J.) 4 (4), Kindbettfieber — ( — ), and. Folgen der
Geburt — (— ), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln — (— ), Diphth. u.
Krupp 1 (3), Keuchhusten — (2;, Typhus 2 (1), übertragb. Tierkrankh.
(—)’ Rose (Erysipel) — (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. titervergift.) 3 (3), Tuberkul. d. Lungen 25 (23), Tuberkul. and,
Org. 5 (8), Miliartuberkul. 1 (2), Lungenentzünd. (Pneumon.) 4 (7),
Influenza — and. übertragb. Krankh. — (1), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 1 (1), sonst. Krankh. derselb. — (2), organ. Herzleid. 22 (16),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 3 (4), Gehirnschlag
4 (8) Geisteskrankh. 1 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 5 (2), and.
Krankh. d. Nervensystems 3 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 42 (32), Krankh. d. Leber 2 (2), Krankh. des
Bauchfells — (2), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 5 (2), Krankh. d
Harn- u. Geschlechtsorg. 3 (4), Krebs (Karzinom Kankroid) 8 (15),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 2 (4), Selbstmord 2 (2), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 7 (3), alle übrig. Krankh. 3 (2).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 165 (173). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 15,7 (16,4), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,6 (11,4).
) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
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S^e Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
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5 _. . Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
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Zusemftri&en sind zu adressieren: Für die Redaktion Ärrinft
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/* — 1 Uhr. • Für
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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
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0 v inoerer Ch Bäumler, ''0. v. Bollinger, H. Curschmann, H. Helferich, W. v. Lenke, G. Merkel, J. v. Michel, F.PenzoMt, H. r Ranke, B. Spatz, F.vJinckel,
U. V. Hliycici, UU. UUU1U1UI, u. I. UU. .U9 , wil„uliro, Niirnhenz. Berlin. Erlangen. München. München. München.
No. 39. 24. September 1907.
Originalien.
Ueber Deckenluft-Ventilation durch Wind.
Von H. Quincke in Kiel.
Für die Ventilation geschlossener Räume hat man sich des
Windes als bewegender Kraft in der Weise bedient, dass man
ihn vermittelst geeigneter Schornsteinaufsätze zur Absaugung
verbrauchter Luft benutzte.
Die Zufuhr frischer Luft durch den Wind geschieht überall
durch Tür- und Fensterspalten und durch die Poren der Wände.
Gewöhnlich ist dies mit mehr oder weniger unangenehmer Zug¬
luft verbunden.
Man kann den Wind aber auch zur Durchwehung
der Deckenluft benutzen, indem man ihn durch ein Rohr
a einströmen und durch ein Rohr b (Figur l) ausströmen lässt,
durch rechtwinklige Biegung des Rohres wird der Luftstrom
nach oben abgelenkt und dadurch Zugluft im bewohnten Teil
des Zimmers vermieden.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Ich habe die Vorrichtung für verschiedene Krankenräume
der medizinischen Klinik in Kiel angewendet.
1. In einem kleineren Zimmer von 4,0 m Breite, 5,70 m
Länge, 3,80 m Höhe, wo die eine Oeffnung in einem Winkel der
Nordwand, die andere in einem Winkel der Ostwand ange¬
bracht ist. (Rohrweite 20 cm, Maschenweite des Drahtnetzes
3 mm). (Figur 3.) , _ , ..
2. In einer Holzbaracke mit Giebeldach und Dachreiter, von
20,0 m Länge, 6,0 m Breite, 4,0 m Giebelhöhe. Hier waren an
jeder Längswand je 3 Ventilationsrohre angebracht, die Wände
standen gegen Westen und Osten. (Rohrweite 10 cm,
Maschenweite des Drahtnetzes 8 mm.)
A C^/V^-2/-
Im Einzelnen ist die Vorrichtung diese: An 2 Aussen-
wänden des Raumes, die entweder einander gegenüber oder im
rechten Winkel zueinander stehen, sind in etwa 2,0 bis 2,5 m
Höhe über dem Fussboden zweiOeffnungen in der Mauer von 10
bis 20 cm lichter Weite angebracht. In jede dieser Oeffnungen
(Figur 2) ist ein rechtwinklig gebogenes Rohr eingelassen,
dessen horizontaler und dessen aufwärtssteigendei Schenkel
je etwa 10 bis 20 cm lang sind. Die Oeffnung A im Niveau der
äusseren Mauerfläche ist mit einem Drahtgitter von 3 bis
15 mm Maschenweite verschlossen, um Blätter, Insekten
u dergl. abzuhalten. Die innere, nach oben gerichtete Oeff¬
nung B kann durclr einen Blechdeckel, oder besser durch eine
um eine horizontale Achse drehbare Klappe verschlossen
werden, welche mit einer Kette K festzustellen ist.
Am zweckmässigsten ist es, einander gegenüber liegende
Wände so zu wählen, dass die am Orte herrschenden Winde
sie senkrecht treffen, hier z. B. West und Ost; die Luft tritt
dann westlich ein und östlich aus oder umgekehrt. Bei
schrägem Auffall tritt der Wind mit entsprechend geringerer
Geschwindigkeit und Luftmasse in die Deckenluft ein.
Ich lernte diese Vorrichtung vor Jahren bei dem Herrn Guts¬
besitzer Bruun von Neergaard auf Eckhof bei Kiel kennen.
Er hatte sie mit vom Boden aufsteigendem Rohr in einer landwirt¬
schaftlichen dänischen Zeitschrift zur Lüftung von Viehställen emp¬
fohlen gefunden und sie in obiger Form auch zur Lüftung seines
Schlafzimmers verwendet.
No. 39.
3.‘ In 2 grösseren Sälen einer
frei stehenden Baracke. Jeder
dieser Säle ist 14,0 m lang, 9,0 m
breit und bis zur Giebelhöhe 5,20 m
hoch. (Fig. 1 u. 4.) An jeder Längs¬
wand (gegen Süden und Norden ge¬
richtet) finden sich 3 Oeffnungen,
an der Giebelwand (in dem einen
Raum gegen
Westen, in dem
anderen Raum
gegen Osten ge-
richtet)findet sich
je 2 Oeffnungen.
Wegen der
Grösse des Rau
S7o/ut-
Oa&.
9,o ’r'
[/2<w
nies ist in diesem Fall der Durchmesser der Röhren grösser
(einmal 15, das andere Mal 20 cm) gewählt. (Maschen¬
weite des Drahtgitters 15 mm.)
Die (für einige dieser Räume mehrjährige) Erfahrung zeigt
nun, dass auch im Winter und bei geschlossenen Fenstern,
namentlich während der Nacht, durch die genannte Vorrichtung
eine wesentliche Erneuerung der Luft stattfindet, die sich b -
sonders am Morgen gegenüber dem früheren Zustand für das
Geruchsorgan sehr deutlich und angenehm bemerkbar macht.
Natürlicherweise hängt das Mass des Luftwechsels durchaus
von der Windstärke ab. Die Vorrichtung eignet sich daher vor¬
zugsweise für ein windiges Klima wie das hiesige und für Hre
stehende Gebäude. Höchst selten machte sich bei grosser W ind-
stärke in dem unter einem Eintrittsrohr stehenden Bett ein
unangenehmer Luftzug (durch Reflexion von der Decke her
bemerkbar, so dass die betreffenden Kianken dieses Ro
schlossen. Im übrigen aber waren die Kranken dei Vent -
lationsvorrichtung günstig gesonnen, empfanden die Reinheit
der Luft angenehm und rührten die ihnen ja leicht zugänglichen,
offen stehenden Klappen nicht an.
Die genannte Vorrichtung lässt wegen der Kürze des
Rohres eine Temperaturdifferenz zwischen Aussen- lind Innen¬
luft für die Luftbewegung kaum zur Geltung kommen. Sie
kann auch nur als Hilfsmittel neben anderen natürlichen oder
künstlichen Ventilationsvorrichtungen wirken, und dies nament¬
lich wenn, wie gewöhnlich in der Nacht, in der kälteren Jahres¬
zeit und bei sehr starkem Wind, die Fenster geschlossen ge¬
halten werden. Hier aber ist sie praktisch entschieden
brauchbar.
1914
MUENCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
Durch Papierbänder, welche vor den Oeffnungen bei A
oder über den Oeffnungen bei B lose angebracht waren, wurden
Luftströmungen für das Auge sichtbar gemacht. Die Bänder
bewegten sich häufig, auch wenn auf andere Weise im Freien
Wind kaum wahrgenommen wurde. Auch durch erzeugten
Pulverdampf wurde die Bewegung in der Deckenluft und ihr
Abströmen nach aussen auf der Leeseite vor Augen geführt.
Offenbar senkt sich die durch den Wind eingeblasene
frische kühlere Luft nach unten und bewirkt so eine allmähliche
Erneuerung der Bodenluft, aber ohne Zugluft.
Die Vorrichtung hat folgende Nachteile:
1. Sie ist nur anwendbar bei Räumen mit zwei Aussenwänden.
2. Die Rohre entstellen das Zimmer.
3. Sie funktioniert nur bei Wind, dabei wechselnd, je nach seiner
Stärke und Richtung.
Ad 1. Wo ein Raum nur eine Aussenwand hat, und mit der
anderen Seite an einen Korridor grenzt, könnte der horizontale Teil
des Rohres quer unter dem Fussboden des Korridors entlang, der
vertikale Teil in der Korridorwand nach aufwärts führen und erst in
2,5 m Höhe in den Krankensaal einmünden.
Ad. 2. Die Entstellung Hesse sich nach einem Vorschläge jdes
Herrn v. Neergaard dadurch vermeiden, dass man das Rohr durch
die Aussenwand schräg von unten nach oben führt und dass man die
Innenöffnung mit einer Kastenklappe versieht, deren dreieckige Seiten¬
flächen ein seitliches Ausweichen der Luft verhindern, während ihre
schräg aufsteigende Hauptfläche den Luftstrom nach oben gegen die
Decke lenkt.
cf
Ad. 3. Die Weite und Zahl der Röhren (und des Drahtnetzes)
ist von mir empirisch und verschieden, je nach der Grösse des Raumes
gewählt; sie muss noch weiter ausgeprobt werden. Im allgemeinen
werden weite Rohre vorzuziehen sein, da die Klappen eine Ver¬
minderung der Luftzufuhr erlauben. Tat¬
sächlich kamen sie bei mir nur selten in
Gebrauch.
Um Windrichtungen, die der Aussen¬
wand parallel oder im spitzen Winkel zu
ihr laufen zu verwerten, könnte man nach
einem Vorschlag des Herrn v. Neer¬
gaard durch einen Windfang mit ge¬
bogenen Blechen vor den äusseren Oeff¬
nungen der Rohre (Figur 5) den Wind in
diese hineinleiten.
Wo der Wind fehlt, oder wo er im geschlossenen Bau der
Städte keinen rechten Zutritt hat, könnte man seine Kraft durch
einen bei B Figur 2 angebrachten kleinen Elektromotor in den
Oeffnungen der einen Wand ersetzen. Dies würde wahr¬
scheinlich in gewissen (besonders hohen) Restaurationsräumen,
Eisenbahnwartesälen u. dergl. praktisch sein.
Wichtig scheint mir bei der ganzen Vorrichtung das
Prinzip der Erneuerung der Deckenluft durch
eine Eintritts - und eine Austrittsöffnung. Der
Versuch zeigt, dass dadurch ohne merkliche Zugluft eine Luft¬
verbesserung im ganzen Raum erzielt werden kann.
Aus dem hygienisch-bakteriologischen Institute der Universität
Erlangen (Direktor: Prof. Dr. L. Heim).
Weitere Studien mit dem Eiweissabspaltungsantigen von
Ermüdungstoxincharakter — Kenotoxin — und seinem
Antikörper. Aktivierung protoplasmatischer Substanz.
Von Privatdozent Dr. Wolfgang Weichardt.
Durch chemische und physikalische Erschütterung von
Eiweiss bei Temperaturen unter 40° entstehen neben anderen
längst bekannten und gut erforschten Aufspaltungsprodukten
des Eiweisses auch geringe Mengen einer intermediären, hoch¬
molekularen Substanz, die von den chemisch definierbaren
Stoffen durch wiederholte Dialyse gereinigt und mittels des
hohen Vakuums in konzentrierter, biologisch rein wirkender
Form gewonnen werden kann. Ich habe für dieselbe den
Namen Eiweissabspaltungsantigen von Ermiidungstoxincha-
rakter eingeführt [1- — 4].
Dieser Ausdruck ist jedoch allzu umfänglich, ich möchte
daher einen kürzeren, an das ursprüngliche, von mir zuerst
aus dem Muskelpressaft übermüdeter Tiere hergestellte Ei¬
weissabspaltungsantigen, an das „Ermüdungstoxin“ erinnern¬
den vorschlagen, der von dem griechischen yevoco abgeleitet ist:
„Kenotoxin“.
Dieses Kenotoxin immunisiert Tiere, denen es wiederholt
injiziert wird. In deren Serum ist der spezifische Antikörper
No. 39.
für das Kenotoxin dann nachweisbar. Dieser Antikörper ist
dialysabel und weit weniger labil als sein spezifisches Toxin.
Auch er entsteht bei der chemischen Aufspaltung von Eiweiss,
aber erst bei Siedhitze.
Die Ausbeute hierbei ist allerdings eine sehr geringe, es
gelingt aber, mittels Dialyse und Extrahieren mit Azeton immer¬
hin so wirksame, diesen interessanten Antikörper enthaltende
Präparate herzustellen, dass nunmehr wissenschaftliche Ver¬
suche nicht mehr nur au kleineren, sondern auch an grösseren
I ieren, sowie an Menschen in umfangreicherem Masse wie bis¬
her möglich sind.
Immerhin ist der Mäuseversuch [2] das beste Kriterium für
die biologischen Wirkungen des Kenotoxins und seines Antikör¬
pers1): Wird eine muntere Maus mit 0,2— 0,5 einer frisch be¬
reiteten, isotonischen Kenotoxinlösung injiziert, so tritt allmäh¬
lich erhebliche Erniedrigung der Körpertemperatur und Verlang¬
samung bezw. Aufhören der Atmung bei ihr ein, während
Mäuse, die vorher mit dem spezifischen Antikörper immunisiert
worden sind und denen die gleiche Menge Kenotoxin einver¬
leibt wird, vollkommen intakt bleiben.
Den Eindruck, den zwei derartige Mäuse machen, lässt die
beistehende Figur erkennen. Beide Tiere sind mit den gleichen
Dosen Kenotoxin injiziert worden. Die links sitzende mit ge¬
sträubtem Fell und geschlossenen Augen zeigt die unbehinderte
Wirkung des Giftes nach 15 Stunden. Die andere mit den
gleichen Giftdosen behandelte, vorher aber in der geschilderten
Weise mit dem Antikörper per os immunisierte ist in nichts
von einer gesunden Maus zu unterscheiden; sie war nach dem
Photographieren im nächsten Augenblick mit grossen Sätzen
entsprungen.
Was die Isolierung des Kenotoxins aus den Exkreten der
Niere und des Darmes anlangt, so habe ich diese bereits an
anderer Stelle [3] des genaueren beschrieben.
Leicht gelingt auch die Darstellung eines recht reinen
Kenotoxins aus der Lungenexhalationsluft.
Da das Kenotoxin durch Erschütterung von Eiweiss bei
Temperaturen unter 40 0 entsteht, und in den Lungen sehr leb¬
hafte chemische Umsetzungen statthaben, so kann man an¬
nehmen, dass hier die fragliche Abspaltung sehr energisch vor
sich geht. In der Tat wird mit dem Wasserdampf der Aus¬
atmungsluft etwas von diesem Toxin nach aussen gerissen;
denn nach stundenlanger Einleitung der Ausatmungsluft in
kaltes, sehr schwach angesäuertes Wasser gelingt es, nachzu¬
weisen, dass dieses Wasser kenotoxinhaltig geworden ist.
Man engt das mit einem Tropfen Salzsäure versetzte
grössere Quantum Wasser, durch welches Ausatmungsluft an¬
haltend geblasen wurde, im hohen Vakuum unter 40° bis auf
2 ccm ein, neutralisiert vorsichtig mit NaOH, zentrifugiert die
isotonisch gemachte Flüssigkeit und injiziert die eine Hälfte
derselben einer unvorbehandelten und die zweite Hälfte einer
gleich grossen, mit dem spezifischen Antikörper des Kenotoxins
vorher immunisierten Maus in die Subkutis. Die unvorbe-
handelte Maus wird nun unter Herabgehen der Körpertem¬
peratur und Verlangsamung der Atmung nach und nach so¬
porös, während die vorher immunisierte Maus vollkommen
munter bleibt; denn sie ist gegen das aus der Ausatmungsluft
stammende Kenotoxin geschützt.
Folglich enthält die Ausatmungsluft Ei¬
weissabspaltungsantigen von Ermüdungs¬
toxincharakter (Kenotoxin).
Das Kenotoxin ist nur unter ganz besonderen Umständen
ein giftiger Molekularkomplex — nur dann, wenn es in sehr
') Ueber die quantitativen Bestimmungen siehe meine „Serolog.
Studien aus dem Gebiete der experimentellen Therapie“, Ferdinand
Enke, Stuttgart 1906 und „Jahresbericht über die Ergebnisse der Im-1
munitätsforschung“ ebenda.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
hohen Dosen einverleibt wird, namentlich aber, wenn das auf ein¬
mal geschieht. Hiernach zeigt die Kymographionkurve des so in¬
jizierten Tieres eine verminderte Leistling. Das Gegenteil ist
der Fall, wenn man mehrmals nacheinander kleine Dosen des
Kenotoxins einspritzt. Bei geschickter Ausnutzung der relativ
kurzen Latenzzeit wird man dann schon mit der zweiten Dosis
in die durch die erste Gabe geschaffene Immunität hinein¬
kommen, was sich in einer Steigerung der Muskelleistung an
der Kymographionkurve zu erkennen gibt [2].
Unser Toxin ist also geeignet, die Zellen in
ganz hervorragendem Masse zu gesteigerter
physiologischer Leistung an zu regen.
Ein Beispiel hierfür ist auch die Leukozytenanlockung sei¬
tens dieses Toxines :
Wenn man kleine Kapillaren, wie sieGabritschevsky
[5] und später H. Büchner zu dem gleichen Zweck ver¬
wendet haben, mit der Lösung von reinem Kenotoxin füllt und
unter die Haut eines Kaninchenohres einschiebt, so sammeln
sich nach und nach darin Leukozyten ausserordentlich reichlich
an _ im Kontrollröhrchen mit Kochsalzlösung sind fast keine
Leukozyten zu finden. Füllt man das Röhrchen dagegen mit
sterilem Hühnereiweiss, so ist die Leukozyteneinwanderung,
wenn das Röhrchen gleich lange unter der Haut gelassen wird,
wie das Kenotoxinröhrchen, bedeutend geringer. Nur am
offenen Ende des mit reinem Hühnereiweiss gefüllten Röhr¬
chens fand sich dann eine stärkere Leukozytenansammlung.
Mau gewann den Eindruck, als sei die Einwanderung der Leu¬
kozyten in das Röhrchen in dem Masse vorgeschritten, in dem
das körperfremde Eiweiss erschüttert wurde.
Gesteigerte physiologische Leistung im Körper ist also
unter Umständen auf eine Vermehrung der Tätigkeit des Pro¬
toplasma unter dem Einfluss geringer Mengen von Kenotoxin
zurückzuführen! Es handelt sich um eine Aktivierung des
Protoplasma durch das Toxin.
Wie die Steigerung der Tätigkeit des motorischen Appa¬
rates durch geeignete Dosierung und Benützung der Latenz¬
zeit des rein dargestellten Eiweissabspaltungsantigens von
Ermüdungstoxincharakter (Kenotoxin) herbeigeführt werden
kann, darin glaube ich durch meine jahrelangen Untersuchungen
eine gewisse Erfahrung gewonnen zu haben. Ueber die ziel¬
bewusste Aktivierung anderer Zellfunktionen durch reines
Kenotoxin fehlen hinsichtlich der Dosierung und Latenzzeit
aber die Erfahrungen bisher noch vollständig. Dass solche
Aktivierungen im Körper stattfinden, geht meines Erachtens aus
folgenden Beobachtungen bei Stauungsödem hervor:
Wenn man Flüssigkeit aus einem abgebundenen ödema-
tösen Kaninchenschenkel einer Maus injiziert, so kann mittels
Kymographionkurven nach einer gewissen Latenzzeit eine
deutliche Steigerung der Leistungsfähigkeit dieser Maus nach¬
gewiesen werden. Sie wird bedingt durch geringe Mengen
Kenotoxins, das nach der Injektion der Oedemfliissigkeit die
Versuchsmaus aktiv immunisiert, wodurch dann deren Lei¬
stungsfähigkeit erhöht wird. Dass tatsächlich Kenotoxin in
einer derartigen Stauungsflüssigkeit vorhanden ist, lässt sich
mittels des spezifischen Antikörpers erkennen; denn mit ihm
kann die Kenotoxinwirkung der Oedemflüssigkeit aufgehoben
werden.2)
Es ist mir auch gelungen, das Vorhandensein geringer
Mengen von Kenotoxin in einem Wattebausch nachzuweisen,
der — nach den Angaben von M. G r u b e r und E u t a k i -
unter die Haut eines Kaninchens geschoben worden war.
Aktivierungen von Protoplasma kommen unter dem Ein¬
fluss von KenotoxUi auch zustande, wenn es durch Einver¬
leibung chemisch definierbarer Stoffe im Tierkörper abge¬
spalten wird. Diese Abspaltung ist sehr schön zur Anschauung
zu bringen durch Injektion kolloidalen Palladiums, da hierbei
eine sehr lebhafte Erschütterung des Organeiweisses und die
Abspaltung von relativ viel Kenotoxin stattfindet, ohne dass
anderweitige giftige Wirkungen stören; denn das kolloidale
Palladium ist vollkommen ungiftig. Bei einer mit kolloidalem
2) Bekanntlich haben M. Gruber und F u tafc i in No. 6 dieser
Wochenschrift Jahrgang 1907 bezw. der Anregung von Leukozyten
zur Produktion anthrakozider Substanzen mittels Stauungsodem-
fliissigkeit ganz ausserordentlich interessante Versuchsergebnisse
mitgeteilt.
191S
Palladium injizierten, unvorbehandelten Maus treten also deut¬
lich Ermüdung, Temperaturabfall und Atemverlangsamung ein;
eine Maus, die mit dem spezifischen Antikörper gegen Keno¬
toxin geschützt ist, wird durch Injektion der gleichen Menge
kolloidalen Palladiums dagegen nicht mehr behelligt wie etwa
durch Injektion mit physiologischer Kochsalzlösung. Ihre Kör¬
pertemperatur sinkt kaum, ihre Atmung wird nicht ver¬
langsamt.
In ähnlicher Weise lässt sich die Abspaltung von Keno¬
toxin im Organismus von Versuchsmäusen verfolgen nach In¬
jektion zahlreicher anderer chemischer Substanzen. Allerdings
ist hierbei zu beachten, dass ausser der Abspaltung von Keno¬
toxin noch anderweite Giftwirkungen eintreten können,
welche derartige Versuche komplizieren und verwirren.
Immerhin lassen sich, namentlich im Anfänge des Ver¬
suches und bei ausserordentlich vorsichtiger Dosierung, in der
Regel sehr deutliche Unterschiede feststellen zwischen der
Wirkung der injizierten giftigen Substanz auf die unvorbe-
handelte und auf die passiv immunisierte Maus. Erstere wird
deutlich schlaff und müde und ihre Körpertemperatur sinkt er¬
heblich, die immunisierte Maus dagegen bleibt lange voll¬
kommen intakt. Sehr geeignet zu diesem überraschenden Ex¬
periment ist namentlich Zyankali.
Wenn z. B. zwei Mäusen, einer unvorbehandelten und
einer mit unserem Antikörper immunisierten von einer sehr
dünnen Lösung des Zyankali öfter kleine Quantitäten subkutan
injiziert werden [4], so treten bei der nicht vorbehandelten
Maus die Erscheinungen des durch das Zyankali vom Organ-
eiweiss sich abspaltenden Kenotoxins nahezu ebensogut in Er¬
scheinung, wie bei einer mit kolloidalem Palladium behandeltem
Die passiv immunisierte Gegenmaus bleibt nahezu intakt,
auch wenn nach und nach so vielmal kleine Dosen des Zyan¬
kalis injiziert werden, dass die Summe derselben die für Mäuse
tödliche Menge überschreitet.
Die Ursache dieser für jeden, der sie zum ersten Male sieht,
auffallenden Erscheinungen liegt also in der Bildung von Keno¬
toxin durch Erschütterung von Organeiweiss seitens des ein¬
geführten chemischen Mittels.
Werden derartige chemische Substanzen den Versuchs¬
tieren in solchen Dosen injiziert, dass sich nur mässige Keno-
toxinmengen abspalten, so treten auch bei unvorbehandelten
Mäusen nicht die schweren Erscheinungen von Temperatur¬
erniedrigung und Atemverlangsamung ein; vielmehr bewirkt
die geringe Menge des dann abgespaltenen Kenotoxins nach
einer gewissen Latenzzeit aktive Immunisierung der injizierten
Mäuse. Letztere sind nun gegen grössere Dosen injizierten
Kenotoxins ebenso geschützt, wie die passiv immunisierten in
den beschriebenen Versuchen, und ihre Gastroknemius-
zuckungskurven zeigen an, dass sie erheblich leistungsfähiger
geworden sind, wie vor der Injektion.
An die unter dem Einfluss des Kenotoxins erfolgende Akti¬
vierung des Protoplasma ist also auch da zu denken, wo man
nach wiederholter Verabreichung minimaler Dosen von ge¬
wissen an und für sich äusserst giftigen Arzneistoffen, wie z. B.
Phosphor,;- Arsen us-w. erstaunliche, scheinbar unerklärliche
Heilwirkungen beobachtet.
Bekanntlich lässt sich durch Vorbehandlung von Tieren
mit chemisch definierbaren Substanzen ein Antikörper nicht
erzeugen. Trotzdem geben einige Autoren an, eine gewisse
Schutzwirkung gesehen zu haben, so z. B. bei Morphium. Sie
beziehen diesen Schutz auf ein Antimorphin. Wie ich bereits-
im Zentralbl. f. Bakt., Bd. 44, S. 72 dargetan habe, ist das ein
Irrtum. Es gibt, wie ja bekanntlich Ehrlich schon vor
langem bestimmt ausgesprochen hat, Antikörper gegen che¬
misch definierbare Substanzen nicht, also auch kein Anti¬
morphin. Antikörper gegen chemische Substanzen werden
vielmehr vorgetäuscht durch den Gehalt der betreffenden Sein
an Antikenotoxin.
Andere Autoren trugen sich mit der Hoffnung, neue spe¬
zifische antitoxische Sera durch wiederholte Injektionen von
Bakterienleibern erhalten zu können. Wenn bei solchen v ei-
suchen, wie z. B. bei denen von Macfadyen die Bakterien
vor der Injektion durch Zusatz chemisch differenter Mittel, w ie
Kalilauge, verändert werden, so wrird natürlich das Bakterien-
eiweiss erschüttert und es spaltet sich Kenotoxin ab. Dafür.
1916
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
spricht auch die Beschreibung der Wirkung solcher neuen
Toxine, die der biologischen Wirkung des Kenotoxins ähnelt.
Natürlich findet sich dann auch im Serum der betreffenden In¬
jektionstiere ein dem Antikenotoxin entsprechender Antikörper.
Aehnlich dürfte der Vorgang sein bei Herstellung von Seren,
die mittels Injektionen eiweisshaltiger Substanzen gewonnen
werden, wie z. B. bei dem durch wiederholte Injektion von Hefe
gewonnenem Serum. Der Schutz derselben liegt aber bloss
darin, dass sie gewisse Mengen des für Kenotoxin spezifischen
Antikörpers enthalten.
Es ist mir mehrfach schon gelungen, in solchen durch
Injektion eiweissartiger Substanzen gewonnenen Seren diesen
Antikörper nachzuweisen.
Vielleicht empfiehlt es sich, alle derartigen Sera, in denen
unser für Eiweissabspaltungsantigen von Ermüdungstoxin¬
charakter (Kenotoxin) spezifischer Antikörper sicher nachge¬
wiesen werden kann, und die sich daher gegen recht ver¬
schiedene Infektionsstoffe als etwas wirksam erweisen, unter
dem Namen „koinomere Sera“ zusammenzufassen, y-oivog =
gemeinsam, jutQog = Teil.
Reich sind die koinomeren Sera an dem betreffenden Anti¬
körper freilich nicht; denn der Organismus der Injektionstiere
entledigt sich jedes grösseren Ueberschusses dieses Anti¬
körpers durch Ausscheidung mittels der Sekretionsorgane.
Ich war im Anfang meiner Studien über Eiweissabspal¬
tungsantigene sehr bemüht, ein hochwertiges Serum durch
Einspritzung von Muskelpressaft überermüdeter Tiere, der ja
reichlich Kenotoxin enthält, zu gewinnen. Allein dieses Be¬
streben scheiterte eben an der Unmöglichkeit bedeutender An¬
reicherung dieses Antikörpers.
Sehr viel wirksamere Präparate zu erzielen war erst dann
möglich, als ich gefunden hatte, dass dieser Antikörper ge¬
gen Eiweissabspaltungsantigen von Ermüdungstoxincharakter
(Kenotoxin) sich auch künstlich, ausserhalb des Tierkörpers,
in vitro herstellen lässt. Der erste Fall, dass ein spezi¬
fischer Antikörper gegen ein wohl charak¬
terisiertes Toxin, unabhängig vom lebenden
Körper, künstlich erzeugt wird.
Schlussätze.
1. Eiweissabspaltungsantigen von Ermiidungstoxincharak-
ter (Kenotoxin) entsteht entweder durch Abspaltung im leben¬
den Organismus oder in vitro, bei chemischer resp. physi¬
kalischer Erschütterung von Eiweiss in Temperaturen unter 40°.
2. Wird diese chemische Erschütterung bei Siedehitze ver¬
anlasst, so spaltet sich der für Kenotoxin spezifische Anti¬
körper ab.
3. Dieser Antikörper entsteht auch durch Injektion des
Kenotoxins.
4. Kenotoxin findet sich in den Exkreten, namentlich im
Urin der Warmblüter.
5. Kenotoxin wird auch bei den lebhaften chemischen Um¬
setzungen in der Lunge vom Organeiweiss abgespalten; denn
6. wenn Ausatmungsluft stundenlang durch eisgekühltes
Wasser geblasen wird, so kann im Reste dieses Wassers, nach
Einengen im Vakuum, deutlich Kenotoxin nachgewiesen
werden.
7. Versuchsmäuse, denen ein Teil dieses Restes injiziert
worden ist, werden soporös, ihre Temperatur sinkt erheblich,
und die Atmung wird verlangsamt, während mit dem spe¬
zifischen Antikörper vorher immunisierte und dann mit dem
anderen gleichen Teile des Restes injizierte Kontrollmäuse
munter bleiben.
8. Reines Kenotoxin ist ein guter Protoplasmaaktivator,
d. h. Kenotoxin regt in bestimmter Dosis und nach bestimmter
Latenzzeit die Zelltätigkeit nach verschiedenen Richtungen
hin an.
9. Kenotoxin findet sich im Stauungsödem, es entsteht
auch bei Einführung von Chemikalien: kolloidalem Palladium,
Zyankali, Arsen, Phosphor usf., Stoffe, welche geeignet sind,
Organeiweiss im Versuchstiere chemisch zu erschüttern.
10. Viele Heilsera enthalten ausser ihrem spezifischen Anti¬
toxin auch noch den Antikörper gegen das Eiweissabspaltungs¬
antigen von Ermüdungstoxincharakter (Kenotoxin), sie sind
also koinomer.
No. 39.
Literatur:
1. Münch, med. Wochenschr. 1904, No. 1 und 48; 1905, No. 26;
1906, No. 35. — 2. Serologische Studien auf dem Gebiete der experi¬
mentellen Therapie, Ferd. Enke, Stuttgart 1906. — 3. Zentralbl. f.
Bakt., Bd. 43, Heft 4, S. 312. — 4. Zentralbl. f. B'akt., ßd. 44, Heft 1,
S. 72. — 5. G a b r i t s c h e v s k y: Annales de l’Inst. Pasteur, 1890.
S. 346. — 6. Ehrlich P. : Gesammelte Arbeiten zur Immunitäts¬
forschung, Berlin 1904. — 7. Jahresbericht über die Ergebnisse der
Immunitätsforschung, Ferd. Enke, Stuttgart. — 8. Heim L.: Lehr¬
buch der Bakteriologie etc., Ferd. Enke, Stuttgart 1906.
Aus der I. med. Klinik München (Prof. Dr. v. B a u e r).
Ueber Opsonine und Phagozytose im allgemeinen.
Von Dr. Hugo Kämmerer, Assistenzarzt.
Seit der Entdeckung W rights1), dass im Blutserum
Stoffe vorhanden sind, die auf die Phagozytose der Leukozyten
fördernd einwirken, sind in der englischen Literatur zahlreiche
Arbeiten über die von dem Entdecker Opsonine genannten
Körper erschienen. In Deutschland verfügen wir erst über eine
verhältnismässig geringe Anzahl von Publikationen über dieses
Gebiet und insbesondere ist die von W right und seinen
Schülern schon so sehr ausgebaute klinische Verwertung seiner
Lehre bei uns noch sehr wenig auf ihre Bedeutung nachgeprüft
worden. Ich hatte mir zur Aufgabe gemacht, die klinisch-
diagnostische Verwendbarkeit der opsonischen Kraft des
Serums zuerst an Tuberkulose und Tuberkelbazillen zu unter¬
suchen, stiess aber zunächst auf grosse Schwierigkeiten, so
dass ich mich entschloss, als Vorversuche zuerst einmal
einige allgemeine Experimente über die Beeinflussung der
Phagozytose durch das normale Serum und über Phagozytose
überhaupt vorauszuschicken. Ueber diese möchte ich im nach¬
folgenden kurz berichten.
Im Gegensatz zu den meisten bisherigen deutschen Ver¬
öffentlichungen arbeitete ich ausschliesslich mit
menschlichen Seren und Leukozyten, da es mir
gerade auf die Verhältnisse beim Menschen und auf die An¬
bahnung praktischer Verwertbarkeit ankam. Wie es sich von
selbst versteht, ist bei Untersuchungen am Menschen, in der
Klinik, Auskommen mit kleinsten Mengen erstes Erfordernis.
Ich hielt mich im grossen und ganzen an die bereits von
Wright vorzüglich ausgebildete Technik, die ich mir nur
unwesentlich modifizierte.
uie Austunrung eines Opsoninversuches zerfällt von selbst
in 4 Abschnitte: 1. Gewinnung des Serums; 2. Gewinnung der
Leukozyten und ihre Waschung; 3. Herstellung einer Bazillen¬
emulsion; 4. Ausführung des Phagozytoseversuches.
Zur Gewinnung des Serums genügte mir der einfache Finger¬
stich mit der Franke sehen Nadel. Ich fing das Blut mit einer
oben weiten Kapillarpipette auf, brachte es von hier in ein etwa
cm langes Glasröhrchen und zentrifugierte. Man gewinnt so eine
hinreichende Menge ganz klaren Serums.
Eine andere gesunde Person liefert die zur phagozytären Tätig-
keit bestimmten Leukozyten, wobei ebenfalls der Fingerstich hin-
reicnt. ) Ich füllte mir vorher einen kleinen Glaszylinder, wie sie
dem r i c k e r sehen Agglutinationsapparat 'beigegeben werden, zu
/3 mit einer sterilen 2 proz. Lösung von Natriumcitrat in physio¬
logischer Kochsalzlosung. In diese Flüssigkeit liess ich dann direkt
aus der Fingerbeere /» Blut tropfen, wobei ich das Gläschen zur Ver¬
hütung von Koagelbildung öfter kräftig umschüttelte. Ist genügend ein¬
geflossen, wird wieder tüchtig geschüttelt und diese vollständig ge-
rinnselfreie Blutkorperchenemulsion in eine rasch rotierende Zentri-
?nnn ^ !ch verwendete eine elektrische Zentrifuge von
Umdrehungen in der Minute.) Hier scheidet sich ein
dichtes Blutkorperchensediment von einer klaren Flüssigkeit ab. Die
obenstehende Flüssigkeit wird mit der Pipette abgehoben, physio¬
logische Kochsalzlösung auf das Sediment gegossen und tüchtig durch-
geschuttelt. Dann wieder zentrifugiert und die Waschung noch zwei¬
mal wiederholt. Schliesslich wird die überstehende Kochsalzlösung
von dem dicht zentrifugierten „Blutkörperchenbrei“ abgehoben.
■ r V? *renn* bekanntlich die obere, leukozytenreichere Schicht
des Sediments von der unteren. Nicht nur weil es weniger um¬
ständlich und zeitraubend ist, sondern auch um die Leukozyten mög¬
lichst in ihrem Verhältnis zu den Erythrozyten zu lassen, nahm ich
cavon Abstand. Ich schüttelte den dichten Blutkörperchenbrei nur
gut durch zur gleichmässigen Verteilung der Leukozyten und ver¬
wendete ihn dann direkt, zur Phagozytose. Ich hatte auf einem
) \\ right: Proceed. of the royal soc. Vol. LXXII, p. 357 u. a.
-) Das zu den Versuchen notwendige normale Blut entnahm sich
Venasser meist selbst oder geeigneten Leichtkranken der Klinik,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1917
Objektträgerausstrich zur Zählung stets mehr als hinreichend Leuko-
zy ten»
Die Herstellung der Bakterienemulsion ist bei Staphylokokken
und anderen rasch wachsenden Bakterien, die nicht die Eigenschaft
haben, sich zusammenzuklumpen, leicht, schwer aber wegen dieser
Eigenschaft bei den Tuberkelbazillen.
Von einer 24 Stunden alten Staphylokokkenagarkultur wurden
3 _ 4 Oes-en in etwa 10 ccm physiologische Kochsalzlösung gebracht
und gut durchgeschüttelt, unter Umständen verdünnt, so dass eine
gleichmässige, nicht allzu dichte Emulsion entsteht. _
Auf die Schwierigkeiten einer gleichmässigen, bakterienklumpen¬
freien Tuberkelbazillenemulsion hat W right genugsam hingewiesen.
Ich verfuhr in ziemlich enger Anlehnung an seine Angaben folgende! -
massen: Ich verbrachte mehrere Oesen einer nicht zu alten Agar¬
kultur in einen Achatmörser, diesen dann in den Dampftopf, wo ich
zuerst bei 100° 10 Minuten sterilisierte. (Diese Abtotung der Tu¬
berkelbazillen beeinträchtigt nach W r i g h t und wie ich mich selbst
bald überzeugen konnte, die Opsonwirkung und die Phagozytose nicht.)
Nach der Sterilisierung wurden die Bazilkn im A c h a t morser unt
allmählichem Zusatz einer 0,5 proz. (nicht physiologischen Kochsalz¬
lösung ganz fein und ziemlich lange zerrieben und die Emulsion sodann
bis zur hinreichenden Dichte (deutliche Opaleszenz) mit 0,5 proz Koch¬
salzlösung verdünnt. Leider ist diese Emulsion, die man sich doch
nicht gut jeden Tag frisch machen kann wie die Staphytokokken-
emulsion, nicht lange haltbar trotz Verweilens m Eisschrank Es tritt
Verklumpung und Verschimmelung ein. Ich setzte daher spatei /-
Proz. Phenol zu, was die Haltbarkeit vermehrte, die Phagozytose
aber nicht im geringsten beeinträchtigte. .
Leider konnte ich bis jetzt nur mit Tuberkelbazillen und Staphylo¬
kokken arbeiten. ' , , . , •
Bei der Ausführung des Opsoninversuches verwendete ich wie
W r i g h t oben weite Kapillarpipetten, die man sich selbst sehr leicht
aus Glasröhren mit dem Bunsenbrenner ausziehen kann. Man be¬
waffnet das dicke Ende der Pipette mit einer Gummisaugkappe und
macht sich mit dem Fettblaustift an der Kapillare eine Marke. Bis zu
dieser zieht man zuerst Bakterienemulsion auf, lasst dann etwas
Luft eintreten, zieht dann bis zur Marke ein oder zweimal Serum
auf lässt wieder etwas Luft herein und saugt schliesslich ein oaer
zwei Marken „Blutkörperchenbrei“ auf. Während nun Wrig h t den
Pipetteninhalt in ein Gläschen ausbläst, durch abwechselndes Auf- und
Absaugen mischt, schliesslich wieder einsaugt und das kapillare Ende
der Pipette zuschmilzt, waren mir diese Operationen bei dem raschen
Eintritt der Phagozytose zu zeitraubend. Ich blies den Pipetteninhalt
einfach in einen kleinen Glaszylinder (der geeignetste schien mir der
zum Stäubli sehen Agglutinometer hergestellte) aus, mischte
sodann durch kräftiges Schütteln und versah das Gläschen sofort mit
einem Gummistopfen. Die gefüllten Gläschen wurden sodann meist
für eine halbe Stunde in den Brutschrank gebracht. Dann wurde
ein Tropfen des noch einmal gut umgeschüttelten Gläschens auf einen
gut gereinigten Objektträger gebracht, ausgestrichen und getrocknet.
Kokkenpräparate wurden mit eosinsaurem Methylenblau nach May-
Grünwald gefärbt, Tuberkelbazillenpräparate vorher mit Aether-
alkohol fixiert und dann mit Karbolfuchsin-Methylenblau gefärbt
Bei der Durchzählung der Präparate verwendete ich ausschliess¬
lich Z e i s s’ Objektiv Homogen Immersion Apochrom. 2 mm Apert.
130 mit Kompensationsokular 8 bei intensiver Beleuchtung mit Auei-
gaslicht. Die Gleichmässigkeit der optischen Verhältnisse erwies sich
mir im Interesse der Gleichmässigkeit der Zählresultate als notwendig.
W r i g h t zählt bekanntlich so, dass er die Anzahl der phagozytierten
Bakterien durch die Zahl der gezählten Leukozyten (meist 20) dividiert
und den gewonnenen Ouotient nennt er den phagozytären Index.
Bäch er3) greift diese Zählmethode an. Er glaubt, dass die phago¬
zytierten Bakterien vielfach rasch ihre Färbbarkeit verlieren, resp.
intrazellulär aufgelöst werden. Er stellt daher einfach den Prozent¬
satz der phagozytierenden Leukozyten fest und zahlt 50— 100. Nach¬
dem ich beides versucht, schien mir schliesslich die W r i g h t sehe
Methode doch die einwandsfreiere. Verhehlen darf man sich ia nicht,
dass beide voller Fehlerquellen sind. Aber aus vielen Versuchen hatte
ich den Eindruck, dass der Verlust der Färbbarkeit keine grosse
Rolle spielt, und dass bei Begünstigung der Phagozytose (z. ß. durch
aktives Serum im Gegensatz zum inaktiven) der einzelne Leukozyt
durchschnittlich eben viel mehr Bakterien aufgenommen hat. Dieses
Moment bleibt aber bei der B ä c h e r sehen Zählmethode völlig un¬
berücksichtigt. Ich zählte daher schliesslich nur noch nach W r i g h t -
scher Art und zwar stets 30, oft auch 60 und mehr Zellen. V lclitig ist,
dass man stets mit Normalseren kontrolliert und nur Zahlen der
gleichen Versuchsreihe miteinander vergleicht.
Wenn man viele Phagozytosen gesehen hat, fällt vor allem
das sehr verschiedene Verhalten dei -einzelnen
Leukozytenindividuen auf. Während im gleichen
Präparat der eine Leukozyt 20 und mehr Kokken aufgenommen
hat, hat der nächste nur 2—3, der weitere gar nicht phagozytiert.
Es mag dies zunächst an der verschieden starken Schädigung
der Zellen bei der komplizierten Vorbehandlung liegen, es
scheint aber doch, dass auch in vivo die Fresslust — sit venia
verbo — der Zellen eine sehr verschieden grosse ist.
Bei dei folgenden Ausführung der Versuche ist der Ein¬
fachheit halber der oben beschriebene, die Leukozyten ent¬
haltende Blutkörperchenbrei stets als „Leukozyten“ be¬
zeichnet. Die 3 Bestandteile des Opsoninversuchs wurden in.
ihren kleinen Glastuben stets, wo nicht eigens anders bemeikt,
für 30 Minuten in den Brutschrank gebracht.
Um nun vor allem den Fundamentalsatz W r i g h t s nach¬
zuprüfen, dass im normalen Serum ein phagozytosefördernder
Stoff vorhanden sei, wurde zunächst das Serum durch physio¬
logische Kochsalzlösung ersetzt.
Versuch:
I. 1. Tube: 1 Teil Leukozyten
1 Teil Normalserum
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion.
Gezählt nach Bä eher: 30 Proz. phagozytierende Leukozyten.
2. Tube : 1 Teil Leukozyten
1 Teil physiologische Kochsalzlosung
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion.
Gezählt nach Bäch er: 5 Proz. phagozytierende Leukozyten.
II. 1. Tube: Leukozyten, Normalserum, Tuberkelbazmen-
emulsion aa. 44 Proz. . . „ , 0 . i -
2. Tube : Leukozyten, physiologische Kochsalzlö¬
sung, Tuberkelbazillenemulsion aa 8 Proz.
III. 1. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 Teile Normalserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
Gezählt nach Wright in 30 Zellen 413 Kokken.
2. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 Teile physiologischeKochsalzlosung
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
Gezählt nach Wright in 30 Zellen 48 Kokken.
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass bei Gegenwart von
frischem Normalserum die Phagozytose eine nnverhaltnis-
mässig viel grössere ist. Vollständig vermisst man die Ein¬
lagerung von Bakterien in Leukozyten jedoch auch bei Er-
setzen des Serums durch physiologische Kochsalzlosung nicht.
Es mag ja sein, dass diese „Einlagerung“ vielfach nur eine zu¬
fällige Auflagerung ist, man kann dies im gefärbten Präparat
manchmal schwer auseinanderhalten. Von einzelnen Autoren
wurde auch der Rest des durch Waschen nicht völlig zu be¬
seitigenden Serums als Grund der spärlichen Phagozytose an¬
gesehen. Am meisten wahrscheinlich ist mir jedoch die alte
Metschnikoff sehe Lehre, dass eben den Leukozyten eo
ipso, auch ohne Serum phagozytäre Eigenschaften zukommen,
die allerdings durch das Serum sehr gefördert werden. Eine
gewisse Schädigung durch die Kochsalzlösung ist wohl auch
anzunehmen, man findet viefach schlechter gefärbte Kerne.
Ich versuchte es daher mit der dem Serum im Salzgehalt näher
kommenden Ringer sehen Lösung.
Versuch:
1. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 Teile Ringersche Lösung
1 Teil Staphvlokokkenemulsion.
In 30 Zellen 9 Kokken.
2. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 Teile physiologischeKochsalzlosung
1 Teil Staphvlokokkenemulsion.
In 30 Zellen 19 Kokken.
Es werden aber, wie die Zahlen ergeben, die Bakterien
in diesem Medium eher schlechter als in der physiologischen
Kochsalzlösung phagozytiert. u;c
Erhitzt man das Normalserum eine halbe Stunde auf 55 bis
60°, so wird es „inaktiviert“, d. h. es verschwindet die
phagozytosefördernde Wirkung fast völlig.
(Versuch siehe nächste Seite.)
Das Opsonin“ entspricht also in seinem Verhalten gegen
Hitze dem Komplement oder Alexin. Es ist nicht unmöglich,
dass es mit diesem Körper identisch ist, doch ist dies woh
schwer zu beweisen, so lange wir so wenig über die chemische
Natur dieser Schutzstoffe wissen. G ruber und ru taRi )
lassen es dahingestellt, ob man Identität annehmen solle oder
nicht. Baumgarten4 5) zieht in einer Anmerkung seines
Jahresberichtes über 1905 „die Verschiedenheit des Opsonins
von den bisher bekannten Antikörpern sehr in Zweifel . a
1907.
3) Zeitschr. f. Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. 56. H. 1,
4) Münch, med. Wochenschr. 1906, S. 249.
5) Baumgartens Jahresbericht über 1905, Seite 1 •
1918
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Versuche:
I.
II.
III.
IV.
v-
V,.
VII.
Versuch
Tube 1.
1 Teil Leuko¬
zyten
1 „ Tuberkel¬
bazillen¬
emulsion
1 „ aktives
Normal¬
serum
149
,
24
43
57
54
58
47
Kokken
in 30 Zellen
l'ube 2.
1 Teil Leuko¬
zyten
1 „ Tuberkel¬
bazillen¬
emulsion
1 „ inaktives
Normal¬
serum
3
1
8
7
2
•—
9
8
Kokken
in 30 Zellen.
sich die „Opsonine“ in ihrem chemischen Verhalten ganz ähn¬
lich wie die Alexine verhalten, so meine ich, ist es schliesslich
nur eine Nomenklaturfrage, wie man sie nennen will. Schon
Ehrlich und Morgenroth6) haben erwiesen, dass sich
in einem Serum zwei und mehr A 1 e x i n e befinden
können und Max N e i s s e r 7) nimmt ebenfalls eine Plurali¬
tät der Alexine an. Nach Ehrlich und Morgen¬
roth kann man Alexine von einander trennen, von denen die
einen gegen Blutkörperchen verschiedener Spezies
abtötend wirken, andere bakterizid sind. Warum sollte
nicht einem der Alexine auch die Rolle der Phagozytoseförde¬
rung zugefallen sein?
Nach W r i g h t ist die phagozytosefördernde Wirkung von
Serum I uberkulöser und von Tuberkuloseimmunserum gegen
Tuberkelbazillen nicht vollständig durch Erhitzen zerstörbar,
der phagozytäre Index soll noch mindestens 50 Proz. des ur¬
sprünglichen betragen. Im Immunserum müsste es sich dem¬
nach um einen dem spezifischen Ambozeptor ähnlichen hitze¬
beständigen Körper handeln. Ich konnte mich davon speziell
bei Tuberkulose in allerdings noch zu wenigen Versuchen nicht
überzeugen.
Beispiele:
Tuberkulöses Serum
I
II
III
aktiv
58
89
43
Tuberkelbazillen
in 30 Zellen
inaktiv
9
11
4
Index d. inaktiv. Serums
16
Proz.
13
Proz.
9
Proz.
des aktiven Serums.
Ist die phagozytosefördernde Wirkung des Serums fest¬
gestellt, so ist weiterhin zu erweisen, ob die Bakterien
mit dem Schutzstoff verbunden und dadurch zur Phagozytose
präpariert werden, oder ob sich die Wirkung auf die Leuko¬
zyten richtet, ob diesen das Serum „S t i m u 1 i n e“ zuführt.
Versuch:
I. A = 1 Teil Tuberkelbazillenemulsion + 1 Teil Normalserum •
die Mischung wurde Y» Stunde in den Brutschrank
gebracht, dann 30 Minuten auf 60° erhitzt.
B — Normales inaktiviertes Serum.
1. Tube: 2 Teile A
1 Teil Leukozyten.
In 30 Zellen 41 Bazillen.
2. Tube: 1 Teil B
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion
1 Teil Leukozyten.
In 30 Zellen 13 Bazillen.
II. 1. Tube: 2 Teile A
1 Teil Leukozyten.
In 30 Zellen 41 B a z i 1 1 e n. '
2. Tube: 1 Teil B
1 Teil Tuberikelbazillenemulsion
1 Teil Leukozyten.
In 30 Zellen 11 Bazillen.
°) Berlin, klin. Wochenschr. 1 und 31, 1904.
') Deutsch, med. Wochenschr. 1900, 49.
III. A — 2 Teile Normalserum + 1 Teil Staphylokokkenemulsion;
sonst wie oben behandelt.
1. Tube: 3 Teile A
2 Teile Leukozyten.
In 30 Zellen 82 Kokken.
2. Tube: 2 Teile B
2 Teile Leukozyten
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zellen 5 Kokken.
Die Zahlen ergeben, dass wenn man Serum einige Zeit
auf Bakterien einwirken Jässt und dann das Serum inaktiviert,
bereits eine Verankerung des Opsonins mit den
Bakterien eingetreten ist, so dass trotz Inaktivierung die
Bakterien gut phagozytiert werden, jedenfalls viel besser, als '
wenn vorher kein aktives Serum auf die Bakterien einwirkte.
Danach sind die Bakterien der Angriffspunkt der
O p s o n i n e und nicht die Leukozyten. Natürlich ist trotzdem
auch eine „stimulierende“ Wirkung möglich, indes schwer mit
Sicherheit nachzuweisen.
Sind die Bakterien, die man einem Normalserum zusetzt,
hinreichend zahlreich, so reissen sie die Opsonine vollständig an
sich und das Serum ist, wenn man die Bakterien abzentrifugiert,
nicht oder wenig phagozytosebefördernd. In gleicher Weise wie
Bakterien wirkt aber auch ein nicht organisiertes Pulver, wie
Karmin oder Tierkohle. Diese Eigenschaft haben die opsonisch
wirkenden Serumbestandteile mit den enzymartigen Stoffen
gemein.
Versuch:
Fein zerriebene Tierkohle wurde in ungefähr gleichen Gewichts-
verhaltmssen einem Normalserum zugesetzt und das Gläschen für
etwa eine Stunde in den Schüttelapparat gebracht. Dann wurde die
liei kohle durch sehr rasches und langes Zentrifugieren vollständig
abzentrifugiert.
1. lube: 2 Teile Leukozyten,
2 Teile Normalserum
1 Teil Staphvlokokkenemulsion.
In 30 Zellen 166 Kokken.
2. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 T eile Tierkohlenserum
1 Teil Staphvlokokkenemulsion.
In 30 Zellen 75 Kokken.
Durch die teilweise Absorption der Opsonine wurde also
in der 2. Tube weniger als die Hälfte der Bakterien phagozytiert.
Wie schon Bächer8) und andere nachwiesen, ver¬
schwinden die Opsonine beim Aufbewahren des Serums ver¬
hältnismässig rasch; sie ähneln also auch in dieser Hinsicht an
chemischer Empfindlichkeit dem Alexin.
Aeussere Gründe ermöglichten mir in dieser Hinsicht keine
eingehenderen eigenen Versuche.
Versuch:
1. Tube: 1 Teil Leukozyten
1 Teil frisches Normalserum
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion.
In 30 Zellen 43 Bazillen.
2. Tube: 1 Teil Leukozyten
1 Teil 48 Stunden altes Normalserum
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion.
In 30 Zellen 27 Bazillen.
Also in 48 Stunden Verringerung schon fast um die Hälfte.
Es ist erstaunlich, wie wenig aktives Serum zur Phago¬
zytoseförderung genügt, wie wenig Verdünnung des
Normalserums die opsonische Kraft beein¬
trächtigt.
Versuch:
*
1 Teil Tuberkelbazillen¬
emulsion
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion
1. Tube:
2 Teile Leukozyten . \
2 „ Normalserum . . . j
22
413
2. Tube:
2 Teile Leukozvten . . .
2 „ von (1 Teil Normal¬
serum -(-2 Teile phys.
ÜlNa lösung) . . . . J
15
354
8) Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankheiten, Bd. 56, H. 1.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1919
ferner mit Staphylokokikenemulsion :
2 Teile
Normalser.
2 Teile
1 : 2
V
• — rt-
V
CM
2 Teile
1 : 8
2 Teile
1 : 12
2 Teile
1 : 20
2 Teile
1 : 100
Serum:
CINalösung
2 Teile
1 Teil
Leukozyten . . j
Staphylokokken¬
emulsion . . . j
159
117
118
113
155
111
82
Kokken
in 30 Zellen
Die anfängliche geringe Abnahme ist wohl nur eine schein¬
bare, durch Zählfehler bedingte, bei 12facher Serumverdün-
riung wurden fast ebensoviel phagozytierte Kokken gezählt wie
bei unverdünntem Normalserum. Erst von 1: 100 an ist eine
nicht sehr beträchtliche Verringerung bemerkbar.
Die Schädigung, welche die Leukozyten durch stärkeres
Waschen erleiden, scheint nur gering zu sein.
Versuch:
1 Tube: 2 Teile 3mal gewaschene Leukozyten
2 Teile Normalserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zellen 123 Kokken.
2 Tube : 2 Teile 6mal gewaschene Leukozyten
2 Teile Normalserum
1 Teil Staphvlokokkenemulsion.
In 30 Zellen 102 Kokken.
Setzt man zu den Leukozyten Serumeinerfremden
Tierart, so ist regelmässig eine gewisse A b n a h m e des
phagozytären Index gegenüber gleichartigem Serum zu kon¬
statieren. Es ist dies wohl durch eine Schädigung der Phago¬
zyten durch das artfremde Blut zu erklären. Immerhin ist die
durch das artfremde Serum beeinflusste Phagozytose noch viel
beträchtlicher als bei Fehlen des Serums und Ersatz durch
physiologische Kochsalzlösung. Es ist dies, \\ ie auch B ä c h e t
betont, in Hinblick auf etwaige künftige Immunisierungsbe¬
strebungen nicht unwichtig.
Versuch:
I 1 Tube: 2 Teile menschliche Leukozyten
2 Teile menschliches Normalserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zeilen 151 Kokken.
2. Tube: 2 Teile menschliche Leukozyten
2 Teile Kaninchenserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zellen 50 Kokken.
II 1. Tube: 2 Teile menschliche Leukozyten
2 Teile menschliches Normalserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zellen 244 Kokken.
2. Tube: 2 Teile menschliche Leukozyten
2 Teile Kaninchen serum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
In 30 Zellen 198 Kokken.
Nimmt man Enzym natur der Opsonine an und bedenkt
die Tatsache, dass die Enzyme in der Kälte meist langsamer
wirken, dass ferner die Lebenstätigkeit der Zellen durch Kälte
ungünstig beeinflusst wird, so sollte man erwarten, dass die
Intensität der Phagozytose mehr oder weniger von der Aussen-
temperatur abhänge. Indes, es ist auffallend, wie wenig
E i n f 1 u s s d i e K ä 1 1 e auf die Quantität der Phagozytose hat.
Versuch:
I. 2 Teile Leukozyten
2 Teile NormaTserum
1 Teil Staphylokokkenemulsion.
Mit dieser Mischung wurden rasch zwei Glastuben gefüllt und
die eine rasch in den Brutschrank bei 37 u, die andere in den bis¬
schrank gebracht.
In der 1. Tube fanden sich in 30 Zellen 69 Kokken,
in der 2. Tube fanden sich in 30 Zellen 60 Kokken.
II. Das gleiche mit Tuberkelbazillen.
1. In 30 Zellen 48 Kokken,
2. in 30 Zellen 27 Kokken.
Würdigt man genauer die Beteiligung der ein¬
zelnen Leukozytenformen an der Phagozytose, so
findet man bald die eigentümliche Tatsache, dass die eosino¬
philen Zellen ziemlich bedeutend weniger
phagozytieren als die neutrophil granulier¬
ten Polynukleären. Schon Leyden9) war dies an
bakterienhaltigen Geweben aufgefallen. Man nimmt dieses
Verhalten schon meist bei oberflächlicher Durchmusterung der
Präparate wahr, bei genauer Durchzählung bestätigt sich der
oberflächliche Eindruck.
Versuch:
I. 2 Teile Normalserum
2 Teile Leukozyten.
1 Teil Tuberkelbazillenemulsion.
In 30 Neutrophilen 67 Bazillen.
In 30 Eosinophilen 17 Bazillen.
II. 2 Teile Normalserum
2 Teile Leukozyten10)
1 Teil Staphylolfokkenemulsion.
In 30 Neutrophilen 564 Kokken.
In 30 Eosinophilen 65 Kokken.
Ich achtete in allen meinen Präparaten darauf und fand
die geringe Beteiligung der eosinophilen Zellen jedesmal be-
täÜUeber die Bedeutung der eosinophilen Zellen herrscht noch
grosse Unklarheit. Nach Ehrlich11) verfügen die Eosino¬
philen über die wohl am kompliziertesten gebauten Zellkorne-
1 ungen; es sind Zellen, die ganz spezifischen che-
notaktischen Reizen folgen. Dabei verhalten sich
iach diesem Autor die neutrophilen und die eosinophilen Leu¬
kozyten ganz verschieden in ihrer chemischen Reizempfang-
lichkeit Was auf die einen positiv, wirke auf die anderen
negativ chemotaktisch. Ehrlich hat schon betont dass die
gewöhnlichen Stoffwechselprodukte der Baktenen abatossen
auf die eosinophilen Zellen wirken. Stäubli *) hat dann
neuerdings, hauptsächlich durch Experimente mit Strepto¬
kokken an Meerschweinchen die „negative Chemotaxis de
eosinophilen Zellen gewissen bakteneUen St°f,fe1I)1^e^nt‘
über weiterhin experimentell begründet. Klein) bestr ite ,
dass die Ehrlichsche Chemotaxistheorie die beobachteten
Tatsachen erklären könne. Er hält die sogen. Eosinophi ie
und die Gegenwart eosinophiler Zellen in entzündlichen Heiden
usw. nicht für den Ausdruck einer spezifischen Reizl^’ s(?""
dern für die Folge von Blntextravasaten oder von Imbibition
der Gewebe mit mehr oder weniger Hämoglobin. Sie sei keine
eigentlich pathologische Erscheinung, sondern die Folge einer
rein physiologischen Funktion der Leukozyten. Auch ^ franzö¬
sische Autoren u. a. halten die eosinophilen Granula für E 3
kretionsprodukte, deren sich der Körper entledigen
W01 Es ist noch manch andere Theorie aufgestellt worden, auf
die näher einzugehen, zu weit führen würde.14)
Wie hat man sich nun die geringe Beteiligung an der
Phagozytose zu erklären? Dass die Eosinophilen überhaupt
phagozytieren, ist zweifellos, auch S 1 a 1 fie{, £ie? ^
seinen Experimenten auf und er betont selbst die Schwierig¬
keit, diese Tatsache mit der negativen Chemotaxis in Einklang
Nach meiner Auffassung ist zum Verständnis der eosino¬
philen Zellen eine Verbindung der Chemotaxis- und der Exkre¬
tionshypothese notwendig, der Hauptnachdruck aber auf ihre
spezifische chemotaktische Reize mp Taug¬
lichkeit zu legen: Eine gewisse polymorphkernige Leuko¬
zytenart hat die Eigenschaft, spezifische, meist noch unbekannte
und wahrscheinlich auch sehr verschiedene chemische Ver¬
bindungen, die positiv chemotaktisch auf sie wirken, als körper-
feindliche Stoffe (vgl. Trichinosis, Helminthiasis, Asthma u. a )
in sich aufzunehmen und sie als eosinophile Schollen in ihrem
Protoplasmaleib abzulagern. An den Orten, wo solche Stoffe
in grösseren Mengen vorhanden sind, wird Eosinophilie unc
diese sekundär dann auch im Blut auf treten. Die im normalen
Körper vorhandenen eosinophilen Zellen sind durch physio-
10) Diese Leukozyten entstammten dem unten beschriebenen Leu-
kämikerblut.
n) Archiv f. Anat. u. Physiol.
Die
ich u. Lazarus:
1879, Ehr
Anämie, in Nothnagels Handbuch u. a.
12) Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 85.
13) Zentralbl. f. inn. Med., XX, 1899. _ cinnnhiip Zellen
“) Ein ausführliches Literaturverzeichnis über eosinophile Zellen
findet sich bei Karl Meyer: Die klinische Bedeutung dei Eosino¬
philie, Berlin 1905.
9) Münch, med. Wochenschr. 1891, 29.
1920
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
logische Bildung adäquater Reizstoffe zu erklären. Je nach
dem Grad, in dem nun diese Leukozyten mit Granulis teilweise
oder ganz gesättigt sind, (worüber wir wohl durch unsere
fixierten Präparate gar keinen richtigen Aufschluss bekommen),
wird es ihnen möglich sein, noch andere Stoffe, die keine spe¬
zifischen Angriffsobjekte für sie darstellen, nach Art der übrigen
Leukozyten in sich aufzimehmen und so z. B. geformte Be¬
standteile, wie Bakterien zu phagozytieren. So kann man sich
dann die durchschnittlich geringere Phagozytose der Eosino¬
philen erklären. Sie sind sozusagen schon mehr oder weniger
gesättigt mit körperfeindlichen, spezifisch umgewandelten
Stoffen. Es sei hier erwähnt, dass auch Sacharoff13) sich
die geringe Fresstätigkeit durch Ueberladung der Zellen mit
ihren Granulationen erklärt. Die chemotaktische Beeinfluss-
barkeit hört wohl auch nach der Bildung der Granula nicht auf,
wir wissen ja, wie gesagt, gar nicht, wie viel die Zellen noch in
sich aufnehmen können. S t ä u b 1 i lö) hat sich mit Recht vor¬
sichtig ausgedrückt, wenn er sagt, dass die Eosinophilen nur
gewissen bakteriellen Stoffen gegenüber negativ chemo¬
taktisch sind; wahrscheinlich nicht allen, was die Zukunft noch
lehren muss.
Ich habe dann weiterhin die Beteiligung der Leuko¬
zytenformen eines Leukämiekranken an der
Phagozytose von Bakterien untersucht, wobei sich folgende
Verhältnisse ergaben.
Das Blut des Kranken hatte
Erythrozyten 3 000 000 1 Hb
Leukozyten 500 000 j 50 Proz.
Polynukleäre Neutroph. 30,7 *
Lymphozyten 3,0 „
Grosse Mononukleäre 16,0 „
folgenden Befund:
Polynukl. Eosinophile 3,4 Proz-
Myelozyten 41,5 „
Eosinophile Myelozyten 1,2 „
Markzellen 4,2 „
Ich hatte nun zunächst die Absicht, die phagozytären
Fähigkeiten der Leukämieleukozyten direkt mit denen eines
Normalen zu vergleichen.
Versuch:
l.Tube: 2 Teile Normalserum,
2 „ Normalleukozyt.,
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion von d. gewöhn-
Dichte.
In 30 neutrophilen Polynu¬
kleären 424 Kokken.
2. Tube: Das Gleiche mit 2 Teilen
Leukämieleukozyten.
In 30 neutrophilen Polynu¬
kleären 62 Kokken.
Während mich der merkwürdige Abfall des phagozytären
Index bei der 2. Tube im ersten Moment frappierte, wurde es
mir sofort klar, dass bei der ungeheuren Ueberzah! der Leuko¬
zyten bei Tube 2 der Bakterienvorrat nicht ausgereicht hatte;
in der Tat fand man bei Tube 2 auch in keinem Gesichtsfeld
freie Kokken, bei Tube 1 viele. Es war also ein Vergleich mit
dem Gesunden so überhaupt nicht möglich.
Versuch:
II. 1. Tube: 2 Teile Normalserum
2 Teile Leukämieleukozyten
1 Teil sehr dichte Staphylokokkenemulsion.
2. Tube: Das gleiche mit Leukämieserum.
Zwischen Tube 1 und 2 ergab sich kein besonderer Unterschied:
bei beiden in allen Gesichtsfeldern freie Kokken.
Die Verhältnisse bei den einzelnen Zellformen waren
folgende:
Von 30 Zellen hatten p’nagozytiert:
Polynukl. Neutrophile 564 Kokk.17)
Lymphozyten 0 „
(irosse Mononukleäre 0 „
Polynukl. Eosinophile 65 „
Myelozyten 19 Kokken
Eosinophile Myelozyten keine oder
sehr wenige Kokken
Markzellen unsicher.
Daraus ist zu ersehen, dass man bei den u n r e i f e n Neu¬
trophilen, den Markzellen, bedeutend weniger
als bei den reifen Zellen, bei den unreifen
Eosinophilen gar nicht oder fast gar nicht
Phagozytosen beobachtet. Die Markzellengranula konnte
ich leider nicht mit Sicherheit von den Kokken trennen. (Ver¬
suche mit Tuberkelbazillen u. a. waren mir aus äusseren
Gründen nicht mehr möglich). Bei den Zellen der Lympho¬
zytenreihe fand sich keine Phagozytose.
“) Archiv f. mikrosk. Anatomie 1895, Bd. 45.
*“) 1. c.
*') East alle Zellen ganz vollgepfropft mit Kokken.
Nach Metschnikoff u. a. gehören die Alexine zur
Gruppe der Enzyme, stehen also auch in naher Verwandt¬
schaft zum Trypsin. Bekanntlich werden die Enzyme durch
Alkohol gefällt und speziell Trypsin ist nach V e r n o n 1S) zu¬
mal gegen verdünnten Alkohol sehr empfindlich. Von
diesem Enzymcharakter der alexinähnlichen Stoffe ausgehend,
suchte ich die Beeinflussung der Opsonine durch
Alkohollösungen verschiedener Konzentration kennen
zu lernen.
Versuch:
A = 1 Teil Serum +1 Teil Alkohollösung in verschiedenen Ver¬
dünnungen, die über den Zahlen des phagozytären Index stehen.
B — 1 Teil Normalserum + 1 Teil physiologische Kochsalzlösung.
1%
3%
3n/o
3%
3%
6%
12%
20%
1. Tube:
2 Teile Leukozyten
— v A
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion
•
84
327
330
166
62
267
241
34
2. Tube:
2 Teile Leukozyten
2 v B
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion
71
303
239
185
68
239
239
135
Wie man sieht, wirkt also der Alkohol in Verdünnungen
unter 20 Proz. absolut nicht hemmend auf die Phago¬
zytose, vielfach schien er sie sogar eher etwas zu fördern. Von
20 Proz. bemerkt man den Abfall des phagozytären Index, bei
dieser Konzentration tritt aber wohl schon Zellschädigung der
Leukozyten ein.
Weiterhin stellte ich mir die Frage, ob die opsonischen
Stoffe des Serums durch Sauerstoff zerstörbar seien.
V ersuch:
Normalserum wurde bei I. und II. mit 2Vz Proz., bei III. mit
10 Proz. Wasserstoffsuperoxyd zu gleichen Teilen versetzt und gut
durchgeschüttelt, lVz Stunde offen im Brutschrank stehen lassen. Beim
Zusammenbringen des Serums mit H2O2 schäumt die Mischung stark
auf, H2O2 wird durch 'die Katalasen des Serums in H2O und O Erlegt,
der frei werdende Sauerstoff k^nn einwirken. Vor Beginn des Phago¬
zytoseversuches wurde mit Jodkaliumstänkekleister das Serum auf
das Vorhandensein von Wasserstoffsuperoxyd geprüft und nach dem
negativen Ausfall verwendet.
L II.
1. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 „ Serummischung
mit 21/2°/o H2O2
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion
In 30 Zellen 22 Kokken.
2. Tube: Das gleiche mit 2 Teilen
Normalserum, physiol.
CINalösung ää
In 30 Zellen 25 Kokken.
Das gleiche Experiment wieder¬
holt: l.Tube 20, 2. Tube 15 Kokk.
III.
1. Tube: 2 Teile Leukozyten
2 „ Serummischung
mit IO0/0 H2O2
1 Teil Staphylokokken¬
emulsion.
In 30 Zellen 66 Kokken.
2. Tube: Das Gleiche mit 2 Teilen
von Normalserum phys.
CINalösung äa
In 30 Zellen 185 Kokken."
Wie wir sehen, hatte die 2Y proz. Wasserstoffsuperoxyd¬
lösung keinen Einfluss, die 10 proz. verursachte da¬
gegen eine deutliche Herabsetzung des phago¬
zytären Index auf fast % des Normalen. Beim Versuch mit
20 proz. Lösung war der H2O2 nicht vollständig zerstört, konnte
also bei der Phagozytose die Leukozyten noch ungünstig be¬
einflussen, kommt daher nicht in Betracht. Aus dem ein¬
deutigen Ausfall des Versuchs III ist jedenfalls zu ersehen, dass
der fragliche phagozytosefördernde Serumbestandteil durch
Sauerstoff wenigstens teilweise zerstörbar
ist, wie gewisse Enzyme.
Schliesslich sei noch ein Versuch über die Abhängigkeit
des Grades der Phagozytose von derZeitderEinwir-
k u n g angeführt.
Versuch:
2 Teile Normalserum . ) . „ , ,
2 „ Leukozyten . im Brutschrank
1 Teil Staphylokokkenemulsion j )e* ^ ’
18 ) Journ. of Physiol. 29, 302, 1903.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1921
Nach bestimmten, in der Tabelle bezeichneten Zeitabschnitten
wurden von der Mischung Ausstriche auf den Objektträger gemacht
und gefärbt.
5 Min.
15 Min.
30 Min.
1 Stde.
2 Stdn.
4 Stdn.
31
48
61
83
117
161
Kokken in
30 Leukoz.
Schon nach 5 Minuten sieht man deutliche Einlagerungen
von Kokken in die Zellen, obschon zu bemerken ist, dass zu
diesem Versuch 24 Stunden alte, im Eisschrank auf¬
bewahrte und in Natriumzitratlösung aufgeschwemmte
Leukozyten verwendet wurden. Die Lebenskraft dieser Zellen
scheint demnach ziemlich bedeutend zu sein, wenn man nicht
eine rein passive Chemotaxis zwischen toten Zelleibern und
Bakterien annehmen will. Ein aktives Einwandern der Bak¬
terien ist bei der Unbeweglichkeit der Staphylokokken wohl
sicher auszuschliessen.
Wenn auch die angeführten Versuche zweifellos erst
wenige und lückenhafte sind, so erweist sich doch auch aus
ihnen die Richtigkeit der Hauptsätze W r i g h t s, und ich
glaube, es geht aus den obigen Erörterungen jedenfalls das
hervor, dass über die Bedeutung der weissen Blutkörperchen
als Schutzeinrichtungen gegen körperfeindliche Stoffe — all¬
gemein ausgedrückt — unsere Kenntnisse noch sehr der Er¬
weiterung und Vertiefung bedürfen. Es ist unzweifelhaft ein
grosses Verdienst W r i g h t s, neuerdings mit Nachdruck die
Forschung auf die Bedeutung der Phagozytose hingewiesen
und durch den Nachweis humoraler Beeinflussung der Fress¬
zellen die Kluft zwischen den Anhängern Metschnikoffs
und den Verteidigern ausschliesslicher Humoralimmunität so¬
zusagen überbrückt zu haben. Es ist möglich, dass sich die
Ergebnise W r i g h t s und seiner Schüler bei ausgedehnter
Nachprüfung nicht alle bestätigen, aber die allseitig neu ein¬
setzenden Forschungen über Phagozytose werden die Immuni¬
tätslehre sicher wesentlich bereichern.
Ausführliche Literaturangaben finden sich bei Bächer:
Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 56. Bd., 1. H.,
1907, Rosenthal: Med. Klinik No. 15, 1907, Massini:
Med. Klinik No. 18, 1907 und anderen.
Aus dem Kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frank¬
furt a/M. (Direktor: Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Paul Ehrlich).
Die elektrische Ladung von Toxin und Antitoxin.
Von Dr. H. B e c h h o 1 d, Mitglied des Instituts.
Noch immer nimmt die Frage der Bindungsart zwischen
Toxin und Antitoxin ein Hauptinteresse der Immunitätsforscher
in Anspruch. Trotzdem in den letzten Jahren eine Fülle neuen
Materials beigebracht wurde, kann man nicht behaupten, dass
eine wesentliche Klärung eingetreten ist, und es lohnt sich
immer wieder, mit neuen Methoden an das Problem heran¬
zutreten.
Vor ca. 114 Jahren machte ich mit meinem neuen Ueber-
führungsapparat Versuche, um die Wanderungsrichtung von
Diphtherietoxin und -antitoxin im elektrischen Stromgefälle
festzustellen. Es zeigte sich, wie die nachstehende Tabelle er¬
weist, dass das Toxin an der Anode etwas abgeschwächt wird,
für das Antitoxin ist die Wanderungsrichtung nicht aus¬
gesprochen und das nicht neutrale, überschüssiges Toxin ent¬
haltende Toxin-Antitoxingemisch hat etwas mehr Neigung,
nach der Kathode zu wandern.
Da derartige Ueberführungsversuche nur bei sehr aus¬
gesprochenen Ergebnissen unter Berücksichtigung vieler
anderer Faktoren Rückschlüsse gestatten, so sah ich von der
Veröffentlichung meiner Resultate ab; ich konnte aus ihnen
keine wesentlich neuen Gesichtspunkte in der Frage der Toxin-
Antitoxinbindung gewinnen.
Kürzlich veröffentlichten nun F i e 1 d und Teague1) eine
Arbeit über die elektrische Ladung von Toxin und Antitoxin,
die mich veranlasst, meine damaligen Resultate bekannt zu
geben.
Bekanntlich wandern Suspensionen und Kolloide im elek¬
trischen Stromgefälle meist nach der Anode, einige auch nach
der Kathode, während Eiweiss und Gelatine in ganz reinem
No. 39.
Zustande überhaupt keine Wanderung zeigen; erst wenn man
die Lösung schwach alkalisch macht, werden diese nach der
Anode überführt, in saurer Lösung aber nach der Kathode.
Schon im Jahre 1904 hat Römer2) Ueberführungsversuche
mit Tetanustoxin und -antitoxin angestellt, die aber keine ein¬
deutigen Resultate gaben, da die Prüfungsflüssigkeiten offenbar
an den Elektroden geschädigt bezw. verändert wurden. — Bei
meinem Glockenüberführungsapparat ist dieser Uebelstand aus¬
geschlossen, wie sich aus der Abbildung ergibt, da die Elek-
Glocke napparat für elektrische Ueberführungen.
Die zu untersuchende Flüssigkeit kommt in das Gefäss A A.
welches aus 2 Glasglocken besteht, die durch eine kommunizierende
Röhre verbunden sind. Die beiden Glocken sind durch eine Mem¬
bran M M (Fischblase oder Pergament) nach unten abgeschlossen.
Jede der Glocken taucht in eine kleine Schale GG mit reinem Wasser,
in das die Elektroden E E eingeführt sind. R ist eine Steigrohre für
den Fall sich die Flüssigkeit in A A erwärmt.
troden durch eine Membran von der zu prüfenden Flüssigkeit
getrennt sind. Die Ueberführung erfolgte bei 108 bezw.
400 Volt und dauerte 4/4 bis 6 Stunden lang. Die Reaktion im
Ueberführungapparat war in allen Fällen am Schluss des Ver¬
suchs nahezu neutral. — Die Originallösungen vor und nach
der Ueberführung wurden in bekannter Weise an Meer¬
schweinchen geprüft.
Diphtherietoxin.
Vor der Ueberführung:
0,006 ccm f nach 3 Tagen, 0,004 ccm f nach 3V2 Tagen.
Nach der
Kathodenseite.
0,006 ccm f nach 3 Tagen,
0,004 „ lokale Erscheinungen.
Ueberführung:
Anodenseite.
0,008 ccm f nach 2 Tagen,
0,006 * T » 6 »
0,004 „ glatt davongekommen.
Antitoxin (= 175 I.-E.).
Vor der Ueberführung:
ilnb ccm = (1 I.-E.) Antitoxin -J- 0,34 ccm Toxin f nach 2 Tagen,
» » » ~h 0)34 „ „ t » 2 „
» v 7) + 0,33 „ „ t v 4 „
Nach der Ueberführung:
Kathodenseite.
1 I.-E. Antitoxin -j- 0,35 ccm Toxin
f nach 3 Tagen,
„ * + 0,33 ccm Toxin
f nach 3 Tagen.
Anodenseite.
1 I.-E. Antitoxin -J- 0,35 ccm Toxin
t nach 3 Tagen,
„ » + 0,34 ccm Toxin
t nach 3 Tagen,
„ „ + 0,33 ccm Toxin
f nach 4 Tagen.
Toxin -Antitoxin, gemischt 15 ccm Toxin mit V* ccm Antitoxin
(= 43,75 I.-E.).
Verdünnung 1: 100.
Vor der Ueberführung:
2 ccm t nach 2 Tagen,
1 „ örtliche Erscheinungen,
1 )) ff ff
Sofort nach der Mischung überführt:
Kathodenseite.
1 ccm f nach 3 Tagen,
0,5 ccm örtl. Erscheinungen.
Anodenseite.
1 ccm glatt,
0,5 ccm glatt.
24 Stunden nach der Mischung überführt:
Kathodenseite.
1 ccm f nach 3 Tagen,
0,5 ccm t « 4 „
Anodenseite.
1 ccm t nach 4 Tagen.
p The electrical Charge of Toxin and Antitoxin by Cyrus W.
Field and Oscar Teague. Journal of experimental medicine, IX,
No. 1, S. 86—92.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1904, S. 209 — 213.
1922
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nö. 39.
Toxin-Antitoxin, gemischt fast neutral, 15 ccm Toxin + 12 ccm
Antitoxin (= 52,5 I.-E.).
Vor der Ueberführung:
3 ccm f nach 10 Tagen.
Nach der Ueberführung:
Kathodenseite. Anodenseite.
1,25 ccm starke lokale Erschein. 1 ccm massige lokale Erscheingn.
0,8 „ geringe „■
Das gleiche Gemisch 22 Stunden vor der Ueberführung mit 1 ccm
Normal-Salzsäure versetzt.
Kathodenseite. Anodenseite.
1 ccm f nach 10 Tagen, 1 ccm geringe lokale Erscheingn.
0,5 ccm fast glatt.
Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass das Diphtherietoxin
an der Anode etwas abgeschwächt wird, das Antitoxin viel¬
leicht die Neigung hat, nach der Kathode zu wandern.
Im Toxin-Antitoxingemisch wandert der Toxinüberschuss
nach der Kathode, besonders wenn die Ueberführung sofort
nach der Mischung erfolgt.
Die Field- und Teagueschen Versuche sind mit einer etwas
anderen Apparatur ausgeführt. Bei ihnen ist die kathodische
Wanderung im allgemeinen, und die des Antitoxins im speziellen
viel ausgesprochener. — Gegen die Versuche ist kein Einwand
zu erheben, hingegen kann ich den Schlüsse n, welche
die Herren Field und T e a g u e daraus ziehen, nicht
folge n.
Da Toxin und Antitoxin sowohl in neutraler als in
alkalischer Lösung kathodisch wandern, schliessen sie fol¬
gendes: „Wenn die Kombination von Toxin mit Antitoxin eine
wahre chemische Reaktion wäre, so müsste man erwarten, dass
unter dem Einfluss des elektrischen Stromes das Toxin nach der
einen Seite, das Antitoxin aber nach der entgegengesetzten Seite
wanderte. Das war aber nicht der Fall und wir glauben daher,
dass diese Verbindung keine wahre chemische Reaktion, son¬
dern ein Adsorption ist, wie es ursprünglich von Bordet und
seitdem auch von anderen angenommen wird.“ Im Schluss¬
satz sagen die Autoren dann noch einmal: „Die Kombination
von Toxin und Antitoxin scheint keine wahre chemische Re¬
aktion darzustellen, sondern die Adsorption eines Kolloids
durch ein anderes.“
Die Herren Field und T e a g u e gehen hierbei offenbar
von einem Missverständnis aus: sie nehmen, wie sich aus
obigen Darlegungen ergibt, an, dass nur Substanzen mit ent¬
gegengesetzter elektrischer Ladung wahre chemische Reaktionen
eingehen können. Das ist aber nicht der Fall. Die meisten
organischen Reaktionen gehen zwischen Körpern vor sich, die
elektrisch neutral sind; ja, es können sich sogar Stoffe ver¬
binden, die gleichsinnige elektrische Ladung aufweisen: ich
erinnere an die Phosphor-Molybdänsäure und die Phosphor-
Wolframsäure. Phosphorsäure, Molybdänsäure und Wolfram¬
säure haben alle ausgesprochen sauren, also elektronegativen
Charakter und doch treten sie zu wohlcharakterisierten che¬
mischen Verbindungen zusammen; die Reihe solcher Beispiele
liesse sich noch beliebig erweitern.
Ehrlich hat im Jahre 1897/98 die Kurve festgestellt, in der
sich Toxin und Antitoxin absättigen. Warum diese Kurve so
und nicht anders verläuft, darüber sind viele Hypothesen auf¬
gestellt .worden ohne dass für die eine oder die andere ent¬
scheidende Beweise beigebracht werden konnten. — Meines
Erachtens verdient aber keine Hypothese Beachtung, die nicht
die spezifische Natur der Toxin-Antitoxin¬
bindung berücksichtigt. Handelte es sich um eine blosse
Adsorptionserscheinung, so wäre es nicht verständlich, warum
das Diphtherietoxin gerade nur vom Diphtherieantitoxin und
nicht auch vom Tetanusantitoxin oder gar den Körpergeweben
abgesättigt wird. Die Auffassung dieser Bindung als Kolloid¬
adsorption, somit als eines rein physikalischen Vorgangs leistet
dem keine Genüge. Zudem wusste man bisher über die gegen¬
seitige Adsorption in Lösungen, die zwei gelöste Kolloide ent¬
hält, nichts; erst durch die vor wenigen Wochen von mir ver¬
öffentlichte Methode der „U 1 1 r a f i 1 1 r a t i o n“ 3) ist es mög-
:) Kolloidstudien mit der Filtrationsmethode. Zeitschr. f. nhysi-
kal. Chemie, LX (1907), S. 257— 318.
lieh, solche Fragen zu studieren; aber es wäre verfrüht auf
Grund davon heute schon weitgehende Hypothesen aufzu¬
stellen.
Es ist wohl möglich, dass bei der Bindung von Toxin und
Antitoxin auch die Molekulargrösse der Stoffe eine Rolle spielt,
aber keine Tatsache gibt heute das Recht zu der Annahme, dass
der physikalische, nämlich kolloide Zustand allein die Toxin-
antitoxinabsättigung erkläre, dass es auf keinen Fall eine che¬
mische Bindung sei.
Man darf nie vergessen, dass die kolloiden Eigenschaften
die Eigentümlichkeiten ganzer Gruppen repräsentieren, mit
denen sich die Spezifizität nicht begründen lässt. Von allen
Hypothesen scheinen mir für die Toxinantitoxinbindung immer
noch einige Beispiele aus der organischen Chemie die besten
Analoga zu bieten. Hier sehen wir, dass schon die kleinsten,
ja selbst sterische Abweichungen, wie z. B. in der Zuckergruppe
und bei den Polypeptiden, die man in der Spezifität den To¬
xinen an die Seite stellen kann, tiefgreifende A'enderungen im
chemischen, physikalischen und biologischen Verhalten zur
Folge haben.
Aus dem hygienischen Institut zu Wiirzburg (Vorstand: Prof.
Dr. K. B. Lehman n).
Ueber ein ausgedehntes Vorkommen von sauerstoff¬
freiem Trinkwasser in Brunnen.
Von H. K. La n g, I. Assistent am Institut.
Bei eingehenden Untersuchungen über den Sauerstoff¬
gehalt der natürlichen Wässer in Wiirzburg, seiner näheren
und ferneren Umgebung, fand ich im Main mehrfach mit Sauer¬
stoff übersättigtes Wasser, dagegen in Brunnen neben dem
theoretisch möglichen sehr häufig einen verminderten Sauer¬
stoffgehalt. Zu meiner grossen Verwunderung fand ich in dem
Dorfe Veitshöchheim einen Brunnen mit vollkommen sauer¬
stofffreiem Wasser und endlich in dem Städtchen Heidingsfeld
eine grosse Anzahl analoger Brunnen, ohne dass die chemische
Zusammensetzung der Wässer irgend etwas ergeben hätte, was
als Erklärung für dieses auffallende Vorkommnis hätte an-
sehen werden können. Vor allem enthielten die Brunnen weder
Eisen, noch organische Substanzen in Mengen, die über das
für ein reines Wasser der hiesigen Gegend übliche sehr nie¬
drige Mass hinausgehen. Der Sauerstoffverbrauch durch die
organische Substanz bei Permanganattitrierung war nämlich
pro Liter etwa 0,4 — 0,8 mg, ein bestimmbarer Eisengehalt war
nicht vorhanden. Die Keimzahl war meist sehr niedrig.
Ich habe die Verhältnisse in dem 4 km oberhalb Wiirzburg
am linken Mainufer gelegenen Städtchen Heidingsfeld zum
Gegenstand eines Spezialstudiums gemacht und dabei folgendes
festgestellt:
Von den im Zentrum der etwa 150 m vom Main gelegenen
Stadt befindlichen Brunnen zeigen 32 einen Gehalt zwischen
0 und 0,6 ccm Sauerstoff im Liter; 6 zeigen einen Gehalt
von 1,6 — 2,5; 17 von 2,6 — 3,5; 31 von 3,6 — 4,5 bei einer Tem¬
peratur von 8—10 °, Sommer wie Winter gleich. Auch im Laufe
der Jahre wurden keine wesentlichen Aenderungen konstatiert.
Die nächsten untersuchten Brunnen sind ungefähr 150 m vom
Main entfernt, näher am Main ist nur 1 Brunnen. Der sauer¬
stoffarme Bezirk ist umgeben von anderen, welche Brunnen
besitzen, deren Sauerstoffgehalt von 2,6 — 6,5 ansteigt; näheres
wäre nur mit Hilfe einer Karte zu sagen. Die erste Vermutung,
es möchte das sauerstoffarme Wasser etwa durchgesickertes
Mainwaser sein, ist absolut unhaltbar, denn 1. ist der Main
sauerstoffreich, 2. das sauerstoffarme Wasser sehr hart, es zeigt
1200—1400 mg Rückstand und endlich lässt sich 3. der sauer¬
stofffreie Bezirk in einer Kette von Brunnen bis über den
Badischen Bahnhof hinaus den Berg hinauf verfolgen. Es
macht also den Eindruck, als ob das harte Wasser sauerstoff¬
frei vom Berg unterirdisch herabströme und die zentral ge¬
legenen Brunnen von Heidingsfeld speise. Die sauerstoff¬
haltigen Wässer sind zum grossen Teil rückstandärmer, haben
nur 600 — 700 mg; nur an einer Stelle kommt eine sauerstoff-
reiche, gleichzeitig rückstandreiche Brunnenzone zur Beob¬
achtung. Wie erklärt sich nun dieser sauerstofffreie Grund¬
wasserstrom 2 In der Literatur habe ich nur eine Angabe von
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
192.1
sauerstofffreiem Wasser gefunden und zwar war dies ein ver¬
unreinigtes Wasser, während unsere Wässer alle, wie oben
bemerkt, rein sind. Zwei Erklärungsmöglichkeiten drängen
sich sofort auf. Entweder muss dem Wasser durch unlösliche
organische Substanz oder durch Bakterien der Sauerstoff ent¬
zogen worden sein. Bei der Eisenarmut der ganzen Gegend
und speziell des Wassers habe ich den Gedanken, dass es Eisen¬
verbindungen seien, überhaupt nicht weiter verfolgt. Dagegen
glaube ich durch folgende Versuche die Heidingsfelder Ver¬
hältnisse aufgeklärt zu haben.
Ich konnte zeigen:
1. Sterilisierte Abkochungen von Torf, die man mit Sauer¬
stoff gesättigt hat, verlieren ihren Sauerstoffgehalt bei Zimmer¬
temperatur langsam in etwa 30 Tagen.
2. Mischungen von Wasser und Torf, denen man Chloro¬
form in Ueberschuss zugesetzt hat, die entweder keimfrei oder
sehr keimarm befunden wurden, zeigen ein langsames Ver¬
schwinden des Sauerstoffes in 30 Tagen.
3. Ein rasches Verschwinden des Sauerstoffes erhält man,
wenn man Torf und Wasser ohne Sterilisierung zusammen¬
bringt, oderTorfabkochungen zu mit Sauerstoff gesättigtem
nicht sterilisiertem Wasser setzt. Es verschwindet unter
diesen Umständen der Sauerstoff in 24 Stunden.
4. Sehr leicht gelang es mir auch, eine Reihe von Bak¬
terien, am besten Bacillus subtilis und seine Verwandten in
sauerstofffreiem Wasser zu erzielen und starke Vermehrung der
Bakterien, wenn ich dem Wasser kleine Mengen organischer
Substanzen beisetzte. Da nun das Heidingsfelder Wasser
organische Substanz nur etwa entsprechend 0,5 mg Sauerstoff¬
verbrauch pro Liter enthält, und die Bakterienzahl gewöhnlich
um 150 herum gefunden wird, so muss zur Erklärung des Be¬
fundes angenommen werden, dass das Wasser durch einen
schwer lösliche organische Substanz enthaltenden Boden fliesst,
darin entweder, ohne Beteiligung von Bakterien langsam, oder
mit Beteiligung von Bakterien rasch, seinen Sauerstoff verliert.
Wenn Bakterien dabei beteiligt sind, so werden sie von den
Sandschichten abfiltriert.
Ich habe schliesslich zur Prüfung dieser Vorstellung
einen Apparat konstruiert, indem ich einige Hände voll Torf
mit Wasser mischte, dieses Wasser durch eine Röhre von 4 m
mit natürlichem sterilen Heidingsfelder Sand aus der ent¬
sprechenden Gegend langsam durchtreten liess; ich erhielt so
nach kurzer Zeit ein Wasser, das sauerstofffrei, ziemlich keim¬
arm (200 — 300 Keime) und sehr arm an organischen Substanzen
war. Ich liess den Apparat VA Jahre lang ohne etwas daran
zu machen, gehen, das Wasser blieb sauerstofffrei, derTorf war
nicht verändert. Die späteren Wasserproben enthielten nur
noch Spuren organischer Substanzen, nämlich im Liter 0,8 bis
0,9 mg Sauerstoffverbrauch.
Mit einem Wort mag auch erwähnt sein, dass ich auch mit
Weglassen von Torf nur unter Verwendung von Heidingsfelder
Sand in 4 m langer Röhre nach etwa 8 Wochen ein fast voll¬
kommen sauerstofffreies Wasser erhielt. Doch blieb dieses
Wasser nicht sauerstofffrei, schon nach weiteren 4 Wochen
war wieder ein Sauerstoffgehalt von 3 mg erreicht, der später
noch etwas stieg.
In den Mitteilungen der Würzburger physikalisch medi¬
zinischen Gesellschaft werde ich demnächst nicht nur über das
Heidingsfelder Wasser sondern über meine zahlreichen anderen
Ergebnisse ausführlich im Zusammenhang berichten, und dabei
auch eine Reihe merkwürdiger Tatsachen besprechen, die ich
über Nitritbildung im Wasser erhalten habe.
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik der Charite (Geheim¬
rat B u m m).
Zur Verbreitungsweise des Pemphigus neonatorum.
Von Stabsarzt Dr. Ko-wnatzki, Oberarzt an der Klinik.
Der Pemphigus neonatorum acutus benignus, von welchem
in der Folge allein die Rede ist, stellt, wie bekannt, eine konta-
giöse Erkrankung dar, welche neugeborene Kinder, und zwar
meist gesunde und kräftige, gewöhnlich zwischen dem 4. und
9. Lebenstage befällt. Er ist charakterisiert durch schubweises
Auftreten linsen- bis erbsengrosser Bläschen auf der Haut des
Kindes, welche später platzen und eine trübseröse Flüssigkeit
entleeren. Die Affektion, die mit Lues nichts zu tun hat, ver¬
läuft ohne nennenswerte Störungen im Befinden des Kindes
und endet in etwa 12 bis 20 Tagen mit Genesung.
In dem Blaseninhalte hat man oft, wenn auch nicht immer,
Staphylokokken nachweisen können. Es erscheint daher die
Annahme berechtigt, dass eine Staphylokokkenart Träger der
Infektion ist, nach K o b 1 a n c k der Staphylococcus aureus 1).
Die Verbreitung der Krankheit geht in der Weise vor sich,
dass der infektiöse Blaseninhalt durch irgendwelche Zwischen¬
personen oder -Gegenstände von einem Kinde auf das andere
verschleppt wird. Als solche kommen ausser Badeschwäm¬
men, die in der hiesigen Klinik nicht in Gebrauch sind, — die
Kinder werden bis zum Abfallen des Nabels überhaupt nicht ge¬
badet — in erster Linie die Hände der Pflegerinnen in Betracht.
Zwar deuten einzelne Beobachtungen auf die Möglichkeit hin,
dass Kinder auch durch staphylokokkenhaltiges Lochialsekret
ihrer Mütter, auch schon innerhalb des Genitalschlauches, mit
Pemphigus infiziert werden können, doch ist dieser Er¬
krankungsmodus, wenn er überhaupt besteht, zweifellos ein
seltener.2)
Die Uebertragung durch die Hand der Pflegerin trat
ausserordentlich prägnant in einer Endemie hervor, welche in
der Universitäts-Frauenklinik der Charite zur Beobachtung ge¬
langte. Deshalb und weil eine ungenügende Würdigung dieser
Art der Verschleppung naturgemäss eine wirksame Be¬
kämpfung des Pemphigus unmöglich machen muss — gebe
ich dieselbe kurz wieder.
Schon im Januar 07 fiel eine grössere Zahl von Bläschen¬
kindern auf. Von der soeben wiedergegebenen Anschauung
ausgehend wurden damals 1. alle erkrankten Kinder sofort in
einem besonderen Zimmer einer älteren, erfahrenen Schwester
am Tage und einer besonderen Pflegerin in der Nacht anver¬
traut. Andere Wärterinnen kamen mit den befallenen Kindern
nicht in Berührung ebensowenig durften die Mütter derselben
ein gesundes Kind anfassen. Die Nachtpflegerin durfte selbst¬
verständlich keinesfalls, die ältere Schwester nur nach sorg¬
fältigster Desinfektion der Hände sich mit anderen Kindern zu
schaffen machen; 2. wurden den Kindern, um ein Verschmieren
des Blaseninhaltes durch sie selbst an ihrem eigenen Körper zu
verhindern, die Händchen unter die Jacke gebunden und 3.
wurden alle Blasen möglichst mit Verbänden bedeckt.
Diese Massregeln führten auch eine schnelle Verminderung
des Pemphigus herbei, dessen Frequenz jedoch wieder zunahm,
als sie im nächsten Monate unter anderer Stationsleitung nicht
weiter fortgesetzt wurden, sondern wieder das gleiche Per¬
sonal kranke und gesunde Kinder durcheinander besorgte.
Derselbe Wechsel wiederholte sich noch einmal im März und
im April. Im März Trennung des Personals, Abnahme des
Pemphigus, im April gemeinschaftliches Personal, Zunahme.
Im Mai wurde nun mit aller Energie in der Weise vor¬
gegangen, dass wieder ein besonderes Pemphigu’szimmer mit
getrenntem Personal eingerichtet wurde. In dieses wurden
dieses Mal die Kinder mit ihren Müttern hineingelegt. Gleich¬
zeitig wurden die anderen Krankenräume, beginnend mit dem
Zimmer der, wie unten ersichtlich, die Infektion in der Haupt¬
sache tragenden Wärterin Emma nach einander leer gemacht.
Die Schwestern bezw. Wärterinnen wurden für einige Tage
ausser Funktion gesetzt, mussten sich während dieser Zeit ein¬
gehend und zum Teil unter Aufsicht Hände und Arme des¬
infizieren, baden und frische Wäsche anlegen. Die Räume selbst,
Betten etc. wurden mit Formalin ausgedampft. So gelang es,
bis zum 23. Mai des Pemphigus Herr zu werden. Ich gebe
nun den Gang der Endemie während des Mai wieder.
Ausgangspunkt derselben war ein älteres Kind, Else Müller,
welches schon im März erkrankt und im April auf den Saal der
Wärterin Emma gelegt war. Es wurden nun befallen:
Am
2. Mai
Kind Menzel
bei
der
Wärterin
Emma.
3. „
„ Schneider
n
ff
ff
ff
3. „
„ Schumann
v
„ •
ff
ff
ff
5. „
„ Neumann
ff
»
ff
ff
U Koblanck: Ueber Pemphigus neonatorum. Zeitschrift fiir
Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. LVII, 3.
2) Verhandlungen der Gesellschaft fiir Geburtshilfe und Gynä¬
kologie in Berlin, 23. Februar 1906.
2*
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
1924
Inzwischen wurde die Wärterin Emma behufs Desinfektion aus
dem Dienste gezogen und ihre Abteilung zu demselben Zwecke ge¬
schlossen.
Es erkrankten weiter:
Am 7. Mai
Kind Kloss
bei der Schwester Frieda
(von der Wärterin Emma zu
dieser verlegt).
„ 8. „
„ Müller
bei der Schwester Ilse
(von der Wärterin Emma zu
dieser verlegt).
„ 8. „
„ Kreidenberg
bei der Schwester Ilse.
„ 17. „
„ Lorenz
v v v Magda
(von der Schwester Frieda,
deren Abteilung inzwischen ge¬
schlossen, zu dieser verlegt).
* 23. „
„ Kniest.
bei der Schwester Magda.
Sieht man sich diese Zusammenstellung an, so erhellt aus
derselben auf das Deutlichste, dass die Infektion von dem Kinde
Else Müller auf die Kinder Menzel, Schneider, Schumann, Neu¬
mann, Kloss und Müller durch die Wärterin Emma, welche alle
diese Kinder gemeinsam besorgt hatte, übertragen worden war.
Von den Kindern Kloss und Müller, welche bei der Evakuierung
des Saales der Emma zu den Schwestern Frieda und Ilse ge¬
kommen waren, nahmen diese Keime an ihren Fingern auf,
die sie an die Kinder Kreidenberg und Lorenz Weitergaben.
Vom Kinde Lorenz, das nach Schluss des Saales der Frieda
zu Schwester Magda gelangt war, wurde über diese das Kind
Kniest infiziert.
Ausser den obigen 9 wurden noch 4 Kinder befallen:
Am 4. Mai
Kind Knidzia
bei der Schwester Käte.
„ 15. „
„ Seipel
V V V V
- 4. „
„ Suhr
kam mit Bläschen vom Gebär-
saal.
n 15. »
„ Stenicka
Kind einer Hausschwangeren.
Bei diesen Kindern lässt sich die Erkrankung nicht mit
derselben mathematischen Bestimmtheit wie bei den oben auf¬
gezählten auf das Kind Else Müller zurückführen. Da die Else
Müller, ein älteres Pubotomiekind, aber während des Monats
April im ganzen Hause herumgetragen und von den ver¬
schiedensten Schwestern gehätschelt worden war, unter diesen
auch von der Hebamme, welche die Mutter des Kindes Suhr
entband und dieses zurecht machte, ebenso auch von Haus¬
schwangeren, so erscheint mir persönlich auch hier ein Zu¬
sammenhang nicht zweifelhaft.
Aus dem hygienischen Institut der Universität zu Kyoto
(Direktor : Prof. Matsushita).
Ueber den Nachweis von Typhusbazillen in den Läusen
Typhuskranker.
Von Dr. med. Nakao Abe.
Es ist eine längst bekannte Tatsache, dass die Stechmücke
der direkte Vermittler der Malaria ist, und dass Fliegen die
pathogenen Keime aus dem Unrat der Cholera- und Dysenterie¬
kranken auf Nahrungsmittel übertragen und dadurch die Krank¬
heit weiter verbreiten.
Die Typhusbazillen sind nicht nur im Darm, sondern auch
im Blut, besonders im Roseolablut (ca. 93 Proz.) nachweisbar.
Es ist daher leicht denkbar, dass alle pathogenen Keime im
menschlichen Blut in den Körper von Hautparasiten (Läuse und
Flöhe) und Stechmücken übergehen, wenn diese Blut saugen.
E 1 ü g g e u. a. meinen, dass das Ungeziefer für die Verbreitung
der kontagiösen Infektionskrankheiten nicht ohne Bedeutung
ist. Tsujitani hat im Jahre 1901 aus einem Floh, welcher
sich an einer an Pest leidenden Maus befand, den Pestbazillus
isoliert und später hat Herzog ähnliches beobachtet.
Indessen hat man bisher in menschlichem Ungeziefer Er¬
reger von Infektionskrankheiten nicht nachgewiesen. Da dies
aber prophylaktisch sehr wichtig ist, habe ich mich besonders
mit dieser Frage beschäftigt und versucht, in Flöhen und
Läusen, welche an Typhuskranken und deren Pflegerinnen
schmarotzten, Typhusbazillen nachzuweisen.
Ich habe zunächst in einem sterilisierten Reagenzglas an¬
gesammelte Läuse und Flöhe einige Minuten lang in 0,1 proz.
Sublimatlösung getaucht, hernach dieselben mit sterilisiertem
Wasser gründlich abgespült und in einem sterilisierten Mörser
fein zerrieben. Das so zerriebene Ungeziefer habe ich unter
die Haut einer weissen Maus geimpft und auf Nährböden von
D r i g a 1 s k i und C o n r a d i, sowie von Endo aufgestrichen ;
das Reagenzglas, das ich zum Ansammeln des Ungeziefers be¬
nutzt habe, wurde mit ca. 10 ccm Bouillon gefüllt und 24 Stun¬
den lang bei einer Temperatur von 37° C. in den Brutschrank
gestellt; mit dieser Bouillon wurden Strichkulturen auf Typhus¬
nährböden von Endo, Drigalski und C o n r a d i angelegt.
Die Bakterien, welche wir aus typhusähnlichen Kolonien und
aus den inneren Organen der Versuchstiere isolierten, wurden
differentialdiagnostisch mit allen modernen Methoden unter¬
sucht. Es wurde die Form der Bakterien berücksichtigt, die
Färbbarkeit nach Gram geprüft; Gelatineplatten- und Kar¬
toffelstrichkulturen wurden angelegt, die Fähigkeit Milch zu
koagulieren und Gas zu bilden, wurde untersucht, und schliess¬
lich wurde mit über 500 fach verdünntem Typhusiinmunserum
ein Agglutinationsversuch angestellt.
Die durch die oben erwähnten Methoden erzielten Resul¬
tate sind folgende:
I. Name des Patienten: T. K.
Am 31. Mai impfte ich 6 zerriebene Kleiderläuse unter die Bauch¬
haut einer Maus; die Maus starb am 3. Juni. Die Sektion erfolgte
sofort; sie ergab: Milzvergrösserung und leichte Pneumonie; in dem
Herzblut, der Milz und der Leber waren Typhusbazillen nachweisbar.
Auf mit 1, 2, 3, 4 und 6 zerriebenen Kopfläusen bestrichenen
Typhusnährböden wuchsen gleichfalls Typhuskolonien.
An der Innenwand der Reagenzgläser, in welchen die Läuse an¬
gesammelt wurden, war der Typhusbazillus ebenfalls nachweisbar.
II. Name der Patientin: F. Y.
Am 31. Mai wurden einige Kleiderläuse unter die Rückenhaut
einer Maus geimpft; die Maus starb am 1. Juni. Die sofort vorge¬
nommene Sektion ergab folgendes: Milz ca. doppelt vergrössert;
Hepatitis; Lungen, Herz und Nieren normal. Bakteriologisch im Herz¬
blut und in der Milz Typhusbazillen nachweisbar, aber nicht in Leber
und Nieren.
Auf den mit Kleiderläusen bestrichenen Typhusnährböden und
an der Innenwand des Reagenzglases sind Typhusbazillen nach¬
weisbar.
III. Name der Patientin: M. S.
Am 31. Mai eine zerriebene Kleiderlaus unter die Rüokenhaut
einer Maus geimpft. Die Maus starb am 1. Juni. Sektion erfolgte
sofort: Milz vergrössert, die anderen inneren Organe normal. Es
gelang nicht, in den inneren Organen der Maus Typhusbazillen nach¬
zuweisen; Typhusnährboden, auf dem eine Kleiderlaus ausgestrichen
wurde, blieb steril, ebenso die in das Reagenzglas gegossene Bouillon.
(An dieser Patientin wurden nur 2 Läuse gefunden.)
IV. Name der Patientin: K. K.
Am 31. Mai impfte, ich unter die Rückenhaut einer Maus 2 zer¬
riebene Kleiderläuse und unter die Rückenhaut einer zweiten Maus
5 Kopfläuse. Die letztere starb am 3. Juni; die Sektion erfolgte
sofort und ergab folgendes: Pneumonie und Milzvergrösserung; bak¬
teriologischer Befund im Herzblut, Milz und Leber positiv. Die erste
Maus starb am 2. Juni. Bei der Sektion fand man nur Milzver¬
grösserung; in Herzblut und Milz waren Typhusbazillen nachweisbar;
in Leber und Nieren gelang der Nachweis nicht.
Auf Typhusnährböden mit 2, 4 und 6 Stück Kopfläuse entwickelten
sich Typhuskolonien; ebenso war der Typhusbazillus an der Innen¬
wand des Reagenzglases nachweisbar.
V. Name der Pflegerin eines Typhuskranken: O. T.
Am 31. Mai wurde ein Floh, der sich am Körper der Pflegerin
befand, unter die Rückenhaut einer Maus geimpft. Die Maus blieb
gesund. Auf Typhusnährboden, der mit einem zerriebenen Floh be¬
strichen wurde, entwickelte sich keine Typhuskolonie.
VI. Name der Pflegerin eines Typhuskranken: O. W.
Die am 31. Mai mit ein paar Flöhen vorgenommenen Experimente
verliefen negativ wie bei V.
Aus den vorstehend aufgeführten Tatsachen geht hervor,
dass die Kleider- und Kopfläuse, welche an
Typhuskranken schmarotzen, Typhusbazil¬
len (75 Proz.) enthielten, dass dagegen in Flöhen, die
auf Pflegerinnen Typhuskranker schmarotzen, der Bazillus
nicht nachweisbar war. Das letztere hat seinen Grund darin,
dass immer nur wenig Untersuchungsmaterial zu erhalten war.
Selbstverständlich lässt sich aus den negativen Resultaten nicht
schliessen, dass die Flöhe der Pflegerinnen keine pathogenen
Keime enthielten.
Aus dem Gesamtresultat meiner Experimente ist zu ent¬
nehmen, dass das Ungeziefer am menschlichen
Körper bei der Verbreitung der kontagiösen
Infektionskrankheiten, insbesondere bei
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1925
Typhus, wahrscheinlich eine wichtige Rolle
spielt.
Zur Arsenikbehandlung der Syphilis.
Von Professor Bettmann in Heidelberg.
Die aufsehenerregenden Mitteilungen über die Wirkung
des Atoxyl bei der Syphilis lenken die Aufmerksamkeit auf
altere Erfahrungen zurück, die bei der Anwendung von Arsenik
in Fällen der Syphilis gewonnen wurden. Wenn anders es
sich bei den Atoxylkuren um eine reine Arsenikwirkung oder
wenigstens wesentlich um eine solche handelt, gewinnen alle
einschlägigen Beobachtungen Interesse, auch wenn sie sich
auf die Wirksamkeit anderer Arsenikpräparate beziehen.
Arsenik ist zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen
Anwendungsformen bei Syphilitikern benützt worden; an ein¬
zelnen deutschen und französischen Kliniken (L e w i n, R i -
c o r d) wurde davon ausgiebig Gebrauch gemacht. Mehrere
Präparate, die für die Syphilisbehandlung empfohlen wurden,
stellen Kombinationen von Quecksilber und Arsenik dar; so
z. B. das in den letzten Jahren von manchen vielbenutzte
Enesol. Aber man hat dem Arsenik keine spezifische Wirk¬
samkeit auf die Syphilis zugeschrieben, sondern nur seine
roborierende und tonisierende Kraft in Betracht gezogen, und
in diesem Sinne mancherorts die Arsenikpräparate als geeignete
Unterstützungsmittel der Syphilisbehandlung erprobt. So ver¬
wende auch ich seit Jahren Arsenik gerne bei anämischen und
dekrepiden Syphilitischen im Sekundärstadium zur „Nachkur“
nach der Quecksilberbehandlung; es scheint mir, dass gerade
unter der Arsenikwirkung bei solchen Patienten der Kräfte-
und Ernährungszustand sich hebt und die Anämie günstiger
als durch Eisenpräparate beeinflusst wird. Nennenswerte Ge¬
wichtszunahmen sind dabei nicht selten festzustellen. Der¬
artige Wirkungen des Mittels sind ja auch nicht weiter ver¬
wunderlich. Bei der Darreichung von Arsenik während der
Quecksilberkur habe ich in mehreren Fällen schwere Darm¬
störungen gesehen, die vielleicht zur Vorsicht mahnen müssen.
Weiterhin verordne ich öfter Arsenik im Sekundärstadium
der Syphilis bei starken und persistierenden Drüsenschwel¬
lungen. In mehreren Fällen erschien die Wirkung des Mittels
ganz auffällig gut, in anderen Fällen befriedigend, und ich halte
sie der von anderen Seiten empfohlenen Jodbehandlung jener
Kranken mindestens für gleichwertig.
Meist wurde unter den genannten Voraussetzungen die
Solutio Fowleri zum innerlichen Gebrauch in mittleren Dosen
und in längerdauernder, oft mehrmonatlicher Anwendung ver¬
schrieben. Wenn nun aber für mich der Eindruck besteht, dass
eine derartige Medikation nach den angegebenen Richtungen
hin für Syphilitische nützlich sein kann, so muss um so nach¬
drücklicher hervorgehoben werden, dass es durch solche Ar¬
senikkuren nicht gelingt, den Rezidiven der sekundären Syphilis
vorzubeugen. Ich halte mich nicht einmal für berechtigt, an¬
zunehmen, dass durch sie die Latenzperioden der Krankheit
verlängert werden. Zum mindesten beweisen einzelne schein¬
bare Erfolge nichts gegenüber der wichtigen Erfahrung, dass
auch Wiederausbrüche der Krankheit während
der Arsenikkur zu verzeichnen waren. Sie traten be¬
sonders in Form von Erkrankungen der Mundhöhle und von
nässenden Papeln an den Genitalien zutage.
Geradezu auffällig günstige Wirkungen der Arsenik¬
behandlung habe ich in 3 Fällen von Lues maligna praecox
gesehen. Veranlassung zur Arsenikkur gab bei den Patienten
eine ausgesprochene Intoleranz gegen Quecksilber, die Wir¬
kungslosigkeit von Jodpräparaten und die Unmöglichkeit, aus
äusseren Umständen eine Zittmannkur durchzuführen, die uns
in der Klinik bei der Bekämpfung der malignen Lues ganz
vortreffliche Dienste leistet. Die Patienten bekamen Arsenik
teils innerlich in grossen Dosen, teils in Form von Injektionen
des 1 proz. Liquor natrii arsenicosi. Schwerste Rupiaefflores-
zenzen und ulzeröse Syphilide speziell an den behaarten
Körperstellen bildeten sich prompt zurück, das Allgemein¬
befinden hob sich, das Körpergewicht stieg. Zwei dieser
Kranken konnten durch lange Zeit weiter beobachtet werden.
Bei beiden kam es schon wenige Monate nach Beendigung der
Arsenikbehandlung zu schweren Rezidiven an der Haut, die
wiederum unter einer Arseniktherapie zurückgingeri. Nach
erzielter Besserung wurde aber jetzt von neuem eine Queck¬
silberkur versucht, deren Durchführung auch gelang. In einem
4. Falle von Lues maligna praecox hat die Behandlung mit
Injektionen von Liqu. natrii arsenicosi keinen Erfolg gehabt.
Diese Erfahrungen verdienen im Hinblick auf die ausser¬
ordentlich günstigen Erfolge mitgeteilt zu werden, die auch mit
dem Atoxyl gerade bei der Lues maligna erzielt worden sind
(Lesser, Hoff mann u. a.). Ich hatte bis jetzt Gelegenheit,
in zwei Fällen von Lues maligna das Atoxyl in den „typischen“
hohen Dosen anzuwenden. Im einen Falle trat die Wirkung
überraschend schnell und gründlich zutage, im anderen Falle
war sie wenigstens befriedigend. Aus den bisher vorliegenden
Berichten über die Anwendung des Atoxyl geht überein¬
stimmend hervor, dass gerade bei der malignen Lues das
Atoxyl eine unverkennbar günstige Wirkung entfaltet und man
darf sich freuen, hier ein neues, anscheinend zuverlässiges
Mittel bei der Bekämpfung von Luesformen gewonnen zu
haben, die für die Patienten eine besonders schwere Plage be¬
deuten und bei denen die Quecksilbertherapie zum mindesten
zeitweilig im Stiche lässt oder gar Schaden bringt. Wie weit
allerdings in solchen Fällen das Atoxyl den alten Arsenik¬
präparaten überlegen ist, und wieweit die erzielten Resultate
eine dauernde Heilung bedeuten oder nur einen vorläufigen Er¬
folg, wird noch zu erproben sein. Unter keinen Umständen
aber wird man bei der Bewertung des therapeutischen Ein¬
flusses des Atoxyl wie der Arsenikpräparate überhaupt von der
malignen Lues aus verallgemeinernd auf die typisch verlaufende
Syphilis schliessen dürfen. Die Voraussetzungen der malignen
Lues sind keineswegs restlos geklärt; man hat sich zu hüten,
unter so komplizierten Bedingungen den Effekt einer Arsenik¬
medikation einseitig im Sinne einer spezifischen antiluetischen
Wirkung zu deuten, so lange nicht an Durchschnittsfällen der
Krankheit einwandsfrei eine solche Wirkung erwiesen ist und
so lange ihre günstigen Beeinflussungen wesentlich auf Rech¬
nung einer mehr indirekten Wirksamkeit des Mittels gesetzt
werden können.
Ueber die Frage einer Anwendung der älteren Arsenik¬
präparate bei sekundärer Syphilis kann ich 5 Fälle an¬
führen, in denen Patienten zur Beobachtung kamen, die man
anderweitig wegen syphilitischer Exantheme Arsenikkuren
unterworfen hatte, weil die spezifische Natur der Ausschläge
verkannt worden war. Leider reichen meine Notizen über
diese Fälle nicht aus, um jetzt hinterher über alle wünschens¬
werten Details genügende Auskunft zu geben. Deshalb sei
summarisch nur folgendes ausgeführt.
Es handelte sich um Luesfälle mit sehr ausgedehnten
maculo-papulösen Exanthemen und den Abarten des papulösen
Effloreszenztypus (papulo-impetiginöse, papulo-krustöse Ef-
floreszenzen u. dergl.). Aus objektiven Anhaltspunkten oder
vertrauenswürdigen Angaben der Kranken konnte in 4 Fällen
bestimmt angenommen werden, dass der Infektionstermin erst
einige Monate zurücklag. Auch in dem 5. Fall sprach alles
für eine frische Erkrankung. Eine spezifische Behandlung hatte
bei keinem der Kranken stattgefunden. Es war wohl die Aus¬
dehnung der Hauteruption, dazu einzelne ungewöhnliche Züge
der Erscheinungsweise und vor allem der fehlende Verdacht
einer syphilitischen Erkrankung (in 3 Fällen handelte es sich
um extragenitalen Primäraffekt!), endlich aber auch zum Teil
eine ungenügende Untersuchung der Kranken, welche die
falsche oder mangelnde Diagnose bedingte. Einmal war
Psoriasis guttata, ein zweites Mal Parapsoriasis diagnostiziert
worden, ein drittes Mal wurde Lichen ruber planus vermutet,
zweimal war überhaupt keine bestimmte Diagnose gestellt
worden. Man hatte den Patienten längere Zeit (bis zur Dauer
von 3 Monaten und darüber) innerlich Arsenik in Form der
asiatischen Pillen oder der Solutio Fowleri gereicht. Während
dieser Behandlung waren die Exantheme wenigstens teilweise
zur Rückbildung gelangt und zwar in allen Fällen unter Pig¬
mentierungen, die so intensiv waren, dass wohl an einen Ein¬
fluss der Therapie gedacht werden konnte. Eine der Kranken
gab an, dass unter der Arsenikkur der Ausschlag rasch ver¬
schwunden war, aber nach Aussetzen der Behandlung sich
baldigst wieder eingestellt hatte.
1926
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Das wichtigste Untersuchungsergebnis bei allen diesen
Patienten war aber folgendes : Es hatten sich während
der Arsenikbehandlung weitere syphiliti¬
sche Manifestationen gebildet lind zwar in Form
der Angina specifica, von Schleimhautaffektionen der Mund¬
höhle, von nässenden Papeln an Genitalien und After. Wenn
also auch angenommen werden konnte, dass die Arsenik¬
behandlung die Rückbildung der syphilitischen Manifestationen
an ddr Haut beeinflusst hatte, so war doch die unmittelbare
Weiterentwicklung der Krankheit nicht gehindert worden.
Auch an tertiären Hautsyphiliden habe ich bei der An¬
wendung von Arsenikpräparaten eine ziemlich schnelle Rück¬
bildung gesehen.
Es ergibt sich also aus derartigen Erfahrungen, dass der
bei der Atoxylbehandlung zu konstatierende günstige Einfluss
auf syphilitische Manifestationen speziell an der Haut auch mit
anderen Arsenikpräparaten zu erzielen ist, ohne dass des¬
halb die von mir angeführten Fälle sich ir¬
gendwie im Sinne einer Heilung der Krank¬
heit selbst verwerten Messen. Daraus wräre aber
natürlich kein Recht abzuleiten, diesen Schluss auch ohne
weiteres auf die Erfolge der Atoxyltherapie zu übertragen.
Denn auch wenn die Atoxylwirkung ausschliesslich auf dem
Arsenikgehalt beruhen sollte, so ermöglichen doch die ver¬
schiedenen Präparate mit Rücksicht auf ihren verschiedenen
Gehalt an Arsenik, auf die Art seiner Bindung, auf ihre differente
Toxizität, die Schnelligkeit ihres Abbaus und ihre Remanenz
im Organismus keine einheitliche Beurteilung. Ein einzelnes
Mittel könnte somit sehr wohl allen anderen Arsenikpräparaten
wesentlich überlegen sein und vielleicht ausschliesslich die
„spezifische“ Wirksamkeit garantieren. Aber es ist doch noch
nicht untersucht, ob die Atoxylerfolge sich nicht gerade so gut
durch eine geeignete Dosierung der älteren Arsenikpräparate
erzielen lassen; mancherlei Intoxikationserscheinungen, wie sie
sich bei den Atoxylinjektionen eingestellt haben und wie auch
wir sie beobachten mussten, mahnen doch zur Vorsicht beim
Gebrauch des Atoxyls, namentlich in den hohen Gaben, die für
die Verwendung gegen Syphilis als erforderlich bezeichnet
wurden. So hat denn auch bereits Rosenthal empfohlen,
das Atoxyl durch Injektionen von Acidum arsenicosum zu er¬
setzen.
Ob nun aber das Atoxyl als ein spezifisches Antisyphiliti-
kum betrachtet werden dürfte, darüber wäre jede bestimmte
Aeusserung verfrüht. Die Kritik des vorliegenden Materiales,
wie sie besonders in ruhiger Abwägung von L e s s e r ge¬
geben worden ist, braucht nicht nochmals wiederholt zu
werden. Eigene Erfahrungen über die Atoxylbehandlung der
sekundären Lues können wir schon deshalb nicht beibringen,
weil wir bei dem jetzigen Stande der Angelegenheit uns nicht
für berechtigt halten, das Quecksilber in Fällen, in denen es
toleriert wird, durch Atoxyl zu ersetzen. Die Erwägung, dass
in einem übersehbaren Zeitraum am Einzelfalle kein ab¬
schliessendes Urteil über das Heilungsresultat zu eruieren ist,
wird hier jeden, der Zutrauen zu der alten Quecksilberbehand¬
lung besitzt, vor verantwortungsvollen therapeutischen Experi¬
menten abschrecken.
Ueber einen Punkt allerdings liesse sich an einem grosen
Beobachtungsmaterial wohl in verhältnismässig kurzer Zeit
Klarheit gewinnen, darüber nämlich, wie sich die Rezidive der
sekundären Syphilis in Bezug auf die Schnelligkeit ihres Ein¬
stellens, auf ihre Häufigkeit und auf ihre Art vergleichsweise
bei der Atoxyl- und der Quecksilberbehandlung verhalten.
Aber auch damit wäre noch kein Urteil über die Möglichkeit
einer endgültigen Ausheilung der Krankheit durch die Atoxyl-
kur ermöglicht.
Endlich aber kann wohl jetzt schon zu der praktisch über¬
aus wichtigen Frage Stellung genommen werden, ob die
Atoxylanwendung in der zweiten Inkubationsperiode der
Syphilis den Ausbruch der Sekundärerscheinungen verhindert
oder irgendwie beeinflusst. Zu dem Versuch einer solchen
Präveiitivbehandlung wird man sich besonders dann gern ent-
schliessen, wenn man grundsätzlich von einer Anwendung der
Quecksilberkur vor Auftreten der Sekundärerscheinungen Ab¬
stand nimmt. Nun sind aber bereits von verschiedenen Seiten
Misserfolge eines derartigen Eingreifens berichtet worden. Ich
selbst habe in einer Reihe von Fällen Atoxylinjektionen nach
Feststellung des Primäraffektes begonnen. Diese Fälle sind
je nach dem Zeitpunkte, der seit dem Infektionstermin ver¬
flossen war, wie nach der Intensität der Atoxylbehandlung
unter einander nicht gleichwertig, aber ich habe doch vorläufig
über 8 Fälle zu berichten, in denen die Kur zwischen dem 12.
und 25. Tage post infectionem begann und in denen mindestens
durch 2 — 3 Wochen dreimal wöchentlich bis zu je 0,5 g Atoxyl
verabreicht wurden. In keinem dieser Fälle trat
eine wesentliche Verzögerung des Ausbruchs
der Sekundärsymptome ein; die grossen Atoxyl-
gaben hatten in dieser Beziehung ebensowenig Einfluss wie
die Verabreichung von kleineren Dosen, die wir in anderen
Fällen vorgenommen hatten. Zweimal hatte das Exanthem,
das sich nach einer solchen Atoxylkur am Ende der typischen
Inkubationszeit einstellte, nicht den Charakter der Roseola,
sondern eines schweren papulösen Syphilids von besonderer
Hartnäckigkeit. Darum soll gewiss nicht der Schluss gezogen
werden, dass etwa jene Behandlung ungünstig gewirkt hätte.
Wohl aber sprechen meine ganzen Ergebnisse — wie die
anderer Beobachter — für die Nutzlosigkeit des Versuchs, durch
die Atoxylbehandlung dem Ausbruch der sekundären Syphilis
vorzubeugen. Eine Wirksamkeit auf die schnelle Rückbildung
des Primäraffektes allerdings erschien auch bei einem Teile
meiner Fälle unverkennbar. Demnach wäre vielleicht zu einem
Versuch mit Atoxyl besonders in solchen Fällen zu raten, bei
denen es wegen der Lokalisation des Primäraffektes oder an¬
derer Umstände auf eine möglichst schnelle Abheilung des
Schankers ankommt.
Aus der Erfahrung, dass es trotz einer Atoxylbehandlung
des Schankers zum Ausbruch der Sekundärerscheinungen der
Syphilis kommt, ist natürlich kein Argument gegen eine „spe¬
zifische“ Wirkung des Mittels herzuleiten. Auch einer ana¬
logen Quecksilberbehandlung kommt keine coupierende Wirk¬
samkeit zu, wenn sie auch in der Regel eine deutlichere Ver¬
zögerung der Sekundärsjmiptome zur Folge hat. Aber auch
alles das, was sich bis jetzt über die günstige Einwirkung des
Atoxyl auf luetische Manifestationen hat ermitteln lassen, reicht
bei weitem nicht aus, das Mittel als ein spezifisches Anti-
syphilitikum erscheinen zu lassen; wohl aber besteht zum
mindesten die Aussicht, dass das Atoxyl mit Vorteil zur Unter¬
stützung antisyphilitischer Kuren wird herangezogen werden
können.
Die Eingangs mitgeteilten Erfahrungen sprechen aber da¬
für, dass in dieser Beziehung andere Arsenikpräparate mit dem
Atoxyl rivalisieren können. Das mag schon deshalb hervor¬
gehoben werden, weil das Atoxyl durchaus nicht als ein un¬
giftiges Präparat zu betrachten ist.
Aus der Kgl. Universitätspoliklinik für Hautkrankheiten in
Berlin (Direktor: Geh. Med. -Rat Prof. Dr. E. L e s s e r).
Ueber den Wert der Dunkelfeldbeleuchtung für die
klinische Diagnose der Syphilis.
Von Dr. A. B e e r, Assistenzarzt.
Die Schwierigkeit, welche das Aufsuchen und Erkennen
der Spirochaete pallida bietet, sowie der relativ grosse Zeit¬
aufwand, welchen die Anfertigung und das Untersuchen der
Präparate, erfordert, haben zur Anwendung neuer Darstellungs-
methoden Veranlassung gegeben. Zahlreiche neuere Färbe¬
verfahren — ich erinnere nur an die von Röna-Preis,
Marino und jüngst von G i e m s a selbst angegebenen — er¬
reichen wohl eine schnellere Färbung innerhalb weniger Mi¬
nuten, erleichtern jedoch wenig das .Aufsuchen dieser feinen,
gewöhnlich nur in geringer Zahl im Sekret vorhandenen Or¬
ganismen.
Am besten von allen Methoden zur färberischen Dar¬
stellung der Spirochaete pallida bewährt sich uns noch immer
die schon von Schaudinn und Hoffmann in ihrer dritten
Publikation l) empfohlene einstündige Färbung in Giemsa-
Q F. Schaudinn und E. Hoffmann: Ueber Spirochaete
pallida ibei Syphilis und die Unterschiede dieser Form gegenüber
anderen Arten dieser Gattung. Berl. klin. Wochenschr. 1905, No. 22
bis 23.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1927
lösung, da sie besonders durch deutliche Differentialfärbung
die Unterscheidung der rötlichen Syphilisspirochäte von den
sich meist mehr blau tingierenden andern Arten erleichtert.
Die Sicherheit der Erkennung der Spirochaete pallida wird
jedoch dann am ehesten gewährleistet, wenn wir dieselbe uns
lebend sichtbar machen können, da sie im Leben neben ihrer
bekannten Form noch durch besondere, nur der Spir. dentium
und ihr eigene Bewegungsarten charakterisiert wird. Um nun
dieses zarte, wenig lichtbrechende Gebilde finden und lebend
beobachten zu können, bedarf es bei besten optischen Hilfs¬
mitteln (vgl. A. Beer, Ueber Beobachtungen an der lebenden
Spirochaete pallida, Deutsch, med. Wochenschr. 1906, No. 30)
eines ausserordentlich geübten Auges. Deshalb ist es zweck¬
mässig, sich einer der verschiedenen Einrichtungen zu be¬
dienen, welche zur Sichtbarmachung ultramikroskopischer
Teilchen angegeben sind. Sie alle bezwecken das Objekt hell
auf dunklem Grunde aufleuchten zu lassen, da hierdurch die
Sichtbarkeitsbedingungen ausserordentlich erhöht werden.
Am einfachsten wird dies erreicht,2) wenn man unter den
Kondensor des Mikroskops in den Diaphragmenträger des
Abbe sehen Beleuchtungsapparates eine Zentralblende ein¬
legt, zweckmässig von 24 mm Durchmesser. Als Lichtquelle
dient Gasglüh- oder besser Azethylenlicht,3) welches man ver¬
mittelst einer einfachen Schusterkugel so auf dem Planspiegel
des Mikroskops sammelt, dass dieser gleichmässig und voll¬
ständig mit Licht erfüllt ist. Das möglichst dünne, wenig
korpuskuläre Elemente enthaltende Präparat wird auf den ganz
nach oben gekurbelten Kondensor vermittelst Zedernholzöl
mit Vermeidung von Luftblasen aufgelegt. Die Einrichtung
gestattet nur die Verwendung von Trockensystemen, entweder
Apochromat 3,0/0,95 oder Objektiv E der achromatischen Reihe
von Zeiss oder Objektiv 7 Leitz; stärkere Vergrösserung
erzielt man durch Anwendung entsprechender Kompensations¬
okulare.
Erhebliche Verbesserungen dieses Systems brachten der
von Sieden topf empfohlene Spiegelkondensor mit Parabo-
loidfläche, sowie das von A. Cotton und H. Mouton ange¬
gebene Spiegelprisma und der von der Firma Reichert in
Wien hergestellte Spiegelkondensor4)5)6)- Mit dieser letzten
Modifikation haben bereits Landsteiner und Mucha die
Spirochaete pallida beobachtet und berichten über äusserst
günstige Ergebnisse mit dieser Untersuchungsmethode.
Im Prinzip erreichen alle diese Apparate dasselbe, dass
nämlich nur Lichtstrahlen von hoher num. Apertur in das
Präparat gelangen und von der oberen an die Luft grenzenden
Fläche des Deckglases total reflektiert werden. Es kommen
nur diejenigen Strahlen in den Tubus des Mikroskops und in
das Auge, welche an den im Präparat befindlichen festen Teil¬
chen gebeugt werden.
Hieraus ist ersichtlich, weshalb eine Verwendung von
Immersionssystemen nicht angängig ist. Diese würden eben
die Totalreflexion an der oberen Deckglasfläche unmöglich
machen.
Um daher Immersionssysteme benutzen zu können, ist es
nötig, im Mikroskopobjektiv selbst eine zentrale Blende anzu¬
bringen, welche diejenigen Strahlen, die ungebeugt das Prä¬
parat durchdringen, ausschaltet. Dieses erreicht ein Apparat,
welcher nach Siedentopf von der Firma Zeiss ange¬
fertigt ist, und dessen Herr Prof. Hoffmann7) und ich uns
2) H. Sie den topf: Dunkelfeldbeleuchtung und Ultramikro-
skopie. Zeitschr. f. wissenschaftl. Mikroskopie u. f. mikroskop. Tech¬
nik, Bd. XXIV, 1907, p. 13—20.
3) Herr Geheimrat Frosch hatte die Liebenswürdigkeit, mich
auf dessen zweckmässige Verwendung aufmerksam zu machen.
4) K- Landsteiner und V. Mucha: Zur Technik der Spiro¬
chätenuntersuchung. Wiener Iklin. Wochenschr. 1906, No. 45.
5) Dieselben: Wiener dermatol. Gesellschaft. Zentralbl. f.
Bakteriol., Bd. XXXIX, 1907, No. 17/19.
0) Sch erber: Ueber Spirochätenerkrankungen. Zeitschr. f.
Augenheilk., Bd. XVII, H. 2.
7) E. Hoffmann: Sitzungsbericht, Verein f. innere Medizin,
3. XII. 06. — Derselbe: Berl. med. Gesellsch. v. 20. II. 07. Berl.
klin. Wochenschr. 1907, No. 9. — Derselbe: Berl. med. Gesellsch.
v. 27. II. 07. Berl. klin. Wochenschr. 1907, No. 10. — Derselbe:
Berl. med. Gesellsch. v. 13. III. 07. Berl. klin. Wochenschr. 1907,
No. 12.
seit ca. 6 Monaten bei der Untersuchung des Syphilisvirus
bedienen.
Auf einer verstellbaren Tischplatte ist eine optische Bank
montiert, an deren einem Ende sich die Lichtquelle, eine selbst¬
regulierende Projektionsbogenlampe, an derem andern das auf
einem besonderen Stativ befestigte Mikroskop befindet. Dieses
ist umgelegt, sodass seine Achse parallel der optischen Bank
liegt. Die Blende des Objektivs ist nach Prof. Abbe dadurch
hergestellt, dass seine Frontlinse in ihrem mittleren Teile bis zur
Apertur 0,3 mm genau abgeschliffen und die so entstehende
Planfläche geschwärzt ist. Durch Verwendung eines Wechsel¬
kondensors mit Spezialobjektiv, welches letztere auf einfache
Weise für den A b b e sehen Kondensor eingeschaltet wird, ist
es hier ermöglicht, dass nur Strahlen eines Kegels von der
Apertur 0 bis 0,2 in das Präparat gelangen. Diese werden nun¬
mehr an der geschwärzten Blende absorbiert und nur die¬
jenigen Strahlen, welche an den feinsten Objekten der Präparate
gebeugt werden, dringen in das Auge. Sammellinsen zwischen
Mikroskop und Lichtquelle, Zentrierschrauben am Spezialob¬
jektiv ermöglichen ein vollkommen schwarzes Dunkelfeld und
ein helles Aufleuchten der im Präparat suspendierten festen
Teilchen.
Die diffuse Erhellung des Gesichtsfeldes, welche bei den
andern Arten der Dunkelfeldbeleuchtung durch Reflexe be¬
stehen bleibt, kann bei richtiger Einstellung dieser Anordnung
ganz vermieden werden; ebenso ist auch die Einstellung des
Präparats leicht und schnell möglich. Beide Methoden haben
ihre Vorzüge. Uns hat. sich der Apparat von Zeiss, an den
wir gewöhnt sind, gut bewährt. Dass die Präparate auf der
Kante stehen, stört, sofern sie genügend dünn sind, nicht.
Durch Diffraktion erscheinen die Objekte von mehreren
hellleuchtenden Konturen umzogen, weshalb sich die Methode
für morphologische Studien nicht eignet. Bei unseren Unter¬
suchungen jedoch haben wir dies nie als einen Nachteil emp¬
funden, da es uns ja hauptsächlich auf einen möglichst schnellen
Nachweis der Spirochäten ankam. Das Auge gewöhnt sich
bald an die Diffraktionserscheinungen, und da die doppelten
Konturen die Objekte wesentlich grösser erscheinen lassen,
wird hierdurch naturgemäss das Aufsuchen der feinen Gebilde
wesentlich erleichtert.
Wir haben Material aus den verschiedensten syphilitischen
Produkten untersucht und gefunden, dass wir dann, wenn über¬
haupt Spirochäten vorhanden waren, sie mit der Dunkelfeld¬
beleuchtung am leichtesten und sichersten nachweisen konnten.
Eine möglichst sorgfältige Entnahme des Materials ist
Vorbedingung für die Regelmässigkeit der Befunde. Es seien
deshalb hier nochmals im Zusammenhang die fünf verschiedenen
Arten der Materialentnahme vorausgeschickt, wie sie von
Hoffmann empfohlen worden sind :
1. Die Reizserummethode, bei welcher durch intensives
Reiben mit Platinöse oder -spatel von der Oberfläche syphi¬
litischer Manifestationen — nach vorausgegangener Reinigung
mit physiologischer Kochsalzlösung — ein ziemlich klares,
möglichst wenig Blut enthaltendes Serum gewonnen wird.
2. Die Geschabemethode, Entnahme von Material durch
Schaben der Erosion, Papel etc. mit Skalpell oder scharfem
Löffel.
3. Die Gewebssaftmethode, welche die aus der Schnitt¬
fläche eines senkrecht durchschnittenen Stückes hervor¬
quellende Flüssigkeit verwendet. Besonders gut ist dieses Ver¬
fahren für die Untersuchung geschlossener Primäraffekte, nach
deren Exstirpation man von einer wenige Millimeter unter der
Oberfläche liegenden, Gefässlumina enthaltenden Schicht Saft
abstreicht.
4. Die Quetschmethode, welche bei exzidierteu Stücken von
Papeln, Primäraffekten, Korneae etc. oder bei inneren Organen
häufig dann noch ein positives Ergebnis liefert, wenn andere
Methoden versagen. Man zerreibt ein Stückchen des zu unter¬
suchenden Materiales im Porzellanmörser und macht mit dem
Zerriebenen Ausstriche. Diese Quetschmethode lässt sich auch
bei bereits mit Formalin fixiertem Gewebe anwenden. Es mag
hier erwähnt werden, dass mit dieser jüngst auch von Zabel")
8) A. Zabel: Spirochaete pallida in Ausstrichen formalinfixierter
Organe. Med. Klinik 1907, No. 20,
1928
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
empfohlenen Methode auch von Herrn Professor Hoffmann
und seinen Mitarbeitern in bereits jahrelang in Formalin auf¬
bewahrten, sicher syphilitischen Präparaten Spirochaetae pal-
lidae im Ausstrich nachgewiesen werden konnten, während
gleichzeitig die Imprägnation mit Silber im Schnitt den Befund
bestätigte.
5. Die Drüsenpunktion, welche hauptsächlich bei Fehlen
offener Effloreszenzen in Frage kommt.
Mit Hilfe einer dieser Methoden wird es meistens gelingen,
die Schaudinn-Hoffmann sehen Organismen zu finden,
und die Inkonstanz in den Befunden einzelner Autoren ist wohl
zum Teil dem Ausserachtlassen obiger Vorschriften E. Hoff-
m anns zuzuschreiben..
Für die Dunkelfeldbeleuchtung eignen sich am besten die
Methoden 1, 3 und 5, da es hier darauf ankommt, recht wenig
korpuskuläre Elemente im äussert dünnen Präparat zu haben.
Da das native Präparat nur kurze Zeit zu seiner Herstellung
erfordert, war es uns in klinisch zweifelhaften Fällen häufig
schon innerhalb weniger Minuten möglich, durch den im
Dunkelfeld erhobenen Spirochätenbefund die Diagnose Syphilis
sicherzustellen. Wiederholt konnten wir so z. B. extragenitale
Primäraffekte (an der Mammilla, den Lippen und einmal am
Lidrande), welche anderenorts nicht als solche erkannt, auch
zum Teil schon zur Operation als karzinomverdächtig dem
Chirurgen überwiesen waren, durch den sofort erbrachten
Nachweis der lebenden Spirochaete pallida einer geeigneten
Therapie zuführen. In einem klinisch kaum zu diagnostizieren¬
den Fall von einer nur wenig infiltrierten Schankernarbe mit
nicht besonders deutlichen Drüsenschwellungen, ohne Allge¬
meinerscheinungen (Privatpatient des Herrn Prof. E. Hoff-
m a n n) lieferte die Geschabemethode einen positiven Spiro¬
chätenbefund. Bei Versuchen, durch Exstirpation oder früh¬
zeitig eingeleitete Behandlung den grössten Teil des infektiösen
Virus wieder aus dem Organismus zu entfernen oder unschäd¬
lich zu machen, kam es darauf an, so früh als möglich die Er¬
reger nachzuweisen. Hier hat sich uns die Dunkelfeldbeleuch¬
tung ganz besonders gut bewährt und uns oft die zeitraubende
Durchmusterung gefärbter Ausstriche erspart.
Erfahrungen, welche bereits durch andere Untersuchungs¬
methoden erhoben worden sind, haben wir auch bei Verwen¬
dung des Dunkelfeldes bestätigt gefunden, dass nämlich, je
früher ein junger syphilitischer Herd zur Beobachtung kommt,
desto leichter und ausgiebiger der Nachweis der Erreger er¬
bracht werden kann. So war es manchmal unmöglich (zu¬
weilen gelang es doch noch nach wiederholter Abnahme vom
Rande der Effloreszenz), bei alten, in Ueberhäutung begriffenen
oder bereits epidermisierten Primäraffekten, in älteren Riesen¬
sklerosen, auch bei alten hypertrophischen Genitalpapeln
weder mit dieser, noch mit anderen zu Hilfe gezogenen Me¬
thoden Schau di nn-Hoff m a n n sehe Spirochäten zu
finden.
Andrerseits lieferten junge Primäraffekte, selbst wenn sie
nur eine kleine, flache, nicht indurierte Erosion darstellten,
fast stets schon bei der ersten Untersuchung positive Resultate.
Ueber unsere Spirochätenbefunde im Blut zweier kon-
genital-syphilitischer Rinder ist von uns schon an anderer
Stelle u) kurz berichtet worden.
Da das Verhalten der Erreger während des Krankheitsver¬
laufs einige Eigentümlichkeiten aufweist, seien die Kranken¬
geschichten im Auszug hier mitgeteilt.
Das erste Kind, W. S., wurde im Alter von 6 Wochen am 6. III. 07
in der Universitäts-Kinderklinik der Charitee aufgenommen. Die
Krankengeschichte verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn
Geheimrats H e u b n e r. Bezüglich einer Krankheit der Eltern ist
nur bekannt, dass die Mutter vor 3 Jahren einen Abort im 7. Monat
gehabt hat. Das rechtzeitig geborene Kind zeigte von Geburt an
Schnupfen und bald darauf Ausschlag.
Bei der Aufnahme fand sich im wesentlichen ein makulo-papu-
löses Exanthem im Gesicht und auf den Extremitäten, daneben einige
wenige krustöse impetiginöse Herde im Gesicht; deutliche Drüsen¬
schwellungen, Koryza. Die Milz war gut palpabel und sehr resistent.
Am 7. III. 07 und 14. III. 07 erhielt es je 0,002 Sublimat intra¬
muskulär.
') Berl. med. Gesellsch., Sitzungsbericht v. 13. III. 07. Berl.
klin. Wochenschr. 1907, No. 12.
Von einem am 11. III. 07 sich zeigenden Furunkel des linken
Unterarms ausgehend entwickelte sich eine zirkumskripte, etwa zwei¬
markstückgrosse phlegmonöse Infiltration des Unterhautzellgewebes,
welche zu einer allgemeinen Sepsis führte.
Am 15. III. 07 wurden 1500 I.-E. Diphtherieheilserum No. 1150
in den rechten Oberschenkel injiziert.
Der Tod trat am 17. III. 07 ein.
Die Temperaturkurve des Kindes zeigte bis zum 13. März nor¬
malen fieberlosen Verlauf. An den beiden letzten Tagen trat Fieber
ein, dessen Höhepunkt 38,2 nicht überschritt.
Die am 18. März 1907 vorgenommene Autopsie ergab: Osteo¬
chondritis syphilitica an den Rippen, Splenitis interstitialis (syphi¬
litica), Bronchopneumonie der linken Lunge, partielle Atelektase bei¬
der Lungen, Enteritis.
Aus dem steril entnommenen Herzblut wurden im Pathologischen
Institut der Charitee Staphylokokken in Reinkultur gezüchtet.
Die erste mikroskopische Untersuchung des Bluts fand am
11. März statt, also 4 Tage nach der ersten Sublimatinjektion (von
0,002). Der Fingerbeere des linken Zeigefingers wurde nach sorg¬
fältiger Reinigung durch feinen Einstich in die gesunde Haut ein Bluts¬
tropfen entnommen. Es fanden sich ln demselben ca. 3—4 Spiro¬
chaetae pallidae, welche etwa 10—12 Windungen lang waren. Das
zuerst aufgefundene Exemplar hatte, als es ins Gesichtsfeld kam, beide
Enden so einander genähert, dass es einen rings geschlossenen Kreis
bildete. Während der Beobachtung streckte es sich schnellend und
machte ausser dauernden Drehbewegungen um die Längsachse ruck¬
weise ausgiebige seitliche Ausschläge mit beiden Enden. Es blieb
dann lange Zeit frei und legte sich erst nach Verlauf von ca. 6 Stun¬
den mit einem Ende an einen Erythrozyten an.
Die Blutuntersuchung wurde an 3 weiteren Tagen, am 13. (De¬
monstration der im Blut gefundenen Spirochäte lebend mit Dunkel¬
feldbeleuchtung in der Berl. med. Gesellschaft), 15. und 16. März
wiederholt, wobei jedesmal der Ort der Entnahme gewechselt wurde.
Es wurden stets vereinzelte Spirochäten lebend gefunden, selbst noch
in den etwa 36 Stunden vor dem Tode verfertigten Präparaten, nach¬
dem das Kind insgesamt 0,004 HgCL erhalten hatte. Eine geringe
Verminderung der Menge der Spirochäten war deutlich zu konsta¬
tieren, da an den letzten beiden Tagen nicht in allen, sondern zum
Teil erst im dritten untersuchten Präparat wenige Exemplare gefun¬
den wurden. Auch schienen die zuletzt wahrgenommenen weniger
beweglich zu sein, als die der vorausgegangenen Tage.
In der Leiche konnten in keinem Organ, auch nicht mehr im Blut,
mit keiner der bekannten Darstellungsmethoden weder im Ausstrich
noch im Schnitt Spirochäten nachgewiesen werden. Auf diesen merk¬
würdigen Befund komme ich später noch zurück.
Fall II, E. V., betrifft ein /4 Jahr altes Kind. Beide Eltern leiden
an Lues und zeigten, als das Kind am 21. März in die Universitäts-
Poliklinik kann, deutliche Erscheinungen ihrer Krankheit. Das Kind
hatte angeblich seit 8 Wochen Schnupfen und Ausschlag.
Die erste Untersuchung ergab deutliche klinische Zeichen von
kongenitaler Lues: makulo-papulöses Exanthem im Gesicht, am
Rumpf., an den Flachhänden und den Fussohlen, Korvza und Drüsen¬
schwellung. In den sofort in gleicher Weise wie bei Fall I angefertig¬
ten 4 Blutpräparaten fanden sich in jedem mehrere lebhaft bewegliche
Spirochaetae pallidae.
An demselben Tage Injektion von 0,001 HgCls und Ueberweisung
zwecks besserer Beobachtung in die Klinik. Aus äusseren Gründen
fand hier die Aufnahme erst nach 2 Tagen statt.
In keinem der vor mir sowohl am Aufnahmetage wie auch spä¬
ter täglich entnommenen zahlreichen Blutpräparaten wurden nunmehr
noch Spirochäten gefunden.
Die Krankheitserscheinungen, Koryza und Exanthem, gingen auf¬
fallend rasch zurück. Das Kind erhielt im Laufe der nächsten 14 Tage
noch weitere 2 Sublimatinjektionen und ist seitdem bis heute ohne
sichtbare Symptome seiner Lues geblieben.
Bei 3 anderen * *) von mir untersuchten Fällen von kongenitaler
Lues, bei welchen allerdings die Krankheitserscheinungen als sie zur
Beobachtung kamen, bereits zurückzugehen schienen, wurden nie
Spirochäten im kreisenden Blute von mir gefunden. Ebensowenig
war es mir bisher möglich, bei akouirierter Lues Erwachsener in
dem der Fingerbeere entnommenen Blut die Erreger lebend nach¬
zuweisen.
Dass in dem ersten Falle, W. S., die Syphilis durch die
hinzutretende Sepsis kompliziert war, ändert nichts an der Be¬
deutung des Spirochätenbefundes; wissen wir ja doch, dass bei
10) Uhlenhut h, Hoffmann und Roscher: Unter¬
suchungen über die Wirkung des Atoxyls auf die Syphilis. Schluss¬
bemerkung von Hoffmann. D. med. Wochenschr. 1907, No. 22.
1X) E. Le ss er: Vortrag, gehalten im Verein f. innere Medizin.
Sitzungsbericht vom 10. VI. 07. D. med. Wochenschr. 1907, No. 27,
p. 1079.
*) Anmerkung bei der Korrektur. Bei einem dritten
kongenital-syphilitischen Kind wurden ebenfalls 5 Tage vor dem
Tode Spirochaetae pallidae im Blute kreisend gefunden. Dieser Be¬
fund konnte post mortem durch Ausstriche von Organen des Kindes
(Leber etc.), in denen sich zahlreiche Pallidae fanden, bestätigt
werden.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1929
kongenitaler Lues nicht allzu selten dergleichen Komplikationen
vor dem Tode auftreten. Auch sind ja lange vor Beginn der
Sepsis die Spirochäten im Blut nachgewiesen worden.
Sehr merkwürdig ist es, dass in der Leiche keine Spiro-
chaete pallida gefunden . werden konnte; doch negative
Spirochätenbefunde bei sicher an Lues verstorbenen Kindern
sind bereits des öfteren beobachtet worden. Wie weit die
Therapie auf das schliessliche Verschwinden der Spirochäten
von Einfluss gewesen ist, ob die eingetretene Sepsis eine Auf¬
lösung derselben bewirkt hat, muss dahingestellt bleiben. Doch
beides ist ziemlich unwahrscheinlich, da kurz vor dem Tode
noch vereinzelte lebende Exemplare im Blut kreisend gefunden
werden konnten.
Anders im Fall II, E. V., wo das rasche Verschwinden
der Spirochäten aus dem kreisenden Blut, das dem schnellen
Rückgang der klinischen Symptome entsprach, wohl als Folge
der Sublimatwirkung anzusehen ist; erst weitere Beob¬
achtungen werden lehren, ob aus dem Verbleiben oder Ver¬
schwinden der Parasiten im Blut prognostische Schüsse ge¬
stattet sind 12).
Auffallend an den im Blut gefundenen Pallidae war die Art
ihrer Bewegung: Im Allgemeinen macht dieser Organismus
unter allen bekannten Spirochätenarten die geringsten Ortsver¬
änderungen. Während z. B. die Hühnerspirochäten, die Er¬
reger des Tick fever und die russische und amerikanische Re-
kurrens, ebenso wie die Spirochaetae refringentes und die
Mundspirochäten in schneller Rotation vorwärts gleiten oder
sich aalartig schnell durch das Gesichtsfeld schlängeln, so dass
es kaum möglich ist, ein einzelnes Exemplar längere Zeit zu
beobachten, bewegt sich die Pallida gewöhnlich nur langsam
von der Stelle. Selbst die ihr in Bezug auf die Bewegungen
am meisten ähnelnde Spirochaete dentium kommt etwas
schneller vom Platz.
W e s e n 1 1 i c h anders verhielten sich die im Blut ge¬
fundenen Pallidae, welche sich durch lebhaft schnellende seit¬
liche Ausschläge beider Enden und ruckweises Krümmen des
sonst weniger flexiblen Körpers bemerkbar machten. Noch
deutlicher war diese Bewegungsart bisweilen an anderen
Exemplaren desselben Organismus zu konstatieren, welche aus
der Tiefe eines Primäraffektes entstammten; sei es, dass das
Material von der Schnittfläche eines exzidierten Stückes oder
durch tiefes Kratzen von der Oberfläche entnommen war.
Ebenso verhielten sich auch die Spirochäten, welche wir lebend
in der mit Lues infizierten Tierkornea nachweisen konnten.
Ueber den Einfluss von Medikamenten auf die Spirochaete
pallidae will ich später ausführlich berichten. Hier möchte ich
nur erwähnen, dass ich gemeinsam mit Herrn Stabsarzt
Roscher13) Untersuchungen angestellt habe, wie lange sich
die Spirochäten bei mit Atoxyl behandelten Patienten nach¬
weisen lassen.
Es war möglich, im Reizserum nässender Papeln noch nach
Injektion von 3.6 g Atoxyl zahlreiche lebende Spirochaetae
pallidae zu finden; ebenso wurden aber auch nach Behandlung
mit 5 Sublimatdoppelspritzen, d. i. 0,1 HgCL positive Befunde
erhoben14). Ein direkter Einfluss des Atoxyls auf die Spiro¬
chäten bei Zusatz einer bis 1 proz. Lösung zum frischen Prä¬
parat war nicht zu konstatieren.
Einige Nebenbefunde, welche bei den Untersuchungen im
Dunkelfeld erhoben wurden, seien hier in Kürze mitgeceilt.
Neben den bereits bekannten lebhajt tanzenden, kleinen, zum
Teil ultramikroskopischen Körperchen, welche hauptsächlich
wohl als Zerfallsprodukte von Zellen15), Hämokonien, als feinste
Protoplasmaklümpchen aufzufassen sind, fanden sich im Blut
12) Vgl. Uhlenhut h, Hoffmann und Roscher: Unter¬
suchungen über die Wirkung des Atoxyls auf die Syphilis. Schluss¬
bemerkung Hoffmann s. D. med. Wochenschr. 1907, No. 22.
1S) Auf Veranlassung von Herrn Prof. Hoffmann.
14) F ü r e s z, Preis, Rona haben bei 17 unter 24 Kranken
während der Schmierkur noch nach 10 bis 55 Einreibungen zu aller¬
dings nur 3 g Ung. einer. Spirochaetae pallid. finden können. Ofen-
Pester Aerzteverein, Dermatol. Sektion, 17. XII. 06. — E. Füresz:
Ueber die Beziehungen der Spirochaete pallida zur antiluet'ischen Kur.
Med. Klinik, p. 1046, 1. IX. 07.
15) M ii h 1 e n s und Hartmann: Zur Kenntnis des Vakzine¬
erregers. Zentralbl. f. Balkteriol., I. Abt., Bd. XLI, H. 1.
No. 39.
zuweilen ausserordentlich zarte, sich wellenartig schlängelnde,
nur schwach lichtbrechende Fäden. Sie zeigen ganz glatte,
nicht gewundene Konturen, weshalb sie leicht von Spirochäten
unterschieden werden können. Die Enden des Fadens er¬
scheinen mit einem kugeligen oder bimförmigen Körperchen
besetzt, welches stärker lichbrechend als der Faden und auch
ein wenig dicker ist. Durch eine kleine Einschnürung ist im all¬
gemeinen das Endkörperchen deutlich vom Faden abgesetzt.
Der etwa K — K> ^ dicke Faden schwankt in seiner Länge zwi¬
schen 2 und 20 V. Von den Fibrinfäden, die gewöhnlich starr
sind und häufig weitmaschige, zusammenhängende Netze bil¬
den, unterscheiden sich diese Gebilde deutlich durch die flot¬
tierende Bewegung, wie auch durch etwas stärkeres Licht¬
brechungsvermögen.
W. Rosenthal, welcher im Hühnerblute ähnliche Fäden,
allerdings ohne die kugeligen Anhängegebilde beschrieben hat,**)
konnte dieselben im Menschenblut nie nachweisen. Bezüglich
anderer im Blut beobachteter Fadenbildungen und Literatur
verweise ich auf seine ausführliche Publikation 1<!). Im Men¬
schenblut ist dieser Befund anscheinend noch nicht beschrieben
worden. Was diese Fäden darstellen, wage ich noch nicht zu
entscheiden. Wahrscheinlich sind auch sie wie die kleinen
Körperchen Zerfallprodukte des Zellprotoplasmas.
Mit den Diploformen und den hantelförmigen Gebilden
haben besonders die kürzeren Fäden viel Aehnlichkeit, so dass
die Annahme nahe liegt, dass der Faden durch Ausziehen des
Mittelstückes entsteht. Ich fand diese Gebilde hauptsächlich
im Blut kranker Personen (Syphilis, Pemphigus etc.), auch im
üewebssaft von Karzinomen, im Reizserum von Primäraffek¬
ten etc., dem ja immer etwas Blut beigemengt ist.
Neben diesen fanden sich im Blut zuweilen noch andere
aus einer Reihe kettenartig aneinander gelagerter Kügelchen
gebildete Fäden, die sich ebenfalls wellenartig bewegten und
sich durch die Gliederung von den oben beschriebenen Fäden
unterschieden.
Abgesehen von diesen Nebenbefunden, welche ohne das
Dunkelfeld gar nicht oder nur zum Teil zu erkennen sind, haben
wir dasselbe also für die Beobachtung der lebenden Spiro¬
chaete pallida mit sehr gutem Erfolge benutzen können.
Welcher Modifikation man sich bedient, scheint nach den
günstigen Erfahrungen Landsteiners und Muchas
mit dem Spiegelkondensor unwesentlich zu sein. Uns hat sich
der Ze i s s sehe Apparat gut bewährt und ist uns bereits für die
schnelle Diagnose der Syphilis ein wertvolles Hilfsmittel ge¬
worden. Wie schon Herr Prof. Dr. E. Hof f man n in seinem
Referate auf dem IX. Kongress der Deutschen Dermatologi¬
schen Gesellschaft in Bern (cf. Nachtrag, p. 175) betont hat,
bedeutet die Untersuchung im Dunkelfeld einen wesentlichen
Fortschritt für die schnelle Prüfung frischer Präparate von
syphilitischen Sekreten und Gewebssäften, ebenso auch für das
Studium der Bewegungen der verschiedenen Spirochätenarten.
Aus dem Heiliggeist-Hospital (mediz. Abteilung) zu Frank¬
furt a. M.
Ueber die medikamentöse und lokale Behandlung der
akuten und chronischen rheumatischen und gonorrhoi¬
schen Gelenkerkrankungen.
Von Chefarzt Prof. Dr. G. Treupel.
Die Behandlung der akuten und chronischen Gelenkerkran¬
kungen „rheumatischen“ und anderen Ursprungs ist in den
letzten Jahren wiederholt zum Gegenstand teils kürzerer Mit¬
teilungen, teils ausführlicher monographischer Darstellung ge¬
macht worden. Wenn ich mir erlaube, auch über unsere Er¬
fahrungen hier kurz zu berichten, so folge ich dabei einer An¬
regung aus dem Zuhörerkreis meiner Fortbildungskurse, nach¬
dem sich die seit 4 Jahren von uns im Krankenhause plan-
mässig durchgeführte Behandlung auch draussen in der Praxis
bewährt hat.
**) A n m e ri u n g bei der Korrektur. S. H. F. M u 1 1 a I
beschreibt jüngst ähnliche Fadenbildungen im Hundeblut. 1 he Joui-
nal of Hygiene, April 1907, Vol. 7, No. 2, p. 233.
10) W. R o s e n t h a 1 : Beobachtungen am Hühnerblut etc. Fest¬
schrift für J. R o s e n t h a 1. Verlag Georg T h i e m e, Leipzig 1906.
1930
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Die Behandlung besteht in der systematischen und
konsequenten Darreichung von Salizylprä-
paraten in Verbindung mit lokaler Hyperämie.
Bei der grossen Zahl von Fällen, die wir im Spital jahraus
jahrein sehen, hatten wir reichlich Gelegenheit, den Wert ein¬
zelner Salizylpräparate und Antineuralgika und der ver¬
schiedenen Methoden lokaler hyperämisierender Behandlung
gegen einander abzuschätzen. Der folgenden Zusammen¬
fassung liegt ein Material von 529 Fällen aus den letzten
4 Jahren zu Grunde, über das wir ausführlichere Aufzeich¬
nungen und genau durchgeführte Kurven und Tabellen be¬
sitzen.
Die weitaus meisten dieser Fälle (471) betreffen den
akuten und subakuten Gelenkrheumatismus. Davon verliefen
4/s mit mehr weniger hohen Temperaturen im Anfang oder im
Rezidiv, nur Vs war afebril. Fast immer waren mehrere Ge¬
lenke mit deutlichen lokalen Erscheinungen (Rötung, Schwel¬
lung, Schmerzhaftigkeit) befallen, sehr häufig alte Herzklappen¬
fehler vorhanden, seltener kamen frische Endokardititen und
Komplikationen von seiten der serösen Häute zur Beobachtung.
Alle diese Fälle wurden mit Salizylpräparaten, innerlich
oder in Form der intravenösen Injektionen, und mit lokal hyper-
ämisierenden Methoden behandelt.
Was dabei die Salizyltherapie betrifft, so suchten wir stets
zunächst mit Natrium salicylicum auszukommen und
nur wenn dieses innerhalb der ersten 4—5 Tage vergeblich an¬
gewandt war D — auch als intravenöse Injektion — , gingen
wir zu anderen Salizylpräparaten über.
Zum Vergleich — soweit ein Vergleich bei einer so
wechselvollen und unberechenbaren Krankheit überhaupt mög¬
lich und zulässig ist — erhielten je 6 Fälle von vornherein
Aspirin, Phenazetin und ein uns neu zur Verfügung gestelltes
Salizylpräparat, das Azethylsalizylamid, das wir „Arthrisin“
nannten. Die durchschnittliche Krankheitsdauer betrug in
diesen 18 Fällen je 29 Tage. Das „Arthrisin“ hat sich dabei
ganz wirksam und gut bekömmlich gezeigt, doch glaube ich
nicht, dass seine Einführung berechtigt ist, da es meines Er¬
achtens keine w esentlichen Vorzüge vor den bereits be¬
kannten Präparaten hat. Auf Natrium salicylicum
reagierten prompt 295 Fälle (= 65 Proz.) mit einer durch¬
schnittlichen Krankheitsdauer von je 28 Tagen. Die Dar¬
reichung geschah meist so, dass in den ersten 2 Tagen 4—6 g
in 24 Stunden per os gegeben wurden und, sobald subjektive
und objektive Besserung eintrat, die Dosis auf 3 g in 24 Stun¬
den herabgesetzt und so lange beibehalten wurde, bis
dauernd Schmerzlosigkeit und normale Temperaturen er¬
zielt waren.
Dass man in dieser Weise das Salizylsäure Natrium
verwenden darf, haben wir in recht ausgedehnten Ver¬
suchsreihen festgestellt. H. Lüthje2) war der erste, der
systematisch die Wirkung der Salizylpräparate auf die
Harnwege geprüft und dabei gefunden hat, dass nach Gebrauch
des Salizyls in den für den Menschen üblichen Dosen regel¬
mässig eine nicht unerhebliche Reizung der ge¬
samten Harnwege, besonders auch der Nieren eintritt.
Nach diesen Ergebnissen musste man sich fragen, ob die Dar-
i eichung von Salizylpräparaten in hohen Tagesdosen und für
lange Zeit überhaupt vorteilhaft wäre. Wir haben daher im
Jahre 1903 die Lüthje sehen Befunde nachgeprüft, von vorn¬
herein aber die Fragestellung erweitert und ein Urteil über das
Verhalten des Harns bei normalen Mnschen und bei rheuma¬
tischen Erkrankungen — auch ohne Salizylbehandlung — zu
gewinnen versucht. Unsere Erfahrungen in dieser Beziehung
sind von C. Küeneberger und R. Oxenius3) veröffent¬
licht worden und ich kann nicht umhin, hier einiges aus dieser
Arbeit zu wiederholen, da mir neuerdings die Eigenschaft der
Salizylsäure als „N i e r e n g i f t“ überschätzt zu werden
scheint.
Schon im normalen Harn finden sich bei genügend
sorgfältiger Sedimentierung (Zentrifugierung mit hoher Touren-
P Nicht vertragen, so dass regelmässig Erbrechen auftrat,
wurde das Natr. salicylic. überhaupt nur in 1 Fall.
2) H. Lüthje: Ueber die Wirkung von Salizylpräparaten auf
die Harnwege usw. D. Archiv f. klin. Med., Bd. 74, S. 163, Jahrg. 1902.
zahl) sämtliche Elemente der Nieren und Harn¬
wege in vereinzelten Exemplaren. Reichlicher wird
dieser Befund und vergesellschaftet sich mit Albuminurie in
der Mehrzahl der Fälle bei fieberhaften rheuma¬
tischen Erkrankungen ohne Salizylbehandlung.
Dieser desquamative Katarrh der gesamten
H a r n w e g e, bezw. die „toxische Nephritis“ tritt auch b e i
Salizyl Darreichung als zweifellose Folge der
Salizyl Wirkung auf. Aber — und das ist für unser
heutiges Thema das Wichtige — diese desquamativen
Katarrhe heilen unter fortdauerndem Salizyl-
gebrauch aus. Konnten wir also auf der einen Seite die
Lüthje sehen Befunde bestätigen, so durften wir doch
andererseits aus unseren weiteren Untersuchungen die Be¬
rechtigung der Salizyltherapie und zwar einer
konsequent durchgeführten beim Gelenkrheumatismus ableiten.
Zu einer ähnlichen Auffassung ist auch Th. Brugsch4) ge¬
kommen, der die im Altonaer Krankenhause gemachten Er¬
fahrungen mitgeteilt hat. Er hält die Nierenschädigung für eine
bedingte, die durch bestimmte Darreichungsverfahren (hohe
IJosen nur so lange, als unbedingt nötig; weiterhin 3 g als
I agesdose und gleichzeitige Steigerung der Diaphorese) ver¬
mieden werden könne.
Wir haben auch fernerhin stets auf das Verhalten des Harns
bei Salizylgebrauch sorgfältig geachtet und uns überzeugt, dass
unsere damaligen Angaben zutreffend sind und dass von einer
eigentlichen S c h ä d i g u n g der Nieren oder irgend einem
bleibenden Nachteil beim Salizylgebrauch nicht die Rede
sein kann. Selbst bei chronischen Nephritiden haben wir, wenn
eine Polyarthritis hinzutrat, die Salizyltherapie mit Vorteil ver¬
wandt und konnten feststellen, dass die bei der Aufnahme
relativ schweren Erscheinungen, soweit sie sich im Harnbefund
spiegelten, unter der Salizylbehandlung zurückgingen.
In all den Fällen akuter und subakuter Polyarthritis
rheumatica, die auf das Natrium salicylicum in den
ersten 5 Tagen nicht prompt reagierten — es sind das im
ganzen 158 (= 35 Proz.), die im allgemeinen hartnäckigeren
und nur zum kleinsten T eil fieberfreien — kamen m e h r e r e
Medikamente nacheinander zur Anwendung. Jedes
einzelne wurde aber mindestens 4—5 Tage gegeben. Bis¬
weilen wurde im weiteren Verlauf der Behandlung auch wieder
auf eines der früher erfolglos gegebenen zurückgegriffen
und es hat sich dabei gezeigt, dass manches vorher wirkungs¬
lose Präparat im späteren Verlauf von prompter Wirkung auf
die Temperatur und die lokalen Erscheinungen war.
So haben wir Natrium salicylicum und Aspirin
in 102 (von den 158) Fällen bei einer durchschnittlichen Krank¬
heitsdauer von 44 Tagen verwandt. Die beiden Medikamente
haben sich dabei so ziemlich die Wage gehalten, 5 mal aber
schlugen sie zu gunsten des Natr. salicylicum und 12 mal zu
gunsten des Aspirins aus.
Natrium salicylicum und Phenazetin kamen
m 10 Fällen mit durchschnittlich 43 Tagen Krankheitsdauer,
Natrium salicylicum und „Arthrisin“ ebenfalls in
10 Fällen mit durchschnittlich 41 Krankheitstagen, Natrium
salicylicum, Aspirin undPhenazetin in 26 Fällen
mit durchschnittlich 56 Tagen und endlich Natrium sali¬
cylicum, Aspirin, Phenazetin und Arthrisin in
10 Fällen mit durchschnittlich 60 Tagen zur Verwendung. Wir
haben auch gelegentlich in besonders verzweifelten Fällen
Acidum salicylic um und neuerdings das Salizylsäure
Phenetidin 5), ein bis jetzt noch nicht eingeführtes Präparat, in
Einzeldosen von 0,3— 0,5 g mit Vorteil gegeben. Durchaus
empfehlenswert ist auch die Kombination mehrerer Mittel,
z. B. Phenazetin + Aspirin aa 0,5 mit oder ohne Zusatz von
0,02 Codein. phosph.
Wie bereits erwähnt, ging nun in allen 471 Fällen neben
der allgemein medikamentösen Behandlung eine Lokal¬
behandlung der befallenen Gelenke einher. Diese bestand vor
3) C. Küeneberger und R. Oxenius: Ueber Urine und
Urinsedimente bei normalen Personen, bei rheumatischen Erkran¬
kungen und nach der Einwirkungen von Salizylpräparaten. D Archiv
f. klin. Med., Bd. 80, S. 225, Jahrg. 1904.
4) Th. B r u g s c h: Salizyltherapie und Nieren, Therapie d.
Gegenwart 1904, S. 58.
24. September 190!?.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1931
allem in der R u h i g s t e 1 1 u n g der Gelenke und in der Er¬
zeugung einer lokalen Hyperämie.
Ich halte die Ruhigstellung des geschwollenen und
schmerzhaften Gelenks für die allernötigste und wichtigste
Massnahme und ich stimme F. F r a n k e °) durchaus bei, wenn
er die Scheu vor „zu langer Immobilisierung“ als unberechtigt
ansieht. An sich ist ja der Kranke schon durch die Schmerzen
gezwungen, sich so ruhig wie möglich zu halten, aber diese
reflektorisch und willkürlich veranlasste Fixierung genügt
nicht, sondern es müssen die Gelenke jeweils in der Stellung,
die dem Patienten am erträglichsten erscheint, durch einen
Verband mit Wattepolsterung vor jeder Bewegung und jedem
Druck geschützt werden. Am einfachsten ist die mit
Binden zusammen gehaltene Watteeinwick-
1 u n g der befallenen Gelenke. Es ist das auch gleichzeitig
die einfachste Art, eine lokale Hyperämie zu erzeugen. Wir
sind damit in 198 Fällen ausgekommen. Im übrigen kamen
Heissluft, Stauung, heisse Sandsäcke und Verbände nach Appli¬
kation von Mesotan, Ichthyolvasogen, Kampher-, Formol-,
Enzian-Spiritus, Chloroformöl und Jodpinselungen zur ver¬
gleichenden systematischen Anwendung.
Von all diesen Massnahmen haben sich die Stauungs¬
und Heissluftbehandlung am besten bewährt. Die
Stauung ist für die hartnäckigeren und leicht rezidivieren¬
den akuten Fälle die beste Art lokaler Behandlung. Leider ist
sie an dem Schulter- und Hüftgelenk nicht anwendbar. Hier
haben wir der Heissluftbehandlung den Vorzug gegeben. Sonst
aber kam sie in den akuten und subakuten Fällen in den letzten
Jahren stets und mit dem besten Erfolg zur Verwendung. An¬
fangs haben wir bis zu 6 und 8 Stunden lang gestaut, in der
letzten Zeit jeweils 2 — 4 Stunden und das täglich wiederholt.
Die Stauungsbinde ist so anzulegen, dass heisse rote
Stauung eintritt, was stets im Verlauf der ersten halben
Stunde kontrolliert werden sollte.
Was die Stauung beim akuten Gelenkrheumatismus zu
leisten vermag, das hat neuerdings G. Klemperer5 6 7) gezeigt,
der mit Stauung allein (ohneSalizyl) 70 Proz.
seiner Fälle zur Heilung gebracht hat. Alles was Klemperer
in seiner Mitteilung, die auch die hierhergehörige Literatur be¬
rücksichtigt, Gutes von der Stauung zu sagen weiss, kann ich
bestätigen. Wenn ich trotzdem an der Kombination von
Salizylbehandlung und Stauung im akuten Falle festhalte, so
darf ich dafür wohl folgende Gründe anführen.
Das „im Sinne E h r 1 i c h s ätiotropische Heilmittel“ des
akuten Gelenkrheumatismus wäre unter der Annahme, dass der
akute Gelenkrheumatismus die Folge einer wie immer ge¬
arteten Streptokokkeninfektion darstellt, wohl die Anwendung
eines Antistreptokokkenserums. Unsere Erfah¬
rungen in dieser Beziehung sind nun keineswegs ermutigend
und ich möchte hier nur einen Fall kurz anführen, der mir die
ernsten Nebenwirkungen und Gefahren in der Anwendung des
Serums gerade bei der Polyarthritis zu illustrieren scheint.
Unsere 31 jährige Badefrau erkrankte nach vorausgegangener
Angina Mitte Januar 1907 an schwerer akuter Polyarthritis mit frischer
Endokarditis. Sie wurde in der angegebenen Weise mit Na. sali-
cylicum, Aspirin und salizylsaurem Phenetidin behandelt, wobei die
Qelenkerscheinungen bald, die Temperatur nur ganz allmählich zurück¬
ging. Als anfangs April ein erneutes, stark remittierendes Fieber zu¬
nächst ohne neuen objektiven Befund auftrat, das sich gegenüber den
Antipyreticis sehr refraktär verhielt, entschlossen wir uns ein von den
Höchster Farbwerken geliefertes Antistreptokokkenserum zu in¬
jizieren, um so mehr, als eine deutliche Milzschwellung uns auf den
septischen Charakter der Erkrankung hinzuweisen schien.
So erhielt die Pat. am 13. IV. 07 25 ccm des Serums zu 200 I.-E.
am rechten Oberschenkel und 18. IV. 07 25 ccm zu 500 I.-E. am linken
Oberschenkel unter allen Kautelen subkutan einverleibt. Am 22. IV.
— also 9 Tage nach der ersten und 4 Tage nach der zweiten Injek¬
tion — trat eine erysipelatöse Rötung und Schwellung
um die Einstichstelle rechts, am 23. auch links auf, die sich rasch nach
oben und unten ausdehnten. Am 25. IV. kleine, leicht er¬
habene, dem Erythema nodosum ganz ähnliche rote
5) Von diesem Präparat, das bereits v. M e r i n g, Therap. Mo-
natsh. 1893, S. 581, erwähnt, haben wir bis jetzt ca. 600 Einzeldosen
ohne Nebenwirkungen verabreicht.
6) F. Franke: Diagnose und Behandlung der chronischen Ge-
lenkenkrankungen. D. med. Wochenschr. 1907, No. 29 u. ff.
7) Q. Klemperer: Zur Behandlung des akuten Gelenkrheuma¬
tismus. Therapie der Gegenwart 1907, S. 255.
Flecken am Rücken und am 27. IV. unter gleichzeiti¬
ger erheblicher Verschlimmerung des Allgemein¬
befindens schmerzhafte teigige Schwellung der
Han di- und Fuss gelenke, aller Fingergelenke und
um schrie bene Rötung der Haut über den betroffenen Ge¬
lenken. Das hohe, stark remittierende Fieber wurde in keiner Weise
durch die Injektionen beeinflusst. Die Störung des Allgemeinbefin¬
dens, die Gelenkaffektionen und die lokale Rötung gingen in den näch¬
sten Tagen allmählich zurück.
Die erysipelartigen, zum Teil recht ausgedehnten Rötungen
und Schwellungen in der Umgebung der Einstichstellen haben
wir auch sonst einige Tage nach der Injektion dieser Sera
beobachtet. Besonders bemerkenswert aber ist in diesem Falle
der Erythema no d o s u m - artige Ausschlag und die
multiple Lokalisation an den Gelenken, die sich
von denen bei der vorausgegangenen Polyarthritis nicht unter¬
schieden.
Ich glaube, dass derartige Erfahrungen zu rechter Vorsicht
mahnen und wenn ich auch gern zugeben will, dass bei ganz
schweren septischen Infektionen mit an sich trüber Prognose
die Anwendung der Sera durchaus gerechtfertigt ist8) — wir
selbst wenden die Sera in solchen Fällen an — , so möchte ich
doch vorläufig bei der Polyarthritis darauf verzichten.
Nun besteht aber meines Erachtens bei der Polyarthritis¬
infektion mit ihren mannigfachen Lokalisationen an den serösen
Häuten und dem Endo- und Myokard das Bedürfnis nach einer
Behandlung nicht nur lokaler, sondern allgemein bak¬
terizider Art. Und gerade diese beiden, namentlich
auch die letztere Indikation, erfüllt zweifellos die Salizylsäure,
wobei ihre Nebenwirkung auf die Harnwege und Nieren, wie
oben ausgeführt, nicht zu hoch angeschlagen werden darf.
Wenn nach den Untersuchungen M. Jacobys9) das Blut
der mit Salizylsäure behandelten, streptokokkeninfizierten
Tiere den relativ höchsten Gehalt an Salizylsäure
aufweist, so wird sie ihre bakterizide Wirkung nicht nur in
der Umgebung der hyperämisierten Gelenke, sondern überall
und namentlich auch im Bereich des Endokards der Klappen
sehr wohl entfalten können. Will man die Salizylsäure nicht
als „spezifisches“ Mittel beim Gelenkrheumatismus bezeichnen,
so spricht die tausendfältige Erfahrung seit ihrer allgemeinen
Einführung in die Behandlung der Polyarthritis — man arbeite
nur die früheren Krankengeschichten aus der salizyllosen Zeit
einmal durch — dafür, dass sie bis jetzt noch das souveräne
Mittel ist. So sehr ich auch die Stauungsbehandlung beim
akuten und subakuten Gelenkrheumatismus, besonders
den häufigeren mit keinem oder nur geringen Fieber einher¬
gehenden Rezidiven an den Gelenken schätzen gelernt habe,
so möchte ich doch davor warnen, im Vertrauen auf sie allein
die bewährte Salizylbehandlung aufzugeben.
In allen mehr chronischen Fällen oder dann, wenn
nach verhältnismässig raschem Rückgang der übrigen lokalen
Erscheinungen e i n Gelenk noch sehr lang — oft wochenlang —
geschwollen und schmerzhaft bleibt, haben wir die S t a u u n g
und heisse Luft abwechselnd mit sehr gutem Resultat ver¬
wandt. Besonders die Schmerzhaftigkeit lässt unter
dieser Behandlung bald so sehr nach, dass man verhältnis¬
mässig rasch mit Massage an das Gelenk herankann. So¬
bald durch diese Massnahmen die ergriffenen Gelenke so
frei von Schmerzhaftigkeit und Schwellung geworden waren,
dass passive Bewegung innerhalb gewisser Grenzen möglich
war, gingen wir zur B ä d e r behandlung über. Im warmen
Bad lassen wir auch zunächst die aktiven Bewegungen aus¬
führen.
Stauung, heisse Luft, später Massage und
Bäder sind auch — neben der Beseitigung des Grundleidens
— das Hauptrüstzeug in der Behandlung der Polyarthritis
und Monarthritis gonorrhoica. Die meist überaus schmerz¬
haften und sich recht häufig vorwiegend in einem Gelenk
besonders stark und lang lokalisierenden Erkrankungen bei
Gonorrhöe — ebenso wie bei Influenza, Scharlach, Pneumonie
und gelegentlich auch beim Abdominaltyphus — , deren wir im
8) Vergl. hierzu die günstigen Erfahrungen Schwerins (D.
med. Wochenschr. 1906, No. 46).
9) M. Jacoby: Ueber die Verteilung der Salizylsäure bei nor¬
malen und infizierten Tieren. Hofmeisters Beitr. z. ehern. Phys. u
Pathol., Bd. VII, S. 514.
3*
1932
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
ganzen 12 in den letzten 4 Jahren zu behandeln Gelegenheit
hatten, erfordern viel Geduld und Ausdauer von seiten des
Patienten und Arztes, die aber auch fast stets mit einem voll¬
ständigen Heilerfolg belohnt werden.
Dieser letztere bleibt uns leider versagt in den traurigen
Fällen des chronischen Gelenkrheumatismus, einerlei in
welcher Form er auftritt. Sowohl der primär e, fast stets
fieberlose chronische Gelenkrheumatismus, der polyartikulär,
meist symmetrisch an den kleinen Gelenken beginnend, zur
langsam fortschreitenden Versteifung und schliesslich durch
Aufzehrung der Knorpel, Schwund und Abschleifung an den
Knochen zur c h r o n. deformierenden Arthritis
führt, als auch der sekundäre chronische Gelenkrheuma¬
tismus, der, aus dem akuten infolge vielfacher Nachschübe ent¬
standen, entweder mit chron. Hydrops einhergeht oder häufiger
als „fibröse r“ Rheumatismus die allmähliche Verstei¬
fung der Gelenke (Arthritis ankylopoetica)
veranlasst, sind beide nicht mehr heilbar. Doch kann auch hier
durch die lokale Behandlung mit heisser Luft, Massage und
Bädern vorübergehend Stillstand und Besserung erzielt werden.
Diese haben wir denn auch — allerdings nach monatelanger
systematischer Behandlung — in den sämtlichen 46 Fällen, die
ich dieser Arbeit mit zu Grunde gelegt habe, erreicht.
Aber gerade auch hierbei hat uns die Salizylthe-
r a p i e — besonders auch in der Form der intravenösen In¬
jektionen nach F. Mendel lu) — zur Bekämpfung der oft
schwer zu ertragenden und aufreibenden Schmerzen
die besten Dienste geleistet.
Dass neben der medikamentösen und lokalen Behandlung,
denen hauptsächlich diese Zeilen galten, auch eine allgemeine
diätetische Behandlung einherzugehen hat, versteht sich
von selbst. In dieser Beziehung möchte ich nur betonen, dass
nach meinen Erfahrungen die Älkoholabstinenz allen
„Rheumatikern“ von wesentlichem Nutzen ist.
Aus der Grossh. Dermatologischen Universitätsklinik zu Frei¬
burg i. B. (Direktor: Prof. E. J a c o b i).
Ein Einreiber zur raschen Ausführung der Schmierkur
mit Hand- oder Motorbetrieb.
Von Prof. E. J a c o b i.
Trotz aller Verbesserungen in der Darreichung des Hg
ist die Schmierkur heute noch fast unbestritten als die beste
Behandlungsmethode der Syphilis anzusehen, und auch die
Injektionen gelöster und ungelöster Hg-Salze, so vorteilhaft sie
in vielen Fällen sein mögen, haben es nicht vermocht, die
Schmierkur, wie sie nach Sigmunds Vorgang ausgeführt
wird, zu verdrängen. Leider haften dieser Methode noch
immer eine Anzahl Mängel an, deren Beseitigung bisher nicht
gelungen ist. Vor allen Dingen wird die Unsicherheit der Wir¬
kung zum Vorwurf gemacht, besonders wenn die Patienten die
Einreibungen selbst machen, was ja von vielen Syphilo-
therapeuten den Einreibungen durch Masseure etc. vorgezogen
wird. Ueble Erfahrungen, die wir nicht etwa nur an leicht¬
sinnigen jungen Leuten, sondern auch bei gewissenhaften zu¬
verlässigen Patienten gemacht haben, veranlassten uns, wenn
es die Verhältnisse irgenwie gestatteten, die Ausführung der
Einreibung durch einen geübten Heildiener vornehmen zu
lassen. Um nun einerseits diesen Masseur vor einer unbeab¬
sichtigten, allzu starken Merkurialisierung zu schützen,
andererseits aber, um sicher zu sein, dass die gesamte Salben-
menge tatsächlich auf die Haut des Patienten gelangt und nicht
durch die Hände des Einreibenden wieder abgewischt wird,
verwenden wir seit Jahren ein Instrument, einen Einreiber
(Fig. 1), der sich uns sehr gut bewährt hat.
Derselbe besteht aus einem pilzförmigen Holzgestell, das voll¬
ständig mit einer elastischen, säurefesten, glattpolierten Masse, wie
sie zur Herstellung der elastischen französischen Bougies und Kathe¬
ter benutzt wird, überzogen ist. Die etwa 8 cm breite Reibefläche ist
unter dem Ueberzug gepolstert und hat etwa dieselbe Konsistenz
wie der Handteller, an dessen Stelle ja das Instrument treten soll.
In Fällen, wo die Patienten selbst einreiben, wird ein Reiber mit recht-
10) Tlierap. Monatsh. 1904 u. Münch, med. Wochenschr. 1905,
S. 165.
winklig abgebogenem und verlängertem Stiel benützt (Fig. 2), mit
dessen Hilfe auch der Rücken eingerieben werden kann.
Gegenüber den von anderen Autoren empfohlenen Reibern
aus Glas, Leder oder Kautschuk hat das von mir verwandte
Instrument den Vorteil, dass es weich ist, wie die menschliche
Hand, also beim Reiben keine Schmerzen verursacht, dass es
leicht zu reinigen und zu sterilisieren ist, dass keine Salbe ver¬
loren geht und dass es schliesslich unverwüstlich ist.
Um die Dauer der einzelnen Einreibungen abzukürzen,
andererseits um die Kräfte des Masseurs zu schonen, gleich¬
wohl aber ein sehr intensives Einreiben zu garantieren, habe
ich seit langem meinen Reiber mit einem Elektromotor1) in
Verbindung gebracht. Anfänglich verwendete ich dabei ein
Handstück, das die drehende Bewegung der Welle in eine hori¬
zontale, sägende umwandelte; durch Herrn F. Klingel-
f u s s in Basel wurde mir dann später ein Handgriff konstruiert,
mit dessen Hilfe richtige Reibebewegungen ausgeführt werden.
Das Instrumentarium hat jetzt folgende Gestalt (Fig. 3):
Der Gleichstrommotor von Hs P.S. mit einer Umdrehungs¬
anzahl von 2400 pro Minute ist mit einer biegsamen Welle ver¬
bunden, die in einem Handstück in Gestalt einer handlichen
Dose endigt, in deren Mitte das abgekröpfte Heft des Reibers
befestigt ist. Durch diese Anordnung wird bewirkt, dass der
Reiber dieselben Bewegungen macht, wie die Hand beim Ein¬
reiben. Um mit dem schwachen Motor einen grösseren Druck
ausüben zu können und um die, bei der sehr raschen Reibe-
bewegung allzugrosse Erwärmung der Haut zu vermeiden,
wird die Zahl der Bewegungen durch das F. Klingelfuss-
sche Handstück 2) auf etwa 800 in der Minute reduziert, doch
lässt sich durch Einschaltung eines Widerstandes die Schnellig¬
keit nach Belieben regulieren. Das ganze Instrumentarium
ist klein und handlich; auch lässt sich jeder vorhandene Elektro¬
motor mit der Einrichtung zum Einreiben versehen/
Zur Ausführung der Schmierkur mittels des elektrischen
Reibers eignet sich jede nicht zu feste graue Salbe — wir
verwenden meist das Ungt. Hg einer, c. Resorbino, das von
weicher Konsistenz ist und sich sehr leicht einreiben lässt.
Die Vorteile der Einrichtung liegen auf der Hand! Zu¬
nächst wird jede Einreibung in etwa A — Vs der sonst erforder¬
lichen Zeit ausgeführt werden können: während man im allge¬
meinen etwa 5 Minuten zum gründlichen Verreiben eines Gram¬
mes Salbe gebraucht, lässt sich mit dem Elektromotor eine
Einreibung von 3—4 g in ebenso viel Minuten ausführen. Die
Einreibung wird viel energisch'er und sorgfältiger gemacht
werden, da die einreibende Person sich nicht anzustrengen
braucht, um eine gründliche Verreibung zu erzielen; dem-
V Die Verwendung der Vibrationsmassage zur Ausführung der
Schmierkuren hat bereits Ledermann im Jahre 1904 (Dr. R. L e -
der mann: Ueber die Verwendung der Vibrationsmassage zur Aus¬
führung der Schmierkur. Deutsche med. Wochenschr. 1904, No. 42,
pag. 1539) empfohlen, doch handelt es sich dabei nicht um ein wirk¬
liches Ein r e i b e n. L. setzt sein Verfahren auch mehr mit den Ein¬
klatschungen in Parallele.
2) Der Reiber, sowie das Handstück dazu sind gesetzlich ge¬
schützt ; Gebrauchsmusterschutz.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1933
gemäss wird eine Person viel mehr Kranke bedienen können,
als bei Einreibung mit der Hand. Dass schliesslich die starke
Hyperämie, die auf den mit dem Motor eingeriebenen Hant-
partien entsteht, die Resorption, mag sie nun auf dem Wege
von Einatmung oder durch die Haut erfolgen, sehr begünstigt,
ist wohl selbstverständlich. Demgemäss sind auch die Re¬
sultate, die wir bei der Ausführung der Schmierkur mittels
des Motoreinreibers erzielen, mindestens ebenso gute, wie bei
den Einreibungen mit der Hand, und ich habe den Eindruck,
dass die Hg-Wirkung auffällig rasch und sicher eintritt. Die
Ersparnis an Zeit und Arbeitskraft ist, wenigstens in einem
ausgedehnten Betrieb, nicht zu unterschätzen.
A n me rk u n g. Der Reiber für sich allein, sowie in Verbindung
mit dem Elektromotor wird von dem Instrumentenfabrikanten F.
Rosset in Freiburg i. B., sowie von F. K 1 i n g e 1 f u s s & Co.
in Basel geliefert.
Aus dem städtischen Krankenhause am Friedrichshain in Berlin.
Ein Fall von Kreosotalvergiftung.
Von E. Stadelmann und H. Boruttau.
Wir haben an anderer Stelle1) über einen Fall von Vergiftung
mit Kreosot berichtet; die ausführliche Untersuchung des Ver-
giftungs- und Ausscheidungsmechanismus hatte weitgehende
Analogien zur Phenol- und insbesondere der jetzt so häufigen
Lysolvergiftung ergeben. Wir hatten darum einen Bericht über
die Ausscheidungsverhältnisse bei einigen Fällen von Lysol¬
vergiftung aus dem hiesigen Krankenhause angeschlossen,
nebst Besprechung einiger durch die neuere Literatur über
diesen Gegenstand dem Interesse besonders nahegerückter
Punkte.
Wir haben inzwischen Gelegenheit gehabt, einen Fall von
Vergiftung mit Kreosotal zu beobachten und näher zu unter¬
suchen, welcher ein Unikum zu sein scheint; wir haben in der
Literatur einen solchen nicht gefunden.
Kreosotal = Kreosotum carbonicum wird bekanntlich bei
Tuberkulose an Stelle von Kreosot und Guajakol gegeben.
Sein besonderer Vorzug besteht in dem Fehlen von örtlichen
Reizerscheinungen. Es ist eine honigartige, zähflüssige; klare,
leicht gelbe Masse und kann pur gegeben werden, in Dosen
von 1 — 3 Theelöffeln pro die, d. h. 5 — 15,0. Dass es in grossen
Dosen giftig wirken kann, lehrt die folgende Beobachtung.
Frau D. S., 36 Jahre alt, hat am 22. IV. 07 gegen 2 Uhr nach¬
mittags nach dem Mittagessen ca. 25 g Kreosotal, angeblich infolge
einer Verwechslung mit Rizinusöl, getrunken. Pat. litt an Erschei¬
nungen von Tuberkulose (Husten, Auswurf, Nachtschweisse, Ge¬
wichtsabnahme). Gegen diese war ihr ärztlicherseits als Medikament
Kreosotal verordnet. Die weitere Familienanamnese bei der Pat.,
die 12 mal geboren hat, ist belanglos.
Nach dem Hinunterschlucken des Kreosotais wurde Pat. be¬
sinnungslos und wurde so von ihren Angehörigen aufgefunden. Ein
sofort herbeigerufener Arzt gab Cuprum. sulfuric. (augenscheinlich als
Brechmittel) und veranlasste ihre sofortige Ueberfiihrung ins Kran¬
kenhaus. Um 3 Uhr 30 Min. wurde Pat. auf die Station eingeliefert,
die Flasche mit Kreosotal, welches bekanntlich sehr wenig nach Kreo¬
sot riecht, wurde mitgebracht. Pat. ist benommen und reagiert nicht
auf Anrufen. Der Puls ist regelmässig und etwas beschleunigt. Die
Temperatur ist normal und blieb es auch bis zur Genesung und Ent¬
lassung der Pat. Die Atmung ist frei, die Reflexe (speziell die Pupil¬
lenreaktion) sind erhalten. Sichtbare Verätzungen sind nicht vor¬
handen. Ein mässig starker Geruch von Kreosot geht von ihr aus.
Es wird sofort eine Magenspülung vorgenommen. Nach Einführen
des Magenschlauches erbricht Frau S. schleimige, schwach nach Kreo¬
sot riechende Massen. Die Spülung wird bis zur völligen Geruch¬
losigkeit des abfliessenden Spülwassers fortgesetzt (20 Liter Spül¬
flüssigkeit). Während der Magenspülung kehrt das Bewusstsein zu¬
rück, so dass Pat. eigene Angaben machen kann. Atmung und Puls
bleiben regelmässig. Gegen 5 Uhr beginnt Frau S. wieder zu er¬
brechen. Das Erbrochene besteht jetzt in einer duniklen, schmutzig-
grünen Flüssigkeit von sehr intensivem Kreosotgeruch. Die Flüssig¬
keit ist schwach sanguinolent. Nachdem noch mehrfach Erbrechen
der gleichen Art erfolgt ist, wird gegen 6Vs Uhr eine neue Magen¬
spülung vorgenommen. Das Spülwasser hat jetzt, obgleich die erste
Spülung erst abgebrochen war, als das Spülwasser jeden Kreosot¬
geruch verloren hate, einen starken Kreosotgeruch und ist deutlich
sanguinolent. Die Spülung wird daher unter geringem Druck mit
leichtem Heben und Senken des He gar sehen Trichters vorge-
nommen und wieder bis zum vollkommenen Verschwinden des Ge¬
ruchs nach Kreosot fortgesetzt.
Nach der zweiten Spülung bleibt das Erbrechen fort. Die Pat.
fühlt sich, abgesehen von heftigen Magenschmerzen, wohl. Der im
Laufe des Tages entleerte Urin ist schwarzgriinllich, eiweissfrei, riecht
nicht nach Kreosot und hat genau das Aussehen, wie der nach inten¬
siver Lysol Vergiftung ausgeschiedene Harn zu sein pflegt.
Innerhalb von 2 Tagen, in denen nur Eismilch gereicht wurde,
sind die Magenbeschwerden gesdhwunden und ist vollkommenes
Wohlbefinden aufgetreten.
Der am 1. Tage entleerte Harn enthält weder Blut noch Eiweiss
und Zucker, er ist, wie erwähnt, geruchlos, dagegen tritt nach Kochen
mit Salzsäure intensiver Kreosotgeruch auf.
25. IV. Magenschmerzen geschwunden, vollkommenes Wohl¬
befinden, Sputum schleimig-eitrig, ohne Tuberkelbazillen. Stuhlgang
von normaler Farbe und Konsistenz, riecht nicht nach Kreosot, Blut¬
probe negativ (W e b e r sehe Probe).
27. IV. Ungestörte Rekonvaleszenz; im Urin, der sonst voll¬
kommen normal aussieht, beim Kochen mit Salzsäure immer noch
leichter Kreosotgeruch.
30. IV. Pat. auf Wunsch entlassen.
An die mitgeteilte kurze Krankengeschichte haben wir nur
wenige Bemerkungen anzuschliessen.
Eine Frau von 36 Jahren nimmt versehentlich ca. 25 g
Kreosotal, ungemischt und auf einmal, bald nachher verliert sie
das Bewusstsein. Beim Magenausspületi, das sehr ergiebig
und 1K> Stunden nach der Intoxikation ausgeführt wird, erhält
man eine sehr schwach nach Kreosot riechende Flüssigkeit,
ohne weitere Besonderheiten. Die letzte Spülflüssigkeit ist
geruchlos. Während der Spülung erholt sich die Kranke und
bekommt das Sensorium wieder. Nach weiteren 1 — 1 U Stun¬
den Erbrechen einer sanguinolenten, stark nach Kreosot
riechenden Flüssigkeit, die blutig ist. Dieselbe Flüssigkeit wird
bei der erneuten Magenspülung, die wiederum bis zur Geruch¬
losigkeit des Spülwassers durchgeführt wird, erhalten. Danach
heftige Magenschmerzen, die nach ca. 48 Stunden ge.schwunden
sind. Darauf ungestörte Rekonvaleszenz.
Diese Krankheitserscheinungen sind augenscheinlich fol-
genderinassen zu erklären. Nach der genossenen grossen
Dosis Kreosotal findet, rasche Resorption derselben aus dem
Magen statt, dies führt zur Giftwirkung und Bewusstlosigkeit.
Reizerscheinungen hat das Kreosotal weder im Munde noch im
Magen ausgeübt; letzteres wird durch das Verhalten der Spül¬
flüssigkeit bewiesen, durch welche auch alle noch nicht aus dem
Magen resorbierten Kreosotalmengen entfernt werden. Von
den in den Körper aufgenommenen Mengen von Kreosotal
werden nun zweifellos mehr minder grosse Mengen von den
Magendrüsenwänden, und zwar als Kreosot, ausgeschieden.
Dies wird bewiesen durch das Erbrechen bluthaltiger und stark
nach Kreosot riechender Mengen, die zirka 3 Stunden nach
der Intoxikation erbrochen und bei einer neuen Magenspülung
erhalten werden.
Demnach darf man wohl den Schluss ziehen, dass Kreosotal
nicht so unschuldig ist als man bisher geglaubt hat. Zweifel¬
los machen die in der ärztlichen Praxis verordneten kleinen
Dosen von Kreosotal (1 — 3X5,0) keine Vergiftungserschei¬
nungen, immerhin aber hat man damit zu rechnen, dass ver¬
schieden grosse und unmessbare Mengen von Kreosot aus dem
in den Körper aufgenommenen Kreosotal abgespalten und in
den Magen hinein sezerniert werden, die dann dort die be¬
kannte Aetzwirkung des Kreosots ausiiben. Man muss daher
auf Grund der vorliegenden Erfahrung bei der von uns beob¬
achteten Vergiftung zur Vorsicht bei der Verordnung von
Kreosotal dringend raten. Kreosotal selbst ätzt allerdings
nicht, aber aus ihm wird nach der Resorption ätzendes Kreosot
geleitet und in den Magen hinein sezerniert, das doch wohl ge¬
legentlich bedenkliche Erscheinungen hervorrufen kann. Die
Urinuntersuchung bei unserem Falle ergab folgende Resultate:
Die Menge der G e s am t Schwefelsäure betrug am ersten Tage,
auf das Gesamttagesquantum berechnet: . 9,9964 g
diejenige der gepaarten Schwefelsäure . 7,4240 g
also diejenige der freien „ 2,5724 g
Das Verhältnis a : b, freie zu gepaarter Schwefelsäure nach
Baumann betrug also I : 2,8.
Am zweiten Tage betrug die Ges.-H2SOi ...... 0,3096 g
die gepaarte Schwefelsäure . 0,1788 g
somit die freie „ . 0,1308 g
a ; b hier wie 1 : 1,35.
Endlich am dritten Tage Ges.-H2S04 . 2,7360 g
die gepaarte Schwefelsäure . 1,0944 g
somit die freie „ . 1,641 6 g
das Verhältnis a:b = 5:1.
U D. Archiv f. klin. Med., Bd. 91, S. 42, 1907.
1934
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Die Vermehrung der Aetherschwefelsäuren, absolut, wie
im Verhältnis zur freien Schwefelsäure, und die Rückkehr zur
Norm entspricht ganz dem bekannten Verhalten nach Aufnahme
aromatischer Verbindungen, wie es in unserer Veröffentlichung
über den Kreosotfall und eine Reihe von Lysolvergiftungen der
Fall war.
Etwas auffallend ist nur die hohe absolute Schwefelsäure¬
ausscheidung am ersten Tage an Stelle der sonst regelmässigen
Verminderung (siehe unsere Arbeit a. a. O.), wogegen der
zweite Tag eine starke Verminderung zeigt, der am dritten
Vermehrung folgt.
Etwas ähnliches sahen wir in einem Falle von Lysolver¬
giftung bei einem chronischen Nephritiker, in welchem auch die
Ausscheidung des Ammoniaks und Gesamtstickstoffs sowie der
Purine denselben Gang aufwies.
In unserem Falle kann dies nur von der Ammoniakaus¬
scheidung gesagt werden, welche ja derjenigen der Schwefel¬
säure stets parallel geht:
Der Gesamtammoniak nach Schloesing betrug:
am ersten Tage . 0,7208 g
„ zweiten „ . 0,3778 g
„ dritten „ . 0,7760 g.
Dagegen war die Harnstoffausscheidung an den ersten
beiden Tagen — 11,4 und 10,446 g — gering gegen den dritten
Tag (29,88 g), was aber wohl mehr auf anfangs geringere,
später vermehrte Nahrungsaufnahme, als auf Wirkung des
Giftes zurückzuführen sein dürfte.
Nach den Versuchsergebnissen von Seifert und Höl¬
scher2), welche das Guajakolkarbonat in die Therapie ein¬
geführt haben, soll dieses, der Hauptbestandteil auch des Kreo¬
sotais, im Magen nicht, sondern erst durch die Darmfäulnis ge¬
spalten werden. Da die zuerst abgespaltenen Guajakolmengen
aber fäulniswidrig wirken, erkläre sich die nur teilweise und
langsame Resorption des Kreosotais. Zu demselben Ergebnis
kam auch Eschle3) in seiner von uns an anderer Stelle ge¬
nauer herangezogenen Experimentalarbeit: er fand, dass bei
Tieren von dem gereichten Guajakolkarbonat nicht alles im
Darm gespalten wird, sondern % und darüber mit den Fäzes
abgeht.
Nur so erklärt sich offenbar auch die schon oben erwähnte
Zulässigkeit grosser Dosen — Hunden hat man bis zu 75 g des
reinen Guajakolkarbonats ohne Schaden auf einmal gegeben. —
Dass in unserem Fall Vergiftungserscheinungen auftraten, zeigt
freilich, dass unter Umständen auch toxische Mengen abge¬
spalten werden können: ausserdem dürfte auch das gereinigte
Kreosotol neben Guajakolkarbonat noch die anderen Kreosot¬
bestandteile — Phenole, Kreosol — vielleicht in weniger fester
Bindung enthalten. Die Aetzwirkungen im Magen sind viel¬
leicht auf deren Sekretion in das Mageninnere zu erklären.
In Versuchen mit dem Reste des verschluckten Präparates
gelang uns Abspaltung des durch seinen Geruch auffallenden
Guajakols nur durch längere Behandlung mit Aetzalkalien oder
Ammoniak, nicht aber durch Kochen mit verdünnten Säuren.
Der Kreosotgeruch des Harns nach dem Kochen mit Säure
kann also nur auf das Vorhandensein von Guajakolschwefel-
säure und -Glukuronsäure zurückgeführt werden 4), Uebergang
unveränderten Karbonats in denselben erscheint unwahrschein¬
lich. Damit stimmen auch unsere Versuche, den Kreosotgehalt
durch Destillation mit Wasserdampf nach Ansäuern zu be¬
stimmen. Wir erhielten so auf 200 ccm des Harns vom ersten
Tage 0,2032 g.
Nach 14 tägigem Stehen des Restes war der Kreosot¬
geruch deutlich verstärkt, daneben Ammoniakgeruch wahr¬
nehmbar und alkalische Reaktion vorhanden: aus 200 ccm
wurden jetzt 0,1843 g gewonnen, jedenfalls nicht mehr als vor¬
her. Die Geruchsverstärkung kann also nur auf Spaltung von
Guajakolschwefel- und -Glukuronsäure durch die Fäulnis, nicht
aber von als solches in den Harn übergegangenem Karbonat
beruht haben.
2) Berl. klin. Wochenschr., 12. Dez. 1891; ebenda 1892, No. 3,
S. 48, und Therap. Monatsh. 1892, S. 84.
3) Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 29, H. 3/4, 1896.
4) Der Harn drehte nur schwach links, gab aber nach Kochen
mit HCl positive T o 1 1 e n s sehe Reaktion.
Aus der kgl. Universitätskinderklinik zu Greifswald.
Ein Fall von Wismut-Intoxikation bei interner Dar¬
reichung von Magisterium Bismuti.
Von Dr. A d o 1 f P r i o r, Assistent der ‘Klinik.
Nach Angabe von Meyer1) wird das Wismut schon seit
etwa 200 Jahren therapeutisch verwendet. Die ältesten mir
zugänglichen Quellen stammen aus dem Anfang des vorigen
Jahrhunderts. In denselben werden nicht nur Wismutpräpa¬
rate gegen die verschiedenartigsten Krankheiten empfohlen,
sondern es geht aus denselben auch hervor, dass man bereits
damals die gelegentlich vorkommenden Giftwirkungen recht
gut kannte.
Nach M ü h 1 i g 2) haben in der älteren Literatur Pott,
Odier, Traill, Werneck und andere Fälle von Ver¬
giftungen durch Wismutpräparate mitgeteilt. M ü h 1 i g meint
jedoch, dass diese auf Verwendung unreiner Präparate be¬
ruhten und glaubt, wie auch andere Autoren, nicht an die Mög¬
lichkeit von Vergiftungen durch reine Wismutsalze.
So schreibt z. B. im Jahre 1885 Schüler3): „Die Gefahr der In¬
toxikation bei der Wundbehandlung mit Bismut. subnitr. ist nicht vor¬
handen“. Bardeleben äussert sich im Jahre 1892 4) folgen'der-
massen: „Fest steht die Beobachtung entgegen mehreren namentlich
im Auslande erschienenen Publikationen, dass selbst bei den ausge¬
dehntesten Verbrennungen Intoxikationserscheinungen von seiten des
Magisterium Bismuti nicht auftreten. Wo dieselben wahrgenommen
wurden, handelt es sich meiner Ueberzeugung nach um unreines Prä¬
parat.“
Dass bei äusserer Anwendung von Wismutsalzen Intoxi¬
kationen Vorkommen, ist jetzt jedoch allgemein bekannt. Im
Jahre 1901 berichtet Dreesmann5) einen von ihm selbst be¬
obachteten Fall und erwähnt noch nebenbei von Kocher,
Petersen, Dalche und G a u c h e r beobachtete Fälle.
Weitere 2 Fälle sind von M ü h 1 i g in seiner bereits oben er¬
wähnten Arbeit niedergelegt. Dieselben sind darum von be¬
sonderer Bedeutung, weil durch chemische Untersuchung die
absolute Reinheit der verwendeten Präparate festgestellt
worden ist und somit die aufgetretenen Vergiftungserschei¬
nungen nur auf das Bismutum bezogen werden können.
Von den Symptomen der Wismutvergiftung wird von allen
Autoren die tief schwarzblaue Verfärbung der Mundschleim¬
haut, die oft besonders deutlich am Zahnfleischrande ist, als
Hauptcharakteristikum hervorgehoben. Oft kommt es zu wirk¬
licher Stomatitis mit zu Gangrän neigender Geschwürsbildung
und erheblich gesteigerter Salivation. Auch Erscheinungen
eines akuten Magendarmkatarrhs wie Erbrechen und Durch¬
fälle sind beobachtet. Im Darm soll es zu schwärzlichen Pig¬
mentierungen und Ulzerationen zuweilen kommen. Da das
Bismutum anscheinend durch die Nieren ausgeschieden werden
und infolgedessen der Harn ein anfänglich weisses, später sich
schwarz färbendes Sediment aufweisen kann, kommt es auch in
schweren Fällen zu Schädigung der Nieren und Nephritis.
Schmerzen der Muskeln und Nerven bei Wismutintoxikationen
sind ebenfalls beschrieben. Doch kann in leichteren Fällen die
Verfärbung der Mundschleimhaut das einzige Zeichen der Ver¬
giftung bleiben.
Was die innere Anwendung von Wismut anbelangt, so
scheint dieselbe heute noch ziemlich allgemein als vollkommen
ungefährlich zu gelten.
v. Jak sch schreibt hierüber6): „Es sind aber trotz der aus¬
gedehnten Verwendung von unlöslichen Wismutsalzen bei der Thera¬
pie interner Erkrankungen, z. B. Magenaffektionen, auch in hohen
Dosen von 8 — 10, ja bis 30 g pro die Vergiftungen nicht beobachtet
worden.“ Im Kompendium der Arzneiverordnung von Liebreich
und Langgar d, 4. Aufl., ist auf S. 118 zu lesen: „Das unlösliche
Bismutum subnitricum, innerlich genommen, ist unschädlich.“ Ebenso
sagt Böhm7) über dasselbe Präparat: „Vergiftungen sind nach in¬
ternem Gebrauch auch grosser Dosen kaum beobachtet.“
*) Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol., 20. Bd.
2) Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 15.
3) D. Zeitschr. f. Chir.
4) D. med. Wochenschr. No. 23.
5) Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 36.
°) Die Vergiftungen, 1. Band von Nothnagels spez. Pathol. u.
Therapie.
7) Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Arzneiverordnungs¬
lehre, 3. Aufl., 1903.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1935
Dass diese Angaben nicht ganz zutreffend sind und, wenn
auch verschwindend selten, doch gelegentlich Intoxikationen
auch bei innerer Anwendung von Bismutum subnitricum Vor¬
kommen, beweist der Fall' von Cohn8), wo nach Einnahme
von 3 g dieses Medikamentes innerhalb 3 Tagen bei einer
tuberkulösen Patientin Metallgeschmack im Munde, schwarz
belegte Zunge und grauer Saum am Zahnfleischrande aufge¬
treten war.
Da dieses der einzige sichere Fall von Wismutvergiftung
bei innerer Anwendung von Bismutum subnitricum in der
neueren Literatur ist, dürfte wohl die Mitteilung eines von mir
kürzlich beobachteten Falles nicht unberechtigt und ohne In¬
teresse sein.
Am 8. Juli wurde ich am Nachmittag zu einem 2t4 Wochen alten,
ziemlich kräftigen und leidlich gut aussehenden Brustkinde gerufen,
weil dasselbe so sehr viel schrie. Die Untersuchung ergab nichts Be¬
sonderes. Aber auf eingehendes Befragen der Mutter stellte sich
heraus, dass das Kind fast jede Windel schmutzig machte und die
Stühle stets braun und ganz dünnflüssig waren, was schon seit Ge¬
burt so gewesen sein soll. Ich verordnete, dass das Kind nur 6 stün-
dig, statt alle 3 Stunden, angelegt wurde und dazwischen nur etwas
Kamillenthee bekam, damit der Darm genügend Zeit zur Ruhe und
Erholung hätte. Ausserdem sollte das Kind 3 ständig eine kleine
Messerspitze Bismutum subnitricum erhalten und verschrieb ich zu
diesem Zweck 10 g Magisterium Bismuti.
Am folgenden Tag war eine Veränderung noch kaum zu be¬
merken, am übernächsten Tag wurde ich jedoch schon morgens
gerufen, da der Zustand des Kindes sich verschlimmert habe. Bei
meiner Ankunft fiel mir sofort auf, dass die Haut des Kindes im Ge¬
sicht, am Rumpf und Extremitäten eine blass grünlich-graue Farbe
hatte und die Lippen sowie die ganze Mund- und Gaumenschleimhaut
intensive blauschwarz verfärbt waren. Herztätigkeit und Respira¬
tion waren normal.
Den Schlüssel zu der seltsamen Erscheinung gab mir die
Bemerkung der Mutter, dass sie das Pulver regelmässig nach
Verordnung gegeben und aber schon ganz aufgebraucht habe.
Somit hatte das Kind innerhalb 36 Stunden 10 g Bismutum sub¬
nitricum bekommen! Da die Symptome sich genau mit den
bei externer Wismutanwendung beobachteten Vergiftungser¬
scheinungen deckten, konnte ein Zweifel, dass hier eine Wis¬
mutintoxikation vorlag, kaum bestehen. An diesem und dem
folgenden Tage wurde nur je 1 lehmartig aussehender Stuhl
entleert. Bereits am übernächsten Tag war von der Ver¬
färbung der Haut und Mundschleimhaut kaum mehr etwas zu
sehen. Dagegen entdeckte ich am harten Gaumen einen ganz
seichten Schleimhautdefekt ohne jeden Belag, dem sich in den
nächsten Tagen noch weitere zugesellten, die aber in einigen
Tagen durch Pinselungen mit schwacher Höllensteinlösung
ausheilten. Gleichzeitig waren Stühle zwar nicht häufiger aber
dünner geworden. Auch fand ich einige Tage lang Spuren von
Albumen im Harn. Der weitere Verlauf des Darmkatarrhs bot
nichts Besonderes, ausser dass sich derselbe sehr in die
Länge zog.
Was nun endlich die Prognose der Wismutintoxikationen
anlangt, so wird dieselbe von allen Autoren als günstig ange¬
nommen. Es ist auch bisher nur ein einziger Todesfall be¬
richtet. Dass auch mein durch die ausserordentliche Jugend
doch wohl besonders wenig widerstandsfähiges Kind dieselbe
ohne dauernde Schädigung ertragen hat, veranlasst auch mich,
die Wismutvergiftung als im allgemeinen harmlos aufzufassen.
Zum Schlüsse erfülle ich noch die angenehme Pflicht,
meinem hochverehrten Chef, Herrn Professor Dr. P e i p e r
für das der Arbeit entgegengebrachte Interesse meinen herz¬
lichsten Dank auszusprechen.
Aus der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Johann¬
stadt in Dresden (Direktor: Geh. Medizinalrat Dr. Schmaltz).
Ueber die Wechselbeziehungen zwischen dem Ovulations¬
vorgang inkl. der Menstruation und inneren Krankheiten.
Von Dr. med. Georg Rieb old.
(Schluss.)
Ich wende mich jetzt der Erscheinung des prämen-
struellenFieberszu, muss aber hier bezüglich aller Ein¬
zelheiten auf meine Arbeit „Ueber prämenstruelle Temperatur¬
steigerungen“ (D. med. Wochenschr. 1906, No. 11 u. 12) ver¬
8) Therapeut. Monatsh., Jahrg. 1896.
weisen. Das Vorkommen prämenstrueller Temperatursteige¬
rungen bei tuberkulösen und gynäkologisch kran¬
ken Frauen war schon bekannt. Ich glaube an der Hand zahl¬
reicher Beispiele nachgewiesen zu haben, dass prämenstruelles
Fieber auch nach akuten Infektionskrankheiten
(Typhus, Scharlach, Diphtherie, Influenza, Gelenkrheumatis¬
mus, Erythema nodosum 3), Angina usw.) und überhaupt bei
Frauen Vorkommen kann, dieirgendeinenKrankheits-
h e r d, oder irgend ein Depot, von dem aus toxische Substanzen
resorbiert werden können, in ihrem Körper bergen (Ulcus, Car¬
cinoma ventriculi, Perityphlitis, chronische Obstipation, zer¬
fallende Gummata, Parulis, Rachenmandel usw.), dass man es
aber niemals bei vollkommen gesunden Frauen
auftreten sieht.
Es ist selbstverständlich, dass Frauen mit prämenstruellem
Fieber auch sonst gelegentlich kleine Anstiege der Temperatur
darbieten können. Manchmal handelt es sich auch um beträcht¬
liche prämenstruelle Steigerungen einer dauernd etwas erhöhten
Temperatur.
Beim Fortbestehen des alten Krankheits¬
herdes kann das prämenstruelle Fieber mehr¬
mals vor jeder Menstruation rezidivieren. 4)
Ich erkläre das prämenstruelle Fieber damit, dass durch den
regeren Säfteaustausch während der Ovulation in der Prä-
menstrualzeit Resorptionen aus älteren Krankheitsherden
stattfinden, oder in selteneren Fällen schon bestehende, fieber¬
hafte Krankheiten auch wirklich exazerbieren können.
Mit der eigentlichen menstruellen Blutung hat nach meiner
Theorie das prämenstruelle Fieber, das man besser als
ovarielles oder Ovulationsfieber bezeichnet, nichts zu tun. Die
Menstruation steht danach in dem gleichen kausalen Abhängig¬
keitsverhältnis von der Ovulation, wie das Ovulationsfieber.
Menstruation und Ovulationsfieber sind koordinierte
Folgeerscheinungen der Ovulation.
Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht meine Be¬
obachtung, dass Ovulationsfieber auch bei amenor-
rhoischen Frauen an den bekannten Ovulations¬
terminen auftreten kann. Ich sah es u. a. nach Typhus, Ge¬
lenkrheumatismus, bei tuberkulösen Kranken und einer Kranken
mit Pyelitis.
Das Ovulationsfieber ohne folgende Menstruation kann
ebenso wie das Ovulationsfieber m i t folgender Menstruation,
d. h. das eigentlich prämenstruelle Fieber in regelmässigen
Perioden, die in den gegebenen Fällen den Menstruationsperio-
3) Das gar nicht so seltene prämenstruelle Fieber wird auch
jetzt noch wenig beachtet; sein Vorkommen und seine Bedeutung
sind noch wenig bekannt. Um ein Beispiel anzuführen, so stellt
H i 1 d e b r a n d t in einem Aufsatz „Zur Aetiologie des Erythema
nodosum“ in der Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 7, 5. 311 auf
Kurve 4 einen ganz typischen Fall von prämenstruellem Fieber nach
Erythema nodosum graphisch dar und schreibt dazu: Für die hohen
Fiebersteigerungen vom 28. Mai bis 3. Juni wurde keine Ursache fest¬
gestellt.
4) Lenhartz erwähnt in einer in der Münch, med. Wochen¬
schrift 1907, No. 16 publizierten Abhandlung „Ueber die akute und
chronische Nierenbeckenentzündung“, dass ihm ein Zusammenhang
zwischen den Fieberanfällen der Pyelitiskranken und den
Menses aufgefallen sei. Er beschreibt 5 Fälle, in denen der Re-
laps des Fiebers 2 mal am 1. Menstruationstag. 3 mal 2 Tage, einmal
3 Tage und einmal 4 Tage vor Eintritt der Menstruation einsetzte. Die
von Lenhartz auf Seite 764 — 766 abgebildeten Kurven entsprechen
vollständig den von mir in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde
demonstrierten Kurven, die prämenstruelles Fieber der verschieden¬
sten Aetiologie darstellten. Lenhartz glaubt, „dass durch die mit
den Menses sich vorbereitende Zirkulationsstörung der Anfall ausge¬
löst wird. Offenbar wird die Virulenz der schlummernden, im ersten
Anfall mattgesetzten Bakterien in dieser kongestiven Periode derart
gesteigert, dass die massenhaft entwickelten Toxine die oft schwere
Allgemeinerscheinung hervorrufen, bei gleichzeitiger erneuter örtlicher
Entzündung. Ein Uebertritt der Bakterien in die Blutbahn kommt bei
diesen Pyelitisformen offenbar für gewöhnlich nicht vor“. Die Er¬
klärung seiner Fälle stimmt also mit der mehligen vollkommen über¬
ein. Es handelt sich um wirkliche Exazerbationen
(erneute örtliche Entzündung) und um Resorption von Bak¬
terie n t o xi n e n aus den Krankheitsherden. Ich muss nur Len¬
hartz insofern widersprechen, als nicht die Menses das auslösende
Moment dieser Fieberrelapse sind, sondern die Ovulation. Linen
derartigen Relaps habe ich in derselben Weise bei einer I yehtis-
kranken an einem bekannten Ovulationstermin auftreten sehen, ohne
dass die erwartete Menstruation eintrat.
1936
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
den der betreffenden Frau genau entsprechen, rezidivieren. Für
die Beurteilung dieser Fälle ist es ganz gleichgültig, ob die Men¬
struation eintritt oder nicht. Viele Frauen werden vorüber¬
gehend amcnorrhoisch, sobald die leichteste Störung der Ge¬
sundheit eintritt, andere behalten ihre Menstruation auch wäh¬
rend schwerer Krankheiten. Die periodisch sich vollziehende
Wellenbewegung der vitalen Leistungen, deren Ursache ich
in der Ovulation resp. in einer periodischen, sekretorischen
Tätigkeit der Ovarien geschlechtsreifer Frauen suche, geht in
beiden Fällen gleichrnässig weiter. In den Fällen, wo die Men¬
struation ausbleibt, ist nur die kausale Abhängigkeit des Ovu¬
lationsfiebers, und ebenso der zahlreichen mit der Ovulation
cinhergehenden Störungen kranker Organismen von der Ovu¬
lation viel schwerer zu erkennen, als in den Fällen, wo die
Menstruation eintritt. Man kann hierhergehörige Fälle nur fin¬
den, wenn man Kenntnis von den dargelegten Verhältnissen hat
und wenn man nach solchen Fällen sucht. Mein kasuistisches
Material hierhergehöriger Fälle ist schon recht reichlich.
Während in den bisher behandelten Fällen das Ovulations-
ficber nur die Erscheinungen einer mehr oder weniger schweren
Intoxikation des Körpers macht (Mattigkeit, Appetitlosigkeit,
Kopfschmerzen, Glieder- und Rückenschmerzen usw.) oder in
Fällen, wo es eine wirkliche Exazerbation der Grundkrankheit
anzeigt, auch mit lokalen Symptomen einhergehen kann, wäh¬
rend es in den bisher behandelten Fällen fast immer gelang, mit
grosser Wahrscheinlichkeit die Quelle des Fiebers aufzudecken,
gibt es eine Reihe von Fällen, die, wie mir scheint, ein i n s i c h
abgeschlossenes Krankheitsbild darstellen, und
deren Deutung manchen Schwierigkeiten begegnet.
Ich muss mich an dieser Stelle damit begnügen, auf das
Vorkommen dieser Krankheitsform, die ich als rekurrie¬
rendes rheumatoides Ovulationsfieber be¬
zeichne, hinzuweisen und eine ganz kurze Beschreibung des
Krankheitsbildes zu geben, während ich die ausführliche Wie¬
dergabe der Krankengeschichten, die Begründung meiner Er¬
klärung der Fälle usw. in einer späteren Abhandlung bei-
bringen werde.
Es handelt sich um Fälle, in denen ein ganz charak¬
teristisches, immer gleiches, nur in der Schwere
wechselndes Bild in gewissen Perioden a n f a 1 1 s -
weise rezidiviert. Der einzelne Anfall verläuft folgen-
dermassen : Innerhalb weniger Tage steigt die Tempe¬
ratur staffelförmig zu oft beträchtlicher Höhe (40 0 und da¬
rüber) an. Die Mädchen, — es handelt sich in meinen Fällen
um jugendliche Individuen — , die bis dahin bei bester Gesund¬
heit waren, fühlen sich meist schon am 1. Fiebertag ausser¬
ordentlich m a 1 1, sie werden apathisch, klagen über K o p t-
und Gliederschmerzen, oft auch über Leibschmer¬
zen und verlieren vollständig den Appetit, der Stuhl
ist fast stets angehalten, manchmal tritt Erbrechen ein.
Die Kranken machen einen ausgesprochen typhösen Ein¬
druck, und in fast allen meinen Fällen wurde zunächst an Ty¬
phus gedacht.
Nun kommt es aber, manchmal erst auf der Höhe der
Krankheit, manchmal schon im Beginn, zu ausgesprochen
r h e u m a t o i d e n Erscheinungen. In leichten Fällen treten
nur flüchtige Schmerzen in einzelnen Gelenken auf, in schweren
Fällen schwellen aber auch einzelne Gelenke an. Mit Vorliebe
werden die k 1 e i n e n Gelenke, die Fuss- und Zehen-, die Hand-
und Fingei gelenke betroffen. Nach den ersten Anfällen schwel¬
len die Gelenke ab, bei v iederholten Anfällen kann aber eine
dauernde Gelenkauftreibung und Gelenksteifigkeit Zurückblei¬
ben; eigentliche Deformierungen habe ich nicht beobachtet.
Weiterhin treten aber auch fast regelmässig bei jedem An¬
fall Herz erschein ungen, manchmal sehr schwerer Art
auf. Die Kranken werden zyanotisch und dyspnoisch, am
Herzen findet man erhebliche Dilatationen, Irregularität, Ge¬
räusche etc. Der Puls wird klein und frequent (120, in schweren
Anfällen bis zu 200). Von weiteren Komplikationen, die aber
nur bei dem einen oder anderen Anfall auftreten, ist noch eine
meist doppelseitige Parotitis zu nennen.
Ausser den genannten Erscheinungen ist der Unter¬
suchungsbefund nach allen Richtungen hin ein
vollkommen negativer. Die Dauer eines An¬
falls beträgt selten mehr als 5—8 Tage. Das Fieber fällt in
derselben Weise, wie es angestiegen ist, lytisch wieder ab.
Nach der Entfieberung erholen sich die Kranken meist auffallend
rasch. Die Gelenkerscheinungen schwinden, abgesehen von
den Fällen, in denen chronische Veränderungen Zurückbleiben.
Die Herzdilatation geht zurück; es hinterbleiben oft die Sym¬
ptome eines kompensierten vitium cordis. Im Vorder¬
grund des Krankheitsbildes stehen immer die
schweren Allgemeinerscheinungen und die be¬
trächtliche Prostration der Kräfte; die rheumatoiden Er¬
scheinungen sind wechselnd, und können auch bei
den schwersten Anfällen sehr zurücktreten.
Der Anfall tritt regelmässig zur Zeit eines
Ovulationsterminesein, oft exakt zu dem berechneten
Termin, oft 1, 2, 3 Tage früher, das nächste Mal entsprechend
später, genau wie ich es bezüglich des Eintritts der Menstruation
beschrieben habe. In der Zwischenzeit sind die be¬
treffenden Kranken dauernd vollständig fie¬
berfrei und fühlen sich vollkommen gesund.
Manchmal tritt während des Anfalls oder unmittelbar danach
die Menstruation ein, manchmal bleibt die erwartete Menstruation
auch aus. Es braucht nicht bei jeder Ovulation ein Anfall von
rekurrierendem rheumatoiden Ovulationsfieber aufzutreten.
Manchmal gehen ein, zwei oder mehr Ovulationstermine (resp.
wirkliche Menstruationen) ohne Fieber vorbei, und erst beim
nächsten Termin kommt es wieder zu einem typischen Anfall.
Im Laufe der Zeit scheinen die Anfälle an Intensität zu ver¬
lieren. In 2 hierhergehörigen Fällen wurde je 2 derartiger
Anfälle, in 2 anderen Fällen je 5, und in einem 5. Fall, den
Dr. F ö r s t e r in der Diskussion zu meinem Vortrag gelegent¬
lich der Beschreibung meiner Fälle (cf. das Referat in der
Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 12, S. 576) anführte, und
der nach dessen Tod in meine Behandlung übergegangen ist,
wurden bisher mehr denn 20 dieser Anfälle beobachtet. In
diesem letzteren Falle liegen seit Anfang 1903 genaue Auf¬
zeichnungen der täglich vorgenommenen Temperaturbestim¬
mungen und der Menses vor.
Bei der Erklärung des rekurrierenden rheumatoiden Ovula¬
tionsfiebers sind m. E. 2 Möglichkeiten gegeben.
Ein Zusammenhang mit dem Prozesse der
Ovulation, d. h. mit periodisch sich vollziehenden sekre¬
torischen Funktionen des Ovariums ist bei dem regelmässigen
prompten Zusammentreffen des Fiebers mit dem bekannten
Ovulationstermin resp. der Menstruation des betreffenden In¬
dividuums ausser Zw e i f e 1.
Es liegt einmal die Möglichkeit vor, dass im Sinne
meiner oben gegebenen Darlegungen irgendwo im Körper ein
nicht auffindbarer Krankheitsherd sitzt, der zur Zeit der
Ovulation in die Erscheinung tritt. Es würde sich dann um
eine der Polyarthritis verwandte, unklare infektiöse Erkrankung
handeln. Auch bei Polyarthritis gelingt es ja nur selten den
Ausgangsherd sicher aufzufinden.
Die andere Annahme ist die, dass die Quelle der Er¬
krankung im Ovarium selbst zu suchen ist, sei es, dass es
wirklich organisch krank ist, sei es, dass die Krankheit
durch gewisse krankhafte, toxisch wirkende Sekrete eines
nicht funktionstüchtigen Ovariums hervorgerufen
wird, die bei der Ovulation frei werden und in den Kreislauf
gelangen.
Bei dieser Gelegenheit sollen eine Reihe von Krankheiten an¬
geführt werden, die vielleicht auch auf eine krankhafte innere Sekre¬
tion der Ovarien zu beziehen sind. Sie gehören nicht streng hierher,
weil sie nicht, wie die bisher aufgezählten Störungen, ein periodisch
wiederkehrendes Abhängigkeitsverhältnis von der Ovulation er¬
kennen lassen. Es handelt sich um Zustände, bei denen wahrschein¬
lich während einer mehr oder weniger langen Zeit dauern d, also
unabhängig von der Ovulation und nicht periodisch
toxische Stoffe in die Blutbahn gelangen.
An erster Stelle ist hier die Osteomalazie zu nennen, die
schon wiederholt durch Kastration geheilt oder doch wesentlich ge¬
bessert worden ist (Fehling u. a.).
Die echte Chlorose ist in so ausgesprochener Weise eine
Erkrankung des weiblichen Geschlechts in den Entwicklungsjahren,
dass jene Theorien, die sie mit den Geschlechtsfunktionen in direkte
Beziehung bringen bei weitem am meisten für sich haben, v. N o o r-
de n ii. a. schreiben der internen Sekretion der Ovarien bei ihrer Ent¬
stehung die Hauptrolle zu.
Man beobachtet bekanntermassen oft bei jungen Mädchen zur
Zeit des Eintrittes der üeschlechtsfunktion und bei Frauen im Kli-
/
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1937
makterium einen auffallenden Fettansatz und es erscheint mir
nicht unwahrscheinlich, dass auch hierbei die innere Sekretion der
Ovarien und dadurch hervorgerufene Stoffwechselanomalien eine ge¬
wisse Rolle spielen.
Endlich werden Atrophien des Nervus opticus (Cohn)
und des Nervus acusticus (L i c h t e n b e r g), die in seltenen
Fällen zur Zeit der Pubertät ohne jede erkennbare Ursache auftreten
sollen, auf krankhafte ovarielle Sekrete zurückgeführt.
Ganz kurz sei noch folgende Beobachtung gestreift: Bei
manchen Frauen machen sich die gleichen Erscheinungen, die
ich als durch die Ovulation bedingt angesprochen habe, auch
in der Zeit zwischen 2 Menstruationen, und zwar genau in der
Intermenstrualmitte bemerkbar.
Zu dieser Zeit werden einmal dysmenorrhöe-artige
Schmerzen beobachtet, der sogenannte Mittel- oder I n -
termenstrualschmerz (Fehling), ferner bei Gei¬
steskranken eigentümliche Veränderungen der
Stimmung und des Bewusstseins, so dass z. B. in
diesen Tagen plötzlich Klarheit nach stuporös-halluzinatonschen
Zuständen auftritt (S c h ü 1 e).
Während bei weitem die meisten Frauen einen Menstrua¬
tionsterinin von etwa 28 Tagen haben, gibt es Frauen, die ent¬
weder regelmässig oder nur zeitweise in der Intermen¬
strualmitte noch einmal menstruieren. Hierher gehört
meine oben angeführte Beobachtung von vikariierender
Lungenblutung in der Intermenstrualmitte. Endlich fand van
Voornveld (Zeitschrift für Tuberkulose etc. 1905) bei
einem tuberkulösen Mädchen auch Fieber in der Inter¬
menstrualmitte (Febris intermenstrualis).
Ich kann seine Beobachtung durchaus bestätigen, muss
sie aber erweitern.
Das Intermenstrualfieber sieht man, wie es
scheint, unter denselben Bedingungen, wie das prämenstruelle
(Ovulations-)Fieber, nur weit seltener, als dieses. Ich ver¬
füge über Beispiele von Febris intermenstrualis nach Typhus,
Gelenkrheumatismus usw. Es ist wahrscheinlich auch als ein
Ovulationsfieber aufzufassen, d. h. es entsteht bei Frauen mit
einem ca. 14 tägigen Ovulationstermin unter der Voraussetzung,
dass sie einen Krankheitsherd in ihrem Körper bergen, der
durch jene mit der Ovulation einhergehende Steigerung der
vitalen Energie gleichsam aufgewühlt wird. Und in derselben
Weise, d. h. durch die Annahme von ca. 14 tägigen Ovulations¬
terminen erklärt sich auch das Vorkommen des Mittelschmerzes,
der Intermenstrualpsychosen und der Intermenstrualblutungen.
Alle bisher besprochenen krankhaften Störungen (ausser
der nur beiläufig erwähnten Osteomalazie, Chlorose usw.)
haben zweierlei gemein:
1. Sie sind sämtlich auf die Ovulation, resp.
eine periodisch sich vollziehende sekretorische Tätigkeit der
Ovarien geschlechtsreifer weiblicher Individuen zu be¬
ziehen. Sie fallen zwar zeitlich häufig mit der menstruellen
Blutung zusammen, der sie meist vorausgehen; sie
treten aber ihrer Natur nach auch bei amenorrhoischen
geschlechts reifen Individuen auf. Daher mag es kom¬
men, dass man ihr Abhängigkeitsverhältnis von der Ovulation
bisher noch nicht erkannt hat.
2. Sie finden sich nur bei kranken Indivi¬
duen, die demnach zur Zeit der Ovulation, d. h. meist in
der Prämenstrualzeit besonders gefährdet, und des¬
halb schonungsbedürftig sind.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass auch der
Menstruation, d. h. der Uterusblutung selbst eine
gewisse Bedeutung in der Pathogenese innerer Krankheiten
zukommt.
Einmal können wahrscheinlich durch Resorption
von toxischem resp. infektiösem Material aus
den menstruierenden Genitalien fieberhafte
Zustände und einige andere krankhafte Erscheinun¬
gen hervorgerufen werden (cf. meine Arbeit ,,Ueber Men¬
struationsfieber etc. D. med. Wochenschr. 1906, No. 28 und 29),
und dann ist, zweifellos durch den mit der Menstruation ein¬
hergehenden Blutverlust und durch noch andere Momente be¬
dingt, indenletztenTagenderMenstruationdie
Widerstandsfähigkeit des weiblichen Orga¬
nismus herabgesetzt, so dass die Frauen zu verschie¬
denen Erkrankungen infektiöser Natur (Angina, Influenza usw.)
mehr disponiert sind als sonst.
No. 39.
Die Herabminderung der Widerstandsfähigkeit gibt sich
schon in der sehr häufigen Gewichtsabnahme während
der Menstruation zu erkennen. C r a m e r (Münch, med. Wo¬
chenschr. 1904, No. 14) sah z. B. während der Menstruation
häufig Gewichtsverluste von 2—3 Pfund, in seltenen Fällen von
6—8 Pfund, und ich selbst fand unter 38 Fällen 21 mal, d. h. in
55 Proz., in den 4 — 6 Tagen der Menstruation Gewichtsver¬
luste, die im Mittel etwa 1 Pfund, in einigen Fällen 2—3 Pfund,
in einem Fall sogar 4L? Pfund betrugen.
Ueber den Einfluss, den innere Krankheiten
auf die Ovulation und Menstruation ausüben,
ist nicht viel zu sagen.
Die strenge Periodizität der funktions¬
tüchtigen Ovarien geschlechtsreifer Indivi¬
duen scheint durch irgendwelche Störungen der Gesundheit
nicht beeinflusst zu werden. Anders verhält es
sich natürlich, wenn die Ovarien selbst funktionsunfähig
werden, wie z. B. bei manchen chronischen konsumierenden
Krankheiten (Phthise u. a.), die nicht selten eine Dystrophie des
gesamten Genitalapparats im Gefolge haben.
Die Menstruation kann, wie schon erwähnt wurde,
namentlich unter dem Einfluss fieberhafter und
schmerzhafter Krankheiten ganz ausbleibe n,
oder zu früh ausgelöst werden, aber ebenso kann ihr
Eintritt um einige Zeit hinausgeschoben werden.
Die Blutung selbst ist während zahlreicher Krank¬
heiten nicht selten schwächer oder stärker als sonst,
sie kann kürzer oder wesentlich länger anhalten, als in
gesunden Tagen.
Auf alle diesbezüglichen Einzelheiten einzugehen, muss ich
mir versagen.
Anmerkung bei der Korrektur: Mir ist unterdessen
der Nachweis geglückt, dass die Menstruation unter allen Umständen
ganz bestimmten Gesetzen folgt. Die Publikation dieser Beobachtung
wird demnächst im Archiv für Gynäkologie erfolgen.
Die Stellung der Fürsorgestellen für Lungenkranke im
Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit.
Von Dr. med. H. Beschorner, Arzt der Fürsorgestelle für
Lungenkranke in Dresden-Neustadt.
(Schluss.)
Die Durchführung der eigentlichen praktischen Tätigkeit der
Fürsorgestellen für Lungenkranke hat nach den leitenden Grund¬
sätzen der prophylaktischen Tuberkulosebekämpfung zu erfolgen. Es
ist die Aufgabe der Fürsorgestellen:
1. Leicht Erkrankte möglichst frühzeitig in Sanatorien unter¬
zubringen,
2. die aus den Lungenheilstätten Entlassenen und die wegen
Platzmangels Zurückgewiesenen oder Zurückgestellten in Beob¬
achtung und Pflege zu nehmen; endlich
3. Gesunde oder Gefährdete vor Ansteckung zu schützen.
Es wird selten Aufgabe der Fürsorgestellen sein, Kranke direkt
in Heilanstalten einzuweisen. Die Unterbringung wird meistens von
den prakt. Aerzten beantragt werden. Auch die bei den Familien¬
untersuchungen entdeckten Tuberkulosefälle sind, falls sie sich zur
Heilstättenbehandlung eignen, den prakt. Aerzten zur Beantragung
zu überweisen.
Durch Uebereinkommen mit den Lungenheilanstalten Alberts-
berg, Carolagrüp, Hohwald werden von diesen Anstalten alle die¬
jenigen Kranken den Fürsorgestellen gemeldet, die nach Dresden zur
Entlassung kommen. Wir untersuchen diese Kranken in regel¬
mässigen 8 wöchentlichen Intervallen, sorgen für geeignete Wohnung,
zureichende Ernährung und möglichst passende Beschäftigung. In
gleicher Weise sorgen wir für die von der Landesversicherunganstalt
zur Heilstättenbehandlung angenommenen, aus irgend einem Grunde
aber Zurückgestellten.
Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit aber besteht in der Sorge
für die durch Tuberkulose Gefährdeten.
Diese müssen vor allen Dingen von den an offener Tuberkulose
Leidenden getrennt werden. Bei den traurigen Lebensverhältnissen
der hier in Betracht kommenden Kranken wird es sich meistens darum
handeln, die Schwerkranken aus der Wohnung zu entfernen. Bis¬
her war es der einzige Weg — und in Dresden ist es heute noch nicht
anders — di,e Schwerkranken in ein Krankenhaus zu überführen. Bei
der Abneigung aber gerade dieser Art von Patienten gegen die
Krankenhäuser und aus anderen Gründen ist es erforderlich, auch in
Dresden Heime für schwer an Tuberkulose Erkra n k t e
zu errichten, wie sie anderwärts bereits bestehen. In diesen Heimen
muss alles vermieden werden, was an ein Krankenhaus erinnert, sie
müssen in gesunder Lage, wenn möglich im Walde gebaut werden,
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1938
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
durchaus behaglich und den sozialen Verhältnissen des Kranken ent¬
sprechend eingerichtet werden, im ganzen also dem Stande des
Kranken angepasst sein. Ist dies nicht zu erreichen, müssen in den
allgemeinen Krankenhäusern Abteilungen errichtet werden, welche
baulich getrennt und wie Sanatorien eingerichtet sind. Ein solches
Luftkurhaus wurde in Bremen im Krankenhausgarten errichtet und
funktioniert ausgezeichnet.13)
Häufig gelingt es nicht, die ansteckenden Kranken von den Ge¬
sunden auf diese Weise zu trennen. Es ist dies besonders der Fall
bei denjenigen offenen Tuberkulosen, die, obwohl schwer erkrankt,
doch noch arbeitsfähig sind. Dann ist es nötig, die Gesunden vom'
Kranken abzutrennen. Abgesehen von der stets nötigen Ermahnung
und Aufklärung beider Teile über die Ansteckungsgefahr machen sich
alsdann weitere Massnahmen notwendig. In solchen Fällen stehen
den Dresdner Fürsorgestellen bis jetzt folgende Mittel zur Verfügung:
Hinzumieten eines Zimmers; Anschaffung von Betten, Bett¬
wäsche; Austeilung von Spuckflaschen, von desinfizierenden Flüssig¬
keiten (wir verwenden meist Rohlysoform); getrenntes Sammeln
der Wäsche in besonders ausgegebenen Wäschesäcken und Waschen
der Wäsche durch die Fürsorgestellen; Sorge für getrenntes Wasch-
und Essgeschirr. Häufig machen sich Aufwartungen nötig.
Der Haken der ganzen Sache ist aber der, dass auch alles so
geschieht, wie es angeordnet worden. Fs ist daher eine ausgedehnte
ständige Kontrolle von Seiten der Fürsorgestelle durch häufige Be¬
suche und durch immer erneute Ermahnungen von Seiten des Für¬
sorgestellenarztes notwendig.
Hat man die Trennung der Infektiösen von den nicht Infektiösen
und Gesunden erreicht, so gilt es für die Gefährdeten zu sorgen.
Die energischste und idealste Methode zur Ausrottung der Tu¬
berkulose würde die Anzeigepflicht aller Tuberkulosefälle und die
zwangsweise Unterbringung tuberkulöser Kranker in Heilanstalten
sein. Die entschieden weitgehendsten Bestimmungen in dieser Hin¬
sicht hat mit rücksichtsloser Energie Norwegen durch das Gesetz
vom 8. Mai 1900 getroffen. Das am 1. Januar 1901 in Kraft getretene
Gesetz bestimmt, dass jeder offene Fall von Tuberkulose, sobald er
in Behandlung eines Arztes kommt und jeder Todesfall an Tuber¬
kulose sofort anzuzeigen ist. Meldung bei Wohnungs Wechsel
unterliegt ortspolizeilichen Bestimmungen. Jeder Gemeldete be¬
kommt vom behandelnden Arzte oder vom öffentlichen Arzte Unter¬
weisung über die wissenswerten Fragen und wird ständig betreffs
Befolgung der. gegebenen Anweisungen kontrolliert. Können die nö¬
tigen Vorsichtsmassregeln nicht durchgeführt werden oder unterlässt
es der Kranke sie zu befolgen, so kann zwangsweise Unterbringung
in eine Krankenanstalt verfügt werden. Desinfektionen von Wohnung,
Kleidung und Bettzeug erfolgt nicht nur bei Ableben oder Wohnungs¬
wechsel der Kranken, sondern auch dann, wenn es die Gesundheits¬
kommission für notwendig erachtet.14)
In Sachsen ist die Anzeigepflicht geregelt durch die Verordnung,
betreffend die Bekämpfung der Tuberkulose der Menschen vom
29. September 1900. Sachsen hat zuerst unter den deutschen Bundes¬
staaten die Anzeigepflicht in weiterem Umfange eingeführt.
Ausser Beseitigung alles ansteckenden hat eine geordnete Für¬
sorgetätigkeit sich auf die Besserung der Wohnungsverhältnisse zu
erstrecken. Man kann dies häufig schon dadurch erreichen, dass man
die Mittel gewährt zum Hinzumieten eines Zimmers. Durch die
Wohnungsordnung für die Stadt Dresden vom 25. Januar 1898 sind
wir in der glücklichen Lage, für die Wohnungen gewisse Mindest¬
forderungen zu stellen. Wir haben bereits mehrfach Gelegenheit
gehabt, Familien mit Hilfe der Wohlfahrt zum Verlassen ihrer sc'heuss-
Iichen und ungesunden Wohnungen zu veranlassen.
Wenn aber Wohnungen behördlicherseits beanstandet und ge¬
schlossen werden, muss für bessere Wohnungen gesorgt werden.
Man hat diesem Punkte auch bereits die gebührende Beachtung ge¬
schenkt. Das Reich hat mit der praktischen Wohnungsfürsorge für
seine Angestellten begonnen, in Sachsen und in anderen Bundes¬
staaten sind Bau- und Wohnungsgesetze erlassen worden, die Ge¬
meinden, Vereine und Private tun das ihrige.
Die' Sorge für Verbesserung des Aufenthaltsortes kommt auch
zum Ausdruck in dem Bestreben, Leichterkrankte und Gefährdete
möglichst ausgiebig in gesunde Luft zu bringen. Als solche Ein¬
richtungen möchte ich nennen: Rekonvaleszentenheime, ländliche
Kolonien, Sommerpflegkolonien, Arbeitergärten, Tageserholungs¬
stätten, die Haidefahrten des gemeinnützigen Vereines, die Wald¬
schulen und besonders die Walderholungsstätten, wie sie in Dresden
auch für Tuberkulöse bereits geplant sind. Diese Walderholungs-
stütten sollen durch Krankheit erwerbsunfähig gewordenen Männern,
Frauen und Kindern während des Tages 'die Möglichkeit bieten, sich
in gesunder Luft aufzuhalten. Dadurch, dass sie an geschützten
Orten gebaut werden sollen, können in ihnen auch Liegekuren vor¬
genommen werden. Die Walderholungsstätten sind daher als ein teil¬
weiser Ersatz für die Lungenheilstätten anzusehen. Dadurch, dass
man sie auch zum Aufenthalt während der Nacht einrichten will, gibt
13) Stoe vesandt: Das Luftkurhaus in Bremen. Tuberku-
losis V, 58.
14) Verhandlungen der Internat. Vereinigung gegen die Tuber¬
kulose. No. 2 der Tagesordnung: Anzeigepflicht.
man den noch arbeitsfähigen Lungenkranken Gelegenheit, die Nacht¬
stunden in gesunder Luft zu schlafen.
Die dritte wichtige Aufgabe der Fürsorgestellen ist die Besse¬
rung der Ernährungsverhältnisse. Zu diesem Zwecke werden Milch-,
Speise-, Brot- und Fettmarken ausgeteilt, werden den Leuten Frei¬
tische in Speiseanstalten, in Wohltätigkeitsanstalten und bei Pri¬
vaten verschafft.
Endlich ist es eine Hauptaufgabe der Fürsorgestellen, mitzu¬
wirken an der Hebung der sozialen Lage der Kranken. Diese ist
anzustreben durch Hebung des allgemeinen Wohlstandes, durch die
Ausdehnung prophylaktischer Massnahmen in den Fabriken, Werk¬
stätten, Kontoren, Schulen u. a. m.
Wichtig ist die Aufklärung über die Berufswahl. Lungenkranke,
besser auch die Verdächtigen und Gefährdeten, sind
1. von Berufen fernzuhalten, welche besonders zu Schwindsucht
disponieren. Lungenkranke, Gefährdete und Verdächtige sind
2. von solchen Betrieben fernzuhalten, in welchen Nahrungs¬
und Genussmittel hergestellt werden, z. B. Molkereien, Bäcke¬
reien, Schokoladefabriken, Zigarren- und Zigarettenfabriken und von
den dazu gehörigen Verkaufsstellen.
Bei der schädlichen Einwirkung des Alkohols auf das physische
und psychische Verhalten der Menschen und der durch Alkoholmiss¬
brauch häufig herbeigeführten Verschlechterung der sozialen Lage
einer ganzen Familie, sind die gegen den Alkoholmissbrauch ge¬
richteten Bestrebungen naturgemäss in nachdrücklichster Weise zu
unterstützen.
Wertvoll ist es ferner, wenn von den Fürsorgestellen immer
und immer wieder gedrungen wird
auf Reinlichkeit der Person, seiner Kleidung und seiner Um¬
gebung,
auf Körperpflege,, zweckmässige Kleidung, gymnastische
Uebungen etc.
Sehr wichtig ist es, auf die Pflege der Zähne und des Mundes
zu achten. Bei der schon erwähnten Untersuchung von 80 Schulkin¬
dern konnte ich feststellen, dass nur 4 Kinder ein gut gepflegtes Ge¬
biss hatten. Ein Gebiss war dann gut zu nennen, wenn die erkrank¬
ten Zähne entfernt worden waren. Ein untadelhaftes Gebiss fand
ich keinmal, plombierte Zähne waren nie vorhanden. Ein Mädchen
hatte keinen gesunden Zahn.
Um die Kranken und besonders auch die Kinder zu einer sorg¬
fältigen Mundpflege zu erziehen, teilen wir an jeden, welcher der be¬
suchenden Schwester keine Zahnbürste vorweisen kann, Zahnbürste
und Zahnpulver aus. Es ist zu hoffen, dass das Interesse, welches
von Herrn Geh. Kommerzienrat v. L i n g n e r der geordneten Zahn¬
pflege der Schulkinder entgegengebracht wird, von den Aerzten in
weitgehendster Weise unterstützt wird.
Ausser den schlechten Zähnen muss besondere Beachtung den
Gaumenmandeln und besonders der vergrösserten Rachenmandel ge¬
schenkt werden. Obwohl man in beiden gelegentlich tuberkulöse
Herde gefunden hat, ist die Bedeutung dieser Gebilde für die Ent¬
stehung der Tuberkulose doch auf anderem Gebiete zu suchen.
Näher hierauf einzugehen verbietet mir die Zelt. Bei der schon
mehrfach erwähnten Untersuchung von tuberkuloseverdächtigen
Schulkindern fand ich in 35 Proz. eine Vergrösserung der Rachen¬
mandel. Diese Zahl dürfte sich noch bedeutend erhöhen, wenn man
Spiegel- und Digitaluntersuchung in Anweffdung zieht. Hierzu stand
mir leider die nötige Zeit nicht zu Gebote.
Durch die vorstehenden Erörterungen bin ich auf ein Gebiet ge¬
kommen, welchem meines Erachtens bei weitem die grösste Wichtig¬
keit gebührt.
Es ist dies die Bekämpfung der Tuberkulose, besonders aber der
tuberkulösen Disposition, im Kindesalter. Diese hat in Sachsen bis¬
her noch wenig praktische Würdigung gefunden, während man im
übrigen Deutschland schon seit einiger Zeit diesem wichtigen Teile
der Fürsorgebestrebungen eingehendere Beachtung geschenkt hat.
Ich halte die Prophylaxe der Tuberkulose im Kindesalter für die
hauptsächlichste Aufgabe der vorbeugenden Tuberkulosebekämpfung
und somit auch der Fürsorgestellen. Ich bitte deshalb auf diesen
Punkt näher eingehen zu dürfen.
Die Tuberkulose ist, wie aus den neueren Forschungen hervor¬
geht, meist keine hereditäre oder angeborene Krankheit. Die In¬
fektion erfolgt wahrscheinlich verhältnismässig selten zur Zeit der
Pubertät oder im erwerbsfähigen Alter, also zur Zeit des häufigsten
Ausbruches der tuberkulösen Erscheinungen. Es ist anzunehmen,
dass die Infektion weitaus am häufigsten im frühen Kindesalter er¬
folgt und zur Bildung eines tuberkulösen Herdes Anlass gibt. Dieser
bleibt in den meisten Fällen latent, übt aber während der Zeit der
Latenz gewisse Wirkungen auf den Körper aus, die sich häufig —
aber durchaus nicht immer — äusserlich zu erkennen gibt. Solche
latent tuberkulöse Kinder sehen blass und elend aus, nehmen an
Körpergewicht ungenügend zu, trotz guten Appetites, essen aber
häufig auch schlecht und zeigen vor allem häufig den sog. skrofu¬
lösen Habitus.
15) Geipel: Ueber Säuglingstuberkulose. Eine Studie. Zeit¬
schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. LIII, 1906.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1939
Der hohen Säuglingssterblichkeit in der zweiten Hälfte des
ersten Lebensjahres habe ich bereits Erwähnung getan. Die Ur¬
sachen der Infektion sind noch Gegenstand wissenschaftlicher Er¬
örterungen. Der Säugling muss eine ausserordentlich hohe Emp¬
fänglichkeit für die Tuberkuloseinfektion haben; die Tuberkulose
muss bei ihm sehr rasch verlaufen. Man kann wohl sagen: Erwirbt
ein Säugling eine Tuberkulose, so stirbt er auch daran16),
v. Behring führt den raschen Verlauf auf die grössere Virulenz
des mit der Milch aufgenommenen Perlsuchtvirus zurück. Tuber¬
kulosesterblichkeit im Säuglingsalter ist eine sehr viel höhere, als
man bisher geglaubt. Schlossmann hält dieselbe für 4 mal
so gross, als nach den Zahlen der offiziellen Statistik zu erwarten
. steht16).
Der Prophylaxe der Tuberkulose im Säuglingsalter kommt, wie
die Untersuchungen v. Behrings schon jetzt erkennen lassen, die
grösste Bedeutung zu. Bei dem wissenschaftlichen Interesse, wel¬
ches dieser Teil der Tuberkulosebekämpfung beansprucht, halte ich
besondere vorbeugende Massnahmen für erforderlich. Vielleicht
dürfte es sich empfehlen, dem hiesigen Säuglingsheim eine Für¬
sorgestelle für Säuglinge anzugliedern, die hauptsächlich durch Ver¬
teilung vorschriftsmäsig zubereiteter Milch im grossen Massstabe,
weiterhin aber auch durch regelmässige Untersuchung der Säuglinge
und ihrer Angehörigen, .sowie durch Beachtung der äusseren Ver¬
hältnisse und der Umgebung des Säuglings, die Tuberkulose in
diesem Alter zu bekämpfen sucht.
Stirbt der Säugling nicht an seiner Tuberkulose oder erwirbt
das Kind die Infektion in den ersten Lebensjahren, ohne dass die
Tuberkulose — was selten ist — schon in dieser Zeit manifest wird,
so tritt das Kind in die Entwicklungsjahre latent tuberkulös ein.
Dies mag nach Schlossmann bei der Hälfte aller Kinder der
Fall sein17)- Das eine Kind hat nun das Glück, dass es zu einem
Wiederaufleben des tuberkulösen Prozesses nicht kommt, das
andere aber erliegt früher oder später der verderbenbringenden
Tätigkeit der wieder aktiv gewordenen Tuberkelbazillen. Der
Grund liegt meines Erachtens einmal in der verschieden hohen Viru¬
lenz der zu neuem Leben erweckten Bazillen, dann aber vor allem
in der Widerstandskraft und Widerstandsfähigkeit, die der Körper
dem zu verderbenbringender Tätigkeit erwachenden Keime entgegen¬
zusetzen hat.
Kräftigung des kindlichen Körpers ist daher neben Fernhaltung
alles Schädlichen die Hauptforderung, die an die vorbeugende Tuber¬
kulosebekämpfung im Kindesalter gestellt wird. Diese wird am besten
und sichersten erreicht durch eine möglichst lang dauernde Heil¬
stättenbehandlung.
Da wir es als bewiesen betrachten, dass die Behandlung in
einer Heilstätte — wenn sie früh genug begonnen wird — einen Heil¬
erfolg von Dauer verbürgt und da die wissenschaftliche Forschung
mehr und mehr darauf hinauskommt, dass es sich beim Ausbrechen
der tuberkulösen Erscheinungen im späteren Alter meist um eine
Infektion handelt, die von einem bis dahin latenten Tuberkulose¬
herde ausgeht, so muss es vor allen Dingen einen Erfolg versprechen,
den im kindlichen Körper ruhenden abgeschlossenen Keim zu ver¬
nichten oder den Körper des Kindes so widerstandsfähig zu machen,
dass er dem erwachenden Keime und seiner verderbenbringenden
Tätigkeit nicht zum Opfer fällt. Dass der Körper den Kampf gegen
die tuberkulösen Herde in seinem Inneren häufig siegreich zu Ende
führt, das haben die Untersucnungen Schmorls, Burckhardts,
Nägelis u. a. bewiesen.
Ich halte es somit nach dem Gesagten für eine notwendige For¬
derung, der Tuberkulosebekämpfung im Kindesalter eingehende Be¬
achtung zu schenken und die Heilstättenbehandlung in nachdrücklich¬
ster Weise auf die Kinder auszudehnen.
Da die Behandlung mit Tuberkulininjektionen in den Heilstätten
mehr und mehr Anhänger gewinnt und die Veröffentlichungen über
günstige Erfolge sich mehren, so erblicke ich in einer Kombination der
hygienisch-diätetischen Methode mit Tuberkulininjektionen die aus¬
sichtsvollste Behandlung für Kinder. Was die Behandlung der Kinder
mit Tulaselaktin nach v. Behring leistet, entzieht sich meiner
Beurteilung. _
Da in Sachsen Heilstätten für Kinder nicht bestehen, so muss
deren Errichtung gefordert werden. Mehrfache Anregungen haben
den Verein zur Begründung und Erhaltung von Volksheilstätten im
Königreich Sachsen veranlasst, dieser Frage näher zu treten. Auch
von mir ist ein Antrag eingereicht worden, welcher den Vorschlag
enthält, an die Heilanstalt Carolagrün eine Abteilung für Kinder
anzugliedern.
Für eine Heilstättenbehandlung werden in der Hauptsache tuber¬
kulöse und stark tuberkuloseverdächtige Kinder in Frage kommen.
Bei der grossen Anzahl der für eine Heilstättenbehandlung geeigneten
Kinder wird aber nur ein kleiner Bruchteil berücksichtigt wenden
können.
Deshalb ist es Pflicht der Gemeinden, Vereine und der privaten
Wohltätigkeit weitere Massnahmen zu treffen.
Die Fürsorgestellen haben sich besonders derjenigen Kinder an¬
zunehmen, bei denen ein Tuberkuloseverdacht vorliegt oder bei
18) Bericht über den 5. internat. Tuberkulosekongress im Haag.
Tuberkulosis VI, 61 ff.
denen es feststeht, dass sie im Elternhause durch offene Tuberkulose
der Eltern gefährdet sind. Dass es möglich ist, auch solche Kin¬
der ohne Trennung der Familienmitglieder durch eine rationell durch¬
geführte Hygiene im Familienleben vor Erkrankung zu schützen, hat
der schwedische Nationalverein gegen die Tuberkulose in umfassen¬
den, allerdings sehr kostspieligen und noch nicht vollständig’ ab¬
geschlossenen Versuchen gezeigt18).
Trotz alledem halte ich es für richtiger, leicht tuberkulose¬
verdächtige und tuberkulosegefährdete Kinder in Heime auf dem
Lande unterzubringen und sie dort für längere Zeit bei guter Er¬
nährung festzuhalten, bis sie sich gekräftigt haben und die Verhält¬
nisse sich zu Hause gebessert haben.
Da alle diese Vorschläge ausserordentlich kostspielig sind und
ich wiederholt darauf aufmerksam gemacht habe, dass man sich bei
der Tuberkulosebekämpfung vor einseitigen Massnahmen hüten
müsse, so sind alle jene Bestrebungen dankbar zu begrüssen, deren
Zweck es ist, den kindlichen Körper zu kräftigen.
Gemeinnützige Gesellschaften und Vereine, die schon seit
ca. 30 Jahren bestrebt sind, Kinder als Ferienkolonien in Luft und
Licht, aufs Land und an die See zu bringen, unterstützen unsere Be¬
strebungen auf das vorteilhafteste. Man sollte derartige Vereine
noch viel mehr von seiten der Stadt und des Staates aus subventio¬
nieren, damit dieselben durch Gewährung reichlicher Mittel in den
Stand gesetzt wären, die Dauer des Landaufenthaltes für das ein¬
zelne Kind zu verlängern. Zu wünschen wäre die Angliederung
einer Ferienkolonie für tuberkuloseverdächtige Kinder, die unter
ständiger Kontrolle eines Arztes stände. Eine solche richtete Prof.
P a n n w i t z angrenzend an die Kinderheilstätte Hohenlychen in der
Uckermark ein und erzielte ausgezeichnete Erfolge. Die Kolonie
basierte auf dem Grundgedanken, dass die tuberkuloseverdächtigen
Kinder, abgesehen von einer gründlich durchgeführten Erholung und
Bewegung in freier Luft, von den Aerzten der Lungenheilstätte ge¬
nau untersucht und beobachtet werden könnten. Aus diesen Kindern
konnten bequem rechtzeitig diejenigen ausgewählt werden, die für
eine Heilstättenbehandlung geeignet waren.
Der Prophylaxe der Tuberkulose dienen weiterhin die zahl¬
reichen in den Soolbädern errichteten Kinderheilstätten für skrofulöse
Kinder und die Kinderseehospize an der deutschen Nordseekiiste,
in denen oft glänzende Erfolge erzielt werden.
Recht erheblich sind die Dienste, welche die Erholungsstätten
für schulpflichtige Kinder, sowie die auch in Dresden bestehenden
Waldschulen und die Walderholungsstätten für nicht Tuberkulöse
geleistet haben.
Endlich kann auch die Privatwohltätigkeit, obwohl sie vielfach
überlastet ist, segensreich wirken. Der Markstein des Kampfes
gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit in Frankreich, das „Oeuvre
des enfants tuberculeux“ oder, wie es häufiger genannt wird, das
„Oeuvre d’Ormesson“ begann damit, dass der französische Arzt
Dr. Leon Petit und Schwester Candide im Jahre 1888 im Dorfe
Ormesson in der weiteren Umgebung von Paris ein Häuschen miete¬
ten, in welchem sie 12 Pfleglinge unterbringen konnten. Heute, nach
kaum 20 Jahren, ist aus dem budgetlosen Unternehmen ein solches
mit einer Jahreseinnahme und Ausgabe von rund 350 000 Franken
geworden.
Auch hier, in der weiteren Umgebung Dresdens, hat sich mir
ein edler Menschenfreund erboten, mit dem Bau eines Heimes für
tuberkuloseverdächtige und tuberkulosegefährdete Kinder zu be¬
ginnen, wenn ihm ein sicherer Zuschuss von 35 M. pro Kind und
Monat für 15 — 20 Kinder garantiert würde.
Zum Schlüsse möchte ich noch kurz 2 Fragen beantworten,
nämlich:
1. Welche kommunalen und staatlichen Einrichtungen haben ein
Interesse am Kampfe gegen die Tuberkulose nach dein komplizierten,
viel Kosten und Mühe verursachenden Kriegsplan, wie ich ihn im
vorstehenden geschildert habe?
2. Rechtfertigen die Erfolge die Aufwendung so bedeutender
Mittel für den Kampf gegen die Tuberkulose?
Sehen wir von der öffentlichen Gesundheitspflege, der unzweifel¬
haft die wichtigsten Aufgaben zufallen, ab, so ist es in erster Linie
die öffentliche Armenpflege, die am Kampfe beteiligt ist. Diese hat
es ja ihrer Natur gemäss nicht sowohl mit der Verbesserung der
hygienischen Verhältnisse im allgemeinen, als vielmehr mit den ein¬
zelnen, ihrer Hilfe bedürftigen Kranken zu tun. Die Tätigkeit darf
sich hier nicht nur auf das Almosengeben beschränken, sondern sie
muss den Armen auch die nötige Unterstützung gewähren, wenn
es heisst, die Gesundheit und Erwerbsfähigkeit des Kranken wieder
herzustellen. Aus allen Entscheidungen, die der höchste für
Preussen in Frage kommende Gerichtshof, das Bundesamt in Berlin,
in derartigen Fragen getroffen hat — die Entscheidungen des Ober¬
verwaltungsgerichtes in diesen Fragen stehen meist noch aus —
leuchtet klar der Gedanke durch, dass auch den erkrankten A r m e n
jede Art der Hilfe zu teil werden müsse, von der sich die fort¬
schreitende ärztliche Wissenschaft einen wesentlichen Erfolg ver¬
spreche. So hat das Bundesamt entschieden, dass auch die Behand-
17) 1. c.
18) Buhre: Der schwedische
kulose. Tuberkulosis V, 13.
Nationalverein gegen die Tuber-
4*
1940
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
lung in einer Lungenheilstätte trotz der Höhe der Aufwendungen an
und für sich nicht über die der öffentlichen Armenpflege gezogenen
Grenzen hinausgehe. Das Bundesamt hat sich weiterhin in allen
seinen Entscheidungen auf den Standpunkt gestellt, dass nicht der
Bezug einer Armenunterstützung massgebend sei, wenn ärztlicher¬
seits- Heilstättenbehandlung als notwendig erachtet wird, sondern
dass die Armenbehörde auf Antrag verpflichtet ist, auch dort einzu¬
treten, wo die Mittel eines keine Armenunterstützung beziehenden
Kranken nicht ausreichen, die kostspielige Heilstättenbehandlung
allein zu tragen. Das ärztliche Urteil hat also zu entscheiden,
nicht der Bezug einer Armenunterstützung. Wann Hilfsbedürf¬
tigkeit vorliegt, ist in jedem einzelnen Falle zu entscheiden, das Ge¬
setz gibt keine Definition dafür.
Die Hauptaufgabe der Armenpflege im eigensten Interesse ist
es also, im Kampfe gegen die Schwindsucht vorbeugend ein¬
zugreifen. Dass sie hierzu Grund hat, beweist die starke Belastung
der öffentlichen Armenpflege, die z. B. die Statistik für Dresden ergibt.
Leider stösst man bei den Kranken häufig auf Widerstand, wenn
man sie ans Armenamt weist, da sie ja durch Armenunterstützung des
Wahlrechts verlustig gehen.
Es war daher dankenswert, dass durch Rundschreiben vom
5. April 1904 das Reichsamt des Innern darauf aufmerksam machte,
dass es von grösstem Werte sei, wenn von Seiten der Gemeinden
und sonstigen kommunalen Verbände Mittel bereitgestellt würden,
deren Verwendung zur Unterbringung Lungenkranker in Heilstätten
nicht das Merkmal der Armenunterstützung an sich tragen würde.
Auch in Dresden wurde in Gemässheit einer Anregung der Kreis¬
hauptmannschaft ein solcher Fonds gebildet und dem Armenamte
zur Verwaltung überwiesen.
Neben den Armenbehörden sind es die Krankenkassen — we¬
niger die Berufsgenossenschaften — , die ein hohes Interesse an einer
möglichst ausgedehnten Schwindsuchtsbekämpfung haben. Die Be¬
lastung der Kassen durch die Ausgaben für Erkrankungen an Schwind¬
sucht sind ganz ungeheure. Aus der Denkschrift der Zentralkom¬
mission der Krankenkassen Berlins geht hervor, dass in Berlin bei
den in der Krankenversicherung befindlichen Arbeitern jeder zweite
Todesfall an Tuberkulose erfolgt. Der Bericht der interessanten
Denkschrift schliesst:
Nach den angeführten Tatsachen ist es kein Zweifel, dass die
Schwindsucht mit den Opfern, die sie den Krankenkassen auferlegt,
dieselben grössten Teiles an der Erfüllung ihrer sonstigen sozialen
Funktionen unfähig macht, dass sie die Bildung der Reservefonds,
die Erhöhung der Unterstützungsdauer und der Leistungen über¬
haupt verhindert und auf diese Weise den Segen des Krankenver¬
sicherungsgesetzes nicht zum Durchbruch gelangen lässt.
Eine zweite sozialpolitische Institution, die Landesversiche¬
rungsanstalten, werden in ähnlicher Weise durch die Schwindsucht
belastet und zwar in immer wachsendem Masse. Bei allen An¬
stalten ist der Prozentsatz der Rentenzahlungen auf grund der Tuber¬
kulose von Jahr zu Jahr gestiegen. Wie hoch der Anteil der wegen
Tuberkulose ausgezahlten Renten bereits 1898 war, geht
aus den letzten Veröffentlichungen des Reichsversicherungs¬
amtes hervor. Nach meinen obigen Ausführungen über
1 uberkulose im Kindesalter halte ich es für wünschenswert, dass
bei den Landesversicherungsanstalten eine Institution geschaffen
werde, die es ermöglicht, die Heilbehandlung auch auf Kinder auszu¬
dehnen. Es erscheint dies möglich, da durch eine Behandlung der
Tuberkulose im Kindesalter dem Ausbruche der Tuberkulose im er¬
wachsenen Alter vorgebeugt werden kann.
Ein besonderes Interesse an der Tuberkulosebekämpfung haben
die Gemeinden und besonders der Staat. Die Schwindsucht ist nicht
nur deshalb so furchtbar, weil sie die grössten Opfer an Menschen¬
leben fordert, sondern hauptsächlich deshalb, weil die Tuberkulose
die Menschen gerade im kräftigsten Alter dahinrafft. In Deutschland
sterben alljährlich 100 000 Menschen an Tuberkulose, d. h. V? aller
Sterbefälle sind der Tuberkulose zuzuschreiben; auf das erwerbs¬
fähige Alter aber allein kommen Vs aller Todesfälle.
Neben der rein menschlichen Seite liegt hier die Bedeutung:
1. auf volkswirtschaftlichem Gebiete. (Jeder Mensch stellt,
wenn er erwerbsfähig wird ein Kapitel dar, welches sich zusammen¬
setzt aus dem Grundwerte seiner physischen Person und dem durch
Erziehung, Schule und Lehre angeeigneten Masse von Einsicht und
Kenntnissen. C o r n e t berechnet, dass die Schwindsucht dem
preussischen Staate jährlich 86 Millionen Mark kostet, d. h. pro Kopf
der Bevölkerung jährlich 3 Mk. Steuer.) Die Schädigung des natio¬
nalen Wohlstandes durch Tuberkulose für das deutsche Reich hat man
sicher nicht zu niedrig auf 140—150 Millionen Mark berechnet. Ein
einfaches, vom früheren Direktor des Reichsgesundheitsamtes, Wirk¬
lichen Geheimen Oberregierungsrat Dr. Köhler, aufgestelltes Re¬
chenexempel macht es klar, dass diese Angaben nicht zu hoch ge¬
griffen sind:
Berechnet man das Jahresverdienst eines erwerbsfähigen Men¬
schen nur auf 500 Mk., so ergibt sich, dass, wenn derselbe ein Jahr
lang infolge von Tuberkulose arbeitsunfähig ist, 500 Mk. verloren
gehen. Ausserdem muss noch hinzugerechnet werden, dass in dem
Krankheitsjahre für Pflege, Behandlung usw. ebenfalls rund we¬
nigstens 500 Mk. ausgegeben werden. Es ergibt sich dann, dass
No. 39.
der Verlust des Volkskapitals bloss durch ein einjähriges Krank¬
sein und eine einjährige Arbeitsunfähigkeit von 100 000 Menschen
(d. i. der^ I uberkulosesterblichkeit im Deutschen Reiche) 1000 X 100 003
Mark — 100 Millionen Mark beträgt. Hierbei ist noch gar nicht
berechnet die Versorgung der Witw_en und Waisen, die dem Staate
doch ebenfalls bedeutende Opfer kostet.
Deshalb ist es Pflicht des Staates und aller kommunalen Be¬
hörden, ausreichend für die Hygiene aller ihrer Aufsicht unterstellten
Betriebe und Arbeiter Sorge zu tragen.
Die Schwindsucht hat aber auch
. 2. eine grosse Bedeutung für die Wehrfähigkeit eines Landes.
Es ist nachgewiesen worden, dass diejenigen Landesteile, in denen die
grösste Tuberkulosesterblichkeit herrscht, die wenigsten wehrfähigen
Männer stellt. Besonders aber schwächt die Wehrkraft die Tuber¬
kulose im Heere selbst und in einzelnen Ländern Europas geben die
häufigen Tuberkuloseerkrankungen im Heere_j3en Heeresverwaltunger.
zu den ernstesten Massnahmen Veranlassung.
Diese Darlegungen, so kurz und lückenhaft sie im Rahmen eines
Vortrages bei der Fülle des vorliegenden Materiales erscheinen müs¬
sen, geben doch bereits eine klare Antwort auf die Frage, welche
staatlichen und kommunalen Behörden an der Bekämpfung der Tubei-
kulose besonders interessiert sind. Die Antwort muss unbedingt
lauten :
Soll der Kampf gegen die „Pest der Neuzeit“ mit Erfolg durch
geführt werden, so bedarf es des Zusammenarbeitens aller Stände
und Berufe, aller öffentlichen und privaten Organisationen. Staat,
Gemeinde und jeder Einzelne hat das höchste Interesse, den Feind der
Menschheit zurückzudrängen und endlich zu besiegen.
Dass man trotz erschwerender Umstände in der kurzen Zen
von nur 20 Jahren bereits viel erreicht hat, beweist die stetige unc
unverkennbare Abnahme der Tuberkulosesterblichkeit in aller
deutschen Staaten. Auch für Dresden und Sachsen lässt Sich dies mit
Deutlichkeit nachweisen. Wenn die in der mehrfach erwähnten Denk¬
schrift des Reichsgesundheitsamtes mitgeteilten Zahlen zu der An¬
nahme berechtigen, dass in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts
von 1890—1900 bereits 38 000 Menschen in Deutschland weniger
starben, wie in der ersten Hälfte, so kann man annehmen, dass be’
dem andauernden Sinken der Tuberkulosesterblichkeit in den letzten
5 Jahren (1900 — 1905) ein Sinken der Sterblichkeitsziffer um wenig¬
stens 50 000 Menschen erreicht worden ist. Und das ist wahrlich
ein schöner Erfolg,, der jeden dazu ermutigen muss, am schönen unü
.segensreichen Werke mitzuarbeiten.
Ausser der in den Fussnoten angegebenen Literatur wurde be¬
nutzt: 1. Samter- Kohlhardt: Die Aufgaben der Armenpflege
bei der Bekämpfung der Tuberkulose. Leipzig 1904. — 2. Stuertz:
Prakt. Anleitung zur Organisation von Fürsorgestellen für Lungen¬
kranke und deren Familien. Urban & Schwarzenberg 1905. —
3. Pütter-Kayserling: Die Errichtung und Verwaltung von
Auskunfts- und Fürsorgestellen für Tuberkulöse. Berlin, Hirschwala
1905. — 4. Blumenthal: Die soziale Bekämpfung der Tuberkulose
als Volkskrankheit in Europa und Amerika. Deutsch von Dwo-
retzlky. Berlin, Hirschwald 1905. — 5. Gaffky: Nach welche'
Richtung bedürfen unsere derzeitigen Massnahmen zur Bekämpfung
der Tuberkulose der Ergänzung? Referat auf der XXVIII. Versamm¬
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu
Dresden am 16. September 1903.
- -
Die Gartenstadt, die hygienisch beste Siedelung.
Von Dr. med. Alfons Fischer, Karlsruhe.
Von hoher hygienischer Bedeutung für jede Ortsgemeinde ist die
Beschaffenheit der Siedelung. zu welcher sich die Gemeindemitglieder
vereinigt haben. Die Niederlassungen sind ihrer sanitären Beschaffen¬
heit nach sehr verschieden, je nach ihrer Grösse, nach der geo¬
graphischen und klimatischen Lage, nach dem kulturellen und wirt¬
schaftlichen Stande u. a. m. So mannigfaltig jedoch auch die An¬
siedlungen sein mögen, so haben sich doch nur 2 Haupttypen ge¬
bildet: ländliche und städtische Niederlassungen.
Nun kann man natürlich nicht sagen, dass jegliche Ansiedlung in
hygienischer Beziehung den Charakter entweder eines Dorfes oder
einer Stadt, insbesondere einer Grossstadt zeigen muss; es sind
naturgemäss Uebergänge vorhanden, sodass die Flecken, Landstädte,
und manche Kleinstädte in sanitärer Hinsicht wohl mehr den Dörfern
ähneln, d. h. sie zeigen im allgemeinen, wenn auch nicht in so präg¬
nanter Weise die Vor- und Nachteile der ländlichen Siedelung;
andererseits werden manche Mittelstädte schon den hygienischen
Charakter der Grossstadt mit all ihren Annehmlichkeiten und Un¬
annehmlichkeiten besitzen, ohne dass diese Eigenheiten bei den Mittel¬
städten mit derselben Deutlichkeit in die Erscheinung treten.
Die sanitären Zustände sind in den Städten gänzlich andere wie
auf dem Lande. Eine ländliche Ansiedlung ist dadurch charak¬
terisiert, dass sich in ihr in der Regel eine höchstens wenige tausend
Seelen umfassende Gemeinde niedergelassen hat; diese besteht fast
ausschliesslich aus ackerbau- und viehzuchttreibenden Menschen,
welche in kleinen, freistehenden Häusern wohnen. Die Beschäftigung
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1941
dieser Menschen ist hygienisch günstig, aber die Löhne sind meist
gering und oft fehlt es an Arbeitsgelegenheit. Die kleinen und
niedrigen Wohnhäuser (beherbergen meist nur eine oder zwei Familien,
sie sind in der Regel von Gärten umgeben, Luft und Licht ist hin¬
reichend vorhanden, die Miete ist gering; aber die innere Einrichtung
lässt meist viel zu wünschen übrig; für den Zufluss von Wasser ist so
wenig Sorge getragen, wie für den Abfluss der Abfallstoffe und der
menschlichen und tierischen Fäkalien. Auch sonst haften dem Land¬
leben vielerlei Uebelstände an; die Schulen sind meist schlecht, für
ärztliche Hilfe und Krankenpflege, ebenso für Badegelegenheit ist
wenig oder gar nicht gesorgt, an Bildungsmöglichkeit und Gesellig¬
keit ist vielfach Mangel vorhanden. Diametral entgegengesetzt hier¬
zu sind die hygienischen Verhältnisse in den Städten, besonders in
den Grossstädten • hier haben sich ibisweilen hunderttausende, ja
Millionen Menschen eingefunden, die in grossen und hohen Häusern
untergebracht sind; ihre Tätigkeit verrichten sie meist ohne grössere
Muskelanstrengung, vielfach sitzend in geschlossenen Räumen, vor¬
nehmlich in Werkstätten und rauch- und russausspeienden Fabriken;
ihre Wohnungen sind in zahlreichen Fällen überfüllt und unzulänglich
eingerichtet, obendrein noch sehr teuer; infolge ihrer Tätigkeit, die
ohne die für die Verdauung nötige Bewegung vollzogen wird, können
sie die billige voluminöse Kost nicht vertragen und müssen zu den
teuren konzentrierten Nahrungsmitteln greifen, die sie aber aus
pekuniären Gründen meist nur in zu geringen Quantitäten erstehen
können, was dann Unterernährung und sich daran anschliessende
krankhafte Erscheinungen zur Folge hat. Angesichts der hohen
Mieten und Lebensmittelpreise haben sie von den besseren Löhnen
und der günstigeren Arbeitsgelegenheit, die die Grossstadt bietet, in
der Regel keinen Vorteil.
Für gesundheitsgemässe Entwässerung, für gutes Trinkwasser in
den Wohnungen ist wohl in jeder Stadt des Deutschen Reiches ge¬
sorgt; aber zumeist entbehrt der Städter, insbesondere der gross¬
städtische Industriearbeiter des Aufenthaltes in der Natur, der Be¬
wegung im Freien, der Luft und des Duftes von Wald und Wiese, des
hellen Sonnenlichts und des frischen Windes.
Mit diesen wenigen Angaben, die ja durchaus nichts Unbekanntes
enthalten, wird hinreichend daran erinnert worden sein, dass wir
weder in den vorhandenen ländlichen, noch in den städtischen An¬
siedlungen eine hygienisch ideale Niederlassung erblicken können.
Darum geht das Bestreben der Hygieniker darauf aus, sowohl die
Städte zu sanieren, den Städtern wieder eine mehr ländliche Lebens¬
weise zu verschaffen, insbesondere ihre Ernährungs- und Wohnungs¬
verhältnisse zu verbessern (Rubner1 2), Gruber J), G r o t j a h n 3),
u. A.), als auch die ländlichen Siedlungen gemäss den sanitären An¬
forderungen zu kolonisieren (Roth4), Eppstein5).
Nun wird aber neuerdings zur Verbesserung der hygienischen
Zustände ein anderes Mittel empfohlen, das nicht an die vorhandenen
Niederlassungen angreifen soll, sondern darin bestehen wird, ganz
neue Siedlungen zu schaffen, Siedlungen, die frei sind von den Mängeln
sowohl des Stadt- wie des Landlebens, und die die Vorzüge von
Stadt und Land in sich vereinigen werden. Seit einigen Jahren ist
eine Bewegung zu beobachten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat,
solche Ansiedlungen ins Leben zu rufen, Landstädte, Garten¬
städte zu gründen.
Die Gartenstadtbewegung ist durch ein Buch „Garden Cities
of To-Morrow“ von Ebenezer Howard6), einem englischen volks¬
wirtschaftlichen Schriftsteller, angeregt worden. Howard geht
nicht nur von hygienischen, sondern vorzugsweise von national-
ökonomischen, aber auch ethischen und ästhetischen Gesichtspunkten
aus. Er erblickt in den vorhandenen Zuständen sowohl in den Gross¬
städten, wie auf dem Lande arge Missstände. Er schlägt darum vor,
neue Städte zu gründen, .wobei die Grundsätze der Boden¬
reformer (Grund und Boden sind und bleiben im Besitz der
Gemeinde, nicht von Privatbesitzern), in erster Linie zu berück¬
sichtigen sind. Howards Plan besteht im wesentlichen darin: auf
einem grossen, von einer Grossstadt mehrere Meilen entfernten, aber
mit ihr durch gute Verkehrsmittel verbundenen Terrain, das bisher
nur der landwirtschaftlichen Benützung gedient hat und daher von
einer Genossenschaft zu einem für bauliche Zwecke sehr geringen
Preise erstanden werden kann, soll eine Siedelung derart geschaffen
werden, dass 5/o des Geländes für die Landwirtschaft, 1/e für die
eigentliche Stadt Vorbehalten wird. Um eine Steigerung der Grund¬
renten zu verhüten, bleibt die Genossenschaft alleinige Besitzerin
des Geländes. In der Stadt selbst sind kleine Landhäuser, deren
jedes nur einer Familie zur Behausung dient, und von denen jedes mit
einem Garten versehen ist, zu errichten.
In allen Häusern muss Wasser- und Gas- (eventuell elektrische)
Leitung vorhanden sein; für Anschluss an die Kanalisation muss ge¬
sorgt sein. In der Stadt sind sehr grosse Parks und Rasenplätze, die
1) Rubner: Hygienisches von Stadt und Land. München, Ver¬
lag Oldenbourg, 1898.
2) Gruber: Blätter für Volksgesundheitspflege 1905, No. 17 u. 18.
3) Grotjahn: Ueber Wandlungen in der Volksernährung.
Leipzig 1902 bei Duncker & H u m b 1 o t.
4) Roth: Deutsche Vierteljahrschrift für öffentliche Gesundheits¬
pflege. 1903, Heft I.
5) Eppstein: Deutsche med. Wochenschr. 1901, No. I u. II.
der Bewegung und dem Spiel im Freien dienen, anzulegen; alle Fa¬
briken, die, wenn irgend möglich, mit Elektrizität, statt mit Dampf¬
kraft betrieben werden sollen, müssen am Rande der Stadt liegen und
zwar so, dass die durch den Fabrikbetrieb entstehende Luftver¬
unreinigung durch die häufigsten Winde von der Stadt abgehalten
wird. In der Stadt selbst sollen alle Strassen mit Bäumen be¬
wachsen sein. Für die Befriedigung der Bedürfnisse an allen Ge¬
brauchsgegenständen müssen grossstädtisch eingerichtete Geschäfte
sorgen; ebenso sollen sich in der Stadt Gotteshäuser, Theater, Mu¬
seen, Konzerthallen, Versammlungshallen, Krankenhäuser, Schulen,
Badehäuser usw., alle mit grossen Gartenanlagen umgeben, befinden;
die ganze Stadt soll von elektrischen Bahnen durchquert werden.
Die Bodenrente darf auf höchstens 4 Proz. fixiert sein, die Ein¬
wohnerzahl der Siedelung soll 30 — 35 000 Menschen nicht über¬
schreiten.
Man sieht ohne weiteres den grossen hygienischen, besonders
auch sozialhygienischen Nutzen der ganzen Neuerung. Bewirkt wird,
dass die Mieten gering sind, sowohl für Wohn- als für Arbeitsstätten,
da die Bodenpreise sehr gering sind. Wohnungsreform beginnt ja
mit Bodenreform. H.er ist das Bodenproblem in idealer Weise gelöst.
Darum ist es in der Gartenstadt auch möglich, selbst für Arbeiter
Einfamilienhäuser mit dazugehörigen Gärten zu bauen; die Anbeiter
werden für ein ganzes Häuschen mit Garten nicht mehr zu zahlen
haben, als in den schlechten Wohnungen städtischer Mietskasernen.
Hinzu kommt noch, dass der Gartenertrag ihre Einnahmen
erhöhen kann oder zum mindesten ihre Ausgaben für Gemüse und
Obst erheblich verringern kann. Ferner werden die Gartenstadt¬
bewohner durch die Arbeit im Garten und die Bewegungsspiele auf
den städtischen Rasenplätzen wieder eher imstande sein, die billigere
Landkost zu verdauen; auch das Halten von Haustieren (Ziegen,
Schwein, Stallhasen, Geflügel) wird ihnen ermöglicht, so dass sie
zu einem grösseren Konsum von Fleisch gelangen werden. Sodann
ersieht man, dass die Häuser allen hygienischen Anforderungen hin¬
sichtlich der Versorgung mit Wasser und der Beseitigung der Abfall¬
stoffe genügen sollen. Die Lebensmittel werden zu billigen Preisen zu
haben sein, da die Landwirtschaft gewissermassen vor ihrer Tür ihre
Käufer findet, und daher alle grösseren Transportkosten vermieden
werden. In der Stadt selbst werden alle Mittel, die der Pflege von
Körper und Geist dienen, vorhanden sein. Die Fabrikbetriebe werden
auf dem billigen Boden mit geringeren Unkosten arbeiten und ihren
Arbeitern daher eher bessere Löhne zahlen können. — Kurz, der
Plan Howards würde die denkbar grössten hygienischen und wirt¬
schaftlichen Vorteile mit sich bringen — wenn er ausführbar ist.
Die einzelnen Komponenten, aus denen sich der Gartenstadt¬
gedanke zusammensetzt, sind durchaus nichts neues. Howards
Verdienst besteht jedoch darin, die einzelnen Massnahmen vereinigt
und dem vorliegenden Probleme angepasst, sie bis in alle Einzelheiten
erdacht und für die praktische Verwendung bearbeitet zu haben.
Und selbst die Zusammenfassung der einzelnen Teile, aus denen das
Gartenstadtproblem entstanden ist, ist kein Novum. Schon vor Ho¬
ward — aber ohne dass er es gewusst hat — sind ähnliche Ideen
zum Ausdruck gebracht worden, so von dem Schriftsteller F r i t s c h7)
und Dr. med. F. Oppenheim8); indessen ihre Schriften haben zu
praktischen Folgen nicht geführt.
Auch gegen die Ausführbarkeit des Ho ward sehen Planes
wurden anfangs Zweifel erhoben; und die von ihm inaugurierte Pro¬
pagandagesellschaft, welche den Gartenstadtgedanken verbreiten und
verwirklichen soll, hat trotz aller Mühe jahrelang an die Realisierung
ihres Ideales nicht denken können. Inzwischen hatten sich aber so¬
wohl in England wie in Amerika mehrere Ansiedelungen 9) — un¬
abhängig von Howard — entwickelt, die mit den Zielen der Garten¬
stadtgesellschaft grosse Aehnlichkeit haben. Diese Niederlassungen
sind dadurch entstanden, dass Grossindustrielle ihre Fabriken aus
den Grossstädten hinaus aufs Land verlegten und dort Siedelungen
für ihre Arbeiter, ganz im Sinne Howards, schufen.
Vor allem wichtig für die Weiterentwicklung der Gartenstadt¬
bewegung waren die beiden Ansiedelungen der weltberühmten engli¬
schen Sunlightseifenfabrik in Port Sunlight bei Liverpool, deren
Besitzer Hesketh Lever ist, und der Kakaofabrik von Cad-
b u r y in B o u r n v i 1 1 e bei Birmingham.
In der Arbeiterstadt Port Sunlight, die vor etwa 16 Jahren von
Lever ins Leben gerufen wurde, befinden sich 3000 Bewohner, die
sämtlich Angestellte (bezw. Familienmitglieder) des Hauses Lever
sind. Der hygienische Erfolg der Einrichtungen in Port Sunlight
(neben den trefflichen Siedelungsverhältnissen, aber auch im Zu¬
sammenhang mit ihnen, sind die Arbeitsbedingungen: hohe Löhne,
kurze Arbeitszeit, Verbot der Frauenarbeit in der Fabrik, sehr gün¬
stig) ist hervorragend: Die Kindersterblichkeit ist gleich Null, die
6) Ebenezer Howard: Von dem Buche „Garden Cities of
To-Morrow, dessen erste Auflagen „To-Morrow“ betitelt waren, ist
eine deutsche Uebersetzung 1907 bei Eugen Diederichs in Jena
erschienen.
7) Fritsch: Die Stadt der Zukunft. Leipzig 1895.
8) Oppenheim: Die Siedlungsgenossenschaft, Berlin 1896.
9) Vergl. Leopold Kätscher: „Die Gartenstadtbewegung,
Industriegartenstädte“. (Erschienen als Heft 105 von „Kultur und
Fortschritt“ bei Felix Dietrich, Leipzig.)
1942
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Gesamtsterblichkeit ist 9 pro Tausend, gegen 21,6 in Liverpool und
17,7 in dem benachbarten Birkenhead. Ueber die Siedelung ist haupt¬
sächlich folgendes mitzuteilen: Jedes Häuschen (Cottage) dient nur
einer Arbeiterfamilie zur Wohnung; jedes ist mit einem Vorgärtchen
und einem Hinter(Gemtise)garten versehen. Auf einem Acre
( 4U46 qm) dürfen nur 10 Einfamilienhäuser stehen; ein Haus ist vom
anderen 30 m entfernt. Die Strassen sind 7 — 12 m breit. Es gibt
Häuser, deren Miete wöchentlich 3/s bezw. 5/4 Mark beträgt. In
den billigeren Häusern hat man ein Wohn-, ein Bade-, drei Schlaf¬
zimmer, Küche, Speisekammer, Waschküche, Klosett, Keller, Boden¬
raum; in den teureren Häuser kommen noch ein Salon un.d ein viertes
Schlafzimmer hinzu. — Keine Familie mit zwei oder mehr Kindern
darf Aftermiete halten. Zur Förderung des körperlichen und geistigen
Wohles der Bewohner der Siedelung hat die Fabrikleitung treffliche
Institute geschaffen; ferner sind Konsumvereine gegründet worden,
die den Einkauf .clsr Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände erleich¬
tern und verbilligen.
Diesem hervorragenden Unternehmen Levers haftet, wenn man
es mit Howards Plan vergleicht, nur der Mangel an, dass der Be¬
sitzer des Grund und Bodens der ganzen Siedelung eine Einzelperson,
nicht eine Siedelungsgenossenschaft, eine Gemeinde, ist.
Auch in Bournville, der Schöpfung Cadburys, war dieser
Uebelstand anfangs vorhanden. C a d b u r y hat aber, als er sah, dass
sich das Anlagekapital der Siedelung in vollkommen normaler Weise
verzinse, sein Besitztum einer Genossenschaft, zu der alle Ansiedler
gehören, übergeben.
Die Entwicklung der Siedelung in Bournville war folgende:
C a d b u r y kaufte in der Nähe von Birmingham ein ausgedehntes
Grundstück und verlegte dorthin seine Fabrik. (In dieser sind zurzeit
etwa 4000 Arbeiter beschäftigt.) Von dem Gelände sollten
730 Morgen der Ansiedelung dienen; ein Zehntel des Terrains — die
Strassen nicht eingerechnet — war für öffentliche Anlagen Vor¬
behalten. Jeder Bauparzelle wurden 550 qm zuerteilt, jedoch sollte
nur der vierte Teil hiervon bebaut werden. Die ersten Häuser waren
bereits 1879 gebaut worden, aber eine intensivere Bautätigkeit stammt
erst aus dem Jahre 1895. In wenigen Jahren waren in Bourn¬
ville 200 Häuser entstanden; die Mieten brachten die Zinsen für das
Anlagekapital auf; nun machte C a d b u r y aus seinem Besitztum eine
öffentliche Stiftung. Der Wert der Schenkung beträgt 4 — 5 Millionen
Mark. Die Verwaltung der Stiftung liegt in Händen eines Trusts.
Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, diese Siedelung zu be¬
sichtigen. Meine aufs höchste gespannten Erwartungen wurden voll¬
auf befriedigt. Ich sah einige Hundert (es gibt mehr als 600) Häuser,
vielfach einzeln stehend, oft auch zu mehreren vereinigt, jedes von
Garten umgeben; überall breite, mit Baumreihen versehene Strassen,
zwischen den Strassen Parks, Rasenplätze; auch zwei trefflich ein¬
gerichtete Schulen fand ich, eine religiösen Zwecken (dem Quäcker-
gottesdienst) dienende Versammlungshalle, ein Badehaus mit
Schwimmbad, ein Schwimmbad im Freien, grosse Rasenspielplätze,
eine geräumige Turnhalle u. a. m. In allen Einrichtungen sah man das
Prinzip, der Gesundheit und Schönheit Rechnung zu tragen, gewahrt.
Einige von den Arbeiterhäusern durfte ich besichtigen; sie bestehen
aus Küche (meist Wohnküche mit Nebenraum), mehreren Schlaf¬
zimmern und meist auch Badeeinrichtung. Eine mir übergebene Ta¬
belle zeigte folgende Mietspreise;
Es gibt 17 Häuser, die wöchentlich 472 Mk. kosten
81 » „ „ bis 574 „ „
121 „ „ 6 „
73 7 „ ”
58 „ 8
85 „ „ „ über 8
Unter den Ansiedlern sind durchaus nicht nur Angestellte der
Cadbury sehen Fabrik. Die Bewohnerschaft zeigt vielmehr fol¬
gende Zusammenseztung: 40 Proz. von ihnen sind Arbeiter und Be¬
amte von Cadbury, 40 Proz. sind Arbeiter und sonstige Leute
aus Birmingham (dies ist mit Bournville durch eine elektrische Bahn
verbunden ; Fahrzeit etwa (4 Stunde), 20 Proz. sind Arbeiter aus den
nahegelegenen Ortschaften.
Dass ein so gesundes Wohnen und Leben, zumal bei geringen
Wohnungsmieten, auch einen sichtbaren hygienischen Erfolg zeitigen
würde, war zu erwarten. Den Erfolg ersieht man aus der Statistik,
die die Sterblichkeitsverhältnisse in Bournville vergleicht einerseits
mit denjenigen des übrigen Distrikts, von welchem Bournville ein
Feil ist, andererseits mit denjenigen von ganz England und Wales.
Die Statistik zeigt, dass im Jahre 1905 pro 1000 Einwohner starben:
in Bournville ‘im Distrikt in England und Wales
7,3 10,5 15,7
Die Kindersterblichkeit betrug pro 1000 Geburten:
in Bournville im Distrikt in England und Wales
72,5 100,0 ‘ 134,7
Unter solchen Umständen ist es nur natürlich, dass der ärztliche
Distrikts-Gesundheitsamte (Medical Officer of Health) in seinem
Bericht mit grosser Bewunderung von der mustergültigen Ansiedelung
spricht.
So bewundernswert indessen die Schöpfung Cadburys ist,
auch ihr gegenüber konnten die Gegner der Gartenstadtbewegung ihre
Zweifel an der Ausführbarkeit von Howards Plan zum Ausdruck
bringen, indem sie erklärten, dass ohne den Wohltätigkeitssinn des
Stifters von Bournville die „Fabrikgartenstadt“ nicht entstanden
wäre. Da aber die Verwaltung von Bournville ausdrücklich her¬
vorhob, dass das Anlagekapital der ganzen Siedelung sich durchaus
gehörig verzinse, so konnten Howard und seine Freunde auf die
ebenso in wirtschaftlicher, wie in hygienischer, ethischer und ästhe¬
tischer Beziehung grossen Erfolge (nicht weniger auch in Port Sun-
light) hinweisen; und nun gelang es ihnen, eine Genossenschaft mit
einem Kapital von 6 Millionen Mark ins Leben zu rufen. Diese Ge¬
nossenschaft ging nun daran, das grosse soziale und hygienische Ex¬
periment, nach dem Plane Howards, in Angriff zu nehmen; sie
kaufte für den Preis von 3 Millionen Mark ein 3800 acres fassendes
Terrain, 40 englische Meilen von London und 20 von Cambridge ent¬
fernt. (Der Quadratmeter kostet also etwa 20 Pfg.; in dem Kaufpreis
sind die Kosten für die vorhandenen Gebäude, Waldungen, Kiesgruben
usw. einbegriffen.) Die Siedelung führt nach einem auf dem ge¬
kauften Gelände befindlichen Kirchspiele den Namen „Letch-
worth“. Das Gartenstadtterrain wird von der Eisenbahn (Great
Northern Railway) durchzogen; die Bahnverwaltung hat in Letch-
worth bereits eine Station „Garden City“ errichtet.
Auch Letchworth habe ich während meines erwähnten Aufent¬
haltes in England besucht. Es ist dort noch alles im Werden be¬
griffen. Immerhin wohnen jetzt schon 3 — 4000 Menschen dort, ihre
Zahl wächst täglich, da sich in der Gartenstadt eine sehr grosse Bau¬
tätigkeit entfaltet und fortwährend neue Ansiedler sich dort nieder¬
lassen. Es sind bis jetzt bereits für 5 Millionen Mark Gebäude in
Letchworth errichtet worden. Plätze sind schon für 720 Häuser,
25 Geschäfte, 12 Fabriken, eine Kirche, eine Kapelle, eine Versamm¬
lungshalle, Schulen usw. vergeben worden. Man hat bereits 7 engli¬
sche Meilen entlang neue Strassen, 15 Meilen Wasserrohre, 9 Meilen
Gasrohre und 9 Meilen Kanalisationsrohre gelegt. Ein Wasser- und
Gaswerk ist schon im Betrieb, ein Elektrizitätswerk ist im Bau be¬
griffen. Zwei Postämter mit Telephonverbindung, 2 Hotels, allerlei
Geschäfte, ein Bankhaus usw. sind bereits vorhanden. In Letchworth
haben sich auch schon zwei Aerzte und eine Aerztin niedergelassen.
Besonders erwähnen will ich noch ein Institut, das wohl seines
gleichen nicht hat, die sog. „Open Air Schoo 1“, gewissermassen
eine Verbindung der Einrichtung einer griechischen oder römischen
Philosophenschule mit unserer modernen „Waldschule“. Die „Open
Air School“, zu deren Einrichtung die Stifterin des Instituts Vs Million
Mark bis jetzt schon gegeben hat — die Dame ist, wie sie mir sagte,
durch das Studium F 0 r e 1 scher Schriften zu dem Unternehmen an¬
geregt worden — soll eine Hochschule für das Studium der Soziologie,
1 heologie, Ethik, Physiologie, Biologie und Psychologie werden.
Unterricht und Diskussionen sollen im Freien stättfinden. Mit der
Schule ist ein grosses Schwimmbad im Freien verbunden. Die Stu¬
dierenden sollen in steter Harmonie mit der Natur bleiben.
Die Häuser, die ich in Letchworth sah, sind ausserordentlich
anmutig und auch im Innern mit grossem Geschmack eingerichtet;
jedes dient nur einer Familie zur Behausung und ist von Garten¬
anlagen umgeben. Alle Strassen sind breit und mit Reihen von vor¬
läufig natürlich noch jungen Bäumen versehen. Auf dem ganzen Ge¬
lände, das teilweise prachtvolle Parkanlagen und schöne Wiesen und
Rasenplätze umfasst, sollen höchsten 35 000 Menschen angesiedelt
werden. Zwei Drittel des Terrains bleiben für landwirtschaftliche
Zwecke Vorbehalten. Die Dichtigkeit der Bevölkerung soll etwa
23 pro acre auf dem bewohnten Gelände, 9 pro acre auf dem ganzen
Terrain betragen. Die alleinige Besitzerin ist und bleibt die Garten¬
stadtgenossenschaft; die Häuser wurden zumeist von einer gemein¬
nützigen Baugesellschaft errichtet.
Aus diesen kurzen Schilderungen geht schon offensichtlich hervor,
dass der Plan Howards im Prinzip, ja in allen wesentlichen Teilen,
zur Ausführung gelangt ist, bezw. noch gelangen wird. Es ist durch
das Experiment in Letchworth bewiesen, dass entsprechend der
grossen sozialhygienischen Idee von Howard eine Gesundung der
gesamten menschlichen Lebensweise herbeigeführt werden kann;
dass aber diese Umgestaltung der sanitären Verhältnisse im vollen
Masse nur möglich ist, wenn man zur Gründung neuer Siedelungen
im Sinne des Gartenstadtgedankens schreitet.
Es erhebt sich nun die Frage, ob der Plan Howards auch nach
Deutschland zu übertragen sein wird. In Deutschland sind ja zurzeit
die Wohnungsverhältnisse in jeder Hinsicht noch schlechter als in
England. Besonders bezüglich der Wohnungsdichte steht Deutsch¬
land England bei weitem nach, wie man aus folgenden statistischen
Angaben10) ersieht:
In England kamen auf ein bewohntes Haus
Bewohner
1890 | 1891
Haushaltungen
1891
in London
7,9
7,6
U7
„ Liverpool
6,0
5,7
1.2
„ Manchester
5,1
5,0
1,0
„ Birmingham
5,1
5,0
1,0
10) Vergl. Jäger: Die Wohnungsfrage. Berlin 1902.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1943
In Deutschland trafen auf ein bewohntes Haus
Bewohner
1880 1890
Haushaltungen
1890
in Berlin
44,9
52,6
12,3
„ Breslau
32,2
35,4
8,2
„ München
19,2
22,4
5,1
* Leipzig
38,6
25,4
5,4
Wie gross bei uns die Wohnungsnot, verursacht besonders durch
die hohen Grundrenten, geworden ist, ist ja hinlänglich durch viele
Erhebungen über die Wohnungsverhältnisse — ich erinnere nur an die
Erhebungen in der Stadt München11) 1904—1907, sowie an die jähr¬
lichen Enqueten der Ortskrankenkasse für die Gewerbebetriebe der
Kaufleute, Handelsleute und Apotheker in Berlin12) — zur Kenntnis
gelangt. Wenn man nun auch zugeben muss, dass in dem letzten
Jahrzehnt erhebliche Verbesserungen in vielen Städten — ich er¬
wähne insbesondere Frankfurt a. M. 13), München14), UlnLO — vor-
genommen wurden, so sind alle diese Massnahmen wedei in sozialer
noch in hygienischer Beziehung mit den Vorzügen, die eine Garten¬
stadtsiedlung bietet, zu vergleichen.
Es ist daher sehr erfreulich, dass sich auch in Deutschland eine
Gesellschaft gebildet hat, die den Gartnstadtge danken propagieren
und realisieren will; dieser Gesellschaft gehören neben hervorragen¬
den Sozialreformern, Architekten, Künstlern und Schriftstellern auch
unsere bedeutendsten Hygieniker Flügge, Grube r, R u b n e r
u. A. als Ausschussmitglieder an. Der von der Gesellschaft unter¬
nommenen Propaganda ist geglückt, in Karlsruhe eine schon 200
Mitglieder umfassende Genossenschaft zu bilden, die hier eine Garten¬
stadt — besser gesagt eine Gartenvorstadt - Siedelung ins
Leben rufen will. Man steht bereits mit der Domänenverwaltung in
Verhandlung wegen Ueberlassung des 1 errains, die Landesvei-
sicherungsanstalt hat bereits Leihgelder zu günstigen Bedingungen
zugesichert. Leider wird der Kaufpreis 2 Mark pro Quadratmeter be¬
tragen, ein Preis, der entschieden zu hoch ist, wenn es sich um ein
Baugelände, auf dem Einfamilienhäuser für Arbeiter errichtet werden
sollen, handelt. Die Gartenstadtgenossenschaft will auch nicht zu
dem von G r u b e r 10, Singer 17) u. A. vorgeschlagenen Mitteln, die
Arbeitereinfamilienhäuser zum Zwecke der Baukostenverminderung
nicht zu unterkellern, greifen. So wird es kommen, dass ein Arbeiter¬
häuschen gegen 300 Mark Miete pro Jahr kosten wird. Die Möglich¬
keit, dass der Ertrag des Gartens einen Teil der Miete decken wird,
besteht ja allerdings; aber ich glaube, dass es trotzdem dem grössten
Teil der hiesigen Arbeiterschaft aus finanziellen Gründen nicht möglich
sein wird, eine so hohe Miete zu zahlen. Ich glaube überhaupt, dass
es keine gerade besonders glückliche Wahl war, zum ersten Versuch
in Deutschland ein Terrain in der Nähe von Karlsruhe zu nehmen:
man hätte vielmehr zunächst eine Siedelung in der Nähe einer viel
grösseren Stadt mit ausgesprochen industriellem Charakter, in der
eine besonders grosse Wohnungsnot herrscht, schaffen sollen und
zwar auf einem viel billigeren Gelände als auf dem in Karlsruhe zur
Verfügung stehenden. Aber immerhin wird die Karlsruher Siedelung,
die für 8000 Menschen gedacht ist, eine treffliche Wohngelegenheit
für den Mittelstand, den unteren Beamtenstand und auch für die
Oberschicht der Arbeiterschaft darbieten. Für die breite Masse der
Arbeiterschaft, insbesondere für die ungelernten Arbeiter ist, wie
Gmünd18) mit Recht hervorhebt, zur Zeit die Unterbringung in
hygienisch eingerichteten grossen Mietshäusern, besonders wenn diese
von gemeinnützigen Baugesellschaften errichtet sind, zwar nicht eine
ideale, aber von dem Erreichbaren die beste Art des Wohnens. Falls
jedoch deutsche Grossindustrielle sich entschlossen können, ihre
Fabrikgebäude in eine Gartenstadtsiedelung zu verlegen, so könnten
sie hiedurch eine erhebliche Produktionsverbilligung erreichen, wo¬
durch sie in die Lage kämen, ihren Arbeitern bei geringerer Ar¬
beitszeit höhere Löhne zu gewähren; es wäre dann die Möglichkeit,
sich in der Gartenstadt anzusiedeln auch für zahlreiche Arbeiter
gegeben. , . . „ ...
Es liegt mithin in hygienischer und auch in sozialhvgiemscher
Beziehung ein ausserordentlicher Wert in dem Gartenstadtgedanken.
Es ist ihm daher die grösste Verbreitung und wo irgend möglich seine
Verwirklichung zu wünschen.
41 ) Mitteilungen des Statistischen Amtes der Stadt München.
Bd. XX, Heft I.
12) Unsere Wohnungsenquete im Jahre 1906, bearbeitet von
Albert K o h n. Berlin 1907.
13) F. Adler: Wohnungsverhältnisse und Wohnungspolitik der
Stadt Frankfurt a. M. Inauguraldissertation. Heidelberg.
14) Die Bauten in München-Sendling 1900 — 1905. Festschrift.
München 1905.
15) Wagner: Die Tätigkeit der Stadt Ulm auf dem Gebiet der
Wohnungsfürsorge. Ulm 1903.
le) G r u ib e r : L c.
17) Singer: Das Familienhaus für Arbeiter. Zeitschrift für
Wohnungswesen in Bayern. 1905, No. 7.
18) Gmünd: Deutsche Vierteljahrschrift für öffentl. Gesund¬
heitspflege. 1906.
Deutsche Hospitäler im Auslande.
Von Dr. A. H. S c h u h.
Deutsche Hospitäler gibt es im Auslande eine ganze Reihe. Im
Folgenden seien einige wenige derselben besprochen, die dem Schrei¬
ber dieser Zeilen teils infolge persönlichen Wirkens an denselben, 'teils
durch mehrfache Besichtigungen bekannt geworden sind. Bevor
jedoch auf die einzelnen Hospitäler eingegangen werden soll, mögen
noch einige allgemeine Bemerkungen über deutsche Hospitäler im
Ausland Platz finden.
In ihrer Anlage entspringen alle diese Anstalten dem Wunsch
und dem Bedürfnis, das Deutschtum im Auslande gegenüber den
anderen fremden Staaten zu betonen und die Deutschen — leider
hat es der Deutsche i‘m Auslande oft recht nötig — an die Seg¬
nungen deutscher Kultur zu erinnern. Als weiterer Faktor käme
dann erst die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache den vielen Deutschen
des Auslandes in der ihnen gewohnten Art und Weise Hilfe und
Behandlung zu teil werden zu lassen.
Sämtliche Krankenanstalten sind Wohltätigkeitsemrichtungyn,
begründet und unterhalten durch freiwillige Gaben, die die ansässige
deutsche Kolonie ev. im Verein mit der deutschen nahestehenden
Nationen, wie Holland, Schweden, Norwegen etc. aufzubringen hat.
Den Hospitälern der übrigen grösseren europäischen Völker im Aus¬
lande stehen die deutschen an Ansehen gleich, natürlich hängt die
Güte und der Ruf des Hospitals viel von der Grösse und Zahlungs¬
fähigkeit der entsprechenden Kolonie ab. Staatliche oder städtische
Zuschüsse kommen so gut wie nie in Betracht. Doch erfreuen sich
manche immerhin namhafter Gaben von Herrschern und Fürstlich¬
keiten. So erhält z. B. das Deutsche Hospital in London ziemlich
beträchtliche jährliche Dotationen vom deutschen und österreichi¬
schen Kaiserpaar, von verschiedenen deutschen Bundesfürsten. Dass
auch das englische Königshaus jährlich eine bestimmte Subskription
leistet, hat das Hospital dem Gemahl der Königin Viktoria zu ver¬
danken, der ja deutscher Fürst war und als solcher viel für das
Deutschtum in London tat.
Nun zu den einzelnen Hospitälern. Ich verfüge über persönliche
Erfahrungen über die deutschen Krankenhäuser in London, Dar-es-
Salam, Buenos Aires, Rosario und Valparaiso. Auf eine Beschrei¬
bung der Anstalt in Dar-es-Salam in Deutsch-Ostafrika kann ich
verzichten, da Treutlein in seinen Reisebriefen seinerzeit das¬
selbe bereits erwähnt hat.
I. London.
Das Spital, errichtet 1845, liegt im Nordosten Londons, in Dals-
ton, auf einem ziemlich grossen Terrain, das aber leider duich die
Stadtbahn, die in einem Erdeinschnitt hinführt, in zwei Teile zerlegt
wird. Inmitten des rauchgeschwärzten Häusermeeres ringsum ist
es eine grosse Annehmlichkeit, etwas freier atmen zu können und
im Sommer sich des hübschen Grüns im Hospitalgarten erfreuen zu
können. Diese Lage des Hospitals ist gegenüber vielen anderen, in¬
mitten geräuschvoller Strassen gelegenen Hospitälern Londons eine
ausserordentlich günstige zu nennen. Die Gebäudeanlagen bestehen
in der Hauptsache aus einem grossen dreistöckigen Backsteinbau,
der die allgemeinen Säle (Wards) in seinen Seitenflügeln hat, rechts
chirurgisch, links medizinisch, im ersten Stockwerk Frauen, im zwei¬
ten Männer. In der Mitte befindet sich das Treppenhaus, um das
herum in den jeweiligen Stockwerken die übrigen Räume, einige
kleinere Zimmer, Operationssaal, Wärmeküche etc. liegen. Ein Ver¬
bindungsgang führt nach einem kleineren Vorbau, wohl eigentlich dem
ältesten Teil der Anstalt, der im Souterrain Küche und sonstige Wirt¬
schaftsräume, im Erdgeschoss die Verwaltung, die Wohnräume der
Hausärzte und Apotheker, deren Speisezimmer, sowie ein Speise¬
zimmer für die Schwestern, Bibliothek und ein Versammlungszimmer,
im ersten Stockwerk Zimmer für Privatkranke und Schwestern¬
zimmer enthält. Eine weitere Anzahl von Schwestern wohnt in
einem nach der entgegengesetzten Richtung an das Hauptgebäude
angebauten kleinen Pavillon. Im Erdgeschoss des Hauptbaues endlich
befindet sich ein Saal für Kinder, das ärztliche Laboratorium, die
beiden Untersuchungszimmer und ein Saal für Unfallkranke. Die
Richtung des Hauptbaues ist eine ost-westliche, so dass die Süd¬
sonne an den verhältnismässig recht wenig zahlreichen sonnigen
Tagen ihre heilende und belebende Kraft in den Krankensälen voll
entfalten kann. Eine Apotheke, eine Abteilung für ambulante Kranke,
Leichenhalle und ein auch für bescheidene Ansprüche absolut unzeit-
gemässer Sektionssaal befindet sich auf der anderen Bahnseite, zu der
eine Brücke führt. „ , . „ ^
Die Bettenzahl des Hospitals beträgt ca. 130 bei voller Be¬
legung, die eigentlich fast immer erreicht wird, ja aus der Menge
der ambulatorischen Kranken ist gewöhnlich eine ganze Reihe für
etwa freiwerdende Betten vorgemerkt. Die Kranken verteilen sich
ziemlich gleichmässig auf beide Stationen. Vier Oberärzte, vier
Hausärzte, zwei Hilfsärzte, zwei Augenärzte, ein englischer Narkoti¬
seur, ein Zahnarzt und zwei Apotheker bilden den sogen. „Medical
staff“. Did Verwaltung liegt in den Händen eines meist aus Kaufleuten
bestehenden Komitees, bei dem nur zwei der Oberärzte Zutritt und
Stimme haben. Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass fui
manche rein ärztliche Fragen, besonders wenn es sich um Neuan¬
schaffungen handelt, nicht die Zustimmung des in solchen allen
1944
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
immer laienhaften Komitees zu haben ist. Auch vermisst man so
recht die leitende Hand eines Direktors, wie wir sie aus unseren
heimischen wohlgeordneten Hospitalbetrieben gewohnt sind. Da eine
einzige dem Komitee gegenüber in der Verwaltung verantwortliche
Person fehlt, so ist es begreiflich, dass manche Missverständnisse
u. dgl. resultieren. Der Sekretär und idie Oberschwester kommen
zu Rechten, die nach deutschen Begriffen undenkbar sind; so leitet
beispielsweise die Oberschwester eigentlich den ganzen inneren Be¬
trieb, sie versetzt Schwestern nach Gutdünken und zwar ohne ärzt¬
liche Einwilligung, ja manchmal direkt gegen dieselbe. Die Haus¬
ärzte haben unter diesen Missverhältnissen zu leiden, man tut für
ihre Wohnungen und für ihr Esszimmer so gut wie gar nichts.
Dringend ^ kann gefordert werden, dass man den Haus¬
ärzten, deren Stellung an und für sich nicht die idealste ist, auch ein
standeswürdiges Honorar bezahlt, denn die bisherige Bezahlung ist
die eines Arbeiters, nicht die eines gebildeten Mannes und Arztes.
Gerade jetzt, wo von allen Seiten für Aufbesserung des ärztlichen
Gehaltes, besonders auf den Schiffen plaidiert wird, ist es Zeit, auch
einmal in dem gleichen Sinne die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf
das Deutsche Hospital in London zu lenken. Hoffentlich wird der
Leipziger wirtschaftliche Verband auch dieser Frage nähertreten.
Das Hospital ist finanziell wirklich nicht so schlecht gestellt, dass
es die Ausgaben zu scheuen hätte, die der Schaffung anständiger
Lebensbedingungen für seine Aerzte dienen.
Für die Krankenpflege sind ca. 20 Schwestern aus 'der B o d ei¬
se h wi n g sehen Anstalt bei Bielefeld vorhanden. Die Vor- und
Nachteile der geistlichen Krankenpflegerinnen sind genugsam be¬
kannt, als dass darüber noch zu diskutieren wäre. Auf den Sälen
für Männer sind noch männliche Hilfskräfte beschäftigt, deren Schu¬
lung allerdings erst im Hospital beginnt. Allein im Auslande kann
man eben aus Mangel an vorgebildetem Personal die in Deutschland
üblichen Forderungen nicht ebenso strikt durchführen.
Mit dem Hospital verbunden ist ein sogen. „Convalescent home“,
nach englischer Art ein Erholungsheim für Rekonvaleszenten. Es
befindet sich ganz nahe dem Hospital und hat Betten für etwa 12
Leute. Es werden dort, natürlich ebenfalls unentgeltlich, Leute ver¬
pflegt, die nach einer schwereren Erkrankung noch Schonung be¬
dürfen, oder die als leichter Kranke der Aufnahme bedürftigen
Schwerkranken ihr Bett abtreiten mussten.
Den Hauptbestandteil der Hospitaltätigkeit aber bildet ein
grosses Ambulatorium, das beispielsweise im Jahre 1905 die Zahl
von 30 000 Besuchern aufwies, eine Menge, die von manchen Londoner
Hospitälern noch um das vier- bis fünffache übertroffen wird. Von
sämtlichen Kranken sind mehr als ein Drittel polnische und russische
Juden, von denen ein nicht geringer Prozentsatz überhaupt kein
Deutsch spricht, die anderen beiden Drittel sind Deutsche, Engländer
und einige andere Nationen. Die Berechtigung zur Behandlung hat
jeder Deutsche oder Deutschsprechende, derselbe wird ohne Weiteres
zu den Sprechstunden zugelassen. Leider werden zu den Deutsch-
spi Gehenden eben auch jene russischen und polnischen Auswanderer
gerechnet, von denen recht viele Deutschland überhaupt nicht ge-
sc ien haben, auch ikeine Sprache sprechen, die man noch mit unserer
schonen deutschen Muttersprache identifizieren könnte, sondern ein
Gemengsel aus hebräisch, russisch, deutsch und englisch. Gegen ein
Zusammenwerfen unserer Deutschen im Auslande mit solchen Ele¬
menten muss unser Nationalgefühl energisch Front machen und viele
Deutsche in London wehren sich gegen diese Verquickung dadurch
dass sie lieber ein englisches Hospital aufsuchen. Warum soll auch
das aus deutschen Kreisen gesammelte Kapital nicht vor allem un-
seicn deutschen Landsleuten zu gute kommen? In denjenigen eng¬
lischen Hospitälern, die rings umwohnt sind von diesen Einwanderern
hat man mit vollem Recht eigene Säle für sie. Bei uns in Deutsch-
anü hat man schwerlich einen Begriff von dem starrenden Schmutz
dei diesen Leuten anhaftet und von der unbilligen Zumutung die
man an jemand stellt mit der Forderung gemeinsamen Zusammen¬
seins mit diesen Elementen in dem gleichen Raum.
Ausser den Deutschen und Deutschsprechenden können auch
Engländer und andere Ausserdeutsche (sehr dringenden Fällen wird
unter allen Umständen Behandlung zu teil) behandelt werden, wenn
sie einen Empfehlungsbrief von einem Subskribenten bringen Je
nach der Hohe der Subskription, die jemand zeichnet, bekommt er
eine Anzahl solcher Briefe, die er dann an darum Nachsuchende ab¬
geben kann. Lin solcher Brief berechtigt zu dreimaligem Besuch der
Sprechstunde. Die ganze ärztliche Behandlung sowie
die Medikation ist für alle Patienten frei. Die Saalkranken
haben ausserdem auch für Verpflegung nichts zu entrichten, nur die
matkranken bezahlen für Behandlung und Verpflegung pro Woche
drei I fund Sterling, eine nicht sehr hohe Taxe.
Die Sprechstunden finden täglich, mit Ausnahme von Samstag
und Sonntag nachmittags von 2 Uhr ab statt. Infolge der riesigen
Zahl von I atienten, die an manchen Tagen erscheinen, dauern sie
dren vier und manchmal noch mehr Stunden. Zwei Hausärzte und
je ein Hilfsarzt halten diese Sprechstunden gleichzeitig ab und wech-
seln täglich. Dass trotzdem nicht immer eingehende Untersuchung
möglich ist, versteht sich nach der Anzahl der Kranken von selbst
und auch die Verordnung ist eine möglichst einfache und billige,
ln der Apotheke finden sich die am meisten notwendigen Sachen wie
Karlsbadersalz, Magnesia sulfurica etc. in immensen Mengen Der
Einfachheit und Schnelligkeit der Zubereitung wegen werden fast alle
Sachen gelöst oder — die unlöslichen — aufgeschwemmt abgegeben,
da man für Abwägen von Pulvern etc. mindestens die doppelte An¬
zahl von Arbeitskräften nötig haben würde. Als Ort für die poli¬
klinischen Stunden dient ein eigenes Gebäude, das früher Betsaal
war, aber durch besondere Einrichtungen seiner jetzigen Bestim¬
mung zugeführt wurde. Die Massen werden in Schranken gehalten
durch Holzverschläge, durch deren Türen sie nur einzeln in die Unter¬
suchungszimmerpassieren dürfen. Nach erfolgter Untersuchung treten
sie durch eine andere Türe aus dem Zimmer und gelangen nach den
Schaltern an der Apotheke, wo sie gegen die ihnen mitgegebenen
Zettel, die Diagnose und Rezept enthalten, ihre Medizinen in Empfang
nehmen.
Eine nicht unbeträchtliche Anzahl, besonders chirurgischer Kran¬
ker findet sich auch an den Vormittagen ein. Zweimal in der
Woche findet — ebenfalls unentgeltlich — Behandlung von Augen¬
krankheiten, einmal wöchentlich von Zahnkrankheiten statt. Die
Untersuchung der Vormiftagspatienten sowie der ausserhalb der ge¬
wöhnlichen Stunden ankommenden dringenden Fälle erfolgt in den
im Hauptgebäude gelegenen „Consulting Rooms“, wo sogleich kleinere
dringliche operative Massnahmen sowie eventuell nötige Verbände
u. dgl. gemacht werden.
Zur Aufnahme ins Hospital können nur solche Kranke gelangen,
die nicht an akuten Infektionskrankheiten, wie Diphtherie, Masern.
Scharlach etc., leiden. Letztere werden in eines der zahlreichen
Londoner „Fever“-Hospitäler verwiesen. Abgesehen von dem staat¬
lichen Verbot erklärt sich die Nichtaufnahme solcher Kranken auch
aus dem Fehlen von Separatzimmern. Die vorhandenen zwei oder
drei kleineren Zimmer sind meist mit Kranken besonderer Art be¬
legt und liegen so wenig abseits, dass eine vollständige Trennung
gegen die grösseren Säle ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Nichts¬
destoweniger wird der Mangel an Separatzimmern sehr unangenehm
empfunden, z. B. bei zweifelhaften Fällen, deswegen, weil die Fieber-
Hospitäler nur Fälle mit sicherer Diagnose aufnehmen. Man ist
also gegebenenfalls im Interesse der übrigen Saalkranken direkt ge¬
zwungen, eine Diagnose als gesichert zu betrachten, über deren Zu-
ässigkeit man sonst vielleicht mit Fug und Recht noch zweifel¬
haft war.
Ob das gerade infolge der Möglichkeit genauer Sichtung und
Auswahl recht interessante Material des Hospitals auch für die
Wissenschaft in entsprechender Weise verwertet wird, darüber lässt
sich geteilter Meinung sein. Denn es ist für die Wissenschaft ge-
wiss kein sonderlicher Gewinn, wenn einzelne Fälle ohne irgend
eine kritische Betrachtung einfach nach Anamnese, Krankengeschichte
und eventuellem Sektionsbefund veröffentlicht werden, statt dass
man das reichhaltige Material, z. B. an den verschiedensten Leber¬
erkrankungen u. dgl., mit den dazu gehörigen Untersuchungsmethoden
an einer Reihe von Fällen im Ganzen studiert. Dadurch könnte
sicher nur ein Gewinn für den Ruf des Hospitals resultieren. Auch
wäre die Anstellung eines eigenen pathologischen Anatomen zu
wünschen, da die hiezu gehörigen Detailkenntnisse bei einem Nicht¬
spezialisten nicht vorhanden sind und auch nicht erwartet werden
dürfen und gerade bei Veröffentlichungen etwa vorhandene Zweifel
oder Meinungsverschiedenheiten von berufener Seite geklärt sein
müssen.
II. Buenos Aires.
Das deutsche Hospital in der argentinischen Hauptstadt liegt im
Süden in der breiten, baumbepflanzten Central America, jetzt Avenida
Pueyrredon, inmitten eines hübsch angelegten und gut unterhaltenen
Gartens, dessen zum I eil recht ansehnliche, Sommer wie Winter
giiine Palmgrupoen für den erst aus Europa Angekommenen einen
ungewohnten, aber schönen und imposanten Anblick gewähren. Auch
fiii die heisse Zeit muss man dem Hospitalgarten seine gute Instand-
haltung nachrühmen. Denn wer die tropische Hitze kennt, die in
Buenos Aires während der Monate Dezember, Januar, Februar
herrscht und wer weiss, wie die glühend heisse Sonne auf dem argen¬
tinischen Sandboden während dieser Monate alles Grün verbrennt
der weiss es zu schätzen, wenn er hier inmitten der Millionenstadt!
die, tiotzdem sie nur etwa die Hälfte der Einwohner zählt, doch
eine mindestens ebenso grosse Ausdehnung wie Paris hat, sich am
Anblick üppigen Pflanzenwuchses erfreuen kann.
Die Anstalt ist im Pavillonsystem gebaut, sie besteht, wenn
auch natürlich anfangs in kleineren Verhältnissen, bereits seit eini¬
gen Dezennien. Was das äussere Ansehen anbelangt, so kann unsere
deutsche Anstalt nicht mit denen anderer europäischer Staaten in
Buenos Aires, wie z. B. dem französischen oder italienischen Hospi¬
tal, konkurrieren. Allein bei so manchen solchen äusserlich recht
lepräsentativ und vornehm aussehenden Palästen ist die äussere
1 rächt nur auf Kosten der inneren Zweckmässigkeit — ja sogar
Sauberkeit und Reinlichkeit erreicht worden, ein für Krankenhaus¬
bauten absolut verkehrtes Prinzip.
Durch ein Gebäude, das die Portierloge, Bibliothek, Sprech¬
zimmer, Verwaltung und Wohnungen für die Hausärzte enthält, ge¬
langt man in den Hospitalsgarten. wo man der einzelnen Bauten als¬
bald gewahr wird.. Die Belegfähigkeit erreicht mit ca. 60 Kranken
inen durchschnittlichen Stand, doch können im Bedarfsfälle bis zu
■ Kranke untergebracht werden. Das ärztliche Personal besteht
aus einem Oberarzt, der zugleich als Direktor fungiert, und zwei
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1945
Hausärzten. Doch kommen infolge der Erlaubnis, ihre Kranken nach
dem Hospital schicken und dort behandeln zu können, noch einige
deutsche 'Aerzte gelegentlich in das Hospital. Diese können auch
Operationen im Hospital ausführen, nur bekommt die Anstalt immer
einen gewissen Anteil an den von den zahlenden Patienten für
Operationen geleisteten Remunerationen. Zahlende Patienten sind
solche erster Klasse. Sie haben für Verpflegung einen Satz von etwa
40 M. wöchentlich zu entrichten, die allenfallsigen Operations¬
gebühren werden in der Regel vom Operateur extra berechnet. Die
Patienten zweiter Klasse werden, wenn sie zahlungsunfähig sind,
kostenlos verpflegt und behandelt, oder zahlen, wenn sie dazu im¬
stande sind, eine angemessene Gebühr. Ein Ambulatorium, für das
mehrere Stunden wöchentlich angesetzt sind, trägt ebenfalls den
pekuniären Verhältnissen der Kranken Rechnung, indem bedürftige,
arme Deutsche umsonst behandelt werden, während zahlungs¬
fähige dem Hospital für seine Auslagen eine entsprechende Geld¬
vergütung entrichten. Die Frequenz des Ambulatoriums ist eine
rege, bei einem durchschnittlichen Besuch der Poliklinik von etwa
70 — 80 Kranken wöchentlich kommt dieselbe jährlich auf einige
Tausend Kranker.
Das Pflegepersonal besteht aus Schwestern des Roten Kreuzes,
die einer Oberschwester unterstellt sind. Ihnen ist auf den Sälen
für Männer männliches Wartepersonal beigegeben, an dem leider so
oft der Mangel an richtiger Ausbildung fühlbar ist. Diese Wärter
rekrutieren sich, da andere Kräfte fehlen, teilweise aus eingeborenen
Argentiniern oder eingewanderten Spaniern, deren allgemeine Be¬
griffe über Kranksein und Krankenpflege immerhin meist etwas
anderer Art sind als unsere deutschen .
Die Verwaltung liegt auch bei dieser Anstalt in den Händen
eines Komitees, das zumeist aus Kaufleuten besteht. Die Betriebs¬
kosten werden durch freiwillige Gaben und durch die Verpflegungs¬
gelder der Patienten gedeckt. Zahlende Krankenkassen in unserem
Sinn gibt es eigentlich keine. Natürlich herrscht auch hier wie in
London das gleiche Sparsystem, nur dass in Buenos Aires eine ge¬
wisse Berechtigung dafür vorhanden ist, da man sich dort nicht
jener reichen Schenkungen zu erfreuen hat. Die Folge dieses Spa¬
rens und Sparenmiissens ist natürlich, dass die Ausrüstung und Ein¬
richtung nicht immer auf der Höhe der Zeit sind. So habe ich dort
in einem Vorraum zum Operationssaal einen Röntgenapparat ge¬
sehen, dessen 2 oder 3 vorhandene Röhren zerbrochen^ mit dem
ebenfalls unbrauchbaren Induktorium unter einer dicken Staubdecke
sich von überstandenen Anstrengungen ausruhten. Ich will nicht ver¬
kennen, dass für solche Vorkommnisse nicht allein das Hospital als
solches verantwortlich zu machen ist, sondern doch zum grössten
Teil das mangelnde Interesse der zuständigen Personen. Das gleiche
gilt von der Ausrüstung des ärztlichen Laboratoriums, die sich eben
nach den Wünschen und Anforderungen richtet, die von den Be¬
teiligten an ein solches Untersuchungszimmer gestellt werden.
Es wäre wirklich schade, wenn allein durch solche mangelhafte
Institutionen, die sich bei etwas grösserem Verständnis ohne allzu
grosse Kosten" leicht ändern Hessen, unsere deutschen Hospitäler
im Auslande denen anderer Nationen unterlegen wären, während
Deutschland in der Heimat gerade auf dem Gebiete deis Hospital¬
wesens bahnbrechend geworden ist. Im Interesse des deutschen An¬
sehens wäre es nur wünschenswert, wenn das Mutterland (event.
zusammen mit dem Deutschtum Oesterreichs und der Schweiz) eine
gewisse Aufsicht über unsere Hospitäler im Auslande ausüben
könnte.
III. Rosario.
Rosario, die Hauptstadt der argentinischen Provinz Santa Fe.
hat, trotzdem die Stadt nur etwa 150 000 Einwohner zählt, eine recht
ansehnliche deutsche und englische Kolonie. Bei dem regen Schiffs¬
verkehr, der sich in den letzten Jahrzehnten auf dem Parana ent¬
wickelt hat und zu dem deutsche und englische Dampfer ihr Kon¬
tingent stellen, hat es sich als nötig erwiesen, ein Hospital für kranke
Seeleute zu bauen. Da nun vor etwa 30- Jahren, zu welcher Zeit
die Gründung des Hoispitals erfolgte, die beiden Nationen die Kosten
der Anlegung und Unterhaltung je eines eigenen Hospitals nicht
tragen konnten, so beschlossen sie, gemeinsam ein solches InstituJ
ins Leben zu rufen. Ein solch gemeinsames Vorgehen in einer
guten Sache ist an (sich gewiss lobenswert, hat aber leider gerade
in diesem speziellen Fall hauptsächlich durch die manchmal recht
stark divergierenden Charaktereigenschaften der beiden Nationen
und ihrer verschiedenen Elemente zeitweilig nicht gerade die er¬
quicklichsten Verhältnisse gezeitigt, deren Kenntnis ich meinem halb¬
jährigen Aufenthalt als Anstaltsarzt an dem deutsch-englischen Hoispi-
tal Rosarios verdanke.
Die Lage des Hospitals ist keineswegs eine günstige zu nennen,
denn dasselbe iist so abgelegen von allem Verkehr nach der Stadt hin
in einer nichts weniger wie einladenden Umgebung. Die Zufahrts¬
strassen sind in einem solchen Zustande, dass man bei Regenwetter
fusstief im Schlamm und Schmutz einsinkt, während bei dem an¬
haltenden trockenen Wetter im Sommer der Staub so hoch liegt,
dass jedes vorbeifahrende Gefährt den Eingang in eine undurchdring¬
liche Wolke von Staub hüllt, die natürlich für Verschleppung von
Infetktionskeimen aller Art die günstigsten Bedingungen bietet.
Wundern muss man sich bei diesen Verhältnissen nur darüber, dass
trotzdem so wenig Uebertragungen Vorkommen, denn an den rings¬
um liegenden Kadavern von Hunden, Katzen u. dergl., die nach argen¬
tinischer Manier einfach liegen bleiben, können sich Fliegen und
allerlei anderes Getier mit einer genügenden Menge von Keimen be¬
laden. Hier gleich noch einen weiteren Verstos.s gegen die Grund¬
prinzipien unserer Krankenhaushygiene: die sämtlichen Abwässer
des Hospitals gehen in Versitzgruben, die sich im Hospitalsanwesen
befinden! Da nun unter dem Einfluss dieser stetigen Bewässerung
das ganze Anwesen, das an sich schon etwas tief liegt, zu „vei -
sumpfen“ drohte ,so hat man den zur Entwässerung in den heisseren
Ländern vielgebrauchten Eucalyptusbaum in mehreren Exemplaren
angepflanzt. Dieselben reichen natürlich nur zum Teil aus und der
stark verunreinigte Boden bildet eine ständige Gefahr fiii das Hospi¬
tal Typhusdefäkationen und andere infektionstüchtige Medien wer¬
den ja allerdings nach den „üblichen“ Methoden desinfiziert, aber wie
wenig man sich auf solche Arbeiten, noch dazu bei einem ungeschäl¬
ten Personal verlassen kann, ist bekannt. Der „Garten“ besteht aus
einem um die Gebäude gelegenen Stück Land, das mit den erwähnten
Eucalyptus- und noch einigen anderen Bäumen bepflanzt ist, sonst
aber zum Bauen der für den Hospitalbeti ieb nötigen Gemüse dient!
Das Hospital ist in einer Art von Korridorsystem angelegt, man
kann vom Eingang aus nach den einzelnen Räumen von einem Gang
zu ebener Erde aus gelangen. Sämtliche Räume des Hospitals liegen
zu ebener Erde; es entspricht das der Bauart der (südlichen Länder,
die gewiss viele Vorzüge hat. Es finden sich also in dem Koiridoi-
bau die beiden grösseren Sülle, neben denen einige Zimmer für Privat-
und besondere Kranke liegen, das Operationszimmer, das Verband¬
zimmer. Warte- und ärztliches Sprechzimmer, die Wohnung des
einen Arztes, Apotheke, Schwesternräume und ein Raum für die
Verwaltung. Etwas abseits vom Hauptbau liegen ausserhalb des
Korridor Systems 'einige Zimmer, meist für Geschlechtski anke. die
Küche, einige Lagerräume, das Leichenhaus und Wohnungen für das
Personal. „ ’ , T. , , . . , . ,
In den Sälen, die beide nur für männliche Kranke bestimmt sind
(für 4—5 weibliche Patienten ist ein Zimmer vorgesehen) liegen
medizinische und chirurgische Kranke durcheinander und auch in
den kleineren Räumen ist eine Trennung nicht durchgeführt. Die
Anstalt hat Raum für etwa 50 Krpnke, die in 2 Sälen und einer Reihe
von Zimmern von 2 — 4 Betten untergebracht werden. Aufgenommen
werden alle Kranken deutscher, englischer oder einer nahestehenden
Nationalität, mit alleiniger Ausnahme von mit leicht übertragbaren In¬
fektionskrankheiten Behafteten (Diphtherie. Scharlach usw.) und
von Geisteskranken. Auch Argentinier und Spanier werden zu¬
gelassen, soweit sie Angestellte der englischen Eisenbahngesell¬
schaft sind, deren Kompaeniearzt der eine Arzt des Hospitals ist.
Die grössere Hälfte aller Kranken sind deutsche und englische See¬
leute, für welche die betreffende Reederei eine jährliche Pauschal¬
summe oder im Einzelfall pro Mann und Tag 3 Pesos = 5 M, be¬
zahlt. Selbstzahlende Patienten oder solche, für die ein Geschäfts¬
haus aufkommt, werden mit 4 Pesos täglich verpflegt, während Pri¬
vatkranke je nach dem Zimmer 6—10 Pesos zu entrichten haben.
Unbemittelte werden entweder auf Kosten eines Hilfsvereins oder
überhaupt frei verpflegt. Operationen werden nur an Seeleuten oder
Unbemittelten kostenlos vorgenommen, die übrigen Kranken haben
dafür einen angemessenen Betrag selbst zu entrichten bezw. durch
ihre Arbeitgeber entrichten zu lassen, in den sich das Hospital und
der Operateur teilen.
Das ärztliche Personal besteht aus zwei Aerzten, einem eng¬
lischen und einem deutschen, einer davon wohnt im Hospital, und
zwar in den letzten Jahren immer der deutsche, weil er unver¬
heiratet war und die vorhandene Wohnung nur für Junggesellen aus¬
reichend ist. Der derzeitige englische Arzt ist schon über 20 Jahre
am Hospital tätig und geniesst deshalb die Vorzüge dei Anciennität.
Jeder der beiden Aerzte hat seine Kranken, bei Operationen unter¬
stützen sie sich gegenseitig. Der im Hospital wohnende Arzt, der
„Medico interno“. hat die ganze Direktion und Verwaltung, in seiner
Hand, letztere soweit sie nicht, wie besonders in finanzieller Be¬
ziehung. dem Komitee untersteht, das wieder aus Kaufmannskreisen
beider Nationalitäten zusammengesetzt ist. Er hat Neuanstellungen
des Personals vorzunehmen, hat für die Bestände des Hospitals und
der Apotheke zu sorgen, hat demnach ein weites Feld der I ätigkeit.
Die Arzneien werden entweder fertig aus einer Apotheke der Stadt
bezogen oder eventuell auch, wenn es sich um einfachere Rezepturen
handelt, im Hause bereitet.
Das Krankenpflegepersonal besteht aus Schwestern, von denen
die eine Hälfte deutscher, die andere englischer Abstammung ist,
die aber ihre Vor- und Ausbildung erst im Hospital erhalten. Wah¬
rend. meines Aufenthaltes hatte ich nur eine einzige englische
Pflegerin, die entsprechend vorgebildet war. Diese Anstellung von
nicht vorgebildetem Personal' ist im Ausland nicht zu umgehen, sie
hängt erstens überhaupt mit dem Fehlen von Personal für Ki aiucn-
pflege zusammen und zweitens mit dem Mangel an Gelegenheit zui
Ausbildung. Man hat in Argentinien eben keine besonderen Schwe¬
sterngemeinschaften. wenn man nicht etwa französische odci ita io¬
nische geistliche Schwestern annehmen will, die abgesehen von den
Rassenunterschieden auch wahrscheinlich nicht in der getingene en
Anzahl zu haben wären. So muss der Arzt sich das r ersonal sc hs
erziehen. Dass er dabei mit recht vielen Schwierigkeiten und m-
1946
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
annehmlichkeiten zu kämpfen hat, liegt in der Natur der Sache.
Eines habe ich als recht vorteilhaft empfunden, nämlich dass man die
Schwestern ganz nach englischer Art instruiert und arbeiten lässt,
wonach sie selbst, ohne männliche Hilfe, auch die männlichen Kran¬
ken zu pflegen haben. Wie die englischen „Nurses“ führen auch
an dem deutsch-englischen Hospital Rosarios sämtliche Schwestern
alle Handreichungen und ärztlichen Verordnungen aus, isie geben und
überwachen die Bäder, sie machen Einläufe, sie dürfen sich auch
nie Vor Ausführung von Verordnungen scheuen, die die Sexualorgane
betreffen. Es hat diese Tätigkeit niemals zu irgendwelchen Be¬
anstandungen geführt, im Gegenteil wurde von den männlichen Pa¬
tienten immer die dezente Art, mit der solche Arbeiten ausgeführt
wurden, gerühmt. Während meiner Hausarzttätigkeit am Lon¬
donei Deutschen Hospital hatte ich verschiedentlich Gelegenheit. Lon¬
doner Hospitäler zu besuchen und immer hörte ich die gute' Seite
dieser Institution rühmen, niemals sind mir irgendwelche Unziem¬
lichkeiten zu Ohren gekommen. Vielleicht wäre es zweckmässig,
auch in Deutschland mit dem alten Vorurteil zu brechen und sich mit
t er Zeit an ein solches System zu gewöhnen; denn zu der aufopfern¬
den Anspruchslosigkeit der Pflegerinnen ist unser männliches Pflege-
personal eben nun einmal nicht fähig, von lobenswerten Ausnahmen
natürlich abgesehen.
Rein zur Unterstützung der Schwestern bei schweren Arbeiten,
wie Saalreinigung etc., ist denselben männliches Personal beigegeben!
doch hat dasselbe mit der Krankenpflege selbst nichts zu tun. Nur
bei Behandlung der eigentlichen sexuellen Erkrankungen werden
männliche Angestellte verwendet, z. B. bei Inunktionen oder In¬
jektionen, doch müssen selbst da manchmal die Schwestern aus¬
helfen, was sie auch willig tun.
Sämtliche Schwestern, ob deutsch oder englisch, müssen die
spanische Sprache sprechen, da es die Landessprache ist und viele
Patienten nur Spanisch sprechen. Ausserdem ist sie die Verständi¬
gungssprache zwischen den deutschen und englischen Schwestern
unter sich, soweit die deutschen nicht etwa noch Englisch dazu
lernen, denn der umgekehrte Fall, dass die englischen Schwestern
Deutsch lernen, dürfte sich bei der bekannten englischen Sprach-
faulheit nur sehr selten ereignen.
Recht zu bedauern ist, dass auch in Rosario die ärztliche Aus¬
stattung eine so furchtbar dürftige ist; von Röntgenapparat u. dergl.
heutzutage selbst für den praktischen Arzt unentbehrlich gewordenen
Apparaten will ich schweigen, das Fehlen solcher kostspieligen
Apparate kann man noch einigermassen mit Geldmangel entschuldi¬
gen. Aber wenigstens ein brauchbares Mikroskop und die not¬
wendigsten Reagentien und Flüssigkeiten für Urin- und Blutunter¬
suchung muss man doch eigentlich verlangen. Bei dem Kranken¬
material, das man zu behandeln hat, sind mindestens die allernot¬
wendigsten Ausrüstungen erforderlich. Allein es ist immer der Nach¬
teil der Hospitalsverwaltungen, die ein kaufmännisches Komitee
leitet, dass man gerade noch für die Kranken das Notwendigste tut,
aber den Arzt selbst für die allgemein üblichen und notwendigen
wissenschaftlichen Untersuchungen nicht unterstützt. Und es ist
doch auch eine Pflicht für uns Aerzte, dass wir neben der aller¬
ersten Forderung, die man mit Recht an uns stellt, nämlich den
unserer Obhut anvertrUuten Kranken nach besten Kräften zu nützen,
weiterhin auch jeder nach seinem Teil dazu beitragen, Wesen und
Erscheinungen der Krankheiten zu erforschen. Und gerade in den
tropischen und subtropischen Gegenden harren noch so manche
Krankheitsvariationen ihrer Lösung.
IV. Valparaiso.
Unter den mir aus eigener Anschauung bekannt gewordenen
deutschen Hospitälern im Auslande ist mir dasjenige in Valparaiso
nicht zum mindesten wegen seiner prachtvollen Lage in bester Er¬
innerung. Die Deutschen der Vierhiigelstadt haben sich auf dem
Lerro Alegre ein wahres Paradies geschaffen. Das herrliche, einzig¬
artige Bild, das sich von dem genannten Hügel, der etwa 150 m
iibei der Stadt liegt, auf letztere sowohl wie auf die ganze Bucht von
Valparaiso bietet, die im Hintergrund von grösseren Höhenzügen
umrahmt ist, wird der, welcher dasselbe einmal geschaut, wohl zeit¬
lebens nicht vergessen. Selbst durch die furchtbaren Zerstörungen,
uic das Erdbeben und die beuersbrunst im vorigen Jahre angerichtet,
verliert die herrliche Szenerie nicht an Anmut und Pracht, da die
Zeugen jenes grossen Unglücks dem Beschauer weit genug entrückt
sind, dass er nur die anmutige Seite der Mutter Natur, nicht aber
dir strenges und unerbittliches Antlitz zu sehen bekommt. Der gut
gepflegte und an schönen Pflanzen und buntem Blütenschmuck über—
reiche Garten legt Zeugnis ab von dem Verständnis der deutschen
Kolonie in Valparaiso für das psychische Moment der Krankenbehand¬
lung. Denn dass in solch herrlicher Natur auch ein wohltätiger Ein-
fluss auf das Gemüt des Patienten ausgeübt wird, ist leicht begreif¬
lich Das Hospital hat unter dem Erdbeben auch gelitten, wenn auch
nicht in besonderem Masse, und dieses Verschontblleiben dankt es
seiner Lage ausserhalb des Erdbebenzentrums, das gerade hier so
ziemlich seine äusserste Grenze erreichte, während es nach Nord¬
osten und Osten noch weit ins Innere des Landes hin seine verheeren¬
den Wirkungen entfaltete.
Der Zugang von Kranken nach dem Hospital erfolgt natürlich
meistens pei W agen, der Zugang ist wohl auch kein sehr grosser.
Die Anstalt hat Platz für etwa 30 Kranke, die in einem hellen, luf¬
tigen Saal von 12 Betten und mehreren geräumigen Zimmern unter¬
gebracht sind. Es sind meistens Seeleute von den zahlreichen deut¬
schen Dampfern, die Valparaiso besuchen. Es hat mich recht hei¬
misch angemutet, als am 27. Januar dieses Jahres von den 22 im
Hafen liegenden Dampfern 8 deutsche den Geburtstag des Kaisers
durch Beflaggen und Arbeitsruhe feierten. In Chile gilt von allen
ausländischen Nationen die deutsche noch immer am meisten und die
Engländer, die sonst ein grosses Geschick darin haben, sich bei an¬
deren Völkern einzuführen, haben gerade hier noch wenig erreicht.
Hoffen wir, dass diese Wertschätzung und Achtung des Deutschen in
Chile noch recht lange erhalten bleiben möge.
Ausser den Seeleuten und sonstigen Patienten zweiter Klasse,
für welche die betreffende Reederei oder Firma meist eine jährliche
einmalige Summe dem Hospital zeichnet, finden auch Privatkranke
gegen eine angemessene Summe eine gute Verpflegung. Ein kleines
Ambulatorium ist für Behandlung von kleineren Verletzungen u. dgl.
Die innere Einrichtung des Hospitals ist eine durchaus zweck¬
mässige und den Anforderungen der Neuzeit entsprechende. Die
drei vorher geschilderten Anstalten könnten in dieser Beziehung so
manches von dem kleinen, aber trefflich unterhaltenen Hospital in
Valparaiso lernen. Saubere, helle Räume sind die beiden Operations¬
zimmer. Zu der Zeit meines Besuches wurden eben neue geräumige
Zimmer für die Röntgeneinrichtung und das ärztliche Laboratorium
fertiggestellt. Eine recht gute ärztliche Bibliothek trägt dem Be¬
dürfnis der Aerzte nach weiterer Fortbildung Rechnung. Die beiden
ständigen Aerzte, von denen der jüngere als Hausarzt im Hospital
wohnt, geben sich alle Mühe, den guten Ruf, den das deutsche Ho¬
spital in Valparaiso geniesst, nicht nur zu erhalten, sondern auch
zu mehren. In Chile wird wie in den meisten Staaten für Ausübung
der ärztlichen Praxis ein einheimisches Examen verlangt. Deshalb
sind die Aerzte an dem deutschen Hospital meistens in Chile ge¬
borene Deutsche, die im Lande studiert und Examen abgelegt haben.
Wenn man die Anstalt sieht, so fragt man sich unwillkürlich,
warum und wie kann man hier mit denselben Mitteln oder wahr¬
scheinlich viel geringeren, — die deutsche Kolonie in Valparaiso ist
bedeutend kleiner als in Buenos Aires oder in Rosario — so be¬
deutend mehr erreichen als in den beiden anderen Städten? Natürlich
hängt viel von dem Verständnis der leitenden und verwaltenden Per¬
sonen für das Hospitalwesen ab, hat ja das Komitee in Valparaiso eine
gleiche Zusammensetzung wie in den anderen Städten. Um so mehr
verwunderlich bleibt es aber, dass man andernorts sich eben diese
Anstalt, die weithin bekannt ist, nicht zum Muster nimmt, wenn man
sieht, dass mässige Mittel in verständiger Hand richtig angewendet
mehr Zweckentsprechendes leisten können als selbst grössere Sum¬
men, die kritiklos weggeworfen werden.
Auch das Londoner deutsche Hospital könnte der kleinen, aber
musterhaften und mit Verständnis geleiteten Anstalt in Valparaiso
manches Gute absehen. In 'besonders auffälligem Gegensatz steht
dazu in Buenos Aires und Rosario die vollständige Vernachlässigung
der wissenschaftlichen Fortbildung der Aerzte, eine Forderung, die
doch heutzutage nicht mehr von einer sachgemässen Krankenbehand¬
lung zu trennen ist.
Mögen diese Zeilen dazu beitragen, so manche Uebelstände in
den deutschen Hospitälern des Auslandes zu beseitigen und unseren
Landsleuten eine auf wissenschaftlicher Basis beruhende Behandlung
zu ermöglichen, wie sie dieselbe an unseren einheimischen Hospi¬
tälern gewohnt sind.
Anmerkung bei der Korrektur. In No. 35 der D. med.
Wochenschr. bringt Dr. P. S c h o b e r - Paris einen Artikel über
Deutsche Hospitäler im Ausland. Da derselbe aber keine persönlichen
Erfahrungen hat, sondern nur aus Jahresberichten und sonstigen An¬
gaben schöpft, so dürfte manches in allzu günstigem Lichte erscheinen.
. D. Verf.
Referate und Bücheranzeigen.
* Max Rubner: Lehrbuch der Hygiene. 8. Auflage. Ver¬
lag von Franz D e u t i k e. 1907. 1027 Seiten/295 Abbildungen.
25 Mark.
Wieder erscheint das in diesen Blättern schon mehrfach ge¬
würdigte und als das beste deutsche Hygienelehrbuch an¬
erkannte Werk in neuer Auflage, mannigfach umgearbeitet,
erneuert und verbessert, so haben u. a. die historischen Studien,
denen sich Rubner in neuerer Zeit zugewendet hat, Berück¬
sichtigung gefunden. Aber auch in allen übrigen Kapiteln zeigt
sich, dass Rubner unendlich an der Vertiefung des Ge¬
samtinhaltes der hygienischen Wissenschaften arbeitet. Findet
der Lernende in dem Buche eine gleichmässig eingehende
Uebersicht des Gesamtgebietes, so erhält der Forscher und
Lehrer ausserdem noch eine Menge von Anregungen durch die
persönlich gefärbte und an eigenen Ideen reiche Darstellung.
Das Werk wird weiter dazu beitragen, hygienische Wissen¬
schaft und Praxis zu fördern. R. B. Lehmann.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1947
E. Sauerbeck: Neue Tatsachen und Iheorien in der
immunitätsforschung. Sonderabdruck aus Lubarsch-
0 s t e r t a g, Ergebnisse, XI. Jahrg. Wiesbaden, J. F. Berg¬
mann, 1907. 324 S. Preis M. 7.60.
Auf Grund umfassender Literaturstudien und experimen¬
teller Untersuchungen gibt Verf. eine kritische Uebersicht über
die wichtigsten Gebiete aus der neueren Immunitätslehre, be¬
sonders über die beiden im Vordergrund des Interesses und der
Diskussion stehenden Theorien, die Opsonine von W r i g h t
und die Aggressine von Bail, welch letztere Verf. in Ueber-
einstimmung mit der Mehrzahl der Forscher in der Hauptsache
als freigewordene Endotoxine betrachtet. In der neueren Im¬
munitätslehre tritt die Phagozytentheorie, welche besonders in
Deutschland durch die hier lange Zeit fast allein geltende humo¬
rale (bakteriolytische) Theorie wenig Anerkennung fand, neuer¬
dings immer mehr in den Vordergrund, allerdings nicht in der
ursprünglichen Metschnikoff sehen Auffassung als allei¬
nige Ursache der Immunität, sondern als eine Art von Kom¬
bination beider Schutzstoffe, des Serums und der Phagozyten.
Doch ist, wie Verf. in einem Rückblick und Ausblick erörtert,
mit den herrschenden Theorien die Immunitätsforschung vom
Ziel noch weit entfernt. Ein ausführliches Literaturverzeich¬
nis ist der Arbeit beigegeben, die eine ausgezeichnete klare
Uebersicht über die überaus zahlreichen, in der Literatur so zer¬
streuten neueren Arbeiten der Immunitätslehre bietet.
Dieudonne.
E. Marx: Die experimentelle Diagnostik, Serumtherapie
und Prophylaxe der Infektionskrankheiten. Bibliothek von
Coler-Schjerning, Bd. XI. 2. Auflage. Mit 2 litho¬
graphischen Tafeln. Berlin. A. Hirschwald, 1907.
398 Seiten. Preis M. 8. — .
Die neue Auflage ist den Fortschritten der Mikrobiologie
entsprechend umgearbeitet, so dass das Buch eine ausgezeich¬
nete Uebersicht über den derzeitigen Stand der bakterio¬
logischen Wissenschaft gibt. Ein einleitendes Kapitel über Im¬
munisierungsprodukte und deren Konstitution bringt einen kur-
zen klaren und leichtverständlichen Ueberblick über die
theoretischen Grundlagen der Immunitätslehre. Bei jeder In¬
fektionskrankheit werden zunächst die morphologischen, kul¬
turellen und biologischen Eigenschaften der Erreger, dann die
experimentelle Diagnostik, die Serumtherapie und die spe¬
zifische Prophylaxe besprochen, und zwar nur das auf Grund
der reichen eigenen Erfahrung des Verf. wirklich Erprobte und
Brauchbare. Neu aufgenommen ist ein Kapitel über die wissen¬
schaftlich und praktisch so wichtige Trypanomiasis und den
Bacillus fusiformis. Ein ausführliches Sachregister erleichtert
die Benützung des Buches, das auch fernerhin nicht nur fiii den
Sanitätsoffizier, sondern auch für den beamteten und den prak¬
tischen Arzt ein zuverlässiger Führer und Berater bei der Be¬
kämpfung der Infektionskrankheiten sein wird.
Dieudonne.
C. v. Pirquet: Klinische Studien über Vakzination und
vakzinale Allergie. Franz D e u t i k e. Leipzig und Wien 1907.
194 Seiten. Preis 6 Mk.
Diese „klinischen Studien“ C. v. Pirquets bestehen aus
drei Teilen, einer klinischen Darstellung der I. -Vakzination,
einer solchen der Revakzination in ihren verschiedenen Modi¬
fikationen und schliesslich in einer Darlegung von subjektiven,
auf die gewonnenen Erfahrungen sich stützenden Schlussfolge¬
rungen allgemein pathologischer Natur. Dabei müssen wir
vorwegnehmen, dass P. unter vakzinaler Allergie die durch
Kuhpockenimpfstoff hervorgebrachte Reaktionsveränderung des
Organismus, wie sie einer erneuten Infektion gegenübel zu
tage tritt, versteht. Die Beschreibung des klinischen Verlaufes
der I.- und Revakzination bringt eine Reihe genauer und
zweifelsohne richtiger Beobachtungen, die ihren Höhepunkt in
den durch millimetrische Messungen gewonnenen graphischen
Darstellungen des Ablaufes der lokalen Reaktion erreichen.
Was P. aus seinen Versuchen für die Auffassung der pa¬
thologischen Vorgänge folgert, ist sicherlich in manchem, so
der Anwendung des Begriffes der Ueberempfindlichketit in
seiner „hyperergischen“ Reaktion, für den, welcher bisher ge¬
wohnt war, in der Reaktion bei Wiederimpfung nur mehr oder
weniger abortive Erscheinungen zu sehen, überraschend. Auch
ist die Auffassung, als sei vakzinale Frühreaktion oder beschleu¬
nigte Pustelreaktion ausschliesslich der Ausdruck vakzinaler
Allergie, für den nicht akzeptabel, der sich z. B. mit der Ent¬
wicklung der Vakzineeffloreszenzen auf Tieren eingehender zu
befassen hat. Hier ist sehr häufig die Frühreaktion, d. h. der
zeitlich zusammengedrängte, abortive Verlauf eine Folge der
Abnahme der Intensität der Infektion, wie ja auch Variolois
nicht etwa nur eine allergische Modifikation des Blattern¬
prozesses ist.
Es ist jedoch nicht notwendig, P. in allem beizustimmen
und man wird doch diese „klinischen Studien nicht nur mit
Genuss und Interesse lesen, sondern auch für die eigene Be¬
urteilung der klinischen Vorgänge des Vakzinationsprozesses
manches aus ihnen entnehmen können. Darum möchte ich die
Pirquet sehe Schrift allen denen, die sich mit der Vakzination
beschäftigen, angelegentlich zum Studium empfehlen.
A. G roth.
Prof. Dr. Sigmund F r e u d: Zur Psychopathologie des All¬
tagslebens. (Ueber Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aber¬
glaube und Irrtum.) 2. vermehrte Auflage. S. Karger,
Berlin, 1907. 131 Seiten. Preis 3.50 M.
Dass man Namen leichter vergisst als andere Dinge, ist
eine bekannte Tatsache. Warum man aber gerade einen be¬
stimmten Namen in einem bestimmten Falle nicht nennen kann,
muss eine spezielle Begründung haben. Solchen psychischen
Problemen ist F r e u d nachgegangen, wobei sich herausstellte,
dass in vielen Fällen, wenn nicht regelmässig die Ursache daran
liegt, dass das vergessene Wort mit einem Begriffskomplex
in Verbindung steht, an den man sich nicht gern erinnert, den
man „verdrängt“ hat. So deckt die Analyse den Zusammen¬
hang des nicht auffindbaren „S i g n o r e 1 1 i“ mit dem trüben
Thema „Tod und Sexualität“ auf, das bei dem Vergessenden
durch besondere Ereignisse Aktualität erlangt hat. Dem
gleichen Gesetze folgt anderes Nichterinnern. So kann das
„Aliquis“ in „exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor“ beharr¬
lich unter der Schwelle des Bewusstseins bleiben wegen seiner
Verwandtschaft mit „liqui“, einem Wort, das an einen ver¬
drängten Komplex erinnert, bei dem das Nichtfliessen des
Menstrualblutes eine Rolle spielt. Dem, der nicht selbst ähn¬
liche Beobachtungen gemacht hat, wie Verfasser, müssen solche
Deutungen zunächst gezwungen erscheinen; schon einleuch¬
tender ist es aber, wenn ein Mann, der eben daran denkt, eine
frühere Liebe, über die recht viel Zeit gegangen ist, wieder
aufzunehmen, aus der Braut von Korinth rezitiert:
Sieh sie an genau,
Morgen ist sie grau
statt:
Morgen bist du grau.
Wenn aber beim Versprechen jemand von Tatsachen er¬
zählt, die zum „Vorschwein“ gekommen sind, wird niemand
an der Unreinlichkeit dieser Tatsachen zu zweifeln wagen.
Manchmal drängt sich ein anderes Gedächtnisbild statt
des Unangenehmen förmlich auf. Freud spricht dann von
„Deckerinnerunge n“. Auch die Vorsätze, die man ver¬
gisst, haben gewöhnlich gegen einen Widerstand zu kämpfen,
der, obwohl im Oberbewusstsein überwunden, aus dem Un¬
bewussten heraus die Psyche lenkt; und wohl schon jeder
Leser hat gelegentlich „aus Vergesslichkeit“, „aus Ungeschick¬
lichkeit“ einen Gegenstand vernichtet, der ihm zwar nicht wert¬
los ist, den er aber doch aus irgend einem Grunde gern be¬
seitigt hätte. Ebenso ist es nicht nur Freud, der die Er¬
fahrung gemacht hat, dass eine Frau, die aus Versehen mit
ihrem Mädchennamen unterschreibt, in der Ehe nicht glück¬
in einem letzten Kapitel benützt F r e u d den durch solche
Beobachtungen von fundamentaler Wichtigkeit gewonnenen
Standpunkt dazu, einige Ausblicke auf andere Gebiete unsei es
Geisteslebens, namentlich des Aberglaubens, zu tun, die, wenn
sie auch das Gebiet lange nicht erschöpfen, doch sehr inte i -
cssänt sind
Es ist Mode, die Freud sehen Forschungen abzulehnen,
ohne sie studiert zu haben. Die „Psychopathologie des Alltags¬
lebens“, die nun in zweiter erweiterter Auflage erscheint, zeigt
1948
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Gebiete, die ohne grosse technische Erfahrung von jedem nach¬
geprüft werden können. Wer das letztere tut, wird alltäglich
bei sich und bei seinen Bekannten — und event. bei seinen
Kranken — F r e u d sehe Symptome finden, aus denen er auf
andere bisher unbekannte psychische Vorgänge schliessen
kann, die sich objektiv erweisen lassen und dadurch die Rich¬
tigkeit der Annahme unwiderleglich dartun.
Bleuler- Burghölzli.
Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde. Medizinisch-
chirurgisches Handwörterbuch für praktische Aerzte. Heraus¬
gegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Albert Eulen bürg.
I. Band: Aachen bis Asphyxie. Mit 144 Abbildungen im Text,
2 schwarzen und 7 farbigen Tafeln. Vierte gänzlich umge-
ai beitete Auflage. Urban &. Schwarzenberg, Berlin
und Wien, 1907. Preis in Leder geb. 28 Mk.
Zum 4. Male tritt der verdienstvolle Begründer der Real¬
enzyklopädie mit einer neuen Ausgabe seines grossen Werkes
hervor. Wenn man sich die Riesenarbeit, die mit diesem
Unternehmen verknüpft ist, vergegenwärtigt, so erscheint es
als eine besondere Gunst des Schicksals, dass es einem und
demselben Manne vergönnt war, diese Arbeit innerhalb eines
Menschenalters — die erste Auflage erschien vor 27 Jahren —
viermal zu leisten. Denn in einer rasch schaffenden und um¬
gestaltenden Zeitperiode, wie es die letzten drei Dezennien
vai en, kommt die Neuausgabe eines solchen Werkes, wenn sie
ihren Zweck erfüllen soll, der Neuschaffung nahezu gleich.
Wir beglückwünschen Herrn Geheimrat Eulenburg zu
dem vollen Erfolg, mit dem es ihm, wie ein Blick in den vor¬
liegenden I. Band zeigt, gelungen ist, auch diesmal seiner Auf¬
gabe gerecht zu werden. Die in den früheren Auflagen be¬
währten Grundlagen des Werkes sind auch in der neuen Auf¬
lage unverändert geblieben. Dennoch erscheint diese in
wesentlich veränderter Gestalt. Das Format ist grösser die
Bande sind stärker geworden; dafür wurde die Zahl der Bände
von 26 der 3. Auflage auf 15 reduziert. Die dadurch bedingte
grössere Konzentration einzelner Artikel und die Weglassung
nebensächlichen und unwesentlichen Materials wird nur will¬
kommen sein. Eine besondere Verbesserung haben Papier und
auÜv, erfahren- die geradezu luxuriös zu nennen sind. Auch
Abbildungen, insbesondere Tafeln, sollen in der neuen Auflage
in grosserer Zahl verwendet werden; im vorliegenden I. Band
i nn-JiWiA gU!e Tard'8e dafein zu Abdominaltyphus, Amanita
phalloid, Amyloidentartung, Appendizitis etc. Eulenburgs
Realenzyklopädie gehört zu den populärsten Werken der medi¬
zinischen Literatur; ihre Vorzüge sind allen Aerzten bekannt
brn wird auch in ihrer neuen Gestalt ihre Aufgabe, ein nie ver-
sagendes Nachschlagewerk für den praktischen Arzt zu bilden
erfüllen. Wir wünschen der IV. Auflage den verdienten un¬
verminderten Erfolg bei der Aerzteschaft. veraienten’ 1111
das Über d'eu deutschen Schutzgebiete für
uas Jahr 1904/ 0a. Herausgegeben von der Kolonialabteilung
des auswärtigen Amtes. Berlin 1907. Ernst Siegfried Mittler
& S o h n, Kochstr. 68-71. 269 S. Preis 7.50 M
Wie im Vorjahre bringt auch heuer der dankbar begrüsste
Belicht zuverlässige, planmässig zusammengestellte Daten
"Sr. Je Gestaltung des Sanitätsdienstes in unsern Schutz-
gcbictcn, über die Bestrebungen und Erfolge seiner Organe
Mhres 1904/05en Qesundheitszustand während des Berichts-
ripr p1 Ostafrika zeigt sich im allgemeinen eine starke Zunahme
der Frequenzziffern der Krankenhäuser, die zum Teil auf die
Zunahme der Bevölkerung, zum Teil auf das wachsende Zu-
ti auen der Eingeborenen, zum Teil jedoch auf höhere Erkran-
kungsziffern (Malaria der Europäer 1903/04 51,3 Proz., 1904/05
Kn ' °k' ZUrUuCkz^uhLen, lst Bemerkenswert ist der Bericht
n “ 1 ik Utrr d'e Malaria der eingeborenen Bevölkerung
aressalams. Die Pestherde im Innern zeigten nachlassende
Eikiankungsztffern. Es gelang wiederum, die Einschleppung
du I est von aussen in das Küstengebiet zu verhindern Di?
Dürchmipfung der Eingeborenen wurde sicherer organisiert
Die Eröffnung des Lienhardt-Sanatoriums zu Wuguri "n den
Mat um bi bei gen bedeutete einen dankenswerten Fortschritt
fc.ne etwas weitgehende Kasuistik lässt den Ostafrika ge¬
widmeten Teil ein Drittel des ganzen' Buches einnehmen.
Kamerun zeigte im allgemeinen eine leichte Abnahme der
Krankheits- und Todesziffern; allerdings mehrten sich die
Schwarzwasserfieber in Duala wieder. Das Sanatorium Suel-
laba wurde gern in Anspruch genommen und wirkte segens¬
reich. Auch in Togo war der Gesundheitszustand günstig; das
erfreuliche Bild wurde nur durch zwei schwarze Punkte ge¬
stört, einerseits die hohe Krankheitsziffer (Malaria, Dysenterie
und Beriberi) der kriegsgefangenen Hottentotten — wieviel
nach Lome gebracht wurden, verschweigt der Bericht — an¬
dererseits das Auftreten von Gelbfieberfällen in Anecho, einge¬
schleppt aus dem benachbarten französischen Gebiet. Erfreu-'
lieh für den Stand des deutschen Sanitätsdienstes ist der an¬
haltende Zulauf, den das Nachtigalkrankenhaus aus dem be¬
nachbarten französischen Gebiet geniesst. Der Impfdienst
Togos, sowie die Lymphgewinnung ist dank den Bemühungen
Külz’ vorbildlich.
Auch in diesem Jahr liegt statt eines Jahresberichtes über
Südwestafrika wegen der daselbst noch bestehenden Unruhen
nur ein Verzeichnis der im Jahre 1904 gestorbenen Weissen
vor. Die Gefallenen und Ermordeten nehmen unter den 152
Todesfällen einen breiten Raum ein.
In Deutsch Neuguinea mit den angrenzenden Gebieten
waren nach wie vor die Malariaerkrankungen ausschlaggebend
für den Gesundheitszustand. Im nordwestlichen Zipfel Neu-
Mecklenburgs wurde Käwieng zum ersten Mal dauernd mit
einem Arzt besetzt; nach seinem ausführlichen Bericht scheint
die Station zu den gesunderen Gegenden des Schutzgebietes
zu gehören.
Die Berichte über die kleineren deutschen Inseln der Siid-
sec erwähnen fast überall eine Influenzaepidemie mit zum Teil
schweren Eolgekrankheiten, zeigen im übrigen keine wesent¬
lichen Aenderungen im Gesundheitszustand.
Die Uebersichtlichkeit und damit der Wert des Jahres¬
berichtes würde sich durch eine sämtlichen Einzelberichten zu
gebende gleichmässige Anlage und durch Vermeidung der sehr
stark ausgeprägten Ungleichmässigkeit der Ausführlichkeit
wesentlich heben lassen. zur V e r t h - Berlin.
uas Gesundheitswesen des Preussischen Staates im
Jahre 1905, bearbeitet von der Medizinalabteilung des Mini¬
steriums. Berlin 1907. Richard S c h ö t z. 521 Seiten und
48 Seiten Tabellen. 14 Mk.
Der diesjährige vergrösserte preussische Sanitätsbericht
bringt wieder reichhaltige Angaben, welche die weiteste Ver¬
breitung verdienen, über die Gesundheitszustände des Landes
und alle Zweige der Verwaltung. In Bezug auf manche Ver¬
hältnisse kann auf die Besprechung früherer Jahrgänge ver¬
wiesen werden, so hinsichtlich der immer noch wenig ge-
besserten Leichenschau; in anderen Beziehungen sind auch
dieses Jahr erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen
Bewegung der Bevölkerung. Auf 1000 Lebende kamefi 36 5 Le¬
bendgeborene, erheblich weniger als in den 4 Vorjahren. Da an-
dTÄdLe Sterblichkeit höher war, als im Vorjahre, nämlich 19,8
aut 1000 Lebende, so war der natürliche Zuwachs der Bevölkerung
d. h. der Ueberschuss der Zahl der Lebendgeborenen über die der
Gestorbenen im Berichtsjahre bedeutend geringer als in den 4 Vor¬
jahren.
ofr .Auf l00p Kinder im ersten Lebensjahre starben 230 gegenüber
246 im Durchschnitte der Jahre 1881 bis 1900. Auf je 1000 Lebend-
geborene kamen 198 im ersten Lebensjahre Gestorbene. So hoch diese
wotalahre ?9M 25‘b starten.^ imnKrhi" We"iser' a,S in Bavenl-
Bezüglich des nun inkraftgetretenen Gesetzes zur B e -
ul™P!,Ung ubTer tragbar er Krankheiten ist hervorzu-
licben dass von Lungen- und Kehlkopftuberkulose wenigstens jeder
Todesfall anzuzeigen ist, leider nicht, wie der Entwurf bestimmte
auch jeder Wohnungswechsel eines Tuberkulösen. Während nach
dem Reichsgesetze eine Absonderung für kranke, krankheits- und
ansteckungsverdachtige Personen angeordnet werden kann, ist dies
nach dem preussischen Gesetz für nur ansteckungsverdächtige, also
z: ’?* Evphusbazillen träger nicht vorgesehen. Ein bedauerlicher so¬
ziale! Mangel des Gesetzes ist es ferner, dass es den Abgesonderten
peJ.nJr Entschädigung für entgangenen Arbeitsverdienst, wie das
ReiJisgesetz gewahrt und ganz dasselbe ist der Eall betreffs Ent-
sc uidigung bei Verlusten durch die polizeilich angeordnete Des-
wiihrt00’ WC chc nur die Reichsgesetzgebung in liberaler Weise ge-
Einzelne Krankheiten. Die Wurmkrankheit hat infolge der
gegen sie ergriffenen Massregeln eine erfreuliche Abnahme erfahren.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1949
Von Cholera wurden 212 Erkrankungen und 85 Todesfälle
bekannt. Es ist in erster Linie der sorgfältigen Ueberwachung des
Schiffahrtsverkehrs zu danken, wenn es nicht zu einer Epidemie ge¬
kommen ist. Der Schwerpunkt der Cholerabekämpfung sei aller¬
dings in die einzelnen Orte zu verlegen.
Einheimischer Brechdurchfall. Die Erkrankungen
und Todesfälle waren auffallend häufig, besonders in den östlichen
Kreisen. Die Bestrebungen der Aerzte, die Mütter der Neugeborenen
möglichst zum Selbststillen anzuhalten, haben vielfach schon gute Er¬
folge gehabt. In den Regierungsbezirken Potsdam, Lüneburg und
Aachen ist das Selbststillen (wieder?) zur Regel geworden.
Die T y p h u s Sterblichkeit scheint seit 4 Jahren ziemlich gleich
geblieben zu sein; sie erscheint aber nur noch als ein Drittel oder
Viertel derjenigen der 80 er Jahre. Im allgemeinen ist sie am grössten
im Osten. Standesamtlich sind 2730, sanitätspolizeilich 2060 (!) To¬
desfälle angemeldet worden, — alle diese Zahlen sind recht un¬
zuverlässig. Die Einzelberichte wiederholen ziemlich die Erfahrungen
über Typhusätiologie, welche in früheren Jahresberichten veröffent¬
licht worden waren. Aus den einzelnen Berichten sei Folgendes
angeführt. Eine Reihe von zweifelhaften Fällen, die zum Teil an¬
fänglich gar nicht einmal den Verdacht auf Typhus erweckten, son¬
dern als Influenza usw. aufgefasst wurden, sind erst durch die bak¬
teriologische Untersuchung erkannt worden; dagegen hatten in Gum¬
binnen von 100 Blutuntersuchungen bei klinisch als Typhus ange¬
sprochenen Erkrankungen 12 ein negatives Resultat. Wiederholt
wird geklagt, dass das negative bakteriologische Untersuchungs¬
ergebnis nicht mit der klinischen Diagnose übereinstimmte. Zur
wichtigen Frage der Bazillenträger sei erwähnt, dass im Reg.-Bez.
Coblenz 23, in Trier 70 aufgefunden wurden. Von den erstgenannten
gingen 82 weitere Erkrankungen aus und nur 2 oder 3 sind nach
Monaten sicher geheilt worden, die Ausscheidung von Bazillen fand
in 2 Fällen 9 und 21 Jahre nach durchgemachtem Typhus statt. Dass
diese Bazillenträger in vielen Fällen das anhaltende Vorkommen von
Typhus in einzelnen Häusern und Orten erklären können, ist unbe¬
streitbar; dass sie es aber nicht immer erklären, geht z. B. aus dem
Berichte von Hildesheim hervor, wo vereinzelte sogen. Typhushäuser
beobachtet wurden, chronische Bazillenträger aber trotz der nach
dieser Richtung angestellten Untersuchungen im Bezirke nicht ent¬
deckt werden konnten, und die gleiche Erfahrung wurde in den
Kreisen Uslar und Lüchow gemacht.
In erster Linie werden die Ansteckungen auf verseuchtes Trink¬
wasser zurückgeführt, wenn auch kein Nachweis von Bazillen im
Wasser berichtet wurde, ausser dem von Paratyphusbazillen in einem
Brunnenwasser. Auch das Badewasser wird in mehrfachen Fällen
als Ursache der Werterverbreitung angeführt. In der Irrenanstalt
Göttingen soll eine Badewanne die Krankheit übertragen haben.
Mehrfach wird auch u. a. Fleisch als Ursache vermutet, wie in zwei
Epidemien, welche in Kundenkreisen von Schlächtereien auftraten.
Für die Weiterverbreitung ist zumeist wieder Uebertragung durch
Kontakt verantwortlich zu machen, so bei zahlreichen Erkrankungen
von Pflegepersonal. Mehrere Erkrankungen in zwei Kreisen wurden
auf Ansteckung durch Berliner Müll zurückgeführt.
Bemerkenswert sind sehr zahlreiche Erkrankungen an Brech¬
durchfall im Spreewalde, die in ihrem Verlaufe vielfach der Cholera
glichen und binnen wenigen Tagen, oft innerhalb 24 bis 48 Stunden
nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen zum Tode
führten und bei welchen es sich, wenigstens zum Teil um eine
Epidemie von Paratyphus handelte.
Sichere Fälle von El eckfieber wurden 24 mit 4 Todes¬
fällen, von Ruhr (unvollständig) 849 Erkrankungen sanitätspoli¬
zeilich gemeldet. Nach den standesamtlichen Angaben, welche zu
hoch sind, wären 282 Personen an Ruhr gestorben. Bei Haus¬
epidemien, namentlich, in Irrenanstalten, wurde der Einfluss von Ba¬
zillenträgern angenommen.
So wertvoll die Bekämpfung des Trachoms, der Körner¬
krankheit, bisher gewesen ist, lässt doch die Herabminderung der
Krankheit noch viel zu wünschen übrig; so bildet für den Reg.-Bez.
Düsseldorf die Granulöse wegen des starken Zugangs von Arbeitern
aus dem Osten eine ständige und langsam wachsende Gefahr; in
manchen Kreisen ist schon eine recht erhebliche Anzahl von Fällen
festgestellt worden.
Das Berichtsjahr war ausgezeichnet durch ein bis dahin in
Preussen noch nicht beobachtetes ausgedehntes epidemisches Auf¬
treten der übertragbaren Genickstarre. Es war vor allem der Reg.-
Bez. Oppeln, in dem sich eine sehr umfangreiche Epidemie ent¬
wickelte. Im ganzen Staate wurden, bei Abzug der irrig ange¬
meldeten, 3764 Erkrankungen, wovon 2587 oder "la mit dem Tode
endigten, gegen 135 im Vorjahre gemeldet. Nur 1h der Fälle kam
ausserhalb Schlesiens vor; 84 Proz. der Fälle betrafen Kinder und
2la der Erkrankungen fielen auf die Monate März bis Mai.
Von Pocken kamen 77 Erkrankungen und 11 Todesfälle zur
amtlichen Kenntnis. Die Entziehungen von der Impfung sind an
manchen Orten noch recht beträchtlich; z. B. sind in der Stadt Köln
noch 1860 Impfpflichtige von der Impfung ferngeblieben. Vorwiegend
waren bei der Impfung nichtbeamtete Aerzte tätig. Es werden noch
verschiedene Mängel bei den Impfungen, auch seitens der Aerzte,
gerügt. Von den 138 Erkrankungen an Tetanus endeten 94 mit
dem Tode. In einer Krankenanstalt in Düsseldorf kamen im An¬
schluss an einen von auswärts eingelieferten Fall noch 6 weitere vor.
Syphilis. Im grossen Berliner üewerkkrankenverein sind,
bei einer Mitgliederzahl von 152 185 am 1. Januar 12 066 an Tripper
und Syphilis, also 7V. 2 Proz. erkrankt. Die Zahl der Individuen,
welche im Laufe des Jahres Mitglieder waren, war natürlich grösser
als jene Zahl am 1. Januar; auf sie berechnet wäre die Prozentzahl
der Erkrankungen etwas geringer. Wenn man aber bedenkt, wie
viele von den anderen 92'V! 3 Proz., welche in diesem Jahre nicht
erkrankten, wohl in einem früheren oder späteren Lebensjahre ange¬
steckt wurden, so wird man immerhin schliessen müssen, dass die
Zahl der überhaupt einmal während ihres Lebens an Syphilis In¬
fizierten auch in diesen Berliner Schichten sehr hoch sein muss. (Ref.)
K i n d b e 1 1 f i e !b e r. Die relative Sterblichkeit nimmt nach
den standesamtlichen Berichten auf dem Lande ab; sie ist hier 31
auf 10 000 Entbundene gegen 48 im Jahre 1890. In den Städten hat
sie aber seit 1898 wieder anhaltend zugenommen, was wohl mit den
in den Städten weitaus häufigeren kriminellen Aborten Zusammen¬
hänge, weshalb auch Berlin an der Spitze stehe.
Diphtherie. Die weitere Abnahme der Sterblichkeit, jetzt
etwa noch !4 der vor 11 Jahren, wird direkt auf die ständig zu¬
nehmende Anwendung des Serums bezogen. Auch für diese Krankheit
wird den Bazillenträgern grosse Bedeutung zugeschrieben. In einer
Ortschaft erfolgte die Uebertragung und Weiterverbreitung aus einer
Schule durch eine Krankenschwester, welche mit der in einer Spiel¬
schule wohnenden Schulschwester die Wohnung teilte. Schutz¬
impfungen wurden häufiger mit Erfolg vorgenommen und werden noch
viel allgemeiner empfohlen, da irgendwelche Schädigungen durch das
Serum von keinem Berichterstatter erwähnt werden. An Diphtherie
starben auf 10 000 Lebende 3,3, an Scharlach 2, an Masern 1,7,
an Keuchhusten 3,6, an Tuberkulose aber 19,1. Die Ab¬
nahme der Sterblichkeit an dieser war im Berichtsjahre gering. Ein
zutreffendes Bild ihrer Sterblichkeit wird im allgemeinen erst in den
nächsten Jahresberichten zu erwarten sein, nach Einführung der An-
zcigepflicht für Todesfälle an Lungen- und Kehlkopftuberkulose.
Tollwut. Von 368 durch verdächtige Hunde Verletzten star¬
ben 11, und davon nur 3 nach erfolgter Schutzimpfung. Die Zahlen
zeigen wieder das hohe Mass von Schutz, welchen die Impfung
nach Pasteur gewährt.
Wohnungen. Es wird eine langsame, doch stetige Verbesse¬
rung der Zustände gemeldet. Bauvereine und Genossenschaften ver-
anlassten viele Hausbesitzer zu Verbesserungen und infolgedessen
sanken die Preise anderer Mietswohnungen. Ref. möchte dies be¬
sonders hervorheben, denn neuerdings werden wieder manchester-
liche Lehren gerade in der Wohnungsfrage lebhaft verkündigt, z. B.
durch Gemünd: „ob die Preise der Kleinwohnungen durch irgend¬
welche Massnahmen herabgesetzt werden können, sei fraglich“.
Uebrigens widerlegen schon die Klagen der Hausbesitzer gegen die
Bauvereine diese Lehren.
Wasserversorgung. Es wird noch Jahrzehnte dauern,
ehe durchweg zufriedenstellende Verhältnisse herrschen werden,
ln Berlin führt der grösste Teil der Wasserleitung jetzt völlig
zweifelfreies enteisenetes Grundwasser. Nur noch ein Teil des
Müggelseewerkes, der aber auch in Bälde umgearbeitet werden wird,
entnimmt sein Wasser dem Müggelsee. Oberflächenwasserleitungen
wurden abgesehen von Versorgung mit Talsperrenwasser nicht mehr
angelegt.
Die Schwierigkeiten der tadellosen Abfuhr der Exkremente
usw. zeigt sich trotz der stattfindenden Verbesserungen namentlich
in den vielen Klagen über mangelhaft arbeitende Klärbecken, denen
nur wenige Fälle guten Funktionierens gegenüberstehen. Ueber
Müllabfuhr wird gesagt: wenngleich die Frage für die grossen
Städte noch immer nicht gelöst ist, so ermutigen doch die mit den
Müllverbrennungsanlagen gemachten guten Erfahrungen zu weiteren
Versuchen. — Ebenso mangelhaft wie die Reinigung menschlicher Ab¬
wässer ist auch an vielen Orten noch die der Abwässer von Fabriken
und Gewerben. Die wachsende Verunreinigung des Mains und
Rheins durch die Abwässer der zahlreichen chemischen Industrie¬
anlagen ist so gross, dass die Notwendigkeit der Beseitigung der un¬
haltbaren Zustände nicht mehr abzuweisen sei.
Nahrungsmittel. Missstände finden sich namentlich noch in den
Sammelmolkereien, besonders infolge mangelnder Reinlichkeit und
Verwendung hygienisch zu verwerfenden Wassers. Pasteurisierungs-
apparate werden in immer grösserer Zahl eingeführt, aber die vor¬
handenen werden häufig nicht oder ungenügend benützt. Selbst in
Sanitätsmolkereien“ diente der Flaschenspiilraum nebenbei auch als
Waschküche. Die Kontrolle des Milchverkehrs müsse noch erheblich
verschärft werden. In den Bäckereien findet sich häufig noch 1111-
glaublicher Schmutz. — Von Verfälschungen von Nahrungsmitteln
kommen zahlreich namentlich solche von Kakao und Schokoladen,
Fruchtsäften, dann von Wein und sog. Malzbieren vor.
Alkoholismus. Die Zahl der Sterbefälle an Säuferwahn¬
sinn hat noch kaum abgenommen; dagegen wird doch aus der über¬
wiegenden Zahl der Regierungsbezirke berichtet, dass die Verhält¬
nisse sich zu bessern beginnen.
Die in den letzten 5 Jahren durchgefuhrte, nun beendigte Be¬
sichtigung aller Schulen durch die Kreisärzte hat allgemein R'9S!JL
Fortschritte veranlasst. Zahllose grössere und kleinere Missstande
1950
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 59.
—
wurden behoben. Indessen wird von allen Seiten betont, dass noch
sehr viel zu tun übrig bleibe.
Gewerbeaufsicht. Uebereinstimmend wird von allen Berichten
hervorgehoben, dass die Kreisärzte grundsätzlich zur Gewerbeauf¬
sicht fast nur bei Neukonzessionierung von Anlagen herangezogen
werden. Ein Zusammenarbeiten von Medizinal- und Gewerbebeamten
ist die Ausnahme. (Um so berechtigter ist das ärztliche Verlangen
nach Anstellung von Aerzten als Fabrikinspektoren. Ref.) Die Zahl
der Kinder unter 14 Jahren hat ein wenig abgenommen, dagegen die
der jugendlichen Arbeiter zwischen 14 und 16 Jahren ansehnlich zu¬
genommen. Die Arbeitszeit wurde vielfach freiwillig herabgesetzt,
so in Berlin in zahlreichen Betrieben auf 8 — 9 Stunden, im R.-B.
Potsdam von 9 Vs auf 8Y2 Stunden und man hat dabei günstige Er¬
fahrungen gemacht. Eine Isoliermittelfabrik hat unter Einhaltung
derselben Akkordsätze und bei Gleichbleiben der Arbeitsleistung die
Zeit sogar von 8 auf 7 Stunden herabgesetzt. Sehr schlimm sind da¬
gegen z. T. die Verhältnisse der Kinder, welche zur Heimarbeit be¬
nützt werden. In Berlin liess sich in einzelnen Fällen nachweisen,
dass Kinder unter 12, sogar unter 10 Jahren täglich 8, in den
„Ferien“ sogar 10 Stunden arbeiten mussten. Die Durchführung des
Kinderschutzgesetzes lasse noch viel zu wünschen übrig.
Verhältnismässig noch recht häufig sind Bleivergiftungen, z. B.
im R.-B. Oppeln unter den Bleihüttenarbeitern allein 177 Fälle von
Bleikolik, aber auch durch fertige Bleipräparate, so in Emaillier-,
Tonwaren-, Ofen- und Akkumulatorenfabrilken usw.
Sehr anerkennenswert, aber nicht immer anerkannt sind da¬
gegen die vielfachen Wohlfahrtseinrichtungen von Arbeitgebern: Er¬
holungsräume, die bisweilen ganz unentgeltliche Verabreichung von
alkoholfreien Getränken, Haushaltungsschulen, Büchereien, Bäder,
Kinderheime, Urlaub mit Fortbezahlung des Lohnes, Lieferung billiger
Nahrungsmittel usw.
Die Krankenhäuser der kleineren Städte lassen bezüglich der
Desinfektionsvorrichtungen und namentlich der Isolierungsmöglich¬
keit noch zu wünschen übrig. (Es ist dies begreiflich, wenn man
noch neulich in der Münch, med. Wochenschr. sogar von dem Kran¬
kenhause einer durch ihre Anstalten berühmten Grossstadt lesen
konnte, dass im gleichen Krankensaale neben anderen auch 2 an
hereditärer Syphilis leidende Kinder verpflegt wurden.) Die katho¬
lischen Krankenschwestern in Cleve leisteten passiven Widerstand
gegen die strenge Isolierung übertragbarer Krankheiten. Die vielen
von einzelnen Konfessionen errichteten Anstalten erwecken den
Eindruck, als ob Staat und Gemeinde noch nicht überall ihre volle
Pflicht tun. (Ref.) — Die Beaufsichtigung der in Familien untergebrachten
Geisteskranken scheint noch recht mangelhaft zu sein und selbst die
Aufnahme Geisteskranker in Privatirrenanstalten erfolgte häufig ohne
ein amtsärztliches Zeugnis, z. B. in Oppeln, Düsseldorf. Im R.-B.
Breslau mit über 800 evangelischen und katholischen Schwestern
wird seitens der Aerzte geklagt, dass diese auf den Pflegestationen
Kurpfuscherei treiben, so dass die Kreisärzte angewiesen wurden,
diese Stationen zu revidieren.
Haltekinder. Die nun eingeführte bessere und ausge¬
dehntere Beaufsichtigung, neben der früheren durch die Kreisärzte
„gelegentlich der Ortsbesichtigungen“, trägt ihre Früchte. In der
Stadt Königsberg ist z. B. seit Einführung der Aufsicht durch
Waisenpflegerinnen die Sterblichkeit der unehelichen Säuglinge um
nahezu Vs gefallen. Eine Generalvormundschaft für uneheliche Kinder
wurde aber erst in einigen Städten des R.-B. Frankfurt a. O., dann
in Posen eingeführt.
Der Bericht über die Gefängnisse ist kurz; es sind nicht
einmal die absoluten Zahlen aller Gestorbenen angeführt, doch
scheinen die Gesundheitsverhältnisse ziemlich gut zu sein. In den
Strafanstalten starben 0,8 Proz. (wie berechnet?). Berechnet man
auf die Durchschnittsbevölkerung, so starben an Tuberkulose 0,55
der Männer, 0,4 der Frauen.
Bäder. Immer weitere Bevölkerungskreise überzeugen sich
endlich vom gesundheitlichen Nutzen des Badens. Verhältnismässig
am meisten Ausstellungen waren bei den Fluss- und Seebadeanstal¬
ten zu machen, da die Flüsse und Seen so vielfach bedenkliche Zu¬
flüsse erhalten. Mehrere Badeanstalten mussten geschlossen werden,
weil I yphuserkrankungen, in 4 Regierungsbezirken, mit grosser
Wahrscheinlichkeit auf sie zurückzuführen waren.
Leichenwesen. Es wurden infolge eines Ministerialerlasses
Erhebungen darüber angestellt, in welchem Umfange gewerbsmässige
Leichenträger eine Nebenbeschäftigung im Nahrungs- oder Genuss¬
mittelverkehr ausüben. Diese Zahl ist ziemlich gross, so in Wands¬
beck 24 von 39 Trägern; doch konnte nur in 1 Fälle in Breslau, wo
sich ein erst 15 Jahre alter Leichenträger an einer Scharlachleiche
infiziert hatte, dadurch erfolgte Verbreitung einer ansteckenden
Krankheit ermittelt werden. Immerhin ist diese Doppelbeschäftigung
gefährlich und die Desinfektion der betreffenden Personen wichtig.
Kurpfuscher sind 6157 angemeldet — ohne die nicht an¬
gemeldeten. Wie viel Unheil müssen dieselben noch jahraus jahrein
anrichten, bis einmal entschieden gegen diesen Landschaden ein¬
geschritten wird? Karl K 0 1 b - München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Heilkunde. Herausgegeben von Kretz
in Wien. XXVIII. Bd. (Neue Folge, VIII. Bd.) Jahrg. 1907.
Heft 8.
1) Pal: Paroxysmale Hochspannungsdyspnoe. (Schluss.)
Hochspannungskrisen oder pressorische Gefässkrisen nennt Ver¬
fasser Zustände, bei denen es auf der Höhe der Gefässspannung zu
paroxysmalen Atmungsstörungen kommt. Er unterscheidet kardiale,
deren Ursache arterielle Hochstauung im linken Ventrikel ist, und
solche, zu denen sich zerebrale Symptome (Kopfschmerzen, Er¬
brechen usw.) mit subjektiv starker Atemnot und sehr frequenter
Atmung ohne eigentliches Asthma gesellen. Herabsetzung der Ge¬
fässspannung hebt beide Arten von Störungen auf. Die Hochspannung
ist also das Ursächliche und Wesentliche in den Erscheinungs¬
komplexen.
Auf die Spannungsherabsetzung reagiert der Gesamtorganismus
in beiden Formen verschieden. Die kardialasthmatischen Beschwer¬
den sanken nach einem Aderlässe fast zugleich mit der Spannung
im Gefässystem. In den zerebralen Fällen dagegen folgte die Besse¬
rung der Atmungserscheinungen erst allmählich nach, während sie
durch eine Lumbalpunktion sofort erzielt wurde. Der Blutdruck
wurde in diesen Fällen durch die Herabsetzung des Liquordruckes
fast gar nicht beeinflusst, isodass die aus der Hochspannung sich sonst
ergebenden Störungen in gleicher Weise fortdauerten.
Die gemachten Beobachtungen trafen ebenso bei den Gefässkrisen
der Nephritiker wie der Arteriosklerotiker zu. Es können sich also
gewisse, in verschiedenen Krankheiten auftretende gleichartige Er¬
scheinungskomplexe auf denselben Grundlagen aufbauen. Dem als
akut bezeichnten urämischen Symptomenkomplex liegt eine Hoch¬
spannungskrise des Nephritikers zu gründe, wobei die toxische Ge¬
nese der vasomotorischen Erscheinungen nicht tangiert wird.
2) Jaschke: Ueber die diagnostische und prognostische Be¬
deutung der Pulsdruckmessung, mit besonderer Berücksichtigung der
Pulsdruckamplitude. (Aus der M ii 1 1 e r sehen Klinik in München.)
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Wert, den die moderne Blut¬
druckuntersuchung für die Klinik gewonnen hat. Diese Untersuchung
gliedert sich in die Bestimmung des Pulsdruckes, dessen Maximum
gleich ist dem systolischen Druck und dessen Minimum gleich ist
dem diastolischen Druck, in die Bestimmung der Pulsdruckampli¬
tude, welche gleich ist der Differenz zwischen Pulsdruckmaximum
und Pulsdruckminimum und in die Bestimmung des Blutdruckquotien¬
ten, welcher das Verhältnis des Pulsdruckmaximums zur Pulsdruck¬
amplitude darstellt, sowie in die Bestimmung des Schlagvolumens und
des Sekundenvolumens.
Die Verhältnisse dieser Grössen bei Nephritis, Herzkrankheiten,
Infektionskrankheiten, Arteriosklerose werden erörtert. Sie sind im
allgemeinen kompliziert und es bedarf jedesmal sorgfältiger Ueber-
legung der ganzen Kreislaufphysiologie und -pathologie, wenn aus den
ermittelten Zahlen Schlüsse gezogen werden sollen. Dann aber ist
die Blutdruckmessung oft von grossem Wert für die Diagnose und
Prognose der Kreislaufstörungen. B a n d e 1 - Nürnberg.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. X, Heft 7 u. 8.
H. 7. 1) G 0 1 d s che i d e r - Berlin: Ueber Abgrenzung und
Behandlung der Herzneurosen, nebst einem Anhang: Ueber die Stim¬
mung und ihre Beziehungen zur Therapie. (Nicht vollendet.)
2) Hermann P a u 1 1 - Karlsruhe: Ueber therapeutische Seereisen.
(Nicht vollendet.)
3) F. Parkes W e b e r - London: Die indurativen Vorgänge an
inneren Organen in ihrer Beziehung zur relativen Ueberernährung.
Die höher differenzierten Bestandteile, wie Parenchymzellen,
beginnen, wenn das kreisende Medium schädliche Stoffe wie bei
Luxuskonsumption und Alkoholismus enthält, gewöhnlich eher da¬
runter zu leiden, als das gröbere Zwischengewebe. Hand in Hand mit
der Atrophie der sezernierenden Bestandteile beginnt das interstitielle
Gewebe langsam zuzunehmen. Das empfindlichere Parenchym ant¬
wortet auf eine Häufung von Reizen, die für das gröbere Bindegewbe
Wachstumsförderung bedeutet, bereits mit atrophischen Vorgängen.
Die Theorie der relativen Ueberreizung gibt insbesondere eine Er¬
klärung für die fibrösen Vorgänge im Greisenalter. Ueberladen wir
alte oder vorzeitig gealterte Personen mit Nahrung, so unterstützen
wir nicht allein das Wachstum fibrösen Gewebes, sondern muten auch
den Organzellen noch unnütze Arbeit zu.
4) O. 1 u s z k a i - Marienbad und Ofen-Pest: Bestrahlungs¬
behandlung durch Glühlicht in der Frauenheilkunde.
Verf. hat in vielen Fällen chronischer Exsudate, Anämie, Kor¬
pulenz und Obstipation die Lichtbäder mit Erfolg verwendet.
H. 8. 1) van de W e v e r - Brüssel und Wybauw-Spa:
Ueber die Wirkung der Stahlwässer auf den Stoffwechsel. (Aus dem
Institut Solvay für Physiologie.)
Die Verfasser kommen zu dem Resultate, dass Stahlwässer die
Eiweiss- und Kohlehydratresorption im Darme beträchtlich erleichtern
und die Zelltätigkeit in den Geweben vergrössern, was sich in der
relativ vermehrten Stickstoffausscheidung und in einer verminderten
Bildung von Harnsäure zeigt. Letztere Feststellung erklärt auch die
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1951
tonisierende Wirkung von Stahlwässern bei nervösen und ge¬
schwächten nicht anämischen Patienten.
G o l d s c h e i d e r - Berlin: Ueber Abgrenzung und Behandlung
der Herzneurosen nebst einem Anhang: Ueber die Stimmung und
ihre Beziehungen zur Therapie. (Schluss.)
Zuerst wird die Diagnose und das Wesen der Herzneurose ein¬
gehend erörtert. Die meisten Fälle sind mit einzelnen anderen ner¬
vösen Symptomen kombiniert oder finden sich neben allgemeiner
Neurasthenie; es gibt jedoch auch isolierte Herzneurosen, dieselben
sind vorwiegend kinetischer Art; im allgemeinen wird die Diagnose
zu häufig gestellt, indem namentlich Arteriosklerose, besonders Aorten-
atheromatose und Herzmuskelerkrankungen verkannt werden.
Arrhythmien erheblichen Grades kann man auf Neurasthenie nicht
beziehen. Bei den kinetischen Herzneurosen, welche mit dem Gefühl
des Herzklopfens und Herzaussetzens oder auch ohne dieselben ein¬
hergehen, kann eine Beziehung zur Psyche zunächst fehlen; es ist
einfach gesteigerter motorischer Erregbarkeitszustand; es können sich
aber sekundär psychische Begleiterscheinungen und Angstzustände,
Furcht, herzkrank zu sein, herausbilden und sich Verstimmungen an-
schliessen und so reagiert das Herz mehr und mehr auch auf seelische
Vorgänge. Wie die Furcht, herzkrank zu sein, die bestehende Herz¬
neurose steigert, so kann bei wirklich Herzkranken die Gewissheit,
herzkrank zu sein, nervöse Symptome zur Folge haben. Aetiologie
und Behandlung werden des weiteren ausführlich behandelt. Bei
ersterer kommen in Betracht konstitutionelle Gefäss- und Herz¬
schwäche, neuropathische Veranlagung und organische Herzerkran¬
kungen; als auslösende Ursachen sind Traumen, Ueberanstrengung,
Intoxikation (Tabak, Kaffee), Infektionskrankheiten, Aufregungen, Ex¬
zesse, besonders geschlechtliche Erregungen ohne natürliche Befriedi¬
gung hervorzuheben. Bei der Behandlung ist vor allem auf die Stim¬
mung des Patienten günstig einzuwirken; denn dem Lustgefühl kommt
eine stimulierende, dem Unlustgefühl eine depressorische Wirkung
auf Muskeltätigkeit, Gefässystem und Atmung zu. Gehobene Stim¬
mung erweckt aber auch Vertrauen zum Arzt, wie umgekehrt das
Vertrauen die Stimmung bessern kann.
3) Hermann P a u 1 1 - Karlsruhe: Ueber therapeutische Seereisen.
(Schluss.)
Die Heilkräfte, welche für die Thalassotherapie vornehmlich in
Betracht kommen, sind die Meerluft, das Licht und das Meerwasser.
Der wichtigste Faktor ist dabei die Luft mit ihrem Freisein von Staub
und Keimen. Da jeder Küstenbadeort in Bezug auf die Luftbeschaffen¬
heit von der Windrichtung (Land- oder Seewind) abhängig ist, ge¬
nügen den Ansprüchen einer vollwertigen Therapie nur ganz kleine,
weit von der Küste entfernte Inseln oder Schiffe. Verfasser verspricht
sich daher von der Errichtung von Schiffsanatorlen grosse thera¬
peutische Erfolge. Als Ersatz dafür sind die Vergnügungsreisen der
Hamburg-Amerikalinie zu erwähnen, die bei hartnäckigen Katarrhen,
Herzleiden, nervösem Kopfweh zu empfehlen sind. Es folgen nähere
Angaben über Klima, Temperatur- und Windverhältnisse, Nieder¬
schläge bei winterlichen Mittelmeerfahrten.
M. Wassermann -München
Klinisches Jahrbuch. 17. Band, 2. Heft.
Dieses Heft bringt ausschliesslich Arbeiten über Typhus und
dessen Bekämpfung.
Frosch schildert die Grundlagen und ersten Erfahrungen in der
modernen Typhusbekämpfung und gibt eine zusammenhängende
Uebersicht über die wissenschaftlichen Arbeiten, die bei der vom
Kultusministerium veranlassten Bekämpfung der abnormen Typhus¬
verbreitung im Regierungsbezirk Trier im Januar 1902 sich ergeben
haben. Es ergaben sich folgende Hauptmomente. Die Kontakt¬
infektion ist die verbreitetste und gefährlichste Form der Typhus¬
verbreitung, neben ihr kommt die Verschleppung mit der Milch des
Kleinhandels in Frage. Die in 4 Dörfern durchgeführte Koch sehe
Bekämpfung des Typhus, deren Wesen in Isolierung und Beseitigung
aller Typhusbazillenträger bis zum Aufhören der Bazillenausscheidung
besteht, führte in den 4 Dörfern zum völligen Erlöschen des Typhus
und wurde deshalb diese Art der Bekämpfung über den Regierungs¬
bezirk Trier auf den ganzen Südwesten des Reiches ausgedehnt.
Die Arbeiten von R i m p a u, Wernicke, Thomas, Klein,
Jaster bringen teils spezielle Schilderungen einzelner Epidemien,
teils Berichte über hygienische Untersuchungen.
Simon hält auf Grund seiner Erfahrungen den Drigalski-
C o n r a d i sehen Lackmus-Milchzucker-Agar zur alleinigen Anwendung
in der Praxis nicht für geeignet, weil er selbst zur günstigsten Unter¬
suchungszeit (10. — 17. Krankheitstag) nur mit einer Wahrscheinlich¬
keit von 1:5 die Bazillen nachzuweisen im stände ist. Er empfiehlt
vielmehr den Malachitgrünagar von Lentz-Tietz in Verbindung
mit dem Endo sehen Fuchsinagar.
Kur pju weit konnte 12 mal unter 100 eingeschickten Blut¬
proben im Blutkuchen Typhusbazillen nachweisen und zieht daraus
den Schluss, dass allgemein der Blutkuchen auf Bazillen untersucht
werden soll, ferner dass alle Manipulationen, so bei der Anstellung
der Wi da Ischen Reaktion mit dem F i c k e r sehen Diagnostikum
mit der grössten Vorsicht vorzunehmen sind.
Conradi äussert sich zur Frage der regionären Typhus¬
immunität an der Hand der kritischen Schilderung einer Typhus¬
epidemie in Ottweiler. Ein nachhaltiger Seuchenschutz durch eine
Trinkwasserepidemie in den Jahren 1891,92 wurde hier im Gegen¬
satz zu anderen Erfahrungen vermisst.
Der gleiche Autor stellte Untersuchungen über die Kontagiosität
des Typhus an. Er fand vor allem, dass schon die Inkubationszeit des
Typhus ein Eliminationsstadium ist, dass also schon während des
Latenzstadiums eine Infektion der Umgebung möglich ist, dass ferner
an der Verbreitung des Typhus in erster Linie der Frischerkrankte
beteiligt ist. Daher ergibt sich die Notwendigkeit der Unterdrückung
der Frühkontakte. Da ferner jeder, der Typhusbazillen absondert,
eine Gefahr für seine Umgebung bildet, ist das Ziel einer rationellen
vorbeugenden Typhusbekämpfung, eine Abtötung der Bazillen schon
im Frühstadium im strömenden Blut zu erzielen, bevor es zu einer In¬
fektion der Gallenblase gekommen ist, nach Analogie der Chinin¬
wirkung bei Malaria und der Atoxylwirkung bei der Schlafkrankheit.
Conradi berichtet ferner noch über den gleichzeitigen Be¬
fund von Typhus- und Paratyphusbazillen im Wasser.
Simon schildert einen Fall von Gallenblasenempyem, bei dem
nach der Entfernung der eiter- und steinhaltigen Gallenblase eine
Kontinua den Verdacht auf Typhus erweckte. Die W i d a 1 sehe Re¬
aktion bestätigte diesen Verdacht, die Frau erwies sich dann während
einer Beobachtung von 11 Monaten als chronische Bazillenausscheide¬
rin und infizierte zuletzt auch ein Kind, das sich längere Zeit bei ihr
aufhielt.
Kirchner bringt, gestützt auf Tabellen und Karten eine ein¬
gehende Schilderung der Erfolge der Koch sehen Art der Typhus¬
bekämpfung in dem seit 3 Vz Jahren einheitlich organisierten Süd-
westen des Reiches, umfassend die Regierungsbezirke Trier und
Koblenz, das Fürstentum Birkenfeld, die Bezirke Lothringen und
Untereisass der Reichslande und die bayerische Rheinpfalz. Der Ver¬
gleich der Jahre 1904 und 1906 zeigt deutlich einen stellenweise sehr
bemerkenswerten Rückgang der Typhusverbreitung.
R. S e g g e 1 - Geestemünde.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 89. Band, 1. — 4. Heft.
Leipzig, Vogel, Juli 1907.
1) Wilh. Baum: Knochenbrüche bei Tabes und deren ätio¬
logische Stellung.
Nach Besprechung der Theorien über das Zustandekommen der
sog. tabischen Spontanfrakturen, der neurotischen (direkte Schädi¬
gung des Knochens als Ursacne der Brüchigkeit) und der mecha¬
nischen (abnorme funktionelle Beschaffenheit der den Knochen um¬
gebenden und bewegenden Organe und in einem solchen Zustande
treffende Gewalteinwirkung bei normaler Knochenstruktur) und
Sonderung in „2 grosse Gruppen“: Frakturen bei abnormer Be¬
schaffenheit des gebrochenen Knochens und solche miit normalem
Knochenbefund, kommt Verf. unter kritischer Beleuchtung eigener
und fremder mikroskopisener Befunde mit Rieh. v. Volkmann
zu dem Schlüsse, dass „Herabsetzung des Muskeltonus, Aufhebung
des Musikelsinnes und der Knochensensibilität und die hierin be¬
gründete Unfähigkeit der Kranken, die Anspannung der Muskulatur,
die Belastung der Knochen und die Grösse des Traumas richtig zu
bewerten, die Hauptfaktoren in der Aetiologie der sog. tabischen
Spontanfrakturen bilden.“
Anschliessend an 11 Fälle der Kieler Klinik hebt Verf. hervor,
dass „fast überall ein gewisses Missverhältnis zwischen Dignität des
Traumas“, Schmerzlosigkeit und sogleich oder kurze Zeit nach der
Fraktur sich einstellende Schwellung beständen.
Mit Ausnahme einer Fingerfraktur war stets die untere Ex¬
tremität betroffen.
„Die Lehre von der besonderen Disposition des weiblichen Ge¬
schlechts zu tabischen Knochenbrüchen ist in das Reich der Fabel
zu verweisen.“
Nur 2 mal konstatierte Verf. multiples Auftreten der Frakturen.
Die Fälle verteüen sich ungefähr zur Hälfte auf das initiale, zur
Hälfte auf das ataktische Stadium; kein Fall betrifft die letzte Er¬
krankungsperiode.
Mit einigen Nachteilen (Dekubitus, Schlottergelenke) ist auch
für die tabische Fraktur die Extensionsbehandlung als die ideale an.-
zusehen.
2 Fälle subtrochanterer Fraktur zeigten Kallushypertrophie,
3 Fälle ossifizierende Periostitis oder Myositis ossificans, 1 Fall
atrophische Prozesse an den der Pfanne anhaftenden Schenkelkopf¬
teilen.
Eine Steigerung der tabischen Symptome infolge der Verletzung,
sowie die grosse Gefahr der Vereiterung trüben die Prognose.
Eventuelle grössere Eingriffe (Implantation von toten Knochen
etc.) sind jedoch nicht kontraindiziert.
2) Ali Krogius: Ein Versuch, den Mechanismus der Schädel¬
brüche in einfacher Weise zu demonstrieren.
Den in den meisten Lehrbüchern nicht klar geschilderten Mecha¬
nismus der Schädelbrüche demonstriert Verf. an einem Rotations-
elipsoid, dem Otis sehen Urethrometer und besonders anschaulich
an der durch den Nussknacker geöffneten Haselnuss.
3) R. S t i er 1 in: Nervus recurrens und Kropfoperationen.
Nach allgemeinen Bemerkungen über die postoperativen Re¬
kurrenslähmungen, wobei besonders auch auf die sog. sekundären
postoperativen Lähmungen eingegangen wird, sowie über die ana¬
tomischen Verhältnisse des Nervus recurrens bespricht St. die Opera-
1952
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tionsverfahren, die auf Schonung des Nerven hinzielen.
Auch St. wendet weitgehend die Lokalanästhesie an. Enukleation
und Resektionsenukleation der Struma garantieren die Schonung des
Nerven, sind aber nur in einzelnen Fällen anwendbar.
Durch die Kontinuitätsligatur der A. thyreoida int.. Stehenlassen
einer Schicht Drüsengewebe parallel der Luftröhrenwand erzielte
Verf. befriedigende Resultate.
Um noch sicherer zu gehen, präpariert St. den Nerven von der
Kreuzungsstelle bis zum M.cricophar. frei. Zur sicheren Erkennung des
Nerven gibt St. das „Glockenzugphänomen“ des Nerven (feine von der
Subklavia bezw. dem Arcus aortae fortegeleitete Zuckungen in der
Längsrichtung des Nerven) an. Mit der Rekurrenspräparation nur
I Fall von Zerschneidung, die trotz Naht des Nerven zu dauernder
Lähmung führte.
d) V er ehe ly: Ueher Morphologie der intrathorakalen Kröpfe.
15 intrathorakale und 1 rein retroviszeraler Kropf waren das
Material für vorliegende Untersuchungen. Bezüglich der Nomenklatur
des nach unten verlagerten Kropfes hält V. mit Wöhrmann die
Unterscheidung in mediane und laterale Lagerung für das Beste, die
retroviszeralen Kröpfe teilt er in akzessorische retrovesikale und
in direkten Zusammenhang stehende kontinuierliche Kröpfe ein.
In den 15 Fällen V.s waren je 12 mal die Seitenlappen, 7 mal
die Mittellappen an der Bildung des Kropfes beteiligt. Von den retro¬
viszeralen Kröpfen waren rechtsseitig einseitig drei.
Aus den Lagebeziehungen zur Aorta, V. cava sup. etc. sei her¬
vorgehoben, dass für den Nervus recurrens der intrathorakale Kropf
in der Thoraxapertur mehr links, weiter unten mehr rechts gefähr¬
lich wird.
Zwischen Nervus recurrens und A. thyreoid. inf. fand V. in
5 Fällen keine Beziehungen. Die Halsgefässe als einheitlicher Strang
waren meistens als ganzes vom Kropf verlagert. Auf grund der
Beziehungen der intrathorakalen Kröpfe zu den intrathorakalen Ge¬
bilden teilt V. sie ein in prävenöse, präarterielle, prätracheobronchiale
und retrotracheobronchiale.
Histologisch unterscheiden sich die intrathorakalen Kröpfe durch
nichts von den kollaren; auffallend ist die relative Häufigkeit der
sogen, zellreichen Kröpfe.
Eine Betrachtung über das Wachstum der intrathorakalen Kröpfe
(Entwicklung und Aquisition) schliesst die Arbeit.
5) J. Finsterer: Ueber das Mammakarzinom und seine ope¬
rativen Dauerheilungen.
E. kommt zu folgenden Schlussätzen:
1. Für die in der Zeit von 1877 — 1903 operierten Mammakarzinome
beträgt die Dauerheilung 12,5 (15,3) Proz., die in den letzten 8 Jahren
auf 24,64 (26,05) Proz. gestiegen ist, wobei die Ausdehnung der Ope¬
ration stets von lokalen Befunden abhängig gemacht worden war.
2. Die beste Operationsmethode ist jene, welche sowohl lokai
die Zahl der Rezidive vermindert, als auch regionär durch die ebenso
wichtige exakteste Drüsenausräumung die Metastasierung zu verhin¬
dern sucht. Demgemäss entsprechen auch dem H a 1 s s t e d t sehen
Verfahren bisher die meisten Dauererfolge.
3. Der ausgiebigsten Entfernung der Haut ist erhöhte Aufmerk¬
samkeit zuzuwenden.
4. Die Supraklavikulargrube ist am besten in jedem Falle (Hals-
stedt) auszui äumen, unbedingt aber dann, wenn die intraklavi-
Kularen Diiisen intra operationem erkrankt oder verdächtig gefunden
werden.
5. Die Frage, ob bei bereits klinisch nachweisbarer Erkrankung
dei supraklavikulären Drüsen eine Operation noch berechtigt ist
oder nicht, bedarf einer exakten Nachprüfung, da Fälle bekannt sind,
die dem (jesetze der gleichzeitigen Erkrankung der supraklavikulären
und endothorakalen Drüsen und der Pleura widersprechen. Zur Be¬
urteilung des einzelnen Falles muss eine Gegenüberstellung der Dauer
i ei Erkrankung, der Grösse, des Sitzes des Tumors, der Grösse und
event. Veiwachsung der supraklavikulären Drüsen herangezogen
werden.
0. Wegen der Häufigkeit der Spätrezidive wäre die Grenze der
Dauerheilungen auf 5 Jahre hinauszuschieben und zur Beurteilung der
Resultate stets die absolute Leistungsfähigkeit zu berechnen.
6) M. H \\ assiljew: Zur Frage der Behandlung von Ver¬
letzungen und Fisteln der Ureteren.
n Nach kurzer Uebersicht über die Behandlungsmöglichkeiten der
F i etci enfisteln (direkte Schliessung der Fisteln durch die Scheide
transpentoneale und. extraperitoneale Transplantation des Ureters in
die Harnblase) teilt Verf. einen extraperitoneal operierten Fall von
Ureterovaginalfistel mit.
7) Koerber:
nöser Leistenhernie
thrombose.
Ueber einen Fall von achsengedrehter gangrä-
mit fortgesetzter retrograder Mesenterium-
Resektion von 87 cm Darm mit einem grossen Mesenterium¬
sektor, Heilung.
8) H. Rittershaus: Beiträge zur Kenntnis des Nabelschnur¬
bruches und der Bauchblasengenitalspalte.
Mitteilung von J Fällen von Nabelschnurbruch, von denen einer
mit Bauchblasengenitalspalte, einer Atresia ani, Anus praeternaturalis
und Spina bifida kombiniert mit Myelocystocele sacralis, kompli¬
ziert war.
No. 39.
Kurzes Eingehen auf Theorien (Hemmungsbildung) und Kasuistik
(Bauchblasenspalte 53 Fälle, Nabelschnurbruch genau beschrieben
153 Fälle) derartiger Missbildungen. Therapeutisch ist beim Nabel¬
schnurbruch die Radikaloperation mit Eröffnung des Peritoneums der
beste Weg.
9) M Strauss: Der gegenwärtige Stand der Spinalanalgesie
(auf Grund eigener Beobachtungen und der Literatur).
Str. kommt jetzt, wo „der Enthusiasmus verrauscht ist“ zu
folgenden Schlussfolgerungen :
„Das Tropakokain ist zurzeit das ungefährlichste Anästhetikum
für spinale Analgesierung, obwohl es auch eine Reihe von Neben-
und Nacherscheinungen bedingt und sogar zum Tode führen kann.
Die Dosis des Anästhetikums soll eher zu klein als zu gross
gewählt werden. 0,06 g Tropakokain erscheint für alle Fälle aus¬
reichend.
Durch Beckenhochlagerung und Ansaugen von reichlichen Liquor¬
mengen lässt sich am sichersten und ungefährlichsten höher reichende
Analgesie erzielen. Zusatz von Adrenalin erscheint eher schädlich
als nützlich und ist daher zu vermeiden.
Die peinliche Beachtung der Technik ist zur Vermeidung von
Gefahren und Misserfolgen nötig.
Die durchschnittliche Dauer der Analgesie beträgt 1 Stunde.
Mit einer gewissen Bestimmtheit lässt sich stets Damm, untere
Extremität und Unterbauchgegend anästhesieren.
Neben- und Nacherscheinungen lassen sich durch geeignete
I echnik und Auswahl der Fälle weitgehend verringern, aber nicht
völlig ausschalten.
Für die Verwendung der Spinalanalgesie gibt es ganz bestimmte
Indikationen und Kontraindikationen. Indiziert ist die Methode in
allen Fällen bei alten dekrepiden Patienten, bei denen sich die Narkose
auf andere Weise nicht umgehen lässt, ferner .bei nicht tuberkulösen
Lungenerkrankungen, bei Diabetes.
Kontraindikationen bilden jugendliches Alter bis zu 15 Jahren,
neuro* und psychopathische Zustände, Hirn- und Rückenmarkserkran¬
kungen, septische Erkrankungen, alle Operationen die sich leicht mit
Lokalanästhesie ausführen lassen.
Vorsicht muss bei tuberkulösen Prozessen, bei Lues, bei Nieren¬
erkrankungen und bei vorgeschrittener Arteriosklerose, besonders der
Hirngefässe, geübt werden.
In sachgemässer Weise und in geeigneten Fällen verwendet,
bietet die Spinalanalgesie viele Vorteile, jedoch ist die Methode nie¬
mals gefahrlos.
Das wirksamste Mittel zur Verminderung der Gefahren liegt
in einer gewissen Beschränkung.“
10) Neuberg: Ueber Appendizitis im Kindesalter.
Statistik über 82 Fälle von Appendizitis im Kindesalter, teils
stationär teils auswärts behandelt mit 12 Proz. Gesamtmortalität
(38 Fälle exspektativer, 43 Fälle operativer Behandlung).
Krankengeschichten zweier Fälle von Ileus nach Appendizitis mit
Ausgang in Heilung.
Kleinere Mitteilungen,
11) Gerner: Ein Fall von Hirschsprung scher Krankheit
durch Enteroanastoinose geheilt.
12) Luxembourg: Zur Kasuistik der traumatischen Eoi-
rhysenlösung am unteren Femurende.
„Totale Lösung der unteren Femurepiphyse mit Verschie¬
bung derselben nach aussen und Abriss eines kleinen,
an der Epiphyse festhaftenden Knochenstückes des unteren lateralen
Diaphysenendes.“ Extensionsverband, glatte Heilung mit tadellosem
funktionellen Resultate. Flörcken - Wiirzburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 36.
J. S c h a r p e n a c k - Leipzig: Zur Statistik der Prolapsopera¬
tionen.
Sch. berichtet über die Erfahrungen, die an der Leipziger Klinik
mit der Schautaschen Prolapsoperation (Fixation des Uterus an
die vordere Vaginalwand, I ubensterilisation und Dammplastik) ge¬
macht worden sind. Die Rekonvaleszenz dauerte in ungestört ver¬
laufenden Fällen 17 — 19 Tage, gestorben ist keine Operierte, ernste
Störungen von seiten des Darmes oder Peritoneums kamen nicht vor.
Die Dauerresultate trennt Sch. in subjektive und objektive. Für erstere
kamen 72 Fälle in Betracht, von denen 57 günstig berichteten, 4 noch
leichtere Beschwerden hatten und 11 keine Besserung verspürten.
Objektiv fanden^ sich unter 45 Fällen 5 Rezidive, absolut tadellos
21 Fälle. Nach Sch. lassen sich alle Rezidive durch Verbesserung der
Technik vermeiden.
Die S c h a u t a sehe Operation soll nach Sch. berufen sein, die
Pessarbehandlung zu verdrängen, abgesehen natürlich bei jungen, noch
konzeptionsfähigen Frauen, weil die Konzeptionsfähigkeit aufgehoben
wird.
A. R i e 1 ä n de r - Marburg: Ein Beitrag zur Chemie der Pla¬
zenta.
R. hat grössere Massen frisch ausgestossener Plazenten mit
heissem Wasser ausgezogen und die wässerigen Extrakte näher unter¬
sucht. Er konnte darin nachweisen Purinbasen (Alloxurbasen), Uracil
(Bestandteil der Nukleinsäure), Cholin (Bestandteil des Lezithin),
Neosin, ein noch nicht identifiziertes Goldsalz und ätherlösliche
Säuren; es fehlte darin Histidin und Lysin.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1953
Schlüsse hieraus bezüglich der Ernährung des Fötus und patho¬
logischer Zustände in der Schwangerschaft behält sich R. für eine
spätere ausführliche Mitteilung vor. J a f f e - Hamburg.
Soziale Medizin und Hygiene (vormals: Monatsschrift
für soziale Medizin). Verlag von Leopold Voss in Hamburg.
II. Bd. 7. Heft. Juli 1907.
B i e 1 e f e 1 d t: Heilstätten oder Invalidenheime für Tuberkulöse?
Gegenüber den Angriffen, die sich gegen die Zweckmässigkeit
und die Dauererfolge der Lungenheilstätten in jüngster Zeit richten,
sucht der Verf., Direktor der Landesversicherungsahstalt der Hansa¬
städte, rechnerisch nachzuweisen, dass unter Zugrundelegung der Heil¬
behandlungsstatistik des Reichsversicherungsamtes die Versiche¬
rungsanstalten durch die Uebernahme des Heilverfahrens in den
Jahren 1897—1906 über 4600000 M. an Renten gespart haben. Durch die
in vielen Fällen für einige Jahre erzielte Erhaltung der Erwerbs¬
fähigkeit der in den Anstalten Behandelten werden schätzungsweise
den Armenbehörden und Krankenkassen ca. 4Vz Millionen erspart
und erfährt das Nationalvermögen einen Zuwachs von ungefähr 235
Mill. Mark an Arbeitslöhnen. Wenn Verf. zur Beantwortung der Frage,
was das Schicksal der Erkrankten ohne Anstaltsbehandlung gewesen
wäre, den weiteren Verlauf der Erkrankung bei den Anstaltspfleglingen
in Vergleich setzt zu den Heilergebnissen bei den Kranken, deren
Antrag abgelehnt wurde, so wird dagegen der Einwand laut werden,
dass die letzteren schon vorgeschrittenere und damit ungünstigere
Fälle umfassen, also kein geeignetes Vergleichsmaterial abgeben.
Der Vorschlag, an Stelle der Heilstätten Tuberkuloseheime zu
setzen, um die Familien vor Ansteckung zu bewahren, scheitert, wie
die Praxis zeigt, solange hiefür kein gesetzlicher Zwang besteht, an
der begreiflichen Abneigung der Rentner, sich von ihrer Familie zu
trennen und diese Anstalten aufzusuchen, die sobald sie grösser an¬
gelegt werden, als Sterbehäuser in Verruf kommen.
B r u m m u n d - Stade: Zur Prophylaxe der übertragbaren Ge-
nickstsrrc
Da man mit Gurgelungen und Nasenspülungen nicht an den Sitz
der Krankheitserreger im oberen Nasenrachenraum gelangt, empfiehlt
B. statt dessen bei den Angehörigen der an Genickstarre Erkrankten
Einblasungen von Natrium sozojodol. in den Nasenrachenraum. Auf
diese Weise gelang es ihm rasch, wie bakteriologische Untersuchungen
des Rachenabstrichs zeigten, die Keime bei den Meningokokkenträgern
abzutöten.
L 0 c h t e - Göttingen: Beitrag zur amtsärztlichen Beurteilung
neurasthenischer Zustände, insbesondere der Alkoholneurasthenie.
(Fortsetzung und Schluss.)
In der lesenswerten Studie werden die Schwierigkeiten erörtert,
die sich für den Amtsarzt bei der Beurteilung ergeben, ob gewisse
Zustände neurasthenischer Erschöpfung Strafaufschub, Beurlaubung,
Pensionierung rechtfertigen und welche strafrechtliche Beurteilung der
Reizbarkeit und den daraus resultierenden Gewaltakten, der Ge¬
dächtnisschwäche und dem Schwindel der Neurastheniker zukcmmt.
In einem guten Teil der Fälle von Neurasthenie liegt, wie an einem
Beispiel erläutert wird, Alkoholmissbrauch zugrunde. Diese Ursache
aufzudecken fällt dem Amtsarzt manchmal schwer, kann aber unter
Berücksichtigung der Personalakten, des allgemeinen Habitus, genauer
anamnestischer Erhebungen, ferner der Augen- und Harnuntersuchung
gelingen. Schwierig ist die Entscheidung bei Pensionierungsgesuchen,
wenn Arteriosklerose und Neurasthenie vorliegt, das Gleiche gilt oft
für Invalidenrentensachen arteriosklerotischer Neurastheniker. In dei
reinsten Form, wird in der Unfallpraxis die Alkoholneurasthanie be¬
obachtet. Inwieweit bei all diesen Zuständen Uebertreibung oder
Simulation eine Rolle spielt, lehrt oft erst längere Beobachtung.
P. Lohmar-Köln: Unfallversicherung und Arzt. (Fortsetzung
folgt.)
8. Heft.’ August 1907.
F. Meyer -Hamburg: Graphische Darstellung der Mitglieder-
und Krankenbewegung einiger Krankenkassen und der allgemeinen
Sterblichkeit. , . .
Mitgliederzahl und Krankenstand stehen, wie Verf. am Material
der Ortskrankenkassen Berlin, Frankfurt, Stuttgart, München gra¬
phisch darstellen konnte, im umgekehrten Verhältnis. Da Steigen der
Mitgliederzahl gleichbedeutend ist mit guter Arbeitsgelegenheit.
Sinken derselben mit schlechter Konjunktur und Arbeitslosigkeit,
so erhellt aus dem Ansteigen der Krankheitsziffer, dass die Kassen
in diesen Zeiten mangelnden Verdienstes von den Arbeitslosen in
erhöhtem Masse in Anspruch genommen werden. Nur eine Arbeits¬
losenversicherung könnte die Kassen von dieser finanziellen Be¬
lastung befreien.
Liebetrau-Hagen i. W.: Die soziale Wertung des Aerzte-
standes. , , ,
Die Gründe dafür, dass die soziale Wertung des Aerztestandes
nicht mit seiner wissenschaftlichen Entwicklung und seiner gesteiger¬
ten volkswirtschaftlichen Bedeutung gleichen Schritt gehalten hat,
liegt an dem ungehinderten Emporschiessen des Kurpfuschertums,
an der Proletarisierung der Aerzte durch die Folgen des Kranken¬
versicherungsgesetzes, an dem Eindringen einer Reihe ungeeigneter
Elemente in die Aerzteschaft, was sowohl auf die Lebenshaltung,
das Niveau der allgemeinen Bildung und die Umgangsformen von
nachteiligem Einfluss war. Wenn an manchen Stellen vom Mammons¬
hunger der Aerzte gesprochen wird, so ist dem entgegenzuhalten,
dass vielfach die Sorge für sich und die Angehörigen die Aerzte
zwingt bis ans Lebensende angestrengt beruflich tätig zu sein. Auch
die Gegenüberstellung von „arztenden Praktikern“ und den „idealen“
beamteten Aerzten. die für geringe Entschädigung dem Staat und der
Allgemeinheit dienen, wäre besser unterblieben.
P. Loh mar -Köln: Unfallversicherung und Arzt. (Fort¬
setzung und Schluss.)
In diesem von einem Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft
vor Aerzten gehaltenen Vortrag interessieren folgende Punkte: Die
Berufsgenossenschaften wünschen das Heilverfahren sofort nach dem
Unfall zu übernehmen, da die Kassen, denen die Fürsorge jetzt ob¬
liegt, dem Verletzten häufig kein vollkommenes Heilverfahren an¬
gedeihen lassen (Unterbringung in kleinen Krankenhäusern, Verweige¬
rung der Röntgenaufnahmen etc.). Aus dem gleichen Grund streben
sie die sofortige Zuweisung schwerer Verletzter an einen spezialistisch
ausgebildeten Arzt und die Ueberführung in ein mit allen Hilfsmitteln
ausgestattetes Krankenhaus an. Um dies zu ermöglichen, ist eine
Verschmelzung der Unfall- und Krankenversicherung oder Einführung
einer Verwaltungsgemeinschaft notwendig. Die ärztliche Begutach¬
tung des Patienten soll nicht in die Hände des behandelnden Arztes
gelegt werden. Entgegen der von zahlreichen Berufsgenossen¬
schaften und Schiedsgerichten gehandhabten Praxis, vom Arzt eine
prozentuale Schätzung der Erwerbsfähigkeit zu verlangen, befür¬
wortet Verf., dies dem zur Entschädigungsfestsetzung berufenen
Organ (dem Geschäftsführer?) zu überlassen. Auch die Tätigkeit des
Schiedsgerichtsarztes, der in verwickelten Fällen nur auf Grund des
kurzen Augenscheins, oft ein vom Vorgutachter abweichendes Urteil ab¬
gibt, das dann meist für das Gericht massgebend ist, scheint nach
seiner Ansicht Anlass zu Bedenken zu geben.
F. Perutz - München.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 37. 1907.
1) Jürgens-Berlin: Die Stellung des Paratyphus in der
Typhusgruppe.
Verf. erörtert die Frage, ob Krankheitsformen, welche durch den
Schottmüller sehen Bazillus verursacht werden, überhaupt noch
in die Typhusgruppe einzubeziehen sind. In dieser Hinsicht wird
hervorgehoben, dass der bakteriologische Begriff des Paratyphus so¬
wohl verschiedene Krankheitsbilder als auch pathologisch-anatomische
Zustände umfasst. Es ist berechtigt und namentlich für die Zwecke
des Arztes richtig, trotz bakteriologisch einheitlicher Aetiologie doch
nach den klinischen Bildern Trennungen vorzunehmen. Daher sollen
Erkrankungen, welche klinisch zum Bilde des Typhus gehören, auch
der Typhusgruppe beigerechnet werden, auch wenn sie durch den
Paratyphusbazillus verursacht sind. Andererseits sollen Paratyphus¬
infekte, welche unter dem Bilde der Fleischvergiftung verlaufen, vom
Typhus abgetrennt werden.
2) R. R ö s s 1 e - München: Gibt es Schädigungen durch Kochsalz¬
infusionen?
Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu München am 29.
April 1907/
3) Engel und B a u e r - Düsseldorf : Erfahrungen mit der
v. Pir au et sehen Tuberkulinreaktion.
Von 48 mit Tuberkulin geimpften Säuglingen boten 6 eine ein¬
wandfreie positive Hautreaktion nach Pirquet, davon aber scheinen
5 mit hoher Wahrscheinlichkeit tuberkulosefrei zu sein. Der positive
Ausfall der Reaktion erscheint den Verfassern nicht ohne weiteres
dafür beweisend, dass Tuberkulose vorhanden ist. Von 280 älteren
Kindern, welche geimpft wurden, zeigten alle eine positive Reaktion,
welche sich klinisch sicher als tuberkulös erweisen Hessen, woraus
zu schliessen ist, dass bei Kindern jenseits des Säuglingsalters eine
enge Beziehung zwischen der P i r q u e Eschen Hautreaktion und
Tuberkulose zugegeben werden kann. Die Impfung scheint im all-
gemeinen für die Beurteilung, ob I uberkulose vorhanden ist o de i
nicht, eine geringere Sicherheit zu bieten wie die probatorische
Tuberkulininjektion. _ ...
4) O. Maas -Berlin: Ueber multiple Tumoren im Bereich des
Zentralnervensystems. Tr , ,
Ausführliche Mitteilung des Befundes bei dem Kranken, welcher
einen komplizierten Symptomenkompiex darbot. in welchem besonders
die zeitlichen Schwankungen in der Intensität der Störungen be¬
merkenswert sind. Ein aus dem rechten Keilbeinflügel exzidierter
Tumor erwies sich als ein Rundzellensarkom. Aus dei Epikrise und
der Differentialdiagnose des Falles ist zu erschlossen, dass der Sitz
der Geschwülste sowohl das Rückenmark, wie das Gehiin bettint.
5) J. Ruhemann: Zur epidemiologischen Bedeutung der In¬
fluenzabazillen. , , , , T . ..
Verf. betont die Beobachtung, dass in den letzten Jahien bei
Influenzakranken immer seltener der Pfeiffer sehe Influenzabazillus
gefunden wird und setzt sich über diese 1 atsache hauptsächlich mit
Joch mann auseinander. Die Gründe dieser Erscheinung hegen
nach Verf. in einer sich gegenüber Influenza einstellenden Immunität,
wofür ihm direkte Nachweise aus eigenen Beobachtungen und Uiitei-
suchungen zu Gebote stehen. Auch ist eine Abschwächuug dei Viru
lenz des Pfeiffer sehen Bazillus in Betracht zu ziehen. Die doii-
1954
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
nenschein- und Lichtverhältnisse sind von erheblichem Einfluss auf
die Wirksamkeit und die Häufigkeit des Auftretens der Influenza¬
bazillen. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 37.
1) H e r x h e i m e r - Frankfurt a. M.: Beiträge zur Therapie der
Acne vulgaris.
Fortbildungsvortrag.
2) Ed. Arning und C. K 1 e i n - Hamburg-St. Georg: Die
praktische Durchführung des Nachweises der Spirochaete paliida im
grossen Krankenhausbetrieb.
Untersuchungen an einem grossen Material. Die Spirochaete
wurde in Primäraffekten und syphilitischen Papeln selten, in nässen¬
den Kondylomen der Genital- und Analgegend nie vermisst. In den
krustösen Papeln der behaarten Kopfhaut wurden stets sehr zahl¬
reiche lebende Spirochäten gefunden. Dagegen mangelte jeder po¬
sitive Befund bei maligner Lues und im tertiären Stadium. Bei kon¬
genitaler Lues oder Verdacht auf solche war der Nachweis ebenfalls
wertvoll. Driisenpunktion war der Diagnose nicht förderlich. In
klinisch unsicheren Fällen verliess man sich auf die Spirochäten¬
untersuchung. Neuauf genommene Kranke soll man vor Entnahme des
Materials erst einen Tag lang indifferent verbinden. Die P r e i s sehe
Schnellfärbemethode bewährte sich.
3) 0. B o e 1 1 k e - Rixdorf : Die W r i g h t sehen Opsonine bei
akuten Infektionskrankheiten.
Verf. behandelte 13 Pneumonien, eine Sepsis und ein Empyem
nach der W r i g h t sehen Methode, deren Grundsätze erläutert wer¬
den. In allen Fällen gelang es, durch Inokulation des spezifischen
abgetöteten Infektionserregers den opsonischen Index zu erhöhen oder
doch auf der Höhe zu erhalten, d. h. die Schutzkräfte des Serums
zu verstärken. Schädliche Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
4) H. B o r u 1 1 a u- Berlin: Ueber das Verhalten des Jodglidines
im menschlichen und Tierkörper.
Das an das Pflanzeneiweiss Glidine gehundene Jod wird im
Harn als Jodalkali rasch und in hohem Prozentsatz ausgeschieden:
in einem Fall wurde gleichzeitige Steigerung der Stickstoffausschei¬
dung beobachtet.
5) Franz H e s s e - Wiesbaden : Ueber Komplikationen nach
Lumbalanästhesie.
Infolge der mit Stovain und Tropakokain mehrfach gesehenen
üblen Neben- und Nachwirkungen (meningitische Reizerscheinungen,
vasomotorische Störungen. Sensibilitätsstörung neben Schmerzen in
je einem Fall) wendet Verf. die Lumbalanästhesie nur an, wenn gegen
die Allgemeinnarkose eine bestimmte Kontraindikation besteht und
die Lokalanästhesie nicht genügt. Vorsicht empfiehlt er namentlich
bei Personen, deren Nervensystem nicht ganz intakt ist.
6) Jul. F r i e d 1 ä n d e r - Frankfurt a. M.: Habitueller Chloro¬
formmissbrauch.
59 jährige Frau, schläferte sich seit 14 Jahren täglich mit 20
Tropfen Chloroform ein. Litt öfters an Kopfschmerz, hatte vor 5
Jahren eine Apoplexie, erlag einer zweiten.
7) Felix Turan- Berlin: Zur Behandlung des chronischen Gebär¬
mutterkatarrhs.
Intrauterine passive Hyperämie mittelst gefensterten Metallkathe¬
ters, in welchem eine mit Saugspritze verbundene Metallkanüle steckt.
Verminderung der Sekretion. Besserung der Erosionen.
8) M u 1 e r t - Meissen : Ein Fall von kompletter Uterusruptur in
der Geburt.
Ruotur wurde erst bei der manuellen Lösung der Plazenta er¬
kannt (Kollaps fehlte). Porro.
9) G i e r t s e n - Christiania: Das Sanitätswesen der norwegi¬
schen Armee. R. Grashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 17. 1907.
Linck-Bern: Klinisches und Histologisches über die Rachen¬
mandelhyperplasie. (Schluss folgt.)
O. Roth -Zürich: Ueber die gesundheitsschädlichen Folgen der
Arbeit in hochtemperierten Räumen, speziell in Stickereiappreturen.
(Schluss folgt.) Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 37. D. P o s p i s c h i 1 1 - Wien: Das Scharlachherz (Myo-
carditis scarlatinosa).
P. verbreitet sich sehr eingehend über die Diagnostik der weni¬
ger typischen Scharlachfälle und die Bedeutung des Herzbefundes für
dieselbe. Das Herz scharlachkranker Kinder erkrankt oft in charak¬
teristischer Weise. Es handelt sich um eine meist anfangs auftretende
Myokarditis mit einer Spaltung des ersten Tones und einem Reibe¬
geräusch wie bei Perikarditis. Auf diese Weise lassen sich bisweilen
rudimentäre Scharlachfälle erkennen.
1\ Goldschwend - Linz a. D.: Ueber 1000 Lumbalanästhesien
mit Tropakokain.
Die Gesamterfahrung über die Tropakokainanästhesie ist eine
durchaus günstige, so dass dieselbe im Linzer Krankenhaus immer
ausgedehntere Anwendung findet. Von den Begleiterscheinungen un¬
angenehmer Art stellte sich bei 8 Proz. Erbrechen, bei 1,1 Proz. Kol¬
laps ein, der in einem Fall während der Operation zum Tode führte,
wobei der Anteil des Tropakokains an dem üblen Ausgang noch
zweifelhaft ist. Die durchschnittlich entsprechende Dosis ist 0,12.
Ein Misslingen der Anästhesie beruht vielfach auf der Technik. Unter
407 grösseren abdominalen Operationen versagte sie nur 25 mal.
F. Mahnert und E. Schnopfhagen-Graz: Ueber Leu¬
kämie und Röntgenbehandlung.
Bericht über 2 mit Röntgenbestrahlung behandelte Fälle (eine
Drüsenleukämie und eine myelozytische Leukämie), welche nach
vorübergehender Besserung zum Tode führten. Ein Ueberblick über
die vorliegenden Publikationen lässt den Schluss zu, dass die Rönt¬
genbehandlung derzeit immerhin die zweckmässigste Therapie der
Leukämie darstellt; ähnlich der Digitaliswirkung lässt sich auch hier
nur eine temporäre günstige Einwirkung auf das Symptomenbild er¬
warten. Die Rezidive schwinden rascher bei täglicher, als bei der
durch längere Pausen unterbrochenen Behandlung, sie lassen sich aber
nicht durch prophylaktische Bestrahlung im Intervall der Besserung
vermeiden. Die günstigere Prognose bezüglich der Lebensdauer
scheint den myelogenen Formen der Leukämie zuzukommen.
S. Ciechanowski-Krakau: Pathologisch-anatomische Be¬
obachtungen über primäre Darmtuberkulose.
Die genaueren statistischen Angaben über einzelne Formen der
Darmtuberkulose im Verhältnisse zu der Tuberkulose anderer Organe
und zur Gesamtzahl von Todesfällen sind im Original einzusehen.
Unter 13 203 Autopsien befanden sich 36 Fälle von isolierter Darm¬
tuberkulose (Darm, Peritoneum, Mesenterialdrüsen) und 102 solche
von ausgesprochener Darmtuberkulose neben frischer umschriebener
Tuberkulose anderer Organe. Diese 138 Fälle bedeuten 1,04 Proz.
R. v. K 1 e c k i - Krakau: Bericht über die im Institute (für all¬
gemeine und experimentelle Pathologie) angestellten experimentellen
Untersuchungen über den Durchtritt von Bakterien durch die intakte
Darmschleimhaut.
Nachdem Rogozinski gefunden hatte, dass in den Mesen¬
terialdrüsen normaler Tiere ständig aus dem Darmkanale stammende
Bakterien aus der Gruppe des Bacterium coli Vorkommen, haben die
Untersuchungen Wrzoseks ergeben, dass die in die inneren Organe
eingewanderten Darmmikroben grossenteils, wenn nicht ausschliess¬
lich durch die Chylusgefässe in den Ductus thoracicus und dann durch
den Blutkreislauf in die verschiedenen Gewebe gelangen.
Bergeat - München.
Italienische Literatur.
B e r n ab ei: Ueber Refrakturen der Kniescheibe, (il policlinico,
Mai 1907.)
B. kommt gelegentlich der Erörterung zweier Fälle von Re-
fraktur der Kniescheibe zu dem Resultat, dass sich in allen Fällen,
wo nicht besondere Kontraindikationen bestehen, der blutige Eingriff
d. h. die Naht der Kniescheibenfragmente empfiehlt, welche zwar keine
Garantie bietet gegen eine mögliche Refraktur innerhalb eines der
Fragmente, aber doch eine grosse Sicherheit gegen eine Trennung
in situ.
Jedes fibröse Gewebe, wie jede gewöhnliche Narbe ist dehnbar
und diese Dehnbarkeit kommt besonders in Betracht bei einem
Knochen wie der Kniescheibe, welcher beim Gehen beständig der
Wirkung zweier entgegengesetzter Kräfte ausgesetzt ist.
B. erwähnt eine Statistik von S t u m p f f (Zentralbl. f. Chirurgie
1904, No. 34) betr. 28 Refrakturen der Kniescheibe; in 17 Fällen hatte
der fibröse Kallus nachgegeben, in den übrigen Fällen war der Sitz
der Fraktur in einem der Fragmente.
M i n e r v i und DeSanctis bringen eine längere, durch Bilder
illustrierte Abhandlung: Die Körperhaltung bei der Ischias, welche
sich zur auszugsweisen Wiedergabe schlecht eignet.
Die Ischias sei eine Serositis des Perineuriums. Wie für den
Kliniker immer bei Krankheiten die Körperhaltung und -Stellung zu
berücksichtigen sei, so sei sie auch für die Ischias charakteristisch.
Die Stellung ist eine verschiedene in der akuten, subakuten und
chronischen Phase. Es folgt eine Erörterung der Ischiaswinkel und
Krümmungen, der Ischiasskoliose. Für die Differentialdiagnose hat
grössten Wert der Angulus pubicus. (Gazzetta degli osped. 1907,
No. 45.)
Silvestri: Ueber Thörakozentese und Lufteintritt in die
Pleurahöhle. (Gazetta degli osped. 1907, No. 51.)
Das Eindringen atmosphärischer Luft in die Pleurahöhle während
und nach der Entleerung eines Exsudats ist unschädlich; es wirkt der
brüsken Ausdehnung der komprimiert gewesenen Lunge entgegen und
hat einen wunderbaren Heileffekt.
Angesichts der heilenden Wirkung, welche der breite Zutritt at¬
mosphärischer Luft bei Laparotomien, die wegen tuberkulöser Peri¬
tonitis unternommen wurden, äussert, musste es naheliegen, die
früher allgemein verbreitete Ansicht von der Schädlichkeit des Luft¬
eintritts in die Pleurahöhle fallen zu lassen. S. erwähnt zwei von
ihm mit Lufteintritt in die Pleurahöhle nach Parazentese glücklich
und schnell geheilte Fälle. Er führt die Arbeit des japanischen
Arztes Kawakara (Sem. med. 1901, pag. 327) an, welche dieser
neuen Anschauung zuerst Bahn gebrochen hat, ebenso Vaquez.
I'raitement des pleuresies recidivantes par injections gazeuses intra-
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1955
thoraciques (Sem. med. 1902, pag. 182). Dufour (Pleuresie chro-
nique traitee par ponction suivie d’une injection d air. Sem. med. 1906,
pag. 514). .
S i 1 v e s t r i - Modena empfiehlt intraperitoneale Injektionen
„ichr filtrierter und nicht sterilisierter atmosphärischer Luft ver¬
mittels des Potainschen Einblaseapparates bei tuberkulöser Pen-
t0n,tBesonders bei der aszitischen Form sollen diese Einblasungen
nach vorheriger Parazentese ihre Wirkung entfalten. Die Iechmk ist
eine sehr einfache. Die Quantität der eingeblasenen Luft ist so zu be¬
messen, dass das Abdomen einen Umfang gewinnt wie vor der i ara-
zentese. (Gazzetta degli osped. 1907, No. 48.)
Carletti: Der Nachweis geringer Mengen von Blut in den
Fäzes von Tuberkulösen. (Gazetta degli osped. 1907, No. 51.)
C. hat unter Leitung Lucatellos in Padua umfangreiche
Untersuchungen über die genannte Erscheinung angestellt und
kommt zu dem Schlüsse: dass Spuren von Blut, welches vom Darin
herrührt und nur durch chemische Reaktionen (Weber und
Schaer-Rossel) nachzuweisen ist, sich häufig in den Fäzes von
Lungentuberkulosen findet. . , ., ,
Dieser Befund ist häufiger bei vorgerückter Krankheit und bei
Darmstörungen, indessen gibt es hiervon zahlreiche Ausnahmen. .
Zeitweise kann man bei Initialformen konstant Blut in den razes
finden, während kein anderes Symptom von seiten des Verdauungs¬
apparates vorhanden ist. .
Wenn lange Zeit konstant Blut in den Fäzes nachgewiesen wer¬
den kann, so ist bestimmt die Anwesenheit ulzeröser tuberkulöser
Läsionen im Darm anzunehmen. . , ,
Es können indessen tuberkulöse Geschwüre lin Darm vorhanden
sein, ohne dass in den Fäzes jemals auch die geringsten Spuren mit
den heutigen chemischen Reaktionen gefunden werden.
Das Symptom häufiger geringer Blutungen hat einen beträcht¬
lichen diagnostischen Wert für Frühdiagnose: sein Fehlen schliesst
dagegen eine ulzeröse Darmläsion bei Lungentuberkulösen nicht aus.
Fragale: Ueber Diplokokkämie. (il policlinico, Mai 1907.)
Unter Leitung Ascolis machte F. bei 50 Pneumonien syste¬
matische Blutuntersuchungen auf Diplokokken: ferner wurde der
Urin auf das Vorkommen der gleichen Infektionserreger untersucht.
Die Untersuchungen fanden während der Fieberperiode und einige
Zeit nach der Krisis statt. u ,
Ueber die Untersuchungsmethoden, welche die besten Resultate
gaben, verbreitet sich der Autor ausführlich; hiei wollen wii nui
das Resultat der Untersuchungen zusammenstellen.
F. fand, dass einer starken Ausscheidung ziemlich vnulentei
Diplokokken durch die Nieren nicht immer eine bedeutende Albu¬
minurie entspricht, sie kann sogar ab und zu fehlen.
Kein deutlicher Zusammenhang existiert zwischen Virulenz und
Zahl der Keime im Blute einerseits und Ausdehnung 'der Lungen-
läsion andererseits.
Auch besteht kein sicheres Verhältnis zwischen Zahl und Viru¬
lenz der Diplokokken und dem Ausgang der Krankheit. Man findet
Diplokokken im strömenden Blute in grosser Zahl, ohne irgendwelche
alarmierende Symptome; in allen Fällen kann normale Heilung er¬
folgen, dafür gibt es andere Fälle mit spärlichem Diplokokkenbefunde
und letalem Verlauf. ,
Dagegen herrscht eine enge Beziehung zwischen der Virulenz
der Diplokokken und der Schwere der Krankheit. Spärliche Diplo¬
kokken im Blute, wenn sie sehr virulent sind, führen zu alarmierenden
Symptomen; reichlicher Befund hochvirulenter Diplokokken im Blute
lässt die Prognose infaust erscheinen.
In 9 Fällen von 50 Pneumonikern gelang es F. nicht, die Kokken
im Blute zu finden, in allen übrigen dagegen in wechselnder Quantität
und Virulenz. Sie nehmen zu im präagonischen Stadium an Zahl und
Virulenz.
Im Urin gelang es F. den Diplokokkus nur in 27 Fällen zu finden
und zwar nur spärlich bei vorgeschrittener Krankheit und niemals bei
Apyrexie. In 5 Fällen enthielt der Urin die Diplokokken, während
sie im Blute nicht nachgewiesen werden konnten.
Vielleicht hat es an der mangelhaften Technik der Urinunter¬
suchung gelegen, dass, während der Blutbefund so häufig positiv wai,
der Urinbefund oft negativ sich darstellte.
Nach längerer Zeit, in einer Periode von 9—45 lagen nach der
Apyrexie. wurden häufig Diplokokken im Blutstrom gefunden, oft von
geringer Virulenz und degeneriert in der Form; aber wiederholte Kul¬
turen und Tierkörperpassagen genügten, um Virulenz und Kapselform
wieder hervorzubringen. , ,
Pneumonierezidive fand F. immer durch positiven Blutbeiund
auch in der dazwischen liegenden Apyrexieperiode charakterisiert.
Valagussa (Universitäts-Kinderklinik Rom) : Beitrag zum Stu¬
dium der Zystitis durch Bac. coli im Kindesalter, (il policlinico, Mai
Auf die Infektion der Urinwrege durch Kolibazillus hat zuerst
Bouchard aufmerksam gemacht. Escherich hob 1894 auf dem
internationalen Kongress in Paris zuerst die Wichtigkeit der Zystitis
durch Bact. coli im Kindesalter hervor.
Bald darauf erfolgten Mitteilungen über den gleichen Gegenstand
von einer grossen Reihe von Autoren, von welchen wir M y a, Ba-
stianelli, H u t i n e 1 und von deutschen namentlich T r u m p p
(Ueber Kolizystitis im Kindesalter; Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. XL1V,
pag. 268, 1907) erwähnen.
Verf. hat 11 Fälle gesammelt und berichtet ausführlich über die¬
selben. _ , .
Die Krankheit, so meint er, ist im Kindesalter ziemlich häufig,
und vielleicht würde die Anzahl der beschi iebenen halle giössei sein,
wenn man mit mehr Sorgfalt den Urin untersuchte.
Die ätiologischen und pathogenetischen Bedingungen sind fol¬
gende:
a) konstante Anwesenheit des B. coli in der Blase,
b) Kultur und Aufrechterhaltung der Aktivität des B. coli in der
13 1 as c
c) mangelnder Abfluss des Urins durch Entzündung der äusseren
Genitalien, ein Moment, welches die Urinstauung in der Blase be¬
günstigt.
Die klinischen Symptome gestatten eine Diagnose nicht, da keines
derselben einen speziellen Charakter hat. Das einzige absolute Kn-
terium ist das, welches uns die mikroskopische Urinuntersuchung
Die Dauer der Krankheit ist eine wechselnde, je nach dem früh¬
zeitigen Oider späteren Eintritt der Behandlung. Der langen Fieber-
da-uer entspricht die Permanenz des Kolibazillus in der Blase. Der-
selbe kann sich auch noch mehrere Monate nach Aufhören des Fie-
bers finden. , _ .... .
Die Prognose muss reserviert sein, da die Zystitis immer einen
Eiterherd und deshalb den Ausgangspunkt für septische und septisch-
pyämische Prozesse darstellt. Die Behandlung ist eine symptoma¬
tische antiputride und antifermentative, die Diurese begünstigende.
R o m a n e 1 1 i: Ueber das Vorkommen und die Frequenz von de¬
generierten Leukozyten im strömenden Blut. (Gazzetta degli osped.
1907. S. 60 u. 63.) , A ,
Im Blute von Kranken verschiedener Art von Infektionskrank¬
heiten sind Leukozyten mit albuminoider und fettiger Degeneration
nachweisbar, am häufigsten bei Bakteriämie mit hohem Fieber un
Leukozytose. Diese Befunde sollen nach einei Anschauung von
Cesaris Demel einen spezifischen Befund bei eitriger Entzündung
bieten und einen diagnostischen Schluss gestatten unter Umständen
auf verborgene Eiterherde im Körper, welche anderweitig nicht zu
erkennen gewesen.
Auf die von Demel erhobenen Befunde hat die Genuesei Schule
in einer Abhandlung von Guvot (Gazzetta degli osped. 1905, V. 10)
bereits früher aufmerksam gemacht. Dieselben sind indessen nicht,
wie R. in einer grossen Versuchsreihe nachweist, anzusehen als Ele¬
mente, welche von Eiterherden — auch wenn solche im Körper exi¬
stieren — ins Blut aufgenommen sind, sondern diese degenerierten
Leukozyten bilden sich als solche im Blute selbst.
Experimentell können Infektionen wie Intoxikationen allgemeiner
Art leukozytäre Degenerationen herbeiführen, falls sie das ner nicht
in schneller Weise töten. Erzeugt man lokale Eiterherde, so trifrt
man in der Regel nicht im Blute Eiterkörperchen. Es fehlt also diesem
Befunde die diagnostische Bedeutung, welche ihr Cesaris Demel
vindizierte. Dagegen bestätigt auch das Tierexoeriment dass immer
eine gewisse Beziehung besteht zwischen leukozytarer Degeneration,
Fieber und Leukozytose. , -* , . c
Ferrari- Modena: Ueber Methylenblaureaktion des Urins.
Sie ist nicht geeignet, wie R u s s o - Catania irrtümlich ange¬
geben. die Ehrlich sehe Diazobenzoereaiktion zu ersetzen. Sie ist
ein ootisches Phänomen, beruhend auf Kontrastfarbenerscheinuiw um
hat , keinerlei klinische Bedeutung. (Gazetta degli osped. 1907, No. 1.)
Bongiovanni: Drei Fälle von Gesichtserysioel mit Lokal¬
behandlung von Behring schein Diohtheriehcilserum geheilt.
Die Behandlung bestand in Aufoinselung anfangs zweimal und
später einmal täglich und jedesmal 1500 U.T und Bedeckung mit Gutta¬
percha. R. glaubt nach seiner genauen Beschreibung und dem Ke-
sultat seiner Blutuntersuchungen an eine günstige Wirkung dieser ße-
handlung. (Gazzetta degli osped. 1907, No. 48.)
S c i a 1 1 e r o: Ueber die antikonvulsifische Wirkung des Neuro-
prin. (Gazzetta degli osped. 1907, No. 51.)
S., bekannt durch seine Arbeiten auf organotherapeutischem
Gebiet,’ ist es gelungen, aus frischer Nervensubstanz ein Präparat zu
gewinnen, welches er durch die antiseptische Wirkung des Broms
haltbar gemacht hat. Er wies an Versuchstieren nach, dass es vom
Magen aus ins Blut aufgenommen wird und die Tiere gegen eine tui
Kontrolliere tödliche Dosis von Strychnin zu schützen vermag, und
dass dieser Schutz längere Zeit vorhält.
Von auffallender Wirkung erwies sich das Neuropnn genannte
Präparat bisher bei EnileDtikern. Es machte die einzelnen Anfälle
milder und seltener. Weitere Erfolge sind abzuwarten.
Fontana: Atropin bei Diabetes insipidus. (Gazetta degli
osped. 1907. No. 57.) . ,
F teilt einen Fall von Fleilung (wenigstens symptomati¬
scher) von Diabetes insipidus aus dem Kinderhospital zu
Cremona mit und glaubt, daraufhin das Mittel bei dieser meist einei
Heilung unzugänglichen Krankheit empfehlen zu können.
Er stützt sich dabei auf folgende Beobachtung:
Das Atropin ist imstande, alle Drüsenabsonderungen zu
unterdrücken, auch wenn sie durch funktionelle Störung ubeitueien
sind, wie in der Hyperhydrosis, in der Hyperchlorhydne, beim
1956
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Speichelfluss usw. Diese Wirkung beruht auf einem inhibitorischen
Vermögen, welches dasselbe auf die Nervenfasern hat, die der Se¬
kretion vorstehen.
Die Tatsache, dass das Atropin diese seine Wirkung auch beim
Diabetes insipidus ausiibt, indem es die übertriebene Ausscheidung
von Wasser und von Salzen erniedrigt, unterstützt die Annahme, dass
dieser Krankheitsprozess an eine Störung der eigentümlichen sekre¬
torischen Funktion der Glomeruli gebunden ist, vergleichbar der
Hypersekretion, welche unter pathologischen Zuständen in anderen
Drüsen sich äussert.
Der Ursprung einer solchen Sekretionsstörung ist mit aller Wahr¬
scheinlichkeit zu suchen weniger in einer anatomischen Veränderung,
als in einem abnormen Reiz der Nervenfasern, welche vom abdomi¬
nalen Sympathikus herrühren und von welchen man annimmt, dass
sie die Glomerulusfunktion regulieren. So ist die Hypothese, welche
den Diabetes insipidus als eine Neurose des Sympathikus auffasst,
die wahrscheinlichste.
Var an in i: Adrenalin in einem Falle von Diabetes insipidus.
(Gazzetta degli osped. 1907, No. 60.)
Einen auffallenden Erfolg hat V. in der Klinik Parmas in einem
Falle von Diabetes insipidus, welcher aller bisher angewandten
Therapie gegenüber sich negativ erwies, mit Adrenalin erzielt. Die
Dosis betrug bei der 27 jährigen Patientin 5 — 7 Tropfen pro die von
einer Lösung Adrenalin 1 : 1000 (der Firma Parke-Davis). Vom
2. Tage ab verminderte sich der Durst und die Flüssigkeitseinfuhr;
die Urinquantität sank von 7000 auf 4500 ccm. Auch nach der Ent¬
lassung aus der Klinik hielt bei der gewöhnlichen Beschäftigung und
der Einnahme von 10 Tropfen täglich der günstige Erfolg an.
Zanoni: Die Opotherapie mit Nebennierenextrakt bei Blasen¬
inkontinenz und Blasenschwäche.
Bei der essentiellen Blaseninkontinenz vermag die Therapie mit
Nebenierenextrakt die Urinentleerung wieder unter die Herrschaft des
Willens zu stellen. Das geeignetste Alter für diese Behandlung ist die
erste Kindheit. Das Mittel wird gut vertragen, hat keine unliebsamen
Nebenwirkungen, hebt das Allgemeinbefinden. Kumulative Wirkung
oder Abstumpfung der Wirkung durch Gewöhnung wurde nicht be¬
merkt. Schon 10 — 15 Tropfen, 2 mal täglich gegeben, entfalten bei
4 — 5 jährigen Kindern sichtliche Wirkung; ohne Bedenken kann man
die Dosis steigern, bei Erwachsenen bis 50 — 60 Tropfen 2 — 3 mal täg¬
lich und höher.
In No. 120 der Gazzetta degli osped. 1906 machte Z. seine ersten
Resultate mit dem Mittel bekannt. Heute ist er imstande, über das
Resultat von 134 Fällen zu berichten, welche zum Teil ihm von
anderen italienischen Kollegen mitgeteilt wurden. In der Hälfte dieser
Fälle war das Resultat gleich von vornherein ein überraschend gün¬
stiges; nur in 21 Fällen war es ein negatives, aber auch in diesen
ist nach der Meinung des Autors bei richtiger Fortsetzung und Do¬
sierung ein Erfolg nicht ausgeschlossen. (Gazzetta degli osped. 1907,
No. 48.) Hager- Magdeburg.
Physiologie.
O. Hammarste n, dem Physiologen in Upsala, haben Freunde
und Schüler zu seinem 65. Geburtstage (21. August 1906) eine Fest¬
schrift (Verlag von C. J. Lundström - Upsala und J. F. B e r g -
m a n n - Wiesbaden) gewidmet, die ein von S. S c h m i d t - N i e 1 s e n
zusammengestelltes Verzeichnis der von O. Hammarsten bis jetzt
veröffentlichten Schriften und 22 Arbeiten der Freunde und Schüler
enthält.
Vom 13. — 16. August fand in Heidelberg und damit zum ersten
Male in Deutschland der 7. internationale Physiologen-
Kongress statt. Ein Auszug aus den Verhandlungen ist bisher
im Zentralblatt für Phvsiologie erschienen und wird wohl dort wieder
erscheinen.") Den Teilnehmern am Kongresse liess Grossherzog
Friedrich von Baden eine Helmholtz - Gedenkmünze über¬
reichen. Der nächste Kongress findet in drei Jahren in Wien statt.
Die physiologische Methodik betreffen folgende Arbeiten: O.
I' rank und J. Petter - Giessen: Statik der Membranmano¬
meter und der L u f 1 1 r a n s m i s iS i o n (v. Voits Zeitschr. f.
Biol., Bd. 48, S. 489, 1906). G. F. Nicolai- Berlin : Die Gestalt
einer deformierten Manometermembran experi¬
mentell bestimmt. Mit einem theoretischen An¬
hänge von M. Schlick (Engdmanns Archiv f. Physiol. 1907,
S. 129). S. G a r t e n - Leipzig; Ueber die Anwendung der
Zun gen pfeife zur Registrierung (Pflügers Archiv f. d.
ges. Physiol., Bd. 118. S. 228, 1907) und R. H. Kahn -Prag: Ueber
ein einfaches Verfahren, Projektionsbilder von
Originalkurvenherz iu st eilen (Zentralbl. f. Physiol., Bd. 20.
S. 302, 1906.)
In der ersten Arbeit setzt O. Frank, der sich ein grosses Ver¬
dienst durch genaue Prüfung der Leistungsfähigkeit der physiologi¬
schen Registrierinstrumente erworben hat. seine mathematischen Ver¬
suche fort, entwickelt eine Theorie der Deformationen der Membran
und führt mit .1. Petter eine experimentelle Prüfung der Theorie
durch.
In der zweiten Arbeit leugnen G. F. N i c o 1 a i und M. Schlick,
dass die gespannte und aufgeblähte Rlembran eines Membranmano¬
meters die Gestalt eines Paraboloids annehme, wie O. Frank be¬
hauptet.
In der dritten Arbeit empfiehlt S. Garten eine gewöhnliche
billige Zungenpfeife an Stelle der teuren Stimmgabel zur Zeitnotierung
bei Lichtschreibung, ferner als Ersatz des Episkotisters, wie ihn S.
Garten zur Erzeugung der Ordinaten bei Aufnahme von Kapillar¬
elektrometerkurven benutzt hat, und schliesslich zur gleichmässigen
Unterbrechung konstanter Ströme. Die Zungenpfeife setzt S. Gar-
t e n durch eine Wasserstrahlpumpe in Gang.
Zur Herstellung von Projektionsbildern verfährt R. H. K a h n
folgendermassen: Er legt im Dunkelzimmer eine gewöhnliche Dia¬
positivplatte mit der Schichtseite nach oben, auf eine schwarze Unter¬
lage. Auf die Schichtseite der Platte wird die auf berusstes Papier
aufgeschriebene und mit Harzlösung fixierte Zeichnung mit
der Schichtseite nach unten gelegt und durch eine Glasplatte glatt an¬
gedrückt. Dann lässt man ein Sturmzündhölzchen 15 — 20 cm über der
Glasplatte ausbrennen. Durch die Stellen der Zeichnung, welche von
Russ befreit sind, dringt dann das Licht hindurch auf die photogra¬
phische Platte. Darauf entwickelt man die Platte, die Zeichnung
erscheint schwarz auf glashellem Grunde und kann im Hörsaal bei
Tageslicht projiziert werden.
Ins Gebiet der physiologischen Chemie und allgemeinen Physio¬
logie gehören folgende Arbeiten:
Ein bisher ungelöstes Problem ist die genaue Bestimmung
kleiner Mengen von Aethylalkohol. Der Lösung näher
kommt M. J. Striter - Wien (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chem.,
Bd. 50, S. 22, 1906/07) der unter Anwendung des Z e i s e 1 sehen
Jodidverfahrens1) den Fehler der Bestimmung auf 0,5 bis höchstens
1 Proz. herabdrückt, wenn mindestens 0,05 g Alkohol zur Analyse vor¬
lägen.
Ueber eine neue Reaktion auf Indol nach Isolierung
desselben und zwar mit 4 Proz. Formaldehydlösung und reiner kon¬
zentrierter Schwefelsäure berichtet K. Ko n t o -Kioto in Kossels
Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 48, S. 185, 1906. Mit Hilfe der Re¬
aktion soll 1 g reines Indol in 700 000 ccm Lösung noch nachweis¬
bar sein.
Eine zusammenfassende Darstellung über die Umwandlung
der Purinkörper im Säugetierorganismus gibt B.
Bl och -Basel im biochem. Zentralbl. Bd. 5, S. 521, 561, 817, 873,
1906.
Ueber das geeignetste Verfahren, kleine Zucker men gen
im Urin nachzuweisen ist zwischen E. Pflüger- Bonn und
O. H a m m a r s t e n - Upsala ein Streit entbrannt, worüber in Pflü¬
gers Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. 116, S. 265, 517 und 533, 1907
und in Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 50, S. 36, 1907
nachzusehen ist.
In einer Arbeit über eineneu.e Methode der Glykogen¬
analyse kommt E. Pflüger- Bonn in seinem Archiv f. d. ges.
Physiol., Bd. 114, S. 247, 1906 zu dem Resultate, dass der Wert
für das Glykogen am sichersten und genauesten festgestellt wird, wenn
man invertiert und den Zucker durch Reduktion bestimmt. Sind die
zu untersuchenden Zuckermengen sehr klein, so soll seine gravi-
metrische Methode in Anwendung kommen. Wenn aber mit der
nötigen Sorgfalt die Drehung des Glykogens nach der in der Arbeit
beschriebenen Methode bestimmt wird, so kann auf Invertierung
und Bestimmung des Zuckers verzichtet werden, wodurch viel Zeit
gewonnen wird.
In seinem Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. 113, S. 465, 1906, ver¬
langt E. P f 1 ii g e r - Bonn: DieAusfiihrungsbestimmungen
zum Reichsfleischbeschaugesetz vom 30. Mai 1 902,
betreffend den Nachweis des Pferdefleisches, müs¬
sen schleunigst umgeändert werden, da die Voraus¬
setzungen des Gesetzes, dass ohne Rücksicht auf das Alter des Flei¬
sches die kleinsten im Pferdefleisch gefundenen Werte die höchsten
bei den anderen Fleischarten erhaltenen Werte übertreffen, nicht
richtig sind. Der sicherste Nachweis des Pferdefleisches wäre wohl
mit Hilfe des biologischen zu treffen. Ueber eine sich anschliessende
Diskussion Pflügers mit R. Oster tag siehe ebenda S. 538
und 540.
Ueber physiko-chemische Untersuchungen über
das Glykogen berichten F. B o 1 1 a z i und G. d ’ E r r i c o - Neapel
in Pf lügers Arch. f. d. ges. Phvsiol., Bd. 115, S. 359, 1906. Unter¬
sucht wurde die Viskosität von Glykogenlösungen mit Ostwalds
Viskosimeter, die Gefrierpunktserniedrigung mit Beckmanns
Apparat und das elektrische Leitvermögen nach Kohlrauschs
Methode. Geprüft wurden 1 — 45 proz. Lösungen. Eine beträchtliche
Zunahme der Viskosität zeigten nun Lösungen von 15—20 Proz. An¬
genommen wird, dass bei dieser Konzentration die Kolloidkörnchen
sich zu solchen von grösseren Dimensionen vereinigen. Bei der¬
selben Konzentration verschwand die Opaleszenz und die Lösung
wurde leimartig, klar. Die Gefrierpunktserniedrigung stieg mit der
Konzentration stetig an. Das elektrische Leitvermögen war bis 25
Proz. vermehrt, von 25 — 30 Proz. plötzlich vermindert, und zeigte dann
bei zunehmender Konzentration eine langsame weitere Abnahme.
Elektrolyten sollen bei der Speichelverdauung des Glykogens nicht
*) Siehe die später referierte Arbeit von F. Tan gl und S.
Weiser.
0 Ein Bericht erscheint demnächst in dieser Wochenschrift. Red.
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1957
entstehen. Es kommt aber dabei zu einer Verminderung der Viskosität
und zwar am meisten bei Beginn der Diastasewirkung und bei zu¬
nehmender Konzentration. Zusatz von gekochtem Speichel zur Gly¬
kogenlösung bedingt nicht mehr die charakteristische Abnahme der
Viskosität, diese ist also offenbar an die Wirkung des Ptyalins ge¬
knüpft. ....
Einen zusammenfassenden Bericht Ueber die einfachen
Ei weisskörper liefert A. Rossel- Heidelberg im biochem.
Zentralbl., Bd. 5, S. 1 u. 33, 1906; einen Bericht Ueber neuere
Arbeiten auf dem Gebiete der Eiweisskörper und
ihrer Spaltungsprodukte P. Bergeil und F. K n a d e,
ebenda, Bd. 6, S. 1 u. 33, 1907; über Die neueren Forschun¬
gen auf dem Gebiet der Eiweisschemie und ihre Be¬
deutung für die Physiologie F. S a m u e 1 y -Göttingen in
Posenthals biol. Zentralbl., Bd. 26, S. 370 u. 430, 1906; über Nu¬
klei n e, Nukleinsäuren und ihre Spaltungsprodukte
H. S t e u d e 1 - Heidelberg im biochem. Zentralbl., Bd. 6, S. 125, 1907.
Eine von Gautier und Morel gemachte Beobachtung, dass
Kuhmilch nach Zusatz von Vs Volumen 40 proz. Natron- oder Kalilauge
bei Zimmertemperatur sich in 24 Stunden schön kirschrot färbt, ver¬
anlasst E. Krüger- Tomsk in einer Arbeit Ueber eine eigen¬
tümliche Veränderung der Milch durch Natron-
resp. Kalilauge (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 50,
S. 293, 1906/07) zu der Konstatierung, dass er diese Beobachtung schon
von mehr als 12 Jahren in Dorpat gemacht habe. F. K r ii g e r be¬
richtet noch über einige diesbezügliche Versuchsresultate, kann aber
den Grund der Rotfärbung nicht genau angeben.
In einer Arbeit Ueber den Einfluss des Alkohols
auf hydrolysierende Fermente (Pflügers Arch. f. d. ges.
Physiol., Bd. 116, S. 495, 1907) weisen B. Schoendorff und
C. Victor ow- Bonn nach, dass Seegens Angabe, in Alkohol
aufbewahrte Lebern verlören ihr Glykogen, nicht richtig ist. Das
diastatische Ferment der Leber wird in Alkohol nur in seiner Wir¬
kung gehemmt, aber nicht getötet, denn nach dem Auswaschen des
Alkohols wirkt es bei Anwesenheit von Chloroformwasser. Seine
Resistenz wird auch dadurch bewiesen, dass es durch Abkühlung auf
— 21° C während 5 Tagen nicht geschädigt wird.
Untersuchungen über die Wärmetönung von
Enzymreaktionen sind im T a n g 1 sehen Institut in Ofen-Pest
angestellt worden. In der I. Mitteilung darüber bringt Tangl Be¬
merkungen über die biologische Bedeutung der
Wärmetönung von Enzymreaktionen und Prinzip
der Versuchsanordnung (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol.,
Bd. 115, S. 1, 1906). Darnach handelt es sich bei den Versuchen um
die Ermittlung der chemischen Energie der zu untersuchenden Sub¬
stanz auf thermochemischem Wege mit Hilfe der kalorimetrischen
Bombe vor und nach Enzymwirkung. In der II. Mitteilung: Einige
Versuche über die Wärmetönung der Pepsin Ver¬
dauung des Eiweisses (ebenda S. 7), kommt R. v. Lengyel
zu dem Resultate, das die Reaktionswärme der peptischen Eiweiss¬
verdauung jedenfalls äusserst gering ist. In der III. Mitteilung:
Ueber die Wärmetönung der Trypsin Verdauung
des Eiweisses (ebenda S. 11) stellt P. H ä r i fest, dass auch die
Wärmetönung der tryptischen Verdauung gleich Null ist. Des wei¬
teren wurde gefunden, dass der spezifische Energieinhalt (— Ver¬
brennungswärme von 1 g) der verdauten Trockensubstanz infolge der
hydrolytischen (intramolekularen) Wasseraufnahme mit fortschreiten¬
der Verdauung abnimmt. Geringe Energieverluste, welche bei der
zur kalorimetrischen Bestimmung nötigen Eintrocknung der ver¬
dauten Substanz beobachtet wurden, werden auf Bildung flüchtiger
organischer Verbindungen beim Eintrocknen zurückgeführt, sie treten
auch bei Eindampfung einer unverdauten Eiweiss-Fermentlösung ein.
Man ist geneigt anzunehmen, dass die Fermente in sehr naher
Beziehung zur lebenden Substanz stehen. Dass aber doch Differenzen
bestehen, geht aus einer Arbeit von Th. Bokorny Ueber die
Trennung von Leben und Gärkraft in der Hefe
(Pflügers Ar.ch. f. d. ges. Physiol., Bd. 114, S. 535, 1906) hervor, in
der gezeigt wird, dass Gifte, wie Schwefelsäure, Formaldehyd und
Sublimat bei bestimmter Konzentration zwar das Protoplasma der
Hefezellen abtöten, die Zymase aus den Hefezellen aber noch wirksam
sein lassen.
Als erweiterter Abdruck aus der Festschrift für J. Rosenthal-
Erlangen ist in Rosenthals biol. Zentralbl., Bd. 26, S. 863 u. 8S8, 1906
eine Arbeit von R. F. Fuchs- Erlangen Zur Physiologie der
Pigmentzellen erschienen.
Ueber merkwürdige Anpassungsfähigkeit des Darmes bei Frosch¬
larven je nach der Nahrung wurde früher schon an dieser Stelle auf
Grund von Versuchen berichtet, die E. B u b e k - Prag angestellt hat.
Derselbe Autor teilt in einer weiteren Arbeit Ueber die funk¬
tioneile Anpassung der äusseren Kiemen beim
Sauerstoffmangel (Zentralbl. f. Physiol., Bd. 21, S. 97, 1907)
bezüglich der Anpassungsfähigkeit der respiratorischen Oberfläche
folgende interessante Tatsachen mit:
1. Die äusseren Kiemen der Larven von Rana fusca wachsen in
sauerstoffarmem Wasser beträchtlich.
2. Bei sauerstoffreichem Wasser entwickeln sich die Kiemen un¬
bedeutend und verkümmern früher.
3. Ebenso verhalten sich Kaulquappen von Rana arvalis und
Larven von Salamandra maculosa.
4. In sauerstoffarmem, zugleich aber kohlensäurereichem Wasser
geht die Entwicklung ebenso vor sich wie ohne den Zusatz der Kohlen¬
säure, d. h. die Kiemen entwickeln sich beträchtlich.
Ueber den Einfluss der Temperatur auf die In¬
kubationszeit und Antitoxinbildung nach Ver¬
suchen an Winter schläfern berichtet W. Hausmann-
Wien in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 113, S. 317, 1906. Der
Verfasser hatte früher schon beobachtet, dass Warmfrösche besonders
empfindlich gegen die narkotische Wirkung des Morphins, resistent
aber gegen eine tetanisierende Wirkung sind, während Kaltfrösche
sich gerade umgekehrt verhalten. Neuere Versuche des Verfassers
über die Wirkung des Colchicins (von Colchicum autumnale) auf
winterschlafende Fledermäuse ergeben, dass diese resistent gegen
die chronische Vergiftung sind, dass aber die wachen warmem Tiere
durch den 30. Teil der für die winterschlafenden Tiere noch nicht töd¬
lichen Menge getötet werden. Der Tod trat nach einer Inkubations¬
zeit ein, als wäre das Gift den Tieren zu einer Zeit gegeben worden,
zu welcher sie in die Wärme kamen.
An dieser Stelle wurde früher schon über desinfizierende^ Sub¬
stanzen berichtet, welche H. Bechhold und P. E h r 1 i c h -Frank¬
furt a. M. gefunden hatten und welche bei geringer Giftigkeit schon
in einer Verdünnung von über einer halben Million auf Infektions¬
erreger wirkten. Die viel geringere Wirkung bei innerer Darreichung
führt H. B e c h h o 1 d in einer Arbeit Zur „inneren Anti¬
sepsis“ (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 52, S. 177, 1907)
auf eine Bindung des Desinfiziens durch Serum zurück.
Versuche und Ueberlegungen von v a n’t Hoff haben ergeben,
dass innerhalb eines ziemlich grossen Temperaturbereiches die Re¬
aktionsgeschwindigkeit bei chemischen Prozessen durch Steigerung
der Temperatur um je 10° C jeweils verdoppelt bis verdreifacht wird.
Bezeichnet kt und kt +io die Reaktionsgeschwindigkeiten bei 10° C
Temperaturdifferenz, so soll der Quotient ktk~ : 10 = Q 10 = 2 bis 3 sein.
Diese sog. RGT-Regel (Reaktions-Geschwindigkeits-Temperatur-
Regel) wendet A. Kanitz-Bonn in einer Arbeit Der Einfluss
der Temperatur auf die pulsierenden Vakuolen
der Infusorien und die Abhängigkeit biologischer
Vorgänge von der Temperatur überhaupt (Rosenthals
biol. Zentralbl., Bd. 27, S. 11, 1907) auf Versuche von M. J. Ross¬
bach und von A. Degen an und findet die Regel für die lebende
Substanz im allgemeinen bestätigt. Das bei biologischen Vorgängen
häufige Temperaturoptimum sieht der Verf. als das Ergebnis der
Uebereinanderlagerung verschiedener chemischer und physikalisch-
chemischer Vorgänge an, die gesondert zu betrachten zur Zeit noch
unmöglich erscheint.
Zu analogen Ergebnissen kommt Ch. D. S n y d e r - Berlin in den
folgenden Arbeiten : Der Temperaturkoeffizient der Ge¬
schwindigkeit der Nervenleitung (Engelmanns Arch. f.
Physiol. 1907, S. 113), Der Temperajurkoeff izient der
Frequenz des überlebenden Sinus des Frosch-
herzens bei extremen Temperaturen und bei zu¬
nehmendem Alter des Präparates (ebenda S. 118) und
Der Temperatur koeffizie nt für die Rhythmik der
Bewegung glatter Muskeln (ebenda S. 126).
(Fortsetzung folgt.)
Inauguraldissertationen.
Beiträge zur Lehre von der Komplementablenkung liefert eine
Würzburger Dissertation (1907) von Eduard Rose. Ergebnisse:
1. Die Komplementablenkung durch Präzipitin und präzipitable Sub¬
stanz kann zum Blutnachweis für forensische Zwecke benutzt wer¬
den. Die Methode hat vor der Präzipitationsmethode den Vorzug,
dass man mit weniger starken Antiseris auskommt und bedeutend
kleinere Eiweissmengen nachweisen kann. Dem stehen folgende
Nachteile gegenüber: Präzipitin und präzipitable Substanz einerseits,
Komplement und Ambozeptor andererseits müssen in bestimmten
Mengenverhältnissen stehen, die durch eingehende Vorversuche erst
festzustellen sind. Stets muss die minimale Ambozeptor- und Kom¬
plementmenge von neuem bestimmt werden. Ferner können auch
andere Stoffe, z. B. normale Sera, die Hämolyse aufheben und so Kom¬
plementablenkung Vortäuschen. 2. Die Antisera dürfen erst dann den
Tieren abgenommen werden, wenn keine präzipitable Substanz mehr
im Organismus kreist; noch am 11. Tage nach der letzten Injektion
von 10 ccm Serum konnte bei einem Kaninchen präzipitable Substanz
nachgewiesen werden. 3. Natürliche Hämolyse kann nur in Aus¬
nahmefällen angewendet werden, sicherer ist es immer, künstlich er¬
zeugten Ambozeptor eines inaktivierten Serums mit Komplement¬
zusatz zu benutzen. 4. Die Frage, ob die Antisera wirklich Anti¬
komplement enthalten oder solches durch Komplementablenkung vor¬
getäuscht wird, ist bisher unentschieden. 5. Das Vorkommen von
Komplementoiden ist weder durch die früheren Versuche korrekt be¬
wiesen, noch konnte Verfasser solche mittels der Ablenkungsmethode
zum Ausdruck bringen. 6. Dagegen konnte er nachweisen, dass me
Antisera zweifellos Antiambozeptoren enthalten.
Die klinischen Untersuchungen von Max v. Wyss übet Er¬
scheinungen von Agglutinationshemmung bei Anstellung der u r u -
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
1958
b e r - W i d a 1 sehen Reaktion (als Beitrag zur Methodik dieser Re¬
aktion) haben ergeben, dass bei Anstellung der Reaktion mit dem
Serum Typhuskranker eine Hemmung der Agglutination in den stär¬
keren Konzentrationen auftreten kann, und zwar in allen Stadien der
Erkrankung. Diese Hemmung unterliegt (ebenso wie die Agglutina¬
tion überhaupt) bedeutenden Schwankungen. Sie ist in der Mehr¬
zahl der beobachteten Fälle im Verlauf der Krankheit und nament¬
lich in der Rekonvaleszenz zurückgegangen und zuletzt ganz aus¬
geblieben. Irgend welche prognostische Schlüsse auf den Verlauf der
Erkrankung lassen diese Hemmungserscheinungen nicht zu. Es muss
aus den gemachten Beobachtungen die praktische Konsequenz ge¬
zogen werden, dass bei Anstellung der Qruber-Widal sehen
Reaktion zu diagnostischen Zwecken sowohl die höheren als die
niedrigeren Verdünnungen zu untersuchen sind, da sonst infolge ein¬
tretender Hemmung ein positiver Ausfall leicht übersehen werden
kann. Worin in den vorliegenden Fällen der Qrund liegt für die
Hemmungserscheinungen, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; er
ist wahrscheinlich in der Art der Infektion zu suchen. Zur einwand¬
freien quantitativen Ausführung der Reaktion gibt Verfasser eine Me¬
thode an, welche dafür sorgt, dass bei den Proben der einzelnen
Serumverdünnungen gleiche Bakterienmenge und gleiche Bakterien¬
dichte vorhanden ist. (Diss. Bern.)
A. ten Sande hat Untersuchungen über Tuberkelbazillen und
Typhusbazillen im Kefir angestellt und berichtet darüber in einer Ber¬
ner Dissertation: Tuberkelbazillen in Milch überleben den Prozess der
Kefirgärung und sind nicht nur nach 2 tägiger, sondern auch noch nach
4 — 5 tägiger Dauer dieser Gärung dermassen virulent, dass sie, Meer¬
schweinchen eingespritzt, zur Entstehung einer heftigen allgemeinen
Tuberkulose Anlass geben. Das Abkochen der Milch, bevor sie der
Kefirgärung ausgesetzt wird, ist also notwendig. Typhusbazillen
sind in Milch, nachdem diese während TS Stunden der Kefirgärung
ausgesetzt worden ist, völlig abgetötet.
Fritz Loeb.
Neu erschienene Dissertationen.
Universität Greifswald. August 1907.
13. Zn i nie wies Johann: Ueber die Primärkrebse der Leber und
ihre Matrix.
Universität Tübingen. Juli 1907.
11. Ensgraber Bernhard: Ein weiterer Fall von Kardiolyse.
August 1907.
12. Bubenhofer Alfred: Ueber einen Fall von kongenitalem De¬
fekt (Agenesie) der Gallenblase.
13. Merzbacher Ludwig Dr. med. : Untersuchungen über die Mor¬
phologie und Biologie der Abräumzellen im Zentralnervensystem.
(Habilitationsschrift.)
1-4. Schlayer Karl Dr. med.: Ueber nephritisches Oedem. . (Ha¬
bilitationsschrift.)
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 18. September 1907.
Eröffnung des Cecilienheims für Kinder mit Knochen- und
Gelenktuberkulose in Hohenlyehen. — Körperliche Uebungen
in den Schulpausen.
ln den ausgedehnten Waldgebieten nördlich von Berlin
befindet sich ein Oertchen, Hohenlyehen, welches eine ganze
Kolonie von Heilstätten für kranke Kinder darstellt. Vor einigen
Tagen ist dort ein neues Haus, das Cecilienheim, eine Heilstätte
für Kinder mit Knochen- und Gelenktuberkulose, feierlich er¬
öffnet und seiner Bestimmung übergeben worden. Um das
Zustandekommen dieser neuen Wohlfahrtseinrichtung hatte
sich besonders Prof. H o f f a verdient gemacht. Die Keller¬
räume, die aber nicht eigentlich im Keller, sondern auf ebener
Erde liegen, enthalten ausser den Heizungsanlagen, sowie den
Eis- und Kühlmaschinen eine Werkstatt zur Herstellung von
orthopädischen Apparaten und Gipsverbänden. Den grössten
Teil des Kellergeschosses nehmen die Badeeinrichtungen ein,
bei denen alle Fortschritte der Wissenschaft und Technik auf
das sorgfältigste verwertet sind. Besonders bemerkenswert ist
ein Schwimmsolbad, daran schliessen sich eine Reihe von Ein¬
zelsolbädern an; auch ein Lichtbad fehlt nicht. Die Baderäume
haben sowohl vom Hause aus, wie auch von aussen einen Zu¬
gang, damit sie auch von den Pfleglingen der anderen Anstalten
in Hohenlyehen benutzt werden können, ohne dass der Betrieb
des Cecilienheims eine Störung erleidet. Im Erdgeschoss be¬
findet sich im. rechten Flügel ein grosser Speisesaal mit den
dazu gehörigen Nebenräumen, im linken Flügel das Aufnahme¬
zimmer und die Wohnräumc des Arztes, ferner ein Operations¬
saal, ein Röntgenzimmer und ein Mikroskopierzimmer. In den
Obergeschossen sind die Krankensäle, die für 10, bezw. 12 und
14 Betten eingerichtet sind, ausserdem sind 6 Einzelzimmer
vorhanden. Die ganze Anstalt enthält 80 Betten, von denen
bereits 60 belegt sind. Zwischen je 2 grösseren Sälen befindet
sich ein Schwesternzimmer mit Fenstern nach beiden Sälen,
so dass die Schwester diese von ihrem Zimmer aus gut über¬
sehen kann. Zu dem Betriebe gehört auch noch ein älteres
Gebäude, das bisher provisorisch zur Krankenaufnahme be¬
nutzt wurde; es enthält die Küchenanlagen und Wirtschafts¬
räume und im Obergeschoss einen Turnsaal zur medikomecha-
nischen Behandlung. Die Gesamtkosten der Heilstätte be¬
tragen 350 000 M., für jedes Bett also ca. 4000 M. Dabei ist
jedoch zu berücksichtigen, dass der Wert des Grund und Bo¬
dens ausser Berechnung bleibt und dass ein Teil der Einrich¬
tung von Wohltätern gestiftet wurde. Was den Kurplan be¬
trifft, so ist in Aussicht genommen, den Aufenthalt der Kinder
in der Anstalt auf 1 — 2 Jahre auszudehnen, weil man hofft, auf
diese Weise eine völlige Ausheilung zu erzielen und so das
Krüppelelend in Deutschland zu vermindern.
Während hier Gemeinsinn und soziales Verständnis eine
Einrichtung geschaffen haben, durch die kranke Kinder ihre
Gesundheit wieder erlangen sollen, wird sich die Schule immer
mehr ihrer Pflicht bewusst, dafür zu sorgen, dass gesunde
Kinder gesund und kräftig erhalten werden. So hat das Be¬
streben, die schädlichen Einwirkungen angestrengter geistiger
Arbeit und stundenlangen Sitzens nach Möglichkeit zu ver¬
hindern, eine Neueinrichtung in den Berliner höheren Lehr¬
anstalten gezeitigt, durch weiche den geistigen Anstrengungen
gegenüber ein Gegengewicht in Form von körperlichen
Uebungen geschaffen werden soll. In den Pausen zwischen je
2 Unterrichtsstunden soll nach bestimmter Methode Gymnastik
getrieben werden; man will die Lungen zu energischer Re¬
spiration, den Brustkasten zu kräftiger Erweiterung anregen
und die gekrümmte Wirbelsäule gerade richten. Eine gut ein¬
geübte Aufstellung soll dafür sorgen, dass die 10 Minuten lange
Pause fast ganz für die Turnübungen ausgenützt wird. Der
Gedanke, zwischen die Unterrichtsstunden Körperbewegungen
einzuschieben, ist sicherlich ein gesunder, in der geplanten Aus¬
führung scheint aber gar zu viel Methode zu stecken. Wenn
den Kindern 50 Minuten lang der Geist wohl dressiert, in spa¬
nische Stiefel eingeschnürt ist, so soll dann noch das Gleiche
10 Minuten lang mit dem Körper geschehen. Sollte man nicht
den angestrebten Zweck besser erreichen, wenn man den
Kindern erlaubt, in den Pausen nach Herzenslust zu spielen,
und sie durch das Verbot, während der Pausen ein Buch an¬
zurühren, veranlasst, von dieser Erlaubnis ausgiebigen Ge¬
brauch zu machen? Die Kinder selbst würden mit dieser Mass-
regel jedenfalls mehr zufrieden sein als mit den Turnübungen,
und die Aerzte und Pädagogen vielleicht auch. M. K.
Brasilianische Briefe.
Die Gelbfieberprophylaxe und ihre Resultate in Rio de Janeiro in
den Jahren 1904 — 1906.
Mit dem Namen der brasilianischen Landeshauptstadt Rio de
Janeiro ist in weitesten Kreisen der ganzen Welt die schreckliche
Ideenassoziation „Gelbes Fieber“ verbunden, derart, dass bei nicht
gerade wenigen die ganzen Kenntnisse von jenem Riesenterritorium
sich hierauf beschränken. Wenn früher ein Passagierdampfer in den
Hafen einlief, wurden wenigstens im Sommer Plakate ausgehängt,
die die Durchreisenden auf die Gefahr aufmerksam machten, die sie
mit einem Landaufenthalt in Rio riskierten. Wen Pflichten und Ge¬
schäfte an Rio banden, der suchte wenigstens, wenn es irgend seine
Mittel erlaubten, die Nacht mit ihrer grossen Infektionsgefahr ausser¬
halb zuzubringen, besonders in dem 800 m hoch gelegenen Petropolis,
und die Zahl derer, die den damit verbundenen Zeitverlust von ca.
5 Stunden für Hin- und Rückfahrt nicht scheuten, war recht be¬
trächtlich. Nur zu leicht versteht man jenes schlechte Renommee
des Klimas von Rio, jene Furcht neuankommender Fremden, wenn
man sich die Gelbfieberstatistiken vergegenwärtigt, wie sie dem
deutschen ärztlichen Publikum am bequemsten durch die Gelbfieber¬
monographie von Sodre und Conto aus der Nothnagel sehen
Sammlung zugänglich sind. So werden verzeichnet *) an Gelbficber-
*) Alle hier angeführten Zahlen entstammen den Monatsberichten
des brasilianischen Gesundheitsamtes, den statistischen Jahresbe-
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1959
t o d e s fällen für 1873: 3659, 1876: 3476, 1891: 4456, 1892: 4312,
1894: 4852 (davon allein im März, dem heissesten Monat, 2000),
1896: 2929, wobei immer wieder zu berücksichtigen ist, dass es
ca. 90 Proz. Fremde* waren, die der Krankheit zum Opfer fielen
(„a febre amarella e muito patriota“ sagt man hier: das gelbe Fieber
ist sehr patriotisch!). Handel und Land litten furchtbar unter der
Qeissel, trotzdem es nicht an Bemühungen fehlte, der Seuche Einhalt
zu tun, die aber erst auf Erfolg rechnen durften, als man besseren
Einbliok in deren Aetiologie gewann.
Wenn es das grosse Verdienst Finlays ist, gezeigt zu haben
— und es fehlte von verschiedenen Seiten auch nicht an beweis¬
kräftigen Versuchen an Menschen! — , dass es auch hier Moskito¬
arten, besonders die Stegomyia fasciata, sind, die durch ihren Stich
das noch nicht bekannte Qift des Gelbfiebers weiterverbreiten, und,
dass man darauf aufbauend durch einen systematischen Vernichtungs¬
kampf gegen die St. fase, die Sanierung des früher durchseuchten
Havanna erreichte, so blieb es in Rio dem eben (1903) ernannten
Direktor der Gesundheitsbehörde, Dr. Oswaldo Gongalves Cruz
Vorbehalten, die dortigen Erfahrungen hier nutzbar zu machen. Dieses
rein praktische Verdienst lässt sich nur würdigen, wenn man sich
einen Begriff von den Schwierigkeiten macht, die im hiesigen Milieu
liegen. Zunächst war schon die Ernennung des Dr. Osw. Cruz ein
Ereignis, da sie ausserhalb jeder sonst durchaus üblichen politischen
Parteiwirtschaft dekretiert war, sodass es ihm an Anfeindungen aller
Art nicht fehlte. Ausserdem musste Dr. Osw. Cruz zur Durchführung
seiner Pläne mit sehr weitgehenden Befugnissen ausgestattet werden,
und es kann 'bei einem so freiheitliebenden Volk, wie es die Bra¬
silianer sind, nicht wundernehmen, dass ihnen z. B. eine fortwährende
Kontrolle ihrer Häuser nicht gefiel, zumal ihnen im allgemeinen das
Verständnis für den Sinn dieser Massregeln durchaus fehlte. Dazu
kam, dass gleichzeitig die Stadt Rio, die mit ihren 800 000 Ein¬
wohnern eine ungewöhnlich grosse räumliche Ausdehnung hat, an
allen Teilen, besonders im Zentrum ganz riesenhafte Umgestaltungen
erfuhr: hunderte und tausende Häuser und Baracken wurden nieder¬
gerissen, um Platz für neue breite Strassen zu schaffen, Pflasterungs¬
und Kanalisationsarbeiten an allen Ecken und Enden vorgenom¬
men usw., und dazu waren tausende Arbeiter nötig, die, nicht akkli¬
matisiert, sonst, besonders unter jenen Umständen, einen guten
Boden für eine Gelbfieberepidemie geboten hätten.
Mit eiserner Energie setzte Osw. Cruz seinen Dienst der „Pro¬
phylaxe des gelben F'ieber“ ins Werk. Er organisierte zu dem
Zweck eine Truppe von Sanitätspersonal, Offiziere und Soldaten, die
das Volk hier mata-mosquitos „Moskitentöter“ nennt, deren gute
Disziplin eine hier durchaus bemerkenswerte Erscheinung ist. Auf die
einzelnen Bezirke der Stadt verteilt, sieht man sie an der Arbeit: die
einen leiten mit einer speziellen Maschinerie Claytongas in die Ka¬
nalisationswege, um in diesen Hauptbrutstätten die St. f. und ihre
Larven zu vernichten, die anderen sieht man ausgerüstet mit Leitern,
grossen Papierrollen, Kleistertöpfen und Behältern mit Desinrizientien
die Wohnhäuser besuchen, wo sie die Dächer und Dachrinnen auf De¬
fekte, Verstopfungen, nachsehen und ev. sofort ausbessern, wo sie
die Wasserbehälter, in die dem Riobewohner seine Tagesration zu-
zufliesst, verkleistern, Klosetts kontrollieren etc. Häuser und Ba¬
racken, die hygienischen Ansprüchen nicht genügen, werden einfach
geschlossen und erst nach Ausführung nötiger Verbesserungen oder
Neuaufbau wieder freigegeben. In Fällen von Erkrankung an gelbem
Fieber, die bei hohen Strafen sofort angezeigt werden müssen, wird
gegen früher, wo man den ganzen Apparat der Desinfektion gegen
Menschen und Hausrat spielen Hess, jetzt folgende.rmassen verfahren:
Vernichtung der Moskiten durch Räucherung mit Schwefel, Schutz
des betreffenden Krankenzimmers gegen das Neueindringen von Mos¬
kiten durch eine sehr zweckmässige Doppeltür und Drahtgeflechte
an den Fenstern, wobei zur Innehaltung aller Vorschriften dauernd
ein Sanitätssoldat an der Tür des Krankenzimmers auf Posten ist;
wo die Durchführung aller Massnahmen auf Schwierigkeiten stösst, wird
Aufnahme in einem speziellen Isolierhospital verlangt. Zur Pro¬
phylaxe auf Schiffen, auf denen früher öfter ganze Mannschaften aus¬
starben, gelten ähnliche Bestimmungen, und es existieren zu deren
Ausführung zwei schwimmende Stationen. Dass die zur Durchführung
solcher Organisation nötigen bedeutenden Geldaufwendungen (jährlich
ca. 6 Millionen Mark) stets zugestanden werden, ist bei dem nichts
weniger als glänzenden Stand der Finanzen als ein Zeichen für die
Einsicht der leitenden Kreise besonders 'erwähnenswert.
Ein weiteres Verdienst des Dr. Osw. Cruz ist ferner noch die
Förderung der wissenschaftlichen Seite des Gelbfiebers, das auf hie¬
sigem Boden bisher besonders von ausländischen Kommissionen
(der Hamburger mit Dr. Otto und Prof. Neumann und der Pariser
mit den Professoren Marchoux und Simon d) studiert wurde.
In dem Instituto de Manguinhos, ca. 1 Stunde ausserhalb der Stadt
gelegen, das allmählich immer mehr zu einem bakteriologischen und
richten des Dr. Bulhoes C a r v a 1 h o und einem Referat des Dr.
Oliveira Borges auf dem III. Aerztekongress des lateinischen
Amerika. Montevideo 1907. Bei dem nicht verwunderlichen Miss¬
trauen, das man südamerikanischen Zahlen entgegenbringt, möchte
ich nicht unterlassen zu bemerken, dass ich die hier zitierten für der
Wahrheit möglichst nahestehend halte, mindestens einen tendenziösen
Zuschnitt für diesen Fall tusschliessen.
serotherapeutischen Institut (hier gedeiht die Wissenschaft fernab
von der Fakultät!) ausgebildet wird und schon jetzt bedeutende Ver¬
dienste aufweisen kann, hat Osw. Cruz eine Sammlung von Prä¬
paraten von Gelbfieberleichen aufgelegt, ferner Kollektionen zum Stu¬
dium der Moskitenarten mit Berücksichtigung der verschiedenen Ver¬
teilung derselben über die Stadt und besonders ganz eigenartige
Käfige eingerichtet, in denen die Besonderheiten und Lebensbe¬
dingungen der einzelnen Moskitenarten am lebenden Tier studiert
werden können.
Und was ist mit alledem bisher erreicht worden?
Vorerst ist zu beachten, dass alle die übrigen Bedingungen, die
nach den bisherigen Annahmen die Entwicklung einer Gelbfieber¬
epidemie fördern sollten, in den Jahren 1904 — 1906 die gleichen waren
als früher. Zunächst hat die Zahl der nicht akklimatisierten Zuge¬
wanderten im Verhältnis zum vorangehenden Jahrviert (in dem man
bei 14 — 15 000 Einwanderern jährlich Sterbeziffern von 299, 344, 584
und 984 erreichte) zugenommen: 20 bezw. 23 und 27 000. Bei der Be¬
deutung, die ferner Temperaturverhältnisse für die Entwicklung der
Stegomyia fase, als Krankheitsüberträger haben, ist zu beachten,
dass in den ersten fünf Monaten jener 3 Jahre das Monatsmittel
nicht unter 22° sank und damit von früheren Jahren nicht abwich.
Unter diesen Umständen registriert man also nach Einführung
der Prophylaxe im Jahre 1904: 48 und 1906 nur 42 Todesfälle (bei
118 resp. 76 Erkrankungen) am gelben Fieber, die kleinsten bisher
verzeichneten Ziffern. Dagegen überrascht das Jahr 1905 wieder mit 289
Todesfällen bei 609 zur Kenntnis gelangten Erkrankungen, wovon
60 Proz. auf die Monate April, Mai und Juni entfallen. Woran lag
das? Soll man bezüglich der niedrigen Ziffern von 1904 und 1906 an
einen Zufall glauben und keinen ursächlichen Zusammenhang mit der
neuen Prophylaxe annehmen dürfen?
Ein Blick auf die Verteilungsart der Epidemie 1905 im Verhältnis
zu der letzten, etwa doppelt so grossen vor der Einführung der
Prophylaxe 1903, zeigt die bemerkenswerte Verschiedenheit, dass die
noch 1903 wie auch sonst immer stark ergriffenen Vororte (Botafogo,
Laranjeiras, Cattete, Sao Christovao) im Jahre 1905 ganz oder fast
ganz verschont blieben, während die Seuchenherde in der eigentlichen
Stadt, die Bezirke Sao Jose, Santo Antonio, Sacramento, in
beiden Jahren gleichmässig ergriffen waren, dieselben Herde,
die auch in den Jahren 1904 und 1906 jene kleine Ziffer
an Gelbfiebertodesfällen forderten, dieselben, in denen ' all¬
jährlich auch Pest und Pocken auftreten. In der Tat handelt
es sich da um einige scheussliche Gegenden, z. T. auf Bergen gelegen
und ohne hygienische Einrichtungen, in denen die ärmste Bevölkerung,
darunter auch viele neu Zugewanderte, haust und in die sich in aller¬
primitivste Buden viele arme Leute flüchteten, die Leinen anderen
Platz fanden, als durch den kolossalen Häuserabbruch eine schwere
Wohnungsnot eintrat. Hier waren dadurch auch die Schwierigkeiten
für die Prophylaxe am grössten, die gerade hier, wie Oliveira Bor¬
ges angibt, am laxesten geübt wurde, indem man hier schon auf
den Lorbeeren von 1904 ausruhte! Ein für hiesige Verhältnisse un-
gemein charakteristischer Zug. Aber selbst innerhalb dieser zirkum¬
skripten Epidemie findet sich ein Moment, das für einen positiven
Wert der modernen Prophylaxe spricht: Während in früheren Epi¬
demien die einmal befallen gewesenen Häuser besonders gefährdet
waren, indem sie oft der Ausgangspunkt neuer Erkrankungen wurden,
blieben sie diesmal nach gründlich vorgenommener Vernichtung der
Moskiten verschont, abgesehen von einigen ganz wenigen Fällen,
wo sie durch unmittelbare Nachbarschaft wieder infiziert wurden.
In den Jahren 1904 und 1906 wurde indes kein einziger solcher Fall
der Reinfektion verzeichnet.
Wenn man nun gegenwärtig nicht imstande ist den relativ gün¬
stigen Verlauf der Jahre 1904—06 anderweitig zu erklären, so kann
man wohl mindestens vorläufig darin einen überaus segensreichen
Einfluss der Prophylaxe erblicken, und es ist überraschend wahrzu¬
nehmen, wie sehr sich die Meinung des hiesigen Publikums über
Rios Klima geändert hat. Indessen beweist die Epidemie von 1905,
dass es noch dauernder und systematischer Arbeit seitens der Be¬
hörden bedarf, um jene Geissei von Rio fern zu halten und man kann
hoffen, dass die noch erforderlichen Arbeiten zum Teil auch den
Kampf gegen Pest und Pocken unterstützen können und so Rio unter
die gesündesten Städte der Tropen einreihen werden.
Dr. Alexander Haue r.
Vereins- und Kongressberichte.
32. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege
am 11. — 14. September 1907 in Bremen.
(Eigener Bericht.)
I. Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen
Genickstarre,
Referent: Geh. Medizinalrat Professor Dr. F 1 ii g g e - Breslau.
Nach einer Uebersicht über die Ausbreitung der Genickstarre in
den letzten 25 Jahren kommt Referent auf die letzten grossen Epi¬
demien in Oppeln, Königshütte, Beuthen und Kattowitz zu sprechen
(1905). Im darauffolgenden Jahre wurden in Preussen besonders die
i960
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Regierungsbezirke Düsseldorf und Arnsberg ergriffen neben Oppeln,
Posen und Breslau. 1907 kam noch der Bezirk Münster hinzu. Die
hrequenz der Erkrankung«- und Todesfälle ist eine ganz enorme,
besonders in Münster. Die Epidemie hat nicht die Neigung zu ver¬
schwinden, bei der grossen Mortalität (ca. 60 Proz.) ist dies sehr
besorgniserregend, auch von den Genesenen werden eine ganze Reihe
von Personen defekt, besonders taub. Was haben uns nun die bis¬
herigen Epidemien gelehrt?
Heber die Verbreitungsweise der epidemischen Genickstarre
können wir teils aus den Eigenschaften und den Fundorten der Me¬
ningokokken, teils aus epidemiologischen Beobachtungen Aufklärung
zu gewinnen suchen.
Der Erreger der epidemischen Genickstarre ist der Weich sei¬
lt a u m sehe Meningokokkus. Er kommt ganz konstant vor: immer
bei den Lumbalpunktionen, immer in den Meningen und immer im
Rachen der Erkrankten.
Weitere Untersuchungen über den Meningokokkus haben er¬
geben, dass dieser ausserhalb des menschlichen Körpers rasch zu
gründe geht, auch auf Tiere nicht übertragbar ist. Seine Verbrei¬
tung kann daher nur von Mensch zu Mensch im direkten Verkehr
erfolgen.
Auffallend ist, dass der Kokkus zwei ganz verschiedene Infek¬
tionen hervorrufen kann, eine ganz einfache Pharyngitis und die
oben genannte Erkrankung; wie und unter welchen Umständen der
Durchbruch des Kokkus zu den Meningen stattfinden kann, ist noch
unaufgeklärt. Zu diesem Durchbruch disponieren besonders die
Kinder, die Lymphatismuserscheinungen haben.
Das regelmässige Vorkommen des Meningokokkus in den Me¬
ningen der Genickstarrekranken ist, da er von dort nicht nach aussen
gelangen kann, für die Verbreitung der Krankheit ohne Bedeutung.
Die einzige Ansiedelungsstätte, von der aus die Erreger auf die Um¬
gebung übergehen können, findet sich im oberen Teile des
Rachens. Hier begegnet man aber der stärksten Wucherung vor
bezw. bei Ausbruch der Meningitis; vom 5. Krankheitstage ab ver¬
schwinden die Kokken allmählich.
Reichliche Meningokokken lassen sich aber ausserdem nach-
w eisen im Rachen zahlreicher Menschen aus der näheren Umgebung
des Kranken. Bei der Untersuchung von Familienmitgliedern und
von Soldaten des gleichen Mannschaftszimmers sind bei etwa 70
Proz. Meningokokken gefunden. Diese „Kokkenträger“ zeigen teils
gar keine Krankheitserscheinungen, teils leichte Pharyngitis. Die
Kokken verbleiben im Mittel 3 Wochen lang im Rachen der Befallenen.
Zu Zeiten und in Gegenden, wo üenickstarreerkrankungen fehlten,
wurden auch bei Massenuntersuchungen Meningokokken im Pharynx
nicht gefunden.
Die Meningokokken scheinen sich von den Trägern zu anderen
Menschen nur durch frisches, feuchtes Rachensekret zu verbreiten:
entweder durch die beim Sprechen oder Husten verspritzten Sekret¬
tröpfchen, oder durch gemeinsames Ess- und Trinkgeschirr, Taschen-
und Handtücher.
Da die Kokkenträger wohl 10— 20 mal zahlreicher sind, als die
Genickstarrekranken; da die Iräger mit zahlreichen Menschen frei
verkehren, während die Kranken nur mit wenigen Erwachsenen
in Verkehr bleiben und auch mit diesen unter Vorsichtsmassregeln;
da die Kokken bei den Trägern 3 Wochen lang im Rachen haften,
während sie beim Genickstarrekranken früh verschwinden, so sind
die I räger bei der Ausbreitung der Meningokokken weitaus in erster
Linie beteiligt. Durch sie erfolgt vorzugsweise ebensowohl die Ein¬
schleppung der Kokken an einen bis dahin verschonten Ort, wie auch
die Verbreitung innerhalb einer Ortschaft. Aus der grossen Zahl
der infizierten I räger erkranken stets nur wenige disponierte Indi¬
viduen, namentlich Kinder, unter den Erscheinungen der Genick¬
starre.
Der geschilderte auffällige Befund, den somit die Untersuchung
über die Fundorte der Meningokokken ergeben hat, legt den Wunsch
nahe, womöglich auch auf anderem Wege, nämlich mittelst epidemio¬
logischer Beobachtung, über die Verbreitung der Genickstarre Auf¬
schluss zu bekommen.
Epidemiologisch ist ermittelt, dass Einschleppungen in bisher
genickstarrefreie Orte oft durch gesunde Personen erfolgt sind, die
aus Genickstarreorten kamen. Einschleppung durch leblose Gegen¬
stände ist nicht einwandfrei erwiesen. Die besten Beweise hiefür
bot die oberschlesische Epidemie. Aerzte, Pflegepersonal oder andere
Kranke im gleichen Krankenhause wurden von Genickstarreerkrank¬
ten so gut wie nie infiziert. Referent konnte auch durch Zahlen
und Pläne nachweisen, dass selbst in stark bewohnten Häusern und
kinderreichen Familien fast stets nur eine Erkrankung vorkommt.
Die seltenen gehäuften Fälle sind ungezwungen auf ausgebreitete Dis¬
position zurückzuführen. Bei Ketten von Erkrankungen ergeben sich
sehr verschiedene zeitliche Intervalle von 1—47 Tagen, kürzer oder
länger als die Inkubationszeit, diese Fälle sind nicht abhängig von
den Kranken, sondern von der Einschiebung der Träger.
Auch die epidemiologischen Erfahrungen sprechen demnach in
der Tat dafür, dass der Kranke bei der Verbreitung der Krankheit
ganz in den Hintergrund tritt, während die gesunde Umgebung des
Kranken in viel grösserem Umfang die Erreger ausstreut. Gegen
die Träger muss daher vorgegangen werden, jedoch haben wir bei
der Bekämpfung der Genickstarre von dem bei anderen übertragbaren
Krankheiten gewohnten Schema wenig zu erwarten. An einer Iso¬
lierung des Kranken in so wenig rigoroser Weise, wie sie das
Seuchengesetz vorsieht, wird man allerdings festhalten, weil die
Ausstreuung von Erregern vom Kranken aus immerhin nicht un¬
möglich ist; die Aufnahme in ein Krankenhaus wird nach wie vor zu
empfehlen sein, schon weil sachgemässe Pflege und Behandlung bei
diesei Krankheit meist nur im Krankenhause gewährt werden kann.
Eine Desinfektion nach Ablauf der Krankheit ist angesichts der grossen
Widerstandslosigkeit der Erreger von geringer Bedeutung.
Wie schon oben bemerkt, muss das Hauptaugenmerk auf die
Kokkenträger gerichtet werden. Diese stets durch bakteriologische
Untersuchung zu ermitteln empfiehlt sich nicht, da die Kokken in dem
eingesandten Material schon während des Transportes abzusterben
pflegen; man wird solche Untersuchungen auf besondere geeignete
Fälle (Kasernen, Schulen etc.) beschränken müssen, wo die Unter-,
suchung unmittelbar an die Entnahme des Materiales angeschlossen
werden kann. Die Entnahme muss durch eigens hingeschickte Assi¬
stenten gemacht werden.
Im übrigen ist es zweckmässig, ohne weiteres anzunehmen, dass
jeder, der mit dem Kranken vor dessen Erkrankung oder mit anderen
mutmasslichen Kokkenträgern in nahem persönlichen Verkehr gestan¬
den hat, zu den Kokkenträgern gehört.
Bei der grossen Zahl der Kokkenträger sind Freiheit«- und
Verkehrsbeschränkungen für dieselben undurchführbar; soviel es geht,
sind selbstverständlich die Träger abzusperren, so Ausscheidung von
Arbeitern und Soldaten. Wiederholte Versuche von Lingelsheim
haben gezeigt, dass eine nützliche Wirkung von irgendwelchen Gur-
gelungen, Pinselungen etc. bisher nicht festgestellt werden konnte.
1 yozyanase soll durch Auflösen der Bakterienleiber gut helfen.
(Jähle). Man muss diesen Versuchen immer noch skeptisch gegen-
übei stehen und weitere empfehlen. Es bleibt daher nichts anderes
übrig, als den mutmasslichen Kokkenträgern kurze Merkblätter einzu¬
händigen, in denen ihnen Vorsicht im Verkehr mit anderen Menschen
für die nächsten Wochen dringend empfohlen wird. Weiterhin ist die
übrige Bevölkerung auf die Gefahr, die von jenen Trägern ausgeht
in geeigneter Weise hinzu weisen.
Ganz besonders sind diese Vorsichtsmassregeln zu beachten
gegenüber den zur Erkrankung stark disponierten Kindern. Schul-
kinder aus Häusern mit Genickstarreerkrankungen sind möglichst für
3 Wochen vom Schulbesuch und vom Verkehr mit anderen Kindern
fernzuhalten. Eine Verschärfung der Vorsichtsmassregeln empfiehlt
sich ferner beim Einbruch der Krankheit in Industriebezirke mit
dichtgedrängter Arbeiterbevölkerung.
Ob die moderne Immunitätslehre uns bei der Bekämpfung der
epidemischen Genickstarre noch unterstützt, ist fraglich, dagegen
ist die Behandlung mit Serum aussichtsvoll, auch die Diagnosen-
stellung ist hierdurch erleichtert.
II. Wie hat sich auf Grund der neueren Forschungen die Praxis der
Desinfektion gestaltet?
Referent: Professor Dr. T j a d e n - Bremen.
Die Ausbildung der Desinfektion ist erst möglich geworden nach
allmählicher Kenntnis der Infektion. Erst wenn man über den Auf¬
enthalt der Krankheitserreger unterrichtet ist, kann an die Keim-
beseitigung und Keimvernichtung gegangen werden; nur wenn das
erkrankte Individuum der Träger und Verbreiter der Krankheits¬
stoffe ist, ist eine Desinfektion möglich, bei ubiquitärer Ausbreitung
der Keime könnte sie keinen Zweck haben.
Die Vernichtung der Krankheitserreger innerhalb des Körpers,
ferner sowie sie den Körper verlassen haben, ist unsere Aufgabe. Im
ersteren Falle bedeutet die Vernichtung nicht nur eine Desinfek¬
tion, sondern auch eine Heilung, leider scheitert die Desinfektion im
Körper oft daran, dass der Körper selbst durch die Desinfektion ge¬
schädigt würde. Empirisch ist schon längere Zeit die innere Des-
infektion bei einer Anzahl von Krankheiten eingeführt, so bei der
Malaria Chinin, bei Lues Quecksilber, bei der Schlafkrankheit Atoxyl.
Gelingt die innere Desinfektion nicht, so hat sie einzusetzen, wenn
die Keime in den Ausscheidungen und Absonderungen den Körper
\ei lassen haben und zwar unmittelbar am Krankenbett: fortlaufende
Desinfektion, im Gegensatz zu der Schlussdesinfektion; letztere, so¬
wie die Desinfektion von Gesamtabwässern ist in ihrer Bedeutung zu-
i iickgetreten. Neben den Ausscheidungen sind alle die Gegenstände
fortlaufend zu behandeln, Welche mit den Kranken in Berührung
kommen, Bett- und Badewäsche, Geschirre, Bestecke etc. Der Kranke
ist das Zentrum der Krankheitsstoffe.
Die Art der Desinfektionsmittel ist: Auskochen, strömende
Dampian wendung, chemische Mittel. Der Chlorkalk ist wegen seiner
grossen Veränderlichkeit unzuverlässig. Ganz zu verlassen ist die
mechanische Desinfektion, so das Abreiben mit Brot, wegen seiner
Unsicherheit. Referent bespricht dann die verschiedenen chemischen
Desinfektionsstoffe und die Art ihrer Anwendung.
Die Ausführung der verschiedenen Methoden ist ausserhalb der
Spitäler schwierig und muss erst genau erlernt werden. Es ist nötig,
weitere Kreise hiezu heranzuziehen, Gruber empfiehlt Kranken¬
wärter, Sanitätsleute, höhere Tochterschüler heranzuziehen und gut
auszubilden.
Was soll nun die Schlussdesinfektion erreichen? Vor allem Frei¬
machen des Krankenzimmers von allen ansteckenden Stoffen, die
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1961
sogenannte Wohnungsdesinfektion besteht faktisch nur in einer Zim¬
merdesinfektion. Referent vertritt bei dieser Gelegenheit den Stand¬
punkt, dass die Isolierung eines Kranken in einer Wohnung kaum
einwandfrei durchführbar ist. Nötig ist die Schlussdesinfektion bei
der Tuberkulose und zwar beim Tode oder beim Verlassen einer
Wohnung seitens eines Erkrankten, dagegen ist dieselbe bei Typhus,
Scharlach, Diphtherie und den bei diesen Erkrankungen noch immer
ansteckenden Bazillenträgern nahezu wertlos. Der Schluss der Er¬
krankung liegt zeitlich hier nicht mit dem Schluss der Infektions¬
möglichkeit zusammen. In Bremen wird auf eine Schlussdesinfektion
bei der Diphtherie verzichtet, dagegen wird eine bakteriologische
Untersuchung sämtlicher Beteiligter vorgenommen. Der Wert der
Schlussdesinfektion als Erziehungsmittel ist noch ein derartig hoher,
dass dieselbe zur Zeit noch nicht entbehrt werden kann.
Nötig ist die Spezialisierung der einzelnen Krankheiten bei der
Desinfektion, die betreffenden Ermittelungen wären von einem Ge¬
sundheitsaufseher zu machen, dieser hätte dann die betreffenden Mass¬
nahmen vorzuschlagen, selbstverständlich müsste ein steter Kontakt
zwischen den Unterbeamten und der Aufsichtsbehörde stattfinden.
Referent kommt dann auf die Technik der Desinfektion zu reden:
Prüfung der Dampfdesinfektionsapparate, ihre andauernde Ueber-
wachung; Leder- und Pelzwaren sind durch trockene Hitze mit For¬
maldehyddämpfen zu desinfizieren. Sehr zu empfehlen ist, wie neuere
Versuche ergaben, die Anwendung von Rohkresol und Schwefel¬
säure zu gleichen Teilen in den gegebenen Fällen. Die Ausgasung
mit Formaldehyd hält T jaden für sehr brauchbar wegen seines
automatischen Fortarbeitens (Breslauer oder Kölner Apparat), er
macht jedoch besonders auf seine Oberflächendesinfektion aufmerk¬
sam, daher möglichste Ausbreitung der betreffenden Gegenstände.
Die Autandesinfektion ist noch nicht spruchreif. Bei der Formalin¬
desinfektion ist nur die Feuergefährlichkeit des Spiritus unangenehm,
der E 1 b sehe Glühblock hilft diesem Uebelstand ab. Die schweflige
Säure kommt nur für wenige Zwecke in Betracht. Im grossen und
ganzen hat die Desinfektion in ihren Grundzügen an Einheitlichkeit
gewonnen, trotzdem sie in Einzelheiten den besonderen für die Ueber-
tragung in Betracht kommenden Möglichkeiten besser angepasst ist;
für die Praxis der Seuchenbekämpfung bildet sie auch zur Zeit noch
ein wertvolles Hilfsmittel, wenngleich ihr eine so ausschlaggebende
Bedeutung nicht mehr zugemessen werden kann, wie es früher ge¬
schehen ist.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. Juni 1907
im neuen poliklinischen Institut.
Herr Grund: Krankenvorstellung.
Der 40 jährige Patient erkrankte nach einem mehrjährigen Vor¬
stadium unklarer rheumatischer Schmerzen in den Beinen im Novem¬
ber 1906 mit Schmerzen, Steifigkeit und Schwäche in den Beinen
rechts mehr als links. Die Erscheinungen nahmen seit Anfang April
1907 stark zu; dazu traten Schmerzen im Kreuz, später im Rücken,
starke Steifigkeit des Rückens. Objektiv findet sich atrophische
Lähmung der Extensoren der Zehen und des Tibialis anticus rechts,
weniger der Musculi peronei, mit starken fibrillären Zuckungen;
fibrilläre Zuckungen auch in der rechten Wade und im linken Unter¬
schenkel, weniger sicher in beiden Oberschenkeln. Sehr starke Spas¬
men mit leichter Parese in der gesamten Muskulatur beider Beine,
ausgenommen die atrophisch gelähmten Muskeln; Steigerung der
Sehnenreflexe der unteren Extremitäten rechts mehr als links, Plan¬
tarreflex rechts fehlend, links ganz schwach normal, kein Babinski.
Sensibilität in beiden Beinen mässig gestört für alle Qualitäten mit
Ueberwiegen der Schmerz- und Temperatursinnstörung, obere Grenze
etwas unterhalb des Nabels. Sphinkteren nicht sicher gestört. Wir¬
belsäule etwas skoliotisch. im Röntgenbilde nicht verändert, voll¬
ständig steif, im Brust- und Lendenteile diffus stark druckempfindlich.
Starke Spannung der Bauchmuskeln; untere Bauchreflexe fehlend,
obere schwach erhalten. Die Lumbalpunktion ergab einen gelb ge¬
färbten Liauor, der in wenigen Minuten spontan gerann, viel Eiweiss
enthielt, ohne charakteristischen Befund.
Vortragender glaubt einen Prozess innerhalb der Medulla, be¬
sonders innerhalb des rechten Vorderhorns des unteren Lumbal- und
Sakralteiles annehmen zu müssen und gleichzeitig einen Prozess im
Bereich der Leptomeningen, der von unten bis mindestens zur Höhe
des Brustmarks reicht. Besonders auch auf Grund des Lumbalpunk¬
tionsergebnisses spricht er als Ursache des Ganzen einen Tumor
an, der jedenfalls in den Meningen ausgebreitet ist, wahrschein¬
lich aber seinen primären Sitz in der grauen Substanz
des Rückenmarks an der oben gekennzeichneten Stelle hatte,
von wo aus er in die Meningen durchgebrochen ist.
Herr Fleiner: Das neue poliklinische Institut.
Herr Hammer: Ueber physikalische Heilmethoden.
Sitzung vom 25. Juni 1907.
Herr E. Feer macht folgende Demonstrationen.
1. 2% jähriges Mädchen mit chronischem Gelenkrheumatismus
und Luxation des linken Hüftgelenkes.
Keine Belastung, gute hygienische Verhältnisse. Das früher ge¬
sunde Mädchen erkrankte im September 1906 mit verbreiteten Ge-
lenkschwellungen (am stärksten an Händen und Füssen), Nacken¬
steifigkeit und Fieber, erholte sich dann wieder vollständig. Im Fe¬
bruar 1907 neuerdings Anschwellung zahlreicher Gelenke, Fieber,
Abmagerung. Seither ans Bett gefesselt. Ende Mai Eintritt in die
Universitäts-Kinderklinik.
Starke, weiche, kaum druckempfindliche symmetrische Anschwel¬
lung der Gelenke der Hände, Handwurzel, der Finger (besonders
1. Interphalangealgelenk), der Ellbogen, der Schultern, der Fiisse,
Zehen, Knie, Hüften. Keine merklichen Knorpelveränderungen. Aktive
Beweglichkeit der Arme mit Ausnahme der Schultern auffallend wenig
beeinträchtigt. Passive Bewegungen der Schultern, der Hilft- und
Sprunggelenke erheblich behindert. Es liegt starke Adduktionskon¬
traktur und Luxation des linken Hüftgelenkes vor (der grosse Tro¬
chanter steht 2 cm zu hoch), welche der Vortragende als rheuma¬
tische Distensionsluxation auffasst, offenbar eine ausser¬
ordentlich seltene Komplikation, die aber kaum anders zu deuten ist,
da keine sonstigen Ursachen eruierbar sind. Kongenitale oder tuber¬
kulöse Luxation sind mit Sicherheit auszuschliessen. Das Röntgen¬
bild ergibt auch völlig normale Knochenverhältnisse der Pfannen¬
gegend und des Oberschenkelkopfes, ebenso an Hand und Knie. Im
Röntgenbild der Hände sieht man deutliche kreisförmige Schatten um
die Metakamophalangealgelenkspalten, welche auf Verdickung der
Gelenkkapseln hindeuten.
Fernerhin zu erwähnen sind häufige profuse Schweisse. an¬
haltendes beträchtliches Fieber, das jedoch das Allgemeinbefinden
wenig stört. Harn normal. Die Schwellung der Milz und der peri¬
pheren Lymphdrüsen lassen den Fall vielleicht als Still sehe Krank¬
heit auffassen. Salizvlmedikation brachte keine sichere Wirkung und
war ohne jeden Einfluss auf das Fieber.
2. Die Tuberkulosediagnose nach v. Pirquet durch Hautimp-
fung, welche Feer bis jetzt an 46 Patienten der Universitäts-Kin¬
derklinik ausgeführt hat. Sie scheint berufen, grosse diagnostische
Dienste speziell im ersten Kindesalter zu leisten. Die Reaktion ver¬
lief rein lokal (Temperatursteigerung bei entern tuberkulösen
8 Monate alten Säugling?). Alle Fälle von Tuberkulose reagierten
positiv, fernerhin ein 4 jähriges Mädchen mit skroohulösem Ekzem
und Keratitis nach Masern, sodann der erwähnte 8 Monate alte Säug¬
ling mit fieberloser chronischer Pneumonie, bei dem nachträglich
Tuberkelbazillen im Auswurf aufgefunden wurden. Die Methode
scheint vollständig harmlos zu sein, soweit bis jetzt ein Urteil mög¬
lich ist, und besitzt weiterhin den Vorteil, dass sie auch am Fiebern¬
den und bei Ambulanten anwendbar ist.
Herr Hans Arnsoereer stellt eine 20jährige Kranke vor, bei
welcher mit Hilfe der Röntgendurchleuchtung die Diagnose auf
Eventratio diaohragmatica zu stellen war und zeigt die Röntgen¬
aufnahmen. welche im Stehen und Liegen ohne Füllung des Magens
und mit Füllung des Magens mit Wismutmilchbrei gemacht waren.
Im ganzen sind ungefähr ein Dutzend derartiger Fälle bekannt;
beim Lebenden wurde die Diagnose nur etwa 5 mal gestellt, meist auch
erst in Richtigstellung der anfänglich angenommenen Diagnose der
Hernia diaohragmatica.
Der Fall wird an anderer Stelle publiziert.
Herr B e 1 1 m a n n: Ueber Atoxylbehandlung der Syphilis.
(Erscheint an anderer Stelle dieser Nummer.)
Sitzung vom 9. Juli 1907.
Herr Ernst: Demonstration des Radspeichenbaues der Ner-
venmarkscheide.
Diskussion: Herren Arnold, Magnus, Schwalbe,
Ernst.
Herr Lossen: Ueber das Verhalten des Knochen¬
markes bei verschiedenen Erkrankungen des Kindesalters.
Der Vortr. hat das Mark der Rippen bei ca. 80 Kindern
untersucht, wobei er sich zur Bestimmung des Zellgehaltes
einer von ihm ausgearbeiteten Methode, zur Ermittelung des
prozentualen Verhältnisses der .einzelnen Zellformen des Ehr-
1 ich sehen Auszählungsverfahrens im gefärbten Trocken¬
präparat, bedient hat. Es ergab sich bei vielen kachektischen
Zuständen mit starker Verminderung des Körpergewichtes, wie
sie besonders infolge schwerer Verdauungs- und Ernährungs¬
störungen des Säuglings auftreten, ein geringer Zellgehalt, hin
gegen bei pyogenen Infektionen häufig eine Steigerung des¬
selben. Die einzelnen Zellformen zeigen auch bei den gleichen
Erkrankungen ein sehr wechselndes Verhalten; im allgemeinen
herrschen bei den Verdauungsstörungen des Säuglings, sowie
1962
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
bei Pleuraempyemen und bei Meningitis epidem. meistens die
neutrophilen granulierten Zellen, bei Bronchopneumonie, Tuber¬
kulose und Masern hingegen die ungranulierten lymphozyten¬
ähnlichen Zellen (N a e g e 1 i s Myeloblasten) vor. Die poly¬
nukleären Neutrophilen sind bei den meisten Erkrankungen
spärlich (1 — 3 Proz.) vorhanden, hohe Werte pflegen sie bei
Höhleneiterungen (Empyema pleurae, Meningitis epidemica)
zu erreichen; sie finden sich dabei im Knochenmark oft in
stark vermehrter Menge, ohne dass die Blutuntersuchung intra
vitam eine Hyperleukozytose ergab. Die kernhaltigen Erythro¬
zyten scheinen beim Kinde im allgemeinen reichlicher als
beim Erwachsenen vorzukommen; besonders zahlreich sind
sie beim Neugeborenen und in den ersten Lebensmonaten. Bei
schweren marantischen Zuständen, z. B. infolge von Infek¬
tionen sind sie mitunter stark vermindert.
Medizinische Gesellschaft in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. Juni 1907
in der Königlichen Augenklinik.
Herr Schirmer: 1. Ueber Prognose und Therapie der perforieren¬
den, infizierten Bulbusverletzungen. (Ist in der Deutschen med. Wo¬
chenschrift, 1906, No. 31, erschienen).
2. Krankenvorstellungen: a) Siderosis bulbi.
Der 25 jährige Patient hat seit 10 Jahren einen minimalen Eisen¬
splitter im hinteren Bulbusabschnitt, vermutlich in der Gegend des
Ziliarkörpers sitzen. Das Sehvermögen beträgt noch 14 der Norm,
aber das Gesichtsfeld ist schon merklich eingeengt und das Auge
stark hemeralopisch. Die Iris zeigt eine auffallende grün-bräunliche
Verfärbung, die sehr von der blauen Farbe des anderen Auges
absticht. Entzündliche Erscheinungen fehlen bisher völlig.
b) 2 Fälle von Schussverletzung des Auges. Im ersten
Fall handelt es sich um einen 12 jährigen Knaben, der vor 17 Tagen
mit einem Revolver einen Schuss von vorn erhalten hatte. Die Kugel
war unter dem linken oberen Orbitalrand eingedrungen und sass
jetzt, wie die Röntgenaufnahmen zeigten, in der Schuppe des Hinter¬
hauptbeines. Anfänglich war starke Protrusio, Ptosis, fast völliger
Verlust der Beweglichkeit, Amaurose und Reflextaubheit des linken
Auges vorhanden, während rechts alles normal war. Alle diese
Erscheinungen haben sich bis zum Tage der Vorstellung schon er¬
heblich gebessert und sind in der Folge gänzlich zurückgegangen;
nur eine starke Parese des R. superior ist geblieben und das Seh¬
vermögen hat bei stets freiem Gesichtsfeld nur 1/s der Norm wieder
erreicht, während die temporale Pupillenhälfte in den letzten Wochen
leicht abgeblasst ist. Die schon am Tage nach der Verletzung wieder¬
kehrende Pupillenreaktion berechtigte von Anfang an zu einer leid¬
lichen Prognose, da sie bewies, dass es sich keinesfalls um eine
Durchtrennung des Nerven handeln könne, sondern nur um eine
Prellung desselben; die Annahme, dass die nicht unbeträchtliche
orbitale Blutung die anfängliche Amaurose bedingt habe, scheint mir
sehr unwahrscheinlich.
Im zweiten Fall handelt es sich um ein Conamen suicidii mit
totaler Durchtrennung des Optikus.
Herr Stargardt demonstriert Präparate von Tuberkulose
des Auges, darunter solche von akuter Tuberkulose, ferner Präparate
von Panophthalmie, hervorgerufen durch den Pfeifferschen
hämophilen Bazillus (vergl. die Arbeit von Unna über diesen Fall
in den Klin. Monatsblättern f. Augenheilk. 1907); schliesslich Präparate
von sog. Hyperplasie des Ziliarkörperepithels (Par-
sons) in einem Auge mit Gliom.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 29. Mai 1907.
Herr R ö s s I e demonstriert Mäuse mit implantierten und spon¬
tanen Karzinomen.
Herr Rössle: Gibt es Schädigungen durch Kochsalz¬
infusionen? (Erschienen in der Berliner klin. Wochenschr.)
Diskussion: Herr Neubauer und Herr Ad. Schmitt.
Herr Fr. Müller: Medizinische Reiseeindriicke.
Sitzung vom 12. J u n i 1907.
Herr Heineke:
a) Demonstration des Herzens eines 42 jähr. Mannes, der in vivo das
Bild des Adams-Stokesschen Symptomenkomplexes darbot. Vor 14
Jahr beim Beginn der Krankheit bestand abwechselnd Tachykardie und
mittlere Verlangsamung der Pulsfrequenz durch unvollständige Dis¬
soziation. Später dauernde starke Bradykardie, wahrscheinlich als
Folge vollkommener Dissoziation zwischen Vorhof und Ventrikel.
Das Herz zeigt eine das ganze Ventrikelsystem einnehmende ausge¬
dehnte Narbe. Das H i s sehe Bündel ist also jedenfalls zu gründe
gegangen. Es handelt sich um eine Herzmuskelerkrankung nach Lues,
wie anamnestisch und durch den anatomischen Befund anderer Or¬
gane sichergestellt ist.
b) Vorstellung einer 64 jährigen Frau mit z. Z. 10—20
Pulsen in der Minute. Die aufgenommenen Kurven beweisen,
dass abwechselnd unvollständige und völlige Aufhebung der Reiz¬
leitung zwischen Vorhof und Ventrikel besteht. Die Aetiologie des
Leidens ist unbekannt, die Pat. leidet schon seit dem 30. Lebens¬
jahre an Anfällen von Bewusstlosigkeit.
c) Demonstration der Karotiskurven eines 79 jähr. Mannes mit
langen, Iris zu 3 Sekunden dauernden Intervallen zwischen den ein¬
zelnen Systolen. Das Herz ist während dieser Pause in völliger
Ruhe. Durch leichten Druck auf die Carotis dextra oder sinistra kann
die Bradykardie stark gesteigert werden. Während der Aufnahme '
der Karotiskurven wurde ein längerer und etwas stärkerer Druck auf
die Karotis ausgeübt. Hierbei kam es zweimal zu 15 — 20 Sekunden
langem Ventrikelstillstand und Bewusstseinsverlust. Ein mässiger
Druck auf den Nervus vagus vermag also hier Herzstillstand auszu¬
lösen. Es liegt deshalb nahe, die bestehende Allorrhythmie ebenfalls
auf einen abnorm gesteigerten hemmenden Einfluss des Nervus vagus
zu beziehen.
Bei dem 1. Fall war das H i s sehe Bündel zu gründe gegangen,
bei dem letzten Kranken dagegen bestanden Störungen seitens eines
Herznerven. Beidemale Bradykardie und Anfälle von Bewusst¬
losigkeit. Die Fälle zeigen, dass es sich, wie neuerdings von H e -
r i n g wieder betont, bei der Adams - Stokes sehen Krankheit um
einen Symptomenkomplex handelt, der durch verschiedene Ursachen
bedingt sein kann.
Herr Mader: Beiträge zur Killian sehen Radikal¬
operation der chronischen Stirnhöhleneiterungen, sowie Mit¬
teilung einer neuen Behandlungsmethode des Kieferhöhlen-
empyems, mit Demonstrationen und Krankenvorstellung. (Vor¬
trag erscheint im Archiv für Laryngologie.)
Diskussion: Herr Hecht und Herr Mader.
Herr Wassermann: Die Bedeutung des Röntgenver¬
fahrens für die Diagnose der Kieferhöhlen-, Siebbein- und
Stirnhöhleneiterungen mit Demonstration von Röntgenbildern.
(Vortr. erscheint in den Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen.)
Diskussion: Herren Mader, Nadoleczny, Krecke,
Spielman n. Gras h e y und Wassermann.
Herr K- E. R a n k e: Demonstration des Modelles eines
Tropenkrankenhauses mit Einrichtung zur Regulierung der
Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit.
Sitzung vom 26. Juni 1907.
Herr v. Bauer: Demonstration eines Falles von Chlorom.
Die am 19. VI. verstorbene Patientin fühlte sich seit % Jahren
krank. Es bestand Abmagerung, zunehmende Blässe, häufiges Er¬
brechen. Bei der Aufnahme am 16. VI. zeigten die inneren Organe
der sehr blassen und stark verfallenen Kranken keinen objektiven Be¬
fund. Im Urin Spuren Eiweiss. Blutbefund: 15 Proz. Hämoglobin,
1 120 000 rote, 30 700 weisse, unter diesen eine grosse Menge myelo¬
zytenähnlicher, aber ungranulierter Zellen, keine kernhaltigen roten.
Klinische Wahrscheinlichkeitsdiagnose: maligner Tumor unbekannten
Sitzes mit Metastasen im Knochenmark. Anatomische Diagnose:
Chlorom, ausgedehnte chloromatöse Infiltration des Knochenmarks,
grasgrüne Verfärbung der Nieren durch Chlorominfiltration, Pachy-
meningitis haemorrhagica interna der Basis und Konvexität.
Diskussion: Herr D ii r c k glaubt, dass das Besondere an
dem Fall darin liegt, dass ein einigermassen umschriebener Tumor
überhaupt nicht vorhanden war, sondern dass es sich um eine diffuse
chlorom yelosar komatöse Infiltration des Knochenmarkes,
der Lymphdrüsen und der Nieren handelte. Aber in den Nieren waren
nicht nur die Interstitiell dicht und breit mit Myelozyten infiltriert,
sondern die Epithelicn der gewundenen Harnkanälchen zeigten Ein¬
lagerungen von grünlich glänzenden Pigmentkörnchen, welche sich
mit Sudan nicht färben Hessen. Daher rührte wohl hauptsächlich die
diffuse Grünfärbung des Organes. Es handelte sich also um eine
ähnliche Pigmentinfiltration der Niere, wie sie bei Melanosarkom mit
braunem oder schwärzlichem Pigment vorkommt.
Herr Rössle hat einen Fall von Chlorom beobachtet, in dem die
klinische Untersuchung und auch zunächst die Obduktion bis zuletzt
kein Resultat lieferte; erst die Eröffnung der Röhrenknochen ergab
in Form eines hyperplastischen, vollständig grasgrünen Knochen¬
markes die Aufklärung. Solche Fälle fordern dazu auf, die Unter¬
suchung des Knochenmarks niemals in unklaren Fällen zu unterlassen,
und lassen daran denken, dass vielleicht doch manchmal ein Fall von
Chlorom, übersehen wird.
Herr Uffenheimer stellt einen Fall von sekundärer Vakzine
vor. Das Kind wurde 12 Tage geimpft, ehe die ersten Erscheinungen
der sekundären Vakzine wahrgenommen wurden. Eine grosse Reihe
von Pusteln sitzen zu beiden Seiten des Skrotums und an den gegen¬
überliegenden Schenkelflächen, sowie in den Schenkelfalten, alle ent-
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1963
wickelt auf dem Boden eines I n t e r t r i g o s. Einige andere Pusteln
im Gesicht und am Augenlid. Die sekundären Pusteln gelangten
ausserordentlich schnell zur Entwicklung im Gegensatz zu der einen
primären Pustel, die nach dem Impfakt entstand und besonders lang
zu ihrer vollen Entfaltung brauchte. Warnung, bei irgend¬
welchen juckenden A f f e k t-i o n e n der Haut, auch wenn
sie nicht ekzematöser Natur sind, zu impfen.
Herr Ach: Ueber Oesophagusstenosen und ihre Be¬
handlung (mit Demonstrationen). (Erscheint in der Münch,
med. Wochenschr.)
Herr v. Stubenrauch: Doppelte komplette Narbenstriktur
des Oesophagus nach Oesoohagitis luetica.
Gastrostomie und Sondierung ohne Ende von der Magenfistel aus
im Jahre 1900. (Damals im Vereine vorgestellt.) Prophylaktische
Fortsetzung der Bougierung nach erfolgter Heilung der Magenfistel.
Jetzt geheilt; seit 3 Monaten keine Bougierung.
Diskussion: Herr Adolf Schmitt: Ich glaube, dass wir
das Verfahren, das uns Herr Ach eben gezeigt hat, als einen Fort¬
schritt sehr begriissen dürfen, da es bei der Sondierung der Speise¬
röhre an Stelle der bisherigen Unsicherheit ein sicheres, unter Lei¬
tung des Auges vor sich gehendes Handeln erlaubt. Die retrograde
Sondierung der Speiseröhre wird sich ja immer wesentlich auf die
narbigen Stenosen beschränken, doch kann ich die von Herrn v. Stu¬
benrauch ausgesprochene Ansicht, dass bei Karzinom der Speise¬
röhre überhaupt nicht, weder von oben noch vom Magen aus, son¬
diert werden dürfe, als allgemein gültig nicht anerkennen. Es gibt
doch Fälle von Speiseröhrenkrebs, bei denen eine Sondenbehandlung
unvermeidbar ist, weil z. B. die Anlegung einer Magenfistel strikte
verweigert wird. In solchen Fällen muss eben trotz der Gefahr einer
Perforation der Speiseröhre eine vorsichtige Sondenbehandlung bei
zunehmender karzinomatöser Verengerung durchgeführt werden.
Herr Krecke: Nur eine kurze Anfrage. Soweit ich aus der Ent¬
fernung habe sehen können, entspricht das von Herrn Ach benutzte
Instrument dem S t r a u s s sehen Rektoskop mit der Lichtquelle vorne.
Ich darf annehmen, dass diese Beobachtung richtig ist.
Herr Ach: Vor allem möchte ich nochmals bemerken, dass ich
die Sondierung des Oesophagus bei Karzinom wegen der Gefahr der
Sondenperforation für nicht angebracht halte. Ausserdem stehe ich
im Gegensätze zu Herrn v. Stuben rauch auf dem Standpunkte,
dass die Oesophagoskopia superior, von sachkundiger Hand ausge¬
führt, auch bei Karzinomkranken keine Gefahr im Gefolge hat und
keinen zu grossen, im Interesse des Patienten unberechtigten Eingriff
darstellt. Bei allen Oesophagusstenosen ist meines Erachtens, schon
zur Vermeidung von Fehldiagnosen, die Oesophagoskopia superior
auszuführen, zumal die einzuschlagende Therapie abhängig ist von
dem ösophagoskopischen Befunde.
Herr Heuck: Dermatologische Demonstrationen.
1. 1 Fall von Sarkoiden Tumoren der Haut und Bericht über einen
zweiten kürzlich beobachteten Fall.
Erster Fall1) — Patientin wird demonstriert — betrifft ein
12 Jahre altes, in der Entwicklung sehr zurückgebliebenes Mädchen
aus gesunder Familie. Seit dem 4. Leben^monat bestehen über den
Gelenken der Extremitäten, aber auch an Nase und Ohren derb
elastische, teilweise konglomerierte, kirschkern- bis walnussgrosse
Geschwülste. Haut von normaler bis lividrötlicher Färbung. Hoch¬
gradige Wachstumshemmungen der Knochen und Funktionsstörungen
der Gelenke. Finger krallenförmig eingezogen, in ulnarer Abduktion.
Sekundäre Atrophie der Muskeln. Ein 8 jähriger* Bruder zeigt die
gleichen Veränderungen. Ein Teil der Tumoren ist spontan zurück¬
gegangen. Das histologische Bild zeigt ein bedeutendes Infiltrat in
der Tiefe der Kutis aus epitheloiden Zellen, keine Abkapselung:
ausserdem stark gewuchertes, teilweise hyalin degeneriertes Binde¬
gewebe. Stellenweise sehr deutliche Zeichen regressiver Metamor¬
phose. Hervorragend schöne Diapositive und Röntgenphotogramme
aus der Hand von Prof. Rieder erläutern das Krankheitsbild.
Der zweite vom Vortr. beobachtete Fall2) zeigte bei einer Frau
in mittleren Jahren symmetrisch an beiden Schläfen gruppiert lokali¬
sierte dunkelblaurote, bis kirschgrosse Tumoren. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergab ein grosses Rundzelleninfiltrat in der
Kutis, an einer Stelle tuberkelähnliche Bildung, keine Bindegewebs¬
wucherung.
Der Begriff der sarkoiden Tumoren wird besprochen, sie grenzen
sich von den wahren Sarkomen ab 1. durch ihr beschränktse Wachs¬
tum und 2. durch die Fähigkeit der Rückbildung. Der erste Fall zeigt
im klinischen Aussehen grosse Aehnlichkeit mit dem Sarcoma idio-
pathicum multiplex haemorrhagicum, die Differentialdiagnose wird
besprochen und die Abbildung eines ähnlichen, von Tandler publi¬
zierten Falles gezeigt.
2) 1 Fall von R e c k 1 i n gh a u s e n scher Krankheit (Neuro-
übromatosis cutis).
1) Patientin befindet sich zurzeit in der Kgl. Zentralanstalt für
. Erziehung und Bildung krüppelhafter Kinder.
s) Patientin stand in Behandlung von Dr. K 1 e i n t j e s - München,
früherem Assistenzarzt der III. medizinischen Abteilung, das aufge¬
stellte Präparat zu diesem Fall ist Vortragendem von Dr. K 1 e i n t j e s
überlassen.
Hinweis auf die Art der Tumoren und die eigentümlichen Pig¬
mentierungen gerade am Rumpf, die grösstenteils den Spaltungsrich¬
tungen der Haut folgen. Der Ausgang der Tumoren von den Nerven¬
scheiden ist nicht in allen Fällen sichergestellt.
3. 2 Fälle von Dermatitis exfoliativa generalisata.
Die beiden Leidensgenossen zeigen ein in der Entstehung ver¬
schiedenes, zurzeit jedoch sehr ähnliches Krankheitsbild. Im Gegen¬
satz zu dem nur bei Neugeborenen auftretenden selbständigen Bild
der Dermatitis exfol. Ritter ist die Dermatitis exfol. Erwachsener keine
selbständige Erkrankung. Der Begriff der Erythrodermies exfoliantes
der Franzosen wird vom Vortragenden erklärt. Hier liegen sekundäre
Zustände vor, wie sie im Anschluss an schwere Dermatosen, Lichen
ruber, Psoriasis, universelles Ekzem, Pemphigus foliaceus häufiger
beobachtet worden sind.
Der erste Pat. zeigte bei seinem Eintritt vor 3 Jahren Erschei¬
nungen von Psoriasis und seborrh. Ekzem; es bildete sich bei reiz¬
loser Behandlung eine unverselle schuppende Dermatitis heraus, eine
Zeitlang bestand ein dem Pemphigus foliaceus sehr ähnliches Bild.
Es ist fortschreitende Besserung zu verzeichnen. Der andere PW
kam vor 2 Jahren mit charakteristischen Erscheinungen eines chro¬
nischen Pemphigus auf die Abteilung, es entstand daraus ein Pem¬
phigus foliaceus, der jetzt im Begriffe steht in eine Dermatitis exfol.
überzugehen. Eosinophilie bei Eintritt im Blaseninhalt 6 Proz., im
Blut 8 Proz., stieg im Blut bis über 15 Proz., zur Zeit (nach Unter¬
suchung des Vortr.) 8 Proz. Die Hauterkrankung ist kompliziert
durch eine multiple Sklerose. Die Prognose ist nicht günstig. Beide
Pat. werden von morgens bis abends im permanenten Wasserbad
gehalten, das ihnen am angenehmsten ist. Ueber Nacht Applikation
von Ungt. leniens oder Anästhesinsalbe. 3 lebensgrosse Aquarell¬
bilder erläutern den Verlauf des ersten Falles.
4. Ein Fall von Lues hereditaria (tarda?).
22 Jahre alte Patientin. Gesicht hochgradig entstellt durch ab¬
gelaufene luetische Prozesse, stark abgemagert und in sehr schlechtem
Allgemeinbefinden. Die ersten Erscheinungen wurden mit bestimmt-
heit ins 9. Lebensjahr zurückverlegt. Für Lues hereditaria sprechen
die Dystrophie (Fournier) und die hohe Mortalität der Ge¬
schwister. Pat. wurde wegen hartnäckiger gummöser Ulzerationen
von Vortr. mit Hydr.-salicylic.-Injektionen ambulant behandelt und
bei der 6. Spritze in beängstigender Weise hinfällig, während die 5
ersten Injektionen gut vertragen wurden. Gleichzeitig prorumpier-
ten neue Gummata, während die bestehenden unter der ersten In¬
jektion abgeheilt waren. Hg-Intoxikationen sind nie aufgetreten. Die
Hypothese Thalmanns von der Ueberschwemmung des Körpers
mit überreichlichen Mengen von Endotoxinen ist als Erklärung des
akuten Kräfteverfalls unter Fieberbewegung nicht ganz von der Hand
zu weisen. Aehnliche Fälle existieren in der Literatur. Therapeutisch
empfiehlt Vortr. bei labilen hereditär-luetischen Individuen weit klei¬
nere Dosen von Hg zu verabreichen, wie wir es gewohnt sind.
5. Ein Fall von maligner Syphilis (ulcerosa praecox).
Vortr. erklärt die Begriffe der malignen Lues und der galop¬
pierenden Lues oder Lues gravis, die viele Autoren streng getrennt
wissen wollen. Vortr. hält diese Trennung für schwer' durchführbar,
er empfiehlt im Sinne L e s s e r s, wie es auch die Ansicht von
Posselt ist, in dem Begriff der „malignen“ Lues beide Formen
zusammenzufassen.
Infektion des Patienten vor nicht ganz 1 Vs Jahren, 8 — 9 Wochen
später ein papulo-pustulöses Exanthem, 6 Wochen später ein neues
papulöses Exanthem. Seitdem ist Pat. obschon er fast ununterbrochen
mit Hg und Jodmedikamentationen verschiedenster Art behandelt
worden ist, nie frei von Erscheinungen gewesen und in seinem Zu¬
stand. immer mehr herabgekommen, besonders seit 3 — 4 Monaten, seit¬
dem unter ständigem Fieber purulenter Zerfall der gruppiert papu¬
lösen ausgedehnten Infiltrate eingetreten ist. Als ursächliches Mo¬
ment spielen hier Potatorium und vor allem eine Infiltration der
linken Spitze eine Rolle. Vortr. bespricht den gegenseitigen Einfluss
von Lues und Tuberkulös?, er selbst hat nur stets einen sehr dele¬
tären Einfluss luetischer Infektion auf bestehende Tuberkulose be¬
obachten können. Als Behandlung wäre hier die Z i 1 1 m a n n sehe
Kur zu eingreifend, ebenso Anwendung des schwächeren Dekokts,
um bei event. Gewöhnung an Hg eine schnellere Ausscheidung des
Hg zu veranlassen, mit nachheriger Einleitung einer Hg-Kur. Vortr.
hat hiervon schon gute Erfolge beobachtet. Hervorragende Resultate
gibt in solchen (Ausnahme-)Fällen eine vorsichtige Behandlung mit
Kalomelinjektionen. von denen Vortr. als Assistent der Lesse r-
schen Klinik geradezu überraschende Wirkung gesehen hat.
Im Einverständnis und unter Kontrolle von Prof. P o s s e 1 1 wurde
von Vortr. in diesem Falle die Atoxvlbehandlung eingeleitet. Nach
den Beobachtungen von Uhlenhuth, Hoff mann und Roscher
erst an Affen und nachfolgend vorsichtigen Versuchen an Menschen,
ist ein Einfluss des Atoxyls auf die Spirochaete pallida nicht zu be¬
zweifeln. Vortr. bespricht Einzelheiten dieser Versuche, die besonders
bei 3 Fällen von maligner Lues ein überraschend günstiges Ergebnis
lieferten. Die Resultate bedürfen noch sorgfältiger Nachprüfung,
namentlich auch bezüglich der Rezidive und der Art derselben unter
allergenauester Beobachtung, wie sie nur im Krankenhaus möglich ist.
Lesser beobachtete 3 ungünstig rasche Rezidive. Nach Ansicht
des Vortr. wird das altbewährte Hg durch das Atoxvl kaum ver¬
drängt werden, jedoch ist in manchen Fällen von Syphilis, besonders
1964
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT,
No. 39.
bei bestehender Idiosynkrasie ein Ersatzmittel des Hg sehr will¬
kommen. In diesem Fall ist zeitlich mit der Atoxylbehandlung zu¬
sammenfallend — bisher wurden nur Dosen bis 0,2 p. d. verabreicht
— eine Besserung nicht zu verkennen. Die Injektionen wurden gut
vertragen. Lieber die Ergebnisse der Atoxylversuche an der III.
med. Abteilung wird an dieser Stelle später berichtet werden.
6. Bericht über die neuesten Ergebnisse der experimentellen Sy¬
philisforschung.
In Anbetracht der vorgerückten Zeit weist Vortr. nur in einigen
Worten auf die gelungenen Uebertragungsversuche der Syphilis auf
Kaninchen von B e r t a r e 1 1 i u. a. hin, sowie auf die Serienimpfungen
von Kaninchenauge auf Kaninchenauge. H o f f m a n n und Brüning
ist die Uebertragung auf Hunde einwandsfrei gelungen. Als letztes
Ergebnis dieser Versuche berichtet Vortr. die Tatsache, dass Hoff¬
man n mit 1 von B e r t a r e 1 1 i überlassenen Kaninchen 11 Passage,
2 Kaninchen und 1 Schaf, also in 12. Passage zu infizieren vermochte.
Die Inkubation betrug beim Schaf 16 Tage, bei den Kaninchen 35
Tage, der positive Nachweis der Spirochaete pallida ist erbracht.
Vortr. hat eine Anzahl von Präparaten der verschiedensten Spiro¬
chätenarten in Ausstrich und Schnitt zum Vergleich aufgestellt, sowie
Präparate zu den beiden besprochenen Sarkoiden Tumoren und demon¬
striert eine von Prof. H o f f m a n n - Berlin ihm auf Wunsch zur Ver¬
fügung gestellte Tafel3) mit trefflichen Zeichnungen einer Affensklerose
mit Spirochäten und 1 Keratitis von Kaninchen mit Spirochäten.
Diskussion: Herr S i e b e r t fragt an, ob der Kranke, der
ursprünglich mit Psoriasis behaftet war. mit stark wirkenden Mitteln
behandelt worden sei. Die Frage geschieht aus dem Grunde, da sich
immer mehr die Erfahrungen häufen, nach welchen die Psoriasis auf
stark reizende Behandlung hin ihren Charakter änderte.
Betreffend des therapeutischen Verhaltens, bei gleichzeitigem Be¬
stehen von Lues und Tuberkulose lassen sich allgemein gültige Vor¬
schriften nicht geben. Jedenfalls ist nicht unbedingt von einer Hg-
Kur abzuraten. Redner hat Fälle gesehen, bei welchen Tuberkulose,
die schon vor der Infektion mit Syphilis bestanden hat, mit dem Auf¬
treten der Allgemeinerscheinungen oder eines Rezidives erhebliche
Fortschritte machte und mit der Hg-Kur wieder gebessert wurde,
zugleich mit den syphilitischen Erscheinungen.
Die Atoxylbehandlung ist noch im Stadium des Versuches. Redner
weist auf die Schädlichkeit ungeschickter und verfrühter Populari¬
sierung medizinischer Arbeiten hin. Die Atoxylbehandlung ist leider
schon ins Publikum gedrungen und es werden die Aerzte, die in der
Praxis stehen, schon mehrfach aufgefordert an Stelle des Queck¬
silbers Atoxyl anzuwenden.
Herr Heuck: Die Behandlung des Pat. mit der Dermatitis ex¬
foliativa generalisata, die nach Psoriasis und seborrh. Ekzem auftrat,
war stets eine vollständig indifferente, Chrysarobin, Teer oder Prä¬
zipitatsalbe sind nie angewandt worden. Vor Krankenhauseintritt
stand Pat. wegen seines Hautleidens angeblich nie in Behandlung.
Das Auftreten solch universeller schuppender Erythrodermien gerade
nach Apolikation reizender Medikamente ist allerdings nicht so
selten. Vortr. empfiehlt daher eine möglichst milde Behandlung der
Psoriasis, und besonders das Chrysarobin besser in Verbindung mit
Zinkpasta in ganz schwachen Konzentrationen, womöglich % — 1%
Proz. höchstens anzuwenden.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Goldschmidt.
Herr Alexander demonstriert:
a) Mann mit 2 erbsengrossen serösen Zysten der rechten unteren
Debergangsfalte bei sonst normaler Bindehaut.
b) Silberarbeiter mit starkem Silbersaum der Zähne und Argyrose
der Conjunctiva palpebr. und der Uebergangsfalte. Seit 30 Jahren
in der Silberbranche beschäftigt. Patient beherbergt auch seit
32 Jahren einen Eisensplitter in der rechten Orbita (Röntgenbild), der
den Bulbus aussen durchschlagen (Loch in der Iris), die Linse, die
völlig resorbiert ist (bei runder Pupille) durchsetzt und den Augapfel
unten wieder verlassen hat. S + 11 D = %.
c) 2 bemerkenswerte Starformen.
Herr Windisch zeigt:
1. das pathologisch-anatomische Präparat eines Falles, der wegen
Li ttr eschen Darmbruches glücklich operiert worden war und in¬
folge eines Defektes der Vorhofscheidewand zum Tode geführt hatte.
2. das Präparat eines Riesenzellensarkoms der Lungen, her-
riihrend von einer Patientin, die wegen Sarkom des Oberschenkels
amputiert worden war.
Herr Schlesinger: Die Verletzungen des Ohrs und
ihre Begutachtung.
:i) Aus dem Atlas für experimentelle Syphilisforschung, heraus¬
gegeben von Hoffman n im Aufträge der Deutschen dermato¬
logischen Gesellschaft.
Sitzung vom 10. Mai 1907.
Vorsitzender: Herr Goldschmidt.
Herr Lindenstein: Zur Behandlung der Patellarfrak-
tnren.
Vortr. berichtet über das einschlägige Material der Chirurg.
Abteilung des Krankenhauses. Trotz des sehr reichen Materials
an Verletzungen kamen in den letzten 8 Jahren nur 19 Fälle zur
Beobachtung, darunter 2 Refraktionen. Das Normalverfahren
in der Behandlung bildet die offene Naht mittels Silberdraht;
die in allen Fällen ausgeführt wurde. Von den so behandelten
Fällen konnten 8 einer Nachuntersuchung mit Kontrolle durch
das Röntgenbild unterzogen werden. Bis auf einen Fall zeigten
alle Bilder eine gute knöcherne Vereinigung der Fragmente.
Die Silberdrähte lagen mit Ausnahme von 2 Fällen vollständig
intakt. In einem Kniegelenk hatte sich eine Arthritis deformans
etabliert. Das funktionelle Resultat stand in Uebereinstimmung
mit der anatomischen Heilung und war in 6 Fällen ein sehr
gutes, nur 2 mal machte sich ein geringer Ausfall im freien Ge¬
brauch der Extremitäten geltend. Uebereinstimmend zeigten
alle Fälle die Unmöglichkeit des Kniens. Diese Einschränkung
muss der Hautnarbe zugeschrieben werden, da der Körper
beim Knien gar nicht auf die Patella zu ruhen kommt. Es wird
deshalb der Vorschlag gemacht, den Hautschnitt, der bisher
senkrecht über die Mitte der Kniescheibe geführt wurde, durch
einen lateralen Bogenschnitt zu ersetzen.
Herr Hahn bespricht einen Fall von seitlicher Luxation des
Ellenbogengelenks nach aussen mit Absprengung des Condylus in¬
ternus und Einklemmung desselben zwischen Trochlea und Olekranon
unter Demonstration der Röntgenbilder.
Sitzung vom 6. Juni 1907.
Vorsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr Herbst: Nach welchen Gesichtspunkten müssen
die Dauerresultate nach Gallensteinoperationen betrachtet
werden? (Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.)
Herr Stein berichtet im Anschluss daran über einen Fall von
Leberabszess, hervorgerufen durch einen im Choledochus gefundenen
grossen Gallenstein bei leerer, geschrumpfter Gallenblase. Der Stein
hatte niemals Cholelithiasissymptome gemacht.
Herr Lochner referiert über eine Epidemie in Nürnberg im
Jahre 1634 (vermutlich Flecktyphus).
Sitzung vom 20. Juni 1907.
Vorsitzender: Herr Goldschmidt.
Herr Thorei berichtet:
1. unter Demonstration entsprechender Präparate über seine Er¬
fahrungen mit Glyzerin-Gelatine-Konservierung K a i s e r 1 i n g scher
Präparate und empfiehlt diese ursprünglich von Eisler angegebenen,
aber scheinbar wenig in die Praxis aufgenommene Methode, wo¬
bei die Präparate in Petrischalen mit Glyzerin-Gelatine luftdicht ab¬
geschlossen werden, namentlich für die Konservierung kleiner Präpa¬
rate, da man sich auf diese Weise eine nur wenig Raum einnehmende
elegante Sammlung von instruktiven Präparaten hersteilen kann,
die wegen ihrer Handlichkeit für Demonstrationszwecke in Kursen
besonders geeignet sind.
2. demonstriert Vortragender 8 Fälle von spontan entstandenen
sog. „Mäusekarzinomen“, die geradezu endemieartig innerhalb von
2 Monaten unter seinem Mäusebestand aufgetreten sind. Der erste
Tumor, der zur Beobachtung kam, nahm seinen Ausgangspunkt in
der linken vorderen Mammagegend und wuchs innerhalb 4 Wochen
bis zu Walnusgrösse heran, indem er einerseits über die seitlichen
Teile des Rückens und andererseits gegen die untere Halsgegend
zu vorwucherte, so dass das Tier schliesslich, offenbar infolge mecha¬
nischer Behinderung der Nahrungsaufnahme zugrunde ging. Mikro¬
skopisch besass der blasse, leicht transparente und oberflächlich un¬
regelmässig höckerige Tumor teils eine solide sträng- und nester¬
förmige Struktur mit reichlichen Nekrosen, teils hatte er einen aus¬
gesprochen adenomatösen Bau. wobei die Drüsenschläuche mit z. T.
ausgesprochen zylindrischen Zellen ausgekleidet waren.
Von diesen Tumoren wurde in 2 Serien auf 23 Mäuse (nach Ab¬
zug der spontan nach der Impfung gestorbenen) transplantiert, wo¬
bei vorläufig nur eine Transplantation gelang: dieselbe entwickelte
sich aber ausserordentlich rasch, nahm binnen 10 Tagen Gestalt und
Grösse einer Bohne an und wurde auf die nächste Serie transplantiert,
über deren Ergebnis sich vorläufig noch nichts sagen lässt. Der
zweite Tumor gehörte gleichfalls zu den ausserordentlich rasch
wachsenden Geschwülsten und zeigte mikroskopisch einen ausge¬
sprochen alveolären Bau; sie umgab anfangs in Form eines bohnen¬
grossen halbmondförmigen Knotens die linke Seite der Scheide, wurde
bisher mit zweimaligem Erfolg transplantiert und hat nach vorüber-
24. September 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1965
gehendem Wachstumsstillstand im Anschluss an die Operation gut
Kirschengrösse erreicht; bemerkenswert war, dass die Transplan¬
tationen dieser Geschwulst auf jungen Mäusen, die von einer Mutter-
maus mit kleinkirschengrossem „hämorrhagischen“ Tumor stammten,
weit rascher angingen, als auf erwachsenen Mäusen.
Bei der dritten Maus, die spontan starb, fand sich ein kirschkern¬
grosser, leicht abgeplatteter, blasser, knolliger und der Mitte des
rechten Musculus pectoralis fest aufsitzender Knoten vor, welcher
histologisch eine solide krebsähnliche Struktur mit Neigung zur Zysten¬
bildung aufwies. Bei der vierten Maus entwickelte sich binnen 14
Tagen aus einem schrotkorngrossen Knoten in der Mitte des Bauches
eine erbsengrosse, mikroskopisch alveolär gebaute Geschwulst, die
gleichfalls zu Transplantationszwecken verwendet wurde.
Bei der 5. — 6. Maus zeigten sich multipleTumoren, nämlich
einmal je ein erbsen- bis bohnengrosser (rasch wachsender) Ge¬
schwulstknoten in der Gegend der linken vorderen resp. hinteren
Mammagegend, während im anderen Falle ein schrotkorn- resp.
stecknadelkopfgrosser Knoten in der Mitte des Bauches vorhanden
war; diese 'beiden Knoten, die sich zweifelsohne subkutan und un¬
abhängig von den Brustdrüsen entwickelt haben, wurden für mikro¬
skopische Zwecke exstirpiert und auf Serienschnitten untersucht, wo¬
bei man den Eindruck erhielt, dass chronische entzündliche Zustände
vielleicht bei der Entstehung dieser sogen. Mäusekarzinome mit im
Spiele sind, doch hat sich Vortragender vorläufig noch nicht davon
überzeugen können, dass es sich hier um echte Karzinome handelt.
Im 7. und 8. Falle lagen endlich erbsen- resp. kleinkirschen¬
grosse „hämorrhagische“ Tumoren in der Gegend des linken Vorder¬
beines vor.
Spezielle Einzelheiten über diese Geschwulsttheorie, die Trans¬
plantations- und sonstigen Resultate werden späterhin an anderem
Orte mitgeteilt.
Herr v. R a d berichtet über einen Fall von Akromegalie unter
Demonstration der Röntgenbilder.
Frau F., 40 Jahre alt, früher stets gesund, hat einmal geboren.
Seit der Entbindung im Jahre 1905 ist die Menstruation ausgeblieben.
Seit 2 Jahren bestehen Klagen über heftige Kopfschmerzen und Dop¬
peltsehen, auch fiel der Patientin auf, dass ihr Kopf und ihre Hände
dicker geworden seien; auch habe ihr Gedächtnis sehr abgenommen.
Die Untersuchung ergab folgenden Befund: Der Kopf ist gross und
plump; das Gesicht stark gedunsen. Der Unterkiefer zeiet keine auf¬
fallenden Veränderungen, dagegen stehen die Zähne weit auseinander
(Gravessches Zeichen). Ohren, Nase, Lippen, Zunge und Rachen¬
schleimhaut zeigen keine Veränderung. Die Röntgenbilder des Schä¬
dels ergeben eine starke Verdickung des Knochens und eine sehr
deutliche Erweiterung und Ausbuchtung der Sella turcica. Die Schild¬
drüse ist deutlich zu fühlen, jedoch nicht vergrössert. Die Unter¬
suchung der Augen ergibt links eine komplette Ophthalmoplegie mit
Ptosis, Optikusatrophie und recht typisch temporale Hemianopsie.
Die Hände und Finger sind ungeschlacht, die Finger wurstförmig,
die Haut über denselben schwammig und wulstig. Auf dem Röntgen¬
bild zeigen sich an den Phalangen einzelne Exostosen, die Arme
und Füsse sind nicht vergrössert. Die Klavizeln sind beiderseits
stark verdickt, das Sternum -ist verbreitert. Die Wirbelsäule selbst
zeigt keine Abnormität. Die inneren Organe sind ohne Befund, auch
ist der Urin frei von Zucker und Eiweiss. Ein Vergleich mit einer
Photographie, die vor 3 Jahren gemacht wurde, ergibt eine ganz
erhebliche Vergrösserung des Kopfes und der Hände.
Herr Neuburger berichtet über den Augenbefund vom 28.
Mai 1907 bei der Patientin:
Seit 1 Jahre wäre das Sehvermögen immer schlechter geworden,
seit ca. 8 Monaten links ganz erloschen. Doppeltsehen wäre nie
vorhanden gewesen; das Oberlid links wäre auch schon seit Monaten
herabgesunken; nähere Zeitangaben kann Patientin nicht machen.
Objektiv besteht links völlige Ptosis, Mydriasis -und absolute
(auch konsensuell)) Pupillenstarre. Das Auge ist nahezu unbeweglich,
nur beim Versuch nach unten zu blicken, leichte Raddrehung nach
unten aussen (Obliquus superior, bezw. Trochlearis). Ophthalmo¬
skopisch: vollkommene Atroph, nerv, optici; keine Zeichen
vorausgegangener Neuritis optica. S. : völlige Amaurose.
Rechts: Ophthalmoskopisch: Abblassung der temporalen Pa¬
pillenhälfte. S.: 5/«. Sn. iVz: 25 cm Gesichtsfeld, fast typische tem¬
porale Hemianopsie (s. Schema) für Weiss und Farben. Aeussere
Augenbewegungen normal. Die Pupille ist von normaler Grösse; die
Pupillarreaktion zeigt folgendes Verhalten: wenn mit kleinem
Planspiegel in verdunkeltem Raum von kleiner Lichtflamme versucht
wird das Licht auf die nasale Netzhauthälfte zu werfen, so bleibt
die Pupillarreaktion zwar nicht völlig aus, doch ist sie bedeutend
geringer und langsamer, als wenn versucht wird, das Licht auf die
temporale Hälfte, der Netzhaut zu werfen.
Sitzung vom 4. Juli 1907.
Vorsitzender : Herr Goldschmidt.
Herr Straus berichtet über 4 Fälle, die das Gemeinsame haben,
dass sie differentialdiagnostische Schwierigkeit in Bezug auf Vor¬
handensein einer Gravidität oder eines Tumors machten.
a) 43 jähr. I. Para. Bis vor 3 Monaten reguläre Menstruation,
seitdem irreguläre, zum Teil profuse Blutungen. Die Untersuchung
ergibt kirschgrossen Polypen im äusseren Muttermund, dessen Ent¬
fernung in der Sprechstunde keine Schwierigkeit bereitet. Der Uterus
ist einem mannskopfgrossen, auffallend weich sich anfühlenden Tumor
aufsitzend, lässt sich aber scheinbar von ihm trennen. Die ausge¬
führte Narkosenuntersuchung scheint den Befund zu bestätigen, die
Sondierung ergibt eine Länge von 7 cm, über diese Grenze hinaus
gelingt ein Vordringen mit der Sonde absolut nicht. Diagnose:
Ovarialkystom, vielleicht aber doch erweichtes Corpusmyom. Die
Laparotomie ergibt einen Befund, der zunächst zu denken gibt.
Es liegt ein kolossaler, blauroter, den ganzen Uterus verbrauchender
Tumor vor, der einer Intrauteringravidität verzweifelt ähnlich sieht.
Erst ein vorsichtiges Einschneiden auf eine der zahlreichen Pro¬
minenzen der Oberfläche ergibt erweichtes Myomgewebe. Hierauf
supravaginale Amputation des Uterus. Es handelte sich um ein er¬
weich t e s M y o m. Mikroskopisch offenbar sehr rasch gewachsenes
Myom, noch gutartig. Glatte Heilung. (Demonstration des Tumors.)
b) Der zweite Fall ist deshalb interessant, weil er absolut das
Bild der fortgeschrittenen Gravidität bot und sich schliesslich als
Ovarialkystom herausstellte. Str. hat die Diagnose auf Gravidität
gestellt und berichtet an dieser Stelle absichtlich über diese lehr¬
reiche Fehldiagnose. Die Köliotomie wurde, da Str. gerade zu jener
Zeit verreisen musste, von anderer Seite ausgeführt, nachdem durch
Stieldrehung peritoneale Reizerscheinungen aufgetreten waren, was
die Diagnose jetzt erleichterte. (Demonstration des kolossalen
Ovarialkystoms.) Die Frau, eine III. Para, gab mit Bestimmtheit an
Leben zu spüren, die Mammae wiesen Kollostrum auf. Das Einzige,
was gegen Gravidität sprach, war das nicht völlige Aufhören der
Menstruation.
Vortr. betont die Schwierigkeit der Diagnose für ihn wegen der
Unzulässigkeit der Sondierung für den Arzt, welcher Gravidität vor
sich zu haben mit Bestimmtheit annehmen musste.
c) Der dritte Fall betraf eine 32 jährige IV. Para. Anamnese
ergab keine Cessatio mensium. Str. wird konsultiert wegen kolik¬
artiger Schmerzen im ganzen Leib.
Die Untersuchung ergab einen hinter dem Uterus eingekeilten
zystischen Tumor von Hühnereigrösse.
Die am 8. Mai mittelst suprasymphysären Faszienquerschnittes
ausgeführte Laparotomie ergab eine frisch rupturierte Gra-
viditas tubaria. Glatte Heilung. Auffallend war, dass die Pa¬
tientin mit vorzüglichem Puls zur Operaton kam, obwohl das Ab¬
domen bereits mit Blut erfüllt war.
d) 48 jähr. II. Para. Es handelte sich um multiple Myome, welche
im Ganzen einen mannskopfgrossen Tumor darstellten bei einer Frau,
welche seit Jahrzehnten an epileptischen Anfällen litt. Seit Oktober
1906 schwere, unregelmässige Blutungen. In letzter Zeit besondere
Häufung der Anfälle. Am 3. Juni 1907 Laparotomie, supra¬
vaginale Amputation des durch und durch von Myomknoten durch¬
setzten Uterus. Glatte Heilung.
Seit der Operation ist bis heute (17. VIII. 07) nur noch ein ein¬
ziger Anfall, am 6. Juni, aufgetreten. Es erscheint also wahrschein¬
lich, dass durch dieses künstlich geschaffene Klimakterium ein dauernd
günstiger Einfluss auf die Epilepsie erzielt wurde.
Herr A. B e c k h demonstriert 2 Präparate von gestielten
Ovarialzysten.
Herr Alexander zeigt eine neue elektrische Operations¬
lampe (Wolframlampe von Dr. Stocken).
Rostocker Aerzteverein.
Sitzung vom 13. Juli 1907.
Herr Zabel stellt einen Patienten mit Leukämie vor.
l.Myeloide Leukämie. Das 21 jährige Mädchen trat vor
einem Jahre in sehr desolatem Zustande in die Behandlung: Elendes
Allgemeinbefinden und -aussehen. Gewicht 85 Pfd. Aszites. Oedeme
der Beine. Milztumor nimmt das ganze Abdomen ein. Blutbild: Ver¬
hältnis der w. zu den r. Blutkörperchen wie 1 : 6. Alle therapeutischen
Versuche — darunter grosse Arsendosen — hatten eine zunehmende
Verschlechterung nicht aufhalten können.
Die sofort eingeleitete Röntgenbestrahlung — ohne andere thera¬
peutische Massnahmen — hatte dagegen nach Eruierung des richtigen
Härtegrades der Röhre eine eklatante Wirkung:
Heute — nach 115 Sitzungen — hervorragende Besserung des
Allgemeinbefindens und -aussehens. Aszites und Oedeme verschwun¬
den. Rückgang des Milztumors auf etwa Vs. Blutbild: Verhältnis der
w. zu den r. Bl. wie 1 : 50. (Demonstration der gefärbten Blutpr a-
parate.) In allerletzter Zeit Verabfolgung von B 1 a u d sehen Pillen
und Acid. arsenic. „ x , , ,
Bemerkenswert ist, dass nach Aussetzung der Bestrahlung der
Zeitpunkt, wann der Tumor wieder zu wachsen anfängt, anscheinend
zusehends hinausriiakt und gleichzeitig die Intensität des Wieder¬
wachstums abnimmt.
Vorstehender betont, dass die Besserung immer nur sympto¬
matisch ist und der Fall ständig der Kontrolle des Arztes und der
Röntgentherapie unterliegt, dass es aber andererseits angesichts der
bis zur symptomatischen Heilung möglichen Besserung der myeloiden
Leukämie durch Röntgenbestrahlung nach allgemeiner Ansicht ein
schwerer Unterlassungsfehler ist, derartige Kranke — vor allem bei
1966
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Nutzlosigkeit jeder anderen Therapie — der Röntgenbestrahlung nicht
zuzuführen.
2. Transportabler Röntgenapparat. Vorstellender
stellt den Apparat dem Rostocker Aerzteverein für seine Sitzungen
jederzeit gern zur Verfügung.
Diskussion: Herr Müller.
Herr Büttner: Mecklenburgs Geburtshilfe iin Jahre 1904.
(Soll an anderer Stelle veröffentlicht werden.)
Aus italienischen medizinischen Gesellschaften.
Medizinische Akademie zu Rom.
Sitzung vom 28. April 1907.
Almagiä: Ueber den Einfluss des Cholestearins bei Strychnin¬
intoxikation.
A. untersuchte an Meerschweinchen, ob das Cholestearin die
toxische Eigenschaft des Strychnins neutralisieren könne, wie er
solches für das Tetanustoxin bewiesen hatte.
Er fand, dass nur nötig ist, die Strychninlösung kurze Zeit mit
Cholestearin bei Zimmertemperatur zu schütteln, um die Giftwirkung
des Strychnins zu neutralisieren, während beim Tetanustoxin eine
längere Berührung beider Substanzen bei einer Temperatur von 35 0
nötig ist. Es scheint sich demnach im ersten Falle nur um einen
mechanischen Einfluss zu handeln.
In der Tat fand A. auch, dass einfaches Pulver animalischer
Kohle, wenn es mit einer Strychninlösung geschüttelt wird, diese Lö¬
sung vollständig entgiften kann. A. benützt diese seine experimen¬
tellen Erfahrungen, um einige von anderen Autoren erhobene Befunde
bei der Hyperämie durch Bier sehe Stauung zu erklären.
A. spricht ferner über den Einfluss des Cholestearins aui das
Hundswutgift. Er wirft die Frage auf, ob die Abschwächung des¬
selben durch die Pasteur sehe Methode der Austrocknung bei
20 — 25 11 in der Tat durch das Austrock'nen an sich bewirkt wird,
oder ob es sich nicht vielmehr um Zersetzungen des Nervengewebes
handelt und den Einfluss dieser auf das Lyssagift. Er versuchte, das
Lyssagift durch Cholestearin zu neutralisieren und fand, dass nach
einer kurzen Berührung der Emulsion lyssagifthaltigen Rücken¬
marks mit Cholestearin bei 37 0 dies Gift so geschwächt wird, dass
man grosse Quantitäten desselben Kaninchen subdural injizieren kann,
ohne dass dieselben Krankheitssymptome bieten.
Arcangeli: Untersuchungen und Beobachtungen über Osteo¬
malazie. A. fand gemeinsam mit F i o c c a als Ursache der Krankheit
-einen Diplokokkus. Experimente an Tieren von Morpurgo,
C h a r r i n und M o u s s u unternommen, sowie die klinischen Be¬
obachtungen sprechen für die infektiöse Ursache der Osteomalazie.
Den Diplokokkus hat A. auch aus dem Urin dargestellt und gezüchtet.
Fr nimmt an, dass derselbe auch als Saprophyt in feuchten und
schmutzigen Wohnungen vorkommt (gewisse Gegenden erscheinen
bevorzugt, wo die Krankheit endemisch herrscht).
Die Krankheit ist bei Frauen häufiger als bei Männern; im Ver¬
hältnis von 30: 1. Sie entwickelt sich mit Vorliebe gegen Ende des
Herbstes. Die Wege, auf welchen der Keim eindringt, sind, ähnlich
wie beim Staphylokokkus, Hautläsionen, der Intestinaltraktus, der
puerperale Uterus. Die Infektion kann lange latent bleiben, nach
vielen Jahren rezidivieren.
Prädisponierende Ursachen kann man zusammenfassen mit der
Bezeichnung: verminderte Ernährung der Knochen; daher die Wich-
tigkeit des Geschlechtes (die Ovarien wirken verzögernd auf die
Knochenernährung in höherem Grade als die Hoden), schlechter Er¬
nährung (arm an Kalk), der Schwangerschaft, der Periode des stärk¬
sten Skelettwachstums im 1. und 2. Jahre und in der Pubertät.
Der Diplokokkus soll die Veränderungen an den Knochen da¬
durch bewirken, dass er die Funktion der Osteoblasten verändert.
. fcs lst durchaus wahrscheinlich, dass manche Fälle von Rhachi'tis
auf einer gleichen Ursache beruhen.
In der Behandlung fand A. am wirksamsten die Kastration.
Fr glaubt, dass sie wirkt durch Unterdrückung der inneren Sekretion
der Ovarien, welche zur Krankheit disponiert. Das Chloroform (tiefe
und protrahierte Narkose) hat ihm ebenfalls unmittelbar gute Resul¬
tate gegeben, aber oft von Rezidiven gefolgt. Er glaubt, dass das
Chloroform die vom Diplokokkus gesetzten Toxine neutralisiert und
schwächt. Phosphor und Kalksalze sind nützlich, oft auch die ver¬
schiedenartigsten Kuren. Hager- Magdeburg.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Das Eston, Subeston und Formeston stellen neue Ton¬
erdepräparate dar, welche eine Anwendung dieses Mittels in trockener
rorm ermöglichen sollen. Die Präparate sind Pulver, in welchen
eine oder mehrere Valenzen des Tonerdehydrates durch Essigsäure
bezw. Ameisensäure abgesättigt sind.
S a a 1 f e 1 d (Ther. Monatsh. 8, 07) hat mit dem Mittel bei
17n Fällen therapeutische Versuche angestellt. Die Präparate kamen
in Verbindung mit indifferenten Pulvern oder Salben zur Anwendung.
Als Salbengrundlage empfiehlt sich am meisten das Lanolin nach fol¬
genden Zusammensetzungen :
Eston
Olei olivarum
aa
1,0
Aquae destill.
Lanolin, anhvdrici
ää
2,0
Formeston
Olei olivarum
äa
1,0
Aquae destill.
Lanolin, anhydrici
äa
2,0.
Die kühlende und juckstillende Wirkung der Präparate zeigte
sich besonders bei den verschiedensten Ekzemen und Dermatitiden.
Zur Austrocknung empfiehlt sich am meisten die Anwendung in Puder-
forin, zum Kühlen wird man zweckmässiger von der Kühlsalbe Ge¬
brauch machen. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 23. September 1907.
— Das preussische „Ministerialblatt für, Medizinal- etc. An-
gelegenheiten1' veröffentlicht in No. 16 vom 16, September d.. J. ein
Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation
für das Medizinalwesen über die Zulässigkeit
eines Zusatzes von Formaldehyd zur Handels¬
milch. In einem Strafverfahren gegen den Direktor einer Molkerei¬
genossenschaft, die ihren Kunden formaldehydhaltige Milch abge¬
geben hatte, sprach sich Exz. Prof. v. Behring in Marburg zu
Gunsten des Beschuldigten aus, indem er in einem ausführlichen Gut¬
achten zu dem Schlüsse gelangte, dass in dem Zusatz von Formal¬
dehyd im Verhältnis von 1:50 000 zu der Milch weder eine Gesund¬
heitsschädigung der Konsumenten erblickt werden könne, noch habe
das Nahrungsmittel durch diesen Zusatz eine Veränderung erlitten,
die ihren Nährwert oder sonstige Eigenschaften herabsetze. Viel¬
mehr liefere dieser Fall einen neuen Beweis für die Brauchbarkeit
des Formaldehyds zur Milchkonservierung. Daraufhin stellte das
. Gericht das Verfahren ein, da das Zusetzen von Formaldehyd keine
Verschlechterung der Milch bewirke, ihr vielmehr die Eigenschaften
frischer Milch erhalte, und deshalb nicht als Fälschung zu betrach¬
ten sei.
Dieser Ausgang erweckte bei dem Polizeipräsidenten von Ber¬
lin die Befürchtung, dass das v. Behring sehe Gutachten eine
Strafverfolgung bei ähnlichen Sachen in Zukunft aussichtslos zu
machen drohe und er regte deshalb beim Ministerium die Einholung
eines Gutachtens der Wissenschaftlichen Deputation über diese Frage
an. Dieses gelangt, hauptsächlich auf Grund von Beobachtungen, die
in der Berliner Universitätsklinik für Kinderkrankheiten angestellt
wurden, und nach Widerlegung der von v. B e h r i n g in seinem Gut¬
achten zu Gunsten der Methode angegebenen Gründe, zu folgenden
Schlussätzen:
1. Es ist weder durch die Versuche an menschlichen Säug¬
lingen, noch auch durch die bisher veröffentlichten Versuche
v. Behrings an Tieren dargetan, dass die Formaldehydmilch in
bezug auf ihre Verdaulichkeit und Ausniitzbarkeit einer in gewöhn¬
licher Weise reinlich gewonnenen Kuhmilch überlegen ist.
2. Es ist, wenn auch nicht sicher erwiesen, doch auch nicht sicher
auszuschliessen, dass ein auch nur in dem Verhältnis von 1:25 000
erfolgender Zusatz von Formaldehyd zur Säuglingsmilch bei wochen-
und monatelangem Genuss eine Schädigung des Nierenepithels beim
jungen Kind herbeizuführen vermag.
3. Die Freigabe eines Formaldehydzusatzes zur Handelsmilch
würde mit Sicherheit dazu führen, dass zersetzte, die Gesundheit
schädigende Milch unter der Maske. frischer Milch ^n das Publikum
verkauft, und von diesem, insbesondere von Säuglingen, konsumiert
würde. Selbst der Deklarationszwang würde dagegen nichts helfen,
da das Publikum erfahrungsgemäss derartige Deklarationen nicht zu
beachten pflegt. Eine Kontrolle aller Kuhställe. Molkereien, Milch¬
läden usw., die Tag für Tag ausgeübt werden müsste, würde sich der
Kosten wegen verbieten.
Aus diesen Gründen muss der Zusatz von Formaldehyd zur Han¬
delsmilch schlechthin als unzulässig bezeichnet werden.
— Die vom Aerztetag in Münster aufgestellten Forderungen betr.
der Honorierung haus ärztlicher und vertrauens¬
ärztlicher Zeugnisse für Lebensversicherungs¬
gesellschaften wurden in einer Sitzung der erweiterten stän¬
digen Kommission zur Erledigung aller gemeinsamen Fragen und
streitigen Punkte zwischen Aerzten und Lebensversicherungsgesell¬
schaften am 8. ds. Mts. besprochen. Die Vertreter der Gesellschaften
erklärten persönlich die Beschlüsse des Aerztetages für nicht an¬
nehmbar, wollen jedoch dem Verbände der Lebensversicherungs¬
gesellschaften namens der Kommission Vorschläge unterbreiten,
deren Annahme geeignet wäre, zu einem neuen Vertrage zwischen
dem Verband und dem Deutschen Aerztevereinsbund zu führen. Im
Laufe des Monats Oktober wird eine Versammlung des Verbandes
stattfinden, in der zu den Beschlüssen des Aerztetags Stellung ge¬
nommen werden soll.
— Die 79. Naturforscherversammlung in Dresden:
wählte als Ort der nächsten Tagung Köln. Zum Vorstand für 1908
24. September 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1967
wurde gewühlt: Prof. Dr. Wettstein v. W e st e r h e i m - Wien
als 1. Vorsitzender, die Professoren Dr. R u b n e r - Berlin und
Dr. W i e n - Wiirzburg als Stellvertreter. Die Dresdener Versamm¬
lung war von etwa 2000 Teilnehmern besucht.
— Am 18. ds. fand vor dem Geschworenengericht in Leipa die
Verhandlung der Beleidigungsklage des bekannten Geheim¬
mittelfabrikanten Ludwig Bauer gegen den verdienstvollen
Herausgeber des „Gesundheitslehrer“ Dr. Kantor in Warnsdorf
in Böhmen statt. Dr. Kantor hatte die Reklame des Bauer für
sein „Antidiabeticum“ als eine verwerfliche bezeichnet, die gemacht
werde, „um das Volk zu täuschen“. Daraufhin klagte Bauer wegen
Ehrenbeleidigung. Die Verhandlung, in der von Dr. Kantor ein
reiches Material gegen Bauer vorgeführt wurde, nahm einen für
Bauer so ungünstigen Verlauf, dass Bauer am 2. Verhandlungs¬
tag die Klage zurückzog und die Kosten des Verfahrens übernahm.
— Das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in
Preussen veranstaltet zum Gedächtnis an Ernst v. Berg¬
mann im Winter 1907/08 einen Vortragszyklus: Ent¬
wicklung und Fortschritte der Chirurgie in den
letzten Dezennien bifc zur Gegenwart. An dem Zyklus
beteiligen sich folgende Herren mit Vorträgen: Hildebrand-
Berlin, Schleich- Berlin, Graser- Erlangen, Küttner - Bres¬
lau, R e h n - Frankfurt a. M., Friedrich- Marburg, Körte- Ber¬
lin, K ü m m e 1 1 - Hamburg, Sonnenburg - Berlin, v. Angerer-
Miinchen, F. Krause - Berlin, Barden heuer - Köln, Helfe-
r ich -Kiel, Bier-Berlin. Näheres durch das Zentralkomitee, Ber¬
lin NW. 6, Luisenplatz 2 — 4.
— Ausser diesen Bergmann-Gedächtnis-Vorträgen veranstaltet
das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen
ferner im Winter 1907/08 die üblichen unentgeltlichen Fort¬
bildungskurse für praktische Aerzte in Berlin und Provinz
Brandenburg. Beginn der Meldungen am 3. Oktober, Schluss am
1. November. Beginn der Kurse am 4. November.
— Anlässlich des Hygienekongresses in Berlin können
sämtliche Sammlungen des Kaiserin - Friedrich-Haus es
während der Tage vom 23. bis 29. September (einschliesslich) von
10—3 Uhr unentgeltlich besichtigt werden, auch diejenigen Sonder¬
abteilungen, welche für gewöhnlich der Besichtigung nicht zugängig
sind. Für die Mitglieder des Hygienekongresses finden ausserdem
zwei besondere Führungen am Mittwoch und am Freitag, beide um
Va 6 Uhr nachmittags, statt. Eigens für die Kongresswoche ver¬
anstaltet ist eine „Sozialhygienische Sonderausstellung aus den Samm¬
lungen von Prof. Dr. George M e y e r - Berlin“, welche vorwiegend
geschichtlich interessante Darstellungen aus den Gebieten der allge¬
meinen Krankenversorgung, der Seuchenbekämpfung, sowie des Ret-
tungs- und Krankentransportwesens umfasst.
— Auf die neugeschaffene Stelle eines Stadtarztes (Dezernent
für das städtische Gesundheitswesen) in Halle a. S. wurde der Privat¬
dozent für Hygiene und Bakteriologie an der technischen Hochschule
zu Hannover, Stabsarzt und Vorsteher der bakteriologischen Ab¬
teilung des X. Armeekorps, Prof. Dr. med. Wilhelm v. D r i g a 1 s k i
berufen und wird das neue Amt im Oktober d. J. antreten. (hc.)
— In Meran wurde das von der Stadt mit einem Kostenauf¬
wand von nahezu einer Million Kronen erbaute Kurmittelhaus
vor kurzem dem Betrieb übergeben. Die neue Anstalt enthält alle
Einrichtungen, die für eine Kur in Meran in Frage kommen, also alle
Arten von Bädern, Inhalatorien, ein mediko-mechamsches Institut,
Apparate für elektrische Behandlung, für Massage, Ataxiebehandlung
nach F renkel, etc. Der Bau ist nach den Plänen des Münchener
Architekten Langheinrich ausgeführt und wirkt sowohl nach
seiner äusseren Erscheinung, wie in der Inneneinrichtung überaus
gefällig. Eine genaue Beschreibung gibt die mit vielen Abbildungen
ausgestattete Broschüre: Das städtische Kurmittelhaus nebst Bade¬
anstalt in Meran.
— Der 17. Kongress der Italienischen Gesell¬
schaft für innere Medizin findet vom 21. — 24. Oktober 'd. J.
zu Palermo statt. Tagesordnung: Serotherapie und intravenöse Be¬
handlung; die Akupunktur vom diagnostischen und therapeutischen
Standpunkt; die Neurasthenie.
— Cholera. Russland. Vom 5. bis 9. September sind in der
Stadt Astrachan weitere 230 Erkrankungen (und 153 Todesfälle) an
der Cholera zur Anzeige gelangt. In der Stadt Samara war bis zum
9. September die Zahl der Erkrankungen auf 267 (der Todesfälle
auf 127) gestiegen, in der Stadt Nischni-Nowgorod auf 70 (21). Aus
Saratow wurden am 4. und 6. bis 9. September insgesamt 38 neue
Erkrankungen mit 9 Todesfällen gemeldet. In Baku erkrankten zu¬
folge einer Mitteilung vom 11. September 4 Personen (von denen
1 starb), ausserdem auf einem aus Astrachan gekommenen Dampfer
6 (3), so dass Baku regierungsseitig für choleraverdächtig erklärt
worden ist. Im Gouv. Kasan wurden am 9. September 3 Cholera¬
fälle gemeldet, auch sind die Städte Saratow, Kamyschin und Kasan
für choleraverseucht und die Gouvernements Rjäsan und Wjatka für
cholerabedroht erklärt worden. Aus Jaroslaw wurden vom 1. bis
8. September 7 Cholerafälle gemeldet, vereinzelte Fälle auch aus
Simbirsk, Sysran, Jurino u. a. Orten bezw. Verwaltungsgebieten des
Reiches. — Straits Settlements. In Singapore sind vom 7. bis
14. August 28 Cholerafälle festgestellt worden. — China. In Shanghai
sind unter der chinesischen Bevölkerung der internationalen Nieder¬
lassung vom 5. bis 11. August 90 Choleratodesfälle amtlich ver¬
zeichnet; doch wird dort vermutet, dass tatsächlich die Zahl der durch
Cholera verursachten Sterbefälle weit höher sei. Auch in der
Chinesenstadt von Tientsin soll zufolge einer Mitteilung vom
15. August die Cholera heftig aufgetreten sein, wenn auch die chinesi¬
schen Behörden darüber nichts veröffentlicht haben. — Japan. Auf
Formosa ist zufolge einer Mitteilung vom 12. September in Kelung
ein Choleratodesfall vorgekommen.
— Pest. Türkei. In Mytilene sind in der ersten September¬
woche 3 pestverdächtige Fälle gemeldet. — Aegypten. Vom
31. August bis 7. September wurden 4 neue Erkrankungen und 3 Pest¬
todesfälle, sämtlich in Alexandrien, gemeldet. — Vereinigte Staaten
von Amerika. Bis zum 13. September waren in San Franzisko
23 Pestfälle festgestellt worden, davon in der zweiten September¬
woche täglich etwa 1 — 2 neue Erkrankungen, welche fast alle im
italienischen Viertel vorgekommen sind.
— Pocken. Oesterreich. Vom 1. bis 7. September sind in
Wien 39 Personen, sonst in Niederösterreich 1 an den Pocken er¬
krankt. Bis Ende August waren in Wien während des laufenden
Jahres, und zwar seit dem 18. Mai im ganzen 89 Pockenfälle fest¬
gestellt, d. i. mehr als in jedem der letzten 14 Jahre (seit 1893).
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 1. bis
7. September sind 26 Erkrankungen (und 17 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 36. Jahreswoche, vom 1. bis 7. September 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Regensburg mit 32,5, die geringste Schwerin mit 4,9 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen
starb an Scharlach in Beuthen, an Keuchhusten in Mülheim a. d. R.
V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Düsseldorf. Die Stadtverordneten wählten zum Direktor
der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Prof. Dr. Opitz-
Marburg an Stelle des nach Tübingen berufenen Dr. Seilheim.
Erlangen. Der ordentliche Professor der Medizin De la
Camp, Direktor des hiesigen pharmakologisch-poliklinischen In¬
stitutes, der seit Ostern hier tätig ist, hat einen Ruf nach Freiburg
i. Br. als Nachfolger von Prof. Hirsch angenommen. Er wird zum
Wintersemester bereits dahin übersiedeln.
Frankfurt. Dem Direktor des Neurologischen Institutes des
Bürgerhospitals der Dr. Senckenbergi sehen Stiftung in Frank¬
furt a. M., Prof. Dr. med. Ludwig E d i n g e r, und dem Chefarzt der
chirurgischen Abteilung an dem genannten Hospital, Dr. Friedrich
Ebenau, wurde der Rote Adlerorden vierter Klasse verliehen, (hc.)
Göttingen. An der hiesigen Universität ist ein Institut für
gerichtliche und versicherungsrechtliche Medizin errichtet worden, mit
dessen Leitung Prof. Dr. C. Lochte beauftragt wurde.
Baltimore. Dr. Ch. W. McElfresh wurde zum Professor
der Medizin an der University of Maryland ernannt.
Bologna. Als Privatdozenten habilitierten sich Dr. A. L a ti-
zerini (für interne Pathologie) und Dr. A. F. Bonarrola (für
Pädiatrie). Der ausserordentliche Professor der Kinderheilkunde
Dr. C. Coinba wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
C a g 1 i a r i. Der ausserordentliche Professor der Dermatologie
und Syphiligraphie, Dr. P. Colombini, wurde zum ordentlichen
Professor ernannt.
Chicago. Die DDr. N. M. Harris und H. T. R i c k e 1 t s'
wurden zu ausserordentlichen Professoren der pathologischen Ana¬
tomie und Bakteriologie am Rush Medical College ernannt.
Innsbruck. Ernannt wurde der a. o. Profesor an der Wiener
Universität, Dr. med. Robert O r t n e r, zum ordentlichen Professor
für interne Medizin und Direktor der medizinischen Klinik an der
hiesigen Universität als Nachfolger des Hofrats Prof. Frhr. v. Ro¬
kitansky. (hc.)
Krakai;. Zum ordentlichen Professor der Geburtshilfe ■und
Gynäkologie an der Universität Krakau wurde als Nachfolger von
Prof. Dr. H. Jordan der Privatdozent tit. a. o. Professor daselbst,
Dr. med. Alexander R o s n e r, ernannt, (hc.)
Messina. Dr. A. Benedicenti wurde zum ausserordent¬
lichen Professor der Materia medica und experimentellen Pharma¬
kologie ernannt.
Modena. Der ausserordentliche Professor Dr. A. D i o n i s i
wurde zum ordentlichen Professor der pathologischen Anatomie er¬
nannt,
Neapel. Als Privatdozenten habilitierten sich die DDr. V.
Scaffidi (allgemeine Pathologie). G. Di Cristina (interne Pa¬
thologie), E. LaPegna (Neurologie und Psychiatrie), E. S g r o s s o
(Ophthalmologie) und G. C r i s t a 1 1 i (Geburtshilfe und Gynäkologie).
Prag. Zwei neue Privatdozenten wurden an der Prager
deutschen Universität zugelassen und bestätigt: Dr. med. Alfred
Kraus für Dermatologie und Syphilis und Dr. med. Heinrich Hil¬
genreiner für Chirurgie. # . .
Turin. Als Privatdozenten habilitierten sich die DDr. C. F o a
(experimentelle Physiologie), E. A u d e n i n o und F. B u r z i o (Psy¬
chiatrie), G. P i c a r d i (Dermatologie und Svphilis), L. B o b b i o
(externe Pathologie), St. Santucci (Ophthalmologie), S. Pusa-
teri (Oto-Rhino-Laryngologie), C. Palazzo (Zahnheilkunde), St.
Balp (Demographie und medizinische Statistik).
1968
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Wien. Als Privatdozenten wurden an der hiesigen Universität
zugelassen: ür. med. Paul Alb recht, Dr. Paul C 1 a i r m o n t, Dr.
Hans H a b e r e r und Dr. Hans Lorenz, sämtlich für das Fach der
Chirurgie.
(Todesfälle.)
Dr. J. Tillemont Fontes, Professor der Neurologie und Psych¬
iatrie an der med. Fakultät zu Bahia.
Dr. S. D. P o w e 1 1, Professor der Chirurgie an der New York
Post-Graduate Medical School and Hospital.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung. Dr. Felix Bergner, approbiert 1902,
München.
Gestorben: Dr. Josef Gänsbauer in Landsberg a. L..
42 Jahre alt.
Korrespondenz.
Zwei kleine Punkte in der Bekämpfung endemischer und epidemischer
Krankheiten.
Von Dr. A. Freudenberg in Berlin.
Ich möchte die Aufmerksamkeit auf 2 Punkte lenken, die für die
Bekämpfung von Infektionskrankheiten vielleicht nicht ganz ohne Be¬
deutung sind; der erste bei der Genickstarre, aber auch bei Tuber¬
kulose, Influenza, Diphtherie etc., der zweite bei der Cholera.
Der erste Punkt bezieht sich auf die leider immer noch fast allgemein
verbreitete Unsitte von Verkäufern und Verkäuferinnen, aber auch von
anderen Menschen, Zeigefinger oder Zeigefinger und Mittelfinger an
den Lippen anzufeuchten, um das zum Einwickeln bestimmte Papier
vom Stapel abzuheben, eine Düte aufzumachen oder dergleichen. In
Buttergeschäften, in Fleisch- und Wurstläden, beim Vorkost- und
Grünkramhändler, aber auch in Zigarrengeschäften und an zahlreichen
anderen Stellen begegnet man dieser Unsitte, und ich glaube nicht zu
viel zu sagen, wenn ich behaupte, dass die Zahl der Verkäufer, die
es nicht so machen, geringer ist als die Zahl derjenigen, die so ver¬
fahren. Dass dabei Infektionskeime von der Lippe auf das Papier,
vom Papier auf die Ware, und von da in den Mund eines anderen
gelangen können, leuchtet ohne Weiteres ein. Ich möchte also Vor¬
schlägen, dass diese ebenso ungesunde wie unappetitliche Unsitte
durch Verbot oder Aufklärung, am 'besten wohl durch beides, be¬
kämpft wird. Dass eine solche Bekämpfung gerade bei der Genick-,
starre vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung ist, ergibt sich aus der
Tatsache der Verbreitung der Krankheit durch gesunde „Kokken¬
träger“, und ein Vorgehen in dieser Richtung erscheint gewiss ge¬
boten, wenn die Angabe der Zeitungen, dass bei der rheinischen Epi¬
demie gerade auch Nahrungsmittelhändler nicht selten von der Krank¬
heit befallen wurden, zutreffend ist.
Der zweite Punkt bezieht sich auf die Einrichtung der Klosetts
in den Eisenbahnzügen. Wenn mich meine Beobachtung nicht täuscht,
so ist hier immer noch am Boden der Klosetts eine Klappe vorhanden,
die sich beim Schlüssen des Klosettdeckels öffnet und die erfolgte
Entleerung einfach zwischen die Schienen fallen lässt. Fährt der Zug
gerade in diesem Momente über eine Brücke, so gelangt fast mit
Sicherheit, wenn auch nicht gleich, so mindestens beim nächsten
Regen, ein Teil der Entleerung in den Fluss. Enthält die Entleerung
z. B. Cholerabazillen, so erscheint eine Verseuchung des betreffen¬
den Flusses auf diesem Wege zweifellos als möglich. Sie erscheint
möglich trotz der „Selbstreinigung“ der Flüsse, die gewiss nicht unter¬
schätzt, aber wie die letzte Hamburger Choleraepidemie wieder ge¬
lehrt hat, in Bezug auf Schnelligkeit und Sicherheit auch nicht über¬
schätzt werden darf. Meiner Ansicht nach müsste mit dieser Ein¬
richtung der Klosetts ganz — und nicht nur für Epidemiezeiten —
gebrochen werden. Die Entleerung müsste vielmehr in einen unten
angebrachten geschlossenen Kasten oder Eimer fallen, auf dessen
Boden ein Desinfiziens (Rohkresol, Kreolin, Lysol, Lysoform oder
dergl.) sich befindet.^ Am besten wäre dieses Desinfiziens wohl in
I orf, Sägespähnen, Kohlengrus oder dergl. aufzunehmen, damit die
Entleerung an geeigneten Stellen, eventuell durch Verbrennen (in der
Lokomotive?) unschädlich gemacht werden kann. In epidemiefreien
Zeiten dürften auch diese Exzipientien ohne Zusatz von Desinfektions¬
mitteln genügen.
Ich bin weit entfernt, die Wichtigkeit dieser beiden Punkte zu
überschätzen und ich habe sie deswegen schon in meiner Ueberschrift
als „kleine“ Punkte bezeichnet. Meiner Ansicht nach muss vielmehr
in der Bekämpfung von epidemischen Krankheiten immer der grosse
Gesichtspunkt der allgemeinen Hebung der sozialen und kultm eilen
Lage des Volkes im Vordergrund stehen. Immerhin verdienen die
beiden Punkte vielleicht einige Beachtung seitens der zuständigen
Stellen, der erste auch seitens der Kollegen, welche hierüber ihre
Patienten aufklären sollten, und seitens des Publikums, welches die
Unsitte aus der Welt schaffen kann, indem es die Geschäfte meidet,
in denen sie herrscht. In letzterer Beziehung sollte auch die Tages¬
presse durch eine entsprechende Belehrung und Aufforderung günstig
zu wirken versuchen.
Gebühren fiir die Ausstellung ärztlicher Zeugnisse behufs
Bewerbung um die Invalidenrente.
München, den 22. August 1907.
Versicherungsanstalt für Oberbayern.
An den ständigen Ausschuss der Aerztekammer für Oberbayern
in München.
Die Vorstandschaft der Versicherungsanstalt für Oberbayern hat
auf die nebenangeführte Zuschrift unterm 17. Juni 1907 beschlossen:
„I. Die Versicherungsanstalt übernimmt bis auf weiteres frei¬
willig den approbierten Aerzten im Regierungsbezirke Oberbayern
gegenüber die Honorierung der ärztlichen Zeugnisse
zum Zwecke der Rentenbewerbung — wenn nicht der
Versicherte ausdrücklich freiwillig die Bezahlung leistet — nach fol¬
genden näheren Bestimmungen:
1. Die Ausstellung des Zeugnisses darf nur auf Grund eines von
der den Rentenantrag entgegennehmenden Gemeindebehörde zu er¬
teilenden Bestellscheines erfolgen.
2. Das Zeugnis ist nach Massgabe des jeweils von der Versiche¬
rungsanstalt eingeführten Formulars abzugeben und von dem Arzte
verschlossen und frankiert an diejenige Distriktsverwaltungsbehörde
(d. i. Bezirksamt) einzusenden, welche der den Antrag aufnehmenden
Gemeindebehörde vorgesetzt ist oder den Antrag selbst aufgenonnnen
hat (unmittelbarer Stadtmagistrat).
3. Als Honorar für jedes auf diesem Wege erholte Zeugnis ein¬
schliesslich des Portos bezahlt die Versicherungsanstalt als Höchst¬
betrag 5 M. — fünf Mark — .
Von der Versicherungsanstalt für notwendig erachtete Ergän¬
zungen sind von dem attestierenden Arzt unentgeltlich vorzunehmen.
II. Anträge auf Ue bernahme de.s Heilverfahrens,
welche' nach dem von der Versicherungsanstalt jeweils eingeführten
Formulare gestellt werden, werden den Aerzten wie bisher mit je
2 Mark honoriert.
III. Die Auszahlung der Gebühren an die Aerzte erfolgt halb¬
jährig je nach dem „1. Juli und 1. Januar“.
Der Ausschuss der Versicherungsanstalt für Oberbayern hat dem
Beschlüsse der Vorstandschaft der Versicherungsanstalt unterm
27. Juli 1907 zugestimmt.
Die vorangeführten Bestimmungen sollen als ein Ueberein-
kommen zwischen der Aerztekammer für Oberbayern und der Ver¬
sicherungsanstalt für Oberbayern gelten.
Ich ersuche nun, dieses Uebereinkommen sämtlichen Aerzten
Oberbayerns zur Kenntnis zu bringen und dahin wirken zu wollen,
dass dasselbe auch entsprechend eingehalten wird.
Hiebei füge ich noch an:
a) Das Uebereinkommen gilt ab 1. Januar 1908 bis auf weiteres.
b) Hinsichtlich der Ausstellung des Bestellscheines durch die Ge¬
meindebehörden werden die letzteren seitens der Versicherungsanstalt
(durch Vermittlung der Bezirksämter) mit entsprechenden Weisungen
versehen. Der Bestellschein ist dem ärztlichen Zeugnisse beizufügen.
Ohne Bestellschein findet eine Honorierung nicht statt.
c) Den Zeugnisformularen werden auch die Liquidationsformulare
beigefügt. Den letzteren werden die für die Gebührenliquidation
massgebenden Bestimmungen des Uebereinkommens aufgedruckt.
Die Zeugnisformulare sowie die Liquidationsformulare können
von der Versicherungsanstalt für Oberbayern unentgeltlich bezogen
werden.
Dr. Krieg.
Uebersicht der Sterbefalle in München
während der 36. Jahreswoche vom 1. bis 7. September 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 11 (7*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 4 (4), Kindbettfieber 1 ( — ), and. Folgen der
Geburt — (— ), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln 1 (— ), Diphth. u.
Krupp 4 (1), Keuchhusten — ( — j, Typhus — (2), übertragb. Tierkrankh.
_(r")> Rose (Erysipel) — (1), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 4 (3), luberkul. d. Lungen 20 (25), Tuberkul. and.
Org. 3(5), Miliartuberkul. — (1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 6 (4),.
Influenza ( ), and. übertragb. Krankh. 1 ( — ), Entzünd, ‘d. Atmungs¬
organe 2 (1), sonst. Krankh. derselb. 2 ( — ), organ. Herzleid. 14 (22),,
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 6 (3), Gehirnschlag
4 (4), Geisteskrankh. 3 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 2 (5), and..
Krankh. d. Nervensystems 3 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 30 (42), Krankh. d. Leber 2 (2), Krankh. des.
Bauchfells — ( ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 1 (5), Krankh. d..
Harn- u. Geschlechtsorg. 1 (3), Krebs (Karzinom Kankroid) 12 (8)r.
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 2 (2), Selbstmord 2 (2), Tod durch,
fremde Hand ( — ), Unglücksfälle 6 (7), alle übrig. Krankh. 1 (3).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 148 (165). Verhältniszahl auf das-.
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 14,0 (15,7), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 9,8 (10,6).
_ ) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verla* von J. F. Lehmann in München. - Druck von E. Mühlthaler» Buch- und Kun.tdmcker,i a n , •«
Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
in! Umfang von durchschnittlich fr— 7 Bogen. # Preis der einzelnen
Nummer 8<> 4. * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
5#i_# # Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren : Für die Redaktion Arnui«1-
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/|— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. • Für
* Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
^ 5 i- • übrige Dezugsoeamgungcn mchc am & •_ _
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Originalien.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br. ^
Anatomische und physiologische Beobachtungen bei dem
ersten Tausend Rückenmarksanästhesien.
Von Prof. B. K r ö n i g und Dr. C. J. Gauss, Assistent der
Klinik.
Wir gingen in dieser Arbeit von dem Bestieben aus, uns
über die anatomischen und physiologischen Verhältnisse hei
der Rückenmarksanästhesie Klarheit zu verschaffen, um auf
diese Weise möglichst ihre Gefahren und Nachwirkungen ein¬
zuschränken. Wenn auch die im Laufe der tausend Rücken¬
marksanästhesien angestellten Beobachtungen und Versuche
keineswegs dies Ziel ganz erreicht haben, so möchten wir doch
unsere Erfahrungen mitteilen, da sie zu einem gewissen Ab¬
schlüsse gekommen sind.
Die Gefahren der Rückenmarksanästhesie können be¬
stehen • , , . , c .
1. darin, dass das Anästhetikum, welches in den bub-
arachnoidealraum eingespritzt wird, so schnell resorbiert wird,
dass dadurch schwere toxische Allgemeinerscheinungen ein-
treten *
2. ’ darin, dass das eingespritzte Anästhetikum Nerven¬
gebiete und Rückenmarkssegmente trifft, bei denen auch eine
vorübergehende Funktionsaufhebung den T od des Indi¬
viduums zur Folge hat; es sind dies vor allem die höhei ge¬
legenen Segmente der Medulla spinalis, welche die Atmung
beeinflussen, die Austrittsstelle des Nervus phrenicus aus dem
Rückenmark, sowie die Medulla oblongata;
3. darin, dass das Anästhetikum die Nerven der Ganglien¬
zellen nicht blos vorübergehend in ihrer Funktion hemmt,
sondern dauernde Störungen herbeiführt, wodurch auch bei
Lähmungen tiefer gelegener Rückenmarkssegmente z. B. des
Lumbalmarks, schliesslich lebensgefährliche Wirkungen ein-
■ treten, z. B. Paraplegien der unteren Extremitäten mit Läh¬
mungen der Blase und des Mastdarms.
Es bliebe dann noch übrig zu besprechen, wie wir die
Nebenwirkungen der Rückenmarksanästhesie, welche \c ir
mehr als unangenehme denn als lebensgefährliche Kompli¬
kationen bezeichnen dürfen, z. B. Kopfschmerzen, Meningismus,
vermeiden können; und schliesslich, wie wir das auch von uns
früher so oft beobachtete Ausbleiben jeder anästhesierenden
Wirkung auf das geringste Mass reduzieren können.
Wenden wir uns zunächst zu den Gefahren der Rücken¬
marksanästhesie, so hat der von uns erwähnte erste Punkt,
nämlich übermässig schnelle Resorption des Anasthetikums
und dadurch bedingte rasche Vergiftung des Körpers schon in
einer vorzüglichen Arbeit aus der T rendelenburgsc ich
Klinik von Flein eke und Läwen eine Beantwortung ge¬
funden Unter der Einwirkung der experimentellen Unter¬
suchungen von K 1 a p p, welcher zu dem Resultate gekommen
war, dass das intradural injizierte Gift viel toxischer wirke als
das subkutan injizierte, weil die Resorption vom Duralsack
aus blitzschnell erfolge, hatte man die Gefahren dei Rucken-
marksanästhesie hauptsächlich in einer plötzlichen Ue er-
schwemmung des Organismus mit dem Gift des Anasthetikums
erblicken zu müssen geglaubt. Die Folge dieser Anschauung
40.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
war, dass man alles daran setzte, mit möglichst geringen Dosen
des ’Anästhetikums auszukommen. Die Forscher Heinek e
und Laewen gelangten aber zu dem für die ganze Entwick¬
lung der Lumbalanästhesie wichtigen Resultat, dass bei der Ein-
spritzung in den Subnruchnoidenlruuni im Gegenteil ic
Resorption des Anästhetikums langsam vor sich geht und
dass infolgedessen eine zu schnelle Aufnahme des Giftes in den
Gesamtorganismus kaum zu befürchten sei. Sie ei kannten in
ihrer experimentellen Arbeit schon, dass die Gefahi dei Rücken¬
marksanästhesie hauptsächlich in der direkten Beiührung dei
injizierten Lösung mit lebenswichtigen Zentren des Rücken¬
marks zu erblicken sei.
Da wir die zahlreichen Tierversuche von Heineke und
I, a e w e n wohl als einwandsfrei und auf den Menschen über¬
tragbar bezeichnen dürfen, so folgt aus ihnen, dass es nicht so
sehr darauf ankommt, sehr kleine Dosen zu injizieren, sondern
vornehmlich darauf, zu verhüten, dass das Anästhetikum zur
Medulla oblongata oder der Abzweigungsstelle des I hremkus
(2.-3. Halswirbel) aufsteigt. . ,
Sind wir nun in der Lage, dieses Aufsteigen emes 111 den
Lumbalsack injizierten Anästhetikums bis zur Medulla oblon¬
gata zu verhindern? , ...
Braun kommt am Schlüsse seiner letzten Arbeit ubu
Verwendung des Alypins in der Rückenmarksanästhesie zu
dem Resultat, dass dies vorläufig nicht mit der genügenden
Sicherheit erreichbar sei; dies war für ihn Grund Senug, die
weiteren Versuche mit der Medullaranästhesie abzubrechen.
Um diese Lrage zu klären, müssen wir die anatomischen
und physikalischen Verhältnisse im Subarachnoidealraum be¬
trachten, und zwar kommt hier wohl hauptsächlich m Betracht
1. das Verhalten der Spinalflüssigkeit im Subarachnoideal¬
raum bei verschiedenen Lagerungen des Körpeis,
2. die Abhängigkeit der Ausbreitung des Anasthetikums
bei der Lumbalanästhesie von dem Verhältnis des spezifischen
Gewichts der injizierten Lösung zum spezifischen Gewicht dei
Spinalflüssigkeit; . , ..... .
3 die Abhängigkeit der Ausbreitung des injizierten An¬
ästhetikums in der Spinalflüssigkeit von der Diffusion und von
den Strömungsbedingungen der Spinahliissigkeit im su
arachnoidealraum. .. , .
Halten wir Umschau in der Literatur, so müssen wo leidei
bekennen, dass bisher auf alle diese für die Ruckenmarks-
anästhesie so wichtigen Fragen nur wenige Antworten vor¬
liegen Es mag dies vielleicht dadurch bedingt sein, dass man
unter dem Eindruck der Experimente von Quincke und
Jacob1) stand, welche bei Tieren zeigten, dass eine in dei
Gegend der Lendenwirbelsäule in den Subarachnoidealraum
eingespritzte Lösung sich in Bruchteilen einer Minute bis zui
Schädelbasis ausbreitete, so dass alle oben angege ebenen F rage¬
stellungen hinfällig wären. Heinek e und La e w e n haben
aber schon darauf aufmerksam gemacht, dass diese expe
men, eilen Resultate auf die Verhältnisse bei der Lumbal¬
anästhesie des Menschen nicht übertragbar sind weil le
Menge der Injektionsflüssigkeit wesentlich in Betiacht g
Q Siehe u. a.: Jacob: Klinische und experinienteUe Erfahrungen
über die Duralinfusion. Deutsche med. Wochensc lr. ... ’ licll'erI
Betreffs aller weiteren Arbeiten verweisen wir aut d
schienene vorzügliche Arbeit von Paul Bosse.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1970
zogen werden müsse. Quincke und Jacob spritzten eine
sehr grosse Menge von Flüssigkeit in den Subarachnoidealraum
bei Ziegen ein, eine Menge, welche im Vergleich zum Menschen
um so höher bewertet werden muss, als der Subarachnoideal¬
raum bei Tieren nur einen engen Spalt darstellt, der nur ge¬
ringe Quantitäten Flüssigkeit fassen kann. Wird bei solchen
Tieren eine grössere Menge Flüssigkeit in diesen engen Raum
injiziert, so wird rein mechanisch der Subarachnoidealraum
bis zur Schädelbasis hin mit dieser Flüssigkeit angefüllt werden
müssen. Bei der Lumbalanästhesie des Menschen liegen aber
die Verhältnisse wesentlich anders als bei den Quincke-
schen Tierversuchen. Bei der grossen Menge von Liquor,
welche der relativ weite Subarachnoidealraum des Menschen
enthält — nach Axel Key und R e t z i u s 2) ca. 50—150 ccm
Flüssigkeit — spielt die Injektion von 1 — 2 ccm Flüssigkeit bei
der Lumbalanästhesie mechanisch kaum eine Rolle. Diese
injizierte Flüssigkeit hat in den tieferen Teilen des Sub-
arachnoidealraums reichlich Platz und braucht nicht, wie bei
der Injektion grösserer Flüssigkeitsmengen bei Tieren, nach
oben auszuweichen.
Für die Ausbreitung des Anästhetikums, welches in den
lumbalen Teil des Subarachnoidealraums eingespritzt ist,
kommen vielmehr beim Menschen ganz andere Faktoren in
Betracht.
Um uns hiervon eine Vorstellung zu machen, müssen wir
uns zunächst einmal die Frage vorlegen: Wie ist denn
überhaupt die Flüssigkeit im Subarachno¬
idealraum beim Menschen verteilt3).
1 ragen wir bei einer in sitzender Stellung befindlichen
Leiche die Wirbelbögen ab, so erkennen wir, dass unter der
Arachnoidea im lumbalen und thorakalen Anteile des Rücken¬
marks hinauf bis zum Halsteile sich ein Flüssigkeitssee befindet.
Der oberen Spiegel dieses Sees liegt verschieden hoch bei ver¬
schiedenen Leichen, aber im allgemeinen im oberen Teile des
Brustmarks. Oeffnen wir oberhalb dieses Flüssigkeitssees
den Subarachnoidealspalt, so fliesst kein Liquor ab; es liegt
also hier die Arachnoidea mehr oder weniger innig der Pia
ohne grössere Flüssigkeitsansammlung zwischen den beiden
Blättern an; die Wandungen des Spalts sind mit Flüssigkeit
nur eben benetzt. Wird dagegen der Subarachnoidealsack im
lumbalen Teile des Rückenmarks eingeschnitten, so fliesst
die ganze Liquormasse ab und der Flüssigkeitssee nivelliert sich
bis zur Höhe der Inzisionsstelle.
Da durch die Abtragung der Wirbelbögen die anatomischen
Verhältnisse des Liquors geändert sein könnten, so müssen
wir noch bei intaktem Wirbelkanal prüfen. Dies können wir
iu der Weise vornehmen, dass wir wiederum bei s i t z e n d e r
Leiche in der Gegend der Lendenwirbelsäule in den Sub¬
arachnoidealraum eine Punktionsnadel einstechen, diese Nadel
mit einem Steigrohr in Verbindung bringen, um uns so am
Steigrohr über den Stand des oberen Flüssigkeitsspiegels im
Subarachnoidealraum Aufklärung zu verschaffen; dies hätte
nur zur Vorausetzung, dass der Flüssigkeitsspiegel in der
Steigrohre sich nach dem Gesetz der kommunizierenden
Röhren mit dem Flüssigkeitsspiegel im Subarachnoidealraum
gleichstellt.
Um dies zunächst zu prüfen, wurden von uns weitere Ver¬
suche angestellt.
Bei Leichen wurde kurz nach dem Tode in der Gegend de
Lumbalmarks punktiert (s. Abb. 1) und die Steigrohre angebrachi
Die Lässigkeit steigt 'in der Steigrohre — sagen wir bis zu 220 mr
■— an. Es wird dann 3 Wirbel höher (120 mm oberhalb der erste:
i unktionsstelle) eine zweite Punktionsnadel eingestossen' das a
dieser Nadel angebrachte Steigrohr ergibt eine Druckhöhe’ von nu
noch 1(HJ nun (220 120), stellt sich also im Flüssigkeitsspiege
mit dem des ersten Steigrohres ein. Eine dritte Punktionsnade]
\\ iederum 3 W irbel höher (90 mm oberhalb der zweiten Punktions
stelle) eingestossen, ergibt im Steigrohr nur noch einen Druck voi
. n]n) 1-0 90), stellt sich also ebenfalls im Flüssigkeitsspiegel mi
den beiden anderen Steigrohren ein. Wird oberhalb des Fliissigkeits
') Axel Key und R e t z i u s
Nervensystems, Stockholm 1876.
0 Während der Korrektur wurde
Studien über die Anatomie des
u • r , . . , . • — - - von Gerstenberg und
nein auf der Naturforscherversammlung in Dresden ein Vortrag und
Demonstration über die anatomischen Verhältnisse bei
marksanästhesie gehalten. Wir möchten
, , - nicht
wunderbar instruktiven Präparate hinzuweisen.
der Riicken-
verfehlen, auf die
Spiegels im Steigrohr der Subarachnoidealraum punktiert, so tritt
bis hinauf zum Foramen magnum überhaupt keine Flüssigkeit mehr
aus der Punktionsnadel aus — als Beweis, dass bei der Leiche, abge¬
sehen von leichter Verschiebung durch Kapillarattraktion im Glase,
der Flüssigkeitsstand im Steigrohr den Fliissigkeitsstand im Sub¬
arachnoidealraum anzeigt.
Dass diese Verhältnisse an der Leiche direkt auf die
Lebende übertragbar sind, ist von uns nicht mit absoluter
Sicherheit bewiesen, aber doch wenigstens sehr wahrscheinlich
gemacht. Der Versuch ist an der Lebenden deshalb nicht in
voller Exaktheit durchzuführen, weil wir nicht im Halsmark
punktieren dürfen. Immerhin sprechen Tierversuche und nach¬
folgende Beobachtungen für die Annahme, dass auch beim
lebenden Menschen die Verhältnisse gleich liegen.
Zunächst der Tierversuch:
Bei einem in hockender Stellung aufrecht gehaltenen Kalbe,
welches ebenso wie der Mensch reichlich Liquor im Subarachnoideal¬
raum hat, wurde wie bei der Leiche in verschiedenen Höhen des
Rückenmarks die Punktionsnadel mit Steigrohr versehen einge¬
stossen. Es ergab sich in völliger Analogie mit der Leiche, dass auch
hier das Flüssigkeitsniveau in den verschiedenen Steigrohren sich
nivellierte. Es wurde dann die oberste Punktionsnadel unter Berück¬
sichtigung der Kapillarattraktion einige Zentimeter oberhalb des Flüs¬
sigkeitsspiegels im Steigrohr in den Subarachnoidealraum einge¬
stossen. Es entleerte sich keine Flüssigkeit. Darauf wurde das
Kalb, welches bis dahin in hockender Stellung gehalten war, langsam
hintenüber geneigt; hierauf hob sich der Flüssigkeitsspiegel im Steig¬
rohr um mehrere Zentimeter und es trat dementsprechend tropfen¬
weise Liquor aus der obersten Punktionsnadel aus; wurde dann das
Kalb wieder mehr vornüber geneigt, so sank der Flüssigkeitsspiegel
im Steigrohr unter gleichzeitigem Versiegen des Tropfenfalles aus
der obersten Punktionsnadel.
Wenn ein gleicher Versuch am Menschen auch unausführ¬
bar ist, so spricht doch folgende Beobachtung für die Annahme,
dass auch beim Menschen die Verhältnisse gleich liegen. Aus
Gründen, welche wir später anführen werden, sind wir zu¬
weilen gezwungen, bei sitzender Frau gleichzeitig zwischen
1. und 2. sowie 4. und 5. Lumbalwirbel zu punktieren. Setzen
wir zunächst an der Punktionsnadel zwischen 4. und 5. Lumbal¬
wirbel das Steigrohr an, so bekommen wir bei der Lebenden,
abgesehen von Schwankungen der Flüssigkeitssäule im Steig¬
rohr bei der Atmung, einen Druck — sagen wir von 350 mm;
setzen wir dann das Steigrohr an der Punktionsnadel zwischen
1. und 2. Lumbal wirbel an, so stellt sich genau wie bei der
Leiche und im rierversuch das Flüssigkeitsniveau in beiden
Steigrohren in gleicher Höhe ein. Daraus dürfen wir wohl den
Schluss ziehen, dass wir auch beim Menschen an einem Null¬
punkt des Druckes ankommen, wenn wir in der Höhe des
obeien Flüssigkeitniveaus der Steigröhre den Subarachnoideal-
i aum punktieren, und dass wir oberhalb des Flüssigkeits¬
spiegels im Steigrohr bei Punktion des Subarachnoidealraums
keine Flüssigkeit mehr bekommen.
Aus diesen Versuchen und Beobachtungen ziehen wir den
Schluss dass der Liquor im Subaraehnoidealraum des Rücken¬
marks bei s i t z e n d e r Frau sich als ein Flüssigkeitssee dar¬
stellt dessen oberer Spiegel vermittelst eines Steigrohrs,
welches an einer im lumbalen Teile des Rückenmarkes em-
gestossenen Punktionsnadel angebracht ist, leicht zu finden ist.
Eine weitere Beobachtung ergibt, dass eine bei sitzender
Frau in den lumbalen Teil des Subarachnoidealiaums einge¬
spritzte Flüssigkeit, welche spezifisch leichter als die Spinal¬
flüssigkeit ist, sich nach ihrem oberen Flüssigkeitsspiegel hin
begibt und sich dort ansammelt, ohne zunächst weiter nach oben
im Subaraehnoidealraum aufzusteigen; späteres Aufsteigen
durch Kapillarattraktion im Subarachnoidealspalt ist selbst¬
verständlich nicht ausgeschlossen.
Wir geben einen diesbezüglichen Versuch an dei Leiche
wieder.
Wir spritzten eine Stovainlösung, welche spezifisch leichter als
die Spinalflüssigkeit und vorher mit Methylenblau gefärbt war bei
sitzender Leiche in den Subaraehnoidealraum zwischen 2 —3. Lumbal¬
wirbel ein, bestimmten im angesetzten Steigrohr das obere Flussig-
keitsniveau, warteten einige Minuten nach der Injektion, um dam
durch Punktieren in den verschiedensten Höhen des Ruckenmarks-
kanals uns über den Verbleib der blau gefärbten Losung zu in¬
formieren. Das Resultat war, dass bei der Punktion des Subarach-
noidealraums, dicht unterhalb des oberen Flussigkeitsmveaus im
Steigrohr, die Spinalflüssigkeit dunkelblau gefärbt war; je tiefer
nach dem Lumbalteile der Subaraehnoidealraum punktiert wurde, um
so weniger blau war die Spinalflüssigkeit gefärbt; untei halb der
Injektionskanüle war die Flüssigkeit ganz ungefärbt (siehe Abb. i).
I
’-2- ™ischen 5''6'
Abbildung 2.
Oberhalb des Flüssigkeitsniveaus im Steigrohr konnte keine FlüssiE-
keit angesogen werden. Die sofort vorgenommene Eröffnung des
Duralsackes nach Abtragung der Wirbelbögen bei p^1" Färbresultate
Stellung gehaltenen Leiche zeigte entsprechend dem Farbresultans
der Punktion eine Blaufärbung des Rückenmarkes bis zum Flussig-
keitsspiegel; am Halsteile fehlte jede Blaufärbung.
Ein gleicher Versuch ist an der Lebenden wiederum nicht
möglich, weil die Punktionen im oberen Teile des Halsmarks
nicht ungefährlich sind, dagegen dürfen wir aus gewissen Be¬
obachtungen schliessen, dass die Verhältnisse bei dei Leben
S Wie wir später sehen werden, anästhesieren wir bei den
sich aufDammundScheide beschränkenden Operationen
nur die sakralen Rückenmarkssegmente; wir machen dies
in der Weise, dass wir durch Zusatz von Kochsalz die anästhe¬
sierende Stovainlösung spezifisch schwerer als die Spma -
flüssigkeit machen und zwischen 1. und 2. Lendenwirbel in¬
jizieren Bei Laparotomien müssen wir hoher gelegene
Rückenmarkssegmente anästhesieren, hier bedienen wir uns
einer Stovainlösung, welche spezifisch 1 e 1 teJ
Spinalflüssigkeit ist. Da wir eimgemale nach emgetretener
Anästhesie das überschüssige Stovain sofort wieder aus dt
Subaraehnoidealraum entfernten, so konnten wir hier gleich¬
zeitig Beobachtungen über den Gehalt des Liquors an Stovain
in verschiedenen Höhen des Lumbalmarks bei verschieden
dichten Stovainlösungen anstellen.
In der ersten Serie wurde eine Stovainlösung, die spezifisch
schwerer als die Spinalflüssigkeit war, zwischen 1. und
2. Lendenwirbel injiziert; nach eingetretener Anästhesie wurde
zwischen 4. und 5. Lumbalwirbel punktiert und etwas Liquor
abgelassen. Die chemische Prüfung dieser Flüssigkeit auf
Stovain ergab stets sehr starke Reaktion. )
In der zweiten Serie wurde ebenfalls zwischen 1. und
2. Lumbalwirbel punktiert, aber eine Stovainlösung einge¬
spritzt, die spezifisch leichter als die Spinalflüssigkeit \\ ai ,
auch hier Hessen wir nach eingetretener Anästhesie zwischen
4 und 5 Lumbalwirbel etwas Liquor ab, konnten aber jetzt
hier keine oder nur ganz minimale Mengen von Stovain nach-
weisen. , . , , ,
Alle Verhältnisse ändern sich sofort, so¬
bald der Körper in Beckenhochlagerung ge¬
brach t w i r d.
Um sich über die Verschiebung der Spinalflüssigkeit im
Subaraehnoidealraum bei wechselnder Lage des Körpers eine
Vorstellung zu machen, bedienten wir uns zunächst des
Leichenversuchs. . , „ , T • u
Es wird der Subaraehnoidealraum -bei sitzender Stellung der Leiche
zwischen dem ersten und zweiten Lendenwirbel punktiert. Das anse¬
setzte Steigrohr zeigt eine Druckhöhe sagen wir von 220 mm. Wird
dann die Leiche langsam aus der sitzenden Stellung in die Horizontal¬
lage und schliesslich in Beckenhochlagerung ubergefuhrt, so sinkt die
Flüssigkeitssäule im Steigrohr allmählich zum Nullpunkt, dieser w t
im allgemeinen erst bei mässiger Beckenhochlagerung erreicht, wenn
dTe die Leiche tragende Tischplatte eine Neigung von 30° gegen
den Horizont zeigt. Verstärkten wir die Beckenhochlageiung so
weit dass wir die Leiche mit dem Kopf fast senkrecht nach unten
brachten so ergab die Punktion des Subarachnoidealraumes in den
verschiedensten Rückenmarkssegmenten Folgendes: InL ganzen Lum¬
balteile der Wirbelsäule trat aus der eingestossenen Punktionsnadel
keine Flüssigkeit mehr aus; wurde dagegen die Punktionsnadel in der
Gegend des Foramen magnum oder in der Gegend des Halsmarkes ein-
gestossen, so tropfte Liquor hervor und das im oberen Haisteil ein¬
gesetzte Steigrohr zeigte eine Flüssigkeitshöhe von ca. 200 mm an.
Es war also durch die Beckenhochlagerung eine Verschiebung des
Liquors eingetreten; der Liquor war weggeflossen aus dem lumbalen
Telle des Rückenmarkes und hatte, sich nach dem Halsteil hm begeben.
Wie steht es nun bei der Lebenden? Dass auch hier ein
gewisser Analogieschluss mit den Versuchen an der Leiche zu¬
lässig ist dafür dienen uns verschiedene Beobachtungen,
welche wir im Verlaufe unserer Rückenmarksanästhesien ge¬
macht haben.
Früher führten wir die Lumbalanästhesien in Horizontal¬
lage bezw. in leichter Beckenhochlagerung der Frau aus,
während wir sie jetzt in sitzender Stellung vornehmen. Wir
haben dann ferner entsprechend dem Rate mancher Operateure
früher direkt nach der in sitzender Stellung der Frau ^ge¬
nommenen Lumbalanästhesie die Frau in steile Beckenhoc -
lagerung gebracht. Da wir bei allen Injektionen gleichzeitig
die Kontrolle der Flüssigkeitshöhe im Steigrohr Vornahmen so
haben wir uns bei den verschiedenen Lagerungen der Frau
gleichzeitig über die dabei bestehenden Druckverhaltnisse
orientieren können. f wir
Aus den sehr zahlreichen Beobachtungen dürfen wir
folgende Schlüsse ziehen; Eine Punktion des Subarachnoideal-
raums zwischen 1. und 2. Lendenwirbel ergibt bei s 1 1 z e n d e r
Frau im Steigrohr eine durchschnittliche D r uckhohe von
350 mm- wird die Frau langsam aus der sitzenden Stellung in
Seitenlage auf die horizontal gestellte Operationsplatte gelegt,
so sinkt der Druck im Steigrohr auf ca. 120 mm,-’) um i erst Mann
den Nullpunkt zu erreichen, wenn wir die rischplatte gegen
den Horizont um 30° im Beckenteile heben. s°bald dann die
Operationsplatte wieder in Horizontallage gebracht und damit
die Beckenhochlagerung der Frau aufgehoben wird, erschein
allmählich die Flüssigkeitssäule im Steigrohr und steigt allmäh¬
lich vom Nullpunkt wieder auf 120 mm an. W lr erwähnen aber
ausdrücklich, dass Ausnahmen hiervon dann Vorkommen, we
die Frau bei der Beckenhochlagerung gleichzeitig angst ic
presst- es ist dann auch in Beckenhochlagerung bis zu 50 und
darüber hinaus eine gewisse Höhe der Flüssigkei tssaule im
Steigrohr nachzuweisen. Bei ruhig im Dämmerschlaf hegender
41 Herrn Prof. Gattermann verdanken wir eine schai fe Re¬
aktion auf Vorhandensein von Stovain in Pjof Jodkahum-Lösung
wir einen Tropfen Stovainlösung in verdünnte Jod-JoUkaiium postum
(Jod 1,0, Jodkalium 2,0, Aqu. 100,0) einfallen, so entsteht ein starker
Niederschlag. M r n n i ? . Rcrlin über
5) Vergleiche auch die Versuche von G. K r o n 1 g tsernn uoer
Lumbalpunktion.
1972
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Frau läuft dagegen der Versuch im allgemeinen nach den oben
angegebenen Gesetzen ab.
Wir dürfen aus diesen Beobachtungen schliessen, dass ähn¬
lich wie bei der Leiche auch bei der Lebenden die Spinal¬
flüssigkeit sich aus dem lumbalen Teile des Wirbelkanals mehr
oder wenig vollständig entfernt und in der Richtung nach der
Medulla oblongata zu strömt; wie weit sie allerdings bei der
Lebenden nach oben abfliessen kann, ob sie in jede m Falle
von steiler Beckenhochlagerung wirklich die Medulla oblongata
erreicht, das entzieht sich noch unserer Kenntnis. Axel Key
und Retzius haben es zwar sehr wahrscheinlich gemacht,
dass eine Kommunikation zwischen dem Subarachnoidealraum
des Gehirns und dem des Rückenmark vorhanden ist; ebenso
haben unsere Leichenversuche es wahrscheinlich gemacht, dass
eine Kommunikation des Subarachnoidealraums des Rücken¬
marks mit dem Subarachnoidealspalt an der Gehirnbasis besteht,
indem eine in den Lumbalteil des Subarachnoidealraums ein¬
gespritzte gefärbte Lösung nach steiler Beckenhochlagerung
der Leiche bis an die Hirnbasis abgeflossen war und hier das
Gewebe blau gefärbt hatte; auf der anderen Seite aber scheint
sich doch der freien Strömung der Subarachnoidealflüssig-
keit aus dem Rückenmarkskanal nach der Medulla oblongata
zu im oberen Zervikalteil ein gewisser Widerstand entgegen¬
zustellen, indem im oberen Zervikalteil nach Axel Key und
Retzius von der Höhe des zweiten Zackens des Ligamentum
denticulatum aus sich im vorderen Subarachnoidealspatium ein
klappenförmiges Segel ausspannt, welches nach der Art der
Aortenklappe die Strömung von dem Gehirn nach dem Rücken¬
markskanal zwar zulässt, dagegen die Strömung in entgegen¬
gesetztem Sinne aufhält.0)
Auf jeden Fall ist im übrigen Rückenmarkskanal bis
herauf zum 2. und 3. Halswirbel die Spinalflüssigkeit ganz frei
beweglich; das haben uns sowohl die oben angegebenen, als
auch nachfolgende Versuche gezeigt.
Bei horizontal liegender Leiche punktierten wir den Subarach-
noidealraum zwischen zwölftem Brust- und erstem Lendenwirbel,
sowie zwischen viertem und fünften Lendenwirbel. Die beiderseits
angesetzten Steigrohren ergaben gleich hohen b'lüssigkeitsspiegel (aa)
(siehe Abb. 3). Wir brachten jetzt in eine beiderseits offene Glasröhre
mit einem horizontalen und zwei aufsteigenden Schenkeln so viel
Flüssigkeit herein, dass bei Anlagerung des horizontalen Schenkels
Abbildung 3.
an die beiden Punktionsstellen (bb) der Flüssigkeitsspiegel in beiden
Glasröhren (cc) sich in ungefähr gleicher Höhe mit dem Flüssig¬
keitsspiegel in den beiden Steigrohren stellte. Senkten und hoben
wir jetzt die Tischplatte, auf welcher die Leiche lag, so, dass wir sie
entweder in Beckenhochlagerung oder in Kopfhochlagerung brachten,
so stellte sich (Abb. 4) der Flüssigkeitsspiegel in den beiden Steig¬
rohren genau parallel mit den Flüssigkeitsspiegeln in der kommuni¬
zierenden Röhre ein, womit bewiesen ist, dass in der Leiche die
°) Vor allem zeigen die oben schon erwähnten Präparate von
Gerstenberg und Hein, dass auch im Halsteil einige transversal
gestellte dünne Gewebsspangen den Subarachnoidealraum durch¬
ziehen, welche den Flüssigkeitsstrom aufhalten, aber nicht ganz hem¬
men können. (Anmerkung bei der Korrektur.)
Abbildung 4.
Die gleichen Verhältnisse wie bei der Leiche haben sich
uns auch aus Beobachtungen an der Lebenden ergeben ge¬
legentlich der aus therapeutischen Gründen vorgenommenen
Doppelpunktion des Lendenwirbelkanals. Auch hier nivelliert
sich genau so wie bei den Leichenversuchen der Flüssigkeits¬
spiegel in den Steigrohren mit der angesetzten kommunizieren¬
den Glasröhre; ein Beweis, dass das Resultat des Leichenver¬
suchs direkt auf die Lebende übertragbar ist.
Aus diesen Versuchen und Beobachtungen ziehen wir fol¬
gende Schlussfolgerungen für die Lumbalanästhesie:
L Die Ausbreitung der injizierten anästhesierenden Lösung
in der Subarachnoidealflüssigkeit ist abhängig von dem Dichtig¬
keitsverhältnis beider Flüssigkeiten.
2. Die Ausbreitung der anästhesierenden Lösung, die
spezifisch leichter als die Spinalflüssigkeit ist, findet bei der
Injektion in den lumbalen Teil des Subarachnoidealraums und
bei sitzender Stellung der Frau mit dem oberen Flüssigkeits¬
spiegel der Subarachnoidealflüssigkeit zunächst eine obere Ab¬
grenzung; späteres Aufsteigen durch Kapillarattraktion ist nicht
ausgeschlossen.
3. Die Ausbreitung der anästhesierenden Lösung im Sub¬
arachnoidealraum wird wesentlich durch die Beckenhochlage-
rung beeinflusst.
Wir sind bei der Lebenden ziemlich genau in der Lage,
aus den anästhesierten Hautbezirken einen Rückschluss auf die
Ausbreitung der anästhesierenden Lösung in den Rückenmarks¬
segmenten zu ziehen.
Nehmen wir den einfachsten Fall, dass wir in sitzen¬
der Stellung injizieren und bei der in sitzender Stel¬
lung verharrenden Frau die Anästhesie prüfen. Es wird sich
dann, vorausgesetzt, dass der Liquor bei sitzender Frau
eine ruhende Flüssigkeitssäule darstellt — in Wirklichkeit ist
ja geringe Bewegung entsprechend der Atmung und dem Pulse
vorhanden — , weiter vorausgesetzt, dass die Diffusion zwi¬
schen Injektionsflüssigkeit und Liquor nur eine ganz unter¬
geordnete Rolle für die Ausbreitung des Anästhetikums spielt,
praktisch folgendes Resultat ergeben:
Spritzen wir bei sitzender Frau — sagen wir zwischen
1. und 2. Lumbalwirbel — eine anästhesierende Lösung ein,
so wird sich sein Ausbreitungsgebiet richten nach dem
Verhältnis seines spezifischen Gewichtes
zur Spinalflüssigkeit.
Ist die injizierte anästhesierende Flüssigkeit (z. B. Stovain-
lösung) schwerer als die Spinalflüssigkeit, so werden nur
diejenigen Nervengebiete analgetisch werden, welche sich
u n t e r h a 1 b dieses Rückenmarkssegments befinden ; alle
darüber liegenden Nervengebiete werden keine Analgesie auf¬
weisen. Ist dagegen die analgesierende Flüssigkeit leichter
als die Spinalflüssigkeit, so ist das Resultat klinisch nicht ohne
weiteres vorauszusehen, da wir noch nicht wissen, ob das An-
ästhetikum, welches in den Subarachnoidealraum eingespritzt
Subarachnoidealflüssigkeit ebenso strömt wie in einer offenen
kommunizierenden Röhre.
Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1973
wird, so wirkt, dass die austretenden Nerven w u r z e 1 n
leitungsunfähig gemacht werden, oder dass eine Leitungsunter-
brechung im Rückenmark selbst statthat, dort, wo das
Anästhetikum ringförmig das Rückenmark umspült. Auf jeden
Fall werden die Verhältnisse für eine Analgesierung höher
liegender und weiter Gebietsteile dann günstig liegen, wenn
wir zur Injektion eine Flüssigkeit wählen, welche bei Zim-
m e r t e m p e r a t u r (22 °) spezifisch etwas schwerer als die
Spinalflüssigkeit bei Körpertemperatur (38 n) ist, bei K ö r p e r -
temperatur dagegen etwas leichter als die Spinalflüssigkeit
von gleicher Temperatur ist. Es wird sich dann nach Ver¬
suchen in vitro folgendes abspielen:
Ein zylindrisches Glasgefäss von der ungefähren Lichte und
Höhe des Rückenmarkskanals wird senkrecht au^esteUt, mit ^pma -
fliissigkeit angefüllt und in einem Wasserbad auf 38 erwärmt Es
wird dann eine blau gefärbte Losung von 22 . welche die oben
erwähnte Bedingung in Bezug auf spezifisches Gewicht erfüllt, duich
ein im unteren Drittel des Glasrohres angebrachtes Ansatzrohr in die
Spinalflüssigkeit eingespritzt. Die (langsam) uumexie I Hcif1? ,ach
sinkt zunächst etwas nach unten, steigt dann ganz allmählich nach
oben bis zum oberen Flüssigkeitsspiegel auf, wo sie sich als blau
gefärbter Ring sammelt. , .
Dieser Versuch auf die Lebende übertragen wurde fol¬
gende Art der Ausbreitung nach Injektion einer entsprechenden
anästhesierenden Lösung zwischen 2. und 3. Lendenwirbel er¬
geben: es wird die Injektionsflüssigkeit zunächst etwas nach
unten fallen, dann aber von Rückenmarkssegment zu Rucken-
markssegment bis zum oberen Spiegel der Spinalflussigkeit
aufsteigen und auf diesem Wege die austretenden Neiven-
wurzeln umspülen. , , A. An
Unsere bisherigen klinischen Versuche haben diese An¬
schauungen voll bestätigt. .f. »
Zum Verständnis ist zunächst die Kenntnis des spezifischei
Gewichts der Spinalflüssigkeit sowie der injizierten anasthe-
S‘er DifLtaalMsIgkejrzeäfbeim Menschen in allen (15) Fällen,
die ür bfsher ^untersucht haben, eine nur in der dritten Dezimale um
eins schwankendes spezifisches Gewicht.
Spezifisches Gewicht der Spinalflüssigkeit (bezogen auf Wasser
von + 4°C) betrug in 8 Fällen:
bei 38° C. = 0,999
„ 30° C. = 1,002
„ 22° C. = 1,004.
Spezifisches Gewicht der Spinalflüssigkeit (bezogen auf Wasser
von + 4° C) betrug in 7 Fällen:
bei 38° C. = 1,000 7)
„ 30° C. = 1,003
„ 22° C. = 1,005.
Die in Ampullen käufliche Stovain-Billonlösung (ohne Adrena¬
lin), zeigte in allen Fällen ein stets konstantes bis in die dritte
Dezimale übereinstimmendes spezifisches Gewicht.
Spezifisches Gewicht der käuflichen Stovain-Billonlosung (be¬
zogen auf Wasser von "F 4° C) beträgt.
bei 38° C. = 0,998
„ 30° C. = 1,001
„ 22° C. = 1,003.
Die käufliche Stovain-Billonlösung ist also, verglichen mit der
Spinalflüssigkeit der ersten Serie: .
bei 22° C. um 0,003 schwerer als die Spinalflussigkeit
dagegen ” 38° C. „ 0,002 leichter als die Spinalflussigkeit bei
Körperwärme (38° C.).
Wir haben das spezifische Gewicht bei 30° deswegen noch be¬
sonders angegeben, weil sich die gewöhnlich bei Zimmeitempeiatui
(2?°) gehaltene anästhesierende Lösung bei unserem Verfahren der
Rückerimarksanästhesie, bei welchem wir vor der Sektion zu der
in der Spritze befindlichen Lösung gewöhnlich ein gleich grosses
. Ouantum Liquor aspirieren, nach zahlreichen Messungen in der .putze
auf ca. 30° erwärmt. ,
Wir spritzen also bei Lumbalanästhesien mit der käuflichen
Stovain-Billonlösung eine Flüssigkeit ein, welche bei der In¬
jektion sich etwas schwerer als die Spinalflussigkeit veihalt,
dann aber bei der Erwärmung im Subarachnoidealraum aut
38 0 spezifisch leichter als die Spinalflüssigkeit wird, also lang¬
sam nach oben steigt.
Ganz anders werden sich die Verhältnisse sofort gestalten,
wenn wir nicht die im Handel befindliche Stovain-Billonlösung
einspritzen, sondern diese Lösung vorher mit Kochsalz be¬
schweren.
Nehmen wir ein Beispiel: Wir versetzen 1 ccm der käuf¬
lichen Stovain-Billonlösung »mit 0,3 ccm einer 10 proz.
Kochsalzlösung und bekommen dadurch eine Lösung von fol¬
genden spezifischen Gewichtsverhältnissen:
Spezif. Gewicht (bezogen auf Wasser von -j- 4° C.):
bei 38° C. = 1,012
„ 30° C. = 1,015
„ 22° C. = 1,017
Wird diese so beschwerte Stovainlösung bei 30 0 C.
zwischen 1. und 2. Lumbalwirbel injiziert, so sinkt sic sofort
nach unten und hebt sich auch nicht wiedei, weil auch bei dei
Erwärmung auf Körpertemperatur auf 38 ihr spezifiches Ge¬
wicht immer noch schwerer als die Spinalf lüsigkeit ist. Machen
wir mit einer so beschwerten Stovainlösung den obigen Ver¬
such in vitro, so sinkt die blau gefärbte Lösung, am Ansatzrohr
eingespritzt, sofort nach unten und bleibt unten.
Injizieren wir diese nach dem verschiedenen Gewicht ver¬
schiedenen Stovainlösungen, so bekommen wir ganz ver¬
schiedene Ausbreitung der anästhetischen Hautbezirke.
Der leichteren Uebersicht halber geben wir zwei Zeichnungen
nach Seiffer (Abb. 5 und 6) wieder, welche die Innervierung der
7) Die spezifischen Gewichtsbestimmungen sind im hiesigen
chemischen Institut pyknometrisch durch Prof. Gatter -mann aus¬
geführt.
Haut der unteren Extremitäten nach den Rüokenmarkssegmenten dai-
stellen einmal die Vorder-, dann die Rückseite. Man erkennt aus
den Abbildungen, wenn wir nur das für uns Wesentliche heraus¬
greifen dass die Vorderfläche des Oberschenkels sowie die Haut des
Schambergs in das Gebiet des Nervus lumbalis I— IH, dass dagegen
die Vorderfläche des Unterschenkels und des Fusses in das ^eGet
des Nervus lumbalis IV und V, sowie des sacialis I und II fallen.
Haut der Innenseite des Oberschenkels wird von dem Lumbahs I
versorgt während die Haut der Innenseite des Unterschenkels von
dem Lumbalis IV und V sensible Fasern enthalt. Die Haut über den
niiitflppn die Haut der Vulva, des Damms, sowie die Ruckilacne ues
Oberschenkels und eTnes kleinen Teils des Unterschenkels gehört den
Sakralnerven zu.
Spritzen wir die mit Kochsalz beschwerte 8 tovain-
lösung bei sitzender Frau in der Gegend des 2 urid 3. Lumba "
Wirbels ein und belassen wir die Frau in sitzendet -te g,
so zeigt sich fast stets das gleiche Resultat Alle Hautgebic ,
welche von Nervengebieten, die oberhalb des Lumbali
liegen versorgt werden, bleiben sensibel; die Hautgebiete,
welche dem Nervus lumbalis IV und V vor allem abei ic
Hautgebiete, welche dem Plexus sacrahs angehoren, s
1974
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
anästhetisch; mit andern Worten: die Haut des Schambergs,
die Bauchhaut, die Vorder fläche des Oberschenkels ist
schmerzempfindlich, die Haut vom Knie ab ist mit Ausnahme
einer kleinen Zone an der Tibia und der Innenfläche des Fusses
meist schmerzunempfindlich; stets unempfindlich ist die Haut
der Hinterfläche des Oberschenkels, die Haut der Hinterbacken,
des Damms und des grössten Teils der Vulva; an der Vulva liegt
die Grenze zwischen schmerzunempfindlicher und schmerz¬
empfindlicher Hautzone ungefähr in der Mitte der Symphyse.
Aehnlich verhält sich auch die motorische Funktions¬
störung. Die Muskeln, welche vom Plexus sacralis versorgt
werden, sind in Afunktion, meist auch die Muskeln, die vom
Lumbalis IV und V versorgt werden; dagegen werden stets die
Muskeln, welche von den oberen Lumbalnerven versorgt
werden, willkürlich bewegt.
(Schluss folgt.)
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Breslau (Direktor: Geh.-
Rat Prof. Dr. K ü s t n e r).
Welche Anforderungen sind an eine korrekte Methode
der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft
zu stellen?*)
Von Privatdozent Dr. Walther Hannes, Oberarzt der Klinik.
Da es vom ärztlich wissenschaftlichen als auch vom
ethisch sozialen Standpunkt aus statthaft ist, eine Gravidität
nur dann zu unterbrechen, wenn aus der Fortdauer der
Schwangerschaft Schädigungen und zwar ernste und schwer¬
wiegende, also lebensgefährliche Schädigungen der Mutter oder
deren Leibesfrucht oder beiden drohen, so werden wir bei
Ausführung dieser Unterbrechung unser Augenmerk darauf zu
richten haben, dass der schwangeren Frau durch unser ärzt¬
liches Handeln kein Nachteil für ihre Gesundheit, keine Ge¬
fährdung ihres Lebens erwachse. Eine Rücksichtnahme auf
die Leibesfrucht, auf deren Gesundheit wird nur insoweit in¬
tensiv unser Vorgehen, die Wahl der Methode beeinflussen
können, wenn die Geburt künstlich von uns in Gang gebracht
gebracht wird, um das intrauterin lebende Kind zu behüten vor
ernsten Gefahren, welche seinem Leben durch Fortbestehen
der Schwangerschaft drohen; kurz, wenn wir vorzeitig die
Tragezeit unterbrechen, weil sonst bis zum physiologischen
Ende derselben oder bei dem Geburtsakte am normalen Ter¬
min die Frucht zu Grunde gehen könnte. Haben wir somit bei
der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft bis zur
28. Woche, welcher Zeitpunkt ja die Mindestgrenze für die
Tragezeit eines menschlichen Fötus darstellt, welcher extra¬
uterin weiter am Leben erhalten werden kann, — haben wir so¬
mit vor der 28. Schwangerschaftswoche beim künstlichen
Abort nur unsere ärztliche Fürsorge zu richten auf die Mutter,
so müssen wir bei künstlicher Unterbrechung der Schwanger¬
schaft von diesem Zeitpunkte ab, bei der künstlichen Früh¬
geburt so Vorgehen, dass möglichst auch das Kind wenigst
geschädigt wird und lebensfrisch das Licht der Welt erblickt.
A priori werden wir also hoffen dürfen, mit denjenigen Mass¬
nahmen am meisten und das Beste für die in Betracht kommen¬
den Menschenleben leisten zu können, welche die künstlich
inszenierte vorzeitige bezw. frühzeitige Geburt ablaufen
machen ganz ähnlich und ganz analog wie einen spontanen,
physiologischen Gebärakt. Es wird diejenige Methode die
rationellste sein, mittels deren es möglich ist, rhythmische,
brauchbare Wehen auf physiologischem Wege auszulösen, die¬
selben in Gang zu halten und die Geburtsarbeit d. h. die völlige
Ausstossung des entwickelten Eies durch die angeregten
Wehen spontan leisten zu lassen.
Auf Grund der Arbeiten Keilmanns, Knüppfers,
Weidenbau m s und in neuester Zeit von Jung sind wir
wohl berechtigt zu sagen, dass die zu beiden Seiten und hinter
den unteren Partien des Uterus, der Zervix, gelegenen
Ganglienhaufen es sind, welche von den Insulten des bei der
Entfaltung der Zervix immer tiefer herabrückenden unteren
Eipoles immer mehr und intensiver und in immer grösserer
Ausdehnung getroffen werden, dass diese Ganglien es sind,
welche gereizt, schliesslich die rhythmischen Wehen auslösen
und die Geburt in Gang kommen machen. So kann es nicht
Wunder nehmen, dass sehr bald alle die vielen früheren, zur
künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung ersonnenen, meist
recht unsicheren, langwierigen und dadurch oft recht gefähr¬
lichen, sowohl medikamentösen als instrumenteilen Methoden
immer mehr verlassen wurden und noch verlassen werden zu
Gunsten desjenigen Verfahrens, welches aufgebaut ist auf
diesen, physiologischen Vorgängen entnommenen Anschau¬
ungen d. i. die Erregung von Wehen mittelst eines intrauterin
plazierten Gummiballons, der sogen. Hystereuryse oder Me-
treuryse. Zur Technik und Wirkungsweise hier nur soviel,
dass ein gewöhnlicher Braun scher Kolpeurynter zigarren¬
förmig zusammengefaltet, in ein kornzangenartiges Instrument
geklemmt durch den noch vorhandenen Zervixteil hindurch in
das schon entfaltete obere Zervixsegment geführt, dann die
Zange entfernt und nunmehr die Gummiblase mit einer sterilen
oder leicht antiseptische Flüssigkeit entsprechend gefüllt wird.1)
Durch einen leichten Zug am Schlauch mittels mässiger Ge¬
wichtsbelastung wird der Ballon fest in seiner Lage fixiert und
drückt nun dauernd auf die dort gelegenen wehenmachenden
Organe, auf die parazervikalen Frankenhäuser sehen
Ganglien, reizt diese durch ständigen Druck und löst so physio¬
logische rhythmische Wehen aus, welche schliesslich als vis a
tergo wirkend den Ballon immer tiefer hinabtreiben, die Portio
zum Verstreichen und den äusseren Muttermund zur Er¬
öffnung bringen und schliesslich den Ballon austreten machen,
wenn der Muttermund eine der grössten Zirkumferenz des leicht
bimförmigen Ballons analoge Erweiterung erreicht hat. Die
Eröffnung der weichen Geburtswege durch den Ballon erfolgt
also ganz auf physiologische Weise und wird der Ballon
schliesslich durch richtige Geburtsvorgänge zum Ausstossen
gebracht. Dies ist zu betonen darum, weil mancherseits noch
immer die fehlerhafte Anschauung besteht, als werde durch den
Hystereurynter der Muttermund gedehnt und der Ballon selbst
durch die Gewichtsbelastung durch die Weichteile hindurch¬
gezogen. Je nachdem, zu welcher Zeit der Schwangerschaft
diese unterbrochen werden soll, wählen wir die Ballongrösse
kleiner oder umfänglicher und variieren dementsprechend auch
die Menge der Füllflüssigkeit. Ist es somit auch klar, dass
diese Methode der Wehenerregung — der Tokokinese — auf
physiologischer Basis die vorzeitige bezw. frühzeitig künstlich
hervorgerufene Geburt in Gang bringt, so ist nun noch zu
untersuchen, ob sie auch den übrigen billigen Anforderungen
genügt, zunächst ob nach Geburt des Ballons auch weiterhin
noch die Bedingungen für einen spontanen, regelrechten Ge¬
burtsablauf geschaffen werden.
Dies ist sehr wohl der Fall. Auf diesen Punkt, welcher ja
für den vollen günstigen Erfolg unseres ärztlichen Handelns
dann recht bedeutsam in Frage kommt, wenn wegen Becken¬
enge frühzeitig die Gravidität unterbrochen wurde, um mit
möglichst grosser Sicherheit ein lebendes und lebensfähiges
Kind zu erzielen, auf diesen Punkt muss ich hier etwas näher
eingehen, weil von manchen Seiten behauptet wird, nach Aus¬
stossung des Hystereurynters könne die Geburt nicht weiter
spontan verlaufen, da Lageabweichungen durch den wehen¬
machenden Ballon geschaffen worden seien. Hier nur so viel,
dass unsere nunmehr 12 jährige Erfahrung mit dieser Methode
an der Klinik lehrt, dass bei Erhaltung der Fruchtblase, welche
sehr wohl möglich ist, Lageabweichungen, welche sich nach
Geburt des Tokokineters nicht selbst korrigierten oder sich
leicht durch äussere Handgriffe nicht korrigieren lassen, so
gut wie gar nicht von uns beobachtet wurden. Das ist darum
so zu betonen, weil gerade in neuester Zeit namentlich auf
Grund solcher anderwärts beobachteter Lageanomalien des
Kindes, so vorwiegend durch v. Herff und seine Schüler
dafür plädiert wird, diese schon vielerorts eingebürgerte
Wehenerregungsmethode wieder zu ersetzen durch den von
Paul Scheel im Jahre 1756 empfohlenen Eihautstich.
Ist es auch zweifellos möglich, wie dies v. Herff ja und
seine Schüler gezeigt- haben,1 mit dieser Methode zufrieden-
1) Näheres über die Technik cf. Hannes: Beiträge zur An¬
wendungsweise der Hystereuryse. Verh. d. 'dtsoh. Qes. f. Gyn.,
Kiel 1905.
*) Nach einem Vortrage.
1975
stellende Resultate zu erzielen, so ist doch dagegen zu erinnern,
vom Standpunkt des exakt physiologisch denkenden Geburts¬
helfers dass wir bei dieser Methode künstlich einen Zustand
schaffen, der mit Recht von jeher in der Geburtshilfe wenig
erwünscht war, d. h. den vorzeitigen Wasserabfluss mit allen
ihm innewohnenden nachteiligen Folgen für Wehenstärke, Ge¬
burtslänge und Lebensfrische des Kindes. Keineswegs erfüllt
eine mittels Eihautstiches hervorgerufene Geburt die an sie
zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Zeitdauer, in
welcher sie zu Ende läuft. Während nämlich bei der Hyster-
euryse selbst bei muskelschwächsten und torpidesten Uten im
Durchschnitt innerhalb 22 Stunden der ganze I artiis ablauft,
dauert dies bei dem Blasenstich 70-80 Stunden. Danut er¬
wachsen bezw. können erwachsen für Mutter und Kind Schädi¬
gungen und Gefahren, vor deren Möglichkeit selbst wir beide
bei Einleitung der künstlichen Geburt bewahren sollen Wenn
auch in gut geleiteter klinischer Anstalt trotz protrahierten Vci-
laufes gute Resultate mit der Eihautstichmethode zu erzielen
sind, so ist deswegen meines Erachtens eine Verallgemeinerung
für die Praxis doch nicht ohne weiteres statthaft.
Wie steht es nun aber mit der Hystereuryse hinsichtlich
der Frage, ob aus ihrer Anwendung Nachteile oder schwere
Schädigungen für die Mutter erwachsen können? Uie lat-
sache allein schon, dass wir an der hiesigen Klinik, wo diesw
Methode seit nunmehr über 12 Jahren in systematischer, aus¬
giebiger Weise geübt wird, nie eine einzige schwere, an die
hF'stereuryse sich anschliessende Wochenbettserkrankung ge¬
sehen haben, spricht für die völlige Ungefährlichkeit dieser
Methode in gedachter Richtung. Dies ist auch nicht ver¬
wunderlich; ist es doch vollkommen möglich, namentlich bet
Einführen des Ballons im Spekulum, die Methode völlig asep¬
tisch zu installieren, und da die Ablaufszeit der so künstlich m
Gang gebrachten Geburt mit einer Durchschnittsdauer von
2? Stunden völlig im Bereich und in den Grenzen einer physio¬
logischen Geburtsdauer sich bewegt, so können auch daraus
bezüglich einer möglichen Infektion bei sonst prophylaktisch
gut geleitetem Partus keinerlei Nachteile für die unserei Obhut
anvertrauten Schwangeren erwachsen; dies geht zur Genüge
aus den Publikationen aus unserer Klinik von K e llma n n,
Deckart Silbermann und mir, welche sich mit diesem
Gebiet beschäftigt haben, hervor. Auch für die Vermeidung
von Infektion ist es nicht unwichtig, immer als Richtschnur im
Auge zu behalten, dass wir mit dem Hystereurynter nur Wehen
anregen wollen, dass die übrige Geburtsarbeit aber geleistet
werden soll durch diese so erzeugten Wehen, dass also die
Hystereuryse an sich noch gar keine operative Beendigung
der Geburt bedinge. Künstlich ist nur le r
regung, die Anbahnung der Geburt, aber die
Geburtsbeendigung, der Austritt des Kindes
soll spontanerfolgen. , , f
Erfüllt nun auch somit die Hystereuryse alle die Anfor¬
derungen, welche wir an eine Methode zur künstlichen Unter-
brechung der Schwangerschaft hinsichtlich der Promptheit und
Sicherheit und Raschheit der Wirkung und hinsichtlich der Un
gefährlichkeit stellen; erfüllt sie auch alle diese billigen For¬
derungen in hohem Mass, ganz anders als die übrigen ca. 8U
an der Zahl betragenden, im Laufe der Jahrzehnte und Jahr¬
hunderte angegebenen Wehenerregungsmethoden, auf welche
ich hier nicht näher einzugehen brauche, weil sie zum grössten
Teil zurzeit immer mehr verlassen werden und ausser Ge¬
brauch kommen, so fragt sich noch: kommen wir überall, wo
wir aus strenger Indikation die Schwangerschaft mehr weniger
weit vor ihrem normalen Ende unterbrechen, mit dem in ra
uterinen Ballon gut und befriedigend zum Ziele, oder gibt es
doch Verhältnisse, unter denen es eventuell unmöglich oder
unzweckmässig ist, den Ballon als Tokokineter zu verwenden.
Wenn wir nun auch die Möglichkeit haben, uns derartige
Gummiblasen in allen nur denkbaren Glossen anfertigen zu
lassen und diese dann zur Verwendung zu bringen, je nachdem,
in welchem Graviditätsmonat wir die Schwangerschaft unter¬
brechen müssen, so möchte ich, doch den Ballon nicht empfehlen
für die ja überaus seltensten Fälle, wo wir schon in den aller¬
ersten Wochen der Tragezeit, also im 1.-2. Schwangerschafts¬
monate, gezwungen sind, das Ei zu eliminieren, weil hiei se s
kleinste Ballons — wir haben welche anfertigen lassen, welche
nur etwa 2 cm Durchmesser besitzen — für die in dieser Zeit
ja erst ganz unwesentlich vergrösserten Uterushöhle einen zu
grossen, einen bedenklich grossen Inhaltszuwachs darstellen
können. Wenn wir also in diesem Abschnitte der Gravidität
unbedingt diese vernichten müssen und kaum Möglichkeit be¬
steht, noch einige Wochen zu warten, so empfiehlt sich als am
vorteilhaftesten eine Verwundung des Eies mit einigen Küiette-
ztigen, wobei es wohl gleichgültig ist, ob die Intaktheit der
Eiblase gewahrt bleibt oder nicht. So kommt es zu einer
kleinen Blutung und das in der Zervix verbleibende und ge¬
rinnende Blut wirkt wehenerregend durch Druck auf die para¬
zervikalen Ganglien. _
Wenn wir somit auch eigentlich doch immer in allen in
Betracht kommenden Fällen, wo wir genötigt sind, die
Schwangerschaft zu unterbrechen, mit der Hysteiemysc nus¬
kommen und damit allen den Anforderungen gerecht werden,
welche hinsichtlich prompter, physiologischer und gefahrloser
Wirkungsweise an eine derartige Methode gestellt werden
müssen, so begegnen wir doch einer ganzen Reihe von r allen,
wo namentlich im Interesse der höchstgradig gefahideten
Mutter, gewöhnlich nicht mehr fern ab vom normalen Ende
der Schwangerschaft, eine Entleerung des Uterus viel lascher
wünschenswert und erforderlich ist, als eine auf physiologi¬
schem Wege es leisten kann, wo entweder der Geburtsakt an
sich eine schwerste Schädigung für die Mutter dai stellt, ich
nenne hier nur den inkompensierten Herzfehler, oder wo eine
möglichst umgehende Entfernung der Frucht bei noch un-
eröffneten Weichteilen höchst wünschenswert ist, ich nenne
hier nur die Eklampsie. Bei der Schwangerschaftunterbrechung
aus diesen strengen Indikationen, wo ein Accouchement force
erforderlich ist, konkurrieren immer noch zwei Vertahren mit
einander bis zu einem gewissen Grade, wenn auch entschieden
die Wage korrekter Anerkennung sich immer mehr zu Gunsten
der völlig auf chirurgischen Prinzipien aufgebauten Methode
neigt, zu Gunsten des von Dührssen ersonnenen und dann
namentlich von B u m m modifizierten vaginalen Kaiserschnittes
bezw. der Hysterostomia anterior. Das andere Verfahren,
fussend auf dem Gedanken, mittels eines MetalldilaJators den
Muttermund bezw. die Zervix dehnen zu wollen und so zu er¬
weitern, welches Bossi ersann, und mittels eines dazu kon¬
struierten Instrumentes ausführte, hat die darein gesetzten
Hoffnungen keineswegs erfüllt.
Sehr bald wurde klar, dass man bei Anwendung dieses Ver¬
fahrens nicht wissen könne, wo die Dehnbarkeit der Gewebe
und damit die Möglichkeit sie dehnend zu erweitern aufhore
und demzufolge dann anfange das Gewebe zu reissen, zu
reissen an unerwünschten, schlecht übersichtlichen und schwer
zugänglichen Stellen; diese so unfreiwillig gemachten Risse
können unliebsam weit gehen und stellen mit ihren v on den
Branchen des Instrumentes gequetschten, unregelmassig
Wundrändern schwere, oft kaum erfüllbare Anforderungen an
die chirurgische Versorgung dieser Teile. Auch die mehr
armigen und vielarmigen, als Modifikation dey.lu;spri^f ' ^
Bossischen Instrumentes anzusehenden Dilatatoren \on
Frommer, deSeigneuxu. a. konnten vor diesen höchst
unliebsamen Vorkommnissen nicht schützen. Alle bei der -
Stellung dieser oft unübersehbaren Verletzungen in Betracht
kommenden Faktoren hat v. Barde leben genau erläutert
und untersucht, worauf ich hier nur andeutungsweise eingehen
Demgegenüber besitzen wir für die Fälle, wo es dringlich
geboten ist, umgehend den graviden Uterus zu(ent'Vn sie zu
vorzügliche Methode, welche allen in s°lchef V® K ‘fser-
stellenden Anforderungen entspricht, in dem vaginalen Kaisei
schnitt Schon 1889 von Dührssen mit vielem Nachdruck
empfohlen, hat es doch einer ganzen Reihe von Jahren bedurft,
um ihn die allgemeine Anerkennung und Al™el^uJg ^“der
lassen wie dies nunmehr der Fall ist. Durch Inzision a
vorderen und hinteren Zervixwand bezw nur der vorderen
Zervixwand wie dies B u m m tat, wird eine Oeffnung im
Uterus geschaffen, welche genügt, um ^^^^yy^odef^mit
Kind bequem entwickeln zu können, sei es mit Zc ^ d-
Wondnmi und Extraktion. Der ungeheuer grosse Vorteil diesei
Methode gegenüber dem Verfahren Bo s s i s liegt ganz augen¬
fällig zunächst einmal in der Zeitdauer des Eingriffes. a re
1976
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
bei Dilatation mit Bossi und den gleichwertigen Instrumenten
es doch immerhin 30 — 45 Minuten dauert, bis das Kind elimi¬
niert werden kann, so ist gewöhnlich beim vaginalen
Kaiserschnitt 5 — 10 Minuten nach dem ersten, die vordere
Muttermundslippe durchtrennenden Scherenschlage das Kind
schon geboren, namentlich, wenn man die Zange der blutigen
Erweiterung folgen lassen kann. Ist dann das Kind entwickelt,
so hat man glatte, ebene Wundränder vor sich, die sich mit
Bequemlichkeit exakt durch Naht versorgen lassen. Die in ge¬
höriger Länge und Ausdehnung angelegten Inzisionen haben
auch nie die Tendenz weiter zu reissen, wie das oft die durch
das Bossi sehe Instrument entstehenden Dehnungsrisse ins
Ungemessene tun. Ist nun mithin auch die Eröffnung der
Zervix durch Schnitt der Methode Bossi an Raschheit über¬
legen, setzt erstere auch besser zu versorgende Wunden, als
die durch Bossis Instrument eigentlich immer entstehenden
Risse es sind, so ist doch von einigen Seiten dem vaginalen
Kaiserschnitt der Vorwurf grosser Blutigkeit gemacht worden;
man hat gesagt, dass die Frauen in kurzer Zeit sehr beträcht¬
liche, eventuell sogar zu grosse Mengen Blutes verlören. Doch
ist dem bei korrekter Ausführung der Inzision keineswegs so.
Wenn man sich nämlich beim Einschneiden genau in der Mitte
hält, so blutet es schon viel weniger, als wenn man nach links
oder rechts von der Mittellinie mit dem Schnitte abkommt.
Fasst man ferner ganz systematisch schrittweise an den durch¬
trennten Zervixpartien mit Hakenzangen nach und zieht sie
herunter, so wird damit wiederum ein erheblicher Teil Blut¬
stillung geleistet, also auch dieser Vorwurf ist zurückzuweisen.
Gewiss möchte ich keineswegs empfehlen, wie dies manche
taten und wenige auch noch tun, den vaginalen Kaiserschnitt
bei und wegen Placenta praevia zu machen. Hier allerdings
bei dem abnormen Gefässreichtum der Zervix infolge der
fehlerhaften Plazentation ist die Gefahr sehr abundanter Blu¬
tungen eine grosse, wozu noch die ziemlich grosse Möglichkeit
der Luftabsorption durch die grossen eröffneten Venen mit
konsekutivem Luftherzen kommt. Die Prima intentio ist —
geeignete Asepsis vorausgesetzt — bei den durch Inzision ge¬
setzten Wunden eine vorzügliche, während die durch das
Bossi sehe Instrument gesetzten Quetschwunden viel mehr
zur Infektion neigen, und somit oft die Prima reunio ausbleibt.
Mag man nun nach der ursprünglichen Angabe Diihrssens
vordere und hintere oder nach Bumms Vorschlag nur die
vordere Zervixwand einschneiden, immer kann die Operation
ablaufen ohne Eröffnung des Peritoneums. Dies macht den
vaginalen Kaiserschnitt zu einem erheblich viel kleineren Ein¬
griff, als es der klassische Kaiserschnitt ist, mit welchem man
ja auch in wenigen Minuten bei völlig uneröffneten Geburts¬
wegen den graviden Uterus entleeren kann. Darum ist auch
in den letzten Jahren die klassische Sectio caesarea in allen
diesen Fällen, wo bei uneröffneten weichen Geburtswegen es
dringendst not tut, umgehend zu entbinden, vom vaginalen
Kaiserschnitt verdrängt worden.
Fassen wir zum Schluss zusammen, so ist zu sagen: Die
Einleitung der künstlichen Geburt mittels Hystereuryse ent¬
spricht in allen Punkten den gerechten und notwendigen An¬
forderungen, welche an eine solche Methode zu stellen sind.
Bei der Hystereuryse kommt es zur Wehenauslösung, zur
Wehenerregung auf ganz physiologischem Wege, durch Reiz
derjenigen Nervenelemente, von welchen aus auch normaler¬
weise die Wehentätigkeit und somit der Gebärakt ausgelöst
werden. In allen den Fällen, wo ein Accouchement force not¬
wendig ist, stellt die glatte Schnittmethode in Gestalt des so¬
genannten vaginalen Kaiserschnittes das Verfahren der Wahl
dar. Auf diese Weise ist es möglich, unter Schaffung ausge¬
zeichneter chirurgischer Wundverhältnisse binnen wenigen
Minuten selbst bei ganz uneröffneten Weichteilen zu entbinden.
Ausgerüstet mit diesen zwei gut ausgebildeten Methoden
können wir alle die übrigen Verfahren entbehren und über Bord
werfen, welche angegeben werden, um die schwangere Gebär¬
mutter künstlich und vorzeitig zur Ausstossung des Eies anzu¬
regen bezw. dieselbe zu ermöglichen.
Aus der deutschen Universitäts-Frauenklinik (Professor
v. Franquein Prag).
Bakteriologische Untersuchungen von Laparotomiewunden
bei verschärftem Wundschutz, insbesondere bei Gau-
daninbehandlung.*)
Von Privatdozent Dr. F. Schenk und Dr. A. Scheib.
Vor ungefähr 6 Jahren von Schenk und Lichten-
Stern aus der hiesigen Klinik veröffentlichte Untersuchungen
über den Keimgehalt aseptischer Wunden haben in Uebcrein-
stimmung mit Bossowski, Tavel, Büdinger, Lanz
und Flach, Baginsky, Schl off er, D öder lein,.
Brunner, H a e g 1 e r u. a. ergeben, dass solche Wunden in
den meisten Fällen verschiedenartige Keime enthalten. Die
Untersuchungen der Wunden selbst wurden in der Weise ange¬
stellt, dass nach Desinfektion des Operationsterrains ein
Stückchen der Bauchhaut, sowie nach Schluss der Faszie ein
exzidiertes Fettklümpchen auf den Keimgehalt geprüft wurden,
wogegen die Untersuchung des Wundsekretes in folgender
Weise geschah: Nach Schluss der Faszie wurden je nach der
Grösse der Wunde zwei bis vier ca. 6 cm lange sterilisierte
Seidenfäden in die Wunde derart eingelegt, dass zwei Drittel
ihrer Länge in der Wunde lagen, ein Drittel aussen blieb. Zu
verschiedenen in den einzelnen Untersuchungsprotokollen no¬
tierten Zeiten wurde je ein Faden derart entfernt, dass mit zwei
sterilisierten Pinzetten die Hautränder voneinander abgehalten
wurden, während mit einem dritten Instrument der Faden an
seinem aussen liegenden Teil erfasst und unter sorgfältiger
Vermeidung jeder Berührung der Hautränder aus der Wunde
gezogen wurde. Der Faden wurde hierauf entsprechend ge¬
kürzt und nur der in der Wunde befindliche Teil zur bak¬
teriologischen Untersuchung verwendet.
Bevor wir auf die hiebei gewonnenen Resultate eingehen,
wollen wir in kurzem die damals auf der Klinik übliche Des¬
infektion erwähnen. Das Operationsterrain wurde in folgender
Weise desinfiziert: Vollbad am Vorabend der Operation,
Rasieren der Pubes, Waschen mit Mandelseife oder Saenger-
scher Sandseife, Aether, Alkohol, Sublimat, Sublimatumschlag
über Nacht.
Unmittelbar vor der Operation nochmaliges Waschen mit
Seife, Aether, Alkohol, Sublimat. Die Desinfektion der Hände
geschah mittels S a e n g e r scher Sandseife und Sublimat.
Ausser einem sterilen Operationsmantel, dessen Aermel bis zum
Ellbogen reichten und einer Leinwandkappe kamen keine son¬
stigen aseptischen Massnahmen, wie Handschuhe, Mund¬
binden u. dgl. zur Anwendung.
Die bakteriologische Untersuchung ergab folgende Re¬
sultate:
Die vor der Operation exzidierten Hautstückchen erwiesen
sich unter 38 Fällen 25 mal steril — 13 mal keimhaltig. Bei den
13 keimhaltigen Fällen fand sich mit Ausnahme eines Falles,
bei dem Bazillen nachgewiesen Wurden, immer der Staphylo-
coccus albus.
Die nach der Operation, resp. nach Schluss der Faszie
exzidierten Fettkliimpchen erwiesen sich in 38 untersuchten
Fällen 38 mal als keimhaltig.
In allen diesen Fällen war üppiges Wachstum. Es fanden
sich: 1 mal Bazillen, 25 mal Staphylococcus albus und 4 mal
grosse Doppelkokken, 7 mal dieselben mit Staphylococcus
albus.
Was das Wundse^ret anbelangt, so war dasselbe von 43
untersuchten Fällen nur 11 mal steril; die gefundenen Keime
waren vorwiegend der Staphylococcus pyogenes albus und
mu einmal neben diesem der Staphylococcus pyogenes aureus*
einmal Bazillen.
In klinischer Hinsicht konnten wir die Beobachtung
machen, dass bei sonst tadellosem Verlauf häufig Anstiege auf
38° und darüber in den ersten Tagen nach der Operation
auftraten.
Wir wiesen seinerzeit auf das öfter zu beobachtende Miss¬
verhältnis zwischen den Temperaturverhältnissen und den
bakteriologischen Befunden hin. Wir fanden Fälle, bei denen
*) Auszugsweise vorgetragen auf dem
Gesellschaft für Gynäkologie in Dresden.
Kongress der deutschen
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1977
ein vollkommen fieberfreier Verlauf bestand, trotzdem in der
Wunde Staphylokokken oder andere Keime nachgewiesen
waren, andererseits Fälle, wo trotz des Mangels an Bakterien
in der Wunde die oft zu beobachtende Temperatursteigerung
eintrat. , . . ~
Trotzdem haben wir den Zusammenhang zwischen lem-
peratursteigerung und Bakterienbefund nicht von der Hand ge¬
wiesen und nahmen mit Brunneran, dass es neben der Re¬
sorption organischer Substanzen die bakteriellen Stoffwechsel¬
produkte seien, welche wir als die Ursache des sogenannten
aseptischen Fiebers anzusehen haben.
Wenn wir auch keine Ursache hatten, mit unsern Ope¬
rationserfolgen unzufrieden zu sein, so wollten wir uns doch
nicht den modernsten aseptischen Reformbestrebungen ver-
schliessen, besonders dann nicht, als Döderlein auf dem
vorjährigen Kongress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie
mit positiven Vorschlägen hervortrat, welche vollständig keim¬
freies Operieren verhiessen. Wir sind in der Lage über die
bakteriologischen und klinischen Wundverhältnisse bei 47
Fällen, welche auf der Klinik des Herrn Prof. v. Franque
unter allen von Döderlein geforderten aseptischen Mass¬
nahmen operiert wurden, zu berichten.
Ueber die Vorbereitung der Fälle wäre folgendes zu sagen:
Am Abend vor der Operation: Vollbad, Rasieren des Ab¬
domens und äusseren Genitales mit nachfolgendem gründlichen
Waschen mit Seife, warmen Wasser, Aether und Alkohol.
Vor der Operation: Abreiben des Operationsterrains mit
warmen Wasser und Sandseife durch mindestens 5 Minuten;
dann Abreiben mit Jodbenzin, Aufstreichen von Jodtinktur mit
sterilen Tupfern auf das Operationsterrain. Nach Lufttrocken¬
werden desselben Aufträgen des Gaudanins nach D ö d e r lein
mit dem Auftragapparat. Nach Trocknen des Gaudaniniiber-
zugs Einpudern des Operaticnsterrains mit sterilem Talg. Ent¬
fernung des überschüssigen Talgpuders durch leichtes Uebei-
streichen mit sterilen Tupfern.
Nach der Operation wird die Umgebung der Wunde ge¬
reinigt, dieselbe mit mehrfacher Lage steriler Gaze bedeckt,
darüber kommt Leukoplast.
Die Vorbereitung des Operateurs und der Assistenz ge¬
schieht in folgender Weise:
Waschen der Hände und Arme bis zum halben Oberarm
mit heissem Wasser, Sandseife, Bürste, 10 Minuten klüftiges
Abreiben in 50 proz. Alkohol durch 5 Minuten, dann in 1 prom.
Sublimatlösung durch 5 Minuten. Es werden hierauf Ope¬
rationsmäntel mit bis zum Handgelenk reichenden Aermeln an¬
gezogen; Operationshauben aus dickem gewirkten 1 rikotstoff,
welche nur Augen und anschliessende Stirn freilassen. Gummi¬
handschuhe und Gummimanschetten nach Döderlein, die
den zwischen Handschuhe und Aermel freien Teil des Vorder¬
arms bedecken. Die Gummihandschuhe und -manschetten sind
mit sterilem Talg eingepudert, mit Mull ausgestopft und im
strömenden Dampf sterilisiert. Ueber die Gummihandschuhe
werden die gleichfalls im strömenden Dampf sterilisierten
Zwirnhandschuhe nach Mikulicz angezogen.
Operateur und Assistenten wechseln mehrfach je nach dem
Grade der Verunreinigung der Zwirnhandschuhe dieselben
mehrmals (bis 6 mal). .
Bei unseren Untersuchungen, die wir in derselben Weise
wie die früheren anstellten, interessierten uns vorwiegend zwei
1. Ist es möglich, beim Operieren unter verschäiftem
Wundschutz keimfrei zu operieren?
2. Ist der klinische Verlauf, besonders was die I em-
peratursteigerungen in den ersten Tagen nach der Operation
anbelangt, ein anderer als früher?
Wir untersuchten die Bauchdecken vor und nach dei
Operation in 45 Fällen. Die Bauchdecken vor der Operation
waren steril in 23, nicht steril in 22 Fällen. Hie Bauchdecken
nach der Operation waren steril in 10, nicht steril in 35 Fallen.
Von den eingelegten 94 Fäden waren steril 47, nicht steril eben¬
falls 47.
Von den 47 untersuchten Fällen waren 2 mal alle ange¬
legten Kulturen (sowohl die Proben aus den Bauchdecken als
die eingelegten Fäden) steril; in 4 Fällen waren nur die Proben
aus den Bauchdecken, in 12 Fällen die Fäden allein steril.
No. 40.
Was die Art der in den Kulturen aufgegangenen Keime be¬
trifft, so fanden sich:
Streptokokken 6 mal (sowohl in Proben aus den Bauch¬
decken am Ende der Operation als auch an den verschiedenen Fäden).
Staphylokokken 5 mal (in Proben aus den Bauchdecken
und an Fäden). . „ , , „ , , ,
Andere Kokken 35 mal (in Proben aus den Bauchdecken
und an den Fäden). , ,
Bazillen 23 mal (in Proben aus den Bauchdecken und an
Fäden).
Was die Fälle, in welchen Streptokokken gezüchtet
werden konnten, anlangt, sei erwähnt, dass die Bauchwunden
in 2 Fällen — hier handelte es sich um Gram-negative
Streptokokken — reaktionslos per primam heilten; von den
restlichen 4 Fällen, die alle letal verliefen, kam es 3 mal zur
Eiterung in den Bauchdecken (1 Fall starb 35 Stunden p. oper.).
Als Todesursache fand sich bei der Sektion 3 mal Peritonitis
suppurativa, 1 mal Eiterung im subperitonealen Wundbett. Im
Eiter wurde in allen diesen Fällen wieder der Streptococcus
pyogenes in Reinkultur nachgewiesen.
Es muss zur richtigen Beurteilung dieser Befunde aber her¬
vorgehoben werden, dass es sich bei 3 von diesen 4 letal ver¬
laufenen Fällen um Uteruskarzinom — 2 mal wurde die W e r t -
heim sehe Operation vorgenommen — und 1 mal um Exstir¬
pation eitriger Adnextumoren, welche intra operationem
platzten, handelte.
Demgemäss ist die Annahme, dass die Keime» virulente
Streptokokken, in diesen Fällen vom Erkrankungs¬
herde während der Operation in die frischgesetzten Wunden
gelangten, sehr berechtigt, da wir auch gerade n u l in diesen
Fällen Gram-positive Streptokokken in den intra operationem
entnommenen Proben und von den eingelegten Fäden auf -
gehen sahen.
Von den Fällen, in welchen Staphylokokken in den
Kulturen gewachsen waren, heilten 3 per primam ; 2 mal trat
Eiterung in den Bauchdecken auf. Bei diesen handelte es sich
1 mal um Myoma uteri (Amput. ut. supravag.) und 1 mal um
Carcinoma uteri (Salp. oophorectomia bil.), während in den
per primam geheilten Fällen 1 mal wegen Myom die Jotal-
exstirpation des Uterus, 1 mal wegen Tubargravidität die Sal¬
pingektomie und 1 mal wegen Ovarialkystom die Salpingo-
oophorektomie vorgenommen worden war.
Unter den 35 Fällen, in welchen verschiedene andere
Kokken teils von den Bauchdeckenproben, oder vom Peri¬
toneum, teils von den Fäden aufgegangen waren, trat 31 mal
Heilung per primam ein, 2 mal eiterte es im Bereiche der Bauch¬
wunde. 2 Fälle starben, 1 von ihnen an Peritonitis suppurativa;
doch fanden sich hier im peritonitischen Exsudate Str epto-
kokken (Care, uteri; Wertheim sehe Operation; Laesio
recti). Der andere Fall erlag einer Nachblutung.
In 23 Fällen konnten Bazillen in den einzelnen Proben
gezüchtet werden; 22 von diesen Fällen zeigten Heilung per
primam. Der eine Fall, welcher Eiterung im Bereiche zweier
Stichkanäle zeigte, starb an eitriger Peritonitis mit Strepto¬
kokken im Exsudate (Care, uteri, Wertheim sehe Opera-
Ausser den genannten Proben wurde in 8 Fällen auch noch
das Peritoneum auf seinen event. Keimgehalt untersucht,
so zwar, dass vor Schluss der Bauchhöhle entweder ein Stück¬
chen Peritoneum reseziert oder aber mittels sterilen Tupfers
dasselbe abgewischt und dieser dann venmpft wurde. 5 mal
waren die Kulturen steril geblieben, in den übrigen fanden sich
vornehmlich Kokken (keine pathogenen) oder Bazillen Im
Heilungsverlauf war keine besondere Komplikation aufgetreten.
Wiederholt wurden während der Operation Agarplatten
im Operationssaal aufgestellt, wir fanden auf denselben des
öfteren dieselben Kokken, die wir im Wundsekret nachw eisen
Aus unseren Untersuchungsbefunden geht hervor, dass
auch bei verschärftem Wundschutz ein keimfreies Operieren
Unm<Auffallend ist der Umstand, dass wir im Vergleich zu
unseren früheren Resultaten seltener Staphylokokken fanden,
dn Umstand, der dafür spricht, dass durch die Handschuhe
einerseits, sowie anderseits wieder durch das Gaudamr i.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1978
Abgabe von Keimen* dieser Art tatsächlich eine Einschränkung
zu erfahren scheint.
Was den klinischen Verlauf anbelangt, so ergaben unsere
früheren Untersuchungen :
Von 43 Fällen wiesen 16 Fälle Temperatursteigerungen
von 38° und darüber auf, ohne Temperatursteigerungen ver¬
liefen 27 Fälle.
Von 46 bei verschärftem Wundschutz operierten Fällen
wiesen 17 Fälle Temperatursteigerungen von 38° und darüber
auf; je ein Fall von Pneumonie und Typhus abdominalis müssen
in Abrechnung gebracht werden.
Ohne Temperatursteigerung verliefen 29 Fälle.
Wir können somit sagen, dass durch die Verschärfung des
Wundschutzes der klinische Verlauf nicht wesentlich anders
geworden ist, als er ohne dieselbe -war.
Damit wollen wir aber keinesfalls die verschärften asep¬
tischen Massnahmen für überflüssig erklären, wenigstens so
lange nicht, bis wir uns in einer grösseren, anders angeordneten
Versuchsreihe von deren Nutzlosigkeit überzeugt haben.
Bevor wir ein abschliessendes Urteil insbesondere über
die Beeinflussung des klinischen Verlaufes der laparotomierten
Fälle durch Verschärfung des Wundschutzes fällen, möchten
wir eine grössere Zahl von Fällen in der Weise beobachten,
dass wir abwechselnd einen Fall unter verschärften aseptischen
und den nächsten Fall unter gewöhnlichen aseptischen Mass¬
nahmen operieren, da wir es für wichtig und unerlässlich halten,
dass das zum Vergleich herangezogene Material unter den
gleichen äusseren Verhältnissen steht und besonders, dass bei
den in Betracht kommenden Operationen derselbe Operateur
operiert und dieselbe operative Technik zur Anwendung
kommt.
Die Saugbehandlung in der Gynäkologie. Die Saug¬
massage.*)
Von C. Weinbrenner in Magdeburg.
Die Mitteilungen von Klapp über die Behandlung ent¬
zündlicher Erkrankungen mittelst Saugapparaten legten die
Frage nahe, ob die Methode nicht auch bei den entzündlichen
Prozessen des Uterus und seiner Umgebung praktisch zu ver¬
werten sei. Von verschiedenen Seiten wurden auch sehr bald
und unabhängig von einander Versuche in diesem Sinne an¬
gestellt und kurz mitgeteilt (Rudolph, Eversmann,
K r ö m e r). Das Saugglas wurde an der Portio angesetzt und
entsprach in seiner Grundform dem gewöhnlichen Milchglas¬
spekulum, das am äusseren abgedichteten Ende mit einer Saug¬
spritze verbunden wurde. Einige günstige Beobachtungen bei
Gebärmuttererkrankungen führten anfangs dazu, die Suktion mit
weiten Indikationsgrenzen zur Prüfung zu empfehlen. Nach¬
prüfungen zogen diese Grenzen enger und bestritten zum Teil
jeden Erfolg der Suktion (L e w i t h, Bauer, Frankl). Ein
für den Praktiker brauchbares Ergebnis, wann die Suktion an
der Portio mit Vorteil Verwendung findet und wie sie wirkt,
lässt sich aus den bisherigen widersprechenden Mitteilungen
schwer herausschälen und bleibt weiteren Versuchen Vor¬
behalten.
Eine ungelöste Hauptfrage ist zunächst, ob wir überhaupt
im Stande sind, mit durch Suktion hervorgerufener Hyperämie
im Sinne von Bier und Klapp auch akute Prozesse an und in
der Umgebung der Gebärmutter ohne Schaden zu behandeln
und zu heilen.
Krönier hat zuerst und meines Wissens bis jetzt als ein¬
ziger die Suktion auch bei akuten Prozessen im Wochenbett
versucht und empfohlen. Er erwähnt einen Fall von puer-
peralei Pyämie, der in dieser Weise behandelt wurde und
heilte ; ob durch das Verfahren, ob trotz desselben, lässt
N r o m e r unentschieden. Die Behandlung hat ohne Frage in
diesem Falle keinen Schaden angerichtet, aber es sprechen doch
theoretische Bedenken so sehr gegen eine Anwendung der
Suktion bei puerperalen Entzündungen, dass es nicht Wunder
nehmen kann, \\ enn der Vorschlag K r ö m e r s bis jetzt, wie
es scheint, keine Lust zur Nachprüfung geweckt hat. Krö-
') Nach einem in der Med. Gesellschaft zu Magdeburg am
14. Februar 1907 gehaltenen Vortrag.
m e r will mit der Suktion an der Portio eine Lokalisation der
Entzündung anstreben, solange diese hauptsächlich auf den
Uterus beschränkt ist. Ob dies möglich ist und ob die Suktion
im Sinne von Bier als eine unschädliche Behandlung puer¬
peraler Infektionen je eine Geltung erlangen wird, das ist bei
der Unsicherheit unserer Kenntnisse im Beginn von Fieber im
Wochenbett und der Gefahr, die sich bei der Suktion noch
weniger wie bei einer einfachen Exploration ganz ausschliessen
lässt, nämlich den Infektionsherd aufzurühren, zunächst noch
eine zweifelhafte und ungelöste Frage.
Bauer hält die Suktion bei akuten entzündlichen Pro¬
zessen auch ausserhalb des Wochenbetts für kontraindiziert,
ebenso verwirft F r a n k 1 und neuerdings Nenadovics die
Suktion bei akuten Entzündungen an den Parametrien, Adnexen
und Bändern, einmal wegen der heftigen Schmerzen, dann
wegen der Gefahr, die Entzündung weiter zu verschleppen.
Die weitere Verwendung des Saugverfahrens wird von
ganz anderen Gesichtspunkten in Bezug auf die beabsichtigte
Wirkung geleitet. Es ist versucht worden, den künstlichen
Abort auf diese Weise in die Wege zu leiten, in der Annahme,
dass durch den Reiz an der Portio wirkungsvolle Kontraktionen
ausgelöst werden würden. Das Resultat ist nicht ermutigend,
soweit bis jetzt Mitteilungen hierüber vorliegen. Einige Er¬
folge findet man in der Behandlung der Amenorrhoe ver¬
zeichnet. Doch ist auch hier die Wirkung, nach dem, was ich
selbst gesehen, recht unsicher. Die Eigenschaft Sekret anzu¬
saugen, lässt weiterhin die Fälle für die Behandlung geeignet
erscheinen, in denen bei Eiter- oder starker Schleimsekretion
ein guter Abfluss erstrebenswert ist.
Das führte zu Versuchen bei Metritis und Endometritis
mit starkem Fluor, über die günstig berichtet wird (R u d o 1 p h,
Eversmann, Bauer).
Die Prüfungen, die ich bis heute mit dem Saugglas vor¬
genommen habe und die in die Zeit der ersten Mitteilung von
Rudolph im Jahre 1905 zurückreichen, umfassen im wesent¬
lichen chronisch-entzündliche Veränderungen des Uterus und
Beckenzellgewebes. Ich habe mir Mühe gegeben, in etwa 100
Fällen durch genaue Aufzeichnungen die Wirkung und den
Wert der Suktion am Uterus zu ergründen.
Dabei fand ich, dass allgemein die Fälle mit chronischen
Entzündungen und Verwachsungen am Beckenbauchfell und
den Adnexen die Behandlung nicht vertragen. Bei Anwesen¬
heit von Eiter in den I üben und Ovarien, bei intraperitonealen
und parametranen Abszessen ist die Suktion am Uterus nicht
unbedenklich und zu vermeiden; neben akuter Verschlim¬
merung der Beschwerden nach dem ersten Versuch fand ich in
einigen Fällen bald nachher auch deutlich nachweisbare ört¬
liche Veränderungen zum Schlechteren.
Einwandfreie und gute Erfolge erzielte ich aber bei chro¬
nischen Veränderungen des Uterus und des Beckenzellgewebes.
Um die für die Behandlung geeigneten Fälle etwas näher
zu kennzeichnen, seien einmal die von Einrissen unter der Ge¬
burt entstandenen Narben im Beckenzellgewebe erwähnt,
ferner die schwieligen Verdickungen, die nach unvollkommener
Resorption exsudativer Parametritiden Zurückbleiben. Ein
weiteres Feld bietet die Parametritis chronica atrophicans cir¬
cumscripta. Wir wissen, dass diese Erkrankung aus oft unbe¬
kannter Ursache sich ohne akutes Vorstadium von Anfang an
chronisch entwickelt und durch Verdichtungen und Schrump¬
fungen im Beckenzellgewebe charakterisiert ist, die mit be¬
sonderer Vorliebe das Bindegewebe ergreifen, das als Liga¬
mentum sacro-uterinum in den Douglasfalten von der Zervix
zum Kreuzbein verläuft (Parametritis chronica posterior
Schultz e). Diese Verhärtungen sind einseitig oder doppel¬
seitig vom hinteren Scheidengewölbe oder noch besser vom
Mastdarm aus als zwei von der Zervix nach hinten diver¬
gierende Stränge zu fühlen, von Fall zu Fall unterschiedlich
in der Dicke, Spannung und Druckempfindlichkeit. Derartige
Veränderungen kommen ungemein häufig vor und treiben die
Frauen mit mannigfaltigsten Klagen zum Arzt. Das schrump¬
fende Bindegewebe zerrt mit der Zeit die Zervix aus der Lage
und beschränkt die Beweglichkeit des Uterus. Die Frauen
klagen über örtliche Beschwerden aller Art, über Schmerzen
im Kreuz, den _ Seiten, am Mastdarm usw. Daneben be¬
herrschen oft reflektorische Beschwerden, nervöse und hyste-
Oktober I0Ö7.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
1979
rische Erscheinungen das Krankheitsbild. Dem im Untersuchen
weniger Geübten können die relativ geringen Verändei ungen
leicht entgehen und die Klagen werden dann in Ermangelung
eines Befundes als Hysterie aufgefasst. Rufen Schrumpfungen
im Parametrium die Beschwerden, insbesondeie Kreuz¬
schmerzen, hervor, so genügt es, die Portio bei der Unter-
suchung nach vorne anzuheben, um sofort ein schmerzhaftes
Ziehen nach dem Mastdarm hin auszulösen. Die Ursache
dieser zirkumskripten Indurationen ist oft unbekannt, häufig
spielen aber wohl Darmerkrankungen (Geschwüre, chronische
Obstipation) und Erkrankungen der Zervix (Ulzera, Katarrh,
Hyperplasie) eine Rolle. Die Gebärmutter kann aber auch
durch die Dislokation der Zervix infolge von Zerrung des
schrumpfenden Gewebes sekundär erkranken und so kommt
es, dass wir die chronischen umschriebenen Beckenzellgewebs¬
verhärtungen häufig mit Gebärmuttererkrankungen kombiniert
sehen Frauen mit diesem Krankheitsbild sind keine Selten¬
heit in der Sprechstunde des Arztes und jeder, der sich mit
diesen Dingen beschäftigt, weiss, wie unangenehm die Behand¬
lung solcher Fälle sein kann.
In diesen Fällen hat mir die Behandlung mit dem Saug¬
glas bemerkenswerte Dienste getan.
Die Erfahrung, dass der beste Effekt der Behandlung dann
eintrat, wenn das Saugglas so weit war, dass es die Portio um¬
fasste und dem Uterus eine Beweglichkeit gestattete, ihn mehr
weniger tief in sich hineinzog und mobilisierte, bestimmten
mich, das Saugglas für diesen Zweck in nachstehender Weise
zu verwenden.
Zur Ausführung der Suktion dient, wie anfangs erwähnt,
ein Apparat, der in seiner Grundform dem gewöhnlichen Milch¬
glasspekulum ähnelt. Rudolph dichtete das Spekulum mit
einem Korkstopfen aussen ab, durch den hindurch eine Glas¬
röhre die weitere Verbindung mit der Saugspritze vermittelte.
Eversmann benutzte ein Spekulum aus Glas, das den Voi-
zug hat, mittelst des Auges eine Kontrolle und Regulierung der
Stauung zu ermöglichen. Ein ähnliches gleichzeitig von K r o -
m e r verwendetes Glas enthält am äusseren Ende eine gra¬
duierte Ausbuchtung zum Auffangen des abfliessenden Sekretes.
Das Glasspekulum, das ich von anfang an verwendete hess
ich am Saugende nicht abschrägen, sondern gerade hersteilen.
Um einen möglichst grossen Bezirk der Basis des Parametrium
mit in den Bereich der zu hyperämisierenden und anzusaugen¬
den Stelle ziehen zu können und damit eine Mobilisierung des
Uterus und Dehnung der Narben und Indurationen im Becken¬
zellgewebe zu ermöglichen, gab ich dem Saugende die Form
eines Trichters. Dadurch ist man in der Lage, eine grössere
Peripherie des Glases um die Portio
zu bringen, wie dies bei einer gleich-
mässig weiten Röhre möglich ist. Die
Einführung des Trichters, aus star¬
kem Glas gearbeitet, geschieht in
ähnlicher Weise wie etwa die eines
runden Pessars. Der Trichterrand
wird auf der hinteren Scheidenwand
schräg aufgesetzt und durch Druck
auf den Damm schräg in die Vagina
hineingedreht, deren Weite gewöhn¬
lich die Einführung bis ins Schei¬
dengewölbe ohne Schwierigkeit ge¬
stattet, wo der Trichter die Portio
lutnimmt. uass uics der Fall ist, davon ,
sich mit dem Auge überzeugen Die Entfernung des iTnchters
aus dem Introitus geht umgekehrt in der glichen Weise v
sich. Da die Behandlung zumeist bei Frauen m Anwendung
kommt die geboren haben, so ist auch gewöhnlich die Ein¬
führung eines Trichters möglich, dessen Oeffnung einen dem
Zweck entsprechenden Durchmesser hat. Die richtige Wahl
in der Grösse des Trichters und die schonende Ueberwindung
des Introitus, besonders der Harnröhrenmundung erfordert
einige Uebung. Hat der Trichter die Portio aufgenommen, so
stellt man die Verbindung mit der Saugspritze her.
Dazu ist ein starkes Gummirohr nötig, in das ein D.re^g_
hahn eingeschaltet ist und eine grössere Spritze, etwa eine luft¬
dicht schliessende Glyzerin-Klystierspritze.
S. = Scheide. P. = Portio vaginalis,
P.p. = Parametrium post.
aufnimmt. Dass dies
Die ersten Züge mit der Spritze werden meist unangenehm
empfunden. Die Frauen geben einen ziehenden Schmerz in
den Seiten und im Kreuz an, ähnlich wie bei Wehen unter der
Geburt. Man sieht, wie die Portio dem Zuge folgt und in den
Trichter hineinschlüpft. Bei weiterem Ansaugen kann der
Uterus dem Zuge so weit folgen, dass die Portio in der Vulva
steht. Sie verfärbt sich rot bis dunkel-blau-rot (je nachdem
die arterielle oder venöse Stauung vorherrscht). Aus dem
Muttermund quillt Schleim, Eiter, blutig-seröse oder rein blu¬
tige Flüssigkeit in wechselnder Menge. Ich bemerke an dieser
Stelle, dass ich nur für den Zweck, den ich mit der Suktion bei
den oben genannten Erkrankungen verfolge, die Vorschrift von
Bier, in der Behandlung akuter Entzündungen eine mässige
Luftverdünnung anzuwenden, ausser Acht lasse. Dabei kann
man, sofern das Peritoneum und die Adnexe nicht nachweisbar
miterkrankt sind, ohne Bedenken einen Zug durch starke Luft¬
verdünnung herbeiführen. Für die Grenze der Zugkraft wai
mir im allgemeinen die Schmerzempfindung und der Grad dei
Blutabsonderung aus der Zervix massgebend. Die Dauer der
Behandlung in einer Sitzung betrug im Durchschnitt 20 Mi¬
nuten; die Suktion wurde in dieser Zeit 3 mal 1 Minute lang
durch Zuleitung von Luft mittelst des Dreiweghahnes unter¬
brochen. Will man die Luftverdiinnung genauer kontrollieren,
so könnte man am Dreiweghahn ein Vakuummeter anbringen.
Einen praktischen Wert wird das kaum haben.
Wendet man bei parametranen Veränderungen die Suktion
in dieser Weise an, so wird eine gesunde Gebärmutter nicht
nachteilig beeinflusst. Ist die Gebärmutter miterkrankt, und
das ist sehr häufig der Fall, so wird sie in günstiger Weise
mitbehandelt (Ansaugung von Eiter und Schleim, Entlastung
durch Aderlass und Anregung der Zirkulation bei Stauungs¬
hyperämie). Ich konnte in verschiedenen Fällen eine auf¬
fallende Rückbildung bei Portiohypertrophie und eine eklatante
Verminderung der Sekretion bei Katarrh feststellen.
Die auffallendste Erscheinung in der Behandlung Ut das
Nachlassen der Schmerzen, die durch die parametianen Stränge
ausgelöst werden. Hat der Trichter die notwendige Glosse,
so werden die Stränge durch das Ansaugen und Tiefertreten
des Uterus ohne Zweifel gedehnt. Die Dehnung ist in dieser
Weise genauer zu regulieren und schonender vorzunehmen wie
bei den sonst üblichen Methoden der Dehnungsmassage. Da
ein Teil des parametranen Gewebes um die Zervix direkt mit
im Bereich des angesaugten Gebietes liegt, so ist die Annahme
berechtigt, dass die Stränge gleichzeitig durch die hervor¬
gerufene Hyperämie beeinflusst werden (auflösende und resoi-
b<erende Wirkung der Hyperämie nach Bier).
Die Frauen sind fast ausnahmslos unmittelbar nach der
Behandlung schmerzfrei. Die Schmerzen im Kreuz und Leib
sind verschwunden; der Gang ist wieder frei und leicht an
Stelle des Gefühls der Völle im Leib ist ein angenehmes Gefühl
betreten als ob der Leib leer wäre. Frauen, die lange Zeit vor¬
her in anderer Weise behandelt waren (heisse Spulungen,
Glyzerinage, Pessar) gaben an, dass sie sich seit Jahren nicht
so wohl gefühlt hätten. Der Erfolg ist in bezug auf die Dauer¬
wirkung verschieden. Oft begannen die Schmerzen nach Stun¬
den langsam wieder, in anderen Fällen hielt das Wohlbefinden
nach der ersten Behandlung 8 Tage und länger an. Die Wieder¬
holung dieser Behandlung, die ich „Saugmassage be¬
zeichnen möchte, kann sich nach dem Wiedereintritt dei
Schmerzen richten. Mitunter genügten nur wenige Sitzungen,
um dauernd Beschwerdefreiheit zu erzielen, in hartnäckigeren
Fällen gelang es nach längerer Behandlung, einen betnedigen-
den Erfolg zu erzielen oder durch ein Pessar, das vorher tiotz
der üblichen Vorbehandlung nicht ohne Schmerzen vertragen
wurde den Erfolg zu befestigen.
Palpatorisch kennzeichnete sich der Einfluss auf d'e paia-
metranen Indurationen durch verminderte 1 ViV Ile r “strän ee ’
Krossere Beweglichkeit des Uterus und Weichheit der Strange,
eine Beobachtung, die ich auch von E v e r s m a n n bestätigt
“ Einen nachteiligen Einfluss aut die Nachbarorgane (Blase,
MaSjch glL!bebUherb'dTtcsJhTldertf!saiigmassage‘‘ als eine
wertvolle Bereicherung unserer Heilmittel in der Behau d üng
chronischer Beckenzellgewebsveranderungen und chromsü
1980
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
üebärmuttererkrankungen (Katarrh, Stauungshyperämie) zur
Nachprüfung empfehlen zu können.
Die Saugtrichter liefert in den verschiedenen Grössen
H. H ö r o 1 d, Magdeburg. Preis 70 — 90 Pfg.
Literatur.
1. Rudolph: Die B i e r sehe Stauung in der gynäkologischen
Praxis. Zentralbl. f. Qynäkol. 1905, No. 39. — 2. Bauer: Die B i e r -
sehe Stauung in der gynäkologischen Praxis. Wiener klin. Wochen¬
schrift 1905, No. 47. — 3. Frankl: Diskussion. Wiener klin.
Wochenschr. 1905, No. 46. Derselbe: Die physikalischen Heilmetho¬
den in der Gynäkologie. 1906. — 5. Eversmann: Die Bier sehe
Stauung in der Gynäkologie. Zentralbl. f. Gynäkologie 1905, No. 48.
— 6. Krömer: Das B i e r sehe Stauungsverfahren in der Gynäko¬
logie. Zentralbl. f. Gynäkol. 1906, No. 4. — 7. Turan: Versuch mit
dem Bier sehen Stauungsverfahren bei Endometritis chronica. Zen¬
tralbl. f. Gynäkol. 1906. — 8) Lewith: Naturforscherversamniliing
in Stuttgart 1906. — 9. Nenadov'ics: Die Behandlungsweise nach
Bier in der Gynäkologie. Gynäkol .Rundschau 1907, H. 9.
Aus der dermatologischen Abteilung Allerheiligenhospital zu
Breslau (Primärarzt: Dr. Harttung).
lieber Krauselappen bei Ulcus cruris.
Von Dr. C h a u s s y, Sekundärarzt.
Die Zahl der Ulcera cruris, welche auch heute noch eine
teilweise monate-, ja jahrelange klinische Krankenhausbehand-
lung erfordert, ist immer noch eine grosse; nur bei den ganz
frischen Fällen gibt doch eigentlich die übliche Behandlung
mit Bädern und Verbänden gute Resultate, und dann bedarf es
einer unausgesetzten Pflege und Sorgfalt, wenn nicht binnen
Kurzem die alten Schäden wieder aufbrechen sollen. Für die
chronischen Fälle bleiben die chirurgischen Behandlungs¬
methoden: die Trendelenburgsche Unterbindung, die Exstir¬
pation grosser Varizen, die Zirkumzision und die Transplan¬
tationen. Wir ziehen die Zirkumzision (zirkulärer Amputations¬
schnitt ca. 3 Finger unter der Kniescheibe) den beiden ersten
Methoden vor. Gewiss, das kostet eine Narkose und manch¬
mal etwas Blut, je nach der Gewandtheit des Operateurs, aber
die Erfolge sind auch zum Teil überraschende, besonders wenn
man noch eine tiefe Umschneidung des Geschwürs, ca. 1 bis
134 cm im Kreise um dasselbe seinen Konturen folgend,
darauf setzt und die kallösen Ränder gründlich abträgt. Auch
hier gibt es bei schlechter Nachbehandlung natürlich Rezidive,
aber Rezidive überhaupt kann man, glaube ich, nur mit zwei
Methoden vermeiden, den grossen Lappentransplantationen.
Die T h i e r s c h sehen Transplantationen haben wir ganz ver¬
lassen, so leicht und bequem wir uns ihre Technik mit der Zeit
gemacht haben. Wir entnehmen die Lappen steril unter
Schleich und stellen sie in physiologischer Kochsalzlösung in
den Eisschrank, dann reiben wir die zu bedeckenden Flächen
gründlich mit trockenen Tupfern ab, dass es heftig blutet und
die reine gesunde Granulationsfläche erscheint. Die Blutung
stillen wir durch Kompression und legen dann nach 12 bis
24 Stunden die Lappen auf. Diese Transplantationen sind
wundervoll an Orten, die keinen Insulten ausgesetzt sind, am
Körper, im Gesicht, aber an Händen und Füssen taugen sie
nichts, bei der ersten Ueberlastung oder bei dem ersten Trauma
zerfällt das zarte Gewebe, und die alte Szene etabliert sich von
Neuem. Für die Bedeckung von Geschwürsflächen an Händen
und Füssen eignen sich eigentlich nur zwei Methoden, das ist
die Bedeckung mit gestielten Lappen und die mit Krause-
lappen. Wir bevorzugen die letztere, und wie lohnend ihre
Anwendung sein kann, mag der folgende, wie mir scheint recht
interessante, Fall darlegen.
Aus der Krankengeschichte seien folgende kurze Daten
wiedergegeben :
Lorenz W., 44 Jahre alt, vagierender Tischler.
XI. 1896 wird Pat. auf die dermatologische Abteilung des Hospi¬
tals zu Allerheiligen mit starker Elephantiasis und einem reichlich
liandk llergrossen Ulcus des linken Unterschenkels aufgenonimen.
Da konservative therapeutische Massnahmen aussichtlos erscheinen
und da Pat. auch die Ablatio dringend wünscht, wird er noch den¬
selben Monat auf die chirurgische Abteilung verlegt.
X. 1898, also annähernd 2 Jahre später, wird Pat. von dort aus
zurück verlegt: die Ablatio ist nicht gemacht, das Ulcus ist nahezu
unverändert. Spezifische, Augenerscheinungen (Iritis, Retinitis)
t i 1 1 1 1 u i i dazu, eine Allgemeinkur mit Jod und Hydrargyrum einzuleiten
die örtlich ganz ohne Einfluss bleibt. Die daraufhin' mehrfach unter¬
nommenen Versuche, den Defekt nach Thier sch zu decken, blei¬
ben alle erfolglos.
I. 1900 entschlossen wir uns endlich, um dem Trauerspiele ein
Ende zu machen, zu einer Transplantation nach Krause, so gering
die Aussichten für das Gelingen einer solchen in dem starren elephan-
tiastischen Gewebe erscheinen. In Ghloroformnarkose wurde das
ganze Geschwür mit seinen starren Rändern vollständig exzidiert,
die ziemlich starke Blutung durch Tamponade gestillt und der Defekt
durch einen Krauselappen gedeckt, der dem rechten Oberschenkel
entnommen war. Er hatte die Form eines länglichen Reifens und
musste, um die Geschwürsfläche in geeigneter Weise schliessen zu
können, in 3 Teile zerschnitten aufgelegt werden. 1 und 2 stellen die
Enden, 3 die Mitte des längsovalen Lappens dar. Einige Hefte fixieren
die einzelnen Lappen.
Die Heilung war eine reaktionslose. 6 Monate später verliess
Patient geheilt unser Hospital.
Zweimal haben wir den Kranken seitdem wiedergesehen. 1903
kam er mit einem Ekzem des seiner Zeit operierten Unterschenkels
herein, einer leicht erklärlichen Folgeerscheinung der starken Ele¬
phantiasis. Er hatte in der Zwischenzeit seinen Fuss nicht im ge¬
ringsten gepflegt. Der Krauselappen sass fest und straff auf; nach
wenigen Wochen kann er geheilt entlassen werden.
Jetzt (I. 1907) kommt er wieder. Er hat diese Jahre hindurch
das Leben eines vagierenden Handwerksburschen mit all seinen Müh¬
seligkeiten weiter geführt. Zerlumpt und verkommen war er von
Ort zu Ort gewandert, tüchtig dabei trinkend und oft im Freien über¬
nachtend. Es haben sich neue Ekzeme gebildet und diese haben
schliesslich zur Etablierung zweier neuer Ulzera des Unterschenkels
geführt. Aber die Stelle, an der der Kranke seinen Krauselappen
trägt, bietet auch heute eine völlig intakte Haut dar. Die Konturen
sind kaum noch mit Sicherheit festzustellen, so gut ist der Lappen
eingeheilt. Nur das etwas abweichende Relief der Hautoberfläche
im Bereich des eingesetzten Lappens zeigt, dass hier die Implantation
vorgenommen wurde, und die Kreuzlinie im oberen Teil ist noch an¬
deutungsweise vorhanden.
So hat also der Krauselappen bis jetzt vollkommen ge¬
halten, was man von ihm verlangen konnte. Er ist unversehrt
geblieben inmitten einer Umgebung, die durch diffuse variköse
Gefässentartung das Bild hochgradiger elephantiastischer Ver¬
änderungen darbietet, obwohl Pat. zeitweise auch wieder
leichterer Arbeit nachgegangen ist und für die Pflege seines
Beines wie oben geschildert nichts getan hat. Jedenfalls in
Anbetracht des damaligen Zustandes des Mannes ein recht
gutes Resultat, das geeignet ist, die Methode gerade für Ulcera
cruris wieder aufs Neue zu empfehlen.
Dass der Krauselappen eine derartige Dauerhaftigkeit be¬
sitzt, erscheint uns natürlich, nachdem durch die Arbeiten von
Braun, E n d e r 1 e, sowie H e n 1 e und Wagner die histo¬
logischen Vorgänge, die sich beim Anheilen eines Krauselappens
abspielen, genauer untersucht worden sind. In den ersten
lagen nach der Operation spielen sich in den transplantierten
Lappen eine Menge degenerativer Veränderungen ab: Die
Epidermis stösst sich vollständig ab, und die Drüsenelemente
erleiden einen teilweisen Untergang. Aber schon nach kurzer
Zeit findet man in der transplantierten Haut wieder den Reich¬
tum von elastischen Fasern, der seine Beweglichkeit
garantiert und den grossen Unterschied gegenüber einfachem
Narbengewebe ausdrückt. Wie im spezielleren die Regenera¬
tion der einzelnen Elemente vor sich geht, darüber hat sich volle
Klarheit noch nicht schaffen lassen, das Eine aber ist sicher,
dass der Lappen nach einiger Zeit wieder in allen Teilen die
Funktionen normaler Haut ausübt und dass beispielsweise das
Wachstum der Haare ungestört einem aus behaarter Haut ent¬
nommenen Lappen erhalten bleibt, wenn man beim Abprä¬
parieren des Unterhautzellgewebes ein Abschneiden der Haar¬
wurzelbälge vermeidet.
Ist so einerseits die Leistungsfähigkeit des gut eingeheilten
Krauselappens die denkbar idealste, so ist doch andrerseits bei
3
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1981
richtiger Handhabung der Technik die Zahl der erfolglosen
Operationen keine derartig hohe, dass sie entscheidend gegen
das Verfahren sprechen könnte. Wir folgen in allen Punkten
den von Krause selbst angegebenen Regeln, der Ge¬
wicht legt
1. auf möglichst trockenes Operieren,
2. auf absolut aseptisches Operieren,
3. auf eine geeignete Vorbereitung des Lappens.
Wir stillen demnach die nach Exzision eines derartigen
Ulc. crur. auftretende, meist ziemlich reichliche Blutung mit
sorgfältiger Tamponade, indem wir vermeiden, Ligaturen zu
legen; alle Antiseptika müssen fort, auch die harmlosesten,
nur Wasser und Seife, Seifenspiritus wurden verwendet, aber
gründlich, und dann folgt eine gründliche Abspülung mit physio¬
logischer Kochsalzlösung, dann Abtrocknen der vorbereiteten
Haut sorgfältig mit sterilen Tüchern. Schliesslich operieren
wir auch mit trockenen Instrumenten, exzidieren den Lappen,
der meist der Vorderfläche des Oberschenkels entnommen
wird, mit dem Unterhautzellgewebe und präparieren letzteres
sorgfältig so schnell wie möglich mit der C o o p e r sehen
Schere trocken ab. An der Erfüllung dieser Postulate hängt
alles, der geringste Fehler macht alle Vorbereitungen und alle
Mühe illusorisch. Der Lappen wird dann in toto, oder in ein¬
zelne Teile zerschnitten einfach aufgelegt und durch einen Bor¬
vaselineverband leicht angedrückt. Er muss um ein Drittel
grössere Oberfläche darbieten als die zu transplantierende
Stelle, da er nach Abpräparieren des Unterhautzellgewebes
stark an Ausdehnung verliert.
Natürlich muss man nun auch über den Wundverlaut
orientiert sein, und wenn man am 5. oder 7. Tage (nicht eher)
den Verband abnimmt und die obersten Zellschichten gan¬
gränös findet, darf man nicht gleich alles abreissen oder mit
Instrumenten daran herumwirtschaften.
Es will mir scheinen, als wäre diese K r a u s e sehe Me¬
thode etwas in Vergessenheit geraten, vielleicht ihrer
Schwierigkeit halber, vielleicht auch wegen dei Misserfolge,
welche dem Anfänger passieren. Freilich existieren auch einige
gute Berichte aus der Literatur (Wiedmann bei 11 Opera¬
tionen 4 Misserfolge), aber der gstielte Lappen mag manchem
doch noch als sicherer erscheinen. Ein so gutes Resultat, wie
es der referierte Fall darstellt, .mag selten sein, aber gerade
darum erscheint er mir wert, berichtet zu werden, und gerade
bei ihm mag man sich der 1 reff lichkeit der K i a u s e sehen
Methode erinnern.
Aus dem chirurgisch-poliklinischen Institut der Universität
Leipzig (Direktor: Prof. Perthes).
Ueber Erfahrungen bei der Verwendung synthetischen
Suprarenins in der Lokalanästhesie.
Von Dr. H a n s H o f f m a n n.
Die Nebennierenpräparate, deren hohe Bedeutung für die
Lokalanästhesie bekannt ist, wurden bisher ausschliesslich aus
tierischen Nebennieren gewonnen. Naturgemäss waren bei
dem Schwanken der einzelnen Organe an Gehalt des ihnen
spezifischen Momentes, auch die in den Handel kommenden
Präparate mehr oder weniger Schwankungen in ihrer Wirk¬
samkeit ausgesetzt. Andererseits war auch die leichte Ver¬
derblichkeit derartiger Organextrakte, die nie absolut chemisch
rein darzustellen waren, und schon nach kurzem Luftzutiitt in
Zersetzung übergingen, ein wesentlicher Nachteil derselben.
Wohl nicht mit Unrecht konnte man die zuweilen, besonders
bei Verwendung in der lumbalen Anästhesie auftretenden üblen
Nebenwirkungen auf diese chemische Unreinheit der Neben¬
nierenextrakte zurückführen.
Es war deshalb mit Freuden zu begrüssen, dass von ver¬
schiedenen Seiten Versuche gemacht wurden, auf synthetischem
Wege Präparate von gleicher Wirksamkeit, ohne die den
Organextrakten anhaftenden Nachteile herzustellen.
So gelang es Stolz, dem Chemiker der Höchster Farb¬
werke, deren „Suprarenin“ wir in der Leipziger chirurgischen
Poliklinik bisher verwendeten, und mit dem wir auch jetzt die
neuen Präparate vergleichen wollen, eine Reihe von che¬
mischen Substanzen synthetisch darzustellen, die hinsichtlich
Blutdrucksteigerung, Gefässverengerung und anderer spezi¬
fischer Nebennierenwirkungen qualitativ wohl dem Suprarenin
ähnliche Wirkungen hervorbrachten, an Quantität dieser Wir¬
kung jedoch, sowie an Giftigkeit sehr verschiedenes Verhalten
zeigten.
So wiesen z. B. einige Präparate eine wesentlich geringere
Giftigkeit auf, blieben aber dabei quantitativ soweit hinter
dem Suprarenin in ihrer Wirkung zurück, dass dieser Vorteil
durch die grosse Menge zur Verwendung kommender Sub¬
stanz wieder aufgehoben wurde.
Nach Abwägen dieser Vorzüge und Nachteile und nach
Erfahrungen bei Tierversuchen blieben nur 3 Präparate, die
für eine versuchsweise Verwendung am Menschen geeignet
erschienen. Diese Präparate, die in ihrer chemischen Zu¬
sammensetzung dem natürlichen Suprarenin sehr nahe stehen,
sind das Dioxyphenylaethanolamin („Arterenin“), das Aethyla-
minoacetobrenzkatechin („Homorenon“), beide in Form ihrer
salzsauren Salze, sowie schliesslich des mit dem ursprünglichen
Suprarenin der Konstitution nach vollkommen identische „syn¬
thetische Suprarenin“ (chemisch: salzsaures Dioxyphenyl-
aethanolmethylamin).
Die an Tieren vorgenommen Versuche, über die uns Auf¬
zeichnungen von der Firma zur Verfügung gestellt wurden, er¬
gaben, dass das Arterenin bei einer ca. 2 mal geringeren Giftig¬
keit quantitativ in seiner Wirkung dem Suprarenin nur wenig
nachsteht. Das Homorenon dagegen hat eine wesentlich
schwächere Wirkung und liess erst in 4 — 5 proz. Lösung eine
der 1 prom. Lösung des Organpräparates gleiche Wirkung er¬
zielen. Das dritte Präparat schliesslich, das „synthetische
Suprarenin“, zeigte in den Tierversuchen eine dem Organ¬
präparat vollkommen gleiche Wirksamkeit, ja schien dem¬
selben an Intensität der spezifischen Wirkung sogar noch über¬
legen zu sein.
Klinischen Prüfungen unterzogen wurden bisher das
„Homorenon“ in der rhinologischen Praxis, sowie alle drei
Präparate in der chirurgischen Praxis von Braun Q.
Braun fand, dass sich das synthetische Suprarenin, sowie
das Arterenin in ihrer örtlichen Wirkung in nichts von dem
früheren Organpräparat unterschieden. Für das zur Lokal¬
anästhesie geeignetste Präparat hält er das wesentlich un¬
giftigere Homorenon.
Wir haben nun an der chirurgischen Poliklinik die er¬
wähnten drei Präparate, die uns von den Höchster Farbwerken
zur Verfügung gestellt wurden, auf ihre Verwendbarkeit in der
chirurgischen Praxis geprüft.
Die Anwendung geschah stets in Verbindung mit dem bei
uns seit 1)4 Jahren für die Lokalanästhesie ausschliesslich ver¬
wendeten Novokain, und die Art der Anwendung war die In¬
filtrationsanästhesie, die verschiedenen Formen der Leitungs-
unterbrechung, mit Ausnahme der Lumbalanästhesie, sowie die
direkte Schleimhautanästhesierung in stärker konzentrieren
Lösungen.
Wir haben zunächst das Arterenin in ca. 50 Fällen ange¬
wendet, und zwar in der bei subkutanen Injektionen üblichen
Stärke von 5 Tropfen auf 50 ccm eines X> proz., 5—10 Tropfen
auf 50 ccm eines lproz. Anästhetikums, Mengen, wie sie auch in
den im Handel erhältlichen, gebrauchsfertigen Tabletten und
Lösungen enthalten sind. Der Eintritt der Wirkung, sowie die
Dauer der Anästhesie entsprachen unseren Erfahrungen mit
dem früheren Präparat, dagegen schien uns die lokale Blutleere
nicht immer so vollkommen, wie bei dem gleichen Quantum des
früheren. Besonders konnten wir, um eine brauchbare Blut¬
leere zu erzielen, nie unter die angegebene Dosis hei abgehen.
Sehr gut wrar die schleimhautabschwellende Wirkung, aller¬
dings in wesentlich stärkerer Konzentration des _ Mittels
(10 Tropfen auf 10 ccm Anästhetikum). Blutdrucksteigerung,
gemessen mit dem R i v a - R o c c i sehen Apparat, konnten wir
in gleicher Weise, wie bei dem Organpräparat beobachten.
Nachteilige Nebenwirkungen sahen wir bei Verwendung des
Mittels nicht auftreten. . . .na
Das zweite Präparat, das Homorenon, erschien durch seine
bedeutend geringere Giftigkeit ganz besonders geeignet, E
satz für das Organpräparat zu bieten. Fs ist nach den bicr-
4 Braun: Lokalanästhesie. 2. Aufl. 1907.
1982
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
versuchen ca. 40 — 50 mal weniger giftig als das ursprüngliche
Suprarenin. Da es jedoch dementsprechend zur Erreichung
der gleichen Wirkung in einer 5 proz. Lösung in gleicher Do¬
sierung zur Anwendung kommen musste, erreichte es nach
den Tierversuchen relativ für den Körper wieder die gleiche
Giftigkeit. Eine Reihe von Fällen, in denen wir es anwendeten,
liess erkennen, dass eine gute Anästhesie und Blutleere sich
mit dem Präparat erzielen liess, dass jedoch vor allem letztere
nach Sterilisation des Präparates deutlich nachzulassen schien,
während die Verfertiger diesen Vorzug des Präparates be¬
sonders rühmten. Andererseits ergab der Tierversuch, dass
bei Injektion in den Lumbalkanal relativ stärkere Vergiftungs¬
erscheinungen auftraten, als bei subkutaner Injektion. Es
dürfte sich also verbieten, das Präparat in dieser Hinsicht am
Menschen zu prüfen.
Nach Mitteilungen aus Wiener rhinologischen Kliniken von
Laub und Kahler war das Homorenon in 4 — 5 proz. Lösung
imstande, die 1 prom. Lösung des Suprarenins zu ersetzen.
Allerdings beobachtete Laub eine Schleimhautnekrose nach
Anwendung des Präparates (vergl. B i b e r f e 1 d 2). Braun3)
fand, dass die gefässkontrahierende Wirkung der 5 proz. Homo-
renonlösung fast ebenso stark ist, wie die der entsprechenden
Suprareninlösung, und dass beim Menschen intra- und subkutan
injizierte Lösungen keine Gewebsschädigungen verursachen.
Er hält das Homorenon wegen seiner geringeren Giftwirkung
und seiner guten Haltbarkeit deshalb für den besten Ersatz
des Organpräparates, und empfiehlt dessen Anwendung in
4 proz. Lösung in gleicher Dosierung von 5 Tropfen maximal,
in Verbindung mit Novokain. Seine Verwendbarkeit zur lum¬
balen Anästhesierung hat auch Braun nicht erprobt.
Es blieb also zur Prüfung noch das „synthetische Supra-
renin“, das nach den Mitteilungen seitens der Firma, sowie
nach den Tierversuchen schliesslich das geeignetste Ersatz¬
präparat zu sein schien. Die Tierversuche ergaben, dass das¬
selbe die gleiche, teilweise sogar quantitativ stärkere typische
Wirkung entfaltete, als das Organpräparat, während seine Gift¬
wirkung, wohl infolge seiner grösseren chemischen Reinheit,
sich als geringer herausstellte.
Wir haben nun das synthetische Suprarenin in der Zeit
von Februar bis Juli d. J. in über 250 Fällen in den verschie¬
denen Formen der intra- und subkutanen Applikation erprobt,
während eine Prüfung der Wirkung bei lumbaler Injektion nicht
vorgenommen wurde. Als Anästhetikum wurde, wie erwähnt,
ausschliesslich das Novokain der Höchster Farbwerke ver¬
wendet. Auf 25 ccm 1 proz. Lösung dieser Substanz, resp. auf
50 ccm 34 proz. wurden zunächst entsprechend dem Gehalt der
bisher gebrauchten Tabletten 5 Tropfen Suprareninum syntheti-
cum zugesetzt. Die Anästhesie trat bei Infiltration in der Regel
momentan, und bei den verschiedenen Arten der Leitungsunter¬
brechung in den entsprechenden Zeiträumen ein, wie sie
unseren früheren Erfahrungen entsprachen. Es liess sich stets
vollkommene Schmerzlosigkeit erzielen und die Dauer der¬
selben war auch bei langdauernden Eingriffen durchaus aus¬
reichend. Die Blutleere bei infiltrierten Gewebspartien war
stets sehr gut und andauernd. Ebenso war z. B. bei B r a u n -
scher Anästhesierung von Fingern und Zehen die gefäss-
zusammenziehende Wirkung oft so stark, dass noch nach Be¬
endigung des Eingriffes die Digitalarterien nur tropfenweise
Blut entleerten. Wir haben dann sehr bald nur mehr 3 Tropfen
auf das gleiche Quantum Lösung zugesetzt und konnten auch
damit stets noch die vollkommenste Wirkung erzielen.
Das synthetische Suprarenin steht also
dem Organ präparat in diesen Wirkungen
nicht nach, sondern über trifft es nach unseren
Beobachtungen an anämisierender Kraft
n o c h.
Ebenso günstig waren die Resultate in der zahnärztlichen
Praxis, über die ich durch die liebenswürdige Mitteilung des
Herrn Dr. Fritzsche, Zahnarztes des poliklinischen In¬
stitutes, berichten kann. Fritzsche konnte an ca. 250—300
Fällen seiner Praxis, in denen er das Mittel bei Extraktionen,
') Biber feld: Pharmakologische Eigenschaften eines syn¬
thetisch dargestellten Suprarenins und einiger seiner Derivate. Med.
Klinik 1906, No. 45.
:l) Braun: Siehe oben.
Füllungen und anderen zahnärztlichen Eingriffen kombiniert mit
Novokain anwandte, ebenfalls eine Ueberlegenheit des neuen
Präparates über das alte konstatieren. Auf 5 — 6 ccm, die ge¬
wöhnlich von dem Anästhetikum verbraucht wurden, waren
früher stets mindestens 2 Tropfen Suprarenin zum Erzielen
einer guten Anästhesie nötig. Von dem neuen Mittel genügte
stets ein Tropfen. Hauptsächlich dieser niedrigeren Dosierung
des Nebennierenpräparates glaubt es Fritzsche zuschreiben
zu müssen, dass er zurzeit von den bisher zuweilen eintretenden
leichten Kollapsen fast ganz verschont geblieben ist. Während
wir die Lösung des synthetischen Suprarenins anfangs so zu¬
setzten, wie wir sie von der Firma erhielten, haben wir sie
später vor dem Gebrauch 10 Minuten lang im Wasserbad auf
100 0 erhitzt und konnten danach klinisch keine Abnahme der
Wirkungskraft beobachten.
Der blutdrucksteigernde Effekt des Präparates ist, wie wir
durch Messungen mit dem Apparat von Riva-Rocci an
10 Fällen feststellen konnten, bedeutend. Die Steigerung, die
nach 2 — 3 Minuten begann und nach 5 — 10 Minuten ihren Höhe¬
punkt erreichte, betrug z. B. nach Injektion von 0,001 Supra¬
renin. synthetic. subkutan bei einem erwachsenen, kräftigen
Menschen bis 80 mm Hg. Allerdings konnten wir uns auch
überzeugen, dass bei der therapeutischen Verwendung von
3 Tropfen Suprarenin. synthetic. zum Anästhetikum, voraus¬
gesetzt selbst, dass dieses Quantum ganz zur Injektion kam,
der Blutdruck nicht mehr als 20 — 25 mm Hg stieg.
Immerhin bedeutet, angesichts dieser wesentlichen Blut¬
drucksteigerung, deren Wirkung auf die verschiedenen Organe
des Körpers und besonders auf das Gefässystem zurzeit noch
nicht vollkommen geklärt ist (Scheidemandel4) Falk 5)
u. a.) die Möglichkeit einer niedrigeren Dosierung des neuen
Präparates, besonders bei wiederholter Anwendung, einen Vor¬
zug gegenüber dem alten.
Das nach Injektion grösserer Dosen Suprarenin beob¬
achtete Eintreten von Glykosurie haben wir nach therapeuti¬
scher Verwendung des Nebennierenpräparates natürlich nie¬
mals auftreten sehen. Auch von sonst beobachteten und dem
Nebennierenextrakt vorgeworfenen üblen Nebenwirkungen
haben wir bei dem neuen synthetisch hergestellten Mittel nichts
konstatieren können.
Schwere Kollapse, starke Herzwirkung oder andauerndes
Erbrechen, Erscheinungen, wie sie manche Autoren nach In¬
jektion grösserer Dosen (Bennet6) 1,8 endourethral;
S c h ü c k i n g 7) 1,75 einer 1 proz. Lösung vaginal) erlebten,
sahen wir niemals. Schmerzen bei der Injektion oder nach
Ablauf der Wirkung des Anästhetikums wurden nicht auf¬
fallender beobachtet, als dieselben auch früher je nach der
Empfindlichkeit des Patienten stärker oder schwächer auf¬
traten. Nachblutungen stellten sich zuweilen in geringem
Masse ein; jedoch konnten wir nie den Eindruck gewinnen,
als wären sie stärker, als der normaler Weise nach einer An¬
ämie auftretenden Hyperämie entspricht. Auch trugen die¬
selben nie irgend welchen bedenklichen Charakter, sobald die
Unterbindung grösserer Gefässe in regelrechter Weise voraus¬
gegangen war.
Der Wundverlauf war, soweit keine sonstigen Kompli¬
kationen eintraten, ungestört. Jedenfalls konnten wir nicht
finden, dass die Wundheilung durch das Präparat irgendwie
verzögert wurde, wie das z. B. Douglas8) bei dem Supra¬
renal beobachtet haben will. — Ebensowenig sind uns Gangrän
grösserer Gewebspartien und etwa dadurch bedingte Phlcg-
4) Scheidemandel: Ueber die durch Adrenalininjektion zu
erzeugende Aortenverkalkung der Kaninchen. Virch. Archiv, Bd. 181.
5) Falk: Ueber Adrenalinveränderung an den Gefässen usw.
Kongress für innere Medizin 1907. Ref. Münch, med. Wochenschr.
1907, No. 21.
ö) Bennet: Dangers in use of adrenal preparations. Journ. of
th. americ. med. ass. 1906. Oktob. Ref. Zentralbl. f. Chirurg. 1907,
No. 10.
7) Schrick ing: Hochgradige Hautverfärbung nach Injektion
von Nebennierenextrakt. Münch, med. Wochenschr. 1904, No. 5.
*) Douglas: Americ. Journ. of th. medic. scienc. Jan. 05.
Ref. Jahresbericht der Leistungen auf dem Gebiete der Medizin 1905.
Artikel: Liebreich: Nebennierenpräparate.
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1983
monen (Aronheim9) im Anschluss an Verwendung des
Präparates begegnet, die wir mit Sicherheit auf die nachteilige
Wirkung des Nebennierenpräparates hätten zuruckfuhren
k0n*Nu*r einmal hatten wir Gelegenheit, eine eigenartige Haut¬
veränderung zu beobachten. Nach Injektion ™n ca. 5 ccm
einer 1 proz. Novokainlösung, die noch nicht 1 Tropfen des
Suprareninpräparates enthielt, zum Zwecke der Entfernung
eines Fibroms der Backe, waren am folgenden Tage in un¬
gefähr talergrossem Bezirk zahlreiche petechiale Hamoi-
rhagien aufgetreten. Der Heilungsfortgang der kleinen Naht¬
wunde blieb sonst ganz ungestört. Eine Untersuchung der
Patientin auf etwaige abnorme Beschaffenheit ihres Znku-
lationsapparates ist leider unterblieben.
Ein weiterer Vorzug des synthetisch dargestellten Supra-
renins ist ferner seine relative Haltbarkeit.
Das Organpräparat nimmt beim Stehen an der Luft schon
nach kurzer Zeit eine Rosafärbung ein, die nach wenigen
Stunden in Dunkelbraunrot übergeht.
Infolge dieses Oxydationsprozesses des Suprarenins durch
den Luftsauerstoff wurde dessen Wirksamkeit wesentlich ab¬
geschwächt, und besonders traten Nebenwirkungen auf, die
zu heftigen Nachschmerzen, Brechneigung, ja zu schweren ln-
toxikationserscheinungen (E n d e r 1 e n erlebte einen Exitus
letalis) führten (Braun 10).
Im Gegensatz dazu hielt sich das synthetische Präparat
ungleich länger unverändert, auch wenn wir es in hchtdurch-
lässigen Flaschen stundenlang offen an der Luft stehen hessen
Die Rosafärbung, als Zeichen der beginnenden Oxydation, trat
wesentlich langsamer und nur in stark verdünnter wässeriger
Lösung auf oder bei längerem Kochen des Präparates.
Die Firma bringt das Mittel zwar steril in den Handel es
lässt sich jedoch durch kurzes Erhitzen auf 100 vor dem Ge¬
brauch erneut sterilisieren und verliert dennoch, selbst bei zu¬
weilen auftretender geringer Rosafärbung, nach klinischer Be¬
obachtung nichts von seiner Wirksamkeit.
Um die Gefahr der Schimmelpilzentwicklung in der als
Nährboden sehr geeigneten, als Lösungsmittel des syntheti¬
schen Suprarenins dienenden physiologischen Kochsalzlösung
zu verhüten, haben die Verfertiger einen bei dem früheren
Organpräparat als unschädlich erprobten Thymolzusatz von
0,6 Prom. beibehalten.
Als Anästhetikum wurde, wie oben erwähnt, ausschliess¬
lich das Novokain der Höchster Farbwerke verwendet, das
seit ca 1H— 2 Jahren, seitdem die Firma uns dasselbe zu Ver¬
suchszwecken zuschickte, das früher von uns gebrauchte Ko¬
kain vollständig verdrängt hat.
Wir haben das Novokain, um dies noch kurz ?u erwähnen,
in %— 2 proz. Lösungen zur kutanen Injektion, in 5— 10 proz.
Lösungen zur Schleimhautanästhesierung verwendet und
konnten damit in Verbindung mit Suprarenin in rund loüU ra -
len. sowie bei weit über 3000 Zahnextraktionen stets die beste
Anästhesie erzielen.
Wir haben das Mittel zu den verschiedensten kleineren und
grösseren chirurgischen Eingriffen verwendet, und können die
Vollkommenheit des Präparates mit B r a u n11), Danielsen O
und anderen nur rückhaltslos anerkennen. Die durchaus reiz¬
lose und giftfreie Wirksamkeit desselben gestattet die Anwen¬
dung beliebig hoher Dosen, die selbst bei Entfernung z.
grosser Strumen niemals die des Kokains um das 7 fache über¬
steigende Maximaldosis erreichten. Wir möchten unsere guten
Erfolge mit dem Novokain betonen gegenüber einer kürzlich
erfolgten Mitteilung von G e b e 1 e 13) aus dem Ambulatorium
der chirurgischen Klinik München, der bei Injektion von 3 bis
5 ccm einer M> — 1 proz. Lösung Novokain nui in einei ganz
9) Aronheim: Fall, von ausgedehnter Phlegmone, verursacht
durch Kokain-Adrenalin-Injektion bei 70 jähr. Mann. Münch, med.
Wochenschr. 1904, No. 14.
10) Braun: s. o.
11 ) Braun: s. o. 2. Aufl. 07..
12) Dan leisen: Poliklinische Erfahrungen mit dem neuen Lo¬
kalanästhetikum Novokain. Münch, med. Wochenschr. 1905, o. .
13) Geb eie: Jahresbericht des Ambulatoriums der chirurgiscnen
Klinik München. Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 22.
geringen Anzahl von Fällen wirkliche Schmerzlosigkeit er¬
zeugen konnte.
Fassen wir die Resultate unserer oben gemachten Beob¬
achtungen kurz zusammen, so können Wir sagen, dass wir mit
dem neuen synthetischen Suprarenin präparat
als Zusatz zu dem Anästhetikum Novokain in
einer grösseren Anzahl von Fällen stets eine
durchaus gute Schmerzlosigkeit mit guter, ja
besserer Änämisierung des Operationsfeldes
erzielen konnten, als mit dem früheren O rgan-
präparat. Ziehen wir weiter in Betracht, dass wir bei Ge¬
brauch des Präparates, das keine stärkere Giftwir-
kung besitzt als das frühere, stets von uner¬
wünschten Nebenerscheinungen odei schä¬
digenden Nachwirkungen verschont blieben,
und dass das Präparat infolge seiner Hei -
stell ungs weise, der gleichbleibenden Kon¬
zentration, chemischen Reinheit und Sterili-
sierbarkeit die weitgehendsten Garantien geben kann,
dass wir auch weiter bei Anwendung desselben von schä¬
digenden Nebenwirkungen verschont bleiben
werden, so kann man sagen, dass die Einführung, des
synthetischen Suprareninpräparates einen
weiteren Sch rittin der Vervollkommnung der
Lokalanästhesie bedeutet. Wir können nach un¬
seren in der poliklinischen Praxis gemachten Erfahrungen zur
Verwendung des Mittels in der Lokalanästhesie nur raten. Der
Gedanke, dass es auch für die Lumbalanästhesie Vorteile
bringen könnte, hegt nahe.
Aus dem pathologischen Institut München.
Leberangiome mit Ausgang in Fibrombildung.
Von Dr. K- K a s a i, kaiserl. japan. Oberstabsarzt.
Die Frage der Umwandlung von Angiomen der Leber in
Fibrome ist schon seit langem diskutiert worden. Ebenso, wie
man noch über die Entstehung der Angiome vielfach geteilter
Ansicht ist, wie man aus den Arbeiten von Schmieden 191,
M e r k e 1 [7] u. a. ersehen kann, ebenso gehen z. B. auch die
Meinungen über die sekundären Veränderungen in den Leber¬
angiomen bei den verschiedenen Autoren auseinander Die
Verödung der Angiome und ihre Umwandlung m derbe, fibrom¬
artige Knoten ist ja bekannt und bei vielen Forschern finden
wir das Bestreben, das nicht so seltene Leberkavernom m
Verbindung mit dem Leberfibrom zu bringen, wie dies z. B.
aus den Arbeiten von Virchow [10J, Böttcher LJ,
Lücke [6] u. a. m. hervorgeht. Die Tatsache nun dass che
Leberkavernome durch Thrombenorganisation in fibröse Ge¬
bilde umgewandelt werden können, ist von K l e b s L5J, ts l r c n-
H i r s c h f e 1 d [1], O r t h [8], Ziegler [11], K a u man n [4]
und Anderen festgestellt worden. Eine eingehendere Arbeit
Uber diese Vorgänge bei der Umwandlung der Lebmngiome
in Fibrome ist in letzter Zeit von Merkel \7] veröffentlicht
worden, der an sechs Fällen diesen Prozess genauer studiert
hat Er beweist in jedem seiner veröffentlichten Falle, dass
durch die Anwendung der Färbemethode für elastisches Ge¬
webe die schönen Bilder der früheren kavernösen Btruktu
sich wieder darstellen lassen, sodass in anscheinend vor¬
handenen Fibromknoten das ursprünglich vorhandene -Angora
wieder zum Vorschein kommt. Durch die Ergebnisse diese
Arbeit M e r k e 1 s [7] ist also ganz sicher festgestellt woi den,
dass Kavernome der Leber sich in Fibrome i
w andeln könne n. Nach meiner Ansicht hat man auch
bereits wenn man nach dem Umwandlungsmodus der Angiome
in Fibrome der Leber fragt, folgende Vorgänge dabei fest¬
gestellt. Die Umwandlung vollzieht sich.
1. durch Verdickung der Kavarnom wände
Selb2.' durch Organisation von Thromben in den
Ka 3e durch Kombination der beiden vorstehen-
d 6 nDleuntenrdNor V’ange’fuhrte Umwandlungsweise von Ka-
vernomen in Fibrome ist bereits schon von Virchow L
19ö4
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. <40.
erwähnt worden und hat ihre Bestätigung in neuerer Zeit
wieder durch die Arbeit Merkels [7] gefunden, der in seinen
Fällen in deutlichen Bildern den ganzen Umwandlungsprozess
schildert. Der unter zwei und drei angeführte Umwandlungs¬
modus scheint von allen mir bekannt gewordenen Autoren in
gleicher Weise als sicher vorhanden angenommen worden zu
sein und will ich deshalb von einer weiteren Diskussion dieser
beiden Arten von sekundären Veränderungen zunächst ab¬
stehen.
Von Interesse ist nun die Frage, ob die Umwandlung der
Leberkavernome in Fibrome nur durch die Verdickung der
Kavernomwände allein zustande kommen kann oder bis zu
welchem Grade die Wandwucherung dabei von Einfluss wird
d. h. wie weit Thrombenbildung und organisatorische Vorgänge
in denselben hieher gerechnet werden müssen. Von diesem
Gesichtspunkt aus habe ich nachstehende zwei Fälle, die ich
durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Dr. Dü’rck zur
Veröffentlichung zur Verfügung gestellt bekommen habe, wo¬
für- ich demselben gleich hier meinen verbindlichsten Dank
aussprechen möchte, histologisch untersucht und sei es mir ge¬
stattet, über die von mir gefundenen Ergebnisse nachstehend
zu berichten.
Im 1. Fall handelt es sich um eine 57 Jahre alte Frau H. M.
Die anatomische Diagnose des Obduktionsproto¬
koll e s1) lautet:
Ziemlich frischer apoplektischer Herd im Kleinhirn im Bereich
beider Hemisphären, Oedem des Gehirns und Hvdrocephalus internus
Sklerose der basalen Hirngefässe, multiple kleine Erweichungsherde
!° der 1- Basis cerebri. Eitrige Bronchitis, Aspirationspneumonie in
leiden Unterlappen, Schwund der 1. Niere, massige konzentrische
Hypertrophie des 1. Herzventrikels. Angiofibrom im rechten Leber¬
lappen.
lieber diesen letzteren Befund lautet der Bericht im Sektions¬
protokoll folgendermassen :
Die Leber hat eine tiefe Schnürfurche und ist die Schnittfläche
des Leberparenchyms glatt. Die Läppchenzeichnung ist fast überall
erkennbar mit dunklen Zentra der Acini. In der Mitte des rechten
Lappens findet sich eine gänseeigrosse Geschwulst von dunkel¬
schwarzroter Farbe. Die Geschwulst zeigt einen schwammigen Bau
und ist anscheinend von reichlichem Blutgehalt. In diese Geschwulst
eingelagert sieht man mehrfach umschriebene, teils rundliche teils
strahhge glänzend weisse fibröse Herde. Die Gallenblase, sow'ie die
grosseren Gallengänge sind stark ausgedehnt und mit einer dunkel¬
braunen, zähen Galle gefüllt.
Es \\ ui den nun von diesem Tumor geeignete Stückchen ent¬
nommen und zur mikroskopischen Untersuchung verwandt. Dabei
zeigte sich, dass sich der Tumor ziemlich überall gleich scharf von
dem umgebenden Leberparenchym abgrenzen lässt. Die Leberzellen
sind so gut wie intakt und färben sich sowohl der Zellei'b wie der
Zellkern mit den bekannten Farbstoffen vollkommen deutlich. Der
1 umor lässt sich nach dem mikroskopischen Bild gut in zwei ganz
verschiedene 1 eile zerlegen, von denen der eine Teil nur aus Binde-
gev ebsmasse, und zwar aus einem im allgemeinen sehr lockeren
kernarmen Bindegewebe besteht, während man in dem anderen Teil'
viele teils kleinere, teils grössere, teilweise mit Blut angefüllte alveo-
lare Raume sieht Das alveoläre Gerüst und die Bindegewebsmasse
im Gebiet zwischen den beiden genannten Teilen sind noch ver¬
hältnismässig jung mit ziemlich reichlichen Spindelzellen und Rund-
zellen versehen. Im ersteren Teile ist die Bindegewebsmasse zum
1 eil oder auch fast ganz hyalin entartet doch zeigt sie sich noch mit
unregelmassig dicken Bindegewebsfasern als alveolares Gebilde und
erinnei t lebhaft an frühere Kavernome. Im Gebiet zwischen den ge¬
nannten Teilen, wo man noch Spindelzellen sehen kann, ist eine
rundliche, mehr ovale, von der Bindegewebsmasse scharf abge-
grenzte, hyalin entartete Stelle zu sehen, an welcher man sicher die
n ombenorgamsation nachweisen konnte. Ferner sieht man unrein
gelbe, sehr grosse, in Organisation getretene Thromben, in deren
Mitte nur noch wenige Blutkörperchen vorhanden sind. Im zweiten
ei zeigten sich die Alveolen mit Blutkörperchen gefüllt, welche
JS T.®11 noFh lh!*e normale Struktur hatten, teilweise jedoch be-
reits die beginnende Gerinnung zu tage treten Hessen. Bei der Be-
dles(r1r Vorgänge finden sich nicht selten Anhäufungen von
beS Ä t'i Das Alveolargerüst, das aus Bindegewebsfasern
vrrfii iVSV T 61 hyaJin entartet* die Wände sind häufig bedeutend
verdickt, die Innenwand mit einem flachen Endothel ausgekleidet.
Fl der A,nwe!Ld ung df.r spezifischen Färbemethoden für elastische
Elemente in dem Tumor finden sich solche sowohl in* dem bindege¬
webigen als auch alveolären Teil desselben vor. In dem ersteren Teil
kann man einen enormen Reichtum elastischer Fasern innerhalb
snpyT-f !ten bl"deg,eybisen Gerüstes finden und lassen hier diese
spezifisch zur Darstellung gebrachten elastischen Fasern durch ihre
U Sektionsjournal des pathologischen Institutes
/1 2, 1906.
München No.
Anordnung mit Leichtigkeit die frühere Struktur des ursprünglichen
Kavernoms wieder erkennen. Dabei verlaufen die elastischen Fasern
entweder in parallel faserigen, gewellten Bündeln, oder ihre An¬
ordnung ist eine fast völlig zirkuläre in früheren Septen. In dem
zweiten Teile, dem alveolär gebauten Teil des Tumors, findet man in
den Septen die Verdickung der Wände von der wandständigen Throm¬
benorganisation gut unterschieden.
Wendet man die von W e i g e r t zur Darstellung des Fibrins an¬
gegebene Färbemethode an, so lässt sich von dem Präparat folgender
Befund aufstellen:
1. In der Mitte der Alveolen, in dem dasselbe ausfiillenden Blut¬
gerinnsel, findet man eine büschelförmige Fibrinnadel oder einen
sogenannten Fibrinstern, der sich tiefblau im mikroskopischen Bild
dem Beobachter zeigt, ähnlich wie es D ü r c k [3] in seinem Atlas zur
Abbildung gebracht hat.
2. In dem kavernösen Gerüst sieht man Fibrinfasern, welche zu¬
meist nicht in einer geraden Richtung verlaufen, sondern fast regel¬
mässig in mäanderartigen Windungen angeordnet sind.
3. Die Fibrinfasern, die sich in der Bindegewebsmasse — weit
entfernt von dem kavernösen Bau — zur Darstellung bringen lassen,
also in jenem Teil des Tumors, der, wie eingangs meiner Beschrei¬
bung erwähnt, ziemlich reich an spindelförmigen Kernen ist, die durch
Doppelfärbung mit Alaunkochenille schwach bräunlichrot aussehen
werden in den fibrösen Massen nie gefunden.
4. Nicht häufig findet man auch in der Mitte jener bereits ver¬
ödeten kavernösen Räume, in welchen sich nur wenige Bindegewebs¬
fasern und Fibroblasten wahrnehmen lassen, Blutkörperchen jedoch
nicht mehr sichtbar sind, einen Fibrinstern.
Diesem ersten Fall möchte ich nun gleich einen weiteren
zweiten durch seinen Befund gleich interessanten Fall anreihen.
Der für uns von Wichtigkeit erscheinende Teil des Obduktionsproto¬
kolls ist folgender:
Es handelt sich um eine 74 Jahre alte Frau, bei der nachstehende
Leichendiagnose2) gestellt wurde :
Lungenentzündung (kruppöse Pneumonie), in
beiden Lungenlappen. Ausgebreitete chronische
Luftröhrenentzündung bei Kompression der
Luftröhre durch hochgradige Kropfentartung
beider Schilddrüsenlappen. Brauner Schwund
des Herzmuskels. Blutgefässverkalkung (Athero-
matose).
Ein eigener Befund fand sich nebenher noch in der Leber vor.
Die Leber war etwas verkleinert. Unter der Kapsel scheinen an
vielen Stellen kleine weisse Verdickungen durch, welche sich beim
Einschneiden als kleine weissliche, fibröse Herdchen erweisen. An
der Vorderfläche des linken Leberlappens, nahe dem Aufhängeband
sieht man einen fast hühnereigrossen, weissen Herd in das Leber¬
parenchym eingelagert. Das Lebergewebe ist sonst weich, von hell¬
brauner Farbe. Die Läppchenzeichnung ist fast durchweg ver¬
waschen. Der Blutgehalt des Organs ist sehr gering. In der Gallen¬
blase sind einige Tropfen einer trübbraunen Galle.
Auch hier wurde der hühnereigrosse, weisse Herd einer mikro¬
skopischen Untersuchung unterzogen und fand sich dabei nachstehen¬
der Befund:
Die Tumormasse ist mit einer ziemlich dicken Wand überall
scharf vom umgebenden Lebergewebe angegrenzt, dessen Parenchym
fast durchaus intakt geblieben ist und das sich durch die verschie¬
denen Farbstoffe gut zur Darstellung bringen lässt. Innerhalb der
Wand., die ganz aus Bindegewebsmasse besteht und die den Tumor
vom Lebergewebe abgrenzt, finden sich ziemlich reichliche grössere
und kleinere Blutgefässe, deren Wandung meistenteils durch die
Wucherung der Intima stark verdickt ist, so dass die Gefässlumina
kaum zu sehen sind. Hier also sieht man im Gegensatz zu Fall 1
kein Kavernomgewebe mehr, sondern nur fibröse Fibrommassen,
welche aber die kavernöse Striktur immerhin noch deutlich er¬
kennen lassen. Im allgemeinen findet sich eine kernarme Grundsub¬
stanz, die im Gesichtsfeld sogar häufig ausgebreitet hyalin entartet,
fibrös degeneriert erscheint. Der Grad der hvalinen Entartung nimmt
häufig nach der Mitte des kavernomartigen Gebildes hin zu. Hie und
da jedoch ist nur das Zentrum des maschenförmigen Baues des unter¬
suchten Tumors besonders stark hvalin entartet, während die Al-
veolarsepten von der hyalinen Entartung verschont bleiben, so dass
es dem Beobachter nicht schwer fällt, die Organisation der hier liegen¬
den Thromben zu erkennen. Die SeDten der früheren Kavernome
sind, wie ich noch erwähnen muss, stark verdickt. Die in den fibrösen
Massen, dem Fibrom, sich vorfindend.en vereinzelten Blutgefässe be¬
sitzen. wie auch oben bereits angeführt, stark verdickte Wandungen
Die Anwendung der Elastinfärbung hatte auch hier den Erfolg
durch die Darstellung der elastischen Fasern die Struktur des früheren
Kavernoms so nachzuweisen, dass, wenn auch das Bild des kaver¬
nösen Baues nicht so deutlich wie im ersten Falle zu tage trat
doch ein Irrtum ausgeschlossen erscheint.
Der Versuch, auch Fibrin noch zur Darstellung zu bringen, Hess
sich dmch den bereits fortgeschrittenen Prozess nicht mehr zur
Ausführung bringen.
_on Sektionsjournal des pathologischen Institutes München No.
/o9, 19U6.
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1985
In meinen beiden Fällen nun liess .sich durch die Anwendung
der Elastinfärbemethode in dem sonst unklaren Bild die frühere
kavernöse Struktur des Fibroms nachweisen. Durch Hämatoxylin-
Eosinfärbung habe ich ferner in .beiden Fällen gesehen, dass die je¬
weilig zur Organisation gekommene Stelle der Thromben früher
hyalin degeneriert sein muss als die eigentlichen Kavernomwände.
Es zeigt sich nämlich diese Stelle als spindelförmiges, teils rundliches,
teils ovales Gebilde, das von kernlosen, ziemlich diohten Bindegewebs-
fibrillen umgeben ist. Was nun das frühere Auftreten der hyalinen
Degeneration bei der Organisation betrifft, so lässt sich dafür schwer
ein bestimmter Grund angeben. Nicht unbeachtet möchte ich dabei
den Umstand lassen, dass die bei der Organisation vorhandenen Binde¬
gewebsfasern hier leichten Ernährungsstörungen ausgesetzt sind, Stö¬
rungen, die seitens des Blutes und des Lymphstromes wohl leichter
eintreten dürften, als im umgebenden präparierten Gewebe,
Ueber die Anwendung der Fibrinfärbemethode konnte ich in der
mir zugänglichen Literatur keine Angaben finden. Und doch glaube
ich, dass gerade durch das Darstellen des Fibrins manches Unklare
in dem Degenerationsprozess klargestellt werden kann. Es ist doch
immerhin ein interessanter Befund, wenn feine Fibrinfäden inner¬
halb einer bereits verödeten, fibrös degenerierten Kavernommasse
gefunden werden, wobei jedoch der Allgemeinbefund nur noch sagt,
dass die Verödung noch nicht lange eingetreten, sein kann, während
bei völlig altem Fibromgewebe, wie in meinem zweiten Fall, von
Fibrin auch bei sorgfältigster Behandlung keine Spur sich mehr vor¬
findet.
Wenn ich meine Ergebnisse, die sich mir aus der Unter¬
suchung der vorstehenden Fälle ergeben haben, zusammen¬
stelle, so kann ich bei der Umwandlung der Leber-
k a v e r n o m e in Fibrome nachstehende drei Merkmale
anführen :
1. Nachweis von Elastin in charakteristischer Anordnung,
das das ursprüngliche Kavernom gleichsam skelettiert wieder¬
gibt.
2. Nachweis von Fibrin in noch frischen Umwandlnngs-
prozessen.
3. Das zeitige Auftreten von hyaliner Degeneration bei der
Organisation der thrombotischen Stellen.
Nicht unerwähnt möchte ich hier noch lassen, dass die
grosse Menge der Blutgefässe und die Intimawucherung in
ihren Wänden bei meinem zweiten Falle mir ebenfalls nicht
ohne Bedeutung zu sein scheint. Denn die grosse Anzahl der
Blutgefässe beweist einmal, dass hier im Tumor eine lebhafte
Zirkulation stattgefunden haben muss; die Intimawucherung,
dass diese reichliche Zirkulation später aufgehört haben muss,
Vorgänge, die uns zur Gesamterklärung des Umwandlungs¬
prozesses gewiss nicht wertlos sein dürfen.
Nach den Befunden in meinen zwei Fällen von Leber¬
fibromen geht der Umwandlungsmodus vom Kavernom in Fi¬
brom wie folgt vor sich.
In den in den Kavernomen entstandenen Thrombosen
kommt es teils zu organisatorischen Vorgängen, teils zu aus¬
gedehnten fibrösen Verdickungen der Kavernomwände selbst.
Beide Prozesse führen dann zu jenen derben Gebilden, die ge¬
wöhnlich unter dem Namen der Leberfibrome aufgeführt
werden.
Welcher von beiden Vorgängen bei der Umwandlung die
Hauptrolle spielt, möchte ich dahin beantworten, dass meiner
Ansicht nach der Organisation der Thromben hier die grössere
Bedeutung beizumessen ist. Wenn auch die Verdickung der
Kavernomwände eine nicht unbedeutende ist, ja oft ganz enorm
erscheint, so scheint es mir doch gezwungen anzunehmen,
durch die Verdickung der Kavernomwände allein könne es zur
Verödung der weiten, grossen Kavernomräume kommen. Die
Wandverdickung möchte ich lieber als die primäre Ursache der
1 hrombosierung gelten lassen, als dass ich sie als ausschliess¬
lichen Grund des ganzen Prozesses ansprechen möchte. Ueber
die Unterscheidung zwischen der Wandverdickung und den
organisierten thrombotischen Stellen möchte ich noch be¬
merken, dass das Bindegewebe in der verdickten Wandung
resistenter erscheint als in den organisierten Stellen. Hier
sehen wir fast immer die ganz neu gewucherten feinen ela¬
stischen Fasern, die an anderen Orten sich nicht vorfinden.
Ausserdem verlaufen die Bindegewebsfasern in der Wand¬
verdickung meist parallel und regelmässig, in der Organisation
dagegen wirr und unregelmässig. Fibrinfärbung kommt in
den verdickten Kavernomwänden nie vor.
Zum Schlüsse ist es mir eine äusserst angenehme Pflicht,
Heim Prof. Dr. Dürck für die gütige Zuweisung der Arbeit
nochmals meinen besten Dank auszusprechen.
No. 40.
Literatur:
1. Birch-Hirschfeld: Lehrbuch III. Aufl., Bd. II, 1. — 2.
Böttcher: Umwandlung kavernöser Geschwülste der Leber zu
festen narbigen Knoten. Virchows Archiv Bd. 28, 1863. — 3. D ii r c k:
Atlas und Grundriss der allgemeinen pathologischen Histologie,
München 1903. — 4. Kaufmann: Lehrbuch der speziellen patho¬
logischen Anatomie, III. Auflage 1904. — 5. Klebs: Handbuch der
pathologischen Anatomie. — 6. Lücke: Die Kombinationen der ka¬
vernösen Geschwülste und ihre Umwandlung. Virch. Arch., Bd. 33,
1865. — 7. Merkel: Ueber die Umwandlung der Leberkavernome
in fibromatische Knoten. Zieglers Beiträge Bd. 36, 1904. — 8. O r th:
Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie 1887. — ^Schmie¬
den: Ueber den Bau und die Genese der Leberkavernome. Virch.
Arch. Bd. 161, 1900. — 10. Vircho w: Die krankhaften Geschwülste.
Bd. III, 1862/63. — 11. Ziegler: Allgemeine Pathologie 12. Aufl.
1905. — 12. Derselbe: Lehrbuch der speziellen pathologischen
Anatomie, 10. Aufl., 1902.
Aus dem pathologischen Institute der Kaiser-Wilhelms-Uni-
versität Strassburg (Direktor: Prof. Chiari).
Zystisches Lymphangioendothelioma papiliiferum der
Bauchwand.
Von Dr. H. Toyosumi aus Tokyo.
Am 10. Dezember 1906 wurde dem pathologischen Institute ein
Tumor der vorderen Bauchwand einer 52 jährigen Frau von Herrn
Ur. Schaller in Barr i. E. übersandt. Da der Tumor sehr inter¬
essante histologische Verhältnisse und gewisse Schwierigkeiten in der
Diagnose bot, möchte ich mir gestatten, denselben hier näher zu be¬
sprechen.
Krankengeschichte: Seit 2 Jahren hatte eine blaue Stelle,
wie eine Krampfader, in der Haut der linken Hälfte der Regio meso-
gastrica bestanden. Seit 3 Monaten hatte sich eine walnussgrosse,
schnell wachsende Geschwulst in der Tiefe unter dem blauen Flecke
in den Bauchdecken gebildet. Die Haut darüber war ganz normal
geblieben; weder Ulzeration, noch entzündliche Erscheinungen waren
in ihr nachzuweisen. Die Operation bestand in der Exstirpation der
Geschwulst samt der deckenden Haut, und erwies sich die Ge¬
schwulst beim Einschneiden als eine vielfach ausgebuchtete Zyste
mit etwa 6 ccm klarer, seröser Flüssigkeit als Inhalt. In der Um¬
gebung der blauen Stelle waren mehrere kleine Nävi zu sehen ge¬
wesen. Ein Stück Haut, 7 cm zu 6,5 cm messend, wurde samt dem
von reichlichem Unterhautfettgewebe umgebenen Tumor dem Institute
übersandt.
Das Präparat (Mus. No. 3947) wurde zuerst in zwei Hälften
geteilt. In der einen etwas grösseren Hälfte fanden sich in der Haut
mehrere kleine Nävi. Der erwähnte blaue Fleck war etwa 1 qcm
gross. Er hatte keine scharfe Grenze gegen die Umgebung und im¬
ponierte an dem in Formalin übersandten Präparate nur durch eine
leicht graue Farbe und eine feine Runzelung. Auf dem Medianschnitte
war im subkutanen Fettgewebe eine, mit dem blauen Flecke zu¬
sammenhängende, mit mehreren Ausbuchtungen versehene Zyste von
4 cm Länge, 3 cm Breite und 2 cm Höhe wahrzunehmen, die stellen¬
weise festere Partien in ihrer Wand erkennen liess, da und dort
weiche papillare Exkreszenzen trug und eine runzelige Innenfläche
zeigte. Ihre Wand war durchschnittlich 2 mm dick. Ich schnitt so¬
fort eine dünne Gewebescheibe von einer ziemlich grossen Partie der
Zystenwand ab, um daran die vorläufige mikroskopische Unter¬
suchung an üefrierschnitten auszuführen. In diesen konstatierte ich
vielenorts an der Innenfläche der bindegewebigen Zystenwand ge¬
schichtetes, in seinen Basalzellen mitunter deutlich kubisches Platten¬
epithel, während andere Stellen entweder nur einen Beleg von ganz
dünnen endothelartigen Zellen oder gar keinen Zellbelag zeigten und
weiter papillare Exkreszenzen, die meist von demselben geschichteten
Epithel wie die Zystenwand überzogen waren, öfters aber auch eines
solchen Ueberzuges entbehrten. Dabei war ich nicht im Stande, den
Ausgangspunkt der Zyste genauer zu bestimmen. Es wurde zuerst
an eine Urachuszyste gedacht. Nachdem aber Herr Dr. Schaller
nachträglich mitteilte, dass die Geschwulst genau in der linken Mam-
millarlinie, unterhalb des linken Rippenbogens gelegen gewesen war,
musste diese Idee fallen gelassen werden, und trat der Gedanke an
eine' Geschwulst aus einer überzähligen Mamma hervor, wobei der
„blaue Fleck“ einer Mammilla hätte entsprechen können. Auch diese
Meinung erwies sich aber bei der weiteren Untersuchung als unhalt¬
bar.
Nach Härtung in aufsteigendem Alkohol wurde die eine grössere
Hälfte des Tumors, die die Nävi enthielt, in Zelloidin eingebettet und,
um eine möglichst genaue Untersuchung zu erzielen, in Serien ge¬
schnitten. Die Schnitte wurden teils mit Hämatoxylin-Eosin, teils
nach van G i e s o n gefärbt. Der Tumor stellte im grossen und gan¬
zen ein mit zahlreichen Buchten versehenes Kystom mit festeren
Partien dar. Die festeren Partien bestanden aus einem netz¬
artig verzweigten Gerüste von derbem Bindegewebe, das maschen¬
förmige Fächer abgrenzte, welch letztere mit anscheinend epithe¬
lialen, teils flachen, teils mehr kubischen, ziemlich grossen Zellen aus¬
gefüllt waren. Die Züge des bindegewebigen Gerüstes verliefen da¬
bei teils gerade, teils waren sie wellenförmig gekrümmt. Die Be-
3
1986
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
scharienheit der Bindegewebsfibrillen war teils eine normale, teils
zeigten manche Bezirke ein homogenes Aussehen, das auf eine hya¬
line Degeneration derselben schliessen Hess. Ferner fand sich auch
deutlich myxomatöse Umwandlung einzelner Abschnitte des Stromas.
Die die Maschenräume des Stromas ausfüllenden Zellen waren gröss¬
tenteils ziemlich grosse, protoplasmareiche, einkernige, teils kubische,
teils flache, teils polygonale epithelial aussehende Gebilde. Sie be-
sassen meist nur einen runden oder ovalen, schwach tingierbaren
Kern und enthielten spärliche Mitosen. Daneben fanden sich in ge¬
ringer Menge grosse mehnkernige, als Riesenzellen anzusprechende
Zellen. Alle Zellen lagen dicht aneinander, sich gegenseitig abplat¬
tend, ohne Spur von Zwischensubstanz. Blut- oder Lymphkapillaren
waren innerhalb ihres Verbandes nicht zu sehen. Regressive Ver¬
änderungen und namentlich eine Verhornung Hessen sich in den Zellen
hier nicht feststellen. Manche Zellen zeigten in ihrem Protoplasma
bräunlichgelbe Pigmentkörnchen, welche bei spezifischer Färbung
die Berlinerblaureaktion auf Eisen gaben. Die dem bindegewebigen
Stroma unmittelbar aufliegenden Zellen wurden von dem Stroma oft
durch spaltförmige Lücken getrennt, durch welche feinste briicken-
förmige Fäserchen von, respektive zu ihnen verliefen.
In den weicheren Partien der Geschwulst zeigten sich in
einem zellreichen Bindegewebsstroma Lücken mit abgestossenen, de¬
generierten, aufgequollenen, grösseren Zellen nebst mononukleären
Leukozyten gefüllt. Die Wand der Lücken war immer mit epithelialen
Zellen bekleidet, die meist kubische Gestalt besassen und ab und zu
gequollen wie vakuolisiert aussahen. An Serienschnitten war zu
erkennen, dass die Lücken oft miteinander in Verbindung standen
und dass sie ferner auch mit den Ausbuchtungen des grossen Zysten¬
raumes der Geschwulst, die schon makroskopisch zu erkennen ge¬
wesen waren, kommunizierten, sowie dass ihr Stroma zu den oben¬
erwähnten Papillen ausgewachsen war. Rote Blutkörperchen waren
in diesem Hohlraumsystem nie vorhanden. Die grösseren Hohlräume
enbehrten meist gänzlich eines Zellenbelages. Ein Zusammenhang
der Geschwulst mit der Epidermis oder anderen in der Haut vor¬
kommenden epithelialen Gebilden (Haarbälge, Talg- und Schweiss-
driisen) war nirgends nachweisbar. Ebenso fand sich nirgends ein
Gewebe, das man als Reste einer Nebenmamma betrachten konnte.
Dem „blauen Flecke“ entsprechend zeigte sich Ausdehnung von Blut¬
gefässen in der Kutis und Subkutis. Die kleinen Nävi boten den ge¬
wöhnlichen histologischen Bau dieser Gebilde.
Als was war nun diese Geschwulst zu deuten? Eigentliche
Epithelien waren die Zellen der Geschwulst sicher nicht, so
sehr sie auch daran erinnerten. Es wies vielmehr alles darauf
hin, dass es sich hier um gewucherte Endothelien und zwar
Lymphendothelien handelte. Dafür sprachen der stellenweise
Uebergang der epitheloiden Zellen in ganz zarte, dünne, als
Endothelien anzusprechende Belagzellen der Hohlräume, der
da und dort wahrzunehmende Zusammenhang der Geschwulst¬
zellen mit den Stromabalken und die Neigung zur Bildung von
Riesenzellen. Das Primäre war wahrscheinlich eine um¬
schriebene Dilatation der Lymphgefässe gewesen. Stellen¬
weise begannen dann die Endothelien dieser Lymphgefässe
intensiv zu wuchern, und sich in grössere teils kubische, teils
platte epitheloide Zellen zu transformieren. So entstanden die
festeren Partien der Geschwulst, welche einen einem Karzinom
sehr ähnlichen Bau zeigten. Aus anderen dilatierten Lymph-
gefässen entwickelten sich die genannten Hohlräume, resp.
der mit zahlreichen Ausbuchtungen versehene grössere Zysten¬
raum und ging hier das Endothel zum Teil ganz verloren.
Stellenweise wuchsen endlich auch in die Hohlräume hinein
papillare Exkreszenzen des Stromas, die zum Teil gleichfalls
von ‘Stark proliferierenden Endothelien bekleidet waren, zum
Teil desselben vollkommen entbehrten. Ich stellte daher die
Diagnose auf zystisches Lymphangioendothe-
liomapapilliferum. Der Reihenfolge nach dürfte es sich
dabei gehandelt haben um: Lymphangiom, Lymphangioendo-
theliom, zystisches Lymphangioendotheliom mit papillären
Exkreszenzen.
Das zystische Lymphangioendotheliom nimmt eine Zwi¬
schenstellung ein zwischen den reinen kavernösen Lymph¬
angiomen und den soliden Lymphangioendotheliomen und
glaubte ich, das Interesse meines Falles eben darin zu finden,
dass hier stellenweise der Typus des reinen Lymphangioms
und stellenweise der des soliden Lymphangioendothelioms in
Erscheinung trat. Ob das in den Endothelien nachgewiesene
Eisenpigment den Beginn einer Melanose der Geschwulst dar¬
stellte, wage ich nicht zu entscheiden.
Diese Art von Tumoren ist schon mehrmals gesehen
worden, stellt aber trotzdem eine Seltenheit dar, und bietet
hohes Interesse in der Frage der "Genese epitheloider Ge¬
schwülste.
Ich will mich darauf beschränken, hier nur einige Autoren
anzuführen, die sich um die Kenntnis dieser Tumorart be¬
sonderes Verdienst erworben haben.
So schreibt Borst bei den Lymphangioendotheliomen:
„Erweitern sich die lymphatischen Räume, welche der Sitz der endo¬
thelialen Wucherung sind, in mannigfaltigster Weise, dann kann die
Geschwulst stellenweise ein kavernöses oder sogar zystisches Aus¬
sehen gewinnen. Man erinnert sich hier der Bilder, die man von
kavernösen und zystischen Lymphangiomen her kennt; in der Tat
kann man ein Lymphangioendotheliom an und für sich als eine beson¬
dere Art des Lymphangioms auffassen, bei welchem der endotheliale
Belag der massenhaft neugebildeten Lymphräume seinerseits erheb¬
lichen Anteil an der autonomen Neoplasie nimmt. Es ist überhaupt
interessant, auf die vielen Analogien hinzuweisen, die zwischen den
Lymphangiomen und den Endothelien der Lymphgefässe bestehen.“
Und schliesslich gibt er an, dass er einmal die Gelegenheit gehabt
hatte, ein subkutanes papilläres Lymphangioendotheliom aus der
Nackengegend zu untersuchen, welches im wesentlichen alveolären
Bau zeigte und hauptsächlich dreierlei Produkte lieferte, d. h. einmal
mehr diffus verbreitete zeitige Wucherungen in den Saftspalten der
betreffenden Oertlichkeit, dann solide Massen mit netzförmiger Struk¬
tur, grössere Alveolen des Stützgerüstes erfüllend, und endlich
zystöse Bildungen mit papillärer Proliferation des Bindegewebes der
Wandung der Zyste.
In den Fällen von Endotheliomen der Haut, die Braun operiert
hat, fanden sich auch ziemlich grosse Zysten, die zum Teil eine
hyaline Substanz enthielten, zum Teil aber auch mit Blut gefüllt
waren.
Morpurgo publizierte einen Fall von Hautendotheliom, wel¬
ches in der Trochantergegend unter der Haut lag und dessen genaue
Untersuchung ein Endotheliom erkennen Hess, das seinen Ausgangs¬
punkt von den Lymphgefässen der Subkutis und des kutanen Binde¬
gewebes genommen hatte, und in dem sich infolge einer Aufquellung
und hyalinen Metamorphose der bindegewebigen Grundsubstanz
mehrere Zystchen gebildet hatten.
Zusjemsky berichtete vor kurzem über ein Cystendothelioma
faciei, welches durch Wucherung der Endothelien der Lymphspalten
entstanden war, karzinom- und sarkomähnliche Stränge bildete und
aus den Spalten entstandene Zystchen enthielt.
Ewetzky schreibt: „Im Zentrum der Geschwulst scheint die
Zelltätigkeit fast vollständig erloschen, es treten mehr Degenerations¬
vorgänge in den Vordergrund, die sich durch Aufquellung des binde¬
gewebigen Stützgerüstes mit gleichzeitiger hyaliner Degeneration,
endlich durch Verflüssigung und Zugrundegehen aller Geschwulstele¬
mente (Zystenbildung im Innern des Tumors) manifestieren.“
Kromayer, Mulert, Tanaka und H a s 1 u n d haben eben¬
falls Fälle von Hautendotheliom mit Zystenbildung publiziert. Schliess¬
lich möchte ich hinzufügen, dass ein von Marchand als Endothel¬
geschwulst beschriebener zystisch papillärer Tumor des Ovariums
eine sehr grosse Aehnlichkeit mit der von mir untersuchten Ge¬
schwulst besass, wie dies aus den Abbildungen der Arbeit ersicht¬
lich ist.
Literatur.
Borst: Geschwulstlehre, 1902. — Braun: Archiv f. klin.
Chir., Bd. 43, 1892. — Ewetzky: Virchows Archiv, Bd. 69, 1877. —
Haslund: Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. 82, 1906. — Kro¬
mayer: Virchows Archiv, Bd. 139, 1895. — Marchand: Habili-
tationsschr., Halle 1879. — Morpurgo: Zeitschr. f. Heilkunde,
Bd. 15, 1896. — Mulert: Archiv f. klin. Chir., Bd. 54, 1897. —
Tanaka: D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 51, 1899. — Zusjemsky:
Casopis lek cesk 1906, No. 1 — 3.
Aus der chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Kranken¬
hauses zu Lübeck (Oberarzt Dr. R o t h). UJ
Abnorme Mesenterialverhältnisse inkarzerierter Hernien.
Ein Fall von Kombinationsileus.
Von Dr. Oskar Klauber, Sekundärarzt.
Anlässlich der Veröffentlichung eines Falles von Gangrän
bei retrograder Darminkarzeration *) hatte ich Gelegenheit ge¬
nommen, auf die Bedeutung hinzuweisen, welche die ana¬
tomischen Verhältnisse des zugehörigen Mesen¬
teriums für die Einklemmung, bezw. für den Eintritt von
Gangrän der Darmschlinge besitzen. Dort war eine ab¬
norme Länge des Mesenteriums notwendig, ja vielleicht
begünstigend gewesen, dass trotz der in der linken Bauchhälfte
hoch oben erfolgenden Insertion der Radix mesenterii noch
ein zweimaliges Passieren der Bruchpforte durch eine Darm-
1) 0. Klauber: Zwei Dünndarmschlingen im eingeklemmten
Bruch. Deutsche medizinische Wochenschrift, 1906, No. 4, Seite 145.
Und: Die Gangrän der retrograd inkarzerierten Darmschlinge. Zen-
tralbl. f. Chir. 1907, No. 35, Seite 1027.
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1987
schlinge zustande kam. Seither war ich wierderholt in der Lage,
auch bei einfachen Fällen von Brucheinklemmung zu sehen,
welchen Einfluss die anatomischen Verhältnisse des Mesen¬
teriums mitunter gewinnen können. ' . . . ,
Als ich am 29. April 1906 eine seit 24 Stunden eingeklemmte
Schenkelhernie zu operieren hatte, welche wegen sehr straffei l<ing-
einklemmung leicht gangränverdächtig erschien, fiel es mir zum
ersten Male auf, dass die vorgefallene Dünndarmschlinge auch nach
Spaltung aller beengenden Bruchhüllen nicht vorziehbar war.
her in die Bauchhöhle eingeführte Finger fühlte, dass bei vorge¬
lagerter Schlinge das zugehörige Mesenterium straft ge¬
spannt (auch einmal um 180° um seine Achse gedreht) war: aus
'der Bauchhöhle floss viel klares Bruchwasser. Die Schlinge erholte
sich unter feuchtwarmer Einpackung und konnte repomert werden.
Ich war mir damals bewusst, im Falle der Notwendigkeit einer Darm-
resektion diese nicht von der Bruchpforte aus vornehmen zu können.
Schon nach 3 Wochen stand ich bei einem ähnlichen balle vor
dieser Schwierigkeit. Hier bestand die Imkarzeration des rechts¬
seitigen Kruralbruches bereits 2 Tage und die 63 jährige I atientin
hatte schon Kotbrechen; doch waren die Därme weder gebläht, noc
zeigten sie Darmsteifung, Winde gingen ab. Dagegen klagte die
Frau über Schmerzen in der Tiefe des Bauches, etwa m Nabelhohe
•ruch dann wenn an der auffallend weichen, nicht schmerzhatten
Bruchgeschwulst gedrückt oder gezogen wurde Bei der Operation
(in medullärer Stovainanästhesie) erwies sich die Inkarzeration als
schlaff, das 6 cm lange eingeklemmte Darmstück nach seinem Aus¬
sehen aber kaum lebensfähig und die Resektion indiziert. Jedoch die
Schlinge war nicht einmal um Vz cm au« der Bruchpfortehervor-
/ u z ie h e n trotzdem der Finger neben derselben frei in die Bauch¬
höhle eingeführt werden konnte. Innen fühlte man fas zugehörige
Mesenterium straff gespannt gegen die 1 1 n k e Bauch¬
hälfte ziehen. Daher sofort kleine subumbihkale medmne Laparo-
tomie Vorziehen der inkarzeriert gewesenen Schlinge furch diese
Oeffnüng- Das kurze, an der Wirbelsäule entspringende Mesenterium
ohne sichtbare Qefässveränderungen, aber verdickt un^ °deiJiatgS^JJ
der Bauchhöhle sehr viel seröse, klare Flüssigkeit. Entleerung u
Resektion des Darmes unter seitlicher Anastomosierung der Stumpfe.
Eine zufällig in der rechten unteren Bauchhöhle gelegene
hohe Dünndarmschlinge (mittleres Jejunum) war durch die
Bauchpresse in den rechten Schenkelkanal gedrängt und
dort mit ihrer Kuppe festgehalten worden . (elastische .Ein¬
klemmung) Nach den gegebenen anatomischen Verhältnissen
musste in der fixierten Lage das zu der Schlinge gehörige
Mesenterium gespannt werden, dies erzeugte die
konstanten Schmerzen in der Nabelgegend, bedingt durch den
Zug an der Insertion der Radix mesentern. Es entwickelten
sich nun die Symptome der Brucheinklemmung; Die > Stauu g
in der Darmpassage, welche bei dem hohen Sitze rasch zui
Kotbrechen führte. Trotzdem war der D^rmversch uss k e
vollständiger, wie die anatomischen Verhältnisse am
Bruchringe, die Durchgängigkeit des Darmes für Gase und die
relativ geringe Füllung des zuführenden und eingeklemmten
Darmes sowie die nachgewiesene Entleerungsmoghchkeit des
letzteren v o r Spaltung des eingeklemmten .Ringe s zeig jten.
Trotz eingetretener Gangrän vermochte die kräftige Pensta
des auffälliger Weise wenig geschädigten ^Darmes
noch das kurze, aus seiner Inkarzeration geloste Darmstuck
ZUm In 'dem angespannten, zur Bruchpforte weit hinziehenden
Mesenterialzipfel war die B T u t z i r k u 1 1 d
Spannung, vielleicht auch durch geringe Drehungen und
Knickungen erheblich beeinträchtigt. Nun war an der distalsten
Partie noch die konstringiernde Bruchpforte zu passieren, hie
genügte jetzt schon eine geringe Kompression, um an dem
vorgefallenen Darmstücke derartige Zirkulationshemmungen
zu bewirken, dass rasch irreparable Ernährungsstörungen he -
beigeführt wurden. Während das in der war
laufende Mesenterium ein hochgradiges Oedem aufwies wa
die den Bruchinhalt bildende Darmpartie bereits
Bei der Kürze des eingeklemmten Darmes fehlten erheblich
im Bruche gelegene Mesenterialabschnitte mit entsprechen
weiter vorgeschrittenen Ernährungsstörungen. . ..
Nehmen wir in Gedanken an, anstatt des sdtenen Zufa ,
der hohen Dünndarmschlinge, wäre im Momente her mtr
abdominellen Druckerhöhung eine tiefere Schlinge der U™
pforte gegenüber gelegen, dann wäre es schon
herein nicht so leicht zur Inkarzeration gekommen A«
der spitzwinkelig geknickten Kuppe der hohen Schlinge die s c
wie ein Keil in den Bruchkanal eingeschoben i hat, wäre Her e
mehr gerade gestreckte Darmpartie der Bruchpforte gege
über gelegen und es hätte auch im Falle der Einklemmung d e r
elastische Zug in der Achse des gespannten
Mesenteriums gefehlt, der seinerseits die Inkarzeration
steigernd rasch den Ablauf der Phasen der Brucheinklemmung
einleitete' und ohne kausale Mitbeteiligung des Darminhaltes
die Wandgangrän hervorbrachte, welche weder die mässige
elastische Einklemmung, noch die sonst immer nebenher¬
gehende Koteinklemmung für sich allein hatten bewirken
können. , , , , T
Eine praktische Bedeutung erhalten solche Falle von In¬
karzeration dann, wenn sich eine Darmresektion als notwendig
erweist welche von der Herniotomiewunde aus absolut unaus¬
führbar' ist. Gehört auch die Erweiterung der Herniotomie zu
einer sogen. Herniolaparotomie aus den verschiedensten
Gründen keineswegs zu den seltenen Vorkommnissen, so ist in
solchen Fällen, wo die inkarzerierte Darmschhnge vielleicht
aus dem oberen Teile der anderen Bauchhai te kommt, selbst
mit einer ausgedehnten Verlängerung des Schnittes durch das
Poupartsche Band hindurch nach oben wenig gewonnen,
da eine solche Schlinge nur um die gleiche Strecke zugäng¬
licher als der Schnitt verlängert wird. Da schafft eine kleine
mediane Laparotomie unvergleichlich mehr Platz, ohne die
Bauchdecken so ungünstig zu verletzen, und bildet den schonen-
deren Eingriff. Heutzutage, da wir wissen, dass sich Hernio¬
tomie und Laparotomie als beide die Peritonealhohle eröffnende
Operationen in ihrer Gefährlichkeit nicht unterscheiden wird
kein Operateur im Falle der Notwendigkeit nur einen Augen¬
blick vor der nochmaligen Eröffnung der Bauchhöhle zögern.
Auffällig war mir bei dieser Operation — trotz bestehenden
guter Lumbalanästhesie, welche noch zuletzt die schmerz! lose Ba u< c -
deckennaht erlaubte — die bei Darmresektionen unter
scher Infiltrationsanästhesie niemals beobachtete enorme Schmerz¬
empfindlichkeit des (nicht mehr gespannten) Mesenteriums, welches
nach den Len n ander sehen Untersuchungen anästhetisch sein soll. Es
wäre einerseits denkbar, dass die Lumbalanästhesie ausserhalb der
Grenze ihrer Wirksamkeit die Schmerzempfindlichkeit gerade steigert,
oder aber hatte der pathologische Zustand des lange gespannt ge¬
wesenen ödematös durchtränkten Mesenterialzipfels Bedingungen für
dne erhöhte SchmerzemofindlicWkeit geschaffen. Ueber diese in¬
teressanten Verhältnisse können erst weitere Beobachtungen an
lumbalanästhesierten Personen Aufschluss geben.
Dass die Einklemmung von Darmschlingen derart, dass im
inkarzerierten Stadium das zugehörige Mesenterium ange-
spannt ist, nicht so selten vorkommt, iehrten mich neuer liehe
Beobachtungen vom 4. Februar und vom 15 Febraar 1907
beides nicht straff inkarzerierte Kruralbruche, welche nac
Herniotomie reponiert werden konnten. Bemale „chhälfte
die Schlingen, welche gegen die andersseitige Bauchhalfte
hinaufzogen, kaum einige Millimeter weit vor die Bruchpforte
vorgezogen werden. Obwohl heute die Inspizierung der Darm¬
partien abdominal von den Inkarzerationsringen zur Reg g
hört die Unmöglichkeit, die Darmschlingen vorzuziehen, also
sofort auffallen muss, ebenso die Schwierigkeiten im Falle dei
Notwendigkeit einer Resektion dann stets in Erschemung trete
müssen, habe ich doch in der mir zugänglichen Literatur hier¬
über nirgends Andeutungen vorgefunden. .
Beachtenswert ist auch, dass bei solchen Brüchen mit ge¬
spanntem Mesenterium während der Zeit, welche sie event b -
hufs Erholung vorgelagert werden, eine solche nicht ein-
treten will, weil die ungünstigen Zirkulationsverhältnisse in¬
folge der Spannung des Mesenteriums fortbestehen, wahrend
die Schlinge nach der Reposition in die Bauchhöhle sofort nor-
males Aussehen annimmt, wie ich mich durch mehrmaliges
Vorziehen überzeugen konnte. : Rn,rheinklem-
Im Leistenkanal begegnete ich der Brucheinkiem
mung unter Anspannung des Mesenteriums erst einmäl, auc
hier unter den Erscheinungen des inkompletten Dan
Verschlusses. Der Fall zeigte so viel des Interessanten, dass
ich ihn ausführlicher beschreiben will.
Der 48 jährige Mann wurde am 17. März 1907 mit der ärztlichen
SSSSSSs
Icht" mehr6' ÄÄ* Mute bmer|allto FlSigkeit^Dt
1988
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
sichtszüge nicht verfallen. Puls sehr schwach (110), Temperatur
normal. Das Abdomen bedeutend aufgetrieben, die Bauchdecken
passiv gedehnt. Doch erscheinen die beiden Planken bis hinab zu
den Darmbeingruben stärker vorgewölbt, ebenso springt die Ober¬
bauchgegend querwulstig mehr hervor. Der Druck auf die Bauch¬
decken ist nicht merklich schmerzhaft. Die unteren Lungengrenzen
sind um zwei Rippenräume höher gedrängt, die Leberdämpfung ver¬
schwunden. Im Epigastrium und in beiden Flanken weit nach hinten
reichend meteoristischer Schall; keine Dämpfungen. Rechts ein seit
vielen Jahren — ohne Beschwerden — bestehender Leistenbruch,
welcher zur Zeit nicht schmerzhaft ist. Der Bruch schmal, lang¬
gestreckt, weich, verschieblich, doch ikann man ihn nicht dauernd
in die Bauchhöhle reponieren (? wegen des Meteorismus). Rektal¬
befund normal, die Vorderwand der Ampulle ins Lumen vorgewölbt.
Nach Obigem musste die Diagnose auf einen chroni¬
schen Ileus infolge tiefsitzender Dickdarmstenose gestellt
werden und war ein Flexurkarzinom wahrscheinlich. Wegen
der drohenden Perforationsgefahr wurde sofort (in Sauerstoff¬
chloroformnarkose) operiert.
Kolostom ieschnitt links. In der Bauchhöhle viel klare,
seröse Flüssigkeit. Es stellt sich eine geblähte, injizierte Dünndarm¬
schlinge ein, die Flexur ist leer, der Dickdarm, soweit tastbar, ohne
Besonderheiten. In der Bauchhöhle neben kollabierten Dünndarm¬
schlingen stark geblähte, von welchen die dickste in die rechte Unter¬
bauchgegend gegen eine abnorme, nach auswärts konkave Höhlung
zieht und dort fixiert ist.
Daher explorativer Bruchschnitt rechts: Freilegen des
Bruchsackes; an dessen Kuppe etwas sulziges Oedem. An dem wal¬
nussgrossen Bruchsack die Darmschlinge mässig fest haftend an der
Kuppe angewachsen. Die Schlinge ist im Hals nur durch den
peritonealen Ring fixiert und unverschieblich, aber nicht erheblich
geklemmt. Nach Spaltung dieses Ringes erscheint der Darm überall
normal gefärbt, gefüllt und Peristaltik zeigend. Die Schlinge ist
nur wenig vor zieh bar, in der fixierten Lage stand das Me¬
senterium schon unter Spannung. Reposition der Schlinge und Drai¬
nage der Bruchpforte.
Jetzt ist von der Laparotomiewunde aüs der gespannte Me¬
senterialzipfel nicht mehr zu tasten. Es wird eine von den enorm
geblähten, armdicken Dünndarmschlingen hervorgezogen und punk¬
tiert — ohne viel Erfolg. Deshalb wird die Kuppe der Schlinge in
die Bauchwunde eingenäht und zur Enterostomie ein notizbleidickes
Gummirohr eingebunden. Durch dieses entleerten sich rasch grosse
Mengen von Gas und dünnem Stuhl, nachts erfolgten spontan zwei
ausgiebige Stuhlentleerungen per vias naturales und der Leib kolla¬
bierte. Ungestörter weiterer Verlauf. Die sehr hochliegende Darm¬
fistel schloss sich nicht spontan; ein Versuch der extraperitonealen
Naht nach M a 1 g a i g n e in der 5. Woche misslang, so dass ich
schliesslich in der 8. Woche das die Fistel tragende Darmstücik rese¬
zieren musste; Heilung.
Hier hatte die Symptomatologie völlig irregeführt: Die tief¬
sitzende Dickdarmstenose war in charakteristischer Weise
durch geblähte Dünndarmschlingen vorgetäuscht worden. Die
Hernie war irreponibel, aber an dieser Stelle bestand kein völ¬
liger Darmverschluss. Vielmehr kam zu der inkom¬
pletten Stenose am Bruche noch eine zweite
in der Bauchhöhle. Hier hatten die Mesenterialblätter
des irreponiblen Darmes, welche ich schon vor der Hernio-
tomie straff gespannt durch die Bauchhöhle zur Bruchpforte
hinziehen und die mediale Begrenzung eines tiefen Rezessus
bilden fühlte, Anlass zu einer zweiten Stenosierung des Darmes
gegeben, wahrscheinlich dadurch, dass eine leere Darmschlinge
sich in den Rezessus gelegt hatte, bei Eintritt der Kotstauung
sich anfüllte und aus dem Rezessus nicht mehr herausgelangen
konnte, so dass sie dort (relativ) stenosiert wurde. Beide in¬
kompletten Stenosen vereinigten sich zusammen zu einer Art
Kombinationsileus.
Der Begriff des Kombinationsileus wurde im Jahre 1897
von Hochenegg-) eingeführt und hiermit aus den verschie¬
denen Formen von Ileus, bedingt durch zwei verschiedene Ur¬
sachen, ein ganz bestimmtes Krankheitsbild herausgegriffen,
welches durch Kombination einer chronischen Dickdarmstenose
mit einer akuten Dünndarmverengung entsteht und sich in zwei
Phasen abspielt, deren erste als Dickdarmobturation, die
zweite aber als Dünndarmstrangulation in Erscheinung tritt.
In der dem Vortrage folgenden Diskussion 3) wurden die An¬
schauungen Hocheneggs vielfach bekämpft und dieser er¬
klärte zum Schlüsse, den Namen gegebenenfalls fallen zu
lassen.
2) Hochenegg: Ueber eine neue Form des Ileus (Kombi¬
nationsileus). Wiener klin. Wochenschr. 1897, No. 51, Seite 1117.
Ich möchte denselben — ohne auf die gleichen Wider¬
sprüche zu stossen — aufnehmen in einer Deutung, welcher
die Hochenegg sehen Fälle ebenfalls entsprechen und die
sich auf gewisse Verhältnisse bezieht, welche uns in der Darm¬
pathologie nicht selten begegnen. Nicht ein zufälliges, gleich¬
zeitiges Vorhandensein zweier Darmverlegungen (wie z. B. von
multiplen tuberkulösen Strikturen oder mehrfachen Adhäsionen
nach abgelaufener Peritonitis) soll den Namen Kombinations¬
ileus verdienen, sondern nur jenes Zusammentreffen, bei
welchem wie bei Hochenegg ein kausaler Zusammenhang
zwischen den beiden Stenosierungen besteht. Doch dürfen
wir den Umfang des neuen Begriffes nicht nur auf gewisse
Formen beschränken, welche in den 4 H o c h e n e g g sehen
Beobachtungen zufälligerweise aufgetreten sind, sondern wir
müssen, das Wesentliche des Symptomenbildes herausgreifend,
auch anderen hierhergehörigen Krankheitsformen Spielraum
gewähren.
Auch bei den Hochenegg sehen Dickdarmkarzinomen
war weder das schon vorher vorhandene obturierende
Hindernis des Karzinoms noch die Strangulation, bezw. Steno¬
sierung im Bruchsack für sich allein genügend, Ileus hervor¬
zurufen - — erst ihr unglückliches Zusammentreffen. Wenn ich
also unter Kombinationsileus einen Darmver¬
schluss verstehe, welcher erst durch das Zusammen¬
wirken zweier ileuserzeugender Momente zustande kommt,
von welchen jedes für sich allein die Symptomatologie des
Darmverschlusses nicht hervorruft, so lässt sich hierunter auch
folgendes nicht seltene Vorkommnis einreihen: Während wir
bei den Bauchoperationen der Art der Rücklagerung der even-
trierten Darmschlingen im allgemeinen keine besondere Be¬
achtung schenken, weil wir wissen, dass die Schlingen regellos
im Bauche lagern und beständig ihre Lage wechseln, kann in
der peritonitischen Bauchhöhle eine kleine Abnormität
in der Lagerung (Drehung, Knickung etc.) sich mit dem einen
paralytischen Ileus hervorrufenden Moment so kombinieren,
dass an dieser Stelle ein lokaler Darmverschluss zustande
kommt, dem der Kranke erliegt; während die peritoneale Er¬
krankung allein hätte überstanden werden können, die ge¬
ringgradige Verlagerung andererseits in der normalen Bauch¬
höhle durch die peristaltische Tätigkeit rasch beseitigt worden
wäre. Auch hier kann man sinngemäss von einem „Kombi-
nations-Ileus“ sprechen.4)
Bei allen diesen Fällen spielen Zufälligkeiten eine grosse
Rolle für die Erkenntnis und ausreichende Behandlung des Zu¬
standes. So hatte in meinem Falle die Vortäuschung des Bildes
einer Dickdarmstenose zur vorherigen Laparotomie und Auf¬
findung des zweiten, intraabdominalen Passagehindernisses
veranlasst. Aber auch wenn man den Fall von vornherein
anders gedeutet hätte, als dies geschehen ist, und z. B. zunächst
den Bruch operiert hätte, wäre das Missverhältnis zwischen
dem geringen lokalen Befund und den schweren Darmobstruk¬
tionserscheinungen gewiss aufgefallen und hätte insbesonders
die fast gleiche, geringe Füllung von zu- und abführendem
Darm dazu veranlasst, nach einem zweiten Hindernis der Darm¬
passage im Bauche zu suchen, wenn auch dessen Feststellung
jetzt nach Lösung der Brucheinklemmung und Freiwerden des
gespannten Mesenteriums viel schwerer, wenn nicht unmöglich
gewesen wäre.
Auch Max Hofmann3) hatte es nur dem Zufalle zu ver¬
danken, dass das Vorhandensein einer zweiten, intraabdomi¬
nalen Stenose bei der Bruchoperation entdeckt wurde.
Der rechtsseitige Leistenbruch des 64 jährigen Mannes war IV2
Tage eingeklemmt und es wurde wegen Brandverdachtes über 1 m
Darm reseziert. Während dieser Arbeit schlüpft plötzlich beim
Pressen des Patienten eine tief blauschwarz verfärbte Schlinge aus
der Bauchhöhle durch die erweiterte Bruchpforte vor dieselbe. Des¬
halb wird der Schnitt am lateralen Rektusrande verlängert und man
sieht, dass das Mesenterium der im Bruchsack eingeklemmt ge¬
wesenen Darmschlinge als straff gespannter, ödematös ver¬
dickter Strang von seiner Wurzel gegen die Bruchpforte hinzieht
3) Offizielles Protokoll der K. K. Gesellschaft der Aerzte in
Wien. Sitzung vom 17. Dezember 1897 und vom 14. Januar 1898.
Wiener klin. Wochenschr., 1897, No. 51, Seite 1134 und 1898, No. 3,
Seite 62.
4) Wie dies auch Wilms (Der Ileus, Seite 69) bei ähnlichen
Betrachtungen, allerdings mit dem Zusatz „sit venia verbo“, tut.
]. Oktober 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
und die Achse abgibt, um welche jener blauschwarz verfärbte Darm
samt seinem Mesenterium 1 Va mal herumgeschlagen war. Es wurden
nochmals P/4 m Darm reseziert, doch erlag Pat. dem Kollaps.
Die straffe Spannung des zum inkarzeriertcn Darme ge¬
hörigen Mesenteriums birgt also ausser den Schwierigkeiten
bei der Ausführung der Darmresektion noch die Gelegenheit
zur Ausbildung intraabdominaler Komplikationen in sich, deren
Formen mit der obigen sicher nicht erschöpft sein werden.
Solche Vorkommnisse mahnen eindringlich, nicht zu verab¬
säumen, nach Reposition der Darmschlinge digital die Bauch¬
höhle zu kontrollieren; ich möchte hinzufügen, dass bei auf- 1
fälliger Kürze und Spannung des Mesenteriums diese Unter¬
suchung zweckmässig schon vor der Reposition, bei unver¬
änderter pathologischer Lage der Intestina vorgenommen
werden soll, um das Auffinden eventueller sekundärer Steno-
sierungen zu ermöglichen. Auch \V i 1 m s ") rät gelegentlich
der Besprechung des zweisitzigen Ileus, bei unklaren Fällen
von Brucheinklemmung an Komplikationen innerhalb der
Bauchhöhle zu denken.
Zu rechtfertigen wäre noch in meinem Falle die Anlegung
der Darmfistel, welche nach dem weiteren Verlauf scheinbar
unnötig, den Patienten in einen höchst unangenehmen Zustand
versetzte und zu dessen Beseitigung schliesslich eine gefähr¬
liche Operation erforderte. Zur Zeit des Ileus lagen die stark
geblähten Schlingen oberhalb des intraabdominalen Hinder¬
nisses, dieses oberhalb des Bruches, zwischen beiden ge¬
füllte, aber nicht überdehnte Darmpartien. Wenn man auch
(z. B. aus den Hochenegg sehen Fällen) weiss, dass nach
der Beseitigung des einen Hindernisses das Bestehenbleiben des
anderen nicht mehr genügt, um den Zustand des Ileus weiter
zu erhalten, vielmehr trotz Uebersehen des zweiten Hinder¬
nisses sich meist von selbst normale Verhältnisse wieder ein¬
stellten, (weil es sich eben nur um relative Stenosen handelte),
so schien mir doch in meinem Falle die blosse Beseitigung
der Bruchstenose zur spontanen Rückbildung auch des sekun¬
dären, intraabdominalen Stauungszustandes vielleicht nicht
mehr ausreichend, weil hier das sekundäre Hindernis ober¬
halb der behobenen Stenose lag und an jenem die schwereren
Veränderungen (Darmüberdehnung) lokalisiert waren. Des¬
halb fühlte ich mich zu einer besonderen Behandlung dieser
zweiten Stenose verpflichtet. Der ähnliche Fall Hofmanns
(siehe oben), bei welchem die intraabdominale Stenose schon
zur Gangrän geführt hatte, spricht für die Berechtigung
meines Vorgehens.
Aus dem Anscharkrankenhaus in Kiel (Direktor: Geh. Med. -Rat
Prof. Dr. Peterse n).
Entfernung eines Fremdkörpers aus dem linken
Bronchus.* *)
Von Dr. C a r 1 a u, früherem Assistenten des Krankenhauses.
Die Entfernung von Fremdkörpern aus den Luftwegen
des menschlichen Körpers bereitet dem Operateur immer er¬
hebliche Schwierigkeiten, und stellt an das technische Können
desselben grosse Anforderungen, wenn auch durch die K i 1 -
1 i a 11 sehe Bronchoskopie erhebliche Erleichterung geschaffen
ist. Jedoch nicht überall steht das Instrumentarium zur Ver¬
fügung; und die erforderliche Technik fehlt; gehören doch
solche Fälle zu den seltenen.
Ein sehr einfaches Instrument zur Entfernung von solchen
Fremdkörpern, welches in jedem Krankenhaus für den event.
Fall sich leicht hersteilen lässt, beschreibt H e 1 f e r i c h in der
Deutschen Zeitschrift für Chirurgie (Festschrift für v. Esmarch
1902). H e 1 f e r i c h berichtet daselbst über 2 von ihm ope¬
rierte Fälle von Entfernung eines Fremdkörpers aus den
Bronchien.
ln dem einen Fall handelte es sich um eine lange glatte Mctall-
hiilse im linken Bronchus, welche nach Tracheotomie und nach Tiefer¬
legung des Rumpfes und Kopfes durch kurze Schläge gegen den
5) M. Hof mann: Ein seltener Fall von zweisitzigem Strangu-
lationssileus. Wien. klin. Wochenschr. 1903, No. 41, Seite 1135.
«) M. Wilms: Der Ileus. Deutsche Chirurgie, Lieferung 46/g,
1906, Seite 409.
*) Nach einem in der Medizinischen Gesellschaft zu Kiel ge¬
haltenen Vortrag.
1989
Rücken und durch Schütteln des Rumpfes nach unten vor die Tracheo-
tomieöffnung rutschte, und mit einer Pinzette entfernt wurde.
Im zweiten Fall handelte es sich um eine Bleistifthülse mit schar¬
fem, zackigen Rand, ebenfaills im linken Bronchus. Es wurde die
Tracheotomie gemacht, Rumpf und Kopf schräg nach unten gelagert;
aber es gelang nicht , durch Schütteln und Schlagen die Hülse nach
unten zu bringen.
Da konstruierte Helfe rieh sich ein eigenes Instrument für
diesen Fall:
Er liess eine dünne biegsame Metallröhre aus Messing her¬
steilen, über deren knopfartig abgerundetes Ende ein dünner Gummi¬
finger festgebunden wurde; jedoch so, dass die Röhre ein ganzes
Stück in den Ballon hineinragte. Dieser längliche Gummiballon sollte
mit seiner Spitze in die Hülse hineindringen. Sodann aufgeblasen,
sollte mit diesem Teil des Ballons die Entfernung der Hülse durch Zug
erfolgen, während gleichzeitig durch den oberen I eil des Ballons die
Bronchialschleimhaut weggedrückt und auf diese Weise freie Bahn
geschaffen werden sollte. _
Mit diesem Instrument gelang sofort die Extraktion. Die Hülse
sass fest auf dem unteren Teil des Ballons.
Dieses von H e 1 f e r i c h angegebene Instrument benutzte
Geh. -Rat Peterse n bei einem ähnlichen Fall, der 1906 im
Anscharhaus operiert wurde.
Es wird, ein 8 jähriger Junge eingeliefert, der nach Angabe der
Mutter am Tag vorher eine Bleistifthülse verschluckt habe. Der zu¬
erst hinzugerufene Arzt hat ein Brechmittel subkutan injiziert; die
Hülse ist aber nicht zum Vorschein gekommen.
Bei der Aufnahme sind keinerlei Beschwerden vorhanden; der
Junge ist frisch und munter. Palpation des Leibes ergibt nichts,
Lungen ohne Besonderheiten. Nahrungsaufnahme ohne Beschwerden.
Am nächsten Tage wurde eine Röntgenaufnahme gemacht (Dr.
B e h n, Med. Röntgeninstitut). (Siehe Abbildung.) Der rremd-
körper fand sich links neben der Wirbelsäule in Höhe der 6. und 7.
Rippe etwas schräg gestellt, das abgerundete Ende etwas tiefer nach
aussen seitwärts, der offene Teil höher nach der Wirbelsäule zu.
Nach dem Bild war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass der
Fremdkörper in der Speiseröhre schräg festgekeilt sass. Dann jedoch
wäre wohl die Nahrungsaufnahme mit Beschwerden verbunden ge¬
wesen, ebenso würde man wohl beim Einführen der Schlundsonde
auf ein Hindernis gestossen sein oder doch wenigstens Schmerzen aus¬
gelöst haben. Es konnte also der Fremdkörper sich nur im linken
Bronchus befinden. Eine Bestätigung dieser Annahme gab am
4 Tag der Lungenbefund: Ueber beiden linken Lungenlappen war
gedämpfter Schall, das Atemgeräusch war ganz abgeschwächt, kaum
hörbar. Die linke Thoraxhälfte blieb bei der Atmung völlig zuruck,
die Interkostalräume waren links bedeutend enger als rechts. Nach
allem diesen war es klar, dass der Fremdkörper im linken Bronchus
sass und fest eingekeilt noch vor der ersten Teilungsstelle des Bron¬
chus. Geh. -Rat Petersen nahm sofort die Operation vor, und
benutzte dazu ein nach den Angaben von Helfe rieh angefertigtes
Tn.cIrinnPllf (q AVvVlilH 1
Operation: Untere Tracheotomie; da jedoch der Isthmus sehr
■eit ist und sehr weit nach unten geht, wird 'der Schn, t nach oben
mlängert und die obere Tracheotomie ausgefuhrt Die Luftronre
ird durch Sperrer auseinandergehalten. Sodann starke Hochlage-
1990
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
rung des Beckens, so dass der Patient fast senkrecht mit dein Kopf
zur Erde hängt. Jetzt wird die vorhin beschriebene Röhre, mit dem
Fingerling armiert, und nach dem Röntgenbild der Lage des Fremd¬
körpers entsprechend gebogen, eingeführt. Sie gleitet leicht in den
linken Bronchus. Der Ballon wird durch eine grössere Spritze lang¬
sam aufgeblasen. Man hatte jedoch nicht das Gefühl des Wider¬
standes, und die Luft wird wieder herausgelassen. Auf leichten
Druck glitt jetzt die Röhre noch etwas tiefer in den Bronchus hinein.
Wahrscheinlich war vorhin die Spitze des Instruments gegen den
scharfen umgebogenen Rand der Hülse gestossen. Der Ballon wurde
jetzt vorsichtig wieder aufgeblasen, und langsam unter weiterem
Aufblasen herausgezogen; der Ballon erschien jedoch ohne
Fremdkörper in der Tracheotomiewunde. In demselben Moment aber
wird hinter dem Ballon der Fremdkörper sichtbar in der Wundöffnung,
rutscht etwas zurück bei der Einatmung, und wird jetzt leicht mit
einer Kornzange entfernt. Irgendwelche Atemstörungen traten nicht
auf. Die Tracheotomiewunde wird mit Jodoformgaze bedeckt; eine
Kanüle wird nicht eingelegt. Nach 5 Tagen Sekundärnaht der Wunde.
Lungenbefund normal. Irgendwelche Störungen nach der Operation
traten nicht ein. Nach 10 weiteren Tagen wird der Junge als gesund
entlassen.
Die Bleistifthülse war ca. 3 cm lang; der Rand war sehr scharf
und die eine Ecke umgebogen (s. Abbild.).
Das H e 1 f e r i c h sehe Verfahren hatte sich gut bewährt.
In unserm Fall wurde die Hülse nicht an dem Ballon hängend
herausgezogen; möglicherweise ist sie auf dem weiteren Wege
abgerutscht. Andererseits lässt es sich aber auch so deuten,
dass durch den Druck des aufgeblasenen Ballons der Bronchus
stark erweitert wurde und der Fremdkörper infolge des nega¬
tiven Drucks nach unten rutschte. Ich glaube deswegen, dass
das H e 1 f e r i c h sehe Verfahren auch bei kompakten Fremd¬
körpern in den Bronchien gute Dienste leistet, und möchte es,
vor allem dort, wo das nötige Instrumentarium fehlt, zur Nach¬
ahmung empfehlen.
Die Asepsis der Rückenmarksanästhesie.
Von Dr. Otto Grosse,
Spezialarzt für Chirurgie der Harnwege, in München.
Wenn sich Biers geniale Erfindung, die Rückenmarks¬
anästhesie, immer weitere Kreise von begeisterten Anhängern
erobert, so ist dies, abgesehen von den Verbesserungen der
Injektionstechnik als solcher und abgesehen von der stetig sich
steigernden Uebung des einzelnen Chirurgen in dieser Technik,
dem Ersatz des ursprünglich angewendeten Kokains ^ durch
weniger giftige Präparate und der Verwendung isotoriischer
Lösungen zur Injektion zu danken. Die Berichte über hohes
Fieber, über schwere Kollapserscheinungen, über tödlichen
Ausgang infolge der Spinalanästhesie verstummen seither, aber
gleichwohl sind der Fälle, bei denen ungünstige Neben- und
Nachwirkungen gänzlich ausblieben, noch immer recht
wenig verzeichnet — nach ungefährer Berechnung auf
Grund der mir zugänglichen Literatur nur etwa 51 vom Hun¬
dert der überhaupt publizierten Anästhesien. Berücksichtigt
man dabei, dass im allgemeinen wohl eher Erfolge denn Miss¬
erfolge veröffentlicht werden, so dürfte man in der Annahme
nicht fehlgehen, dass trotz aller bisherigen Vervollkommnungen
die Rückenmarksanästhesie immer noch in weit mehr als der
Hälfte der Fälle Brechreiz und Erbrechen, Temperatursteige¬
rungen, Kreuzschmerzen und Kopfschmerzen verschiedenen
Grades und verschiedener Dauer in mittelbarem oder unmittel¬
barem Gefolge hat.
Die Ursache hierfür liegt, wie mich Reflexion und Beob¬
achtung überzeugt haben, in Mängeln oder sogar Fehlern der
Asepsis des Instrumentariums. Nicht als ob ich glaubte, dass
diese Asepsis theoretisch irgend etwas zu wünschen
übrig Hesse — im Gegenteil: gerade der peinlichsten Asepsis
nach altgewohnter Methode folgten vielfach die unangenehm¬
sten Reaktionen.
Besonders interessant in dieser Hinsicht sind die eingehenden
Mitteilungen Slajmers (Erfahrungen über Lumbalanästhesie mit
Tropakokain in 1200 Fällen. Wiener med. Presse 1906, 22, 23), der
bei seinen ersten 3 Spinalanästhesien beobachtete: 1. Nach Kochen
der Nadel in Sodalösung Erbrechen und schweren Kollaps am Opera¬
tionstage, am folgenden Tage Temperatursteigerung auf 39° und
Kollaps. 2. Nach Kochen der Nadel in Kochsalzlösung teilweises Ver¬
sagen der Wirkung, Kopfschmerz. 3. Nach Kochen der Nadel in Koch¬
salzlösung und folgendem trockenen Abwischen leichten Brechreiz,
leichten Schüttelfrost. Des Weiteren berichtet derselbe Autor über
das eklatante Auftreten starker Reaktionen in gewissen Zeiträumen.
Einmal fand sich die Ursache in der Gewohnheit eines der Hilfsärzte,
„wie bei Laparotomien die Punktionsstelle mit etwas Jodtinktur
während der Desinfektion zu betupfen“, ein anderes Mal in einer ge¬
ringfügigen chemischen Veränderung des zur Hautwaschung ver¬
wendeten Alkohols. Auffallendes Nachlassen der Reaktionen war zu
konstatieren, als man aufhörte, „die Punktionsstelle mit Kokain oder
Chloräthyl lokal zu anästhesieren und auch die Waschung der Haut
nach dem Alkohol nicht mehr mit Sublimat, sondern mit Kochsalz¬
lösung vornahm“. Jedenfalls ist es nach Slajmer „sicher, dass
stärkere Reaktionen mit Temperatursteigerung, mit Kopfschmerz ins¬
besondere in Fällen Vorkommen, wo die Möglichkeit vorhanden war,
dass differente, reizende Substanzen mit der Nadel, wenn auch in
minimalsten Mengen, mit in den Duralsack eingeführt wur¬
den“. Mehrfach sind bei solchen Reaktionen, besonders bei heftigen,
andauernden Kopfschmerzen, die zu nochmaliger Vornahme der Lum¬
balpunktion Veranlassung gaben, Trübungen des Liquor cerebro¬
spinalis durch massenhafte mehrkernige Leukozyten nachgewiesen
(G u i n a r d, Slajmer, G i 1 m e r | s. Diskussion iibe.r Spinal¬
anästhesie, Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 38, S. 19041). -
Den angeführten Erfahrungen ähnliche finden sich auch bei
anderen Autoren teils erwähnt, teils angedeutet, und man ist
daher allgemein bestrebt, einen Sterilisationsmodus ausfindig
zu machen, der nicht nur ein einwandfrei aseptisches,
sondern auch von jeder Verunreinigung freies
Instrumentarium liefert.
Für alle in dieser Richtung bisher gemachten Vorschläge (der
Kürze wegen verzichte ich auf namentliche Anführung der einzelnen
Autorein) bildet das Kochen der Instrumente die Grundprozedur. Ge¬
schieht dasselbe in destilliertem Wasser, reinem Wasser, Soda- oder
Kochsalzlösung, so sind Rostbildung1) an oder in der Nadel und in
letzteren 3 Fällen dazu noch Niederschläge von Kalksalzen des Was¬
sers, von Soda oder von Kochsalz auf Nadel und Spritze unvermeid¬
lich. Daher müssen sich zur Entfernung dieser Substanzen weitere
Manipulationen, als da sind: Einlegen in Alkohol und Borsäurelösung,
Durchspritzen mit sterilem Wasser oder steriler physiologischer Koch¬
salzlösung, Abtrocknen mit sterilen Tupfern etc., anschliessen, die
zumal da sie selbst noch anderweitige Sterilisationsprozeduren
voraussetzen, das ganze Verfahren zu einem recht komplizierten ge¬
stalten. Gesetzt selbst den Fall, es würde nun hiermit die völlige Be¬
seitigung schädigender Stoffe wirklich ereicht, so leidet doch zweifel¬
los die Sicherheit der Sterilisation unter ihrer wachsenden Kompli¬
ziertheit. Uelberdies berücksichtigt ein grosser Teil der einschlägigen
Arbeiten lediglich die Asepsis der Kanülen, während man doch be¬
denken sollte, das der viel grössere Innenraum der Spritze, mit
welchem der Liquor cerebrospinalis ebenfalls in Berührung kommt,
dieselbe Sorgfalt in Anspruch nehmen muss; auch für die Injektions¬
spritze ist, ganz abgesehen davon, dass ihre ordnungsmässige Funk¬
tion durch Beläge an den Innenwänden beeinträchtigt wird, einfaches
Auskochen in Wasser, Soda- oder Kochsalzlösung durchaus unzu¬
reichend. Dass nachheriges Durchspritzen oder Einlegen in Alkohol,
Borsäurelösung oder dergl. diese Beläge gänzlich entfernen sollte, ist
wohl ausgeschlossen; andererseits dürfte ein gründliches Auswischen
mit steriler Gaze sehr unbequem sein. Kurz: die Sterilisation des
Instrumentariums zur Spinalanästhesie, wie sie zurzeit gehandhabt
wird, erreicht ihren Doppelzweok, strenge Asepsis und Fernhaltung
jeglicher differenter Substanzen, nur sehr unvollkommen, oft
gewiss gar nicht — trotz aller Umständlichkeit des Verfahrens.
Und doch besitzen wir ein, Sterilisationsmittel, welches der hier
zu lösenden Aufgabe bei grösster Einfachheit der Anwendung in
idealer Weise gerecht wird, den Wasserdampf. Wie ich seit Jahren
alle meine Instrumente und sonstigen Operationsrequisiten im Wasser¬
dampf sterilisiere, so geschah dies auch mit Spritze und Kanülen
zur Spinalanästhesie, und zwar zuerst nicht mit zufriedenstellendem
Erfolg. Nach Sterilisation der (Rekord-) Spritze zeigten sich Sprünge
im Glaszylinder, augenscheinlich eine Folge der ungleichen Aus¬
dehnung des Glases und des eingeschlossenein stählernen Stempels;
seither wurde zur Sterilisation die Spritze, wie es leicht geschehen
kann, auseinandergenommen. Die Kanülen bedeckten sich mit Kon-
denswasserperlen, die zu unbedeutenden Flecken eintrockneten, je¬
doch wurde mehrmals beim Durchspritzen eine schmutzige Verfär¬
bung des Wassers bemerkt, von Oxydationsprodukten herrührend,
die sich im Nadelinneren, dessen Vernickelung technisch unausführbar
ist, gebildet hatten. Es erschien mir daher angezeigt, die Kanülen in
der gleichen Weise zu sterilisieren, wie ich es vordem (Archiv f.
klin. Chir., Bd. 77, 2, 1905; Referat u. a. Münch, med. Wochenschr.
1905, 31) für chirurgische Messer angegeben habe, d. h. in einem
Glasrohr (sog. Messersterilisationsrohr), welches festverschlossen
dem Wasserdampf 10 Minuten ausgesetzt wird. Betreffs der Theo¬
rie der so zustande kommenden Sterilisation, für deren unbedingte
Sicherheit ich den bakteriologischen Beweis erbracht habe, verweise
ich auf die genannte Arbeit. Um hier nur von dem praktischen Er¬
folge zu sprechen, war derselbe ein gleich vollkommener wie bei der
Messersterilisation. Auch die Kanülen zeigten sich, dem Glasrohr
1) Zur Vermeidung dieses Uebelstandes wurden Kanülen aus
Platiniridium angegeben, deren hoher Preis (ca. 75 Mk. pro Kanüle)
jedoch wohl allgemeine Verbreitung ausschliessen dürfte.
1. Oktober 1907. _
entnommen, tadellos glänzend, aussen wie innen von
jedem Belag frei und absolut trocken; beim Du rc 1-
snrit/en machte sich niemals auch nur die Spur irgendwelcher Ver¬
unreinigung bemerkbar. Um eine Beschädigung der feinen Spitzen
der Kanülen durch Berührung mit dem. Glas zu verhüten, habe ich
analog den Messerbänkchen ein einfaches Stativ anfertigen lassen ),
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1991
es als Messersterilisationsrohr für 6 Messer gebräuchlich ist, 2. einer
in dieses Rohr einzuschiebenden Lagerung aus Metall, auf der, in
federnden Klammern gehalten, (10 g-)Rekordspritze, Spritzenstempel,
zwei Kanülen, zwei Mandrins und zwei Phiolen mit steriler I ropa-
kokainlösung liegen, 3. einem Metalletui, welches für gewöhnlich zur
Aufbewahrung des Instrumentariums samt Lagerung dient, 4. einem
mit Oehr versehenen Neusilberdraht zur Reinigung der Kanülen.
b
j-'jfr I Kanülensterilisationsrohr nach Grosse.
g* (D.R.G.M. No. 245379.)
welches mit den Kanülen») und Mandrins i beschickt <s-
Ä ani
«SÄ. ääs Ä££^'s,itnSbtv^«
gewöhnlichem Kochtöpfen improvisierten Dampf sterilisat . k[jn
des Näheren in einer Arbeit über „Improvisierte Aseps Wochen
der^Metalhnstrurnen^e’ ÄM Ä?
absolut reinem) Kondenswassers, die alsbald verdunsten, so dass au
die Spritze, gleich den Kanülen, ein aseptisches und von jeder Ve ¬
nnreinigung durch differente Stoffe freies Werkzeug darstellt,
cs zur Spinalanästhesie unbedingt erforderlich ist.
Auf Anregung von kollegialer Seite habe ich eine einfache auf
dem nämlichen Prinzip wie die Kanülenstenlisation beruhen ^ ^
richtung zu kombinierter Sterilisation des gesamt
mentariumszurRückenmarksanas hes LianÄie“ *)
Dieses um es kurz so zu nennen, „Besteck zur Spmalanastbesn e ;
besteht aus (s. Fig. II): L einem grösseren Sterilisationsrohr, so
2) Firma C. Stiefenhofer, München, Karlsplatz 6.
3 Ich verwende nur dünne Nadeln md kleinem Kopfende
welche im Gegensatz zu den dicken, mit prismatischem Griffe ver
scheuen, fast genaue Dosierung der Injektionsmenge e nmogl gen und
da die mit ihnen gesetzte Punktionsoffnung imDuralsackrelatv
ist, sicherer ein Ausfliessen der injizierten Losung in den epidural
Raum vermeiden lassen.
4) Firma C. Stiefenhofer, München, Karlsplatz b.
Vs nat. Grösse.
Fi? II Besteck zur Spinalanästhesie nach Grosse.
‘ (D.R.G.M. No. 245379.)
Der Gebrauch des Besteckes ist ausserordentlich einfach: Die
Lagerung wird mit den nach jeder Operation sorgfältig (s. oben) ge¬
reinigten Instrumenten zwecks neuer Sterilisierung derselben m toto
dem Metalletui entnommen und in das Glasrohr eingefuhrt, welches
sodann fest geschlossen 10 Minuten der Einwirkung des Wasser¬
dampfes in der gleichen Weise, wie für das Kanülensterilisationsrohi
angegeben, exponiert wird. Dergestalt erfordert auch die Sterili¬
sation des ganzen Besteckes keinerlei besondere Massnahmen, da s e
mit derjenigen des übrigen Instrumentariums einhergeht. Nötigenfalls
kann man das Rohr aber auch in einem gewöhnlichen, mit Decke ver¬
sehenen Kochtopf sterilisieren, auf dessen Boden man 1 Glas (100 g)
Wasser giesst. Nach Beendigung der Sterilisation bleibt das Glasrohi
noch einige Minuten im geöffneten Dampfraum liegen, bis es abge¬
kühlt und aussen fast ganz getrocknet ist.
Unterdessen schreitet man zur Handedesinfektion und zur Des¬
infektion der Punktionsgegend. Ich möchte gleich hier dm Bemerkung
einschalten dass ich mich zu beiden Prozeduren nicht mehr des
wie Schumburg (Versuche über Händedesinfektion. Aichiv fui
kl in. Chirurgie. Bd 79, 1, 1906. Referat auch Münch med. Wochen¬
schrift 1906. No. 19) nachgewiesen, unwirksamen Bearbeitens dei
Haut mit Wasser Seife und Bürste, noch auch irgendwelches Anti-
"p«kls “e. sondern le di * : I i c „des A 1 ko ho 1 s entweder
des S ch u mb u r g sehen Gemisches. Alkohol 1000 Aether .
4- Acid nitr 7,5. oder aber des gewöhnlichen Brennspiritus. Hände
sowie Operationsfeld werden hiermit je 2^-3 .^'^^"^/e^sodann
(unsterilisierter) Wattebäusche gründlich abgerieben letzteres sodann
mit abgekochtem Wasser (es kann dazu der Rest des zur Uamptenr
Wicklung dienenden Wassers benutzt werden) nachgewaschen. Auch
hierüber^ findet man Ausführlicheres in der zitierten A^eit über un-
nrovisierte Asepsis. Nunmehr entnimmt man d e Instrumente am
ThreT Lagerung dem Sterilisationsrohr. Dieselben sind völlig
trocken “nd frei von Belast oder Flecken: nur an den Innen¬
wänden des Rohres zeigt sich stellenweise ein ^ine» Ft,lfelncr der
hpl-.g Man setzt sodann die Spritze zusammen, saugt aus einei aer
irf den Klammern' ad hoc sehr* «teerten und darin yerto.benden
Phiolen, nachdem man den Hals »beebrochen hat. den
zweite Phiole dient zur Reserve) und fuhrt in der bekannt s
Punktion, Aspiration des Liquor cerebrospinalis und In efc ±or aus Ich
injiziere, mit dem aspirierten Liquor gem^chb die veriassig ster
von Merck-Darmstadt in zugeschmolzenen GUOThiolen * 1- .0 >
1 25 bezogene Tronakokainlösung mit 0.6 Pr oz. Kochsalz da ict
Lösung^im6 IGcmor ^se^ Theoretisch
Ä IS
•irgend Jemandem ha ten zu lassen. Sterilisationsrohr kann
port des sterilen Instrumentariums dienen. )
WTIeibitverständlich kann man aut die f
in kleinerem Sterilisationsrohr, auch jede andere sprttz
1992
MUENCHENER MEDIZINISCHE W0CE1ENSCEIRIET.
No. 40.
Fig. 1.
Fussmodell, durch Hoffa-Lengfellner-
schen Gipsbreiabdruck gewonnen. (Der¬
selbe Fuss wie beim Gipsbindenmodeli.)
Fig. 2.
Gipsbindenmodeli. (Derselbe gleiche
Fuss.)
Fig. 5.
Gipsbreiabdruck nach Herausnahme der Füsse.
Fig. 6.
Gipsbreimodell.
bindeiiabdrucks, als Verdrängung einzelner Weichteilpartien,
Verschiebung wichtiger Punkte des Eussgewölbes, Ungenauig-
S c h 1 e i c h sehe, Pravazspritze etc., samt Kanülen sterili¬
sieren u n d steril transportieren — ein Problem, dessen
einfache Lösung für den Praktiker von grossem Wert sein dürfte.
Der Sitz soll so hoch sein, dass die Füsse den Boden nicht be
rühren. Durch dieses freie Herabhängen der Füsse kommt es zu einer
gewissen S e 1 b s t r e d r e s s e m e n t, das zur Herstellung von Ein
lagen mir von grösster Wichtigkeit erscheint. Zunächst werden ei
paar Hände voll Gipsbrei aufgeschichtet und in diesen Brei die Fiiss
des Patienten ohne vorhergehendes Redressement, so wie er sie sons
aufzusetzen pflegt, hineingestellt, ein Fuss nach dem anderen un
einer neben dem anderen. Rings um die Füsse wird nun auch Qips
brei aufgetragen (an der Mitte, auf den Seiten und an der Ferse
Fig. 4). Ist der Gips hart geworden, dann nimmt man einen Fus
Seit ich in der geschilderten, wie man zugeben wird, über¬
aus einfachen Weise bei der Asepsis der Rückenmarks¬
anästhesie verfahre, habe ich bei ausschliesslicher Verwendung
des Tropakokains — für Nephrotomie, Nephrektomie und Harn¬
leiteroperationen 0,1 mit 10 ccm Liquor gemischt, für Blasen-
und Prostataoperationen, Steinzertrümmerungen, Harnröhren¬
schnitte (soweit sie nicht unter Lokalanästhesie ausführbar
sind), Hodenexstirpationen etc. 0,05 mit 5 ccm Liquor — irgend¬
wie erhebliche Neben- und Nachwirkungen nicht mehr be¬
obachtet.
Zum Schlüsse sei mir gestattet, einer etwas allgemeineren
Erwägung über Asepsis Raum zu geben: Wenn, wie gerade
die Erfahrungen mit der Spinalanästhesie lehren, die allerdings
wohl empfindlichsten Organe des Körpers, das Zentralnerven¬
system, schon auf minimalste Mengen differenter Stoffe in so
heftiger Weise reagieren, besteht da eine Berechtigung zu der
Annahme, dass die hundert- und tausendfache Menge solcher
Substanzen, die wir in Gestalt des Soda- und Kochsalzbelages
gekochter Instrumente mit unseren Operationswunden in
ausgiebigste Berührung bringen, den Organismus nicht
schädigen sollten? Muss es nicht wünschenswert erscheinen,
an a 1 1 e Operationen mit einem wirklich „tadellos“
aseptischen Instrumentarium heranzugehen ? Das ver¬
mag n u r die Wasserdampfsterilisation zu liefern, der überdies
noch die Vorzüge stärkster keimtötender Wirksamkeit und
dabei allereinfachster Handhabung — nicht nur wegen der
Möglichkeit ihrer Anwendung für sämtliches chirurgisches Ma¬
terial, sondern auch wegen des denkbar geringsten Aufwandes
an Zeit und an Heizkraft — zukommen. Wie sehr die Sterili¬
sation im Dampf allen anderen Methoden, besonders dem
noch vielfach gebräuchlichen Kochverfahren, überlegen ist,
dessen scheint mir ihre Brauchbarkeit auch für das subtile
Instrumental' der Spinalanästhesie ein neuer Zeuge, wenn es
eines solchen bei ihrer stetig zunehmenden Verbreitung noch
bedurfte.
Technik des Gipsbreiabdruckes (nach Hoffa-Leng-
fellner) bei Herstellung von Plattfusseinlagen.
\on Dr. Karl Lengfellner, Chirurg und Orthopäde in
Berlin, früher Assistent der Hof faschen Klinik.
In der Klinik meines früheren Chefs, das Herrn Geheimrats
Prof. H o f f a, sind seit längerer Zeit die zur Anfertigung von
Plattfusseinlagen notwendigen Gipsabdrücke nicht mehr als
sogen. Gipsbindenabdrücke angefertigt worden, sondern durch
sogen. Gipsbreiabdrücke, mittels deren sich die einzelnen De¬
tails an Eussohle und Fussrändern völlig genau und möglichst
sicher lokalisiert wiedergeben lassen. Die Nachteile des Gips-
keiten an den schmerzhaften Druckpunkten lassen sich mit der
Methode des üipsbreiabdruckes leicht vermeiden, wenn man
die gleich unten zu beschreibende Technik, deren Vervoll¬
kommnung ich viel Zeit und Mühe geopfert habe, genau be¬
obachtet und bezüglich des Redressements gewisse Winke be¬
folgt. Eig. 1 u. 2.
Betrachten wir zunächst das letztere, so haben vielfache Er¬
fahrungen gezeigt, dass je mehr der Gipsbindenabdruck in Supinations¬
stellung des Fusses angefertigt wird, destomehr das Modell in Pro-
nationsstellung steht. Fig. 3 zeigt einen solchen Fall, bei dem der
Fig. 3.
Bindenmodell eines rechten Plattfusses, Fig. 4.
durch schiefe Ebene gewonnen. Technik des Gipsbreiabdruckes.
Gipsbindenabdruck auf „der schiefen Ebene“ angefertigt wurde. An
Stelle der erwünschten Supination ist die Pronation dermassen stark
ausgeprägt, dass, um das Modell gerade zu stellen, ein Keil unter¬
gesetzt werden musste. Eine zweite Methode des Redressements
besteht darin, dass der Vorderfuss allein bei fixierter Ferse in Supi¬
nation gestellt wird; dadurch kommt es, dass die Einlage dann vorn
um wenige Zentimeter zu hoch wird und so unbrauchbar ist. Ferner
hat man versucht, an dem Gipsbindenabdruck bei belastetem Fuss
ein russgewölbe herauszumodellieren, eine Methode, die für die
oft sehr empfindlichen und schmerzhaften Füsse Einlagen liefert die
gar nicht getragen und vertragen werden können.
Einzig und allein rationell scheint uns die jetzt von uns ver¬
wendete Methode des Gipsbreiabdruckes. Dieselbe wird folgender¬
maßen geübt. Als Material ist Figurengips, der absolut trocken auf¬
bewahrt werden muss, vollkommen ausreichend. Je nach der Grösse
dei Füsse nimmt man eine entsprechende Menge Gips und warmes
Wasser, die man in einer Emailleschüssel zusammenmischt. Man
setzt so viel Gips zu bis der Gips eben das Wasserniveau über¬
ragt. Hieiauf wird mit einem Blechlöffel die Mischung gut umgerührt
bis sie i echt homogen ist und darauf so lange gewartet, bis man den
Brei bequem mit der Hand fassen kann. Zweckmässig ist es, dem
Gipsbrei zum schnelleren Erhärten einen Löffel Kochsalz zuzusetzen,
ei I atient sitzt etwas erhöht und lässt seine Beine herabhängen.
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1993
nach dem anderen heraus. Das so gewonnene Negativ (Eig. 5) muss
ca. 5 Stunden trocknen, dann kommt es auf etwa 2 3 Minuten in
Wasser und wird hierauf mit Gipsbrei ausgegossen. Nach ca. 1
Stunde kann man dann die Modelle (Eig. 6) aushauen. Dabei wird
Eig. 7.
Modell eines leichteren Plattfusses vor
der Korrektur.
Fig. 9.
Modell eines schweren Plattfusses vor
der Korrektur.
Fig. 8.
Nach der Korrektur.
Fig. 10.
Nach der Korrektur.
der Abdruck umgedreht auf eine Unterlage gelegt und mit ein paar
Hammerschlägen werden Positiv und Negativ voneinander getrennt.
Nun hat man nur noch die Korrektur der fertigen Gipsmodelle im
Gewölbe vorzunehmen. Dabei muss man sehr sorgfältig verfahren
Fig. 11.
Gipsbreiabdruck für den ganzen Fuss.
Fig. 12.
Die'beiden Hälften nach d. Durchschneiden
des Seidenfadens.
und darf nicht schablonenhaft arbeiten. Man darf nicht gleichmässig
von vorn nach hinten aushöhlen; je schwerer der Plattfuss ist, desto
weniger darf man hinten von dem Modell wegnehmen, desto mehr
ist die Korrektur auf die vordere
Partie zu beschränken. An den
Druckpunkten, die sich genau
an dem Modell abzeichnen, darf
nichts oder nur sehr wenig weg-
genommen werden, damit die
Einlage nachher keinen Druck
ausübt. Die laterale Partie des
Modells ca. 1—2 cm nach innen
bleibt unkorrigiert. Je leichter
der Plattfuss ist, desto gleich-
mässiger kann er von vorn nach
hinten korrigiert werden. Mir
einiger Uebung wird man leicht
herausfinden, wo der Patient
den meisten Druck vertragen
kann und demgemäss wird man
die Korrektur einrichten (Fig. 7
bis 10).
Will man ein Modell des gan¬
zen Fusses bis ziu den Malleolen
hinauf haben, so kann man sich
zweckmässig derselben Methode
bedienen, nur mit dem Unterschiede, dass man zu beiden Seiten des
Fusses bis zu den Malleolen nach aufwärts starke Seidenfäden legt
und nun den ganzen Fuss mit Gipsbrei bedeckt bis über die Malleolen
und zu beiden Seiten der Achillessehne (Fig. 11); fängt der Gips an
hart zu werden, dann kann man mit den beiden Seidenfäden das Ne¬
gativ in zwei Hälften teilen (Fig. 12), die man nach dem Hartwerden
Fig. 13.
Fertiges Fussmodell von vorne.
leicht mit einem Meissei auseinander bringt. Die zusammengelegten
Negativhälften werden in der oben erwähnten Weise ausgegossen
Fig. 14.
Fertiges Fussmodell von der Seite mit Angabe. der Seidenfadenlagei ung.
und. geben so ein naturgetreues Modell (Fig. 13 und 14), das ein Gips¬
bindenmodell in jeder Hinsicht übertrifft.
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. Dr. August Forel: Gesammelte Hirnanatomische
Abhandlungen mit einem Aufsatz über „die Aufgaben der
Neurobiologie“. Ernst Reinhard, München, 1907. -47 S„
12 Tafeln. Preis 10 Mk.
Die hirnanatomischen Arbeiten des Autors haben seiner
Zeit in mancher Hinsicht bahnbrechend gewirkt. Namentlich
haben sie die mythologische Methode überwinden helfen, die
geistreiche Einfälle an Stelle von Tatsachen setzte und sich in
den 70 er Jahren recht breit gemacht hatte. Auch jetzt noch
kann der Forscher aus ihnen manche Belehrung und manche
Anregung schöpfen, sodass nicht nur das historische Interesse
die Zusammenstellung der zum Ieil schwer zugänglichen Ai-
beiten begriissen wird. *
Forel lässt einen neuen Aufsatz „über die Aufgabe der
Neurobiologie“ den andern Arbeiten vorausgehen, in dem ein
Satz nicht unwidersprochen bleiben darf. Der Autor spricht
von der Psychanalyse, die durch J u n g, B e z z o 1 a und
Frank „ihrer ersten Freud sehen Schlacken entledigt
worden“ seien. Ref. weiss nun die selbständigen Arbeiten (die
leider nur zum kleinen Teil publiziert sind) der diei genannten
Männer sehr wohl zu schätzen. Sie haben aber die r r e u d -
schen Lehren ausgebaut, und wenn auch selbstverständlich
manche (unwesentliche) Auffassungen Freuds noch der Be¬
stätigung bedürfen, so habe ich bis jetzt noch nicht viel
Schlacken wegfallen sehen. — Im Uebrigen sehen wir in der
Arbeit den Mann mit dem universellen Blick in kurzen Zügen
ein Arbeitsprogramm aufstellen, das von Vielen bereits mehr
oder weniger klar gedacht, merkwürdigerweise aber noch
lange nicht von allen Forschern in seiner Bedeutung erfasst
worden ist. Bleuler - Burghölz i.
Beiträge zur Diagnostik und Therapie der Geschwülste
im Bereich* des zentralen Nervensystems von Prof. Dr H.
Oppenheim. Mit 20 Abbildungen im Text und 6 1 aicln.
Berlin 1907. Verlag von S. Karge r. 193 S. 8 Mk.
O. bringt hier eine Zusammenfassung seiner reichen per¬
sönlichen Erfahrungen. Er gibt die zum l eil sehr interessanten
Krankengeschichten von 14 zur Operation gekommenen Hirn¬
tumoren, von denen 7 der hinteren Schädelgrube, 3 dem
Schläfenlappen, 2 dem Gebiet der Zentralwindungen und des
Schläfenlappens, eine dem Okzipitallappen angehoren. Am
Schlüsse des ersten Abschnittes gibt O. eine Uebersicht ubci
die seit 1903 von ihm der chirurgischen I herapie überant¬
worteten Fälle. Es sind 27 Einzelbeobachtungen, davon sind 3
geheilt, 6 gebessert, 15 gestorben, in den 3 übrigen wai die
Operation von vornherein eine palliative oder eigab kein k aies
Resultat. In 22 oder 23 von den 27 Fällen war sow ohl die all-
1994
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
gemeine wie die lokale Diagnose eine exakte. Wie sehr sich
seit Bergmanns Behauptung, die Hirnchirurgie sei eine
Chirurgie der Zentralwindungen, der Standpunkt geändert hat,
geht aus O.s Fällen evident hervor.
Von den erfolgreich Operierten hatte kein einziger den
rumor in der motorischen Zone.
Auf Grund seiner Statistik kommt O. zu dem für die Pro¬
gnose der Tumoroperationen wichtigen Leitsätze, dass die
chirurgische Therapie der Gehirngeschwülste trotz einzelner
blendender Erfolge immer noch eine der schwierigsten und
undankbarsten Aufgaben der ärztlichen Tätigkeit, da von 10
oder 9 für die chirurgische Therapie sorgfältig ausgewählten
und grösstenteils richtig diagnostizierten Fällen von Tumor
cerebri nur einer Aussicht auf vollen Erfolg der operativen
Behandlung hat.
Zu weit erfreulicheren Ergebnissen führt die chirurgische
Therapie der Rückenmarksgewächse, doch gibt es auch da der
Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Misserfolge genug.
O. gibt hier eine Zusammenstellung aller von ihm beob¬
achteten Fälle unter Ausschluss der Wirbelgeschwülste.
In 9 von 15 Fällen war die Diagnose zutreffend und die
Ortsbestimmung genau. In 4 von diesen 9 Fällen war die
Operation von Erfolg gekrönt, in 5 Fällen erfolgte der Tod
entweder an Menigitis oder an Schock.
Von den übrigen 6 Fällen, in welchen operiert und kein
Tumor gefunden wurde, sind 2 gestorben. 4 mal ist die ex-
plorative Laminektomie gemacht worden, in diesen 4 Fällen
hat die Operation in 1 Falle geschadet, in 1 Fall genützt und in
2 Fällen war sie irrelevant.
O.s Schlussätze lauten in gekürzter Form:
1. Bei den Krankheitszuständen mit typischer Symptomato¬
logie des Rückenmarkhauttumors ist die Operation dringend
indiziert und in ca. Proz. auf Heilerfolg zu rechnen.
2. Auch bei typischer Symptomatologie sind diagnostische
Fehler nicht zu vermeiden. Wirbelgeschwülste, lokalisierte
meningitische Prozesse und intermedulläre Neubildungen
können zu Täuschungen Anlass geben.
3. Besonderes Interesse verdient die von 0. und Krause
beschriebene lokalisierte Meningitis serosa spinalis, welche das
Krankheitsbild des extramedullären Tumors täuschend nach¬
ahmen kann.
4. Da die Symptomatologie der extramedullären Ge¬
schwülste sehr häufig eine atypische ist, so muss die Be¬
rechtigung einer explorativen Laminektomie unbedingt an¬
erkannt werden, doch darf diese nicht an der Dura Halt machen.
Es braucht nicht noch besonders hervorgehoben zu
werden, dass die O.sche Kasuistik mit ihren vorzüglichen Ab¬
bildungen und den vor der Operation schriftlich niedergelegten,
scharfsinnigen differentialdiagnostischen Ueberlegungen eine
Fülle von Anregung und Belehrung bietet.
Die Erfahrungen dieses wie Wenige Erfahrenen werden
den Leser in eigenen diagnostischen Zweifeln und Nöten oft auf
den richtigen Weg führen. V o 1 h a r d - Dortmund.
Lehrbuch der Psychiatrie, bearbeitet von Prof. Dr.
A. C r a in e r, Prof. Dr. A. W e s t f a 1, Prof. Dr. A. H o c h e,
Prof. Dr. A. Wollenberg und den Herausgebern: Prof. Dr.
O. Binswange r, Prof. Dr. E. S i e m e r 1 i n g. 2. ver¬
mehrte Auflage. Gustav Fischer, Jena 1907. 378 Seiten.
Preis M. 5.50 broch., M. 6.50 geb.
Das in dieser Wochenschrift 1905, pag. 1551 besprochene
Buch ist im wesentlichen dasselbe geblieben. Die Abände¬
rungen sind grösstenteils Verbesserungen; die Vermehrung des
Umfanges kommt der Behandlung des weitschichtigen Stoffes
nur zu gute, und vor allem ist es sehr angenehm, einen Ab¬
schnitt über forensische Psychiatrie zu finden, der wenigstens
alle prinzipiell wichtigen Theiften behandelt.
Bleuler- Burghölzli.
Dr. Georges L. D r e y f u s: Die Melancholie, ein Zustands¬
bild des manisch-depressiven Irreseins, eine klinische Studie.
Mit einem Vorwort von Hofrat Prof. Dr. Emil K r ä p e 1 i n.
Gustav Fischer, Jena 1907. 2 Kurven im Text. 322 S.
Preis 7 M.
Verf. hat die seit K r ä p e 1 i n s Amtsantritt in Heidelberg
dort aufgenommenen Fälle von Melancholie weiter verfolgt und
weist nun überzeugend nach, dass es sich in jedem Falle um
eine andere Krankheit, fast immer um manisch-depressives
Irresein, handelte, so dass die Melancholie des
Rückbildungsalters nicht mehr als Krankheit
sui generis aufgefasst werden kann, sondern
in dem manisch-depressiven Irresein auf¬
geht. In einem Vorwort schliesst sich auch K r ä p e 1 i n
dieser Ansicht an. Der als Melancholie betrachtete Anfall ent¬
puppt sich im Lichte dieser Untersuchungen als ein depressiver
Anfall im Verlaufe des manisch-depressiven Irreseins, der aber
durch das Rückbildungsalter etwas modifiziert worden ist. In
sehr vielen Fällen konnte Verfasser vorausgegangene oder
nachfolgende wiederholte Verstimmungen, meist depressiver,
selten manischer Natur nachweisen. Etwas unvorsichtig
scheint er mir insofern zu sein, als er von „typisch-manisch-
depressiven Symptomen“ spricht, deren Nachweis ihm
manisch-depressives Irresein zu garantieren scheint. Er ist
uns aber den Beweis schuldig geblieben, dass diese Symptome
nicht auch bei den organischen Psychosen und vor allem bei
der Dementia praecox Vorkommen können. In Bezug auf die
letztere Krankheit enthält die Afbeit überhaupt eine sehr emp¬
findliche Lücke. Bei vielen Krankheitsgeschichten ist die De¬
mentia praecox nicht auszuschliessen, in einzelnen, z. B. bei
Fall 26, drängt sich diese Diagnose geradezu auf. Wird die
Dementia praecox sicher ausgeschlossen, dann sollte auch die
Heredität Anhaltspunkte geben, die bisherige Melancholie dem
manisch-depressiven Irresein zuzuzählen
Bleuler- Burghölzli.
Julius Bessmer, S. J.: Störungen im Seelenleben.
2. vermehrte und verbesserte Auflage. Herder sehe Ver¬
lagshandlung. Freiburg i. B., 1907. 227 Seiten.
Verf. sucht in einem Vorwort die gegen die erste Auf¬
lage auch vom Ref. erhobenen Einwände zu widerlegen. Er
tut das mit der Behauptung, die Existenz einer substanziellen
Seele sei eine Vernunftwahrheit, wobei er sich u. a. auch auf
Aristoteles beruft. Ferner zeige es sich, dass das menschliche
Wollen in seinen höchsten Betätigungen vom Organismus
innerlich unabhängig sei. Dass die Beweise für die immaterielle
Seele eben an sich keine Beweise sind, geht doch gewiss daraus
hervor, dass sie auf so viele Leute nicht überzeugend wirken
und wenn wir beständig die Abhängigkeit auch der höchsten
Betätigungen vom Organismus beobachten, so nützt es nichts,
uns dieselbe leugnen zu wollen.
Im Prinzip ist an dem Buche nichts geändert worden. Das
was für dasselbe am wichtigsten ist, ist eine Sache des Glaubens
und nicht des Wissens (vergl. Besprechung der ersten Auflage,
Münch, med. Wochenschr. 1906, Seite 2576).
Bleuler- Burghölzli.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 88. Band, 5. — 6. Heft,
Leipzig, Vogel, August 1907.
1) Göbell: Ein Beitrag zur Prostatektomie.
Bericht über 23 Fälle von Prostatektomie. Operiert wurde 16 mal
suprapubisch (Lumbalanästhesie, Blasenfüllung mit Luft, ausgiebige
Blasendrainage) und 7 mal perineal. Die suprapubische Methode
(keine Blasenfistel) verdient nach den bisherigen Erfahrungen Qö-
bells den Vorzug vor der perinealen (2 Urethralfisteln).
2) Harm er und Glas: Die malignen Tumoren der inneren
Nase. (Eine klinisch-histologische Studie.)
Verfasser besprechen an der Hand von 32 Fällen eingehend
Aetiologie, Lokalisation. Symptomatologie, Prognose, Therapie und Hi¬
stologie der malignen Tumoren der inneren Nase. Des näheren einge¬
gangen ist auf die Koexistenz von malignen Tumoren der inneren
Nase und Polypen bezw. Nebenhöhleneitenungen.
Ausgangspunkt war nur 2 mal das Nasenseptum, sonst die laterale
Nasenwand. Spontane Blutungen sind beim Sarkom häufiger wie beim
Karzinom.
Zum Teil in die Stirnhöhlengegend, zum Teil in den Hinterkopf
verlegte Kopfschmerzen, besonders nach Eröffnung fortbestehende
Nebenhöhlenjauchung sind symptomatologisch wichtig. Durch mikro¬
skopische Untersuchung aller Polypen, bei deren Entfernung es zu
stärkeren Blutungen kommt, wird die Diagnose gesichert. Die sub-
maxillaren Lymphdriisen sind relativ selten Sitz der Tumormetastasen:
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1995
=bäsä
»rPSSSsssÄ«
nach verschiedenen Methoden^Elektrol Ko b
sprochen" Dabei ist ein Fall von Zottenkrebs registriert, der nach
(25 Karzinome, 6
S=S« fS-ÄÄÄ
sfeSSSSSSHss»
Wlrtl'Tl.eraiieutisch am zweckmässigsten ist die „Inversion zur Stel-
lungsverbesserung defekter Hüftgelenke“ „ach Lorenz mit nach-
folgendej ^^^^vof^Sundene '..lnkonsruenz der QelenkMchen
des Kid e gelenk es“° h ä n g t vielleicht ätiologisch mit der Arthritis de-
formanSpgeni sZnsammen^aii ^ sogena„nter „idiopathischer“ iuve-
nilcr Osteoarthritis deiormans coxae (eine kongenitale Dysart in .).
Rpi dem 35 jährigen Pat. fand sich ohne vorausgegangenes
SSsSffsSffita Ss »SS-
u . , 1 Triinnathi'sC'he“ Arthritis deformans coxae, a) infolge kon
genftaier Dvsaidhrte^b) bei statischen «--im Unis*» £r Hu e:
2. Neuropathische Arthritis deformans coxae ^abes. Sy^gomy ^ -
3. Traumatische Arthritis deformans coxae: 4 Sekundäre Arthritis
deformans coxae nach Ablauf andersai tigei E .
5) Kleinere Mitteilungen. «»ntischer
Brunner: Ein durch Operation geheilter Fall von septisc
Thr0Res°ektioe„r ?rnDarrmVundeVsenterium. Heilung. Literatur:
89 ss : ^v^ti^ossiBcans11 traumatica ' des XS*
luftbehandlung.
1907. No. 35—37.
Zentralblatt für Chirurgie
No. 35. W. Dreesmann-Köln: Die Resektion des Nervus
infraorbitalis.fiehit diege Operation vom Antrum Highmori aus nach
den günstigen Erfolgen an mehreren Patienten neuerlich lebhaft da
sie eine vollständige Entfernung aus dem Resultat
gung des Bulbus ermöglicht und vorzügliches kosmetisches Resultat
gibt. Die Schleimhaut wird am Uebergang von ^ange zum Alveola^-
fortsatz vom 2. Prämolar bis 1. Schnadczahn bis auf den Knochen
eingeschnitten, das Periost bis zum N. nifraorbit. abgehebelt un
nunmehr mit Hammer und Meissei ein 1,5 ?ros,^s in
im Antrum gleich unter dem For mfraorbit. an^e^kd^ei, 6JJeg
seiner Austrittsstelle freigelegt und auf ein
und nun wird (bei künstlicher Beleuchtung) die ^PaUung der S chieirn
haut von vorn nach hinten vorgenommen und der Nerv auf seinem
o-anzen Weg durch die Höhle schrittweise luxiert bis hintei diese!, e,
dann wird der Nerv an seinem hintersten Ende gefasst und langsam
herausgedreht. Auch Infektion des Antrum braucht dje Operation
nicht auszuschliessen. da Sekretstauung nicht eintretenka •
O. Klauber-Lübeck: Die Gangran der retrograd mkarze-
rierten Darniint anSdass es Formen von Doppeleinklemmungen geben
kann, die in der von Lauen st ein an gen. ^mmenen Ar zustande
kommen glaubt aber an der von ihm beobachteten Form mit Ein
klemmung des Mesenteriums der Verbindungsschlinge festhalten z
"'"T nregory: Zur Behandlung granulierender, nach Trauma
a? mchnrgeSrbendÄHe„ (tägliche Anwendungs-
llaUeiNo.°3622 J Xnwk e I - Göttingen: Zur Frage der retrograden In-
karzeration des Darmes. . r. hwutp
Nach J. handelt es sich hierbei um Artefakte, durch brüske
Taxisversuche hervorgerufen. Die erste Inkarzeration einer einzigen
Schlinge wird dabei gehoben, durch Stopfen und Kneten die mal¬
trätiert e Schlinge mit ihrer Kuppe durch die relativ weite Biucl-
nforte in die Bauchhöhle gepresst, während von beiden Seiten, beson-
n i . Tli Hwaid sofort gedeckt wurde. Von grosser Wich-
iüüüüif
ritis verlief, bestätigt.
Zentralblatt für Gynäkologie, No. 37. ...
W St oe ekel: Einwanderung einer bei einer Laparotomie
angeblich wegen Dann-
vcrschlingung mit Bauchfellentzündung laparotomiert worden.
scheidenfistel wurde spater durch die Fistelnaht gescidoss .
M C in 1 i a - Genua: Ueber die fettige Degeneration der Oe-
b9ralAuXrder*cheniisctig n^Unter'suchung
ättsi
ä-HSS--
Prozessen im Wochenbett stammenae j a f f e - Hamburg,
benutzt wird.
Gynäkologische Rundschau. Jahrgang 1. Heft 18.
teüTvon ' Symphysüiie und Hebosteotomie neben einander und
™ zn OuLen ^rletztere. Die «rj.g-0 , g, , ang^
efefässunterhindung" Ä Erachtens den besten
Erf0lBdu,and Preiss-Kattowitz: Ueber rezidivierende abundante
Magendarmblutungen im letzten Monate der Schwangerschaft.
Bh Fall von Magendarmblutung in der zweiten und dritten
Schwangerschaft einer sonst gesunden Frau; bei ^^L^reMai
tote Kinder (einmal kurz ante partum abgestoiben, das andere i M^
tief asphvktisch geboren und nicht wiederbelebt). A . - ~
“da iStÄtSl^ Frai
'rmmmmmm
Vereinigung zur Forderung des o s cm c^l b ] .. n d ß r _ Marburg.
wesens
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. VI. No. 5. (August
1907.) t
1) Max Klotz: Ueber Säuglingsernährung mit Hanfsuppe (.Aus
der SäugUngsabteilung des altstädtischen Krankenhauses in Magde-
bUrSDie vorliegenden Untersuchungen stellen eine J^er Arthur
Kellers Leitung vorgenommene Nachprüfung über den
Säää'wäST«
- SSFää:
den "sSndpunkt. Als Therapeutikum , hält^ er tas^O ss o U ..ge¬
nannte) Präparat für nutzlos, .1. ‘jd|ih Die schlussätze der
äss ««b »"^«'srSnS
Ä ÄÄ„ Ältere therapeutische Mittel
1996
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
zu ersetzen, geschweige denn zu übertreffen. Worauf ihre schädi¬
gende, keinesfalls indifferente Wirkung in unseren Fällen zurückzu¬
führen war, ist unbekannt“.
2) Heinrich Bogen: Spasmophilie und Kalzium. (Aus der
Universitäts-Kinderklinik in Heidelberg. Direktor: Prof. Feer.)
Verf. hat an einer Reihe von Säuglingen Stöltzners Angabe
nachzuprüfen gesucht, dass die Spasmophilie (Tetanie) durch eine
Kalziumstauung im Organismus entsteht. Seine Versuchsanordnung
schloss gewisse Fehlerquellen Stöltzners aus (längere klinische
Beobachtung; sehr einfache, einheitliche Ernährungsweise während
des Versuches; Beginn der Ca-Zufuhr erst bei normaler galvanischer
Erregbarkeit; Durchführung der Ca-Zufuhr längere Zeit als bei
Stöltzner; regelmässige Temperaturmessungen). Nach seinen
Untersuchungen und nach einer (sehr hübschen) Uebersicht über die
einschlägige Literatur kommt er — entgegen Stöltzner — zum
Resultat, dass die Zufuhr von Kalzium nicht im stände ist, tetanoide
Zustände hervorzurufen, dass ferner kein Anhaltspunkt für die von
St. bei Tetanie angenommene Kalkstauung im Körper besteht.
Referate. Albert Uffenheimer - München.
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie.
Bd. IV. H. 1.
1) E. Freund: Ueber den Ort des beginnenden Eiweiss-
abbanes im gefütterten und hungernden Organismus. (Aus dem
pathol.-chem. Labor, der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien.)
Der Verfasser stellte, Durchblutungsvesrjsuche am Darm und
an der Leber von Schweinen und Hunden an und kam dabei zu
folgenden Resultaten. Bei Durchblutungsversuchen an der Hunger¬
leber werden nur bei Durchblutung mit Pfortaderblut Eiweissabbau¬
produkte gefunden; bei Benützung von Hungerpfortaderblut in ge¬
ringem, von gefüttertem Pfortaderblut in reichlichem Masse. Anderes
Blut, Zusatz von fremdartigem Blut, inaktiviertem Blut, Globulinen,
Witte schem Pepton ist wirkungslos. Die Abbaufähigkeit des
Pfortaderblutes beruht auf dem Gehalt an Eiweissresorption^produk-
ten aus dem Darm, die unter normalen Verhältnissen grösstenteils
in koagulierbarer Form und der Pseudoglobulinfraktion angehörig
vorhanden sind. Es wird demnach auch im Hunger aus dem Blute
in den Darm Eiweiss ausgeschieden, das in gespaltener Form wieder
zur Resorption gelangt. Im Darm wird nicht nur das Eiweiss in
leichter resorbierbare Form gebracht, sondern es geht auch in dem¬
selben der erste und nach Umständen auch der grösste Teil jenes dem
Energiebedürfnisse dienenden Eiweissabbaues vor sich, den man den
Zellen des Organismus bisher zugewiesen hat. Das Vorkommen der
reichlichen Eiweiss- und Fett-, sowie der Eisen- und Kalkmengen im
Hungerdarm und Kot macht es sehr wahrscheinlich, dass überhaupt
zum Zwecke vieler Abbauvorgänge das aus den Zellen an das Blut
abgegebene Material dem Darm behufs Abbaues zugeführt wird.
2) Otfried Müller und R. Siebeck: Ueber die Vasomotoren
des Gehirns. (Aus der Tübinger med. Klinik.)
Die Verfasser verwendeten zu ihren Untersuchungen plethysmo¬
graphische Methoden (zum Teil den Hirnplethysmograph von Roy
und Sherrington), die Bestimmung der Ausflussmenge aus einer
Vene des Schädelinnenn an Deren, und am Menschen die Registri-
i ung dei Druckschwankungen des Liq. cerebrospin. bei lumbalpunk¬
tierten Kranken und die Partialwägung des Kopfes. Ihre Resultate
sind folgende: Durchschneidung des Vagosympath. beim Hunde
des Sympathikus beim Kaninchen ruft eine Zunahme, Reizung des
zentralen Stumpfes eine Abnahme des Hirnvolumens hervor, welche
nur auf nervöse Einflüsse zurückgeführt werden können, also die
Existenz von Vasomotoren für das Gehirn beweisen, da sie viel
früher als die durch die gleiche Ursache allenfalls bedingten Aendc-
rungen des arteriellen oder venösen Blutdruckes auftreten. Chloro¬
form und Strychnin wirken auch auf die Vasomotoren des Gehirnes
und vertu Sachen Volumschwankungen, welche denen des arteriellen
Blutdruckes entgegengesetzt sind. Sensible und thermische Reize
beeinflussen ebenfalls die Hirnvasomotoren. Bei sehr starken Blut¬
drucksteigerungen kann die durch nervöse Impulse veranlasste Kon¬
traktion der Gehirngefässe durch Dehnung überwunden werden, ähn-
lieh wirkt das Adrenalin in kleinen Dosen direkt kontrahierend, in
grossen Dosen durch Blutdrucksteigerung dilatierend.
ö. I. I s h i z a k a - Japan : Studien über das Habuschlangengift.
(Aus dem pharmakol. Institut in Wien.)
Die Ergebnisse der Untersuchungen des Verfassers sind fol¬
gende: Das Habugift (das Gift der giftigsten Schlange Japans, des
Tr i me r esu r us Riukiuanus) enthält als wesentlichsten Bestandteil ein
nämori hagin, ferner ein Hämolysin, ein Agglutinin und eine geringe
Menge Neurotoxin. Bei subkutaner Anwendung verursacht es heftige
Hämorrhagien mit nachfolgenden ausgedehnten Nekrosen, ferner
Ekchymosen an den Eingeweiden. Konjunktiva, Magen- und Darm¬
schleimhaut sind bei direkter Berührung mit dem Gift ziemlich wider¬
standsfähig. Das Gift bewirkt Lähmung des Herzmuskels, ohne das
vasomotorische Zentrum und die peripheren Gefässe zu beeinflussen;
der I od tritt durch Lähmung des Respirationszentrums ohne Kon¬
vulsionen und ohne Lähmung der peripheren Muskulatur ein. Bei
nicht akutem Verlaufe kann auch durch eine parenchymatöse Nephri¬
tis der 1 od eintreten. Reizerscheinungen des Zentralnervensystems
treten nur bei direkter Injektion in die Gehirnsubstanz oder in die
Nervenscheide ein. Die hämolytische Wirkung fehlt bei Kaninchen-,
Rinder- und Mäuseblut, ist schwach bei Menschen- und Katzenblut',
stark bei Hundeblut; zugesetztes Cholestearin wirkt hemmend; durch
Einwirkung von Lezithin wird der hämolytische Ambozeptor akti¬
viert. Erhitzung auf 90° (30 Minuten) zerstört das Hämorrhagin.
Durch Schütteln mit Chloroform geht das Hämorrhagin in eine un¬
giftige Modifikation, in ein Toxoid, über; Azeton fällt alle wirksamen
Bestandteile, der Niederschlag ist in verdünnten Alkalien leicht lös¬
lich und hat an Wirksamkeit nichts verloren. Trypsin, SH-, FeCL
und Säuren, besonders HCl zerstören das Hämorrhagin. Man kann
Kaninchen durch Einführung des Giftes per anum immunisieren und
so Antitoxin gewinnen. Mit dem entweder durch Chloroform oder
SH, oder Eisessig oder durch Erwärmen auf 60—68° modifizierten
(iift lässt sich leicht Immunität erzielen; das Serum so immunisierter
Kaninchen wirkt antitoxisch, es bildet mit dem Habugift einen dich¬
ten Niederschlag, nicht aber mit dem Viperngift und wirkt auch diesem
gegenüber nicht antitoxisch.
4) L. Hirsch stein: Die Beziehungen des Glykokolis zur
Harnsäure. (Aus dem Labor, der inneren Abteil, des städt. Kranken¬
hauses in Altona.)
Das Glykokoll des Harnes wurde vom Verfasser nach Igna-
towski mit Naphthalinsulfochlorid, die Harnsäure nach D eiliges
bestimmt. Bei Zufuhr von reiner Harnsäure wie bei Thymusfütterung
steigt beim Gesunden die Glykokollmenge im Harn, beim Gichtiker
steigt sie nach Thymusfütterung nur wenig, ebenso wie die Harn¬
säure kaum zunimmt; wenn dann die Harnsäureausfuhr steigt, bei
einem Anfall, dann sinkt die Glykokollausfuhr. Ein Gichtanfall kann
auch durch Resorption des nukleinreichen pneumonischen Exsudates
ausgelöst werden; die Glykokollausscheidung verhielt sich bei einem
solchen Fall ähnlich wie bei anderen Gichtanfällen. In einem Falle
schwerster vererbter Gicht war überhaupt kein Glykokoll im Harn
nachweisbar. Dass Glykokoll ein Spaltungsprodukt der Harnsäure
ist, Hess sich auch dadurch zeigen, dass aus einer Lösung von reiner
Harnsäure in 5 proz. Natronlauge durch Schütteln mit Naphthalinsulfo¬
chlorid Naphthalinsulfoglykokoll entsteht, allerdings in nur geringen
Mengen. In einem Falle von Gicht konnten im Harn neben Spuren
von Ameisensäure auch nicht unerhebliche Mengen von Essigsäure,
welche durch Desamidierung des Glykokolis entsteht, nachgewiesen
werden.
5) E. Münzer: Ueber Blutdruckmessung und ihre Bedeutung,
nebst Beiträgen zur funktionellen Herzdiagnostik.
Zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
6) E. Biernack i und Th. Holobut: Blutveränderungen bei
thermischen Einflüssen. (Aus dem Institut für allgemeine und experi¬
mentelle Pathologie in Lemberg.)
Die Verfasser bestimmten an Fröschen und Kaninchen die Zahl
der roten Blutkörperchen und die Trockensubstanz des Blutes unter
verschiedenen thermischen, innerhalb der normalen Breite gelegenen
Einflüssen und unterschieden dabei die rasch vorübergehende Reiz¬
wirkung von der Wirkung der einfachen Kälte- und Wärme¬
applikation. Dabei ergab sich, dass im allgemeinen die Zahl der
roten Blutkörperchen durch Kälteeinwirkung verkleinert, durch
Wärme vergrössert wird, dass die Einwirkung unabhängig vom
Blutdruck ist und dass die Trockensubstanz dabei unabhängig ist
von der Zahl der roten Blutkörperchen. Die Bestimmung der Sedi-
mentierungsgeschwindigkeit und des Sedimentvolumens ergab: Ver¬
zögerung der Sedimentierung bei Abkühlung, Beschleunigung 'bei Er¬
wärmung, während das Sedimentvolum keine Aenderung trotz Aende-
rung der Blutkörperchenzahl erfuhr. Das Hauptagens ist demnach
eine Schwankung des durchschnittlichen Volums der einzelnen Ery¬
throzyten. Abnahme dieses Volums bedingt eine Vergrösserung, Zu¬
nahme eine Verkleinerung der Blutkörperchenzahl.
7) M. Ascoli: Zur Kenntnis der A d a ms - S t o k es sehen
Krankheit. (Aus dem Institut für spezielle Pathologie in Pavia.)
Kasuistische Mitteilung, zu einem kurzen Referate nicht geeignet.
8) Ludwig H o f b a u e r - Wien: Zur operativen Behandlung ge¬
wisser Lungenkrankheiten (Emphysem und Tuberkulose).
Polemisch gegen Freu n d, zu einem Referate nicht geeignet.
9) W. A. Freund: Bemerkungen zu dem obigen Artikel.
Zu einem Referate nicht geeignet.
10) E. Bröcking: Ein Beitrag zur Funktionsprüfung der
Arterien. (Aus der med. Klinik in Marburg.)
Der Verfasser bestimmte den systolischen und diastolischen Blut¬
druck am Arm nach Riva-Rocci, a) in horizontaler Rückenlage,
b) in sitzender Stellung des Patienten mit horizontal liegenden Beinen.
c) in sitzender Stellung mit herabhängenden Beinen, und d) in auf¬
rechtstehender Stellung. Bei normalen Menschen ist der Druck bei d
(im Stehen) meist etwas niedriger als bei a (im Liegen). Beim
Uebergang zu b (in sitzende Stellung mit horizontaler Beinlage)
steigt der Blutdruck um 6— 12 cm H,Ü, beim Sitzen mit herabhängen¬
den Beinen wird er meistens wieder niedriger. Die Blutdrucksteige¬
rung beim Sitzen erfolgt durch Kompression des Bauches und damit
des Splanchnikusgebietes, das Blut weicht in die peripheren Gefäss-
gebiete aus; bei herabhängenden Beinen lässt die Kompression des
Bauches nach, das Blut kann auch der Schwere nach mehr in die
unteren Extremitäten ausweichen. infolgedessen ist der Blutdruck-
niedriger. Man kann aus der Blutdrucksteigerung von 6 — 12 cm
nach dem Uebergang aus a in b (in die sitzende Stellung mit
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1997
horizontal gelagerten Beinen) auf ein normales Funktionieren der
peripheren Qefässe auf vasokonstriktorische Zustände im Splanch-
nikusgebiete hin schliessen, also damit die Gefässkomponente des
Kreislaufes beurteilen. Der Pulsdruck nimmt mit der Steigerung des
systolischen Druckes zu. Bei Affektionen des Gefässystems fand sich
folgendes. Bei dem Typus leicht erregbarer Menschen lässt sich
ein deutliches Höherschnellen bei b konstatieren. Bei d ist der
Blutdruck wieder annähernd normal. Bei einer zweiten Gruppe findet
sich bei normalen Werten bei b deutliche Blutdrucksenkung bei c
und d. Die Gefässspannung ist hier geringer, es kann daher das
Blut der Schwere entsprechend mehr in die Beine ausweichen. Bei
der dritten Gruppe von schwerer Gefässschwäche fehlt auch der
Druckanstieg bei b ganz. Bei deutlicher Arteriosklerose findet sich
nun stets das Fehlen des Anstieges bei b, also das Fehlen der Reaktion
der Peripherie auf die Kompression des Splanchnikusgebietes.
11) G. W e s e nb e r g - Elberfeld: Die Jodbestimmung im Harn
nach Kellermann. Eine sachliche Antwort auf die Angriffe des
Herrn Dr. phü. M. Krause.
Zu einem Referate nicht geeignet.
12) H. Brat: Ueber eine reflektorische Beziehung zwischen
Lungenbewegung und Herztätigkeit.
Bei künstlich angelegtem Pneumothorax mit Sauerstoffdurch-
leitung sinkt die Pulsfrequenz; wird der Druck in der Respirationsluft'
erhöht, so steigt die Pulsfrequenz wieder, sinkt aber wieder, wenn
der Druck so stark geworden ist, dass eine ausgiebige Lungenbe¬
wegung unmöglich ist; dasselbe zeigt sich auch, wenn statt durch
Sauerstoff durch CO2 die Lungen vorübergehend stark aufgebläht
werden. Die Durchleitung der COa allein genügt nicht, um die Vagus¬
pulse auszulösen, wie Versuche mit künstlicher Respiration mit CÜa
beweisen. Es ist demnach der Ausfall der normalen Lungenbewegung,
welcher reflektorisch die Pulsverlangsamung bewirkt; es ist also
auch der schädliche Einfluss des Pneumothorax zum Teil durch den
Ausfall der Lungenbewegung zu erklären.
13) .1. Rihl: Ueber atypische Grössenverhältnisse der Extra¬
systole am Säugetierherzen. (Aus dem Institut für allgemeine und
experimentelle Pathologie der deutschen Universität in Prag.)
Die Ergebnisse der Untersuchungen des Verfassers sind folgende:
Es gibt 2 Formen von Vergrösserung der Kammerextrasystole des
Säugetierherzens, 1. durch Superposition, 2. Vergrösserung an und
für sich. Vergrösserung durch Superposition tritt bei den einen
Fällen nur bei sehr vorzeitigen Reizen, bei den anderen bei etwas
minder vorzeitigen auf. Bei diesen kommt es bei noch weniger
vorzeitigen Reizen zu Vergrösserung der Extrasystole an und für
sich. Diese Vergrösserung lässt sich bei den vorliegenden Fällen
nicht als Ausnahme von dem Alles- oder Nichtsgesetz auffassen, son¬
dern ist auf das Vorhandensein von — vielleicht untereinander ganz
verschiedenen — Bedingungen zurückzuführen, unter denen es zui
Erscheinung der Treppe kommt. Mitunter ist die nach einer inte 1 —
polierten Extrasystole auftretende postextrasystolische Systole supei-
poniert. Eine Vergrösserung der Extrasystole kann auch stattfinden,
wenn eine Extrasystole nach der kleineren Kontraktion einei im
Alternans schlagenden Kammer auftritt.
Lindemann - München.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 38. 1907.
1) Begrüssung zum 14. internationalen Kongress für Hygiene und
Demographie. . , . _ , .
2) V. B a b e s - Ofen-Pest und A. V a s 1 1 1 u - Roman: DieAtoxyl-
behandlung der Pellagra.
Die Verfasser berichten über 62 mit Atoxyl behandelte ralle. Dei
rasche Erfolg bei akuten Fällen und bei jugendlichen Kranken ist ein
ganz zweifelloser lind trat bis 2 I age nach der ersten Injektion be-
reits ein, selbst bei sehr schweren akuten Formen. Alle Symptome
der Krankheit wurden durch das Mittel günstig beeinflusst. Bei nicht
komplizierten Fällen an Personen mittleren Alters war die Wirkung
auch eine recht günstige und wurde im Durchschnitt innerhalb 14
Tagen Heilung erzielt. Weniger günstig waren die Erfolge bei ballen
mit Geistesstörung, weil bei diesen häufig Rückfälle auftraten. Bei
Personen über 50 Jahren konnte eine Heilung oft erst nach längerer
Zeit erzielt werden, doch wird im allgemeinen durch die Atoxyl-
therapie die Behandlungsdauer ganz erheblich abgekürzt.
3) E. F. Bashford, J. A. Murray und M. H aal and -
London: Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung.
Die Mitteilung bezieht sich auf die Versuche, einen von einer
Maus stammenden Plattenepitheltumor zu transplantieren. Die Ueber-
impfung erfolgte auf 201 Mäuse. Zum Teil wurde in den entstehenden
Tumoren ebenfalls Verhornung gefunden. Die Verfasser berichten
über histologische Einzelheiten dieser Geschwülste. Bemerkenswert
war auch hier die spezifische Stromareaktion für einzelne I umoren.
Tiere, bei welchen der transplantierte Tumor zur spontanen Resorp¬
tion gelangte, sind gegen spätere Impfungen des nämlichen 1 umors in
hohem Grade geschützt. .
4) CI. Fermi und R. R e p e 1 1 o - Sessari: Ueber die Filtrier¬
barkeit des Trachomerregers und über den pathogenetischen Wert
der kultivierbaren Flora der trachomatösen Konjunktiva.
Aus den Schlussfolgerungen der mitgeteilten Versuche ist anzu¬
führen, dass keiner der verschiedenen, auf Agar oder in Glyzerin¬
bouillon kultivierbaren Migroorganismen, die die ganze Flora der
trachomatösen Konjunktivitis bilden, weder einzeln noch zusammen
die Kraft besessen haben, das Trachom beim Menschen wieder her¬
vorzurufen. Das trachomatöse Virus gehört nicht zu den filtrierbaren,
aber andererseits zu den kultivierbaren Mikroorganismen.
5) Julius Kentzler - Ofen-Pest: Weitere Untersuchungen über
die Arteigenheitsverluste der körperfremden Eiweisstoffe.
K. hat schon früher auf die Rolle der Salzsäure hingewiesen, art¬
fremdes Eiweiss umzuwandeln und seiner schädlichen Wirkungen auf
den Organismus zu entkleiden. Verf. hat nun seine Versuchspersonen
Milch in mehr oder minder grosser Menge aufnehmen lassen und das
Serum der Betreffenden mittelst der Präzipitinreaktion auf das art¬
eigene Erscheinen der Kuhmilcheiweisskörper untersucht. Es eigab
sich, dass der Organismus die durch den Magen aufgenommenen art¬
fremden Eiweisstoffe nicht in ihrer arteigenen Form aufnimmt, son¬
dern in einer veränderten zur Assimilation bringt.
6) J. Morgenrot h und K. Reicher- Berlin : Zur Kenntnis
der durch Toxolezithide erzeugten Anämie und deren medikamentöser
Beeinflussung. . , ,
Aus den mitgeteilten Versuchen, auf welche hier nicht einge¬
gangen werden kann, geht hervor, dass die intravenöse Einspritzung
sowohl des isolierten Toxolezithids wie eines entsprechend präpa¬
rierten Gemisches von Kobragift mit Lezithin zu einer rasch ein-
setzenden Anämie führt; ferner dass das Cholesteiin imstande ist, die
Ausbildung der durch Injektion des 1 oxolezithinds bei den Konti oll -
tieren eintretenden Anämie zu verhüten.
7) C. Mo res ch i -Pavia: Ueber den Wert des Komplement¬
ablenkungsverfahrens in der bakteriologischen Diagnostik.
Die Prüfung der Le uchs sehen Versuche führt den Verf. zu
dem Schlüsse: 1. das Komplementablenkungsverfahren ist zum Nach¬
weis kleiner Bakterienmengen ungeeignet, 2. es ist auch keine quanti¬
tative exakte Methode zur Titration eines Typhusimmunserums auf
Antikörper. Aus weiteren Versuchen ergibt sich, dass das Kom-
plementablenkungsverf ähren unter Berücksichtigung der von Verf.
verwendeten bakteriolytischen und hämolytischen Systeme in keinei
Weise weder zum qualitativen noch zum quantitativen Nachweis von
Antikörpern im Serum des Menschen und des Pferdes geeignet ist.
8) W. Spät-Prag: Ueber einen Fall von Influenzabazillenpyamie.
Dem Pfeifferschen Influenzabazillus kommen unzweifelhaft
septische und pyogene Eigenschaften zu, wie sich auch aus der. von
Verf. mitgeteilten Krankengeschichte eines 33 jährigen Kellners wieder
ergibt. Derselbe erkrankte im Anschluss an Influenza an broncho-
pneumonischen Herden und an einer linksseitigen Iufluenzapleuritis,
an welche sich eine ulzeröse Endokarditis und Pyonephrose anschloss.
Ausgang in Tod. . _ ...
9) R. W e i g e r t - Breslau: Ueber den Einfluss der Ernährung
auf die Tuberkulose. , , . ,
Weigert weist auf jene Fälle hin, in welchen es trotz, sogar
während einer Mastkur zu einer rapiden Verschlechterung vorhan¬
dener Tuberkulose kommt. Klinische und sonstige Beobachtungen
zeigen, dass zwischen der natürlichen Widerstandsfähigkeit des Or¬
ganismus und seinem Wassergehalt ein Zusammenhang besteht in der
Weise, dass der grössere Wassergehalt widerstandsunfähiger macht.
Bei Tieren, welche grösstenteils mit Kohlehydraten gefüttert sind,
findet sich der grösste Wassergehalt der Gewebe. Es Hess sich nach-
weisen, dass durch bestimmte Ernährungsweisen Tiere von differenter
chemischer Zusammensetzung gezüchtet werden können. Verf. hat
Versuche .an 10 Schweinen angestellt, von denen die eine Hüllte mit
Fett die andere mit Kohlehydraten gemästet wurde. Nach der vor¬
genommenen Infektion der Tiere mit Perlsucht zeigte es sich, dass
die Infektion bei den mit Fett gemästeten Schweinen einen günstigeren
Verlauf nahm, als bei den anderen. Kohlehydratmast ist nach dem
Ausfall dieser Versuche vielleicht auch bei tuberkulösen Menschen
ungünstiger als Fettmast. , . ,
10) Westen hoeffe r- Berlin : Ueber die praktische Bedeutung
der Rachenerkrankung bei der Genickstarre.
Verf. hat schon früher festgestellt, dass in weitaus der Mehrzahl
der Fälle die Erkrankung des Nasenrachens, speziell der Rachen¬
tonsille die erste Etappe der Erkrankung darstellt, welche allerdings
auch rasch ablaufen kann. Es wird hervorgehoben, dass die Schulen
nach den Beobachtungen in den letzten Epidemien nicht die Ver¬
mittler der Ansteckung sind und zwar scheint dies damit zusammen¬
zuhängen, dass die Kinder ihr Sputum nicht auswerfen, sondern ver¬
schlucken. Da die Ausstreuung .der Keime durch das Auswerfen des
Sputums erfolgt, so ist die Rachenaffektion für die Verbreitung der
Genickstarre von .der grössten Bedeutung. W. beschreibt einen
Fall (20 jähriger Handlungsgehilfe), wo im Anschluss an eine Lumbal¬
anästhesie mit Stovain sich eine tödliche Meningokokkenmeningitis
entwickelte, für welche der Enstehungsmodus nicht aufgeklart ist.
Die Feststellung der Rachenaffektion ist von Bedeutung für die Er¬
kennung der Kokkenträger, der Verbreitungsweise der Krankheit, so¬
wie ihre sanitätspolizeiliche Behandlung.
11) A. Wolf f -Eisner -Berlin: Typhustoxin, Typhusanti-
toxin und Typhusendotoxin, Die Beziehungen zwischen Ueber-
ernpfindlichkeit und Immunität.
Ein kurzer Auszug des Originalartikels kann an dieser Stelle nicht
gebracht werden und wird auf letzteren selbst verwiesen.
12) H. Marx -Berlin: Zur Lehre vom Verblutungstod.
Verf. bespricht verschiedene zur quantitativen Bestimmung
irgendwo angetrockneten Blutes dienende Methoden. Ls wird betont,
1998
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
dass Blutungen auch aus Leichen noch erfolgen können. Nach alteren
und besonders neueren Feststellungen treten bei etwa der Hälfte der
Fälle von Verblutungstoid subendokardiale Blutungen ein. Das bei der
Verblutung in der Leiche zurückbleibende Blut ist ärmer an roten
Blutkörperchen als das gewöhnliche Leichenblut. Verf. macht
schliesslich unter anderem auf jene Fälle von Verblutung aufmerksam,
wo Blutergüsse in die Haut allein zum Tode führen.
Grass mann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 38.
1 ) Albert N e i s s e r-Batavia: Atoxyl bei Syphilis und Framboesia.
Verf. bestätigt auf Grund von Versuchen an Affen, dass eine
energische, am besten in grossen Einzeldosen durchgeführte Atoxyl-
kur einen sehr starken Einfluss auf die Syphilis hat. Organver¬
impfungen, die sonst positiv waren, blieben nach Atoxylbehandlung
der kranken Tiere fast regelmässig negativ. Wirksamer als Atoxyl
allein war dessen Kombination mit Trypanrot, viel weniger wirksam
war Acid. arsenicosum. Bei gleichzeitig mit der Infektion begonnener
Atoxylbehandlung traten noch Primäraffekte auf. Bei einem mit
Framboesie behafteten Orang-Utan heilten monatelang bestehende
Effloreszenzen unter Atoxylbehandlung rasch ab.
2) P. Bergell und Anton Sticker- Berlin : Ueber Patho¬
genese und über den spezifischen Abbau der Krebsgeschwülste.
Die Injektion der spezifisch abbauenden Leberfermente, über
welche v. Leyden und Bergell kürzlich berichteten, verursachte
bei experimentell erzeugten, grossen, fortgeschrittenen Sarkomen des
Hundes zu Zeiten, wo eine Selbstheilung nicht mehr in Frage kam,
eine regressive Metamorphose (Abbildung) bis zum völligen Schwund
des Tumors.
3) Artur S i m o ns - Berlin: Zur Theorie und Praxis der
Schwellenwertsperkussion.
Verf. findet, dass die Gold scheid er sehe Griffelperkussion,
abgesehen von der mechanisch leichteren, sehr leisen Schallerzeu¬
gung, nichts wesentlich anderes leiste als die leiseste Perkussion, der
Schwellenwert. Insbesondere könne man die Richtung der Schall¬
strahlen nicht durch den Glasgiffel beeinflussen, auch könne man mit
einer so schwachen Bewegung, welche die erste Empfindung auslöst,
kaum durch die bedeckenden Medien hindurch die tiefer liegenden in
reflektierbare Schwingungen versetzen. Mit den geringsten Schall¬
differenzen, die man mit der neuen Methode an den Lungenspitzen
erhält, könne man ohne Auskultation oder andere Zeichen nichts
Sicheres anfangen. Die K r ö n i g sehe Lungenfelderbestimmung sei
praktisch völlig ausreichend.
4) Felix F r a n k e - Braunschweig: Zur Behandlung der Herz¬
verletzungen (Punktion des Herzbeutels).
In der Möglichkeit einer Herzverletzung und selbst in manchen
Fällen von sicherer Herzverletzung sieht Verf. noch keine unbedingte
Indikation zur sofortigen Herznaht bezw. probatorischen Freilegung
des Herzens. Man müsse bedenken, dass die Operation nicht unge¬
fährlich sei und auch schwer Verletzte sich spontan erholen können.
Dagegen sei die Parazentese des Herzbeutels ein kleiner, ungefähr¬
licher Eingriff. Sie komme als Palliativmittel in Betracht, könne aber
auch direkt lebensrettend wirken, wie Velf. an einem Fall zeigt. Sie
soll ausgeführt werden — eventuell freilich nur als vorbereitender
Akt — , sobald die Herzkraft zu erlahmen droht. Bezüglich der Tech¬
nik hält er sich an die Vorschriften K ü m in e 1 1 s im Handbuch der
praktischen Chirurgie. Meist empfiehlt sieh Punktion im 5. Inter¬
kostalraum nahe dem Sternum, mit dünnem Troikart.
5) B. K r ö n i g - Freiburg: Uebung und Schonung in der Geburts¬
hilfe und Gynäkologie.
Verf. legt grosses Gewicht auf körperliche Bewegung während
der Schwangerschaft; die Gefahr der Herbeiführung eines Abortus
werde weit überschätzt. Er lässt auch seit 2 Jahren seine Wöchner¬
innen möglichst früh aufstehen, womöglich schon 8 Stunden nach der
durch Morphium-Skopolamin gemilderten Geburt, mit sehr guter
Wirkung auf Allgemeinbefinden und Morbidität, und ohne schädliche
Wirkung auf Laktation und Involution des Uterus. Auch eine Dispo¬
sition zur Senkung der Gebärmutter und Scheide ergab sich nicht.
Durch gymnastische Uebungen wird ausserdem die Muskulatur syste¬
matisch gekräftigt. Aehnlich gute Erfahrungen machte Verf. mit Früh-
aufstehen und Gymnastik nach im Dämmerschlaf vorgenommenen,
technisch nicht zu schwierigen Laparotomien.
6) O. v. Herff-Basel: Ueber gynäkologische Massage, ins¬
besondere über die Erschütterungsmassage.
Verf. beschränkt deren Anwendungsgebiet vornehmlich auf
Dehnung von Narben und Lösung von Verwachsungssträngen, ferner
Beförderung der Aufsaugung alter harter Schwarten und Schwielen
bei sicher auszuschliessender Tuberkulose, auch zur Milderung men¬
strueller Blutungen, dann zur Stärkung eines geschwächten Becken¬
bodens oder Blasenschliessmuskels, schliesslich zur Milderung und
Beseitigung von Schmerzen und unangenehmen Empfindungen aller
Art in den Beckenorganen. Vorsicht ist besonders geboten bei noch
nicht abgelaufenen Entzündungen, wo noch kleine Eiterherde und
lebensfähige Bakterien vorhanden sein können. Das Klingel-
f u s s sehe Instrumentarium wird beschrieben und abgebildet.
7) A. Bauer - Leipzig: Chorionepithelioma malignum nach
BlaseninOle und nach Abortus.
Verf. teilt 2 Fälle mit und stellt folgende Regeln auf: Blasen¬
molen fordern immer zu sorgfältigster Beobachtung und wiederholter
Probeabrasio (alle 4—6 Wochen) heraus. Bei klinischem Verdacht
auf Chorionepithelioma malignum sind Probeabrasionen sichere
Stützen der Diagnose, wenn sie ergeben: 1. älteren fibrinös-hämor¬
rhagischen Zerfall um gewucherte, besonders riesenzellenartige
Zottenepithelelemente her; 2. Einbrüche von gewuchertem Zotten¬
epithel durch sonst intakte Gefässwände in die Blutbahn; 3. Infiltration
der Muskelwand durch typische oder atypische Zottenepithelelemente.
8) Artur H a r t m a n n - Berlin: Die Verwendung des Natrium
perboricum bei der Behandlung von Ohren-, Nasen-, Rachen- und
Halskranken.
Verf. erprobte das Mittel bei Mittelohreiterung, bei katarrhali¬
schen und besonders ulzerösen Prozessen in Nase, Pharynx und Kehl¬
kopf. Es erwies sich den bisherigen Desinfektions- und Heilmitteln
als überlegen. Abbildung eines zweckmässigen Pulverbläsers.
9) C. J a c o b y - Göttingen: Zur sparsamen Verwendung des
Curare bei Froschversuchen.
Filtrierpapier wird mit Curarelösung von bekanntem Gehalt
getränkt, dann im Vakuum über Schwefelsäure getrocknet und nach
Mass zugeschnitten. Haltbar, bequem und sparsam dosierbar.
10) J. Schwalbe - Berlin: Friedrichs des Grossen Beziehungen
zur Medizin.
11) F 1 ü g g e - Berlin : Rechtsfragen für die ärztliche Praxis.
R. Grashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 18. 1907.
Max W i n d 1 e r - Luzern: Ueber die toxische Wirkung des
Chrysarobins auf die Nieren und seine Ausscheidung. (Aus der der¬
matologischen Klinik in Bern.)
Verf. bespricht kurz die Literatur und findet durch Experimente,
• dass sowohl bei interner als auch bei externer Chrysarobinverab-
reichung Chrysophansäure nur in sehr geringem Masse im Urin er¬
scheint, und dass Nephritis bei der üblichen Dosierung, selbst bei
Chrysarobinidermatitis, kaum in Betracht kommt.
Lindt-Bern: Klinisches und Histologisches über die Rachen¬
mandelhyperplasie. (Schluss.)
Die mikroskopische Untersuchung von 50 exstirpierten Mandeln
ergab, dass das Bild der Rachenmandelhyperplasie durch konstitutio¬
nelle Schwächezustände nicht charakteristisch beeinflusst wird und
das Auftreten des Uebergangsepithels nichts mit Involution zu tun
hat. Von den zwei Haupttheorien über die Bedeutung der Mandeln,
der „Abwehr-“ und „Infektionstheorie“ (Görke) stützt Verf. die
erstere. Durch starke Inanspruchnahme dieser Abwehr entsteht dann
die Hyperplasie, wobei die konstitutionelle Minderwertigkeit des In¬
dividuums und Schädigungen von rückwärts, durch Infektionskrank¬
heiten und Erkältungen, mitwinken. Anderseits bleiben in den Man¬
deln Entzündungsherde liegen, die Anlass zu neuen Entzündungen
geben.
Für die Therapie ergibt sich, dass nur wesentliche Störungen
(Atmungsbehinderung, häufige Katarrhe, allgemeine Krankheits¬
erscheinungen), aber diese eine unbedingte Indikation zur radikalen
Operation abgeben, die mit gründlicher Behandlung der Nachbar¬
organe zu kombinieren ist. In 5 Fällen fand sich latente Tuberkulose
als Begleiterscheinung.
O. Roth -Zürich: Ueber die gesundheitsschädlichen Folgen der
Arbeit in hochtemperierten Räumen, speziell in Stickereiappreturen.
(Schluss.)
Enthält zahlreiche Angaben über die in Betracht kommenden
physikalischen Faktoren, Temperatur, Wärmestrahlung, Luftbewe¬
gung, Feuchtigkeit, und die möglichen Schädigungen — die übrigens
in den untersuchten Fabriken sehr gering waren — und über die an¬
zustrebenden hygienischen Forderungen. Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift. i
No. 38. A. Weichselbaum - Wien : Ueber die Infektions¬
wege der menschlichen Tuberkulose.
Einleitendes Referat zur VI. internationalen Tuberkulosekonferenz.
L. v. Sc h r ö 1 1 e r - Wien: Ueber Anzeigepflicht bei der
Tuberkulose.
Vortrag, gehalten auf der VI. internationalen Tuberkulose¬
konferenz.
C. v. P i r q u e t - Wien: Der diagnostische Wert der kutanen
Tuberkulinreaktion bei der Tuberkulose des Kindesalters auf Grund
von 100 Sektionen.
Die 100 Fälle gliedern sich wie folgt. 52 Fälle ohne tuberkulöse
Veränderungen: hier war auch die Allergieprobe negativ ausgefallen.
Von 34 Fällen mit tödlicher Tuberkulose waren 24 ersten in den
letzten 10 Lebenstagen untersucht, von denen 13 negativ, 11 positiv
reagiert hatten. 11 früher untersuchte hatten positiv reagiert. Von
13 Fällen mit Tuberkulose als Nebenbefund bei der Sektion hatten
9 positiv, 4 (3 in der letzten Lebensdekade) negativ reagiert. In
einem Falle war die Probe positiv gewesen, der Obduktionsbefund
jedoch negativ, in allen übrigen 31 Fällen mit positiver Reaktion
fanden sich wenigstens verkäste Lymphdrüsen. Das. Gesamtergebnis
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1999
lautet idahin, dass eine positive Reaktion mit Sicherheit aut tuber¬
kulöse Veränderungen hinweist; negativer Ausfall lässt im allgemeinen
auf das Nichtvorhandensein der Tuberkulose schliessen; er zeigt steh
aber auch fast regelmässig in den letzten Lebenstagen tö.dhchei
Tuberkulose. . ... .
J. S o r g o - Alland: Ueber Mutationen von menschlichen
Tuberkelbazillen.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet. #
M. Sternberg - Wien: Topographie der Tuberkulose in Wien.
Die" Mortalität der Stadt Wien dargestellt in einer Planskizze,
welche die besonders starke Belastung einzelner engbevölkerten
peripherer Arbeiterviertel dartut.
H. v. -Sch r ö 1 1 e r - Wien: Ueber eine seltene Form von Tuber¬
kulose der Speiseröhre. , , _ . ...
Mitteilung eines Falles von tuberkulöser Striktur der Speiseionie,
welche lange vor der Lungentuberkulöse manifest wurde. Sie Hess
sich von der Zeit der Granulation und Ulzeration bis zur narbigen
Ausheilung, welche die Speiseröhre auf 12 cm Länge in ein stunes,
auf der Unterlage verschiebliches Rohr verwandelte, ähnlich einer
Laugenverätzung durch die Oesophagoskopie verfolgen. Die isolierte
Erkrankung der Speisenröhre war auf emboldschem Wege, vermut¬
lich durch Infektion der Lymphgefässe der Submukosa von den Bron¬
chialdrüsen aus erfolgt. Vielleicht war die Schwielenbildung eine
Folge der Bougiebehandlung. , _ .
J. Bartel -Wien: Der normale und abnormale Bau des
lymphatischen Systems und seine Beziehungen zur Tuberkulose.
Habilitationsvortrag. Die neueren Beobachtungen lassen es als
wahrscheinlich annehmen, dass gewisse Anomalien im lymphatischen
System, welche beispielsweise in destruktiven Aenderungen des Aut-
baues des Stützgerüstes bis zum völligen Schwund des spezifischen
Parenchyms der Lymphdrüsen ihren anatomischen Ausdruck linden,
einen Teil der Disposition zur Tuberkulose bilden. Ausser den
Aenderungen im morphologischen Bau des Lymphapparates muss
man aber wohl auch Störungen in dessen physiologischen Funktionen
annehmen und weiterhin auch Veränderungen und Funktionsstörungen
in anderen Teilen des Organismus, wodurch die Abwehrmittel ge¬
schwächt ud der Einbruch der Bakterien erleichtert wird.
J. Bartel und F. S p-i eie r- Wien: Expenmentalunter-
suchungen über natürliche Infektionsgelegenheit mit Tuberkulose.
Die Verf. widersprechen den Versuchen, die Infektion durch
Tuberkulose ausschliesslich auf einem Wege, sei es durch Inhalation
oder Fütterung erklären zu wollen; es hat den Anschein, als ob dei
Weg durch Inhalation an Häufigkeit, wenigstens im jugendlichen Alter
(Schmutz- und Schmierinfektion) hinter der Infektion der Verdauungs¬
wege zurückstehen würde. Dabei ist allerdings zuzugeben, dass bei
kräftigen Individuen eine Gesamtinfektion vom Darm aus oft nicht
zu stände kommt. Dafür sprechen auch neuere Tierversuche der
Verfasser. Neben den Fragen der antibazillären Prophylaxe darf
jedenfalls das Stadium der Disposition nicht aus dem Auge gelassen
" erdjHg a r ^ e j. Leitsätze zur Frage der Tuberkuloseentstehung.
B. unterscheidet die Disposition des gesamten Organismus von
derjenigen bestimmter Organgebiete, er trennt ferner das anfängliche
lymphoide Stadium von dem späteren manifesten Stadium und betont
die Möglichkeit der Infektion vom Darmtraktus wie von den Atmungs¬
wegen aus, wobei die Lunge jedenfalls einer gewissen Prädilektion
ausgesetzt ist. Bergeat - München.
Bericht über die neueren Arbeiten aus dem Gebiete der ge¬
samten Physiologie.
Von Prof. Dr. K. B ii r k e r - Tübingen.
(Fortsetzung.)
Ausserordentlich zahlreich sind die Arbeiten, welche sich aut die
Physiologie der Verdauung beziehen, sie sind zum Teil durch die
bekannten P a w 1 o w sehen Versuche angeregt.
Ueber die physiko-chemischen Bedingungen
der Speichelabsonderung handelt eine Arbeit von G. Ja-
p e 1 1 i - Neapel in v. Voits Zeitschr. f. Biol., Bd. 48, S. 398, 1906.
Untersucht wurden die physikalisch-chemischen Eigenschaften des
Blutes und des durch Chordareizung erhaltenen Submaxillarspeichels
von Hunden vor und nach Injektion von hyper- und hypotonischen
Kochsalzlösungen. Die Ergebnisse sind folgende:
1. Der osmotische Druck des durch Chordareizung erhaltenen
Submaxillarspeichels beim normalen Hunde ist, obwohl stets niedriger
als der des Blutes, keine einfache Funktion des osmotischen Druckes
des Blutes. _ , ......
2. Wenn man den osmotischen Druck des Blutes durch Injektion
von hyper- und hypotonischen Kochsalzlösungen erhöht oder er¬
niedrigt, so schwankt der Druck des Submaxillarspeichels im selben
Sinne. , . , ,
3. Es besteht eine starke Tendenz, den Unterschied zwischen der
Gefrierpunktserniedrigung des Blutes und Speichels konstant zu
halten. . .. .
4. Osmotischer Druck und elektrisches Leitvermögen des Spei¬
chels schwanken in demselben Sinne.
5. Die Viskosität des Speichels schwankt nach Injektion der
hyper- und hypotonischen Kochsalzlösungen nicht parallel dem osmo¬
tischen Drucke und Leitvermögen, sondern zeigt nicht selten eine
starke Abnahme.
6. Die Sekretion wird bei Zunahme des osmotischen Druckes des
Blutes so modifiziert, als ob sie in einer ermüdeten Drüse stattfände: es
wird nämlich die Latenzperiode verlängert und es kommt schliesslich
zum Stillstand der Sekretion, die jedoch bei energischerer Reizung
wieder in Gang kommt.
7. Durch Abnahme des osmotischen Druckes des Blutes ändert
sich zwar nicht die Menge des Sekretes, jedoch bemerkt man auch
in diesem Falle eine Zunahme der Latenzperiode.
Vor mehr als 25 Jahren haben Kronecker und Meitzer
die Behauptung ausgesprochen, dass beim Schluckakt Flüssigkeiten
tief in die Speiseröhre durch Kontraktion der Muse, mylohyoidei,
unterstützt von Zungenmuskeln, hinabgespiiitzt werden, und dass die
so beförderte Flüssigkeit die Kardia lange vor Ankunft der peri¬
staltischen Welle erreicht. Vor 10 Jahren wurden diese Resultate
durch Versuche an Hunden bestätigt. Neuerdings wurde insbesondere
von R. H. Kahn die Ansicht vertreten, dass es die Peristaltik ist,
welche auch auf Flüssigkeiten wesentlich befördernd wirkt. In einer
Arbeit: Schlucken durch eine Speiseröhre ohne
Muskelschicht (Zentralbl. f. Physiol., Bd. 21, S. 70, 1907), teilt
nun S. J. Meitzer -New York mit, dass er im Anschluss an später
mitzuteilende Versuche von K r e i d 1 bei Hunden die Muskularis vom
ganzen Halsteil des Oesophagus entfernt und ausserdem noch in 2 Ver¬
suchen die Schlundmuskulatur durchtrennt habe; trotzdem tranken
diese Tiere Milch wie normale Hunde. Ausserdem wurde die Be¬
obachtung gemacht, dass jeder Schluck die Peristaltik des voran¬
gehenden Schluckes hemmt; wenn rasch getrunken wird, bleibt da¬
her fast der ganze Oesophagus schlaff bis nach dem letzten Schluck.
Nun trinken Mensch und Tier oft sehr rasch und viel; wenn das
Getrunkene durch Peristaltik befördert würde, so müsste bei der rela¬
tiven Langsamkeit der peristaltischen Beförderung die Flüssigkeit
im Munde sich aufstauen, was aber nicht der Fall ist.
In einer weiteren Arbeit im Zentralblatt für Physiologie, Bd.
20, S. 338, 1906, teilen S. J. Meitzer und J. A u e r - NewYork
folgende Beobachtung Ueber einen Vagus reflex für den
Oesophagus mit. Reizt man das zentrale Ende des Halsvagus
beim Hunde mit Induktionsströmen, so erhält man bei intaktem an¬
derem Vagus und zunehmender Reizstärke zunächst eine tetanische
Kontraktion des Hals-, dann des Brustteiles und schliesslich der gan¬
zen Speiseröhre. Die Kontraktion setzt bald nach dem Reizbeginn
ein, wobei die oberen Teile der Speiseröhre sich etwas früher zu¬
sammenziehen als die unteren, und hört fast immer sofort nach dei
Reizunterbrechung auf.
Dieselben Autoren berichten am selben Orte S. 455 über
Reflexhemmung der Kardia vom Vagus aus. W enn
ein Schluckakt ausgelöst und unmittelbar darauf das zentr a 1 e
Ende eines Vagus gereizt wird, so tritt, so lange die Reizung anhält,
keine Kontraktion der Kardia ein, sie wird vielmehr ausgebaucht,
erweitert. Die Kontraktion der Kardia, welche konstant nach jedet
peripheren Reizung des Vagus einsetzt, findet nicht statt, wenn
zur selben Zeit das zentrale Ende des Vagus gereizt wird. Fast nach
jeder Unterbrechung einer wirksamen Reizung des zentralen Endes
eines Vagus tritt eine starke Kontraktion der Kardia ein.
In der letzten Zeit häufen sich die Beobachtungen über psy¬
chische Magensaftsekretion beim Menschen. H. Bogen- Heidel¬
berg hatte Gelegenheit Experimentelle Untersuchungen
über psychische und assoziative Magensaftsekre¬
tion beim Menschen und zwar an einem 3 Vs jährigen männ¬
lichen Kinde, anzustellen, das wegen Oesophagusstenose infolge
Laugenverätzung durch eine Magenfistel ernährt werden musste
(Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 117, S. 150, 1907). Das Kind
wurde bei den Versuchen auf zwei ausgespannte breite Handtücher
mit dem Gesicht nach unten gelegt und zwischen den Tüchern ein
Drainrohr aus der Magenfistel nach abwärts geleitet. Beobachtet
, wurde psychische Sekretion dadurch, dass Milch vor den Augen des
Kindes in die Spritze gefüllt wurde, als sollte die Milch wie ge¬
wöhnlich durch den Drain eingeführt werden; trotzdem letzteres
nicht geschah, erfolgte Sekretion.
Sekretion auf assoziativem Wege wurde dadurch liervoi ge¬
bracht, dass zunächst einige Zeit Fleischnahrung gereicht und zu
gleicher Zeit immer ein bestimmter Ton einer kleinen I rompete
entlockt wurde. Schliesslich erfolgte Sekretion allein aut den Ion
hin. Psychische Affekte, wie Zorn, Schmerz, hinderten die Se-
kretion
Die Latenzzeiten für alle Arten von Reizen, bei denen Fleisc.li
Reizmittel war, betrugen 4,75 Minuten (so genau?!), für •Milch 9 Mi¬
nuten. Bei Fleischnahrung wunde 3 — 6 mal mehr Sekret pro, du
ziert als bei psychischer oder assoziativer Reizung. Der Salzsauie-
gehalt, im Mittel 0,2 Proz., schien von der Intensität des Reizes ab¬
hängig zu sein, die Gesamtazidität verhielt sich wie der Salzsaut t-
gehalt. ,
Scheinfütterungsversuche am e r w achsenen
Menschen und zwar an einem 23 jährigen Mädchen mit fast
pletter Oesophagusstriktur und Magenfistel uhrte H.Kazne -
RpHin ans (Pflüsrers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 118, S. 327, iyu/j.
Dem Mädchen konnten Nahrungsmittel in lden
werden denn das obere Oesophagusende war durch eipen schlauen
unter dem Kleide mit der Magenfistel verbunden. Es stellten sich da¬
bei ziemlich normale Verdauungszustände her.
200C
MUENCHENER MEDIZINISCEIE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Der rein mechanische Kauakt (Kauen von Gummi) war ohne Ein¬
fluss auf die Sekretion. Wurde eine Glasröhre an Stelle des
Schlauches eingesetzt, so konnte man beobachten, wie die Nahrung
beim Schluckakt hinabgespritzt wird. Bei Scheinfütterung beför¬
derten Geschmacks- und üeruchsreize die Sekretion, leckere Ge¬
hör- und üesichtseindriicke wirkten nicht. Bittermittel steigerten,
Soda hatte hemmende Wirkung, nur kurz dauernde Sekretion war
bei Scheinfütterung mit Wein zu beobachten, während direkte Ein¬
führung in den Magen stärkere Sekretion im Gefolge hatte. Die
Dauer der Latenzperiode betrug 5 Minuten, die Saftbildung über¬
dauerte die Scheinfütterung. Bei der ultramikroskopischen Unter¬
suchung fanden sich Granula im Magensaft, stark war die labende,
peptische und fettspaltende Wirkung des Saftes, der HCl-gehalt be¬
trug U,42 Proz., die Menge des CI, welche nicht an H gebunden war,
0,39 Proz. Die Azidität, zuerst geringer, erreichte schliesslich einen
konstanten Wert zwischen 110 — 140. Der Gefrierpunkt des Schein¬
fütterungssaftes lag etwas oberhalb des Gefrierpunktes des Blutes.
Wenn auch die Quantität des Magensaftes unter verschiedenen Um¬
ständen Schwankungen unterworfen war, so wurde doch ein be¬
stimmter Säuregehalt zäh festgehalten. Die am Menschen ange-
stellten Versuche stimmen also mit .den P a w 1 o w sehen Tierver¬
suchen völlig überein.
Aus Untersuchungen von F. T a n g 1 - Ofen-Pest über
die Hydrogenionenkonzentration im Inhalt des
nüchternen menschlichen Mage m s (Pflügers Arch. f. d.
ges. Phys., Bd. 115, S„ 64, 1906), die mit Hilfe der Konzentrationskette
H | ,-i-ö HCl in > NaCl | | NaCl | Mageninhalt | H ausgeführt
wurden, geht hervor, dass der Inhalt des gesunden, menschlichen
nüchternen Magens fast ausnahmslos sauer ist.
Die Resultate einer experimentellen und theoretischen Unter¬
suchung Ueber die freie Salzsäure des Magensaftes
teilt H. D r e s e r - Elberfeld in Hofmeisters Beiträgen zur chem-
Physiol. und Pathol., Bd. 8, S. 285, 1906 mit. Durch die Unter¬
suchung sollte festgesteLlt werden, ob die durch Tüpfeln auf Kongo¬
papier als „freie“ Säure erkannte Säure des Magens in ihrer chemi¬
schen Wirkung auch wirklich identisch mit einer auf Grund der
Kongotitration gleich starken verdünnten Salzsäure isi.
Da sich durch Berechnung ergab, dass die Methode der Messung
der elektromotorischen Kraft zwar für die annähernde Bestimmung,
nicht aber für die genaue Ermittelung sehr geeignet ist, so wurde
ein modifiziertes Ostwaldsches Verfahren zur Messung der Stärke
der Säuren angewandt. Mit Hilfe dieses Verfahrens wurde die
Säureazidität in dem eine halbe Stunde nach dem üblichen Ewald-
scheu Probefrühstück erhaltenen Magensafte im Mittel zu nur 70
bis 80 Proz. von der der Vergleichssalzsäure bestimmt. Wurde die
Avidität durch Zusatz von Glykokoll herabgesetzt, so trat noch keine
Störung der Verdauung ein, wenn bis zu 1 Mol Glykokoll zugesetzt
wurde. Steigerung der normalen Azidität auf das Doppelte rief nur
eine geringfügige Beschleunigung der Verdauung hervor, Verminde¬
rung der normalen Azidität um die Hälfte setzte die Verdauungsge¬
schwindigkeit auf nahezu den 3. Teil herunter.
Auf eine Arbeit von S. K ü 1 1 n e r - St. Petersburg Ueber die
V o 1 h a r d s c h e Pepsinbestimmung (Kossels Zeitschr. f.
physiolog. Chemie, Bd. 52, S. 63, 1907) sei hiermit hingewiesen.
In einer Arbeit Ueber das fettspaltende Ferment
i m Sekret des „kleinen Magen s“ (Hofmeisters Beitr. zur
ehern. Physiol. und Pathol., Bd. 8, S. 281, 1906) bestätigt E.La-
q u e u r - Heidelberg auf Grund von Versuchen an einem von Prof.
C o h n h e i m operierten Hunde mit Nebenmagen die Angaben von
V o 1 h a r d, dass im Magensaft ein fettspaltendes Ferment enthalten
ist. Im Gegensatz zur Lipase des Pankreas wird dieses Ferment
in seiner Wirkung durch Galle kaum gesteigert.
Ueber eine Methode zur funktionellen Magen¬
untersuchung berichtet H. Ahrens- Wien im Zentralbl. I.
Physiol., Bd. 20, S. 338, 1906. Um den Ort der Säuresekretion im
Magen zu ermitteln, führte er einen an einem Schlauch befestigten,
für Salzsäure durchlässigen, Ballon aus Peritoneum oder Serosa des
Magens, der innen mit Kongo gefärbt war, in den Magen ein, blies
den Ballon auf, so dass er sich der Magenwand anlegte und unter¬
suchte nach dem Herausziehen des Ballons, an welchen Stellen Blau¬
färbung eingetreten war. Das Aufblasen des Ballons wirkt als Reiz,
so dass der Magen anfängt, Salzsäure zu sezernieren. Nach dieser
Methode angestdlte Versuche ergaben, dass die Säure zuerst und
am stärksten im Pylorus sezerniert wird, dass von hier aus die Se¬
kretion kardiawärts fortschreitet, dass aber die nächste Umgebung
der Kardia von Säure frei bleibt, dass die Sekretion auf Seite der
kleinen Kurvatur näher an die Kardia heranreicht als auf Seite der
grossen Kurvatur, dass im leeren Zustande die Magenwand Salzsäure
zu neutralisieren vermag, also alkalisch reagiert. Auch Hessen" sich
mit Hilfe dei Methode zirkumskripte Stellen im Magen nachweisen,
die pathologisch verändert waren und infolgedessen Sekretion, s-
anomalien aufwiesen.
In einer Arbeit Zum Mechanismus der Magenver-
d a u u n g weist Ellenberger - Dresden darauf hin, dass er schon
vor G r ii t z n e r die eigentümliche Schichtung des Mageninhaltes,
freilich nicht mit einer so schönen demonstrierten Methode, wie es die
G r ii t z n e r sehe ist, beobachtet habe (Pflügers Arch.' f. d. ges.
Physiol., Bd. 1 14, S. 93, 19U6). In einer Arbeit mit demselben Titel teilt
A. Scheunert - Dresden ebenda S. 64 mit, dass das neu eingeführte
Futter nicht nur, wie Grützner behauptet, in die Mitte des schon
im Magen befindlichen Futters geschafft wird, sondern dass es sich
trichterförmig ausbreitet, indem die neuen Massen auch entlang der
grossen und kleinen Kurvatur wandern.
Von Ch. Tomita-Wien durchgeführte Versuche über Die
Blutversorgung des Magens bei wechselndem
Innendruck (Zentralbl. f. Physiol., Bd. 20. S. 620, 1906) er¬
gaben, dass der Magen, wenn er von vollkommen kollabiertem Zu¬
stande aus durch Steigerung seines Innendrucks mehr und mehr ent¬
faltet wird, zuerst kaum merklich weniger Blut durch seine Häute
hindurchtreten lässt, dass aber von einer gewissen Grenze ab, wenn
die Spannung bedeutend wird, der ßlutdurchlauf völlig gehemmt
wird.
Von E. A b d e r h a 1 d e n, K- Kautzsch und E. S. L o n d o n -
Bei lin und St. Petersburg liegt eine Studie über die normale
Verdauung der Eiweisskörper im Magendarmkanal
de_s Hundes vor (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 48,
S* 549, 1906). Ein Hund wurde reichlich mit Eiweiss gefüttert, nach
einer bestimmten Zeit getötet und die Verdauungsprodukte im Magen¬
darmkanal untersucht. Der Magen enthielt keine Aminosäuren in
nachweisbarer Menge, im Darme wurden einfachste Spaltprodukte,
wie Alanin, Leuzin, Asparaginsäure und Glutaminsäure, gefunden, ein
grosser Teil des Chylus bestand jedoch aus komplizierteren Pro¬
dukten.
Um noch einen besseren Einblick in den Gang der Verdauung
zu gewinnen, wurden Versuche an einem Magenfistel-, an zwei Duo¬
denalfistel- und an je einem Jejunum-, Ileum- und Ileozoekalfistel-
hunde angestellt. Die Hunde erhielten nach eintägigem Hunger 500 g
Fleisch, das vorher 10 Stunden in kaltem Wasser gelegen hatte. Die
Verdauungsprodukte wurden aus den Fisteln aufgefangen und unter¬
sucht. Sämtliche Produkte lösten sich fast vollständig in kaltem
Wasser, nur ein kleiner, aus Leuzin und Tyrosin bestehender Teil
blieb ungelöst. Mit Ausnahme der aus der Ileozoekalfistel gesammel¬
ten Produkte gaben alle Biuretreaktion (Eiweiss und Peptone) und
mit gesättigter Ammonsulfatlösung geringe Fällung (Albumosen).
Mit M 1 1 1 o n s Reagens gaben alle Produkte deutliche Rotfärbung
(phenolartige Produkte). Im Magen wurden höchstens Spuren von
Aminosäuren gefunden, im Duodenum erfolgte erst der tiefere Ab¬
bau. Offenbar werden die tieferen Spaltprodukte in dem Masse, wie
sie entstehen, resorbiert. Neben diesen Produkten waren dem Ein¬
drücke nach noch eine grosse Menge komplizierter vorhanden, die
vielleicht resorbiert werden. Nicht ohne Bedeutung ist, dass das
aus dei Ileozoekalfistel stammende Produkt noch Aminosäuren ent¬
hielt, woraus hervorgeht, dass die Resorption nicht ausschliesslich
in den oberen Teilen des Dünndarms erfolgt.
In Weiteren Studien über die normale Verdau¬
ung der Eiweisskörper im Magendarm, k anal des
Hundes, 2. Mitteilung (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 51,
S. 384, 1907), kommen E. Abderhalden- Berlin, L. B a u in a n n -
New York und E. S. London- St. Petersburg zu ähnlichen Resul¬
taten. Die Verdauung geht in 3 Etappen vor sich: 1. Etappe im
Magen, grobe Spaltung, 2. Etappe im Duodenum unter Einfluss des
Pankreas- und Darmsaftes, 3. Etappe Wirkung der Fermente des
Darms.
Eine ganze Reihe von Versuchen ist von E. S. London-
St. Petersburg oder unter seiner Leitung Zum Chemismus der
Verdauung im tierischen Körper an den erwähnten Fistel¬
hunden angestellt worden. In einer 6. Mitteilung berichten E. S.
London und W. W. Polowzowa über Eiweiss- und
Kohlehydratverdauung im Magendarmkanal (Kos¬
sels Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 49, S. 328, 1906), in einer
VII. Mitteilung E. S. London über Ein reiner Pylorus-
f i s t e 1 hu n d und die Frage über GastrolipaSe (ebenda
Bd. 50, S. 125, 1906/07), in einer VIII. Mitteilung Derselbe über
Methodische Angaben (ebenda Bd. 51, S. 241, 1907), in einer
IX. Mitteilung Derselbe Zur Technik der Eck sehen
Operation (ebenda Bd. 51, S. 469, 1906/07), in einer X. Mit¬
teilung L. M. Horowitz Ueber die Bakterien des V e r -
dauungstraktus beim Hunde (ebenda Bd. 52, S. 95, 1907).
Aus Beiträgen zur Kenntnis der Trypsinwir¬
kung, II. Mitteilung: Die Frage nach dem Vor¬
kommen von Erepsin im Pankreas (Kossels Zeitschr. f.
physiol. Chemie, Bd. 49, 'S. 124, 1906) und III. Mitteilung: Die
Wirkung des frischen Hundepankreassaftes (ebenda
S. 188) von K. M a y s - Heidelberg geht hervor, dass Erepsin, wel¬
ches die Peptone weit abbaut, in frischen Pankreasextrakten ent¬
halten ist und dass man die ereptische Wirkung durch mancherlei
Eingriffe herabsetzen kann, ohne die tryptische 'Wirkung des Ex¬
traktes zu beeinflussen. Des weiteren wird die oft sehr verschiedene
Wirksamkeit des Pankreasextraktes und -saftes festgestellt. Einer
einwandfreien 1 rypsindarstellung stehen offenbar noch grosse Hinder¬
nisse im Wege.
Ihre interessanten Versuche Ueber das Verhalten eini¬
ger Polypeptide gegen Ppukreassaft haben
E. bischer und E. A b d e r h a 1 d e n - Berlin fortgesetzt (Kossels
Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 51. S. 264, 1907). Seit der ersten
Mitteilung (ebenda Bd. 46, S. 52, 1905) wurden neun optisch aktive
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2001
neue Dipeptide untersucht. Zerlegt werden demnach unter dem Ein¬
fluss von frischem Pankreassaft nur solche Dipeptide, welche aus¬
schliesslich aus den in der Natur vorkommenden Aminosäuren be¬
stehen. Dabei ist die Konfiguration des Moleküls nicht der einzige
Faktor, der für die Wirkung des Pankreassaftes in Betracht kommt,
vielmehr üben auch die Struktur der Aminosäuren und endlich die
•Reihenfolge, in der sie verkettet sind, einen merklichen Einfluss aus.
In einer Arbeit Zur Spaltung des Nah rungs¬
ei weis s es im Darm (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bg. 49, S. 64, 1906) teilt 0. Cohnheim - Heidelberg mit, dass
durch kombinierte Pepsin-Erepsin-Einwirkung eine sicher fast, wahr¬
scheinlich ganz vollständige Spaltung des Eiweisses zu erreichen ist,
wie durch siedende Säuren, und zwar nicht erst in I agen, sondern
wie man es von einem ordentlichen Verdauungsferment vei langen
muss, in Minuten oder Stunden. Zu ähnlichen, nur noch fester be¬
gründeten Resultaten kommt der Verfasser in einer 2. Mitteilung
(ebenda Bd. 51, 'S. 415, 1907).
Ueber den Einfluss der Galle auf die fett- und
eiweiss spaltenden Fermente des Pankreas haben
O v Fürth und J. Schütz- Wien (Hofmeisters Beitr. zur ehern.
Physiol. u. Pathol., Bd. 9, S. 28, 1907) Versuche angestellt. Die Fer¬
mente wurden durch Extraktion mit Glyzerin aus dem von der
chemischen Fabrik „Rhenania“ in Aachen hergestellten „Pankreatin
absolutum“ (6:250) gewonnen. Die fettspaltende Wirkung wurde
an einer von Kanitz angegebenen neutralen Fettemulsion ge¬
prüft, zur Beurteilung der tryptischen Wirkung kam V o 1 h a r d s
Methode zur Anwendung. . .
Es zeigte sich nun, dass Zusatz von Galle die Steapsinwirkung
vervielfältigt, dass diese Wirkung aber keine artspezifische ist, son¬
dern dass die Galle verschiedener Tiere im gleichen Sinne wirkt.
Bei genauerer Untersuchung ergab sich, dass die Cholsäurekompo-
nente das wirksame Prinzip und zwar in ganz geringen Mengen
schon ist, dass Desoxycholsäure ebenso wirksam ist, dass aber
Oxydationsprodukte dieser und der Cholalsäure wie Cholan-, Bilian-
und Ziliansäure durchweg unwirksam sind.
Die Trypsinwirkung wurde durch Galle viel weniger gefördert
als die Steapsinwirkung', womit im Einklang steht, dass durch Ab¬
schluss der Galle vom Darm die Eiweissverdauung viel weniger als
die Fettverdauung gestört wird.
Um auszuschliessen, dass etwa den Gallensäuren anhaftende
Bestandteile der Galle die beträchtliche Förderung der Steapsinwir¬
kung bedingen, hat R. M a g n u s - Heidelberg, wie er in einer Arbeit
über die Wirkung synthetischer Gallen säuren auf
die pankreatische Fettspaltung in Kossels Zeitschr.
f. physiol. Chemie, Bd. 48, S. 376, 1906 mitteilt, von solchen even¬
tuellen Verunreinigungen sicher freie, von B o n d i und Müller
synthetisch dargestellte Gallensäuren den Steapsinfettlösungen zuge¬
fügt. Schon 0,1 ccm der 2,5 proz. Lösungen wirkten stark befördernd.
An den schon mehrfach erwähnten L o n d o n sehen Fistelhunden
hat auch S. L e v i t e s - St. Petersburg Versuche über die Ver¬
dauung der Fette im tierischen Organismus an ge -
stellt und berichtet darüber in Kossels Zeitschr. f. physiol.
Chemie, Bd. 49, S. 273, 1906.
Das Verhalten des Lezithins zu fettspaltenden
Fermenten prüften C. Schumoff-Simafiowiski und N.
Siebe r-St. Petersburg (Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie,
Bd. 49, S. 50, 1906) und fanden, dass Steapsin des Pankreas und seines
Saftes das Lezithin spalten und Fettsäuren in Freiheit setzen kann.
Auch Magensteapslin spaltete, aber weniger energisch. Blutlipase,
die auf künstliche Fette wirkte, spaltete Lezithin nicht, dagegen wirkte
energisch Lipase aus Samen von Ricinus communis.
Durch kleine Atropindosen 0,001 g : 1 kg Körpergewicht wird bei
Hunden die Vaguswirkung auf die sekretorische Tätigkeit des Pan¬
kreas gelähmt, grössere Dosen 0,01 g haben bei starker Blutdruck¬
senkung und völliger Sistierung der Speicheisekretion einen sekre¬
torisch anregenden Effekt, wie aus einer Arbeit von G. Modra-
k o w s k i - Lemberg Zur Innervation des Pankreas. Wir¬
kung des A t r b p i n «i lauf die B ja u c h s p e i c h e 1 d r ‘ü s/e
(Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 114, S. 487, 1906) hervorgeht.
Wenn Katzen mit Milch gefüttert werden, so werden ihre Stühle
breiig bis halbflüssig. Wird ihnen nun 4 — 5 cg Morphium subkutan
injiziert, so wirkt dieses stopfend. R. M a g n u s - Heidelberg wirft
nun in einer Arbeit: Die stopfende Wirkung des Mor¬
phins (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 316, 1906)
die Frage auf, ob dies SymDathikuswirkung ist. Zur Entscheidung
sollten die splanchnischen Hemmungsnerven durchschnitten, durch
Milchfütterung Durchfall erzeugt und festgestellt werden, ob der
Durchfall durch Morphin wieder gestopft werden kann. Der Ver¬
such ergab, dass auch jetzt noch Morphin stopfend wirkte. Daraus
wird der Schluss gezogen, dass das Morphin an nervösen Apparaten
angreift, welche in der Wand des Magendarmkanals gelegen sind.
Auffallende Versuche teilt A. Kr ei dl -Wien in einer Arbeit:
Beiträge zur Physiologie des Verdauungstraktes.
1. Mitteilung. Muskelausschaltungen am Magen-
darmtrakf mit (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 116, S.
159, 1907). Er konnte bei Hunden die Muskulatur des Dünndarms
in einer Ausdehnung von ca. 1 m entfernen und trotzdem zeigten
die Tiere nach der Operation normale Fresslust und regelmässige
Defäkation.
In einer Arbeit : Beiträge zur Physiologie des Ver¬
dauungstraktes, 2. Mitteilung. Beobachtungen an
normalen Hunden. 3. Mitteilung. Die Folgeerschei¬
nungen nach operativer Entfernung der Musku-
latur vom Magen u n <d Dünndarm des Hundes ( Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 116, S. 163 u. 171, 1907) kommt
A. Müller- Wien zu dem Resultate, dass die Fleischverdauung in
dem Magen des normalen Hundes regelmässig ohne die Anwesenheit
freier Salzsäure vor sich geht. Der zur Untersuchung notige
Mageninhalt wurde nach Apomorphingaben durch Frb rechen erhalten.
In der 2. Mitteilung berichtet der Verfasser über Versuche an
Hunden, welchen nach Kreidl ein Teil der Magen- und Darm¬
muskulatur entfernt worden war. Am Magen hatte die Entfernung
Motilitätsstörung, Hyperazidität und Hypersekretion im Gefolge, der
Grad der Schädigung variierte von geringer Atonie bis zu schwerster
Mageninsuffizienz. Am Dünndarm verlief die Entfernung der Musku¬
latur langer Strecken fast symptomlos. Das Allgemeinbefinden und
die Beförderung des Speisebreies durch die gelähmten und ver¬
wachsenen Schlingen erlitt keine Störung, die treibende Kiaft ist die
vis a tergo. Nur feste Massen passieren nicht und können die Bil¬
dung einer Stenose bedingen. Die Lähmung eines grösseren um¬
schriebenen Darmstückes bedingt keinen Ileus paralyticus.
C. Oppenheimer - Berlin schliesst aus Versuchen an dem
Inhalte des Blinddarms von Kaninchen und Pferden, den er im Vakuum
gären liess. dass bei den Gärungsprozessen im Darm des Pflanzen¬
fressers bei gewöhnlicher Kost freier Stickstoff nicht entsteht. Dieser
kann aber entstehen, wenn etwa in der Nahrung vorhandene Nitrite
durch denitrifizierende Bakterien im Darm zersetzt werden. Siehe
darüber Zur Kenntnis d e r D a r m g ä r u n g in Kossels Zeitschr.
f. Dhvsiol. Chemie, Bd. 48. S. 240, 1906. In einer Arbeit Ueber die
Bildung freien Stickstoffes bei der Dar m Uirung
(Kossels Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 50, S. 289. 1906 07) leugnet
A. K r o g h -Kopenhagen die Entstehung freien Stickstoffes bei der
Gärung,
(Fortsetzung folgt.)
Inauguraldissertationen.
Einer Züricher Dissertation von Oskar Diem: Ueber die an
der Züricher Universitäts- Augenklinik ausgeführten Tuberkulin-
iniektionen aus den Jahren 1893—1905 (Zürich 1906) liegen 32 aus¬
führlich mitgeteilte Fälle zugrunde. Es wurde bis auf einen Fall,
in dem neues Tuberkulin (T. R.) ohne positiven Erfolg zur
Anwendung gelangte, altes Kochsches Tub er k u 1 i n (T. V.)
injiziert. In mehr als der Hälfte der Fälle war ‘ein Heilerfolg duichnus
nicht zu konstatieren. In anderen Fällen war ein solcher zwar vor¬
handen. aber es war nicht sicher zu entscheiden, wie viel davon dem
Tuberkulin zuzuschreiben sei und wie viel den übrigen sonst ge¬
bräuchlichen Heilmitteln.
A. Tatewossianz zeigt in einer Dissertation, die auf An¬
regung P v. Baumgartens entstanden ist (Tübingen 1906: Ueber
die Identität oder Nichtidentität der Bazillen menschlicher und Rin¬
dertuberkulose), dass zurzeit der sichere Nachweis fehlt, dass die
Rindertuberkulose eine Rolle in der Entstehung und Ausbreitung der
menschlichen Tuberkulose spielt. Der Wert der Arbeit wird duich
ein Literaturverzeichnis von 333 Nummern erhöht.
I. P e r 1 i s liefert einen Beitrag zur Kenntnis der anorganischen
präsystolischen Geräusche an der Herzspitze. P e r 1 i s stellt toi-
gende Sätze auf: Es gibt neben dem organischen Mitralstenosen¬
geräusch auch ein anorganisches, funktionelles präsystolisches Ge¬
räusch, welches infolge einer funktionellen anorganischen Mitral¬
stenose entsteht. Diese letztere ist gewöhnlich vorübergehend, kann
aber auch dauernd werden. Ihre Svmptome sind die der organischen,
mit dem Unterschiede, dass sie variabel sind und völlig verschwinden
können. Die funktionelle Mitralstenose steht in keinerlei Beziehung
zum Rheumatismus und sonstigen infektiösen Krankheiten, sie findet
sich bei jungen Mädchen und Frauen, bei Chlorotischen, Anämischen,
bei Nephritikern, Phthisikern und bei Basedowkranken. Die an¬
organische Mitralstenose unterscheidet sich von der organischen
durch ihre Aetiologie, Pathogenese und durch die Veränderlichkeit
ihrer Symptome. (Berlin 1907, 32 S., Druck von J. Zalachowski).
Carl v. Goessein berichtet über 50 Fälle von Diabetes mel¬
litus, die an der I. med. Klinik (Obermedizinalrat Proi;( Dr* . K,t*er
v. B a u e r) von Januar 1890 bis Februar 1906 zur Behandlung kamen.
(Diss.. München 1906, 13 S.) In 13 Fällen konnten he, Diabetiker-
leichen Sektionen gemacht werden. In 9 Fallen - 69,2 Proz läge
Veränderungen des Pankreas vor. In der Mehrzahl handelte es c
um Atrophie (6 = 66,6 Proz.). in den übrigen 3 Fallen (— . 33,3 1 roz.;
fand sich eine Induration der Bauchspeichekli iise.
Alfred Mathies berichtet in einer Kieler Dissertation (1907)
aus der chirurgischen Klinik zu Kiel über die Behau ung
Arthritis gonorrhoica mit besonderer Berücksichtigung
sehen Stauungshyperämie. Es wurden mit dieser Beiand uiigs
methode sehr günstige Erfahrungen gemacht. Als ,hre BauPtvorziige
gegenüber den bisher üblichen Behandlungsmethoden stellte Veitasser
2002
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
fest: Kürzere Behandlungstlauer, auffallend rasches Nachlassen der
Schmerzen, Einfachheit des Verfahrens. Billigkeit, Abnahme der Fälle
mit zurückbleibender Gebrauchsunfühigkeit der Gelenke und ent¬
schieden besseren Heilerfolg. F. L.
Neu erschienene Dissertationen.
Universität Breslau. April bis September 1907.
8. Banasz Artur: Die Stellung des Kaiserschnitts zu konkur¬
rierenden Verfahren auf Grund der Operationsresultate der letzten
Jahre.
9. Biedermann Arthur: Ueber einen Fall von Leberabszess im
Anschluss .an Appendizitis.
10. Boetticher Theodor: Die Prognose der Operation der Spina
bifida.
11. Cohn Willy: Ueberblick über .die Leistungen auf dem Gebiete
der Händedesinfektion.
12. Ficke E.: Ueber Anwendung und Folgen des B o s s i sehen
Dilatators.
13. Foweldn Harald: Ein Beitrag zur Lehre von der Leukämie.
14. Friedmann Salmann: Ein Beitrag zur Symptomatologie des
Coma diabeticum.
15. Groeschel Kurt: Zur Lehre von der Beckenen.dgeburt, unter
besonderer Berücksichtigung der Therapie an der Hand der in der
Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau in den Jahren 1893/190-4
zur Beobachtung gekommenen Fälle.
16. Jermutowicz Stefan: Beitrag zur Diagnose und Therapie
der sogen, retroperitonealen Tumoren.
17. Kaufmann Ruwin: Ueber proteolytische Fermentwirkungen
des menschlichen Darminhaltes unter normalen und krankhaften
Bedingungen (Untersuchungen mit Hilfe des M ii 1 1 e r - J o c h -
m .a n n sehen Verfahrens).
18. Langer Konrad: Ueber Ermüdungseinschränkung des Gesichts¬
feldes nach dem Förster sehen bezw. W i 1 b r a n d sehen
Typus.
19. Omi Kaoru: Das Verhalten des Salizins im tierischeivOrganismus.
20. Redlich Walter: Die Sektionsstatistik des Karzinoms am Ber¬
liner städt. Krankenhaus am Urban nebst kasuistischen Beiträgen.
Aus der pathologisch-anatomischen Anstalt des Krankenhauses
(Prof. Dr. C. Ben.da).
21. Riedel Theodor: Torsion des grossen Netzes.
22. Sorochowitsch Chaim: Gelatinetherapie der Melaena neo¬
natorum.
23. Straube Kurt: Ueber die derzeitige Prognose der künstlichen
Plazentarlösung.
2-4. Winter Karl: Zur Kenntnis der Polyzythämie.
Universität Giessen. Juli und August 1907.
34. Klein Karl: Ein Fall von Pseudofurunculosis pyaemica (Finger).
35. Grimm Hans: Untersuchungen über die bei der sogen. „Kopf¬
krankheit“ der Pferde gefundenen Bakterien.*)
36. Dieffenbach Ludw. : Ueber die Semiplacenta diffusa incom-
pleta von Dicotyles labiatus cuv.
37. Sommerfel d Kurd : Ueber Säuglingsmilch, mit besonderer Be¬
rücksichtigung des Muck- und R ö m e r sehen Verfahrens.*)
38. K n e 1 1 Wilh.: Ueber die Kombinationswirkung von Morphium
muriaticum und Chloralhydrat bei gleichzeitiger intravenöser
Applikation.*)
39. Möller Alb.: Zur Methodik der Chloroformbestimmung in
tierischen Geweben.*)
40. Lyding Hans: Zur Kenntnis der Arteriosklerose bei Haus¬
tieren.*)
•41. Hommelsheim Franz: Zur Kasuistik der angeborenen lypo-
matösen Dermoide des Augapfels.
•42. D o c h n a h 1 Joseph: Ueber traumatische Entstehung von Nerven¬
krankheiten.
-43. Kampe r Jakob: Zur Morbiditätsstatistik nach Laparotomien.
-44. Renz Herrn.: Zur Kasuistik der Myxome des Mesenteriums.
Vereins- und Kongressberichte.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
vom 15. — 21. September 1907 in Dresden.
Allgemeine Versammlungen.
(Referent: Dr. N. M e y e r - Wildungen.)
Herr W. H e in p e 1 - Dresden: Die Behandlung der Milch. (Mit
Lichtbildern.)
Dem Mediziner, der sich für die in letzter Zeit so vielfach er¬
örterte Frage der Gewinnung steriler Milch interessiert, brachte der
Vortrag in seinem medizinischen Teil wenig Neues. Trotzdem konnte
auch er aus der Darstellung der vielen technischen Fragen bei der Be¬
handlung der Milch viel Lehrreiches entnehmen:
In Deutschland werden 19 Milliarden Liter Kuhmilch im Werte
von 1700 Millionen Mark und 60 Millionen Liter Ziegenmilch im Werte
’"’) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
von 90 Millionen Mark produziert. Auffallend ist die Tatsache, dass
trotz der Preissteigerung aller iibrgien Nahrungsmittel der Preis der
Milch im allgemeinen seit Jahren der gleiche blieb. Es scheine von
Bedeutung, den Milchproduzenten, die bei sorgfältiger Behandlung der
Milch grössere Unkosten haben, höhere Preise zu gewähren. Die
Jahrzehnte hindurch herrschende Ansicht, dass man durch geeignete
Verdünnung der Kuhmilch eine der Frauenmilch gleichwertige Milch'
darstellen könne, hat sich nach neueren Forschungen als völlig falsch
erwiesen. Die Mutterbrust ist durch nichts anderes ersetzbar. Bei
den Untersuchungen der Milch gesunder Kühe haben sich so grosse
Schwankungen in der Zusammensetzung ergeben, dass man bei An¬
gabe eines gleichbleibenden Verdünnungsverhältnisses Milch ganz
verschiedener Zusammensetzungen erhalten muss. Auch das lange
Zeit für einwandfrei angenommene Verfahren, die Milch zwecks Ste¬
rilisierung zu kochen, ist von Nachteil, v. Behring wies nach, dass
die mit gekochter Milch aufgezogenen Kälber minderwertig waren.
Das Kochen der Milch befreit die Milch zwar von den meisten patho¬
genen Keimen, zerstört aber auch ihre Fermente. In Verdauungsver¬
suchen wurde festgestellt, dass 11 Proz. der Albumine, bei der
momentan auf 100° erhitzten Milch 18 Proz., bei der zweimal kurz
aufgekochten Milch 30 Proz. unverdaut bleiben. Der Albumingehalt
von 0,4 Proz. wird durch 5 Minuten langes Kochen auf 0,1 Proz. herab¬
gesetzt. Die rohe Milch hemmt das Wachstum von Cholera- und
Typhusbakterien. Dabei zeigen sich die verschiedenen Milchsorten
von verschieden starker bakterizider Kraft. Die am geeignetsten für
die Kinderernährung erscheinende Eselsmilch ist für allgemeine Ver¬
wendung zu teuer, von den Kuhrassen hat sich die ostfriesische als
diejenige erwiesen, die eine Milch mit der grössten bakteriziden
Eigenschaft produziert. Schon ein Erhitzen auf 60 0 zerstört die bak¬
teriziden Eigenschaften der Milch vollständig, ebenso ein Zusatz von
0,01 Proz. Wasserstoffsuperoxyd. Die bis auf 170° Kälte ausgedehnte
Abkühlung hebt die bakterientötende Kraft nicht auf. Bei Filtration
bleibt der bakterizide Körper im filtrierenden Tonkörper, bei Kasein¬
fällung in der Flüssigkeit.
Da also die rohe Milch zweifellos als die geeignete Kindernahrung
erscheint, ist von grösster Wichtigkeit, dass sie in geeigneter Weise
gewonnen und ohne Veränderung erhalten bleibt. Das letztere kann
nur durch Abkühlung erreicht werden. Gefrierversuche zeigten, dass
bis zu 4 Wochen keine Veränderung in der aufgetauten Milch eintrat.
Nach diesem Zeitpunkt fiel das Kasein aus. Mit grösster Sicherheit
lässt sich gekühlte Milch 14 Tage lang unverändert erhalten. Da
die Kuhhaltung auf dem Lande zur Gewinnung von Milch der in der
Stadt vorzuziehen ist, handelt es sich darum, nach dem Vorbild
amerikanischer Verhältnisse die AAilch gekühlt zu versenden. Das
geschieht durch Aufpacken von Eis auf die Gefässe oder durch Ver¬
senden in besonders eingerichteten Kühlwagen. Es wäre aber noch
empfehlenswerter, wenn die Eisenbahnverwaltungen sich entschlies-
sen könnten, die technisch einfachen Gefrierwagen einzuführen, die
bei gleichzeitiger Verwendung für Fleisch und sonstige Nahrungs¬
mittel keine grösseren Unkosten beanspruchen würden.
Zum Schluss bespricht der Vortragende die bekannten Forde¬
rungen bei der Milchgewinnung: Möglichst tägliche Weide, tägliche
Reinigung der Kühe, Einrichtung besonderer Melkräume, sorgfältige
Reinigung des Euters, wobei reines Wasser und reine Tücher ge¬
nügen. Von Vorteil ist die Besorgung des Melkgeschäftes durch
Frauen, da diese im Durchschnitt reinlicher seien als Männer. Bei
der Aufbewahrung ist zu beachten, dass die Milch beim Stehen sehr
bald in Schichten verschiedenen Fettreichtums zersetzt wird. Daher
empfiehlt es sich, in dem Gefässe Vorrichtungen anzubringen, die eine
gut durchgemischte Milch zu entnehmen gestatten.
Herr H o c h e - Freiburg: Moderne Analyse psychischer Erschei¬
nungen.
Der Vortragende gibt einen Ueberblick über die Forschungs¬
methoden der experimentellen Psychologie und ihre verschiedenen
Anwendungsgebiete für Pädagogik. Kriminalistik und Medizin. Neue
Tatsachen werden für letzteres Gebiet nicht gebracht.
Abteilung für innere Medizin.
Referent: Dr. N. M e y e r - Wildungen.)
Sitzung vom 16. September, nachmittags.
Herr B r i e g e r - Berlin: Hydrotherapie und innere Medizin.
Der Vortragende hat in früheren Veröffentlichungen nachge¬
wiesen, dass ein Gegensatz zwischen Hydrotherapie und arzneilicher
Therapie nicht besteht. Kein Gebiet der inneren Medizin könne
der Hydrotherapie entraten. Einige wichtige Anwendungsgebiete zu
streifen sei der Zweck des Vortrages.
Bei Lungenkrankheiten ist bei Pneumonie, Asthma bronchiale,
Tuberkulose die Hydrotherapie am Platze. Bei Herzkrankheiten sind
Kohlensäurebäder nur dann indiziert, wenn Uebungsmassnahmen
schon c ingeleitet sind. Zur Uebung selbst kommen Wechselstrom¬
bäder i.i Betracht. Nach erreichter Kompensation sind hydriatrische
Prozeduren von lang anhaltender Wirkung. Der Heilwert der Teil¬
abreibungen bei beginnender Arteriosklerose ist noch zu wenig be¬
kannt. Magenkrankheiten werden durch Behandlung des ganzen Kör¬
pers und der Magengegend beeinflusst. Hydriatrische Massnahmen
bei Gelenkkrankheiten sind schonender für das Herz als die übrigen
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2003
Massnahmen. Wärmestauung kann bei gonorrhoischen Gelenkent¬
zündungen und bei rheumatoiden Krankheiten von Vorteil sein. B
Konstitutionskrankheiten (Diabetes) sollen sie die scharfen <- .
Stimmungen zu mildern im stände sein. Die Bäderanwendung bm
Infektionskrankheiten sei ja schon seit langem medizinisches Allge¬
meingut Bei Nervenkrankheiten kann die Reizbarkeit der Nerven
e nach Bedarf erhöht oder herabgesetzt werden durch verschieden¬
artige Prozeduren. Von 162 Fällen von Tabes sind 69 Proz j. in der
Anstalt des Vortragenden gebessert worden, bei Ischias sind 80 I roz.
geheilt. Zu betonen ist, dass nur in der Hand des geschulten Arztes
die Hydrotherapie Nutzen zu bringen vermag.
Diskussion: Herr G r u n m ach- Berlin betont, dass voi
Einleitung der Hydrotherapie bei Herzkrankheiten eine Röntgenunter¬
suchung angezeigt sei, um bei eventuell vorhandenen Aneurysmen
Schädigungen zu vermeiden. Er empfiehlt die Kombination von hy-
driatrischen Prozeduren mit Digitalis bei Herzkrankheiten.
Herr K ö s t e r - Leipzig: Ueber Fettresorption des Darmes und
die Beeinflussung der Gallenabsonderung durch in
K stellte zunächst fest, dass bei hungernden Tieren stets rett in
der Darmwand bleibt. Dann wurden Hunden und Katzen, na^dem
sie 6 Wochen fettfrei ernährt waren 60— 80 g Oel rektal gegeben,
dass nach 7 Stunden etwa bis zur Bauh in sehen Klappe me
Äher - gelangte. Rektum und Diökdarm resorbierten Ga le ausge¬
zeichnet. Bei der Entscheidung der Frage, ob Oelgaben die Gallen-
Krpijon befördern ist zu unterscheiden zwischen Gallensekretion
und Enüeerung der’ Gallenblase. An Gallenfistelhunden stellte der
Vortragende fest dass das Oel hemmend auf die Sekretion wirkt,
dass nach 15—20 Minuten aber regelmässig eine Entleerung der
Gallenblase eintritt. Dieselben günstigen Resultate zeitigten "
nerimente mit löslichem Oel, wie venetiamscher Seife imd Sahne
Für die Praxis resultiert aus den Versuchen, dass eine Oelkm
Gallensteinleiden vollberechtigt ist.
Herr R o s e n f e I d - Breslau : Oxydationswege der Kohlehydrate.
R stellt zwei Tatsachen als Grundlage seiner Ausführungen
fest 1 Gibt man einem hungernden Hund Phloridzin, so bekommt er
eine Fettleber. 2. Gibt man Zucker dazu, so wird diese Fettleber
verhindert Diese Leber ist maximal glykogenarm. Der Grund liegt
darin' dass in der normalen Leber Kohlehydrate vorhanden sind,
die als Zündmasse die Fette verbrennen; diese Kohlehydrate fehlen
in der Phloridzinleber, daher häufen sich hier die nicht verbiannten
Fette an. Um die Arbeitsweise der das Fett entflammenden Kohle¬
hydrate festzustellen wurde Glykose per os, per anum und pei venam
gegeben^ Per os gegeben verhüteten sie die Fettleberb.ldung voll¬
ständig per anum und per venam nur in unsicherer Weise Der Grund
Sir liegt darin dass nach der Darreichung von Glykose per os
eine grosse per’anum eine schwache, per venam keine Glykogen-
b Mung°n der Leber auftritt. So hätte man zwei Wege der Glvkosen-
verarbeitung zu unterscheiden, einen transglykogenen und e'uen
aglykogenen. Der menschliche Diabetiker .leidet an der ^Swib
bildung in der Leber, wenn ihm Glykose per os gegeben wn .
man ihm aber ein oxydables Kohlehydrat geben, *> muss dtes so
beschaffen sein, dass es nicht in Glykogen
Tatsache dient nun zur Erklärung einiger bisher unverstanmicner
Ergebnisse: Exstirpiert man Hunden die Leber, so hört die Qlvkosur e
auf weil kein Glykogen gebildet wird. Ferner, lasst man einen
Diabetiker durch Gurgelungen, also bei Vermeidung Es
Zucker aufnehmen, so verarbeitet er diesen Zucker p vvoll^,andlJ; d
handelt sich also darum, die aufzunehmenden Kohlehydrate aut aen
aglykogenen Weg zu drängen, d. h. die Kohlehydrate unter Umgehung
von Glykogenbildung in der Leber direkt zu oxydieren.
Diskussion: Herr H. M ü 11 e r - München bezweifelt, dass
es sich beim Phloridzindiabetes um eine Störung der Fettverbrennung
in der Leber handle, sondern um einen Glykogenmangel. Die Fett
Verbrennung findet auch beim schweren Diabetes '"^hvSaVtmaber
statt. Die Fettverbrennung geht bei Mangel von Kohlehydraten a
11111 s k i - Greifswald hält die Unterscheidung wnes
transglykogenen und aglykogenen Weges nicht für r en
kutan und intravenös injizierter Zucker gehe vieimehr leichtei
Harn über und bei Pankreasexstirpation sogar vollstand^. Ferner
spricht gegen eine Störung des Fettverbrauches das Schwinden des
Fettes in allen Depots, auch der Gasstoffwechse-1 spreche nicht für
eine Störung der Oxydätion der Fette. # , ,
Herr Rosenfeld - Breslau entgegnet, dass wir über die Abbau¬
produkte des Fettstoffwechsels und über den Kohjehydratbestand des
Körpers noch nicht so orientiert sind, um die Schlüsse von HM ui 1 e
ziehen zu können. Als Grundlage für die Anschauung, dass Fette von
den Kohlehydraten entflammt werden, dient: 1. Die 1 atsacim Qts
immer auftretenden Glykogenschwundes bei Verfettung erzeugenden
Agentien und Verhütung der Verfettung bei Zuckemifutterung 2.
•die Tatsache. dass Fettleber nach Fettverfütterung entsteht , . 3. diel -
Sache, dass Personen, welche durch Eiweiss und Kohlehydrate in
Stoffwechselgleichgewicht gebracht sind, sofort ein Stickstoff Defizit
bekommen, wenn die Kohlehydrate entzogen werden.
Herr Rieb old: Ueber periodische Fieberbewegungen mit rheu¬
matischen Erscheinungen bei jungen Mädchen (sogen, rekurrierendes
rheumatoides Ovulationsfieber).
R beschreibt vornehmlich bei jungen Mädchen anscheinend nicht
sehr selten vorkommende fieberhafte Zustände, die mit einer meist
sehr schweren Störung des Allgemeinbefindens, mit „rheumatoiden
Fischeinungen (d. h. mehr oder weniger ausgeprägten schmerzhaften
Gelenkschwellungen, den Symptomen einer Myokarditis, gelegentlich
auch einer Peri- oder Endokarditis, ferner manchmal einer I leuntis).
imd endlich in einzelnen Fällen mit einer fast immer doppelseitigen
ParotRis einhergehen. Das Krankheitsbild bleibt sich immer gleich
kann aber in der Schwere der Symptome ausserordentlich wechseln.
Neben den geschilderten schweren Fällen kommen auch ganz leichte
Abortivfmmen der Krankheit vor. Ueber die Krankheit ist in der
Lite atur Toch nichts bekannt. Die merkwürdigste Erscheinung ist
die! dass die Anfälle stets mit der Menstruation zusammenfaUen der-
art dass die Menstruation meist gegen das Ende eines Anfalls au
tritt (gelegentlich kann auch die erwartete Menstruation ausbleiben .
„nd das! die Anfälle sehr häufig, in einem Fall mehr als 20 m .
rezidivieren können und zwar in Zwischenräumen, die inrnici den
Menstruationsintervallen des betreffenden '"d'Vjdnums senau ™ '
drVovuiatior! (daherbdie^BeMlchnun^Ovulatiot^fieber); er glaidd.
gÄÄSÄ ÄTÄÄ ^ dass
de, Skileit eine funktionellen Störung der sekretorischen Ta ,K.
keit der Ovarien zugrunde liegen mochte , ^ dass es sich
Diskussion- Herr Müller- München glaubt, dass es sicn
hei den Fieberfällen um septische Prozesse handle, um Aufflammen
efnes infektiösen Prozesses. Dabei ist P™-
— Ä 'macht darauf Aufmerksam! SÄ Blind-
darmHder bei der Menstruation oft reizbar wird und Fieber ver-
anlasst! Qrund zu den erwähnten Fiebersteigerungen geben konnte.
S"ibt Stauung. Diese
k3"" QM
laeh^'he VeHegure der Arterienstämme. Klinisch wichtiger sind
sondere mi ^“'WVl'lcr HMdieingeweide kontrahieren (intra-
^temtoErschitangln'dtr HMhspannun™ die Folgen der arteriellen
Stauung^^shid^besonders arterielle Stauung^^nd^nicht^identlsch^ Es
"tliifbd'SenSln SdlÄf Jn de *** •"* >"
soldÄ
in iodeni Gefässgebiet Vorkommen. Ausser den akuten , si
gewisse6' Fälle von'
SWeÄerPwlTKÄ hat' selbständige arterielle Stauungen.
S0 ZDieBäh!lap!eSf,arwe!nnCsKeeine kausale sein kann Erweitern*
der spastischen Gefässe ahZustreben.eventueU durch ^kbledung ^ -
SS? £absetzu„g
■ « Vorsicht
geboten., J#||e8.wien. Die Bedeutung der Pentoseu In den Fäzes
und deren Pflanzen reich stark verbreiteten
I entstammenden und in den menschliche
2004
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
tosen können auch teilweise durch Zerfall von Organsubstanzen, vor
allem von Kernsubstanzen, entstanden sein. Der Vortragende unter¬
suchte die Se- und Exkrete eines Pentosurikers und benutzte diese
Gelegenheit, um der bisher nicht berücksichtigten Frage betreffend
des Pentosengehaltes der Fäzes eines solchen Kranken näherzutreten.
Fr weist darauf hin, dass die übliche Pentosenbestimmung durch
Destillation und Wägung des gebildeten Furfurols mannigfache Mängel
besitzt.
Der Vortragende zog es daher vor, die von ihm schon früher
empfohlene titrimetrische Methode, welche bei reiner Arabinose und
Xylose sehr befriedigende Resultate ergab, für die Zwecke der Pen¬
tosenbestimmung der Fäzes auszuarbeiten.
Nach Beschreibung der Methodik berichtet Vortragender über
die Versuchsergebnisse.
Die Fäzes des Pentosurikers enthielten bei gemischter Kost
4.87 Proz. Pentose, bezogen auf Trockensubstanz. Im Harne
schwankte der Pentosengehalt zwischen 0,25 — 0,38 Proz.
Die Fäzes von zwei gesunden Individuen enthielten bei ge¬
mischter Kost 0,14, 0,19, 0,13 und 0,26 Proz. Pentosen, bezogen auf
Trockensubstanz.
Demnach scheidet der Pentosuriiker mit den
Fäzes relativ bedeutende Pentose mengen aus.
Nach Verabreichung einer von Vegetabilien freien Kost enthielten
die Fäzes des Pentosurikers 4,53 Proz. Pentose. die des gesunden
Individuums nur quantitativ nicht mehr bestimmbare Spuren. Nach
Verabreichung einer vornehmlich vegetabilischen Diät enthielten die
Fäzes des Pentosurikers 6,71 Proz., die des gesunden Individuums
0,59 Proz., beide Zahlen bezogen auf Trockensubstanz.
Bei einer an Pentosen reichen Nahrung erhöhte sich also auch
beim gesunden Individuum der Gehalt an Pentosen in den Fäzes,
jedoch scheidet der Pentosuriker — ceteris paribus — unvergleichlich
mehr Pentosen aus.
Gepaarte Glykuronsäuren konnten in den Aether-Alkohol-Aus-
zügen der Fäzes nur in Spuren konstatiert werden. Durch Zusatz
verdünnter Essigsäure zu dem wässerigen Extrakte der Fäzes des
Pentosurikers fiel ein Niederschlag aus, der phosphorhaltig ist und
die Pentosegruppe neben der Dextrosegruppe enthält. Es dürfte ein
Gemisch eines Nukleoproteids mit Muzin vorliegen.
Die Identität der Pentose konnte wegen Mangel an Material
nicht festgestellt werden.
Herr S t r u b e 1 1 - Dresden : Ueber Opsonine. (Beiträge zur Im¬
munitätslehre.)
Die neue Opsoninlehre Wrights gründet sich auf der
latsache, dass im Blutserum Substanzen kreisen, welche mit Bak¬
terien zusammengebracht, diese so beeinflussen und fixieren, dass
sie relativ leicht von hinzugefügten weissen Blutkörperchen ge¬
fressen (phagozytiert) werden. Wohl gibt es auch eine
spontane Phagozytose (Bakterien plus Leukozyten ohne Serum¬
zusatz). diese ist aber unregelmässig und unzuverlässig. Der Grad
der induzierten Phagozytose (Bakterien plus Leukozyten plus Serum)
wird dagegen zuverlässig beeinflusst durch den Opsonin gehalt
des Serums. Die Opsonine (opsono = ich bereite mich zum
Mahle vor) wirken auf die Bakterien, nicht auf die Leukozyten. Die
Opsonine sind im normalen Serum thermolabil, d. h. sie werden
durch Erhitzen des Serums zerstört. Bei den Imrnunsera bleibt ein
beträchtlicher Teil der Opsonine trotz der Erhitzung erhalten, die
Immunopsonine sind also, wenigstens zum Teil, thermostabil.
Damit identifizieren sie sich vollkommen mit den Bakteriotro-
ninen von Neufeld und R i m p a u. welche Autoren nur mit
Immunserum gearbeitet haben. Die Thermo labilität der
Normalopsonine, die Thermostabilität der Immun-
o p s o n i ii e sind zu diagnostischen Zwecken ebenso zu verwerten,
wie für die I herapie. Injektionen von abgetöteten Bakterienkulturen
ei höhen den opsonischen Index des Blutserums bei geeigneter
osierung und öfterer Wiederholung der Injektion vorübergehend
oder dauernd (positive Phase), nachdem eine Herabsetzung des
opsonischen Index vorhergegangen ist (negative Phase). Des¬
gleichen haben Patienten, welche eine bestimmte Krankheit Über¬
stunden haben, oft noch nach Jahren einen erhöhten opsonischen In¬
dex gegen das betreffende Bakterium. Die Opsonine sind nämlich
spezifisch, d. h. nahezu für jede Bakterienart, die für den Men¬
schen virulent ist, gibt es ein besonderes Opsonin. Der opsonische
ikIl x \\ ird bestimmt dadurch, dass man in 100 Leukozyten die Zahl
i ei gefressenen Bakterien bestimmt und den Durchschnitt berechnet.
Zuerst tut man dies bei einem normalen Serum; hier heisst die ge¬
wonnene Zahl „ohagocytic count“ = phagozytische
TJ a 1 ; a ie man der phagozytischen Zahl des Patienten vergleicht.
Der sich ergebende Quotient ist dann der opsonische Index!
IHe grössten Erfolge wurden therapeutisch erzielt bei den lokalen
Staplivlokokkenerkrankungen, Furunkeln. Akne. Svkosis usw., wo die
Injektionen von abgetöteten Staohvlokokkenkulturen in kürzester
Frist den opsonischen Index gegen Staphylokokkus hochtrieben und
die Auktionen promptest heilten. Langsamer waren die Erfolge der
Injektion von K o c h schem Neutuberkulin in freilich gegen die bis¬
herige Applikation geradezu homöopathischen Dosen. Die bisheri¬
gen Misserfolge der Tuberkulinbehandlung sind darauf zuriiekzu-
iüliicn, dass man keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte für die
Grösse der Dosis, welche meist zu gross ausfiel, hatte. Ein solches
Kriterium haben wir eben in der Bestimmung des opsonischen In¬
dex, dessen Schwankungen massgebend sind für die Dosis und den
Zeitpunkt der Wiederholung der Injektion. Lokale Drüsentuberku¬
losen heilen relativ rasch, ausgedehnte lupöse Hauterkrankungen
langsamer, tuberkulöse Lungenerkrankungen wegen der dabei stets
sich wiederholenden Autoinokulationen schwer. Auch die durch
Bacterium coli, den Gonokokkus, Micrococcus neoformans und
andere Bakterien verursachten Erkrankungen bieten ein günstiges
Feld für die Vakzinetherapie Wrights.
Abteilung für Chirurgie.
(Referent: Dr. Max L i 1 1 h a u e r - Berlin.)
Herr A. B e c k e r - Rostock: Zur Frage der operativen Behand¬
lung von Venenthrombosen an den Extremitäten. (Mit Demonstra¬
tionen von Präparaten.)
B. demonstriert mehrere durch Operation gewonnene Präparate
von frischen und älteren Thrombosen in den Venae saphenae und
empfiehlt in allen Fällen von frischer fortschreitender Thrombose in
den Varizen an Stelle exspektativer Behandlung (Ruhig- und Hoch¬
lagerung) die sofortige Unterbindung des thrombosierten Venen¬
stammes oberhalb der Thrombose mit Exstirpation des ganzen
thrombosierten Bezirkes, wie sie von seinem Chef _W. Müller
(Langenbecks Archiv, Bd. 66) empfohlen und seit 14 Jahren in zahl¬
reichen Fällen mit bestem Erfolge ausgeführt ist. Wenn bei fri¬
scher fortschreitender Thrombose der Saphena die Unterbindung vor¬
genommen wird zu einer Zeit, wo der Thrombus noch nicht bis in
die Vena femoralis vorigerückt ist, so wird auf diese Weise einmal
die Gefahr des Fortschreitens der Thrombose mit ihren Konsequenzen
(Lungenembolie und eventuell Pyämie bei infiziertem Thrombus), so
dann die lokale Erkrankung und endlich das Grundleiden, die Vari¬
zen, mit seinen möglichen Folgezuständen (Ulcus, Ekzem etc.) be¬
seitigt. Dazu kommt noch die wesentliche Abkürzung des Kranken¬
lagers, da die Patienten schon nach 14 Tagen das Bett verlassen und
in der Mehrzahl der Fälle nach 3 — 4 Wochen geheilt entlassen wer¬
den konnten. (Selbstbericht.)
Diskussion: Herr König- Altona erwähnt einen Fall, in
dem er thrombosierte Venen exstirpiert hat. Er musste, da der
Thrombus bis in die Femoralis hineinreichte, innerhalb des Throm¬
bus unterbinden. Die Wunde heilte glatt. Pat. wurde nach 14 Tagen
mit geheilter Wunde entlassen. Eine Woche später starb er zu
Hause an Lungenembolie.
Herr L i n d n e r - Dresden erwähnt, dass nach Resektion der
Saphena nach Trendelen bürg auch die Thrombosen in den
peripherisch von der Resektion gelegenen Teilen so gut zurück¬
gehen, dass ihm die Exstirpation der thrombosierten Venen über¬
flüssig erscheine.
Herr B o r c h a r d t - Posen hat zahlreiche thrombosierte Venen
exstirpiert und gute Resultate gehabt. Embolien hat er auch nach
der T rendelenburg sehen Operation gesehen.
Herr Müller- Rostock betont Herrn L i n d n e r gegenüber,
dass es sich um frische, fortschreitende Thrombosen in seinen Fällen
gehandelt habe.
Herr Rein er- Wien: Experimentelles zur Frage der Fett-
embolie,
R. verweist zunächst auf die von A b e r 1 e am diesjährigen
Kongress für orthopädische Chirurgie gemachten Mitteilungen, aus
welchen hervorgeht, dass die Fettembolie im Anschlüsse an ortho¬
pädische Eingriffe eine keineswegs so seltene Eventualität ist, als
man nach dem literarischen Tatbestände anzunehmen geneigt wäre.
Am Wiener Institut für orthopädische Chirurgie kamen in den letzten
Jahren allein 10 Fälle zur Beobachtung, von welchen 4 tödlich ver¬
liefen. Das bei weitem grösste Kontingent stellten die paralytischen
Kontrakturen und unter diesen wieder jene, bei welchen das be¬
treffende Glied lange Zeit ausser Funktion 'gesetzt war. Um bei sol¬
chen besonders schweren Fällen den Eintritt der gefürchteten Fett¬
embolie zu verhindern, hat Reiner die (zum Teil blutige, zum Teil
unblutige) Operation in Blutleere ausgeführt und nach vollendeter
Operation und erfolgter Fixierung der erreichten Korrektur, aber
noch vor der Lüftung der komprimierenden Kautschukbinde. eine
Kanüle von entsprechendem Kaliber in einen grossen Nebenzweig- des
Endstückes der Saphena magna eingeführt. Die Mündung der Ka¬
nüle wurde durch das kurze Endstück der Saphena hindurch bis in
die Femoralis vorgeschoben. Auf diese Weise konnten die ersten
Blntwellen, welche nach der Lüftung des Schlauches in die Vene
gelangten, und von welchen angenommen werden musste, dass sie
die gesamte vom Mutterboden gelockerte Fettmasse mit sich führen,
nach aussen geleitet werden. In der Tat kamen relativ beträchtliche
Fettmengen zutage und wurden unschädlich gemacht, indem sie ver¬
hindert wurden, dem Herzen zuzuströmen. (Selbstbericht.)
Diskussion: Herr Müller- Rostock und Herr Bor-
c h a r d. t - Posen betonen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Fett¬
embolie während des Lebens mit Sicherheit zu diagnostizieren. Meist
lassen Asphyxie, blutiges Sputum und Kollaps eine solche Fettembo¬
lie vermuten; sie hatten auch gelegentlich Fettembolie in einzelnen
Fällen angenommen und dann durch die Sektion bestätigt gefunden.
Wo aber die Sektion fehle, bleibe die Diagnose zweifelhaft. Deshalb
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2005
müssten sie so eingreifende Operationen, wie sie Reiner Vor¬
schläge, ablehnen. . , , . . „
Herr Reiner -Wien: Bezüglich der Bemerkung des Herrn
Prof. Müller muss ich zunächst ein Missverständnis richtig stellen.
Wir haben niemals eine Fettembolie nach einer Gelenkresektion be¬
obachtet, sondern nur nach unblutigen Operationen. Dass abei in
solchen Fällen die Gefahr der Fettembolie keineswegs gering zu
schätzen ist, muss ich aufrecht halten. Ich knüpfe diesbezüglich sein
gern an eine Bemerkung des Herrn Geheimrats 1 r e n d e len b u i g
an wonach man die Diagnose, wenn der Fall nicht zum lode ge¬
führt habe, nicht stellen könne. Ich gebe der Ueberzeugung Aus¬
druck, dass solche Fälle viel häufiger sind als man glaubt, dass sie
aber nicht erkannt werden.
Es gibt nämlich tatsächlich für die Diagnose kein absolut sicher
verwertbares Merkmal, wenn nicht der immerhin seltene Fall ein-
tritt, dass Fett im Harne nachgewiesen werden kann. Wer aber ein¬
mal' eine Fettembolie erlebt hat und sie vom Beginn der ersten Er¬
scheinungen usque ad exitum verfolgen konnte, dem prägt sich das
Bild unauslöschlich ein. Bezüglich der Details, der Erscheinungen
verweise ich auf die dem literarischen Tatbestände nach genügend be¬
kannten Erscheinungen, welche die beiden von Payr als respira¬
torische und zerebrale auseinandergehaltenen Formen bieten, und
erinnere auch an die einschlägigen Mitteilungen von Ribbert,
E b e r t, F u c h s i g u. a.. Ich will hier nur die Zyanose hervorheben,
dann die erhöhte Frequenz des wenig gespannten, leicht irregulären
Pulses, die vielfach und schön beschriebenen zerebralen Symptome,
ferner’ die immer erst später eintretenden Erscheinungen, die durch
die blutige Infarzierung und das Oedem der Lunge ausgelöst werden;
vor allem aber verweise ich auf die sichtliche, mechanische Behinde¬
rung der Respiration, die mir als ein ausserordentlich wichtiges Sym¬
ptom erscheint und auf die ich bald anderen Ortes zurückkommen
werde. ■ . , , ,,
Endlich habe ich noch ein Missverständnis richtig zu stellen,
dass wir nicht unter 10 Operierten, sondern unter 10 Fällen von Fett¬
embolie (unter mehr als 1000 Operierten) 3 I odesfälle zu verzeichnen
haben An Herrn Prof. Borchardt erlaube ich mir die Anfrage,
ob er schon Gelegenheit hatte, Fälle von Fettembolie vom ersten An¬
fang an bis zum Ende zu verfolgen und die Diagnose durch die
Autopsie zu verifizieren.
Herr T r e n d e 1 e n b u r g - Leipzig: Zur Herzchirurgie.
Der Redner macht auf das sehr häufige Vorkommen von Lungen¬
embolien aufmerksam, die nach Operation das Leben der Patienten
gefährden, so seien von 1200 durch Kümmel! Laparotomierten 23
an Lungenembolie zugrunde gegangen. Er unterscheidet 3 Gruppen
von Lungenembolien: 1. solche, die sofort tödlich verliefen; 2. solche,
wo nur eine partielle Verstopfung der Lungenarterie eintrete, und
allmählich unter Entwicklung eines Lungeninfarkts Heilung eintrete.
und endlich 3. solche Fälle, bei denen eine schwere Asphyxie, tiefer
Kollaps eintrete, wo aber das Leben noch 2 — 3 auch bis 24 Stunden
noch fortbestände, bis der Tod eintritt. Er stelle sich vor, dass in
diesen Fällen ein Embolus auf der Teilungsstelle reite, aber noch
etwas Blut passieren lasse, bis durch weitere Apposition von Gerinn¬
seln eine vollständige Verstopfung der Pulmonalarterie eintrete und
dann das tödliche Ende herbeigeführt würde.
In diesen Fällen scheine es ihm möglich, chirurgische Hilfe zu
bringen, und zwar scheine es ihm wichtig, vom Conus arteriosus des
rechten Herzens aus einzugehen und die Entfernung des Embolus
zu versuchen. Schnelloperationen seien ausgeschlossen, da es dabei
zu sehr blute. Experimente an Hammeln hätten ihn dazu gebracht,
eine Spritze zu konstruieren, welche einerseits gestatte, Blut aus dei
Pulmonalis anzuziehen und es auch wieder durch Druck nach aussen
zu entfernen. Nach Freilegung des Herzens wird ein kleiner. Schnitt
in die Muskulatur des Herzens gemacht und durch diesen das Ansatz¬
stück der Spritze in das Herz hineingezwängt und in die Pulmonalis
vorgeschoben. Das gelänge ohne irgendwelchen erheblichen Blut¬
verlust. Mittels dieses Verfahrens sei es ihm wiederholt gelungen,
künstlich in die Pulmonalis eingebrachte Emboli zu entfernen. Der
experimentelle Erfolg habe ihn veranlasst, das Verfahren auch ein¬
mal beim Menschen anzuwenden. Bei einer Patientin, die an Car¬
cinoma pleurae sigmoideae litt, trat eine Embolie ein. 1 rende-
1 e n b u r g legte das Herz frei; da aber alte perikarditische Verwach¬
sungen bestanden, riss beim Lösen des Perikards die Muskulatur des
Herzens ein, und der Apparat konnte nicht so dicht eingeführt wer¬
den, wie im Experiment. Die Patientin starb. Doch meint 1 ren¬
de 1 e n b u r g, dass hier besonders ungünstige Verhältnisse Vor¬
lagen.
Diskussion: Herr F r i e d r i c h - Marburg fragt Herrn
T r e n d e 1 e n b u r g, ob die Operationen bei Atmosphärendruck¬
oder bei Unterdruckverfahren ausgeführt seien, und erwähnt zu¬
gleich die interessante Tatsache, dass es ihm bei Hunden gelungen
sei, durch die Abklemmung der Cavae den Kreislauf bis zu 8 Minuten
zu unterbrechen, ohne dass die Tiere Schaden genommen hätten.
Herr Trend elenburg erwidert, dass die Operationen bei
Atmosphärendruck gemacht worden seien. #
Herr B o r c h a r d t - Posen: Zur Behandlung der bösartigen Ge¬
schwülste der langen Röhrenknochen.
Vortragender hat 5 derartige Fälle auch ausgesprochener bös¬
artiger Natur vom Periost ausgehend konservativ operiert und Dauer¬
erfolge erzielt. Die lokalen Rezidive sind sicher nicht häufiger, als
bei Exartikulation; disseminierte Geschwulstherde im Knochen sind
so selten, dass damit nicht zu rechnen ist. Gewöhnlich findet man
einen direkten Zusammenhang mit der primären Geschwulst, auch
das sog. infiltrative Wachstum kommt bei diesen Geschwülsten eigent¬
lich nicht vor. Oft ist durch die Schnelligkeit der Ausbreitung eine
sichtbare Abgrenzung gegen die Umgebung nicht möglich, jedoch
wachsen die ^Geschwülste immer expansiv, nicht sprungweise oder
infiltrierend destruktiv. Deshalb ist selbst bei den bösaitigen l ormen,
die von der äusseren Periostschicht ausgehen, bis zu einem gewissen
Stadium, d. h. bei räumlich nicht grosser Ausdehnung die konserva¬
tive Operation indiziert. Die funktionellen Resultate sind, da die
Muskeln sich selbst grossen Verkürzungen bei Diaphysenresektionen
(in einem Falle des Vortr. 26 cm) anpassen, die Konsolidation selbst
bei schwierigen Fällen durch frühzeitige Giosverbände, in denen die
Pat einhergehen, zu erreichen ist, sehr gute, der Kingriff geiinger als
die 'Exartikulation. Deshalb empfiehlt Vortragender die konservative
Operation bei den malignen Tumoren der langen Röhrenknochen
als die Regel, die Exartikulation als die Ausnahme bei besonders aus¬
gebreiteten Geschwülsten anzusehen. (Selbstbericht.)
Diskussion: Herr v. Haberer- Wien stimmt dem Vor¬
tragenden in allen Punkten zu und betont noch besondeis, dass auch
das Ueberwachsen eines Knochensarkoms von einem Knochen am
den anderen desselben Gliedes, also von der Tibia auf die bibula,
keine Kontraindikation gegen ein konservatives Veifahien darstel e.
Herr Kuhn -Kassel: Ueberdruck mit weicher Maske bei Lun¬
genoperationen.
Redner hat für die Zwecke der Ueberdrucknarkose für Lungen¬
operationen eine weiche Maske konstruiert. Dieselbe hat zui Unter¬
lage eine grosse dütenförmige Kappe aus luftdichtem Battist. Diese
wird mit einem kleinen Gesichtsausschnitt, nach Art einer Jagdkappe,
über’den Kopf des Patienten gezogen und mittels Gummischlauch am
Halse abgebunden. So sitzt sie luftdicht. Dann wird der untere Teil
ringsum nach oben umgekrempt und ein durchsichtiges Ventil luft¬
dicht eingebunden. So entsteht zwischen Innenblatt und Aussen-
blatt ein luftdichter Raum. In diesen Raum wird die Ueberdi ucklutl
in konstantem Strom zugeführt, sie verlässt ihn durch ein engeres
VentZur Zufuhr and Druckmessung dient der vom Redner für seine
Ueberdrucktubage verwendete Balgapparat von D r ä g e r (Zeit¬
schrift f. Chirurgie, Bd. 1, S. 81). . , „
Chloroform wird durch ein kleines Kläppchen in der weichen
Maske wie bei jeder anderen Narkose zugeführt.
Die Zugänglichkeit des Gesichtes ist dank der Eindruckbarkeit
der weichen Maske und anderer Einrichtungen eine sehr gute. Die
Bedienung ist denkbar einfach und mit primitiven Vorrichtungen ohne
Hebel und Schrauben möglich.
Redner glaubt, dass der komplizierte D r a g e r - B r a u e r sehe
Ueberdruckapparat wohl sehr wertvoll ist zur Ausarbeitung der
wissenschaftlichen Details der Ueberdrucknarkose, ihrer Physiologie
und Pathologie etc., dass er aber für die Praxis sich schwerlich be-
Für die praktische Anwendung im klinischen Dienst
nofft er mit weniger komplizierten Apparaten durchzukommen, auch
wenn sie weniger leisten. Er glaubt, dass man mit einem teilweise.!
Ueberdruck, auch wenn er nicht peinlich konstant .und gleich ist,
n der praktischen Lungenchirurgie viel gutmachen kann. Die Haup -
Sache ist, dass man gerade im Bedarfsfälle den Ueberdruck zur Hand
hat. um gerade dann einmal aufzublasen.
So hofft Redner mit seinem Apparat die Ueberdrucksnai kose
leichter und ihre Anwendung weniger kompliziert zu machen, so¬
mit populärer, soweit die Lungenchirurgie in Frage kommt
Für die grosse Thoraxchirurgie, die des Oesophagus z. B. etc.,
empfehlen sich besser die Tubage, die an denselben druckliefernden
Apparat des Autors angeschlossen ist, oder die anderen Methoden
von Sauerbruch und Brauer. « n. n.
Herr C. K r a e m e r - Sanatorium Böblingen (Württemberg). Die
Tuberkulinnächbehandlung der chirurgischen Tuberkulose.
Kurzer Bericht über 40 Fälle von ehemaliger konservativ oder
operativ geheilter chirurgischer Tuberkulose (besonders ott Ha -
drüsen'tuberkulose), welche nun meist an Lungentut«rk»k> e oft
schwerster Art, wiedererkrankt waren. Die Ursache davon ist Qie
zurückbleibende latente, meist in den Bronchialdrüsen sitzende Tuber¬
kulose, wie durch Tuberkulin jederzeit erwiesen werden kann Da
das Tuberkulin sicher auch heilend wirkt, so mögen die Chirurgen
dto schon einmal von, Vor, raK&, den Cege,mne Mah,mng mehr be-
herzigen und ihre tuberkulösen Pabenten nach Abschluss h u
gischen Behandlung mit Tuberkulin £?
die Heilung erwiesen ist, anstatt ihr und ihrer Kindei (kc 'S
fektion!) Wohl und Leben dem Zufall preiszugeben. (Beispiel. E
nach der Operation wegen Halsdrüsentuberkulose nac gep ) \\ ft
g-pheilter Fall Tcf. negative Nachprüfung nach b> Monat- I
1 Jahre nalh der Netten Schulterttelenkstnberku Jose «machten
Operation an Morbus Addisonu verstorbener Patie .
Herr Kuhn-Kassel: Fabrikation des Sterdkatgut (KuhrU.
Redner erinnert an seine mehrfachen früherer ‘ Ausführung^
(Münch, med. Wochenschr. — Zeitschr. f. Chir., Bd. j 86 und 8 )•
glaubt, dass von den vielen Tausenden von Aerzten, die täglich Katgut
2006
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
verwenden, kaum hundert sich voll bewusst sind, was sie mit der
Einbringung des Fadens in den Körper eigentlich tun.
Sie werden sich kaum bewusst sein, welche Fülle von Ma¬
terial allein es schon ist, aus der sich ein Faden, insbesondere ein
dickerer, aufbaut, ferner, welche Breite von O b e r fl ä c h e,
welche Ausdehnung an Infektions fläche ein solcher Faden re¬
präsentiert und welche enorme Möglichkeit zur E i n h ii 1 1 u n g von
Schmutz er beim Drehen in sich birgt.
Redner belegt seine Ausführungen mit Präparaten von getrock¬
netem Hammelrohdarm, unaufgeblasen und aufgeblasen, in der Fläche
ausgebreitet und gedreht, in losem Zustande in Gläsern schwimmend,
nach aussen dann als getrockneter und gedrehter Faden hervor¬
ragend. *
Den genannten Tatsachen entsprechen die Resultate bei der
klinischen Verwendung des Katgut. Sie sind oft sehr unzuverlässig
gewesen, und es begreift sich jedenfalls die Forderung, Katgut über¬
haupt aus der Wunde fortzulassen.
Dem entgegen stehen aber eine Reihe von klinischen Veran¬
lassungen, in denen man einen resorbierten Faden nicht gern ent¬
behren möchte, seien es Schleimhautnähte oder Nähte an schwer
zugänglichen Stellen oder in der Nähe infektiöser Herde etc.
Für diese und viele andere Fälle bleibt der Wunsch nach einem
gut resorbierbaren, aber sonst durchaus einwandsfreien Faden¬
material.
Im Gegensatz zu allem Vorhandenen wird ein solches nur durch
die Kuhn sehe Zubereitung geboten.
Das Kuhn sehe Katgut wird vom Momente der Entnahme aus
dem Tierkörper bis zum definitiven Trockensein des fertigen Fadens
nach den Gesetzen und Gepflogenheiten des chirur¬
gischen Operationssaales mit allen hygienischen und asep¬
tischen Vorsichtsmassregeln behandelt und von A .bis Z nach mo¬
dern chirurgischen Gesichtspunkten präpariert.
Dieses Vorgehen erfordert naturgemäss eine Summe von Spezial¬
einrichtungen sowohl was die Gewinnung als die Weiterverarbeitung
betrifft. Solche Spezialeinrichtungen erstrecken sich zunächst 1. auf
die Methode der Entnahme im Schlachthause und Lieferung nach der
Fabrik in zuverlässig-einwandsfreier Weise; 2. auf eigene Spezial-
Arbeitsräume in der Fabrik mit desinfizierbaren Geräten und Ge¬
brauchsgegenständen; 3. auf eine besondere Erziehung und Aus¬
bildung des Arbeitspersonals, das sich der Katgutherstellung widmet;
es müsste dieses einen Teil der Ausbildung der Lazarettgehilfen
haben; 4. auf die Erfindung und die Einrichtung von einer Reihe von
Spezialmaschinen zum Schlitzen, Schleimen, Drehen und Trocknen der
Fäden, welche die einwandsfreie, tunlichst aseptische Bearbeitung
der Fäden, auch fabrikmässig, garantieren.
Um diese Forderungen verständlich zu machen, demonstriert
Redner die Herstellung von Katgutfäden auf eigenen Apparaten, die
der fabrikmässigen Herstellung vorbildlich sind.
Er zeigt 1. seinen Apparat zum Schlitzen; das Anfassen der
Fäden geschieht von seiten des Arbeiters am besten mit Gummi¬
fingern; 2. einen Apparat zum Schleimen der Fäden, ganz auskoch¬
bar. Dann demonstriert Redner seine Vorschläge zur Desinfektion
und Imprägnierung der Fäden mit Jodlösung oder Silber. 3. Einen
Apparat zum Drehen und Trocknen, ganz sterilisierbar. Die fabrik-
mässige Herstellung des Katgut Kuhn hat die Firma Merck-Darmstadt
übernommen.
Die Vorschläge des Redners gewinnen doppeltes Interesse im
Angesicht zahlreicher 1 etanusfälle, die durch Katgut entstanden
(6 sichere Fälle, 1 aus Greifswald mit K r ö n i g schem Katgut). Erst
neuerdings ist eine solche Tetanusepidemie aus Bologna (Klinik S.
0 r s o 1 a) gemeldet worden.
Diskussion: Herr v. Eiseisberg - Wien meint, dass nach
dem K u h n sehen Verfahren die Gefahr des Milzbrandes und des
1 etanus nicht ausgeschlossen wäre, da die Fäden durch dieses Ver¬
fahren nicht sterilisiert würden; das müsste erst in der Klinik ge¬
schehen.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Ref. : Dr. Edmund Falk.
Nachmittagssitzung vom 16. September 1907.
Herr Osterloh begriisst die Versammlung und weist auf die
Verhandlungen hin, die an gleicher Stelle in der Pfingstwoche dieses
Jahres in der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie stattgefunden
haben. Diese Tatsache habe wohl die geringe Beteiligung bei der
heutigen Sektionssitzung veranlasst. Als Hauptthema wurde damals
die Frage der beckenerweiternden Operationsmethoden behandelt.
Auch auf der heutigen Tagesordnung steht als erster Vortrag das
Referat des Herrn Leopold über diesen für die Aerzte so wich¬
tigen geburtshilflichen Eingriff.
1. Herr Leopold: Neue Erfahrungen über die beckenerwei¬
ternde Operation (Hebosteotomie) und ihre Stellung zur praktischen
Geburtshilfe.
Nach den Ausführungen von Zweifel und D ö d e r 1 e i n auf
dem diesjährigen Gynäkologenkongress ist die Berechtigung einer
weitgehenden Anwendung der beckenerweiternden Operation aner¬
kannt. Aber viele Fragen bei der Ausführung derselben bedürfen
noch der Klärung. Nach den Erfahrungen, welche an der Dresdener
Klinik bei 60 Operationen gemacht wurden, — es handelte sich in
diesen Fällen um einfach platte und plattrachitische, sowie allgemein
verengte Becken mit einer Conjugata vera von 6Vz — 8 cm — sucht
Leopold folgende Fragen zu beantworten.
1. Ob es richtiger ist, subkutan zu operieren oder einen breiten
Schnitt zu machen.
2. Ob es möglich ist, bei subkutaner Methode Blasenverletzungcn
sicher zu vermeiden.
3. Ob es zweckmässig ist, die spontane Geburt nach der Ope¬
ration abzuwarten, oder ob man besser die künstliche Entbindung so¬
fort anschliesst.
4. Betonte Leopold die Notwendigkeit, den praktischen Arzt
auf die Gefahren hinzuweisen, die sich nach der Operation anschliessen
können (schwere Blutungen, Blasenfisteln etc.); sie geben die Ent¬
scheidung für den Arzt, der bei Gefahr für das Kind im Interesse
dieses zu handeln gezwungen, eventuell das Leben der Mutter ge¬
fährdet.
In der Klinik waren die Resultate in Bezug auf Dauerheilung sehr
gute, alle 60 Frauen wurden gesund entlassen, 4 Kinder starben, aber
unter den letzten 30 Operationen starb kein Kind. Verletzungen der
Mutter lassen sich bisweilen nicht vermeiden. Die Operationsmethode,
die Leopold anwendete, ist (im Gegensatz zu der von Bumm emp¬
fohlenen) folgende: er macht einen kleinen Stich auf das Tuberculum
pubicum und geht von oben nach unten mit der D öd e r 1 e i n sehen
Nadel um die hintere Fläche des Schambeines herum. Viel Assistenz
(4 Assistenten) ist in allen Fällen notwendig. Die spontane Geburt
wartet er nicht ab, sondern schliesst sofort eine entbindende Opera¬
tion an, und zwar wenn der Kopf sich in das Becken eindriieken lässt,
die Zange; bei Mehrgebärenden macht er häufiger die Wendung.
Hätte er stets abgewartet, so hätte er eine viel grössere Mortalität
der Kinder gehabt. Durch die Zange können allerdings Verletzungen
der Scheide verursacht und eine Kommunikation der Scheide mit
der Operationswunde hergestellt werden. Derartig schwere Ver¬
letzungen kämen aber auch bei Zangenanwendung ohne Hebosteo¬
tomie vor. Bedingung für ein gutes Resultat ist aber, dass die Frau
nicht bereits infiziert ist. Namentlich auch gonorrhoische Infektion
trübt die Prognose und bildet für ihn eine Gegenanzeige für die Aus¬
führung der Hebosteotomie. In derartigen Fällen zieht er die sub¬
kutane Sectio caesarea vor; selbst die Vornahme der P o r r o sehen
Operation kann alsdann ungefährlicher sein, als die Hebosteotomie.
Die Rekonvaleszenz wurde nicht selten durch Thrombosen verzögert,
die Gehfähigkeit war unter den Entlassenen stets eine gute. Für den
praktischen Geburtshelfer liegen die Verhältnisse anders, wie für
die Klinik. Hat er nicht genügend Assistenz, so soll er, wenn mög¬
lich, die Kranke in eine Klinik überführen; macht er selbst die
Operation, so soll er stets bedenken, dass zwar die Operation nicht
schwierig, wohl aber die Nachbehandlung, wenn Verletzungen ge¬
macht werden, sehr schwierig sein kann. Für den Praktiker bleibt
die Ausführung der Perforation des lebenden Kindes das letzte Mittel.
Diskussion; Herr K r o e n i g stimmt den Ausführungen des
Herrn Leopold zu, nur über die Vornahme der sofortigen Ent¬
bindung könne man verschiedener Ansicht sein. Er hat nach den
verschiedensten Methoden ca. 20 Fälle operiert, nach ihm besteht
kein grosser Unterschied zwischen Symphysiotomie und Hebosteo¬
tomie, dieselben Verletzungen finden sich bei beiden Operations¬
methoden. Gonorrhöe sei für ihn, wenn auch eine unangenehme
Komplikation, so doch keine Kontraindikation für die Ausführung der
Operation.
Herr Schenk führt die Operation auch unter Assistenz von
Hebammenschülerinnen aus, von 9 Frauen hat er 1 verloren, die
nach vergeblichen Zangenversuchen infiziert zur Operation kam.
2. Herr Edm. Falk -Berlin: Pathologische Beckenformen bei
Neugeborenen.
Auf Grund genauer Messungen von 110 fötalen Becken, unter
denen sich eine grössere Anzahl pathologischer Beckenformen, und
zwar platte, querverengte, schrägverengte und runde Becken fanden,
führt Falk den Nachweis, dass für die Entstehung der pathologischen
Beckenformen im intrauterinen Leben mechanische Ursachen ohne
massgebenden Einfluss sind. Vegetationsstörungen sind die Haupt¬
ursache für die Entstehung der pathologischen Beckenformen. Dieses
zeigt sich besonders bei dem chondrodystrophischen Becken, das
früher als sog. fötal-rachitisches bezeichnet wurde und als Proto¬
typ einer durch Muskelzug entstehenden Beckendeformität durch
Kehrer hingestellt wurde. Bei dem chondrodystrophischen Becken,
ebenso wie bei den übrigen platten Becken wird die Verkürzung des
geraden Durchmessers des Beckeneinganges durch die auffallend ge¬
ringe Entwicklung des Beckenanteiles der Darmbeinschaufel erzeugt,
die übrigen Formveränderungen aber finden ihre Erklärung in charak¬
teristischen, bis in die Zeit der ersten Entwicklung zurückgehenden
Wachstumsstörungen des Knochenkernes der Darmbeinschaufel. Auch
bei den Assimilationsbecken ist die Ursache ihrer Entstehung in der
Art der Anlagerung der Darmbeinschaufeln an die Wirbelsäule zu
suchen; mechanische Momente haben auf die Formentwicklung des
Beckens keinen Einfluss, wie es Falk ausführlich in seiner im Ver¬
lage von S. Karger erscheinenden Monographie: „Entwicklung und
Form des fötalen Beckens“ nachweist.
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2007
Diskussion: Herr Kroenig freut sich, dass den Erklä¬
rungen der Formentwicklung des Beckens durch mechanische Ur¬
sachen entgegengetreten wird. Die Einwirkung von Muskelzug für
die Formgestaltung wird mit Unrecht noch immer von einem Lehr¬
buch in das andere übernommen.
3. Herr Edmund Falk -Berlin demonstriert:
1. einen Fall von Eversion (Umstülpung) der Tube bei einem
tubaren Abort; die klinischen Erscheinungen der akuten Verblutung
wiesen auf eine Ruptur hin.
2. zwei Fälle von Interstitieller Tubargravidität, bei dem einen
lag das noch nicht 1 cm grosse Ei in der Perforationsöffnung.
Bei 42 in den letzten Jahren operierten Extrauteringraviditäten
hat Falk keine Frau verloren.
4. Herr L ich t en s t e i n - Dresden demonstriert seltene ge¬
burtshilfliche und gynäkologische Präparate, unter anderem
a) eine Plazenta mit Insertio marginalis, bei der ein bleistift¬
dickes Vas aberrans auf den Eihäuten eine 15 cm lange Schleife bil¬
dete, um alsdann zur Plazenta zurückzukehren.
b) ein 8 Monate altes Kind, das durch Strangulation intrauterin
abgestorben war; die Nabelschnur war 2 mal um den Hals ge¬
schlungen, dieser mit einer Schnürfurche versehen und stark ver¬
dünnt. Das nach dem Kinde ziehende Nabelschnurende war straff,
gedehnt und abgeplattet. Der Tod solcher Kinder wird hauptsäch¬
lich durch Dehnung der Nabelschnur, weniger durch Kompression
der Halsgefässe bedingt.
c) ein Chorionepithelioma malignum, das von der Plazentarstelle
an der Hinterwand des Corpus uteri ausgeht (nach einer spontanen
Geburt). Es fanden sich ausgedehnte Metastasen in der Scheide und
der Harnblase, hochgradige Metastasen in den Lungen und im linken
Grosshirn.
d) einen sehr schönen Fall von Graviditas tubaria dextra mens. 6.
mit beginnender Skelettierung der Frucht t Hämatosalpinx sinistra.
Periode war 6 Monate ausgeblieben bezw. zuweilen unregelmässig
und schwach gewesen. Die Frau kam wegen Blutung zur Aufnahme.
Uterus in der Mitte nach hinten unten gedrängt, links und hinten ein
hühnereigrosser Tumor, prall glatt; rechts vom Uterus eine
strausseneigrosse Geschwulst, ziemlich beweglich, hart, höckrig;
sie liegt quer, der mediale Pol dicker als der laterale. Die kleinen
Höcker lassen sich auf der Tumoroberfläche weiter verfolgen in Ge¬
stalt kleiner Spangen. Diese werden als Extremitäten eines Föten
angesprochen, der sich im Zustande der Skelettierung befindet. Die
Operation bestätigte die durch eine Röntgenaufnahme ermöglichte
Diagnose bezüglich der Extrauteringravidität aufs genaueste. Die
gravide Tube ist 11:8:6 cm. Am dünnen Ende des Präparates das
nicht sondierbare Fimbrienende, in unmittelbarer Nähe schimmern
kindliche Extremitätenknochen durch, die Oberfläche in Höckern
vorbuchtend. Im dickeren Präparatende der Kopf + Plazenta. Eine
Röntgenaufnahme des Präparates zeigt unter der Plazenta den
Kopf: Hinterhauptsschuppe nach aussen gedrängt durch das unter¬
geschobene Scheitelbein, ebenso Stirnbein nach vorn disloziert. Wir¬
belsäule U-förmig gebogen, so dass das Becken dicht neben dem Schä¬
del liegt. Rippen und Extremitätenknochen wirr durcheinander. Vor¬
tragender macht wiederholt darauf aufmerksam, dass bei Unterleibs¬
tumoren der Frauen, bei denen eine Extrauteringravidität der spä¬
teren Monate in Frage kommt, die letztere durch Röntgenstrahlen
festgestellt werden könne. Der vorliegende Fall sei der 2. in der
Dresdener Klinik.
5) Herr Z u r h e 1 1 e - Bonn : Ueber Thrombosen und Embolien
nach gynäkologischen Operationen.
Thrombosen und Embolien kommen bei Gynäkologen häufiger
zur Beobachtung, als bei Chirurgen, besonders oft nach Myomopera¬
tionen; 2,75 Proz. aller Myomoperationen in der Bonner Klinik hatten
Thrombosen im Gefolge. Die Ursache dieser Erscheinung wird in
Störungen von seiten des Zirkulationsapparates gesucht, die bei
myomkranken Frauen besonders häufig sind; Winter wies nach,
dass Fettdegeneration und braune Atrophie des Herzens zu fürchten
sind, wenn starker Blutverlust den Organismus in Mitleidenschaft ge¬
zogen hat, namentlich bei langandauerndem Blutverlust, der zu einer
chronischen Anämie führt; bei Karzinom werden diese Herz¬
veränderungen nur selten beobachtet. Bei Wohlhabenden, denen
jede körperliche Anstrengung und Bewegung fehlt, und die gewöhn¬
lich weniger widerstandsfähig zur Operation kommen, als Arbeite¬
rinnen, kam es 'in Bonn weit häufiger zu Thrombosen. Die bei
malignen Tumoren vorkommenden Thrombosen sind leicht erklärlich;
hingegen bedürfen die bei Operationen nach Lageveränderungen und
Adnextumoren sich findenden Thrombosen zur Erklärung ihrer Ent¬
stehung: Wundinfektion, eine bestehende Herzanomalie oder
Anämie, Abkühlung bei geöffneter Bauchhöhle, Schädigung des Her¬
zens durch die Narkose, Erschwerung des Blutabflusses durch fest
angelegte Verbände werden verantwortlich gemacht, endlich die
Trendelenburg sehe Beckenhochlagerung. 3 Formen der
Thrombosen sind zu unterscheiden: 1. Thrombosen der Beckenvenen,
die am häufigsten zu Lungenembolien führen, da die Beckenvenen
klappenlos sind. 2. Thrombosen der tiefen Schenkelvenen, die ge¬
wöhnlich durch rein mechanische Momente bei herzschwachen 1 lauen
entstehen, und auch zu Lungenembolien führen können. 3.. 1 lirom-
bose der Vena saphena, dieselbe macht keine Lungenembolien.
Bei normaler Temperatur soll nach Mahler ein staffel¬
förmiges Ansteigen des Pulses eine typische Thrombosenkurve
geben können. Dieses Mahler sehe Symptom wird jedoch
weit überschätzt, in Bonn konnte es nicht bestätigt wer¬
den. Hingegen ist bei Verdacht auf Thrombose das Messen des Ex¬
tremitätenumfanges von Wichtigkeit. Bei den so gefährlichen
Beckenvenenthrombosen lässt sich keine Ruhigstellung der Blase er¬
zielen. Besonders wichtig ist eine allgemeine Körperpflege vor der
Operation (Strophanthus, Kochsalzinfusionen). Die Vorbereitung vor
der Operation soll möglichst schonend sein, keine Hungerkur, keine
stärkeren Abführmittel, Vermeidung von langdauernden Abwaschun¬
gen des Operationsfeldes in der Narkose; bei der Operation schnell
und blutersparend operieren, mit Einschränkung des Wärmeverlustes
(kleiner Bauchschnitt). Nach der Operation soll die Kranke eine
etwas erhöhte Rückenlage einnehmen, die Lage bisweilen wechseln.
Atemübungen machen, aktive und passive Arm- und Beinbewegungen
sind wichtig, endlich befürwortet Z u r h e 1 1 e ein frühzeitiges Auf¬
stehen der Operierten am 2. bis 4. Tage.
Diskussion: Herr Kroenig: Die Thrombosen der Schen¬
kelvenen machen am häufigsten Embolien, ihnen gegenüber spielen
die Beckenvenenthrombosen keine Rolle. Das Primäre ist aber eine
Störung der Fortbewegung des Blutes und nicht die Gerinnung,
diese entsteht erst sekundär, wenn der Blutstrom stark verlangsamt
ist. Das Mahl ersehe Zeichen ist ein Beweis, dass das Herz
schwach ist, nicht dass eine Thrombose besteht. Gegen die Stau¬
ung des Blutes hilft am ‘ besten frühes Aufstehen der Operierten.
Kroenig lässt die Operierten nach dem Leibschnitt häufig schon
nach 1 Tage, nach Geburten nach 8 Stunden aufstehen. Vor der
Operation dürfen aber die Kranken nicht geschwächt werden. Die
Chloroformnarkose soll möglichst eingeschränkt werden.
Herr Leopold- Dresden : Beckenvenen- und Schenkelvenen¬
thrombosen lassen sich sicher an dem Kletterpuls erkennen, bevor
eine Beinschwellung eintritt. Besonders ist, sobald eine Thrombose
besteht, für absolute Ruhe und Vermeidung jeder Aufregung (Ver¬
bot des Besuches) zu sorgen, Kampher zur Hebung der Herztätigkeit
zu verordnen. Seit Einführung peinlichster Asepsis hat die Zahl der
Thrombosen abgenommen, namentlich seitdem die sog. verschärfte
Asepsis (Handschuhe etc.) eingeführt wurde. Ein Aufstehen am
2. Tage wird Leopold vorläufig nicht einführen.
Herr T u s z k a i betont, dass eine Steigerung der Labilität des
Pulses ein Frühzeichen der Herzinsuffizienz (einer Herzdilatation)
ist. Die Herzinsuffizienz lässt sich leicht erkennen, wenn man die
Kranke die Lage verändern lässt und alsdann die stärkere Labilität
des Pulses sich bemerkbar macht. T. rät bei Wöchnerinnen- falls in¬
folge von Herzinsuffizienz Gefahr einer Thrombose besteht, ruhige
Lage an und warnt vor frühzeitigem Aufstehen.
Herr Kroenig: Das M a h 1 e r sehe Zeichen ist in der Tat
wichtig. Thrombosen finden sich auch bei Myomkranken, die ohne
Operation lange liegen müssen. Besteht eine Thrombose, dann wird
natürlich ein Aufstehen die Gefahr der Embolie erhöhen, aber schwere
Myomkranke sollen gerade zur Vermeidung der Thrombose am
1. bis 3. Tage aufstehen; seitdem Kroenig die Kranken früh auf¬
stehen lässt, ist keine Schenkelvenenthrombose mehr zur Beobach¬
tung gekommen.
Herr Zur helle bestätigt gleichfalls, dass bei frühem Auf¬
stehen keine Thrombosen beobachtet sind.
6. Herr Gerstenberg und Herr Hein- Berlin: Beiträge zur
Anatomie der Rückenmarksanästhesie.
Durch sehr eingehende anatomische Untersuchungen, deren Re¬
sultate Herr Hein an instruktiven Präparaten demonstriert, stellten
Gerstenberg und Hein die für die Vornahme der Lumbal¬
punktion wichtigen Befunde fest: 1. dass eine Zisterne im Dural¬
raum nicht immer vorhanden war, weder als hinterer präformierter
zwischen den Cauda-equina-Fasern, noch als ein den Konus um¬
gebender, nach aussen durch die Nervenbündel hin abgeschlossener.
2. In anderen Fällen, wo sie vorhanden war, war sie ein grosser ein¬
heitlicher Raum, von bedeutend grösserem Volumgehalt, wie man
nach der Literatur annehmen sollte, ohne hintere oder seitliche Zwei¬
teilung durch Septum oder Ligam. denticulatum vom Konus an ab¬
wärts. 3. Es fanden sich gewissermassen gesetzmässig vikariierende
Bilder: entweder war der Duralsack vollkommen ausgefüllt von
Cauda-equina-Gebilden, dann war der entsprechende Epiduralraum
von weiten Venen erfüllt, oder der Duralsack wai verhältnismässig
wenig von Kaudalgebilden ausgefüllt, eine Zisterne vorhanden und
die Epiduralen Gebilde nur unbedeutend sichtbar. 4. Im Lenden- und
im Halsteil waren die Arachnoidalgebilde feinmaschiger wie im
Brustteil. 5. Vor dem Einstich in den ersten Interarachnoidalraum
des Lumbalteiles ist auch bei Erwachsenen dringend zu warnen, da
dort manchmal noch vorhandene Teile des Rückenmarkes vei letzt
werden können. 6. Die bekannten Schädigungen der Geh.rnnerven
lassen sich anatomisch vollkommen erklären, entweder durch die
oberflächliche Lage ihrer Ursprungskerne am Boden des 4. Ven¬
trikels oder durch den mehr oder mindei längeren Verlauf ihre
Fasern durch die Zisternen. Die Fasern werden auf diesem Weg*
reichlich durch die sie umspülende Flüssigkeit mit etwa eingebracl t
Giften getränkt.
2008
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
7. Herr Kroenig: Anatomische und physiologische Beobach¬
tungen bei den ersten 1000 Rückenmarksanästhesien im Skopolamin¬
dämmerschlaf. (Der Vortrag befindet sich unter den Originalien
dieser Nummer.)
Diskussion: Herr Freund- Halle. Seit 1905 wird in Halle
in der Veit sehen- Klinik die Lumbalanästhesie sehr viel angewendet,
und zwar stets mit Stovain (Bi llon), die Beckenhochlagerung wird
bei schweren Laparotomien stets gemacht, um sofort eine energische
Wirkung zu erzielen; aber die Beckenhochlagerung wird zunächst
sehr niedrig gemacht und erst nach Eintritt der Narkose erhöht.
Unter 76-4 Fällen hat V e i t 2 Todesfälle, den einen durch Eintritt
von Atmungslähmung, dieselben üblen Erscheinungen treten auch ohne
Beckenhochlagerung ein.
Herr Kroenig erwidert auf eine Anfrage, dass die Narkose
stets mit einer Injektion von Skopolamin-Morphium begonnen wird.
Gegen Beckenhochlagerung spricht die Tatsache, dass er Stovain
an der Medulla oblongata nach der Injektion nachweisen konnte.
(Schluss folgt.)
Abteilung für Kinderheilkunde.
Berichterstatter: Privatdozent Dr. L. Langstein, Assistent an der
Kinderklinik der Kgl. Charite in Berlin.
Sitzung am 16. September 190 7.
Vorsitzender: Herr F 1 a c h s - Dresden.
Herr v. Ranke- München gibt einen Ueberblick über die Ent¬
wicklung der Kinderheilkunde bis zur Gründung der Gesellschaft
für Kinderheilkunde.
Herr Escherich - Wien beglückwünscht Rauchfuss-
Petersburg zum 50 jährigen Amtsjubiläum.
Herr S. Y a n a s e - Japan : Epithelkörperbefunde bei galvanischer
Uebererregbarkeit der Kinder.
Bei 34 Proz. zur Sektion gelangter Kinder (vornehmlich Säug¬
linge) fanden sich Blutungen bezw. deren Residuen Jn den Epithel¬
körperchen, die wahrscheinlich auf den Geburtsakt zurückzuführen
sind. Von 13 Fällen mit normaler elektrischer Erregbarkeit zeigte
keiner Blutungen, von 22 Fällen anodischer Uebererregbarkeit 12
(61 Proz.), von zwei Fällen klinisch manifester Krampfformen 2
(100 Proz.). Der Autor zieht den Schluss, dass die Blutungen in die
Epithelkörper die der Entgiftung des Organismus dienende Funktion
derselben schädigen und dadurch die Disposition des tetanoiden Zu¬
standes erzeugen.
Herr Escherich - Wien : Kenntnis der tetanoiden Zustände
des Kindesalters. (Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.)
In der Diskussion mahnte S o 1 1 m a n n - Leipzig zur Vor¬
sicht in bezug auf die Deutung der Beziehungen von Epithelkörper¬
chenblutung und. Tetanie. Er will Tetanie und Spasmophilie absolut
getrennt wissen und vertritt seine Einteilung der Eklampsie. Esche¬
rich- Wien bespricht im Schlusswort die tetanoiden Erscheinungen
im Verlauf anderer Krankheiten.
Herr H o h I f e 1 d - Leipzig: Säuglingstuberkulose.
Unter Demonstration von Präparaten werden die Heilungs¬
vorgänge bei der Säuglingstuberkulose besprochen.
Herr C. v. P i r q u e t - Wien : Diagnostische Verwertung der
Allergie.
Die Allergie, die Aenderung der Reaktionsfähigkeit, welche der
Organismus dadurch erfährt, dass er eine Infektion durchmacht, lässt
sich bei einer Anzahl von Krankheiten als diagnostisches Mittel ver¬
werten. Das Prinzip der Allergiediagnostik liegt darin, dass man
ein Extrakt des Infektionserregers auf den Organismus wirken lässt,
und dessen Reaktion beobachtet. Am schärfsten lässt sich die Re¬
aktion verfolgen, wenn man das Extrakt in die äussere Haut ein¬
impft.
Der Vortragende berichtet über 988 Untersuchungen mit der
kutanen Tuberkulinprobe und führt aus, in welchen Fällen der Kin¬
derpraxis dieselbe besonderen diagnostischen Wert besitzt. Bei
quantitativer Auswertung mit progressiven Verdünnungen des Tu¬
berkulins ergab sich, dass die Verdünnung, bis zu welcher die Probe
positiv ist, in einem konstanten Verhältnisse zum Querdurchmesser
der Effloreszenzen steht, so dass man durch Messung einer einzigen
Impfstelle die Empfindlichkeit quantitativ bestimmen kann. Der
Vortragende hält die kutane Tuberkulinreaktion für empfehlenswerter
als die Ophthalmoreaktion und bleibt für die Praxis bei der Ein¬
impfung von 25 proz. Alttuberkulin auf die Haut des Armes.
Herr K r a e m e r - Böblingen : Kongenitale Tuberkulose und
ihre Bedeutung für die Praxis.
Auf Grund theoretischer Erwägungen und von Erfahrungstat¬
sachen vertritt der Autor seine Anschauung von der Häufigkeit der
kongenitalen Tuberkulose.
In der Diskussion über die drei letzten Vorträge bringen
Langstein - Berlin, Langer- Sreez, C i t r o n - Berlin, Engel-
Diisseldorf, Schlossmann - Düsseldorf, R i e t s c h e 1 - Dresden,
P e e r - Heidelberg. S i e g e r t - Köln ihre Erfahrungen mit der dia¬
gnostischen I uberkulinimpfung v. Pirquets auf Grund mehr oder
weniger grossen Materials. Die Methode wird in ihrer theoretischen
und praktischen Bedeutung gewürdigt. Escherich - Wien meint,
dass gegen die grosse Häufigkeit der kongenitalen Tuberkulose die
Ergebnisse der Tuberkulininjektionen sprechen.
14. Internationaler Kongress für Hygiene und Demographie
in Berlin vom 23. bis 29. September 1907.
Die Eröffnung des 14. Internationalen Kongresses erfolgte am
23. September c., vormittags 11 Uhr im neuen Kgl. Operntheater am
Königsplatz.
Der Feier wohnte der Kronprinz an, als Vertreter des Kaisers.
Nach einer kurzen Begrüssungsansprache des Ehrenpräsidenten
des Kongresses, Prinz von Schönaich-Carolath, sprach
zunächst der Kgl. Staatsminister v. Bethmann - Hollweg, wel¬
cher die Anwesenden im Namen der Kgl. preussischen Staatsregierung
bewillkommte. Er hob dabei die eminente Bedeutung der Hygiene
hervor, welche sie namentlich als praktische Wissenschaft auf dem
Gebiete der Bekämpfung von Seuchen, der Verbesserung der Woh¬
nungen, der Fürsorge für Kranke und Erholungsbedürftige habe; seine
Rede endete mit einem Hoch auf den Kronprinzen.
Im Namen des preussischen Kultusministeriums sprach Minister
Dr. Holle, als Vertreter des Militärsanitäts wesens Generalstabsarzt
.der preussischen Armee Dr. Schjerning, welch letzterer nament¬
lich auf die durch die moderne Hygiene in der Armee bewirkte
Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse: auffallende Herabsetzung
der Krankheits- und Sterbeziffer in der stehenden Armee hinwies.
In der nun folgenden Eröffnungsrede gedachte der Ehrenpräsi¬
dent Prinz von Schönaich-Carolath zunächst des letzten
Internationalen Hygienekongresses zu Brüssel (1903), streifte die ge¬
schichtliche Entwicklung der Hygiene, ihres im Laufe des Jahr¬
hunderts oft recht wechselvollen Standes der hygienischen Anschau¬
ungen und Bestrebungen, und berührte die mannigfachen Aufgaben,
welche dieser Wissenschaft noch für die Gegenwart und Zukunft zu¬
fielen; er wies noch besonders auf das vor wenigen Monaten zustande
gekommene internationale Werk hin, die in Paris 1903 beratene und
kürzlich ratifizierte Revision und Modifikation jener Sanitätskonven¬
tionen, die in der vorangegangenen Zeit zu gemeinsamem Vorgehen
gegen die gefährlichen Volkskrankheiten: Cholera, Pest und Gelb¬
fieber abgeschlossen worden waren; dann erinnerte er an den inter¬
nationalen Staatsvertrag zur Unterdrückung des Branntweinhandels
unter den Nordseefischern auf hoher See 1887, die Staatskonferenzen,
welche zu internationalen Vereinbarungen über eine Reihe sozialer
Fragen abgehalten worden sind — die Berliner Arbeiterschutzkon¬
ferenz 1898, die Berner Arbeiterschutzkonferenz 1906, die internatio¬
nale Vereinigung für gesetzlichen Arbeitsschutz mit dem internatio¬
nalen Arbeitsamte in Bern usw.
Weiters erinnerte er an die verschiedenen wissenschaftlichen
Kongresse und Konferenzen zum Austausch der wissenschaftlichen
Errungenschaften, zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten,
z. B. der Tuberkulose, und schliesslich wies er noch hin auf die segens¬
reichen Wirkungen der durch die kaiserliche Botschaft vom 17. No¬
vember 1881 in die Wege geleiteten sozialen Gesetzgebung.
Als Beispiele hob er hervor, dass mehr als 140 000 Unfälle in
den letzten Jahren aus gewerblichen und landwirtschaftlichen Be¬
trieben als entschädigungspflichtig anerkannt wurden, mehr als 1 Mil¬
lion Personen im vorigen Jahre als Verletzte oder Hinterbliebene
von getöteten Personen Unfallentschädigungen erhielten, deren Ge¬
samtsumme über 140 Millionen Mark betrug.
Die Invalidenversicherung im Deutschen Reiche gewährte 1906
Entschädigungen einschliesslich des Reichszuschusses in der Höhe
von ca. 166 Millionen Mark, im ganzen in den 15 Jahren des Bestehens
wurde der Betrag von 1 162 169 923 M. ausbezahlt.
Die Aufwendungen sämtlicher Krankenkassen Deutschlands be¬
trugen 1905 222 24 3 886 M.
Die Rede endete: Salus generis humani suprema lex esto.
An diese Eröffnungsrede schlossen sich nun die Begrüssungs-
ansprachen teils der wissenschaftlichen Körperschaften von Berlin,
sowie der Vertreter verschiedener auswärtiger Regierungen.
Die Zahl der Kongressmitglieder betrug am Eröffnungstage
ca. 4000. Dr. S p a e t h - Fürth.
32. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege
am 11. — 14. September 1907 in B r e m e n. •
(Eigener Bericht.)
III. Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der
öffentlichen Gesundheitspflege.
Referent: Sanitätsrat Dr. M u g d a n - Berlin.
Die bevorstehende Reform der Krankenversicherung gibt Ge¬
legenheit zu einem Rückblick, und Gelegenheit eventuelle Wünsche in
dieser Angelegenheit auszusprechen. Worin besteht nun der Wert
der Krankenversicherung? Die Gewährung freier ärztlicher Behand¬
lung, freier Arznei, sowie Brillen, Bruchbänder und ähnlicher Heil¬
mittel für den Versicherten, vom ersten Tage der Erkrankung ab,
verhindert, dass die hier in Betracht kommenden unbemittelten oder
wenig bemittelten Personen infolge ihrer Mittellosigkeit oder Unver¬
mögens ihrer Umgebung ärztliche Hilfe und Heilungsmittel zu spät
oder nur im Falle äusserster Not erhalten.
Diese Gewährung hat nun zweifelsohne verschiedene Schatten¬
seiten. Aerztliche Hilfe wird zu viel in Anspruch genommen, auch
Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
2009
Arzneien werden zu viel verbraucht. Mugdan hält jedoch dieses
zu viel“ für keinen Fehler, es unterstütze rrn Gegenteil den Kamp*
gegen die grosse Volkskrankheit Tuberkulose. Es besteht die Mög¬
lichkeit, die Anfangsfälle herauszusuchen, man solle sogai dem Ai-
beiter raten, sich ein oder zwei Mal im Jahre untersuchen zu lassen,
um eventuelle Krankheiten auszuschalten. Die auf Kosten dei
Krankenversicherungsträger stattfindende Unterbringung eines ei-
krankten Versicherten, dessen Krankheit eine ansteckende ist oder
besondere Anforderungen an die Behandlung oder \ erpflegung stellt,
in einem Krankenhause, verhindert die Ansteckung der Umgebung
des Erkrankten, sichert dem letzteren fortgesetzte Beobachtung,
Wache und Pflege, stellt ihm alle in dem modernen Krankenhause be¬
findlichen Hilfsmittel der Wissenschaft und Technik zur Verfügung und
beschleunigt dadurch den Heilungsprozess. Die Untei bi lngung in
einem Genesungshause oder in einer Erholungsstätte hat ausgezeich¬
nete Erfolge bei Rekonvaleszenten, Nervenkranken, Bleich-süchtigen
und Tuberkulösen leichterer Art gezeitigt, alles dies wäre ohne
Krankenversicherung nicht möglich.
Das im Falle einer mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krank-
heit vom dritten Tage der Erkrankung ab dem Vei sichelten zu ge¬
währende Krankengeld gleicht einigermassen den, für den Kranken
und seine Familie, aus dem Verlust seiner Arbeitsfähigkeit sich ei-
gebenden wirtschaftlichen Nachteil aus und sichert selbst dem
Aermsten während der Krankheit die Befriedigung der notwendigsten
Bedürfnisse, ohne die seine, durch die Krankheit beeinträchtigten
Körperkräfte noch mehr dahinschwänden.
Die an die Angehörigen des in einem Krankenhause unterge¬
brachten erkrankten Versicherten während der Zeit seines Verweilens
im Krankenhause zu zahlende Angehongenunterstutzung halt die
äusserste Not und Entbehrung, die so häufig eine Krankheit verur¬
sacht von der Familie ab und erleichtert es dem Kranken, bis zu
seiner vollständigen Wiederherstellung im Krankenhause zu bleiben.
Die den versicherten Wöchnerinnen für die Dauer von sechs
Wochen zu zahlende Wöchnerinnenunterstützung erlaubt der Jungen
Mutter die notwendige Erholung ihres durch die Geburt geschwächten
Körpers und die Erfüllung ihrer mütterlichen Pflichten gegen das neu¬
geborene Kind. Die Krankenkassen können ausserdem dadurch, dass
sie statutarisch eine Schwangerenunterstützung, die freie Gewahiung
der erforderlichen Hebammendienste und die freie Behandlung dei
Schwangerschaftsbeschwerden beschliessen, die Grundlage eines aus¬
gedehnten Mutterschutzes bilden; von dieser Ausdehnung dei Unter¬
stützung machten bisher die meisten Krankenkassen keinen Gebrauch
es erscheint daher empfehlenswert, dass die Möglichkeit diesei
Unterstützung gesetzlich festgelegt wird, ebenso wie die statutarisch
mögliche Gewährung freier ärztlicher Behandlung, freier Arznei und
sonstiger Heilmittel für nichtversicherungspfhchtige Familienange¬
hörige der Versicherten, letztere ist geeignet, die hohe Kmdei Sterblich¬
keit zu vermindern und Verschleppung der Heilung einer Krankheit dei
für den Arbeiterhaushalt unentbehrlichen Hausfrau zu verhindern.
Um allen Personen, die der Fürsorge im Krankheitsfälle be¬
dürftig sind, die Wohltaten der Krankenversicherung reichsgestzlich
sicher zu stellen, ist eine Ausdehnung der Krankenversicherungs¬
pflicht auf alle diejenigen, die der Invalidenversicherungspflicht untei -
liegen vor allem auf die landwirtschaftlichen Arbeiter und das Ge¬
sinde/dringend zu wünschen, und ebenso eine Uebereinstimmung der
Invalidenversicherungsberechtigung mit der Krankenversicherungs¬
berechtigung. Auch ist, anstatt der statutarisch möglichen, die obliga¬
torische Gewährung freier ärztlicher Behandlung nebst allei oben
erwähnten Leistungen an die Familienangehörigen der Versicherten
zu fordern
Die dreitägige Karenzzeit für den Anspruch auf Krankengeld ist
vom hygienischen Standpunkte zu verwerfen; schon von dem ge¬
sunden Arbeiter ist ein dreitägiger Wegfall des Arbeitsverdienstes
sehr schwer zu tragen, vielmehr noch von einem Kranken, dei duren
seine Krankheit oft schon für seine Person grössere Ausgaben zu
machen hat. , , ,R „
Die Bestimmung des Krankenversicherungsgesetzes t§ - o a
Abs. 1), dass Kassenmitgliedern, welche doppelt versichert sind, 'das
Krankengeld soweit verkürzt werden kann, als dasselbe zusammen
mit dem aus anderweitiger Versicherung bezogenen Krankengelde
den vollen Betrag ihres durchschnittlichen ragelohnes übersteigen
würde, ist zu verwerfen, da der Kranke mehr Bedürfnisse hat, als
der Gesunde, und eine Simulation von Arbeitern, die durch mehr¬
fache Versicherungen in gesunden Tagen Opfer bringen, am wenig¬
sten zu fürchten ist. _ . Q
Es ist wünschenwert, dass es nicht, wie jetzt, allein in das rse-
lieben des Kassenvorstandes gestellt ist, zu entscheiden, ob Kur und
Verpflegung in einem Krankenhause gewährt werden soll. Der s /
des Krankenversicherungsgesetzes sollte etwa in der Weise geändert
werden, dass Kur und Verpflegung im Krankenhause auf Antrag des
Arztes gewährt werden muss, wenn die Krankheit des Versicherten
seiner Umgebung Gefahren bringt.
Zur Herabsetzung der Verwaltungsausgaben, und um das Kran¬
kengeld allgemein erhöhen zu können, was höchst wünschenswert ist,
ist das Zusammenlegen aller in einem Stadtkreise oder Landkieise
befindlichen Versicherungsträger zu einer einzigen Krankenkasse zu
fordern.
Die in den letzten Jahren zwischen Kassenärzten und Kranken¬
kassen au vielen Orten entstandenen Streitigkeiten sind vom hygie¬
nischen Standpunkte aus aufs tiefste zu beklagen, da hier der Sieg der
Aerzte oder der Krankenkassen nur davon abhängt, wie lange die
hilfsbedürftigen Kranken eine geordnete äiztliche Behandlung ent¬
behren können. Es ist deshalb Aufgabe der Gesetzgebung, die Wieder¬
holung solcher Vorkommnisse unmöglich zu machen; dies kann nur
durch eine gesetzliche Ordnung der kassenärztlichen Verhältnisse
im Sinne der freien Arztwahl geschehen, auch im Interesse der öffent¬
lichen Gesundheitspflege,
Für einen Erfolg in der Gewerbehygiene ist ein geregeltes Zu¬
sammenwirken der Kassenärzte wie dei besonderen I abrikarzte mit
den Fabrikleitungen einerseits und den Krankenkassen andererseits
erste Voraussetzung; die Aerzte, und besonders die, nach Massgabe
der Bestimmungen des Bundesrates, von den Fabrikleitern fiii eine
Reihe von Betrieben vorgesehenen Fabrikärzte müssen von der
Kassenverwaltung und 'der Fabrikleitung völlig unabhängig sein und
jederzeit das Recht haben, die in gesundheitsschädlichen Betrieben be¬
schäftigten Arbeiter auf ihren Gesundheitszustand zu untersuchen und
die von ihnen festgestellten Gewerbekrankheiten oder als solche vei-
dächtige Erkrankungen zur Kenntnis der Gewerbeaufsichts- und
Medizinalbeamten zu bringen, und zwar ohne Rücksicht auf die je¬
weilige gewerbliche Hochkonjunktur.
Wünschenswert ist die Erlangung einer zuverlässigen Krank¬
heitsstatistik über die bei Kassenmitgliedern vorgekommenen Er¬
krankungen. Zu diesem Zwecke ist die Einführung einer ärztlichen
Meldekarte zu fordern, auf der von dem Kassenarzte wöchentlich die
Diagnose der von ihm behandelten Krankheiten, sowie ihre Dauer und
ihr Ausgang zu vermerken ist. nachdem von der Kassenverwaltung
Namen, Beruf (auch frühere Berufe) und Alter sowie die Nummei
des Krankenscheines vorsretragen ist, und die, um den Aizt (juicli
Rücksichtnahme auf den Patienten in der genauen Eintragung der
Diagnose nicht zu behindern, an das nächste statistische Buteau gc-
sandt wird.
IV. Die Gartenstadt.
Referent: Professor Dr. C. J. F u c h s - Freiburg i. B.
Die Wissenschaft hat die Aufgabe, zu prüfen, inwieweit die Be¬
wegung .der Gartenstadt einer Verwirklichung möglich ist. Die erste
Vertretung dieser Idee finden wir in Deutschland, praktisch kam sie
dagegen zuerst in England zur Ausführung. Die Flucht von dem
Lande und die dadurch bedingte Wohnungsnot in den Städten machte
diese Frage immer brennender. Die Landarbeiter der grossen
Farmen haben in England keine Möglichkeit, aufzusteigen und Land
zu erwerben, sie wandern daher in die Städte aus, hier sind die Woh¬
nungsverhältnisse besonders schlecht. In diesen ganz eigenartigen
Verhältnissen der Besiedelung und Agrarverfassung, der Verteilung
der Bevölkerung auf Stadt und Land und der zunehmenden En
völkerung des platten Landes wurzelt die Gartenstadtbewegung.
Neben dieser Agrar- und Besiedelungsfrage hat sie ihre Wurzel in
der Citybildung“ und der damit zusammenhängenden charakteristi¬
schen englischen Wohnungsweise, der Trennung des Wohnorts von
der Arbeitsstätte. Diese hat namentlich für den gelernten Ai beiter,
bis auf welche sie sich erstreckt, bereits vielfach ein zu grosses Mass
angenommen. Auch das Fehlen eines Bebauungsplans begünstigt
immer mehr die Möglichkeit der gesundheitsmässigen Ausnutzung des
Grund und Bodens. Es fehlen die öffentlichen Platze.
Die Gartenstadtbewegung erstrebt in England die Beseitigung dei
Uebervölkerung der Städte einerseits und der Entvölkerung des
platten Landes andererseits durch Dezentralisation der
städtischen Bevölkerung und ihrer Arbeitsgelegenheiten, also ins¬
besondere der Industrie. Sie bezweckt also die Schaffung neuer
kleiner Industrie- und Wohnorte von 30 000 Einwohnern,
welche einen eigentlichen Stadtkern mit Handel und Gewerbe haben
sollen, um den sich gartenmässig angelegte Wohnviertel und dann auf
dem grössten Teil des Geländes kleine landwirtschaftliche Betriebe
herumlegen sollen. Es sollen also dadurch zur Deckung des Bedarfs
dieser neuen Städte an landwirtschaftlichen Produkten gleichzeitig
landwirtschaftliche Kleinbetriebe geschaffen werden, und so eine
engere Verbindung von Landwirtschaft und Industrie, von Stadt und
I and hergestellt werden. Als notwendig für die Sicherung dieses
Zweckes wird dabei Gemeineigentum der Stadt an ihrem ganzen Ge¬
lände erachtet. Der erste in Verwirklichung begriffene Versuch einer
solchen Gründung ist die Gartenstadt Letchworth nördlich von
London n MQartenstädten“ im eigentlichen Sinn ist die garten-
mässige Anlage von Vororten, d. h. reinen \V o h n o r ten insbe¬
sondere für Arbeiter, in der Nähe der Gressstädte zu untei scheiden,
also die wirtschaftliche und namentlich ästhetische Reformierung dei
suburbs, in denen in England schon jetzt die i Mehrzahl der st^schen
Bevölkerung wohnt. Hier handelt es sich a’so um ..Gartenvorstädte
nicht um Gartenstädte im engeren Sinn. Musterbeispiele dafür sin.
in England Port Sunlight bei Liverpool und Bournvi le.
In Deutschland besteht bei seinen ganzheh abweichende i
Agrar- und Besiedelungsverhältnissen weder das gleiche Beduifms
noch die gleiche Möglichkeit für Gartenstädte im engeren Sinn. H er
kann es sich daher bei der Gartenstadtbewegung vorwiegend nur um
Gartenvorstädte handeln, Vorstädte mit gartenmassiger Bebauung
Dies gilt auch von der ersten im Entstehen begriffenen ‘ Gruntj^
Deutschen Gartenstadtgesellschaft in Ruppur be' Karlsruhe. Die aus
gedehnte Gründung von solchen Gartenvorstädten ist abei vo.i
2010
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
grösster Bedeutung für die Emanzipation von der Mietskaserne in den
Aussenbezirken unserer Städte und damit für die Schaffung ge¬
sünderer und kulturell höherstehender Wohnungsverhältnisse für
unsere Mittel- und Arbeiterklassen.
Zu ihrer Einbürgerung sind neben entsprechender Gestaltung der
Bebauungspläne und Bauordnungen (vor allem Unterscheidung von
Wohn- und Verkehrsstrassen und Herabsetzung der Anforderungen
für Kleinhäuser) ausgedehnte Anwendung des Erbbaurechts durch
Staat und Städte sowie entsprechende Enwicklung der Verkehrsmittel
notwendig.
V. Der moderne Krankenhausbau vom hygienischen und wirtschaft¬
lichen Standpunkte.
Referent: Prof. Dr. L e n h a r t z - Hamburg.
Von 1877 bist 1904 ist die Zahl der allgemeinen Krankenhäuser
im Deutschen Reiche von 1822 auf 3603, die der Krankenbetten von
72219 auf 205 117 gestiegen. Welches ist nun die zweckmässigste
Anlage neuer Anstalten? Am besten lässt sich dies entscheiden auf
Grund von Erfahrungen, welche von den einzelnen Anstalten gemacht
wurden, ferner auf Grund des Plänestudiums und der persönlichen
Erfahrungen. Die Erfahrungen des amerikanischen Bürgerkrieges und
von 1870 71 verwarfen den Korridorbau und führten zur Errichtung
des reinen Pavillonsystems. Den einfachen Anfang hiervon bietet
die Krankenanstalt in Moabit, besser ausgebaut die in Eppendorf. Es
handelt sich um meist einfache, von Norden nach Süden gerichtete
Pavillons, denen allmählich zu dem grossen Krankensaal von 30 bis
34 Betten ein Tagraum, einige Einzelzimmer für das Pflegepersonal
und Absonderungszwecke nebst den nötigsten Nebenräumen zuge¬
fügt wurden. Die Wirtschafsräume sind peripher gelegen, in der Mitte
der Operationsraum.
Allmählich kommt jedoch wieder ein neuer Typ zur Anwendung
und zwar vor allem wegen der Annehmlichkeit von kleineren Sälen,
aus ärztlich-technischen und sozialen Gründen. Die_ zweistöckigen
Pavillons haben jetzt 4 Säle und zahlreiche Absonderungsräume. Da¬
neben macht sich für manche Krankengruppen die Notwendigkeit
von Korridorhäusern fühlbar. Beim Rudolf-Virchow-Krankenhaus
wird durch Verlängerung der Pavillons die Zahl der Einzelzimmer
vermehrt, es kommen nur noch 10 Kranke in ein Zimmer. Düsseldorf
hat mehrstöckige Korridorbauten kleineren Umfangs, die über das
Anstaltsgebäude verteilt sind (gemischtes System). In München und
Wien baut man 3 bezw. 6 geschossige Korridorhäuser, geht also in die
Höhe. Auch moderne Krankenhäuser wurden in den letzten Jahren
im reinen Korridorsystem gebaut.
Die Erfahrungen, die in den letzten 30 Jahren auf dem Gebiet
des Krankenhausbaues gewonnen sind, lehren, dass nur durch ein¬
mütiges Zusammenwirken von Aerzten und Architekten mustergültige
Anstalten geschaffen werden.
Andererseits beweist die neueste und grassartigste Schöpfung
auf diesem Gebiet, dass die architektonischen Rücksichten nicht den
Bau beherrschen dürfen, sondern die hygienischen Forderungen als
ausschlaggebend voranzustellen sind. (Virchow-Krankenhaus in
Berlin!)
Die Rücksichten auf das Wohl der Kranken und den ärztlich-
technischen Betrieb der Anstalt müssen nicht nur die Generalanlage
der Anstalt, sondern auch die Ausgestaltung aller einzelnen Kranken¬
gebäude bestimmen.
Bei Beachtung dieser grundsätzlichen Forderungen werden die
Anlagekosten nicht auf eine solche Höhe anwachsen. wie dies bei der
Voranstellung architektonischer Wirkungen zu geschehen pflegt,
anderseits nicht unter das Mass herabsinken, das vom ärztlich-tech¬
nischen Standpunkte aus gefordert werden muss. Wirtschaftliche
und sozialpolitische Erwägungen verdienen neben den hygienischen
und technischen volle Würdigung. Die Kosten für ein Bett sollten
möglichst 6000 Mark nicht übersteigen.
Die Grösse der Anstalt wird in erster Linie von den örtlichen
f'orderungen bestimmt. Aus den verschiedensten Gründen ist es rat¬
sam, 1500 Krankenbetten als höchst zulässige Zahl festzulegen.
Welches System kann nun zurzeit bei Neuerrichtung eines Kranken¬
hauses empfohlen werden?
Je nach der Grösse und Aufgabe der Anstalt, den örtlichen Be¬
dingungen und den klimatischen Verhältnissen ist die Anlage im Pa¬
villon-, Korridor- oder gemischten Stil zu empfehlen. Bei allem ist
für die Schaffung grosser, schöner, für die Patienten leicht erreich¬
barer Gartenanlagen Sorge zu tragen.
Jedes System hat seine Licht- und Schattenseiten: je zerstreuter
die Anlage der einzelnen Krankenhausbauten, um so günstiger die all¬
gemeinen hygienischen Verhältnisse für die Kranken, insbesondere
bezüglich der Vorbeugung von Hausinfektionen, um so schwieriger
und kostspieliger aber auch die ärztliche und wirtschaftliche Ver¬
sorgung. Durch die Anlage zweistöckiger Pavillonbauten wird ein
gewisser Ausgleich geboten.
Das Pavillonsystem verdient besonders bei grossen Kranken-
hausanlagen den Vorzug. Aber auch bei der Pavillonanlage wird man
für manche Krankengruppen nicht auf Korridorhäuser verzichten
dürfen, die fiir kleinere Anstalten am zweckmässigsten sind. Augen-,
Ohren-, Halskranke, Rheumatiker, Nierenkranke und Deliranten sind
in den Korridorhäusern weit besser aufgehoben, wie bpi den meist
allzu luftigen und aus verschiedenen anderen Gründen weniger ge¬
eigneten Pavillons.
Kleinere Krankenhäuser. 5 — 600 Betten, können sich des Korridor¬
systems bedienen, besonders wenn einige Pavillons für Isolierung zur
Verfügung stehen.
Bei dem Generalplan einer Krankenhausanlage sind nicht
nur alle hygienischen und ärztlich-technischen Forderungen zu be¬
rücksichtigen, soweit sie sich auf die Trennung der Geschlechter, der
inneren, chirurgischen und Infektionsabteilungen und die Unter¬
bringung des HausDersonals beziehen, sondern vor allem auch durch
die Gruppierung des Operations-, Röntgen-, Turn- und Badehauses,
sowie der Apotheke und Wirtschaftsgebäude auf das sorgfältigste zu
überlegen, damit sie von den Krankenstationen leicht erreicht werden
können, und die wichtige Frage des Speisetransports bestmöglichst
gelöst wird.
Während alle diese Fragen bei kleineren Pavillon- und den
Korridoranstalten nur geringen Schwierigkeiten begegnen, wachsen
letztere beträchtlich mit der Grösse der Krankenhäuser, die in reinem
Pavillonstil gebaut sind.
Diese Schwierigkeiten haben zu mancherlei Auswegen geführt.
Man hat die Zahl der Geschosse auf 3 bis 4 vermehrt oder durch lang¬
gestreckte Pavillons in geringeren Abständen von einander oder durch
Verbindungsgänge die Mängel der Anlage zu beseitigen gesucht. Allen
diesen Auswegen haften aber solche Fehler an, dass man ihnen nur
mit bestimmten Einschränkungen zustimmen darf.
Bei der Innen anlage der verschiedenen Anstaltsgebäude ist
der übersichtlichen Anordnung der Einzelräume, den Belichtungs-,
Lüftungs- und Heizungsverhältnissen die grösste Sorgfalt zu widmen.
Labyrinthische Gliederungen sind streng zu vermeiden. Die Anlage
der Wände, Türen und Fussböden verdient grösste- Sorgfalt. Die
Fenster aller Krankenräume sind möglichst bis zur Decke zu führen
und nicht nur mit grossen, einen freien Ausblick gestattenden Fenster¬
flügeln, sondern auch mit Kippflügeln zu versehen. Die jetzt bei den
Wohnhäusern vielfach beliebte Butzenscheibeneinteilung ist zu be¬
kämpfen. Ausser der vom Wartepersonal leicht zu handhabenden
Lüftung mit Kippflügeln sind die sonst üblichen automatischen Venti¬
lationsvorrichtungen nicht zu umgehen. Für die Heizung kommen nur
zentrale Anlagen in Betracht, ebenso für die elektrische Beleuchtung.
Während einem grossen Teil der in den Korridorhäusern
gelegenen Krankenräumen der Nachteil anhaftet, dass sie bei ent¬
sprechender Tiefe nicht immer genügend zu belichten und schwierig
zu lüften sind, auch eine zu ausgiebige Luftverbindung zwischen den
einzelnen Geschossen und den zahlreichen Einzelräumen fast unver¬
meidbar ist, bieten die P a v i 1 1 o n anlagen andere Fehler, die zum
Teil zwar vermieden werden können, zum Teil dem System anhaften.
Für Augenkranke sind die von 2 oder gar 3 Seiten belichteten Pa¬
villons nicht brauchbar. Rheumatismuskranke sind zu viel Zug aus¬
gesetzt u. a. m. Die übermässige Grösse der Pavillonsäle bedingt
viele Schattenseiten: Infektionen können sich einer grösseren
Krankenzahl mitteilen, die Gemütlichkeit fehlt, unruhige, in sozialer
Beziehung ungünstige Elemente stören 30 und mehr Kranke gleich¬
zeitig.
Absonderungsräume sind daher nötig für unruhige, sterbende,
übelriechende und vor allem für infektionsverdächtige Fälle. Diese
Räume müssen so gelegen sein, dass wenigstens vorübergehend eine
wirkliche Abtrennung möglich ist. Auf Kinderabteilungen kann man
durch verstellbare Boxes einen Notbehelf schaffen — besondere Iso¬
lierzimmer sind vorzuziehen, am meisten sind kleine Isolierpavillons
zu empfehlen.
An sonstigen Nebenräumen sind ausser guten Wohnzimmern für
das Pflegepersonal hinreichend grosse Räume für Theeküchen, An¬
staltswäsche- und Kleidermagazine vorzusehen. In dieser Beziehung
sind an vielen Orten Fehler gemacht.
Auch bei den Badezimmern ist auf genügende Grösse Wert zu
legen: Wascheinrichtungen müssen für die Aufpatienten in genügender
Zahl vorhanden sein. Die Abortanlagen sind möglichst gross vor¬
zusehen. Sie dürfen keine Gerüche in die Krankenräume abgeben
und müssen leicht erreichbar sein. Ihre Grösse ist so zu bemessen,
dass Auswurf. Harn, Erbrochenes und Stuhlentleerungen bis zur ärzt¬
lichen Besichtigung aufbewahrt, und. die betreffenden Gefässe daselbst
leicht gereinigt werden können. Die Anlage von besonderen Des¬
infektionseinrichtungen auf den Krankenstationen für die Behandlung
der Wäsche, des Auswurfs und sonstiger Entleerungen von Kranken
ist überflüssig und durchaus nicht wünschenswert.
Für die von den Kranken mitgebrachte Kleidung sind besondere
Gelasse nötig. Nur für kleinere Anstalten genügt ein zentraler Auf¬
bewahrungsraum, für grosse (mit 1000 und mehr Betten) sind viel¬
fache Kammern einer zentralen vorzuziehen.
Wohl aber sind tadellose zentrale Anlagen für die Desinfektion
der verdächtigen Kleidungsstücke, der infizierten Wäsche und dergl.
nötig, während die Abwässer der Krankenstationen am zweck¬
mässigsten in Sielgrubenhäusern desinfiziert und alle festen infektiösen
Abfälle, wie gebrauchte Verbandstoffe usw. in eisernen Behältern
gesammelt und im Verbrennungsofen vernichtet werden müssen.
Korreferent: Baurat E. R u p p e 1 - Hamburg.
Für die hygienisch einwandfreie und zweckmässige bauliche Ge¬
staltung eines modernen Krankenhauses kommen vom wirtschaftlich¬
technischen Standpunkt aus folgende wesentliche Gesichtspunkte in
Betracht:
Für die Gesamfgruppierung der einzelnen Teile eines Kranken¬
hauses gilt als Hauptgrundsatz: möglichste Trennung aller für den
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2011
eigentlichen Krankendienst bestimmten Gebäude oder Räume von
allen übrigen Räumen und Nebenbetrieben, scharfe Trennung der In¬
fektionskranken von den allgemeinen Kranken und möglichste Schei¬
dung der Kranken nach Geschlecht, Krankheitsgattung, Alter usw.
Wenn auch aus allgemeinen hygienischen Rücksichten eine mög¬
lichste Dezentralisierung aller Kranken anzustreben ist, so erscheint
doch aus wirtschaftlichen Gründen bei kleineren und mittleren An¬
stalten bis zu etwa 200 Betten die Vereinigung in einem einheitlichen
Bau durchaus zweckmässig und bei Berücksichtigung der For¬
derungen der modernen Gesundheitstechnik auch hygienisch unbe¬
denklich. Bei grösseren Anstalten verdient jedoch das Pavillon¬
system jedenfalls den Vorzug.
Bei letzterem sind alle Gebäude übersichtlich, zweckentsprechend
und den freien Luftströmungen sowie der Sonne gut zugänglich,
ausserdem aber derart anzuordnen, dass die einzelnen Betriebe sich
nicht gegenseitig stören. .
Nach der Grundrissgestaltung der Krankengebäude sind 3 Haupt-
arten zu unterscheiden, nämlich: Korridorbauten, Pavillonbauten und
kombinierte Korridor-Pavillonbauten, von denen jede Art für sich
bestimmte Vorzüge besitzt und daher je nach dem zu erfüllenden
Zweck zur Anwendung zu bringen ist. Jedenfalls bieten die Pavillon¬
bauten die besten hygienischen Verhältnisse, sie haben von 2 Seiten
Luft und Licht, Tagräume, Theeküchen, Bade- und Abortanlagen
können leicht angefügt werden. Die kombinierten Korridor-Pavillon-
bauten sind zu empfehlen für Infektionsgebäude wegen der grossen
Erleichterung der Isolierung’. Die Einschaltung fester Brandmauern
ist jedoch nötig. „ , . , „ , .
Bei der grossen Verschiedenheit der Bedürfnisse und Zwecke in
den allgemeinen Krankenhäusern haben sich, in Deutschland wenig¬
stens, stereotype Grundrissformen nicht herausgebildet.
Gegen die grosse Mannigfaltigkeit der Grundrissgestaltung selbst
sind im allgemeinen solange keine Bedenken zu erheben, als die For¬
derungen der Gesundheitstechnik überall befriedigend erfüllt werden.
Die Geschosszahl der Krankengebäude soll abgesehen von dem
Kellergeschoss aus hygienischen und wirtschaftlichen Gründen mög¬
lichst nicht über 2 (Erdgeschoss und Obergeschoss) hinausgehen, wo¬
bei es keinem Bedenken unterliegt, in einem 3. Stock oder ausgebauten
Dachgeschoss Wohnungen für Personal und sonstige Räume unter-
ZUbrlBe? "der Konstruktion der Krankengebäude und ihrer baulichen
Durchbildung muss als Leitstern dienen die möglichst ausgiebige,
direkte Zuführung von Licht und Luft zu allen Räumen, sowie mög¬
lichste Erleichterung der Reinhaltung der Räume und zwar nicht nur
aller Bauteile derselben, sondern auch der Luft und aller Gegen¬
stände in ihnen. . .
Alle Konstruktionsmaterialien müssen leicht reimgungsfahig und
desinfizierbar sein; besondere Beachtung verdienen hierbei die Fuss-
böden, Wände und Decken, auch die Gasleitungen, Warm wasser¬
körper. In neueren Krankenanstalten werden daher die Heizflächen
mit Deckeln, die aufgeschraubt werden, völlig abgeschlossen. Bei der
Fussbodenbesprechung weist Referent darauf hin, dass ein völlig ein-
wandsfreier Fussboden noch nicht gefunden ist.
Die Desinfektion von Wäsche, Fäkalien usw. sollte, soweit es
sich nicht um gemeingefährliche, ansteckende Krankheiten handelt,
aus wirtschaftlichen, praktischen Gründen nicht dezentralisiert, son¬
dern möglichst zentralisiert werden, durch diese Zentralisierung wird
eine bessere Desinfektion gewährleistet, als wenn sie in jedem
Pavillon, von verschiedenen Leuten gehandhabt wird.
Für die Heizung, Lüftung und Warmwasserbereitung werden am
zweckmässigsten zentrale Anlagen vorgesehen. Am besten bewährt
haben sich die Niederdruckdampfheizungen und Warmwasser¬
heizungen, auf deren gute, sachgemässe Herstellung sowohl im
hygienischen Interesse, als auch im Interesse eines ökonomischen und
durchaus sicheren Betriebes das grösste Gewicht zu legen ist, grössere
Krankenanstalten brauchen ein besonderes Kesselhaus und besondere
Heizkanäle, die gut zugänglich sein müssen, jedoch nicht als Passage
benützt werden sollen.
Für die Lüftung der Krankenräume sind zwar die überall her¬
zustellenden oberen Kippflügel der Fenster von grosser Bedeutung,
für eine notwendige ständig wirkende Ventilation sind jedoch künst¬
liche Lüftungseinrichtungen nicht zu entbehren. Von diesen ver¬
dient die Pulsionslüftung, die sich allerdings auch am teuersten stellt,
wegen ihrer jederzeit sicheren, beliebig zu regulierenden Wirkung
vor allen anderen den Vorzug, zumal dieselbe auch eine Reinigung der
Luft durch Filter und dergleichen gestattet.
Einer besonders sorgfältigen baulichen Durchbildung bedürfen
die Operationsräume in bezug auf leichte Reinhaltung und Ausspritz-
barkeit, auf reichliche, reflexfreie Lichtzuführung, möglichst reiner
Frischluft; die Operationsräume müssen nach Norden gelegen sein,
Wände und Decken sind am besten zu verglasen, Wände und Fuss¬
boden müssen gut durchheizbar sein.
Die modernen hydrotherapeutischen Anlagen erfordern neben
einem allgemeinen zentralen Ruhe- und Ankleideraum einen grösseren
Duscheraum für die verschiedensten Wasser- und Dampfduschen, für
ein Bassinbad usw., während je nach Erfordernis noch weitere Bade-
einriohtungen, Dampf- und Heissluftschwitzkästen, elektrische Licht¬
bäder, Sand-, Kohlensäure-, Sol-, Moor-, elektrische Lichtbäder, per¬
manente Wasserbetten, und dergleichen auf einzelne Räume zu ver¬
teilen sind; der meist gemeinsame Massageraum ist so zu anzuordnen,
dass er allseits leicht zugänglich ist.
Alle für Badezwecke dienenden Räume sind besonders wider¬
standsfähig gegen die Einwirkungen der Feuchtigkeit, des Dampfes
usw. herzustellen.
Die Wirtschaftsräume (Koch- und Waschküche) sind für einen
guten Betrieb mit einer gewissen Weiträumigkeit und bereits bei der
ersten Anlage schon mit Rücksicht auf spätere Erweiterungen hei zu¬
stellen. Neben den Dampfkocheinrichtungen empfehlen sich für
direkte Feuerungen Gasherde und Gasbratöfen. In grösseren An¬
stalten erweist sich oft die Verbindung maschineller Anlagen mit der
Kesselanlage zur Erzeugung von Elektrizität fiii Licht- und Kiatt-
zwecke, zur Eisbereitung, zum Betrieb für Pumpen bei einer eigenen
Wasserversorgung und zu sonstigen Zwecken als seht wn tschaftlich.
Mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen Kosten moderner
Krankenhausbauten erscheint im Interesse einer gesunden Weiter¬
entwicklung des Krankenhausbauwesens und einer grosseren Ver¬
breitung desselben auch auf kleinere, weniger finanzkräftige Ge¬
meinden, eine strenge Sparsamkeit in allen Dingen, die dem eigent¬
lichen Zweck nicht dienen, geboten, jedoch ohne dass die hygienischen
Forderungen irgendwie beeinträchtigt werden.
Zur Sicherstellung eines glatten, ordnungsmässigen und spar¬
samen Betriebes sind die vielgestaltigen und zum Teil komplizierten
Einrichtungen eines Krankenhauses so zu gestalten, dass sie für das
Betriebspersonal möglichst leicht verständlich sind und lhie Hand¬
habung eine über ein gewisses Mass hinausgehende Muhe und Sorg¬
falt nicht erfordert. Je mehr die Fortschritte der Gesundheitstechnik
diesem wichtigen wirtschaftlichen Gesichtspunkt Rechnung tiagen,
um so wertvoller werden sie für die weitere Entwicklung des
Y rnnkpnhausbauwesens sein.
S. M.
Naturhistorisch-Medizinischer Verein Heidelberg.
(M edizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 30. Juli 1907.
Herr Jordan: Ueber abdominelle Exstirpation des
Rektum (mit Vorstellung operierter Fälle).
Diskussion; Herren Schottländer, Krehl Jordan.
Herr R. O. Neumann: Ueber die Weiterentwicklung der
Vogelmalariaparasiten in der Stegomya fasciata.
Dem Vortragenden ist es nach vielen mühevollen Ver¬
suchen gelungen, den vollständigen Entwicklungsgang des
Proteosoma in der Stegomya fasciata zu verfolgen und die
weitere Uebertragung von seiten der Stegomya auf Kanarien¬
vögel zu bewerkstelligen. Es ist damit zum erstenmale gezeigt,
dass aus der Familie der Culiciden auch die Gelbfiebermücke
Proteosoma übertragen kann. Die einzelnen Entwicklungs¬
phasen wurden durch zahlreiche mikroskopische Präparate
erläutert. Die Arbeit wird in der Zeitschrift für Hygiene und
Infektionskrankheiten ausführlich erscheinen.
Diskussion: Herren v. Wasielewski, Neu mann
Herr Gorowitz: Vitale Darstellung einer Markscheiden¬
struktur an peripheren Nerven.
Im Januar 1907*) habe ich hingewiesen auf eine mittels
Lithionkarmin vital dargestellte radiäre und netz¬
förmige Struktur der Markscheide peripherer
Nerven. Von weiteren Arbeiten in diesem Sinne ist wohl eine
Klarstellung des Gegenstandes zu erhoffen, wie sie bereits von
Spuler, Ernst, Fuchs u. a. in Angriff genommen wurde.
So hat in der vorhergehenden Sitzung unseres Vereins Prof.
Ernst vom „Radspeichenbau“ der Markscheide gesprochen
und die Frage nach Präexistenz oder Artefakt dieser Struktur
erörtert. Heute möchte ich die Reihe der Beweise für die
Präexistenz fortsetzen.
Die von Spuler, Ernst, Fuchs und mir dargestellten
Strukturen dürfen wohl als identisch angesprochen werden, nur
unterscheidet sich die Darstellung: die erwähnten Autoren fär¬
ben postmortal, allerdings auch an lebensfrisch gewon¬
nenem Material, — meine Methode ermöglicht aber die Dar¬
stellung der Nervenstruktur nicht nur am fixierten Präparat,
sondern auch in vivo, im Körper selbst.
Fröschen, die als Untersuchungsobjekt gewählt, wurden
Injektionen von 3,5 Proz. Lithionkarminlösung in den Lymph-
sack gemacht. Einige Zeit nach Wiederholung der Ein¬
spritzungen innerhalb mehreren Tagen ist es mir gelungen, in
der möglichst dünn ausgezogenen Zunge die Netzstruktur zu
beobachten.
*) Zentralbl. f. ^llg. Pathol. u. pattjol. Anat., XVIII. Bd., No. 1.
19077
2012
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Auch an lebensfrischen, unfixierten Zupfpräparaten kommt
die Struktur zum Vorschein. Dieser Befund spricht sehr,
glaube ich, für die Präexistenz der radiären und netzförmigen
Struktur der Markscheide. Der Vergleich der Uebersichts- und
Schnittpräparate ermöglicht diese Struktur in zwei Kompo¬
nenten zu zerlegen, in demselben Sinne wie es Hugo Fuchs
getan: Längs der Markscheide, zwischen derselben und der
Schwann sehen Scheide einerseits und zwischen ihr und dem
Achsenzylinder anderseits findet sich jeweils ein netzförmiges
Ocriist von der Struktur und Anordnung des Ewald-
Kühn e sehen Neuraceratingerüstes; die Knotenpunkte der
beiden Netzwerke sind durch Stäbchen miteinander verbunden
— E r n s t s „Radspeichen“.
Die Frage der Bedeutung dieses Ergebnisses für die patho¬
logische Anatomie ist bis jetzt noch nicht ausgearbeitet. Einen
Fingerzeig in diesem Sinne gibt jedenfalls u. a. auch von mir
beobachtete Veränderlichkeit der Radspeichen und des Netzes
unter pathologischen Bedingungen. Als Beispiel sei erwähnt:
Bald nach der Zerrung, Durchschneidung etc. des Nerven tritt
eine Veränderung in der Markscheide im Sinne der Lockerung
bis zum vollständigen Schwunde der Radspeichen ein.
Somit ermutigt das bisherige Resultat dazu, die Unter¬
suchungen in erweitertem Masse auf pathologisches Material
auszudehnen.
Medizinische Gesellschaft in Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Juli 1907
im Heinrich-Kinder-Krankenhaus.
Herr v. Starck stellt zunächst 2 Kranke vor, welche sich be¬
reits längere Zeit in Behandlung resp. Beobachtung der medizinischen
Poliklinik befinden und ein gewisses Interesse bieten.
L 61 jähriger Tischler, bei welchem vor 3Vz Jahren die Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose auf eine Neubildung der Pleura gestellt wurde
und der jetzt gesund und arbeitsfähig ist.
Aus gesunder Familie stammend und früher nie ernstlich krank,
wurde er Herbst 1903 von Atembeschwerden und quälendem Husten
befallen, die nach und nach Zunahmen und ihn nötigten, seine Arbeit
ganz einzustellen und sich in Behandlung der Poliklinik zu begeben.
Status am 10. XI. 03: Mittelgrosser Mann in mässigem Er¬
nährungszustände. Hautfarbe im allgemeinen blass, L'ippen leicht
zyanotisch. Klage über heftige Hustenanfälle ohne Auswurf. Linke
1 horaxhälfte bleibt bei der Atmung stark zurück; Dämpfung über dem
grösseren Teil derselben, T r a u b e scher Raum verkleinert. Stimm-
fremitus aufgehoben; Atmungsgeräusch sehr leise. Keine Drüsen in
der linken Supraklavikulargrube zu fühlen; rechte Lunge ganz
frei; ebenso Herz und sonstige Organe ohne Besonderheiten. Urin
ohne A. und Z.
Prob.epunktion in der linken Axillargegend: ausgesprochen
hämorrhagisches Exsudat, in dessen Sediment vorwiegend rote Blut¬
körperchen, einzelne weisse (darunter einmal eine eosinophile ge¬
sehen) und sehr zahlreiche Pleuraendothelien. Dieselben sind teils
einzeln, teils in grossen und kleinen Verbänden vorhanden; im all¬
gemeinen von regelmässiger Form und normaler Färbfähigkeit;
manche Zellen sind aber enorm gross, der Kern ist ganz an die Peri-
plierie gerückt und färbt sich schlecht, das Ganze zu einem unbestimm-
teil, blassen Gebilde geworden. Andere Zellen zeigen das Bild fettiger
Degeneration oder enthalten grössere und kleinere Vakuolen. Deut¬
lich Tumorelemente werden nicht gefunden.
Die Diagnose lautete auf Grund der allmählichen Entwicklung des
Leidens, des Alters des Patienten, der Beschaffenheit des Exsudats,
des Befundes so zahlreicher Endothelien, und in zusammenhängenden
Verbänden in demselben.^ sowie des Polymorphismus und der De¬
genei ationsfor men der Zellen, der erheblichen Atembehinderung
(Starrheit der linken Thoraxhälfte), Manvel eines Anhaltspunktes für
I uberkulose und einer sonstigen entzündlichen Affektion dahin, dass
wahrscheinlich eine Neubildung der Pleura, und zwar ein
Endotheliom besteht.
Die Entleerung von 300 ccm Flüssigkeit gab dem Patienten
wesentliche Erleichterung.
Als Medikament wurde Jodkali 3 mal 0,5 pro die gegeben.
Der weitere Verlauf gestaltete sich derart, dass die Flüssigkeit
sich zunächst immer wieder ansammelte, so dass während der folgen¬
de.!1 3 Monate noch 6 Punktionen gemacht werden mussten. Die
1 liissigkeit wurde zuerst dunkler, schwärzlich rot bezw. braunrot und
enthielt regelmässig sehr zahlreiche Endothelien. Das Allgemeinbefin¬
den des Patienten verschlechterte sich nicht, auch traten keine ver¬
dächtigen Drüsenschwellungen auf. die Hustenanfälle wechselten an
Intensität. Weiterhin wurde das Exsudat wieder heller und kehrte
langsamer wieder. Patient erhielt darauf als Medikament Natr.
salicvlic. Sein Befinden besserte sich; Ende Februar 1904 wurde die
letzte Punktion gemacht. Zwar bestand auch nach derselben noch
ausgesprochene Atemnot (Verdickung und Starrheit der Pleura?),
aber Patient fühlte sich soviel wohler, dass er daran dachte, sich
wieder zu beschäftigen. Er entzog sich auch mehrere Monate der
Beobachtung. August 1904 erschien er wieder, ganz zufrieden mit
seiner Gesundheit. Sein Körpergewicht, welches Ende des Jahres
1903 122 Pfund betrügen hatte, war um 3 Pfund gestiegen, es fand
sich über dem unteren Teil der 1. Thoraxhälfte h. u. noch aus¬
gesprochene Dämpfung und abgeschwächtes Atmen; die Atembehinde-
rung war aber erheblich geringer als früher und Hustenanfälle
traten kaum noch auf.
Im folgenden Jahre kam Patient wieder, klagte noch über Kurz¬
atmigkeit, als deren Ursache derselbe Befund erhoben wurde, wie
ein Jahr früher; das Allgemeinbefinden liess aber nichts zu wünschen
übrig, und Patient beschäftigte sich wieder in seinem Beruf.
Nach und nach sind dann auch die letzten Veränderungen im '
Bereich der 1. Thoraxhälfte verschwunden, so dass weder durch
Perkussion und Auskultation noch durch die Röntgenuntersuchung
etwas Abnormes nachzu weisen ist.
Patient arbeitet wieder wie früher und ist beschwerdefrei.
Die Diagnose auf eine Neubildung kann nicht richtig 'gewesen sein.
Es bestand aber eine hämorrhagische Pleuritis mit
Abstossung reichlicher, zum Teil degenerierter
E n d o t h e Pi e n, ein Befund, der sowohl gegen entzündliche Affek¬
tionen als gegen Tuberkulose spricht. Die Pleuraaffektion entwickelt
sich allmählich bei einem sonst gesunden, nicht zu Blutungen neigen¬
den Mann, Ende der Fünfziger. Eine Neubildung anzunehmen lag
derzeit am nächsten, aber der Verlauf hat die Gutartigkeit der Erkran¬
kung bewiesen.
2. Einen Fall von typischer Akromegalie (früher beschrieben in
der Kieler Dissertation von F. Meyer, 1894). Bei dem jetzt
61 jährigen Mann handelt es sich um die gewöhnliche chronische
Form; die ersten deutlichen Symptome liegen ca. 21 Jahre zurück.
In den letzten Jahren hat sich eine schwerere Glykosurie bei dem
Patienten entwickelt.
Die Ursache der Krankheit 'ist auch im Laufe der langen Be¬
obachtung dunkel geblieben. Symptome eines Hypophysistumors
fehlen; weder bestehen darauf zu beziehende Gesichtsfeldstörungen
(bitemporale Amblyopie) noch ergibt das Röntgenbild einen deutlichen
Schatten in der Nähe der Sella turcica, Wie ihn Immelmann in
mehreren Fällen von Akromegalie nachweisen konnte.
v. St. macht weiterhin die angemeldete Mitteilung über Nieren¬
erkrankungen im Säuglingsalter. (Wird in den Mitteilungen des
Vereins schleswig-holsteinischer Aerzte erscheinen.)
Herr Mixius: Die Albuminurie im Entwicklungsalter.
Anschliessend an die Krankengeschichte eines Falles aus der
Klientel des Herrn Prof. v. Starck — es handelte sich um Albu¬
minurie bei einem jetzt 16 jährigen jungen Mann, der Offizier wer¬
den will — betont der Vortragende die ausserordentliche Wichtigkeit
der Frage nach der Prognose einer Albuminurie für den Arzt, von
dem die Eltern der Kranken ein Urteil für die Gegenwart oder für die
Zukunft (Berufswahl etc.) verlangen. In England z. B. wird über den
erbrachten Eiweissnachweis sehr streng gedacht. Nach Dukes
sind Albuminuriker von Stellungen bei der Armee, Marine und im
Zivildienst ausgeschlossen. Infolgedessen sollen 10 Proz. der An¬
wärter abgewiesen werden. Der Vortragende geht auf die Leube-
sche Feststellung der physiologischen Eiweissausscheidung ein. Bei
jeder Albuminurie, die mit den üblichen Proben des klinischen Labora¬
toriums nachweisbar ist, hat sich der Arzt zu fragen, ob es sich ledig¬
lich um eine Albuminurie oder um eine anatomische Veränderung des
Nierengewebes handelt. Von den Albuminurien ist eine besonders
hervorgehoben und als eigene Krankheit hingestellt worden und
mit den verschiedensten Namen bedacht worden, von denen der von
Heubner gewählte der orthotischen Albuminurie der gebräuch¬
lichste ist. Der Vortragende möchte diese Art der Albuminurie nicht
so streng wie Heubner von den anderen im Leube sehen Sinne
physiologischen Eiweissausscheidungen trennen und hält die von
Dukes gewählte Bezeichnung: Albuminuria adolescentiutn für zu¬
treffender. Der Prozentsatz der Albuminuriker bei Massenunter¬
suchungen ist allgemein ziemlich hoch angegeben. Der Vortragende
hat 280 Lehrlinge der Kaiserl. Werft zu Kiel im Alter von 15 bis
18 Jahren untersucht und bei 7.2 Proz. von ihnen Albuminurie ge¬
funden. Wichtig ist bei der Urinuntersuchung der Nachweis des in
der Kälte fällbaren Eiweisskörpers. Allerdings kommt ihm nicht
sichere d.ifferentialdiagnostische Bedeutung gegen Nephritis zu. wie
Langstein behauptet. Bei der Hel ler sehen Probe bildet er
einen zweiten, meist nebelartigen Ring. Vz— 1 cm über dem bekannten
Eiweissrinc. bei Ueberschichtung über verdünnter Essigsäure ent¬
steht ein Ring an der Grenze zwischen Urin und Säure. Nach Be¬
sprechung _ der klinischen Erscheinungen der Alb. adolescent. und
der über sie aufgestellten Theorien, nach eingehender Würdigung der
Debatte über orthot. Alb. in der Med. Gesellsch. zu Berlin und Be¬
leuchtung des Heubner sehen Sektionsfalles spricht sich der Vor-
tragervT für die Existenz einer Albuminurie im Entwicklungsalter aus,
die nichts mit einer anatomischen Nierenerkrankung zu tun hat, viel¬
mehr wohl vor allem auf kardiovaskuläre Störungen zu beziehen ist.
Allerdings ist wohl zu beachten, dass eine schleichend sich ent¬
wickelnde oder ausklingende chronische Nephritis auch das Bild der
Alb. adolescent. bieten kann. Hieraus ergibt sich für den Arzt: er
Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
2013
hat durch vielfache Urinuntersuchungen, bei denen das Suchen nach
Zylindern die Hauptrolle spielt, und durch lange Beobachtung fest-
zustellen, ob es sich nur um eine Albuminurie oder um Nephritis in
irgend einem Stadium handelt. Hierbei ist der Nachweis des durch
Essigsäure in der Kälte fällbaren Eiweisskörpers kein sicheres diffe¬
rentialdiagnostisches Symptom, aber doch ein wichtiger Fingerzeig,
der meist auf Albuminurie ohne Nephritis hindeutet.
Ist Alb. adolescent. festgestellt, so kann der Arzt eine absolut
günstige Prognose stellen und jeden Beruf für den Patienten zu¬
lassen.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Juli 1 907.
Vorsitzender : Herr Qoldschmidt.
Herr Neuberger demonstriert: 1. einen Fall von Ulcus rodens
am rechten Auge, der bis auf einen kleinen Rest mit Röntgenstrahlen
geheilt wurde.
2. Einen Fall von Lichen ruber universalis, unter Arsen geheilt,
dabei Auftreten ausgedehnter Arsenmelanose.
3. Einen Fall von Lichen ruber circumscriptus, ebenfalls mit Arsen
geheilt, unter umschriebener Arsenmelanose an der Stelle des Lichen
ruber.
Herr Theodor Schilling spricht :
1. Ueber ein alveoläres Osteosarkom des rechten Oberarm¬
kopfes, das interessante klinische Erscheinungen verursachte. Eine
Frau, wegen Herzleidens in Behandlung, bat um ein Zeugnis darüber,
dass sie den rechten Arm nicht hochheben könne. Sie war einer
strafbaren Handlung angeklagt, die nach ihrer Aussage diese Be¬
wegung des Armes zur Voraussetzung hatte. Gelegentlich einer
vor 6 Jahren bestehenden Schwangerschaft hatte sie sich einen Ge¬
lenkbruch des Oberarmkopfes zugezogen, dessen Heilung nur langsam
von statten ging. Die Untersuchung ergab denn auch eine erhebliche
aktive und passive Bewegungsbeschränkung des Schultergelenkes in
sagittaler wie frontaler Richtung. Ferner eine messbare Atrophie der
Muskulatur, besonders des rechten Oberarmes; ausserdem eine deut¬
liche Atrophie der Muskulatur ober und unter der rechten Schulter¬
blattgräte. Die Prüfung der elektrischen Erregbarkeit mit beiden
Stromesarten ergab sowohl für den Bizeps (galv.: 1,8 MA.
rechts gegen 0,9 MA. links; farad.: 3,3 RA. rechts gegen 2,4 links)
wie für die Mm. supra- und infraspinatus (galv.: 2,1 MA. links
gegen 6,5 rechts, bezw. 7,0 links gegen 8,0 rechts und farad.: 4,5 RA.
links gegen 5,4 rechts, bezw. 4,5 links gegen 5,5 rechts) eine deut¬
liche Herabsetzung, bei blitzartigen Zuckungen. Vortr. fasst die Atro¬
phie des Bizeps als Druckatrophie auf, bedingt durch eine Läsion
des den Bizeps versorgenden Musculo-iCiitaneus-Astes durch den
Knochentumor, während er den Schwund der beiden anderen Muskeln
als durch Inaktivitätsatrophie bedingt ansieht. Die Röntgenaufnahme
ergab ihm das wabenartige Bild eines alveolären Osteosarkoms als
Ursache der Störungen. Ob der Tumor schon vor der vor 6 Jahren
erfolgten Fraktur bestand und diese begünstigte, oder ob er sich
an diese anschloss, bleibt offen. Die Frau wurde vor einem halben
Jahre im städtischen Krankenhause operiert und fühlt sich jetzt wohl.
Vortr. weist im Anschluss an den Fall daraufhin, wie doch auch die
Neurologie hie und da aus Röntgenaufnahmen Nutzen ziehen könne.
2. Ueber ein kindskopfgrosses Osteosarkom eines Hundes, von
dem er ebenfalls ein Röntgenbild zeigt. Hier sind vom Knochen des
Vorderarms auf der Platte im Tumorgewebe nur winzige kleine
Schatten zu sehen. Die Autopsie des Hundes ergab in der Tumor¬
masse nur zahlreiche kleinste Knochenplättchen. Interessant ist der
Vergleich der Röntgenbilder der beiden Fälle .
Herr Port: Trauma und Lungentuberkulose.
M. H.l Ein Zusammenhang zwischen Trauma und Lungentuber¬
kulose wird sich im allgemeinen nur schwer feststellen lassen und
die Fälle, in welchen die Verhältnisse wirklich klar liegen, sind recht
selten.
Einen solchen wohl einwandsfreien Fall möchte ich Ihnen im
folgenden mitteilen.
Es handelt sich um einen 52 jährigen Maschinisten, welcher
bisher stets gesund war. Am 20. IV. 02 fiel er eine Treppe hinab
und erlitt eine Kontusion der linken Körperseite. Am nächsten Tag
ging er zum Arzt und klagte über Schmerzen in der rechten Seite
beim Atmen und daselbst war auch leichtes Reiben zu hören, so
dass an einen Rippenbruch gedacht wurde. Pat. war 14 Tage bett¬
lägerig, dann begann er zu arbeiten, fühlte sich aber nicht recht
wohl und musste nach 19 Tagen die Arbeit wieder einstellen und
nun zeigte sich eine ausgesprochene Pleuritis auf der rechten Seite.
Patient erholte sich von da ab nicht mehr, es entwickelte sich eine
Phthise, an welcher Patient nach etwa 3 Jahren starb.
Auf Grund des Gutachtens des behandelnden Arztes und noch
eines zweiten Arztes derselben Stadt wurde dem Pat. die Unfallrente
zugesprochen, während ein drittes Gutachten, welches die Abweisung
empfahl, unberücksichtigt blieb.
Als Pat. gestorben war, wunde auf Anordnung der Berufsgenossen¬
schaft die Sektion vorgenommen, und diese ergab den Befund einer
weit vorgeschrittenen Lungentuberkulose mit stärkerem Befallen¬
sein der rechten Seite, aber gar keine Residuen einer früheren Ver¬
letzung.
Auf Grund dieses Sektionsbefundes verweigerte die Berufs¬
genossenschaft die Hinterbliebenenentschädigung.
Die Angehörigen legten Berufung ein und das Schiedsgericht
verurteilte auf ein Gutachten von Herrn Kollegen Weigel hin die
Berufsgenossenschaft zur Zahlung.
Die Berufsgenossenschaft brachte nun die Sache vor das Reichs¬
gericht und erholte sich ein Gutachten ihres Vertrauensarztes, welcher
ausführte: Schmerzen und Infraktion einer Rippe der rechten Seite
können unmöglich entstehen durch Fall auf die linke Seite, es muss
hier ein Irrtum des behandelnden Arztes vorliegen. Patient habe dann
19 Tage lang gearbeitet und dann sei erst die Pleuritis auf der
nichtverletzten rechten Seite entstanden. Dass die Pleuritis und damit
die ganze Tuberkulose mit dem Trauma in Zusammenhang stehe, ist
ausgeschlossen: 1. Weil die Zeit zwischen Unfall und Pleuritis zu
lang ist, 2.weil die nichtverletzte Seite betroffen ist, so dass an
eine direkte Verletzung der Lunge etwa durch eine Frakturspitze
nicht gedacht werden könne, 3. weil die Sektion gar keine Zeichen
einer stattgehabten Verletzung ergab.
Die Hinterbliebenen wandten sich dann an mich um ein Gut¬
achten für das Reichsgericht.
„ Zuerst muss festgestellt werden, wie ein Zusammenhang zwischen
Tuberkulose und Trauma überhaupt möglich ist. Dass eine völlig
gesunde Lunge durch eine Kontusion oder auch eine direkte Ver¬
letzung mit einem spitzen Rippenbruchende tuberkulös erkranke, ist
ganz ausgeschlossen. Wohl aber ist es denkbar, dass ein altei ab¬
gekapselter Herd dadurch aufgestört wird, und zwar so, dass durch
das Zusammenpressen womöglich noch bei geschlossener Stimmritze
die Luft nicht rasch genug entweichen kann und so die Lunge
platzt, platzt an ihrer schwächsten Stelle, eben dem abgekapselten
Tuberkuloseherd. So wird plötzlich das Tuberkulosegift ausgesät.
Es ist dabei natürlich ganz gleichgültig, auf welcher Seite das Trauma
einwirkt und ob es so stark war, dass sich nach 3 Jahren bei der
Sektion noch Spuren davon finden.
Der scheinbare Widerspruch zwischen dem Unfallprotokoll und
dem Befund des Arztes erklärt sich so leicht: Der a'bgekapselte Herd
sass eben rechts und deshalb traten auch die ersten pleuritischen
Erscheinungen rechts auf. Das vom Arzte gefundene Reibegeräusch
ist vielleicht auch als der Beginn der anfänglich trockenen Pleuritis
zu deuten.
Nachdem der Patient den doch ziemlich anstrengenden Dienst als
Heizer bis zu seinem 52. Jahre versah, ohne jemals krank gewesen
zu sein, liegt die Vermutung nahe, dass der hypothetische abge¬
kapselte Tuberkuloseherd, wohl ohne das Trauma auch weiterhin
keine Erscheinungen gemacht hätte.
Im vorliegenden Fall schliesst sich die Erkrankung so direkt
an die Verletzung an und nimmt einen so unaufhaltsamen Verlauf,
dass man an einem Zusammenhang wohl nicht zweifeln kann.
Ich halte denselben vielmehr für einen selten klaren Beweis für
das tatsächliche Vorkommen einer Lungentuberkulose nach Trauma.
IV. Landesversamlung des Bayer. Medizinalbeamten¬
vereins in München
am 12. und 13. Oktober 1907, Saalbau Hotel Union, Barerstrasse 7.
Tagesordnung:
Samstag, den 12. Oktober, abends 5 Uhr: Vorstandssitzung;
abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung zur Begrüssung.
Sonntag, den 13. Oktober, vormittags 9 Uhr: 1. Eröffnung der
Versammlung, Geschäfts- und Kassabericht. 2. Amtsarzt und Säug¬
lingssterblichkeit. Ref. : Dr. Alfred G r o t h - München. 3. Der amts¬
ärztliche Dienst im Königreich Bayern (Reformvorschläge zum baye¬
rischen Medizinalwesen). Ref.: Dr. Karl Becker- München.
Nach Schluss der Versammlung gemeinschaftliches Essein
Zu dem Begriissungsabend und dem gemeinschaftlichen Essen
sind auch die Damen der Teilnehmer freundlichst eingeladen.
Mit dem Wunsche und in der Erwartung, dass die Mitglieder
sich recht zahlreich beteiligen werden, zeichnet für die Vorstand¬
schaft des Bayer. Medizinalbeamtenvereins
Dr. An ge rer, K. Bezirksarzt, Vorsitzender.
Dr. Hermann, K- Landgerichtsarzt, Schriftführer.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Ueber Lumbalanästhesie nach den Erfahrungen der
Krankenanstalt Sudenburg berichtet Mohr mann (Ther. Monatsh.
07, 7 u. 8). Die Erfahrungen beziehen sich auf 85 Fälle. Die Aus¬
führung der Injektion geschah im Wesentlichen nach den von Bier
und D ö n i t z aufgestellten Grundsätzen. Als Anästhetikum emp¬
fiehlt M. das Novokain in 10 proz. Lösung. Man soll von demselben
kleine keimfreie Mengen vorrätig halten und erst vor jedem Gebrauch
das Suprarenin zusetzen, auf je 1 ccm 3 Tropfen Suprarenin 1 : 100U.
Ein Kubikzentimeter von dieser Lösung genügt für die Anästhesien
von den Spinae abwärts.
2014 MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40.
Von den 85 Kranken zeigten 38 keinerlei unangenehme Folge¬
erscheinungen. 13 mal zeigten sich leichte Kopfschmerzen, bisweilen
mit Erbrechen oder Uebelkeit, 4 mal geringe Kreuzschmerzen, 1 mal
Kollaps, 6 mal heftige, bis zu mehreren Wochen andauernde Kopf¬
schmerzen, 1 mal heftige Kopf- und Rückenschmerzen; 1 Fall ging
an wahrscheinlich metastatischer Meningitis zugrunde. Einmal traten
wochenlange Kopfschmerzen und eine Abduzenslähmung auf. 19
Fälle sind nicht sicher kontrollierbar, da neben der Lumbalanästhesie
Allgemeinnarkose notwendig wurde.
Unter den 85 Fällen waren 13 Versager. 5 derselben beruhten
auf technischen Mängeln, 8 wahrscheinlich auf unwirksam gewordenen
Lösungen.
M. empfiehlt die Lumbalanästhesie: 1. bei voraussichtlich langer
Dauer der Operation, 2. bei kachektischen und dekrepiden Patienten,
3. bei vorgeschrittenen Herz- und Lungenerkrankungen, 4. beim
Schock nach frischen Verletzungen.
Eine absolute Gegenanzeige gegen die Lumbalanästhesie bilden
akute und chronische Eiterungen wegen der Gefahr der metastatischen
Meningitis. Kr.
Die Frage, ob Opium Meteorismus mache, glaubt
Drenkhahn auf Grund vielfacher Tatsachen und Ueberlegungen
verneinen zu müssen (Ther. Monatsh. 8, 07). Er empfiehlt es daher
als unbedenklich in allen Fällen von Appendizitis, in denen man nicht
operieren kann oder will.
Nach der Auffassung des Ref. verkennt D. den Kernpunkt der
Frage, ob bei der Appendizitis Opium schädlich ist oder nicht. Nicht
wegen des angeblichen Meteorismus soll das Opium gemieden werden,
sondern deswegen, weil es durch die Schmerzbetäubung eines der
wichtigsten Krankheitssymptome verdeckt. Dass unter Opium¬
behandlung die schwersten Appendizitiden heilen können, soll nicht
bestritten werden. Das hat jeder Praktiker schon erfahren. Aber
der Verantwortlichkeit bei der Opiumtherapie muss man sich stets
bewusst bleiben.
Auch dass das Opium gelegentlich den Meteorismus beseitigt,
ist eine bekannte Tatsache. Bei Darmverschluss infolge von Karzinom
ist man manchmal durch Opiumdarreichung imstande, die Symptome
des Verschlusses zum Verschwinden zu bringen.
Trotzdem soll man das Opium nicht als ein zweckmässiges Mittel
bei der Ileusbehandlung ansehen. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 30. September 1907.
— Der Rücktritt des Ministerialdirektors im preuss. Kultus¬
ministerium, Dr. Alt hoff, der nun zur Tatsache geworden ist, ist
ein auch für die Medizin bedeutsames Ereignis. Alt hoff hat fast
zwei Jahrzehnte hindurch auf das preussische Hochschulwesen einen
massgebenden Einfluss .ausgeübt. Seinem weiten Blick und seiner
Energie verdankt die Wissenschaft in Preussen die reichste För¬
derung. Vor allem sind es der grossartige Neubau der Charitee, das
Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M., die Akademie
in Köln und Düsseldorf, der neue botanische Garten in Berlin, an deren
grosszügige Durchführung ohne Dr. Althoffs Einfluss kaum zu
denken gewesen wäre. An der Reform der ärztlichen Prüfungs¬
ordnung, am Aufschwung des ärztlichen Fortbildungswesens hat
A 1 1 h o f f den wesentlichsten Anteil. Dass A 1 1 h o f f bei allen seinen
Massnahmen stets das Beste der Sache im Auge hatte, wird auch
von seinen Gegnern zugegeben; aber die Wege, die er einschlug,
stiessen oft auf Widerspruch. Die fast gewalttätige Art, mit der er
bei Personalfragen oft über die Wünsche der Fakultät hinwegging,
erregten in Hochschulkreisen eine lebhafte Erbitterung gegen ihn. Es
wäre zu wünschen, dass nach Althoffs Abgang die alte Autonomie,
die ein Charakteristikum der deutschen Universitäten ist, wieder in
ihre Rechte treten möge. Dann wird man Althoffs Tätigkeit ohne
Einschränkung als einer höchst segensreichen gedenken können.
Von einem hervorragenden Hamburger Kollegen geht uns
nachstehende Zuschrift zu: Hamburg, den 23. IX. 1907. „Sollte die
Sache von kompetenter Seite bestätigt werden, so wäre Hamburg
der Schauplatz einer fundamentalen naturwissenschaftlichen Ent¬
deckung geworden, die die erste Handelsstadt des deutschen Reiches
mit einem Schlage in die erste Reihe der wissenschaftlichen Arbeits¬
stätten der ganzen wissenschaftlichen Welt zu rücken geeignet wäre.
Diese Entdeckung, die sich bezieht auf die Klassifikation und die
Provenienz der Gärungs-, Fäulnis- und Krankheitserreger und die
geradezu umstürzend wirken würde auf alle bisherigen Anschauungen,
ist hervorgegangen aus dem staatlichen hygienischen Institute Ham¬
burgs, einer noch relativ jungen Anstalt, die, obwohl erst nach der
Cholerazeit begründet, sich doch schon unter ihrem Leiter, Professor
Dun bar, zu einer Blüte entfaltet hat, dass sie für das ganze innere
hygienische und wirtschaftliche Leben der Stadt ein unentbehrlicher
Faktor geworden ist. Diesem Leiter des hygienischen Institutes,
dessen Berufung in eine Zeit fiel, wo die wissenschaftlichen Glaubens¬
bekenntnisse eines Koch und eines Pettenkofer scharf auf ein¬
ander prallten, ist es nach ebenso scharfsinniger, wie mühsamer und
konsequenter Arbeit gelungen, unter Anwendung der exaktesten
Methoden der Reinkultur aus einer chlorophyllhaltigen Algenzelle,
die der Familie der Palmellazeen angehört, nach vielfachen Ent¬
täuschungen und Irrwegen in einem Zeiträume von nicht weniger als
14 Jahren, auf bestimmten Nährböden, unter bestimmten Tempe¬
raturen bei verschiedenartigen chemischen Zusätzen, deren Einfluss
nach und nach gefunden wurde, sowohl Hefe- als Schimmelpilze, als
sämtliche Arten von Bakterien, wie Stäbchen, Kokken, Komma¬
bazillen, Spirillen, Sarzine etc. zu züchten. Reinkulturen von dieser
einen grünen Algenzelle, die über Jahre steril aufbewahrt und unver¬
ändert geblieben waren, veränderten sich unter den oben ange¬
deuteten Bedingungen und Hessen nach Ablauf von 5 Tagen diese
Tochterbildungen austreten, die sofort eine eigene Vermehrung be¬
gannen. Obwohl D u n b a r alle diese Abkömmlinge seiner Algen¬
zelle auf geeigneten Nährböden weiter zu züchten vermochte, so ist
er doch äusserst vorsichtig in der Beurteilung seiner Funde und lässt
die Frage der Pathogenität seiner Bakterien vor der Hand vollständig „
ausscheiden. Er beschränkt sich einzig und allein in dieser Arbeit,
die, bei R. Oldenbourg, München-Berlin erschienen, nur 60 Seiten
umfasst und die einfache, schlichte, aber überzeugende Sprache
des streng wissenschaftlichen Forschers redet, nur auf das morpho¬
logische Gebiet, gibt aber die umfassendsten Belege für die Sorgfalt,
mit der er sich in seiner Technik durch Kontrolluntersuchungen vor
Täuschungen zu schützen gesucht hat. Die ungeschminkte Darlegung
aller seiner Untersuchungen, auch der Misserfolge in den Ergebnissen,
kann nur das Vertrauen in dieselben erhöhen. Wenn man ferner sieht,
wie Dun bar über das H o r a z ische „Nonum prematur in annum“
weit hinausgegangen ist, und wenn man die zuverlässige Arbeits¬
methode des Institutes kennt, aus dem diese Kunde kommt, so kann
inan nicht anders, als die Befunde einer Nachprüfung für durchaus
wert halten. Würde diese positiv ausfallen, so würde eine weite
Perspektive eröffnet werden in das noch so rätselhafte Gebiet der
ätiologischen Forschung.“
Wir möchten die konditionale Form, in welche unser Bericht¬
erstatter seine Mitteilung kleidet, noch ganz besonders unterstreichen.
Die vermeintliche Umzüchtung von Mikroorganismen in verwandte
Formen hat sich schon so oft als Täuschung erwiesen, dass man
auch der Dunbar sehen Entdeckung, trotz der Garantie, die der
wissenschaftliche Ruf dieses Forschers zu bieten scheint, mit der
giössten Vorsicht und Zurückhaltung gegenübertreten muss. Dies
um so mehr, als es sich hier nicht um die Umzüchtung einer Art
in eine andere verwandte Art handelt, sondern aus einer Stamm¬
zelle die allerverschiedensten Organismen herausgezüchtet werden
sollen. Dies widerspricht so sehr dem, was man nach unseren bis¬
herigen wissenschaftlichen Anschauungen für möglich halten kann,
dass wir an die Dunbar sehe Entdeckung erst dann glauben werden,
wenn sie eine mehrfache einwandfreie Bestätigung gefunden hat.
— Unter dem Vorsitz des Staatsministers Dr. v. Stadt hat sich
ein Komitee gebildet, das einen Aufruf für die Begründung einer
„R obert Koch - (Stiftung zur Bekämpfung der Tu¬
berkulose“ erlässt. Die Stiftung, die aus Anlass des 25 jährigen
Gedenktages der Robert K o c h sehen Entdeckung des Tuberkel¬
bazillus errichtet und somit der Erinnerung an die grundlegende Be¬
obachtung für die Erforschung der gesamten menschlichen Infektions¬
krankheiten gewidmet wird, stellt sich, abgesehen von der Ehrung
des genialen Forschers, die Aufgabe, wissenschaftliche Arbeiten und
damit auch praktische Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose
aus ihren Mitteln zu unterstützen. Bei der grossen Zahl von Opfern,
die die Tuberkulose noch immer fordert (in Deutschland allein im
Jahre 1905 rund 122 000), muss ein solches Werk als höchst wertvoll
anerkannt werden, und eine reichliche Beisteuer zur Stiftung von
jedermann aus dem Volke ist auf das lebhafteste zu wünschen. Dem
Komitee gehören u. a. Graf v. Posadowsky-Wehner, Mini¬
sterialdirektor Althoff, der Präsident des Kaiserl. Gesundheits¬
amtes, der Generalstabsarzt der Armee, der Vize-Oberzermonien-
meister des Kaisers Kammerherr v. d. Knesebeck, I. Leibarzt
des Kaisers Generaloberarzt Dr. 1 1 b e r g, der bayerische Gesandte
in Berlin, die Minister des Innern aus Sachsen, Württemberg, Baden,
Hessen, ferner Oberpräsidenten, Oberbürgermeister, hervorragende
Aerzte, Industrielle etc. aus allen Teilen des Reiches an. — Beiträge
werden an das Bankhaus S. Bleichröder, Berlin, Behrenstr. 63,
erbeten. Nähere Auskunft erteilt der Schriftführer des Komitees,
Prof. Dr. J. Schwalbe, Herausgeber der Deutschen med. Wochen¬
schrift, Berlin W. 35.
— Errichtung eines Aerzteheims in Marienbad.
Der Marienbader Aerzteverein hat auf Anregung seines Mitgliedes
Herrn Dr. Alois Grimm in der Sitzung vom 9. September ein¬
stimmig beschlossen, ein Aerzteheim zu errichten, um kranken, er¬
müdeten, erschöpften und überhaupt kur- und erholungsbedürftigen
Kollegen den Aufenthalt in Marienbad mit geringen Kosten zu er¬
möglichen. Es wurde beschlossen, die Institution schon in der
nächsten Saison 1908 ins Leben treten zu lassen und, bevor ein
eigenes Aerzteheim errichtet werden kann, provisorisch den Gästen
Wohnungen in jenen Häusern zur Verfügung zu stellen, deren Be¬
sitzer Aerzte sind. Ein Komitee, bestehend aus den Kollegen
Grimm, Stark und Zörkendörfer wurde eingesetzt und mit
den weiteren Arbeiten betraut. Die Mitglieder dieses Komitees sind
schon jetzt zur Erteilung von Auskünften jederzeit gerne bereit. Die
Institution, welche vorläufig auf die Aerzte der österr.-ungar.
Monarchie und Deutschlands beschränkt bleibt, bietet folgende Bene-
fizien: Freie Wohnung, unentgeltliche Bereitstellung der Bäder und
1. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2015
sonstiger Kurheilbehelfe, Befreiung von der Kurtaxe, ln Aussicht ge¬
nommen und voraussichtlich schon 1908 durchgeführt, sind ferner:
Ermässigung der Speisepreise in erstklassigen Restaurationen gegen
Vorweisung ider Gastkarte, ermässigte Theaterpreise, unentgeltlicher
Zutritt bei den Veranstaltungen des Kurklubs und verschiedenen
Konzerten etc. Es dürfte auf diese Weise auch jenen Kollegen, welche
mit Glücksgütern weniger gesegnet sind, der Aufenthalt in Marienbad
mit geringen Kosten ermöglicht werden. Zu Beginn der Saison
werden in den ärztlichen Zeitungen ausführliche Prospekte dieser
vorläufigen Mitteilung nachfolgen.
— Am 25. September wurde bei Gelegenheit des „XIV. Inter¬
nationalen Kongresses für Hygiene und Demographie“ in Berlin zur
Pflege der Schiffs- und Tropenhygiene und zur gegenseitigen An¬
regung und Unterstützung in der Erforschung tropenhygienischer
Fragen die „Deutsche tropen medizinische Gesell¬
schaft“ gegründet. Zu ihrem Vorsitzenden wurde Geheimrat Pro¬
fessor Dr. Bälz -Stuttgart und zum Stellvertreter Medizinalrat
Professor Dr. N o c h t - Hamburg gewählt. Die Geschäfte des Schrift¬
führers wurden Stabsarzt Professor Dr. F ü 1 1 e b o r n - Hamburg
übertragen, Stellvertreter Dr. Mense - Kassel. Der Beitritt recht
vieler tropenmedizinisch tätiger Aerzte ist erwünscht. Beitritts¬
gesuche sind an Professor Dr. Fülleborn (Tropenhygienisches
Institut Hamburg) zu richten.
— Die Gemeinsamkeit tropenhygienischer Interessen für alle
Nationen und der gemeinsam zu führende Kampf gegen die schweren
Seuchen der Tropen führten am 27. September zur Gründung
der „Internationalen tropenmedizinischen Gesell¬
schaft“, als desen Vorsitzender der Altmeister der Tropenmedizin
Sir Patrick Ma n s o n - London erwählt wurde; ihm wurde als
Generalsekretär und Schatzmeister Professor N u 1 1 a 1 - Cambridge
beigegeben. Ein Komitee bestehend aus ie 2 Mitgliedern aller be¬
teiligten Länder (bis 'jetzt Deutschland, England, Frankreich, Ver¬
einigte Staaten von Amerika, Holland, Belgien, Griechenland, Bra¬
silien) wird die Organisation der internationalen Vereinigung aus¬
bauen.
— Am 14. und 15. September wurdein Dresden; — unter sehr grosser
Beteiligung nicht bioss aus Deutschland, sondern auch aus Oesterreich-
Ungarn, der Schweiz, Russland, Italien — die konstituierende Versamm¬
lung der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte abge¬
halten. Ihre Leitung lag in den Händen von Prof. H. Oppenheim-
Berlin, der sich um ihr Zustandekommen die grössten Verdienste er¬
worben hat, und des im vorigen Jahr in Stuttgart gewählten provi¬
sorischen Vorstandes. — In 4 Sitzungen wurde die überaus reichhaltige
und interessante Tagesordnung erledigt. In der ersten Sitzung wurde
zunächst der Statutenentwurf der Gesellschaft beraten und ange¬
nommen, dann der definitive Vorstand für die nächsten beiden Jahre,
der erste und zweite Vorsitzende (Geheimrat Erb- Heidelberg und
Prof. 0 p p e n h e i m - Berlin), die beiden Schriftführer und fünf
weitere Vorstandsmitglieder gewählt; in der 3. Sitzung wurden als
nächstjähriger Versammlungsort Heidelberg (in der ersten
Oktoberwoche) und zwei Hauptthemata für die nächstjährigen
Referate bestimmt.
Der wissenschaftliche Teil der Versammlung stand
fast ganz unter dem Zeichen der Chirurgie des Nerven¬
systems: hochinteressante Referate und Vorträge — von Prof.
Fedor K r a u s e - Berlin „Ueber die chirurgische Therapie der Hirn¬
krankheiten mit Ausschluss der Tumoren“, Prof. N e i s s e r - Stettin
„Ueber Hirnpunktion“, von Prof. B r u n s - Hannover „Ueber chirur¬
gische Behandlung der Rückenmarksgeschwülste“, von Dr. Cas-
sirer-Berlin „Ueber die Therapie der Erkrankungen der Cauda
equina“, von Prof. v. E i s e 1 b e r g und Prof. v. Frankl-Hoch-
wart-Wien „Ueber operative Behandlung von Hypophysistumoren“,
von Dr. N o n n e - Hamburg „Ueber Differentialdiagnose des Tumor
cerebri“, von Dr. Pfeifer- Halle „Diagnose eines Cysticercus
cerebri durch Hirnpunktion“ u. a. m., mit den sich daran anschliessen¬
den sehr ausgiebigen Diskussionen, belebt durch zahlreiche Pro¬
jektionsbilder, Röntgenphotographien etc. füllten die ersten 3 Sitzungen
fast vollständig aus. Eine Fülle weiterer, verschiedenartigster Vor¬
träge musste deshalb leider in etwas abgekürzter Form erledigt
werden. — Ein belebtes Festmahl vereinigte den grössten Teil der
Mitglieder am Abend des 14. September im Europäischen Hof. —
Der Gesamteindruck ist der, dass hiermit eine neue wissen¬
schaftliche Gesellschaft begründet ist, die einer gesunden und viel¬
versprechenden Entwicklung entgegengeht. — Ein ausführlicher Be¬
richt folgt.
— Die VI. internationale Tuberkulosekonferenz
hat in W ien in den Tagen vom 19. — 21. September 1. J. stattgefunden.
Als Präsidenten des österreichischen Organisationskomitees fungierten
die Hofräte und Professoren v. Schrötter und Weichsel-
b a u m, welchen 3 Sekretäre zur Seite standen. Schon am Vortage,
am 18. September, fand eine Sitzung des engeren Rates und eine
Kommissionssitzung statt, in welcher die Regelung der internationalen
Morbiditätsstatistik und die Anzeigepflicht beraten wurden. Abends
war Empfang beim Ehrenpräsidenten des österreichischen Komitees
und Präsidenten des Hilfsvereins für Lungenkranke Grafen Dr. L a -
risch-Mönnich. Am 19. wurde im Festsaale der Universität
die Eröffnungsitzung abgehalten. Vertreter fast aller Staaten, die
Vertreter der Behörden und einschlägigen Anstalten und Institutionen,
die Mitglieder der Konferenz und zahlreiche Gäste waren anwesend.
Hofrat v. Schrötter eröffnete die Konferenz und nach ihm hielt
der Minister des Innern Freiherr v. Biene rth eine längere An¬
sprache, in welcher er den Stand der Tuberkulosebekämpfung in
Oesterreich darlegte. Der Minister wies u. a. auf die im Stadium
der ernsten Vorbereitung befindlichen Fragen der Wohnungsreform,
sowie der Ausgestaltung der sozialen Versicherung hin, welche
ebenfalls Voraussetzungen eines wirksamen Schutzes gegen dieTuber-
kulose seien, weil die Regierung von der Ueberzeugung durchdrungen
ist, dass Hygiene und Sozialpolitik in engster Wechselbeziehung
stehen. Weitere Begrüssungreden hielten Prof. L a n d o u z y - Paris,
der Vizebürgermeister Wiens, sodann Graf Larisch-Mönnich,
Geheimrat Prof. iFraenkeL Berlin u. a. Prof. Weichselbaum
erstattete ein einleitendes Referat zum ersten Punkte der Tages¬
ordnung: „Ueber die Infektionswege der menschlichen Tuberkulose“.
Der Vortrag ist in der aus Anlass dieser Konferenz erschienenen
„Festnummer“ der „Wiener klinischen Wochenschrift“ und in einer
„Festschrift“, welche das Präsidium des österreichischen Organi¬
sationskomitees den Teilnehmern überreichen liess, neben anderen
Arbeiten über Tuberkuloseforschung vollinhaltlich abgedruckt. An
den Vortrag Weichselbaums schloss sich eine lebhafte Debatte,
an welcher die Geheimräte und Professoren F r a e n k e 1 und Orth,
Dr. Kuss, Chefarzt des Sanatoriums Villemin zu Angicourt, Dr.
Weber- Berlin, Dr. Malm- Christiania, Dr. R a v e n e 1 - Phila¬
delphia und Prof. Landouzy - Paris teilnahmen. Die Leitsätze
dieser und anderer Forscher (Most- Breslau, Aufrecht - Magde¬
burg, Sa u g m a n n - Vejlefjord etc.) lagen ebenfalls im Drucke vor.
Abends, fand ein Empfang bei Hofe statt. Der Protektorstellvertreter
Erzherzog Franz Salvator hielt in Vertretung des Kaisers, des Pro¬
tektors der Konferenz, einen Cercle ab, bei welcher ihm zahlreiche
Mitglieder vorgestellt wurden, mit welchen er die Ereignisse der
Konferenz besprach. Am 20. September tagte die Konferenz im
Sitzungssaale der k. k. Gesellschaft der Aerzte. Man besprach den
2. Punkt der Tagesordnung: „Die Anzeigepflicht bei der Tuberkulose.“
Prof. v. Schrötter erstattete ein eingehendes Referat, welches
in der erwähnten „Festnummer“ vorlag, und an das Referat knüpfte
sich eine längere Diskussion. Man nahm schliesslich folgende Re¬
solution an: „Die Anzeigepflicht ist für Todesfälle an Lungen- und
Kehlkopftuberkulose und beim Wohnungswechsel von Tuberkulösen
einzuführen. Es ist anzustreben, dass sie auch für Erkrankungen
von Lungen- und Kehlkopftuberkulosefällen zur Durchführung ge¬
lange.“ Die Regelung der internationalen Morbiditätsstatistik und die
Frage der Heilstättenkosten bildeten weitere Punkte der Tages¬
ordnung. Es wurde schon jetzt die Aufstellung und allgemeine Be¬
folgung eines einfachen Schemas zur Klassifikation der einzelnen
Fälle von tuberkulöser Erkrankung gebilligt und hinsichtlich der Heil¬
stättenkosten, wieder nach eingehender Debatte, der Beschluss ge¬
fasst: „Es möge eine Kommission eingesetzt werden, welche die
Mindestforderungen für Volksheilstätten in hygienischer und wissen¬
schaftlicher Beziehung festzusetzen habe.“ Der nächste Tuberkulose¬
kongress wird im Jahre 1908 in Washington abgehalten werden.
Am Abend war Empfang im Rathause. Die Schlussitzung fand am
21. September im grossen Festsaale der Universität statt. Es wurden
zahlreiche Vorträge gehalten und über den Stand der Tuberkulose¬
bekämpfung in den einzelnen Ländern von mehreren Delegierten
referiert. Geheimrat Prof. Fraenkel schloss um 12 Uhr mittags
die Konferenz, wonach sich mehrere Teilnehmer mit ihren Damen zu
einem gemeinsamen Diner begaben, welchem die Besichtigung der
Heilanstalt Alland bei Baden und am Abend ein Empfang beim Minister
des Inneren folgten. • — Die Regierung hatte den Teilnehmern der Kon¬
ferenz „die Vorschriften der k. k. österreichischen Behörden zur
Bekämpfung der Tuberkulose“, in einem kleinen Werke zusammen¬
gestellt, überreichen lassen. Das Werk enthält ein Gutachten des
k. k. obersten Sanitätsrates aus dem Jahre 1902 (Massregeln gegen
die Verbreitung der Tuberkulose durch die Auswurfsstoffe des
Kranken), sodann zahlreiche Erlässe der verschiedentlichen Mini¬
sterien, Verordnungen mehrerer Statthaltereien, Landesregierungen,
Landesschulräte, Bezirkshauptmannschaften etc. betreffend Mass¬
nahmen gegen die Verbreitung der Tuberkulose. Ferner lagen im
Drucke vor die Berichte der öffentlichen Kinderheilanstalten der Stadt
Wien (Seehospiz in San Pelagio bei Rovigno, Franz Josefs-Kinder¬
spital in Sulzbach bei Ischl) für das Jahr 1906, der Jahresbericht des
Vereins Säuglingsschutz, der jüngste Rechenschaftsbericht des Ver¬
eins zur Bekämpfung der Tuberkulose in Steiermark (Heilstätte
Hörgas), der Bericht über die Tätigkeit des Landesvereins zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose in Mähren, der III. Jahresbericht des Ver¬
eins „Lupusheilstätte“ in Wien, der Bericht über die Tätigkeit und die
Heilresultate des Kinderhospitals der Stadt Wien in Bad Hall u. a. m.
— O österreichischer Irrenärzte tag. Der Verein
für Psychiatrie und Neurologie in Wien veranstaltet heuer einen
österreichischen Irrenärztetag, der am 4. und 5. Oktober 1907 in Wien
stattfinden wird. Tagesordnung: „Zum gegenwärtigen Stande
der Pflegerfrage“ (Ref. Direktor Dr. S t a r 1 i n g e r - Mauer-Oehling).
„Aerzteaustausch zwischen Kliniken und Anstalten“ (Ref. Hofrat Prot.
Dr. v. Wagne r). Direktor Univ.-Prof. Dr. B. Czumpelik - Prag:
„Beitrag zur Symptomatologie und Verlauf der periodischen Psy¬
chosen“ Prof. Dr. F. Hartmann-Graz: Thema Vorbehalten.
K. u. k. Reg.-Arzt Dr. H. Z u z a k - Tyrnau: „Ueber Beschäftigungs¬
therapie in der öster. -ungar. Militärirrenpflege“. Dr. G. Bon-
v i c i n i - Tulln: „Einiges über Alexie“ (mit Demonstrationen). Prof.
2016
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
14. W i n t e r s t e i n e r - Wien : „Augenbefunde bei Psychosen“.
Sekuudararzt Dr. H o 1 u b - Wien: „Wir und die Oeffentlichkeit“. „Der
Unzurechnungsfähigkeitsparagraph. im Strafgesetz“ (Ref. Hofrat Prof.
Dr. v. Wagner). Privatdozent Assistent Dr. E. R a i m a n n - Wien:
„Homizide Melancholiker“. Assistent Dr. E. S tr ans k y -Wien:
„Ueber Befunde in den peripherischen Nerven bei einigen Geistes¬
krankheiten“. Prof. Dr. E. R e d 1 i c h - Wien. Privatdozent Dr. A.
Schüller- Wien, Assistent Dr. O. Pötzl-Wien: Thema Vor¬
behalten. Primarius Privatdozent Dr. A. Pilcz-Wien: „Zur Lehre
von der direkten Heredität“.
Wanderausstellung über den Alkoholismus
in München. Die allgemeine Besuchszeit ist nunmehr täglich von
1 1 bis 1 und von 6 bis 8 Uhr, Sonntags von 10 bis 4 Uhr. Montags
ist die Ausstellung geschlossen.
— Die von der medizinischen E'akultät zu Breslau veran¬
stalteten E o r t b i 1 d u n g s k u r s e für Aerzte (s. Inserat in No.27,
Umschlag S. 7) finden statt vom 10. bis 26. Oktober inkl. Anmeldungen
werden noch entgegengenommen von dem mitunterzeichneten Prof.
Uh th o f f, Breslau XVI, Maxstr. 2, welcher auch Vorlesungsplan etc.
auf Verlangen an Interessenten gelangen lässt.
— Cholera. Russland. Nach amtlichen Ausweisen sind vom
11. bis 16. September in ganz Russland 837 Personen an der Cholera
erkrankt und 422 gestorben ;vom 4. bis 10. September waren 1011 er¬
krankt und 584 gestorben. — Straits Settlements. In Singapore wur¬
den vom 15. bis 20. August 35 Cholerafälle gemeldet.
— Pest. Türkei. Von den aus Mytilene gemeldeten 3 pest¬
verdächtigen Krankheitsfällen hat sich bei der bakteriologischen
Untersuchung nur 1 als Pestfall erwiesen. — Aegypten, ln der Zeit
vom 7. bis 14. September sind 10 Erkrankungen (und 3 Todesfälle)
angezeigt worden. — Britisch-Ostindien. In den beiden Wochen vom
28. Juli bis 10. August sind in ganz Indien 1959 und 2545, zusammen
4504 Personen an der Pest gestorben; an Erkrankungen wurden 2548
und 3479, zusammen 6027 gemeldet. In Kalkutta starben vom 4. bis
17. August 11 Personen an der Pest. — Mauritius. Vom 5. Juli bis
8. August wurden 2 Pestfälle mit tödlichem Ausgange gemeldet. —
Brasilien. In Rio de Janeiro wurden vom 24. Juni bis 18. August 14
Erkrankungen und 3 Todesfälle an der Pest gemeldet.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 8. bis
14. September sind 25 Erkrankungen (und 8 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 37. Jahreswoche, vom 8. bis 14. September 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Borbeck mit 36,1, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit 6,3 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Unterleibstyphus in Bromberg, an Keuchhusten
in Altenessen. V. d. K- G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Dem Privatdozenten für pathologische Anatomie an
der Berliner Universität, Prosektor am Städtischen Krankenhause
Moabit, Stabsarzt a. D. Dr. med. Max Westenhöffer wurde der
Professortitel verliehen, (hc.)
Breslau. Dr. med. Karl Winkler, erster Assistent bei
Geheimrat P o n f i c k am patholgoisch-anatomischen Institut und seit
1901 Privatdozent für pathologische Anatomie an der Universität
Breslau wurde zum Titularprofessor ernannt, (hc.)
Halle a. S. Zum ausserordentlichen Professor wurde der Vor¬
stand der histologischen Abteilung am anatomischen Institut, Privat¬
dozent für Anatomie Prof. Dr. med. Walther Gebhardt er¬
nannt. (hc.)
Köln a. Rh. Zum ausserordentlichen Mitgliede und Dozenten
für innere Medizin an der Akademie für praktische Medizin in Köln
wurde der Oberstabsarzt und dirigierende Arzt der Tuberkulose¬
abteilung Dr. med. Eranz Dautwiz ernannt, und vom Kultusminister
bestätigt, (hc.)
Nürnberg. Die Abhaltung von hygienischen Kursen
am neugegründeten K. bayer. Technikum Nürnberg wurde dem prakt.
Arzte Herrn Dr. Sigmund Merkel übertragen.
Bologna. Dr. G. Perna habilitierte sich als Privatdozent
für Anatomie.
Charkow. Der ausserordentliche Professor der pathologischen
Anatomie Dr. N. Melnikow-Razwedenkow wurde zum
ordentlichen Professor ernannt.
Floren z. An der höheren medizinischen Schule habilitierten
sich als Privatdozenten DDr. L. Picchi (pathologische Anatomie),
G. Guerrini (allgemeine Pathologie), R. Righetti (Neurologie),
G. Caccia (Kinderheilkunde), E. F i 1 i p p i (Pharmakologie und
Materia medica).
G e n u a. Dr. G. M a r c a r i n i habilitierte sich als Privatdozent
für externe Pathologie.
Graz. Der Privatdozent an der Universität in Wien Dr. Rudolf
Matze n auer wurde zum ausserordentlichen Professor für
Dermatologie und Syphilis an der Universität in Graz ernannt. —
Der I. Assistent der chirurgischen Universitätsklinik Dr. Josef He r tl e
hat sich mit einer Probevorlesung „Ueber Lumbalanästhesie“ als
Privatdozent für Chirurgie habilitiert.
Havanna. Zu Professoren der medizinischen Fakultät wurden
ernannt DDr. R. Menocal (Dermatologie und Syphilis), E. Mar¬
ti n e z (Otologie und Laryngologie), C. Einlay (Ophthalmologie).
Lemberg. Der ehemalige Professor an der Universität in
I Pisa Dr. Kasimir Kwiatniewski wurde zum ausserordentl. Pro¬
fessor der vergleichenden Anatomie an der Universität ernannt.
Neapel. An Stelle des zurückgetretenen Proi. M. O. Mori-
s a n i wurde der Professor an der med. Fakultät zu Catania Dr. G.
M i r a n d a zum ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynä-
| kologie ernannt.
Palermo. Als Privatdozenten habilitierten sich DDr. B.
Frisco (Psychiatrie und Neurologie), G. Lanza (Kinderheilkunde).
Prag. Als Privatdozenten an der deutschen med. Fakultät
habilitierten sich DDr. A. Kraus (Dermatologie und Syphilis). H.
Hilgenreiner (Chirurgie).
R i o d e Janeiro. Dr. R. L e i t a o da Cunha wurde zum
ausserordentlichen Professor der Histologie, Bakteriologie und patho¬
logischen Anatomie ernannt.
Rom. Dr. C. A. C r i s p o 1 1 i habilitierte sich als Privatdozent
für interne Pathologie.
Wien. Zum ordentlichen Professor für Ohrenheilkunde und
Vorstand der Universitätklinik für Ohrenkranke in Wien wurde an
Stelle von Prof. Dr. Politzer der a. o. Professor daselbst Dr. med.
Viktor Urbantschitsch ernannt, (hc.)
(Todesfälle.)
In Jena starb am 22. September der Direktor der Universitäts-
Ohrenklinik, ausserordentlicher Professor Hofrat Dr. Johann Kessel.
Berichtigung. In einem Teil der Auflage der Nummer 39
muss es in dem Artikel: Kämmerer: „Ueber Opsonine und
Phagozytose im allgemeinen“ heissen: Seite 1920, 1. Spalte: in der
30. Zeile von oben, statt M a r k zellen 4,2 Proz. : M a s t zellen
4,2 Proz.; in der 10. Zeile von unten statt M a r k zellen unsicher:
Mast zellen unsicher; in der 5. Zeile von unten statt Die Mark-
• zellengranula konnte . . . : Die Mast zellengranula konnte . . .
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung. Dr. Frz. Alfred Piper, approbiert 88,
München.
Verzogen: Dr. Andreas Scheppach von Oettingen nach
Donauwörth.
Korrespondenz.
Eine neue Milchpumpe.
Herr Kaujpe macht darauf aufmerksam (Münch, med. Wochen¬
schrift 1907, S. 1738), dass eine auf seine Milchpumpe bezgl. Angabe
in meiner Publikation „Ueber die Behandlung der angeborenen
Lebensschwäche“ (Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 1534) nicht
korrekt ist. In der Tat wird die Milch bei dieser Pumpe nicht „durch
eine mit Gummistopfen verschlossene Oeffnung“ entleert, sondern
durch eine Oeffnung, die durch einen an anderer Stelle mittelst
Gummistopfen fixierten Glasstab verschlossen ist, was hiemit richtig
gestellt sei.
Dass ich die Pumpe, die ich sogleich nach Kampes Veröffent¬
lichung bezogen habe, in ihrem so einfachen Mechanismus sinngemäss
gebrauchte, kann wohl nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden.
Der Zweck der Konstruktion von Kaupe (das Ausgiessen der
Milch über den Brustansatz hinweg zu vermeiden) wäre meines Er¬
achtens dadurch einfacher und praktischer zu erreichen, dass man
an dem Rezipienten (der durch stärkere Ausbuchtung etwas ge¬
räumiger zu machen wäre) an einer geeigneten Stelle einen Ausguss
mit Glasstopfen anbringt. M. Pfaundler.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 37. Jahreswoche vom 8. bis 14. September 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 8(11*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 4 (4), Kindbettfieber — (1), and. Folgen der
Geburt — ( — ), Scharlach 1 (— ), Masern u. Röteln — (l), Diphth. u.
Krupp — (4), Keuchhusten — ( — Typhus — ( — ), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) — ( — ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) — (4), Tuberkul. d. Lungen 21 (20), Tuberkul. and.
Org. 6 (3), Miliartuberkul. 1 (— ), Lungenentzünd. (Pneumon.) 6 (6),
Influenza — (— ), and. übertragb. Krankh. 2 (1), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 2 (2), sonst. Krankh. derselb. 3 (2), organ. Herzleid. 13 (14),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 5 (6), Gehirnschlag
10 (4), Geisteskranke — (3), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 6 (2), and.
Krankh. d. Nervensystems 3 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 38 (30), Krankh. d. Leber 3 (2), Krankh. des
Bauchfells 1 ( — ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 2 (1), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 6 (1), Krebs (Karzinom Kankroid) 19 (12),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 5 (2), Selbstmord 1 (2), Tod durch
fremde Hand — ( — ), Unglücksfälle 2 (6), alle übrig. Krankh. 5 (1).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 173 (148). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 16,4 (14,0), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,3 (9,8).
*) Die eingeklamnierten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Vprla^T von l P • n n In München, — Druck von F. Mübltbalpr« Buch- und KnnstdnicVerei A O . München.
Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
im Umfang von durchschnittlich 6*— 7 Bogen. * Preis der einzelnen
Nummer 80 • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
^ 6.—. • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Amulf-
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 81/» — 1 Uhr* • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a. • Für
* Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
f . Hinekel,
München.
No. 41. 8. Oktober 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Ueber die molekulare und ionenkonzentration sowie
über die Radioaktivität der Mineralwässer.*)
Von Professor H. S t r a u s s in Berlin.
M. H.! Wenn ich einer ehrenvollen Aufforderung des
Zentralkomitees des zweiten internationalen Kongresses für
Physiotherapie folge, hier ein Referat über die molekulare
und Ionenkonzentration sowie über die Radio¬
aktivität der Mineralwässer zu halten, so muss ich von
vornherein um gütige Nachsicht bitten. Denn das, was ich hier
auszuführen vermag, kann nach Lage der Dinge nur lückenhaft
sein und ist vor allem weit davon entfernt, zu einem ab¬
schliessenden Urteil über die hier in Rede stehenden Fragen
zu verhelfen. Die Bitte um eine solche Beurteilung des In¬
halts meines Vortrages wird nicht wundernehmen, wenn wir
bedenken, dass das Gebiet, von dem zu sprechen ich hier die
Ehre habe, ein erst vor kurzem erschlossenes Feld darstellt,
dessen Früchte trotz der emsigen Arbeit, welche ihm von den
verschiedensten Seiten gewidmet worden ist, doch noch recht
spärlich und zum Teil auch noch nicht genügend reif sind.
Ich muss dies hier mit einem besonderen Bedauern ausi-
sprechen, weil kaum ein anderes Gebiet der Therapie zu seiner
Klärung so sehr neuer, mit exakten Methoden ge¬
wonnener, Tatsachen bedarf, als gerade das hier
interessierende. Stehen sich doch auf dem Gebiete der Bal-
neodynamik gläubiger Positivismus und negierender
Skeptizismus an gar vielen Stellen so schroff gegenüber, dass
die Gewinnung einer vermittelnden Brücke erst durch die Er¬
schliessung neuer tatsächlicher Befunde möglich er¬
scheint. In der Tat sind Hoffnungen nach dieser Richtung in
den letzten Jahren durch die Fortschritte der physikali¬
schen Chemie geweckt und zu einem gewissen Teil
auch erfüllt worden. Nicht ohne eine gewisse Resignation
spreche ich hier von einer nur t e i 1 w e i s e n Erfüllung unserer
Wünsche. Aber trotzdem möchte ich hierdurch nicht zu einer
geringschätzigen Beurteilung des tatsächlich Gewonnenen ver¬
leiten. Auf einem so verwickelten Gebiet, wie das vorliegende
es ist, sind wir auch mit bescheidenen Erfolgen der Forschung
zufrieden, wenn die Ergebnisse derselben nur sicher sind.
Für die Fortschritte unserer Kenntnisse über die Zusammen¬
setzung und Wirkungsweise der Mineralwässer war kaum
etwas von grösserer Bedeutung, als die Veränderung, welche
unsere Anschauungen über die Theorie der Lösungen
in den letzten Jahrzehnten erfahren haben. Ist doch auf diesem
Gebiet — insbesondere durch die Untersuchungen von van
t’Hoff, Arrhenius u. a. — ein erheblicher Wandel ein-
■ getreten, der von nicht geringem Einfluss auf unsere Vor¬
stellungen über die Zusammensetzung und Wirkungsweise der
Mineralwässer geworden ist. Durch die Ergebnisse moderner
physikalischer Forschungen wissen wir, dass in den Lösungen
ganz erhebliche Spaltungen, Dissoziationen, der ein¬
zelnen Atomkomplexe stattfinden, so dass die Summe
der in der betreffenden Lösung vorhandenen
Einzelteile erheblich grösser ist, als der mit
*) Referat, dem diesjährigen 2. internationalen Kongress für
Physiotherapie zu Rom erstattet (13. bis 16. Oktober).
No. 41.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
chemischen Methoden gewonnenen Salzana¬
lyse entspricht. So sind nach Untersuchungen, die wir
vorzugsweise Koppe, Hintz und Grünhut u. a. ver¬
danken, in Mineralwässern mittlerer Konzentration etwa
80 Proz. der gelösten Bestandteile in lonenform und nur etwa
20 Proz. in Form von Salzen vorhanden. Ein derartiges Ver¬
halten der Salze in Lösungen muss nach einer aprioristischen
Ueberlegung zu ganz anderen Wirkungen der in einem Mineral¬
wasser enthaltenen Bestandteile führen, als nach der Salz¬
berechnung anzunehmen ist. Freilich werden unsere Vor¬
stellungen über das Anwendungsgebiet der einzelnen
Wässer durch den genannten Wandel in der Betrachtung der
einzelnen Bestandteile der Mineralwässer nicht so sehr ver¬
ändert, als es auf den ersten Blick scheinen könnte, denn wir
pflegen bei der Mehrzahl der Mineralwässer die Wirkungen
mehr nach empirischen als nach streng wissenschaftlichen
Gesichtspunkten zu beurteilen. Trotzdem ist die Betrachtung
der Mineralwässer nach der Ionenkonzentration im
Gegensatz zur Salzkonzentration als ein grosser
Fortschritt zu begrüssen, dessen Bedeutung umso klarer wird,
je mehr man erwägt, wie früher die Dinge für die Feststellung der
Salztabelle lagen. Für die Aufstellung der letzteren ging man
bekanntlich in der Weise vor, dass man Metalloxyde und
Säureanhydride in einem Liter Wasser bestimmte und die Salz¬
berechnung entweder nach B u n s e n entsprechend der Lös¬
lichkeit der Salze oder nach Fresenius unter vorzugs¬
weiser Berücksichtigung der Stärke der Säuren und Basen
vornahm und die Löslichkeitseigenschaften nur nebenher in
Betracht zog. War schon hierdurch die Möglichkeit gegeben,
dass der chemische Inhalt von ein und demselben Wasser von
verschiedenen Untersuchern nicht ganz gleichartig angegeben
wurde, so kam noch eine Reihe anderer für die Berechnung
störender Momente hinzu. So war speziell bei den Bittersalz¬
quellen der Ausfall der Analyse verschieden, je nachdem die
Berechnung unter Berücksichtigung des beim Kochen in Lö¬
sung bleibenden Kalkes erfolgte oder ob nicht gekocht wurde.
Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten und in der unseren
modernen Auffassungen durchaus entsprechenden Anschauung,
dass nicht einzelne bestimmte, sondern alle theoretisch denk¬
baren Salzkombinationen in den Mineralwässern möglich sind,
empfahl schon vor mehr als 40 Jahren Karl T han, die Salz-
gruppierung in den Analysen ganz aufzugeben und die un¬
mittelbaren e i n z e 1 n e n Bestandteile auf der Analyse anzu¬
geben. Than bezweckte also damals schon, an die Stelle von
Möglichkeiten tatsächliche Feststellungen
zu setzen. Allerdings war damals die Zeit für eine erfolg¬
reiche Durchführung seiner, wie wir heute sagen müssen,
durchaus richtigen Bestrebungen noch nicht günstig. Fine
systematische Berechnung im Sinne von I han hat eist vor
etwas mehr als 10 Jahren Rosemann für die Mineraltrink¬
quellen Deutschlands geliefert. Rosemann ist hierdurch
zum Vorläufer der grosszügig angelegten, auf der Grundlage
der Ionenbetrachtung durchgeführten und mit graphischen Aus¬
führungen versehenen Darstellung der deutschen Mineral¬
quellen geworden, wie sie uns durch die in dem deutschen
Bäderbuch niedergelegte Arbeit von Hintz geliefert winde.
In dem genannten Buch, das für lange Zeit als grundlegendes
Werk auf dem vorliegenden Gebiet gelten wird, ist neben der
Salztabelle noch eine Ionentabelle vorhanden, welche in 3
Parallelspalten für jedes Ion die Menge in dreierlei Einheiten
2018
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 41.
angibt, nämlich in Grammen, in Millimolen und in Milligramm¬
äquivalenten. Die letztere Angabe dient als Grundlage für die
graphische Darstellung und damit auch als Ausgangspunkt für
die Neugruppierung der Mineralquellen. Während man früher
nach dem allgemein chemischen Charakter der Quellen Wild¬
wässer, alkalische, erdige, muriatische und Bitterquellen unter¬
schied und mit Rücksicht auf den Gehalt an bestimmten be¬
sonderen Bestandteilen, denen man eine spezifische Wirkung
zuschrieb, von Eisen-, Jod- und Schwefelquellen, sowie von
Säuerlingen gesprochen hat, haben H i n t z und G r ü n h u t als
neues Einteilungsprinzip den Gehalt an Ionen benutzt und be¬
zeichnen Wässer, unter deren Anionen die Hydrokarbonat-
Ionen (HCO.t) vorwalten, als alkalische bezw. erdige Quellen; als
muriatische Quellen bezeichnen sie solche, bei welchen die
Chlor-Ionen (CI) vorherrschen und als Bitterquellen solche mit
hervorstechendem Gehalt an Sulfationen (SO«). Der Begriff
„vorwalten“ bezieht sich dabei nicht in jedem einzelnen Fall
auf die Quantität. Denn es gibt auch gelegentlich Fälle, in
welchem ein Anion an Menge hinter einem andern zurück¬
tritt, aber es dennoch an pharmakologischer Bedeutung
übertrifft. Dann wird es trotz geringerer Quantität als das „vor¬
waltende“ und für die Klassifikation massgebende ange¬
sehen. Dies trifft z. B. für das Sulfat-Ion bei den alkalisch-
salinischen Quellen und bei den Bitterquellen zu.
In den genannten Hauptklassen sind wieder je nach
den Kationen, welche die Anionen begleiten, Unterabteilungen
aufgestellt. So nennt man „alkalische Quellen“ solche Wässer,
welche in wesentlichen Mengen die Ionen des Natriumhydro-
karbonats (NaHCOs) enthalten, „erdige Quellen“ solche
Wässer, welche die Ionen des Kalziumhydrokarbonates
[Ca(HCOs)]2 und des Magnesiumhydrokarbonates [Mg(HCOs)]»
enthalten, „muriatische Quellen“ im engeren Sinne Wässer mit
Ionen des Natriumchlorid (NaCl) und spricht von „erd-
muriatischen Quellen“, wenn neben den Ionen des Natrium¬
chlorids (NaCl) die Ionen des Kalziumchlorid (CaCE) und
Magnesiumchlorid (MgCE) vorhanden sind, von „salinischen
Quellen“ bei Gegenwart von Ionen des Natriumsulfat (Na2SO«),
von „sulfatischen Quellen“ bei Anwesenheit von Ionen des
Kalziumsulfat (CaSO«) und von „echten Bitterquellen“, wenn
Ionen des Magnesiumsulfat (MgSO«) vorhanden sind. Eine
weitere Unterabteilung ist durch den grösseren oder ge¬
ringeren Gehalt an freiem Kohlendioxyd bedingt („Säuerlinge“).
Die Betrachtung der Mineralwässer auf Grund der mo¬
dernen 1 heorie der Lösungen hat, wie bereits erwähnt ist,
auch zu manchen Aenderungen unserer Vorstellungen über die
Wirkungsart verschiedener Mineralwässer geführt.
\\ enn aber auch gerade hier manche hochgespannte Erwartung
nicht in Erfüllung gegangen ist, so haben wir doch durch
die Uebertragung physikalisch-chemischer Untersuchungs¬
methoden auf die Erforschung baineologischer Fragen auch
hier einiges Neue erfahren. Insbesondere sind durch An-
wendung der Kryoskopie, der Feststellung der elektrischen
Leitfähigkeit, sowie durch die Untersuchung der Beziehung der
molekularen Konzentration verschiedener Lösungen zum Ver¬
halten bestimmter Körperfunktionen einige neue Gesichtspunkte
gewonnen worden. Bezüglich der Untersuchungs m e t h o d e
muss aber leider hier schon bemerkt werden, dass die Ergeb¬
nisse der Kryoskopie bei Vorhandensein von freier
COa in einem Mineralwasser nicht immer ganz einwandsfrei
sind. Nach Koppe, dem wir die erste umfassende, mit mo¬
dernen Methoden ausgeführte physikalisch-chemische Analyse
eines Mineralwassers verdanken (Liebensteiner Stahlwasser),
lässt sich zwar diese Schwierigkeit durch bestimmte Kunst¬
kniffe bei der Entnahme des Wassers und bei der Ausführung
der Bestimmung vermindern oder fast ganz vermeiden, und
Hamburger hat zur Beseitigung der genannten Fehler¬
quelle empfohlen, die Gefrierpunktsbestimmung in einem voll¬
kommen geschlossenen Gefäss vorzunehmen, indes illustriert
meines Erachtens doch die geringe Anzahl der mit besonderen
Kautelen untersuchten Mineralwässer (von deutschen Mineral¬
wässern sind meines Wissens ausser dem Liebensteiner Stahl-
v, asser nur noch der Rhenser Sprudel und der grosse Sprudel
\°n Neuenahr [Hintz und G r ü n h u t] untersucht) in be¬
sonderem Grade die Schwierigkeiten der Methodik der Be¬
stimmung der molekularen Konzentration bei Gegenwart von
freier CO2 in einem Mineralwasser. Ich selbst habe vor einer
Reihe von Jahren teils allein, teils in Gemeinschaft mit Herrn
Dr. v. K o s t k e w i c z die molekulare Konzentration einer
grossen Reihe von Mineralwässern mittelst der Methode der
Gefrierpunktsbestimmung — allerdings ohne Anwendung spe¬
zieller Kautelen — untersucht und halte die s. Zt. gewonnenen
Ergebnisse immerhin für die Beurteilung bestimmter Fragen für
verwendbar. Wenigstens scheinen mir die betreffenden Be¬
funde für die Beurteilung der physiologischen Seite
der Frage zum mindesten eine orientierende Bedeutung
zu besitzen, wenn man berücksichtigt, dass während der Zeit,
die gewöhnlich zum Trinken eines bestimmten Quantums von
Mineralwasser verwandt wird, doch meist auch ein mehr oder *
weniger grosser Teil der frei gewordenen CO2 verpufft. Auch
bei meinen Untersuchungen hat sich eine Inkongruenz zwischen
der durch Kryoskopie festgestellten molekularen Konzentration
und der Konzentration ergeben, die nach dem Befund an fixen
Bestandteilen zu erwarten gewesen wäre.
Leider liegen aber bei Mineralwässern die Dinge
mellt so durchsichtig, wie bei Lösungen einer
einzigen Substanz, denn bei der gleichzeitigen Gegen¬
wart mehrerer Salze, wie wir sie in den Mineralwässern
finden, wird die Dissoziation eines jeden einzelnen von den
anderen Salzen nicht unwesentlich beeinflusst. Das ist u. a.
auch in den schönen Untersuchungen von H i s und Paul über
die Löslichkeit der Harnsäure zu sehen gewesen. Während
sich das harnsaure Natrium in Wasser von Zimmertemperatur
in einem bestimmten Verhältnis löste, war die Löslichkeit dieses
Salzes in einer physiologischen Kochsalzlösung erheblich ge¬
ringer, weil die Dissoziation des Natriumurates durch die
Natriumionen des Kochsalzes vermindert wurde. Trotzdem
also die Ionentheorie uns für die allgemeine Betrachtung
der Wirkung von Mineralwässern erheblich weiter gebracht
hat, liegen die Dinge für die Betrachtung des einzelnen
Falles doch noch recht kompliziert. Immerhin sind aber für
2 Auffassungen durch die moderne Betrachtungsweise neue
Stützen geschaffen worden: 1. wurde durch sie die Ueber-
zeugung gefestigt, dass künstliche Mineralwässer in ihrer
feineren Zusammensetzung nie mit derjenigen der natür¬
lichen Mineralwasser verglichen werden können und
2. mussten die neuen Forschungen denjenigen zu denken geben,
die immer noch glauben, dass die Wirkung eines bestimmten
Salzes proportional der Konzentration seiner Lösung sei, bezw.
erst von einem gewissen, nicht zu niedrig liegenden, Konzen¬
trationsgrad an in die Erscheinung tritt. Wissen wir doch
schon aus der Chemie bezw. physiologischen Chemie, dass ein
Stoff zuweilen in grosser Verdünnung stärker wirken kann, als
in starker Konzentration. So äussert beispielsweise das
Merkaptan in starker Konzentration auf unsere Geruchsnerven
eine erheblich geringere Einwirkung als in hoher Verdünnung.
Die Kompliziertheit der Beziehungen zwischen der physi¬
kalisch-chemischen Konstitution eines Mineralwassers und
seiner biologischen Wirkung erfordert aber zur Zeit noch
sehr grosse Reserve im Urteil, sodass vorerst
nur grobe Fragen auf dem- vorliegenden Ge¬
biet einer Diskussion zugänglich sind.
Von solchen Fragen habe ich selbst die Einwirkung ver¬
schiedener molekularer Konzentrationen einer Lösung auf die
Funktionen des Magens, sowie auf das osmotische Verhalten des
Blutserums zu studieren versucht. Meine an Menschen
ausgeführten Untersuchungen ergaben hiebei, dass der Magen
die I endenz hat, seinen Inhalt auf einen osmotischen Druck ein¬
zustellen, der meist unterhalb von demjenigen des Blutes ge¬
legen ist, während er Lösungen, die sich unterhalb der be-,
treffenden Zone, — ich habe die betreffende Zone, (D) die sich
zwischen — 0,36° und — 0,48° und in seltenen Fällen zwischen
— 0,32° und — 0,55° bewegt, Zone der Gastroisotonie ge¬
nannt, — bis in die Nähe der Gastroisotonie zu verdichten sucht.
Eine ganze Reihe von Autoren hat sich auch auf tierexperi¬
mentellem Wege mit der vorliegenden Frage beschäftigt,
so z. B. Pfeiffer und Sommer, Bönninger, Bickel, Otto,
Sasaki, Schloss u. a. Die betreffenden Versuche fielen zwar
nicht immer im gleichen Sinne aus, wie meine am Menschen er¬
hobenen Befunde. Ein nicht geringer Teil der Unterschiede ist
aber sicher darauf zurückzuführen, dass die Versuchsanord-
8. Oktober 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2019
nung der verschiedenen Antoren nicht nur unter sich differierte,
sondern auch in vielen Punkten von der von mir befolgten
abwich. Auch für eine Reihe von am Menschen aus¬
geführten Versuchen so z. B. für diejenigen von Umber,
v Rzentowski u. a. gilt das zuletzt Gesagte.
Hinsichtlich der Beziehungen des osmotischen Drucks
eines Mineralwassers zum Verhalten der Motilität des
Magens haben meine Untersuchungen ergeben, dass eine Lö¬
sung von hoher Konzentration ceteris paribus länger im
Magen verweilt, als eine gleichartige Lösung von nied¬
rigerer Konzentration. Es ist dabei allerdings auf das Wort
.gleichartig“ der Nachdruck zu legen, da für die vor¬
liegende Frage ausser der physikalisch-chemischen Beschaffen-
heit der Lösung noch ihr rein chemischer Charakter von
hoher Bedeutung ist. Auch bezüglich der Einwirkung von
Mineralwässern auf den Dar m müssen die rein chemischen
Eigenschaften ebenso berücksichtigt werden, wie die physi¬
kalisch-chemische Konstitution der Lösung. Immerhin haben
die modernen Untersuchungen auch Anhaltspunkte für die
Richtigkeit der schon früher, so u. a. schon von L i e b i g, ge-
äusserten Auffassung abgegeben, dass Lösungen von hoher
molekularer Konzentration geeignet sind, einen Flüssigkeits¬
strom von der Darmwand in das Darmlumen zu erzeugen.
Die molekulare Konzentration der Galle lässt sich durch
Verabreichung von Mineralwässern anscheinend kaum beein¬
flussen. Wenigstens hat B o n a n n i bei einem Gallenfistel¬
träger durch Verabreichung von Tamerici- und Fiuggiwasser
eine nur geringfügige Aenderung der molekularen Konzentra¬
tion der aus der Fistel kommenden Galle erzeugen können und
ich selbst habe in zahlreichen Versuchen eine alimentäre Be-
einflussbarkeit der molekularen Konzentration der mensch¬
lichen Galle vöilig vermisst.
Was die Einwirkung der molekularen Konzentration von
Mineralwässern auf das Blut betrifft, so haben mir eigene
Untersuchungen, sowie diejenigen meines Schülers Gross-
m a n n gezeigt, dass bei gesunden Menschen kaum eine
Aenderung der molekularen Konzentration des Blutserums
durch die Zufuhr von Mineralwässern zu erreichen sein dürfte.
Grube und v. Szaböhy sind zwar zu anderen Ergebnissen
gelangt, ich. kann aber trotzdem nicht umhin, (ohne hier auf
die Frage des breiteren einzugehen), an den Schlüssen festzu¬
halten, die ich aus meinen eigenen Beobachtungen gezogen habe.
Dass beim Gesunden eine Veränderung des osmotischen
Druckes des Blutserums a u s b 1 e i b t, wird durch das prompte
Eingreifen der Nieren erreicht, welche ihre Wasser bezw.
Salz sezernierende Tätigkeit der jeweiligen Zufuhr stets so
exakt anpassen, dass beim gesunden Menschen eine Veränderung
der molekularen Konzentration des Blutes nicht zustande
kommen kann. Uebrigens verdient auch für die Nierenaus¬
scheidung die Spaltung der Salze in Ionen volle Beachtung,
denn es hat erst jüngst Berger nachgewiesen, dass von
Jodlithium, das in den Körper eingeführt wird, das Jodion und
Lithiumion nicht nach den gleichen Gesetzen ausgeschieden
werden. 1 J
Auch über die Einwirkung der molekularen Konzentration
von Bädern auf das Blut sind Untersuchungen angestellt,
doch berechtigt die Methodik derselben nicht zu einem exakten
Urteil über diesen Punkt, da wir die mit der Blutkörperchen-
Hämatokritmethode ausgeführten Bestimmungen der mole¬
kularen Konzentration nicht ohne weiteres mit den Ergebnissen
der Kryoskopie vergleichen können. Dies veranlasste mich
auch, hier von einer Erörterung der mit jener Methode er¬
zielten anderweitigen Ergebnisse Abstand zu nehmen.
Von verschiedenen Seiten wurde auch die Meinung ge-
äussert, dass die durch Dissoziationsvorgänge in feinste Teil¬
chen gespaltenen Salze beim Stoffwechsel in Form von
Katalysatoren eine Rolle spielen. Es ist dies jedoch ein
Gebiet, auf welchem noch viel hypothetisch ist. Weiterhin
wurde auch von K ö p p e u. a. Salzlösungen von gewisser Kon¬
zentration die Eigenschaft einer Energiequelle zugesprochen,
insofern als Lösungen von bestimmter Konzentration Flüssig¬
keitsströmungen bei Diffusionsvorgängen anzuregen ver¬
mögen. n
Die Energieentwicklung wäre in den betr. Fällen eine mehr
indirekte. Direkte Kraftäusserungen: sehen wir aber bei den
Radiumwirkungen zutage treten, wie sie sich u. a. in
der Radioaktivität der Mineralwässer äussern. Für die
Beurteilung baineotherapeutischer Fragen besitzt die Radium¬
emanation ein weit grösseres Interesse, als die Radium-
strahlung, da in den Wässern nur die Emanation zur
Wirkung gelangt. Die Emanation ist bekanntlich ein Gas,
welches von radioaktiven Substanzen ausgeht und die Eigen¬
schaft besitzt, sich in Wasser zu lösen und sich an festen
Gegenständen niederzuschlagen. In den Mineralwässern ist
die Emanation ähnlich gebunden, wie beispielsweise die Kohlen¬
säure im künstlichen Sodawasser. Sie lässt sich durch Schüt¬
teln, durch Kochen, sowie durch das Durchtreiben von Luft
durch die Lösung aus der Flüssigkeit entfernen. Da die radio¬
aktiven Substanzen in der Erde ausserordentlich verbreitet sind,
so ist es kein Wunder, dass die Mehrzahl der Mineralwässer
sowie überhaupt der Quellwässer radioaktiv ist. Radio¬
aktive Stoffe selbst sind bisher in der Mineralwässern nicht ge¬
funden worden, und die Emanation hat sich fast stets als Ema¬
nation des Radiums und nicht als Emanation anderer radio¬
aktiver Substanzen, wie des Polonium, Thorium, Aktinium etc.
erwiesen. Allerdings können Quellen Teile des Gesteines, das
sie durchspülen, mit sich führen und dann als Schlamm ab¬
setzen. Diese Quell Sedimente sind dann ebenfalls radio¬
aktiv, enthalten aber im Gegensatz zum Quell-
wasser primär radioaktive Substanz. Die
Emanation lässt sich in solchen Fällen von der radioaktiven
Substanz durch Kochen abtrennen, erzeugt sich aber in der
radioaktiven Substanz aufs neue. Es liegen bereits zahlreiche
Untersuchungen der Radioaktivität von Mineralquellen vor,
welche von Elster und Geitel, Engler und S i e v e -
k i n g, Mache, Hauser u. a. ausgeführt sind. Es hat sich
dabei gezeigt, dass gerade die an Mineralbestandteilen armen
Quellen nicht selten eine recht hohe Radioaktivittät besitzen.
Bemerkenswert ist, dass die den Mineralwässern mitge¬
teilte Emanation nur eine relativ eng begrenzte Zeit dem
Mineralwasser innewohnt und dasselbe relativ bald verlässt.
So enthält ein Mineralwasser meist schon 48 Stunden, nachdem
es die Quelle verlassen hat, nur noch die Hälfte der ursprüng¬
lichen Emanation und hat nach einigen Tagen seine Radio-
| aktivität vollkommen verloren. In Bezug auf den Gehalt an
I mitgeteilter Radioaktivität ist also ein Unterschied zwischen den
an der Quelle selbst getrunkenen Wässern und den
Versandwässern, und es ist der Gehalt an induzierter
Radioaktivität eines Wassers verschieden, je nachdem das
Wasser vorsichtig von der Quelle abgenommen wurde oder
ob das Wasser im Glase geschüttelt oder gar künstlich
erwärmt wurde. Auch verliert das Wasser bei Durch¬
leiten durch lange Rohrleitungen einen Teil seiner Radio¬
aktivität, wie dies beispielsweise für die Thermalwässer von
Gastein und Badenweiler nachgewiesen ist. Ebenso gut, wie
I man einem emanationshaltigen Mineralwasser durch Durch¬
pumpen von Luft seinen Gehalt an Radiumemanation entziehen
i kann, kann man einem Mineralwasser übrigens auch auf
künstlichem Wege dadurch Emanation mitteilen, dass man
emanationshaltige Luft durch das betreffende Wasser pumpt.
I Künstliche Mineralwässer sind nur dann radioaktiv, wenn
das zu ihrer Herstellung benützte Wasser radioaktiv war.
Von den Untersuchungen über die Radioaktivität
von Mineralwässern ist diejenige des Gasteiner Wassers
insofern von besonderem Interesse, als dieses eine be¬
sonders starke Radioaktivität zeigt. Dass am Gasteiner
Wasser, in welchem in früheren Zeiten die Chemiker
vergebens nach wirksamen Stoffen gesucht hatten, schon
früher bestimmte Wirkungen auf den Organismus auf-
gefallen waren, kommt übrigens schon darin zum Aus¬
druck, dass dieses Wasser den Namen der ;,Gift-
quelle“ trug. Auch hatten in demselben schon irüher
Baumgärtner und Marion Roller ein anderes elektro¬
lytisches Verhalten und die Bildung grösserer Mengen von
Wasserstoff nachgewiesen, als in gewöhnlichem Wasser. Die
Radioaktivität des Schlammes wurde besondeis stark be¬
funden im Quellschlamm der Baden-Badener Büttquelle, sow ie
in dem von Battaglia stammenden Fango. Dass in den M o o r-
erden radioaktive Substanzen fehlen, nimmt nicht wunder,
wenn man bedenkt, dass die Moore aus Verwitterungspro-
2020
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
dukten vegetabilischer (nicht mineralischer, wie beim Quell¬
schlamm) Stoffe bestehen.
Von den Wirkungen des Radiums wissen wir, dass die
Strahlen entwicklungshemmend und vernichtend auf Bak¬
terien (Aschkinass und Caspar i, Pfeiffer und
Friedberg, Hof mann und Scholz, Walkoff, Qie¬
sel, Becquerel und Curie, Kal mann, Rheinboldt
u. a.) und auf eine Reihe von Geweben schädigend wirken
können, abgesehen von ihrer Fluoreszenz erregenden Eigen¬
schaft und von den Veränderungen, die sie auf der photographi¬
schen Platte zu erzeugen vermögen. Ausserdem besitzen sie
die Fähigkeit, auf Substanzen, welche von ihnen getroffen wer¬
den, dissoziierend zu wirken, und sie in kleinste Teilchen
mit elektrischer Eigenladung, Ionen, zu zerlegen. Diese Eigen¬
schaft ist allerdings zurzeit nur für die Luft bezw. für Gase er¬
wiesen und dürfte für gewisse klimatische Wir¬
kungen nicht ganz gleichgültig sein. Ob die genannte Wirkung
aber auch für Heilquellen Geltung besitzt, ist zurzeit
fraglich, da eine solche zersetzende Wirkung des Radiums
gegenüber Flüssigkeiten bisher noch nicht erwiesen ist.
Immerhin darf man nach Analogie der aus der Dermato-
therapie bekannten Radiumwirkungen wohl annehmen, dass der
Gehalt von Bädern an induzierter Radioaktivität geeignet ist,
die oberen und in geringerem Grade auch die etwas tiefer ge¬
legenen Hautschichten zu hyperämisieren. L a q u e u r hat bei
arthritischen Prozessen unter dem Einfluss radiumhaltiger
Bäder eine Schmerzreaktion in den erkrankten Gelenken be¬
obachtet, und Löwenthal beschreibt ähnliches auch nach
Trinkkuren mit radiumhaltigen Wässern.
Die Aehnlichkeit beziehungsweise Uebereinstimmung
gewisser Wirkungen des Radiums mit denjenigen der
Röntgenstrahlen gab Veranlassung dazu, den Einfluss
des Radiums auf die Wirksamkeit von Fermenten
zu prüfen. Schon L e p i n e und B o u 1 u d hatten nach¬
gewiesen, dass das glykolytische Ferment durch Bestrahlung
mit Röntgenstrahlen reichlicher und wirksamer wurde. Es
wurde dann durch N e u b e r g und Wohlgemuth gezeigt,
dass die radioaktiven Körper die autolytischen Vorgänge im
Organismus zu beeinflussen vermögen. Berg eil und
Bickel wiesen nach, dass die Radiumemanation und zwar
nicht bloss die natürliche des Quellwassers, sondern auch die
künstlich zugesetzte, die peptische Wirksamkeit des Magen¬
saftes zu steigern vermochte. Aehnliches haben dann auch
B e r g e 1 1 und Braunstein für das eiweissverdauende
Ferment des Pankreas dargetan. So interessant diese Beob¬
achtungen auch sind, so lässt sich indessen zurzeit noch
nicht übersehen, bis zu welchem Grade eine
Uebertragung dieser tierexperimentellen
Feststellungen auf die praktische Medizin
zulässig ist. Jedenfalls erscheinen weitgehende Schlüsse
für die praktische Medizin vorerst noch nicht am Platze, son¬
dern es sind erst noch zahlreiche Beobachtungen am kranken
Menschen notwendig, ehe auf diesem Gebiete ein klares Urteil
möglich sein wird. Dies gilt auch von der weiteren ausser¬
ordentlich interessanten Beobachtung, nämlich der Erschei¬
nung, dass sich die durch die Atmung aufgenommene Radium¬
emanation noch relativ lange in der Atmungsluft und im Harn
nachweisen lässt. So haben Elster und G eitel noch
18 Stunden nach einem relativ kurzdauernden Verweilen in
einem emanationshaltigen Raum im Urin und in der Atmungs¬
luft Emanation nachweisen können, allerdings ohne dass irgend¬
welche Veränderungen im Allgemeinbefinden der betreffenden
Versuchsperson zu beobachten waren. Von Interesse sind hier
auch die Trinkversuche von Stegmann und Just, sowie von
K a 1 111 a n n. S t e g m a n n und Just tranken bis zu einem
Liter Baden-Badener Büttquelle und fanden in der nachher
ausgeatmeten Luft grössere Mengen von Emanation. Die Aus¬
scheidung erreichte nach etwa 15—25 Minuten ihr Maximum
und klang nach 1—2 Stunden allmählich ab. Auch bei der Einver¬
leibung der Büttquelle per Klysma zeigte die Exspirationsluft
Emanation. Im Urin dagegen war ein deutlicher Uebertritt
von Emanation nicht nachzuweisen. Kalman n fand den
Ui in nach I rinken von Gasteiner Wasser emanationshaltig und
zwar nahm die Emanationsausscheidung im Harn vom ersten
bis zum letzten Trinktage ab. Dabei betrug der Höchstwert
der in den Urin übergegangenen Emanation allerdings nur einen
kleinen Bruchteil der Emanationszufuhr. Eine Aufnahme der
Emanation aus emanationshaltigem Badewasser konnte bisher
noch nicht mit Sicherheit festgestellt werden (W i c k,
Stegmann und Jus t).
Die Radiumforschungen des vergangenen Jahrzehnts
haben in besonderem Grade gezeigt, wie viel bis vor kurzem
noch unbekannt gewesene Kräfte in der uns umgebenden Natur
vorhanden sind, Kräfte, von denen es feststeht, dass sie bio¬
logische Wirkungen zu entfalten vermögen, und es ist
auch nichts begreiflicher, als dass die Balneölogie bei jeder
neuen Entdeckung auf dem Gebiete der Naturwissenschaften
die Frage stellt, ob und wieweit die neuen Entdeckungen für
die Erklärung der bis jetzt an vielen Stellen noch dunklen
Mineralwasserwirkungen verwendbar sind. Nichts ist auch
natürlicher — und die Geschichte der Medizin liefert dafür zahl¬
reiche Beispiele — , als dass gerade bei neuen Entdeckungen
sich an gar manchen Stellen ein Enthusiasmus bemerkbar
macht, welcher die Beurteilung der Beziehungen zwischen der
neuen Entdeckung und dem Gegenstände, welchem man die
Entdeckung gerne dienstbar machen möchte, recht störend
beeinflusst. Für eine ruhige Beurteilung der Dinge
genügt aber die Feststellung der Tatsache, dass eine neuent¬
deckte Substanz biologische Wirkungen überhaupt zu ent¬
falten vermag, noch nicht, um zu sagen, dass ihre bis jetzt fest¬
gehaltenen biologischen Wirkungen mit ihren Heilwir¬
kungen identisch sind. Deshalb müssen wir uns auch be¬
züglich der von den Mineralwässern ausgehenden Radium¬
wirkungen zurzeit damit bescheiden, nur von Möglich¬
keiten zu sprechen, und müssen meines Erachtens zurzeit
noch darauf verzichten, von bestimmten, bei der praktischen
Verwendung von Mineralwässern sicher zu Geltung kom¬
menden, Radiumwirkungen zu sprechen.
Dies hier offen ausgesprochen, scheint mir keines¬
wegs beschämend, denn es sind kaum 10 Jahre ver¬
gangen, seitdem Becquerel die Uranstrahlen und
das Ehepaar Curie die Radiumstrahlen entdeckt haben.
Wir stehen also noch ganz im Anfänge* der Er¬
forschung. Wenn wi* erwägen, wie kompliziert die Vorgänge
sind, die uns hier beschäftigen und wie lange es gedauert hat,
bis wir über andere, weniger komplizierte Fragen der Biologie
ins Klare gekommen sind, so wird man es verstehen, ein wie
grosses Mass von Arbeit noch notwendig sein wird, ehe wir
auch auf dem vorliegenden Gebiete auf festen Boden gelangen.
Anerkennend müssen wir aber schon heute sagen, dass die
Fortschrite der physikalischen Chemie uns nicht bloss neue
Fragestellungen, sondern auch neue Arbeitsmethoden geliefert
haben, die uns gestatten, auf neuen Wegen Licht in ein Dunkel
zu bringen, dessen Erhellung Jahrhunderte hindurch Männer
der Praxis wie der Theorie nachhaltig beschäftigt hat. Wei¬
teren Fortschritten des Erkennens winkt auch hier noch die
dankbare Aufgabe, mystische Vorstellungen durch klare Kennt¬
nisse zu ersetzen. Mit der Zunahme unseres Kennens pflegt
sich bekanntlich aber häufig auch unser Können zu mehren.
Allerdings müssen die Forschungen auch hier von einseitiger
Betrachtungsweise fern bleiben, denn es werden — ich
wiederhole damit eine erst jüngst von Kraus gemachte Be¬
merkung — die sich hier bietenden Probleme nur durch die An¬
wendung der gesamten biologischen Forschungsmittel im
Verein mit einer nüchternen klinischen Kritik zu lösen sein.
Aus der Kuranstalt „Villa Hedwig“ zu Badenweiler (ärztliche
Leitung Dr. A. Fraenkel, Badenweiler-Heidelberg).
Neue Mitteilungen zur intravenösen Strophanthintherapie.
Von Dr. Max Hedinger.
Ueber die Indikationen, Anwendungsweise und Erfolge
intravenöser Strophanthininjektionen hat Albert Fraenkel-
Badenweiler zuerst auf dem 23. Kongress für innere Medizin
und dann in der Therapie der Gegenwart 1907, Heft 2 berichtet.
Die Ergebnisse des eingehenden Studiums der neuen Methode
sind in der von Albert F r a e n k e 1 und G. S c h w a r t z ver¬
öffentlichten Arbeit „über intravenöse Strophanthininjektionen“
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2021
im Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie 1907,
Band 57 niedergelegt (Ref. d. W. No. 32, S. 1603).
Die dort besprochenen Erfahrungen sind im Laufe dieses
Sommers iu der Privatpraxis Dr. E i a e n k e 1 s bedeutend er¬
weitert worden. Es wurden in den letzten 4 Monaten bei
15 Patienten 65 Injektionen mit Strophanthin Böhringer aus¬
geführt. Einer Anregung meines Chefs folge ich, wenn ich
hierüber in Kürze berichte.
In der zuletzt zitierten Arbeit ist an der Hand von Kranken¬
geschichten nachgewiesen, welche Vorteile die intravenöse
Strophanthininjektion gegenüber der Digitalisdarreichung per
os besitzt. Die fast sofortige volle Digitaliswirkung mit allen
ihren charakteristischen Merkmalen, der Wegfall der intesti¬
nalen Nebenwirkungen^ haben sich als hauptsächlichste und
grosse Vorzüge der Methode auch neuerdings wieder in allen
Fällen kardialer Kreislaufstörungen bestätigen lassen. So
würde nur schon Gesagtes zu wiederholen sein, wenn nicht in
der oben angeführten Arbeit zwei Punkte hervorgehoben
wären, deren Klarstellung für die weitere Einführung und An¬
wendung der neuen Therapie nötig erschien.
Als unliebsame Nebenwirkungen hatten sich nach den Ein¬
spritzungen gelegentlich Fröste und flüchtige Temperatursteige¬
rungen eingestellt, deren Herkunft anfangs sich nicht erklären
Hess. Auf die Aufdeckung der Ursache und die Möglichkeit
ihrer Beseitigung war also besonders zu achten. Wenn auch
nachhaltiger Schaden von dieser Komplikation nicht gesehen
wurde, so war sie doch nicht gleichgültig und stand der Ver¬
breitung der Methode im Wege. Ferner war die Frage an¬
geschnitten, inwieweit die Methode berufen ist, die, interne
Digitalistherapie noch weiter zu ersetzen, bezw. wann es an¬
gezeigt wäre, in angemessenen Abständen häufigere Injektionen
zu machen.
Ueber die beiden Fragen lässt sich auf Grund unserer
jetzigen Erfahrungen ein Urteil abgeben.
Was zunächst die Temperatursteigerungen anlangt, so
haben wir sie anfangs in 5 Fällen beobachtet. Keine von ihnen
hat 38° überschritten und keine war mit Frösten oder
Zyanose verbunden. Seit aber in der (von der Firma
Dr. Ka de -Berlin hergestellten) Injektionsflüssigkeit einzelne
Verunreinigungen festgestellt waren, wird eine genaueste Kon¬
trolle der Sterilisation der Lösungen von der Fabrik vor-
genommen und seitdem sind Temperatu rsteigerungen nicht
mehr vorgekommen. Die Frage nach der Herkunft der Tem¬
peratursteigerungen kann als gelöst betrachtet werden : sie
waren sicher bakterieller Natur. Der Praktiker wird also in
Zukunft mit diesen Zwischenfällen nicht mehr zu rechnen
haben, die ihn wohl manchmal von der Anwendung der intia-
venösen Injektion des Strophanthins absehen Hessen.
Zur Technik der Injektion wäre hinzuzufügen, dass am
besten eine L i e b e r g sehe Glasspritze mit dünner Kanüle und
zum Abschnüren des Armes ein dünner Gummischlauch odei
einfaches Gummiband, das mit einer P e a n sehen Klemm¬
pinzette festgehalten wird, verwandt werden. Gummibinden
sind nicht leicht abzunehmen, ohne den Arm aus seiner Ruhelage
zu bringen. Wohl aber ist dies bei Anwendung des Schlauches
möglich, und die Injektion der Flüssigkeit in die Vene ist da¬
durch sehr erleichtert; denn wegen der Gefahr entzündlicher
Reizerscheinungen muss vermieden werden, dass auch nur ein
kleiner Teil der Injektionsflüssigkeit statt in die Vene in das
umgebende Gewebe oder in die Venenwand gespritzt wild.
Deshalb ist erste Regel bei jeder Injektion, erst das Einlaufen
von Blut in die Spritze, das meist schon ohne Aspiration er¬
folgt, abzuwarten als sicheres Zeichen, dass man sich in dei
Vene befindet. Bei dieser Methode und unter diesen Kautelen
sind nur noch bei 5 von 65 Injektionen lokale Reizerschei¬
nungen, die dem Patienten einige Tage Unbequemlichkeiten
verursachten, aber nie zu Abszedierung führten, vorge¬
kommen. Es handelte sich meist um Fälle, wo entweder
Oedeme der Oberarme bestanden, oder die Injektion in die
Kubitalvene deshalb erschwert war, weil die Vene nur gefühlt,
nicht gesehen werden konnte.
Zur Frage der gehäuften Strophanthininjektionen als Er¬
satzmittel für interne Digitalisdarreichung muss zunächst be¬
merkt werden, dass bisher bei ein und demselben Patienten
mehr wie 5 Injektionen in einem verhältnismässig kurzen Zeit¬
raum von Fraenkel und Schwartz nicht gemacht
worden waren. Auch andere scheinen es nicht gewagt zu
haben, die Einspritzungen noch weiter zu häufen. Dass inner¬
halb 24 S+unden nur eine einzige Injektion von 1 mg Stro¬
phanthin gemacht werden darf, ist von Anfang an von
Fraenkel festgelegt worden. An diesem Zeitraum raten
wir, festzuhalten, um die Gefahr der Kumulation zu vermeiden;
jenseits dieses Zeitraums erscheint eine Kumulationsgefahr aus¬
geschlossen. Hier soll auch nochmals betont werden, dass bei
Patienten, die per os Digitalispräparate erhalten haben, die
Medikation des betreffenden Präparates mindestens 2 Tage aus¬
gesetzt werden muss, ehe die intravenöse Strophanthinein¬
spritzung gemacht werden darf. Entgegen der bei höchster
Herzinsuffizienz bisher angeratenen Vorsicht in der Dosierung,
hat sich uns als richtige Dosis in allen Fällen 1 mg (= dem In¬
halt einer Ampulle) ergeben.
Die Möglichkeit, Strophanthin über eine längere Zeit in
kürzeren Abständen fortgesetzt und mit stets gleichbleibender
Wirkung zu injizieren, möchte ich an der Hand einer Kranken¬
geschichte eines Patienten zeigen, der im Zeitraum von 3 Mo¬
naten 20 Injektionen erhielt.
General B„ 57 Jahre, aus Russland. Eintritt in die Behandlung:
Diagnose: Arteriosklerotische Schrumpfniere mit chronischer
Herzinsuffizienz.
Anamnese: Mit 28 Jahren Malaria und Typhus exanthemati-
cus. Seither viel Husten und Auswurf, seit 1884 ..Emphysem“. 1900
setzte Atemnot ein mit Herzklopfen. In den folgenden Jahren be¬
suchte Patient verschiedene Kurorte mit wechselndem Erfolg. 1905
grössere Atemnot, „Myokarditis“. 1906 katarrhalische Pneumonie
und Pleuritis, Anfälle von Angina pectoris. Die letzten Wochen vor
seiner Ankunft hier geschwollene Beine, viel Atemnot, Schlaflosigkeit.
Medikamente vom Magen nicht vertragen, weder Di-
gitalis noch Jod. Von Prof. F. Kraus zur Kur geschickt.
Status praesens: Hochgradige Atemnot, '28 Respirationen
pro Minute, Zyanose der Lippen bei sonst anämischem Aussehen.
Leichte Oedeme über den Tibien. Cor nach rechts und links ver¬
breitert, unreiner 1. Ton, Akzentuation beider 2. Töne an der Basis,
2. Pulmonalton lauter als 2. Aortenton, Herzaktion sehr irregulär
104. Puls gespannt, aussetzend, inäqual; Blutdruck stark erhöht:
systolischer 310 cm Wasser, diastolischer 180 (mit v. Reckling¬
hausens Tonometer gemessen). Starkes Emphvsema pulmonum,
hinten unten beiderseits reichliche katarrhalische Geräusche, . rechts
hinten unten kleines Exsudat (?). Hepar reicht in der Mammi lar-
linie 3 Querfinger über den Rippenbogen hinaus, druckempfindlich.
Viel Magenbeschwerden. Urin: Albumen XA— Vz Prom. E s b ach. Im
Sediment reichlich hyaline und vereinzelt granulierte Zylinder.
Leukozyten, kein Blut.
Therapie. Strophanthin intravenös, gelegentlich Jodnatrium
per Klysma.
Zeit
Blutdruck in
cm Wasser
am Oberarm
gemessen
Amplitude-
= A
Frequenz der
Herzaktion = n
c
<
Respirationen in
der Minute
Diurese in
24 Stunden
systol.
dia-
stol.
mitt¬
lerer
1907
4. VI. 740
#
104
•
28
•
745
749
80
24
3000
5. VI.
•
•
80
24
•
2. VII.
92
•
1200
3. VII. 8°°
270
190
230
80
82
6 560
36
•
825
•
•
•
•
*
•
82S
310
210
260
100
82
8 200
28
•
880
320
200
260
120
76
9 120
24
.
835
320
190
255
130
80
10 400
28
3000
4. VII.
.
88
•
24
2500
25. VII.
.
.
88
•
32
1000
26. VII. 715
330
210
270
120
92
11 040
36
•
726
•
•
•
•
•
•
•
728
350
210
280
140
92
12 880
24
734
340
196
268
144
80
11 520
20
2100
27. VII.
300
170|235
130
68
8 840
20
•
28. VIII. 7Ü0
#
s
.
104
36
•
705
710
•
.
.
.
76
.
24
2000
29. VIII.
•
9
#
#
76
•
24
1500
Hochgrad. Atemnot, Zyanose.
1 mg Strophanthin.
(I. Injektion.)
Nacht gut.
Wachsende Atemnot.
1 mg Strophanthin.
(VIII. Injektion.)
Subjektiv hochgrad. Erleicht.
Atemnot, Nacht schlecht.
Puls sehr irregulär u. inäqu.
1 mg Strophanthin.
(XI. Injektion.)
Vereinzelte Pulse voller.
Puls viel voller u. äqualer.
Nachts gut geschlafen.
1 mg Strophanthin.
(XIX. Injektion.)
Gleich nach d. Injektion Er¬
leichterung.
Nachts gut geschlafen.
2U22
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Wirsehen in dieser Tabelle, dass 4 Minuten nach der ersten
Einspritzung kräftiger, regelmässiger Puls von 80 und Atmung
von 24 in der Minute eintreten. Erhebliche subjektive Besserung,
eine Nacht mit gutem Schlaf im Gegensatz zu vorhergehenden
schlaflosen Nächten und eine Diurese von 3000 ccm folgen. Da
der Patient wegen heftiger Magenbeschwerden Digitalis per os
nicht ertrug, war dadurch die weitere Indikation gegeben, statt
einer chronischen internen Digitalisierung eine chronische intra¬
venöse Strophanthinbehandlung eintreten zu lassen.
Es wurde nun mit den erneuten Injektionen von stets 1 mg
Strophanthin abgewartet, bis die Wirkung der voraus¬
gegangenen Injektion abgeklungen war und dann von neuem
injiziert. Die stets gleichbleibende Wirkung der Injektionen
wird durch obige Tabelle demonstriert.
Man sieht objektiv eine jedesmal kurze Zeit nach der In¬
jektion auftretende volle Digitaliswirkung mit all ihren charak¬
teristischen Symptomen: Langsamer- und Kräftigerwerden
des Pulses, Zurückgehen der Atemfrequenz und Verschwinden
der Atemnot, Ansteigen der Diurese. Auch die Amplitude und
das Amplitudenfrequenzprodukt wachsen in der von Fraen-
kel-Schwartz angegebenen, für Digitalis charakteristi¬
schen Weise an. Subjektiv tritt die günstige Wirkung fast blitz¬
artig ein. Schon wenige Minuten nach den Einspritzungen, und
zwar nach der 20. in gleicher Weise wie nach der 1., gibt der
Kranke an, leicht zu atmen; unangenehme Sensationen am Her¬
zen und Druck in der Lebergegend verschwinden. Der vorher
orthopnoische Kranke kann die folgenden Nächte (oft auch bald
nach der Einspritzung am Tage) in fast horizontaler Rücken¬
lage schlafen und ist auch am Tage frei von Atemnot. Die Er¬
leichterung, die der Kranke jedesmal erfährt, spricht sich
in einem Stimmungsumschlag und auch darin aus, dass er bei
Nachlass der Strophänthinwirkung von selbst und dringend
um weitere Injektionen bittet.
Wie bei diesem Patienten wurde das Strophanthin konti¬
nuierlich in einer Reihe anderer Fälle verabreicht, die teilweise
noch jetzt in Behandlung stehen. Sämmtliche Kranke litten
an primärer oder sekundärer chronischer Herzinsuffizienz. Bei
allen war die Strophanthinwirkung bei mehrfacher Injektion
stets die gleich gute und schwächte sich nie ab.
So wurden — um noch ein Beispiel kurz anzuführen —
bei einem 45 Jahre alten Patienten (Herrn O. aus Baden), der
an interstitieller Nephritis mit Herzinsuffizienz (Anfälle von
schwerem Asthma cardiale) litt, innerhalb von 6 Wochen
11 Strophantininjektionen gegeben. Jedesmal wurde ein sehr
guter subjektiver und objektiver Erfolg auf die Atmung er¬
zielt, so dass auch dieser Patient zu den gehäuften Injektionen
drängte.
Welche Rolle bei der Strophanthintherapie die richtige Aus¬
wahl der Fälle spielt, ist im einzelnen ebenfalls in der Arbeit
von Fraenkel und Schwartz besprochen. Dass nur
solche Fälle geeignet erscheinen, in denen es auf die Beseitigung
kardialer Kreislaufstörungen ankommt, ist dort ausgeführt.
Die Digitaliswirkung bei der intravenösen Einverleibung von
Strophanthin ist eine so charakteristische, dass aus ihrem Auf¬
treten und Ausbleiben auf die Natur des Krankheitsbildes ge¬
schlossen werden kann. So gewinnt bei einem Hydropischen
die erste Injektion die Bedeutung eines diagnostischen
Kriteriums. Denn nur auf Herzinsuffizienz beruhende
Oedeme sind der Strophanthinwirkung zugänglich. Es wird
daher auch nach unseren neuen Erfahrungen bei einem nega¬
tiven Ausfall der Injektion von einer Wiederholung abzusehen
sein, ebenso wie sich bei positivem Ausfall die Erneuerung
des therapeutischen Erfolges bei weiteren Injektionen aufs Be¬
stimmteste erhoffen lässt.
Die richtige Auswahl der Fälle erfordert weiterhin noch
ein besonderes Wort. Veranlassung dazu geben gelegentliche
mündliche Mitteilungen von befreundeter Seite über plötzliche
Verschlimmerungen nach der Strophanthineinspritzung
und der von K o 1 1 m a n n ') veröffentlichte Todes¬
fall. Kottmann sah nach einer Injektion von 0,6 mg
*) Kottmann: Zur Dosierung des Digalens bei intravenöser
Anwendung. Nebst Bemerkungen über einen foudroyanten Todesfall
durch eine intravenöse Strophantininjektion. Korrespondenzblatt für
Schweizer Aerzte, 1907, No. 10, S. 306.
Strophanthin den Herztod eintreten. Leider entbehrt die Ver¬
öffentlichung einer orientierenden Krankengeschichte und sie
fällt schon dadurch ausserhalb des Rahmens einer sachlichen
Kritik. Bei den auf privatem Wege mitgeteilten ungünstigen
Ausgängen hat es sich sicher um ganz hoffnungslose Fälle ge¬
handelt, wo das Strophanthin nach allen anderen Medikamenten
als ultima ratio angewandt wurde. Aus solchen Fällen dürften
aber billigerweise keine Schlüsse gezogen werden.
Auch wir haben unter der Zahl der Patienten, die in diesem
Sommer mit Strophanthin behandelt wurden, einen Todesfall
zu verzeichnen; er betrifft eine Greisin mit schwerer Herz¬
insuffizienz bei Arteriosklerose.
Frau B. aus F., 80 Jahre alt, vor 1 Jahr leichter apoplektischer '
Insult, seither leichte senile Demenzerscheinungen. Sehr fettleibige
Dame, starke exspiratorische Dyspnoe (32—40 Resp. in der Minute),
starke Zyanose, keine Oedeme. Starkes Emphysem und diffuse Bron¬
chitis, quälender Hustenreiz Tag und Nacht. Cor nach rechts ver¬
breitert, Töne sehr leise, hie und da irreguläre Herzaktion 80—90
Schläge in der Minute. Leber vergrössert und druckempfindlich.
Urin frei von Albumen. Blutdruck am fettreichen Oberarm nicht
genau bestimmbar. Puls klein und inäqual, fühlbare Arterien hart.
Die Kranke klagt dauernd über Atemnot und zeitweise Schmer¬
zen am Cor mit Angor.
Diurese aus äusseren Gründen nicht genau bestimmbar, nicht
erheblich vermindert. Durch Digitalis per os vorübergehende Bes¬
serung, Jodkalium und Kodein ohne Effekt.
Am 24. VI. 07 nimmt der Zustand einen bedrohlichen Charakter
an, der Puls wird klein, frequent, 100 in der Minute, die Atmung
wird noch rascher und oberflächlich, die Kranke apathisch. Eine rasch
ausgeführte Strophanthininjektion brachte sofortige Erleichterung.
Wenige Stunden nach der Injektion ist der Puls wieder auf 80
zurückgegangen, die Atmung ist leichter und die Patientin wieder
mobil: sie kann am nächsten Tage ihre Ausfahrten wieder aufnehmen.
Es geht gut bis zum 10. VII. Patientin klagt über vermehrte Schmer¬
zen in der Herzgegend, hat objektiv und subjektiv wieder stärkere
Dyspnoe, der Puls ist wieder klein und über 100, die Nächte absolut
schlaflos. Eine 2. Strophanthininjektion besserte sofort den Puls, er¬
leichterte die Kranke, so dass man die Gefahr beseitigt glaubte. 7
Stunden nach der Injektion verlangt die Kranke aus dem Schlaf er¬
wachend aus dem Bett und kaum hat sie dasselbe verlassen, fällt sie
tot um. Die Autopsie wurde leider versagt.
Bei diesem Todesfall nach einer Strophanthininjektion
wirft sich die Frage auf, ob es sich überhaupt um einen Stro¬
phanthinexitus bei der Herzkranken handelte. Wir wissen, dass
Herzkranke meist plötzlichen Todes sterben. Das Herzmittel
kann den Tod oft, vielleicht jahrelang, abwenden, einmal aber
kommt der Moment, wo das Herz nicht mehr auf Digitalis¬
präparate anspricht. Haben wir dann gerade das Herzmittel
gegeben, so tritt der Tod unter Arzneimittelgegenwart ein. Es
frägt sich dann, ist das Herzmittel die Ursache, worauf die bis¬
herige Antwort, wenn Kumulationserscheinungen nicht einge¬
treten waren, ,,nein“ lautete. Todesfälle, die während einer
erfolgreichen internen Digitalismedikation eintreten, würde nie¬
mand der Digitalismedikation zur Last legen. Wir haben einen
in dieser Hinsicht sehr instruktiven Fall kürzlich erlebt.
Herr W. aus M.. 50 Jahre alt.
Diagnose: Chronische Myocarditis valde decompensata.
Status: Starke Dyspnoe, 28 Respirat. hochgradige Zyanose,
starke Oedeme der unteren Extremitäten.
Cor: Starke Verbreiterung hauptsächlich nach rechts, sehr fre¬
quente und irreguläre Herzaktion (136 in der Minute). Puls sehr
klein, sehr inäqual, ca. 96 Pulsschläge schwer zählbar. Hepar gross
und druckeniDfindlich. In beiden Pleurahöhlen mässige Transsudate.
Diurese trotz kurz vorhergehender Digitalismedikation spärlich
(800 pro die). Urin enthält Albumen. Der orthopnoische Kranke ist
Tag und Nacht ruhelos und schläft auch nach Morphium und Veronal
nicht. Nachdem Patient 2 Tage ohne Digitalisbehandlung in Be¬
obachtung gewesen ist. erhält er am 11. VII. und am 12. VII. 07 (im
Abstande von 31 Stunden) je 1 mg Strophanthin intravenös mit vollem
und raschem Erfolg auf Puls. Diurese und Dyspnoe. Schon nach der
1. Einspritzung konnte der Kranke wieder schlafen. Zur Festigung
und Vertiefung dieses Strophanthineffektes wurden vom 13. — 15. je
0,3, am 16. und 17. je 0,2 Digitalispulver verabreicht. Die Diurese
hob sich dabei noch stärker, bis zu 2800 ccm Urin pro die, die
Herzaktion wurde auf 80 verlangsamt und der Puls ward kräftig und
setzte nicht mehr aus. Die Oedeme verschwanden vollständig. Der
Kranke hatte sich im Verlauf einer Woche derart gebessert, dass er
wieder herumging. Am 18. erfolgte inmitten völligen Wohlbefindens
und ohne jede Vorboten während der an der allgemeinen Tafel ein¬
genommenen Mahlzeit plötzlich der Tod.
In diesem Fall wird jeder mit uns einen plötzlichen Todes¬
fall annehmen, der nicht durch die Digitalismedikation ver-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2023
schuldet, sondern trotz erfolgreicher Digitaliswirkung bei einem
schwer Herzkranken eingetreten ist.
Nur wo nach interner Digitalismedikation oder unmittel¬
bar nach Strophanthininjektion Irregularität und Tachykardie,
die bekannten Symptome der Kumulation, eintreten, kann an
Intoxikation gedacht werden, wobei noch zu berücksichtigen
ist, dass diese Zustände häufig auch spontan bei Herzkranken,
besonders versus finem auftreten.
Natürlich wäre bei jedem Todesfall nach Strophan¬
thin die Autopsie wünschenswert. Der Nachweis einer
Apoplexie oder Embolie würde das Strophanthin sofort ent¬
lasten Belasten könnte die Medikation nur der Umstand, dass
sonst keine Todesursache gefunden wird. Der Sektionsbefund
eines , maximal in Systolestellung kontrahierten linken Ven¬
trikels wie ihn K o 1 1 m a n n (1. c.) als beweisend für Strophan¬
thintod angegeben hat, ist n i c h t beweisend. Wir wissen ein¬
fach nicht, warum das Herz in der Leiche manchmal erschlafft,
manchmal mehr weniger kontrahiert angetroffen wird
Der Umstand, dass der Tod nach einer Strophanthin¬
injektion oder während einer Digitalismedikation eintritt, be¬
weist nichts. Auch in unseren beiden obigen Fällen, wo der
Tod einmal unter Strophanthin-, das andere Mal unter Digitahs-
pulverwirkung eintrat, haben wir keinen Grund, den unglück¬
lichen Ausgang der Medikation und nicht der Krankheit zuzu-
schreiben. Vor der Anwendung des Strophanthins warnen zu
wollen, wäre ebenso verkehrt, wie eine Warnung vor Digi¬
talispulver.
Fassen wir zusammen: • . . .
1. Die schnelle und sichere Wirkung des Strophanthins in
Fällen kardialer Kreislaufsstörungen ist auch durch die neue
Reihe von Injektionen wieder bewiesen.
2. Die störenden Nebenwirkungen (Temperatursteigerungen
und Fröste) beruhen auf bakteriellen Verunreinigungen der
Lösungen. Ihr Ausbleiben ist jetzt durch absolut sichere
Sterilisation des Handelspräparates garantiert.
3. Der therapeutische Erfolg der Strophanthininjektionen
schwächt sich auch bei sich häufig folgenden Einspritzungen
nicht ab, oder nur so, wie es der Natur eines progredienten
Leidens entspricht. , . ....
4. Kumulationserscheinungen sind bei den früher von
Fraenkel - Schwartz festgesetzten Dosen und Zeitab¬
ständen nicht aufgetreten. (1 mg nicht öfter als alle 24 Stunden.)
5. Die intravenöse Strophanthintherapie
ist in weitgehender Weise berufen, die Digi¬
talistherapie per os zu ersetzen.
Ueber den Kernikterus der Neugeborenen.*)
Von Prof. R. B e n e k e in Marburg.
Vor einigen Jahren hat Schmor 1 (Verhandlungen der
D. pathol. Gesellsch. VI 1904) auf eine eigentümliche Form des
Icterus neonatorum aufmerksam gemacht, bei welcher eine
scharf lokalisierte, äusserst intensive Gallenfärbung bestimmter
Nervenkerngebiete neben der gewöhnlichen kaum bemeik-
baren diffusen Verfärbung des übrigen Nervensystems hervor¬
tritt. Die erkrankten Herde waren in Schmorls Fällen an¬
scheinend immer die gleichen, nämlich der Linsenkein, der
L u y s sehe Körper, das Ammonshorn, der Nucleus dentatus,
die Olive und die sensiblen Nervenkerne der Medulla oblongata ,
in einem Fall zeigte auch das Rückenmark Gelbfärbung, be¬
sonders in den Hinterhörnern. Die Rinde des Gross- und
Kleinhirns, der Kopf des Streifenhügels und der Thalamus opti¬
cus waren frei von spezifischer Färbung. Histologisch fand
S c h m o r 1 als Grundlage dieses „Kernikterus“ eine intensive
Gallenfärbung zahlreicher Ganglienzellen und ihrer Ausläufer
in den betreffenden Gebieten; diese Zellen erschienen gleich¬
zeitig mehr oder weniger deutlich nekrotisch (mangelhafte Kern¬
färbung, homogen glänzendes Protoplasma, unvollkommene
Nisslkörnung); die Gelbfärbung erstreckte sich auf ein feines,
offenbar den Ausläufern der Ganglienzellen entsprechendes
Netzwerk. Ausserdem fanden sich innerhalb und ausserhalb dei
gelben Herde reichlich feine rhombische Bilirubinkrystalle, sel¬
tener Bilirubinnadeln (fast nur in Blutgefässen).
Diesen eigenartigen, seltenen Befund — Schmor 1 be¬
obachtete ihn unter 120 Fällen von Icterus neon. nur 6 mal —
vergleicht Schmorl mit der lokalisierten Verankerung be¬
stimmter Giftstoffe an bestimmte Ganglienzellgruppen; ob da¬
bei eine primäre Aufnahme zellschädigender Gallenbestandteile
die Nekrose bedingt und die Gallenfärbung der letzteren nach¬
folgt, oder ob eine primäre intensive Farbstoffaufnahme die
Nekrose der Zellen nach sich zieht, lässt er einstweilen un¬
entschieden.
Gleichzeitig machte Schmorl darauf aufmerksam, dass
in solchen Fällen die durch Formalinbehandlung in iktcrischen
Organen regelmässig zu erzeugende Grünfärbung ausbleibt,
und zwar nicht nur in den gelben Nervenkernen, sondern auch
in den übrigen Organen; die Leber eines solchen Falles blieb
in derselben Formalinlösung, welche die gleich ikterische eines
Neonatus ohne Kernikterus grüngefärbt hatte, gelbbraun.
Hieraus musste der Schluss gezogen werden, dass dei Ikterus
jener Fälle durch eine besondere Modifikation des Gallenfarb¬
stoffes verankert wird, welche durch Formalin und Sublimat
nicht oxydiert wird. Der leicht zersetzliche Farbstoff ver¬
schwindet am Licht, in Alkohol, Formalin und Sublimat all¬
mählich; Chloroform löst ihn rasch auf. Die Gmelinsche
Probe gelingt erst nach Vorbehandlung der Schnitte mit dünner
Kalilauge, ähnlich wie bei der ikterischen Verfärbung des Ge¬
hirns in der Umgebung grösserer Blutergüsse.
Die letzte Ursache der eigentümlichen Erkrankung kann,
nach Schmorls Darstellung, weder in der Dauer und dem
Grad des Ikterus, noch in dem Lebensalter, oder besonderen
Erkrankungen der betr. Kinder (Lues, Enteritis) gesucht werden
und harrt noch ihrer Aufklärung.
Diese Entdeckung Schmorls ist, wie es scheint, in der
Literatur bisher noch nicht weiter verfolgt worden. Die Selten¬
heit des Befundes — einen ähnlichen hat nur vor Jahren ein¬
mal Orth1) beschrieben — rechtfertigt wohl die Veröffent¬
lichung des nachfolgenden Falles, wenn derselbe auch eine
wesentliche Aufklärung über die Genese der eigenartigen
Nervenkernfärbungen nicht gebracht hat. .
Es handelte sich um den erstgeborenen von 2 infolge eines hef¬
tigen Schrecks der Mutter zu früh (ca. 6 Wochen vor der berechne¬
ten Zeit!) geborenen Zwillingen. Die Eltern hatten vor 9 Jahren
schon einmal Zwillinge, welche gesund sind; dann folgte ein Knabe,
der einige Tage nach der Geburt unter ähnlichen Eischeinungen wie
die letzten Zwillinge starb. 2 weitere Schwangerschaften endeten
mit dem intrauterinen Tod der Früchte ohne nachweisbare Ursache.
Beide zuletzt geborene Zwillinge zeigten auffallend bald nach uei,
übrigens ganz leichten Geburt, nämlich schon nach 12 Stunden, ikte¬
rische Verfärbung; im übrigen waren sie zunächst anscheinend ganz
normal. Etwa 20 Stunden nach der Geburt traten bei dem erstgebore¬
nen leichte Krämpfe (Zuckungen der Extremitäten) auf; 36 Stunden
post partum beobachtete der Arzt tonische Krämpfe der Extremitäten
und der Wirbelsäule. Schluckbeschwerden und Singultus bestanden
nicht- beide Kinder tranken ohne Schwierigkeiten bis kurz vor ihrem
Tode’ aus dem Löffel. Der erstgeborene starb 48 Stunden alt; der
jüngere unter dem gleichen Symptomenbild etwa 6 Stunden spater.
Die Sektion des erstgeborenen (die des zweiten Zwillings
wurde leider nicht gestattet) ergab folgenden Befund:
Tv- mit ripti o*.p trennten Fnsackcn lind den
l Nabelschnüren ist normal. , , . .... „ ....
45 cm langer Knabe, normal gebaut. Nabelring leicht gerötet,
licht entzündet. Ausgeprägter Ikterus, leichte Zyanose, allgemeiner
Blutreichtum. Kopfhaare kräftig entwickelt, bis 2 cm lang Reich¬
lich Lanugo am Rumpf, den Extremitäten und auf der Stirn, Nagel
fast an der Fingerkuppe. In Mundhöhle und Nase etwas farbloser
Schleim Ausgeprägte Totenstarre.
In der Galea über dem rechten Stirnbein Blutungen (in Resorp¬
tion). Schädelknochen etwas dünn, z. T. knitternd. Punktförmige
Fkchymosen in den Faszien und den Muskelbäuchen der M. tem-
poraies Im Sinus medial, sup. etwas Kruor. Dura und Subduralraum
”0rnp!a von iberischem Oedem mässig gedehnt. Keine Blutungen
in den Hirnhäuten. Sehr starke Feuchtigkeit des Gehirns, dem Pia-
ödem entsprechend. Ventrikel leicht erweitert. Resistenz des Je-
hirnSDi”s oSlbtaganzt nur sehr schwach iberisch gefärbt die
Rinde nicht stärker als die Marksubstanz. Dage *f”S11 ttÄ
der Seitenventrikel sowie Tela und Plexus chorioid. deiitlic ‘
gelb. Thalami nicht auffällig gefärbt: Linsenkein etvas sLirkci „ _
lieh Der Kern der Ammonshörner sowie dei L V
sehe Körper beiderseits intensiv schwefelgelb,
mit scharfer Abgrenzung. Kleinhirnrinde streckenweise etwas Star-
*) Nach einem im Aerztl. Verein zu Marburg gehaltenen Vortrag.
*) Virch. Arch. 63, 1875.
2024
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
ker gelb als die Grosshirnrinde; Nucleus dentatus nicht auffällig ge¬
färbt. Bulbi olfactorii ungefärbt. Die kräftigsten Färbungen zeigen
die Nervenkerne der Medulla oblongata; besonders intensiv treten
hervor die Kerne des Trigeminus und A<kustikus in
ihrer ganzen Ausdehnung, etwas unklarer die sensiblen Kerne von
Glossopharyngeus und Vagus; ferner sehr intensiv der
Nucl.olivaris m e d., während die Olive im übrigen ungefärbt
erscheint; der Nucl. f a s c i c. cuneati stark, der Nucl. fase, gra¬
tis schwach gefärbt. Ob auch der Abduzens- und Hypoglossuskern
gefärbt waren, liess sich nicht genau feststellen.
Das Rückenmark ist in ganzer Ausdehnung normal fest,
deutlich gezeichnet. Die Vorderhörner sind überall intensiv
gelb, die Hinterhörner dagegen kaum auffällig gefärbt. Die Nerven¬
stränge des Rückenmarkes erscheinen meist deutlich weiss. Die
Rückenmarkshäute sind ikterisch.
Bauchwand in der Umgebung des Nabels normal. Im Peritoneum
einige Tropfen schwach gelber Flüssigkeit. Nabelvene fest zu¬
sammengezogen, leer.
Im Corpus sterni 3 Knochenkerne. Situs der Brustorgane nor¬
mal. I hymus etwas klein, derb, schlaff, ohne Ekchymosen. Am
I erikard eine kleine Bkchymose. Im Herzbeutel gallengelbe Flüssig¬
keit Herz mit fest geronnenem Blut gefüllt, normal proportioniert,
kräftig, steif, dunkelrotgrau; keine Klappenhämatome.
Lungen lufthaltig; intensiv ikterisch. Keine Infiltrate. Bronchi
frei. Eine kleine Ekchymose im subpleuralen Bindegewebe nahe dem
Oesophagus. Mundhöhle und Rachen normal. Im Oeso¬
phagus kurz oberhalb der Kardia intensive Rötung und längs¬
streifiger intensiv ikterischer Belag. Trachea und Larynx nor-
mal. 1 lommelhö lilen völlig normal. Milz ragt stark hervor
6:3 /2 : 1/2 cm 15 g. Eigentümlich missfarbige graubraune Kapsel,
best, tiefrot, trocken, grosse Follikel. Magen zusammengezogen,
mit sehr zähem Schleim gefüllt. Die Schleimhaut zeigt zahlreiche
feinste punktförmige Nekrosen und grubige Vertiefungen, sämtlich
durch intensh e Gallenverfärbung auffallend; im Duodenum nichts
derartiges.
Darm wand kräftig entwickelt, überall dicker breiiger Epithel-
ag; Schleimhaut streckenweise stärker ikterisch, relativ dick, auf-
fällig trüb und weich. Kleine lokalen Schwellungen oder Ulzerationen.
“‘halt intensiv gallengelb, schon im Dünndarm geballt. In tieferen
I eilen des Ilcum wird der Inhalt tiefer braun; im ganzen spärlich
Kolon fest zusammengezogen, dicke trübe Schleimhaut. Im Colon
ascend. Mekonium.
Leber sehr gross, von normaler Farbe und Konsistenz, keine
Herderkrankung. Porta normal. In der Gallenblase trübe dicke
GaHe. Nebennieren sehr gross, dick, fest, trübe, verwaschene
Zeichnung, links eine Nebennebenniere. Ureteren erweitert.
Nieren noimal geformt, triib, deutlich ikterisch, ausgeprägte ziegel-
rote Harnsäureinfarkte. Normale Blase. Beide Hoden im Hodensack.
Im rechten Hoden ein keilförmiger, kleine Zysten enthaltender, weiss¬
grauer Knoten. Normale Knochen und Muskeln.
Die mikroskopische Untersuchung ergab zunächst
in allen I eilen des Zentralnervensystems eine reichliche Ausscheidung
feiner rhombischer, seltener nadelförmiger Hämatoidinkristalle, welche
überall im Gewebe zerstreut, häufig aber deutlich an Zellen gebunden
waren. Letzteres Verhältnis trat besonders auffällig im Ependym der
Ventrikelwände und der Plexus chorioidei hervor, in welchen die
Kry stalle die Epithelzellen meist dicht durchsetzten. Die Gelbfärbung
der Ventrikelwand wie der leicht gelbliche Ton des ganzen Gehirn¬
gewebes war durch diese — offenbar postmortale — Kristallaus¬
scheidung ausreichend erklärt. Nervenfasern und Gliafasern erwiesen
sich farblos, namentlich auch die vielfach sehr kräftig entwickelten
Markscheiden. Dagegen fanden sich nicht selten die kleinen, glän¬
zenden Körnchen der im Gehirn verstreuten Fettkörnchenzellen in¬
tensiv gelb gefärbt, ohne dass gleichzeitig eine Kristallausschei¬
dung an ihnen vorlag.
. Zu diesen allgemeinen Befunden kam in den intensiv ikterisch
gefärbten Nervenkernen, ganz entsprechend der Beschreibung
bchmorls, eine mehr oder weniger intensive diffuse Gelbfärbung
Anzahl von Ganglienzellen hinzu, gleichfalls ohne Biliru.bin-
kristallbildung. Die betreffenden Zellen waren unverkennbar ne¬
krotisch: ihr Protoplasma glasig glänzend, schollig oder körnig zer¬
fallen, ihre Kerne gar nicht oder unvollkommen färbbar; Fettablage-
tuiig konnte ich in solchen Zellen nicht nachweisen. Die üelb-
K11 nmg ging eine Strecke weit auf die Zellausläufer über. Eine oft
' ec Krosse Anzahl neben den Ganglienzellen gelegener gelblicher
Körnchen bis zur Grösse von Blutplättchen besassen die gleiche
rarbung; sie Hessen sich nicht immer sicher deuten, zum Teil handelte
es sich wohl um Querschnitte gelb gefärbter Ganglienzellausläufer.
Neben diesen im ganzen spärlichen Zellen intensivster Färbung fan¬
den sich in den ikterischen Kernge'bieten Zwischenstufen in allen
Schattierungen der Färbung bis zur völligen Farblosigkeit. Hierbei
Iie-SLSm-h deutlich konstatieren, dass der Farbstoff an Zellgranula
(nicht I lgroidschollen) gebunden war. Zellen mit kräftig gefärbten
Granuhs machten im übrigen doch noch den Eindruck vollkommenen
Erhaltenseins; die Farbstoffaufnahme konnte also bis zu erheblichen
Graden gesteigert sein, ohne dass die Zellnekrose vorausgegangen zu
sem brauchte oder wenitrstens mikroskopisch erkennbare Formfn an-
genommen hatte. Irgend eine andere Veränderung konnte in den
ikterischen Herden nicht nachgewiesen werden; die Ausscheidung
von Bilirubinkristallen war eher geringer als in den übrigen Ge¬
bieten. Fettkörnchenzellen waren gar nicht oder nur spärlich nach¬
weisbar, sicher nirgends pathologisch vermehrt. Die Gefässe er¬
schienen normal.
So intensiv die Gallenfärbung der Ganglienzellen auch war, so
war andererseits die Zahl der so veränderten Zellen gegenüber den
ungefärbten doch nicht sehr gross; die Abschätzung, wie weit der
makroskopisch so auffällige Grad der Gesamtfärbung auf die Zell¬
färbung zu beziehen war, war natürlich sehr schwer, doch hatte ich
den Eindruck, als ob die letztere allein nicht ausreiche und demnach
daneben noch eine mehr diffuse, jedenfalls mit dem Mikroskop nicht
erkennbare stärkere Farbimbibition neben den Zellfärbungen in den
betreffenden Gebieten vorliege. Von einer Fibrillenfärbung, wie
Schmorl sie gesehen hat, konnte ich mich allerdings nicht über¬
zeugen.
Die Ganglienzellen in den makroskopisch nicht durch die ik-
terische Färbung hervorgetretenen Teilen zeigten auch mikroskopisch
keine Färbung, auch nicht jene beginnenden Granulafärbungen.
Nach diesen Befunden am Nervensystem (leider war es bei
der Sektion versäumt worden, auch die Zerebrospinalganglien
und sympathischen Ganglien auf ihren Farbgehalt zu prüfen)
erscheinen die Schwierigkeiten der Deutung jenes auffälligen
Kernikterus, wie sie Schmorl schon hervorgehoben hat,
nicht geringer. Unverkennbar liegt eine Erkrankung vor, die
für den Status neonati charakteristisch ist; denn auch bei den
schwersten Ikterusfällen älterer Individuen so namentlich auch
bei dem Ikterus durch kongenitale Choledochusatresie sind der¬
artige Lokalisationen meines Wissens noch nie beobachtet
worden. Die Erklärung muss also entweder mit einer beson¬
deren lokalen Disposition der betr. Kerngebiete bei bestimmten
Neugeborenen zur Absorption des Gallenfarbstoffes oder mit
dem Vorhandensein eines durch besondere Stoffwechselzu¬
stände der ersten Lebenstage bei ihnen zur Wirkung kommen¬
den Giftes rechnen, welches gerade in jenen Gebieten lokalisiert
und durch die Farbstoffablagerung verraten wird.
Die Möglichkeit einer solchen besonderen individuellen
Disposition in letzterem Sinne ist diskutabel. Allerdings hat
Schmorl bezüglich seiner Fälle angegeben, dass ein be¬
sonderes Moment aus der Anamnese nicht anzugeben sei; in
Orths Falle handelte es sich um eine normale Mutter und
eine normale Geburt; das Kind starb an einem alsbald nach der
Geburt einsetzenden besonders hochgradigen Ikterus am zweiten
Lebenstage. Unser Fall, der so ähnlich verlief, zeigte indessen
unverkennbare gewisse Besonderheiten. Er gehört zu den
seltenen Beobachtungen, bei welchen die Kinder scheinbar ganz
gesunder Eltern regelmässig nach der Geburt an schwerem
Ikterus eingehen, so dass eine Familiendisposition an¬
genommen werden muss; derartige Fälle haben noch neuer¬
dings B u r f i e 1 d 2) und D u g 11 i 1 3) veröffentlicht. In Bur-
f i e 1 d s Fall waren von 10 Kindern 9 ikterisch, davon blieben 3
am Leben; nur das erste Kind soll nicht ikterisch gewesen, aber
im 5. Lebensmonat an Bronchitis gestorben sein. In D u g u i 1 s
Fall waren die beiden ersten Kinder nicht ikterisch und blieben
am Leben; das dritte und vierte starben am Ikterus. Ueber
diese Fälle liegen anatomische Untersuchungen nicht vor; im
Hinblick auf unseren Fall, der sich ihnen offenbar anschliesst,
würde bei späteren Beobachtungen dieser Art die Untersuchung
auf etwaigen Kernikterus von besonderem Interesse sein.
Für die Erklärung der eigentlichen Lokalisation des letz¬
teren handelt es sich um verschiedene Möglichkeiten. Zunächst
könnte dieselbe als einfache Leichenerscheinung, etwa infolge
besonders starker Farbstoffaufnahme aus der Zerebrospinal¬
flüssigkeit, namentlich an den durch die Senkung in der Leiche
überfüllten Gebieten gedeutet werden. Dass die starke Fär¬
bung des Ependyms, welche vorwiegend durch Bilirubinnadeln
bedingt war, postmortal entstanden war, ist unverkennbar;
auch die Bevorzugung einiger bei der Rückenlage der Leiche
besonders tief gelegener Stellen, nämlich der Ammonshörner,
des Kleinhirns, des Rückenmarks, könnte angeführt und die be¬
sondere Lokalisation in einzelnen Kernen, sowie in den Vorder¬
hornganglienzellen als der Ausdruck einer chemischen Affinität
ihrer Protoplasmen zum Gallenfarbstoff gedeutet werden.
Wissen wir doch durch die Untersuchungen Knöpfei-
machers, in wie hohem Grade die Lösung bezw. das Aus-
kiistallisieren des Gallenfarbstoffes von geringen chemischen
2) Brit. med. Journ. 1906, pag. 20.
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2025
Differenzen der Gewebe abhängt; und die intensiven diffusen
Gallenfärbungen ausgedehnter Partien des Darmepithels,
welche in unserem Falle Vorlagen, würden als eine analoge
Senkungsimbibition angeführt werden können. In gleichem
Sinne hat schon Neumann3") erwiesen, dass in einem in
Galle eingelegten Fettgewebe eine Ausscheidung des Farbstoffs
um die Fettzellen herum erfolgt, offenbar auf Grund spezifischer
Attraktionserscheinungen.
Unverkennbar würde eine solche einfache Erklärung sehr
bequem sein. Indessen spricht meines Erachtens sowohl die
Intensität und die scharfe Begrenzung der Herdverfärbungen,
als die Tatsache einer Zellnekrose in den verfärbten Gebieten
dagegen. Die eigentümlichen hyalinen Umwandlungen, der
Kernuntergang in den betreffenden Ganglienzellen können wohl
nur als Effekte vitaler Schädigungen aufgefasst werden; damit
stimmt auch überein, dass benachbarte Ganglienzellen ganz
verschiedene Grade der Färbung aufwiesen. Erblickt man
aber in der Zellschädigung den Kernpunkt des Prozesses, so
kann und muss die Färbung bereits in prämortalen Perioden
erfolgt sein und könnte höchstens durch die günstigen Be¬
dingungen postmortaler Senkungszustände noch eine besondere
Steigerung erfahren haben.
Die Entstehung der i n t r a v i t a 1 e n Färbung bezw. einer
sie veranlassenden Schädigung der Ganglienzellen lässt sich auf
eine Reihe von Möglichkeiten zurückführen. Erstens könnte
durch spezifische, lokale Attraktion des Gallenfarbstoffs eine
besonders starke Farbstoffaufnahme in den Zellen erfolgt und
allmählich die Ursache von deren Absterben geworden sein;
hierbei müsste eine Differenz der Attraktionskraft der einzelnen
Ganglienzellen und der ganzen Ganglienzellgebiete ^ ange¬
nommen werden müssen. Zweitens könnte die primäre Schädi¬
gung in der Resorption anderer Stoffe, z. B. von Gallensäuren,
bestanden haben. Die Ganglienzellen würden dann, je nach
dem Grade ihrer Schädigung, nachträglich oder gleichzeitig
den Gallenfarbstoff aufgenommen haben, am stärksten nach er¬
folgter Nekrose; dass normale Ganglienzellen auch beim
Fötus den Farbstoff nicht in grösseren Quantitäten annehmen,
ist bekannt. Drittens könnte eine Schädigung durch andere
Momente, namentlich etwa eine schwere Ischämie, oder ein
Trauma bei der Geburt, als primäre Erkrankung angesehen
werden, der sich dann wieder je nach dem Grade der lokalen
Schädigung eine Gallenfärbung angeschlossen hätte. Die Ent¬
scheidung über diese Möglichkeiten hängt von der Auffassung
ab, ob die intensive Gallenfärbung ausschliesslich eine passive
Imbibition auf Grund einer Schädigung bezw. einer Nekrose
der Zellen ist, oder auch als aktive gesteigerte Absorption des
Farbstoffes seitens des lebenden Protoplasmas gelten kann. In
der an den Vortrag Schmorls angeschlossenen Diskussion
hat Orth den ersteren Standpunkt vertreten.
Von einem etwaigen mechanischen Geburtstrauma ist in
der Krankengeschichte unseres Falles keine Rede, die Gebuit
verlief durchaus normal. Die Annahme, dass die Frucht durch
den die Frühgeburt einleitenden Schreck der Mutter in be¬
sonderer Weise gelitten haben könnte, lässt sich ja zvai ge¬
rade wegen des Eintritts der Frühgeburt, welcher doch auf eine
besondere Erregung der Uteruswand schliessen lasst, nicht
völlig ablehnen, ist aber doch zu hypothetisch, um eine wirk¬
liche Erklärung abgeben zu können. Eher wäre an eine R e -
flexischämie im Nervensystem des Neugeborenen zu
denken. Dass verlängerte starke Arterienkontraktionen zu
ausgedehnten Nekrosen des Zentralnervensystems führen
können, ist seit den Untersuchungen Brown-Sequar d s
und ihrer Verwertung für die Erklärung der Reflexpaialysen
durch v. Recklinghausen4) durchaus wahrscheinlich.
Tatsächlich gab der Sektionsbefund für die Behauptung, dass
irgend welche Reize, z. B. die Abkühlung nach der Gebuit, eine
starke Reflexanämie im Splanchnikusgebiet veranlasst hatten,
einen sicheren Anhalt, und zwar in Gestalt der eigentümlich
ikterisch gefärbten Nekrosen und Geschwiirchen des Magens,
welche ich als Stigmata zu bezeichnen pflege 5 *). Diese
3) Ibidem, pag. 319.
3*) Virch. Arch. 114, 1888.
4) Handbuch der allgemeinen Pathologie des Kreislaufes und
der Ernährung. 1883.
5) Beneke: Oesophagusruptur etc. Deutsch, med. Wochen¬
schrift 1904, 41.
No. 41.
Herdchen erwiesen sich mikroskopisch als kleinste, meist keil¬
förmige Nekrosen in der Magenschleimhaut, welche im scharfen
Gegensatz zu den anstossenden Schleimhautpartien intensiv
gallige Färbung der abgestorbenen Elemente, ausserdem aber
auch ungemein reichliche Ausscheidung grosser Bilirubinnadeln
und -rhomben zeigten. Unverkennbar war diese Gallenfarb¬
stoffablagerung, deren Intensität auf den Grad der Bilirubin¬
überschwemmung des ganzen Organismus zurückschliessen
liess, sekundär in den bereits nekrotischen Bezirken entstanden;
die Geschwürchen entsprechen offenbar einer intravitalen Ver¬
dauung der oberflächlich gelegenen, für den Magensaft angreif¬
baren Nekrosen, genau wie bei den Stigmata der Erwachsenen.
Für die letzteren habe ich persönlich, wie durch die Unter¬
suchungen meines Schülers Hurwitz0) den Nachweis führen
können, dass sie o h n e Gefässverstopfungen, sehr wahrschein¬
lich daher durch einfachen Arterienkrampf, bei Fällen entstehen,
in welchen schwere Nervenreizungen im Splanchnikusgebiete
(Gallenblasenoperationen, Peritonitis, Meningitis u. ähnl.) ein¬
getreten sind. Ich erkläre mir den ganz typisch und meist in
sehr grosser Ausdehnung in der Magenschleimhaut verlaufen¬
den Vorgang mit der Annahme, dass durch die (vorüber¬
gehende) Ischämie bestimmte Punkte der Schleimhaut stark
geschädigt werden und demgemäss der verdauenden Ein¬
wirkung des Magensaftes verfallen. Ebenso häufig wie in
solchen Fällen habe ich sie bei Kindern der ersten Lebenstage
beobachtet, bei denen sie auch eine Ursache der Meläna ab¬
geben können; sie sind im allgemeinen hier nur viel kleinei,
kaum noch mit unbewaffnetem Auge zu erkennen und werden
daher wohl sehr oft übersehen7). In Analogie zu den Fällen
der Erwachsenen beziehe ich sie beim Neugeborenen auf irgend
einen Schock bei oder nach der Geburt, wie z. B. die Ab¬
kühlung. Allerdings habe ich kürzlich in einem solchen Fall
in den kleinsten Endarterien der betreffenden Schleimhaut¬
gebiete hyaline Thromben nachweisen können; doch werden
solche in anderen, so auch im vorliegenden Falle von Kern¬
ikterus, vermisst, und ihr Vorhandensein ist kein Beweis für
eine Embolie oder ein Gegenbeweis gegen die Krampfischämie,
ist doch schon von v. Recklinghausen der Nachweis ge¬
führt worden, dass in ischämischen Gebieten sich hyaline Ka¬
pillarthromben leicht einstellen können.
Lassen sich nach diesen Erfahrungen die ikterisch ver¬
färbten Stigmata des Magens in unserem Falle mit einiger
Sicherheit auf eine Reilexischämie zurückführen, so wäre das
Einsetzen einer gleichzeitigen Reflexischämie im Gebiete des
Zentralnervensystems mit dem Erfolge einer Schädigung der
Ganglienzellen gleichfalls nicht undenkbar. Indessen glaube
ich doch von einer solchen Hypothese absehen zu müssen, so
einfach und gut sie auch gerade die Eigenart und die Seltenheit
des Kernikterus erklären würde. Sie setzt eine ausgedehnte
Ischämie des Gefässgebietes von den grossen Gehirnganglien
bis herab zum Filutn terminale voraus; sie verlangt eine be¬
sondere Empfindlichkeit der beschriebenen Kerngebiete gegen
Sauerstoffmangel; sie verlegt den Zeitpunkt der Erkrankung in
den Augenblick der Geburt, da in den beiden Lebenstagen des
Kindes eine nachträgliche Schockeinwirkung sorglichst ver¬
mieden war. Diese drei Punkte sind durchaus angreifbai.
Die grosse Ausdehnung der Ischämie wäre prinzipiell denkbar
_ sehen wir doch z. B. bei traumatischen Rückenmarks¬
erschütterungen, bei denen die Reflexischämien meiner Er¬
fahrung nach gleichfalls die Ursache der sich anschliessenden
„Myelitis“ sind, bisweilen eine Ausbreitung der Erkrankungs¬
herde über das ganze Rückenmark auftreten ) , abei nicht
6) Beitrag zur Lehre von den hämorrhagischen Erosionen des
Magens. J. D. Königsberg 1904.
7) Orth: 1. c. fand in 2 Fällen von Ikterus neonatorum „kleine
Geschwüre im Magen mit gelbem Grunde und dunkelroten Hof. bei
denen gerade in letzterem dichtgedrängt Kristall an Kristall lag .
Ob es sich dabei um multiple Stigmata im obigen Sinne handelte,
geht aus der Beschreibung nicht hervor. Ich fand übrigens ge¬
legentlich die Herdchen schon deutlich gelb gefärbt in FUlen, bei
denen im übrigen Körper der Icterus neonat, makroskopisch nicht er-
kennbar^wa g c h m a u s . Beiträge der pathologischen Anatomie der
Rückenmarikserschütterung. Virchows Archiv 122, 1^0. *ae mi
Texte angedeutete Auffassung der Riickenmarksdegeneiation beruht
auf dem Nachweis hyaliner, offenbar durch Gefassspasmen entstan¬
dener Thrombosen der kleinen Arterien in Fällen von Lommotio spt-
i
ZU20
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
sehr wahrscheinlich. Wäre die Schädigung der Ganglienzellen
durch plötzlichen ischämischen Sauerstoffmangel die Vorbe¬
dingung der Gallenimbibition gewesen, so würde eine solche
Schädigung sich in Analogie zu dfen alten Versuchen Kuss-
m a u 1 s und T e n n e r s ") an den motorischen, schwer be¬
fallenen Vorderhornganglienzellen sicher durch Lähmungen
und an den Kernen der Medulla obl. durch epileptiforine
Krämpfe, vielleicht auch dypnoische Zustände sofort vom
Einsetzen der supponierten Schädigung an
verraten haben; tatsächlich sind Krämpfe erst allmählich in
den letzten 24 Lebensstunden aufgetreten. Hätte endlich die
Erkrankung, d. h. die Ischämie, zur Zeit der Geburt eingesetzt,
so würde im Lauf des 48 ständigen Lebens in den erkrankten
Abschnitten wohl schon eine deutliche, ebenfalls lokalisierte
Fettkörnchenzellbildung zustande gekommen sein, während
tatsächlich Fettkörnchenzellen in den erkrankten Gebieten eher
spärlicher als in den übrigen Teilen nachweisbar waren.
Der letztere Befund lässt darauf schliessen, dass die end¬
gültige Nekrose der Ganglienzellen erst kurz vor dem Tode er¬
folgte. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die
Zahl und Ausbildung der Fettkörnchenzellen im Zentralnerven¬
system des Neugeborenen mit seiner eben erst beginnenden
Markscheidenausbildung relativ an sich viel geringer laus-
fällt, als bei den Nekrosen im fettreichen Gehirn des Er¬
wachsenen. Indessen scheint mir für die Annahme einer
langsamen Nekrose der Ganglienzellen auch das Verhalten
der Gallenfärbung an den verschiedenen Zellen angeführt wer¬
den zu dürfen. Diese Färbung haftete ähnlich wie an den Fett¬
körnchen der Fettkörnchenzellen, so auch an den Granula der
Ganglienzellen. Sie war an bestimmten Zellen offenbar lang¬
sam immer intensiver geworden und hatte sich zuletzt zu der
diffusen Färbung der abgestorbenen Zellen gesteigert. Hier¬
nach erschien es natürlich, in dieser spezifischen Reaktion einen
Lebensvorgang zu sehen, nicht nur eine einfache che¬
mische Bindung im Sinne der Leichenimbibition. 10) Unter
dieser Annahme aber muss die eigentümliche Lokalisation in den
bestimmten Nervenkernen auf eine spezifische Empfindlichkeit
gerade ihrer Ganglienzellen gegen die einwirkende Noxe be¬
zogen werden; demnach würde eine Verankerung des Giftes,
wie schon Schmorl sie andeutete, in bestimmten Zellarten,
in Analogie mit so manchen lokalisierten Verankerungen an¬
derer toxischer Stoffe, vorliegen, und es fragt sich nur,
welcher Körper die spezifisch veranlagten Rezeptoren der
Ganglienzellen geschädigt hat.
Diese Frage ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer
Kenntnisse über die Stoffwechseivorgänge beim Neugeborenen,
speziell dem ikterischen, einerseits und die Einwirkungen der
Gallenbestandteile auf die Zellelemente andererseits nicht zu
beantworten.
Dr nächstliegende Gedanke ist natürlich der, dass der
Gallenfarbstoff direkt durch ein Zellelement, etwa die
Lipoide der Granula, in schädigender Weise gebunden wird.
Von einer direkt giftigen Einwirkung des Bilirubins auf die
Protoplasmen ist indessen nichts sicheres bekannt; nicht ein-
nalis oder cerebralis. Der von Schmaus vertretenen Anschau¬
ung molekularer, unsichtbarer traumatischer Schädigung der Nerven¬
fasern kann ich mich nicht anschliessen.
u) Untersuchungen über Ursprung und Wesen der fallsucht-
a^en Zuckungen. Moleschotts Untersuchungen II, 1857
) Die Reaktion der Ganglienzellen schien mir eine Aehnlic’hkeit
mit derjenigen der Nierenrindenepithelien zu haben, welche bekannt-
Ucli bei ikterischer Degeneration zunehmende Granulafärbung zeigen
bevor che definitive Nekrose erfolgt. Die Tatsache, dass die Nieren-
epithelien so ungemein fettreich sind — wenn auch der morpho¬
logische Nachweis des Fettes ganz fehlen kann — lässt vielleicht
die \ ermutung zu, dass auch hier die Fettkörper das Bindemittel
abgeben und dass es sich bei den Ganglienzellen ähnlich verhält
Uebrigens ist anscheinend in den Kernikterusfällen auch die Bin¬
dung des Gallenfarbstoffes an die Zellen besonders fest; hierfür
spricht die Beobachtung Schmorls, dass die G m e 1 i n sehe Re-
aktion erst nach Vorbehandlung der Gewebe mit Kalilauge eintrat
Vielleicht handelt es sich eben um die verseifbaren Fettsäuren der
Zellen; in gleichem Sinne erklärt Knöpf elmacher die Kristalli-
sation des Bilirubins an Fettzellen durch die Resorption der das
nilirubin in Losung haltenden Alkalien seitens der Fettsäuren (in
i Ea“i!Al€r und Schlossmann, Handbuch der Kinderheilkunde
mal Erythrozyten werden geschädigt (R y w o s c h). Dagegen
wird unzweifelhaft oft Bilirubin in krystallinischer oder ge¬
löster Form reichlich von Zellen aufgenommen, z. B. bei Re¬
sorption von Blutextravasaten, ohne dass eine Nekrose der¬
selben nachweisbar ist. Auch in unserem Falle lag an den
Ependymzellen der Ventrikel eine solche, offenbar aus der
Ventrikelflüssigkeit stammende Ueberschwemmung mit Gallen¬
farbstoff ohne erkennbare Zellschädigung vor. Führte also in
jenen Herden die Bilirubinimbibition bis zur Nekrose der Gan¬
glienzellen, so scheint demnach die Mitwirkung einer beson¬
deren Schädigung im Spiele gewesen zu sein.
In dieser Beziehung könnte zunächst an die Angabe
Schmorls gedacht werden, dass die färbende Substanz
kein einfaches Bilirubin, sondern eine besondere, weniger leicht
oxydable, dem Bilirubin nur nahestehende Verbindung ist.
Dass auch in meinem Fall sowohl die Nervenkerne als die Ne¬
krosen im Magen und am Oesophagus die Resistenz gegen¬
über der Formolwirkung aufwiesen, war leicht zu konstatieren;
und man braucht bloss an die biologischen Differenzen von
Oxy- und Methämoglobin zu denken, um die Möglichkeit einer
solchen für bestimmte Zellgruppen spezifischen nekrotisieren¬
den Wirkung des fraglichen Körpers im Gegensatz zum Bili¬
rubin anerkennen zu können.
Indessen scheint mir die Annahme, dass nicht Bilirubin,
sondern nur ein ihm verwandter Körper vorliege, noch nicht
genügend erhärtet. Die Ueberführung in Bilirubin durch For¬
malin hängt, wie mir scheint, von der Form der Bilirubin¬
bindung ab. Reine Krystalle werden nicht umgewandelt, son¬
dern nur diffus gefärbte Eiweisskörper (ikterische Zylinder etc.)
zeigen überall die Reaktion. So kann also offenbar die Ursache
des Ausbleibens der letzteren in einer eigenartigen Form der
Farbstoffbindung liegen. In anderen Fällen von Icterus neon.
ohne Kernikterus konnte ich die gleiche Resistenz ikterischer
Nekrosen gegen das Formalin konstatieren.
Weiterhin könnten die Gallensäuren herangezogen
werden, deren Giftwirkung auf einzelne Zellen, auf das Zen¬
tralnervensystem und den ganzen Organismus eine erhebliche
ist. Wissen wir doch, dass sie Erythrozyten zur Auflösung
bringen, ferner, dass subdurale Injektionen gallensaurer Salze
schon in geringer Menge schwere Krämpfe ähnlich wie bei
Icterus gravis veranlassen.11) Ferner ergeben die überein¬
stimmenden Angaben von A h 1 f e 1 d 12), Brauer 13), v o n
den Velden 14), Kehrer 15) u. A., dass der Icterus gravi¬
darum zum vorzeitigen Tode der Früchte zu führen pflegt, und
dass hierbei nicht die Gallenfarbstoffe, welche die Plazenta¬
grenze nicht überschreiten, sondern andere Gallenbestand¬
teile, vermutlich doch wohl die Gallensäuren, als Ursache dieses
Absterbens anzusehen sind.
Späteren Untersuchungen bleibt es Vorbehalten, den Nach¬
weis von Gallensäuren in den Geweben bei Kernikterus zu
führen. Dieser Nachweis ist tatsächlich gelungen, wenn er
auch selbst bei günstigem Material (Perikardialerguss) nicht
leicht ist. Birch-Hirschfeld erwies den Uebergang der
Gallensäuren in den Körper bei Icterus neonatorum durch die
Untersuchung der in einer Anzahl von Fällen entnommenen
und zusammengegossenen Perikardialergüsse; ein einziges
Mal gelang es, in der Perikardialflüssigkeit eines Einzelfalles
Spuren von Gallensäuren zu finden.16) Ferner ist auch die
u) Biedl und Kraus: Zentralbl. f. innere Med., 19, 1898.
12) Ahlfeld: Berichte und Arbeiten 1883.
13) Diese Wochenschrift 1902, No. 20 und Abt. f. Gynäkologie
, 1903.
1J) Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie, herausgegeben
von H e g a r, VIII, 1904.
lj) Arch. f. Gynäk. 81, 1907 (Zusammenstellung). Allerdings er¬
gaben Kehrers Experimente an Katzen und Kaninchen, dass Gallen¬
säuren nicht von der Mutter auf den Fötus übergehen; doch vermutet
K. selbst, dass es beim Menschen anders sei, vielleicht im Anschluss
an Schädigungen der Plazentarzotten, wodurch der Uebertritt er¬
möglicht werde.
1<!) Virch. Arch 87, 1882. Birch-Hirschfeld benutzte be¬
kanntlich jenen Nachweis als Stütze für seine Lehre, dass der Icterus
neonatorum auf einer mechanischen Behinderung des Gallenabflusses
miolge eines Oedems des periportalen Bindegewebes beruhe. Die
atsache einer akuten Ueberschwemmung des kindlichen Organismus
mit Gallensäuren bleibt jedenfalls bestehen, wenn auch die Bestä¬
tigung der daran angeknüpften B i r c h - H i r s c h fe 1 d sehen An-
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2027
8. Oktober 1907.
Ausscheidung von Gallensäuren im Harn der ikterischen Rinder
durch Halberstam erwiesen; das charakteristische Ver¬
giftungssymptom, die Pulsverlangsamung, pflegt freilich zu
fehlen (R n ö p f e 1 m acherl. c.), und die Quantität scheint me
auszureichen, um eine Hämoglobinämie zu ei zielen. Hiernach
würden wahrscheinlich die Gallensäuren auch im Zentral¬
nervensystem nur in minimalen Quantitäten lokalisiert werden.
Herr Rollege Heffter, dem ich diese Frage vortrug, liess
immerhin den Gedanken zu, dass ihnen eine Vermittlerrolle bei
der Gallenfärbung der Ganglienzellen zukommen könne, und
zwar im Hinblick auf ihre Fähigkeit, die Lipoide zu lösen,
welche andererseits gerade für die Ablagerung des Bilirubins
offenbar von Bedeutung sind.
Ausser den Gallensäuren würden auch noch andere Rörper
in Frage kommen können; so liegt es nahe, an die Harn¬
säure zu denken, deren ungewöhnlich reichliche Ausschei¬
dung in den Nierenpapillen bei der Sektion auffiel.
Ich fasse den Icterus neonatorum im allgemeinen als eine
Folgeerscheinung einer in den ersten Lebenstagen gesteigerten
Lebertätigkeit auf. Der plötzliche Ausfall des Blutzuflusses aus
der Nabelvene in die Leberkapillaren muss ja notwendig eine
Erleichterung der Zirkulation in der letzteren mit sich bringen,
eine Annahme, für welche mir auch das rasche Ausschwemmen
der Blutbildungszellen aus den Leberkapillaren nach der er¬
folgten Geburt zu sprechen scheint. Hierdurch würde einer¬
seits, infolge der verminderten Spannung in den Leberkapil¬
laren, ein Uebertritt von Gallensubstanzen aus den Leberzellen
in die Blutbahn bei geringsten Hemmungen des normalen, von
so geringem Sekretionsdruck abhängigen Gallenabflusses er¬
leichtert werden, ein Verhältnis, aus welchem schon Fre-
richs18) die Gelbsucht der Neugeborenen erklärt hat und
welches den Mangel ikterischer Leberfärbung bei Icterus neo¬
natorum erklärt19). Andererseits veranlasst die Zirkulations¬
beschleunigung vielleicht auch neben einer überreichen Bildung
von Gallensäuren und Gallenfarbstoff gleichzeitig die Ueber-
produktion von harnfähigen Substanzen; ist doch die Leber¬
tätigkeit als Quelle des Harnstoffs und der Harnsäure allgemein
anerkannt, und die übermässige Ausscheidung dieser Sub¬
stanzen im Harne der ikterischen Rinder erwiesen (Quincke).
In dem so regelmässigen Vorkommen der Harnsäure¬
infarkte der Nieren bei Neugeborenen würde in diesem Sinne
ein Analogon der Gallenimbibition der Gewebe erblickt werden
können; die eigenartige Roinzidenz beider Zustände in der
Form des ziegelmehlroten Harnsäureinfarktes der ikterischen
Neugeborenen hat ja schon vor langen Jahren E. Neumann
gebührend hervorgehoben.20)
Von einer Schädigung der Ganglienzellen durch Harnsäure
ist freilich bisher nichts bekannt, nur die Schädigung der
Nierenepithelien bei einigermassen reichlicher Ausscheidung
der Harnsäurekonkremente ist unverkennbar. Rrystallinische
Harnsäueausscheidungen in den erkrankten Rerngebieten
waren nicht nachweisbar.
Es muss weiteren Untersuchungen bei nicht ikterischen
harnsäurereichen Neugeborenen Vorbehalten bleiben, den Nach¬
weis etwaiger Nekrosen im Zentralnervensystem, speziell in
schauung in der Folge ausgeblieben ist. Offenbar liegt in den ersten
Lebenstagen eine Ueberproduktion an der Lebertätigkeit entstammen¬
den Stoffen vor, wobei wohl ein Teil derselben durch die Gallen¬
wege abfliesst, der Rest aber, wie bei einer einfachen Gallenstau¬
ung, in das Blut gelangt. Insofern lassen sich auch die Verhältnisse
beim Neugeborenen mit der experimentellen Beobachtung Mal-
koffs (Malys Jahresber. XXVII, 1897) in Parallele stellen, dass
nämlich bei Hunden einer Choledochusunterbindung 2 — 3 Tage lang
eine Ueberschwemmung des Blutes mit Gallensäuren folgt, während
diese im weiteren Verlauf des fortbestehenden Ikterus verschwinden.
Hiernach würde die Möglichkeit einer Gallensäurevergiftung für den
Neugeborenen gerade in den ersten Lebenstagen bestehen und die
Differenz bezüglich der Nervenkernimbibition gegenüber den Ikterus-
fällen anderer Provenienz verständlicher werden.
18) Klinik der Leberkrankheiten 1858, I, p. 199.
19) Auch Knöpf elmacher 1. c. hat neuerdings Iiervorge-
hoben, dass die Grundursache des Ikterus neonat, in einer Uebei-
füllung der Gallenkapillaren, welche nachweislich besonders weh
seien, auf Grundlage einer durch reiche Blutzufuhr zur Leber
gesteigerten Gallenbildung beruhe.
20) Arch. d. Heilkunde, IX, 1868.
den durch den Kernikterus befallenen Gebieten, als Effekt einer
etwaigen Harnsäurevergiftung zu erbringen.
Es würde wertlos sein, weitere Vermutungen über etwa
in Betracht kommende spezifische Giftstoffe aufzustellen.
Sicher ist ja die Zahl solcher endogener Körper eine grosse und
die Wirkung der im Stoffwechsel der Leber in den ersten
Lebenstagen auftretenden Substanzen noch ganz unerforscht.
Die Lösung der Frage ist um so schwieriger, als es sich ja um
einen auf wenige Fälle beschränkten, offenbar ganz indi¬
viduellen Effekt handelt und jede Aufklärung für das Auftreten
des Kernikterus in so vollkommen gleichartiger ausgeprägter
Form bei diesen spärlichen Fällen bisher fehlt. Hier bleibt noch
alles zu tun. übrig; mit der Annahme, die ja für unseren Fall
passen wird, dass ein besonders jähes starkes Einsetzen des
Ikterus die Grundbedingungen liefere, ist offenbar noch nicht
genug gesagt.
Aber auch noch zu anderen Untersuchungen fordert die
vorliegende Beobachtung auf. Hat S c h m o r 1 bereits darauf
hingewiesen, dass der Ikterus neonatorum in verschiedenen
Richtungen nicht als so ungefährlich angesehen werden dürfe,
als er gewöhnlich dargestellt wird, so schliesst sich an unseren
Fall die Vermutung an, dass die eigentümlichen Krämpfe,
unter deren zunehmendem Einsetzen der Tod erfolgte, mit der
Nekrose bezw. Schädigung der Ganglienzellen in Verbindung
standen. Diese Vermutung gründet sich auf den von Noth¬
nagel21) erbrachten Nachweis, dass im Gebiete der Medulla
oblongata und zwar gerade entsprechend „der Lage der
grossen Kerne und der Wurzelfäden der sen¬
siblen Hirnnerven“ (p. 11) ein Rrampfbezirk besteht,
dessen Reizung reflektorisch das Krampfzentrum im Pons zur
Auslösung allgemeiner Krämpfe erregt. Auf die Aehnlichkeit
der terminalen Krämpfe bei Ikterus gravis mit denen bei Hirn¬
anämie hat bereits Traube22) aufmerksam gemacht. Eine
Bestätigung dieser Vermutung würde sich ergeben, wenn in
Fällen von Krampftod, die ja bei der Sektion so oft völlig
unerklärt bleiben, auch ohne Ikterus Nekrosen in bestimmten
Ganglienkerngebieten im Sinne des Kernikterus aufgefunden
werden könnten ! Gleichzeitig würden solche Befunde auch
für die Genese des Kernikterus aufklärend wirken, insofern sie
die Möglichkeit einer lokalen Schädigung des Zentralnerven¬
systems beim Erwachsenen durch endogene Gifte er¬
weisen würden, so dass die Auffassung der Gallenfärbung der
Kerne beim Kernikterus als einer sekundären Erscheinung eine
Stütze gewinnen würde. Auf dies Thema, wie auf die kompli¬
zierten Verhältnisse, welche anscheinend dem Kernikterus zu¬
grunde liegen, hinzuweisen, war der Zweck dieser, in den Ein¬
zelheiten der Beobachtung und Schlussfolgerung über die Er¬
gebnisse der S c h m o r 1 sehen Darstellung kaum hinaus¬
gehenden Mitteilung.
lieber motorische, sensorische und vasomotorische Sym¬
ptome verursacht durch Koronarsklerose und sonstige
Erkrankungen der linksseitigen Herzhälfte.
Von Dr. E. Schm oll -San Franzisko.
Der überwältigende Schmerz und das Todesgefühl, das
den Angina-pectoris-Anfall zu dem Schreckgespenst der Kran¬
ken gestaltet, haben bisher eine genaue Analyse der während
des Anfalles vorhandenen Symptome verhindert. Der Arzt,
beschäftigt, die Qualen des Patienten zu erleichtern, hat nicht
die Zeit, Symptome in ihre Einzelheiten zu zergliedern. Ge¬
wöhnlich beschränkt sich die Beschreibung des Anginaanfalles
auf die mehr oder weniger dramatisch ausgeschmückte Wie¬
dergabe des Todesgefühles.
Ein genaueres Studium der Symptome der Angina pectoris
und besonders die Beobachtung der zwischen den Anfällen
vorhandenen Erscheinungen, auf die zuerst Head UJ und
Mackenzie [2] hingewiesen haben, drängten mir die Ueber-
zeugung auf, dass die Erscheinungen der Angina pectoris einer
durch die Herzerkrankung verursachten Segmentläsion ent¬
sprechen, die sich entweder in Reiz- oder Lähmungserschei¬
nungen zeigen kann; eine Vergleichung mit anderen rleiz-
21 ) Virch. Arch. 44, 1, 1868.
22) Gesammelte Abhandlungen.
2*
2028
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
erkrankungen, zeigte, dass diese Erscheinungen mehr oder
weniger ausgeprägt in jedem Falle auftreten, in welchem der
linke Ventrikel in der Erkrankung mitergriffen ist. Die Inten¬
sität der anginösen Symptome entspricht im allgemeinen der
Intensität der Herzerkrankung; in der prognostisch ungün¬
stigsten Erkrankung des Herzmuskels: der Koronarsklerose,
treten auch die intensivsten anginösen Symptome auf.
Die Erscheinungen der Angina pectoris lassen sich in 3
Gruppen zergliedern: motorische, sensorische und vasomotori¬
sche Symptome. Diese sind sowohl während des Anfalles
als auch in den Intervallen zu konstatieren; analoge Erschei¬
nungen werden in denjenigen Fällen erhoben, in welchen an¬
ginöse Symptome bestehen, welche jedoch nicht durch Ko¬
ronarsklerose bedingt sind. Ich werde eine Diskussion des hier
vertretenen Standpunkteis mit der Besprechung der während
des Angina-pectoris-Anfalles zu beobachtenden Symptome be¬
ginnen.
A) Sensorische Symptome: Die sensorischen Erscheinungen
lassen sich in 2 streng geteilte Gruppen unterscheiden: das Ge¬
fühl des herannahenden Todes und den Schmerz. Während das
Todesgefühl in der Beschreibung des Kranken im Vordergrund
steht, so wendet sich unser Interesse mehr dem Schmerze zu.
Seine Ausbreitung ist in verschiedenen Fällen verschieden; der
Hauptsitz des Schmerzes wird jedoch in der überwiegend
grossen Mehrzahl der Fälle in das 8. Zervikalsegment und
das erste Dorsalsegment verlegt. Neben diesen können eine
Reihe anderer Segmente mitergriffen sein. Ich habe gefunden,
dass die Schmerzen sich in jedem Segment zwischen dem 2.
Zervikal- und 8. Dorsalsegment ausbreiten können. Es sind
jedoch nie alle Segmente zu gleicher Zeit ergriffen; gewöhnlich
bestehen mehrere Schmerzzonen, zwischen denen sich
schmerzfreie einschieben. In den meisten Fällen beginnt die
Schmerzattacke in der Mittellinie und breitet sich gegen die
Peripherie aus oder der Schmerz tritt plötzlich in der ganzen
Ausdehnung des Segments auf; in einzelnen Fällen beginnt der
Schmerz in der Peripherie und schreitet gegen die Mittellinie
fort (Beginn der Schmerzen in den Fingerspitzen entsprechend
dem ersten Dorsalsegment).
In den meisten Fällen ist der Schmerz nur linksseitig; in
einer Minderzahl der Fälle ist er jedoch symmetrisch und er¬
streckt sich auch in die rechtsseitige Körperhälfte. In solchen
Fällen habe ich immer eine Erkrankung der rechten Kammer
nachweisen können und ich möchte deshalb eine rechtsseitige
Angina als Symptom einer rechtsseitigen Herzerkrankung auf¬
fassen, worauf schon G i b s o n [3] hingewiesen hat. Auch hier
verbreiten sich die Schmerzen meistens in den Hautbezirken,
die dem 8. Zervikal- und 1. Dorsalsegment entsprechen.
B) Motorische Symptome: Diese können sich entweder als
Reiz- oder Lähmungssymptome äussern. Als Reizsymptom
ist das Konstriktionsgefühl (Gefühl einer den Thorax zusam¬
mendrückenden eisernen Hand) aufzufassen, verursacht durch
einen tonischen Krampf der Interkostalmuskeln. Neben diesen
ist oft der Pectoralis major tonisch kontrahiert. Diese tonische
Kontraktion entspricht, wie Mackenzie [2] hervorhebt, der
Muskelstarre der Abdominalmuskeln über einer entzündeten
Stelle des Peritoneums.
Neben diesen Reizerscheinungen sind gewöhnlich die Läh¬
mungserscheinungen sehr stark ausgeprägt. Der linke Arm
kann nicht gehoben werden; Gegenstände die in der linken
Hand getragen werden, können nicht festgehalten werden und
entfallen der kraftlosen Hand.
In einzelnen Fällen sind die Lähmungserscheinungen stär¬
ker ausgeprägt als die sensorischen Reizerscheinungen und es
kommen sogar als Equivalente des typischen Anginaanfalles
Zustände von vorübergehender Schwäche des linken Armes
vor. Ich behandelte einen Kaufmann im Alter von 54 Jahren,
bei dem neben den Zeichen einer allgemeinen Arteriosklerose
eine Dilatation des Aortenbogens bestand. Nach Anstren¬
gungen oder Aufregungen sind einige typische Anfälle von
Angina aufgetreten, während welcher dem Patienten die
Schwäche des linken Armes aufgefallen ist. Gelegentlich treten
nach den gleichen Ursachen Anfälle von vorübergehender
Schwäche des linken Armes auf, ohne dass irgendwelche
Schmerzen bestanden. Diese Anfälle dai^ern nur wenige Mi¬
nuten, bedingen jedoch ein Angstgefühl, das dem gewöhnlichen
Anginaanfall an Intensität nicht nachsteht.
C) Vasomotorische Symptome: Diese sind in jedem Falle
sehr ausgeprägt und ich habe sie nie in einem von mir per¬
sönlich beobachteten Anfall oder in der von einem intelligenten
Patienten gegebenen Schilderung vermisst. Gewöhnlich über¬
wiegt die Vasokonstriktion in den betroffenen Segmenten und
ich habe 2 Fälle beobachtet, in welchen das erste Zeichen des
beginnenden Anfalles darin bestand, dass die linke Hand im
Gegensatz zum übrigen Körper leichenblass wurde. In man¬
chen Fällen überwiegen die vasomotorischen Symptome über
die anderen; solche Fälle sind zuerst von N o t h n a g e 1 [4] als
Angina vasomotoria beschrieben worden. In jüngster Zeit ..
hat Curschmann [5] 2 Fälle dieser Art beschrieben und
durch die Autopsie nachgewiesen, dass diese Affektion nur
einem atypischen Verlauf der Koronarsklerose entspricht.
In einzelnen Fällen überwiegt die Vasodilatation über die
Vasokonstriktion; ich habe jedoch nur einen Fall dieser Art
beobachtet.
Die Untersuchung der Kranken in der anfallsfreien Zeit er¬
gibt, dass sich die gleichen Symptome in abgeschwächter Form
nachweisen lassen.
A) Sensorische Symptome zeigen sich in der Form einer
Hyperästhesie der in dem Anfall ergriffenen Segmente; dort,
wo in dem Anfall der Schmerz empfunden wird, lässt sich auch
eine typische Hyperästhesie nachweisen. Diese lässt sich durch
jede Methode zeigen, welche wir in der gewöhnlichen Nerven-
untersuchung verwerten. Gewöhnlich streiche ich über die
Haut mit einer Nadelspitze; sobald man die hyperästhetische
Zone erreicht, hat der Kranke das Gefühl als ob man die
Nadelspitze einsteche oder er empfindet ein lebhaft brennendes
Gefühl. Der objektive Charakter dieser Sensibilitätsstörungen
wird, wie Mackenzie [2] hervorgehoben hat, durch ihre
Konstanz, das Auftreten eines Gänsehautreflexes in der Aus¬
dehnung des ergriffenen Segmentes und Erweiterung der Pu¬
pillen erwiesen. Diese Hyperästhesie erstreckt sich auch auf
die unterliegenden Muskeln, wie sich leicht nachweisen lässt.
Diese Hyperästhesie hat, wie ich schon oben hervorge¬
hoben habe, eine deutlich segmentale Anordnung; ihre Aus¬
breitung entspricht der Ausdehnung der anginösen Schmerzen.
In typischen Fällen findet sich die Hyperästhesie in der Aus¬
dehnung des 8. Zervikal- und des 1. Dorsalsegmentes.
Gewöhnlich bestehen mehr oder weniger konstante
schmerzhafte Empfindungen über den hyperästhetischen Teilen.
Die Kranken haben ein Druckgefühl über dem Präkordium,
welches konstant vorhanden und zur Zeit der Anfälle exazer-
biert. Manchmal beklagen sich die Kranken über Parästhesien
in den ergriffenen Teilen.
In anderen Fällen findet sich statt der Parästhesie eine
Anästhesie in segmentaler Anordnung. In einem von G i b -
son [3] beschriebenen Fall fand sich eine Anästhesje der lin¬
ken Thoraxseite und der Innenseite des linken Arms.
B) Die motorischen Symptome der anfaillsfreien Zeit be¬
stehen in paretischen und Reizzuständen. Meistens findet man
vermehrten Tonus der Muskeln über den hyperästhetischen
Gebieten. Diese Muskeln sind gewöhnlich schwach und er¬
müden sehr leicht; wird die Kraft des Arms durch Wider¬
standsbewegung geprüft, so zeigt sich deutlich eine Minder¬
wertigkeit der Muskeln des linken Arms, die das physiologische
Mass weit überschreitet. Sehr häufig ist der linke 1/4 — 2/4 cm
dünner als der rechte Arm. Ein typischer Fall ist von G i b -
son [3] beschrieben worden, in dem die Fähigkeit, Gegen¬
stände zu fassen und festzuhalten, fast vollständig verloren
war; die Reaktion auf mechanische und elektrische Reize war
bedeutend erhöht, während die Muskeln stark atrophisch
waren.
Vollständige Lähmung der Muskeln der ergriffenen Seg¬
mentes scheint selten zu sein und ist von mir nie beobachtet
worden. E i c h h o r is t [6] hat jedoch einen Fall beschrieben,
in welchem eine Lähmung mit Entartungsreaktion im Gebiete
der vom Nervus ulnaris versorgten Muskeln in einem mit An¬
gina pectoris erkrankten Patienten auftrat.
C) Vasomotorische Symptome in der anfallsfreien Zeit sind
gewöhnlich so hervortretend wie die motorischen oder sen¬
sorischen Symptome.
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2029
Im Gegensatz zum Anfall, in welchem die Vasokonstrik¬
toren hauptsächlich zur Geltung kommen, verleiht in der an¬
fallsfreien Zeit die Wirkung der Vasodilatatoren der Hand eine
zyanotische Färbung. Diese wechselt, wenigstens in einzelnen
Fällen, mit Anfällen ab, in welchen die übrigen Zeichen der
Angina fehlen, in welchen jedoch eine solche Vasokonstriktion
eintritt, dass die Hand leichenblass wird und die Erscheinungen
denjenigen der Raynau d sehen Krankheit so gleichen, dass
eine Differentialdiagnose nur durch weitere Beobachtung des
Kranken ermöglicht wird.
Fin Fall dieser Art wurde mir vor einiger Zeit von Dr. P. 1 no-
ni a s überwiesen: Eine Patientin mit Aorteninsuffizienz leidet an
typischen Attacken anginöser Natur, während welcher neben den
Schmerzen Kraftlosigkeit des linken Arms und Blutleere der Finger¬
spitzen besteht. Zuweilen treten Anfälle auf, in welchen voll¬
ständige Blutleere der Finger auftritt; diese dauern mehrere Stunden
und sind nicht mit nennenswerten Schmerzen verbunden. Sie werden
sehr oft durch äussere Einflüsse, wie Eintauchen der Hände in kaltes
Wasser verursacht; offenbar wird der Anfall veranlasst duich eine
übergrosse Beanspruchbarkeit des Reflexbogens.
Wie ich schon oben bervorgehoben habe, sind ähnliche Er¬
scheinungen, welche die motorischen, sensorischen und vaso¬
motorischen Funktionen gewisser Rückenmarkssegmente be¬
treffen, auch in anderen nicht durch Koronarsklerose beding¬
ten Herzerkrankungen ausgeprägt. Auch in diesen treten An¬
fälle auf, in welchen die Patienten über Schmerzen, Schwäche¬
zustände im linken Arm und über vasomotorische Störungen in
den ergriffenen Segmenten klagen. Auch hier lassen sich die
typischen Hyperästhesien, die Parese der Armmuskeln und
reflektorische Krampfzustände in den ergriffenen Gebieten
nachweisen. Diese Symptome treten in den Fällen auf, in wel¬
chen eine Erkrankung des linken Ventrikels besteht; sie sind
besonders ausgeprägt in den Fällen von Aorteninsuffizienz und
Dilatation des Aortenbogens; ebenso treten sie häufig auf in
Fällen von postinfektiöser Myokarditis und äussern sich hier
hauptsächlich in Lähmungserscheinungen des linken Arms.
Eine Schilderung dieser Erscheinungen würde nur eine
Wiederholung der oben beschriebenen Symptome bedeuten;
eine Wiedergabe von einzelnen Krankengeschichten wird die
betreffenden Punkte besser illustrieren.
Ein typisches Beispiel anginöser Beschwerden, verursacht
durch Fettherz, wird in der folgendem Krankengeschichte ge¬
boten. , ,
Mrs. B., 34 Jahre alt, leidet an Fettsucht. Dm sehr korpulente
Dame beklagt sich über Atemlosigkeit und grosse Erschöpfung nach
leichten Anstrengungen. Das Herz ist leicht nach rechts vergrösseit,
die Töne sind leise und dumpf; über der Spitze ist der erste Ion ver¬
längert; sonst bestehen jedoch keine Zeichen irgendwelcher Herz¬
insuffizienz. . j
Sie leidet an Anfällen, welche durch Anstrengungen irgend¬
welcher Art, Aufregung oder durch reichliches Essen verursacht
werden. Sie äussern sich in mehr oder weniger heftigen Schmerzen
über der Präkordialgegend, die nach dem Halse und dem linken Arme
ausstrahlen. Der Schmerz äusserst sich in einer starken Beklem¬
mung, die von mehr oder weniger Angstgefühl begleitet ist; ferner
hat sie das Gefühl, als ob der Hals zugeschnürt werde; Herzklopten
tritt in einzelnen Anfällen auf, ist aber nicht ein konstantes Symptom.
Während der Anfälle wird die Innenseite des linken Arms ge¬
fühllos, während sie in den Fingern das Gefühl des Ameisenkriechens
hat. Nach einiger Zeit wird der Arm schwach und kraftlos, so dass
sie keine Arbeit mit der linken Hand verrichten kann. Die Dauer
der Anfälle wechselt zwischen einigen Stunden und 1 2 ragen.
Bei der Untersuchung zeigen sich typisch hyperästhetische
Zonen, die oberste entsprechend dem 3. und 4. Zervikalsegment, die
zweite dem 8. Zervikal- und 1. Dorsalsegment. Die motorischen
Reizerscheinungen der ersteren Zone erklären das hier sein aus¬
geprägte Erstickungsgefühl. Auch hier wird die Objektivität dei
Hyperästhesie durch den Gänsehautreflex und Erweiterung der Pu¬
pillen bei der Reizungder befallenen Segmente bewiesen.
Unter geeigneter Behandlung verschwanden die Symptome und
mit ihnen die Hyperästhesie. .
Der folgende Fall soll ein Beispiel bringen für anginoide
Symptome, verursacht durch Mitralstenose.
Miss P., 21 Jahre, zeigte zum ersten Male Herzsymptome vor
ungefähr 2 Jahren nach einer Pleuritis; ihre Hauptbeschwerden be¬
stehen in Kurzatmigkeit bei liegender Stellung und. Herzklopfen nach
Anstrengungen. In den letzten Wochen hatte sie öfters Anfälle, deren
Natur später beschrieben werden soll.
Bei der Untersuchung werden die Zeichen einer Mitralstenose
und Insuffizienz gefunden.
Sie hat konstant einen Druck über der Herzgegend, der nach
Anstrengungen oder Aufregungen sehr viel stärker wird und sich in
der Form eines Gürtelgefühles zeigt. Manchmal hat sie das Gefühl
bei besonders ausgeprägten Anfällen, als ob eine Hand das Herz er¬
greife und zusammenpresse. Der Schmerz strahlt nach dem linken
Arm aus; nach einigen Minuten macht sich Schwäche des Arms be¬
merkbar. In einzelnen Anfällen tritt Schwäche der Arme auch ohne
vorhergehende Schmerzen auf, ebenfalls verursacht durch die gleichen
Faktoren wie der ursprüngliche Anfall. Jeder Anfall beginnt mit
starker Zyanose der Hände; Schmerz und Muskelschwäche folgen der
Zyanose erst nach wenigen Minuten.
Ueber dem 8. Zervikal- und 1. Dorsalsegment findet sich
typische Hyperästhesie; eine zweite typische Zone findet sich in der
Höhe des 3. und 4. Dorsalsegments.
Aehnliche Symptome habe ich in einer Reihe von Aorten¬
erkrankungen, die in San Francisco ausserordentlich häufig
sind, gesehen. Es würde ermüdend sein, eine Beschreibung
solcher Fälle zu geben, da sie nur eine Wiederholung der vor¬
her beschriebenen Symptome zeigen. Es ist mir jedoch auf-
gefallen, dass die Schwächezustände in den Muskeln über die
sensorischen Symptome überwiegen in den Fällen, in welchen
die Herzsymptome bedingt sind durch eine postinfektiöse Myo¬
karditis.
Die Pathogenese dieser segmental angeordneten Sym¬
ptome bei Herzkrankheiten ist, soweit wenigstens die sensori¬
schen Symptome beteiligt sind, von H e a d [l] und Macken¬
zie [2] in ihren Arbeiten über Hyperästhesien als Symptome
innerer Krankheiten besprochen worden. Mackenzies An¬
sicht scheint mir am besten die hier besprochenen Erschei¬
nungen zu erklären. Die Erkrankung des Herzens führt zu
einer kontinuierlichen Reizung des Herznervens: des Sym¬
pathikus. Diese Reizung wird dem Rückenmark zugeführt an
den Stellen, an welchen die betreffenden Fasern des Sympathi¬
kus in das Rückenmark eintreten, und führt hier zur Reizung
des entsprechenden Segments, die nach allgemein physio¬
logischen Gesetzen in die Peripherie: in die von dem betreffen¬
den Segment innervierten Hautpartien projiziert wird. Die
schmerzhaften Reize werden demgemäss nicht in das Herz vei-
legt, sondern in die entsprechenden Segmente der Körperober¬
fläche. Die Reizung der motorischen Teile des Segments führt
zu tonischen und klonischen Krämpfen der entsprechenden
Muskeln; die Reizung der vasomotorischen Zentren zu Ver¬
änderungen der Gefässinnervation. Langdauernde Reizung
führt zu Lähmungszuständen.
Es ist selbstverständlich, dass diese segmentalen Sym¬
ptome nicht notwendigermassen auf ein oder zwei Segmente
beschränkt bleiben; Ausstrahlung nach anderen Teilen des
Rückenmarks bildet die Regel. Reizerscheinungen in der
rechtsseitigen Hälfte des Neurons sind fast ausnahmslos vor¬
handen; zervikale und dorsale Segmente sind gewöhnlich in
weiter Ausdehnung befallen. _ . .. D
Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass anginöse Be¬
schwerden nicht ohne weiteres als ein Symptom der Koronar¬
sklerose aufgefasst werden dürfen. Es ist das Auftreten von
Beschwerden der Angina entsprechend nur als eine Reaktion
des Nervensystems auf eine linksseitige Herzerkrankung au
zufassen. Eine anatomische Läsion der linken Vorkammer oder
des Ventrikels führt zu einer Reizung eines oder mehrerer
Rückenmarkssegmente, die dann, nach der Peripherie verlegt,
die Erscheinungen der Angina pectoris hervorbringt Die der
richtigen Koronarsklerose entsprechen Je Angina lasst sicü
durch anderweitige Kennzeichen von den anginoiden Be¬
schwerden der übrigen Herzerkrankungen trennen; doch ist
die Pathogenese in beiden Fällen die gleiche.
Die Differentialdiagnose dieser anginoiden Symptome von
den Erscheinungen der richtigen Koronarsklerose ist in den
meisten Fällen leicht zu stellen, mag aber in einzelnen Fallen
erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Gewöhnlich zeigen die
anginoiden Symptome eine' gewisse Periodizität, kehren mi
grosser Regelmässigkeit zu gewissen Tagesstunden wieder
(sehr oft beim zu Bette gehen), der Anfall dauert Stunden und
Tage und zeigt nicht die scharfe Abhängigkeit von Anstren¬
gungen und Aufregungen wie die Koronarsklerose. Gewöhn¬
lich entwickeln sich die Symptome langsam gegenüber dem
plötzlichen Beginn der Angina; das Todesgefuhl ist n ui in
wenigen Fällen vorhanden und dann nicht so ausgeprägt wie
in der Koronarsklerose. In einzelnen Fähen lassen jedoch alle
diese Kriterien im Stiche, besonders bei Aortensklerose u
2U3U
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4!.
Aorteninsuffizienz; es kann hier die Differentialdiagnose nur aus
dem weiteren Verlauf des Falles gestellt werden.
Literatur:
1. He ad: Brain 1893 und 1894. — 2. Mackenzie: British
medical Journal 1905. — 3. Qibson: Practitioner, Sept. 1906. —
4. Nothnagel: D. Archiv f. klin. Med. 1867, S. 308. — 5. C u r s c h-
m a n n : Münch, med. Wochenschr. 1906. — 6. Eichhorst: Lehr¬
buch der inneren Medizin.
Aus dem Privatlaboratorium von Dr. Wederhake in
Düsseldorf.
Zur Morphologie des Urins und der Galle.
Von Dr. Anton Veit und Dr. K. J. Wederhake.
Von Virchow wurden zuerst Körperchen beschrieben,
die mit gewissen Reagentien ähnliche Reaktion geben wie das
Amylum, die sich aber andererseits durch andere Reaktionen
wesentlich davon unterscheiden; Virchow nannte sie
Amyloidkörperchen oder Corpora amylacea. Sie finden sich in
der Substanz des Rückenmarkes, im Ependym der Hirnven¬
trikel, in der Prostata und ihrem Sekrete, in der Lunge, im
Sputum bei Lungentuberkulose und bei Asthma bronchiale, in
Karzinomen, in der Brustdrüse im Kolostrum (Wederhake),
im Urin und, wie wir beschreiben werden, auch in der Galle.
Die charakteristische Reaktion zu ihrer Erkennung ist die Jod¬
schwefelsäurereaktion, wodurch die Körperchen braunrot,
blaugrün, blaurötlich oder tief blau gefärbt werden. Wendet
man nicht die typische Jodschwefelsäurereaktion an, sondern
die von Siege rt angegebene Modifikation der Jodreaktion:
Härtung in Alkohol, Auswaschen in Wasser, Färbung in starker
Jodjodkalilösung, Entfärbung in Alkohol absolutus, Differen¬
zieren in 20 proz. Salzsäure, Nachfärben in Jodalkohol (4 Teile
Alkohol und 1 Teil Jodtinktur), der zugleich entwässernd wirkt,
Konservierung in Origanumöl an, so kann man mit diesem Autor
die Corpora amylacea in Corpora versicolorata, die tiefbraun
gefärbt sind und in Corpora flava, die die Amyloidreaktion
nicht geben, unterscheiden. Typisch finden sich beide Arten
in der Prostata und ihrem Sekrete nebeneinander.
Trotz dieser einfachen Reaktion ist das Aufsuchen der
Amyloide in den Sekreten oft sehr umständlich und zeit¬
raubend; das gilt namentlich von Urin und Galle. Erst die von
mir (W ederhake) beschriebene Jod-Croceinscharlach-
färbung* 1) erleichterte das Auffinden dieses Körperchens be¬
deutend, so dass die Untersuchung auch grösserer Quantitäten
von Flüssigkeiten auf das Vorhandensein der Amyloide sehr
einfach ist. Die Färbung geschieht folgendermassen :
1. Die Flüssigkeit (Urin, Galle usw.) wird zentrifugiert,
dann giesst man das über dem Bodensatz Stehende so weit
aus dem Zentrifugenröhrchen ab, dass nur etwa 1 ccm zurück¬
bleibt.
2. Hierzu fügt man einen Tropfen Jodtinktur und schüt¬
telt gut durch.
3. Man giesst hierzu etwa 1 ccm einer konzentrierten
Losung von Croceinscharlach 7 b in 70 proz. Alkohol und
schüttelt gut durch.
4. Dann füllt man das gefärbte Zentrifugat mit Wasser auf
und zentrifugiert von neuem.
5. Abpipettieren; zur Konservierung kann man Farrant-
sche Lösung verwenden.
Die typischen Amyloidkörperchen sind blauschwarz bis
dau bis hellblau gefärbt und durch ihre charakteristische Ge¬
stalt und Schichtung von Verunreinigungen und dergl. sicher
zu unterscheiden. Ausser diesen echten Amyloiden, den Jodo¬
amyloiden, wie wir sie nennen möchten, findet man aber
namentlich in den Zentrifugaten des Urins noch Körperchen,
i ic nach Schichtung, Gestaltung und Grösse den Jodoamyloiden
sein ähnlich sind, sich aber dadurch unterscheiden, dass sie
sich nicht blau, sondern rot gefärbt haben, wir möchten sie
Erythroamyloide nennen. Die Erythroamyloide geben zum
1 eil die typische Jodschwefelsäurereaktion und erweisen sich
dadurch als Amyloide im Virchow sehen Sinne. Dass sie
Q Wederhake: Zur Morphologie des
I echnik seiner Untersuchung. Monatsschrift
Gynäkologie, Bd. XXII, II, 5.
Kolostrums und zur
für Geburtshilfe und
aber dennoch als eigene Gruppe von der Virchow sehen
unterschieden werden müssen, ergibt sich aus dem unterschied¬
lichen Verhalten gegen die Jodcroceinscharlachreaktion. Wenn
diese Körperchen sich auch morphologisch den Jodoamyloiden
sehr ähnlich verhalten, so kann man dennoch einige Unter¬
schiede konstatieren. So sind die Erythroamyloide fast nie
rund, sondern mehr oval, mehr elliptisch oder bohnenförmig
und übertreffen die Jodoamyloide nicht selten an Grösse. Ihre
Zahl ist in den einzelnen Urinen sehr verschieden, ihre Schich¬
tung ist gewöhnlich nicht so charakteristisch wie bei den Jodo¬
amyloiden, ja sie kann vollständig fehlen. Ihrer Struktur nach
sind sie viel zarter aufgebaut als die Jodamyloide; während
die Jodoamyloide eine gewisse faserige Struktur aufweisen,
wie ich sie beispielsweise bei den Amyloiden des Kolostrum,
der Prostata nachweisen konnte (Wederhake) sind die
Erythroamyloide fast hyalin gebaut.
Wir haben nun über 150 Urine, die teils von Gesunden, teils
von Kranken stammten, auf die Amyloide untersucht und fanden,
dass die Amyloide sowohl in gesunden, als auch in den patho¬
logische Merkmale aufweisenden Urinen Vorkommen. Doch
finden sie sich nicht in allen gesunden Urinen, sondern nur in
einzelnen und hier auch sehr vereinzelt und nur bei ausser¬
ordentlich sorgfältiger Durchforschung. Solche, anscheinend
von gesunden Menschen stammende Urine wiesen sonst
keinerlei Eiweissgehalt und Formelemente auf, doch Iiess sich
bei etwa % der Fälle feststellen, dass die den Urin Produ¬
zierenden früher an einer mit hohem Fieber einhergehenden
Krankheit gelitten hatten, z. B. an Scharlach, Typhus, Diph¬
therie u. dergl. Es scheint also, als ob solche Urine doch nicht
als ganz normal zu betrachten wären. Die Untersuchung der
Urine von Kranken, die an Harnröhren-, Blasen- oder Nieren¬
affektionen litten, ergab folgendes: Die Zahl der Amyloide,
sowohl der Jodoamyloide als Erythroamyloide, ist fast stets
vermehrt bei den akuten Zystitiden, weniger oder gar nicht bei
den Urethritiden. Während man bei anscheinend normalen,
also keine pathologischen Formelemente und Substanzen auf¬
weisenden Urinen, oft 10 — 20 Präparate durchsehen muss; um
l — 2 Amyloide zu entdecken, kommt es vor, dass bei akuten
Zystitiden bereits in jedem zweiten Gesichtsfelde 2 — 3 Amy¬
loide zu entdecken sind. Auch bei chronischen Zystitiden ist
die Zahl der Amyloide stets vermehrt, doch sind es hier haupt¬
sächlich die Jodoamyloide, während bei akuter Zystitis Jodo-
und Erythroamyloide fast gleichmässig an Zahl zugenommen
haben. Bei Nierenaffektionen (Nephritiden, Nierensteinen,
Nierentuberkulosen u. dgl.) konnten wir eine wesentliche Ver¬
änderung hinsichtlich des Verhaltens der Amyloide nicht finden ;
es scheint also, als ob die in Rede stehenden Formelemente
sich hauptsächlich bei Erkrankung der Blase vermehrt finden.
Hinsichtlich des Vorkommens der Amyloide beim männ¬
lichen und weiblichen Geschlecht konnten wir keinen wesent¬
lichen Unterschied feststellen, sie finden sich also bei beiden
Geschlechtern in etwa gleicher Häufigkeit. Bezüglich des
Alteis ist zu erwähnen, dass wir sie sowohl bei Kindern im
Altei von über 5 Jahren als bei Menschen im mittleren und
höheren Alter (bis zu 70 Jahren) haben feststellen können.
Nach meinen Untersuchungen haben also die Amyloide
zweifellos eine Bedeutung für die Differentialdiagnose, be¬
sonders der Blasen- und Nierenerkrankungen. Das Fehlen der
Amyloide im pathologisch veränderten Urin spricht dafür, dass
eine katai rhalische Blasenaffektion ausgeschlossen werden
kann. Ihr Vorkommen andererseits bei Urinen, die anscheinend
nur Nierenelemente enthalten, deutet darauf hin, namentlich
wenn die Zahl vermehrt ist, dass die Blase ebenfalls beteiligt
ist. So können wir einen Prozess der Nieren und der Blase in
dem Sinne geradezu verfolgen, ob eine Nierenaffektion zur
Blase deszendiert und diese mitaffiziert. Damit glauben wir,
hat die Untersuchung des Urins auf das Verhalten der Amyloide
eine ziemlich grosse Bedeutung gewonnen.
Ueber die Entstehung dieser Elemente können wir keine
näheren Angaben machen; dass diese Elemente aber für die
Pathologie des Urins noch in anderer Hinsicht, nämlich bei der
Entstehung der Blasensteine von Bedeutung sein können,
sch Hessen wir daraus, dass sie sich in einer grossen Anzahi
Gallensteine nachweisen lassen. Zerschneidet man nämlich
einen Gallenstein und bringt feine Brockel durch Abschaben mit
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2031
einem Messer, besonders aus dem zentralen Teil des Steines,
auf einen Objektträger und färbt mit Jodcroceinscharlach,
so kann man fast immer mehr oder weniger zahlreiche Amy¬
loide, namentlich Jodoamyloide nachweisen. Die Färbung mit
Jodcroceinscharlach geschieht hier so, dass man:
1. über das Objekt reine Jodtinktur giesst,
2 dieselbe abtropfen lässt, aber nicht abspült,
3 darüber reichlich alkoholische Croceinscharlach-Lo-
sung schüttet, nach einer halben Minute abgiesst, mit Wasser
abspült und das Präparat vorsichtig mit Fliesspapier trocknet;
Glyzerin, Deckglas. . . ,
Wir konnten die Amyloide auf diese Weise in allen kalk¬
haltigen Gallensteinen nachweisen und zwar um so zahlreicher,
je näher die Brockel dem Kern des Gallensteins entnommen
waren. Dieser Befund und der weitere, dass wir bei zwei
gallenfisteltragenden Patienten, die an seröser Cholezystitis
und Gallensteinen litten, ebenfalls zahlreiche Amyloide nach¬
weisen konnten, spricht dafür, dass die Amyloide für die Ent¬
stehung der Gallensteine und vielleicht auch der Blasensteine
eine gewisse Bedeutung haben, ob sie nun nur als Symptom
einer katarrhalischen Entzündung auftreten, oder ob sie direkt
als Unterlage dienen, an welche sich die Substanzen, aus
welchen die Gallensteine zu entstehen pflegen, ankrystalhsieren,
lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden, jedenfalls bestätigt
ihr Vorkommen die Lehre von der Entstehung der Gallensteine
in katarrhalischen Gallenblasen. Da wir aber die Amyloide
besonders im Kern der Gallensteine nachweisen können — und
zwar gelang dies am besten bei den kleinsten Steinen, — so
glauben wir, dass die letztere Annahme, nämlich dass sie als
Grundlage für die Entstehung der Gallensteine dienen, viel für
sich hat.
Genauere und ausgedehntere Untersuchungen müssen uns
hierüber noch Klarheit verschaffen. Aus unseren Unter¬
suchungen geht jedenfalls hervor, dass die Bedeutung der
Amyloide viel grösser ist, als sie bisher nach den vorliegenden
literarischen Mitteilungen zu sein schien. Namentlich die Unter¬
suchung der Sekrete und Exkrete auf Amyloide ist wichtig
genug um in die klinischen Untersuchungsmethoden aufge¬
nommen zu werden. Ueber klinische Untersuchungen fehlt
in der Literatur fast jede Mitteilung. Die Pathologen haben uns
dagegen eine ganze Reihe Aufschlüsse gebracht. Die Lite i atu i
habe ich in meiner oben zitierten Arbeit zusammengestellt.
Ueber Heilung der Iritis und Iridozyklitis. — Heilung
der Blennorrhoea neonatorum.*)
Von Dr. Vinzenz Fukala aus Wien.
Im Laufe der letzten sechs Dezennien hat sich ein mäch¬
tiger Umschwung auf allen Gebieten der Heilkunde vollzogen.
Namentlich aber ist dies zu verzeichnen in der Mikroskopie,
Bakteriologie, internen Medizin und Chirurgie.
Von diesen Errungenschaften sind einige von ganz be¬
sonderer Wichtigkeit, welche einen totalen Umsturz in dei Be¬
handlungsweise mit sich brachten: Es sind dies die Narkose
von Jackson in Boston 1845, das Kokain von Koller 1884,
die Asepsis von L i s t e r, Röntgenstrahlen u. a. m.
In der Augenheilkunde ist allerdings auch ein bedeutender
Fortschritt zu verzeichnen, jedoch mehr in der 1 heorie, da¬
gegen ist auf dem Gebiete der Therapie nur wenig geschehen;
denn seit der Erfindung des Augenspiegels durch Helm¬
hol t z, der richtigen Erkenntnis der Refraktionslehre durch
S t e 1 1 w a g und D o n d e r s, sowie der Glaukomiridektomie
durch Graefe 1856 haben weitere wichtige therapeutische
Neuerungen aufgehört. Ausnahmen machten nur noch die Ein¬
führung des Kokains und die Myopieoperationen.
Nun ist die Therapie der wichtigste Teil der Augenheil¬
kunde ; der Kranke verlangt Heilung, er will von
der Gefahr der Erblindung befreit sein; daher
wandte ich in den letzten 20 Jahren der Therapie meine grösste
Aufmerksamkeit zu. Ich habe mir die Frage gestellt, ob wir
auch auf andere Weise bessere Resultate erzielen könnten.
Meine Bemühungen waren nicht fruchtlos; ich habe meinen
*) Nach einem Vortrage, gehalten am 7. Mai 1907 in der Societe
frangaise d’Ophthalmologie in Paris.
Weg gefunden, auf dem Heilung erzielt werden kann. Selbst¬
verständlich sind sehr weit vorgeschrittene Erkrankungen, bei
denen kaum etwas mehr ausgerichtet werden kann, hier nicht
inbegriffen.
Im Mai 1. J. habe ich auf dem Kongresse der „Societe
Frangaise d’Ophthalmologie“ in Paris, deren Mitglied zu sein ich
die Ehre habe, zum erstenmale das Ergebnis meiner Studien be¬
kannt gegeben. Da jedoch den Statuten gemäss der Vortrag
längstens 10 Minuten dauern darf, so musste ich den, Inhalt in ge¬
drängter Kürze zusammenfassen. Nun berichte ich in ausführ¬
licher Weise.
I. Heilung der Iritis und Iridozyklitis.
Die Behandlung der schwierigeren Formen von Iritis
stösst bekanntlich auf grossen Widerstand. Auch Kliniker
ersten Ranges haben leider viele Verluste zu beklagen.
Magnus führt unter 2528 Fällen 8,86 Proz. Verluste an.
(Vide: Fuchs: Die Ursachen und Verhütung der Blindheit.)
Gustav Schleich gibt rund 12,64 Proz. Erblindungen
durch Iritis, Iridozyklitis an. (Vide: Adolf Hart, Gustav
Schleich: Klinisch-statistischer Bericht über 4305 erblindete
Augen, aus dem Materiale der Klinik Tübingen, bei Franz
P i e t z c k e r 1900.)
Wir sehen hiemit klar in Ziffern die grosse Bedeutung der
Heilung dieses Augenleidens. .
Ich war schon nahe daran, in der ersten Zeit meine Er¬
fahrungen bekannt zu geben; doch gestehe ich, dass die
Art und Weise, wie die Herren Augenärzte mir nach der Ver¬
öffentlichung der Myopieoperationen entgegengekommen sind,
mir den Mut und die Freude benommen hat. Schliesslich habe
ich mich nach vielen Jahren doch zur Publikation entschlossen,
denn die Zahl der Erkrankungen und Erblindungen ist, wie ich
bereits angeführt habe, sehr bedeutend. Doch sehen wir von
den Erblindeten ab, so fällt dieser Umstand noch schwerer in
die Wagschale, dass die Zahl der durch Iridozyklitis Be¬
troffenen, der sogenannten „Halbblinden“ eine viel grössere ist;
denn es treten Synechien, Occlusio pupillae, Pupillarmembran,
Trübungen der Linse und des Glaskörpers, Drucksteigerung
usw. oft in solchem Grade und nach längeren Jahren auf, dass
die Leute zwar noch grössere Gegenstände wahrnehmen
und allein gehen können — aber sie werden zu ihrem Beruf
untauglich und sind in die bittere Lage versetzt, sich auf eine
andere Weise einen schlechteren Verdienst suchen zu müssen,
wodurch oft ihre Lage sehr verschlechtert wird. Und hierin
liegt die soziale Bedeutung der Heilung der Iridozyklitis.
Somit gehe ich zur Heilung des Leidens über. Mit gutem
Grunde gebrauche ich nicht das Wort „Behandlung“, sondern
spreche direkt von „Heilung“. Meine Erfolge berechtigen
mich dazu, wie wir dies im weiteren Verlaufe sehen werden.
Um Iritis und Iridozyklitis heilen zu können, müssen 2
Bedingungen erfüllt werden:
1. es muss die Pupille ad maximum erweitert werden,
2. wir müssen ein spezifisches Mittel zur Heilung der
entzündeten Iris und des Corpus ciliare an-
'wenden.
Ueber Pupillenerweiterung.
Es ist Regel, dass man bei Iritis und Iridozyklitis die
1 proz. Atropinlösung anwendet; dies hat seine Richtigkeit bei
leichterer Iritis. In schweren Fällen und bei Iridozyklitis ge¬
nügt sie nicht. Wir sehen daher immer dort viele Synechien,
und in schwersten Formen bildet sich sogar eine Pupillar¬
membran mit deletären Folgen. Mari muss das oberste Prinzip
vor Augen haben, die Pupille stets nach Möglich¬
keit weit und kreisrund zu erhalten. Um dies
zu erreichen, müssen wir stärkere Lösungen anwenden, je
nach dem Grade der Entzündung 2 proz., 3 proz. und sogar
4 proz. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass starkes Atropin
schade. Das habe ich in meiner Praxis nie beobachtet. Es ist
uns ferner bekannt, dass viele Autoritäten sogar trockenes
Atropin schadlos anwenden. Ist hingegen die Pupille
erweitert, dann setze ich das Atropin aus, bis
sie sich wieder verengert. Es ist ganz unnütz,
bei weiter Pupille beständig zu atropini-
s i e r e n. Auch bei fest angewachsenem Pupillenrand kann
2032
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
weiteres atropinisieren nichts nützen, ist daher auszusetzen.
Und nun fragen wir uns : WelchesMedikament wirkt
direkt gegen die Entzündung des U v e a 1 -
t r a k t e s?
Wir haben bis jetzt kein solches gekannt, und dies ist
auch die Ursache, dass eine Heilung bei Iridozyklitis selten
eintritt, ausgenommen, wo Syphilis das Grundleiden war.
Während meiner ärztlichen Tätigkeit habe ich gefunden,
dass die Sublimatlösung 1: 4000 ein wahres
Spezifikum dafürist. Eshatmirin allen Fällen
geholfen und noch nie versagt.
Das Medikament wird mittelst eines erbsengrossen Watte¬
bausches an den Augapfel appliziert. Ich liess mir dazu beim
Instrumentenmacher Leiter in Wien eine ca. 8 cm lange
Sperrpinzette, deren Ende nicht zu spitz ausläuft, anfertigen.
Es ist am besten, den Patienten dazu auf einem Sopha liegen
zu lassen.
Da das iritische Auge sehr schmerzhaft ist, muss vorerst
5-, 10- bis 15 proz. Kokain eingeträufelt werden, um die Pro¬
zedur gehörig vornehmen zu können; wenn die Patienten näm¬
lich viel Schmerz empfinden, so werden sie entmutigt und ent¬
ziehen sich der Behandlung.
Nun fasst man mit der Sperrpinzette ein Stückchen Watte,
taucht dasselbe in die Sublimatlösung und tuschiert die Con-
junctiva sclerae rings um den Kornealrand bis nach rückwärts
herum. Es ist gut, das Sublimat auf 36 0 C. zu erwärmen, weil
es dann besser angreift.
Schliesslich wird Atropin 2-, 3- bis 4 proz., je nach dem
Grade der Entzündung, eingeträufelt.
Dieses Verfahren wird täglich einmal vorgenommen.
Bei heftiger Iridozyklitis wird schliesslich ein in Sublimat
1 : 4000 getauchter Wattebausch auf die Augenlider gelegt und
das Auge verbunden. Sind heftige Schmerzen vorhanden, so
werden 6 — 8 Blutegel mit entsprechender Nachblutung an¬
gewendet.
Wo Lues — dort antisyphilitische Behandlung; wo jedoch
Syphilis ausgeschlossen ist, gebe man kein Jodkali, weil da¬
durch der ohnehin entkräftete Organismus unnütz geschwächt
wird.
Erfolg dieser Behandlung.
Bei leichteren Fällen wird das Auge rasch blass, die Pu¬
pille wird schnell erweitert. Man wiederholt täglich dasselbe
Verfahren und es tritt nach wenigen Tagen Heilung ein. Man
darf sich jedoch nicht verleiten lassen, die Behandlung vor¬
zeitig^ aufzugeben, da sonst Rückfall gerne und häufig auftritt.
Etwas schwieriger verhält es sich mit der Heilung von
Iridozyklitis. Vor allem ist die Schmerzhaftigkeit sehr be¬
deutend; der Patient sträubt sich gegen die Applikation von
Sublimat; man muss daher kräftig kokainisieren (5 proz.,
10 proz. bis 15 proz.). Kommt der Patient rechtzeitig zum
Arzte, so ist die Heilung möglich und es lässt sich desto
sicherer die Pupille erweitern; der Patient nimmt auch inner¬
lich Sublimat in gewöhnlicher Dosis ein. Atropin muss ener¬
gisch eingeträufelt werden, bis die Pupille erweitert ist. Vor¬
handene Synechien, welche noch nicht lange bestehen,
reissen sicher. Anders verhält es sich bei Synechien, welche
1 bis 2 Monate und darüber bestehen, mitunter reissen auch
diese, doch ist dies ungewiss. Selbstverständlich muss man
bei solchen Fällen kräftigeres (3 proz., 4 proz.) Atropin und stets
gewärmtes Sublimat anwenden. Dagegen kann man bei länger
bestandener völliger Anwachsung des Pupillarrandes nichts
mehr ausrichten; Atropin ist, weil zwecklos, auszusetzen, und
wenn das Auge blass und reizlos geworden ist, Iridektomie vor¬
zunehmen. Eine frische Trübung des Kammerwassers, welche
erst eine Woche besteht, vergeht sicher bei dieser Behandlung.
Die Iris erlangt bald die normale Farbe, selbst eine leichte
Pupillarmembram resorbiert sich in kurzer Zeit und ver¬
schwindet spurlos, sodass man nach einiger Zeit die v o r d e r e
Kapsel \ ö 1 1 i g rein findet. Meine Behauptung klingt
vielleicht unglaublich, ich versichere aber, dass meine Angaben
vollkommen der Wahrheit entsprechen. Gerade dies ist von
unschätzbarem V erte; denn die gefürchtete Trübung verliert
sich vollständig und die Patienten sind glücklich, wieder im
Vollbesitze ihrer Sehkraft zu sein. Die Leistungsfähigkeit des
Auges hat durch dieses schwere Leiden nichts eingebiisst. Ich
verweise diesbezüglich auf die weiter unten angeführten
Krankengeschichten.
Was erreichen wir nach meiner Methode bei
schwerer Iritis mit Pupillenverschluss und
schmerzhafter Zyklitis?
Solche Fälle waren bisher unheilbar und endeten mit der
völligen Erblindung des erkrankten Auges; selbst unter den
günstigsten Bedingungen blieben Trübungen der Linse, der
Kapsel und des Glaskörpers zurück; immer erlitt das Auge be¬
deutenden Schaden.
In solchen Fällen erzielte ich bei fügsamen Patienten gross-
artige Resultate, wenn auch die Sehkraft durch Trübungen der
Medien infolge der langen Dauer Schaden genommen hat.
Die Behandlung habe ich bereits beschrieben. Auch hier
gibt es entsprechende Heilung, jedoch erst nach 4—5 Wochen.
Zunächst lassen die Schmerzen langsam nach und hören bald
völlig auf; die Entzündungserscheinungen nehmen ab, nach
einigen Wochen wird das Auge blass und nun kann man zum
Schlüsse Iridektomie vornehmen. Letztere am besten nach
innen.
Einige Krankengeschichten:
1. Vor 12 Jahren kam zu mir ein Cafetier, 48 Jahre alt. Er litt
beieits eine Woche an Iritis, ohne sich an einen Arzt gewendet zu
haben. Das Auge war stark gerötet und recht schmerzhaft. Ziliar-
injektion; Trübung des Kammerwassers und Pupillarmembran. Ich
glaubte nicht, dass sich die äusserst enge, angewachsene Pupille noch
erweitern würde. Atropin 3 proz. und 4 proz. Nach 4 Tagen war die
Pupille plötzlich erweitert. Hierauf klärte sich das Kammerwasser;
Heilung nach 3 Wochen; Kapsel und Medien ganz rein, normale Seh¬
kraft.
2. Herr L. Bl., hochgestellter Militärbeamter, 45 Jahre alt, er-
kiankte vor 3 Jahren an schwerer Iritis des linken Auges. Er stand
von Beginn an in bester klinischer Behandlung. Leider verengte sich
die Pupille bedeutend, so dass er schliesslich nichts mehr sehen
konnte. Iridektomie verbesserte das Sehen derart, dass er noch
s der normalen Sehkraft Behielt. Nach einem Jahr erkrankte das
rechte Auge an Iridozyklitis. Er war ganz verzweifelt, da er fürchten
musste, seine Stellung zu verlieren oder mit sehr reduziertem Gehalt
pensioniert zu werden. Meine Therapie des zweiten Auges: 3 — 4 proz.
Atropin, Sublimat 1 : 4000. Zweimal wurden je 6 Egel gesetzt. In
4 Wochen völlige Heilung, keine Synechien, Kapsel und Medien ganz
rein; er behielt normale Sehkraft, liest fliessend Jaeger No. 1 mit un¬
bewaffnetem Auge. Seit 2V2 Jahren befindet sich sein Auge in nor¬
malem Zustand ohne Rezidive und er versieht seine schwierige Stel¬
lung mit grösster Leichtigkeit.
3. Josef U. aus Stockerau, Oekonom, 50 Jahre alt, wurde an einer
Wiener Augenklinik 7 Wochen lang an schwerer Iridozyklitis eines
Auges als interner Patient behandelt; während dieser Zeit erkrankte
auch das zweite, bisher gesunde Auge in ebenso heftiger Weise. Wie¬
wohl ihm die sorgfältigste klinische Behandlung zu teil wurde, ver¬
lor er das Augenlicht an beiden Augen und wurde nach 7 Wochen
auf eigenes Verlangen mit florider Iridozyklitis beider Augen ent¬
lassen. Am 30. März 1906 wurde er als Blinder zu mir geführt.
Status praesens 30. III. 06: Augenlider geschwollen, gerötet- ausser¬
ordentliche Lichtscheu und Schmerz; reichlicher Tränenfluss; Aug¬
apfel durchaus intensiv gerötet, Pupille ganz eng. Occlusio pupillae
Pupillarmembranen. Er hatte zwar gute Lichtempfindung, konnte
aber Gegenstände nicht mehr unterscheiden. Die Behandlung war
dadurch bedeutend erschwert, dass er aussergewöhnlich heftige
Schmerzen zu leiden hatte. Nach 4 Wochen hatte ich es dahin ge-
b rächt, dass die Augen blass wurden und die Schmerzen aufhörten.
Hierauf führte ich an jedem Auge Iridektomie nach innen aus. Der
Mann, der früher nichts sah und geführt werden
musste, kann nun grösseren Druck lesen und ist
wieder in seinem Berufe (Oekonomie) tätig.
Es können zuweilen sogar schon Monate lang bestandene
Synechien bei energischem Verfahren zum Zerreissen gebracht
werden. Interessant ist nachstehender Fall aus der letzten Zeit
meiner Praxis:
Ei äulein Marie Schw., 16 Jahre alt. litt seit 3 Jahren an schwerer
Iritis des linken Auges und wurde iridektomiert. Vor 17 Wochen
erkrankte das rechte Auge; sie verbrachte 17 Wochen als in¬
terne Patientin in einer Krankenanstalt. Vor einigen Tagen kam sie
zu mir. Ich fand die Pupille sehr unregelmässig, viele Synechien.
Heute sind nach meiner Behandlung alle Synechien
gerissen, die Pupille kreisrund, Sehen normal.
Iritis punctata.
Es ist dies eine besondere Form der schleichenden Iritis,
welche oft unbemerkt beginnt, später leider zur Erblindung
führt. Man findet an der Membrana Descemetii viele kleine
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2033
lichtgraue Pünktchen 5 die Kranken empfinden meist gai keine 11
Schmerz, keine Reizerscheinungen. Frühzeitig entwickeln sich
Synechien und totale Anwachsungen des Pupillarrandes,
Oeclusio pupillae; demgemäss nimmt die Sehkraft ab, bis die
Kranken das Sehvermögen schliesslich eingebüsst haben.
Meist kommt der krankhafte Vorgang an beiden Augen vor.
Es ist bekannt, dass dabei Trübungen der Linse und des
Glaskörpers nicht ausbleiben. Die meisten erblinden unheilbar
und sehr viele fallen schon in jungen Jahren diesem Leiden
zum Opfer. Es ist ferner erwiesen, dass diese Krankheit meist
ausserordentlich hartnäckig ist und jeder Therapie energischen
Widerstand entgegensetzt. Meine angeführte Methode hat stets
die besten Erfolge ergeben. Die Therapie ist der bereits ge¬
schilderten vollkommen gleich. Der Erfolg ist desto sicherer,
je früher der Patient zur Behandlung kommt. Leider geschieht
dies meist zu spät, da die Krankheit ganz schmerzlos beginnt.
Erst die Abnahme der Sehkraft zwingt sie dazu — dann sind
aber auch Synechien und Oeclusio pupillae bereits vorhanden,
weshalb der Arzt mit schwierigen Komplikationen zu kämpfen
hat. Die Iridektomie erweist sich schliesslich doch als das
beste Heilmittel. Ich führe hier aus meiner Praxis einige Bei¬
spiele an:
1. Martha D., 18 Jahre alt, aus Eisenstadt in Ungarn, verlor vor
4 — 5 Jahren die Sehkraft des rechten Auges. Vor 15 Monaten trat
eine derartige Verschlimmerung an dem rechten Auge ein, dass
sie an der Augenklinik in Graz Hilfe suchte. Bis dahin war das
1 i n k e Auge vollkommen gesund. An der Klinik trat jedoch eine lang¬
same aber stete Abnahme der Sehkraft links ein. Am 8. I. 07 wurde
sie zu mir als blind geführt. Rechts: keine Kammer, totale
Synechie, Linse weiss, intraokularer Druck bedeutend herabgesetzt
und das Auge war blass: an der Membrana Descemetii weisse Pünkt¬
chen- Iritis gewölbt. Meine Behandlung hatte raschen Erfolg, so
dass 'die Pünktchen (am linken Auge) nach einer Woche nicht mehr
zu sehen waren; ich konnte daher am 18. I. 07 am linken Auge Iridek-
tomie vornehmen. Die Besserung der Sehkraft trat unglaublich rasch
ein Schon nach wenigen Tagen konnte sie den weiten Weg zu mir
ohne Führung machen. Am 14. II. las sie in gewohnter Entfernung
Jaeger No. 7 und No. 6, bei der Entlassung am 2. III. Jaeger No. 5.
Dieser Fall spricht gewiss sehr zu gunsten meines Verfahrens.
Als sie zu mir kam, war sie blind und musste ge¬
führt werden; 3 Monate später konnte sie kleinen
Druck lesen. „
2. K. L.. Kaufmann, 60 Jahre alt, kam vor 3 Jahren zu mir. Er
klagte mir, dass er seit einigen Tagen am rechten Auge schlecht
sehe. Pupillenerweiterung ergab mehrere Synechien, wiewohl das
Auge ganz blass war; graue Pünktchen an der Membrana Descemetii.
Obwohl der Patient unregelmässig zur Ordination kam, war die
Pupille nach 3 Wochen ganz rund; die Sehkraft wurde normal.
4 Monate später kam er mit ganz gleichen Symptomen am linken
Auge zu mir. Verlauf, Behandlung und R'esultat gleich dem des
rechten Auges. Seit dieser Zeit arbeitet er mit ungeschwächter Seh¬
kraft in seinem Berufe.
3. Josef St., 36 Jahre alt, aus Admont, wurde vor 3 Jahren bei
seiner Arbeit im Walde am rechten Auge verletzt. Ein Jahi daiauf
erkrankte sein linkes Auge an Iritis punctata. Die Sehkraft nahm so
rapid ab, dass er schliesslich nicht mehr allein gehen konnte. Ei
kam zu mir. loh fand Iritis punctata. Oeclusio pupillae. Nach zwei¬
monatlicher Behandlung konnte er allein gehen und grossen Druck
lesen. Ich führte später Iridektomie aus. Die Linse ist infolge des
Leidens mässig getrübt.
II. Heilung der Blenorrhoea neonatorum.
Die Bekämpfung dieses schrecklichen Augenleidens gehört
gewiss zu den grössten und dankbarsten Aufgaben des Augen¬
arztes, denn schon in zartester Kindheit werden viele von
diesem Leiden befallen und erblinden. Erst vor 2 1 agen wurde
zu mir ein 4 Wochen altes Kind gebracht, das dadurch auf
beiden Augen völlig erblindet ist, obwohl der behandelnde Arzt
täglich die Bindehaut der umgestülpten Lider ganz korrekt mit
2 proz. Silbernitratlösung bepinselt hatte. Man versuchte be¬
reits verschiedene andere Mittel, um Heilung zu erzielen, was
in vielen leichteren Fällen gelang.
Das Verfahren von Crede verdient unsere vollste Aner¬
kennung ; es erreicht jedoch nur die Verhütung
leichterer Erkrankungen. Silbernitrat ist das her¬
vorragendste Mittel, das bisher von keinem anderen übertroffen
wurde. Die 2 proz. Lösung heilt leider nur leichte Formen mit
mässiger Sekretion. Wo es sich jedoch um sichere Heilung
einer heftigen Blennorrhoe mit bedeutender Sekretion handelt,
ist die Wirkung der 2 proz. Lösung sehr fraglich. Sogar
an Kliniken ersten Ranges gehen selbst bei grösster Mühe
No. 41.
Augen zugrunde. Man versuchte daher verschiedene Heil¬
mittel, um bösen Ausgang zu verhüten. So empfahl z. B. Her¬
mann Cohn beständige Eisumschläge; doch nützt dies kaum,
da Eis keine spezifische Wirkung besitzt, überdies ist dieses
Verfahren sehr zeitraubend, kostspielig und bei längerer Dauer
für das erkrankte Kind nicht ohne Lebensgefahr. Nachdem auf
der Klinik Fuchs geübten Verfahren versuchte man in Inter¬
vallen von je 4 Minuten das Sekret mit einem in Kali hyper-
mangan. getauchten Wattebausch zu entfernen. Auch dies ist
sehr ermüdend und unsicher.
Vor 20 Jahren hatte ich das Unglück, dass mein Sohn
2 Tage nach seiner Geburt an heftiger Blennorrhoe erkrankte.
Es befiel mich eine unsagbare Angst vor dem Verluste des
Augenlichtes meines Kindes. Rasch wurde in mir der Ent¬
schluss reif, eine energische Behandlung einzuleiten. Ich be¬
schloss, die Augen mit einer 4 proz. Silbernitratlösung zu
tuschieren - — ich versprach mir nämlich von vorneherein von
einer stärkeren Lösung mehr Erfolg, als von der bisher ver¬
wendeten 2 proz. Lösung — und nahm diese Prozedur zwei¬
mal täglich vor. Meine Voraussetzungen bestätigten sich
auch; ich fand, dass die 4 proz. Lösung sowohl für leichtere,
als auch für schwere Formen der Blennorrhoe ein absolut
sicheres Mittel ist. Leichte Fälle (die man nach Belieben auch
mit 2 proz. Lösung behandeln kann, werden schon nach 4 bis
5 Tagen geheilt, doch dauert die Behandlung mit schwächerer
Lösung entsprechend länger. Schwere Erkrankungen ei for¬
dern 10 bis 14 Tage. In allerletzter Zeit fand ich, dass bei
sehr schweren Fällen die 5 p r o z. Lösung noch
rascher zur Heilung mit gleich sicherem Er¬
folge führt. Ich wandte hierauf diese Lösung auch bei
minder schweren Fällen an; der Erfolg trat überraschend
schnell ohne unangenehme Komplikationen ein. Seither ver¬
wende ich in den meisten Fällen die 5 proz. Lösung mit bestem
Gelingen und habe nun nie die so gefürchteten Hornhaut¬
geschwüre oder gar Hornhautvereiterung gesehen.
Im Laufe der Jahre bin ich vom Gebrauche des
Pinsels abgekommen, da durch den Pinsel leicht Misch¬
infektionen und Reinfektionen stattfinden können. Ich führe
zum Beweise dessen nur wenige Beispiele aus meiner Praxis
vor: , . . ....
Ein im Arsenal verletzter Arbeiter wurde m einer Wiener
Krankenanstalt während der Behandlung mit einem mehrere
Jahre dauernden Trachom infiziert.
Desgleichen ein 5 jähriges Mädchen, das an Conjunctivitis
scrophulosa litt. .
Ein hoher Magistratsbeamter wurde an Katarrh behandelt
und durch Einpinseln mit einem äusserst heftigen 1 rachom in¬
fiziert; u. a. m.
Ich bediene mich zum J uschieren ausschliesslich einei
kleinen Sperrpinzette, mit der ich ein erbsengrosses
Stück Watte erfasse. Die Lösung wird in ein ca. 10 ccm
grosses Gläschen gegossen. Man verwende jedesmal
frische Lösung; dies ist sicherer, als die Pinzette jedes¬
mal in dieselbe Lösung zu tauchen, wodurch überdies die Lö¬
sung verunreinigt würde. Nach beendeter Ordination wird die
Pinzette gereinigt; sie wird von der Silberlösung nicht an¬
gegriffen. Zu ihrer Desinfektion haben wir einige ganz vor¬
zügliche Mittel: am einfachsten ist es, die Pinzette in einer
Spiritusflamme auszubrennen oder, was ebenso sicher ist, in
10 proz. Kali causticum zu legen und hierauf mit Wasser ab¬
zuspülen; in dieser Lösung kann sie tagelang liegen, ohne zu
rosten. Daher sind Pinzetten den Pinseln in jeder Beziehung
vorzuziehen. , ,, , , ,
Endlich erlaube ich mir jenen Herren Kollegen, welche das
schwierige Umstülpen der Augenlider nicht in Uebung haben,
den durch meine langjährigen Erfahrungen wohlbegrundeten
Rat zu geben, schwere Fälle an Kliniken oder Spezialisten zu
verweisen. Es ist eine Gewissenssache, an der Erblindung
eines Menschen schuldtragend zu sein; denn das blosse Ein¬
träufeln einer Lösung von Nitras arg. in den Bindehautsack
nützt gar nichts; andererseits wird dadurch die Zeit zui Heilung
des Leidens versäumt und es tritt Erblindung ein.
Nur auf diese Weise können wir zu dem Ideal, dass Kein
Mensch mehr an Neugeborenenblennorrhöe erblinden wird, ge¬
langen.
2034
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Blennorhoea (gonorrhoica) acuta adultoru m.
Die schönen Resultate, die ich bei Neugeborenenblennorhöe
mit der 4 proz. Silbernitratlösung erzielte, veranlassten. mich
seinerzeit dazu, dieselbe Lösung auch bei der gonorrhoischen
Blennorrhoe der Erwachsenen anzuwenden. Doch muss ich
bemerken, dass an eine Heilung nur im allerersten Sta¬
dium zu denken ist, wenn nämlich die starke Sekretion noch
nicht begonnen hat. Im Stadium der fibrinösen Infiltration hin¬
gegen ist an eine Heilung nicht mehr zu denken; da ist jede
Hoffnung auf Erhaltung der Hornhaut und somit auf Genesung
ausgeschlossen. Zu Beginn der Krankheit habe ich sämtliche
Erkrankten geheilt.
Ausführung: Der Patient liegt. Die Bindehaut der
umgestülpten Lider wird vorerst mit 5 proz. und 10 proz.
Kokainlösung betupft. Nach 3 — 4 Minuten wird die Bindehaut
mittels eins Wattebausches in der Sperrpinzette mit 4 proz.
Silbernitratlösung gut betupft. Es soll hierbei erzielt werden,
dass das Silbernitrat gut in das Gewebe der Konjunktiva ein¬
dringe; daher wird erst nach etwa 2 — 3 Minuten mit Wasser
(ohne Salz) abgespült. Abends wird das Verfahren wieder¬
holt. Der Erfolg ist desto sicherer, je früher der Erkrankte
zur Behandlung kommt.
Diese Behandlungsweise hat sich zu einer Abortivmethode
gestaltet; leider hat sie, wie bereits erwähnt, die Einschrän¬
kung, dass sie nur im ersten Stadium anwendbar ist. Aber
selbst mit Rücksicht darauf besitzt sie einen nicht zu unter¬
schätzenden Wert, denn immerhin wird ein Teil der Erkrankten
vor vollständiger Erblindung bewahrt.
Ich erlaube mir dazu noch nachstehendes zu bemerken.
Im Interesse der Leidenden wäre es sehr erwünscht, wenn
diese Behandlungsweise, die nur im ersten Stadium der Krank¬
heit Erfolg sichert, der Allgemeinheit bekannt gegeben würde,
damit die Erkrankten rechtzeitig ärztliche Hilfe aufsuchen
können.
Nun ersuche ich die Herren Kollegen, meine Behandlungs¬
weise objektiv zu prüfen und gegebenen Falles anzuwenden;
ich bin überzeugt, dass sie gleich günstige Resultate erzielen
werden.
Durch Heilung von Iritis, Iridozyklitis
und Blennorrhoea neonatorum kann die Zahl
der Blinden um 20 Proz. verringert werden;
ausserdem werden viele Menschen, welche zwar nicht er¬
blinden, aber infolge schwerer Komplikationen die Sehkraft
teilweise einbüssen, vor so grossem Unglück bewahrt. Es
kann viel soziales Elend verhindert und es können viele glück¬
lich gemacht werden, wenn die Zahl der Blinden um Vs herab¬
gesetzt wird. Endlich möchte ich noch bemerken, dass ich bis¬
her nur mit meinem Sohn, Dr. Karl F u k a 1 a, gearbeitet habe;
wenn aber sämtliche Aerzte mit vereinten Kräften sich gegen¬
seitig unterstützen, wird sicherlich noch viel mehr erzielt
werden können.
Die Anwendung von reinem Ichthyol bei Epididymitis
gonorrhoica.
Von Dr. Caesar Philip in Hamburg.
Bei der Behandlung der Epididymitis gonorrhoica übe ich
seit 2 Jahren ein Verfahren, das mir bisher stets sehr gute
Dienste getan hat.
Während des akuten Stadiums verordne ich Bettruhe,
Hochlagerung des Hodens und kalte Umschläge oder in ganz
leichten Fällen, und wenn es dem Patienten nicht möglich ist,
seine Beschäftigung vollkommen zu unterbrechen, gleich von
Anfang an ein Langlebertsches Suspensorium mit Priess-
nitzschem Verband.
Nach 4 — 7 Tagen gehen jedoch meist die schweren Ent¬
zündungserscheinungen, Fieber, Schwellung und Schmerz¬
haftigkeit zurück, da die Epididymitis wie alle durch den
Gonokokkus hervorgerufenen Entzündungen selten zur Ver¬
eiterung führt, vielmehr die entschiedene Neigung hat, bald in
ein subakutes oder chronisches Stadium zu treten. Es schliesst
sich jetzt eine chronische Entzündung an, die charakterisiert
ist durch die Bildung reichlichen zirrhosierenden Bindege¬
webes, klinisch durch die Häufigkeit der Rezidive und das
Hinterlassen neuralgieartiger Beschwerden. Während die
Epididymitis jetzt bei vollkommener Ruhe keine oder geringe
Schmerzen macht, führen stärkere oder länger dauernde Be¬
wegungen oder Anstrngungen des Kranken oft noch nach
Wochen und Monaten zu einem Wiederaufflackern der akuten
Entzündung, sodass die Arbeitsfähigkeit stark behindert ist.
Der Ausgang der Epididymitis entspricht dem besonderen
Charakter dieses Entzündungsprozesses, die Resorption des
Infiltrates ist meist keine vollkommene, es bleibt im Neben¬
hoden ein derbes, umschriebenes Knötchen zurück.
Die Aehnlichkeit dieses Prozesses mit anderen chronisch
verlaufenden Entzündungen, ganz besonders mit der Synovitis
crepitans veranlassten mich, in einer grösseren Versuchsreihe .
reines Ichthyol, das dort seit langem mit gutem Erfolge an¬
gewandt wird, zu erproben.
Die Art der Anwendung ist folgende : Die erkrankte Skrotal-
hälfte nebst der Hautpartie über dem Samenstrang bis über die
Leistenpforte hinaus wird dick mit reinem Ichthyol eingepinselt
und darüber ein zusammenhängendes, mässig dickes Stück
Watte gelegt. Ueber das Ganze kommt ein gewöhnliches,
straff sitzendes Suspensorium. Die Watte verklebt jetzt mit
dem Ichthyol und der Haut und bildet so nach kurzer Zeit einen
festen Kompressivverband. Dadurch, dass die Haut über dem
Samenstrang zusammen mit der Skrotalhaut in eine feste
I Schale gelegt ist, ist ein Zerren des Hodens und des erkrankten
Nebenhodens am Samenstrang unmöglich gemacht und so der
ersten Forderung, die man an einen guten Verband bei
Epididymitis stellen muss, Genüge getan. Ein Rasieren des
Skrotums ist nicht erforderlich; es genügt, die Haare kurz
zu schneiden.
Der Verband bleibt 4 — 5 Tage liegen und wird dann er¬
neuert, nachdem der alte Verband einfach in warmem Wasser
abgelöst wird.
Das Ichthyol bewährt sich hier wieder in seinen Eigen¬
schaften als Antiphlogistikum und Resorbens ganz vorzüglich;
das Infiltrat geht auffallend schnell zurück und die Patienten
rühmen das prompte Verschwinden der Schmerzen, trotzdem
sie ihrem Berufe nachgehen. Der Ausgang der Epididymitis
war bei dieser Behandlung sehr günstig. Die zurückbleibenden
Schwielen im Nebenhoden waren sehr klein, in einigen Fällen
trat sogar komplette Restitutio ad integrum ein. Die neuralgie¬
artigen Schmerzen im Hoden und Samenstrang verschwanden
stets prompt. Besonders eklatant war der Erfolg in dem Fall
eines Kaufmannes, bei dem die Epididymitis nach vollkommener
Abheilung sofort wieder rezidivierte, sobald der Patient seine
Beschäftigung aufnahm. Dies wiederholte sich dreimal, bis
Ichthyol angewandt wurde.
Ich erwähne noch zum Schluss, dass ich ausschliesslich
das Ichthyolammonium der Ichthyolgesellschaft Cordes,
Hermanni &. Co. benutzte, da ich die guten Wirkungen
dieses Präparates an der Dr. P. G. Unna sehen Poliklinik zu
erproben jahrelang Gelegenheit hatte und mir Versuche mit
Ersatzpräparaten nur Enttäuschungen brachten.
Kollargol und seine Anwendung bei Ohren-, Nasen-
und Halserkrankungen.
Von Dr. Friedmann in München.
Nach zirka 2 jähriger Erfahrung mit Kollargol in den oben
bezeichneten Gebieten und nach sehr guten und vollkommen
zufriedenstellenden Erfolgen, kann ich nicht umhin, auf den
Gebrauch des Kollargol in diesen Gebieten aufmerksam zu
machen.
Bei Ohrerkrankung empfiehlt es sich bei akuter
Mittelohrentzündung einen Tampon mit 5 proz. Kollargollösung
getränkt tief in den Gehörgang einzuführen; dies wirkt speziell
bei Entzündungen auf Influenzabasis eminent schmerzstillend.
In mehreren Fällen, in denen die gebräuchlichen schmerz¬
stillenden Ohrtropfen (Cocain, phenylic. 0,2, Acid. carbolic. 0,3,
Glyzerin 5) versagten, wirkte diese Tamponade mit Kollargol
prompt.
Bei akuten und chronischen Mittelohreiterungen erzielt
man durch Einlegen eines 5 proz. Kollargoltampons, nachdem
man mit 3 proz. Wasserstoffsuperoxydlösung den Eiter ent¬
fernt hat, nicht nur eine ausgiebige Desinfektion (geruchlos
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2035
werden, des vorher stinkenden Eiters), sondern auch ein
rasches Nachlassen der Sekretion. Auch bei Furunkeln wie
diffusen Entzündungen (auch Ekzemen) des äusseren Gehör-
ganges wird 5 proz. Kollargollösung mit Vorteil angewandt.
In der Nase sieht man bei Höhleneiterung die schönsten
Erfolge; bei Eiterungen der Kiefer-, Keilbein- und Stirnbein¬
höhle, ebenso bei eitrigen Katarrhen der verschiedenen Gruppen
von Siebbeinzellen.
Die besten Resultate liefern die Höhleneiterungen, bei
denen es gelingt, in die betreffende Höhle mit einer Kanüle ein¬
zugehen, zuerst den Eiter zu aspirieren, dann mit Katharol aus¬
zuspritzen und zum Schluss 5 proz. Kollargollösung zu in-
stillieren. Meistenteils gelingt dies bei den Kieferhöhlen,
seltener bei den übrigen Höhlen; in letzterem Falle muss man
sich begnügen, die Sekrete zu entfernen und mit einem mit
Watte armierten in Kollargol getauchten Mandrin die Höhle
auswischen. Dass die Patienten durch mehrmals täglich vor¬
genommene Nasenspülungen (mit Wasserstoffsuperoxydlösung
oder Kamillenthee) die Behandlung unterstützen, ist selbst¬
verständlich.
Bei akuten Nasenkatarrhen mit starker Schleimhaut¬
schwellung bringt die Injektion einiger Spritzen 1 proz. Kol¬
largollösung grosse Erleichterung, mitunter gelingt es, wenn
frühzeitig angewandt, den Katarrh zu coupieren.
Die Ulzera der verschiedensten Art in der Nase reagieren
auf 5 proz. Kollargolpinselung gut, wenn man nicht vorzieht,
kräftigere Aetzmittel anzuwenden.
In der Mundhöhle, im Rachen und Kehlkopf ist
Kollargol ein vollwertiger Ersatz für Höllenstein. Kollargol
ist dem Höllenstein an Wirkung nicht nachstehend, dagegen
wirken die Kollargolpinselungen angenehm anästhesierend und
nicht schmerzhaft wie Höllenstein. Auch Kinder können damit
gepinselt werden, da Kollargol in 1 proz. und 5 proz. Lösung
ohne irgend welche Nachteile geschluckt werden kann.
Die Anwendung geschieht in 1 proz. und 5 proz. Lösung.
Bei Stomatitis, Rhagaden der Zunge, Gingivitis, Angina folli¬
cularis, Angina Vincenti usw. sind 5 proz. Kollargolpinselungen
am Platz, mehrmals täglich oder nur einmal im Tag.
Bei Anginen speziell bei der follikulären (abgesehen von
der diphtheritischen), wirkt eine bei Zeiten applizierte 5 proz.
Kollargolpinselung coupierend; auch werden bei der Entzün¬
dung die Pinselungen, als angenehm schmerzlindernd empfunden.
Auch bei akuter Pharyngitis erreicht man unter Schonung des
Patienten mit dieser Kollargollösung dasselbe, was sich sonst
nur mit einer 6 proz. Höllensteinlösung erreichen lässt. Wer
den Unterschied von beiden Lösungen am eigenen Körper er¬
fahren hat, lernt Kollargol schätzen.
Bei akuter oder subakuter Laryngitis ist neben der ge¬
wöhnlichen Medikation eine Pinselung mit 1 proz. Kollargol¬
lösung oder Injektion von 1 proz. Kollargol (K» — 1 ccm) gut
angebracht; bei chronischen entzündlichen Zuständen darf
auch im Larynx die 5 proz. Lösung angewendet werden.
In der Behandlung der Tracheitis leisten die Injektionen
von 1 proz. Kollargol jeden zweiten Tag bis jeden Tag Gutes.
Rekapituliere ich kurz, so komme ich zu dem Resultat,
dass wir in Kollargol einen vorzüglichen und wünschenswerten
Ersatz für die Höllensteinanwendung im Hals haben; denn
Kollargol wirkt genau so intensiv, wie die entsprechend pro-
zentigen Höllensteinlösungen, nur wirkt Kollargol anämisierend
und schmerzlindernd, Eigenschaften, welche der Höllenstein
nicht entwickelt, und wie mir scheint, ist bei akuten Ent¬
zündungen der Schleimhäute die antiseptische Wirkung des
Kollargol von nicht unwesentlicher Bedeutung. Ich bin über¬
zeigt, wer mit Kollargol in der Hals- und Nasenpraxis längere
Zeit gearbeitet hat, wird das Kollargol in der Therapie nicht
entbehren wollen.
Aus der Würzburger chirurgischen Klinik (Direktor: Prof.
Dr. E n d e r 1 e n).
Der Prozessus vermiformis als Inhalt eines Nabelbruches.
Von Dr. H. F 1 ö r c k e n, Assistenzarzt der Klinik.
R. Mühsam (Zentralbl. f. Chir. No. 14, 1907) berichtete
jüngst über die Anwesenheit des Wurmfortsatzes in einem
Nabelbruch. Es handelte sich um „einen kindskopfgrossen
eingeklemmten Nabelbruch“ bei einer 42 jährigen Frau. „Gegen
Schluss der Operation stiess M. auf einen kleinfingerdicken
derben Strang, welcher in einem Konvolut von Netz und Fett
mit der Darmwand verwachsen war und über dessen Natur
sich M. erst Klarheit verschaffen konnte, als er ihn ventralwärts
verfolgte und feststellte, dass er in den Darm und zwar in das
Zökum überging. Es war also der der Bruchsackwand adhä-
rente Wurmfortsatz“.
Die ausserordentliche Seltenheit dieses Befundes — Müh¬
sam findet in der Literatur nur einen einzigen Fall, wo die
Appendix Inhalt eines Nabelbruchs war (V e r e b e 1 y, Beiträge
zur klin. Chir. Bd. 48) — berechtigt gewiss einen von uns be¬
obachteten Fall mitzuteilen, bei dem es sich allerdings nicht um
Operations-, sondern Sektionsbefund handelt.
Die 5 jährige M. K. wird am 4. V. 07 auf die Kinderstation der
chirurgischen Klinik mit multipler chirurgischer Tuberkulose einge¬
liefert.
Bei dem erblich schwer belasteten Kinde besteht eine Tuber¬
kulose des rechten Kniegelenkes mit Fistelbildung und stumpfwinkliger
Kontraktur, eine Spondylitis lumbalis und eine fistulöse Lymphdrüsen-
tuberkulose der rechten Axilla.
In der Nabelgegend zeigt sich eine apfelgrosse Vorwölbung, die
in> ruhiger Rückenlage verschwindet; der Vorwölbung entspricht ein
fünfmarkstückgrosser Bruchring. Median und in der unteren Hälfte
sitzt der Nabel, der von einem Geschwür mit überhängenden Rän¬
dern und leichter eitriger Sekretion eingenommen wird.
Von der Fistel lässt sich ein derber, fast bleistiftdicker, nach der
Bauchhöhle und unten ziehender Strang, ungefähr 2 cm weit ver¬
folgen. Eine Sondierung ist unmöglich. Anamnestisch war das Ge¬
schwür spontan vor 3 Wochen entstanden, abdominelle Symptome
waren nie vorhanden gewesen, Störungen in der Urinentleerung wur¬
den nie beobachtet.
Der Befund am Nabel veranlasste mich zu folgender dif¬
ferentialdiagnostischen Ueberlegung.
Einmal konnte es sich handeln um eine Urachusfistel, die
im späteren Leben zuweilen noch durch Anomalien in der Harn¬
entleerung bei Vorhandensein eines Urachusrestes durch Uiin-
stauung zustande kommen (vgl. Draudt: Beitrag zur Kennt¬
nis der Urachusanomalien, Deutsche Zeitschr. f. Chir. 87, Bd.
4 _ 6, Heft 1907). Den erwähnten Strang konnte man anstands¬
los als Urachusrest ansprechen. Die Unmöglichkeit der Son¬
dierung der Fistel im Verein mit dem Fehlen der Urinentleerung
aus ihr, das Fehlen von Momenten, die zur Urinstauung hätten
führen können, das alles sprach gegen diese Annahme. Ander¬
seits ist allerdings zu berücksichtigen, dass nur die exakte
chemische Untersuchung oder wenigstens eine Beobachtung
des Sekrets nach Indigkarmininjektion (Draudt 1, c.) mit
Sicherheit eine Urachusfistel hätte feststellen bezw. aus-
schliessen können.
Die Tatsache, dass niemals Kot oder fäkulent riechender
Schleim aus der Fistel entleert wurde, die Farblosigkeit des
Sekrets, die Unmöglichkeit der Sondierung wiederum schloss
die Annahme eines offenen Meckel sehen Divertikels aus.
Die gleichen Gründe bestimmten mich, eine Darmperfo¬
ration nach dem Nabel, wie sie nach tuberkulöser Enteiitis be¬
obachtet werden, auszuschliessen (König: Lehrbuch der spez.
Chir. 1904).
Nach der Anamnese und dem Befunde war es mir am
wahrscheinlichsten, ein tuberkulöses Hautgeschwür anzu¬
nehmen und den Strang nach Lage und Richtung als das, viel¬
leicht entzündlich verdickte, Lg. vesico umbilicale medium
aufziifcissen
Am 11. V. wurde bei dem Kinde die Tuberkulose des Knie¬
gelenkes als Haupterkrankung durch Resektion in Angriff genommen
Prof Burkhardt), die Nabelaffektion war für später aufgespart.
Am Abend des Operationstages Exitus unter den Erscheinungen
des Herztodes.
Bei der Sektion fand sich neben einer ausgedehnten multiplen
Tuberkulose (Bronchialdrüsen, Uterus, Tuben .Wirbelsäule) folgendes:
„Nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich, dass band- bis fein-
fädige Verwachsungen sich zwischen den einzelnen Organen dei
Bauchhöhle vorfinden. Vom Nabel zieht ein kurzer Fistelgang zui
Spitze eines vielfach gewundenen, bleistiftdicken Stranges, de i sich
als Processus vermiformis entpuppt.“ . . ,
Es bestand neben einer adhäsiven Peritonitis tuberculosa
eine Tuberkulose des Processus vermiformis, der an seinei
Spitze perforiert durch einen ganz kurzen zum Teil obhterierten
Fistelgang mit dem Nabel kommunizierte und sich in dei
Umbilikalhernie befand.
2U36
Meinem hochverehrten Chef, Herrn
für die gütige Ueberlassung des Falles
Dank.
Prof. Enderlen,
meinen herzlichsten
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses
Altona (Oberarzt Prof. Dr. F. K ö n i g). .
Isolierte subkutane Querzerreissung des Pankreas
durch Operation geheilt.
Von Dr. F. Hohmeier, Sekundärarzt.
Die Mortalitätsziffer der schweren inneren Bauchver¬
letzungen hat sich dank dem aktiveren Vorgehen der Chirurgen
nicht unerheblich verringert. Während früher in den meisten
Fällen erst operativ vorgegangen wurde, wenn die bereits ein¬
getretene Peritonitis den Eingriff erforderte, ist jetzt unser Be¬
streben darauf gerichtet, möglichst früh die innere Verletzung
zu diagnostizieren und durch die baldige Operation Hülfe zu
bringen. Auf die Symptome solcher Verletzungen will ich hier
nicht näher eingehen, sie sind in der neueren Literatur des
öfteren zusammengestellt und ausführlich behandelt worden
Relativ häufig sind die Verletzungen der Leber und Milz,
sehr selten dagegen die Verletzungen des Pankreas, das vor
ihnen, wie Gar re sagt, durch seine versteckte retroperi-
toneale Lage geschützt ist. Deshalb sind auch die Fälle von
subkutanen Pankreaszerreissungen, die durch Operation zur
Heilung gebracht wurden, recht spärlich. Noch im Jahre 1905
war Garre der einzige, der über einen durch Naht geheilten
Ouernss des Pankreas berichten konnte; seitdem sind bis
heute im ganzen 4 weitere durch Operation geheilte Fälle von
Pankreaszerreissung mitgeteilt worden. Ihnen möchte ich —
die Seltenheit der Verletzung rechtfertigt die Bereicherung
der Kasuistik wohl — einen sechsten anschliessen :
Am 13. VI. 06 wurde die 35jähr. Ehefrau Sch., als sie die
~ trasse überschreiten wollte, von der Deichsel eines durchgehenden
Gespannes direkt in die Magengegend getroffen und zur Seite ge¬
schleudert. Sie war nicht bewusstlos, sondern konnte sich nocn in
•fSn"atlte,Ha,US be??*Von wo aus sie durch Sanitätskolonne
in das Krankenhaus uberfuhrt wurde. Unterwegs soll die Frau 2 mal
genaueres ftÄ1' BeSChaffe"heit Erbrochenen war nichts
lieh ; SÄÄ
leterung beschleunigt und klein, wird aber nacn kurzer Bettruhe
voller und geht auf 72 Schläge in der Minute herunter. Keine Er-
scheinungen v°n ^choek. Schmerzen hat die Pat. angeblich gar nicht.
,inder s,lch eine fünfmarkstückgrosse blau verfärbte
hph InrUCk aUf ^dl6Se Part"e kila^ Pat- über nicht sehr er-
n?5 Ly rerZen’/'e nach der Leber hin ausstrahlen sollen.
Die Bauchdecken sind in ganz ausgesprochener Weise gespannt so
undSMii?H"Z Ufnm0g lch, lst’ den Fingern tiefer einzudringen. Leber¬
und Milzdampfung sind nicht vergrössert. eine Dämpfung in den ab-
hangigen Partien ist nicht vorhanden. Von der Vagina' aus ist eine
ussigkeitsansammlung im Douglas nicht nachziuweisen.
Urin ist klar, reagiert sauer, ohne Blut, Eiweiss und ohne Zucker.
Die sehr ausgeprägte Spannung der Bauchmuskulatur veranlasste
uns,, die Diagnose auf eine innere Bauchverletzung zu stellen n
die vorgeschlagene Operation willigt die Pat ein
1/2 Stunde p. tr. wurde von Prof. König die Lanarotomie in
vor'genommen.*3"1111 "^0rP*1*Um "^iSChnar^0Se <B r a " n scher Apparat)
Medianschnitt vom Proc. xyphoideus bis zum Nabel. Kein Blut
bluss,in der Muskulatur. In der Bauchhöhle ist keine freie Flüssig
keit oder Blut vorhanden. Leber, Milz, Magen und Darm sind un
verletzt ebenso Blase und Genitalien. Beim Hochheben der Lebe
zeigt sich ein Bluterguss im Lig. hepatogastricum und man sieht durcl
dieses von der Bursa omentalis her Blut durchschimmern so das
nun der Verdacht auf Pankreasverletzung auftauchte Das Vorame,
\ verscb ossen- Vorn Lig. gastrocolicum aus wird di!
feils finssiie6. Rb.t« Vpe« e mSssis:e MenKe tcils rcronnenen
teils tliissigeM Blutes. Nach Entfernung des Blutes sieht man rias<
£«, vo Ouerzerreissun* des Pankreas! fas? in der Mme vfel
<- clit etwas mehr nach dem Kopfe hin, vorhanden ist mit Durch
trennung des Peritonealiiberzuges. Die beiden Enden des Pankrea'
sind im spitzen Winkel aneinander aufgerichtet so dass ihre oberer
Ränder den Magen überragen. Die Blutung der plssSen ist paren
chymatos, die sichtbaren Milzgefässe sind unverletzt. Die Wund-
lachen des 1 ankreas werden aneinandergestellt und durch drei dich
an’Pande ai,ffelegte Katgutnähte vereinigt. Die Nahtstelle wird sorsr
geführt b*D?e<ühr[pe l“™?* 1b*2“üb des nac? aussei
geiunrt. Die übrige Wunde wird in Etagen verschlossen
Am nächsten Tage war das Befinden der Pat. vorzüglich Die
Temperatur blieb normal. Erbrechen trat nicht ein.
Am 3. Tage wurde der durchtränkte, äussere Verband gewechselt.
Am 4. Tage steigt die Temperatur abends auf 38,4°; es wird deshalb
am nächsten Morgen der auf die Nahtstelle gelegte Tampon vorge¬
zogen und es strömt eine grössere Menge leicht getrübter, mit Flocken
durchsetzter Flüssigkeit nach; die Ränder der Tamponstelle stossen
sich in grossen Fetzen ab. Die Haut wird durch Salbenverbände
sorgfältig vor Mazeration geschützt.
Vom weiteren Verlauf ist zu bemerken, dass die zugenähte Wunde
p. p. i. heilte; im oberen Wundwinkel blieb eine stark sezernierende
Fistel zurück, deren Schliessung trotz längere Zeit durchgeführter
Saugbehandlung, trotz Aetzung mit Höllensteinstift und Höllenstein¬
lösung und Anwendung von Jodtinktur nicht gelingen wollte.
Die Sekretion war sehr stark, es gelang, an einem Tage über
300 ccm des Saftes, in dem Pankreasfermente nicht nachzuweisen
waren, aufzufangen. Als Ersatz für das abfliessende Pankreassekret
wurde der Pat. Pankreon verabreicht; jedoch musste dieses Mittel
bald abgesetzt werden, da leicht Erbrechen danach eintrat.
Fettstühle wurden auch bei Einnahme fettreicher Nahrung, nicht
beobachtet; es kann dies auch nicht wundernehmen, da durcji, den
unverletzten Teil des Hauptausführungsganges der Drüse genug Sekret
in den Darm abfliessen konnte.
Während der ganzen Behandlungsdauer war Zucker im Urin
niemals nachweisbar.
Nach 6 wöchentlichem Aufenthalt im Krankenhause wurde die
Pat. mit stark sezernierender Fistel, deren äussere Oeffnung etwa
stecknadelkopfgross war, in ambulante Behandlung entlassen.
Ehe ich auf die Weiterbehandlung der zurückgebliebenen
Fistel eingehe, möchte ich noch einige Bemerkungen voraus¬
schicken :
Die Diagnose von vornherein auf eine Verletzung des Pan¬
kreas zu stellen, war auch in unserem Falle unmöglich. Die bei
der Aufnahme vorhandenen Symptome waren, wie es schon
mehrfach bei Pankreasverletzungen beobachtet wurde, sehr
gering. Der Puls war nicht beschleunigt (die anfängliche Er¬
höhung des Pulses war auf den Transport zurückzuführen)
und regelmässig; Erbrechen wurde von uns nicht beobachtet,
ebenfalls fehlten auch die sonst bei schweren Bauchkontusionen
häufig bemerkten Schockerscheinungen. Das einzig auffallende
war, wie auch in dem von Garre mitgeteilten Falle, die aus¬
geprägte Spannung der Bauchdecken; einzig und allein diese
— vielleicht noch der ängstliche Ausdruck des geröteten Ge¬
sichtes — gab uns die Veranlassung, die Diagnose auf eine
intraperitoneale Verletzung — wir dachten nach der Art des
1 raumas an eine Magen- oder Darmzerreissung — zu stellen
und das Abdomen zu eröffnen.
Wir waren natürlicherweise verwundert, die Bauchhöhle
mit ihren zunächst sichtbaren Organen von jeder Verletzung
frei zu finden und erst die sorgfältige systematische Absuchung
der Abdominalhöhle führte uns auf die versteckt liegende Ver¬
letzung des Pankreas.
Der Verschluss des Foramen Winslowii, der ja gar nicht
so selten gefunden wird, und auch in diesem Falle wohl als
angeboren angesehen werden muss, hatte das Austreten von
Blut in die Bauchhöhle, das sicherlich das Auffinden des ver¬
letzten Organs erleichtert hätte, verhindert.
Auch der Pankreassaft wurde hierdurch von der Bauch¬
höhle ferngehalten; andererseits hätten wir wohl Fettgewebs-
nek rosen noch nicht gefunden, da, wie gesagt, die Laparotomie
sehr früh, schon 1 X> Stunden nach dem Trauma, vorgenommen
wurde.
Zur Freilegung des verletzten Pankreas wählten wir den
Zugang dinch das Lig. gastrocolicum, da von hier aus, wie uns
andere Pankreasoperationen gezeigt haben1), die Drüse in
grosser Ausdehnung zu übersehen ist. Auch B 1 e c h e r hält
diesen Weg für den empfehlenswertesten. Besteht eine Zer-
reissung des Omentum minus (Garre) oder des Lig. gastro-
duodenale, so wird man natürlich von hier aus die Pankreas¬
wunde freizulegen versuchen.
Unsere Bemühungen, die zurückgebliebene Fistel zum
Schluss zu bringen, waren, wie schon oben erwähnt, erfolglos
geblieben. Die Sekretion dauerte den ganzen Winter über an,
so dass Prof Koni g, um Abhilfe zu schaffen, daran dachte,
uic Fistel zu umschneiden und in die Wund des Magens ein-
zupflanzen, die Patientin lehnte aber jeden weiteren operativen
Eingriff ab.
) Brugsch und König; Beitrag zur Klinik
entzundungen. Berl. klin. Wochenschr. 1905, No. 52.
der Pankreas-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2037
Als nun im Januar 1907 Wohlgemuth die Resultate
seiner Untersuchungen 2) mitteilte, haben wir sofort bei der
Frau eine streng antidiabetische Kost eingeleitet; schon nach
10 Tagen war die Fistel geschlossen. Allerdings klagte die
Pat. nach Aufhören der Sekretion über heftige, manchmal
krampfartige Schmerzen in der Magengegend. Sie weigerte
sich die Kur weiter fortzusetzen, da sie einen wahren Abscheu
gegen fette Nahrung hatte, auch Fleisch konnte sie nur in ge¬
ringen Quantitäten gemessen. Nach 16 Tagen fühlte man an
der Stelle der Fistel eine kleine Vorwölbung, nach 21 Tagen
brach die Fistel wieder auf und es soll sich eine grössere
Menge klarer Flüssigkeit entleert haben. Als die Sekretion
etwa 14 Tage angedauert hatte, entschloss sich die Pat. zu einer
neuen Kur; nach W. Vorschläge bekam sie täglich 3 g Natr.
bicarbonicum hinzu. Nach 14 I agen war die Fistel zu und ist
bis jetzt verschlossen geblieben. Die Diabeteskur wurde noch
mehrere Wochen weiter gegeben.
Die Frau ist jetzt beschwerdefrei und kann ihre Arbeiten,
wie vor der Verletzung, verrichten.
Auch bei unserer Pat. hat die Verabreichung einer streng
antidiabetischen Kost völlige Heilung gebracht und dieser Fall
hat uns gezeigt, dass die Wohlgemuth sehen Unter¬
suchungen für die Behandlung der Pankreasfisteln äusserst
wertvoll sind.
Literatur:
darre: Beiträge zur klin. Chir., Bd. 46, Heft 1. 1 hole:
Zeitschr. f. Chir., Bd. 84, Heft 1—3. — B 1 e ch e r: Veröffentlichungen
aus dem Gebiet des Militärsanitätswesens. Heft 35, v. Bergmann-
sche Festschrift. — Karewski: Berl. klin. Wochenschr. No. 7. -
Heinecke: Zentralbl. für Chir., No. 10. — Wohlgemuth:
Berl. klin. Wochenschr., No. 2.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Leipzig (Direktor:
Geheimer Med.-Rat Dr. Zweifel).
Zwei Fälle von Dementia paralytica mit Schwanger-
j schaft und Geburt.
Von Dr. Bauer, interner Hilfsarzt.
1. Fall. Universitäts-Frauenklinik Leipzig, Hauptbuchnummer
603/1907. Martha M., Magd, 34 J., III. Para.
Anamnese (Quelle: Patientin selbst, da niemand anderes zu
ermitteln): Für Lues kein Anhalt, keine Fehl- oder Frühgeburten.
Sie war verheiratet, der Mann starb an Lungenleiden; 1 Kind von
ihm starb an Krämpfen, 1 lebt, ist gesund.
Diagnose der Schwangerschaft: III. 1 ara, X. Monat,
II. Schädellage, lebendes Kind von mittlerer Grösse. Beckenmasse
normal. ..... ^ ., *
Allgemeinzustand: Mittelgrosse, kräftige Frau mit aut-
fallendem . . ,
Nervenzustand. Gravierende Symptome: a) Auffallende
Pupillendifferenz, die linke ist bedeutend weiter als die rechte, auf
Lichteinfall keine Pupillenreaktion, auf Konvergenz prompte Reaktion,
b) Patellarreflexe gesteigert, links stärker als rechts, c) Deutliches
Silbenstolpern, d) Starkes Lippenbeben, e) Ausgesprochene Anal¬
gesie der Zunge, f) Ausgesprochenes Romberg sches Phänomen.
Psychischer Status: Die schwerhörige Patientin klagt,
als man sie über ihre Gesundheit befragt: Vergesslichkeit, Seilwin¬
den der Gedanken, Schwäche der Arme und Beine, Abnahme, ja
beinahe gänzlichen Verlust der Fähigkeit, zu schreiben.
Intelligenz reduziert, sie kann dreistellige Zahlen nicht nach¬
sprechen, zweistellige nur nach nochmaligem Vorsprechen, Subtrak¬
tionsaufgaben mit einstelligen Zahlen löst sie falsch.
Besonders auffallend ist 'der Stimmungswechsel, den man künst¬
lich bei ihr hervorrufen kann, durch Erinnerung an ihre jetzige Un-
beholfenheit beim Schreiben und Sprechen bringt man sie sofoit zum
Weinen; gleich danach durch den Hinweis auf die bevorstehende
Geburt zum hellen Lachen. ,
Die Orientierung über Raum und Zeit war erhalten, Wahnideen
fehlten.
5 Tage nach der Aufnahme kam die Frau nieder.
2) In No. 33 dieser Wochenschrift hat V o e c k 1 e r schon die
Untersuchungen Wolgemuths besprochen. W. hat, um es noch¬
mal kurz zu wiederholen, nachgewiesen, dass die Verabreichung
reiner Fettkost die Sekretion des Pankreas sehr stark herabsetzt,
dass sie stärker wird bei Eiweisskost und ganz erheblich ansteigt bei
Kohlehydratnahrung. Die vom Magen in das Duodenum einti elende
Salzsäure übt, wie es P a w 1 o w annimmt, einen reflektorischen Reiz
auf das Pankreas aus. Um auch diese Verstärkung der Sekretion
auszuschalten, empfiehlt es sich, mehrere Male am Tage massige
Dosen von Natrium bicarbonicum zu verabreichen.
Geburtsverlauf: Wehenbeginn nicht sicher zu ermitteln,
da Pat. nie über Schmerzen klagte. Immerhin meldete sie den Be¬
ginn der Geburt selbst, wurde auf den Kreissaal verlegt, und nach
objektivem Befund dauerte die Geburt vom Blasensprunge bis zur
Ausstossung der Nachgeburt 1 Stunde 3 Minuten. Wegen Abganges
von Mekouium und Sinkens der kindlichen Herztöne Forceps typicus.
Auffallend war, 'dass der Forzeps ohne Narkose ausgeführt wurde,
und die Patientin dabei nicht die geringste Schmerzempfindung
<1 u §'S c r 1 6
Das Kind war 52 cm lang, wog 3350 g, reif, normal entwickelt.
Wochenbett normal. Weitere Beobachtungen fehlen.
2. Fall, Universitäts-Frauenklinik Leipzig, Hauptbuchnummer
609/1907. Selma H., verheiratet, 37 Jahre, IX. Para.
Anamnese (Quelle: der Ehemann): Nichts von Rhachitis, da¬
gegen über Nervenleiden folgendes: Hereditär nicht belastet. Im
17. oder 18. Lebensjahr Schmierkur im hiesigen Stadtkrankenhaus
St. Jakob wegen einer Geschlechtskrankheit. Verheiratet mit
20 Jahren, 3 Kinder im Alter von 1— U/s Jahren unter Krämpfen ge¬
storben, 4 am Leben, normal. Letzte, und zwar 8. Geburt 1902,
Kind tot geboren, angeblich am ganzen Körper „wie mit Blut¬
schwären“ bedeckt.
Am 4. Januar 1907 plötzlicher Anfall von Gliederstarre, Bewusst¬
losigkeit, leichtem Nasenbluten. Dauer des Anfalls Vz Stunde. Seit¬
dem Sprachstörungen, Körperschwäche, Hinfälligkeit, Unfähigkeit zu
häuslichen und wirtschaftlichen Verrichtungen, Bettlägerigkeit, ver¬
ändertes seelisches Verhalten, rein vegetatives Dasein. Einzige
Funktion Essen und Trinken.
Diagnose der Schwangerschaft bei der Aufnahme :
IX. Para, X. Monat, I. Schädellage, lebendes, grosses Kind. Becken
normal. . , • c A
Allgemeinzustand: Bettlägerige, hinfällige F rau, der
Untersuchung widerstrebend, mit auffallendem
Nervenzustand: a) Pupillen different, reagieren träge auf
Lichteinfall, prompt auf Konvergenz, b) Patellarreflexe gesteigert,
annähernd gleich., c) Fussklonus auslösbar, schwach, d) Zunge
nur mühsam vorgestreckt, schliesslich von der Patientin mit dem
Finger vorgezogen, zittert stark, ist gegen Nadelstiche unempfind¬
lich c) Sprachstörungen: Silbenstolpern deutlich, f) Gesichts¬
innervation: Ptosis rechts, verstrichene Nasolabialfalte beiderseits,
g) Rohe Kraft der Hände und Fiisse stark herabgesetzt.
Lähmungen fehlen, Blase und Mastdarm frei.
Intelligenz nicht zu prüfen.
Status psychicus: Die Frau liegt, oft leise stöhnend und
unverständlich vor sich hinmurmelnd, zu Bett. Sie ist gänzlich teil¬
nahmslos gegen ihre Umgebung. Spontane Willensäusserungen fehlen.
Auf Anrufen reagiert sie nicht, auch nicht auf Erfassen der Hand
oder andere Berührungen. Passiven Lageänderungen setzt sie
Widerstand entgegen.
Orientierung über Raum und Zeit fehlt.
Urteilskraft stark herabgesetzt, sie behauptet, sie könne
einen Zentner heben, sie wolle morgen ihrem Manne und ihren
Kindern den Haushalt besorgen. t . . , , ,
Ihrer Schwangerschaft ist sie sich nicht bewusst, sie glaubt
auch auf ärztliche Versicherung entschieden nicht daran.
Wahnideen sind nicht nachweisbar. . .
Gravierende Handlung: Vor ihrer Niederkunft ging sie einmal
ausser Bett, nahm ihr Waschbecken und urinierte in dieses.
Geburtsverlauf: Wegen der Hinfälligkeit der Patientin
Einleitung der Geburt am 1. VI. 07 in der Erwartung einer günstigen
Beeinflussung des Gesamtzustandes durch Beendigung der Schwan¬
gerschaft. Einlegung einer Turnier sehen Blase, später wegen
Nabelschnurvorfalles innere Wendung und ganze Extraktion. JJauer
der Geburt 17 Stunden 35 Minuten. Patientin war sehr schmerz¬
empfindlich, zu der Entbindung war Aethernarkose erfor derben.
Kind reif, lebte, war 53 cm lang, 3561 g schwer, entwickelte sich
unter Benützung der Flasche gut. , . 7 , ....
Im Wochenbett zeigte sich bei der Frau noch eine Zystitis, bie
wurde 8 Tage nach der Geburt in Familienpflege entlassen, rgend-
welche neuen Veränderungen am zentralen oder peripheren Nerven¬
system waren nicht nachweisbar.
Vergleichen wir diese beiden Fälle, so haben wir viele
Uebereinstimmungen : Frauen in den mittleren dreissiger
Jahren aus der arbeitenden Klasse, beide bieten ausgesprochene
Symptome fortschreitender Hirnlähmung, beide machen an sich
normale Schwangerschaften durch, bringen lebende, gut ent¬
wickelte Kinder zur Welt, machen normale Wochenbetten
durch und bleiben in ihrem Gesamtzustand von diesen für den
Organismus scheinbar so bedeutsamen Vorgängen ziemlich un¬
beeinflusst. Daneben bestehen grosse Unterschiede. u‘
zweite erweckt entschieden den Verdacht vorausgegangene
Lues (Schmierkur mit 18 Jahren), die erste dagegen ist von
diesem Verdacht fast frei. ,.
Bei der ersten, die spontan zu ihrer Entbindung in die
Klinik kam, bildet die progressive Paralyse einen zuialhgen,
nebenbei bemerkten Befund, der vielleicht überhaupt hatte
38
übersehen werden können; die zweite hat den typischen para-
i\ tischen Anfall durchgemacht, ist damit plötzlich erkrankt und
hat seit einem genau festgelegten Datum ihr schweres Leiden
das sie schon zu tiefem Siechtum geführt hat.
Die Fälle sind absichtlich in extenso beschrieben zur
Sicherung der schwerwiegenden Diagnose.
. Vom Standpunkt des Geburtshelfers muss man fragen:
Hieiet die fortschreitende Hirnlähmung bei bestehender
Schwangerschaft eine Indikation zum Eingreifen? Auf Grund
unserer Beobachtung ist ein Eingriff nicht indiziert, die
' Diwangerschaft erreicht ihren normalen Abschluss trotz der
schweren Erkrankung der Mutter; und eine Unterbrechung
oder Abkürzung der Schwangerschaft bleibt ohne Einfluss
aut die Mutter, insbesondere kann dadurch der Zustand der
Muttei nicht, oder wenigstens nicht wesentlich gebessert
werden.
Nehmen wir unsere allgemeine Erfahrung hinsichtlich
der 1 rognose der progressiven Paralyse hinzu, so müssen wir
f?£en’ die jyu^er ist so wie so einem meist rasch zum Ende
führenden Siechtum verfallen, sie ist aber trotz dieses Siech-
tums lähig, unter günstigen Umständen noch ein reifes Kind
lebend zu gebären, daher soll man zugunsten des Kindes das
normaJeEndederSchwangerjschaftabwarten
und nicht auf die Gefahr hin, ausser der an sich so gut wie
verlorenen Mutter auch noch das Kind zu opfern, die Früh¬
geburt oder den Abortus künstlich einleiten.
Ein Einblick in die Literatur beweist, dass es- das Gewöhn¬
liche ist, wenn Schwangerschaft und Geburt bei zerebralen und
spinalen Lähmungen normal verlaufen. (R. Hösslin: Ueber
zentrale Schwangerschaftslähmung der Mutter. Gynäkol.
Ges eil sch. München, 18. XI. 03. Zentralbl. f. Gynäkol., No. 28,
pag. o/oj
Hinsichtlich die Diagnose der Geistesstörungen in der
Schwangerschaft und im Wochenbett kam Kl ix zu dem Re¬
sultat, dass die während der Schwangerschaft und des Wochen¬
bettes vorkommenden Geistesstörungen im allgemeinen nicht
\on den ausserhalb dieser Zeit vorkommenden Psychosen ver-
schieden sind. (Kl ix: Ueber Geistesstörungen in der Sch Ja, I-
AbhaSngen! Bd V fft Samm,un^ ™ang!oser
Sehnliche Beobachtungen, wie wir sie gemacht haben, sind
Ein itnii Seti!n A6TaC hu’ beziehentlich wenig veröffentlicht.
Ein italienischer Autor hat das Gebiet behandelt, aber leider
ist uns seine Abhandlung nicht zugänglich. (V Ga IIP Para
hsi generali. Progressiva e gravidanza. La Rassegna d’Ostetr
e Ginea. Napoli Anno 14, No. 6, pag. 334—341.
MUENgHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
Ein Fall von wiederholtem Kaiserschnitt bei Ruptur der
Uterusnarbe.* *)
Von Dr. Wilhelm Schneider, Frauenarzt in München
früher in Düsseldorf.
halhDer w1’ WeIch<rn am Juli v. Js. operierte, ist des¬
halb von Interesse, weil es sich erstens um einen wiederholten
Kaiserschnitt an derselben Patientin handelte und zweitens
veil dabei eine Ruptur der alten Uterusnarbe vorlag durch
welche bereits ein Teil der Plazenta in die Bauchhöhle hervor¬
getreten war; ich mochte daher im folgenden Referat einen
cMtrag zur Kasuistik des wiederholten Kaiserschnitts bringen
Es handelte sich um eine 25 jährige V. Gebärende, welche durch
macht hatte “ “ *ebnrtshilfl“:h« Hinsicht schon' Gel durctae-
AnamVesferwähnen: “ SChWerer Rachitis litt' wi" ich a“‘=b ^
Ihie Mutter soll an den Folgen der Geburt dieses Kindes _
\ eiche angeblich sehr schwer war — gestorben sein- nach den An¬
gaben ist anzunehmen, dass sie gleichfalls Rhachitika war doch lässt
sich dies nicht mit Sicherheit konstatieren U1Ka war’ docb lasst
Meine Patientin nun hat vom 2.-4. Lebensjahr wegen hoch¬
gradiger Knochenverkrümmungen in Bonn in der Klinik gelegen Sie
Seltmko„Qn',Pekrrett,S l"? an den Ä. tl-
hc l,t l'nlen , «h u 'r°tZClen; als schulpflichtiges Kind immer noch
nicht lauten, weshalb sie meistens m die Schule getragen wurde
gesuiM gewesen^Mir^l f m.en,striliert: ist aber dann immer sehr
. und gewesen. Mit 20 Jahren hat sie sich im Jahre 1900 verheiratet.
*) Nach einem im Aerzteverein zu Düsseldorf gehaltenen Vortrag.
Bei der ersten Niederkunft im September 1901 ging nun die
Misere an; es wurde wegen Schief läge auf den Fuss gewendet, das
Kind konnte aber nicht extrahiert werden; es mussten zerstückelnde
Operationen gemacht werden, wobei der nachfolgende Kopf abriss
der dann perforiert wurde. *
Es folgte gleich wieder eine Gravidität; im August 1902 wurde
wegen Beckenenge im 8. Monat der Gravidität künstliche Frühgeburt
der^ebur t daS kam lebend ZUr Welt* starb aber % Stunde nach
Alsbald wieder Schwangerschaft, die 3. Geburt war im Juli 1903*
Sn emi *rei*sen hohes Fieber eingetreten, weshalb die
1 ertoration des lebenden Kindes gemacht wurde.
Gleich darauf folgte die 4. Gravidität; nun wollte die Frau unter
mru HU,mSnamden- eln lebendes Kind, weshalb sie am 3. September
1904 durch klassischen Kaiserschnitt entbunden wurde. Die Rekon¬
valeszenz war glatt, die Patientin verliess am 19. Tag post Opera¬
tionen! gesund die Klinik. p
Sie stillte durch 18 Monate mit grosser Pflichttreue ihr Kind
^a5rend dles(T £eit wieder gravid, nährte aber weiter bis zun!
4. Monat der neuen Schwangerschaft.
31. Mi ÄÄT Kaiserschnitt gemacht werden, den ich am
Die Frau ist ■ 130 cm gross, die unteren Gliedmassen und auch die
knnwT Fxtr enutaten sind kurz; die Tibiae sind beiderseits nach aussen
konvex, die Epiphysen zeigen Auftreibungen, Hände und Finger sind
kurz, breit und plump. Das Brustbein ist vorgetrieben, die Rippen¬
knorpelepiphysen sind geschwellt. Die Stirn ist niedrig und breit
geZzÄffiThen Zäh"e Zeige" q“ere F“rCh“nS "nd stark a">:
niedhantd 28S ^ lf^e^e De^ ScLmböge"!11 ist"’ weifund
niedrig, die Symphyse ebenfalls niedrig, der Symphysenknorpel nach
innen vorgehuchtct Das Promontorium spring! wett Ins Becken vot
ist 7 5 cm von der Symphyse entfernt, was somit die Conjugata vera
darstellt. Das Promontorium steht nicht tief, aber das Kreuzbein ist
deDuZ™ faS‘ ?lr,ade "ach verlaufend, während
eeknSt n* v 'ben, wlakI ll2 nacb vorne gegen den oberen ab-
fpringend ° KreuzbeinkorPer ist gegenüber den Flügeln vor-
f , ,AIs die Pati^ntin morgens um 7 Uhr nach mehrstündiger Wagen-
fahrt in der Klinik eintraf, hatte sie schon seit nachts 12 Uhr kräftige
Wehen gehabt, die so schmerzhaft waren, dass sie laut schrie.
ns musste ihr bis zum Beginn der Operation im ganzen 0,03 Mor¬
phium verabreicht werden, da sie sonst nicht für den Eingriff vor-
abgang 6n ^ Im Bade €rfolgte der Blasensprung mit Mekonium-
a„f SewiP1fnaI5e reiche Untersuchung beschränkte sich nur dar-
atü, die Weite des Muttermundes zu konstatieren, der handtellergross
Beide Ehegatten hatten gewünscht, dass nunmehr so operiert
winde, dass eine weitere Schwangerschaft ausgeschlossen sei ein
Verlangen das seitens der Patientin wohl als gerechtfertigt er-
sche.nen durfte. Ich wollte also die Po r rösche Operation machen
lup F-e ^-a,lien .zarücklassen, da man doch bei einer so jungen Frau
die Eierstocke nicht ohne dringenden Grund entfernen würde Der
l WtLSPeratl°niUhr^e iedoch ein anderes Verfahren herbei.
Unmittelbar vor der Operation wurden 2 Spritzen Ergotin in¬
jiziert und das Leben des Kindes nochmals konstatiert.
nflrll7Prr Bauchschnitt wurde in der alten Laparotomienarbe geführt;
nach der Durchtrennung des Peritoneums war nun der Uterus wider
Erwarten nicht sichtbar, sondern überlagert von einer Schicht teils
geronneneu teils flüssigen Blutes, in den abhängigen Partien des
Abdomens fand sich reichlich dunkles, flüssiges Blut
ErSi aachdeai der Bauchschnitt über den Nabel hinaus verlängert
war und die Blutmassen entfernt waren, zeigte sich der Uterus,' der
dann vor die Bauchdecken gewälzt wurde.
1 1 Uie Kaiserschnittnarbe war in ihren unteren 2/s vollständig glatt
ilass, sehnig glanzend dägegen fand sich im oberen Drittel derselben*
a’s° FuTndas des Uterus ein die ganze Gebärmutterwand durch-'
zentanheraus°ragteaUS We chem ein hühnereigrosser Lappen der Pla-
• l?ie ™Pturierte Stelle in der Uteruswand war nicht grösser als
ein Knopfloch und doch hatte sich durch die Wehentätigkeit all¬
mählich dieser Teil der Plazenta hindurchgepresst.
, .... U*e Ruptur der Narbe und der Prolaps der Plazenta in die Bauch-
lohle waren also die Ursache der Blutung gewesen, welche vor der
peration keine objektiven Symptome veranlasst hatte. Allerdings
fc? Zwässuni SS hef*ige" als <■» S
war ÄÄJine L“ckeJn der Uteruswand vorhanden war.
war also die Schmttfuhrung für die weitere Eröffnung des Uterus ge-
geben, denn die Rupturstelle musste doch in den Schnitt fallen.
, , ad nachdem ferner hier bereits die Plazenta vorgefallen war
ein nf JiTuftn TTffS a man ’bemi Einschneiden auf die Plazenta treffen würde!
1 Umstand, den man sonst zu vermeiden sucht.
. Als die Narbe nun in ihrer ganzen Länge aufgeschnitten wurde
?pfch geg®n das Hnter.e Uterinsegment zu eine Stelle, wo man um
die Plazenta herum eingehen konnte. Das Kind wurde -nun extrahiert.
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2039
Hierbei blutete es, wenn auch nur momentan, doch sehr heftig.
Nach der Ablösung der Plazenta und der Eihüllen, sowie Revision der
Durchgängigkeit des Muttermundes kontrahierte sich jedoch die
bär mutter bereits von der Narkose her mitgeteilt, dass der
Puls fast geschwunden sei und die Patientin kollabierte sofort.
I n ganzen war der Blutverlust doch gross; die Patientin hatte
doch schon v"r der Laparotomie eine beträchtliche Blutung in die
Bauchhöhle und bei der Ablösung der Plazenta wieder Blutung. Aue
mögen die bedeutenden Morphiun.gaben ungünstig e.ngewirkt haben,
cn Hans dieser Schock zustande kam.
Es musste also so rasch als möglich die Operation beendet wei¬
den Deshalb vernähte ich die Uteruswunde in 2 Etagen, wovon
die eine Etage die ganze Muskulatur bis zur Schleimhautgrenze fasste,
die andere die Serosa nochmals vereinigte und ein Drittel der Muskel-
SChiCAnschheass?nd daran wurde die Tubensterilisation beiderseits vor-
p-enommerr danach wurden die Bauchdecken etagenweise vernäht.
' Ich glaube, dass dieses Verfahren bei der Eile, die notig war,
das richtige war; denn, wenn auch der frisch puerperale Uterus sehr
fasch exstfrpTert’ werden kann, so ist doch dann eine grosse peri¬
toneale Wunde geschaffen, es muss eine zuverlässige Gefassversor-
gung ausgeführt werden und die Wundhöhle muss retroperitoneal a -
geschlossen werden. Dies nimmt sicher viel längere Zeit in An-
snruch als die Uterusnaht samt Tubensterihsation.
Abgesehen von den obigen Komplikationen war die Operation
technisch nicht schwierig, wie ja meistens die Kaiserschnitte nicht
schw ZU Sin pflegen. Am Schlüsse der Operation hatte sich die
Patientin nach reichlicher Kochsalzinfusion wieder erholt.
Patientin na ^ Zurücklassen des Uterus m der Rekonva es-
zenz noch einige Erscheinungen: Wohl infolge der Morphiumgaben
vor der Operation erbrach die Patientin den ganzen ersten Tag recht
heftig und diesen Brechbewegungen muss die Uterusnaht nicht voll¬
kommen Stand gehalten haben: denn am Abend des Operahonstages
trat eine Nachblutung ein. Indes gelang es, durch energische Kom¬
pression mittels Sandsäcken die Blutung zum Stillstand zu bringen.
P Am 2. Tage aber wollte die Patientin unbedingt ihr Kind schon
stillen und sie war nicht damit einverstanden, dass sie — nach ihrer
Ansicht — zu wenig zu trinken bekam, um die Milchsekretion l
Gang zu bringen. Ich schränkte jedoch in Hinsicht auf die Nachblu¬
tung die Flüssigkeitszufuhr noch tunlichst ein. < . ,
Vom 5 bis 8. Tage traten Temperatursteigerungen zwischen
38,0-39,0 ein und am 8. Tage entleerte sich spontan das nach der
Operation entstandene Hämatom des vorderen D o u g 1 a s sehe
Raumes durch die Bauchwunde. Weiter stand der Heilung ^ s
mehr im Wege, das Hämatom entleerte sich in 4—5 Tagen und d
Lücke in den Bauchdecken schloss sich dann rasch. Klinik
Am 22. Tag post operat. verhess die Patientin geheilt die Klinik
mit ihrem Kinde, welches sie vom 4. Tag ab gestillt hatte
Ich habe sie nach 2 Monaten nachuntersucht und fand einen
kleinen, anteflektierten, beweglichen Uterus; die Adnexe und Paia-
metrien frei, solide Bauchnarbe. , „1irn
Somit ist die Geburtshilfe bei dieser Frau endlich zum
Abschluss gekommen. , . ,. • ,
Auch der Einblick in das Becken bei der Operation zeigte
den Symphysenknorpel nach innen vorgebuchtet, das Promon¬
torium weit in das Becken vorspringend und so den Becken¬
eingang ungemein verengend; der entleerte Uterus liess sich
nicht in das Becken hineindrücken. , .. ,
Das Kind wog bei der Geburt 3100 g und kam asphyktisch
zur Welt, die Herztöne sehr verlangsamt, ohne Atmung,
leichenfarben ; also asphyktisch und nicht nur apnoisch, wie ein
Teil der Kaiserschnittskinder. Bekanntlich atmen eben die
Kaiserschnittskinder häufig nicht spontan, sie sind apnoisc i,
während für eine echte Asphyxie gar kein Grund vorhanden
wäre.
C.
Wenn nun doch in meinem Fall das Kind asphyktisch war,
so handelte es sich hier um eine Intoxikationsasphyxie dure
die reichlichen Morphiumdosen, welche die Mutter bekommen
hatte. Auf diese Intoxikationsasphyxie weist auch Ols-
hausen hin. ,.
Charakteristisch für diese differentielle Diagnose war die
Trägheit der Bewegungen, die noch fortbestand, als die Atmung
schon regelmässig geworden war und das Kind machte am
ganzen ersten Tag einen ungewöhnlich verschlafenen Eindruck.
Die sonstigen Gefahren des wiederholten Kaiserschnittes
sind vor allem ausgedehnte Verwachsungen; ferner die Ver¬
längerung der Operationsdauer, die Blutung aus den Ver¬
wachsungen, die atonische Blutung aus der Gebärmutter, die
Möglichkeit, der Darmverletzung, der Dislokation und der
Drehung der Gebärmutter.
Mit diesen Komplikationen hatte ich in meinem Fall nichts
zu tun.
Seit der Reform des Kaiserschnittes durch Kehrer und
Sänger wurde der klassische Kaiserschnitt so oft ausgefuhrt,
dass es über die Fälle der Wiederholung dieser Operation an
einer und derselben Frau schon eine ganze Literatur gibt.
K r i w s k i hat 1905 zusammengestellt 88 Fälle von wieder¬
holtem Kaiserschnitt. Darunter sind 72 Fälle mit 2 maligei ,
13 Fälle mit 3 maliger und 3 Fälle mit 4 maliger Kaiserschnitts¬
operation.
Einiges über Zelluloidtechnik bei Herstellung von
Plattfusseinlagen.
Von Dr. med. KarlLengfellner, Chirurg und Orthopäde
in Berlin.
Da die Plattfusserkrankungen nicht abnehmen, sondern
mit Sicherheit im Zunehmen begriffen sind,_so
ist es erklärlich, dass sich die Zahl derjenigen Aerzte, die sich
mit dieser Erkrankung und ihrer Therapie vertraut machen,
von Jahr zu Jahr vermehrt. Während man früher nur allzu¬
häufig die Wahrnehmung machen musste, dass die praktischen
Aerzte die Diagnose „Plattfuss“ übersehen und auf Rheuma¬
tismus und viele andere Leiden kurierten, beherrschen die
meisten heutzutage glücklicherweise dieses Gebiet so, dass sie
sich nicht mit der Diagnose begnügen, sondern auch thera¬
peutisch durch Massage und Einlagen wirken wollen.
Da ich schon von vielen Aerzten erfahren musste, dass
ihnen die Herstellung der Einlagen schwer gelingt, weil sie mit
der Zelluloidtechnik zu wenig Bescheid wissen, so sollen die
folgenden Zeilen dazu dienen, die Schwierigkeiten dieses Punk¬
tes zu heben. , ,, v -j
Um eine Zelluloidlösung zu erhalten, muss man Zelluloid
mit Azeton lösen. Natürlich ist es im Interesse eines jeden ge¬
legen, das billigste Zelluloidmaterial zu be-
zfehen. Dies sind die Zelluloidreste und Abfalle, die sehr
leicht zu erhalten sind und bei ihrer verhältnismässigen Billig¬
keit ebenso gut und brauchbar sind, wie das teuerste Material.
Bei diesen Abfällen unterscheidet man wieder weisse oder
durchsichtige und gelbe oder undurchsichtige; die weissen
Reste, die kein Zinkweiss enthalten, sind zum Zwecke von
Plattfusseinlagen nicht zu empfehlen, da sie Zelluloid liefern,
das viel zu spröde wird. Wohl aber empfiehlt smh eine
Mischung von 2/a gelben und Vs weissen Zelluloidabfallen.
Nun zur Herstellung der Lösung. Eineg u t e Z e 1 1 u 1 o 1 4 -
lösung ist halbe Arbeit. Wer es nicht versteht, sich
eine gute Lösung herzustellen, wird auch nie eine gute Einlage
fertig bringen. Das Rezept für die Stammlösung ist sehr ein¬
fach und folgendes. Mannimmtstetsim Verhältnis
zum Gefäss gerechnet, in dem man die Losung
macht, dreiviertel Azeton undstopft dann so¬
viel Zelluloidreste zu, bis das Azeton uber¬
zulaufen droht.
Hierauf rührt man mit einem Holzstab so lange um, bis ein
klebriger Brei entstanden ist, lässt den Brei eine halbe Stunde
stehen, rührt dann noch einmal kräftig um, worauf die Stamm¬
lösung fertig ist. Aus dieser Stammlösung macht
man sich noch eine dünnere Losung zurecht
durch Zugiessen von Azeton. Der Pinsel, mit dem
man die Lösung auf das Metall bringt, muss stets in Azeton
stehen, damit er jede Minute gebrauchsfähig ist. Die Stamm¬
lösung ist die dickere Lösung; ich trage dieselbe stets mit
einem Messer auf. Diese Stammlösung etwas ver¬
dünnt, gibt diePinselstreichlö sii n g ; diese Pinsel¬
streichlösung darf aber nicht viel dünner sein, was sich speziell
bei der ersten Lage rächen würde, weil dann der Trikot dureü-
tränkt und die Schicht am Modell haften bliebe. Bei der ersten
Lage kommt nur die Pinselstreichlösung in Betracht.
Ich brachte früher unmittelbar auf das Modell eine Lage
Nessel. Ich lasse diese Lage aber jetzt stets weg, weil ich sie
für unnötig halte, da auch ohne dieselbe die. Einlage gnt vom
Modell abzunehmen ist. Als erstes bringe ich also über das
Hoffa-Lengfellner sehe Gipsbreimodell eine Lage 1 r l-
kot, die mit kleinen Nägeln am Modell befestigt wird. Dar¬
über kommt eine kräftige Schicht Pinselstreichlosung Ma n
darf sich aber nicht vorstellen, dass durch
40
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
einmaliges Ueberstreichen gleich eine kräf¬
tige Schicht erzielt wird.
Man überstreicht zunächst den ganzen Trikot mit Pinsel¬
streichlösung; hierauf lässt man das Modell % Stunden stehen
ein Stahlband (bei leichten oder mittelschweren Patienten) oder
meine Stahlbandfeder (in allen Fällen zu gebrauchen) ange¬
bracht und vornedurch 2, hinten durch eineNiete
die Verbindung von Zelluloid mit Metall g e -
Modell mit I. Lage (Trikot-Zelluloidlage).
Metallstück (Aluminium) der 1. Lage aufgeklebt.
und überstreicht dann abermals. Nach weiteren A Stunden
überstreicht man zum drittenmal; dann erst ist die erste Lage
vollkommen. Diese erste Lage muss 24 Stunden trocknen.
Ich kann nicht genug darauf hin weisen dass
es von grösster Wichtigkeit ist, diese erste
Lage so sorgfältig wie möglich zu machen
Denn vonihrhängteingutStückErfolgab.
In meiner Werkstätte ist es unbedingtes Prinzip, dass die¬
selbe ~4 Stunden trocknet; vordem wird kein Pinselstrich
\\ eiter gemacht. Man kommt häufig in die Lage, von Patienten
sehr gedrängt zu werden; dann verzichte ich aber lieber auf
den betreffenden Patienten. Was die Verwendung des Zellu¬
loids bei den weiteren Lagen betrifft, so will ich nur die An¬
wendung bei meiner Methode berücksichtigen.
Denn so sehr ich die Verdienste F. Langes würdige und
stets würdigen werde, meines Erachtens ist eine Einlage mit
Korkklotz etwas unzureichendes. Ich stelle als unbe-
d 1 n g t e Forderung an eine Einlage, dass das
S ch uh geben k f r e i b 1 e i b t. Ein fernerer Nachteil des
Klotzes ist, dass die Unterstützung nur für den betreffenden
1 eil des Gewölbes in Betracht kommt, wo der Klotz angebracht
wird, aber auch hier wird der Zweck illusorisch, wenn man
bedenkt, dass der Klotz sich nur zu häufig durch das Leder
durchdruckte. An den übrigen Stellen ist die Erhaltung der
Form der Einlage absolut durch nichts gesichert. Denn weder
iiirt noch Draht können, nach meinen Versuchen, ein Einsinken
er Einlage verhindern, wenn Zelluloid unter Einwirkung der
Fusswarme steht. Und wie wichtig es in einzelnen Fällen ist
dass eine Einlage überall ihre Form beibehält, werde ich
in einer gesonderten Abhandlung besprechen.
• NllnAfur Ea£e* Ich verwende jetzt durchwegs nur mehr
meine Alumimumzelluloideinlage und werde für diese Me¬
thode die Zelluloidtechnik erörtern.
Zunächst wird auf der fertigen I. Lage des Aluminiumstück
(vergl Munch, med Wochenschr. 1907 No. 9) angetrieben.-
ann streicht man auf die vollendete I. Lage mit Messer in der
ganzen Ausdehnung des Metallstückes Stammlösung dick auf
und klebt darauf das angetriebene Aluminiumblech.
Nach einer Stunde streicht man die Randgegenden noch
einmal über und nach einer weiteren Stunde kann gleich die
7 .. Taf u ai+lgue?ra£ht werden> die wieder aus Trikot und
Zelluloid besteht Hieristes angebracht, zunächst
noch eine dünnere Lösung, als die Pinsel¬
st r e i c h 1 o s u n g ist, überzustreichen; denn hier
soll bezweckt werden, dass die III. Lage sich mit der vorher¬
gehenden verbindet. Gewöhnlich nehme ich dazu die Lösung
die sich m dem Pinselgefäss von selbst gebildet hat. Nach
4 r’d'Hden streicht man mit der Pinselstreichlösung über und
nach weiteren A Stunden noch einmal.
Hierauf lässt man die Einlage am Modell tüchtig aus-
tiocknen und schneidet sie dann vom Modell ab. Ich berück¬
sichtige dabei nur den inneren Rand, äusseren und Fersenrand
überhaupt nicht. Hierauf wird unter diese Einlage entweder
Aluminium-Zelluloid-Einlage mit aufgenietetem Stahlband.
sichert. Die Ränder werden gewissenhaft mit Zelluloid be¬
strichen und mit Rostpapier glatt gemacht. Wer diese Aus-
ührung berücksichtigt, wird (ein gutes Modell vorausgesetzt)
sicherlich keinen Misserfolg zu verzeichnen haben.
Aus ider Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br.
Anatomische und physiologische Beobachtungen bei dem
ersten Tausend Rückenmarksanasthäsien.
Von Prof. B. K r ö n i g und Dr. C. J. üaus s, Assistent der
Klinik.
(Schluss.)
... Es hat die Injektion einer spezifisch schwereren Lösung
Jur den Gynäkologen auch praktische Bedeutung, weil mit ihr
Operationen an der Vulva, der Vagina und dem Damm schmerz¬
los ausgeführt werden können.
Spritzen wir dagegen die in Ampullen käufliche Stovain-
Billonlosung, die nach dem oben Gesagten bei 38° spezifisch
leichter als die Spinalflüssigkeit ist, in sitzender Stellung
der Frau in den Lumbalsack ein und belassen wir die Frau in
dieser Stellung, so tritt in jedem Falle Anästhesie höher ge-
esener Hautbezirke meist bis etwas unterhalb der Projektions¬
stelle des oberen Flüssigkeitsspiegels irn Steigrohr auf die Haut
des Rumpfes ein.
Weitere klinische Beobachtungen zwingen uns zu der An¬
nahme, dass die Diffusion und die Atemexkursionen bei der nach
der Lumbalanästhesie in sitzender Stellung belassenen Frau
keine wesentliche Bedeutung für die Ausbreitung der anästhe¬
sierenden Lösung hat. Prüfen wir nämlich die Ausbreitung
dei Analgesie dann, wenn wir ein mit Kochsalz beschwertes
Stovain in sitzender Stellung der Frau in den Lumbalsack in-
nzieit haben, so erkennen wir, vorausgesetzt, dass die Frau
ohne Pressen ruhig atmet, dass auch noch nach einer halben
bis einer ganzen Stunde keine höher gelegenen Hautbezirke
als sie dem Sakral- und tieferen Lumbalplexus entsprechen
befp?pnSThpii md ’h aS T?eYeis dessen, dass das Stovain aus den
tieferen I eilen des Ruckenmarkssegments weder durch Dif-
usion, noch durch ruhige Atembewegungen aufgestiegen ist.
Ein Versuch in vitro klärt diese Verhältnisse;
Spritzen wir eine mit Kochsalz 'beschwerte Stovainlösung durch
ein tief angebrachtes Ansatzrohr in ein mit Spinalflüssigkeit ange-
fulltes zylindrisches Glasgefäss, so können wir sehen, dass bei Ver¬
meidung Jeder Erschütterung des Gefässes auch noch nach vielen
stunden die blau gefärbte Stovainlösung kaum nach oben zu auf
*te!gt fi1?855 hler W!rklich das Stovain sich unten hält, kann man auch
dadurch beweisen, dass im oberen Teile des Gefässes in der Sniml
JoSlÄion'ShwejsbjMSt Vie‘en S“"1“™ kei" St0Val" dUrch üie’
mitS^Sm-naiffU wu/de 111 der Weise verfahren, dass wir das
mit S p 1 n alfl u ssi gkei t ungefüllte zylindrische Glasgefäss in dem mitt-
bShtP nrfv d,!lrC,h u‘neu QumrTischlauch ersetzten. Die blau ge¬
erbte, mit Kochsalz beschwerte, Stovainlösung wurde wie im vorigen
1% !“cJe du.rch£n *ef angebrachtes Ansatzrohr an den Boden des
Gefässes gebracht. Dann wurden durch Kompression des Gummi-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2041
Schlauches rhythmische Bewegungen hervorgebracht, um zu sehen,
ob diese auf die Ausbreitung der Spinalflüssigkeit einen Einfluss hatten.
Dies war nicht der Fall. Wir sind uns aber wohl bewusst, dass dieser
etwas rohe Versuch nur wenig Rückschlüsse gestattet.
Bei verschiedener Lagerung des Körpers verschiebt sich,
wie wir oben sagten, die Ausbreitung der anästhesierenden
Lösung im Subarachnoidealraum, dementsprechend muss auch
eine Verschiebung der anästhetischen Hautbezirke eintreten.
Unsere bisherigen klinischen Beobachtungen haben gezeigt,
dass diese Verschiebung nicht hochgradig ist, solange der
Körper, nach der Injektion in den Lumbalsack bei sitzender
Stellung, nur bis zur Horizontale gesenkt wird und der Kopf
dabei gleichzeitig etwas gehoben ist; weitgehendere Ver¬
schiebung der anästhetischen Hautzonen tritt gewöhnlich erst
dann ein, wenn Beckenhochlagerung über 50° gegen den
Horizont vorgenommen wird. Spritzen wir z. B. mit Kochsalz
beschwertes Stovain, welches bei 38 0 spezifisch schwerer als
die Spinalflüssigkeit bei 38° ist, bei sitzender Stellung der Frau
in den Lumbalsack zwischen 3. und 4. Lendenwirbel ein und
bringen die Frau sofort in Beckenhochlagerung, so kann
Anästhesie bis zum Kopf eintreten; es wird sich dem Gesetze
der Schwere folgend das Anästhetikum in der Spinalflüssigkeit,
die nach der Medulla obl. zu abgeströmt ist, senken und so
die zervikalen Rückenmarkssegmente erreichen. Ist die
anästhesierende Flüssigkeit noch konzentriert genug im Liquor
enthalten, so werden die Folgen auf den Phrenikus und das
Atemzentrum durch Schwächerwerden oder Versagen der
Zwerchfellatmung und schliesslich durch Aussetzen jeder Atem¬
bewegung nicht ausbleiben. Wenn auch bei der Einspritzung
spezifisch leichterer anästhesierender Lösung die Gefährdung
der Medulla oblong, nicht so gross ist, so ist doch Ver¬
meidung jeder steileren Beckenhochlagerung nach allem
Gesagten das wesentlichste, um das Aufsteigen des Anästhe--
tikums nach der Medulla oblong, zu verhüten. Wie gefährlich
die Beckenhochlagerung nach Injektion einer Stovainlösung in
den Lumbalsack sein kann, dafür möchten wir nicht verfehlen,
folgenden Leichenversuch anzuführen.
Es wurde bei sitzender Stellung der Leiche zwischen 2. und
3. Lumbalwirbel punktiert und. das Steigrohr angesetzt, welches eine
Höhe der Spinalflüssigkeit im Subarachnoidealraum bis zum 5. Brust¬
wirbel anzeigte. Darnach wurde zwischen 2. und 3. Lumbalwirbel
die käufliche Stovainlösung bei sitzender Stellung der Leiche injiziert.
Einige Zeit nach der Injektion wurde bei der in sitzender Stellung
belassenen Leiche festgestellt, dass in der Höhe des Fliissigkei s-
spiegels im Steigrohr sich an der entsprechenden Stelle im Subarach¬
noidealraum Stovain in der Spinalflüssigkeit fand. Oberhalb des
3. Brustwirbels war weder Flüssigkeit noch Stovain nachweisbar.
Darnach wurde 'die Leiche in steile Beckenhochlagerung gebracht und
einige Zeit nachher in der Gegend der Medulla oblong, punktiert:
sofort quoll Spinalflüssigkeit hervor, die bei chemischem Nachweis
reichlich Stovain enthielt.
Da bei gewissen Laparotomien und speziell gynäko¬
logischen Laparotomien die Beckenhochlagerung eine tech-
nische Erleichterung darstellt, so müssen wir uns fragen: ob
wir nicht wenigstens einigeZeit — sagen wir 5—10 Minuten
nach der in sitzender Stellung ausgeführten Injektion becken¬
hochlagern dürfen, ohne befürchten zu müssen, dass das
Anästhetikum noch als wirksames chemisches Mittel in dei
Spinalflüssigkeit enthalten ist und auf die Zentren der Medulla
oblong, lebensgefährliche Wirkung ausüben kann.
Es würde dies einmal dadurch zu beantworten sein, dass
wir nachsehen, ob Stovain in Gegenwart von Liquoi ceiebro-
spinalis mit diesem schnell eine chemische Verbindung ein¬
geht, welche nicht mehr die spezifisch lähmende Wirkung auf
die motorischen und sensibeln Nerven hat.
Wir haben zu diesem Zweck folgende Versuche angestellt.
Versuch a. Stovain wurde in ein Glas mit Liquor cerebrospinalis
getan und nun in Absätzen von mehreren Tagen auf die Reaktion mit
Jodlösung geprüft; noch nach Tagen war die gleiche Stovainreaktion
nachweisbar. . •
Versuch b. Es wird 1,5 ccm käufliche Stovain-Billonlosung in
einer sterilen Spritze mit 2 ccm Spinalflüssigkeit vermischt. 1 ie
Mischung wird eine Stunde lang bei 30° gehalten und erst dann einem
Tier injiziert. Es tritt auch jetzt eine deutliche Anästhesierung ein.
Daraus ist zu folgern, dass auch eine Stunde nach der
Injektion noch die Gefahr der Atemlähmung besteht, wenn der
mit dem Stovain vermischte Liquor die Zentren der Medulla
oblong, trifft, vorausgesetzt, dass nicht bei der Lebenden
No. 41.
innerhalb dieser Frist das Stovain durch Resorption aus dem
Spinalkanal schon wieder entfernt ist.
Um dies zu klären, dienten Beobachtungen, welche ge¬
legentlich der Unwirksammachung überschüssigen Stovains zu
therapeutischen Zwecken gemacht wurde.
Es wird zwischen 1. und 2. Lendenwirbel mit Kochsalz be¬
schwertes Stovain-Billon eingespritzt und gleichzeitig in der Gegend
des 4. und 5. Lendenwirbels punktiert. Gleich nach der Injektion
ergibt' ein Tropfen Liquor aus der unteren Punktionsnadel entnommen
starke Stovainreaktion. Nach einer Stunde wird wieder etwas
Liquor aus dem 4. und 5. Lumbalspatium abgelassen mit dem gleichen
Ergebnis. Erst eine nach 7 Stunden vorgenommene Punktion ergibt
keine Stovainreaktion mehr, als Zeichen dessen, dass innerhalb diesei
Frist das Stovain resorbiert ist.
Es folgt aus diesen Beobachtungen, dass man lebens¬
sicherer verfährt, wenn man auch eine halbe bis eine Stunde
nach der in sitzender Haltung ausgeführten Injektion steile
Beckenhochlagerung vermeidet. Leichtere Beckenhochlage¬
rung bis zu einer Neigung der Operationstischplatte von 30
über die Horizontale scheint aber nach unsern oben ange-
gebenen Versuchen über die Bewegung des Liquois im Sub-
arachnoidealsack noch keine Gefahr des Abströmens des
Stovains nach der Medulla oblong, in sich zu schliessen.
Wir kommen damit zur dritten Gefahr der Rückenmarks¬
anästhesie, nämlich der zu intensiven Wirkung des Anästheti-
kums a n O r t u n d S t e 1 1 e auf die Nervenstränge oder Gan¬
glienzellen des Rückenmarks, sodass nicht nur eine vorüber¬
gehende, sondern eine dauernde Afunktion entsteht. Wie
van Li er gezeigt hat, haben die hauptsächlich verwendeten
Anästhetika, das Tropakokain, das Novokain, das Stovain, das
Alypin gleichzeitig eine das Protoplasma der Nervenzellen
schädigende Wirkung, und sie können bei entsprechend hoher
Konzentration auf die Nerven gebracht auch dauernde
Störungen herbeiführen.
Ist nun die Gefahr bei Anwendung dieser Mittel an der
Lebenden so gross, dass wir nach andern Anästhetika Umschau
halten müssen? Dr. Spielmeyer, Assistent an der Psychi¬
atrischen Klinik in Freiburg i. Br., hatte die Liebenswürdigkeit,
das Rückenmark von fast allen Frauen, die entweder an den
Folgen der Rückenmarksanästhesie oder nach einer Rucken-
marksanästhesie an andern Erkrankungen wie Sepsis usw.
bei uns gestorben waren, mikroskopisch zum Teil in Seiien-
schnitten mit Nisslscher Färbung zu untersuchen. Die Resultate
werden an anderer Stelle ausführlich mitgeteilt werden, hier
möchten wir nur als wesentlich für uns herausgreifen, dass be¬
sonders bei kachektischen Individuen und bei Einverleibung
hoher Dosen von Stovain bis zu 0,12 teilweise an den
Ganglienzellen schwere, von Spielmeyer als irreparabel
angesprochene Veränderungen zu sehen waren. Die Aus¬
breitung ist sehr verschieden; in denjenigen Fällen, in welchen
die Frauen (3 Fälle) an den Folgen der Rückenmarksanasthesie
zu Grunde gegangen sind (alles kachektische Personen), war
die Zerstörung sehr ausgedehnt, bei diesen Frauen, die sämtlich
noch in steiler Beckenhochlagerung operiert waren, waren
auch die Gangienzellen der Medulla oblongata zum 1 eil
weitgehend verändert; aber auch bei den Frauen, welche
anderen Erkrankungen 'erlegen waren, waren doch ver¬
einzelt an den Ganglienzellen Veränderungen nachzuweisen.
Diese Störungen lassen in uns gewiss den Wunsch rege werden,
nach einem andern Anästhetikum als Stovain zu suchen; wir
glauben aber nicht, dass unter sonst gleichen Bedingungen auf
Grund der bisher in der Literatur vorliegenden Beobachtungen
das Tropakokain, das Novokain, das Alypin weniger als das
Stovain reizen. Das Rückenmark ist nach Anwendung diesei
Mittel mikroskopisch noch nicht daraufhin ^untersucht, ob sic i
nicht ähnliche Veränderungen wie beim Stovain Nachweisen
lassen ; wir selbst hatten im Anschluss an die Injektion diese
Anästhetika keinen Todesfall, konnten daher keinen dahin¬
gehende Untersuchung anstellen.
Wir möchten aber nicht unterlassen, darauf hmzu-
weisen, dass man die Bedeutung dieser von S pie 1 me y er
nachgewiesenen Veränderungen doch nicht für die khn^c
Praxis zu hoch einschätzen darf, denn bei den Frauen welche
nicht an den Folgen der Lumbalinjektion sondern an ander¬
weitigen Erkrankungen gestorben waren, bei denen aber Ver¬
änderungen an den Ganglienzellen post mortem nachzuweisen
2U4 2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
waren, zeigten sich bei den Frauen während des Lebens nicht
die geringsten Störungen in der motorischen und sensibeln
Funktion der Nerven. Es beweist dies also, dass ein gewisser
Ausfall von Ganglienzellen im Rückenmark stattfinden kann,
ohne dass klinische Symptome folgen.
Immerhin sollen wir mit der Inkorporation höherer Dosen
von Stovain vorsichtig sein; wir haben früher geraten, bei
Laparotomien bis zu 0,12 Stovain zu injizieren, möchten aber
heute auf Grund der bei kachektischen Individuen gemachten
Erfahrungen doch von so hohen Dosen abraten. Wir injizieren
heute im allgemeinen nicht mehr als 0,08 Stovain; wenn wirk¬
lich einmal die Analgesie nicht ganz ausreicht, so geben wir
lieber etwas Chloroform-Aether zu inhalieren. Auf jeden Fall
aber haben unsere bei fast 300 Laparotmierten injizierten Dosen
von 0,12 gezeigt, dass wir in dem Stovain ein Mittel haben,
welches eine_ relativ grosse Narkosenbreite hat. Beschränken
wir uns auf Dosen bis 0,08, so wird auch bei kachek¬
tischen Individuen kaum eine dauernde Störung zu befürchten
sein. Die Annahme einer individuell sehr wechselnden
Empfindlichkeit gegen das Stovaingift scheint nicht zuzutreffen,
sonst müsste in unserer letzten Serie von 300 Fällen einmal
eine länger dauernde Motilitäts- oder Sensibilitätsstörung er¬
folgt sein. Wir dürfen, abgesehen vielleicht von schwer
kachektischen Individuen, eine spezifische Giftempfind¬
lichkeit der Rückenmarkzellen ablehnen; wäre dies nicht der
Fall, so müsste die Rückenmarksanästhesie überhaupt aufge¬
geben werden.
Es erübrigt noch, kurz darauf einzugehen, ob wir die
weniger gefährlichen als unangenehmen Neben¬
wirkungen der Rückenmarksanästhesie, die Kopfschmerzen,
den Meningismus, sowie die sogen. Versager einschränken
können. Schon nach der einfachen Lumbalpunktion treten auch
ohne Injektion eines Anästhetikums manchmal Kopfschmerzen
sogai stäikeren Grades auf. Durch' die Untersuchungen von
G. K r ö n i g - Berlin ist bewiesen, dass plötzliche Druck¬
schwankungen gern die Kopfschmerzen auslösen; wir glauben
daher von neuem unsere schon früher gegebene Empfehlung
\\ iederholen zu sollen, dass man den von uns konstruierten
Apparat 8), welcher dem von G. K r ö n i g - Berlin für die Lum¬
balpunktion angewendeten nachgebildet ist, benutzen soll, um
bei der Lumbalpunktion den Druck beobachten und durch vor¬
sichtige Injektion (Drehspitze) Druckschwankungen mög¬
lichst vermeiden zu können. Immerhin haben auch wir selbst
bei vorsichtigster Injektion noch Kopfschmerzen beobachtet, so
dass hier noch andere uns bisher unbekannte und daher un¬
vermeidbare Faktoren mitspielen.
Wie können wir schliesslich die Zahl der Versager, welche
so oft noch als störende Nachteile gegen die Rückenmarks¬
anästhesie angeführt werden, einschränken?
Der grösste Teil dieser Versager ist unserer Ansicht nach
bedingt durch die Anwendung von Lösungen mit ungeeignetem
spezifischen Gewicht.
Es ist unrichtig, kurzweg zu sagen: wir haben von
dem Stovain günstige, vom Novokain oder Alypin ungünstige
Resultate in Bezug auf anästhesierende Wirkung gehabt, son¬
dern es ist in jedem Fall notwendig, die Dichte der ange¬
wendeten Lösung mitanzugeben. Wir hatten schon oben er¬
wähnt, dass wir mit Stovain bei gleicher Konzentration und
Menge, je nach der Dichte der injizierten Lösungen, z. B. bei
Laparotomien entweder stets Versager haben oder sehr
günstige Resultate erzielen können.
Von einer anästhesierenden Lösung, die in Rückenmarks¬
segmenten wirken soll, welche oberhalb der Einstichstelle
zwischen 2. und 3. Lumbalwirbel liegen, muss man, voraus¬
gesetzt, dass man in sitzender Stellung injiziert, in dieser die
eintretende Anästhesie abwartet und nachträglich die Frau nur
Horizontallage, aber nicht in steile Beckenhochlagerung
bringt, verlangen, dass sie spezifisch gleich oder besser etwas
leichter als die Spinalflüssigkeit ist.
)V1lr, auf diese Forderung hin die verschiedenen im
Handel käuflichen Präparate geprüft.
8) Der
Apparat ist
Kaiserstrasse.
von uns
zu haben
nii die Lumbalanästhesie stets verwendete
bei der Firma Q. Fischer, Freiburg i. Br.,
1. Alypintabletten von Pöhl. Nach der Vorschrift soll
eine Tablette bestehen aus Alypin 0,05, Suprarenin 0,00033, sie soll in
2 ccm Liquor cerebrospinalis gelöst und diese Lösung zwischen 3. und
4. Lendenwirbel in den Subarachnoidealraum injiziert werden.
Spezifisches Gewicht dieser Lösung (bezogen auf Wasser von
+ 4° C) ist:
bei 38° C. = 1,001
„ 30° C. = 1,004
„ 22° C. = 1,006.
Es ist also die Lösung auch bei Körpertemperatur von 38° noch
spezifisch schwerer als die Spinalflüssigkeit. Wird alsp diese
Lösung bei einer Patientin zwischen 3. und 4. Lendenwirbel in
sitzender Stellung injiziert, danach die Frau nach eingetretener
Anästhesie (ca. 3 — 4 Minuten) horizontal gelagert, so wird bei Ver¬
meidung jeder Beckenhochlagerung völlige Analgesie in den Haut¬
gebieten, welche den Sakralsegmenten angehören, eintreten, dagegen
werden sich z. B. bei Laparotomien sehr oft Versager zeigen: die
Zahl der Versager könnte hier nur durch steile Beckenhochlagerung
sofort nach der Injektion eingeschränkt werden. Braun hat bei
Verwendung von Alypin anfänglich diese steile Beckenhochlagerung
angewendet, später aufgegeben. Es erscheint uns aus seiner Arbeit
erwähnenswert, dass er von 46 Lumbalanästhesien, welche Opera¬
tionen am After und der Dammgegend betrafen, also Gebiete, welche
den Sakralsegmenten zugehören, keinen Versager gehabt hat; dagegen
beginnen die Versager in grosser Zahl, sobald er Bauchoperationen
und Operationen an den unteren Extremitäten ausführte, weil hier
höher gelegene Rückenmarkssegmente anästhesiert werden mussten.
Hätte Braun nicht anfangs steile Beckenhochlagerung bei den
Bauchoperationen angewendet, so würde die Zahl seiner Versager
noch viel grösser sein.
2. N o v o k a i n - Höchst. In den Handel gebracht:
a) als 5 proz. Lösung in Ampullen;
b) als Tabletten, enthaltend 0,05 Novokain 0,000108 Suprarenin.
* aa) Spezifisches Gewicht der 5 proz. Lösung (bezogen auf Wasser
von +4° C):
bei 38 0 C. = 1,001
„ 30° C. = 1,004
„ 22° C. = 1,006.
bb) Spezifisches Gewicht der Lösung einer Tablette, enthaltend
Novokain 0,05 in 2 ccm Spinalflüssigkeit (bezogen auf Wasser von
+ 4° C):
bei 38° C. == 1,002
* 30 0 C. = 1,005
„ 22° C. = 1,007.
Wird keine Beckenhochlagerung angewendet, so wird bei beiden
Lösungen die Anästhesie günstig für Operationen am Damm und die
Gebiete der Sakralsegmente des Rückenmarks ausfallen, ungünstig
aber für höher liegende Segmente. Die Literatur ist hier nicht heran¬
zuziehen, weil nicht immer genau angegeben ist, ob Beckenhoch¬
lagerung nach der Injektion angewendet wurde oder nicht.
3. Tropakokain. In käuflichen Ampullen als 10 proz. Lösung.
Spezifisches Gewicht (bezogen auf Wasser von + 4° C):
bei 38° C. = 1,005
* 30° C. = 1,008
„ 22° C. = 1,010.
Es ist also die Lösung sehr erheblich spezifisch schwerer als die
Spinalflüssigkeit, wird sich also bei der Anästhesie, wie die von uns
absichtlich mit Kochsalz beschwerte Stovainlösung Billon (s. o.) ver¬
halten.
4. S t o v a i n - Riedel. In käuflichen Ampullen als 10 proz. Lö¬
sung.
Spezifisches Gewicht (bezogen auf Wasser von +4° C):
bei 38° C. = 0,999
„ 30° C. = 1,002
„ 22° C. = 1,004.
Es liegen also die Verhältnisse bei dem Stovain Riedel gleich
günstig wie bei dem käuflichen Stovain-Billon; die Riedel sehe
Lösung ist nur eine Kleinigkeit dichter als die von Billon.
Wir sehen also, dass — wenn wir die Beckenhochlagerung
prinzipiell vermeiden wollen — für Operationen in Gebiets¬
teilen, die höheren Rückenmarkssegmenten angehören, die käuf¬
lichen Tabletten sich gar nicht eignen, da ihre Lösung
in Spinalflüssigkeit (wenn man nicht sehr viel aspiriert) immer
spezifisch schwerer als diese bleibt. Von den käuflichen L ö -
s u n g e n würde sich Stovain Billon und Riedel gut eignen,
weniger gut Novokain, am wenigsten Tropakokain.
Ein weiterer für die Vermeidung von Versagern wichtiger
Faktor ist die technische Ausführung der Injektion.
Axel Key und R e t z i u s haben bei ihren Injektionsversuchen
des Subarachnoidealraums mit Leimlösung gezeigt, wie leicht
es ist, teilweise oder vollständig die Injektionsflüssigkeit statt in
den Subarachnoidealraum in den S u b d n r a 1 raum zu treiben
Sie haben ferner gezeigt, wie sich die in den Subarachnoideal-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2043
raum injizierte Lösung, wenn man die Punktionsnadel mehr¬
fach durch die Arachnoidea hindurch in den Subarachnoideal-
raum stösst, teilweise durch die durchlochte Arachnoidea in den
Sub dural raum begeben kann. Es ist verständlich, dass die in
den sub duralen Raum gelangte Lösung für die Anästhesie
mehr oder weniger verloren geht. Bier hat schon die Vor¬
schrift gegeben, sich von dem Verweilen der Kanüle im Sub-
arachnoideal raum dadurch -zu vergewissern, dass man
nachsieht, ob die Zerbrospinalflüssigkeit auch im Sprudel aus
der Punktionsnadel abfliesst. Abgesehen davon, dass hier¬
durch unnötigerweise Druckschwankungen hervorgerufen wer¬
den, scheint uns dies Verfahren auch deshalb nicht genügend
zu sein, weil sich die Nadelspitze noch während der In¬
jektion unbemerkt verschieben kann. Wir glauben, dass die
beste Kontrolle jederzeit geübt wird durch die Anwendung
unseres Apparates mit Steigrohr. Dadurch, dass wir während
der ganzen Injektion beobachten, dass die Athem- und Puls¬
exkursionen im Steigrohr fortbestehen, haben wir gleichzeitig
die Sicherheit, dass die Nadelspitze sich wirklich im Sub-
arachnoidealraum befindet und sich während der Injektion
nicht verschoben hat. Mehrfach haben wir es beobachtet, dass
während der Injektion bei Bewegungen der Patientin keine
deutlichen Atemexkursionen mehr vorhanden waren ; wir haben
dann, ehe wir weiter injizierten, zunächst die Nadel etwas mehr
vor- und zurückgeschoben. Auf diese Weise vermeidet man es
auch sicher, dass nicht die Punktionsnadel bei ungeschickter
Bewegung der Kranken etwa in einen Nerv gerät und nun die
Injektionsflüssigkeit in die Nervenfasern selbst eingetrieben
wird, wodurch wohl zweifelsohne eine dauernde Schädigung
herbeigeführt würde.
Nach dem oben Gesagten scheint es uns auch nicht un¬
wesentlich, dass die Punktionsnadel möglichst gleich mit dem
ersten Stoss in den Subarachnoidealraum gelangt. Die
manchmal sonst unerklärlichen mangelhaften Anästhesien
glauben wir darauf beziehen zu dürfen, dass der Narkotiseur
2 oder 3 Oeffnungen in die Subarachnoidealhaut setzt oder
bei sehr langsamem Vorstoss einer stumpfen Nadel die Arach-
noidealhaut vor sich herschiebt und nun wie Axel Key und
R e t z i u s bei ihren Injektionsversuchen die anästhesierende
Lösung in den Sub dural raum injiziert.
Als letzte Forderung zur Vermeidung der Versager be¬
zeichnen wir die Anwendung chemisch einwand¬
freier Lösungen. Das Stovain hält sich in wässrigen
Lösungen unbeschränkt lange. Anders ist es dagegen
bei Zusatz eines Nebennierenpräparates. Wir lassen es
hier unerörtert, ob der Zusatz eines Nebennieren¬
präparates zu der Stovainlösung richtig ist oder nicht, weil
uns darüber die Erfahrung fehlt; auf keinen Fall aber dürfen
Ampullen verwendet werden, welche schon das Nebennieren¬
präparat mitenthalten. Wie schon L i e b 1 und Braun
nachgewiesen haben, zersetzt sich das Suprarenin in Gegen¬
wart von Stovain und anderen organischen Substanzen. Ver¬
wendet man Nebennierenpräparate, so ist es richtiger, erst
kurz vor dem Gebrauch in der Injektionsspritze dies hinzu¬
zufügen. — Wir verwenden gewöhnlich Suprareninlösung
1 : 1000 der Farbwerke Höchst und setzen zu 1 ccm der an¬
ästhesierenden Lösung 0,2 ccm dieser Lösung hinzu.
Fassen wir zusammen, so ergeben sich folgende Schluss¬
folgerungen:
1. Bei der Lumbalanästhesie ist die Anwendung einer die
Schwankungen des Liquors im Subarachnoidealraum an¬
zeigenden Steigrohre vor und während der Injektion notwendig.
2. Für die Wirkung der anästhesierenden Flüssigkeit spielt
ihr spezifisches Gewicht und die Temperatur, bei welcher sie
eingespritzt wird, eine wesentliche Rolle.
3. Die Anästhesierung höher gelegener Rückenmarks¬
segmente darf nicht durch steile Beckenhochlagerung erzielt
werden, sondern ist anzustreben durch richtige Wahl ent¬
sprechend dichter anästhesierender Lösungen.,
4. Steile Beckenhochlagerung ist auch längere Zeit nach der
Injektion noch gefährlich wegen der Möglichkeit des Empor-
gelangens des Anästhetikums nach der Medulla oblongata.
5. Im Interesse der Verwendung chemisch reiner Lösungen
ist es notwendig, das Suprarenin erst kurz vor dem Gebrauch
den anästhesierenden Lösungen hinzuzusetzen. Käufliche Am¬
pullen von anästhesierenden Lösungen mit Suprareninzusatz
sind abzulehnen.
Geben wir zum Schluss einen kurzen Ueberblick über die
von uns nach diesen Grundsätzen klinisch erzielten Resultate,
so würde eine statistische Wiedergabe der klinischen Er¬
fahrungen über das gesamte Material von tausend Anästhesien
ein falsches Bild geben. Wir haben im Verlaufe der Versuche
und Beobachtungen erst allmählich gelernt, wie verbesserungs¬
fähig die Bier sehe Anästhesie ist. Die Resultate der ersten
300 Anästhesien sind mit den Resultaten der letzten 300, bei
welchen wir entsprechend den oben angegebenen Grundsätzen
eine in vielen Punkten geänderte Technik eingeschlagen haben,
gar nicht vergleichbar. Auch uns ist schweres Lehrgeld nicht
erspart geblieben; während wir auf der Naturforscherver¬
sammlung in Stuttgart noch drei Todesfälle unter den ersten
400 Rückenmarksanästhesien zu verzeichnen hatten, zum Teil
verschuldet durch falsche Indikationsstellung, haben wir unter
den letzten 300 Fällen auch nicht einen einzigen Zwischenfall
mehr beobachtet.
Fast alle unsere Rückenmarksanästhesien sind in der
von uns empfohlenen Kombination mit dem Skopolamin¬
dämmerschlaf ausgeführt. Wir waren nach unseren an¬
fänglichen Versuchen mit der Rückenmarksanästhesie allein
nahe daran, sie als eine in der Gynäkologie fast unbrauchbare
Methode zu erklären. Es war manchen Frauen psychisch so
ungeheuerlich, sich ohne wesentliche Trübung des Bewusst¬
seins laparotomieren zu lassen, dass die Kranken sich sehr bald
weigerten, sich dieser Methode zu unterwerfen. Es mag sein,
dass hier der etwas sensiblere Süddeutsche nicht mit dem Nord¬
deutschen zu vergleichen ist; wenn Veit in Halle von seinen
Patientinnen sagt, dass es keine unangenehm empfunden hätte,
wenn man sie nach der Rückenmarksanästhesie auf den Opera¬
tionstisch geschnallt und danach in steilste Beckenhochlagerung
gebracht hätte, so mag dies für die Hallenser Bevölkerung, von
der wir zum Teil aus eigener Erfahrung wissen, dass sie oft
gegen psychische Eindrücke stumpf ist, zutreffen; dem
Badenser, welcher mit einem sensibleren Nervensystem be¬
haftet ist, erscheint ein derartiges Verfahren zu inhuman. Für
Laparotomien wird sich die Rückenmarksanästhesie sicherlich
nur dann einbürgern, wenn an der von uns gegebenen Vor¬
schrift der Kombination der Rückenmarksanästhesie mit dem
Skopolamindämmerschlaf festgehalten wird. Halten wir an
dieser Kombination aber fest, so können wir unmöglich in das
in letzter Zeit von manchen geäusserte .pessimistische Urteil
einstimmen. In einer eben erschienenen Arbeit äussert
Braun, dass er alle weiteren Versuche mit der Medullar-
anästhesie aufgeben würde, weil sie mit der Inhalationsnarkose,
speziell mit der von ihm empfohlenen Mischnarkose, nicht
ernstlich konkurrieren könne. So sehr wir aus eigener Er¬
fahrung bei weit über 4000 Fällen die Braun sehe Misch¬
narkose schätzen, so birgt sie doch immerhin gerade bei La¬
parotomien gewisse Gefahren in sich. Trotz aller Vorsicht sind
uns wie anderen Klinikern bei länger dauernden Laparotomien
schwere Bronchitiden, welche zum Teil in Heilung, zum Teil in
Tod ausgegegangen sind, nicht erspart geblieben. Fast über¬
einstimmend gibt jede Statistik an, dass der Prozentsatz dei
Morbidität an Bronchopneumonie bei Laparotomien 7 Proz.
und die Zahl der tödlich verlaufenen Bronchitiden 2—3 Proz.
beträgt. Mögen einige Kliniker hierin glücklicher sein, im all¬
gemeinen wird diese Zahl zutreffen.
Wenn wir demgegenüber bedenken, dass bei der
Rückenmarksanästhesie, vorausgesetzt, dass wir sie mit
dem Skopolamin-Morphium-Dämmerschlaf kombinieren, uns
bei einer Serie von ungefähr 600 Laparotomien keine
einzige postoperative Bronchitis vorgekommen ist, so
ist damit schon ein wesentlicher Fortschritt, welchen
uns die Medullaranästhesie in Verbindung mit dem
Skopolamin - Morphium - Dämmerschlaf gebracht hat, ge¬
zeichnet. Die Zahlen sind so gross, dass wir kaum erwarten
dürfen, dass sich die Resultate in Zukunft wesentlich andern
werden. Bedenken wir weiterhin, wie unangenehm das post¬
operative Erbrechen gerade den Laparotomierten ist, veil es
mit so lebhaften Schmerzen an der Bauchwunde verbunden ist,
dann müssen wir doch ein Verfahren dankbarst begrüssen,
welches das Erbrechen auf ein Minimum reduziert. Bei An-
A*
2044
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Wendung der Inhalationsnarkose selbst mit der verbesserten
Mischnarkose nach Braun ist es uns früher unmöglich ge¬
wesen, das Ziel, welches wir uns gesteckt hatten, eine mög¬
lichst grosse Zahl der Laparotomierten schon am ersten Tage
ausser Bett zu bringen, zu erreichen; dagegen haben wir in¬
folge der geringen postoperativen Nachwirkungen bei der kom¬
binierten Methode der Rückenmarksanästhesie es erreicht, dass
unter den letzten 100 Laparotomierten 71 schon am ersten Tage
das Bett verlassen konnten. Wir haben früher stets einen ge¬
wissen Prozentsatz schwerer Erkrankungen und Todesfälle in¬
folge von postoperativem mechanischen Ileus gehabt, während
wir unter den letzten 500 Laparotomien dies nicht ein einziges
Mal beobachtet haben. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn
wir auch hierfür die veränderte Nachbehandlung der Lapa¬
rotomierten, welche uns erst durch die Anwendung der Rücken¬
marksanästhesie ermöglicht war, als Ursache heranziehen.
Man muss sich die grossen Nachteile der Inhalations¬
narkose speziell bei Laparotomien vor Augen halten, um nicht
in jedem Falle, in welchem die unangenehmen Nachwirkungen
des lebhaften Kopfschmerzes nach der Rückenmarksanästhesie
eintreten, gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein
so ideales Narkotikum, welches gar keine Nachwirkung hinter¬
lässt, wird es wohl so bald nicht geben. Bei kurz dauernden
Narkosen, wie sie zu kleineren operativen Eingriffen wie
leichter Zange, Wendungen, Auskratzungen, Abortausräu¬
mungen usw. nötig sind, hat die Inhalationsnarkose geringere
Nachteile als die Rückenmarksanästhesie. Wir befinden uns
hier in einem gewissen Gegensatz zu der Anschauung
mancher Chirurgen, welche die Rückenmarksanästhesie
gerade für kleinere operative Eingriffe an den unteren
Extremitäten warm empfehlen, sie dagegen bei grösseren Ein¬
griffen im Abdomen für kontraindiziert erachten. Wir meinen,
dass bei allen kleineren Eingriffen die Rückenmarks¬
anästhesie vielleicht wieder verschwinden wird, weil hier die
Inhalationsnarkose weniger Nachteile hat; dagegen glauben
wir, dass sie ihr eigenstes Verwendungsgebiet bei Lapa¬
rotomien haben und behalten wird; wir haben wenigstens an
unserem Material im Laufe der Zeit einen derartigen Wandel
in unsern Anschauungen durchgemacht. Während wir in der
ersten Zeit mit Vorliebe kleinere gynäkologische und geburts¬
hilfliche Operationen in Rückenmarksanästhesie ausführten,
dagegen nur zögernd an Laparotomien herangingen, ist es in
den letzten 500 Fällen gerade umgekehrt gewesen. Heute
wenden wir die Rückenmarksanästhesie bei allen Laparotomien,
bei allen grösseren vaginalen Operationen, bei welchen uns
stärkeres postoperatives Erbrechen bei angestrengter Bauch¬
presse schädlich erscheint, an z. B. bei Prolapsoperationen, da¬
gegen haben wir ihr Verwendungsgebiet bei kleineren gynä¬
kologischen und geburtshilflichen Eingriffen eingeschränkt.'
Hieraus ergibt sich gleichzeitig eine gewisse Berück¬
sichtigung der statistischen Zahlen. Die Nachwirkungen und
Todesfälle nach der Inhaltionsnarkose können mit den Nach¬
wirkungen und I odesfällen nach der Rückenmarksanästhesie
nicht direkt verglichen werden; die vielen kurz dauernden
Nai kosen verbessern das Konto der Inhalationsnarkose,
während die ausschliesslich grösseren Operationen das Konto
der Rückenmarksanästhesie belasten müssen. Dass auch
unser heute eingehaltenes Verfahren noch Mängel hat, be¬
zweifeln wir selbst am wenigsten; der Zweck dieser Zeilen ist
erreicht, wenn wir die zum Teil einreissende Mutlosigkeit
wieder gehoben und gezeigt haben, dass die Mitarbeiterschaft
von vielen, vor allem auch von Anatomen und Pharmakologen
notwendig ist, um diese so geniale Methode Biers noch
weiter auszubauen.
- - - — -
Arzneien der Wasuaheli.
Gesammelt von Dr. H. Krauss, früherem Bahnbauarzt,
Daressalam.
Arzt, Geisterbeschwörer und Zauberer ist bei den Wasuaheli,
dem Küstenstamme Deutsch-Ostafrikas, ein und dasselbe. .Jeder¬
mann achtet ihn ob seiner Kunst, niemand will ihn zum Feinde haben;
denn er kann jeden, den er hasst, vom bösen Geist besessen machen,
ja kann ihn durch fernwirkende Gifte töten.
Und der Arzt selbst ist bestrebt, sein Ansehen noch zu erhöhen.
1 euer muss seine Hilfeleistung bezahlt werden, grosser Pomp wird
entfaltet, wenn er sich anschickt, eine Besessene zu heilen, geheimnis¬
volle Stoffe werden zusammengebraut, um die wirksame Arzenei zu
bereiten.
Eine Anzahl der gewöhnlicheren Arzneimittel ist zumeist auch
den Boys, den Dienern der Weissen, bekannt; aber es ist sehr schwer,
ihr Zutrauen in dem Masse zu gewinnen, dass sie darüber Mitteilung
machen. „Der Weisse, der selbst so viele Heilmittel, so starke Gifte
besitzt, der sogar aus den Leichen Arznei bereitet (mein Junge sah,
wie bei einer Sektion einige Organstückchen in Alkohol gelegt
wurden), wie kann der sich für unsere Arzneien interessieren? Er
will uns höchstens lächerlich machen; und dann erfahren es wieder
unsere schwarzen Aerzte, die geben uns Gift, weil wir ihre Geheim¬
nisse verraten haben". So urteilt der Schwarze. Die Antwort die der
Weisse auf alle Fragen in dieser Richtung erhält, heisst: „sijui bana,
ich weiss nicht, Herr“.
Wer sich indes die Mühe nicht verdriessen lässt, immer wieder
zu fragen und dem Schwarzen auch sonst sein Interesse für die
Lebensgewohnheiten der Eingeborenen zu zeigen, der wird, zumal
allein auf Reisen, doch manches erfahren können. So sind auch die
nachfolgenden Notizen entstanden. Eine Nachprüfung anzuslellen
oder botanische Namen anzugeben war nicht möglich. Immerhin
dürfte vielleicht der eine und andere von den in Ostafrika weilenden
Aerzten seinerseits angeregt werden mitzusammeln. Denn einmal
scheint es zum genauen Verständnis eines Volksstammes durchaus
nötig, dass auch seine medizinischen Anschauungen bekannt seien,
zum anderen ist es vielleicht möglich, den heimischen Arzneischatz
durch die eine und andere wertvolle Droge zu bereichern.
I. Mineralische Heilmittel.
Mulutulutu, Cuprum sulfuricum, wird im Inderladen gekauft
1. gegen Buba = Framboesia. Das Kupfersulfat wird mit Wasser
zu einem Brei angerührt und auf das von der Borke befreite Ge¬
schwür aufgetragen. Das schmerzt etwa 8 Stunden lang sehr stark,
dann ist der Schmerz vorüber. Nach 4 — 5 lagen Heilung.
2. In schmerzende hohle Zähne wird vorsichtig etwas gepulvertes
Kupfersulfat gegeben. Der Schmerz hört auf und am anderen Tag
ist der Zahn locker und kann herausgenommen werden.
3. zur Fruchtabtreibung. Ein Kristall von Zwetschgenkerngrösse
wird in etwa 1 Vz Liter Wasser aufgelöst und davon früh und abends
getrunken. Die Frau bekommt grosse Unruhe und Schmerzen im
Leib, hat blutigen Stuhlgang. Am anderen Tage wird das tote Kind
geboren. Manchmal stirbt auch die Mutter.
II. Pflanzliche Heilmittel.
Khalafuu, Nelken. 1. Gegen Augenentzündung werden 2 Gewürz¬
nelken gestossen, mit Wasser zu einem Brei angerührt und auf die
Ränder der Augenlider aufgetragen. Das schmerzt sehr, aber die
Augen werden besser.
2. Gegen Fieber mit Schüttelfrost wird eine Hand voll Nelken
in heisses Wasser gebracht und leicht gekocht. Mit dem Wasser
wäscht man den Kranken. Das schmerzt sehr, aber es kommt viel
Schweiss und die Krankheit ist zu Ende.
Ambali, ein Harz, beim Inder zu kaufen.
1. Ein Stückchen in einen schmerzhaften hohlen Zahn bewirkt,
dass derselbe schmerzlos ausfällt.
2. Gegen böse Geister. Wenn die Sonne sehr heiss brennt, laufen
die bösen Geister herum. Zum Schutze bindet man ein Korn dieses
Harzes mit einem Tuch an das linke Handgelenk, nicht ans rechte,
sonst kommt der Geruch in die Speisen. (Die Nahrung wird nur mit
der rechten Hand zum Mund geführt, rechts heisst wa kulia = zum
Essen, links wa kushoto = die Hand, die den After reinigt).
Tangauisi, Wurzel einer von den Wasuaheli gezogenen Blatt¬
pflanze. Bei Kopfschmerz wird die mit Wasser verriebene Wurzel
auf die Stirne gestrichen. Das brennt sehr, aber der Kopfschmerz
geht vorüber.
Kungu, Muskatnuss. Reizmittel. Wenn eine Frau 5 Nüsse mit
Zucker verrührt und mit Wasser trinkt, wird sie betrunken, lärmt und
bekommt ganz rote Augen.
Manjano Gelbwurz. 1. Bei Augenentzündung wird das mit
Wasser verrührte Pulver auf die Augenlider aufgetragen.
2. Bei Schwellungen am Bein wird Gelbwurz mit Wasser auf¬
getragen und das Bein verbunden. Das brennt sehr, aber das Bein
schwillt ab. Ebenso macht man es bei Fingereiterungen (Panaritien).
Papaja. 1. Die Kerne der kürbisartigen Frucht werden ge¬
trocknet, zerrieben und dienen als Arznei gegen den Bandwurm.
2. Die Wurzel des männlichen Papajabaumes dient als Arznei
gegen Tripper.
Mkalia, akazienartiger Baum. Die Wurzel wird rein geschabt
und in Wasser gekocht. Das Wasser wird bei blutigem Durch¬
fall getrunken.
Ukamvi, Strauch am Wege. Der aus den Blättern gewonnene
Thee dient als Arznei gegen Durchfall.
Kimbumburu. Die Wurzel dieses Baumes wird mit Wasser auf
einem Stein verrieben und bei mdudu = Wurm, Panaritium auf den
kranken Finger aufgetragen. Dann bricht der Eiter sehr bald nach
aussen durch und der Finger bleibt gelenkig.
Kilansilansi. Die Asche des Grases wird vermischt mit Rizinusöl,
dazu kommt der gekochte Saft von Zitronen. Das wird in einem
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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2045
Ziegenhorn aufbewahrt. Wenn nun ein Kranker mit Schwellung des.
Beines oder stechenden Schmerzen in der Brust kommt, so wir d
ihm die Haut an der schmerzhaften Stelle leicht eingeschnitten, der
Kranke festgehalten und die Arznei auf die Schnittwunde aufge¬
strichen. Das schmerzt sehr, aber bald sind Schmerz und Schwellung
vorüber. Die Behandlung kostet zuerst 1 Rp = 1.33 M. und nach
der Heilung sind nochmal 2 Rp zu zahlen.
Tangatanga=Lutatanhanga, schlinggewächsartiges Gras, ähnlich
wie unsere Kleeseide. Bei Husten wird das Gras mit Wasser auf einem
Stein zerrieben, mit einem Ei verrührt und auf die Biust gestrichen.
Das zieht die Haut stark zusammen. In der Nacht muss der Kranke
dann nicht husten. Am andern Morgen wird die Arznei abgewaschen
und frisch aufgetragen. Das wird 4 T age lang gemacht, dann erfolgt
Lusuagamenhe, Wurzel einer knöterich-ähnlichen Pflanze, wiid
bei Zahnschmerz auf einem Stein zerrieben und in den schmerzhaften
hohlen Zahn gegeben. In der Nacht ist der Kranke frei von Schmerz
und am andern Tag geht der Zahn von selbst aus.
Die stickstoffreichen Knollen, Ulanga, dieser Pflanze dienen zum
Stärken der Kleider. , x . , ., ,
Mtomokwe. Wenn jemand Gift bekommen hat , wird ihm der
aus der Wurzel bereitete Thee gegeben. Darnach hat er reichlich
blutigen Stuhlang und bleibt gesund.
Tula die Frucht des Nachtschattengewächses lunguja, wird
in heisse Asche gelegt, bis sie weich ist. Dann wird sie ausgehohlt,
dass die wurmkranke Fingerkuppe hineinpasst. Die Hand wird hoch¬
gebunden und die über den Finger gesteckte Frucht bewirkt, dass
die Eiterung bald nach aussen durchbricht.
Diese Frucht gilt als Schutzmittel gegen Krokodile und wird
beim Durchschreiten der Flüsse in der Hand gehalten.
Muharaka. Die Wurzel des Baumes wird gekocht und das
Wasser von den Frauen zum Zweck der Fruchtabtreibung getrunken.
Die Arznei schmerzt sehr, der Stuhlgang wird blutig. Das Kind ist
schwarz verfärbt. Wenn das Kind schon gross war, stirbt auch die
MUttFalls diese Arznei nichts helfen sollte, wird Schiesspulver in
Wasser zerrieben und getrunken; nach 8 Stunden ist das Kind
R£ °Muhungilo. Die Blätter und Wurzeln werden in verschiedenen
Töpfen gekocht. Der Thee aus den Wurzeln wird von der Frau, die
gebären will, getrunken, der Blätterthee wird an der Hütte nieder¬
gesetzt. Dann geht die Geburt leicht von statten. . , . ,
Pamba, Baumwolle. Manche Brustkranke, die sich einer sehr
schmerzhaften Behandlung unterziehen mögen, lassen sich mit
brennender Baumwolle lauter Brandwunden auf Brust und Rucken
erzeugen.
III. Animalische Heilmittel.
Maziwa ya bibi, Frauenmilch wird als Arznei gegen den schaifen
Saft der Candelaber-Euphorbie ins kranke Auge gegeben. Darnach
hört der Schmerz auf. ... .
Mavi ya tembo, Elefantenkot. Dient mit Wasser verrührt zur
Waschung von Geisteskranken, die dadurch genesen.
Wird, mit Wurzeln zu einem Thee gekocht und dieser von
Frauen getrunken, um den Eintritt der Schwangerschaft zu be-
schleunigen.
Mavi ya fist Hyänenkot. Die Hyäne kann Tag und Nacht gehen
ohne zu rasten. Wenn jemand schlecht gehen kann, macht er sich
über der Kniescheibe und über den Fussknöcheln beider Beine einen
Zirkulärschnitt und reibt den Kot der Hyäne da hinein. Dann kann
er laufen ohne müde zu werden. Viele Träger machen sich diese
A rznei
Mavi ya ngaua, Kot der Zibetkatze. Arznei für unruhige Kinder.
Das Tier geht nur wenig und schläft sehr viel. Der Kot wird ge¬
röstet und in die leicht geritzte Stirn- und Nackenhaut des Kindes
eingerieben. Die Wurzeln, auf denen das Tier gelegen hat^. weiden
mit dem Brei, den das Kind zu essen bekommt, gekocht. Dadurch
wird das Kind still und läuft nicht mehr weg.
Mboo ya tobe, Penis des Riedbock. Wenn jemand impotent ist,
macht ihm der Arzt aus diesem und anderen Sachen eine Suppe.
Wenn der Kranke schlau ist, trinkt er wenig von der Arznei und
bezahlt den Arzt, sobald die Impotenz verschwunden ist. Wenn er
die ganze Suppe trinkt, bekommt er einen ganz grossen Hodensack,
dann hilft keine Arznei und der Kranke muss sich vom weissen Arzt
den Hodensack wegschneiden lassen.
Kaoli, Kaurimuscheln, werden in den Saft von Limonen gelegt
und an die Sonne gestellt. Nach 2 Stunden sind die Muscheln ver¬
schwunden, von der Säure aufgezehrt. Diese Arznei wird bei
Kichocho = eitrigem Tripper getrunken und der Kranke ist rasch
gesund. . ,
Kola. Das Haus dieser Schnecke dient als Arznei gegen harten
Schanker. Es wird zu Pulver verbrannt, der Kranke festgehalten
und das Pulver auf die Wunde gestreut. Das schmerzt vom Morgen
bis zum Abend. 6 Tage bleibt die Wunde unberührt, am siebenten
wird sie gereinigt. In der Zeit trinkt der Kranke auch das im Wasser
verrührte Pulver dieses Schneckenhauses, damit die im Körper be¬
findliche Wurzel der Krankheit absterbe.
Referate und Bücheranzeigen.
E. Krompecher - Ofen-Pest : Kristallisation, Fermen¬
tation, Zelle und Leben. Eine biologisch-philosophische Studie.
88 Seiten mit 40 Figuren im Text. Verlag von J. F. Berg¬
mann - Wiesbaden, 1907. Preis 2.40 M.
Die vorliegende Broschüre verdankt ihre Entstehung mor¬
phologischen und literarischen Studien, zu welchen Verfasser
zuerst durch Untersuchungen über mehrfache indirekte Kern¬
teilung bei Tier- und Pflanzenzellen angeregt wurde. Der Ver¬
fasser fand nämlich die Kernspindeln und I ochterkerne ent¬
sprechend den Kanten und Spitzen eines Tetraeders, Oktaeders
und Hexaeders angeordnet und suchte auf Grund dieser Be¬
funde nach Beziehungen zwischen Kristallisation und Leben,
zwischen anorganischem und organischem Geschehen. Dazu
regten ferner im Pasteur sehen Institut zu Paris vom
Verfasser angestellte Versuche an, welche ergaben, dass
Tuberkulose auch durch sicher abgetötete Tuberkel¬
bazillen erzeugt werden kann. Der Wunsch, die Be-
rührungs- und Trennungspunkte zwischen Leblosem und
Lebendem festzustellen und auf die Fragen der Er¬
scheinung, Entstehung und Deutung des Lebens überhaupt ein¬
zugehen, entsprang aus alledem.
Das Thema wird in vier Kapiteln — Beziehungen zwischen
Leben und Tod — Kristallisation, Zelle und Leben — Fermen¬
tation, Zelle und Leben — Erscheinung, Entstehung und Deu¬
tung des Lebens — behandelt.
Im ersten Kapitel werden die in der Biologie angenom¬
menen Beziehungen zwischen Leben und Tod rekapituliert und
dadurch ein Schema und Anknüpfungspunkte für weitere Be¬
trachtungen gewonnen.
Im zweiten Kapitel kommt der Verfasser insbesondere aut
Grund der neueren Versuche von Bütschli, Quincke und
Lehmann zu dem Ergebnis, dass in morphologischer Be¬
ziehung weder die Erscheinung der Kristallisation für das Leb¬
lose, noch das Vorhandensein von Zellen für das Leben absolut
charakteristisch ist und so einer dieser morphologischen Be¬
funde an und für sich als Kriterium des Lebenden und Leblosen
gelten kann.
Aus den älteren Versuchen von Claude-Bernard und
Pasteur und den neueren von Büchner und vielen andern
schliesst der Verfasser im dritten Kapitel, dass auch die Fer¬
mentation als chemischer Prozess nichts weniger als ein all¬
gemein charakteristisches Merkmal des Lebens darstellt.
Im letzten Kapitel, das viel mit Philosophie durchsetzt ist
und in welchem das teleologische Prinzip eingehend behandelt
wird, spricht der Verfasser auf Grund seiner bisherigen Dar¬
legungen die Ansicht aus, dass ausser dem biologisch und
mechanistisch Deutbaren vom Leben noch die inneren Er¬
scheinungen übrig bleiben, welche sich in der Anpassung, Er¬
haltung, in den psychischen Fähigkeiten des Lebens äussern,
welche aber nicht zu erforschen, nicht zu deuten sind.
Der Verfasser tröstet schliesslich mit Goethes Worten,
dass die höchste Befriedigung doch sei, „das Erforschliche
erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren“,
gelangt aber doch, sich etwas widersprechend, zu dem ganz
allgemeinen philosophischen Standpunkte, dass duichgi eifende
Unterschiede zwischen Lebendem und Leblosem, organischem
und anorganischem Geschehen nicht bestehen.
Zieht man das Fazit aus den Darlegungen des Verfassers,
so verdient besonderes Interesse das 1 atsächliche, was von
seinen Untersuchungen über mehrfache Kernteilung, Betrach¬
tungen darüber und über seine Tuberkuloseversuche mitgeteilt
wird; dass das Vorgestellte und seine philosophischen Er¬
örterungen darüber wesentlich Neues zur Lösung des Problems
über Ursprung und Wesen des Lebens ergeben hätten, kann
Referent nicht finden; mit Philosophie macht man eben keine
Biologie. Immerhin regt aber das Buch, im ganzen genommen,
in vielfacher Weise zu interessanten Betrachtungen an.
K. Bü r k e r - Tübingen.
Hans Schmaus: Grundriss der pathologischen Ana¬
tomie. VIII. Auflage, neu bearbeitet und herausgegeben von
Dr. Gotthold Herxheimer, Prosektor am städtischen
Krankenhaus zu Wiesbaden, mit 313 Textfiguren und /9 rar-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
bigen Abbildungen auf 47 Tafeln. Wiesbaden. Verlag von J. F.
Bergman n, 1907.
Es berührt gewiss alle Freunde des S c h m a u s sehen
Lehrbuches tief schmerzlich, dass die neue Auflage des Werkes
nicht mehr von dessen Schöpfer, welcher inzwischen durch den
Tod seinen Freunden und der Wissenschaft entrissen worden
ist, herausgegeben werden konnte.
Um so dankbarer ist es anzuerkennen, dass Herx¬
heim e r die neue Auflage völlig im Geiste von Schmaus
gehalten hat, wenn auch entsprechend den Fortschritten der
Wissenschaft mehrere Kapitel, wie z. B. über die Entzündung,
die Pathogenese und Aetiologie der Gewächse und andere eine
Umarbeitung erfahren mussten und auch viele andere Ab¬
schnitte in mancher Hinsicht einer Ergänzung und teilweiser
Neubearbeitung bedurften. Aber an dem von Schmaus als
obersten Leitsatz aufgestellten Bestreben, das Schwergewicht
in der Darstellung auf die wichtigen Prozesse zu verlegen und
weniger wichtige Kapitel kurz zu behandeln, hat auch Herx¬
heim e r festgehalten und damit dem Werke einen Vorzug
bewahrt, welcher es als Grundriss für den Gebrauch der Stu¬
dierenden besonders geeignet erscheinen lässt. Nur so war es
auch möglich, den neuen Errungenschaften auf dem Gebiete der
allgemeinen Pathologie und der pathologischen Anatomie ge¬
recht zu werden, ohne den Text um mehr als nur 70 Seiten zu
vermehren.
Sehr erfreulich ist es, dass dem Werke 50 neue Abbil¬
dungen beigegeben wurden, welche zum leichteren Verständnis
des Textes wesentlich beitragen.
Es ist nicht zu zweifeln, dass der Schmaus sehe Grund¬
riss auch in Zukunft sich der gleichen Beliebtheit bei den
Studierenden erfreuen wird, wie bisher. G. Hauser.
Dr. M. Reichardt, Privatdozent für Psychiatrie, Würz¬
burg: Leitfaden zur Psychiatrischen Klinik. Gustav Fischer,
Jena 1907. 74 Abbildungen. 206 Seiten. Preis geb. 6 M.
Das Buch hat vieles Gute und viel, was wenigstens für die
gewöhnlichen Sterblichen recht auffallend ist. Das Gute ist
folgendes: Alles, was der Verf. sagen will, ist sehr klar und
pointiert dargestellt. Verf. zeigt auch eine zwar scharfe, aber
im Ganzen recht erfreuliche Kritik herrschender Meinungen da,
wo die Wissenschaft die Neigung hat, ohne genaue Prüfung ein¬
mal üblich gewordene Ansichten nachzusagen. Auch sonst
wird manches sehr wertvolle geboten; Ref. möchte
namentlich auf den Abschnitt über die Neurosen verweisen,
ohne damit alles dort ausgeführte zu unterschreiben.
Vom Auffallenden können wir nur eine kleine Blütenlese
geben. Verf. wendet „die Haupttugend des Psychiaters“, das
Misstrauen, das er auf anderer Ansichten in so reichlichem
Masse ausgiesst, bei seinen eigenen Ausführungen entschieden
zu wenig an. Statt Beweise für seine Ansichten zu geben,
wählt er das leichtere, die gegenteiligen Ansichten anderer als
ungenügend fundiert darzustellen, worauf er mit einem lo¬
gischen Salto mortale seine eigene Meinung für bewiesen hält.
Es finden sich selten in einem meiner Bücher so viel Frage¬
zeichen und Ausrufzeichen als Marken unbewiesener Be¬
hauptungen, wie in diesem Leitfaden. Es ist nun denkbar,
dass Verf. in der Lage ist, seine Aufstellungen zu erhärten,
dann wäre es für die Wissenschaft sehr wertvoll, wenn er es
recht bald täte. Da schreibt Bruce ein Buch, in dem er ge¬
stützt auf mehrjährige sehr fleissige Studien nachgewiesen
haben will, dass eine Anzahl der akuten Zustände, die wir der
Dementia praecox zuteilen, auf Infektion beruhen, und der letzte
Kongress der Psychiater französischer Zunge widmete der
Frage einen schönen Teil seiner Kraft. Verf. weiss aber, dass
die Infektion hier keine Rolle spielt. — Regierungen und
Hunderttausende altruistischer Menschen geben sich ver¬
zweifelte Mühe, den Alkoholismus zu bekämpfen; das ist ganz
unnütz, denn Verf. weiss, dass der Kampf hoffnungslos ist.
Psychologisch interessant wäre es u. a. auch, wenn bewiesen
wäre, dass wirklich die Epileptiker „gewöhnlich“ ein höheres
Lebensalter erreichen; es gibt nämlich Leute mit Erfahrung, die
das Gegenteil meinen; wie sind die zu dem Irrtum gekommen?
— Es gibt nach Verf. keinen ätiologischen Zusammenhang
zwischen Geschlechtsfunktion und Psychosen, ja wie es scheint
auch den Neurosen; wie viel Sorgen der Kranken, wie viel
Arbeit der Gelehrten und behandelnden Aerzte könnte Verf.
ersparen, wenn er dieser Ansicht Glaubhaftigkeit gäbe. Und
so weiter.
Wohl infolge des Misstrauens gegen alles, was nicht
aktenmässig festzustellen ist, legt Verf. auf die körperlichen
Zustände der Geisteskranken oder auf normale oder krank¬
hafte anatomische Verhältnisse ein sehr grosses Gewicht, ein
so grosses, dass er in dem kurzen Kompendium Raum findet
für das Zuckungsgesetz, dass er sogar Rückenmarksschnitte
reproduziert und eine Wage zum Wägen widerspenstiger Pa¬
tienten nicht nur empfiehlt, sondern abbildet. Er meint aller¬
dings, bei ungenügend essenden Kranken sei die tägliche
Wägung notwendig; glücklicherweise ist eine solche Quälerei
aber sehr leicht zu umgehen, wenn man sich geübt hat, den Er¬
nährungszustand ohne solche Pseudoexaktität zu schätzen.
Verf. braucht aber die Wage auch notwendig zur Diagnose
der Mikrozephalie. Im Gegensatz zu der sonstigen über¬
triebenen Neigung zu physikalischen Methoden findet Verf. be¬
sondere Instrumente für die Pupillenuntersuchung unnötig;
gerade hier könnte aber die Untersuchung der psychischen
Reflexe, die ohne Instrumentarium bis jetzt nicht möglich ist,
für die Diagnose sehr wichtig werden.
Den Raum für seine anatomischen und kritischen Er¬
wägungen findet Verf. dadurch, dass er auf alles Psychologische
verzichtet. Es hat das seinen didaktischen Vorteil, denn leider
Gottes ist die Vorbildung unserer Mediziner in dieser Be¬
ziehung so schlecht als möglich. Aber, wenn es alle Leute so
machen wollten, so wäre es bald aus mit den Fortschritten der
Psychiatrie. Des Verf. Versuch, die Wahnideen zu definieren,
ist verunglückt, indem die Definition auch Irrtum und Aber¬
glauben aller Art einschliesst. Der höchste im Buche vor¬
kommende psychopathologische Begriff ist wohl der der
„Ideenflucht“; leider ist aber auch dieser gar nicht beschrieben
und doch beruht auf der richtigen Kenntnis dieser Symptome
in erster Linie die Diagnose der manischen Zustände. So
kann es denn kommen, dass beim „Schwachsinn“ das Gedächt¬
nis schlecht ist, dass der epileptische Schwachsinn, der sich so
sehr von allen andern Arten von Schwachsinn unterscheidet
ohne ein einziges Wort der Charakterisierung angeführt wird,
dass man zur Unterscheidung der Paralyse von der Idiotie die
Schulzeugnisse braucht u. dgl, während für den psychologisch
Geschulten die beiden Formen von „Schwachsinn“ sich so gut
von einander unterscheiden wie ein Stiefel von einem Tinten-
klex, obschon diese beiden Dinge schwarz sind.
So ist es selbstverständlich, dass Verf. auf die Diagnose
keinen grossen Wert legen kann; er stellt ihr die Prognose
voran; das wäre praktisch ganz schön, wenn nur das eine ohne
das andere möglich wäre.
Die Systematik ist denn auch eine sehr einfache; sie ent¬
fernt sich insofern nicht weit von K r ä p e 1 i n, als Verf. die
einfachen Formen von Manie und Melancholie nur durch den
Verlauf von den periodischen und zyklischen unterscheidet, und
als er dieVerblödungsformen als Dementia Simplex oder praecox
zusammenfasst. Immerhin ist bei ihm die Krankheitseinheit
etwas anderes als bei Kräpelin, wie er auch den Begriff
der Geisteskranken oft ersetzt durch den des „Objekts der
Psychiatrie“. Die Paranoia nimmt einen sehr grossen Um¬
fang an, nicht nur in der Richtung der paranoiden Formen der
Dementia praecox, sondern unerwarteter Weise auch in der-
Richtung der Pseudologie und der Hysterie. Verf. will in der
Psychiatrie ohne den Begriff der Hysterie auskommen, die
hysterischen Dämmerzustände wird er, wenn ich ihn recht ver¬
standen habe, zur Paranoia rechnen. Bleuler- Burghölzli.
Dr. Hugo Marx: Praktikum der gerichtlichen Medizin.
Ein kurzgefasster Leitfaden der besonderen gerichtsärztlichen
Untersuchungsmethoden nebst einer Anlage: Gesetzesbestim¬
mungen und Vorschriften für Medizinalbeamte, Studierende
und Kandidaten der Kreisarztprüfung. Mit 18 Textfiguren.
Berlin 1907. Verlag von Aug. H i r s c h w a 1 d. 146 Seiten.
Preis 3.60 M.
Der vorliegende kleine Leitfaden ist in erster Linie ge¬
schrieben für die J eilnahmer an den (in Bayern nicht üblichen)
praktischen Kursen der gerichtlichen Medizin; die darin be¬
handelten Untersuchungsmethoden sind wohl auch in den grös-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2047
seren Handbüchern und event. in besonderen Arbeiten ent¬
halten, indessen bringt das vorliegende Werkchen eine recht
zweckmässige, zusammenfassende Darstellung dieser Me¬
thoden. Die einzelnen Kapitel betreffen : Blut-, Sperma¬
nachweis, Haaruntersuchung, Anmerkungen
und Tabellen zur Untersuchung von Leichen
und L e i c h e n t e i 1 e n mit einem Anhang über einige Unter¬
suchungen an Lebenden (Jungfräulichkeit und Gonorrhoenach¬
weis). In der Anlage schliessen sich zusammengestellt die
gesetzlichenBestimmungenundVorschriften
für den gerichtsärztlichen Sachverständigen und seine Tätig¬
keit an. , ...
Verkehrt scheint es dem Referenten zu sein, dass M. in
sein Büchlein, das doch in erster Linie für L e r n e n d e ge¬
schrieben ist, beim Kapitel der forensischen Blutuntersuchung
eine ganz veraltete und zum Teil falsche Terminologie beifügt,
sie wäre besser weggeblieben oder hätte dem heutigen Stand
der Immunlehre Rechnung tragen müssen; so ist z. B. Alexin
doch synonym mit Ambozeptor und nicht mit Komplement, auch
der letztere Begriff ist heute ganz anders zu definieren! Direkt
falsch ist es, wenn M. beim Präzipitations- und Agglutinations¬
vorgang die Mitwirkung eines Komplements lehrt. Nur die
Zytolysine bezw. Zytotoxine sind Rezeptoren III. Ordnung und
daher eines Komplements bedürftig, dagegen sind Präzipitine
und Agglutinine (die eher als Synonym aufgefasst werden
könnten) Rezeptoren II. Ordnung. Es gibt in der Immunlehre
nur eine Terminologie und diese gilt ebenso für die Bak¬
teriologie wie für den forensischen Blutnachweis; geht man da¬
von ab, so wird der Lernende beim Lesen anderer Arbeiten nur
verwirrt!
Abgesehen von diesem nebensächlichen Fehler aber mag
das vorliegende Büchlein seinem direkten Zweck, ein Leitfaden
beim gerichtl.-mediz. Praktikum zu sein, wohl vollauf ent¬
sprechen, ja Ref. glaubt sicher, dass sich auch mancher ge-
richtsärztl. Sachverständige bei Ausübung seiner 1 ätigkeit des
Büchleins gerne bedienen wird. H. Merkel- Erlangen.
K. Wiek: Ueber Simulation von Blindheit und Schwach¬
sichtigkeit und deren Entlarvung. II. Aufl. bearbeitet von A.
Roth, Generaloberarzt. Mit 32 Abbildungen. Berlin 1907.
Verlag von S. K a r g e r. Preis 3 Mk.
Das 1901 erschienene Wiek sehe Buch enthielt nach be¬
stimmten Gesichtspunkten geordnet alles, was von Veröffent¬
lichungen über Simulation von Blindheit und Schwachsinnig¬
keit vorlag. Die zweite von Roth besorgte Auflage berück¬
sichtigt die seitdem erschienenen neuen Arbeiten und bietet
neben einer Ergänzung des Literaturverzeichnisses entspre¬
chende Kürzungen und Aenderungen des Textes. Ebenso hat
die Darstellung des Gegenstandes wie durch prägnanteren Aus¬
druck so wesentlich dadurch gewonnen, dass Roth, bestrebt,
der speziellen Darlegung einer Frage eine allgemeine Orien¬
tierung vorauszuschicken, einzelne Umstellungen des Textes
vorgenommen hat. So sind u. a. die allgemeinen Regeln für die
Untersuchung bei Simulationsverdacht in veränderter Form an
den Anfang der Abhandlung gestellt. Auch die einleitenden
Bemerkungen über die strafgesetzlichen Beziehungen der
Simulation sind als eine wertvolle Ergänzung zu begrüssen.
Das Werkchen in seiner neuen Gestalt, zu dessen Herausgabe
Roth als ein auf diesem Gebiete besonders erfahrener Fach¬
mann hervorragend berufen war, verdient die vollste Be¬
achtung des Praktikers. Lohmann.
Gynaecologia Helvetica. 7. Jahrgang, Genf, Buchhandlung
Kündig. 359 Seiten. Preis 5 Franken.
Die im 7. Jahrgang vorliegende Gynaecologia Helvetica
verzeichnet als Neuheit eine Reihe von Mitarbeitern auf ihrem
Titelblatte: Aubers, Bastian, Bet rix, Naegeli in
Genf, Burckhardt-Socin in Arosa, Chassot in Fre>-
burg, Felle nberg in Bern, De laHarpein Vevey, Lab-
h a r d t und N i e b e r g a 1 1 in Basel, Meyer-Rueg in
Zürich, Sutter in St. Gallen. Ein weiteres Novum ist der
Umstand, dass die Arbeiten der Westschweizerischen Aerzte
in französischer Sprache referiert werden. Der Herausgeber
mahnt die Gynäkologen der deutschen Schweiz, als moralische
Verpflichtung an die Gründung einer „Geburtshilflich-gynä¬
kologischen Gesellschaft der deutschen Schweiz“ zu denken,
dann sei auch der Tag nicht mehr fern, an dem man die
Schweizerischen Frauenärzte unter dem Banner einer „Schwei¬
zerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie ver¬
einigt sehen werde. Dem verstorbenen Professor J e n t z e r
soll im nächsten Jahrgang eine eingehende Biographie ge¬
widmet werden, weil bis dahin die von ihm eingerichtete
Universitäts-Frauenklinik den Lesern vorgeführt wird. 60 Ab¬
bildungen im Text und 7 Tafeln, sowie die Porträts des Pro¬
fessor Dr. V u 1 1 i e t und Dr. Jean Jacques M a n g e t (1652 bis
1742) bereichern den Band, der in übersichtlicher Weise alles
interessante auf’ geburtshilflich-gynäkologischer Basis bringt:
Originalarbeiten, Mitteilungen aus ärztlichen Gesellschaften, aus
der Praxis und aus Krankenhäusern, Dissertationen, Berichte
über ausländische Literatur, Ernennungen, Hebammenzeitungen,
therapeutische und instrumentelle Notizen, denen sich auch Mit¬
teilungen aus dem Gebiet der Veterinärgeburtshilfe und Gynä¬
kologie angliedern. G. Wiener- München.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Heilkunde. Herausgegeben von Kretz
in Wien. XXVIII. Bd. (Neue Folge, VIII. Bd.) Jahrg. 1907.
Heft 9.
Bucura: Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Geni-
tals. (Aus der Klinik von Chrobak.)
Artfremde Ovarien. Kaninchen oder Meerschweinchen rmplan-
tiert, heilen ein und können sogar funktionieren, indem sie Follikel
zur Reife bringen und die Kastrationsatrophie des Uterus aufhalten.
Die Geschlechtsdrüse des männlichen Tieres vermag dagegen die
Kastrationsatrophie des Uterus nicht aufzuhalten. (Die Jiansplan-
tation des Hodens auf ein weibliches Tier ist möglich und es können
danach sogar Spermatozoen gebildet werden.) Auf den Stoffwechsel
des kastrierten weiblichen Tieres scheint der implantierte Hoden von
Einfluss zu sein. Es ergab sich nämlich, dass die nach Kastration
einsetzende Gewichtszunahme unter den Mittelwerten blieb, wenn
Hoden implantiert wurden.
Die Verabfolgung von Ovarin nach Kastration hatte nicht den¬
selben Erfolg, wie die Ovarialimplantation, auch dann nicht, wenn
artgleiches Ovarin verwendet wurde, die Kastrationsatrophie des
Uterus tritt dennoch auf, wenn auch in etwas anderer Form als
ohne Ovarindarreichung. Allerdings ^zeigte sich auch hier ein Eintluss
auf den Stoffwechsel, indem eine viel geringere Gewichtszunahme
festgestellt wurde als nach einfacher Kastration. Ueber raschem!
wirkte das Ovarin auf normale, nichtkastrierte Tiere: die Ovarial-
follikel zeigten schwere Schädigung oder völligen Untergang. Je¬
doch scheint es sich nur um einen vorübergehenden Schaden zu han¬
deln und der Organismus sich an das Ovarin zu gewöhnen, wobei
aus den intakt gebliebenen Primärfollikeln frische zur Reite ge¬
langen. , . , . .
Die die Uterusatrophie aufhaltende Substanz scheint einzig an
die Follikel, nicht an die übrigen Ovarialbestandteile gebunden zu
rj Bändel- Nürnberg.
Archiv für Gynäkologie. Bd. 82. Berlin 1907.
Der Band erscheint als Festschrift, Geheimrat Franz v. Winckel
zu seinem 70. Geburtstag gewidmet von seinen Schülern, und ist
mit v. W i n c k e 1 s Bild geziert.
1) Osterloh- Dresden : Die Bauchhöhlendrainage bei Ad¬
nexoperationen. „ , .. , , , ,
In 142 Fällen wurden die erkrankten Gebarmutteranhange ent¬
fernt und zwar stets durch Laparotomie; in 61 dieser Fälle wurde
die Bauchhöhle drainiert mit sterilisierter Xeroformgaze. Von den
drainierten Kranken sind 6 gestorben, von den mchtdraimerten 1.
2) H. Lindner: Appendizitis und Gravidität. (Aus der 1. chi¬
rurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses Friedrichstadt zu Iies-
deil'Eine Anzahl von eigenen Beobachtungen zeigen, dass die Aus¬
sichten für Schwangere der letzten Monate, die an Appendizitis er¬
kranken, keine sehr guten sind. Die Indikation zur Operation bei
chronischer Appendizitis und im Intervall ist von Fall zu Fall zi
stellen. _
3) A. Mer mann: Wie verlaufen therapeutisch unbeeinflusste
fieberhafte Wochenbetten? (Aus dem Wöchnerinnenasyl in Mann-
h 6 1 m )
M. berichtet über 8700 Entbindungen aus den letzten 20 Jahren.
Alle diese Geburten wurden konsequent nach denselben Gesichtspunk¬
ten für Prophylaxe und Therapie behandelt. Fiebernde Wöchnerinnen
werden in keiner Weise lokal behandelt und überhaupt nicht oder
fast nicht irgend einer therapeutischen kausalen odei symptoma¬
tischen Behandlung unterzogen. Von den in der Anstalt pei vias
naturales Entbundenen starben an Sepsis 7 Frauen — 0.0, Pro/y.
werden alle Aufnahmen gerechnet, so ergaben sich L Sepsistodesfal e
auf 9054 Entbindungen = 0,13 Proz.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. *41.
4) Otto Engstroem: Zur Entstehung von grossem intraperi¬
tonealem Bluterguss bezw. von Hämatozele durch Blutung aus einem
Corpus luteum.
Abgekapselte Blutmasse hinter dem Uterus, den grössten Teil
des kleinen Beckens ausfüllend. Laparotomie. Schwangerschaft lag
nicht vor. Die grosse Blutung stammte aus dem Ovarialgewebe,
bezw. aus dem neugebildeten Gewebe, das ein gut gebildetes Corpus
luteum nach aussen hin umgab. Ursache der Blutung nicht festzu¬
stellen.
5) Franz v. Neugebauer - Warschau: Ein neuer (dritter) Bei¬
trag zur Frage der unabsichtlich sub operatione im Körper zurück¬
gelassenen Fremdkörper (Tupfer, Kompressen, Instrumente etc.).
Die Arbeit dient der Frage bezüglich des Rechtsschutzes der
Aerzte gegen unlautere Angriffe. Interessante Kasuistik.
6) Dionys v. S z a b 6 - Kolozsvar: Fälle von vorgeschrittener
ektopischer Schwangerschaft.
Im Jahre 1904 kamen fünf Fälle von vorgeschrittener ektopischer
Schwangerschaft zur Operation; in drei Fällen hatten die deutlich
beobachteten Kindsbewegungen wieder aufgehört und war die Zeit
der erwarteten Niederkunft überschritten worden. Eine Frau starb,
sie wurde 6 Monate nach dem Absterben der Frucht operiert. Man
soll auch nach dem Absterben der Frucht operieren, ehe noch der
Früchtsack den Organismus schädigt (Eiterung).
7) Richard K 1 e m m - Dresden: Zur Biologie des natürlich ge¬
nährten Säuglings.
Drei Brustkinder derselben Familie, von der Mutter genährt.
Nahrungsmengen. Spätere Entwicklung. Einige Vergleiche mit der
Biologie der Haussäugetiere. Die 3 Kinder wurden je etwas über
ein Vierteljahr ausschliesslich an -der Brust genährt.
8) I i tt e 1 - Zittau: Ueber einen seltenen Fall von Echinokokkus
der Gebärmutter und der Eierstöcke.
Beide Ovarien waren etwa kindslkopfgross, mit Echinokokkus¬
blasen gefüllt; der Uterus entsprach an Grösse einer Schwanger¬
schaft von etwa 30 Wochen, er war mit Echinökoklkusblasen gefüllt,
die auch die Wand durchsetzten. Supravaginale Amputation; Exitus
am 6. Tage.
9) H.. Koller -iA e b y - Winterthur : Ein angeborenes Herz¬
divertikel in einer Nabelschnurhernie.
Die Frucht lebte 3 Stunden; die Nabelschnur war nur ca. 13 bis
15 cm lang.
10) Ludwig Pi nc us -Danzig: Wichtige Fragen zur Sterilitäts¬
lehre.
In 491 Fällen von Sterilität wurden beide Ehegatten untersucht;
in 12,5 Proz. bestand dauernde Azoospermie; in 7,5 Proz. dauernde
Oligospermie; in 2,6 Proz. dauernde Nekrospermie; in 1,4 Proz.
Impotentia coeundi. Also beruhte die Sterilität in 24,4 Proz. auf
direktem Anteil des Mannes, dazu kamen noch 15,8 Proz. als in¬
direkter Anteil des Mannes durch U-ebertragung der Gonorrhöe. Die
völlige Aufklärung beider Ehegatten über die Ursache der Sterilität
muss unser Ziel sein.
l) M. J a f f e - Frankfurt a. M.: Die peritonitischen Erkrankungen
im Menstruationsstadium.
Peritonitische Erkrankungen im Menstruationsstadium sind keine
grossen Seltenheiten. 4 Sektionsprotokolle, 1 Krankengeschichte.
12) M. Stumpf: Beitrag zur Kenntnis der Beeinflussung der
Kopfform durch die Geburtsvorgänge.
Messungen mit biegsamem Bleidraht ergaben, dass für die Stärke
der Konfiguration vor allem die individuelle Nachgiebigkeit des Kopfes
und erst in zweiter Linie die Dauer und Stärke des während der
Oelunt einwirkenden Druckes von ausschlaggebendem Einfluss ist.
Messungen, um die Beeinflussung des Schädelprofils zu bestimmen.'
13) Walter Rühle: Zur Berechtigung der Hebotomie. (Aus der
Rheinischen Provinzial-Hebammen-Lehranstalt in Elberfeld )
Bericht über 4 Fälle, ein Kind starb, das Wochenbett war bei
allen Müttern fieberhaft. In drei Fällen kam es zu erheblichen Ge¬
burtsverletzungen, darunter einmal mit bedrohlicher Blutung das
andere Mal mit schweren Läsionen von Harnröhre, Blase und Scheide
und Dammriss III. Grades. Nach der Hebotomie ist die spontane
Geburt abzuwarten.
14) Kynoch-St. Andrews-Universität (Schottland): Zwei
Fälle von malignem Fibromyom des Uterus.
Fall von Adenokarzinom der Uterusschleimhaut bei interstitiellem
Fibromyom und Fall von Sarkom in Fibromyom.
15) Fritz Cahen-Köln: Zur Operation der Nabel- und Bauch¬
bruche.
. Lappenplastik; der Lappen wird aus der vorderen Rektusscheide
genommen und über die Bruchpforte geschlagen. 7 Krankenge¬
schichten.
16) L. F. D r i e s se n - Amsterdam: Ueber Glykogen in der
Plazenta.
Untersuchungen an 4 verschiedenen Stadien der Plazentation des
Kaninchens und an menschlichen Plazenten der verschiedensten Ent¬
wicklungsstufen. Untersucht wurden die Uterusdrüsen, die Dezidua-
zellen. die Deriphere Schicht, die L a n g h a n s sehen Knoten, das
Synzytium (in allen Stadien glykogenfrei), die L a n g h a n s sehen
Zellen, das Chorionbindegewebe und das Amnion. In einem gewissen
Stadium (3. — 6. Woche) ist das menschliche Ei wie das des Ka¬
ninchens und der weissen Maus von einer Schicht glykogenreichen
Gewebes umgeben.
17) Otto F a 1 k - Hamburg: Ueber die Bedeutung der Phleb¬
ektasien und ihrer Folgezustände für den Frauenarzt.
Anatomie (mechanische, entzündliche) Entstehung der Phleb¬
ektasien. Blutgeschwülste der äusseren Geschlechtsorgane und der
Scheide. Phlebektasien des Uterus und seiner Adnexe und im Li¬
gamentum latum. Klinische Beispiele mit der Therapie.
18) Ludwig S e e 1 i g m a n n - Hamburg: Neuere Gesichtspunkte
zur Pathologie und Therapie der Osteomalazie.
S. unterscheidet eine ovarielle Form der Erkrankung (zuerst
Erkrankung der Beckenknochen) und eine marastische Form (Verän¬
derungen der Oberschenkelknochen). Zwei eigene Beobachtungen der
ovariellen Form: Vor 15 und vor 4 Jahren Kastration und Streck¬
verband; die eine Frau wurde um 18, die andere um 8 cm grösser.
Bei der ovariellen Osteomalazie besteht nach S. eine Hypersekretion
der Ovarien, er schlägt eine Behandlung mit dem Serum ovarioto-
mierter Tiere vor.
19) L. C o n i t z e r - Hamburg: Erfahrungen aus der Praxis über
Chinin als Wehenmittel.
Erfahrung über 66 Fälle vom 2. Schwangerschaftsmonat bis zum
rechtzeitigen Schwangerschaftsende. Die Wirkung des Mittels ist
„launenhaft , doch ist es in der Eröffnungs- und Austreibungsperiode
für die Praxis als wehenförderndes Mittel wärmstens zu empfehlen.
20) A. H e r z f e 1 d - NewYork: Zur vorzeitigen Ablösung der
normal sitzenden Plazenta.
Bei einer 38 jährigen 6. Para mit beweglichem Kopf über dem
Becken und guten Wehen trat -plötzlich schwerste Blutung aus dem
Uterus ein. Das Kin-d wurde sofort gewendet und extrahiert, mit
dem Kopf entleerten sich sofort die Plazenta und viel Blut aus den
Genitalien. Das Kind war frisch abgestorben. Die Frau machte
ein fieberloses Wochenbett durch. Der Urin enthielt weder Eiweiss
noch andere pathologische Bestandteile.
21) O. S c h a e f f e r - Heidelberg: Ueber Tumorennekrobiosen
als Folgen einer hilusförmigen Gefässversorgung.
Histologische Untersuchungen an einem intraligamentären Fi¬
bromyom. Die H i 1 u s ernährung bringt es zuwege, dass am Hilus
allein die Gewebe produktiv ernährt werden, der periphere Teil aber
der Nekrobiose und endlich der Nekrose verfällt. *
2) Arthur M u e 1 1 e r - München: Ueber die wechselseitigen Be¬
ziehungen zwischen Kopfform und Geburtsmechanismus.
Die Arbeit behandelt die Kopflagen und deren Verhältnisse und
das Verhalten des Kopfes bei der Geburt. Resume: 1. Vor der Geburt
vorhandene hochgradige Dolichozephalie und Brachyzephalie kann
je zu verschiedener Einstellung des Kopfes sub partu -disponieren.
2. Die Einstellung des Kopfes bewirkt im Verlaufe der Geburt eine
für jede Lage charakteristische typische Kopfform. 3. Die -den ver¬
schiedenen Lagen zukommende Kopfform bewirkt die für jede Lage
charakteristische jeweils günstigste Art des Austrittsmechanismus.
4. Die Kopfformen Erwachsener dürften meist nicht als erhaltene
Konfiguration anzusehen sein.
23) S. F 1 a t a u - Nürnberg: Ueber Ovariotomie während der
Schwangerschaft.
Unter 262 Ovariotomien während der Schwangerschaft hatten
27 — 10,3 Proz. eine Unterbrechung der Schwangerschaft zur Folge.
F. rät zur Operation und zwar zur Laparotomie.
24) Max Nassauer - München : Eingebildete Schwangerschaft
und Missed abortion.
Im Anschluss an eine Sondierung des Uterus wurde das seit
Monaten abgestorbene und retinierte Ei als Fleischmole geboren.
Ursache für Missed abortion ist eine Schwäche in der Wehen¬
erregung, _ in- der Innervierung des Uterus, nicht eine mangelhafte
Wehentätigkeit, nicht eine Schwäche in der Uterusmuskulatur. Mit
dem Aufhören des organischen Zusammenhanges von Ei und Uterus
bildet das Ei einen Fremdkörper und es beginnt die eingebildete
Schwangerschaft. \
25) Sigmund Mirabeau - München : Schwangerschaftspyeli-
tiden.
Die Dilatation der Ureteren in der Schwangerschaft wird verur¬
sacht durch den Druck, den die stark geschwollene und verdickte
Blasenschleimhaut auf die Ureterenmiindung ausiibt. Die Schwanger¬
schaftspyelitiden zerfallen im Wesentlichen in 4 Gruppen: Infektion
durch Gonokokken. Eiterkokken, Bacterium coli und -durch Tuberkel,
Jede Gruppe gibt für sich ein wohl charakterisiertes Krankheitsbild,
das sich von dem der anderen Gruppen scharf unterscheidet. Ka¬
suistik über 10 Falle; Tierversuche an Kaninchen und Katzen um zu
nrüfen, auf welchem Wege Kolibazillcn in eine künstlich erzeugte
Hydronephrose einwandern können.
26) Gustav W ie n e r - München: Ein Melanosarkom der Vulva.
Bei einer 55 jährigen 0-Para wurde die etwa markstückgrosse
Neubildung weit im Gesunden entfernt; glatte Heilung. Leistendrüsen
waren nicht zu tasten. Nach 10 Monaten zeigte sich geringe Schwel¬
lung der linken Leistendrüsen, diese wurden entfernt und zeigten auf
dem Durchschnitt schwarze Färbung.
27) Ludwig Seitz: Ueber Hirndrucksymptome bei Neuge¬
borenen infolge intrakranieller Blutungen und mechanischer Hirn¬
insulte. (Aus der Münchener Universitäts-Frauenklinik.)
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2049
Die Arbeit behandelt eingehend die Gehirnschädigungen durch
mechanische Verletzung der Gehirnsubstanz selbst und durch grössere
intrakranielle Blutergüsse und erörtert den Symptomenkomplex der
Hirndruckerscheinungen und die Lokalisation der Blutung. Das Ma¬
terial ist gegliedert in Bälle, die tödlich endigten und in solche, die
in Heilung übergingen. Diagnose und Differentialdiagnose. Operativ¬
therapeutisch ist bei kifratentorialer Blutung nur die Lumbalpunktion
anzuwenden, bei supratentorialer Blutung mit progressiven Hirn¬
drucksymptomen kommt die Eröffnung des Schädels in Frage, die S.
selbst ausgeführt hat.
28) Carl Ho ermann: Ueber das Bindegewebe der weiblichen
Geschlechtsorgane. I. Die Bindegewebsfasern im Ovarium. (Aus dem
histologischen Institut und der Frauenklinik der Universität München.)
H. unterzog das Bindegewebe im gesamten weiblichen üenital-
traktus einer systematischen Untersuchung mittels der B i ei¬
se h o w s k y sehen Methode (Silberimprägnation der Bindegewebs¬
fasern). Bericht über Ovarien verschiedenster Altersstufen.
29) W. H. Morley: Phlebitis femoralis et cruralis post opera¬
tionein. (Aus der geburtshilflichen gynäkologischen Klinik der Uni¬
versität Michigans in Ann Arbor. Dr. Reuben P e t e r s e n, Direktor).
Kurzer Bericht über 11 eigene Beobachtungen. Die Aetiologie
ist unbekannt; die Inkubation dauert 9 — 20 Tage; die linke Vene ist
am häufigsten ergriffen; sehr selten tritt der Tod ein.
30) Franz Cohn: Zur Aetiologie und Therapie der Becken¬
exsudate. (Aus der grossherzoglichen Universitäts-Frauenklinik zu
Giessen.)
Von 58 Fällen von Exsudatbildung im Beckenperitoneum und im
Beckenbindegewebe wurden 35 mit Inzision behandelt, unter diesen
wurde in 28 Fällen die Probepunktion ausgeführt. Seit einiger Zeit
wird die Punktionsflüssigkeit genau bakteriologisch untersucht.
31) Franz Weber: Erfahrungen mit dem B o s s i sehen Dila¬
tator. (Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu München.)
Bericht über 20 Fälle. Erweiterung in 5 — 60 Minuten. Der
Dilatator bewährt sich in allen Fällen, in denen eine Indikation für
schnelle Beendigung der Geburt vorliegt, besonders bei Eklampsie.
32) E. v. S e u f f e r t: Drei Fälle von Kaiserschnitt an der Toten.
(Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik und der Kgl. Hebammenschule
zu München.)
Ein Kind blieb 4 Wochen am Leben, es wog bei der Geburt
1780 g.
33) M. S e m o n - Danzig: Hydrorrhoea amnialis. Graviditas
extramembranosa. Placenta circumvallata.
Die Beobachtung betraf eine 30 jährige III. Para. Die spontan
geborene Frucht lebte, war 32 cm lang und 970 g schwer. Die Pla¬
zenta zeigte kaum noch das Vorhandensein einer Eihöhle, die Ei¬
häute waren ausserordentlich geschrumpft. Vom 2. Schwanger¬
schaftsmonat ab waren Blutungen aufgetreten, vom 5. Monat ab Aus¬
fluss. Der Fötus zeigte Gliederstarre und Pes valgus-Stellung.
34) Prof. Jos. Alb. A m a n n - München : Zur Kenntnis der so¬
genannten Sarkome der Scheide im Kindesalter.
Bei einem P/2 jährigen Kinde bestand seit 5 Wochen Zerfall
der Scheidengeschwulst; gleichzeitige Nephritis. Abdominale Total¬
exstirpation des ganzen Genitaltraktus wurde gut überstanden. In
der Rekonvaleszenz traten Masern auf, Bronchitis, Aufplatzen der
Bauchwunde, peritoneale Infektion, Tod am 9. Tage. Die Unter¬
suchung ergab fibroepitheliale Neubildung. Als Ausgangszunkt kommt
vielleicht ortsfremdes Gewebe in der Scheide (Keimgewebe) in
Betracht.
35) M. W y de r - Zürich: Vier Kaiserschnitte aus seltener In¬
dikation.
A. 3 Kaiserschnitte post mortem, B. 1 Sectio caesarea bei einer
Kretine mit .allgemein verengtem Becken und höchst auffälliger Kon¬
figuration des Kontraktionsringes.
Durch Kaiserschnitt an der Toten wurden 2 lebende Kinder ge¬
wonnen. Im 4. Falle handelte es sich um Konstriktion des kind¬
lichen Halses durch den Kontraktionsring, so dass der fötale Kopf
im gedehnten unteren Uterinsegment lag.
Anton H e n g g e - München
Archiv für Kinderheilkunde. 46. Band. 3. u. 4. Heft.
M. Hohlfeld: Ueber die Bedeutung des Kolostrums. (Aus
der Universitäts-Kinderklinik zu Leipzig.)
Die umfangreiche Arbeit — Habilitationsschrift des Verfassers —
eignet sich nicht zur Wiedergabe in kurzem Auszug.
A. v. Koos: Ueber Pneumokokkenperitonitis im Kindesalter.
(Mitteilung aus dem Stefanie-Kinderspital zu Ofen-Pest.)
K. berichtet über drei eigene Fälle und erörtert im Anschluss
daran das Krankheitsbild, das ziemlich selten ist und häufiger bei
Mädchen als Knaben vorkommt; es kann eine abgesackte und eine
allgemein eitrige Form unterschieden werden, erstere mit ziemlich
guter Prognose; Therapie in allen Fällen operativ, Entleerung des
Eiters und Drainage. Die Ursache ist der F r ä n k e 1 sehe Diplo¬
kokkus, aus dem Eiter leicht in Reinkultur zu züchten.
G. A s c h a f f e n b u r g - Köln: Ueber Epilepsie und epileptoide
Zustände im Kindesalter.
A. spricht sich in seiner interessanten Abhandlung dafür aus,
dass doch möglicherweise ein Zusammenhang zwischen Spasmophilie
und später auftretender Epilepsie besteht, wenn auch von pädiatrischer
Seite zurzeit ein solcher Konnex ziemlich abgelehnt wird. Eine ge¬
wisse Periodizität bei „Ungezogenheiten“, Wutkrämpfen, Verstim¬
mungen etc. des Kindes lässt nach A. den Verdacht auf eine Zu¬
sammengehörigkeit aufkommen. Das Zusammenarbeiten von Pädia¬
tern und Nervenärzten, sowie durch Jahre fortgesetzte Kontrolle der
betreffenden Individuen wäre nötig, um festzustellen, ob nicht spas-
mophile Zustände der Kinder der Ausfluss einer epileptischen Dis¬
position seien. Auch eine Erweiterung des Begriffes der Epilepsie ist
nötig; immerhin wäre der von A. angenommene Zusammenhang beider
Krankheitsbilder nicht nur für die Auffassung der Krampfformen,
sondern auch für die Therapie, namentlich für die Zukunft des betr.
Kindes, von Wichtigkeit.
H. Roeder - Berlin: Die experimentelle Untersuchung der pep¬
tischen Kraft des Magensaftes bei verschiedenen Temperaturen und
ihre Bedeutung für die Ernährung der Säuglinge.
R. stellte Verdauungsversuche an mit nativem Magensaft des
Hundes und Kasein. Er fand das Optimum der Verdauungswirkung
des Magensaftes bei einer Temperatur von 36 — 38°, die auch der
Temperatur der Muttermilch entspricht; dabei wurden ca. 81 Proz.
Kasein verdaut, während bei höheren Temperaturen die Verdauungs¬
wirkung nachlässt und bis auf 64 Proz. bei 42 u sinkt. R. fand aber
bei Messung der Temperaturen von 200 verschiedenen Trinkportionen,
dass nur 40 die Temperatur von 36 — 37° hatten, alle übrigen waren
höher temperiert, was die Verdauung der eingeführten Milch beein¬
trächtigen muss. Er stellt daher die Forderung auf, dass in Spital
und Familie die Trinkportionen bei künstlicher Ernährung genauer als
bisher auf die günstigste Temperatur, d. h. 36 — 38°, zu bringen seien.
C. G i a r r e und C a r 1 Ln i - Florenz : Ueber die Anwesenheit
eines hämophilen Bazillus im Blut Masernkranker.
Beschreibung und Abbildung eines Bazillus, den die Verfasser
aus dem Blut masernkranker Kinder während einer Epidemie züchten
konnten.
N. Gundobin: Die Albuminurie der Neugeborenen.
Verf. kommt zu dem Schluss, dass das Vorhandensein von Ei-
weiss im Urin der Neugeborenen — entgegen der Ansicht vieler fran¬
zösischer Autoren — nicht für normal gehalten werden darf.
H. Klase: Zur Klinik der zystischen Echinokokkuskrankheit
im Kindesalter. Eine klinisch-geographische Studie. (Aus der Kais.
Universitäts-Kinderklinik zu Strassburg.)
Die grosse Arbeit erörtert das im Titel enthaltene Thema nach
jeder Richtung in erschöpfender Weise; in Bezug auf den reichen
Inhalt muss auf das Original selbst verwiesen werden.
P. P. E m i n e t - Charkow: Sphygmographie und Tononietrie
bei gesunden Kindern im Alter von 7 — 15 Jahren.
P. P. E min et: Der Einfluss der Muskelübungen und des Auf¬
enthaltes in den Sommerschulkolonien auf den Puls und den Blutdruck
bei Kindern von 7 — 15 Jahren.
Physiologische Untersuchungen.
A. Schkarin: Ueber Präzipitation bei neugeborenen Kanin¬
chen. Beitrag zum Studium der künstlichen Ernährung des Neu¬
geborenen. (Aus der Kinderklinik an der Kais, militärmediz. Aka¬
demie in St. Petersburg.)
Versuche über das Auftreten von Präzipitinen beim neugeborenen
Tier.
L. V o i g t - Hamburg: Bericht über die im Jahre 1906 er¬
schienenen Schriften über die Schutzpockenimpfung,
Der jährlich erscheinende ausgezeichnete Bericht, der alles ent¬
hält über Impfung und was damit zusammenhängt.
Referate. Lichten stein - München.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. VI. No. 5. (Septbr.
1907.)
1) R. W. R a ud n i ft z - Prag: Zehntes Sammelreferat über die
Arbeiten aus dem Gebiete der Milchwissenschaft und Molkereipiaxis.
Gleich den früheren Referaten für alle Milchinteressenten von
grossem Interesse (40 Seiten!).
Referate. Albert U f f e n h e i m e r - München.
Soziale Medizin und Hygiene (vormals: Monatsschrift
für soziale Medizin). Verlag von Leopold Voss in Hamburg.
II. Bd. 9. Heft. September 1907.
Fuld-Mainz: Zur Aenderung der Unfallversicherungsgrundlage.
Bei dem notwendigen Ausbau des Unfallversicherungsgesetzes
ist der Begriff „Betriebsunfall“ zu erweitern. Es sind dabei die
Betriebskrankheiten (Bleivergiftung, Phosphornekrose etc.) den Be¬
triebsunfällen gleichzusetzen. Ist doch schon bei der jetzigen Recht¬
sprechung die Wurmkramkheit als Betriebsunfall anerkannt und da¬
mit die rechtliche Grundlage des bestehenden Gesetzes durchbrochen
worden. Weiter ist zu fordern, dass die Unfallfürsorge in jedem Fall
eintritt, in welchem ein Versicherter von einem Unfall betroffen
wird, der mit seiner Beschäftigung zusammenhängt, ohne dass
zwischen Betriebsgefahr und allgemeiner Gefahr zu unterscheiden
ist. Es würden damit auch die Unfälle, die auf dem Weg zur Arbeit
oder während Arbeitspausen, die auf Reisen für den Betrieb sich
ereignen, unter das Gesetz fallen.
G r as s 1 - Lindau: Das zeitliche „Geburtsoptimum“. (Fort¬
setzung folgt.)
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
0
P a c h - Magyarfalu: Die hygienische Vorbildung der unga¬
rischen Gewerbeinspektoren.
Aus den angeführten Berichten geht hervor, dass unter den
ungarischen Gewerbeinspektoren der rege Wunsch nach einer bes¬
seren hygienischen Ausbildung und nach Aufstellung hygienisch ge¬
schulter Gewerbeärzte vorhanden ist. F. Perutz - München.
berliner klinische Wochenschrift. No. 39. 1907.
1) H. V i r c h o w - Berlin: Eine nach Form zusammengesetzte
kyphotische Wirbelsäule. (Schluss folgt.)
2) E. F. Bashford, J. A. Murray und M. Haaland-
London: Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung.
Bei der Transplantation eines karzinomatösen Tumors von der
Mamma einer Maus traten in 2 Reihen der auf diesem Wege ge¬
wonnenen Tumoren besondere Veränderungen des Stromas auf. über
deren histologische Details unter Wiedergabe von Zeichnungen ein¬
gehend berichtet wird. Es zeigten sich Spindelzellen zwischen den
Karzinomalveolen, das übertragene Stroma wucherte weiter und es
entwickelte sich ein anfänglich -noch mit Karzinom gemischtes Sar¬
kom, später konnte nach Passage durch ein karzinomimmunes Tier
ein reines Spindelzellensarkom erhalten werden, das also durch die
Einwirkung eines lebenden wuchernden Gewebes in normalen jungen
Tieren zur Entwicklung kam.
3) G. D i e s s e 1 h o r s t - Berlin: Ueber Ouecksilberausscheidung
bei Syphilitikern.
Die von Verf. gebrauchte Methode zum Nachweis des Oueck-
silbers, welche er im einzelnen beschreibt, beruht auf der Verwen¬
dung der Elektrolyse. Bei den Untersuchungen, über deren Resultate
Tabellen berichten, wurden die Ausscheidungen in Harn und Fäzes
berücksichtigt. Es zeigte sich, dass in gewissen Zeiten letztere sogar
mehr Quecksilber zur Ausscheidung brachten als der Urin. Auch im
Schweiss Hessen sich Quecksilberspuren nachweisen, nicht aber in
der Atmungsluft. Bemerkenswert ist das Ergebnis, dass bei Vor¬
nahme von Schwitzprozeduren keine Steigerung der Quecksilber-
ausscheidung nachgewiesen wurde. Noch Monate nach beendigter
Quecksilberkur kamen Spuren von Quecksilber zur Ausscheidung,
und zwar in grösserer Menge durch den Darm. Bei Quecksilber¬
injektionen wird mehr Quecksilber abgeschieden.
4) B. J. W i 1 a m o w s k i - Petersburg: Zur Frage über den
Zustand der Schmerzempfindlichkeit der Haut bei inneren Organ¬
erkrankungen.
In Ergänzung der bekannten Befunde von Henry H e a d konnte
Verf. bei Viszeralerkrankungen auch Analgesien feststellen und zwar
auf den Hautstellen, auf welchen man bei inneren Erkrankungen ge¬
wöhnlich eine Steigerung der Sensibilität beobachtet. Der Verf.
kommt zur Annahme, dass diese Analgesien auch reflektorischen
Ursprungs sind.
5) K- A. Hasselb alch und H. J a c o b ä u s- Kopenhagen:
Ueber die Behandlung von Angina pectoris mit starken Kohlenbogen¬
lichtbädern.
H. -hat die Wirkung der bei der Lichtbehandlung entstehenden
akuten Dermatitis resp. der Hauthyperämie in zahlreichen Versuchen
auf Respiration und Blutdruck untersucht. Die Ergebnisse hievon
gaben die Anregung, bei 26 Fällen von Angina pectoris die Anwendung
der Lichtbäder zu versuchen. Nach zehnmaliger Wiederholung des
Lichtbades mit 5 tägigen Zwischenpausen konnte eine permanente
Blutüberfüllung der Haut erzielt werden. Die physiologische Bedeu¬
tung der letzteren erblicken die Verfasser in der veränderten Blut¬
verteilung, in der Herabsetzung des Blutdruckes, wobei sich denken
lässt, dass auch der Aortadruok herabgesetzt -wird, in der Verminde¬
rung der Blutmenge für die inneren Organe, im Tieferwerden der
Atemzüge. Auch -die Stimmung wurde öfters günstig beeinflusst.
In 4 genauer mitgeteilten Fällen von typischer Angina pectoris wurde
durch die Lichtbäder ganz bedeutende Besserung erzielt, von den
übrigen 22 Fällen war nur in einem die Behandlung negativ, bei den
anderen konnte ebenfalls Besserung oder auch völliges Wohlbe¬
finden erzielt werden.
6) Julius V o g e 1 - Berlin: Ueber Anurie.
Verf. erörtert die verschiedenen abnormen Zustände, welche zur
Anurie führen können, wie die Kreislaufstörungen mit Sinken des Blut¬
druckes, entziindlich-degenerative Prozesse in den Nieren, mechani¬
sche Abflussstörungen, reflektorische Anurie«, Anurie nach Katheteris¬
mus, ferner die hysterische Anurie und gibt eine Uebersicht über
Prognose, Verlauf und Therapie dieser Störungen.
Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 39.
1) A. Chantemesse- Paris: L’Ophthalmo-diagnostic de la
Fievre typhoide.
Vergl. das Referat -in No. 36, S. 1804 d. W.
2) D. Finkler- Bonn : Disposition und Virulenz.
Wenn auch vieles, was man früher mit dem unklaren Sammel¬
begriff „Disposition“ bezeichnete, im Lichte der modernen Bakterio-
logie und Immunitätslehre eine befriedigende Erklärung findet, so be¬
nötigen wir diesen Begriff doch noch für die natürliche Anlage, die in
den Bau und die Energie der lebenden Zellmolekiile zu verlegen ist.
„Disposition“ und „Virulenz“ ergänzen sich.
3) R. Pfeiffer und E. Fried berger - Königsberg: Ver¬
gleichende Untersuchungen über die Bedeutung der Atmungsorgane
und des Verdauungstraktus für die Tuberkuloseinfektion (nach Ver¬
suchen an Meerschweinchen).
Von 29 Inhalationstieren erkrankten 22 an Tuberkulose der
Lungen, meist auch der Bronchialdrüsen; in 15 Fällen wurde generali¬
sierte luberkulose festgestellt, in keinem Falle dagegen war tuber¬
kulöse Erkrankung der Mesenterialdrüsen und des Darms zu sehen.
Bei 28 Fütterungsversuchen wurde nur 4 mal Lungentuberkulose kon¬
statiert, die nach Annahme der Verfasser durch Aspiration der
tuberkelbazillenhaltigen Flüssigkeit beim Herausziehen der Schlund¬
sonde entstanden zu denken ist. 3 Tiere zeigten Mesenterialdrüsen¬
tuberkulose, bei 21 war überhaupt keine Spur von Tuberkulose im
Körper zu entdecken. Verfasser glauben, dass auch beim Menschen
die Inhalation als die praktisch wichtigere Quelle der tuberkulösen
Ansteckung zu gelten hat.
4) _F. L ö f f 1 e r - Greifswald : Zum Nachweise und zur Diffe¬
rentialdiagnose der Typhusbazillen mittels der Malachitgrünnähr¬
böden.
Verf. hat seine Versuche mit „Malachitgrün krist. ehern, rein“
fortgesetzt. In einer Lösung von Nutrose, Pepton, Traubenzucker,
Milchzucker, Malachitgrün und Normalkalilauge bewirken die Typhus¬
bazillen eine charakteristische Gerinnung. Ein durch Zusatz von
Rindergalle modifizierter Bouillonnutrosegrünagar hat sich zur Diffe¬
rentialdiagnose gegenüber Bact. coli, eine Lösung von Nutrose,
Pepton, Milchzucker, Normalkalilauge und Malachitgrün zur Er¬
kennung der Paratyphus- und Fleischvergiftungsbakterien bewährt.
5) K o s s e 1 - Giessen : Zur Verbreitung des Typhus durch Ba¬
zillenträger.
Bei Nachforschungen nach der Quelle durch die Milch ver¬
mittelter 1 yphusinfektionen fand «ich ein Bazillenträger (Dauer¬
träger), der beim Melken beschäftigt war und wahrscheinlich die
Uebertragung herbeiführte.
6) A. Wassermann - Berlin : Ueber die bisherigen Er¬
fahrungen mit dem Meningokokkenheilserum bei Genickstarrekranken.
Das von Pferden gewonnene, auch für Kinder vollkommen un¬
schädliche Meningokokkenheilserum wurde in zahlreichen Fällen an¬
gewandt. So viel Hess sich bis jetzt ermitteln, dass die Injektion
möglichst frühzeitig gemacht werden muss. Unter Umständen ist sie
täglich zu wiederholen, bei sehr schweren Fällen empfiehlt sich In¬
jektion direkt unter die Rückenmarkshäute. Von 14 in den beiden
ersten Tagen behandelten Kranken, worunter 10 schwere Fälle,
starben nur 3; dies ermutigt zur Fortsetzung der Versuche.
7) H e i m - Erlangen : Ueber Pneumokokken.
Technische Bemerkungen über Färbung und Züchtung der
Pneumokokken: für deren Aufbewahrung empfiehlt Verf. die Antrock¬
nung an Seidenfäden; die Pneumokokken bleiben mindestens 1j2 Jahr
lebensfähig und virulent.
8) Max G r u b e r und Kenzo F u t a k i - München: Weitere Mit¬
teilungen über die Resistenz gegen Milzbrand.
Gelangen die Milzbrandbazillen mit Kapseln versehen in die
Blutbahn, so behaupten und vermehren sie sich ungestört; haben sie
dagegen keine Kapsel, so veranlassen sie die Blutplättchen zur Ab¬
gabe des „Plakanthrakozidins“, ferner wirken die „Leukanthrakozi-
dine“, die von den Leukozyten auf bestimmte Reize hin sezerniert
werden. Ueber die chemisch-physikalischen Bedingungen, unter
welchen diese Schutzstoffe abgegeben und wirksam gemacht werden,
haben Verfasser zahlreiche Versuche angestellt. Intravenöse In¬
jektion ungekapselter . Milzbrandbazillen ist viel weniger gefährlich,
als intraarterielle, der Lunge fällt die Rolle eines Schutzorgans zu.
9) P. Uhlenhuth, E. Hoffman n und O. Weidanz-Ber-
lin: Ueber die präventive Wirkung des Atoxyls bei experimenteller
Affen- und Kaninchensyphilis.
Nach den angesteliten Versuchen ist es wahrscheinlich, dass bei
Affen Ausheilung der Syphilis unter Atoxylbehandlung bis zu einem
gewissen Grade möglich ist und dass sich die Empfänglichkeit für
syphilitisches Virus wieder herstellt. Am Kaninchen liess sich eine
deutliche präventive Wirkung des Atoxyls feststellen; die Erzeugung
einer sy,phlitischen Keratitis mit Material von Bertarelli gelang
bei den vorbehandelten Tieren nicht mehr.
10) W. Ko Il e -Bern: Aphoristische Betrachtungen über einige
praktisch und theoretisch wichtige Punkte der Desinfektionslehre.
Betreffs der Wohnungsdesinfektion spricht sich K. auf Grund
angestellter Versuche für das Autanverfahren aus, für die Hand¬
desinfektion befürwortet er die Abreibung mit S c h u m b e r g scher
Lösung (Alkoholäther 2: 1, Salpetersäure 0,5 Proz.).
11) F. Hueppe-Prag: Frauenmilch und Kuhmilch in der
Säuglingsernährung.
Die Zweckmässigkeitsskala ist nach Verf. folgendermassen:
1. unveränderte rohe Frauenmilch, 2. gekochte Frauenmilch, 3. ge¬
kochte Kuhmilch, 4. rohe Kuhmilch. Solange eine energische För¬
derung des Selbststillens der Frauen nicht gelingt, sei jede Ver¬
besserung der künstlichen Ernährung ein Fortschritt. Vor allem
müsse das Vorurteil gegen gekochte Kuhmilch fallen. Milch von
richtig ernährten Kühen, in einwandfreier Weise gewonnen, richtig
kurz erwärmt oder sterilisiert und in trinkfertigen Einzelportionen
abgegeben und richtig aufgehoben, sei der beste künstliche Ersatz
für die Frauenmilch.
12) König-Kiel: Fortschritte im Saiiitätswesen der Marine.
R. Grashey - München.
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2051
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 39. J. Yanase-Wien: Ueber Epithelkörperbefundc bei
galvanischer Uebererregbarkeit der Kinder.
Vorgetragen auf der 79. Versammlung Deutscher Natui forschet
und Aerzte. ,
H. Rosenhaupt - Frankfurt a. M. : Zur Pathologie und
Therapie des Pylorospasmus der Säuglinge.
Die Häufigkeit des Leidens hervorhebend, berichtet R. über zwei
Fälle einer Familie. Das eine Kind, unehelich geboren, ungenügend
gepflegt und künstlich ernährt, ging zugrunde; ein jüngeres, in der
Ehe geborenes und unentwegt gestilltes kam bei gleichen Erschei¬
nungen zur Genesung. Es ist davor zu warnen, in der Beschaffenheit
der Muttermilch die Ursache der Erkrankung zu suchen; die fort¬
gesetzte Brusternährung ist vielmehr oft die naturgemässe Heilungs-
weise und im Erfolg sicherer als eventuell operative Eingriffe.
S. N o b 1 - Wien: Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis der post-
svphilitischen Dauermerkmale. _ . .. . , .
N. widmet eine eingehende Erörterung und Beschreibung der bei
10,8 Proz. seines männlichen Materiales beobachteten charakteristi¬
schen elephantiastischen Hyperplasie der perianalen Falten und Haut-
g! S ch e r b e r - Wien: Die Atoxylbehandlung der Syphilis.
Die Erfahrungen an der Finger sehen Klinik bestätigen die
günstige Beeinflussung der luetischen Haut- und Schleimhautaffek¬
tionen; die Giftigkeit des Mittel legt jedoch seiner Anwendung und
Wirksamkeit Schranken auf. Empfehlenswert ist die Anwendung in
10 proz. sterilisierter frischer Lösung, 2 ccm jeden 2. Tag subkutan
eingespritzt, zur lokalen Hauttherapie das 10 proz. Atoxylpflaster,
Die Wirkung ist im allgemeinen der des Quecksilbers ähnlich, die
Dauerwirkung ist aber eine geringere und daher das Mittel doch nur
zu einer Zwischenkur geeignet.
R. Bachrach und R. Stein- Wien ; Ueber das Schicksal per
Klysma verabreichter Bakterienaufschwemmungen.
Die hier berichteten Versuche ergeben, dass die per Klysma ein-
verleibten Prodigiosuskeime selten jenseits der lleozoekalklappe, nie¬
mals im Magen, Oesophagus und Rachen nachzuweisen waren; wohl
eine Folge der „Autosterilisation“ des Magendarmtraktus; wenn sich
solche Keime in den Lungen finden, können sie nur durch die Lymph-
oder Blutbahn dahin gelangt sein, aber nicht durch Aspiration. Es
ist auch unwahrscheinlich, dass z. B. Tuberkelbazillen, die in den
Magendarmtraktus eingeführt wurden, auf retrogradem Wege in den
Rachen und durch Aspiration in die Lungen gelangen.
Mar kl: Versuche mit dem Desinfektionsmittel Desoderol.
Das Mittel, welches nach M.s Versuchen in 1 proz. Lösung alle
vegetativen Formen der pathogenen Mikroorganismen äbtötet,
weniger sicher aber auf die Sporen einwirkt, scheint seine grösste
Verwendbarkeit bei Vertilgung von Insekten und Ratten zu besitzen.
Bergeat - München.
Französische Literatur.
le Hanoy: Die Epidemie von Sudamina miliaris in der Cha¬
rente (Mai— Juli 1906). (Revue de medecine, Februar und März
i907.)
Ausführliche Beschreibung dieser Epidemie, we'che 184 Ge¬
meinden der Charente mit insgesamt 6298 Fällen heimsuchte, was in
manchen Distrikten mehr wie ein Drittel der Bevölkerung ausmachte.
Die Mortalität betrug im ganzen 2 Proz.; kartographische Darstel¬
lung der letzteren, wie der Morbidität. Die Leser der Wochenschrift
sind über Gang und Verlauf dieser, nur auf ländliche Distrikte be¬
schränkten Epidemie bereits durch die Berichte aus den Pariser medi¬
zinischen Gesellschaften unterrichtet.
Laignel-Lavastine: Die Psychologie der Tuberkulösen.
(Revue de medecine, März 1907.)
Nach einer historischen Exkursion über diese interessante Frage
teilt Verfasser sein Thema in 2 Kapitel ein: Die akuten und die chro¬
nischen Geistesstörungen, wovon letztere einen viel breiteren Raum
einnehmen. Im allgemeinen herrscht bei dem Phthisiker mit ver¬
minderter Gefässspannung die Neigung zu depressiven Gemütsstö¬
rungen vor, während Euphorie, verbunden mit Delirien, mit peripherer
Vasodilatation zusammenfällt. Die Veränderungen der „Moral“, wel¬
che untrennbar verbunden sind mit den funktionellen Störungen der
Krankheit, beeinflussen ihrerseits wiederum alle Reaktionen des In¬
dividuums; der Arzt sollte sich daher bemühen, den seelischen Zu¬
stand seiner Patienten genau kennen zu lernen, um auch in dieser
Beziehung die richtige Therapie einzuschlagen. Eine Anzahl Bei¬
spiele aus der Geschichte, wie die Krankheit Schillers, Chopins, illu¬
strieren die Arbeit.
C. Da mb rin: Studie über die Luxationen der halbmond¬
förmigen Knorpel des Kniegelenkes. (Revue de Chirurgie, März und
April 1907.)
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf 122 gesammelte Fälle, bei
welchen wegen Luxation dieser Knorpel blutige Operation ausgeführt
worden ist. Es handelt sich in diesen Fällen meist um junge Leute,
die während einer Körperübung, z. B. beim Fussballspielen, ausgleiten
und heftig auf das Knie aufschlagen; in anderen Fällen handelt es sich
um ein Individuum, das strauchelt und mit, unter ihm gekrümmten
Bein zu Falle kommt. Es stellt sich sofort ein sehr heftiger Schmerz
und mehr weniger hochgradige Umähigikeit, sich weiter zu bewegen,
ein. Zuweilen gelingt es dem Verletzten selbst, durch unwillkürliche,
geeignete Bewegungen die Luxation zu beheben, meist wird dies
aber der Arzt tun müssen. Das Knie schwillt weiterhin an und der
Patient muss in liegender Stellung verbleiben. Differentialdiagnostisch
kommen ausser den partiellen Frakturen des unteren Femurendes,
die leicht von den Luxationen der Menisken zu unterscheiden sind, die
partiellen Frakturen der oberen Tibiaepiphyse in Betracht. Das vor¬
hergehende Trauma Ist für die meisten Fälle ausschlaggebend bei der
Diagnose, kann aber zuweilen auch fehlen; die Lokalisation des
Schmerzes — stets an demselben Punkte — ist ferners von Bedeutung.
Bei Fremdkörpern im Gelenke ist der Sitz des Schmerzes kein fi¬
xierter. Die Konstatierung einer länglichen, im Bereich der Zwischen¬
bänder sitzenden vorspringenden Geschwulst ist ein weiteres wich¬
tiges Zeichen und damit in Zusammenhang stehend der Umstand, dass
der halbmondförmige Knorpel immer an derselben Stelle gefühlt wird.
Schwierig gestaltet sich oft die Differentialdiagnose von der trau¬
matischen Meniszitis (von Roux- Lausanne und von Marais be¬
schrieben), zumal letztere oft mit der Luxation der Menisken verge¬
sellschaftet ist und die Radiographie auch keine besondere diagnosti¬
sche Stütze bietet. Bei der frischen Luxation der halbmondförmigen
Knorpel sind Reposition, dann Immobilisierung des Gelenkes 14 Tage
hindurch usf. die therapeutischen Mittel, bei rezidivierenden Luxa¬
tionen ist blutiger Eingriff notwendig und zwar schliesst D. aus den
studierten Fällen, dass meist die Exstirpation des Meniskus (Menis-
kektomie) der Fixation (Meniskopexie) desselben vorzuziehen
ist. Letztere käme immerhin bei partiellen vorderen oder
seitlichen Zerreissungen und bei einfacher Erschlaffung der Insertionen
ohne Zerreissung in Betracht; im Uebrigen rühmt D. die Meniskek-
tomie sowohl wegen ihrer Wirksamkeit wie ihrer leichten Ausführ¬
barkeit. Kurze Aufzählung der 87 auf letzterem Wege und der 34
mit Meniskopekie behandelten Fälle.
K i e f f e r - Angers: Vergleichende Studie über Magenuntersu¬
chungen (Lage und Form) durch äussere Exploration und Radioskopie.
(Archives provinciales de Chirurgie, März 1907.)
Bei dieser vergleichenden Studie, welche mit 8 Abbildungen
versehen ist, kam K. zu folgenden Schlüssen. Die Radioskopie ist
dasjenige Mittel, welches ermöglicht, die genauesten Aufschlüsse über
Lage und Form des Magens zu geben. Um die genauen Grenzen des
Organs, wie es sich im nüchternen Zustande darstellt, zu erhalten, ge¬
nügt es 4 Punkte zu bestimmen: Die 3 abschüssigen, in vertikaler
und lateraler Stellung bestimmten Punkte und den höchsten Punkt
des Zwerchfellstandes. Die Radioskopie lässt Stand und Form des
Magens in vertikaler Stellung erkennen und gibt eine genauere
Idee von der Resistenz, welche seine Wände gegen die einfache
Wirkung seines Eigengewichtes haben. Die radioskopische Unter¬
suchung, morgens nüchtern ausgeführt, gibt ohne irgend ein anderes
Hilfsmittel vergleichende Resultate, während bei der Insufflation die
Dimensionen des Magens mit dessen Ausdehnung nicht nur in rela¬
tivem Verhältnis zur Tonizität seiner Wände, sondern zum Druck
der in seinem Hohlraum frei gewordenen Gase variieren.
G. Phocas und W. B e n s i s - Athen: Nephritis und Reno-
dekortikation. (Archives provinciales de Chirurgie. April 1906.)
Verfasser nahmen in 12 Fällen von Nephritis (meist von sogen,
grosser roter Niere bei durch Malaria verursachter B r i g h t scher
Krankheit) den Kapselschnitt, eine Operation, die zuerst in Griechen¬
land ausgeführt wurde, vor. Von diesen ging ein Fall 1 Monat
und ein zweiter 2 Monate nach der Operation tödlich aus. In den
übrigen Fällen schien es, als ob die Operation grossenteils eine be¬
trächtliche Besserung brächte; vom Heilung konnte aber in keinem
Falle die Rede sein. In einem der Fälle hält die Besserung bereits
2 Jahre an, so dass der Betreffende wieder aktiv als Marinesoldat
tätig ist. Bei der Gutartigkeit sollte sie in jedem, irgendwie dazu
geeignetem Falle ausgeführt werden, zumal keine andere Behand¬
lungsmethode annähernd so gute Erfolge geben kann.
G. S i c a r d - Algier : Die kommunizierende tuberkulöse Hy-
drozele. (Revue rnensuelle des maladies de l’enfance, März 1907.)
Diese Form der Hydrozele ist nur eine Varietät der Iuberkulose
des Canalis vagino-peritonealis und ihr Studium unzertrennlich mit
jener der Hernientuberkulose verbunden. S. konnte 2 solcher Fälle
bei 6 — 7 jährigen Kindern beobachten. Bei der Untersuchung findet
man einen doppelseitigen Tumor des Skrotums, der hervortritt, sobald
man den Kranken aufstehen lässt, bei liegender Stellung aber völlig
verschwindet; die Reduktion vollzieht sich ohne gurgelndes Ge¬
räusch. Die Geschwulst hat niemals den geringsten Schmerz verur¬
sacht, bot keinerlei entzündliche Erscheinungen, war aber dadurch
auffallend, dass sie trotz Tragens einer Bandage stets grösser wurde. .
Das Allgemeinbefinden war in diesen, wie fast in allen anderen aus
der Literatur bekannten Fällen ein gutes und waren keine Erschei¬
nungen von Seite der Lungen oder anderen Organen, mit Ausnahme
einer leichten Peritonitis vorhanden. Vielleicht ist diese tuberkulöse
Hydrozele, so nimmt S. an, oft nur das erste Symptom einer tuber¬
kulösen Peritonitis, es ist aber zweifelhaft, ob der tuberkulöse Prozess
nicht im Peritoneum selbst sich zuerst festsetzt. Bezüglich der The¬
rapie sollte man, sobald die Diagnose feststeht, operativ Vorgehen,
zumal der Eingriff ein durchaus gutartiger ist und die Laparotomie .es
ermöglicht, einen grossen Teil des Aszites zu entleeren und diese in-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
guinale Laparotomie auf die Peritonitis denselben guten Einfluss haben
kann, wie die gewöhnliche mediane Die Differentialdiagnose — Sy¬
philis und Karzinom dürften meist ausser Betracht bleiben — der
tuberkulösen Hydrozele kann dann eine schwierige werden, wenn
hochgradige entzündliche Erscheinungen vorhanden sind: das Be¬
stehen einer ringsum beweglichen, harten, ovalen Geschwulst, die im
Grunde der peritonealen Tasche liegt, bietet jedoch immerhin ein fast
sicheres Zeichen.
L. G. Simon: Die Anämie im Kindesalter. (Revue mensuelle
des maladies de l’enfance, April 1907).
Die Anämie kann man in mehreren Perioden des Kindesalters
beobachten; sie kann angeboren und die Folge schlechter Gesundheit
der Eltern oder einer beschwerdereichen Schwangerschaft sein, sie
kann im Gegenteil viel später, gegen das 12. — 13. Jahr erst, auftreten
und zwar bei Schulkindern, welchen man viel Arbeit unter schlechten
hygienischen Bedingungen aufbürdet (Schulanämie). Besonders häufig
ist die Anämie, wie S. ausführt, im Alter von 6 Monaten bis zu
3 Jahren, weil hier Ursachen vorhanden sind, die später wieder ver¬
schwinden, vor allem Gastroenteritis, Rachitis und hereditäre Syphilis,
und weil die blutbildenden Apparate noch einen Teil des Charakters
der fötalen Periode beibehalten und dem hämatologischen Bilde einen
ganz speziellen Stempel aufdrücken. S. unterscheidet auch für dieses
Alter 4 lypen: 1. die einfache, 2. die chlorotische, 3. die perniziöse
und 4. die mit Milzvergrösserung einhergehende Anämie, welch
letztere wieder verschiedene Varietäten, wovon die interessanteste
die infantile Pseudoleukämie ist, hat. Auf die einzelnen, von Ver¬
fasser genau beschriebenen. Formen kann hier nicht eingegangen
werden; es sei nur erwähnt, dass die perniziöse Anämie im Kindes¬
alter dieselben Ursachen wie beim Erwachsenen hat (Eingeweide¬
würmer wie Botriokephalus, Ankylostoma, Askariden, ferner maligne
Tumoren, besonders Nierensarkom, Malaria, Syphilis). Mit Ausnahme
der perniziösen Form sind alle Arten von Anämie relativ leicht der
Heilung zugänglich. Bei der Behandlung ist in erster Linie der ur¬
sächliche Grund zu bekämpfen: gegen die tuberkulöse Anämie Frei¬
luftkur und Ueberernährung, Quecksilber bei Syphilis, Anthelmintica
gegen Eingeweidewürmer, Darmantisepsis und strenge Diät gegen die
Anämie der Dyspeptiker. Ist die Anämie besonders auf verminderten
Hämoglobingehalt zurückzuführen, so sind Eisenpräparate zu geben,
die Milchernährung einzuschräniken und statt derselben Nährmittel,
die leicher an Fe sind, zu verordnen: Hafer-, Weizensuppen und be¬
sonders Linsen, mit oder ohne Eigelb. Zeigt die Blutuntersuchung
mehr oder weniger ausgesprochene Verminderung der roten Blut¬
körperchen, so muss man die Tätigkeit der blutbildenden Organe
anregen und hiezu erscheint von allen Medikamenten der Arsenik
(r o w le r sehe Lösung) am geeignetsten. Ebenso wie Arsenik sind
auch andere Mittel, welche eine gewisse Anzahl von Blutbestand¬
teilen zu zerstören und einen erhöhten Wiederaufbau zu bewirken im
stände sind, mit Erfolg angewendet worden, z. B. die X-Strahlen,
die zytotoxischen Sera, das Diphtherieheilserum und vor allem ' das
Knochenmark und Milzextrakt. Verfasser rühmt in dieser Beziehung
besonders das Kalbsknochenmark (frisch in etwas Bouillon in der
I ()sis von 20—30 g pro lag gegeben); es seien schon eine grosse
Zahl solcher rälle veröffentlicht worden, wo die Blutuntersuchung auf-
fallend rasche Besserung unter dieser Behandlung zeigte. Beim Kinde
zwai noch wenig erprobt, verdiene die Knoöhenmark(Opo-)therapie
ast in allen Fallen zusammen mit Arsenik angewandt zu werden Das
beigegebene Literaturverzeichnis umfasst 112 Nummern.
I rofessor Queirel: Variola und Blattern. (Annales de gyne-
cologie et d’obstetrique, März 1907.)
Mit Recht hat man schon zu allen Zeiten den Einfluss der Blattern
auf die Schwangerschaft für einen höchst gefährlichen gehalten; von
allen akuten Exanthemen und vielleicht von allen akuten Krankheiten,
einschliesslich der Pneumonie, sind die Blattern für Mutter und Kind
die schwerwiegendsten. Qu. beobachtete in seinem Spitale 19 Fälle
von denen 10 tödlich endeten, während die Zahl der totgeborenen
Knider noch grösser war (52 Proz. Todesfälle der Mütter, 73 Proz.
52 o!n?5r lA-bortus]). Die gesammelte Gesamtstatistik ergibt unter
f6 Blatternfallen 130 Aborte = ca. 44 Proz. Auf die weiteren in¬
teressanten Einzelheiten bezüglich der verschiedenen Formen der
t51a,tt?rnf ~ d^r hämorrhagischen Form ist die Sterblichkeit eine
wahrhaft erschreckende, indem die 30 Fälle 28 Aborte und 29 Todes-
a le gaben kann hier nicht eingegangen werden. Qu. nimmt als
Ergebnis seiner Untersuchungen an, dass die Uebertragung des noch
unbekannten oder wenig gekannten Mikroorganismus der Blattern auf
den hotus Erscheinungen von Septikämie und mikroskopische Ver¬
änderungen der Plazenta, welche den Abortus erklärlich machen kön¬
nen, hervorruft.
O ui -Lille: Die therapeutischen Indikationen bei mit Gebär-
«mto'oae
Bezüglich des Einflusses, welchen die Schwangerschaft, kompli¬
ziert mit Gebärmutterkrebs, ausübt, kommt Verfasser zu dem
Schlüsse, dass damit nicht unbedingt eine Verschlimmerung des Kar-
zinoms verbunden sein muss und dass die unmittelbare Mortalität der
Entbindung und deren Folgen nicht vom Karzinom allein, sondern in
?bhwtMFSSe ,von’ Vfrha'ten des die Entbindung leitenden Arztes
abhangt, hur das Kind ist die vorzeitige Unterbrechung der Schwan¬
gerschaft in etwa ein Viertel der Fälle tödlich oder höchst ge¬
fährlich, während rasches und zielbewusstes Eingreifen im Moment
der natürlichen Entbindung lebensrettend wirken kann. Die Hy¬
sterektomie kann in den ersten Monaten der Schwangerschaft an¬
gezeigt sein, wenn das Karzinom enge umschrieben und begrenzt ist;
dadurch hat die Mutter Aussicht auf längere Lebensdauer und selbst
auf Heilung. Kürettement der fungösen Krebsmassen und Amputation
der Zervix während der Schwangerschaft sind jedoch zu verwerfen,
da sie zu häufig Rnterbrechung derselben bewirken und daher das
Kind ohne besonderen Vorteil für die Mutter opfern. Was nun das
Verhalten während der Entbindung betrifft, so darf es nur dann
ein exspektatives sein, wenn ein sehr eng begrenzter Teil der Zervix
vom Karzinom befallen ist und die Erweiterung leicht und ohne Verzug
von statten geht. Zieht sich die Entbindung in die Länge, treten
ernste Schwierigkeiten auf, so muss der Kaiserschnitt, gefolgt von
abdominaler Hysterektomie, ausgeführt werden; der vaginale Kaiser¬
schnitt ist dann vorzuziehen, wenn es sich um ein ganz umschriebenes
Karzinom handelt und der Zustand des Kranken einen operativen
Eingriff erlaubt. Nach der Entbindung und zwar in der etwa 1
Monat umfassenden Zeitspanne sind die Resultate der vaginalen
Hysterektomie bei operablem Karzinom relativ günstige: von 24 der¬
artigen Fällen, welche O u i aus der Literatur sammelte, verlief nur
einer direkt nach der Operation tödlich, 3 verblieben ohne Rezidiv
nach mehr als 4 jähriger (— 12,5 Proz.) und mehrere Fälle nach mehr
als 2 jähriger Beobachtung. Auch über die verschiedenen Opera¬
tionen (vaginale, abdominale Hysterektomie u. a. m.), welche wäh¬
rend der Schwangerschaft und Entbindung ausgeführt wurden, und
deren Erfolge bringt Verfasser statistische Zusammenstellungen.
Louis Martin: Die Schlafkrankheit; 5 neue Fälle von Trypano-
somiasis bei Weissen, therapeutische Versuche. (Annales de l’institut
Pasteur, März 1907.)
Die 5 Fälle, welche im Pariser Institut Pasteur zur Beobachtung
kamen, ibetrafen ausser einem Kolonial-Unteroffizier ausschliesslich
Missionäre. Es geht aus diesen Fällen hervor, dass die Schlafkrank¬
heit bei Weissen in ganz verschiedener Weise sich entwickelt: nur
in einem der Fälle war das Vorherrschende die Schlafsucht, in einem
anderen Herzerscheinungen (Atemnot, Herzklopfen), in einem wei¬
teren allgemeine Drüsenschwellung mit heftigen Schmerzen an den
Beinen usf., bei allen waren die Erscheinungen von allgemeiner
Schwäche sehr frühzeitig vorhanden. Von den therapeutischen Mit¬
teln erwies sich Atoxyl als das beste, indem es nach 2 — 3 Injektionen
das Fieber zum Verschwinden bringt, das Allgemeinbefinden rasch
bessert usf.; die Trypanosomen verschwinden aus dem Blute, ebenso
wie bei Malaria die Hämatozoen unter dem Einflüsse von Chinin.
Aber ebenso wie bei Malaria bedeutet das noch keine Heilung, und
Rezidive sind häufig; ob auch bei der Schlafkrankheit langdauernde
Rückfälle Vorkommen, kann Verfasser noch nicht sagen und möchte
überhaupt von definitiver Heilung nicht sprechen, bevor nicht Be¬
obachtungen über eine Reihe von Jahren vorliegen.
J. Cantacuzene und P. R i e g 1 e n : Toxische Erkrankung,
hervorgerufen durch intrastomakale Injektion abgetöteter Rotz-
bazillen, (Ibidem.) >
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die abgetöteten Rotz-
bazillen toxisch sind und beim Meerschweinchen eine mehr weniger
lasch zum Tode führende Krankheit hervorrufen, mag die Einimpfung
auf peritonealem oder intestinalem Wege stattfinden. Die Symptome
der Krankheit sind anfängliche Temperaturerniedrigung, Abmagerung,
Degeneration des Nierenepithels, akute Nekrose der vielkernigen
Leukozyten, Hypertrophie der lymphbildenden Organe mit amyloider
Degeneration der Milz usf. Die Zerstörung der abgetöteten Rotz¬
bazillen erfolgt ausserordentlich rasch; und stehen sie bei diesem Vor¬
gang im Gegensatz zu den entfetteten Tuberkelbazillen. Der Durch¬
ritt der toten Rotzbazillen durch die Darmwand vollzieht sidh beson-
clers im Bereich von Ileum und Blinddarm; sie drängen sich zwischen
die Epithelialzellen, ohne dass die Leukozyten dabei eine Rolle zu
spielen schienen. Diejenigen Bazillen, welche dem subepithelialen
phagozytären Filter entgehen, gelangen unversehrt in die Lymphe
und von da in die Blutzirkulation; dabei werden sie in der Milz und
den kleinen Gefässen der Lunge, wo ihre Zerstörung schliesslich im
Inneren der Makrophagen sich vollzieht, aufgehalten.
V a i 1 1 a r d und D o p t e r: Die Serumtherapie in der Behandlung
der bazillären Dysenterie. (Annales de l’institut Pasteur, April 1907.)
Im Anschluss an ihre früheren bekannten Arbeiten berichten Ver¬
fasser nun über 243, im Jahre 1906 von ihnen behandelte Fälle bazil¬
lärer Dysenterie; unter Abzug von 6 Fällen, die schon moribund zur
Behandlung kamen, ergaben dieselben die geringe Mortalität von
2 Proz., während diese z. B. in Toulon während der Epidemie von
1906 bei 129 Kranken 6,9 Proz., in der Bretagne im Jahre 1899
zwischen 20 und 50 betrug, in Moskau 12— 17, in Japan 24 Proz. be¬
trägt usf. Sie erklären auf Grund dieser nun neuerdings gemachten
Et fahrungen das Dysenterieheilserum für eines der sichersten thera¬
peutischen Mittel und für das Spezifikum gegen die bazilläre Dys-
entei ie, bei der es ebenso wirksam sei, wie das Diphtherieheilserum
bei Diphtherie. Durch die Verallgemeinerung seiner Anwendung
würde die Mortalität auf ein Minimum reduziert, die Dauer der
Krankheit verkürzt werden und der Arzt ein sicheres Mittel haben
die Leiden seiner Patienten rasch zu lindern. Schliesslich besitze das
Dysenterieheilserum auch prophylaktische Wirkung und könne der
Ansteckung ausgesetzte Personen vor der Infektion bewahren. Die
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2053
Häufigkeit der Ruhrepidemien unter der Landbevölkerung der Bre¬
tagne die bei Kindern und schwächlichen Leuten stets in schwerem
Grade auftretende Krankheit würden eine Massnahme rechtfertigen,
welche bei Diphtherie so wohltätig gewirkt habe, nämlich die prä¬
ventive Injektion des Serums. . .
Levi-Sirugue: Die Schlafkrankheit oder Trypanosomiasis
beim Menschen. (Gazette des höpitaux 1907, No. 43.)
Zusammenfassender Bericht über diese tropische Kiankheit,
deren Aetiologie, geographische Verteilung, Art der Verbreitung und
Symptomatologie nun völlig erforscht zu sein scheint. Das Atox\ 1
dürfte auch nach den Erfahrungen Kochs ein ausserordentlich wirk¬
sames Mittel gegen die Krankheit sein. Verfasser drückt schliesslich
die Hoffnung aus, dass es durch die vereinten Bemühungen der
deutschen Expedition unter Koch und der französischen untei
G. Martin es gelingen wird, dieser schlimmen Krankheit Einhalt
ZU tULeon Ke n dir dy: Bericht über die Rachistovainisation. (Presse
medicale 1907, No. 38.) inn . , .
Gestützt auf 625 Fälle, welche vom 1. September 1904 bis
1 März 1907 mit dieser Art Anästhesie behandelt wurden, gibt K.
eine kurze Uebersicht über die grossen Vorzüge der Methode. Be¬
sonders bemerkenswert ist ihre Ungefährlichkeit gegenüber der
Rachikokainisation, für jedes Alter und in den verschiedensten Kiank-
heitszuständen anwendbar, könnte sie wohl den Vergleich mit der
allgemeinen Narkose aushalten und K. glaubt, dass kaum 625 Lhloio-
formnarkosen ein gleich günstiges Resultat haben werden Die
Rachistovainisation behaupte aber vor allem ihren Platz zwischen der
allgemeinen und der lokalen Anästhesie.
Plauchu und Richard: Der Kropf beim Neugeborenen.
(Gazette des höpitaux 1907, No. 54.)
Der Kropf kommt beim Neugeborenen in 3 Formen vor: 1. üe-
fäss-, 2. parenchymatöser und 3. Zystenkropf. Ersterer ist der häu¬
figste und bildet wahrscheinlich die Mehrzahl jener Fälle, welche sich
rasch nach der Geburt resorbieren. Aetiologisch ist bei der Ent¬
stehung des Kropfes die Heredität von Wichtigkeit. Der Kropt des
Neugeborenen ist im allgemeinen ein ziemlich schweres Leiden; viele
Kinder, welche bei der Geburt mit dem Bilde der Atemnot und Zya¬
nose sterben, kommen auf Rechnung einer retrosternalen oder seitlich
vom Kehlkopf sitzenden Struma (in etwa 60 Proz. der Falle). Ist
trotz der Struma die Lebensmöglichkeit gegeben, so ist meist Neigung
zu allgemeiner Rückbildung vorhanden. Bei bedrohlichen Sym¬
ptomen empfehlen Verfasser die im Jahre 1905 zuerst von P o 1 i s -
son-Lyon mit Erfolg ausgeführte Exothyropexie, welche in ähn¬
licher Weise, wie die Ausschälung der Tvmusdrüse (Exothymopexie)
stets gute Resultate geliefert habe. Pathologische Anatomie und
Symptomatologie des Leidens bilden eigene Kapitel der vorliegenden
Arbeit. Stern.
Italienische Literatur.
Massaglia und Sparapani bringen aus der Veterinär¬
klinik Modenas einen interessanten Beitrag über experimentelle und
spontane Eklampsie der Tiere zur Bestätigung der Vassale sehen
Eklampsielehre (Gazzetta degli osped. 1907, No. 69).
Einer Hündin wurden am 12. Dezember 1905 beide Nebenschild¬
drüsen entfernt. Sie bot nach der Operation keinerlei Krankheits¬
erscheinungen und wurde am 7. Mai 1906 belegt.
Am 29. Juni bot der Urin die ersten Spuren von Albumen; am
1. Juli zeigte das Tier Störungen im Gange; noch am selben Tage
trat Tremor der Extremitäten ein, ferner klonische Krämpfe, spastische
Rigidität der hinteren Extremitäten, Anurie.
Am 2. Juli früh anscheinende Besserung; in der Nacht Entleerung
von etwa 70 ccm Urin, Welcher 0,2 Prom. Eiweiss enthielt. Nach¬
mittags ein neuer Anfall, eine Stunde dauernd, mit Dyspnoe, starken
tonischen und klonischen Krämpfen und Schaum vordem Maule. Am
Abend anscheinende Besserung, Entleerung von 70 ccm Urin mit
1,2 Prom. Eiweiss; Esslust; von 9—11 Uhr gebar das Tier 5 Junge,
jedes etwa 200 g wiegend; das Tier erscheint besser, versucht die
Jungen zu säugen, hat aber wenig Milch und bleibt anurisch. Am
4. Juli anscheinende Besserung; es sind früh etwa 80, nachmittags
120 ccm Urin entleert, mit 0,2 resp. 0,3 Prom. Eiweissgehalt. Bis zum
12. Juli fortdauernde Besserung bei 0,1 Prom. Eiweissausscheidung;
am Tage ein leichter eklamptischer Anfall mit J remor, Kontraktionen
und Dyspnoe, spärlicher Urinentleerung und 0,2 Prom. Eiweissgehalt.
Nach anscheinender Besserung: am 15. Juli, nach längerer Anurie
schwerer eklamptischer Anfall: das Tier wälzt sich am Boden mit
heftigen tonischen und klonischen Krämpfen, trüben Augen, schaum¬
bedeckten Maule, halb bewusstlos; dauernde Anurie; die Milchaus¬
scheidung versiegt.
Bei diesen allarmierenden Symptomen werden dem an Trismus
leidenden Tiere 20 ccm Parathyreoidin in Milch eingeflösst. Alle
Symptome bessern sich bis zum Abend bis auf eine leichte Parese.
Nach nochmaliger Einflössung von 25 und später von 15 ccm Para¬
thyreoidin vom 16. Juli an vollständiges Wohlbefinden; der Urin wird
reichlicher, der Eiweissgehalt ist von 0,7 auf 0,1 Prom. herunter¬
gegangen; das Tier bleibt von da ab dauernd gesund, ernährt seine
beiden Jungen, die anderen sind mittlerweile eingegangen.
2. Experiment: Einer trächtigen Hündin werden beide Para¬
thyreoideae externae und die linke interna am 11. Juli 1906 entfernt.
Am 10. August zeigt das Tier die ersten Krankheitserscheinungen:
tränende Augen, etwas Tremor, Eiweiss im Urin. Unter wechselndem
Auftreten von Krampfanfällen und Remissionen^ ferner Albuminurie
wie im vorigen Falle, gebiert das I ier am 17. August, erscheint
am 18 August besser, bekam am 19. August einen fast tödlichen
eklamptischen Anfall, erholt sich am 20. auffallend nach 20 ccm Para¬
thyreoidin, erscheint noch am- 21. gesund (allerdings bei 0,4 Prom.
Eiweissausscheidung) und ist am 22. August unbeobachtet in einem
Krampfanfall verendet. ... .,
3. Experiment: Einer Katze von 2 kg 800 g Gewicht, trächtig seit
50 Tagen werden beide äussere Nebenschilddrüsen und die innere der
rechten Seite entfernt (13. August). Am 17. August tritt bei derselben
eine Albuminurie auf, am 18. August zum ersten Male Kiampte, spur-
liche Urinabsonderung. Sie bekommt 10 ccm I arathyreoidin. Am
19. wirft dieselbe 6 Junge, ist nicht imstande sie zu ernähren; die
kleinen Tiere gehen an Hunger ein. Die Mutter erholt sich und
bleibt gesund. „ , , ,
Eine folgende Beobachtung betrifft eine spontan nach dem W er¬
fen von 4 Jungen am 2. April unter Dyspnoe, tonischen und’ klonischen
Krämpfen erkrankte Hündin. Bis zum 5. April wurden die Krampf¬
erscheinungen so bedrohlich, dass ihr 15 fern Parathyreoidin bei¬
gebracht werden. Darauf Besserung, am Abend die g eiche Dosis.
Der Urin enthält Albumen, wird reichlicher; das Tier bleibt gesund,
ernährt 2 seiner Jungen, nachdem ihr die beiden anderen weg-
S Durch obige Beobachtungen halten die Autoren die Identität dei
experimentellen Eklampsie bei Tieren mit der natürlichen und die
Identität der beiden mit der Eklampsie bei Schwangeren und Wöch¬
nerinnen für erwiesen und zugleich auch dm V as sa 1 e sehe Lehre
von der ursächlichen Bedeutung des Fehlens der Nebenschilddrusen¬
sekretion und die Therapie der Eklampsie mit Parathyreoidin lur ge¬
rechtfertigt ^ n . berjchtet jn No_ 66 und 69< 1907 der Gazzetta degli
osped. über die Wirksamkeit des M a r a g l i a n o sehen Tuberkulose¬
heilserums subkutan wie per os gegeben im Krankenhause zu Galla¬
rate Er beschreibt 8 Fälle, in welchen diese Behandlung sich wirk¬
sam erwies. Wer die Wirkung, und zwar die spezifische dieses Heil¬
mittels bezweifelt, möge es einmal anwenden bei Individuen mit tuber¬
kulöser Heredität und dauernden anämischen Beschwerden. Fr wird
finden, dass das Hämoantitoxin. antituberculosum Marag iano allen re¬
konstruierenden Mitteln in der Exaktheit und Schnelligkeit seiner
Wirkung überlegen ist. x, ,
Jona prüfte im Hospital S. Giovanni in J urin die Methode dei
von Gilbert inaugurierten Autoserumtherapie bei Pleuraexsudat .
Diese Methode besteht, wie in diesen Berichten bereits rmtgeteilt,
darin dass bei möglichst frischen tuberkulösen Pleuraexsudaten 1 ccm
Serum aspiriert und, ohne dass die Nadel aus der Hautoffnung heraus¬
gezogen, subkutan injiziert wird. o , , „„„
J berichtet über 15 so behandelte Fälle von Pleuraexsudat, von
denen' etwa die Hälfte sicher tuberkulöser Natur war, welche aber
das Postulat frisch zu sein zum grösseren Teil nicht erfüllten
Diebrillanten, von Gilbert und einigen anderen Autoren hervor¬
gehobenen Resultate konnte J. nicht bestätigen immerhin aber fand
er dies Verfahren therapeutisch so wirksam, dass er es zur An¬
wendung empfehlen zu können glaubt. . , ,.
Die Methode erwies sich um so wirksamer, je frischer die E.x-
sudate waren. Im Gegensatz zu Gilbert konnte .1. mit M o n £oa
und Gentes (Rif. med. 1900, pag. 67) konstatieren, dass dies Ver¬
fahren nicht nur bei tuberkulösen Exsudaten, sondern auch bei anders¬
artigen sich wirksam erwies. , ,
Als besonders bemerkenswert glaubt .1. hervorheben zu müssen
die diuretische Wirkung dieses Heilverfahrens In 13 von den 15 be¬
handelten Fällen war sie eine sehr bedeutende und > stieg ^z B
700 auf 2200. von 800 auf 2700 und von 1500 auf 3800. Somit schien
sich dieses Heilverfahren J. als ein die Aufsaugung des Exsudats
beschleunigendes zu bewähren. Ob es sich bei demselben «m
kung von Toxinen, Antitoxinen, um eine Art Immunisierung odei un
osmotische, die Druckverhältnisse im Kreislauf beeinflussende Mo¬
mente handelt, bleibt hypothetisch. (Gazzetta degli osped. 19 7,
L i v i e r a t o bringt aus der Klinik Genuas einer. ' Be‘{™~ ™
Wirkung des.„Benzosalins“, eines neuen Sahzylpraparates. (Gazzetta
deSllErSfand dies’ Präparat (bestehend aus Benzoesäure und bahzyU
säure) wirksam in allen den Krankheiten, in welchen die Salizylsäure
und ^Präparate sich wirksam erweisen. Besondere Vorteile bietet
dasselbe in bezug auf das Fehlen der unangenehmen I JebenwirkunKen.
und aus diesem Grunde empfiehlt es sich bei al P?a Dip Schweiss-
chen Herz und Magen nicht richtig funktionieren. Die ^chweiss
Sekretion nach Benzosalin soll nicht so profus und erschöpfend seit
wie nach anderen Salizylverbindungen, sondern massiger, dafür aber
soll es die Diurese in merklicher Weise anr.eg®n- , ,, * y „
Äflflo LÄ dem Institut
für Infektionskrankheiten in Genua über ein Verinhren der Kultur e»
N e i s s e r sehen Gonokokkus. (Gazzetta degli 0SPe'd- J907, ^ 7-J
Nach längeren Versuchen mit verschiedenen Nahr ode er
reichten die Autoren mit einem Zusatz von deformiertem Blut
2054
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Verhältnis von 1 Tropfen zu 10 ccm flüssiger glyzerinierter Bouillon
befriedigende Resultate.
Ein weiterer Zusatz von frischem Hühnereiweiss oder frischem
Hühnereigelb (ebenfalls nur 1 Tropfen) macht die Entwicklung be¬
deutend schneller und üppiger.
Es wurde ferner die Beobachtung gemacht, dass auf Nährböden,
auf welchem nach 48 ständigem Aufenthalt im Brutofen sich keine
Entwicklung zeigte, es genügte, 1 Tropfen frisches Hühnereiweiss oder
1 Platinöse frisches Hühnereigelb hinzuzufügen, um die Entwicklung
zu einer sehr üppigen zu machen.
Feste Nährböden entsprechen im allgemeinen nicht so sehr den
Entwicklungsbedingungen des Pilzes als flüssige, indessen versichern
die Autoren, auch auf Kartoffeln Kulturen, welche von Hiihnereiweiss-
bouillon stammten, ausgesät und üppige Kulturen wieder erhalten zu
haben.
Auch der pathogene Einfluss der so erhaltenen Kulturen auf ge¬
sunde Schleimhaut wurde experimentell nachgewiesen; desgleichen
gelang es, ein Aggressin zu finden, welches die Wirkung des In¬
fektionsträger wesentlich verschärfte, die Inkubationsdauer abkürzte,
auch mit Kulturen gemeinsam injiziert den Tod der Versuchstiere
bewirkte, während die Kulturen allein hierzu nicht imstande waren.
Ueber diese letzteren Tatsachen versprechen die Autoren weitere
Mitteilungen.
Qravagna - Catania (Klinik für Haut und Syphilis) : Ueber
den Befund des Leprabazillus im strömenden Blute vor und nach der
Behandlung mit Merkur. (Qazzetta degli osped. 1907, S. 66.)
An zwei Leprakranken prüfte Verf. die Frage des Vorkommens
des Bazillus Hansen im Blut. Es gelang ihm nach der Ziehl-
Nelson sehen, der G a b b e t sehen und der Ehrlich-Weigert-
schen Methode bei beiden Fällen fast in allen Blutpräparaten Lepra¬
bazillen nachzuweisen. Diese Untersuchungen wurden unternommen
zu einer Zeit des scheinbaren Stillstandes des Lepraprozesses, nach¬
dem seit über drei Monaten keine Bildung neuer Leprome, keine
Vergrösserung der alten stattgefunden hatte.
Angesichts der guten Resultate, welche in der Klinik Catanias
bei Leprösen mit Merkurialkuren erzielt wurden, lag es nahe, bei beiden
Kranken nach länger durchgeführter Merkurialkur die Blutunter¬
suchung zu wiederholen. Trotz langer und sorgfältiger Untersuchung
mit derselben Technik fiel das Resultat negativ aus, und Q. sieht hierin
eine Bestätigung der günstigen Wirkung der Merkurbehandlung bei
Lepra.
Dagegen gelang es Q. trotz vieler und wiederholter Versuche
nicht, mit Hilfe des Blutes der beiden Leprakranken Nährböden her¬
zustellen, auf welchen der Bazillus Hansen sich entwickelte; auch
das reine Blutserum als Nährboden blieb steril. Ein Kulturverfahren
für den Leprabazillus gibt es bis jetzt noch nicht.
Hager- Magdeburg.
Holländische Literatur.
T Schoemaker: Das perforierte Magengeschwür. (Nederl.
Tijdschr. voor Geneeskunde, I, No. 16.)
An der Hand von sechs operierten Fällen, von denen nur einer
letal endigte, bespricht Verf. vor allem die Symptomatologie des Ulcus
perforatum und kommt schliesslich zu folgendem Resume:
Ein perforiertes Magenulcus gibt auch noch 26 Stunden nach der
Perforation eine gute Aussicht auf Heilung, da auch dann die Peri¬
tonitis noch nicht bedenklich ist.
Die Diagnose ist schwer, ja zuweilen unmöglich, wenn die Anam¬
nese keine Fingerzeige gibt. Die Erscheinungen sind die eines
perakut begonnenen Bauchleidens mit darauf folgender umschriebener
Peritonitis. Lokalisiert sind sie bei Ulzera am Pylorus in der rechten
Seite und im kleinen Becken. Der dabei in der lleozoekalgegend
vorhandene Druckschmerz gibt Veranlassung zu Verwechslung mit
akuter Appendizitis. Im übrigen scheint „defense musculaire“ ober¬
halb der Appendix zu fehlen.
Bei einer mehr nach links sitzenden Perforation wird aber auch
das kleine Becken eher als die Mittelbauchgegend infiziert und man
undet selbst nach sieben lagen die stärksten Veränderungen im Epi-
und Hypogastrium, während das Mesogastrium frei bleibt.
Die Perforation nach hinten ist gekennzeichnet durch Schmerz in
uer linken obersten Bauchhälfte und begrenztes schmerzhaftes Druck-
gefiihl längs der grossen Kurvatur. Die Unterscheidung von der
akuten Pankreasaffektion ist schwierig.
J3- Hovig: Ein Fall von Puerperalfieber mit Ausgang in
Heilung auf Einspritzung von Oleum Therebinthinae. (Ibid)
Nach Injektion vno 2 g Ol. Thereb. in den Schenkel erfolgte Tem¬
peratu rabfall unter Formung eines Abszesses an der Injektionsstelle.
Rasche Heilung.
A. J. Salm: Zur Zytodiagnostik der Hvdrozele. (Ibid. No 17)
In der Hydrozelenfliissigkeit von Ostindischen Eingeborenen fand
Verf. bei 12 Fallen etwa in der Hälfte derselben Embryonen von
F i 1 a r i a.
I. F. Bax: Ein Fall von Magenperforation, kompliziert mit Haut¬
emphysem.
In diesem letal verlaufenen Falle trat in der linken Fossa iliaca
Hautemphysem auf, das sich rasch bis zum Halse und über das Ge¬
sicht verbreitete.
J. W. Lang ela an, Professor zu Leiden: Ueber den Bau und
die Funktion des Kleinhirns. (Ibid. No. 20.)
Nach einer genauen anatomischen Beschreibung des Kleinhirns
bespricht Verf. die Funktion desselben, die er in Folgendem zu¬
sammenfasst.
Das Kleinhirn übt 1. einen doppelten Einfluss aus auf die willkür¬
lichen Muskeln:
a) Es unterhält den Muskeltonus;
b) es verbessert und verlängert die Kraft der willkürlichen
Kontraktion;
2. wirkt es in trophischem Sinne auf den Zustand der Gewebe;
3. auf die Somotopsyche.
Als Symptome von geringerer oder grösserer Zerstörung des
Kleinhirns finden wir:
I. Unmittelbare Symptome:
a) Hypotonie von Muskeln mit Wechsel in der Grösse der
Sehnenreflexe, endigend mit beinahe vollkommener Atonie und Auf¬
hebung der Reflexe; abnormaler Kopfstand als Folge von Mus-
kelatonie.
b) Zerebelläre Ataxie der verschiedenen Bewegungen, besonders
beim Laufen.
c) I rophische Störungen, vor allem wenn die Erkrankung in
der Jugend auftritt und lange dauert.
d) Indolenz bei ungestörter Intelligenz, wenn die Erkrankung im
späteren Leben auftritt; Imbezillität bei kongenitalem Fehlen des
Zerebellum.
II. Mittelbare Symptome:
a) Abnormer Stand von Kopf und Augen, Schwindelgefühl.
b) Kompensatorischer Zwangsstand des Kopfes.
W. A. A. Van B insbergen: Sodabäder als Heilmittel.
(Ibidem.)
Durch einen Pastor vor 6 Jahren auf die günstige Wirkung von
Sodabädern bei Panaritium aufmerksam gemacht, hat Verf. diese in
zahlreichen Fällen, bei denen bereits eine Eiteröffnung bestand, mit
gutem Ei folge angewandt. Später erprobte er dieselben mit gleich
guter Wirkung in etwa 300 Fällen von Knochentuberkulose, nicht
tuberkulöser Osteomyelitis und Beingeschwür. Der betr. Körperteil
wird täglich zweimal, bei viel Eiterbildung viermal in einer ein-
prozentigen Sodalösung von 35 — 40° C eine Stunde lang gebadet,
während das Wasser durch Zugiessen stets auf der gleichen Tem¬
peratur gehalten wird. Es soll nur ganz reine englische Kristallsoda
genommen werden.
C. P. C. Bosch und G. van Ho u tum: Zystöse Erweiterung
des in der Blasenschleimhant gelegenen Teiles des Ureters.
(Ibid., No. 22.) .
Dieser seltene Fall betraf eine 44 jährige Frau, die seit Jahren
an immer mehr zunehmender Miktionsfrequenz litt. Bei der Zysto-
skopie fand sich an Stelle der rechten Ureteröffnung eine taubenei¬
grosse Zyste mit glatter durchscheinender Wand. Auf einem stumpfen,
nach dem Ostium urethrae internum zu gelegenen Punkte befindet
sich die Ureteröffnung, aus der unter rhythmischem Grösser- und
Kleinerwerden der Zyste der Urin hervorkommt.
Cornelia De Lange: Ein Fall von mongolischem blauen Fleck.
(Ibidem.)
Während nach Fujisawa (Jahrbuch f. Kinderheilk., Bd. 62)
die meisten japanischen Kinder kurz nach der Geburt einen oder
mehrere blaue Hautflecke in der Kreuz-Steiss-Glutäalgegend zeigen,
die nach einigen Monaten spurlos verschwinden, wird Mer die
gleiche Erscheinung bei einem holländischen, 3 Wochen alten Kinde
beschrieben.
Cornelia De Lange: Ueber Herzgeräusche und Herztöne bei
Kindern. (Ibidem, No. 24.)
Verfasserin gibt zunächst eine erschöpfende Literaturübersicht
und sodann ihre eigenen Erfahrungen an 1800 Kindern, die in den
letzten Jahren untersucht wurden und bei welchen in 36 Fällen Herz¬
geräusche gefunden wurden.
Akzidentelle Herzgeräusche kann man nur auf Grund wieder¬
holter Untersuchungen diagnostizieren. Man findet dann, dass be-
sondeis bei Kindern unter 4 Jahren das Punctum maximum des Ge¬
räusches in verschiedenen Zeiten verschieden gelegen ist, bald an der
Mitralis, bald zwischen Mitralis und Pulmonalis oder an der Pulmo-
nalis selbst.
In 5 von den 36 Fällen lautete die Diagnose: Vitium cordis con-
genitum; in 2 wurde Kardiopulmonalgeräusch angenommen. Die
übrigen 27 Fälle betrafen einmal ein Kind von 2 Monaten,. 5 mal
Kinder zwischen 1 und 2 Jahren, 11 mal zwischen 2 und 3 Jahren,
5 mal bei 3 Jahren, 5 mal bei 314 Jahren. De L. zieht folgende
Schlüsse:
Bei Fieber und starker Anämie kommen akzidentelle Geräusche
bei Kindern selten vor, doch werden sie auch vor dem 7. Lebensjahre
ziemlich häufig angetroffen. Am seltensten hört man sie am Ostium
pulmonale, am häufigsten an der Mitralis. Das Wichtigste für die
Diagnose ist die wechselnde Lokalisation.
F. M. G. D e F ey va: Eine Trennung von Xiphopagen im Jahre
1689. (Ibidem, No. 24.)
Vor einiger Zeit wurde im Med. Record die Mitteilung ge¬
bracht, dass die Operation der zusammengewachsenen Zwillinge
bereits dm Jahre 1840 von dem spanischen Marinearzt Jose Britoy
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2055
Bo in unter besonderen Umständen wohl zum 1. Male ausgefiilut
Die Universitätsbibliothek zu Leiden aber ist im Besitze einei
hochinteressanten Kupfergravüre mit Abbildungen eines Xiphopagen,
der bereits im Jahre 1689 zu Basel von Dr. Joh. Fatio (F atius?)
mit dem besten Erfolge operiert worden ist, wie aus dem beige¬
druckten Texte hervorgeht. _ . T
J F Maas: Die medizinischen Quarzlampe, eine neue Lampe
für Phototherapie. (Mitteilung aus der Klinik von Prof. Mendes da
Costa, Amsterdam.) (Ibidem, No. 25.) ,
M hat mit der Lampe Versuche angestellt, aus welchen hervor¬
geht dass deren Tiefenwirkung eine viel geringere ist, als die der
Finsenlampe, während sie die Hautoberfläche sehr stark irritiert und
dadurch die Behandlungsdauer derartig abkürzt, dass von einer ge¬
nügenden Tiefenwirkung ohnehin keine Rede sein kann. .
Th. H. Van de Velde: Einiges Neue über die Hebosteotomie.
(Ibidem, No. 26.) Tr . , . .... . ,
Bezüglich der Technik kommt Verf. auf seine frühere Angabe zu¬
rück dass man die Führungsnadel der Säge nicht von oben nach unten,
sondern von unten nach oben einbringen soll, um Verletzungen des
Corpus cavernosum clitoridis zu vermeiden. .
Hat man es mit einer engen, wenig dehnbaren Vagina zu tun,
so soll event. ein tiefer seitlicher Einschnitt schräg nach hinten, in
Vulva, Peritoneum und Vagina, durchgehend in die Muskellage des
Beckenbodens gemacht werden. Es ist dies vor allem indiziert bei
Erstgebärenden und bei Ausgangsverengerungen.
Einer der Hauptvorteile der Hebosteotomie besteht in der
bleibenden Erweiterung des Beckens, wie die der Arbeit bei¬
gegebenen Radiographien beweisen. Dieselbe beträgt 1,5 2 cm.
Von den 5 vom Verf. hebosteotomierten Frauen haben 3 später
spontan wieder geboren. Dr. S c h 1 o t h - Bad Brückenau.
Bericht über die neueren Arbeiten aus dem Gebiete der ge¬
samten Physiologie.
Von Prof. Dr. K- B ü r k e r - Tübingen.
(Fortsetzung.)
Mit dem Vorgänge der Resorption befassen sich die folgenden
Arbeiten. In einer Arbeit: Tierische Säfte und Gewebe in
physikalisch-chemischer Beziehung. IX. Mittei¬
lung. Die physikalische Bedeutung der tierisc hen
Membranen für die Resorptionserscheinungen (Ti-
gerstedts skandinav. Arch.'f. Physiol., Bd. 19, S. 162, 1907) diskutiert
M. Oker-Blom -Helsingfors vier He i d e n h a i n sehe Satze über
Resorption und hebt besonders hervor, dass Heidenhain die
grosse Bedeutung der relativen Durchlässigkeit der Scheidewand
(Ionensieb nach Ostwald) vernachlässigt habe.
M. Katzen ellenbo gen -Zürich kommt in einer Arbeit:
Der Einfluss der D i f f u s i b i 1 i t ä t und! der Ltipoid-
löslichkeit auf die Geschwindigkeit der Darmre¬
sorption (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 114, S. 522, 1906)
zu dem Ergebnis, dass die Resorptionsgeschwindigkeit im allgemeinen
von der Lipoidlöslichkeit abhängt. Dass diese aber allem nicht in
Betracht kommt, geht aus Versuchen hervor, welche R. Hober-
Zürich, unter dessen Leitung auch die ebenerwähnten Versuche ange¬
stellt wurden, in Rosenthals biolog. Zentralbl., Bd. 26, S. 748,
1906 unter dem Titel: Zur Frage der elektiven Fähig¬
keiten der Resorptionsorgane mitteilt. Der Verfasser
hatte früher beobachtet, dass sich die Resorptionsepithelien mit Eisen¬
salzen wie mit sonst keinem Schwermetallsalze beladen. Um dieser
Sonderstellung der Eisensalze auf den Grund zu gehen, wurde fol¬
gende biologische Methode in betracht gezogen. Wenn es sich um
eine Anpassung der Zellleistung an die Bedürfnisse des Organismus
handelt, so muss, schliesst Höher, bei Gastropoden und Cephalo-
poden, deren Blutfarbstoff Kupfer enthält, ein Wiahlvermögen fiii
Kupfer ausgebildet sein. Durch cand. phil. Lifschütz liess der
Verfasser nun Fütterungsversuche an Helix pomatia und Astacus
fluviatilis vornehmen; die Tiere nahmen zwar Eisen aber kein Kupfer
auf. Der Verfasser schliesst daher, dass es an den spezifischen
Eigenschaften der Eisensalze liegen müsse, dass sie so gut resorbiert
werden und wendet nun eine physikalisch-chemische Methode zur Ent¬
scheidung an; er fragt: Sind Eisensalze lipoidlöslich? Dafür spricht
ihre starke Löslichkeit in Aether. Auch Ouecksilber und Goldchlorid
sind äther- und damit lipoidlöslich (einzige Schwermetallsalze derart).
Kommt also allein die Lipoidlöslichkeit in Frage, so müsste auch
Ouecksilber und Gold resorbiert werden. Versuche an Mäusen er¬
gaben, dass dies nicht der Fall ist, Eisen nahmen aber diese Tiere
in reichlicher Menge auf. Daher kommt es nach Verfasser nicht allein
auf die Lipoidlöslichkeit an.
Der grossen Zahl von Arbeiten über die Physiologie der Ver¬
dauung stehen fast gar keine Arbeiten über die Mechanik und Chemie
der Atmung gegenüber. Die Physiologie des Blutes begegnet grösse¬
rem Interesse.
Unter besonderen Bedingungen hat H. Deetjen - Berlin Tei¬
lungen der Leukozyten des Menschen ausserhalb
des Körpers, Bewegungen der Lymphozyten (Engel¬
manns Archiv f. Physiol. 1906, S. 401) beobachtet. Um diese Vor¬
gänge zu studieren, muss der Finger, aus dem das Blut entzogen
werden soll, sorgfältig mit heissem Wasser und Bimsstein gereinigt
und mit einem reinen Tuch oder Seidenpapier getrocknet werden.
Auf Objektträgern von gewöhnlichem Glas Hessen sich die Vorgänge
nicht verfolgen, es musste dazu Ouarz oder Jenaer Glas, noch besser
Bergkristall benutzt werden. Das Blut wurde in möglichst dünner
Schicht zwischen Objektträger und Deckglas ausgebreitet und bei
Körpertemperatur beobachtet. Dann sah man nach ca. 10 Minuten
Teilungen der polynukleären Leukozyten in Mutter- und Tochter¬
zellen mit je einem Teil des Kerns. Die Tochterzellen blieben mehrere
Stunden beweglich, dann zeigten sie körnigen Zerfall. Gelegentlich
wurde auch Knospung und Abschnürung kleinster Teilchen, die Aehn-
lichkeit mit Blutplättchen hatten, beobachtet. Diese neu entstehenden
Teilchen blieben gelegentlich mehrere Stunden beweglich, während
die wirklichen Blutplättchen auf Quarz ebenso rasen wie auf Glas
zu Grunde gingen. Unter 37 0 erfolgten keine Teilungen.
Die Lymphozyten zeigten auf Quarz keine Teilungsvorgänge, be¬
wegten sich aber lebhaft. Auf gewöhnlichem Glas beginnt die Be¬
wegung der Lymphozyten erst nach mehreren Stunden, sicher am
h T age
Beim Suchen nach kleinsten Krankheitserregern im Blut machte
W Rosenthal - Göttingen einige merkwürdige Beobach¬
tungen an Hühnerblut mit stärkstenVergrosse-
rungen und mit dem Ultramikroskop (Rosentlials biol.
Zentralbl., Bd. 26, S. 697, 1906). Die Beobachtungen betreffen Blut¬
stäubchen und freie Granula, ferner Fadenbildung im Hühner- und
Säugetierblut.
Untersuchungen über den H y d r o x y 1 i o n e n -
gehalt des plazentaren (fötalen) Blutes, von A. S z i 1 1 -
Ofen-Pest angestellt, ergaben, dass der Gehalt deni des destillierten
Wassers gleichkommt (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115,
S. 72, 1906). , . , . . , o o
Durch Messung des H y d r o xy 1 1 o n e n g e h a 1 1 e s des
Diabetikerblutes kommt H. Benedict - OfemPest in Pflü¬
gers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 106, 1906 zu dem Resultate,
dass das diabetische Koma kein Säurekoma ist, dass also subkutane
oder intravenöse Injektion von Alkalien keine Rettung bringt.
Damit im Zusammenhang stehen Experimentelle U n t e r -
suchungen über Säureintoxikation, welche P .
S z i 1 i - Ofen-Pest angestellt und in Pflügers Arch. f. d. ges. 1 hysiol..
Bd. 115, S. 82, 1906 mitgeteilt hat.
Ueber den Glyzeringehalt des Blutes nach
Untersuchungen mit dem Z ei sei sehen ',odldvei;;
fahren berichten F. Tan gl und S. W e i s e r - Ofen-Pest m Pflü¬
gers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115. S. 152, 1906. _ Das Z e l s e 1 sehe
Verfahren beruht auf folgendem Prinzip: Unter Einwirkung kochen¬
der wässriger Jodwasserstoffsäure vom spez.. Gew. 1.7 erfahrt das
Objekt der Analyse eine Umwandlung in ein flüchtiges Jodalkvl,
dessen Dampf von begleitendem J und JH befreit, in alkoholische
AgNoa-Lösung eintritt. Mit dieser setzt es sich zur aauivalenten
Menge AgJ um, welches zur Wägung gelangt oder sonstwie be¬
stimmt wird. Da eine Reihe von Stoffen im Blut stören, so muss
das Blut zu der Bestimmung entsnrechend vorbereitet werden, im
Pferde- und Rmderbhit wurden nach diesem Verfahren ca. 0,007 Pmz.
Glvzerin dem Gewichte nach gefunden, und zwar geholte das Gly¬
zerin ausschliesslich dem Blutplasma an.
Die neuen Beweise für den freien Zustand de_s
Zuckers im Blute, welche Asher und Rosenfeld erbracht
zu haben tauben, hält F. P f 1 ü e e r - Bonn in seinem Arch. f. d. ges.
Physiol., Bd. 117. S. 217. 1907 nicht für stichhaltig.
In einer Arbeit Ueber das L i c h t a b s o r p 1 1 o n s v e r -
mögen des Blutfarbstoffes (Engelmanns Arch. f. Physiol.
1906, Suppl., S. 109) behaupten H. Aron und, F- M ü 1 1 e r - Berlin,
dass der von Hüfner eingeführte Quotient (-’ o = Extinktions¬
koeffizient in der Region des nach dem violetten Ende des Spek¬
trums zu gelegenen Absorptionsstreifens des Oxyhamog lobins.
2b = Extinktionskoeffizient in der Region zwischen den beiden
Streifen des Oxyhämoglobins), wenn man Blut untersucht, nicht den
konstanten Wert 1,578 hat. wie Hüfner auf Grund langjähriger,
sehr sorgfältiger Untersuchungen behauptet. Zwischen Eisengehalt
und Lichtabsorption soll eine konstante Beziehung bestehen. Der
wahrscheinliche Fehler einer Hämoglobinbestimmung mit _ dem
Spektrophotometer ausgefiihrt soll auch nicht viel kleiner sein als
beim F 1 e i s c h 1 - M i e s c h e r sehen Hämometer. . -
Ueber die durch Photographie nac e V* b.a prfef "
spektralen Eigenschaften der Blutfarbstoffe
und anderer Farbstoffe des tierischen Körper s be¬
richten L. Lewin, A. Mi ethe und E S1 : e nge r- Berl Im au sfuhr-
lich in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 118, s- 8°, 1907. Zur
Untersuchung im roten Teile des Spektrums wurden die Platten mit
Isokol sensibilisiert: um die Untersuchung im violetten Ende zu
möglichen, wurde Quarzoptik benutzt. .
In einer Arbeit Zur Kenntnis der G u a j a k b 1 u t p r o b e
und einiger ähnlicher Reaktionen (Kossels Zeitschr. .
physiol. Chemie, Bd. 50, S. 374, 1906/07) gibt O. Schümm -Hamburg-
Eppendorf genaue Vorschriften für die Herstellung der Reagentien
und die Ausführung der Probe.
2U56
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCEIRIFT.
No. 41.
Ueber H. P. J . Oerums - Kopenhagen Versuche über die
Einwirkung des Lichtes auf das Blut siehe Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 114, S. 1, 1906.
Die Veränderungen des Blutes nach Blutver¬
lusten und bei der Neubildung des verlorenen
LI utes hat O. In agak i - Würzburg untersucht und darüber in
v. Voits Zeitschr. f. Biol., Bd. 49, S. 77, 1907 berichtet.
In einer Arbeit Ueber die Lymphbildung, III. Die
Wirkung der Gelatine auf den Abfluss und die Zu¬
sammensetzung der Lymphe (v. Voits Zeitschr. f. Biol.,
Bd. 49, S. 283, 1907) kommt G. .d’E r r i c o - Neapel zu folgenden
Schlussfolgerungen :
1. Die normale Lymphe hat eine geringere Viskosität als Blut¬
serum.
2. Gelatine eingeführt wirkt schwach lymphagog.
3. Nach Gelatineinjektion wird die Lymphe mehr viskos.
4. Nach Gelatineinjektion ist die Viskosität trotz Zunahme ge¬
ringer als die des Blutserums.
Zahlreich sind die Arbeiten über die Physiologie des Herz¬
muskels. Die definitive Entscheidung darüber, ob der Antrieb zur
Rhythmik myogener oder neurogener Natur ist, ist noch nicht ge¬
fallen.
Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herz¬
tätigkeit. II. Teil, liefert K. F. W e n k e b a c h - Groningen
m Engelmanns Archiv f. Physiol., 1907, S. 1 und behandelt dort die
Muskulatui an der Vena cava superior, an den Venen ausgelöste
Extrasystolen, die Dissoziation der Tätigkeit der Venenmuskulatur,
die Stannins sehe Ligatur beim Menschen, die Dissoziation der
Ventrikeltätigkeit.
Eine für die Klinik bedeutsame Einrichtung, um die Regi¬
strierung der menschlichen Herzt ö n e mittels des
Saitengalvanometers zu ermöglichen, hat W. Einthoven-
Leyden getroffen (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 117, S. 461,
1907). Die Klinik in Leyden ist. durch eine 1,5 km lange Leitung mit
dem physiologischen Institut verbunden. Durch ein B e r 1 i n e r sches
Mikrophon werden in der Klinik die Herztöne aufgenommen und die
ihnen entsprechenden Ströme nach dem physiologischen Institut ins
Saitengalvanometer geleitet und dort photographisch registriert. So
entsteht das Telekardiogramm. Die Töne werden durch das Saiten¬
galvanometer sehr getreu wiedergegeben, da der vom Strom durch¬
flossene versilberte Quarzfaden nur 2,5 cm lang, 0,001 mm dick ist,
ein Gewicht von nur l,5.10~7g hat und 3230 ganze Schwingungen
pro Sekunde macht.
Eine polemische Arbeit: Myogene Irrungen hat E. v.
Lyon in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 113, S. 111, 1906
veröffentlicht.
A k z e 1 e r a n s r e i z u n g kann das schlaglose Säu¬
getierherz zum automatischen Schlagen bringen
also Nervenkraft, wie H. E. Hering- Prag beobachtet hat und in
Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 354, 1906 mitteilt.
Eine sehr eingehende Arbeit : Der bewegungshemmende
und der motorische Nervenappa rat des Herzens
1,, Do° ? 1 ®irt/“nd K' Archangelsky ist in Pflügers Arch.
Bd. 113, S. 1, 1906 enthalten.
In einer Arbeit: E i n f 1 u s s der Herztemperatur auf
die Erregbarkeit der beschleunigenden und ver-
1 a n g s am endeln Herznerven (v. Voits Zeitschr. f. ßioli,
Bd\ 49' ?'.392’ 19°.?) k°mmt O. F r a n k - Giessen, da er eine Ver¬
schiedenheit der Wirkung der Temperatur auf Vagus und Akzelerans
beobachtete, zu dem Schlüsse, dass die beiden Nerven im Herzen
verschiedene Angriffspunkte haben.
Die Grundeigenschaften des
ihre B -e e i n f I u s s.u n g durch versc
im besonderen optimaler Rhythmus
und das Bowditchsche „Alles oder N i c h t s“ - G e s e t z
behandelt A B orn s t e i n - Berlin in Engelmanns Arch. f. Physiol.,
1906, Suppl. S. 343 und 377.
, B 'I! e J1 n c 11 o n S p h y g m ographen beschreiben O. Frank
1907 ' e 1 1 e r - Giessen in v. Voits Zeitschr. f. Biol., Bd. 49, S. 70,
Herzmuskels und
liedene Agentien,
und Herztetanus
Arbeiten ^ Phvsio,°8ie der Bll,tsefässdrüsen beziehen sich folgende
Einen Ueberblick über die neuere und neueste Schild-
drusenforschung gibt O. S c h u 1 z - Erlangen in Rosenthals
biol. Zentralbl., Bd. 26, S. 754, 1906.
Ausser der blutdrucksteigernden Substanz der Nebenniere, dem
Adrenalin, enthalt die Drüse auch eine blutdrucksenkende Substanz,
welche Gur her mit eiskaltem Alkohol extrahiert hat. A. Loh¬
mann -Marburg weist nun nach, dass Cholin die den B 1 u t-
r Pf r C * eArn'efdr,iKende Substanz der Nebenniere ist.
(I rlugers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 118. S. 215, 1907).
Zu interessanten Ergebnissen ist K. Grube-Bonn durch Un¬
tersuchungen über die Bildung des Glykogens in
Vno-^6 r (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 118,
i. 190/). A s Versuchstiere wurden Schildkröten benutzt, durch
besondere methodische Vorrichtungen konnte der Glykogengehalt
"nd derselben Leber vor und nach Zufuhr bestimmter chemi¬
scher Stoffe ermittelt werden. Die Versuche ergaben, dass die
Leber aus den einfachen Zuckern, Dextrose, Lävulose und Galaktose
Glykogen zu bilden vermag, aus Dextrose aber reichlicher als aus
den beiden anderen Zuckern. Die Leber vermag ferner auch aus
Glyzerin Glykogen zu bilden. Dagegen vermag sie aus den zu¬
sammengesetzten Zuckern Rohrzucker und Milchzucker, ferner aus
Pentose, aus kohlehydratfreiem Eiweiss, aus aktiven und inaktiven
Aminosäuren kein Glykogen zu bilden.
Ausführlich verbreitet sich E. Pflüger- Bonn in einer sehr
wichtigen Arbeit: Untersuchungen über den Pankreas¬
diabetes über die Aetiologie desselben (Pflügers Arch. f. d. ges.
Physiol., B'd. 118, S. 267, 1907). In einem 1. Abschnitt prüft der
Verfasser die Hypothese, ob der experimentelle Pankreasdiabetes
auf nervöser Basis steht, etwa dadurch, dass Nerven nach der Opera¬
tion gezerrt werden. Er liess zwei Hunden drei Viertel des Pankreas
entfernen, sie zeigten keinerlei Gesundheitsstörungen. In verschie¬
denen Perioden wurden den Hunden grössere Mengen Eiweiss, Fett
oder Kohlehydrate zugeführt, die ausgezeichnet verwertet wurden,
ohne dass es zur Zuckerausscheidung kam. Ergiesst also der zurück-
bleibende Teil der Drüse sein Sekret in den Darm, so kommt es zu
keiner Störung der Gesundheit.
In einem 2. Abschnitt wird die Hypothese von der inneren Se¬
kretion des Pankreas kritisch geprüft und keine rechten Anhaltspunkte
dafür gefunden.
Im 3. Abschnitt wird über Totalexstirpationen des Pankreas bei
Rana esculenta berichtet, die im Gegensatz zu Versuchen von Min¬
kowski mit einer Ausnahme zu Diabetes führten.
Im 4. Abschnitt mitgeteilte Transplantationsversuche von Pan¬
kreas unter die Rückenhaut oder in die Peritonealhöhle von pan¬
kreaslosen Fröschen konnten den Diabetes nicht aufhalten oder zum
Verschwinden bringen.
Im 5. Abschnitt teilt der Verfasser die interessante Tatsache mit,
dass Exstirpation des Dünndarms vom Pylorus ab, soweit er dem
Pankreas benachbart ist, zu starkem Diabetes bei erhaltenem Pan¬
kreas führt. Ja es wurde sogar derselbe Erfolg erzielt, wenn nur das
Peritoneum zwischen Dünndarm und Pankreas gespalten wurde. Es
wird daher ein antidiabetisches Zentrum im Duodenum angenommen,
während das bekannte diabetische Zentrum in der Medulla oblongata
gelegen ist.
Auch beim Hunde hat Exstirpation des Duodenums Glykosurie
im Gefolge, worüber im 6. und letzten Abschnitt berichtet wird.
Mit der Exkretion, speziell der löslichen Bestandteile befassen
sich die folgenden Arbeiten.
Die Lehre von der Harnabsonderung behandelt in
einer zusammenfassenden Arbeit L. Asher - Bern im biophysikal.
Zentralbl., Bd. 2, S. 1, 33 und 65, 1906.
In einer Arbeit: Zur Methodik der Harnstoffbe¬
stimmung im normalen und zuckerhaltigen Harne
wendet sich B. Schöndorff - Bonn gegen Einwände, welche gegen
die von Pflüger und B 1 e i b t r e u für den Harn, vom Verfasser
für tierische Organe und Flüssigkeiten ausgearbeitete Methode er¬
hoben worden sind (Pflügers Arch. f. d. ges. Phvsiol., Bd. 117
S. 275, 1907).
Ueber die Ausscheidung optisch aktiver Amino¬
säuren durch den Harn hat E .R e i s s - Frankfurt a. M. mit
Hilfe der von E mb den und Reese modifizierten Fischer-
Berg e 1 1 sehen Naphthalinsulfochloridmethode Versuche angestellt,
worüber er in Hofmeisters Beitr. z. ehern. Phvsiol. u. Pathol.,
Bd.. 8. S. 332, 1906 berichtet. Aus den Versuchen geht hervor, dass
die im Körper vorkommenden aktiven Aminosäuren weit besser
als die entsprechenden Razemkörper. bezw. ihre aus den letzteren im
Organismus abgespaltenen unnatürlichen Spiegelbildisomeren ver¬
brannt werden.
In pathologischen Fällen ist die Ausscheidung von Fett im
Hundeharn schon häufiger beobachtet worden. Dass aber auch unter
physiologischen Verhältnissen Fett in den Harn Übertritt, wenn der
Organismus mit Fett überschwemmt wird, weist B. Schöndorff-
Bonn in einer Arbeit: Ueber die Ausscheidung von Fett
im normalen Hundeharn nach (Pflügers Arch. f. d. ges Phy¬
siologie. Bd. 117. S. 291. 1907).
Die Stickstoffverteilung im Harne unter dem
Einfluss verschiedener Ernährung untersuchte B.
S c h o e n d o r f f - Bonn beim Hunde und berichtet darüber in Pflü¬
gers Arch. f. d. ges. Phvsiol.. Bd. 117. S. 257. 1907. Die erste Frage,
welche experimentell beantwortet werden sollte, lautete-: Wie gross
ist der Anteil des Harnstoffes an der Stickstoffausscheidung, wenn
dei fanze Stoffwechsel nur von Eiweiss bestritten wird, wenn also
ein Tier mit überschüssiger Fleischnahrung gefüttert wird? Die Ant¬
wort lautet, dass mit steigendem Eiweissgehalt der Nahrung der
Stickstoff des Harnstoffes bis zu einem Maximalwerte von 97,98 Proz
des Gesamtstickstoffes im Harne zunimmt.
Auf die zweite Frage, wie zeigt sich diese Beziehung, wenn ein
4 ler längere Zeit hungert, also seinen Stoffwechsel von einer ge¬
ringen Menge Eiweiss und Fett bestreitet? wird geantwortet dass
im Hunger der Harnstoff-N bis auf 75,44 Proz. des Gesamt-N sinken
kann.
Die Beantwortung der dritten Frage, wie äussert sich ausschliess¬
liche Ernährung mit Kohlehydrat und Fett? ergab, dass unter diesen
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2057
Umständen der Harnstoff-N 85—86 Proz. des Gesamt-N im Harne
beträgt. ^
Auf drei Arbeiten von E. Frey - Jena: Der Mechanismus
der Koffein -Phlorhiziji und 0 u e c k S i 1 fee r ,d i u r e in.
Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 175, 204 und 223, 1906
sei hiermit verwiesen.
Auf die Physiologie des Stoffwechsels beziehen sich die folgen¬
den Arbeiten. . . ,, , . , .,
Beiträge zur Kenntnis des Stoffwechsels bei
unzureichender Ernährung hat Fr. N. Schulz- Jena im
Verein mit E. M a n g o 1 d, H. S t ii b e 1 und E. Hempel in Pflügers
Arch f. d. ges. Physiol., Bd. 114, S. 419, 431, 439 und 462 geliefert.
Die Resultate vielfältiger Untersuchungen über ve¬
getarische Diät mit besonderer Berücksichtigung
des Nervensystems, der Blutzirkulation und der
Diurese teilt R. Staeh e lin -Basel in v. Voits Zeitschr. f. Biol.,
Bd. 49, S. 199, 1907, mit. Die Arbeit enthält auch zahlreiche Literatur¬
angaben. . , .. ,
Beiträge zur Physiologie des Menschen im
Hochgebirge von A. D u r i g - Wien sind in Pflügers Arch. f. d.
ges. Physiol., Bd. 113, S. 213 und 341, 1906 enthalten. In
zweiten Arbeit kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass der
kohol bei Steigarbeit ausgeniitzt wird und Kohlehydrate dadurch
spart, dass er aber doch kein günstiges Nahrungsmittel ist wegen
schweren Störungen bei ausgiebigem Genuss.
(Schluss folgt.)
der
Al-
er-
der
Inauguraldissertationen.
Universität Freiburg. September 1907.
34 Blum Richard: Die Bedeutung der Röntgenstrahlen für die Er¬
kenntnis der anatomischen, physiologischen und pathologischen
Verhältnisse des menschlichen Körpers.
35 Unger Georg: Lymphdriisenmetastasen einer benignen Struma.
36. Koch Walter: Ueber das Ultimum moriens des menschlichen
' Herzens. Ein Beitrag zur Frage des Sinusgebietes.
37. Friedmann R.: Die beckenerweiternden Operationen an der
Freiburger Klinik.
Universität Rostock. August 1907.
35. Briickler Otto: Zwei Ziegenfütterungsversuche mit roher und
gekochter Kuhmilch. Ein Beitrag zur Frage der Ueberlegenheit
der rohen oder der gekochten Milch.
36. Burmeister Ernst : Ueber Hirnmilzbrand.
37. Tepling Matthias: Ueber Hysterie im Kindesalter.
38. W e 1 1 m a n n Karl: Experimentelle Untersuchungen über die Fett¬
synthese in stark veränderten, insbesondere in kernlos ge¬
wordenen Zellen.
39. Th eien Franz: Klinische Erfahrungen über das amerikanische
Wurmsamenöl als Antiaskaridiakum bei Kindern.
40. Bernhardt Hugo: Die Tränenschlauchatresie der Neuge¬
borenen.
41. Rybok Viktor: Der juvenile Diabetes mit tödlichem Ausgang.
42. Müller Paul: Zwei Fälle von paroxysmaler Hämoglobinurie.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Berlin, den 30. September 1907.
Der Rücktritt des Ministerialdirektors A 1 1 h o ff. — Prof.
Kossmann t. — Die Kritik des Rudolf-Virchow-Kranken-
hauses. — Deutscher Verein für Volkshygiene. — Internatio¬
nales Komitee zur Bekämpfung der Charlatanerie.
Eine Aenderung im preussischen Kultusministerium,
welche schon seit Monaten erwartet wurde, ist nunmehr zur
Tatsache geworden: der Ministerialdirektor Althoff ist von
seinem Amte zurückgetreten. Das bedeutet weit mehr als
einen Personenwechsel, bei dem der Gang der Geschäfte der
gleiche bleibt, nur dass der Name eines anderen Beamten unter
den Aktenstücken steht; denn Althoff war nichts weniger
als ein Beamter im bureaukratischen Sinne des Wortes, er war
vielmehr eine der ausgeprägtesten Persönlichkeiten, die jemals
dem Ministerium angehört haben, ein Mann von eisernem
Willen und unbeugsamer Energie nach unten wie nach oben.
Er hat so manchen Kultusminister kommen und gehen sehen,
in seinem Bereich blieb er aber immer -mächtiger als sein Chef.
Er hat viele Bewunderer, noch mehr Gegner, alle aber er¬
kennen rückhaltlos an: er war ein ganzer Mann, dem um¬
fassende Sachkenntnis und reiche Begabung zu eigen war.
Eine Reihe wertvoller Einrichtungen ist seinem Einfluss zu ver¬
danken, wir nennen von den auf medizinischem und natur¬
wissenschaftlichem Gebiet liegenden u. a. den grossartigen
Umbau der Charitee, die Gründung des Instituts füricxperi-
mentelle Therapie, -die Neugestaltung des Botanischen Gartfenß.
die Gründung einer Reihe neuer Universitätsinstitute, das ärzt¬
liche Fortbildungswesen, die Ausgestaltung des Rettungs-
wesens, überall griff er mit seinem Einfluss entscheidend ein
und wusste dem Finanzminister die erforderlichen Mittel ab¬
zugewinnen. Das gesamte Universitätswesen trägt den Stem¬
pel A 1 1 h o f f sehen Geistes, aber, wenigstens in den Personal¬
verhältnissen, nicht immer in dem Sinne, wie es der Freiheit
der Wissenschaft und dem Ansehen der Hochschule entspricht,
und das ist es, was seine Gegner ihm nie werden verzeihen
können. Es bleibt unvergessen, dass politische Rücksichten
und klerikale Sympathien bei -der Besetzung von Lehrstühlen
mitsprachen. Auf urbane Formen legte der „allmächtige A 1 1 -
hoff“, den das Bewusstsein seiner Allmacht wohl nie ver-
liess, keinen Wert; es geschah nicht selten, dass er einen an¬
gesehenen Gelehrten zu sich bestellte, ihn stundenlang warten
Hess und -dann nicht empfing. Solche persönliche Eigentüm¬
lichkeiten mögen belanglos sein, schwerer fällt es ins Gewicht,
dass er die Fakultäten -mit gleicher Rücksichtslosigkeit be¬
handelte wie die einzelnen. Ohne Althofis Willen wurde
kein Professor ernannt, und wenn die Fakultät ihn auch ein¬
stimmig vorgeschlagen hatte, und wollte Herr Althoff, so
wurde ein Professor ernannt, ohne dass die Fakultät auch nur
gefragt wurde. Wenden wir uns nun von dem scheidenden
Mann dem kommenden zu. Dem neuen Ministerialdirektor,
Herrn Geheimrat Naumann geht der Ruf eines tüchtigen Be¬
amten von hervorragenden geistigen Fähigkeiten voraus. In
welchem Sinne er das Universitätswesen leiten wird, bleibt
abzuwarten; wenn es aber erlaubt ist, schon jetzt einen
Wunsch auszusprechen, so ist es der, dass mit dem bisherigen
Titel- und Protektionswesen gründlich aufgeräumt wird. Die
überreiche Verleihung von Titularprofessuren und anderer
Titel ist eine Neuerung der letzten 2 Dezennien, welche höch¬
stens den Dekorierten selbst Freude macht. Mit einer Häufig¬
keit, bei der man sich das Kopfschütteln schon abgewöhnt hat,
sah man ganz junge Privatdozenten, die erst kurz zuvor, dank
der Fürsprache ihres einflussreichen Chefs zur Habilitation zu¬
gelassen waren und bei denen man vergeblich nach wissen¬
schaftlichen Leistungen suchte, zu Titularprofessoren ernannt
werden, während ältere verdiente Gelehrte, die ein weniger
biegsames Rückgrat haben, vergeblich auf diese Auszeichnung
warteten; nicht selten w-usste man von einem neuen Pioftssor
nichts weiter, als dass er eine Ausstellung oder dergl. arran¬
giert hatte, oder sein Name wurde überhaupt erst durch die
Ernennung weiteren Kreisen bekannt. Zurzeit wimmelt es von
Professoren. Dass der ehemals so hochangesehene Rang eines
deutschen Professors dadurch erheblich an Wert eingebüsst
hat, ist nur natürlich; und innerhalb wie ausserhalb der aka¬
demischen Kreise besteht der Wunsch, durch seltenere Ver¬
leihung und sorgfältigere Auswahl dem Professortitel wieder
die Bedeutung zu verschaffen, die er früher hatte.
Das Interesse des medizinischen Berlins wurde in der vori¬
gen Woche fast ganz -durch den Kongress für Hygiene und
Demographie in Anspruch genommen, und auch das nicht medi¬
zinische verfolgte mit Eifer und mit mehr oder weniger Ver¬
ständnis, was aus den Sitzungssälen heraus durch die Tages¬
zeitungen drang. Den Kongressmitgliedern wurde ein leiches
Programm geboten, am Tage an wissenschaftlichen, am Aben
an festlichen Genüssen; und ob die letzteren immer vor den
Gesetzen strenger Hygiene bestehen konnten, kann zweifel¬
haft erscheinen, doch werden sie unseren Gästen gezeigt haben,
dass sie uns herzlich willkommen waren. Den Abschluss fan¬
den die Festlichkeiten in einem Bierabend, zu dem die Berliner
Aerzte die Kongressmitglieder und ihre Damen eingeladen
hatten. Als in der Begrüssungsrede Herr Prof. L a s s a r er¬
wähnte, dass durch den Tod des Grossherzogs von Baden der
Schleier der Landestrauer über das Fest gebreitet sei, da wuss¬
ten wir noch nicht, dass noch eine besondere Trauer den Ber¬
liner Aerzten bevorstand.
Die Feststimmung war kaum verklungen, da erfühlen v n ,
•dass unserer Besten einer, Prof. K o s s m a n n, aus dem Leben
geschieden war. In ihm verlieren wir einen unserer befähigt¬
sten Führer. Sein scharfer Geist, sein staunenswertes Wissen
und sein männlich sicheres und dabei doch immer liebens-
2U58
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
würdiges Wesen machten ihn in ganz hervorragendem Masse
geeignet, eine führende Rolle in der ärztlichen Staridesbewe-
gung einzunehmen; und überall, wo es galt, die Standesinter¬
essen zu vertreten, auf den Aerztetagen, in der Aerztekammer,
in den Vereinen, fand man ihn auf dem Platze. Mit unermüd¬
lichem Eifer und beachtenswertem Erfolg war er als Vorsitzen¬
der der von der Aerztekammer eingesetzten Kommission zur
Bekämpfung der Kurpfuscherei tätig. Das schwierige Werk,
unter den Berliner Aerzten, die durch mancherlei Zwistigkeiten
in zwei feindliche Lager gespalten waren, ein besseres kolle¬
giales Einvernehmen herzustellen und eine Grundlage zu ge¬
meinsamer Arbeit zu schaffen, ist zu einem wesentlichen Teil
seinem Eintreten zu verdanken. Noch harren schwierige Fra¬
gen der Lösung, und da werden wir seine Mitarbeit schwer
vermissen und doppelt schmerzlich die Lücke empfinden, die
sein Hinscheiden in unsere Reihen gerissen hat. Mit der Ge¬
schichte der ärztlichen Standesbewegung aber wird sein Name
unauslöschlich verbunden bleiben.
Zu den Sehenswürdigkeiten, welche die Stadt Berlin ihren
Gästen vom Hygienekongress zeigen wollte, gehört in erster
Reihe auch das Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Man glaubte,
gerade in diesem Krankenhaus einen Musterbau vorführen zu
können. Nun hat es aber vor wenigen Wochen auf der Tagung
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege durch
Herrn Lenhartz eine sehr abfällige Kritik erfahren, die
bei den Vätern unserer Stadt ein begreifliches Befremden er¬
regt hat. In einer Sitzung der städtischen Baudeputation nahm
deshalb der Erbauer des Krankenhauses, Herr Stadtbaurat
Hoffman n, Veranlassung, sich zu dieser Kritik zu äussern.
Zunächst bemängelte Lenhartz die hohen Kosten im Ver¬
gleich zu den Hamburger Hospitälern, von diesen aber ist das
eine, St. Georg, kein Neubau, sondern ein Umbau, lind das
andere, Eppendorf, ist vor 20 Jahren erbaut, also zu einer
Zeit, wo die Baupreise wesentlicher niedriger waren. Wert¬
volle Einrichtungen, wie ein eigener Wasserturm, ein eigenes
Elektrizitätswerk, besondere Kühl- und Eisbereitungsanlagen
fehlen in Hamburg fast ganz; dort wurden einige Röntgen¬
apparate in vorhandenen Gebäuden untergebracht, hier haben
wir ein dreistöckiges Röntgenhaus. Jedes Krankenzimmer ist
hier direkt zugänglich, in St. Georg nicht, auch an die Be-
handlungs-, Betriebs- und Nebenräume wurden hier viel wei¬
ter gehende Anforderungen gestellt. Der Zwischenraum
zwischen 2 Betten ist hier stets 1 m, in Eppendorf geht er bis
zu 50 cm herab, das fällt natürlich bei der Berechnung der
Durchschnittskosten pro Bett sehr ins Gewicht. Das freie Ge¬
lände ist im Verhältnis zur Krankenzahl fast 1/4 mal so gross |
wie in Eppendorf und fast doppelt so gross wie in St. Georg.
An weiteren Einzelheiten wies Herr Hoffman n nach, dass
die hohen Kosten des Rudolf-Virchow-Krankenhauses im Ein¬
klang stehen mit den erhöhten Leistungen, die bei einem
modernen Krankenhausbau gefordert werden mussten. Die
technische Industrie hat speziell in bezug auf den Bau von
Instrumenten und Apparaten in den letzten Jahren erhebliche
Fortschritte gemacht, die ohne Rücksicht auf die Kosten für
ein neues Krankenhaus nutzbar gemacht werden müssen.
Wenn der Gesamteindruck des Rudolf-Virchow-Krankenhauses
allgemein gerühmt wird, so sei dieser Erfolg nicht durch be¬
sonderen architektonischen Aufwand und Prunk erzielt wor¬
den, sondern durch geschickte Verteilung der gärtnerischen
Anlagen und günstige Wahl der Proportionen bei den einzelnen
Bauten. Der Vorwurf schliesslich, dass der Architekt sich
nicht ausreichend durch die Mediziner leiten liess, konnte mit
Leichtigkeit aktenmässig widerlegt werden; es wurde bis in
die kleinsten Einzelheiten hinein stets der Rat der medi¬
zinischen Sachverständigen eingeholt und ihre Wünsche be¬
rücksichtigt. Die Mitglieder der Baudeputation schienen durch
diese Ausführungen des Stadtbaurates Hoffman n, die von dem
\ t rwaltungsdirektor des Krankenhauses noch ergänzt wurden,
duichaus befriedigt. Da aber Herr Lenhartz bereits eine
Replik veröffentlicht hat, so dürfte die Diskussion über die
Krankenhausfrage noch nicht geschlossen sein.
Während der Kongresswoche tagten hier noch zwei
andeie \ ereine, der „Deutsche Verein für Volkshygiene“ und
das „Internationale Komitee zur Bekämpfung der Charla-
tanerie“. Auf der Generalversammlung des „Deutschen
\ ercins für Volkshygiene“ hielt Frau H e y 1 - Berlin einen Vor¬
trag über die Hygiene und die Frauen. Der Mitarbeit der
Frauen könne man in der Ernährungsfrage nicht entraten, und
ihre Erfahrungen müsste sich auch die Wissenschaft zu Nutze
•machen. Jede Frau, die heiraten wolle, sollte in der Säuglings¬
pflege ausgebildet und auch über die Bedeutung der Genuss¬
gifte, speziell des Alkohols, unterrichtet sein. In der Woh¬
nungshygiene können Frauen als Wohnungsinspektorinnen und
Armenpflegerinnen wertvolle Dienste leisten, wie sie sich auch
als Helferinnen bei der Bekämpfung der Prostitution und als
Aufsichtsbeamte in Fabrikbetrieben gut bewährt haben. Herr
G r u b e r - München sprach über Kolonisation in der Heimat.
Nachdem in den letzten 50 Jahren die Entvölkerung der länd¬
lichen Bezirke und der Zuzug in die Städte immer grösser
geworden ist, muss die Frage aufgeworfen werden, ob mit dem '
zunehmenden Wachstum der Städte auch die Besserung der
gesundheitlichen Verhältnisse gleichen Schritt gehalten habe.
Die Statistik ergibt, dass während des letzten halben Jahr¬
hunderts die Mortalität in den Städten sich um ein Drittel, auf
dem Lande nur um ein Viertel verringert hat, aber sie ist in der
Gressstadt noch immer um 50 Proz. grösser als auf dem Lande;
besonders gross ist sie unter der männlichen Bevölkerung. Die
Ursache hierfür liegt nicht in Schädigungen die durch die Be¬
rufstätigkeit hervorgerufen werden, wie ein Vergleich mit den
hygienisch ungünstig gestellten und schlecht entlohnten Zie¬
geleiarbeitern ergibt, sondern vielmehr in der Verbreitung
der Geschlechtskrankheiten und des Alkoholismus, welche in
den Städten bedeutend grösser ist als auf dem Lande. Um die
Gefahren, welche aus dem rapiden Anwachsen der Grossstädte
der Volksgesundheit erwachsen, zu verringern, müsse eine
radikale Wohnungsreform angestrebt werden.
In der Sitzung des internationalen Komitees zur Bekämp¬
fung der Charlatanerie wurde beschlossen, einen Verband der
auf der Versammlung vertretenen Vereine zu begründen. Die
Geschäftsführung liegt in den Händen der niederländischen
Gesellschaft, die die Gründung nationaler Vereine und ihren
Anschluss an den internationalen Verband veranlassen soll. Die
Berichte der Vereine sollen in dem „Gesundheitslehrer“ ver¬
öffentlicht werden. M. K.
Vereins- und Kongressberichte.
II. Internationaler Kongress für „Säuglingsschutz“
(gouttes de lait).
zu Brüssel vom 12. bis 16. September 1907.
Referent: Dr. Rein ach -München.
Die grosse Bedeutung und die Wichtigkeit der von hervor¬
ragenden Männern der pädiatrischen Wissenschaft geführten Be¬
wegung zum Schutze des Säuglings im Kampfe gegen dessen Leben
bedrohende Schädigungen sozialer Art. gegen Gefahren der Er¬
nährungsweise etc. kam so recht zum Ausdruck in der von allen
zivilisierten Ländern betätigten Teilnahme an obigem Kongresse.
14 Staaten hatten offizielle Vertreter gesandt; nicht nur aus Europa,
aus Amerika, Australien, Südafrika, Indien waren Teilnehmer herbei¬
geeilt. Als offizieller Vertreter Deutschlands war
Herr Geh. Obermedizinalrat Dr. Dietrich-Berlin
erschienen. Die Nachteile in den Verhandlungen solch’ internationaler
I agungen waren durch genau detaillierte vorherige Programmfest¬
legung und Ernennung von sogen. Rapporteurs für die einzelnen
Thesen, deren Berichte jedem Teilnehmer schon vorher im Drucke
zugingen, grösstenteils vermieden. (Ein Teil der Rappor¬
teurs war persönlich erschiene n.) Das Verdienst dieser
vorzüglichen Organisation gebührt Herrn Dr. E. Lust, General¬
sekretär der belgischen Liga zur Bekämpfung der Säuglingssterblich¬
keit. Das Programm des Kongresses zerfiel in folgende Abteilungen:
A. Organisatorische Hauptfrage: Soll der Kongress alle sozialen
und wissenschaftlichen Fragen der Säuglingsfürsorge ventilieren, und
ist infolgedessen der ursprüngliche 1 itel des Kongresses von Congres
des gouttes de lait zu erweitern in Congres pour la protection de
l’enfance du premier äge? Auf Grund der Referate von Professor
Esch er ich, Johann essen, Concetti, MacCleary, Dr.
Martinez Var gas etc. wurde nach erregter Debatte besonders
zwischen deutschen und französischen Aerzten — letztere bestanden
auf Beibehaltung des ursprünglichen Titels „gouttes de lait“ —
die Fassung angenommen: Congres pour la protection de l’enfance
du premier äge (gouttes de lait).
B. Erste Sektion. 1. Stellen die Werke des Säuglingsschutzes
— Fürsorgestellen und Heilstätten — brauchbare Waffen dar im
Kampfe gegen die Tuberkulose und ist von ihnen in der Prophylaxe
gegen diese Volkskrankheit etwas zu erwarten?
Die Beantwortung dieser Frage wird verschieden sein, je nach
der Auffassung über Entstehungsweise und Verbreitung der Tuber-
8. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2059
v.,1nse Combv -Paris, Dr. ’E s p i n e - Genf, Toloza Latour,
1 cf c vre, Schlossmann hatten eingehende Berichte und zum
Teil mündliche Referate in der Sitzung erstattet. Schlossmann,
ein überzeugter Anhänger des Uebertragungsmodus der T uberkulose
durch Deglutination und zwar im frühen Kindesalter, sieht in dei Er¬
nährung an der Brust das beste Mittel im Kampfe gegen die aber -
kuiose. Wenn die Fürsorgestellen also auch die Brusternahrung toi-
dern und die Hygiene des Säuglings bessern, sind sie ein Mittel gegen
Tuberkulose. ^ dje Uebertr.agung der Tuberkulose
stets durch das „Contagion familiale“. nie durch die Milch stattfindet
irisst den Fürsorgestellen nur die sekundäre Rolle durch Besserung
der Säuglingshygiene und Kräftigung des jugendlichen Organismus
im Kampfe gegen die Tuberkulose zu, also eine indirekte Wirksamkeit,
ein Votum, das der Kongress auch zu dem seimgen macht. ^
2. Kritische Betrachtung der in den verschiedenen Ländern ge¬
setzlich festgelegten Bestimmung über Produktion und Verkauf sogen.
^Ste' waren cinuelaufen von DDr. A K eil er - Magdeburg,
V W e 1 v - Holland, L u n d d a h 1 - Dänemark, .loh an nessen-
Christiania, C h a m p e n d a 1 - Genf. Diaz- Zaragoza T h o m so n -
Schottland. D’A d d e r k a s s - Russland, D u f o u 1 - r rankr eien.
Weiss- Oesterreich, De u ts ch -Ungarn, F 1 1 h o - Brasilien. Am
bemerkenswertesten scheinen die Keller sehen Vorschläge. Der¬
selbe verlangt behördliche Konzession für Kindermilchyerkauf,
Tuberkuloseimpfung, die nach % Jahr zu wiederholen, Weidetriex
Revision der Fütterungsvorschriften, Kühlung der Milch auf 3—5
sofort nach dem Melken, reichsgesetzliche Regelung allei Voi-
schriftem Begchreibung der Anstalten und Einrichtungen in den ver¬
schiedenen Ländern zum Zwecke der Säuglingsfürsorge und zur Be¬
kämpfung der Säuglingssterblichkeit. R
Berichterstatter der verschiedenen Lander. DDi. Bene-
venute -Madrid, C h a 1 m e r s - Glasgow C r a t u n es c o -Bu¬
karest Sarmento - Lissabon, Deutsch- Ungar n, F e y 1 e i -
Lausanne, G r a s s e t - Tours. H u b e r t - Petersburg, Johannes-
sen - Christiania, Marchandise- Brüssel, Pezzeti - Mailand,
Plantenga - Haag, S er k o we k i - Polen, V-al des -Havanna,
Wernstedt- Stockholm, W ü r t z - Strassburg, Z e 1 e n s k l - Kra¬
kau, Cardona - Madrid. .
Dr. Marchandise schlägt in der Diskussion vor, Federations
nationales zu gründen, die den einzelnen Anstalten gestatten, sich
gegenseitig zu unterstützen. In Belgien besteht bereits eine Liga zur
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, die eine Reihe von Insti¬
tutionen, Beratungsstellen, Mutterschaftsversicherung, Muttei schule,
Bibliothek für letzere, Museum für Säuglingshygiene ins Leben ge¬
rufen hat und stützt. — Schweden besitzt neben oben genannten In¬
stitutionen noch Asyle für stillende Mütter. Krippen. — Sehr inter¬
essant sind die Berichte aus Rumänien. Die Stadt Bukarest zahlt
jährlich grosse Summen für arme Kinder, die zum Teil zu stillenden
Müttern in die Vorstädte in Kost gegeben und offiziell beaufsichtigt
werden. Auch Krippen mit fast ausschliesslicher Brusternährung sind
seit 1892 geschaffen. Die künstliche Ernährung ist nach Bericht über¬
haupt sehr selten in den rumänischen Städten und unbekannt auf dem
Lande. Auch Ungarn besitzt schon manches Nachahmenswerte.
Im übrigen melden fast alle Berichte über Beratungsstellen und
Milchküchen. ....
b) Statistik der Säuglingssterblichkeit in allen Landern.
Bericht erstattet hatten: Geh. Rat D ie tri ch -Berlin, DDr.
G o 1 e r - Rochester, Fab r i c i u s - Dänemark. Youkers - Gro¬
ningen, U 1 v e 1 i n g - Luxemburg, Ding sw all-Fordyge - Edin¬
burgh, R o m o - Spanien, Z e 1 e n s k i - Galizien. Förster - England,
L i n d b 1 o m - Stockholm, Johannessen - Christiania, P a r d o -
Madrid, W i 1 m a r t - Brüssel.
Ueberall ist die Säuglingssterblichkeit noch sehr hoch, in einigen
Ländern mit rationeller Säuglingsfürsorge ist dieselbe bereits etwas
zurückgegangen (Brüssel). In den Städten ist sie überall höhei als
auf dem Lande, in dichtbevölkerten Zentren am grössten; die Mor¬
talität illegitimer ist infolge strenger Kontrolle in manchen Gegenden
geringer als die ehelicher Kinder unter gleichen Verhältnissen.
Um einheitliche Grundlagen einer internationalen Statistik zu
erlangen wird eine Commission internationale erwählt. Ich verweise
auf die rationellen Vorschläge von Geh. -Rat Dietrich über gleich -
mässige Erhebung des Urmaterials und Bearbeitung nach einheit¬
lichen Grundsätzen.
C. II. Sektion. 4. a) Nahrungsmengen bei natürlicher und „un¬
natürlicher“ Ernährung.
Während S i e g e r t für grosse Nahrungspausen plädiert be¬
sonders mit Rücksicht auf die erst nach längerer Zeit so vollendete
Darmverdauung der eingeführten Nahrung, treten Franzosen und
Belgier mehr ein für häufige kleinere Mahlzeiten, um Magenektasien
und Darmatonien zu vermeiden.
b) Studium der Verdauung beim Säugling:
1. Bakteriologie des Verdauungskanals. Ref.:
Dr. M o r o - München: „Bei akuten Ernährungsstörungen ex alimen-
tatione zeigen die Darmbakterien ein? Virulenzsteigerung. Ver¬
änderungen des Nährbodens zeigen Aenderung im Chemismus der
Darmbakterien. Therapeutisch wäre gegebenen Falles der Darmin¬
halt so zu ändern, dass er für die neu erwachte Vegetation ungünstig
wird, dagegen das Wachstum normaler Antagonisten fördert.“
2 Anatomie und Physiologie des Verdau ungs-
traktus des Säuglings. Studie über die Verdauungsdrüsen
und deren Sekrete von Le S a g e - Paris.
3 Veränderung der Nahrung im Verdauungs-
ka n a 1 spez. in biochem. Hinsicht von Dr. M u 1 s - Brüssel.
4. Nahrungsreste bei Säuglingen, chemisch-
physikalisch-mikroskopische Studie der Fäzes
von Dr. S e 1 1 e r - Solingen. 1. Sehr objektiv gehaltene Folgerung,
deren grosser Wert für therapeutische Indikationen evident ist.
5 Ernährung des Säuglings während der Ent¬
wöhnung. Berichterstatter: Dr. C o r m i e r - Montreal.
5. a) Die verschiedenen Milchmodifikationen für künstliche Saug-
lingsernährung nebst Indikationen zur Anwendung. .
1 Rohe Milch. Es sind als Referenten Finkelstein-
B erlin und T r i b o u 1 e t - Paris ernannt. F i n k e 1 s t e i n sieht im
Gebrauch der rohen Milch keine Vorteile vor der gekochten. Jeden¬
falls ist kein einwandfreier Beweis bis jetzt geliefert. Wenn auch
Morb. Barlow nur bei gekochter Milch vorkommt, ist diese doch nie it
die alleinige Ursache der Erkrankung. Die Aufnahme von Schutz¬
stoffen aus roher artfremder Milch ist bis jetzt auch nicht erwiesen.
Zu letzterem Schlüsse kommt auch B a s e n a u - Amsterdam, lii-
b o u 1 e t weist der rohen Milch bei gewissen Dyspepsien eine Rolle
2. Gekochte, pasteurisierte, sterilisierte Mil c h
Der Ref. D u m o n t - Louvain gibt letzterer den Vorzug, wahrend
das Pasteurisieren nur unmittelbar nach dem Melken und bei naci-
herigem sofortigen Dauerkühlen der Milch brauchbare Resultate g'm
3. „F e r m e n t m i 1 c h“ = Buttermilch (Laits fermentes)
Ref. Dr. G r a a n b o o m - Amsterdam,. Die Indikationen des Ref
sind folgende: Bei Zweimilchernährung: primärer Atrophie und bei
stillstehendem Körpergewicht ohne Verdauungsstörungen: chron.
Dyspepsie, besonders die mit Verstopfung einhergehende Form bei
fehlendem Erbrechen: akute Gastroenteritis nach Wasserdiat; bei
Rhachitis; Anämie und Tuberkulose. „Der Gehalt an Milchsäure und
das leichtverdauliche Kasein“ scheinen Graanboom das wirksame
4. Modifikationen der Milch in che mischerund
molekularer Beziehung. Dr. D e c h e r f in Tourcoing-
Frankreich beschreibt folgende Arten und gibt Indikationen: 1. Lait de
Winter et V i gi e r, 2. Lait de Gärtne r. 3. Lait de Dii f o u r,
4. Lait de S z e k e 1 v, 5. Lait albumost de Rieth, 6. Lait de B i e -
d e r t 7. Lait de Lahmann, 8. Laits modifies des Americains.
Ferner: Backhausmilch, Milch nach Bud in und Michel: egnin-
milch; Fettarme Milch nach H. de R o t s c hi Ld - Paris; Konden¬
sierte Milch; Homogenisierte Milch; Lait oxvgene.
Es ist nicht nötig und wohl auch nicht wichtig, diese 15 Milch-
sorten nähere Revue passieren zu lassen. In praxi dürfte man aut
sehr viele, wohl die meisten verzichten können.
b) Praktische u*id rasche klinische Methoden zur Milchunter-
suchung»
1. Bakteriologische Analyse: Dr. B äsen au -
Am 2 Hygiene der Milch (Frische, Reinheit, Produktion) von
Raudnitz - Prag. Aus R a u d n i t z’ interessantem Bericht sei
hervorgehoben: Zu prüfen sind:
I Gesundheit der Milch, i. e. Abstammung von gesunden I leren
1. Entzündungen der Milchtiere, 2. Eutertuberkulose. II. Sauberkeit
der Milch: 1. Milchschmutz, 2. mikroskopische Untersuchung. 111.
Frische der Milch: 1. Azidität (~ oder ~ NaOH gegen Phenolphtalein),
2. Methvlenblauprobe, 3. Mikroskopie. . D
3. Chemische Analyse: Prof. B o r d a e - Paris als Re¬
ferent bestimmt. ^ 0 T jxn-o •
4. Milchfälschungen: Bericht von Dr. Schools- Liege .
Sehr lesenswertes Spezialessay.
6. Der offizielle und private Unterricht und die Popularisierung
der Hygiene des Kindes. , . , r n „ t, _
Berichterstatter: Feer, R a i m o n d i - Frankreich, Comha-
Bologna • D e 1 c u v e - Mons: Z e 1 e n s k i - Galizien; A 1 v a i e z- Ma¬
drid- Wernstedt- Stockholm; D a n i e 1 - Belgien; Alexan¬
dres c o - Bukarest: Ulr ik -Kopenhagen; J o h a n n es se n -Nor¬
wegen; Rosenhaupt- Frankfurt; Deutsch- Ungarn. Eine reiche
Fülle einschlägigen Materials. Naturgemäss ist fast überall alles erst
in den Anfängen begriffen. Mutterschulen im Anschluss an Beratungs¬
stellen, Unterricht an Töchterschulen, auch an Krippen, Säuglings¬
heime angeschlossen, sind gesetzlich zu fordern.
Der bleibende wissenschaftliche Wert des Kongresses
liegt in den zum Teil sehr guten Berichten. Die offiziellen Kongress¬
beschlüsse über die Fragen A. B < C6 decken sich im wesentlichen
mit den „Conclusions“ der Berichterstatter. ,,
Eine Diskussion fand statt über die mehr allgemein ge¬
haltenen Fragen, während 4 b und 5 a aus naheliegenden Giunden sic i
nicht für den Rahmen des Kongresses zur detaillierten Diskussion eig¬
neten. Zu 5 b fanden Demonstrationen statt im Institut therapeut. du
parc Leopold. Im Anschluss an die letzte Besichtigung dei Eabii'
„Nutricia“, einer im grossen Stile die in Brüssel fast durchweg an¬
gewandte Backhausmilch produzierenden Anstalt.
Manch’ Interessantes bot die Inaugenscheinnahme dei diveisei
Consult. p. nourris., der Couveus.d. Br. (Säuglingsheim) und -der Filia e
der Genter Krippe, wo junge Mädchen von 14—16 Jahren als 1 f lege-
rinnen fungieren. Die Oberin derselben zählte 16 Jahre. Eine lehi-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
2060
reiche Uebersicht über das vielfache in Belgien für Säuglingspflege
Geleistete gab die Broschüre von Dr. L u s t - Brüssel. — Leider
spielten die offiziellen Vergnügungen auch wieder im gastlichen
Brüssel eine zu grosse Rolle zum Nachteil konzentrierten- Arbeitens
an den Kongresstagen.
Das Programm des nächsten Kongresses, 1910 in Berlin,
wurde im folgenden bereits festgelegt: Ausarbeiten gleichartiger Vor¬
schriften für Milchkontrolle. — Verdauung des Fettes b. S. — Fest¬
stellung der Resultate der Fürsorgestellen in den letzten 6 Jahren. —
Bericht über Schutz des Kindes gegen Ernährungs- und Verdauungs¬
störungen auf Grund von mindestens 2 Jahre lang erprobten Ver-
rahrens. — Ferner kritische Betrachtung der verschiedenen als „Säug¬
lingsnahrung“ empfohlenen Milchmodifikationen. — Die Griin-
d u n g einer Union intern at. pour la protection de
len tance du Premier äge wurde bewerkstelligt und als
Ehrenmitglieder aus Deutschland Prof. Fl e u b n e r -
Berhn, Geh Ober-Med.-Rat Dietrich- Berlin und Geh. Ober-Med.-
Rat Prof. Biedert- Strassbürg berufen.
14. Internationaler
Vom 23.
Kongress für Hygiene u. Demographie
— 29. September 1907 zu Berlin.
II.
Plenarsitzung am 2 6. September 190 7.
... ^ rok Br. C h a n t e m e s s e - Paris : Die Serotherapie des ty¬
phösen Fiebers. (Serotherapie de la fievre typhoide.)
Der Vortragende bespricht zunächst die Sterblichkeit bei Typhus,
die bekanntlich je nach der Schwere der Epidemie eine recht ver¬
schiedene ist; in den Zivilspitälern von Paris beträgt sie im Durch¬
schnitt 17 Proz.; bei der Serumbehandlung fällt sie auf 3 — 414 Proz.
Der Einfluss des Antityphusserums auf den Verlauf der Krank¬
heit muss demnach als ein günstiger bezeichnet werden. Bei der Reaktion
auf die Serumeinspritzung sind zwei Perioden zu unterscheiden: in der
ersten Periode, welche unmittelbar der Injektion folgend an Aus¬
dehnung zwischen einigen Stunden und 5 — 6 Tagen schwanken kann,
ist ein geringer Fieberabfall zu bemerken, manchmal steigt die Tem¬
peratur sogar vorübergehend an, bis dann plötzlich in der zweiten
1 eriode die Entfieberung eintritt.
au ^ern Qsnge der Temperatur entsprechen die Aenderungen im
Allgemeinbefinden.
Während die schwerkranken Typhuspatienten mit einem ganz
charakteristischen stupiden Gesichtsausdruck daliegen, die eigentüm¬
liche Gesichtsfarbe aufweisen, kalte Hände und Füsse haben mit
z\anotisch gefärbten Nägeln, zeigt bei den mit Serum behandelten
Kranken die Haut eine gleichmässige Röte, der Gesichtsausdruck ist
ein ruhiger, die Apathie ist geschwunden, die Extremitäten sind nicht
kalt, sondern gleichmässig warm, die Fingernägel zeigen eine ge¬
sunde, rote Farbe.
Neben diesen äusserlichen Veränderungen gehen selbstverständ¬
lich auch ganz erhebliche und wichtige Veränderungen im Gewebe
vor sich, namentlich im Blute: diese Beeinflussung des Blutes durch
das b er um zeigt sich auch darin, dass wenige Stunden nach der Dar¬
reichung des Serums eine erhebliche Vergrösserung der
Milz auizutreten pflegt. Die Rekonvaleszenz ist meist rasch- aus¬
nahmsweise können Rückfälle nach 2 oder 3 Monaten eintreten in¬
nige Auftretens von nicht völlig vernichteten Typhusbazillen im
Organismus.
stio-XX üeben der Anwendung des Serums auch noch die son-
stige Behänd ung des Typhus, namentlich die Anwendung der kalten
Bader beibehalten wird, so hat dies seinen Grund darin hie-
m't <»e bei der Serumbehandlung auftretenden heftigen Erscheinungen
welche durch den Kampf des Organismus mit den KrankbeS
nungen aN Begleit- bezw. Folgeerscheinungen hervorgerufen werden,
möglichst zu mildern und erträglich zu machen; es gibt eben noch
SilriuT, ts4 dass der ^
c^rauf TiinT'dass^maiFrnU JWücl«ichteauf' ^i^Tfei'^^lberfi^loseirnr^unEen
iattSanreh LUbTrgIh0SSe ElTpfllldllchkeit der Augenbindehaut versucht
hat, auch bei Typhus zu diagnostischen Zwecken mit einem eisrens
iiczu heigestehten Impfmaterial, dessen Gewinnung allerdings recht
Xe öd ’Cch ,st\Inyf“n?e" ,der Bindehaut vorzunehmen, mit dem Er-
d rd u ? Au,ftraufelung einiger Tropfen bei Typhuskranken
%P*L rvph us r eko n valeszenten heftige Reaktionen auftreten. Diese
lagnostische Reaktion trat während der Krankheit zu einer Zeit ein
Sin+nd, Wie,chnr die serodiagnostische Reaktion ausblieb. Es er¬
scheint demnach nicht ausgeschlossen, dass mit Hilfe dieser neuen
Typhusfälle entdeckt werden, die man bisher
a s solche nicht erkannte und somit zur Erkenntnis gelangt, dass
die I yphusinfektion in weit grösserem Masse verbreitet ist als man
bis jetzt anzunehmen pflegt. IS>T* ais man
Ueber die Gewinnung des Typhusserums berichtet
Jer \ ortragende nachstehendes: Das Serum stammt von Pferden
denen lange Zeit hindurch mittels einer Emulsion giftiger Tvphus-
luzillen lösliches Iyphusgift beigebracht worden ist. Die zur Imp-
iiiig der 1 rerde verwandten Tvphusreinkulturen werden auf einer
krri ?iTwpbn°U10n Rez,l,cj.ltet„ Die Eigenschaften des Serums schwan¬
ist I weEihXJein?nhTder ZlXt I 5ie Soeit der Entnahme verstrichen
Ih n h p1- 20 daRen hat das Berum seine höchste Kraft er-
rucnt. Die zur Einspritzung gelangenden Dosen sind sehr niedrig
Die Wirkung einer Einspritzung hält 10 Tage an, so dass es selten
notwendig ist, im Verlaufe einer Erkrankung eine zweite Einspritzung
zu machen.
Wird eine zweite Einspritzung gemacht, so wird nur mehr die
Hälfte der ersten Dosis verwendet.
Dr. H a I d a n e - Oxford: Die neuesten Forschungen in Bezug
auf die Hygiene bei den unter der Erde und unter dem Wasset-
vorzunehmenden Arbeiten. (Some recent investigations in hygiene of
subterranean and subaqueous work.)
Die britische Admiralität hat vor zwei Jahren ein Komitee mit
der Untersuchung der gesundheitlichen Verhältnisse an unter Wasser
beschäftigten Arbeitern beauftragt, welchem der Vortragende als
physiologischer Beirat angehörte. Es handelte sich zunächst um Un¬
tersuchungen bei Tauchern. Die Taucherkleidung war die gewöhn¬
liche, ein Metallhelm mit Metallkragen, Gummianzug, welcher den
ganzen Körper mit Ausnahme der Hände bedeckt und die Zuführung
der Luft durch einen biegsamen Schlauch mittels der Luftpumpe.
Der Taucher erhält pro Minute ca. 50 — -100 Liter Luft zugeführt.
Bereits bei einer Tiefe von 48 — 50 m zeigten sich erhebliche
Störungen im Befunde. Die Untersuchungen haben die schon früher
bestehende Annahme, dass es sich bei diesen Störungen um Wir¬
kungen des veränderten Luftdruckes handle, bestätigt. Es ergab sich,
dass die Unzuträglichkeit mit einer erschwerten bezw. ungenügen¬
den Tätigkeit der Lungen Zusammenhänge. Während unter nor¬
malem oder gleichbleibendem Luftdrucke sich die Atmung je nach dem
Druck der CO2 in den Alveolen der Lungen regelt, — ist CO2 in der
Atemluft enthalten, so bewirkt sie eine tiefere Einatmung oder eine
grössere Atmungsfrequenz — und somit keine besondere Störungen
im Befinden veranlasst, ist dies bei plötzlicher Aenderung des Luft¬
druckes, wenn der Taucher tiefer geht oder aus der Tiefe empor¬
steigt. anders und es kommt infolge plötzlicher Aenderungen des
CCU-Druckes in den Alveolen Atmungserschwerung zu stände.
Zur experimentellen Feststellung der bei diesen Arbeiten auf¬
tretenden Zustände wurden in dem Listerinstitüte eine grosse Reihe
von Versuchen an Tieren und Menschen angestellt. Es handelte sich
vor allem um Feststellung der Lebensbedingungen bei Atmung in
komprimierter Luft. Es ergab sich dabei u. a. die Tatsache, dass
bei schneller Druckabnahme die Gefahr nicht in der absoluten Dif¬
ferenz zwischen Anfang- und Enddruck beruht, sondern in dem Ver¬
hältnis dieser beiden Drucke. Für die Praxis ergab sich, dass für die
Taucher es am vorteilhaftesten war. sie zunächst sehr schnell auf
die Hälfte des zu erwartenden Druckes zu bringen und sie unter
diesen Bedingungen einige Zeit verweilen zu lassen.
Was die Gesundheitsverhältnisse der Bergleute anlangt, so
spielt zunächst die in Bergwerken so häufig auftretende Ankvlo-
stomiasis eine sehr wichtige Rolle; ferner kommt in Betracht,
dass bei der Bearbeitung der Gesteine. Granit, Ouarz und anderer
harten Mineralien ein feiner Mineralstaub erzeugt wird, welcher
in die Lunge eindringt und Disposition zu Lungenerkrankungen, be¬
sonders zu Lungentuberkulose, bedingt: und zwar ist das Einatmen
von hartem Mineralstaub gefährlicher als das von Kohlenstaub oder
sonstigen weichen Mineralien.
Von sehr grosser Bedeutung für die Gesundheitsverhältnisse der
Bergleute sind auch die grossen T emoeratu runter schiede,
welchen die Arbeiter ausgesetzt sind. Die Zunahme der Temperatur
ist in den verschiedenen Bergwerken verschieden; so nimmt die
Temperatur in der Mine von Johannesburg um 0,9° per 100 m
zu, in der Mine von Cornwal um 33. Es ist bemerkenswert, dass
die Tiere unter den hohen Temperaturen metif leiden als die Men¬
schen, so starben z. B. Pferde sehr häufig am Herzschlag infolge der
Hitze, so dass für manche Bergwerke der Pferdebetrieb gar nicht
in Frage kommen kann.
Als Ergebnis der bisher angestellten Versuche bezeichnet der
Vortragende die Notwendigkeit, die hygienischen Massnahmen für
die Taucher und Bergarbeiter durch weitere 'intensive Arbeit so¬
wohl der wissenschaftlichen Forscher als auch der Techniker immer
mehr zu vervollkommnen, da sie noch lange nicht auf der Höhe sind,
auf die sie gebracht werden müssen, um mit Erfolg der Gefahr ent¬
gegenzutreten, welche diese Berufe mit sich bringen.
3. Prof. Dr. Schattenfroh - Wien : Die Grundlagen der
hygienischen Wasserbegutachtung.
Die Begutachtung der Brauchbarkeit eines Wassers im mensch¬
lichen Haushalt, namentlich als Trinkwasser, setzt, wie der Vor¬
tragende ausführt, besondere Kenntnisse voraus, die durch die ge¬
wöhnliche hygienische Ausbildung der Aerzte nicht gewonnen wer¬
den, es sind deshalb stets besondere Begutachter notwendig.
Die häufigsten Gesundheitsstörungen durch Trinkwasser werden
in erster Linie durch Infektionen mit pathogenen Keimen verursacht,
anorganische Gifte kommen viel weniger in Betracht.
Von anorganischen Giften sind es am häufigsten wohl Bleiver¬
giftungen, die in Betracht kommen, und zwar infolge der Aufnahme
des Metalls aus den Leitungsröhren; über die Bedingungen, unter
welchen diese Aufnahme besonders erfolgt, sind noch eingehendere
Untersuchungen notwendig.
Was die Vergiftungen mit organisierten Giften anlangt, so kom¬
men Cholera, Typhus und Wurmkrankheit in Frage: der
Vortragende hält die Verbreitung dieser Krankheiten durch das
Wasser für eine sehr wesentliche.
Dem Hygieniker fällt die Aufgabe zu, bei der Auswahl guten
Trink wassers mitzuwirken, die Entscheidung über die Frage der
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2061
etwaigen Verunreinigung eines Wassers zu treffen und Vorschläge
7iir Abhilfe bestehender Uebelstände zu machen. Die Desinfektion
von Brunnnen ist ausserordentlich schwierig, das sicherste Schutz¬
mittel ist Abkochen des Wassers; deshalb wäre möglichste Verbiei-
tung der bereits vollkommen hergestellten Abkochapparate er¬
wünscht.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
vom 15. — 21. September 1907 in Dresden.
II.
Abteilung für Geschichte der Medizin und der Naturwissen¬
schaften.
I. S i t z u n g, Montag, 16. September nachmittags 3 Uhi.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Leipzig.
Der erste Einführende Herr Ernst S e i d e 1 - Meissen begrüsst
die Versammlung und weist auf Dresdens Vergangenheit in Medizin
und Naturwissenschaft, namentlich auf Dresdens Lnterrichtsanstalten
in tierärztlicher, chirurgischer, naturwissenschaftlicher und tech¬
nischer Hinsicht eindringlich und eindrucksvoll hin.
Als Vorsitzender wird S u d h o f f - Leipzig gewählt, der be¬
sonders den weiland Dresdener Professor und Direktor der medi¬
zinisch-chirurgischen Akademie und schliesslich Medizinalreferenten
im Ministerium Ludwig Choulant als Typus solider medizinisch-
historischer Forschung herausgreift und als Vorbild den Verhand¬
lungen dieser Tagung voranstellt; er bittet zu etzt den Herrn Ein¬
führenden, den Vorsitz bis zum Schlüsse seines Vortlages zu behalten,
der an die erste Stelle gesetzt war.
1. Herr K. Sudhoff - Leipzig: Die Miniaturen des Dresdener
lateinischen Galenkodex und andere Miniaturen mittelalterlicher
Handschriften zur Geschichte der Heilkunde.
Wie vielfach der Initialenschmuck der Handschriften des Mittel¬
alters der sachlichen Illustration des Textinhaltes dient, ist bekannt.
Ein besonders schönes und instruktives Beispiel dieser Art bildet der
Dresdener lateinische Galenos (Ms. 92 und 93), in Schritt und u -
schmuck äusserst sorgfältig in der ersten Hälfte des la. Jahrhunderts
in Italien hergestellt; er hat denn auch schon lange das Interesse dei
Historiker der Medizin gefesselt, namentlich auch Ludwig Lliou-
lants der ihr schon 1856 einer eingehenden Untersuchung unter¬
zogen hat. Vortragender konnte ihn bereits im Jahre 1898 auf der
Düsseldorfer historischen Ausstellung den Fachgenossen vonuhien
und dachte immer schon daran, das gesamte kulturgeschichtlich hoch¬
wichtige Material unter Beifügung sämtlicher weit über 100 Imtial-
abbildungen zu publizieren. Als er nun im vergangenen Herbste nach
Dresden fuhr, um die Publikationserlaubnis zu erwirken und dann
der Puschmannstiftung in Leipzig den ganzen Plan vorzulegen und
das fertige Werk der Dresdener Versammlung dieses Herbstes dar¬
zubieten, erfuhr er zu seiner grossen Freude, dass die nämliche
Leidener Firma, die uns den Wiener Prachtkodex des D ios kuri de s
im Jahre vorher in mustergültiger Lichtdruckreproduktion geboten
hatte, nun auch den Dresdener Galenkodex ins Auge gefasst habe und
die Prachtminiaturen in ihrem ganzen Farbenschimmer wohl repro¬
duzieren werde. Die Bände lagen schon zur Versendung bereit.
Leider ist man von dem ursprünglichen Plan wieder abgegangen und
bringt, wie verlautet, nun nur eine Auswahl in einfachem Lichtdruck
ohne Farbe zur Veröffentlichung, was zweifellos auch für den medi¬
zinischen Kulturhistoriker bedauerlich ist. Je nach der in Leiden
getroffenen Auswahl wird den Fachgenossen vielleicht doch noch
einen Nachtrag zu geben sein. Jedenfalls soll die Gelegeiueit inen
ungenützt verstreichen, den zur Dresdener Tagung erschienenen Facn-
genossen das Prachtwerk, das für die medizinische Kulturgeschichte
kaum seinesgleichen hat, mit kultur- und fachgescnichtlichen Be¬
trachtungen erläutert vorfiihren; wie schon in Düsseldorf vor Jahren,
ist das ganze Werk im vergangenen Frühjahr im Leipziger Institut
nochmals eingehend durchmustert worden. (Es wird sodann die
ganze Fülle dieser 115 Miniaturen in fachgemäss geordneter Keüien-
folge eingehend erläutert.)
2. Herr Tiberius v. G y ö r y-Ofen-Pest : Medizinisch- wissenschaft¬
liche Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn im XVI.— XVI11.
Jahrhundert. ,
Kurz schildert Vortragender die ungarischen Universitäten des
Mittelalters. Die langlebigste Universität war die durch König Lud¬
wig den Grossen im Jahre 1367 in Pecs gegründete. Sie bestand bis
1543. Ihre Auflösung war die Folge jener harten Schicksalsschläge,
die Ungarn 1526 durch den Einbruch der Türkenherrschaft erlitt. Von
1543 hatte Ungarn bis 1769 keine medizinische Fakultät und war dem¬
nach auf das Ausland, vor allem auf Deutschland, angewiesen.
Zur Zeit der Reformation war die von Ungarn am stärksten be¬
suchte Universität: Wittenberg. Private sowohl wie Städte legten
an den deutschen Universitäten zahlreiche Stipendien für die ungari¬
schen Hörer an und von so manche, die dort ihre Studien machten,
wurden später Professoren an deutschen Universitäten, v. Györy
machte eine ganze Reihe namhaft. Die Studenten gingen aber bereits
mit gewissen Vorkenntnissen nach Deutschland hinaus. Medizinische
Familien, Dynastien, gab es in Ungarn mehrere, die den Vorunter¬
richt und zwar mit gehöriger Gründlichkeit und gutem Erfolge er¬
teilten.
Im XVII. Jahrhundert beginnen die ungarischen Junger, kalvi-
nistischer Religion, Holland zu besuchen, doch sind die deutschen
Universitäten noch immer stark von Ungarn besucht. In diesem
Jahrhundert wurden auch von seiten Deutschlands zahlreiche Sti¬
pendien für ungarische Studenten angelegt. Ein neues Band zwischen
Deutschland und Ungarn bilden nunmehr auch die in diesem Jahr¬
hundert gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaften in Deutsch¬
land, deren Intentionen die Ungarn sich zu eigen machten und zu
fördern trachteten und in ihren Fachschriften sie sich zahlreich
literarisch betätigten. Die Gründung einer Bibliothek der Academia
Leopoldino Carolina naturae curiosorum half der ungarische Komi-
tatsphysikus Dr. Adam Gensei 1721 durch ein Legat von 6000 Gulden
möglich zu machen. . .
Selbst im XVIII. Jahrhundert, zur Zeit, als schon die ungarische
medizinische Fakultät bestand und die Ungarn auch die Universität
Wien in stets wachsender Zahl besuchten, war Ungarn noch immer
und zwar bis 1779 auf Deutschland angewiesen, da die Protestanten
bis dahin sowohl in Oesterreich wie in Ungarn nur das Lizentiat er¬
reichen konnten; das Doktorat mussten sie sich in Deutschland holen.
3. Herr Siegmund Günther- München : Die geophysikalischen
Arbeiten des Schweizers N. A. Cappeler (1685—1769).
Moritz Anton Cappeler war in Luzern geboren, dem er auch
nach wissenschaftlichen Wandergängen sein Leben widmete, als Aizt
und als Lehrer der Mathematik, ja auch als Kriegsingenieur. Auch
der Botanik wandte er sein Interesse zu und untersuchte als tüchtiger
Chemiker die heimischen Trinkwässer und mancherlei Mineralwässer
der Schweiz. Vor allem wichtig wurden seine mineralogischen Ar¬
beiten und damit eng zusammenhängend seine Arbeiten über das
Gletschereis, endlich vor allem wichtig seine Arbeiten zur Geophysik,
die in seiner Monographie über den Berg Pilatus glänzend in die
Erscheinung traten — ein origineller Kopf, vielfach seiner Zeit voraus!
Diskussion: Herr M a r t i n - Zürich fügt bei, dass das
Züricher Kanonikat wegen der damit verbundenen Einkünfte sehr ge¬
sucht war und durch die damit verbundene Verpflichtung zui Lehr¬
tätigkeit vielfach auch Aerzte veranlasste, über nicht eigentlich ärzt¬
liche Themata Vorträge zu halten und zu diesem Zwecke sich in
das betreffende Gebiet einzuarbeiten.
Herr Richter- Berlin gibt einigen Aufschluss über Cap¬
pelers medizinische Betätigung und hält es zur Erleichterung der
Orientierung über das Biographische und die Leistungen der
Schweizer Aerzte für höchst wünschenswert, dass die Rudolf Wolf-
sehen Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz einer zeit-
gemässen Umarbeitung und Erweiterung teilhaftig würden.
Herr S u d h o f f - Leipzig weist auch an diesem Beispiel Cap¬
pelers wieder darauf hin, wie vielfach es gerade die Aerzte in
früheren Jahrhunderten gewesen sind, an deren wissenschaftliches
Wirken der Fortschritt der verschiedensten Gebiete der Naturwissen¬
schaft geknüpft ist und wie oft sich an ihnen die Beobachtung
machen lässt, dass lieben glänzenden naturwissenschaftlichen Lei¬
stungen auf ihrem eigensten medizinischen Gebiete sich allerhand
schrullenhafte Wunderlichkeiten in 1 heorie und Praxis sich finden,
die den Arzt viel weniger fortschrittlich und vorurteilsfrei erscheinen
lassen als den Naturforscher. Man ist oft überrascht, zwei anschei¬
nend so verschiedene Seelen in einer Brust zu finden; freilich ei-
schiiessen sich eingehender Untersuchung auch die psychologischen
Fäden von einein Gebiete zum anderen, doch bleibt nicht selten ein
„Erdenrest zu tragen peinlich“, der uns wehmütig stimmen muss.
2. Sitzung vom 17. September, vormittags.
Vorsitzender: Herr Fossel-Graz.
4. Herr Alfred M a r t i n - Zürich (Berlin): Vorweisung und Be¬
sprechung von Abbildungen zur deutschen Geschichte der Medizin
und Kulturgeschichte. ,r ,
Mit anregendem Vortrag unterbricht Vortragender die Vorlage
einer Reihe neuaufgefundener Bilder zur Geschichte des Badewesens
und der Krankheiten in der deutschen Vergangenheit.
Diskussion: Herr Sudhoff hält es doch für zweitelhart,
ob die Gegenüberstellung von Bader und Bischof ersteren als den
Aermsten und letzteren als den Reichsten der Menschen bezeichnen
will. Dem Bader, als dem Verwalter der menschlichen Freuden und
des Lebensgenusses, hat es von je nicht an Gelegenheit gefehlt, Ver-
mögen zu erwerben, auch das Nebengeschäft des Geldleihers ist schon
in Alexandrinischer Zeit bei diesem Metier getrieben worden. Tic
, Schaube“ als Bademantel dürfte mit einer „Strippe ‘ oder anderen
Schiebe- bezw. Zugvorrichtung versehen gewesen sein, wie
mancherlei Mützen und Damenunterkleider, die in Westfalen stellen¬
weise noch heute so genannt werden.
Auch Herr F u c h s - Dresden findet das Tertium des Badeis und
Bischofs im Wohlleben und Genussleben in verschiedener Lebens-
spha.^e. He^ paul R j c h t e r - Berlin: Beiträge zur Geschichte des
SChaDas*Scharlachfieber ist schon wiederholt Gegenstand historischer
Untersuchungen gewesen, aber wenn dieselben auch i von narn haften
Medikohistorikern herrühren, so können sie uns nicht efrie g .
weil wir durch die Fortschritte der pathologisch-anatimiischen ^ und
bakteriologischen Forschung, welche die zweite Hälfte ues
2062
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
hunderts gebracht hat, und durch die Mitarbeit der Philologen mit
ganz anderen Voraussetzungen an die Arbeit gehen.
Deshalb fallen alle Epidemien mit komplizierten Hauterschei¬
nungen, wie die Pest des Thukydides, aus der Betrachtung aus,
ebenso die fieberhaften ansteckenden Erkrankungen des Rachens, wie
sie schon bei den Griechen beobachtet wurden, und besonders der
Garotillo der Spanier, in denen wir heute das Bild der Diphtheritis
erkennen, wie es von E o t h e r g i 1 1 1748 und Breton neau 1826,
welcher der Krankheit den Namen gab, festgelegt wurde.
Erst bei .den Arabern finden wir Andeutungen des Scharlach
und zwar werden in den lateinischen Uebersetzungen derselben die
Ausdrücke variolae und morbilli gebraucht, denen die arabischen
Worte gudari und hasba entsprechen, während das Wort humaq nur
einmal bei Ibn Sina vorkommt. Aus den mit Benutzung der ara¬
bischen Originale, die uns bis auf den Elhawi des Abu Bekr (Con-
tinens des Rhazes) teils in Drucken, teils in Handschriften zur Ver¬
fügung stehen, verglichenen Stellen ergibt sich, dass die charak¬
teristischen Symptome des Scharlach, d. h. Eiecke, welche sich nicht
über die Haut erheben, Erkrankungen der Rachenorgane und auch
Anschwellungen zur Beobachtung gelangt sind, und v. Sontheim er
kommt daher auch 1847 zu dem Schlüsse, dass unter hasba wahr¬
scheinlich Scharlach zu verstehen ist. Auch G r e e n h i 1 1 gibt in
der 1848 in London erschienenen englischen Uebersetzung der
Schrift des Abu Bekr de variolis et morbillis an, dass nach den Mit¬
teilungen eines in London studierenden Syrers unter hasba scarlatina
zu verstehen ist Aehnliches finden wir dann auch bei den Arabisten.
Der erste, welchem ein Verständnis für die Verschiedenheit der Er¬
krankung aufging, war Ingrassias in seinem de tumoribus
praeter naturam tomus primus. Venetis, 1553. Aber die- folgenden
Aerzte, welche die Krankheit meist unter dem Namen Rossalia im
Kapitel von den Pocken und Masern beschrieben, konnten sich kein
richtiges^ Bild machen, am wenigsten der von Holländer er¬
wähnte Sebastian Egbert, der die Krankheit 1616 im Kapitel über den
Hecktyphus beschreibt. Erst Michael Döring hat die erste gute
Beschreibung der Krankheit geliefert, welche 1625 durch seinen
Schwager Senner t 1628 zuerst publiziert wurde. Der Name
Scarlatina wird in der Wissenschaft zuerst bei Sydenham 1676 ge¬
funden. Interessant ist auch die Mitteilung (von Daniel Win ekler
1688, weil 'dieser Autor fast überall als Winsler auch von unseren
berufenen Historikern aufgeführt wurde. Der Name Scharlach ist
aber erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts fast allgemein eingeführt.
Von den Komplikationen des Scharlach ist die Nephritis und ihr
Symptom, die Anschwellung die wichtigste. Döring hatte die An¬
schwellung gut beschrieben, aber bei der Sektion die Niere nicht er¬
wähnt. 1747 wird in einem Werk von R o n c a 1 1 i ein Brief des
Johannes C a 1 v u s aus Cremona abgedruckt, in welchem bei der
Sektion gefundene Nierenveränderungen erwähnt werden. Von den
zahlreichen Autoren, welchen die Beziehungen zwischen Wasser¬
sucht und Urin klar waren, seien nur Plencisz 1762, Borsieri
1/85 Reil 1815 und Fischer in Dresden 1824 genannt. Erst da-
durch, dass Cotugno 1765 mitteilte, dass bei manchen Kranken
sich im Urin beim Kochen eine Substanz zeigte, welche „geronnenem
Eiereiweiss“ sehr ähnlich ist, dass Cruickshank 1797 die Koa¬
gulation des Urftis nicht nur durch Hitze, sondern auch durch Zu-
satz von Sublimat und Salpetersäure zeigte, und durch die auf Grund
aer Rektionen gemachten Mitteilungen von B r i g h t 1827 konnte auch
für die Scharlachnephritis der Schritt zur Erkenntnis' getan werden,
den wir G i ego ry und 1831 anderen englischen Autoren verdanken,
und zu dem auch B r i g h t mit dem von ihm mitgeteilten Fall 1836
öeigetragen hat, Forschungen, über deren weitere Entwicklung man
Auskunft kei R a y e r 1840, Frerichs 1851, Immer mann und
m ° 1 ?r 5rhalt’ aber in Puschmanns Handbuch 1903
Ul. 713) vergeblich sucht.
, . P 1 s,k u s s i o n: Herr S ud h o f f - Leipzig spricht von Hohen-
e l m sehen Hainpruiungen durch Kochen und Säurezusatz und bringt
einige andere kleine Hinweise. Leider sei die Unzuverlässigkeit der
Angaben im trefflichen Lehrbuch H. Haesers doch keine so grosse
Seltenheit wie R. meint.
v* Qvöry.-.9^eP‘Pest dankt vor allem, dass sich der Vor-
tiagende auf die vorjährige Anregung v. Györvs mit der bisher
Lss'/ rUIfk,U;rte" Geschichte des Scharlachs so erfolgreich be-
-tir ’n 6nk + aberT’ • dass die Bescbreibungen einer Scharlach-
m n? einV 4 l 3US ^ QrUIlde fehlen, al* hätte
™cht bemerkt’ oder wenn auch be¬
merkt, nicht als zur Krankheit gehörende pathologische Erscheinung
aufgefasst. Vielmehr scheint dies in dem Umstande zu liegen dass —
im Gegensätze zu den meisten Infektionskrankheiten, deren Genius
z u J"d s te t e pS Vp r « der Zeit gemilde7rt habe- — die Skarlatina sich
shJ nfr 1™merUnM-leiS C' • ZuSydenhams Zeiten hatte
sie nur das „nomen scarlatina, „vix enim altius assurgit“ und erst
seither wurde sie zu jener bösen, mit Recht gefürchteten Krankheit
darar!e 1St Und dl6 Nephritiden haben sicher ihren Anteil’
q Pf.rr Martin-Zürich hält es nach Beobachtungen im Züricher
- pital fui einen Irrtum, dass die Scharlachnephritis eine Folge zu ein¬
greifender Therapie sei; man komme doch wohl ohne den „Genius
epidermeus nicht aus in der Beurteilung des Wechsels der Häufig¬
keit dieser unangenehmen Nachkrankheit. s
Herr W i e d e m a n n - Erlangen weist auf die Vorzüglichkeit
der Auskunftsstelle an der Berliner Königlichen Bibliothek hin.
6. Herr J. H e i n t z e - Meissen: Johann Friedrich B ö 1 1 g e r und
seine Aufgaben.
Einige Zeit schien es, als wenn wir am 22. September 1907 die
zweihundertjährige Erfindung des europäischen Hartporzellans durch
J. F. Böttger feiern könnten. Der Biograph B ö 1 1 g e r s, der
Kriegsrat Engelhard, gibt dieses Jahr in seinem Buche an. und
einige Unterstützung findet diese Ansicht durch die mündliche Ueber-
lieferung, die sich auf der Festung Königstein erhalten hat. Die An¬
gabe hat sich aber insoweit nicht bestätigt, als es sich doch nicht um
die Erfindung des wahren Porzellans handelt, sondern um die zu jener
Zeit sehr geschätzten Delfter Fayencen, holländisches Gut, auch
holländisches Prozellan genannt. B ö 1 1 g e r, der seit 1702 sich in
den Schutz des Königs Friedrich August, König in Polen und Kurfürst
von Sachsen, begeben hatte, war am 26. Oktober 1706 vor den in
Kursachsen einfallenden Schweden unter Karl XII. auf die Festung
Königstein zu seiner Sicherheit gebracht worden. Er gilt dort als der
Herr mit den 3 Dienern, die Diener aber waren seine Laboratoriums¬
gehilfen, die wahrscheinlich mit Arbeiten in dem dortigen Labo¬
ratorium, einer jetzigen Kapelle, beschäftigt wurden. Sofort nach der
Räumung Sachsens durch die Schweden wird B ö 1 1 g e r auf Befehl
des Königs, der ihm als Gnadenbeweis eine Uniform, die eines pol¬
nischen Magnaten übersenden Hess, durch Freiherr von Tschirn-
haus und den Leibarzt Bartolomei nach Dresden zurückgebracht,
um seine chemischen Arbeiten erneut aufzunehmen. Diese Arbeiten
waren durchaus nicht chimärischer Natur, wie man irrigerweise an¬
genommen hat. Der König, ein hervorragender Volkswirt, hatte ihm
die Aufgabe gestellt, zur Hebung der Wohlfahrt des Landes aus¬
ländische Industrieerzeugnisse nachzuahmen oder neue für Sachsen
zu erfinden. Ein Verzeichnis dieser Aufgabe liegt vor. Es sind das
durchaus nicht phantastische, aber doch weit über die Kräfte eines
Mannes hinausgehende und vom chemischen Standpunkt aus auch
zum Teil heute noch nicht möglich zu lösen. Im März 1709 konnte
aber Böttger die Erfüllung einiger der gestellten Aufgaben an-
zeigen. Er tut dieses in einem ausführlichen Memorial an den König.
Es wird die Einsetzung einer Kommission zur Prüfung vom König an¬
geordnet. An diese Kommission richtet Böttger unvorgreifliche
Gedanken, die durchaus verständige und richtige Ansichten enthalten
und anderweit veröffentlicht werden sollen. Er empfiehlt die Grün¬
dung einer Manufaktur der weissen durchsichtigen Porzellane, der
roten Porzellane, den ostindischen nachgebildet, der holländischen
Fliesen und der Delfter Fayence und der hessischen Schmelztiegel.
Am 10. Juli 1701 wird die Albrechtsburg in Meissen für diesen
Zweck überwiesen. Die Fabrikation war schon nach kurzer Zeit
eine technisch und künstlerisch gleich hochstehende, wie durch wirk¬
lich beglaubigte Stücke nachzuweisen ist.
Abteilung für innere Medizin.
Berichtigung von L. B r i e g e r.
Zu dem Referat über meinen Vortrag: Hydrotherapie und innere
Medizin, gehalten in der Abteilung für innere Medizin der 79. Natur¬
forscherversammlung zu Dresden, bemerke ich, dass der Referent
irrtümlich bei Konstitutionskrankheiten den Diabetes in Klam¬
mern hervorhebt. Gerade im Vortrage habe ich den Diabetes gar
nicht erwähnt, sondern nur von Gicht und Adipositas gesprochen.
Abteilung für Chirurgie.
Chirurgische Behandlung bei
Herr R a d t m a n n - Laurahütte:
epidemischer Genickstarre.
Die bisher bei Genickstarrekranken ausgeführten Operationen,
die Lumbalpunktion, die Kanülendrainage nach Punktion, die Durch¬
trennung des Ligamentum atlanto-occipitale, Punktionen der Seiten¬
ventrikel, hatten keine sicher nachgewiesene Einwirkung auf den
Krankheitsverlauf. Ein radikaler Erfolg ist auch von chirurgischer
e, ad*up®\ n'c!,t zu erwarten, da einerseits die Krankheit keine
Lokalaffektion ist, wie die traumatischen oder otogenen eitrigen
Meningitiden, sondern von Anfang an und während ihrer ganzen Dauer
eine Allgemeininfektion, andererseits überhaupt bezweifelt werden
muss, dass Genickstarreeiterungen durch chirurgische Eingriffe zu
heilen sind wie gewöhnliche Eiterungen. Der Meningokokkus wirkt
wesentlich anders auf menschliches Gewebe ein als andere Eiter¬
ei leger. Einspritzung der eigenen eitrigen Zerebrospinalflüssigkeit
verursacht z. B. Genickstarrekranken keinerlei Reaktionen, der
i ^T^okokkus erzeugt weder rein lokale Herde, noch Abszesse,
haftet dagegen besonders gut in der Pia.
Auch symptomatisch leisten chirurgische Eingriffe in den An-
fangsstadien wenig. Die Lumbalpunktion hat nur in einzelnen Fällen,
vielleicht Mischinfektionen, vorübergehende Beruhigung zur Folge
llne schematische Anwendung ist daher zu widerraten. Die Ver-
mehiung des Hirndruckes bedarf in den Anfangsstadien keiner Be-
\ampfung. Dagegen scheint in den Spätstadien, wo die rein rne-
chamsche Einwirkung der vermehrten Flüssigkeit auf das Gehirn den
gi os st en Teil der schweren Erscheinungen verursacht, eine künstliche
Heisteilung dauernden Abflusses symptomatisch zu nützen. Da durch
die einfache Lumbal- oder Ventrikelpunktion das Grosshirn nicht
dauernd entlastet wird, so hat der Vortragende die Seitenventrikel
8. Oktober 1907.
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tamponiert und dadurch erhebliche, aber vorübergehende Besserung
der Hirnerscheinungen erreicht (ein Kranker verstarb 10 1 age nach
der Operation am 81. Krankheitstage, der zweite 11 Tage nach der
Operation am 70. Krankheitstage). Zur Sicherung des Abflusses und
zur Vermeidung der sekundären Injektion bei der Nachbehandlung
führt der Vortragende in die Ventrikel ein Silberdrahtgestell mit
baden, durch deren sukzessives Herausziehen sich Störungen des Ab¬
flusses beseitigen lassen. (Selbstbericht.)
Diskussion: Herr Lenhartz- Hamburg : Bei der gewöhn¬
lichen Meningitis cerebrospinalis habe er 52 Proz. Heilungen beob¬
achtet, dagegen seien ihm bei der epidemischen 63 Proz. gestorben.
Im Gegensatz zu dem Herrn Vortragenden habe er von der Lumbal¬
punktion viel gutes gesehen; er aspirierte 10 — 50 ccm; letztere
Quantität jedoch nur ganz ausnahmsweise. Dagegen seien alle Fälle
gestorben, bei denen er den Hydrozephalus habe operieren lassen.
Die Herren Wilms- Leipzig und Müller- Rostock treten
ebenfalls für die Lumbalpunktion ein.
Herr A. Federmann - Berlin : Wert der Leukozytenunter¬
suchung bei der Behandlung der akuten Appendizitis und Peritonitis.
Die Leukozytenzählung ist als unentbehrliches Hilfsmittel in der
Diagnostik und operativen Indikationsstellung der akuten Appendizitis
und Peritonitis anzusehen. Die übrigen klinischen Symptome —
Temperatur und Puls — genügen in einer grossen Reihe von Fällen
nicht, den gut- oder bösartigen Charakter der Infektion erkennen und
die Indikation zum Eingriff stellen zu lassen. Besonders die schwierige
operative Indikationsstellung im Intermediärstadium der Appendizitis
ist nur möglich durch eine Vergleichung aller bisherigen klinischen
Symptome mit der gefundenen Leukozytenzahl, da diese am deut¬
lichsten die noch vorhandene Resistenzkraft des Organismus wider¬
spiegelt und dadurch erkennen lässt, ob und wann operiert werden
soll. Der Ausfall der Leukozytenzählung ist aus demselben Gründe
als das sicherste prognostische Merkmal der vorhandenen Entzündung
anzusehen. Hohe Leukozytose von 20 000 und darüber ergibt auch
bei schweren klinischen Symptomen gute Prognose des operativen
Eingriffs, während niedrige oder fehlende Leukozytose bei schweren
klinischen Symptomen allerschlechteste Prognose bei jeder Art von
Operation gestattet, auch wenn das übrige Krankheitsbild und der
Operationsbefund diese ungünstige Vorhersage nicht wahrscheinlich
machen. Es ist deshalb in jedem einzelnen Falle bei letzterer Kom¬
bination die Frage des Eingriffs wohl zu überlegen und in gewissen
Fällen mit dem Eingriff zu warten. Diese Verhältnisse werden an
Durchschnittskurven dargclegt, die zusammengehörigen Gruppen von
über 100 Fällen akuter Appendizitis und Peritonitis nach Magen¬
perforation entsprechen. Sie ergaben gleichzeitig, dass das Ver¬
halten der Leukozyten auch im akuten Stadium ein typisches und
gesetzmässiges ist, das aus der Wechselwirkung von Infektions¬
intensität und Reaktionskraft des Organismus resultiert.
Herr v. Habe rer -Wien berichtet über Fälle von primärer,
chronischer, anfallsfreier Appendizitis, die bei älteren Leuten unter
hochgradiger Abmagerung und dem Symptomenkomplex einer pri¬
mären Obturalionsstenose des Darmes verlaufen sind. Objektiv
konnten in keinem Falle Symptome, die für Appendizitis gesprochen
hätten, nachgewiesen werden, es fehlte jedweder pathologische Tat¬
befund, es fehlte jedwede Schmerzhaftigkeit des McBurney sehen
Punktes. In Anbetracht des Alters, der Abmagerung und der Ste¬
nosenbeschwerden von seiten des Darmtraktus musste in jedem Falle
schliesslich an ein Neoplasma malignum gedacht werden.
Die in allen Fällen vorgenommene Probelaparotomie Hess
nirgends den Verdacht auf ein1 Darmneoplasma gerechtfertigt er¬
scheinen, es handelte sich in allen Fällen um chronische, adhäsive
Appendizitis mit den entsprechenden, lokalen Veränderungen. Bei
vielen Fällen fanden sich Adhäsionen nicht nur periappendikulär und
perizökal, sondern auch an der Flexura linealis und Flexura sigmoidea.
Die Appendix wurde entfernt, die Adhäsionen wurden gelöst und
die dabei entstandenen Wundflächen sorgfältig übernäht.
Der weitere Verlauf bestätigte die Richtigkeit der intra Ope¬
rationen! gestellten Diagnose; die Patienten sind bis auf einen seit
der Operation dauernd beschwerdefrei; die Operation liegt zwischen
2 Monaten und 4Vz Jahren zurück. In einem Falle traten nach der
Operation Beschwerden auf, die ihren Grund in der Entwicklung eines
entzündlichen Netztumors hatten.
Zur Erklärung der Adhäsionen auch im Bereiche der Flexura
lienalis und Flexura sigmoidea wird die von G e r s u n y zur Er¬
klärung der von ihm beschriebenen Adhäsionen an der Flexura sig¬
moidea aufgestellte Hypothese herangezogen. In der Nachbehandlung
der Fälle wurde für Anregung der Darmperistaltik möglichst früh¬
zeitig Sorge getragen.
Es gibt also Fälle von primärer, chronischer, anfallsfreier Appen¬
dizitis, die zu Veränderung in der Umgebung der Appendix und ausser¬
dem weit ab davon im Peritoneum führen können und dadurch das
Bild einer Darmstenose mit schwerer Beeinträchtigung des Allgemein¬
zustandes und hochgradiger Abmagerung hervorrufen. (Selbstbericht.)
Diskussion: Herr König -Altona glaubt, dass die Ver¬
wachsungen, von denen der Vortragende gesprochen hätte, nicht
immer auf Appendizitis beruhten, dagegen spräche ihr ausschliess¬
liches Vorkommen am Dickdarm und besonders an der Flexura coli
lienalis und sigmoidea. Hier wären wohl noch die besonderen ana¬
tomischen Eigentümlichkeiten der befallenen Stellen zu berück¬
sichtigen. Zur Verhütung von Verwachsungen nach Laparotomien
empfiehlt er eine früh einsetzende Heissluftbehandlung des Abdomens.
Herr v. Hab e r e r - Wien hält den Einwendungen des Herrn
König gegenüber seine Auffassung, dass es sich um Appendizitis
gehandelt hat, aufrecht.
Herr v. Aberle-Wien: Ueber die Wahl des Zeitpunktes zur
Korrektur rachitischer Verkrümmungen.
v. A b e r 1 e will die Grenzen der Indikationsstellung zur Ope¬
ration rachitischer Verkrümmungen der unteren Extremitäten wieder
weiter ziehen, spricht sich daher gegen eine zu lange Exspektativ-
behandlung aus, die infolge der bekannten Tatsache, dass sogar
schwere rachitische Verkrümmungen zur Spontanheilung kommen
können, immer mehr Verbreitung gefunden hat. Denn nach seinen
Erfahrungen an einem grossen Krankenmaterial sind weder die Spon¬
tankorrekturen so zahlreich, noch besteht irgendwelche Garantie auf
tatsächlichen Erfolg. Durch die zu lange Exspektativbehandlung wird
aber einerseits der günstigste Zeitpunkt zur Operation versäumt,
andererseits werden in den Fällen, in denen die Selbstheilung dann
doch ausbleibt, durch Ausbildung von Kompensationskrümmungen
viel kompliziertere Verhältnisse geschaffen. Nach Anführung von Bei¬
spielen stellt der Vortragende folgende Normen für die Behandlung
auf: Abwarten des floriden Stadiums der Rachitis (bis ungefähr zum
vierten Lebensjahre). Die weitere Behandlung wird nicht durch das
Alter, sondern durch den Verlauf der Erkrankung bestimmt. Bei un¬
kompliziertem Verlauf soll der Fall der Spontanheilung überlassen
werden, auch bei vorgeschrittenerem Alter der Kinder. Nimmt jedoch
die Hauptkrümmung zu, oder bilden sich stärkere Gegenkrümmungen
aus, so soll mit der überdies ungefährlichen Operation, am besten
subkutane Osteotomie mit nachfolgender Osteoklase, nicht länger ge¬
zögert werden. Auch das kosmetische Moment ist bei der Beurteilung
des Zeitpunktes zur Operation nicht ganz unberücksichtigt zu lassen.
(Selbstbericht.)
Diskussion: Herr Spizzi verhält sich abwartend und
operiert, wenn kompensatorische Verkrümmungen auftreten.
Herr Reiner- Wien macht darauf aufmerksam, dass sich be¬
sonders beim Genu valgum leicht abnorme Beweglichkeit des Knie¬
gelenks einstellt. Er will erst dann operieren, wenn sich die etwas
schlottrig gewordenen Gelenke wieder konsolidiert haben.
Herr Schultze - Duisburg legt besonders auf die Behandlung
des kompensatorischen Plattfusses Wert.
Herr S c h a n z - Dresden leitet bei leichteren Graden der
Deformitäten eine allgemeine roborierende Behandlung ein und hütet
die Kinder besonders vor Anstrengungen. Auch glaubt er, dass eine
vegetabilische Diät die Knochenfestigkeit erhöht. Bei den schweren
Deformitäten ist er für frühzeitige Korrektur. Er fängt damit an. die
zunächst der Hüfte gelegenen Verbiegungen zu korrigieren und
schreitet dann mit der Korrektur nach abwärts fort; Keilosteotomien
hat er niemals nötig gehabt. Bei starker Spannung der Weichteile
korrigiert er in mehreren Sitzungen.
Herr König- Altona tritt für frühzeitige Korrektur ein, operiert
aber im Gegensatz zu R e i n e r gerade, wenn Schlottergelenke
vorliegen.
Herr Müller- Rostock tritt für eine individualisierende Be¬
handlung ein, je nach der Schwere des Falles und nach den sozialen
Verhältnissen.
Herr Schanz- Dresden demonstriert einen Fall von Ankylose
eines Ellenbogengelenks, den er durch Interponierung eines Fett¬
faszienlappens in die gemeisselte Gelenkspalte geheilt hat.
Herr P e r t h e s - Leipzig berichtet über einen ähnlichen Fall.
Herr B a d e - Hannover : Die Indikation zu Sehnenoperationen
bei spinalen und zerebralen Lähmungen.
Redner verfügt über ca. 150 Fälle von spinaler und zerebraler
Lähmung. Auf Grund dieser Fälle bespricht er die Indikationen für
die Operation und für den Zeitpunkt, zu der sie ausgeführt werden
sollen. Bezüglich des letzteren ist er der Meinung, dass man erst
nach Ablauf eines Jahres die operative Behandlung beginnen soll.
Man solle aber auch nicht in zu frühem Alter operieren; wenn irgend
angängig, solle man die Operation bis zum 6. Jahre .hinausschieben,
da bei den älteren Kindern sowohl die Technik der Operation als auch
die Technik des Verbandes einfacher sei und wird bei den älteren
Kindern die Nachbehandlung besser gelingen. Nur die L i 1 1 1 e sehen
Lähmungen sollten früher operiert werden. Das geeignetste Objekt
für die operative Sehnenplastik sei der paralytische Klumpfuss.
Herr Schanz- Dresden bespricht einschlägige Fälle und er¬
örtert ebenfalls die Indikationen zur Operation.
Herr H e i n e k e - Leipzig: Meteorismus und Bauchkontusionen.
H. hat in 4 Fällen von Bauchkontusionen sofort nach der Ver¬
letzung erhebliche Grade von Meteorismus beobachtet. Unter diesen
4 Fällen hat es sich 2 mal um Schlag gegen die Oberbauchgegend,
einmal um Ueberfahrung der Oberbauchgegend, einmal um einen
Selbstmordversuch gehandelt. Objektiv fand man ziemlich erheb¬
lichen Meteorismus; die Leberdämpfung war schmal, in 2 Fällen ganz
verschwunden. Es bestand eine mässige Druckempfindlichkeit; die
Bauchdecken waren nicht gespannt. 2 Fälle verliefen leicht und ohne
Operation. Im 3. Falle steigerten sich die Symptome; es wurde
laparotomiert; im Abdomen kein besonderer Befund, Heilung. Im
4. Falle bestanden schwerere Erscheinungen, sodass man sofort an
Verletzungen der Abdominalorgane dachte. Bei der Laparotomie
fanden sich wohl am Darm Serosaabreissungen, aber nirgends eine
Darmperforation. Es erfolgte Heilung. Die Ursache für diesen pri-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
mären, sich bald nach der Verletzung entwickelnden Meteorismus ist
eine plötzlich eintretende Darmlähmung, die ihrerseits, nach der An¬
nahme des Redners, durch die Wirkung des Traumas auf den retro-
peritonealen Nervenplexus entstanden ist. Er ist zu dieser Annahme
durch die Beobachtung eines Falles gedrängt worden, in dem es sich
um ein schweres retroperitoneales Hämatom gehandelt hat, bei dem
zugleich auch ein Meteorismus aufgetreten war.
Herr v. Haber er- Wien und Herr M ü 1 1 e r - Rostock haben
ähnliche Beobachtungen gemacht. Herr König- Altona fragt, ob
es sich um lokalen oder allgemeinen Meteorismus gehandelt habe.
Herr H e i n e k e erwidert, dass in allen Fällen allgemeiner Meteoris¬
mus Vorgelegen habe.
Herr Schanz: Zur Behandlung der Skoliose.
Redner schildert unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder seine
Behandlung schwerer Skoliosen. Sie besteht im Redressement der
Skoliose; festem Qipsverband, der 3 Monate getragen wird, dann
Stützkorsett und Lagerung des Nachts in ein Gipsbett. Er hat’ damit
sehr gute Resultate erzielt.
Herr G. G I ü c k s m a n n - Berlin ; Die Spiegeluntersuchung der
Speiseröhre und ihre Ergebnisse. (Mit Projektionsdemonstrationen.)
Vortr. übt die Besichtigung der Speiseröhre mit Hilfe eines von
ihm erfundenen Instrumentes aus, durch welches einerseits die Unter¬
suchung für den Kranken schonender geworden ist, während andrer¬
seits der Untersucher stark vergrösserte und lichtstarke Bilder der
untersuchten Partie erhält. Es gelang Vortr. mit Hilfe dieses Instru¬
mentes nicht nur zahlreiche Frühdiagnosen des Speiseröhren¬
krebses zu stellen, sondern auch gewisse gutartige Krankheitsformen
der Speiseröhre als solche von den Krebserkrankungen abzugrenzen.
Eine derselben, der sogen. Herpes der Speiseröhre, ist mit diesem
Insti ument zum ersten Male beobachtet worden. Schliesslich gelang
es in vielen Fällen verschluckte Fremdkörper mit dem
Instrument nicht nur zu finden, sondern auch damit zu fassen und zu
extrahieren.
Die älteren Methoden wendet Vortr. nur noch bei Kindern, welche
sonst nicht stillhalten, und zu Lehrzwecken an. Er hat sie durch
einige Modifikationen handlicher und leistungsfähiger zu machen ge¬
sucht, unter denen besonders ein Hilfsapparat zur gleichzeitigen Be¬
sichtigung des Beobachtungsfeldes durch zwei Beobachter, sowie ein
sogen, feststellbarer Obturator erwähnt seien. (Selbstbericht.
Hcii G. G I ü c k s m a n n - Berlin : Die Spiegeluntersuchung der
unteren Darmabschnitte und ihre Ergebnisse.
Die Untersuchung der unteren Darmabschnitte vermittels der
Besichtigung wurde zwar von Alters her von den Aerzten geübt, ist
abci erst in der Neuzeit durch Einführung besonderer Besichtigungs-
insti umente und des elektrischen Lichtes zu einer systematischen,
klinischen Untersuchungsmethode ausgebildet worden. ’ Die zunächst
besonders in Amerika populäre Methode fand in neuester Zeit auch
in Deutschland mehr und mehr Anhänger, nachdem S t r a u s s ein
handliches Instrument für diesen Zweck angegeben hatte.
Vortr. berichtet über einige von ihm angegebene Modifikationen
des oti. sehen Instrumentariums, insbesondere auch über einen Hilf s-
apparat, der es erlaubt, einen zweiten Beobachter während der ganzen
I auer der Untersuchung und event. Operation diese mit beobachten
zu lassen. Dieser Apparat hat sich besonders als Lehrmittel bewährt.
Die Spiegelmethode ermöglichst die Besichtigung des gesamten
Mastdarms und der unteren Hälfte des sogen, römischen S. Ihre
Ergebnisse sind zunächst die bessere Erkenntnis und Behand-
lungsmoglichkeit der Schleimhauterkrankungen dieser Darmabschnitte,
vornehmlich auch die F'rühdiagnose des Darmkrebses. Als
Ouelle allgemeiner Schwächezustände fand Vortr. in einigen Fällen
blutende I olypen im römischen S, also an einer vorher dia¬
gnostisch nicht zugänglichen Stelle, welche durch kaum merkliche,
a;f' ^rst hartnäckige Blutungen den Schwächezustand ver¬
schuldet hatten. Es gelang ihm mit Hilfe eines von ihm konstruierten
Insti umentes, diese Polypen durch den Spiegel hindurch zu entfernen
und damit die Kranken ohne grössere Operationen zu heilen.
. nberi au£h,?ufcden Muskelapparat des Darmes erstrecken
SV + durch die Spiegelmethode neu gewonnenen Aufschlüsse. Die
bekannteste und wichtigste Erkrankung dieses Apparates ist die 0 b -
A°nV S(;hr zu Unrecht wird diese Erkrankung von den
TP l Fr-nen a S ^arrrUragheit aufgefasst. Das trifft wohl für einen
1 eil der balle zu, aber in einem anderen Teile sind im Gegenteil
Ursache U & m P-f zustande 'der Darmmuskulatur die
i sache. Mit Hilfe des Darmspiegels gelingt es, diese beiden Formen
Sr^=?er zu, halten- Gestützt auf diese Tatsachen, wendet
.Lh Vortragender scharf gegen die kritiklose Anwendung der Ab-
ri'c h f i 1* c C R fdm m i! C in LVielen Fä,Ilenl zwecklos und schädlich sind. Die
exaM DiÄ
“"d Krankheitsbilder
Herr K ei 1 i n g- Dresden: Mitteilungen zur Oesophagoskopie.
• Redner demonstriert eine vereinfachte, verbesserte Konstruktion
seines Oesophagoskopes. Er benutzt nur noch eine Gliederrühre
welche, nach dem Prinzip des hohlen Fingers gebaut aus k eten
zylindrischen Gliedern mit Scharniergelenken besteht’ die in o-p
streckter Stellung aneinander schlagen; als Strecklehne dient' lin
1 'aht, das Ganze ist mit einem üummischlauch überzogen Das In
Orument ward gebogen eingeführt und dann gestreckt, dann werden
Metalltuben von verschiedener Länge zur Besichtigung eingeschoben.
as Insti ument ist billiger und stabiler als das frühere. Redner hat
gegen 200 Oesophagoskopien ausgeführt und betont, dass sich dabei
oas von ihm aufgestellte Prinzip, die Einführung des Instrumentes von
der Geradstreckung der Speiseröhre zu trennen, durchaus bewährt
hat. (Selbstbericht.)
P U i s k 11 s s i o n: Herr Z e n g e 1 - Radeberg berichtet über einen
räH von bremdkörper im Oesophagus, bei dem es nicht möglich war,
die Extiaktion zu machen, weil ein an dem Fremdkörper befindlicher
Haken Oesophagus und Trachea aufgespiesst hatte. Die Oesophago¬
skopie brachte die Heilung des Kranken zuwege.
Herr B oc k e n h e i m e r - Berlin warnt davor, Fremdkörper zu
extrahieren, die zu lange gelegen haben, und belegt seine Auffassung
durch eine einschlägige Beobachtung.
Herr L i n d n e r - Dresden erwähnt ebenfalls einen Fall von
Oesophagotomie.
Heu Köl liker demonstriert das von ihm zur Oesophago¬
skopie benutzte Instrumentarium.
Heil K tim me 1 1 - Heidelberg weist auf die Brüningschen
Instrumente hin, die er als brauchbar erprobt hat.
r r G 1 ü ,c k s m a n n - Berlin widerspricht der Auffassung, dass
uf u,!r ld»e. <r,ln Fremdkörper im Oesophagus gelegen hat, für die
Wahl dei Methode entscheidend sein könne; er warnt vor Ueber-
hastung.
P(. Berr Schul t ze -Duisburg: Behandlung der Frakturen des
tllenbogengelenks durch Autoextension.
Ei belichtet über 27 Frakturen am unteren Humerusende. Er
repomer die Fragmente und hält sie in 4er richtigen Stellung da¬
durch, dass er den Arm im Ellenbogen extrem beugt und durch
Gummizugei in dieser Stellung befestigt. Mit dieser Behandlung geht
sofoitige medikomechanische Behandlung einher, die mittels eines
besonderen Apparates zu erfolgen hat.
. Herr StJeda -Königsberg: Zur Pathologie der Schleimbeutel
des Schultergelenks.
uCr Redner berichtet über eine schmerzhafte Erkrankung am
" “ Se,en5e’ bAe/ dieiV dieu Patienten zur völligen Arbeitsunfähigkeit
verui teilt sind. Als Ursache derselben hat er durch Röntgenunter-
vorbe?? Ie^tsestedt’ dass eine Erkrankung der Bursa subdeltoidea
R Diese . Erkrankung ist höchstwahrscheinlich gichtischer
Heilung aus geeigneter Behandlung geht die Krankheit in völlige
Diskussion: Herr B o ck e nh ei me r -Berlin bestätigt die
Angaben des Vortr. auf Grund seiner in der v. Bergmann sehen
Klinik gemachten Erfahrungen. g bcnen
Herr Müll er -Rostock glaubt, dass auch die Gonorrhöe das
vom Vortragenden geschilderte Krankheitsbild hervorbringen könne
d.PQP noe^lor I,1 ed[ ich -Marburg macht darauf aufmerksam, dass
nctP eim r*Hte: lentzundungen so hochgradig sein können, dass sie
mit Osteomyelitis verwechselt werden. Er teilt aus seiner Erfahrung
die* pÄ?' Ha" mU’ ,in dem auf Qrun'd einer falschen Diagnose
ue Resektion des Humeruskopfes gemacht wurde
bei Tetanu^ " S C h ü ‘ z ' Marbur£; Endoneurale Antitoxininjektionen
T . , E>erlchtet über zwei Fälle von Tetanus, die er mit endoneuralen
Injektionen behandelt hat, von denen der eine ein leichter Fall war
andere VaU aber be^eiskräftig anzusehen ist, von denen der
midere Fall aber sehr schwer war, so dass ihm nach des Redners
Meinung wohl eine gewisse Beweiskraft zukommt. Es handelte sich
um eine Fingerverletzung, bei der sich sehr schnell ein schwerer
GnGtiUS "?Ite- Nach zwei Tagen eHolgte eine reichliche In¬
ferner wurde t a. n u s a n t r t o x i n in den Armplexus in der Achselhöhle,
vnn T^+U de d+ Lumbalpunktion gemacht und eine lumbale Injektion
von Tetanusantitoxm ausgeführt und endlich erfolgte die Exartiku-
nip°nnHdeS Veii etTzt.ei? Eingers. Zunächst Besserung, dann Rückfall.
daueTnd°neUia 6 njektlon wurde wiederholt, und jetzt war der Erfolg
Diskussion: Herr L i n d n e r - Dresden schliesst sich dem
h, 0BeX häurf," T«, be,Fl- tSS, er im Ansatz z“ K 6 r t e auc”
l Berlin häutig letanusfaile beobachtet habe. Ihm scheinen Ver-
etzungen zum Ausbruch von Tetanus zu disponieren, die mi Erreich
S=^U0?eÄSiÜer letZtere ^ SBben-
Herr Friedrich- Marburg plädiert auf Grund seiner in Greifs
Tefa^TlfleälSh^eV'lF l^Brb4' ^
lang "StAnÄ' dc4aemsÄh„er Z“r B1'°phylaktischen Be,la"d-
7 " ka^sel : Wolfsrachen, Operationen am Kiefer
Zunge, Mundboden und oerorale Intubation. *
graphisch LierL^efns'indChen?erati0nen’'die Redner bereits mono-
(ntabation Ä ist “ dre‘ ftr0SSe Qebie,e' wo die
i. •+ !' U'e Operatjon lCj e s Wolfsrachens. Bei der Klein-
eigeneY BesS?" lhr£S Kehlkopfes eifordert diese Operation ein
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Redner demonstriert dasselbe.
Durch die Intubation werden dem Operateur zwei grosse Vor¬
teile geboten i 1. die Ruhe und Kontinuierlichkeit der Narkose und
Operation und 2. die Sauberkeit der Naht.
An der Hand eines Präparates und grosser Bilder demonstriert
Redner das Vorgehen und die Vorteile der Operation.
9 Die Resektion an den Kiefern. Oberkiefer und
Unterkiefer. Die Intubation lässt für diese Eingriffe die prä¬
liminäre Karotisunterbindung und ähnliche Voroperationen ganz ent¬
behren. Naht und Blutstillung sind sehr erleichtert.
3. Die Operation an der Zunge und den tieferen
Teilen des Mundbodens, der T o n s i 1 1 e n, d e r Epi-
glottis Diese Eingriffe verlangen, wie wir neuerdings vielfach
betont sehen, umfassende Ausräumung der submaxillaren Drusen etc.,
wenn sie Dauererfolge geben sollen.
Bekanntlich können wir bei diesen Operationen im Gebiete der
Mundhöhle nach verschiedenen Richtungen Vorgehen: a) durch den
Mund selbst. Natürlich ist hierbei der Operateur räumlich recht be¬
schränkt. Daher ist mehr gebräuchlich b) das Vorgehen von Lan¬
ge n b e c k, quer durch den Kiefer nach Durchsägung desselben ;
c) ein drittes Verfahren ist das suprahyoidale, entweder nach
Kocher (Schnitt längs dem Kieferrand) oder nach Bergmann-
Regnoli submental; d) manchmal kann auch dei subhyoidale Weg
nach Lange nbeck-Gluck angezeigt sein.
Für alle diese Verfahren bedeutet die perorale Intubation eine
sehr wesentliche Erleichterung und einen nicht zu unterschätzenden
F°rtRedner demonstriert seine Methode an Zeichnungen und Mo-
dellen.
Zunächst legt er die anatomischen örtlichen Verhältnisse der
Mund und Unterkieferregionen dar, dann demonstriert er die Einzel¬
heiten seiner Instrumente und wesentliche Verbesserungen daran.
(Selbstbericht.)
Diskussion. Herr v. Ei selsb e r g- Wien hält die Me¬
thode des Herrn K u h n für andere Operationen wohl anwendbar, aber
für die Gaumenspaltenoperation nicht. Er sei mit der Operation am
hängenden Kopf in ca. 160 Fällen sehr gut ausgekoipmen.
Herr Schmieden - Berlin empfiehlt das Kuhn sehe Verfahren
auf Grund seiner Erfahrungen, die an der Bier sehen Klinik damit
gemacht worden seien.
Herr Müller- Rostock operiert die Gaumenspalten in gewöhn¬
licher Rückenlage mit digitaler und Tamponkompression u T"'"’r'
Wolf und hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht: bei
Mundoperationen werde er das K u h n sehe Verfahien
probieren. ... , ,
Herr H a b s - Magdeburg tritt sehr warm für das Kuhn sehe
nach Julius
den übrigen
in Zukunft
Verfahren ein. ^ A. ,
Herr König- Altona empfiehlt für die Operationen im Munde,
am Rachen und an der Zunge die einseitige oder auch doppelseitige
Unterbindung der Karotis interna, die sich ihm besonders bei Ober¬
kieferresektionen sehr bewährt hat.
Herr Hoennicke - Dresden : Ueber experimentell erzeugte
Missbildungen (auf Grund seiner Untersuchungen im pathologischen
Institut in Greifswald). ... ^ T_.,1 ...
Vortr. hat an Säugetieren (Kaninchen) bis jetzt -46 Fälle von Miss¬
bildungen erzeugt, und zwar solche der Gliedmassen, des Schädels
(Gesichts-, Gaumenspalten, Wolfsrachen), der Lider, der Iris, der
Linse, Nieren, Nebennieren, des Herzens, der Zähne. H. ging aus von
seinen Rachitisuntersuchungen, auf die er sich hier nur bezieht (vor¬
getragen im med. Verein in Greifswald, Febr. 1907) und auf Grund
deren er die Rachitis definiert als eine „einfache Entwicklungshem¬
mung, im Mittelpunkt von deren Wesen eine funktionelle Insuffizienz
der Schilddrüse steht“. H. behandelt seit jetzt 214 Jahren die Rachitis
mit konstantem und sicherem Erfolge mit Schilddrüse.
Ist die Rachitis also eine Entwicklungshemmung, so ist ihr
Wesen identisch mit den intrauterinen Entwicklungshemmungen.
Letztere fasst Vortr. als eine einzige Krankheit auf, bei der Miss¬
bildungen einzelner Teile nur als örtliche Symptome aufzufassen sind,
und bezeichnet sie als „präthyreoidale Rachitis“. Als Rachitis wegen
der Identität des Wesens. Präthyreoidal soll heissen, dass es sich um
die Zeit handelt, ehe überhaupt eine Beziehung zur Schilddrüse in
Frage kommt. Im Gegensatz dazu bezeichnet Vortr. die vulgäre
Rachitis als „thyreoidal“.
Präthyreoidale Rachitis erzeugt Vortr. durch Allgemeinbehand¬
lung der Eltern bezw. Muttertiere vor und während der Zeugung bei
der Gravidität und benutzte Thyreoidin, Ammonsulfat, Aether und
andere Mittel und bevorzugte der sozialen Wichtigkeit wegen vielfach
den Alkohol. Die Mannigfaltigkeit der Mittel erklärt sich aus den
kolloidalen Eigenschaften des Eiweisses.
Später setzte H. an Stelle äusserer Mittel konstitutionelle Fak¬
toren (z. B. Paarung rachitischer oder geschlechtlich noch nicht voll¬
reifer Tiere).
Mit beiden Versuchsanordnungen, besonders letzterer, wurde
also ganz in Uebereinstimmung mit der klinischen Erfahrung die „erb¬
liche Belastung“ experimentell in Anwendung gebracht.
Von rachitischer Aszendenz wurde das eine Mal präthyreoidale,
das andere Mal thyreoidale (hier also erbliche) Rachitis der Des¬
zendenz erzielt. In Greifswald sah H. die schwerste Rachitis in den
Familien der Potatoren.
An die intrauterine Entwicklungshemmung (präth. Rach.) schliesst
sich sehr oft unmittelbar die infantile (Rach, thyr.) an. Das beste Be¬
weismaterial sind hierfür die Idioten und Epileptiker.
In exquisiten Rachitikerfamilien fand H. relativ viel kongenitale
Anomalien (Degenerationszeichen = präth. Rach.).
Ferner haben Rach. thyr. und präth. folgende gemeinsame Er¬
scheinungen. Offene Fontanellen und Spaltbildungen sind identisch.
Identische Entwicklungshemmung der Zähne findet sich bei beiden,
ebenso sogen, „abgesprengte“ Keime und auch die allgemeine Ent¬
wicklungshemmung.
Vortr. glaubt die weitere Fortsetzung der Versuche werde er¬
geben, dass ganz allgemein ein Kranksein von gewisser Intensität
und Dauer vor oder während der Zeugung bezw. der Gravidität im¬
stande sei, embryonale oder infantile Entwicklungshemmungen zu
veranlassen, abgesehen von dem wichtigen Moment, dass die Aszen¬
denten oder ihre Keime bereits an Entwicklungshemmungen leiden.
Die Annahme mechanischer Momente als Ursachen bei der nach¬
träglichen Deutung der Genese von Missbildungen bedarf danach
immer des Beweises durch objektive Anhaltspunkte. (Selbstbericht.)
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
(Fortsetzung.)
8. Herr S t e f f e n - Dresden : Ist die Skdpolamin-Morphium-Wir-
kung in der geburtshilflichen Privatpraxis empfehlenswert?
Die Merkfähigkeitsprüfungen, die Beissinger und Steffen
an Kreissenden ohne Skopolamin angestellt haben, haben, wie nach
den experimentellen Untersuchungen über Merkfähigkeit in der Psy¬
chiatrie zu erwarten war, ergeben, dass die starke Ablenkung und
die körperliche Anstrengung der Geburtsarbeit bald zu einer Herab¬
setzung der Merkfähigkeit bis zu einem teilweise völligem Erlöschen
derselben führt, gleichzeitig trat eine leichte zentral motorische Er¬
regung ein, welche die Empfänglichkeit der Kreissenden für erregende
Mittel (Skopolamin) erkläre. Steffen kommt zu dem Resultat,
dass die Merkfähigkeit bezüglich der Dosierung ein durchaus un¬
sicheres Symptom ist, und dass der praktische Geburtshelfer sich stets
im unklaren befinden wird, ob er Skopolamin weiter geben soll oder
nicht.
S. schildert darauf die ungünstigen Nebenwirkungen: Störungen
des körperlichen Befindens (Röte des Gesichtes, Blutandrang nach
dem Kopf, Kopfschmerz, der 1—2 Tage anhalten kann, Flimmern vor
den Augen, quälendes Durstgefühl, Würgen, Erbrechen) und Störungen
der Herztätigkeit.
Die psychischen Störungen zeigen sich als innere Angst, hierzu
gesellt sich eine Steigerung der Schmerzempfindlichkeit, ferner mo¬
torische Unruhe, beginnend mit leichten Zuckungen in der Hand und
im Gesicht, welche in tonische und klonische Krämpfe von hysteri-
formen Charakter übergehen können und endlich rein psychische Er¬
regungszustände, die sich bis zur akuten halluzinatorischen Verwirrt¬
heit steigern können.
Die Störungen des Geburtsverlaufes bestehen in einem Nach¬
lassen der vorher kräftigen Wehen event. bis zum Stillstand der
Geburt, mangelhafter Innervation oder Ausschaltung der Bauchpresse
und Neigung zu atonischen Nachblutungen.
Das Nachlassen der Wehentätigkeit und die Ausschaltung der
Bauchpresse erklärt St. 1. durch den Wegfall des psychoreflektori-
schen Einflusses des erhaltenen Bewusstseins, 2. durch die Aus¬
schaltung des physiologischen Wehenschmerzes der zur Auslösung
der Bauchpresse notwendig ist, 3. durch die Hemmung der Ganglien¬
zellen des Reflexbogens infolge Skopolamin.
Die Verlängerung der Geburtsarbeit und das Skopolamin direkt
wirke auch schädlich auf das Verhalten des Kindes, was sich als
Oligo- resp. Dysapnoe des Kindes nach der Geburt zeige.
Diese Dysapnoe verschwinde nach ca. 20 Minuten von selbst, die
Anwendung starker Hautreize, um das Abklingen zu beschleunigen,
sei zwecklos. Bisweilen kehre die Oligopnoe nach Stunden wieder.
Das Skopolamin-Morphium setzt die Reizempfindlichkeit der Gang¬
lienzellen des Atmungszentrums herab und hindert sie nach Aufbrauch
des eigenen Sauerstoffes trotz Kohlensäureüberladung den darge¬
botenen Sauerstoff aufzunehmen. Erst wenn das Skopolamin me¬
chanisch durch die Ausscheidung entfernt oder chemisch gespalten
ist, kann sich die Tätigkeit des Atmungsreflexes entfalten. St. hält
diese zeitweise Unterbrechung höchst vitaler Lebensvorgänge keines¬
falls für so harmlos wie G a u s s. .
Steffen kommt zu dem Schluss, dass die Skopolannn-Mor-
phium-Anwendung in der geburtshilflichen Privatpraxis nicht zu emp¬
fehlen sei, denn 1. sei der Arzt nicht in der Lage, eine exakte, un¬
unterbrochene Merkfähigkeitsprüfung durchzuführen, 2. würden die
unberechenbaren Nebenwirkungen im Hause besonders störend wir¬
ken und die ständige Gegenwart des Arztes notwendig machen.
Diskussion: Herr Bumke- Freiburg weist auf die Not¬
wendigkeit hin, in der Psychiatrie häufig Beruhigungsnuttel
anzuwendeu; bei viel grösseren Dosen, als sie in der Ge¬
burtshilfe gebraucht werden, welche B u m k e in der psych¬
iatrischen Klinik anwendete, sah er bei Anwendung von
reinen Präparaten keine üblen Zufälle. Eine erregende
Wirkung ist nicht anzunehmen, da Skopolamin die motori¬
schen Hinnrindenzentren beeinflusst, ohne eine dauernde Lähmung
derselben zu verursachen. Die motorische Erregbarkeit der Ge-
2uü6
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Hirnrinde wird nur vorübergehend herabgesetzt, die sensible Erreg¬
barkeit wird leider von Skopolamin nicht beeinflusst, daher war die
Kombination mit Morphium notwendig. Das Eintreten von Krämpfen
und Zitterbewegung ist daher nicht durch die Einwirkung des Sko¬
polamins zu erklären. Das Eintreten von Zuckungen bei nervösen
Personen ist eine häufige Erscheinung, die Krämpfe sind sicher hy¬
sterischer Natur. Trotz reichlicher Anwendung in der psychiatrischen
Praxis sind nie Todesfälle beobachtet.
Herr Steffen: Die Anwendung des Skopolamin in der Geburts¬
hilfe ist eine ganz andere, als bei Geisteskranken, da wir keine
Lähmung durch grosse Dosen hervorrufen dürfen. Dass die Krämpfe
hysterischer Natur waren, darüber ist sich Steffen klar, aber die¬
selben werden leichter ausgelöst durch die im ersten Stadium der
Skopolaminanwendung erfolgende erregende Wirkung, welche natür¬
lich bei grossen Dosen, welche die Psychiater anwenden, weniger
in Betracht komme.
Herr Leopold weist darauf hin, dass Geisteskranke mit Ge¬
bärenden nicht verglichen werden können; auch Leopold hat stets
reine Präparate benutzt, er kann nur sagen, die Zeit, in der Skopo¬
lamin angewendet wurde, war sehr unangenehm; viel Zangen, viel
Dammrisse, viel Asphyxien waren .die Folge »der Skopolaminanwen-
düng.
Herr K r o e n i g wendet sich gegen die Publikation von Hoch-
e 1 s e n und Steffen. Von 1000 Gebärenden ist eine Frau gestorben,
aber infolge der Geburt und nicht infolge der Narkose. Die Kinder¬
mortalität ist viel geringer als früher, unter den 300 letzten Ge¬
burten starben nur 2 Kinder, gleichfalls nicht infolge des Skopolamins.
Allerdings geht Skopolamin in geringen Dosen auf das Kind über,
das ist aber nur günstig, da es wahrscheinlich vorzeitige Atmungs¬
bewegungen des Kindes verhütet. Wenn die grossen Dosen der Psy¬
chiater nicht den Geisteskranken schaden, so können die kleinen
Dosen, die zu dem Dämmerschlaf gebraucht werden, nicht schädlich
scin: Die Fehler müssen auf die Technik und nicht auf das Präparat
zurückgeführt werden. Die Prüfung der Merkfähigkeit, des Be¬
wusstseinzustandes muss dauernd durchgeführt werden; die Technik
muss allerdings gelernt werden. In 89 Proz. der Fälle trat zuletzt
ein voller Erfolg der Injektion — eine Schmerzlosigkeit der Geburt
ein; eine ungünstige Beeinflussung der Wehentätigkeit tritt aller-
dings bisweilen ein, aber der physiologische Wehenschmerz ist ge¬
fährlich für das Grosshirn. Neurasthenische Zustände stellen srch
nicht selten infolge einer Geburt ein. Auch für den Praktiker, der
die Anwendung der Skopolaminnarkose gelernt hat, ist dieselbe
durchaus ausführbar; sie verhindert die Anwendung der gefährlichen
Luxuszange.
,. T?!rr D e c>P o 1 d: Todesfälle hat zwar L. auch nicht beobachtet,
die 1 atsache. dass aber Asphyxien eintraten, Hess sich nicht leugnen
Herr M ü 1 ler- München weist auf die günstige Einwirkung
hin, die die Injektion auf das psychische Befinden ausübt; er gibt
Dosen, ohne dass stets Dämmerschlaf eintrat, er gibt 1/s _ Vs
Milligramm.
, S l,e e n: Die Erfahrungen sind bei Chirurgen günstiger
als bei Gynäkologen, da bei ersteren ein kurzer Schmerz, bei der
Geburt hingegen ein sehr langdauernder verhindert werden soll.
,e atsache, dass bei Skopolamin mehr Zangen angewendet wer¬
den müssen, macht weiter die Geburten gefahrvoller. Die erste
Dose war 0,45 mg und steigt zur vollen Narkose auf 0,75.
9. Herr G e 1 1 h o r n: Die Behandlung des inoperablen Uterus-
karzinoms mit Azeton.
Bei inoperablem Karzinom vermögen die bisherigen Mittel, unter
anderem auch die Röntgenstrahlen, nur wenig zu leisten; so dass die
Auskratzung mit nachfolgender Ausbrennung und Chlorzinkbehand¬
lung die günstigsten Resultate ergebe. Aber häufig treten nach
kurzer Zeit wieder Blutung und Jauchung ein, denen wir alsdann im
ganzen machtlos gegenüberstehen. Die Kranken werden für die
Umgebung, namentlich in der Klinik unerträglich. Die Anwendung
des Azeton vermag nun die Jauchung sehr günstig zu beeinflussen,
es härtet das Gewebe. Die Technik ist folgende: In Narkose griind-
liche Auskratzung, Austrocknung, in die Wunde werden 1 — 2 Fss-
offel eingegossen, die Kranke bleibt V*~ % Stunde in Beckenho'ch-
lageTung. Vom 5. Tage ab werden die Eingiessungen von Azeton
ini Spekulum und zwar gewöhnlich 3 — 4 mal wöchentlich wiederholt
Die Resultate sind Stillung der Blutung. Nachlassen der Jauchung-’
die Wände der Wundhöhle werden glatt und fest, das Allgemeinbe-
inden bessert sich. Eine Resorption von Azeton Hess sich nie nach-
weisen.
D iskuss i o n : Herr S c hu rieh empfiehlt das Betupfen der
K .M zi noma tosen Höhle mit arseniger Säure ohne vorhergehende Aus¬
kratzung; in einem Falle, in dem eine Obliteration der Scheide ein¬
trat. erzielte er Heilung Er empfiehlt vor allem auch die innere
Verordnung von Arsen (Liq. Kal. arsenic.).
Herr Conrad berichtet über die günstige Beeinflussung die
uiircli die bekannte Methode der Ausbrennung nach vorhergehender
Auskratzung, Chlorzinkanwendung (50 proz.) und Nachbehandlung
mit I voktanningazetamponade zu erzielen ist.
.. , 10 fierj R. Freund -Halle a. S.: Blasenmole bei jungem, mensch¬
lichen Ei.
Demonstration eines mikroskopischen Präparates (Serienschnitte)
eines ca. 3 Wochen alten Eies, ganz von Dezidua umgeben. Letztere
ist stark verdickt mit allen Zeichen der Entzündung. Die Zotten sind
grösstenteils^ blasenmolenartig degeneriert, besonders stark an einer
Stelle des Chorion laeve. Von hier gehen polypenartige
E i n s t ü 1 p u n g e n in die E i h ö h 1 e, wodurch letztere,
wie gewöhnlich bei Blasenmolen, schon frühzeitig
verödet wird. Entgegen vanderHoeven-, der auf die Ueber-
gänge von normalen Zotten zur Blasenmole an Abortiveiern auf¬
merksam machte, bildet sich also auch amChorion laeve
Blasenmole aus.
Der Ausgangspunkt für die Entstehung einer
B 1 a s e n m o 1 e ist das entweder durch echte Entzündung oder
durch krankhafte ovarielle Einflüsse analog einer Entzündung ver¬
änderte Endometrium. Dadurch entsteht zunächst Verhin¬
derung normaler Eientwicklung, frühzeitiges Absterben
der Frucht, während die Eioberfläche weiterlebt
und Stoffe aus mütterlichem Blut aufnimmt, wel¬
che jedoch mangelsein es fötalen Kreislaufes nicht
weiterbefördert werden, sondern im Zottenstroma
deponiert bleiben; daher die Auftreibung und Quellung der
Zotten. Je frühzeitiger Fruchttod erfolgt und je länger die Ei¬
peripherie mit reichlichem mütterlichen Blut in Verbindung bleibt
desto intensiver ist die Blasenmolenbildung.
11. Herr H a n n e s - Breslau: Ueber zystoskopische Befunde bei
geheilten Blasenfisteln.
Die Blasenscheidenfisteloperation wurde so ausgeführt, dass nach
K ii st ner scher Methode die vordere Blasenwand auf die vordere
Zervixwand nach einer breiten Umschneidung der Fistel aufgenäht
wurde. Die Resultate waren selbst bei grossem Defekt der Blasen¬
scheidenwand sehr gute. Unter 8 Fällen, welche zystoskopisch unter¬
sucht wurden, Hess sich 3 mal keine Narbe nachweisen (in 2 dieser
Fälle war eine isolierte Blasennaht gemacht worden), in den übrigen
Hess sich eine breite Narbe feststellen z. T. mit Divertikelbildung:
diese ist eine Folge der Operationsmethode, sie kommt in Fällen
mit und auch ohne isolierter Blasennaht zustande. Konkrement¬
bildung fand sich nie in diesen, die Divertikel bilden also keine nach¬
teilige Folge der Operation. Hannes befürwortet eine einreihige
Naht, von der Schichtnaht sah er keinen Vorteil. Eine Retroflexio-
bildung wird allerdings durch die Operation befördert. Fnr den
Eintritt einer Schwangerschaft und Geburt ist aus der Operation kein
Nachteil zu befürchten.
12. Herr O. T u s z k a i-Marienbad-Ofen-Pest: Untersuchung und
Behandlung von Frauenleiden unter Wasser.
T u s z k a i bespricht eine neue Methode zur Untersuchung und
Behandlung von Frauenleiden. Die Untersuchung wird im Wasser
vorgenommen und ermöglicht Detailbefunde und die Behandlung bei
entzündlichen Erkrankungen der Beckenorgane, ohne Schmerzen aus-
zufiihren, ebenso gestattet sie eine Diagnose in der Anfangszeit der
Gravidität zu stellen. Bisher war in vielen Fällen die Narkose not¬
wendig, deren Umständlichkeiten und Nachteile dadurch vermehrt
werden, . dass die Pat. in der Narkose keine Angaben über Schmerz¬
haftigkeit machen können, daher verdient in geeigneten Fällen diese
subaquale Methode der Untersuchung den Vorzug. T. hat einen
eigenen Untersuchungstisch konstruiert, auf dem die Vornahme der
Untersuchung, während die Patientin im Sitzbade sich befindet, mög¬
lich ist.
(Schluss folgt.)
Verschiedenes.
Aus dem Budget des Königreichs Bayern für die Jahre 1908 und 1909.
Etat des Staatsministeriums des K- Hauses und des Aeussern.
Gewerbeaufsicht. Der Etat stellt dem Gewerbeaufsichtsdienst drei
neue Kräfte zur Verfügung: a) einen neuen Gewerberat, da in Aus¬
sicht genommen ist, die industriell hochentwickelte Pfalz in zwei Auf¬
sichtsbezirke zu teilen; b) einen Landesgewerbearzt, der den
Gewerberäten koordiniert sein und gleichen Gehalt wie diese er¬
halten soll. Die Tätigkeit des Gewerbehygienikers soll das ganze
Land umfassen; c) einen neuen Assistenten. (Der Gehalt eines Ge¬
werberates beträgt 3900 bis 4260 M.)
Etat des Staatsministeriums der Justiz. Die Aerzte an den Ge¬
fängnissen an der Baaderstrasse und am Neudeck in München sollen
den Hausärzten an den Strafanstalten gleichgestellt und mit dem
Titel, Rang und Gehalt der Bezirksärzte I. Kl. ausgestattet werden.
Erforderlich sind für jeden 1980 M. Gehalt und 360 M. Zulage.
Etat des Staatministeriums des Innern. Etat für Gesundheit.
Neugefordert Wird ein zweiter Bezirksarzt I. Kl. für die Stadt Nürn¬
berg. Die Errichtung neuer Bezirksämter in Lauf und Riedenburg be¬
dingt die Aufstellung je eines Bezirksarztes I. Kl. daselbst. Beim
K. Landgerichte Regensburg wird die Aufstellung eines Assistenten
des K. Landgerichtsarztes gefordert. Der Funktionsbezug des bc-
zirksarzthchen Stellvertreters in Bad Reichenhall wird von 900 Mk.
ooo *£9? erhöht. Der Bedarf der Zentralimpfanstalt ist um
2220 Mh. höher als bisher. Für den Pensionsverein für Witwen und
Waisen bayerischer Aerzte werden wie bisher 8430 Mk., für den
Invalidenverein 3430 Mk. gefordert. — Zur Förderung der Wohnungs-
fursorge sind 20 000 Mk. eingestellt.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2067
Etat des Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten. Landesuniversitäten. M ü n c h e n. Für den Be¬
trieb der Universitätsaugenklinik 26 250 Mk., für den Betrieb der
Anatomie 35 000 Mk., für einen Ersatzprofessor in der medizinischen
Fakultät 4400 Mk. Ferner für verschiedene Bedürfnisse der 1 oli-
kliniken im Reisingerianum mehr 6410 Mk. Erhöhung der Realexigenz
der orthopädischen Poliklinik von 2000 auf 3000 Mk., des hygienischen
Instituts um 2000 Mk., der dermatologischen Klinik um 500 Mk., der
II gynäkologischen Klinik yon 1000 auf 3000 Mk., der Universitäts-
Kinderklinik um 6000 Mk. - Würzburg. Neue Postulate: Zur Er¬
richtung einer ausserordentlichen Professur für Hals- und Nasen¬
krankheiten 3870 Mk., zur Errichtung einer a o. I rofessur für Zahn¬
heilkunde 3870 Mk.; der Realetat des pathologischen Instituts wnd
um 7000 Mk. erhöht. Für Erhöhung der Realexigenz des pharma¬
kologischen Instituts 1000 Mk., einmaliger Zuschuss zur Instand¬
setzung des Instituts 2500 Mk.; für die chirurgische Klinik ein Assistent
II Ordnung 1710 Mk., ein 2. Diener 1155 Mk., Erhöhung der Real¬
exigenz 5000 Mk. Zur Erhöhung der Realexigenz der medizinischen
Klinik ?700 Mk. Für die otiatrische Klinik, Erhöhung der Realexigenz,
Assistent und Diener 8262 Mk., ebenso für die rhino-laryngologische
Poliklinik und dermatologische Klinik 6600 Mk. Für das zahnärzt¬
liche Institut, Erhöhung des Realetats 4576 Mk., einmaliger Zuschuss
für bauliche Bedürfnisse und innere Einrichtung 3215 Mk. —
Erlangen. Für die medizinische Klinik (Assistent und Diener)
2340 Mk • für die Frauenklinik zur Erhöhung des Realetats 18 750 Mk.,
ferner für einen Assistenten, Verwalter und Heizer 4170 Mk., für bau¬
liche Aenderungen und Ergänzung des Inventars 23 425 Mk. Für die
chirurgische Klinik zur Erhöhung des Realetats 4500 Mk., für einen
Diener 1110 Mk.; für die orthopädische Klinik zum Anbau und zur
Einrichtung eines Turnsaals für orthopädische Behandlung 10 000 Mk.,
für einen Assistenten II. Ordnung 1710 Mk., zur unentgeltlichen Ver¬
pflegung bedürftiger Patienten 3000 Mk. Zur Erhöhung des Realetats
des pharmakologisch-poliklinischen Instituts 1000 Mk. Zuschuss an
das physiologische Institut zur Anschaffung von Apparaten und
Bibliothekwerken 1750 Mk.
Im ausserordentlichen Budget werden verlangt: Für die Neu¬
fassung der Heilquellen in Brückenau, Steben und Bocklet 200 000 Mk.
Für bauliche Adaptierungen im pathologischen Institut der Universität
Würzburg 177 187 Mk. Für den Neubau eines Poliklinikgebäudes in
München, II. und letzte Rate 1 500 000 Mk. (die I. Rate betrug
600 000 Mk.); für innere Einrichtung dieses Neubaues 770 000 Mk.
Für Erbauung eines die Universitätskliniken und die Krankenhäuser
für die städtischen, juliusspitälischen und klinischen Kranken um¬
fassenden Krankenhauses in Würzburg, I. Rate, 500 000 Mk.
Ueber den dringend nötigen, nach Ueberwindung vieler Schwie¬
rigkeiten der Verwirklichung endlich nahe genickten Neubau de i
W ürzburger Kliniken besagen die Erläuterungen zum Etat
folgendes:
Die Erbauung eines neuen Krankenhauses in Würzburg ist so¬
wohl für die Universität als auch für die Stadtgemeinde und die
Juliusspitalstiftung ein vordringliches Bedürfnis. Zurzeit sind die
Universitätskliniken sowie die städtischen und die auf Kosten der
Stiftung verpflegten Kranken im Juliusspitale untergebracht. Die
hygienischen Verhältnisse 'in diesem Spitale sind aber nach fach¬
männischen Gutachten sehr ungünstig und auch der Veibessening
durch bauliche Massnahmen etc. nicht fähig. Es ist deshalb die Hei-
stellung von neuen Universitätskliniken und von neuen Kranken¬
häusern für die städtischen, juliusspitälischen und klinischen Kianken
ins Auge zu fassen Die Baufrage wird in allseitigem Interesse am
zweckmässigsten durch Zusammenwirken der drei beteiligten Fak¬
toren — Universität (Staat), Stadt und Juliusspital zu lösen sein.
Ueber die wesentlichsten Punkte — Gemeinsames Zusammen¬
gehen, Wahl des Bauplatzes und Beteiligung an der Kostendeckung
— ist bereits grundsätzliche Einigung unter diesen drei Faktoren zu¬
stande gekommen.
Als Bauplatz ist ein im Eigentume des Juliusspitales stehendes
Areal von 12 ha zwischen der Oberdürrbacher- und der Versbachei -
Strasse in Aussicht genommen, welches das Juliusspital um den
mässigen Preis von 4 Mk. für den Quadratmeter, sohin um 480 000 Mk.
abtreten würde.
Der Magistrat und das Gemeindekollegium der Stadt Würzburg
haben sich — Beschlüsse vom 31. Juni und 4. Juli 1907 — mit dem
Bauplatz, dem Preis von 4 Mk. pro Quadratmeter und mit der Be¬
teiligung an den Kosten für den Grunderwerb und den Neubau nach
Massgabe der Bettenzahl (etwa 250) für die städtischen Kranken
einverstanden erklärt.
Ebenso hat das juliusspitälische Oberpflegamt unterm 21. Juni 1. J.
seine Bereitwilligkeit kundgegeben, von dem in Aussicht genommenen
Areale für den Neubau 12 ha oder mehr um den Preis von 4 Mk. pro
Quadratmeter abzutreten, sowie an den Kosten des Grunderwerbs
und des Neubaues nach Massgabe der Bettenzahl für die julius¬
spitälischen Kranken (150) sowie unter der Voraussetzung und bis
zu dem Masse der noch festzustellenden Leistungsfähigkeit der Julius-
spitalstiftung sich zu beteiligen.
Die Regierung, Kammer des Innern, von Unterfranken und
Aschaffenburg hat biegegen von Kuratel wegen keine Erinnerung
erhoben.
Damit dürfte eine ausreichende Grundlage für die Postulierung
einer I. Baurate gegeben sein.
Die übrigen, noch offenen Fragen — Bettenzahl für die klinischen
Kranken, Bausystem, Bauprogramm, Verteilung der Bau- und Be¬
triebskosten, Organisation der Verwaltung — bedürfen noch weiterer
Verhandlungen, sollen aber, wenn irgend möglich, bis zui Beratung
des Postulates im Landtage bereift werden.
Als erste Rate für den den Staat treffenden Anteil an den Kosten
des Grunderwerbs, der Vorarbeiten und der ersten Inangriffnahme
des Baues ist der Betrag von 500 000 Mk. notwendig.
Sollten die Verhandlungen über die noch offenen Fragen zu keiner
Einigung führen oder nicht rechtzeitig bereift werden können, so
würde nur erübrigen, das Postulat zurückzuziehen.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 7. Oktober 1907.
— Nach dem Vorgang der bayerischen Regierung veranstaltet
nun auch das preuss. Kultusministerium statistische Er¬
hebungen über die Zahl der in P r e u s s e n v o i h a n -
denen Krüppel und deren geistige und körperliche Pflege. Auf
Grund der hierdurch gewonnenen Erfahrungen soll erwogen werden,
ob es sich empfiehlt, die Fürsorge der Krüppel, die zuizeit
ausschliesslich der Privatwohltätigkeit überlassen ist, ähnlich wie die
der Taubstummen und Blinden den Provinzialverbänden zu über¬
weisen. Es dürfte dabei neben der körperlichen Pflege auch besonders
die Frage des Unterrichtes und der Ausbildung berücksichtigt werden,
um den Krüppeln eine eigene Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
_ Der Magistrat München hat den mit der Abteilung für
freie Arztwahl des Aerztlichen Bezirksvereins München abge¬
schlossenen Vertrag, durch welchen die freie Arz t w a h 1 bei
der Gemeindekrankenversicherung eingefühlt wurde,
auf 1. Januar 1908 gekündigt. Die zur Prüfung der Verhältnisse bei
der Gemeindekrankenversicherung eingesetzte Kommission des Magi-
strats wünscht mit der Abteilung für freie Arztwahl in Verhandlungen
zu treten, um Vorschläge zu erhalten, wie dem Steigen der Ausgaben
in wirksamerer Weise als bisher entgegengetreten werden konnte.
Um bei diesen Verhandlungen völlig freie Hand zu haben, wurde der
bestehende Vertrag gekündigt. Die Kommission hofft, „eine Lösung
der einschlägigen Fragen zu finden, welche sowohl den berechtigten
Wünschen der Aerzte als auch den Interessen der Kassenmitglieder
und der Kasse selbst gerecht wird“.
— Bei Gelegenheit des internationalen Hygienekongresses in
Berlin fand im Kultusministerium daselbst unter Vorsitz des Ge¬
heimen Obermedizinalrat Dr. Dietrich eine Sitzung des Arbeits¬
ausschusses des Internationalen Kongress fiii Ret¬
tung s w e s e n, welcher 1908 in Frankfurt a. M. tagen wird, in
Gemeinschaft mit ausländischen Delegierten statt. Unter diesen sind
zu nennen: Obersanitätsrat Dr. v. Britto, Kaiserlicher Rat Dr.
Charas. Wien, Professor Dr. Gerulano s-Athen, Dr. A. L a nt s-
heere- Brüssel, Dr. Ma m y - Paris, Direktor Tolman- New York
u. a. Es wurde besonders über die Einteilung des Kongresses, sowie
über die mit ihm verbundene Ausstellung von Krankenwagen und
Krankenbeförderungsmitteln lebhafte Erörterung geführt an welcher
sich die Herren Geheimer Regierungsrat Freiherr v. Stein, Pro¬
fessor Dr. George Meyer, Sanitätsrat Dr. S. Alexander, Gent i al-
arzt Dr. D ii m s, Professor M a n e s usw. beteiligten.
— Cholera. Russland. Nach den Ausweisen im „Regierungs¬
boten“ sind am 18.. 19. und 20. September in Russland noch 104— i00
_ 74t zusammen 278 Personen an der Cholera erkrankt und 43—55
— 37, insgesamt 135 der Cholera erlegen, nachdem vom 11. bis 17. Sep¬
tember im ganzen 1165 Personen erkrankt und 588 der Seuche ei-
legen waren — China. In der internationalen Niederlassung von
Shanghai, welche angeblich von 510 000 Chinesen und 13 700 Nicht¬
chinesen bewohnt wird, sind vom 11. bis 25. August 340 Chinesen
der Cholera erlegen und 7 Nichtchinesen, darunter „ Deutsche, an
der Cholera erkrankt; scheinbar begann die Krankheit etwas nach-
z ulassen. Von den beiden Schiffsoffizieren, welche in 1 aku erkrankt
waren, ist zufolge einer Mitteilung vom 28. August der eine gestorben.
In den Niederlassungen der Fremden zu Tientsin waren bis zum
28. August vereinzelte Cholerafälle, aber nur bei Chinesen voige-
ommen^est. Aegypten. Vom 14. bis 21. September sind in Ale¬
xandrien noch 8 Personen an der Pest erkrankt und 4 Pesttodesfälle
vorgekommen; ausserdem wurden aus ganz Aegypten in der be-
zeichneten Woche nur noch 2 Pestfälle gemeldet. — Bntisch-Ost-
indien. Vom 11. bis 17. August sind in ganz Indien 3837 Erkrankungen
(und 2778 Todesfälle) gemeldet. In Kalkutta starben vorn F\ ms
24. August 7 Personen an der Pest. — Hongkong. \ om 30. Juni ns
3. August wurden in der Kolonie 83 Pesterkrankungen (davon J7 in
der Stadt Viktoria) und 82 Todesfälle festgestellt. — Britisch Süd¬
afrika. Während der am 24. August abgelaufenen Woche wurden
aus der Umgebung von King Willms Town 3 Pestfalle gemelde ,
welche sich als Fälle von Lungenpest erwiesen. Der Pest erlegen sind
vom 5. bis 21. August dort angeblich 4 Personen.
2068
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 15. bis
21. September sind 22 Erkrankungen (und 7 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 38. Jahreswoche, vom 15. bis 21. September 1907,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Recklinghausen mit 34,9, die geringste Potsdam mit
5,0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Colmar i. E., an
Diphtherie und Krupp in Elbing, an Unterleibstyphus in Spandau, an
Keuchhusten in Lübeck. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
Giessen. Ernannt wurde der bisherige o. Professor an der
Prager deutschen Universität Dr. med. Otto v. Franque zum
ordentlichen Professor der Gynäkologie und Geburtshilfe und Direktor
der Frauenklinik an der Universität Giessen mit Wirkung vom 1. Ok¬
tober 1907 ab. (hc.)
Heidelberg. Geh. Rat Alfons Edler v. Rosthorn wurde
zum ordentlichen Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie an der
Universität Wien ernannt. Er wird Heidelberg Ende des Winter¬
semesters verlassen. — Wie hier verlautet, ist der Privatdozent an
der hiesigen Universität und klinischer Assistenzarzt bei Geh. Rat
K r e h 1 an der medizinischen Klinik, Dr. med. Alfred Schwenken-
becher, zum Nachfolger des Professors de la Camp auf dem
Extraordinariat für innere Medizin an der Universität Marburg in
Aussicht genommen, (hc.)
Königsberg i. Pr. Dem Privatdozenten für Chirurgie und
Oberarzt der chirurgischen Klinik der Universität Königsberg i. Pr.
Dr. med. Alfred S tie d a ist der Professortitel verliehen worden, (hc.)
Marburg. Als Nachfolge* von Geheimrat Ahlfeld erhielt
Professor W. Stöckel in Greifswald einen Ruf als Direktor der
Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Marburg.
Strass bürg. Zum Oberarzt an der chirurgischen Klinik der
Universität Strassburg i. Eis. wurde der bisherige I. Assistent Dr. med.
Emil Altschüler ernannt, (hc.)
(Todesfälle.)
In Berlin starb am 29. v. M. Prof. Dr. med. et phil. Robby
Kossmann im Alter von 58 Jahren nach schwerer Krankheit an
den Folgen einer Infektion, die er sich bei Gelegenheit einer Operation
zugezogen hatte. Ursprünglich Zoologe, habilitierte er sich in Heidel¬
berg und wurde daselbst zum Professor e. o. ernannt. Später wandte
er sich der Medizin zu und siedelte 1894 nach Berlin über, wo er sich
der Frauenheilkunde widmete. Durch seine reiche Begabung, sein
vielseitiges Wissen, sein reges Interesse an allen Fragen des Standes
erwarb er sich bald eine führende Stellung unter den Berliner Aerzten.
Er war stellvertretender Vorsitzender der Berlin-Brandenburgischen
Aerztekammer und Vorsitzender der Kurpfuschereikommission dieser
Kammer. Sein vorzeitiger Tod wird allgemein bedauert. (Siehe
auch den Nachruf unseres Berliner Korrespondenten im Berliner Brief
dieser Nummer).
Am 16. September starb zu Washington nach längerer
Krankheit Dr. James C a r r o 1 1, einer der bedeutendsten ameri
kanischen Bakteriologen. Mit C a r r o 1 1 starb das letzte noch
überlebende Mitglied der Kommission, welche von der Regierung der
Vereinigten Staaten nach Cuba gesandt wurde, um das gelbe Fieber
zu studieren und welcher es gelang, die Uebertragungsweise dieser
Krankheit durch den Moskito zu entdecken. C a r r o 1 1 wunde im
Jahre 1854 in England geboren. Nachdem er die Albion House
Academy in Woolwich absolviert hatte, kam er nach Amerika und
studierte Medizin an der Maryland Universität in Baltimore. Nach
Erlangung der Doktorwürde trat er in das Sanitätskorps der Armee
der Vereinigten Staaten ein. Der verstorbene Major Reed wusste
seine Fähigkeiten und seine Schaffenskraft gebührend zu würdigen.
Mit Reed und Lazear ging Car roll im Jahre 1900 nach Cuba.
Obschon die Kommisson nach langen und sorgfältigen Untersuchungen
völlig überzeugt war, dass der Moskito das gelbe Fieber auf den
Menschen übertrage, so fehlte doch der positive Beweis dafür.
C a r r o 1 1 erbot sich diesen Beweis zu liefern, indem er sich freiwillig
von einem infizierten Moskito stechen Hess. Nach einigen Tagen er¬
krankte er schwer am gelben Fieber, doch seine starke Konstitution
überstand die Krankheit, während Lazear, der fast um die gleiche
Zeit zufällig von einem infizierten Moskito gestochen wurde, der
Krankheit erlag. Car roll wurde erst vor kurzer Zeit in Aner¬
kennung seiner Verdienste um die Wissenschaft vom Kongress der
Vereinigten Staaten mit Ueberspringung des Hauptmannsranges zum
Major befördert. Der Verstorbene war ein gewissenhafter und
enthusiastischer Forscher und war namentlich mit der bakterio¬
logischen Literatur Deutschlands wohl vertraut. Er war Professor
der Bakteriologie an der militärärztlichen 'Schule zu Washington und
gab Vorlesungen über Bakteriologie und Pathologie an der Georg
V ashington Universität. Sein Hinscheiden wird in den medizinischen
Kreisen Amerikas tief empfunden werden. . A. A 1 1 e m a n n.
Dr. Guiraud, Professor der Hygiene an der med. Fakultät
zu Toulouse.
Dr. Fr. C. Markoe, Professor der chirurgischen Klinik am Col¬
lege of Physicians and Surgeons zu New York.
Dr. J. C. Dünn, früher Professor der Materia media und der
Dermatologie am Western Pennsylvania Medical College zu Pittsburg.
Dr. F. B r a n c h, früher Professor der Hygiene an der University
of Vermont zu Burlington,
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung. Dr. Arend Walter, approbiert 1901,
München. Dr. Hugo Moos, approbiert 1892, München. Dr. Wolfgang
Bergmann, approbiert 1900, München. Dr Laux in Rülzheim.
Dr. Ruf in Pirmasens (Augenarzt). Dr. Max Schwab, appr. 1903,
in Nürnberg. Dr. Max Strauss, appr. 1902, in Nürnberg.
Verzogen. Dr. Eduard Frank von Arzberg nach Wunsiedel.
Dr. K a h 1 e r t von Wunsiedel nach Hof.' Dr. Hollaender von
Weissenstadt nach Arzberg. Dr. Heinr. Bräutigam von Nürn¬
berg nach Engelthal als Leiter der Heilstätte.
Gestorben: Dr. Mariano Bamberger, prakt. Arzt in
Iffeldorf und Arzt des Krankenhauses in Staltach, 50 Jahre alt.
Korrespondenz.
Eine Festsetzung der Vergütungen für ärztliche Dienstleistungen auf
dem Verordnungswege.
Im Nachtrag zu seinem Artikel in No. 37 schreibt uns Herr
Dr. Weber noch folgendes:
B u r g h a s 1 a c h, 27. Sept. 1907.
„Der Tarif wurde neuerdings zur Genehmigung und Anerkennung
vorgelegt. In dieser neuerlichen Vorlage wurde geltend gemacht,
dass der Tarif in der Generalversammlung der bayer. Bahn- und
Kassenärzte gutgeheissen wurde. Auch eine Reihe von drztlichen
Bezirksvereinen hätten sich mit dem Tarif einverstanden erklärt.
Was die Bahn- und Kassenärzte betrifft, so bemerke ich, dass
dieselben ja von dem Tarif gar nicht betroffen sind; denn diese sind
gegen Pauschale „angestellt“! Der Tarif ist nur für diejenigen Aerzte
bestimmt, welche diejenigen Mitglieder behandeln, welche auf dem
Lande zu weit vom fixierten Kassenarzte entfernt wohnen, als dass
derselbe zur Hilfeleistung herangezogen werden könnte; natürlich
umfasst der Tarif auch Nothilfe, wenn der Kassenarzt nicht augen¬
blicklich zu haben ist. Es ist also unwiderlegt geblieben, dass der
Tarif auf dem Wege der Verordnung durch den Kassenvorstand das
Licht der Welt erblickt hat. Wohl sämtliche Aerzte, welche mit dem
Tarif beschenkt wurden, haben die die ärztlichen Hilfeleistungen er¬
niedrigende Beschneidung der Allerh. Verordnung vom 17. Oktober
1901 aus dem Tarif gar nicht herausgelesen, sonst müsste er kurzer¬
hand als nicht annehmbar erklärt worden sein. Nun stützt sich die
Kasse auch noch auf die Annahme durch ärztliche Bezirksvereine!
Wir haben eine Taxordnung, wir brauchen keine neue, beschnittene
Taxordnung, deren Annahme uns von einer Kasse zugemutet wird.
Die Postkrankenkasse hat ja an und für sich das unbestrittene Recht,
wie alle Krankenkassen, auf Berechnung der niedrigsten Gebühr.
Dass diese niedrigste Gebühr nicht bloss auf dem Verordnungs¬
wege, sondern auch bei der Revision der Rechnung auf ein unglaub¬
lich niederes Niveau herabgedrückt werden kann, habe ich bereits
im zweiten Teile meiner Tarifveröffentlichung (No. 37, Seite 1831
d. W.) an einem praktischen Fall dargetan.
Ich glaube, mit Vorstehendem die Notwendigkeit dargetan zu
haben, uns mit allen Kräften gegen jedwede Art von Uebergriffen
auf unsere berechtigten materiellen Interessen zu wehren.“
Es ist in der Tat eine sonderbare Zumutung der Postkranken¬
kasse, von Aerzten, mit denen sie in keinerlei Vertragsverhältnis
steht, für die aushilfsweise Behandlung ihrer Kranken eine Ermässi-
gung der Mindestsätze der Gebührenordnung zu verlangen. Die Kasse
möge doch die freie Arztwahl einführen! Dann werden die Aerzte
wegen einer Ermässigung mit sich reden lassen. Red.
Uehersicht der Sterbefälle in München
während der 38. Jahreswoche vom 15. bis 21. September 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 11 (8*),
Altersschw. (üb. 60 J.) 5 (4), Kindbettfieber 1 ( — ), and. Folgen der
Geburt — ( — 1, Scharlach — (1), Masern u. Röteln 1 ( — ), Diphth. u.
Krupp 4 (— ), Keuchhusten 1 (— ;, Typhus — (— ). übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) — ( — ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) 3 ( — ), Tuberkul. d. Lungen 20 (21), Tuberkul. and.
Org. 6 (6), Miliartuberkul. 1 (1). Lungenentzünd. (Pneumon.) 4 (6),
Influenza — (— ), and. übertragb. Krankh. 3 (2), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 3 (2), sonst. Krankh. derselb. 3 (3). organ. Herzleid. 11 (13),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 9 (5), Gehirnschlag
2 (10), Geisteskrankh. 1 ( — ), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 4 (6), and.
Krankh. d. Nervensystems 3 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 40 (38), Krankh. d. Leber 3 (3), Krankh. des
Bauchfells — (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 5 (2), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 5 (6), Krebs (Karzinom Kankroid) 18 (19),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) — (5), Selbstmord — (1), Tod durch
fremde Hand — ( — ), Unglücksfälle 2 (2), alle übrig. Krankh. 5 (5).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 174 (173). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 16,5 (16,4), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,8 (11,3).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Beilage zu No. 41 der Münehener medizinischen Wochenschrift.
Amtsärztlicher Dienst im Königreich Bayern.
(Reformvorschläge zum bayerischen Medizinalwesen.)
Leitsätze zu Ziffer 3 der Tagesordnung der IV. Landesversammlung
des Bayerischen Medizinalbeamtenvereins in München.
Erster Abschnitt.
Die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst.
Geltende Bestimmung: K. A. V erordnung vom 6. hebruar
1876, die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst betr. (G.V.B1. b. 3JF).
1. Die Anstellung im amtsärztlichen Dienste erfoidert auch jetzt
noch unbeschadet der neuen „Prüfungsordnung für Aerzte vom 28.
Mai 1901“ das Bestehen einer besonderen Prüfung für den ärzt¬
lichen Staatsdienst. _ ... . ... .
2. Die bisherigen Bestimmungen über diese Prüfung bedürfen
einer Abänderung hinsichtlich:
a) der Zeit der Zulassung,
b) der Vorbereitungskurse und
c) der Prüfung selbst. ..
Zu a* Die Zulassung zur Prüfung für den ärztlichen Staats¬
dienst möge gleich nach Abschluss des praktischen Jahres bezw.
Erteilung der ärztlichen Approbation gestattet werden.
Zu b: Die Vorbereitungskurse mögen für die 1 ru-
fungskandidaten obligatorisch gemacht, auf 4 Monate bezw.
ein volles Wintersemester verlängert und so ausgestaltet wer¬
den dass für alle Zweige der künftigen amtsärztlichen Laufbahn der
Schwerpunkt auf eine umfassende praktische Ausbildung gelegt
"*rd'Zu c: Die beiden schriftlichen Prüfungsaufgaben mögen
künftig in Wegfall kommen. ...... D ..
Es mögen nur eine p r a k t i s c he und eine mündliche I ru-
fung stattfinden, welche beide am Schlüsse der Vorbereitungskurse
abgehalten werden und sich erstrecken auf die Gebiete dei gericht¬
lichen Medizin, der öffentlichen Gesundheitspflege, der Psychiatrie
und der Medizinalgesetzgebung.
Hat der Kandidat die Prüfung bestanden, so wird ihm ein Zeugnis
über die Befähigung zur Anstellung im ärztlichen Staatsdienst er¬
teilt ohne dass die erhaltenen Noten in denselben angegeben werden.
*Die Prüfung gilt als nichtbestanden, wenn die Gesamtnote IV
oder in einem der vier Prüfungsabschnitte die Note ungenügend er¬
teilt wird. Eine einmalige Wiederholung der gesamten Prüfung oder
eines Prüfungsabschnittes, eventuell aus einem der viei Prüfungs¬
fächer, ist zulässig.
Zweiter Abschnitt.
Die Qualifikation der approbierten Aerzte.
Geltende Bestimmung: Entschliessung des Kgl. Staats¬
ministeriums des Innern vom 1. November 1880, die Qualifikation
der approbierten Aerzte betr. (M.A.Bl. Seite 373).
Die bisherigen Bestimmungen dürften im wesentlichen beizu¬
behalten sein, eine Abänderung wird in folgenden Punkten voi ge¬
schlagen: . ,, , t „ , ,
1. Die erstmalige grundlegende Qualifikation erfolgt am Ende dei
Vorbereitungskurse.
2. Von der Qualifikation sind diejenigen Aerzte auszunehmen,
welche das 50. Lebensjahr bereits zurückgelegt haben.
3. Bei den Notenabstufungen möge den Ausgangspunkt für die
Beurteilung der Qualifikanden nicht die Note III, sondern ebenso, wie
bei der Qualifikation der Amtsärzte und der übrigen Staatsbeamten,
die Note II bilden. , , ,
4. Die Erstattung von Jahresberichten möge erlassen bezw. aut
öffentlich angestellte Aerzte beschränkt werden. Soferne schriftliche
Berichte behufs der Qualifikation beibehalten werden sollten, möge
bestimmt werden, dass in mehrjährigen Zwischenräumen vorzu¬
legende wissenschaftliche Arbeiten aus dem Gebiete der Staatsarznei¬
kunde (gerichtliche Medizin, öffentliche Gesundheitspflege, forense
Psychiatrie oder Irrenwesen, Medizinalgesetzgebung oder Medizinal¬
statistik) als den Jahresberichten gleichwertig erachtet werden.
Dritter Abschnitt.
Beschäftigung der staatsärztlich geprüften Aerzte und amtsärztliche
Fortbildungskurse.
1. Als Assistenzärzte der Bezirks- und Landgerichtsärzte, sowie
als bezirksärztliche Stellvertreter mögen nur solche Aerzte aufgestellt
werden, welche die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst bestan¬
den haben.
2. Die K. Staatsregierung möge eine Entschliessung erlassen, dass
auch bei der Besetzung sonstiger öffentlicher, staatlicher oder städti¬
scher Stellen, so z. B. der Bahnärzte, der Leichenschauer, der Stadt-
und Polizeiärzte, sowie der Schul- und Armenärzte, die staatsaizt-
lich geprüften Aerzte in erster Linie zu berücksichtigen seien.
3. Dieselben mögen auch vorzugsweise als zweite Aerzte bei den
gerichtlichen Leichenöffnungen zugezogen werden, soweit hiemit
nicht die Assistenzärzte der Landgerichtsärzte betraut sind.
Sic mögen auch als Stellvertreter beurlaubter oder erkiankter
Landgerichts- und Bezirksärzte, sowie als Verweser erledigter amts¬
ärztlicher Stellen verwendet werden, soweit nicht eine gegenseitige
Geschäftsaushilfe der Amtsärzte stattfindet.
4. Die Fortbildungskurse für staatsärztlich geprüfte Aerzte und
Amtsärzte, welche bisher nur als 14 tägige bakteiiologische Kuise
stattfanden, mögen in der Richtung erweitert werden, dass staat¬
liche Aversalbeträge für dreiwöchentliche Kurse, und zwar ge¬
trennt für gerichtliche Medizin und forense Psychiatrie einerseits,
Medizinalverwaltung und öffentliche Gesundheitspflege andererseits
bewilligt werden. . , ... , , ,
Ausserdem mögen staatliche Beihilfen gewährt werden zum be¬
sonderen Studium in gerichtlich-medizinischen, hygienischen und
psychiatrischen Instituten, auch zur Teilnahme an sonstigen, für die
Amtsärzte wichtigen Fortbildungskursen, sowie zum Studium hygie¬
nischer Einrichtungen.
Vierter Abschnitt.
Die nicht-pragmatischen amtsärztlichen Stellen.
I. Physikatsassistenten.
1. Bei den grösseren bezirksärztlichen und landgerichtsärztlichen
Stellen, bei denen zwar ein Bedürfnis für eine ärztliche Hilfskraft vor¬
liegt, jedoch die Aufstellung eines weiteren pragmatischen Amtsarztes
noch nicht notwendig erscheint, mögen Assistenzärzte in der erforder¬
lichen Anzahl aufgestellt werden, soweit dies nicht bereits der
bäll ist.
Unter den gleichen Voraussetzungen können auch den Kreis¬
medizinalräten Assistenzärzte als Hilfsarbeiter beigegeben werden.
2. Ihre Anstellung erfordert das Bestehen der Prüfung für den
ärztlichen Staatsdienst und erfolgt durch das zuständige Staats¬
ministerium. ... , . ,
3. Denjenigen Assistenzärzten, die grössere und umfangreichere
Stellungen mit mehr selbständiger Dienstestätigkeit versehen, möge
nach mehrjähriger befriedigender Dienstzeit Pensionsberechtigung
verliehen werden.
II.
Bezirksärztliche Stellvertreter.
Geltende Bestimmungen: K. A. Verordnung vom 3, Sep-
ember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Verwal-
ungsbehörden betr., §§ 4, 6 — 8 (G.V.B1. S. 1081). Dienst- und Hau s-
irdnung für die Gerichtsgefängnisse vom 10. April 1883, SS W—M.
- K A Verordnung vom 21. Juli 1884, die Vergütung für die gefang-
lisärztliche Tätigkeit der bezirksärztlichen Stellvertreter betr.
G.V.B1. S. 443). — K. A. Verordnung vom 17. Dezember 1899, den
Vollzug des Impfgesetzes betr., § 3 (G.V.Bl. S. 1049).
1. Der bezirksärztliche Stellvertreter möge nicht nur für drin¬
gende' amtliche Geschäfte, welche die Beiziehung des auswärts woh¬
lenden Bezirksarztes I. Klasse nicht gestatten, sondern als der
3 r deutliche öffentliche Arzt für das Amtsgericht
aufgestellt und verpflichtet werden. ...... ~
Dementsprechend obläge ihm „die Besorgung der ärztlichen Ge¬
schäfte in Rechtssachen bei dem Amtsgerichte“ (Straf- und Zivil¬
sachen), wie dies für die Bezirksärzte I. und II. Klasse vorgesehen
war, und die Besorgung des gefängnisärztlichen Dienstes.
Ausserdem bleibt er, wie bisher, der zuständige Impfarzt
des Impfbezirkes und kann auch zu dringenden amt glichen
Verwaltungsgeschäften herangezogen wei den, welche die
Beiziehung des auswärts wohnenden Bezirksarztes I. Klasse nie lt
^^Entsprechend seiner Hauptbeschäftigung möge der bisherige un¬
zutreffende Titel in den als „Amtsgerichtsarzt umgeandert
werde”. bezirksärztlichen Stellvertreter erfordert
das Bestehen der Pridung für den ärztl ichen Staats, „nc erfote
durch das Staatsministerium der Justiz im Benehmen mit dem des
Innern.
2070
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
No. 41.
Sie unterstehen bezüglich des gerichts- und gefängnisärztlichen
Dienstes dem Staatsministerium der Justiz, im übrigen dem Staats¬
ministerium des Innern.
hur ihre amtliche Tätigkeit möge eine Dienstanweisung er¬
lassen werden.
Tür ihre dienstliche Korrespondenz möge Portofreiheit, wie für
die der Bezirks- und Landgerichtsärzte gewährt werden.
Sie mögen ein jährliches Regieaversum zur Haltung der für ihren
Dienst benötigten Amtsblätter und Literalien erhalten.
3. Ihre Vergütung bemisst sich:
a) für die amt s gerichtliche Tätigkeit nach den Vor¬
schriften der K. A. Verordnung vom 17. November 1902, Gebühren
für ärztliche Dienstleistungen bei Behörden betr.
b) für die gefängnisärztliche Tätigkeit nach den
Vorschriften der K. A. Verordnung vom 21. Juli 1884 mit der Mass-
gabe, dass unter Abänderung des § 1 für die Behandlung der kranken
Gefangenen die Bestimmungen der K. A. Verordnung vom 17. Oktober
1901, ärztliche Gebühren betr., gelten mögen.
c) für die Vornahme der öffentlichen Impfungen
nach den Vorschriften der K. A. Verordnung vom 30. April 1875,
den Vollzug des Impfgesetzes, hier die Bestreitung der Impfkosten
betr.
d) für die Vornahme amtlicher Verwaltungs¬
geschäfte nach den Vorschriften der K. A. Verordnung vom
17. November 1902, Gebühren für ärztliche Dienstleistungen bei Be¬
hörden betreffend.
An Stelle der Gebühren unter a, b und d kann ein festes Jahres-
aversum in entsprechender Höhe festgesetzt werden, womit die Ver¬
pflichtung zur Leistung jeweils bestimmter verwaltungsärztlicher
Geschäfte verbunden werden kann.
4. Wo es nach der Grösse des Amtsgerichtsbezirkes, sowie
nach dem Umfange der Dienstgeschäfte veranlasst und gerechtfertigt
erscheint, möge ihnen nach mehrjähriger befriedigender Dienstzeit
Pensionsberechtigung verliehen werden.
5. Die K. Staatsregierung möge darauf hinwirken, dass ihnen der
ärztliche Dienst im Distriktskrankenhause, sowie sonstige öffentliche
Stellungen (Leichenschau, Schulärzte usw.) übertragen werden.
Fünfter Abschnitt.
Der ärztliche Dienst bei den Strafanstalten.
Geltende Bestimmungen: Gehaltsregulativ für die pragma¬
tischen Staatsdiener vom 11. Juni 1892 (G.V.B1. S. 209). — Ent-
schliessung des K. Staatsministeriums der Justiz vom 13. Februar
1903, die Anstellungsverhältnisse der bayerischen Strafanstaltsärzte
betr.
1. Der Anfangsgehalt möge bei allen Strafanstaltsärzten
in gleicher Höhe normiert und dem des Hausarztes am Zellengefäng¬
nisse Nürnberg gleichgestellt werden.
2. Die Pragmatik möge nicht erst nach einer verschieden
langen Dienstzeit, sondern gleich mit der Anstellung als Strafanstalts¬
arzt gewährt werden.
3. Zum Ausgleiche der Verschiedenheiten bei den einzelnen
Strafanstalten und zur Erreichung einer dem Dienstumfange ange¬
messenen Besoldung mögen den Strafanstaltsärzten ausser den ..nicht-
pragmatischen Gehaltszulagen“ nichtpensionsfähige Nebenein¬
kommen gewährt werden :
a) bei grösserer Ortsentfernung der Strafanstalt von
der Wohnung des Strafanstaltsarztes eine Entschädigung der Aus¬
lagen für Beförderungsmittel;
b) bei der Führung einer eigenen Hausapotheke eine Ent¬
schädigung für die damit verbundene Mühewaltung;
c) bei denjenigen Strafanstalten, welche durch den grossen
Umfang des Dienstes die volle Arbeitskraft des Anstalts¬
arztes beanspruchen oder durch ihre exponierte Lage Neben¬
einkünfte aus der Privatpraxis unmöglich machen, eine Dienstes¬
zulage in entsprechender Höhe.
4. Zur Vermeidung von Verwechslungen möge die bisherige
amtliche Bezeichnung der Dienststellung als „Bezirksarzt
I. Klasse“ sachgemäss abgeändert werden in die als „Strafanstalts¬
arzt“ oder „Hausarzt bei dem Zuchthause (der Gefangenenanstalt)
N. N.“. Hiebei möge jedoch ausgesprochen werden, dass die Straf¬
anstaltsärzte im Range den Bezirks- und Landgerichtsärzten gleich¬
stehen.
5. Der Uebertritt in den bezirks- und land¬
gerichtsärztlichen Dienst möge den Strafanstaltsärzten
offen stehen und keinesfalls erschwert werden.
(Bezüglich der Gewährung eines Regieaversums, der Ent¬
schädigung für die Kosten der Urlaubsstellvertretung siehe unten
achten Abschnitt, V und VIII.)
Sechster Abschnitt.
Der ärztliche Dienst bei den Gerichtsbehörden.
I. Förderung der gerichtlich-medizinischen Wis¬
senschaft und praktische Ausbildung in derselben.
L Fs mögen an den 3 Landesuniversitäten gerichtlich -
medizinische Institute errichtet werden.
Dieselben sollen dienen:
a) zur Förderung der gerichtlich-medizinischen Wissenschaft;
b) zur Vornahme der in den Universitätsstädten anfallenden ge¬
richtlichen Leichenöffnungen und der schwierigeren gerichtlich-medi¬
zinischen Untersuchungen, auch aus den zugewiesenen Oberlandes¬
gerichtsbezirken;
c) zur praktischen Ausbildung der Medizinstudierenden,
zur Abhaltung der Vorbereitungskurse für die staatsärztliche Prüfung,
der Fortbildungskurse für Staatsdienstaspiranten und Amtsärzte, auch
zum Unterrichte für Juristen.
2. den Lehrern der gerichtlichen Medizin möge mit Errichtung
der Institute die Stellung von ordentlichen Universitäts¬
professoren (4560 M.) und bis dahin der Gehalt ausserordent¬
licher Universitätsprofessoren (3180 M.) gewährt werden.
II. Medizinalkomitees bei den Universitäten.
Geltende Bestimmungen: K. A. Verordnung vom 23. August
1843, Reorganisation der Medizinalkomitees betr. (Reg.Bl. S. 585). —
K. A. Verordnung vom 29. September 1878, die Vornahme der che¬
mischen und mikroskopischen Untersuchungen in strafrechtlichen
Fällen betr. (G.V.B1. S. 435).
1. Die Tätigkeit der Medizinalkomitees möge auf die Erstattung
von Obergutachten in wichtigen straf- und zivilrechtlichen
Fällen beschränkt werden.
Die mikroskopischen, bakteriologischen, chemischen u. dergl.
Untersuchungen mögen, soweit sie nicht von den Landgerichtsärzten
selbst betätigt werden, nicht „durch Vermittlung der Medizinal¬
komitees“ vorgenommen werden, sondern direkt den jeweils hierfür
zuständigen Instituten (gerichtlich-medizinische, bakteriologische und
hygienische, pharmakologische und chemische Institute) zugewiesen
werden, wie dies bereits bezüglich der Untersuchungsanstalten für
Nahrungs: und Genussmittel verordnet ist.
2. Die Professoren der gerichtlichen Medizin mögen als
ordentliche Beisitzer der Medizinalkomitees ernannt werden.
III. Allgemeine Organisation des gerichtsärzt¬
lichen Dienstes.
Geltende Bestimmungen: K. A. Verordnung vom 3. Sep¬
tember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Verwal¬
tungsbehörden betr., §§ 1, 2 und 11 (G.V.B1. S. 1081).
1. Die bisherige Trennung des land gerichts ärzt¬
lichen Dienstes vom bezirksärztlichen möge beibehalten und
auch da, wo dies noch nicht der Fall ist (Rheinpfalz und Aschaffen¬
burg) durchgeführt werden.
2. Die Landgerichtsärzte mögen in den Etat des Staats-
ministerlums der Justiz übergeführt werden.
3. Es möge im Staatsministerium der Justiz ein
Medizinalreferent mit dem Range eines Obermedizinalrates
aufgestellt werden.
Seine Aufgaben wären: Die Erstattung sachverständiger Gut¬
achten in allgemeinen gerichtlich-medizinischen Angelegenheiten und
von Obergutachten in Sachen des Strafvollzugs und der Begnadigung,
sowie in sonstigen- Justizverwaltungsangelegenheiten,
das Personalreferat über die Landgerichts- und Amtsgerichts¬
ärzte, sowie die Strafanstaltsärzte,
die gesundheitliche Oberaufsicht über die Gerichtsgefängnisse
und Strafanstalten, sowie die Wahrnehmung der Hygiene des Straf¬
vollzugs.
IV. Der ärztliche Dienst bei den Landgerichten.
Geltende Bestimmungen: K. A. Verordnung vom 3. Sep¬
tember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Verwal¬
tungsbehörden betr., §§ 1 und 2 (G.V.B1. Seite 1081). Gehaltsregulativ
für die pragmatischen Staatsdiener vom 11. Juni 1892 (G.V Bl
Seite 209).
Im öffentlichen und dienstlichen Interesse liegt es, den Land¬
gerichtsärzten eine vollbeschäftigte und vollbesoldete
Amtsstellung zu geben und sie, soweit irgend tunlich, von der
Privatpraxis unabhängig zu machen bezw. loszulösen.
Dies lässt sich erreichen
a) durch sachentsprechende Gestaltung ihrer Dienstesaufgaben,
b) durch Erhöhung ihres Gehaltes und durch Schaffung von Vor¬
rückungsstellen.
Zu a): Der Landgerichlsarzt sollte in seinem Landgerichts¬
bezirke zu allen gerichtlichen Sektionen als „Gerichts¬
arzt“ (St.P.O. § 87) beigezogen werden.
Ihm sei auch der ärztliche Dienst bei dem Amts¬
gerichte seines Amtssitzes und der g e f ä n g n i s ä r z 1 1 i c h e
Dienst bei dem land- bezw. amtsgerichtlichen Gefängnisse seines
Amtssitzes zu übertragen.
Ferner sollte er, soweit er hierzu ausgerüstet ist, mikro¬
skopische, bakteriologische u. dergl. Unter¬
suchungen selbst vornehmen.
Auch sollte er im grösseren Umfange als bisher schon im Er¬
mittlungsverfahren und während der Voruntersuchung (Augenscheins¬
einnahme bei Auffindung von Leichen, Vernehmung von Angeschuldig-
8. Oktober 1907.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
2071
ten, Zeugen und Sachverständigen etc.) als Sachverständiger bei¬
gezogen wenden.
Bei grösseren Landgerichten möge ihm, soweit nicht die Auf¬
stellung eines weiteren Landgerichtsarztes notwendig ist, zur Er¬
ledigung der Dienstesaufgaben ein Assistenzarzt (erforderlichen
Falles mehrere) beigegeben werden. Derselbe hat die ihm über¬
wiesenen Dienstgeschäfte unter Aufsicht des Landgerichtsarztes aus¬
zuführen und ist als zweiter Arzt bei den gerichtlichen Leichen¬
öffnungen in dem Landgerichtsbezirke seines Amtssitzes beizuziehen.
Den Landgerichtsärzten sollte in den Landgerichtsgebäuden ein
entsprechend ausgestattetes Amtszimmer bereit gestellt werden.
Es möge eine Dienstanweisung für die Landgerichts¬
ärzte einschliesslich der neuen Vorschriften für die gerichtlichen
Untersuchungen menschlicher Leichen erlassen werden.
Zu b): Der Gehalt der Landgerichtsärzte (Anfangsgehalt
2340 M.), entspricht schon jetzt bei weitem nicht den Anforderungen
der Stellung und dem Umfange des Dienstes. Eine prozentuarische
Erhöhung des Gehaltes, gleichmässig mit den übrigen Staatsbeamten,
erscheint daher nicht als genügend und es dürfte eine völlige Neu¬
regulierung des Gehaltes vorgenommen werden.
Bei dem stetigen Anwachsen der Amtsgeschäfte und der Erweite¬
rung der Dienstesaufgaben möchte es gerechtfertigt erscheinen, die
Landgerichtsärzte im Gehalte den Landgerichtsräten (3720 M.)
gleichzustellen.
Auch dürfte in Erwägung zu ziehen sein, ob ihnen nicht, ebenso
wie den Richtern, bei der Pensionierung vor dem 70. Lebensjahre
der volle Gehalt zu gewähren sei.
Die Besorgung des gefängnisärztlichen Dienstes bei grösseren
Gerichtsgefängnissen möge, soweit nicht Assistenzärzte damit be¬
traut sind, wie bisher in entsprechender Höhe besonders honoriert
werden.
An den grössten Landgerichten (etwa mit einer Einwohnerzahl
von mehr als 250 000) mögen den Landgerichtsärzten Rang, Titel und
Gehalt von Medizinalräten (4920 M.) gewährt werden.
V. Der ärztliche Dienst bei den Amtsgerichten.
Geltende Bestimmung: K. A. Verordnung vom 3. Sep¬
tember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Ver¬
waltungsbehörden betr. §§ 1, 3 — 8. (G.V.B1. Seite 1081.)
Der ärztliche Dienst bei den Amtsgerichten wird versehen:
a) an den Landgerichtssitzen von den Landgerichtsärzten (siehe
sechster Abschnitt IV);
b) an den Bezirksamtssitzen, bei denen sich nicht zugleich ein
Landgerichtsarzt befindet, von den Bezirksärzten I. Klasse (siehe
siebenter Abschnitt II, 5).
c) bei den übrigen Amtsgerichten von den Amtsgerichtsärzten
(siehe vierter Abschnitt II).
Siebenter Abschnitt.
Der ärztliche Dienst bei den Verwaltungsbehörden.
I. Die Medizinalreferate beim Kgl. Staatsministe¬
rium des Innern und bei den Kreisregierungen.
Geltende Bestimmungen: Gehaltsregulativ für die prag¬
matischen Staatsdiener vom 11. Juni 1892 (G.V.B1. Seite 209). —
Kgl. A. Verordnung vom 24. Juli 1871, den Obermedizinalausschuss
und die Kreismedizinalausschüsse betr. (Reg.Bl. S. 1489). — Ent-
schliessung des Kgl. Staatsministeriums des Innern vom 3. August
1902, die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1901 betr.
1. Dem Obermedizinalrate im Kgl. Staatsministerium des Innern
(Anfangsgehalt 7020 Mk.) möge als Vorriickungsstelle nach mehr¬
jähriger Dienstzeit die Stellung eines Ministerialdirektors (9000 Mk.)
und den Kreismedizinalräten (4920 Mk.) die Stellung von Oberregie¬
rungsräten (6120 Mk.) verliehen werden.
2. In den Obermedizinalausschuss mögen zwei Bezirksärzte und
ein Landgerichtsarzt als ordentliche Mitglieder einberufen werden.
3. Die Sitzungsprotokolle des verstärkten Obermedizinalaus¬
schusses mögen regelmässig veröffentlicht werden.
II. Der ärztliche Dienst bei den Distriktsverwal¬
tungsbehörden.
Geltende Bestimmungen: Organisches Edikt über das Me¬
dizinalwesen vom 8. September 1808. Kgl. A. Verordnung vom 8. Sep¬
tember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Verwal¬
tungsbehörden betr. (G.V.B1. S. 1081). Gehaltsregulativ für die prag¬
matischen Staatsdiener vom 11. Juni 1892 (G.V.B1. Seite 209).
1. Im öffentlichen und dienstlichen Interesse liegt es, den Be¬
zirksärzten eine vollbeschäftigte: und vollbesoldete
Amtsstellung zu geben und sie, soweit irgend tunlich, von der Privat¬
praxis unabhängig zu machen bezw. loszulösen, damit sie ihre Wirk¬
samkeit als staatliche Gesundheitsbeamte im ganzen Amtsbezirke und
nach allen Richtungen hin vollständig erfüllen können. Dies lässt sich
erreichen:
a) durch entsprechende Gestaltung ihrer dienstlichen Stellung
und ihrer amtlichen Obliegenheiten;
b) durch Erhöhung ihres Gehaltes und Schaffung von Vor¬
rückungsstellen.
Zu a) dienstliche Stellung und amtliche Obliegen¬
heiten.
1. Die amtliche Verpflichtung der Bezirksärzte zur unentgelt¬
lichen Behandlung der Armen ihres Bezirkes, sowie der Gendarmerie¬
mannschaften und deren Familien möge aufgehoben werden (die gel¬
tenden Bestimmungen finden sich in Beckers Handbuch der Medi¬
zinalgesetzgebung, Heft V, Seite 196 ff., 52).
2. Entsprechend der sonstigen Organisation der amtlichen Stel¬
len in Bayern^ möge am Sitze jeder Distriktsverwaltungsbehörde ein
M e d i z i n aTa m t errichtet werden.
Demselben steht der Kgl. Bezirksarzt vor. Bei grösseren Aem-
tern können ihm zur Erledigung der Dienstesaufgaben ein, erforder¬
lichen Falles mehrere, Assistenzärzte, bei besonders grossem Dienst¬
umfange auch ein weiterer Bezirksarzt beigegeben werden. Dieselben
haben die ihnen überwiesenen Dienstgeschäfte unter Aufsicht des
Amtsvorstandes auszuführen.
3. Dem Medizinalamte können mehrfache dienstliche Obliegen¬
heiten zur selbständigen Behandlung überwiesen werden, so
z. B.
Die Ausstellung amtsärztlicher Zeugnisse und Gutachten,
die An- und Abmeldung der approbierten Aerzte,
die Dienstesaufsicht auf das niederärztliche Personal (Bader
und Hebammen), das in Apotheken beschäftigte Personal, die Leichen¬
schauer, Desinfektoren usw.,
die Dienstesaufsicht auf den Geschäftsbetrieb der Apotneken,
Drogerien und Gifthandlungen,
die Ueberwachung der Kurpfuscher,
die Dienstesaufsicht auf die öffentlichen Krankenhäuser und
Privatheilanstalten, die Armenhäuser, Versorgungs- und ähnliche
öffentliche Anstalten,
die Aufsicht auf die ausserhalb Anstalten untergebrachten Gei¬
steskranken, Idioten, Gebrechlichen und sonstigen Hilfsbedürftigen,
sowie auf die Kostkinder.
Ausserdem obliegen dem Medizinalamte:
a) die technische Beratung der zuständigen Behörden
in allen Angelegenheiten des Gesundheitswesens;
b) die Ueberwachung der gesundheitlichen Ver¬
hältnisse des Amtsbezirkes und der Durchführung der
Gesundheitsgesetzgebung im Benehmen mit den zustän¬
digen Behörden;
c) die Stellung von Anträgen zur Beseitigung wahrge¬
nommener sanitärer Mängel, sowie die Anregung geeigneter
Vorschläge zur Förderung des Gesundheitswesens;
d) die Anordnung vorläufiger Massnahmen zur
Abwehr, Feststellung und Bekämpfung gemeingefährlicher und über¬
tragbarer Krankheiten.
4. Die Tätigkeit des Medizinalamtes sollte sich gleichmäs¬
sig auf den ganzen Umfang des Amtsbezirkes er¬
strecken.
Der Bezirksarzt möge verpflichtet werden, soweit angängig, ge¬
meinschaftlich mit dem Bezirksamtmann, sämtliche Gemeinden seines
Amtsbezirkes, auch ohne besonderen Anlass in periodischen Zwi¬
schenräumen (etwa alle 5 Jahre) auf ihre gesundheitlichen Verhält¬
nisse zu besichtigen (M e d i z i n a 1 v i s i t a t i o n e n). Die Besich¬
tigung soll sich auf alle für das öffentliche Gesundheitswesen wich¬
tige Verhältnisse und Einrichtungen erstrecken und zur Beseitigung
sanitärer Mängel und zur Verbesserung der gesundheitlichen Ein¬
richtungen dienen.
Bei weiterer Entfernung des auswärtigen Amtsgerichtsbezirkes
vom Amtssitze des Bezirksarztes möchte es sich empfehlen, , dass
derselbe in gewisser Regelmässigkeit (je nach Bedarf monatlich oder
in grösseren Zwischenräumen) an dem auswärtigen Amtsgerichts¬
sitze A m t s t a g e abhält, an welchen er für die Gemeindeverwal¬
tungen, Armenpflege und sonstigen Behörden, sowie für Private
dienstlich' zu sprechen ist, die anfallenden Untersuchungen vornimmt
und auch anderweitige Amtsgeschäfte damit verbindet (wie z. B.
Apothekenvisitationen, Besichtigung von Krankenhäusern, Schulen,
Neubauten etc., Kostkindern, Geisteskranken u. dgl., Prüfung der He¬
bammen und Desinfektoren usw.).
5. Ausser den vorgenannten verwaltungsärztlichen Geschäften
obliegt dem Bezirksarzte an denjenigen Orten, an denen nicht zu¬
gleich ein Landgerichtsarzt seinen Sitz hat, wie bisher die Besorgung
des ärztlichen Dienstes beim Amtsgerichte mit Aus¬
nahme der gerichtlichen Sektionen (siehe oben sechster Abschnitt,
IV) und der gefängnisärztliche Dienst.
6. Es möge eine Dienstanweisung für die Medizinalämter
erlassen werden, in welcher die dienstliche Stellung der Bezirksärzte,
ihr Verhältnis zu anderen Behörden, Privatpersonen und nichtbe¬
amteten Aerzten, sowie Art und Umfang ihrer amtlichen Obliegen¬
heiten festgestellt siryd.
Zu b) Erhöhung des Gehalts und Schaffung von Vor¬
rückungsstellen.
1. Der Gehalt der Bezirksärzte (Anfangsgehalt 1980 M.) ent¬
spricht schon jetzt nicht den Anforderungen der Stellung und dem
stets sich mehrenden Umfang der Dienstesaufgaben. Derselbe sollte
so bemessen werden, dass der Bezirksarzt seine volle Arbeitskraft
dem amtsärztlichen Dienste widmen und eine pflichtmässige Erfüllung
No. 41.
Beilage zur Münchener medizinischen Wochenschrift.
seiner vielseitigen Dienstesaufgaben von ihm gefordert werden kann.
Dine prozentuarische Gehaltserhöhung, gleichmässig mit den übrigen
Staatsbeamten, erscheint daher nicht als genügend, es dürfte vielmehr
eine völlige Neuregulierung des Gehaltes vorgenommen werden. Bei
dem umfangreichen Wirkungskreise möchte es gerechtfertigt er¬
scheinen, die Bezirksärzte im Gehalte den ausserordentlichen Univer¬
sitätsprofessoren (3180 M.) gleichzustellen.
Bei den grösseren Amtsbezirken möge den Bezirksärzten Rang,
Titel und Gehalt von Medizinalräten (4920 M.) verliehen
werden.
2. Die bisherigen amtlichen Nebeneinkommen (Ge¬
bühren für die öffentlichen Impfungen, für Zeugnisse und Gutachten,
sowie bei solchen amtsärztlichen Dienstleistungen, für welche Private
die Kosten zu tragen haben) mögen den Bezirksärzten auch künftig
verbleiben.
Für die Vornahme der Medizinalvisitationen der Gemeinden und
die Abhaltung der auswärtigen Amtstage mögen Tagegelder und Er¬
satz der Reisekosten bewilligt werden, soferne hiefür nicht ein jähr¬
liches Aversum oder eine Erhöhung der ständigen Jahresremuneration
, (§ 12 der Kgl. A. Verordnung vom 3. September 1879, den ärztlichen
Dienst bei den Gerichts- und Verwaltungsbehörden betr.) gewährt
wird.
3. Die Kgl. Staatsregierung möge darauf hinwirken, dass den Be¬
zirksärzten der ärztliche Dienst im Distriktsikrankenhause, sowie
sonstige öffentliche Stellungen, an Orten mit Leichenhäusern auch die
zweite Leichenschau übertragen werden.
Achter Abschnitt.
Die sonstigen dienstlichen Verhältnisse der Amtsärzte.
1. Verfahren beider Besetzung der amtsärztlichen
Stellen.
Geltende Bestimmungen: Entschliessungen des Kgl. Staats¬
ministeriums des Innern vom 7. Mai 1866, 1. Januar 1867, 24. Sep¬
tember 1867, 2. Februar 1868 und 13. Januar 1881. — Kgl. A. Ver¬
ordnung vom 24. Juli 1871, den Obermedizinalausschuss und die Kreis¬
medizinalausschüsse betr. (Reg.Bl. Seite 1489).
1. Die Pensionierung der Amtsärzte möge, soweit angängig, erst
mit einem Zeitpunkt in Wirkung treten, bis zu welchem der Amts¬
nachfolger ernannt ist oder sein kann.
2. Die Besetzung erledigter Amtsarztstellen möge beschleunigt
werden. Dies Hesse sich dadurch erreichen,
a) dass der Bewerbungstermin nicht für jede einzelne Erledi¬
gung eigens ausgeschrieben, sondern generell, möglichst kurz (etwa
10 Tage vom Tage der Erledigung an gerechnet) festgestellt wird,
b) dass die Bewerbungen nicht mehr bei den Vorgesetzten Kreis¬
regierungen, sondern direkt bei dem zuständigen Ministerium ein¬
gereicht werden,
c) dass die gutachtliche Anhörung der Kreismedizinalausschüsse
und der Kreisregierungen unterbleibt. (Soferne überhaupt ein Vor¬
schlagsrecht einer ärztlichen Kommission beibehalten werden sollte,
könnte ein engerer Ausschuss des Obermedizinalausschusses damit
betraut werden.)
3. Bei der Auswahl der Bewerber möge das Hauptgewicht nicht
2. UI uic Ancienniteit, sondern auf die besondere Befähigung zu
dem erstrebten Amte gelegt werden.
II. Diensteinweisung und Verpflichtung der Land¬
gerichts- und Bezirksärzte.
Geltende Bestimmung: Entschliessung des Kgl. Staatsmini¬
steriums des Innern vom 17. Januar 1881, die Diensteinweisung und
Verpflichtung der amtlichen Aerzte betr. (M.A.B1. Seite 17).
1. Mit Ueberführung der Landgerichtsärzte in den Justizetat
möge die Uebernahme und Ausantwortung der Registratur und des
Amtsinventars, sowie die Verpflichtung der Landgerichtsärzte durch
die Landgerichtspräsidenten erfolgen.
2. Die Verpflichtung und Diensteinweisung der Bezirksärzte möge
allgemein durch den Kreismedizinalrat, anstatt durch das Bezirksamt
vorgenommen werden.
III. Rang, Uniform und Auszeichnung der Amtsärzte.
Ohne Antrag.
IV. Qualifikation der Amtsärzte.
Geltende Bestimmung: Entschliessung des Kgl. Staatsmini¬
steriums des Innern vom 23. Juli 1901, die Qualifikation der Staats¬
beamten im Geschäftsbereiche des Kgl. Staatsministeriums des In¬
nern betr. (M.A.B1. Seite 351).
Mit Ueberführung der Landgerichtsärzte in den Justizetat ent-
hcle die Qualifikation derselben durch die Krfcismedizinalausschüsse
und die Kreisregierungen.
V. Regieaversu m, Amtsun'k Ostenentschädigung und
Schreibgebühren.
Geltende Bestimmungen: Entschliessung des Kgl. Staats¬
ministeriums des Innern vom 11. August 1902, die Regieaversen der
Landgerichts- und Bezirksärzte betr. — Entschliessung des Kgl.
Staatsministeriums des Innern vom 8. Mai 1903, Amtsblätter der Amts¬
ärzte betr.
1. Das Regieaversu in der Landgerichts- und Bezirksärzte
möge auf 150 M. erhöht werden zur Bestreitung der Kosten für Amts¬
blätter, Fachzeitschriften, Instrumentarium und Registratur.
Nach Bedarf mögen ausserordentliche Beihilfen zu grösseren
Anschaffungen gewährt werden.
Auch den Strafanstaltsärzten möge ein Regieaversum bewilligt
werden.
2. Die Schaffung eines eigenen Medizinalamtsblattes,
ähnlich dem preussischen „Ministerialblatte für Medizinal- und medi¬
zinische Unterrichtsangelegenheiten“ möge veranlasst werden.
3. Den Landgerichts- und Bezirksärzten, welchen in den Amts¬
gebäuden ein Amtszimmer nicht zur Verfügung steht, möge eine
Amtsunkostenentschädigung in entsprechender Höhe be¬
willigt werden.
4. Bei grösseren Berichten und Gutachten mögen Schreib¬
gebühren bewilligt oder die Barauslagen für eine Schreibhilfe er¬
setzt werden. Bei einzelnen besonders grossen Landgerichts- und
bezirksärztlichen Stellen möge eine ständige Schreibhilfe ge¬
stellt werden oder deren Haltung durch Zuschüsse ermöglicht werden.
VI. Auslagen für Beförderungsmittel.
Geltende Bestimmungen: Kgl. A. Verordnung vom 17. No¬
vember 1902, Gebühren für ärztliche Dienstleistungen bei den Behör¬
den betr. § 1 2 (G.V.B1. Seite 715). Kgl. A. Verordnung vom 11. Fe¬
bruar 1875, die Aufrechnung der Tagegelder und Reisekosten bei
auswärtigen Dienstgeschäften der Beamten und Bediensteten des
Zivilstaatsdienstes betreffend, § 1 (G.V.B1. Seite 105). Finanz¬
ministerialbekanntmachung vom 2. März 1875, gleichen Betreffs VII,
Abs. 4 (M.A.B1. Seite 112).
1. Den Landgerichts- und Bezirksärzten in Grossstädten mögen
die notwendigen Auslagen für Beförderungsmittel aus der Staats¬
kasse ersetzt oder Jahresaversen in entsprechender Höhe bewilligt
werden.
2. Die Bestimmungen der Ministerialbekanntmachung vom 17. De¬
zember 1902, Entschädigung für Fahrrad- und Motorbenützung durch
Aerzte betr. (G.V.B1. Seite 737) möge auch auf die Amtsärzte bei
Reisen aus dienstlichen Anlässen Anwendung finden.
VII. Portowesen.
1. Für dienstliche Paketsendungen möge den Amtsärzten
auch im Ortsverkehr Portofreiheit gewährt werden.
2. Für die Felephonanschlüsse der vollbeschäftigten und
vollbesoldeten Amtsärzte möge eine Gebühr von denselben nicht er¬
hoben, sondern eventeull auf Staatsfonds übernommen werden. Bei
Verwendung des amtlichen Telephonanschlusses auch zu privater Be-
i uf Stätigkeit haben die Amtsärzte die Hälfte der normativmässigen
Gebühr zu entrichten.
Für auswärtige Diensfgespräche der Amtsärzte möge eine Ge¬
bühr nicht erhoben oder eventuell auf Staatsfonds übernommen
werden.
VIII. Stellvertretung bei Urlaub und Verwesung
erledigter Amtsarzt stellen.
Geltende Bestimmungen: Kgl. A. Verordnung vom 3. Sep¬
tember 1879, den ärztlichen Dienst bei den Gerichts- und Verwal¬
tungsbehörden betr. § 9 (G.V.B1. Seite 1081). Kgl. A. Verordnung
vom 17. November 1902, Gebühren für ärztliche Dienstleistungen bei
Behörden betr., § 10 (G.V.B1. Seite 715).
1. Die Stellvertretung während des regelmässigen Ur¬
laubs, sowie während einer Erkrankung darf den Amtsärzten in glei¬
cher Weise, wie den übrigen Staatsbeamten keine persönlichen
Kosten verursachen. Eine gegenseitige Stellvertretung der Land¬
gerichts-, Bezirks- und Gefängnisärzte ist nur an solchen Orten mög¬
lich und zulässig, an welchen zwei Amtsärzte ihren Amtssitz haben
und dienstliche Gründe nicht entgegenstehen.
Andernfalls ist ein nichtamtlicher Arzt als Stellvertreter mit
einem Tagegeld von 6 M. aufzustellen.
2. Dauert die Verwesung einer Amtsarztstelle im Falle der
Erledigung oder Krankheit des Inhabers länger als 3 Wochen so
möge auch dem am gleichen Orte wohnenden amtlichen Ver¬
weser ein ragegeld in der gleichen Höhe, wie einem nichtamtlichen
Verweser (6 M.) bewilligt werden.
Verlag von J. F. Lehmann in München. - Druck
von E. Miihlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.Q.. München.
Htm Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen
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Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
n , innerer Ch.Bäumler, <0.v. Bollinger, B. Carsehmann, B. Helierich, III. v. Leute, fi. Merkel, J. t. Hiebei, F.PenzoIdl, H.v Banke, B. Spalz, P. ?. Winekel,
_ _ . . .. ■ «irr« i vt« _ f _ n _ 1 1 _ Miin/«Vian MunoVion
München. Freiburg i. B. München.
Leipzig.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
No. 42. 15. Oktober 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
OMarliHi-iirU Her Oritrinalartikel ist nicht «stattet.!
Originalien.
Aus der k. k. Universitäts-Kinderklinik in Wien.
Zur Kenntnis der tetanoiden Zustände des Kindesalters. T)
Von Th. E s c h e r i c h.
Wohl wenige Krankheitsbilder haben im Laufe des letzten
Jahrzehntes derartige Umwälzungen erfahren wie die Tetanie
des Kindesalters. Sie galt bis Anfang der 90 er Jahre als eine
seltene, kaum beachtete und harmlose Neurose, und als ich im
Jahre 1890 auf dem Berliner internationalen medizinischen Kon¬
gresse über das gehäufte Auftreten derselben bei jungen Kin¬
dern an meiner Grazer Klinik berichtete und gemeinsam mit
Loos den Laryngospasmus als das wichtigste und häufigste
Symptom derselben bezeichnete, zeigte mir das allgemeine
Kopfschütteln und die nachfolgende Diskussion wie befremdend
die Anschauung den versammelten Pädiatern erschien. Der
Weg, der mich zu derselben geführt hatte, war die syste¬
matische Aufsuchung der von Trousseau, Chvostek,
Erb bei Tetanie beschriebenen Latenzsymptome. Dieselben
sind ein umso notwendigeres Hilfsmittel zur Erkennung der
tetanoiden Zustände als gerade im Kindesalter die für Tetanie
als pathognomonisch angesehenen Karpopedalspasmen selten
sind und nur durch den Nachweis der Latenzsymptome die
meisten Fälle von Laryngospasmus -und gewisse Fälle von
Eklampsie als dem Kindesalter eigentümliche Aequivalente der
tetanoiden Muskelkrämpfe zu erkennen waren.
Es bedurfte einer Reihe von Jahren und zahlreicher Ar¬
beiten, bis dieser erweiterte Begriff angenommen und damit ein
grosser Teil der im frühen Kindesalter vorkommenden Krampf¬
formen als zur Tetanie gehörig anerkannt wurde. Trotzdem
kann ich die neuerdings in Aufnahme gekommene Bezeichnung
„Spasmophilie“ nicht akzeptieren, weil dieser anschauliche
Name seinem Wortsinn nach ein weiterer Begriff als Tetanie
ist und weil die wichtige Erkenntnis der wesentlichen Ueber-
einstimmung dieser Zustände mit der Tetanie der Erwachsenen
durch eine differente Nomenklatur wieder verwischt würde.
Ich bezeichne diese Zustände, soweit es sich um mecha¬
nische und galvanische Uebererregbarkeit der Nerven ohne
Trousseau und Muskelkrämpfe handelt, als tetanoiden Z u¬
stand im engeren Sinn des Wortes, sobald aber Krämpfe
(Muskelkrämpfe, Stimmritzenkrämpfe, allge¬
meine Konvulsionen) nachweisbar werden als T e t a-
n i e und zwar bei Kindern unter 3 Jahren als T e t a n i a i n-
f a n t u m, dann bis zum Abschluss des Kindesalters als I e-
tania puerorum.
Als diagnostischer Leitstern in der Abgrenzung des weiten
Gebietes hat sich die Prüfung der Nervenerregbarkeit durch
den galvanischen Strom erwiesen, wobei man nach v. P i i
quet einen geringeren anodischen (AOZ > 5MA) und einen
höheren kathodischen Grad (KOZ > 5MA) unterscheiden kann.
Neu und überraschend ist auch die enorme Häufigkeit dieser
elektrischen Uebererregbarkeit, sowie der Einfluss der Ernäli-
rungsart. Nach unseren an gesundem Säuglingsmaterial (328
zwischen 0 — 6 Monaten alten Kindern der Wiener Schutzstelle)
angestellten Untersuchungen wächst die Häufigkeit des teta-
*) Vortrag, gehalten in der Sektion für Kinderheilkunde der
Naturforscherversammlung in Dresden.
No. 42.
noiden Zustandes von 2 Proz. im ersten Lebensmonat auf 56,2
Proz. im sechsten Lebensmonate an, dabei sind künstlich er¬
nährte und rachitische Säuglinge in besonderem Masse be¬
teiligt. Eine klinisch interessante Tatsache ist auch der häu¬
fige Befund von nervösen Störungen und Defekten bei früher an
Tetanie erkrankten Kindern und die Beobachtung chroni¬
scher, durch Jahre sich hinziehender tetanoider Erkrankungen
(P o t p e t s oh n i g g), denen ich auch in meinem Wiener Ma¬
terial begegnet bin.
Während so das klinische Bild der infantilen Tetanie zu
einem gewissen Abschluss gediehen scheint, blieb durch lange
Zeit die Frage nach der Pathogenese des tetanoiden Zustandes
ganz ausser Diskussion. Nur darüber herrscht Uebereinstim-
mung, dass keinerlei konstante organische Veränderung im
Nervensystem zu finden ist. Es hat dies dazu geführt, die Te¬
tanie ähnlich wie die Hysterie und Neurasthenie als funktionelle
Neurose anzusehen. Das ist aber schon in Rücksicht auf das
hier in Betracht kommende Lebensalter nicht möglich. Viel
richtiger wäre die Folgerung, dass, nachdem organische Ver¬
änderungen im Nervensystem fehlen, der Sitz der Erkrankung
ausserhalb desselben zu suchen und das Nervensystem
erst sekundär und zwar auf dem Wege der Intoxikation in
Mitleidenschaft gezogen ist. Diese Idee ist auch in der Hypo¬
these einer vom Darm ausgehenden intestinalen Intoxikation
schon vor langer Zeit aufgestellt und wird auch heute noch von
Gelen Autoren verteidigt. Es scheint aber doch unzulässig, den
hypothetischen Darmgiften neben so vielen anderen auch noch
diese eigenartige und scharf charakterisierte Wirkung zuzu¬
schreiben.
Eine kräftige Stütze erhielt die Lehre von der
Intoxikation in jüngster Zeit durch die von Gregor
und Finkeistein erkannte Schädlichkeit der Kuh¬
milch, insbesondere der Kuhmilchmolke. Sie führte
Stöltzner zur Aufstellung der Theorie, dass die Te¬
tanie nichts anderes als eine alimentäre Kalziumvergiftung sei.
Die an meiner Klinik durchgeführten Untersuchungen haben
zwar den Einfluss der Ernährungsart, insbesondere für thera¬
peutische Zwecke bestätigt. Derselbe erschien uns jedoch
keineswegs so ausschlaggebend, als Finkeistein annimmt.
Vielmehr hat sich der Einfluss der Jahreszeit, vor Allem aber
eine dauernde, dem Individuum anhaftende Disposition in weit
höherem Grade als bestimmend für das Auftreten der tetanoiden
Erscheinungen erwiesen. Für die Einwirkung der Jahreszeit
lehlt uns, wenn man nicht die respiratorischen Noxen von
Kassowitz heranziehen will, jede Erklärung. Dagegen lasst
das Zustandekommen der individuellen Disposition wohl kaum
an etwas anderes denken, als an eine durch Stoffwechselstörung
entstehende Autointoxikation, deren Einwirkung aut das Nei-
vensystem die tetanoiden Erscheinungen hervonuf .
Die Versuche, dieser Frage auf chemischem Wege näher
zu kommen (Ca-mangel) haben zu keinem Resultate gefühlt.
Dagegen hat der zufällige Nebenbefimd der tetanoiden Erschei¬
nungen nach Strumektomie, sowie die daran anschliessenden
experimentellen Untersuchungen über die Funktion der Epi¬
thelkörperchen ein blendendes Licht in das Dunkel gewoilen.
Der Nachweis, dass durch partielle Exstirpation
der Epithelkörperchen nahezu das gesamte
Symptombild der Tetanie beim Menschen so-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
’i)74
wie i m 'I' i e r e x p e r i ni e n t erzeugt werden kan n,
ist eine Tatsache, deren Bedeutung für die Pathogenese dieser
rätselhaften Krankheit gar nicht hoch genug eingeschätzt wer¬
den kann. Es wäre eines der merkwürdigsten und unwahrschein¬
lichsten Naturspiele, wenn ein so komplizierter und eigen¬
artiger Symptomenkomplex, wie es die Tetanie ist, ausser durch
den Ausfall der Epithelkörperchenfunktion ganz in gleicher
Weise durch die ganze Reihe der verschiedenartigsten in den
Lehrbüchern angeführten Ursachen, wie Darmstörung, Infek¬
tionskrankheiten, Gravidität, Laktation u. a. m. hervorgerufen
werden würde. Und doch wird dieser Standpunkt noch in der
soeben erschienenen ausgezeichneten Monographie von
F rankl-Hochwart vertreten, während die überwiegende
Mehrzahl der Kliniker einer Beziehung der Tetanie zu den
Epithelkörperchen noch gänzlich ablehnend gegenübersteht.
Grund für diese Stellungnahme gegenüber der Auffassung
der Tetanie als einem durch Insuffizienz der Epithelkörperchen¬
funktion hervorgerufenen Zustand ist abgesehen von der Neu¬
heit der experimentellen Ergebnisse der Umstand, dass bisher
noch keine oder doch nur äusserst spärliche Befunde von ana¬
tomischen Veränderungen der Epithelkörperchen vorliegen.
Obgleich E r d h e i m schon 1903 einen positiven Befund von
Blutungen in die Epithelkörper bei einem Neugeborenen als
Folge der Geburtsasphyxie mitgeteilt hat, so haben doch
S t ö 1 1 z n e r aus allgemeinen Gründen und T h i e m i c h auf
Grund von 3 mit negativem Resultate untersuchten Fällen diese
bisher nur schüchtern von Jeandelize, Lundborg und
Pin el es für die infantile Tetanie ausgesprochene Hypothese
zurückgewiesen. Ich habe mich schon auf der vorigen Natur¬
forscherversammlung für die einheitliche Pathogenese aller
Tetanieformen ausgesprochen und kann heute, gestützt auf die
an meiner Klinik erhobenen Befunde von Y a n a se mit guten
Gründen die Behauptung aufstellen, dass gerade für die kind¬
liche Tetanie die Parathyreoidtheorie ganz wesentlich an
Wahrscheinlichkeit gewonnen hat. Yanase fand unter 89
ohne besondere Auswahl anatomisch untersuchten Fällen
meiner Klinik die Epithelkörperchen bei 38 durch Blutungen
geschädigt. Er führt die Entstehung derselben mit E r d h e i m
auf ein zur Zeit der Geburt einwirkendes Trauma zurück.
In allen positiven Fällen bestand auch elektrische Uebererreg-
barkeit, ev. konvulsivische Erscheinungen und zwar fand sich
zwischen dem Grad der Zerstörung der Epithelkörperchen¬
substanz und der Schwere der klinischen Erscheinungen ein
direkt proportionales Verhältnis. Dieser Befund ist um so
überraschender, als von Veränderungen der Epithelkörperchen
bei Kindern der ersten Lebensmonate (mit Ausnahme der Erd¬
heim sehen Befunde) bisher so gut wie nichts bekannt war
und dieselben in späterem Leben auch nur mehr selten vorzu¬
kommen scheinen. Er erklärt in ungezwungener Weise die
enorme Häufigkeit der I etanie in der frühesten Lebensperiode.
Es muss übrigens bemerkt werden, dass der Nachweis
anatomischer Veränderungen durchaus nicht ein notwendiges
Substrat für die Annahme einer Epithelkörpercheninsuffizienz
bei jungen Kindern ist. Es könnte sehr wohl eine funktionelle
Minderwertigkeit oder Störung bestehen, ohne dass das histo¬
logische Bild verändert zu sein braucht. Die Annahme eine'
solchen liegt auch gerade beim Neugeborenen sehr nahe. Es
könnte sich einmal um eine angeborene Hypoplasie
oder Minderwertigkeit der Epithelkörper handeln und zwar
wäre daran insbesondere bei den hereditären und den eminent
chronischen Fällen von Tetanie zu denken. Noch näher aber
liegt die Vorstellung, dass in ähnlicher Weise wie dies beim
Pankreas der Fall ist, die Entwicklung zur Zeit der
Geburtnochrückständigist oder individuelle Schwan¬
kungen aufweist, die sich erst im Laufe des weiteren Wachs¬
tums ausgleichen. Die letztere Hypothese würde das so ver¬
breitete Vorkommen einer leichten, auf die ersten Lebensmonate
beschränkten Insuffizienz erklären. Freilich bedarf es zur Ent¬
stehung der Tetanie neben der individuellen Disposition, welche
die v irkliche Ursache der Erkrankung ist, noch eines die klini¬
schen Erscheinungen auslösenden Momentes. Als solche sind
die bisher in der Aetiologie der Tetanie angeführten Momente:
Jahreszeit, Beschäftigung, Gravidität, erschöpfende Krank-
i ci ten etc. zu betrachten. Bei den besonders disponierten
Kindern dei ersten Lebensjahre genügen schon geringfügige,
von anderen überhaupt nicht als Schädlichkeit empfundene Ein¬
flüsse: wie Art und Menge der Nahrung, ungünstige Wohnungs¬
verhältnisse und auch diese erst nach längerer Einwirkung zur
Hervorrufung der tetanoiden Erscheinungen. Fernem zeigte
sich wenigstens während des ersten Lebensjahres eine auffällige
Koinzidenz mit den Symptomen der beginnenden Rachitis.
Nach den Untersuchungen von E r d h e i m, der bei seinen
parathyreopriven Ratten eine an Rachitis erinnernde Störung
des Wachstums der Nagezähne als konstante Folgeerscheinung
beobachtete, scheint nicht ausgeschlossen, dass zwischen die¬
sen Krankheitszuständen ein engerer pathogenetischer Zu¬
sammenhang besteht.
Es ist nicht möglich zu sagen, ob und inwieweit diese
Vorstellungen bei dem weiteren Ausbau der Forschungen sich
bewahrheiten werden. Jedenfalls geben die mit den klini¬
schen Beobachtungen übereinstimmenden Befunde Y a n a s e s
der Annahme eines Zusammenhanges zwischen der infantilen
Tetanie und den Epithelkörperchen eine mächtige Stütze. Ich
muss mir versagen im Rahmen eines kurzen Vortrages auf die
Wandlungen einzugehen, welche dieser Standpunkt für unsere
gegenwärtigen Vorstellungen über die Pathogenese und Aetio¬
logie mit sich bringt. Es wird dies an anderer Stelle in ausführ¬
licher Weise geschehen. Ich glaube aber, dass jeder, der die
Umlagerung seiner Vorstellungen in diesem Sinne vornimmt,
die Logik und die durchsichtige Klarheit derselben wie eine
Erlösung empfindet gegenüber der widerspruchsvollen und will¬
kürlichen Einteilung und Aetiologie, wie sie bisher üblich war.
Leider hat die Hoffnung, dass damit auch, ein gangbarer
Weg zur Behandlung der Krankheit gefunden wäre, sich noch
nicht erfüllt. Obgleich V a s s a 1 e und Generali, die ersten
und unermüdlichen Vorkämpfer der parathyreopriven Natur der
Tetanie, über günstige Erfolge bei Verabreichung ihres Para-
thyreoidins berichten, konnte ich selbst (und auch andere Be¬
obachter) trotz sorgfältiger Kontrolle der elektrischen Erreg¬
barkeit eine Beeinflussung derselben oder eine deutliche Bes¬
serung der klinischen Symptome der Tetanie durch dieses Prä¬
parat nicht konstatieren. Es war freilich von vorneherein zu
erwarten, dass die Funktion der winzigen Epithelkörperchen
wesentlich verschieden ist von der antitoxischen Wirkung der
Schilddrüsen, nach deren Vorbild diese Versuche angestellt
waren. Es wird also neuer Wege bedürfe^ um zum Ziele
zu gelangen; aber schliesslich wird auch hier, um das schöne
Wort Gerhardts zu gebrauchen, ,,die Frucht der Therapie
am Baume der Erkenntnis reifen“.
Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen (Prof. R o m b e r g).
Schmerz und Blutdruck.
(Klinische Untersuchungen.)
Von Dr. Hans Curschmann.
Die Mitteilung der nachstehenden Untersuchungen, deren
Resultate ich schon kurz andern Orts1 2) erwähnte, erfolgt des¬
halb, weil diese kurze Erwähnung von einigen Autoren, die in
letzter Zeit das einschlägige Kapitel bearbeitet haben, über¬
sehen worden ist [Bing -) und Rumpf 3)]. Das Interesse,
das die objektive Wertung subjektiver Symptome (Schmerzen,
Parästhesien, Hypästbesien, Anästhesien) für die Beurteilung
ihres hysterischen oder simulatorischen Charakters hat, wird
durch die aktuelle Bedeutung der Kapitel traumatische Hysterie
und Simulation charakterisiert. Widmet doch die Deutsche med.
Wochenschr. (No. 24, 1907) eine ganze Nummer dem Thema
Simulation auf den verschiedensten Gebieten der Pathologie.
Die ersten Bemühungen, einen objektiven Massstab für
Realität und Grad eines Schmerzes zu finden, stammen be¬
kanntlich von Mannkopf. Die Steigerung der Pulsfrequenz
bei Reizung eines Schmerzpunktes (M a n n k o p f sches Phäno¬
men) hat als diagnostisches Hilfsmittel besonders bei der Be¬
urteilung von Unfallkranken eine gewisse Bedeutung erlangt.
Immerhin kann das Phänomen nur bei positivem Ausfall Be¬
weiskraft haben, während ein negatives Resultat durchaus
0 Therapie der Gegenwart. Oktober 1906.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1906, No. 36; idem Mediz. Klinik 1907,
No. 5, Sammelreferat.
3) Münch, med. Wochenschr. 1907, No. 4.
IS. Oktober 1907.
MÜENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
207$
nicht gegen einen echten organischen Schmerz spricht. Ausser¬
dem ist das Phänomen nur für die Untersuchung hyperalge-
tischer Punkte bestimmt, kann also für die Beurteilung von
Herabsetzungen der Empfindung nicht herangezogen werden.
Einen feineren Gradmesser zur Beurteilung des Eindrucks
von sensiblen Empfindungen auf die Kreislaufsorgane bietet uns
die Beobachtung des Blutdrucks während der
Prüfung des Schmerzes.
Ueber die Einwirkung des spontanen und des erzeugten
Schmerzes auf den Blutdruck bestehen geteilte Ansichten. Die
Resultate der Schmerzreizung im Tierexperiment sowohl wie
beim Menschen waren verschiedene. Rumpf findet auf
Schmerzreize hin bisweilen Herabsetzung, häufiger Steigerung
des systolischen Blutdrucks, Bing meist Erhöhung desselben;
E. Bruck- Breslau beobachtete häufig Steigerung, bisweilen
aber auch Erniedrigung des Blutdrucks (mündliche Mitteilung).
Die Ursache dieses differenten Verhaltens, das den pathogno-
monischen Wert des Befundes scheinbar in Frage stellt, geben
uns nun die Resultate der grundlegenden physiologischen
Untersuchungen, auf die von R umpf und Bing nicht ge¬
achtet worden ist.
G r ii t z n e r und Heidenhain und ihre Mitarbeiter )
hatten nämlich gefunden, dass verschiedenartige sensible
Reize ganz verschiedene Wirkungen auf den Blutdruck aus¬
üben. Sie fanden zu ihrem Erstaunen, dass schwache kitzelnde
Reize, Anblasen usw. einen oft erheblich Blutdruck steigern¬
den Effekt hatten, während starke mechanische oder chemische
Schmerzreize bald keine oder eine Blutdruck erniedrigende
Wirkung, bald eine steigernde ausübten. Die Erklärung dieser
Differenzen fand sich darin, dass Reize, die entweder auf den
Nervenstamm direkt oder in seine nächste Umgebung ausge¬
übt wurden, stets eine Blutdruck erhöhende Wirkung
hatten, während Reize, die entfernt von sensiblen
Nervenstämmen die Haut trafen, meist keine oder
eine erniedrigende Wirkung hatten 4 5).
Es ist demnach nicht gleichgültig, wo der Schmerzreiz,
dessen Einwirkung auf den Blutdruck untersucht werden soll,
ansetzt. Die Grützner-Heidenhain sehen Unter¬
suchungen erklären aber jedenfalls, warum Rumpf, Bing
und Verf. bei Reizung von Nervendruckpunkten (z. B. N. V
und N. ischiadicus) sowie von Schleimhäuten, die besonders
reich an sensiblen reflexleitenden Fasern sind (Nase, Auge),
stets eine Blutdruck steigernde Wirkung erzielten.
Meine Untersuchungen hatten nun, wie schon bemerkt,
weniger den Zweck, die Wirkung der Reizung von Schmerz¬
punkten auf den Blutdruck zu lösen, als folgenden Fragen näher
zu treten : Wie verhält sich der Blutdruck bei
Reizung hyp- oder analgetischer Körper¬
stellen im Vergleich zu derjenigen normal
empfindlicher Teile? Und weiter; Besteht ein
Unterschied in 'dem Effekt auf den Blutdruck
bei Reizung organischer und bei Reizung
hysterischer Analgesien? Die Entscheidung der
letzteren Frage müsste naturgemäss von Bedeutung für das
Wesen und die et\daige Realität hysterischer Störungen sein.
Die Versuchsanordnung hatte nun folgende Fehlerquellen
zu vermeiden:
I. Die Einwirkung starker sekundärer Muskelkontrak¬
tionen und Alterationen der Atmung, die an sich schon, auch
ohne Schmerzempfindung, blutdrucksteigernd wirken können.
II. musste sie, um Vergleichswerte für die Norm zu ge¬
winnen, möglichst gleichbleibende Reize anwenden.
III. Im Hinblick auf die Grützner-Heidenhain-
schen Versuche musste im gleichen Interesse eine gleich-
4) P. Qrützner und H e i id e n h a i n (zum T eil mit Ka-
bierski): Pflügers Arch. f. Physiol., Bd. XVI.
5) Ich möchte hier ein interessantes Ergebnis der genannten
Autoren nicht übergehen, das beweist, dass Schmerzreize auf die
Nerven in der Chloralnarkose bei verschiedenen Tierarten verschieden
und ganz entgegengesetzt wirken: beim Kaninchen wirken sie, wie
auch Cyon fand, stets blutdrucksenkend, beim Hund allermeist
steigernd. Die Verschiedenheit der Wirkung bei verschiedenen
Arten lässt uns vielleicht verstehen, dass eine solche Verschieden¬
heit auch bei verschiedenen Individuen (einer Spezies) Vor¬
kommen kann,
bleibende Lokalisation des Schmerzreizes
angewendet werdem
Um der zweiten Bedingung zu genügen, wandte ich stets
genau dosierte und gleiche faradische Reizungen an, da andere
Reize (Druck, Stiche, Kneifen) nicht genau genug abgestuft
werden können. Nun galt es aber, um der I. Bedingung zu
genügen, stärkere, Blutdruck steigernde Muskelkontraktionen zu
vermeiden. Ich applizierte deshalb die Normalelektrode in das
obere Drittel des Oberschenkels, eine Stelle, die dem opth
malen Reizpunkt des M. gastroenemius möglichst fern lag und
von dem aus nur geringfügige Muskelkontraktionen ausgelöst
werden. Dieser Punkt, der ungefähr der Austrittsstelle des
N. cutan. lat. femoris entspricht, erklärte darum auch den
Effekt, den die Reizungen bei normal empfindlichen Individuen
hatten, nämlich der fast konstanten Blutdrucksteigerung (vergl.
die konstante Steigerung bei Reizung sensibler Nerven bei
Grützner und H e i d e n h a i n).
Als Reizstärke diente stets der R. A. eines Hirsch-
mann sehen Schlittenapparats von 45 — 50 cm oder der äqui¬
valente R. A. eines anderen Induktoriums. Der Blutdruck
wurde mit dem Apparat von Riva-Rocci (mit breiter
Recklinghausen scher Manschette) bestimmt.
Meine Untersuchungen begannen mit der Feststellung
durchschnittlicher Blutdrucksveränderungswerte bei Reizung
normal empfindender Individuen mit nor¬
malen Kreislaufsverhältnissen. Die Resultate in
einigen Fällen zeigt folgende Tabelle;
Name, Alter,
Geschlecht
Krankheit
Strom¬
stärke
Blutdruck
vor | nach
der elektr. Reizung
RA
mm
mm
1. Str.
16 J., m.
Hysterie
35—40
112
122
Sensibilität v. V.
2. Bi.
21 J., m.
Psoriasis
35—40
110
120
Sensibilität v. V.
3. Gl.
22 J., m.
Lupus
35-40
117
122
Sensibilität v. V.
4. Fe.
37 J., m.
Lumbago
35—40
130
140
5. E.
31 J., m.
Superazidit. u. Super-
35—40
105—107
113 — 115
Sekretion d. Magens
6. Gl.
26 J., w.
Hyster. Erbrechen
90
115
120
Bei Normalen und Patienten mit normaler Sensibilität zeig¬
ten 18 unter 20 Fällen deutliche Blutdrucksteigerung auf den
elektrischen Schmerzreiz meist zwischen 8 und 10 mm Hg.
Die Steigerung war stets besonders deutlich bei der ersten
Reizung, liess dann nach, war aber durch nochmaligen Strom¬
schluss aufs Neue zu erzielen. Nur in 2 Fällen von 20 (beide
Pat. mit dyspeptischen Beschwerden) fand sich Blutdruck¬
senkung zwischen 10 und 15 mm Hg.
Anders verhielt sich die Blutdruckreaktion auf Schmerz
bei Patienten mit nervösen oder organischen
Störungen des Kreislaufs. Es gibt, wie ich
in Uebereinstimmung mit Bing konstatieren kann,
zweifellos Fälle von reinen Kreislaufsneurosen mit Stei¬
gerung des systolischen Blutdrucks zwischen 135 und
150 mm Hg. Diese Neurotiker mit Hypertension (aber auch
die ohne eine solche) zeigen eine abnorme Labilität ihies
Vasomotorensystems, die sich äusserlich schon in fliegender
Hitze, Dermatographie, Oedema fugax, Emotionserythem und
zahlreichen subjektiven Kreislaufsbeschwerden äussert. Die
Arterien bei derartigen Neurosen, z. B. auch dem M.
Basedowii, zeigen auch bei der p 1 e t h y s m o gra¬
phischen Untersuchung Gefässreaktionen von beson¬
derer Ausgiebigkeit, besonders auf psychische Reize
hin.6) Ein analoges Verhalten zeigt der Blutdruck der¬
artiger Kranker bei Schmerzreizung. Ich fand wiederholt
Steigerung von 15, 20 und 25mm Hg; Werte, die auch bei
Reizung an normal sensiblen Teilen Hysterischer mit vaso¬
motorischer Uebererregbarkeit zu finden sind.
Noch beträchtlichere Blutdrucksteigerungen kann man bei
Patienten mit organisch bedingter Hypertension beobachten,
6) Hans Curschmann: Verhandlungen der \ei Sammlung
südwestdeutscher Neurologen etc. Baden-Baden 19U7. ^
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
2076
z. B. bei Patienten mit Schrumpfniere. Hochgradige Blutdruck¬
steigerung sah ich auch infolge spontaner Schmerzen bei
solchen Kranken auftreten. Bei einem Nierenkranken stieg in¬
folge enormer, durch ein f i e b e r 1 o s verlaufendes Panaritium
bewirkter Schmerzen der Blutdruck bis auf 235 Hg, um so¬
fort nach der Inzision und Entleerung des Eiters auf 175 mm Hg
abzusinken. Auch bei elektrischer Reizung, die natürlich bei
derartigen Patienten sehr vorsichtig und mit noch schwächeren
Strömen ausgeführt wurden, kann man im Vergleich zum Reiz
recht beträchtliche Blutdrucksteigerungen hervorrufen, die
zwischen 15 und 25 mm Hg schwanken. 7) Der Labilität des
nephritischen Blutdruckes nach oben zu entspricht übrigens
ganz die Neigung desselben zu abnormen tiefen Senkungen auf
bestimmte Reize hin. In zahlreichen (unveröffentlichten) Unter¬
suchungen, die ich in der II. med. Klinik in Berlin ausführte,
konnte ich mittels vorsichtiger Applikation des Wechselstrom-
Vierzellenbades Senkungen des Blutdruckes erzielen, die in 5
bis 10 Minuten 30—60 mm Hg betrugen, ohne dass die Patienten
irgendwelche Beschwerden davon hatten; bei nierengesunden
Individuen wirkten die genannten Applikationen auf den Blut¬
druck dagegen fast indifferent.
Unsere Untersuchungen berechtigen jedenfalls zu dem Re¬
sultat, dass Schmerzreize — die oben geschil¬
derte Versuchsanordnung vorausgesetzt _
beiGesundenundKrankenmitnormalemHaut-
geftihl eine den systolischen Blutdruck stei¬
gernde, weit seltener ihn ebenso deutlich he¬
rabsetzende Wirkung haben.
Bei Störungen der Sensibilität, vor allem des
Schmerzgefühls infolge von organischen Er¬
krankungen waren nun, wie die nachstehende Tabelle
zeigt, die Resultate wesentlich von denen bei Pat. mit gesunder
Sensibilität, abweichende.
Tabelle A.
Name, Alter,
Krankheit
Rollen¬
abstand
Blutdruck
Geschlecht
vor
nach
dem Schmerzreiz
1. Sehe. 16 J., w.
Multiple Sklerose myeliti-
sclie Form, totale Analgesie
der Beine
80
110
110
2. Mo. 25 J., w.
Multiple Sklerose, Analgesie
u. Hypästhesie des r. Unter¬
schenkels
80
137
135—137
3. E. 34 J., w.
Myelitis transversalis.Totale
Anästhesie u. Analgesie der
unteren Körperhälfte
80
105
105
4. Ke. 47 J., w.
Hämatomyelie (Tumor ?) d.
Dorsalmarks, Beine total
anästhetisch
80
80
80
5. We. 13 J., m.
Spondylitis. Querschnitts¬
läsion. Anästhesie d. unteren
Körperhälfte
80
108
108
In allen Fällen also zeitigte eine an der Stelle der organi¬
schen Analgesie ansetzende faradische Reizung weder eine
Steigerung noch eine Senkung des systolischen Blutdruckes;
ein Befund, der durch diejenigen Bings voll bestätigt wird,
der bei Reizung organisch analgetischer nervenreicher Partien
(Kornea) ebenfalls keine Veränderung des Blutdruckes fand.
Meine Beobachtung kann übrigens zugleich als Beweis dafür
gelten, dass nicht die — geringe — Muskelkontraktion, sondern
einzig und allein der ausgelöste Schmerz die Ursache der
Blutdrucksteigerung bei unseren Untersuchungen ist, denn die
Muskelkontraktion fehlte auch in obigen Fällen nicht, und doch
zeigten sie eine absolute Reaktionslosigkeit des Blutdruckes auf
den faradischen Reiz.
Besonderes Interesse beansprucht nun die Frage, die für
mich die eigentliche Veranlassung der Untersuchung war:
verhalten sich hysterische Analgesien in Bezug auf die Blut-
') Dieser Befund stimmt überein mit dem Verhalten des ge¬
steigerten Nephritikerblutdruckes bei der Katzen stein sehen
Funktionsprüfung (Kompression der Art. femoralis). Fellner und
R ü d i n g e r (Berl. klin. Wochenschr. No. 16, 1907) fanden hier
ebenfalls abnorme Steigerungen des Drucks bis 20 mm, die diejenigen
bei normalem Blutdruck stark übertrafen.
druckreaktion ebenso wie die organischen oder lassen sich
Unterschiede zwischen beiden konstatieren?
Die folgende Tabelle zeigt die Untersuchungsresultate an 9
Fällen von hysterischer Analgesie, zum Teil vor und nach der
Heilung derselben.
Tabelle
B.
Name, Alter,
Rollen-
Blutdruck
Geschlecht
Krankheit
abstand
vor
nach
dem Schmerzreiz
6. He. 59 J., m.
Hysterische Lähmung nach
35-40
Am gesund. Oberschenk.
Anästhesie d. rechten Armes
192
1 198 ,
Am analgetischen Arm
gereizt
192
192
7. Fre. 29. J., m.
Traumat. Hysterie ; totale
35—40
Am anästh. linken Bein
Hemianästhesie
gereizt
150
150
Am gesunden Bein
150
162
Idem
Nach Heilung von Hemi-
40
Rechts und links
anästhesie
120
135
8. Ra. 30 J., w.
Abasie, Analgesie beider
90
110
110
Beine
9. Hö. 21 J., w.
Hysterie, Hemianästhesie u.
90
An dem gesunden Bein
-analgesie
ub
gereizt
115
122
An dem analgetischen
115
115
Idem
Nach Heilung der Hemi-
90
Am rechten und linken
anästhesie
Bein g
ereizt
103
115
10. Schri. 21 J., m.
Pseudospast. Parese mit
80
Am gesund. Bein gereizt
Tremor. Kompl. Analgesie
140
155
des rechten Beines
Am analget. Bein gereizt
ll*:
140
140
11. Ra. 21 w.
Hysterische Dysbasie und
80
Beidoiseits gereizt
Krämpfe. Hypalgesie d. Beine
125
125
12. De. 18 . J., m.
Hyster. Parese u. Anästhesie
40
Am gesund. Arm gereizt
des rechten Armes
130
120
(Senkung!)
Am analget. Arm gereizt
130 1
130
13. Sehne. 40 J., m.
Traumat. Hysterie. Hyster.
80
Am gesund. Bein gereizt
Hemiplegie u. Hemianästh.
130 I
150
Am analget. Bein gereizt
130 i
130
14. Ka. 30 J., m.
Traumat. Hysterie. Hemi-
40
Am rechten Bein gereizt
anästhesie links
127 1
140
Am linken Bein gereizt
127 |
127
In allen 9 Fällen erzielte die faradische Reizung des anal¬
getischen Körperteiles (8 mal Oberschenkel, 1 mal Arm) keine
Spur von Blutdrucksteigerung oder Senkung. Die Reizung des
symmetrischen normalempfindenden Körperteils .bewirkte da¬
gegen in 8 Fällen eine Steigerung zwischen 6 und 15 mm Hg,
in einem Fall (bei Reizung am Arm) eine Blutdrucksenkung von
10 mm Hg. Nach Heilung der Analgesie durch Suggestion war
in 2 Fällen einige Tage nach der ersten Untersuchung eine nor¬
male Blutdrucksteigerung auf Schmerzreiz zu beobachten, die
derjenigen am gesunden Bein gleich kam. »
Unsere Untersuchungen ergaben also, dass sich Or¬
gan i sehe undhysterische Störung endesHaut-
gefiihls insofern völlig gleich verhalten, als
bei Reizung analgetischer Stellen bei beiden
eine Einwirkung auf den Blutdruck ausbleibt.
Diese Tatsache spricht mit ziemlicher Beweiskraft für die Re¬
alität hysterischer Qefühlsstörungen, eine Realität, an die noch
immer einige skeptische Autoren nicht glauben möchten. Die
Wirkung einer zentripetal geleiteten Empfindung auf den Blut¬
druck entspricht einem subkortikal ablaufenden, dem Willen
oder auch einer momentanen Autosuggestion vollkommen ent¬
zogenen Reflexes. Es handelt sich also wohl nicht nur um
eine Amnesie des Gefühls (J a n e t) bei Hysterischen, denn
bei einer solchen würden die subkortikal ablaufenden Reflexe
wohl kaum fehlen, sondern um eine gröbere, den organischen
Gefühlsstörungen verschieden lokalisierten Ursprungs ähn¬
liche, Störung. Die Art der Störung und ihr Sitz bleibe hier
undiskutiert. Immerhin hat die Hypothese der zentralen vaso¬
motorischen Entstehung entschieden etwas für sich.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2077
Das Verhalten des Blutdruckreflexes steht übrigens in di¬
rekter Uebereinstimmung zu dem Verhalten anderer sensibler
Reflexe, de r H a u t r e f 1 e x e, wie ich schon anderorts betont
habe.8) Denn entgegen der Darstellung Binswangen, dem
sich auch Köster neuerdings angeschlossen hat, kann ich mich
den Beobachtungen von Pitres nur anschliessen, dass bei
einer grossen Anzahl hysterischer Gefühlsstörungen — durch¬
aus nicht in allen — die Hautreflexe der anästhetischen Seite
vermindert oder aufgehoben sind. Für die Plantarreflexe gilt
dies am häufigsten, für die Bauchdeckenreflexe seltener und für
die Kremaster- und Skrotalreflexe am seltensten. Es ist wohl
kein Zufall, dass gerade für den letzteren Reflex, der sicher
nicht wie die beiden ersten ein übergeordnetes zerebrales Zen¬
trum besitzt (vergl. die Auslösbarkeit des Skrotalreflexes bei
hochsitzenden totalen Durchtrennungen des Rückenmarks, bei
Anenzephalen und an der Leiche) 9), die hysterische Gefühlsstö¬
rung kaum je als Reflex tilgend in Betracht kommt.
Abgesehen von der Bedeutung für die pathologische Phy¬
siologie der Hysterie kann das gefundene Symptom, das Aus¬
bleiben der Blutdruckreaktion bei Reizung analgetischer Stel¬
len, auch praktischen Wert besonders in der Beuiteilung tiau-
ma'tischer Hysterien gewinnen, bei denen die Konstatierung
echt hysterischer Gefühlsstörungen ja stets eine entscheidende
diagnostische und damit auch forensische Bedeutung besitzt.
Denn es ist wohl sicher, dass mein Symptom, bei Simula¬
tion von Gefühlsstörungen (die bei viel untersuchten Irau-
matikern durchaus nicht selten ist) fehlen wird, dass Simu¬
lanten bei Reizung angeblich analgetischer Stellen doch mit
Blutdruckveränderungen reagieren werden.
Während meine bisherigen Ausführungen fast ausschliess¬
lich die Einwirkung artifizieller Schmerzen auf das Vaso¬
motorensystem behandelten, möchte ich zum Schluss nicht
unterlassen, noch mit wenigen Worten die Wirkung spon¬
taner Schmerzen auf den Blutd ru c k zu streifen.
Es scheint mir dies um so nötiger, als auf diesen diagnostisch
nicht ganz unwesentlichen Punkt so auffallend wenig geac e
Eine besondere Wichtigkeit ist der Blutdruckmessung bei
Schmerzen im Bereich des Abdomens zuzumessen. _ In
völliger Uebereinstimmung mit P a 1 10), fand ich in einigen
Fällen von gastrischen und intestinalen Krisen der la¬
to i k e r auffallende Blutdrucksteigerungen:
während der Krise betrug z. B. der Blutdruck — je na^Eya'
zerbieren oder Nachlassen schwankend — zwischen 170 und
210 mm Hg Riva-Rocci, um mit plötzlicher Beendigung des An¬
falls kritisch auf die Norm 115—125 abzusinken Dieses : Ver¬
halten des Blutdruckes hat P a 1 mit viel Wahrscheinlichkeit auf
einen Vasomotorenkrampf des Splanchmkusgebietes, dessen
besonderer Einfluss auf den Blutdruck ja seit langem feststeht,
bezogen.
J Aehnliche Blutdrucksteigerungen fand ich auch bei inte¬
stinaler B 1 e i k o 1 i k, auch hier wieder mit Abklingen des An¬
falls absinkend.
In zahlreichen Fällen andersartig bedingter abdominaler
Schmerzen (bei Ulcus und Carcinoma ventricuh, Cholehthiasis,
sogar in einem Fall von Stieldrehung der hydropischen Gallen¬
blase, Appendizitis etc.) fand ich dagegen stets nur s e h r ge¬
ringe Steigerungen des Blutdruckes, die 10 mm Hg gewöhn¬
lich nicht überschritten.
Auch bei neuralgisch oder radikulär bedingten Schmerzen
der unteren Rumpfhälfte, in einigen Fällen von Gürtelschmerz;
bei Querschnittsläsionen und Tabes, vermisste ich erheblichere
Steigerungen des Druckes stets.
Der hohe differentialdiagnostische Wert der Blutdruck¬
beobachtung bei abdominalen Schmerzen vor allem geht aus
obigen kurzen Mitteilungen wohl klar hervor. Bei larvierten
Bleiintoxikationen, bei so häufigen inkompleten Fällen von
Tabes mit Krisen kann diese Untersuchungsmethode unter Um¬
ständen entscheidend sein. Ich möchte sie deshalb zur häu¬
figeren Anwendung dringend empfehlen und zweifle nicht, dass
8) Hans Curschmann: Therapie der Gegenwart, Okt. 1906.
®) Es gelingt bis 2 Stunden nach dem Tode an der Leiche den
sogen. Skrotalreflex (eine Kontraktion der Tunica dartos) auszulosen.
10) Pal: Gefässkrisen. Wien 1902.
sie die Zahl der gerade bei den beiden zuletzt genannten Leiden
noch recht häufigen diagnostischen Irrtümer vermindern wird.
Anmerkung bei der Korrektur: Erst lange nach Ab¬
schluss obiger Untersuchungen wurden mii die Resultate V e r a -
guths (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. XXI, 1907) bekannt, der
mittels des „psychogalvanischen Reflexphänomens auch die Ein¬
wirkung sensibler Reize auf Hysterische untei sucht hat und zu zum
Teil den meinigen entgegengesetzten Schlüssen kommt. Zur Er¬
klärung dieses Gegensatzes verweise ich noch einmal aui die quanti¬
tative V erschiedenheit des sensiblen Reflexvorgangs bei
Hysterien je nach Schwere und Dauer der sensiblen Läsion. Das
prinzipiell wichtige an der Frage ist, dass vasomotorische und sen¬
sible Reflexe auf Grund rein psychogener Störungen — nicht
selten — erlöschen können.
Aus der chirurgischen Klinik zu Greifswald (Direktor: Piofessoi
Friedrich).
Beitrag zur Behandlung der Fremdkörper in der
Speiseröhre.
Von Dr. Rudolf Ha eck er, Assistenzarzt.
In den nachfolgenden Zeilen soll über 5 Fälle Belicht ei¬
stattet werden, welche sich aus einer grösseren Zahl von Beob¬
achtungen über Speiseröhrenfremdkörper durch die Eigenait
der Fremdkörper selbst, ihrer Entfernung und des gesamten
Heilverlaufs auszeichnen. Die Beobachtungen entstammen zum
Teile der hiesigen Klinik, zum Teil gehören sie noch der
Leipziger Tätigkeit des Herrn Professor F r i e d r i c h an.
Der erste Fall ist dadurch bemerkenswert, dass trotz
monatelangen Verweilens eines Gebisses im Oesophagus
und trotz der Tiefe seines Sitzes die Extraktion durch die
Oesophagotomiewunde nach oben noch gelang, dass Oeso¬
phagus- und Bronchial-Dekubitus die schwersten Kompli¬
kationen herbeiführten und durch Speiseröhrenaus¬
schaltung mittelst Gastrostomie die tiefsitzende
Speiseröhren-Bronchialfistel zur Heilung geführt
wurde. . , , , ,
Es handelte sich um ein 25 jähriges Dienstmädchen, welches am
16. Juli 1906 in die Klinik aufgenommen wurde. T T , .
Die Patientin hatte am 18. März 1906 mittags 12 Uhr beim
Essen ihre Gebissplatte mit dem medialen und lateralen oberen
Schneidezahn der rechten Seite verschluckt. Sie haLe gleich das
Gefühl, als ob das Gebiss in Höhe der oberen Brustoffnung, wo sie
sofort heftige Schmerzen verspürte, stecken geblieben sei, und konnte
weder schlucken noch sprechen. Eine noch am gleichen Tage in
einem Krankenhause, wo Patientin Hilfe suchte yorgenommene Rönt¬
gendurchleuchtung liess nirgends einen Fremdkörper erkennen. Am
folgenden Tage wurde ebenda eine Schlundsonde eingefuhrt, ohne
dass man dabei auf ein Hindernis stiess. Die Patientin konnte flüssige
Speisen zu sich nehmen. Sehr bald trat jedoch wieder eine Ver¬
schlimmerung des Zustandes ein; die Schmerzen steigerten sich mehr
und mehr, so dass gegen Ende des Monats Juni das Schlucken w iedei
vollständig unmöglich war. Auch der von Anfang an bestehend
Hustenreiz wurde immer stärker, die Atmung laut röchelnd. Patientin
hatte viel schleimigen Auswurf, in welchem sich morgens häufig
Blut befand. Infolge dieser fast vollständigen Behinderung der Nah¬
rungsaufnahme kam die Patientin in ihrem Kraftezustand so sehr
herunter, dass der behandelnde Arzt die Ueberführung in die hiesige
chirurgische Klinik anordnete. _ , .. T„H 1on* war
Der Untersuchungsbefund bei der Aufnahme am 16. Juli 1906 war
folgender^ ern„hrte prau< .gravida im VIII. Monat Starker Stridor
bei der Atmung, welche mühsam und unter Zuhilfenahme der Auxiliar-
muskeln geschieht. Der Thorax dehnt sich nur wenig, aber beider¬
seits gleichmässig. aus. Be'i der Perkussion zeigt sich nirgends ausge¬
sprochene Dämpfung; die Auskultation ergibt Eises VesAularatmen
mit diffusen katarrhalischen Geräuschen. Reichlich schleimiges, a
und zu mit Blutspuren untermischtes Soutum, in welchem unter
dem Mikroskop zahllose Bakterien und Kokken, aber keine Tuberkel-
ba 7 '"üle Taryn go sko p i sch e Untersuchung ergibt: rechtes Stimmband
leicht rosa gefärbt, beide bei der Phonation leicht beyeghch Rotung
und Schwellung des Kehlkopfeinganges; zwischen den Aryknorpein
eine leichte Unebenheit. — Kein Fieber. , f n 1 o- e n
Kurz nach jeder Nahrungsaufnahme erfolgen
heftige Hustenstösse, dabei kommt die Flüssigkeit mit zu¬
rück Feste Speisen kann Patientin nicht herunterbringen.
Auf dem in schräger Seitenlage der Patientin aufgenommenen
Röntgenbild sieht man vor dem IV. Brustwirbel einen deutlichen
unregelmassig ^gestaHetenrl vorhergegangener Kokaimsierung
des Pharynx die ösophagoskopische Untersuchung ausgefuhrt. Die
Einführung des Oesophagoskops gelingt ohne Schwierigkeit, n
2078
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
I iefe von 22 cm, also etwa in Höhe der Kreuzungsstelle
des Oesophagus mit dem linken Bronchus sieht man
an der linken Oesophaguswand sehr deutlich die beiden Zähne des
Gebisses und darunter die Platte. Das Gebiss ist fest eingekeilt und
folgt keinem Extraktionszuge. Zwar gelingt es, mit Häkchen die
Platte etwas zu drehen, so dass die Zangen fest fassen können,
jedoch bewegt sich der Fremdkörper nicht von der Stelle, so dass
der Extraktionsversuch nach 40 Minuten abgebrochen wird.
22. VII. 06. Patientin hat nach vorübergehender Temperatur¬
steigerung den Eingriff gut überstanden.
26. VII. 06. Oesophagotomie an der linken Halsseite (Prof.
Friedrich). Hautschnitt in üblicher Weise. Die grossen Gefässe
werden nach aussen gezogen, der Oesophagus durch eine eingeführte
Schlundsonde kenntlich gemacht und auf derselben bis zur Thorax¬
apertur eröffnet. Nach unten davon fühlt man mit dem Finger die
Prothese mit den beiden Zähnen, mit ihren hakenförmigen Enden
fest in die Wand eingehakt. Unter Leitung des Zeigefingers wird
der Fremdkörper mit der Schlundzange gefasst, jedoch widersteht
er jedem Extraktionsversuch. Schliesslich wird das Gebiss mit
schneidender Zange durchtrennt und in 2 Teilen herausbefördert. Die
Betastung mit dem Finger ergibt, dass die Oesophaguswand dort,
wo der Fremdkörper gesessen hatte, hochgradig geschwürig ver¬
ändert ist und eine Perforationsöffnung hat, aus welcher Atmungs¬
luft entweicht.
Einführung einer Schlundsonde durch die Wunde und Tampo¬
nade der Wundhöhle.
29. VII. 06. Patientin hat den Eingriff reaktionslos überstanden.
Reichliche eiterige, übelriechende Sekretion. Die Fütterung geschieht
ausschliesslich durch die in der Wunde liegende Sonde.
Am 2. VIII. 06 erfolgt die Geburt eines lebenden, ziemlich kräf¬
tigen Kindes.
4. VIII. 06. Patientin klagt über Schmerzen in der linken Brust¬
seite. Unterhalb der linken Axilla gedämpft tympanitischer Schall an
umschriebener Stelle, massenhafte Rasselgeräusche jeder Art.
6. VIII. 06. Aashaft stinkender Auswurf lässt beginnende Gan¬
grän befürchten, so dass zur Gastroenterostomie zwecks Ausschal¬
tung des Oesophagus und der Speiseröhren-Trachealfistel geschrit¬
ten wird. Die Ernährung erfolgt von jetzt ab ausschliesslich durch
die Magenfistel. Am 8. November 1906 lässt sich der Nachweis er¬
bringen, dass die Oesophagus-Trachealfistel geschlossen ist und die
Lungenentziindungserscheinungen vollständig zurückgegangen sind.
Von jetzt an nimmt Patientin die Speisen wieder per os zu sich und
die Hebung der Gesamternährung macht rasche Fortschritte.
13. I. 07. Patientin sieht gut aus. Ueber den Lungen sind ausser
vereinzelten Rasselgeräuschen keine Veränderungen mehr nachzu¬
weisen. Pat. hat in den 2 letzten Monaten um 22 Pfd. zugenommen.
Was zunächst die Diagnose im vorliegenden Falle be¬
trifft, so Hess schon die Anamnese das Vorhandensein eines
Fremdkörpers mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vermuten.
Nur die Angabe, dass schon auswärts von chirurgisch geübter
Hand Extraktionsversuche gemacht worden seien, aber nichts
von Fremdkörper ergeben hätten, konnte vorübergehend irre¬
leiten.
Die äussere Palpation gewährte bei dem Fehlen einer
zirkumskripten Druckempfindlichkeit bezw. einer eventuell
durchzufühlenden Resistenz auch hier wie in allen Fällen
tieferen Sitzes des Fremdkörpers keinen Anhalt.
Auch die Sondenuntersuchung, welche bei Fremdkörper¬
verdacht in der Speiseröhre immer zuerst versucht werden
soll, da sie ein schonendes und weitgehend sicheres diagnosti¬
sches Hilfsmittel darstellt, und, von geübter Hand ausgeführt,
ohne Gefahr vorgenommen werden kann, fiel in unserem Falle
negativ aus und zwar sowohl gleich nach dem Unfall (im aus¬
wärtigen Hospital), als auch bei der 4 Monate später erfolgten
Aufnahme in die Greifswalder Klinik. Der Grund hierfür mag
darin zu suchen sein, dass die Lage der Zahnplatte
eine derartige war, dass sie mit ihrer Konvexität
der konkaven Vorderwand der Speiseröhre anlag, während die
Sonde in der Aushöhlung der Prothese längs der hinteren
Oesophaguswand spielend abwärts glitt. Prof. Friedrich
hat dieses Vorkommnis gerade bei Gebissprothesen wieder¬
holt und selbst mit stärkeren Sondennummern beobachtet.
Sichergestellt wurde die Anwesenheit des Fremdkörpers
jedoch durch die Anfertigung einer Röntgenphotographie. Dass
bei der am 1 age nach dem Unfall vorgenommenen Röntgen¬
untersuchung auswärts das Gebiss nicht nachgewiesen wurde,
ist nicht ganz erklärbar, es sei denn, dass Röntgenapparat oder
I echnik unvollkommen waren. Allerdings kann der wenig
markante Schatten einer metallfreien Prothese durch den
Schatten der Wirbelsäule und des Herzens unter Umständen
) e i deckt werden. Seitliche Aufnahme schützt gegen dieses
Lebersehen des Fremdkörpers. Es wurde daher in der hie¬
sigen Klinik die Durchleuchtung nicht nur in Rückenlage der
Patientin, sondern auch in schräger Richtung, von rechts vorne
nach links hinten, ausgeführt. Dabei ergab sich einwandfrei der
geschilderte Befund, welcher endlich noch durch die ösophago-
skopische Untersuchung bestätigt wurde.
Somit war die Diagnose nach Sitz, Form und Beschaffen¬
heit des Fremdkörpers gesichert.
Therapeutisch konnte angesichts der sich mehr und mehr
steigernden subjektiven Beschwerden der Patientin und des
infolge der Unterernährung von Tag zu Tag sich verschlech¬
ternden Allgemeinbefindens nur die baldmöglichste Entfernung
der Causa morbi, trotz der vorgeschrittenen Gravidität, in
Frage kommen. Für den hierfür einzuschlagenden Weg lageh
die Verhältnisse im vorliegenden Fall nicht sehr günstig. In
erster Linie war in dieser Hinsicht das lange Verweilen des
Fremdkörpers im Oesophagus in Betracht zu ziehen. Die
Zeit zwischen dem Verschlucken des Fremd¬
körpers und der Aufnahme der Patientin
in die Klinik betrug genau 4 Monate. Wenn
wir nun auch aus der Literatur zahlreiche Fälle
kennen, wo es ebensolange und noch länger© Zeit
(bis 12 Jahre!) dauerte, bis derartige verschluckte Gebisse
entweder spontan oder durch Operation wieder zutage be¬
fördert wurden, so war doch zu befürchten, dass sich der
Fremdkörper im Laufe der Zeit tiefer in die Oesophaguswand
eingekeilt und einen Dekubitus erzeugt hatte. Dass derselbe
zur Entwicklung einer ausgedehnteren periösophagealen Phleg¬
mone geführt haben sollte, war bei dem vollständigen Fehlen
von Fieber und Druckschmerzhaftigkeit am Halse zum minde¬
sten sehr unwahrscheinlich. Wohl aber war eine Kompli¬
kation mit Sicherheit von vornherein zu kon¬
statieren und dieselbe wurde auch bei der nachherigen Autopsia
operativa bestätigt: Die Tatsache nämlich, dass sich bei der
Patientin jedesmal sofort nach derNahrungs-
aufnahme heftige Hustenanfälle einstellten,
war ein absolut sicherer Beweis dafür, dass eine Kommuni¬
kation zwischen Speiseröhre und Luftröhre
bestand, eine Komplikation, welche wegen der grossen Aspi¬
rationsgefahr nicht zu unterschätzen war.
Auch in Rücksicht auf die bestehende Schwangerschaft
musste man bestrebt sein, den Eingriff so rasch und schonend
als möglich zu gestalten.
Von einem Versuch, die Gebissplatte mittelst Kornzange
oder G r a e f e sehen Münzenfängers bezw. W e i s s sehen
Grätenfängers zu extrahieren, wurde in Anbetracht des tiefen
Sitzes des Fremdkörpers (IV. Brustwirbel), sowie im Hinblick
auf die mit Sicherheit anzunehmende feste Einkeilung ab¬
gesehen.
Aus diesem letzteren Grunde war auch von der zweiten
Methode, den Fremdkörper auf unblutigem Wege zu entfernen,
nämlich der Extraktion mit Hilfe des Oesophagoskops, von vorn¬
herein so gut wie kein Erfolg zu erwarten. Trotzdem wurden
im Anschluss an die zu diagnostischem Zwecke ausgeführte
Oesophagoskopie wiederholte Extraktionsversuche gemacht,
welche jedoch alle an der festen Einkeilung des Fremdkörpers
und an dem Auftreten einer mässigen Blutung scheiterten.
Es blieb somit, wie von vornherein anzunehmen war, nur
noch der blutige Weg und zwar in diesem Falle die Oeso-
phagotomia externa übrig. Dieselbe wurde von Professor
Friedrich in der oben angegebenen Weise ausgeführt und
eine 3X4 cm messende Gebissplatte aus Hartgummi mit zwei
Zähnen zu Tage befördert.
Dass diese Operation, wenn sie rasch
ausgeführt wird und von sachgemässer
Nachbehandlung gefolgt ist, selbst in
einem prognostisch so ungünstigem Falle,
wie es der vorliegende war, relativ leicht
ertragen wird, geht daraus hervor, dass
die Patientin trotz der später noch nötig
gewordenen Gastrostomie und dem 8
Tage nach der Oesophagotomie erfolgten
Partus sich in der Folgezeit zusehends
erholte und nach 2 Monaten vollständig Abbildung 1.
geheilt entlassen werden konnte.
Gerade in der rechtzeitigen Anlegung
einer Gastrostomie möchten wir nämlich
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2079
15. Oktober 1907.
einen der H a u p t f a k t o r e n zur Sicherung
des Heilerfolges erblicken. wenn der Fremd-
körperdruck zu einer Speis e n ro h r en - B ron-
chien - Fistelbildung geführt hat. In der tage¬
nder wochenlangen Ausschaltung des Oesophagus durfte
dann die grössere Garantie des Erfolges liegen als in der
Wngeren Schlundsondenbehandlung. Führt doch erfahrungs-
gemäss eine längere Schlundsondenbehandlung fast ausnahms-
fos zu einer Oesophagitis und pflegt das dann vorhandene
Schlehnteutsekret zusammen mit den Entzündungsprodukterl ein
äusserst infektiöses Material bei vorhandener Möglichkeit einer
Lungenaspiration zu bieten.
Hinsichtlich des längeren Liegenlassens der Schlundson
bietet auch gerade der vorliegende Fall seine lehrreichen Seiten.
„ i Fall Fp+rifft einen 21jährigen, sonst völlig gesunden, kiaf-
Dvr a15irher am 12 November 1906 zur Aufnahme in die
tigen Knecht, welcher ^ am i 1 2. iNove dem gemachten
Ä ÄÄtÄ der
5ich £ SÄpS - »
(in der Achselhöhle gemessen) betragt 39,-.
Die Inspektion ergibt nichts Abnormes.
vorderem fgÄ ÄK
Ie™eknServonftvorue für das Vorhandensein
ei"eSBei TeftrynLskopischei, Untersuchung gewahrt man eine
deutliche Schwellung des Bereichs der ary-emglott,schen Falten un^
Aryknorpeln gelegenen
Raumes mit vielem
Schleim. Von aussen hat
man an der linken Hals¬
seite in der Höhe der
Glandula thyreoidea nach
dem Oesophagus zu das
Gefühl einer starken Re¬
sistenz und hier besteht
auch deutlich Druckemp¬
findlichkeit. Dieselbe ist
hier an umschriebener
Stelle so gross, dass mit
der Möglichkeit des Ein¬
dringens eines Fremd¬
körpers in die Umgebung
des Oesophagus gerech¬
net werden muss, so dass
die Oesophagotomie als
einziges Mittel bleibt, um
der Gefahr einer pro¬
gredienten Periösophagi¬
tis vorzubeugen, um den
weder mit der Sonde,
noch mit dem Oesophago-
skop nachweisbaren, ev.
in das Nachbargewebe
eingedrungenen Fremd¬
körper zu beseitigen. Die
anhaltende Abendtempe¬
ratur zwischen 39 und 40
macht die Gefahr der
Periösophagitis beson¬
der eindrucksvoll. Es
wird daher an der stark
druckempfindlichen links¬
seitigen Oesophaguswand
am 13. Nov. zur Oeso-
phagotomia externa ge¬
schritten (Prof. Fried-
Perforations¬
öffnung
Operations¬
wunde
Abbildung 2.
rieh). Der dem entsprechenden Oesophagusabschnitt anliegende
Schilddrüsenlappen erweist sich stark geschwollen ist aber o n
Fluktuation. Die Eröffnung des Oesophagus auf der Schlundsonde
zeigt die Oesophaguswand stark ödematos, fast matschig, ziernl ch
stark blutend, während im Speiseröhremnnern nirgends e n ben d-
körper ausgetastet werden kann. Partielle Naht des Oesopl.agu
Tamponade und offene Behandlung des offenbar inhzierten P« eno.
phagealen Gewebes und Einführen einer dünnen Schlundsonde dui
die Nase. Die Temperatur bleibt in der Folge dauernd hoch. Hs trete
die Erscheinungen einer doppelseitigen Lungenentzündung hinzu una
am Morgen des 16. November erfolgt unter Einsetzen von Lungen-
odem der Exitus le^s. Todesursache doppelseitige Unterlappen-
nneumonie und bronchopneumonische Herde in beiden Oberlappen.
Bei eenauer Untersuchung des in ganzer Ausdehnung aufgeschnittenen
OesSgus sieht man aSuf der rechten Seite der der Cart.lago cri-
coidea anliegenden Oesophaguswand ein durch die ganze Dicke der
lAleLhaif gehendes übliches Geschwür Ihm Wgmber . m der
rechten Seitenwand, befindet sich ein zweite längliches Wm .
im nhpren Teil desselben ein freies Loch. Durch dieses Kommt u
Sonde in eine zwischen Oesophagus und U|a"dSe‘rhVeeSd^;n™k
Teil in letzterer gelegene Abszesshohle. 3 cm tiefer sient man uie
durch Nähte geschlossene Oesophagotomiewunde. An der Voider-
wund des OefoSus zieht ein entzündlich geröteter Schleimhaut¬
streifen nach unten, in dessen Verlauf eine ganze Reihe flacher, lang-
liChe^f1TÄ“F au in^seinem eigenartigen Verlauf,
besonders hinsichtlich des raschen tothehen Ausgangs zu ei-
kla'w!r haben es hier offenbar mit einem jener prognostisch
äusserst ungünstigen Fälle zu tun, wo der Fremdkörper sei
frisch schon zu einer lokalen Ulzeration, Gangrän und re
oration der Speiseröhre geführt hat. Wie dies bei diesen
schwer septischen Fällen häufig der Fall ist, kam es weniger
zur Eiterbildung, als zu diffuser Zellgewebsmfiltration. Das
es sich bei dem jungen Manne von vornherein um eine se
schwere Erkrankung handelte, dafür sprach das bereits bei der
Aufnahme bestehende hohe Fieber sowie das schlechte Aus¬
sehen des Patienten, welches besonders wahrend dei Opera
in beängstigender Weise zutage tiat. ,
Ke Tatsache, dass der Fremdkörper bei der Oesophago-
tomie nicht mehr zu finden war, lässt sich wohl so erklären,
dass derselbe entsprechend den oben beschriebenen Druck-
p-PKchwüren im Oesophagus allmählich weiter nach unten ge-
rtckt ist und wahrscheinlich im Verlaufe der Operation durch
Einführung der Schlundsonde vollends nach abwärts ge
stossen würde. Vorderwan(i der unteren Oesophaguspartie
sichtbare entzündlich gerötete Sch.eimhautstre.kn rmt den
oberflächlichen Druckgeschwuren auch als eine W mkung des
hinabgleitenden Fremdkörpers anzusehen ist, muss damn
gestellt bleiben. Denn die Möglichkeit, dass es sich hier um
oberflächliche Schleimhautlasionen bei den Extrakt onsve
suchen oder um eine Druckwirkung der bei der Operation e
gelegten Schlundsonde handelt, ist nicht von der Hand zu
wefeen Allerdings spricht gegen die letztere Annahme die
Kürze der Zeit, während welcher die Schlundsonde in de
Speiseröhre lag. Bedeutung war im vorliegenden Fall von
Anfang wohl d"as Eindringen des Fremdkörpers in die Glandula
thyreoidea und die dadurch bedingte infektiöse Stramitis. Be
der Sektion Hess sich dieser Zusammenhang der Strum.tis-
entstehung deutlich erweisen. Wie es nun an sich se
gewöhnlich sein dürfte, dass ein Fremdkörper des OooidW»
innerhalb so weniger Tage durch Eindringen in die Schilddiuse
eine infektiöse Strumitis erzeugt, so ist von besond .rem n er
dass der diese schweren Komplikationen setzei
Fremdkörper in diesem Falle immerhin so klein war, dass M
der späteren Auffindung entging. Es . .. . ctumofen
Knochenstück mit spitzen einem Ende und kolbig stumpten
andeKamioydeerTph!ilohsan“ sLSsch nachgewiesen, dass
verschluckte Knochenstücke von allen Fremdkörpern it
grösste Mortahtatommt jn seiner umfassenden Zusammenstel¬
lung von 108 mit Oesophagotomia externa f® '®
operativem Eingriff die Prognose quoad vitam günstige g
'“‘Die beiderseitige Unterlappenpneumonie dürfte schon in
den ersten Tagen „ach Verschlucken des |^korpers e^
gesetzt haben, entsprechend dem bei aer oeimun
Beflnte;er Fall ist sonach durch die Eigenartigkeit der Fremd-
körprarvMleteung,* die* Komplikation der Strumitis, die mehr-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
fache Geschwürsbildung im Oesophaguseingang und die dekubi-
talen Veränderungen längs des ganzen Verlaufs des Oeso¬
phagus ausgezeichnet.
Einen günstigeren Ausgang nahm der 3., ebenfalls mit
Oesophagotomia externa behandelte Fall.
Am 25. November v. Js., vormittags 11 Uhr, wurde ein 5 jähriger
.lunge in die Klinik eingeliefert. Nach Angabe der Eltern hatte der¬
selbe vor ca. 3 Stunden eine Kravattenklammer verschluckt.
Kräftiger, gut genährter Junge. Gesichtsfarbe blass. Keine
Sufrokationserscheinungen. Ab und zu Erbrechen.
An der linken Halsseite, dicht an der Trachea, fühlt man ober¬
halb der Incisura jugularis in der Tiefe eine harte Resistenz, welche
leicht druckempfindlich ist.
, In dem von vorn nach hinten aufgehommenen; Röntgenbild
(Abbild. 3) sieht man in Höhe des 5. Hals- bis 1. Brustwirbels den
Abbildung 3.
Fremdkörper sitzen. Die Klammer, etwa 4 cm lang, befindet sich in
auti echter Stellung und in der Längsrichtung der Speiseröhre; sie ist
geschlossen, so dass die nach oben gerichteten Drücker maximal
gespreizt sind und die Oesophaguswand scheinbar nach links vor¬
wölben. Es ist dies die Stelle, welche auch äusserlich als harte
Resistenz fühlbar war. Der eine der beiden Drücker setzt sich nach
oben in einen Ring fort, während der andere mit einer scharfen
Kante abschliesst. Ausserdem sieht man nach beiden Seiten vor-
lagend die beiden Enden der in der Mitte befindlichen Feder.
Es war somit d'ie äussere Form des Fremdkörpers
für eine etwaige unblutige Extraktion vom Munde
aus so ungünstig wie möglich. Wohl wäre es ja unschwer
gelungen, mittels der Schlundzange oder im Oesophagoskop mittels
eines geeigneten Häkchens die Klammer zu fassen, ein Emporziehen
derselben wäre jedoch be'i der starken Spannung der Oesophagus-
wand nicht oder nur unter ausgedehnter Verletzung der letzteren
möglich gewesen.
Es wurde aus diesem Grunde gar kein Versuch einer Entfernung
des Fremdkörpers auf unblutigem Wege gemacht, sondern sofort
zur Oesophagotomia externa geschritten (Operat.: Dr. Heller).
leselbe wurde in typischer Weise ausgeführt und es gelang ohne
gi osse Schwierigkeit, den Fremdkörper zu entfernen.
Abbildung 4.
Abbildung 5.
Abbildung 6.
<chln«1n°n,Ä* wUI^-uT™r<1? brch einise Katsutnähte Se-
schlossen und die Wundhohle mit Jodoformgaze tamponiert Die
Ernährung ertolgte während der nächsten 8 Tage durch die Schlund
sonde. Im weiteren Verlaufe der Nachbehandlung trat eine Oeso
phagusfistel in der Wunde auf, welche sich jedoch nach wenigen
lagen wieder schloss, so dass der Junge 25 Tage nach der Opera¬
tion vollständig geheilt und beschwerdefrei entlassen werden konnte
Während in jedem der bis jetzt beschriebenen 3 Fälle nach
Lage der Verhältnisse die Ausführung der Oesophagotomia
exteina notwendig war, sollen die beiden letzten Fälle zeigen,
dass es mitunter gelingt, auch grössere, zackige und eckige
Körper mittels einfacher Instrumente auf unblutigem Wege zu
entfernen.
Da in beiden Fällen Anamnese, Befund und Verlauf keine
Besonderheiten aufweisen, so beschränke ich mich darauf, an
dieser Stelle die Abbildungen mit Angabe der Extraktions¬
methode wiederzugeben.
Im ersten Fall (35 jähriges Dienstmädchen) war es wieder eine
jebissplatte mit 2 Zähnen (Abbild. 5), welche während des nächt-
hchen Schlafes in die Speiseröhre hinabglitt. Durch reichliches Trin¬
ken von Flüssigkeit wurde das weitere Hinunterschluoken des Ge-
nsses zu erreichen gesucht, aber nachdem es doch in der Speiseröhre
hatten geblieben war und einen unangenehmen Druckschmerz zu erzeu¬
gen begonnen hatte, suchte die Patientin die Hilfe des Arztes auf. Der
Sdz des Fremdkörpers wurde oberhalb der Bifurkation der Trachea
Testgestellt und am Nachmittag des ersten Tages von Prof Fried-
r i c h die Extraktion ausgeführt. Bei dieser Tiefe des Sitzes konnte
iei unblutigem Vorgehen nicht mehr die Schlundzange erfolgreich an¬
gewendet werden. Nach vielfachen Erfahrungen mit dem sogen
W e i s s sehen Grätenfänger machte Friedrich auch bei diesem
Gebiss Gebrauch von (ihm, und gleich beim ersten Extraktionsver¬
such gelang es die ganze Platte mit in die Höfte zu bringen. Auch
hier glitt das Instrument durch die Höhlung der Prothese an dieser
vorbei, jenseits von ihr wurde der Haarschirm aufgespannt und das
Gebiss so nach oben gezogen.
Prof. Friedrich hat im Laufe der Jahre dieses Instru-
ment ganz besonders bevorzugt, weil es eben in einer grossen
Zahl von Fällen sehr viel leichter die unblutige Extraktion
lasch ausführen liess als alle die anderen dafür konstruierten
Instrumente, so dass wir heute den W e i s s sehen Gräten¬
fänger, nachdem durch Anbringung einer kleinen Arretierungs¬
vorrichtung ein bequemeres Einführen ermöglicht ist, beson¬
ders empfehlen.
Auch die nachfolgende, kurz zu beschreibende Fremd-
köt perextraktion, an sich durch die Art des Fremdkörpers
kurios, beweist erneut die Leistungsfähigkeit erwähnten In¬
strumentes.
Der 2 jährige Knabe M. B., Sohn eines. Ulanenwachtmeisters,
hatte mit dem stark zackigen Sporenrad eines Reiterspornes ge¬
spielt und dieses dann verschluckt. Die beifolgende Abbild. 6 zeigt
den Fremdkörper in seiner natürlichen Grösse und Form. Der Knabe
wurde 2 Stunden nach dem Verschlucken der Klinik zugeführt, wo
sofort die Extraktion von Prof. Friedrich ausgeführt wurde. Mit
vem eisten Extraktionsversuch wurde das Sporenrad durch den
Weis s sehen Grätenfänger gelockert, mit dem zweiten aus der
Speiseröhre entfernt.
Wir gehen unter Empfehlung dieses Instrumentes so weit,
dass wir die Ansicht vertreten, dass es in dem Instrumentarium
keines praktischen Arztes fehlen sollte, da es, vorsichtig ein-
geführt, nicht schaden kann und selbst zu schwierigen Fremd¬
körperextraktionen vielseitiger Verwendung fähig ist. Zudem
lässt sich mit dem Schwammende in demselben Akt, in dem
die Extraktion eingeleitet wird, mancher Fremdkörper mühelos
gegen den Magen hin nach unten stossen. Je rascher aber ein
in. die Speiseröhre eingedrungener Fremdkörper aus dieser
wieder beseitigt wird, um so mehr verringert sich die Gefahr,
die mit dem Eindringen jedes Fremdkörpers für den Träger
verbunden ist. Nebenstehende Abbildung (7 a und b) zeigt das
Instrument mit der von Prof. Friedrich angegebenen
Fixationsvorrichtung. Dieselbe wurde bereits mit Rücksicht
auf die grosse praktische Verwertbarkeit des Instrumentes von
lo[,’e,d r ‘c b i° Hildebrandts Jahresberichten, Jahrgang
V n ’ bescIFieben ur,d abgebildet, aber aus v. Hackers Dar¬
stellung in Bergmann - Bruns-Mikulicz’ Handbuch er-
sehen wir dass in ganz ähnlicher Weise Sympson schon
die Brauchbarkeit des Instrumentes zu erhöhen gesucht hatte
Durch die Abbildung erklärt sich die Verwendung des Instru¬
mentes von selbst. Die obere Hakenvorrichtung hat den
Zweck, ein vorzeitiges Aufspannen des Borstenschirmes
wahrend der Einführung des Instrumentes zu verhindern. Hat
man dasselbe über den Fremdkörper nach abwärts geführt, so
\\ erden die Haken geöffnet, der Schirm aufgespannt und das
Instrument mit aufgespanntem Schirm nach oben zurück-
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2081
Wir möchten sonach einesteils auf einen Teil der Eventuali¬
täten operativen Vorgehens bei den gefährlichen Kompli¬
kationen des Eindringens von Fremdkörpern in die Speiseröhre
hingewiesen haben, ganz besonders aber das Interesse der
praktischen Aerzte auf das zu stumpfer Fremdkörperextraktion
empfohlene Instrument erneut lenken, weil wir glauben, damit
manchem Arzte und Kranken einen guten Dienst zu tun.
Abbildung 7 a.
Abbildung 7 b.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof. Friedrich,
erlaube ich mir an dieser Stelle für die Ueberlassung des
Materials, sowie für die liebenswürdige Unterstützung meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Aus der Kgl- chirurgischen Klinik in Königsberg i. Pr. (Direktor:
Professor E. L e x e r).
Ueber die Behandlung tiefsitzender Fremdkörper des
Oesophagus.
Von Dr. W. E. L u n z e r, Volontärarzt.
Die Behandlung der Fremdkörper im Oesophagus kann
nicht nur dem praktischen Arzte sondern oft auch dem
geübten Chirurgen nennenswerte Schwierigkeiten be¬
reiten. Besonders steht der erstere denselben häufig ziemlich
ratlos gegenüber.
Wie bekannt, gibt es d r e i Lieblingsstellen für das Stecken¬
bleiben verschluckter Gegenstände im Oesophagus: die Höhe
des Larynx, die der Teilungsstelle der Trachea und die Stelle
knapp oberhalb der Einmüdung des Oesophagus in den Magen.
Entsprechend dem Sitze an einer dieser erwähnten Stellen ge¬
staltet sich unter Berücksichtigung der Grösse, Alt und Be¬
schaff iiheit des Fremdkörpers die Entfernung desselben, sowie
No. 42.
der dazu nötige Heilplan schwieriger und verwickelter. Bei
weichen, rundlichen Körpern mit glatter Oberfläche
wird man stets, sollten sie infolge ihres tiefen Sitzes vom
Munde aus mit Zangen nicht mehr erreichbar sein, ganz un¬
bedenklich den Versuch machen können, sie mit Schlundsonden
in den Magen zu befördern, ohne üble Zufälle befürchten
zu müssen.
Wesentlich anders liegt die Sache, wenn man es mit
eckigen, spitzen, scharfkantigen Gegenstän¬
den zu tun hat, wie z. B. Gebissen, welche nach
E g 1 o f f* * 3 4) in 62 Proz. der Fälle gefunden werden, soweit er¬
wachsene Personen in Betracht kommen. Ist der Sitz eines so
gearteten Fremdkörpers hoch in der Speiseröhre, dann ist seine
Entfernung aus derselben, besonders wenn es irgend möglich
ist, ihn dem Auge oder dem tastenden Finger zugänglich zu
machen, vom Munde aus mit entsprechend gebogenen Zangen
meist nicht schwierig. Steckt jedoch der Gegenstand tiefer,
dann sollte es nur zwei Wege geben, welche man
zur Erreichung des Zieles betreten dürfte: Die Operation
oder das Oesophagoskop.
Dieses eben sind die Fähe, die den praktischen Arzt in die
peinlichste Verlegenheit bringen können. Allgemein wird auf
die Gefahren aufmerksam gemacht, welche das Empor¬
ziehen dieser eckigen und scharfkantigen Gegenstände mit sich
bringen kann. Wie ein Gespenst droht die gefährliche M e -
diastinalphlegmone, welche von der kleinsten Oeso-
phagusverletzung ausgehen kann, so dass Münzenfänger und
ähnliche Instrumente nicht gut anwendbar sind. Andererseits
ist auch das Hinabstossen gefährlich, denn d.er Fremd¬
körper kann sich vermöge seiner unregelmässigen Gestalt sehr
leicht in tieferen Teilen der Speiseröhre einkeilen und ver¬
schlechtert dann die Lage des Kranken wesentlich. Deshalb
soll auch die Untersuchung mit der Sonde nur mit der grössten
Vorsicht ausgeführt werden, damit der Fremdkörper nicht noch
weiter nach unten befördert wird.
In dem Oesophagoskop haben wir ein Werkzeug ge¬
wonnen, auf schonende Weise zum Ziele zu gelangen und unter
Zuhilfenahme von langen Zangen den ins Gesichtsfeld einge¬
stellten Fremdkörper zu entfernen. Leider ist dieses Mittel
nicht Gemeingut aller Aerzte, da es einen ziemlich umständ¬
lichen Apparat, sowie vor allem gründliche Uebung verlangt.
In der Hand des Geübten sind jedoch die damit erzielten Erfolge
derartige, dass z. B. v. Hacker-’) wegen eines Fremdkörpers
im oberen Anteile des Oesophagus bis 26 cm hinter der Zahn¬
reihe seit 1878 keine Oesophagotomie mehr zu machen
brauchte. Allerdings führt auch dieser Heilplan nicht immer
zum Ziele, sodass für eine Anzahl von Fällen nur ein blutiges
Vorgehen von Erfolg begleitet sein wird.
Für die im untersten Abschnitte des Oeso¬
phagus sitzenden Fremdkörper ist wohl nur die Operation
das geeignete Mittel zur Entfernung. In solchen Fällen lässt
das Oesophagoskop im Stich und auf den Glückszufall, den
v. Hacker3 *) einmal erlebte, dass nämlich der tiefsitzende
Gegenstand beim Einführen des Oesophagoskop von selbst in
den Magen gelangte, kann man doch nicht rechnen.
Immerhin soll man gerade mit Rücksicht auf diese Fälle
einen Versuch mit dem Oesophagoskope machen, dies um so
eher, als heute der Vorwurf der Gefährlichkeit fiii dieses ’> ei-
fahren nicht mehr zu Recht besteht.
Als nötige Operation kommt bei so tief sitzenden Fremd¬
körpern allein die Gastrotomie in Betracht. Diese wurde
bis jetzt nach v.Hackers Statistik 24 mal ausgeführt, wobei
es 20 mal gelang, den Fremdkörper, wenn auch unterstützt
durch Entgegendrücken desselben mit vom Munde aus einge¬
führten Sonden (Morton4, W i 1 m s ") ferner duich Durch¬
ziehen von an Sonden befestigten Schwämmchen (Bull ),
Finney7) oder durch Sondierung vom Magen her (L e -
*) v. Bruns: Beitr. z. klin. Chir., Bd. 42.
-) Handbuch der Chirurgie S. 407, II. Bd.
3) v. Bruns: Bruns’ Beitr. 1900, Bd. 29.
4) Annals of Surgery, April 1896.
5) D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 60, S. 348.
G) New York Med. Journ., V, p. 481.
7) Bull, of the John Hopkins Hospital, Vol. 3, No
26.
2
20S2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
j a r sh), K ö r t e9) zu entfernen. In neuester Zeit hat B i 1 1 o t10)
einen Fall veröffentlicht, wo er bei einem 22 Monate alten Kinde
ein grösseres Eisenstück durch Gastrotomie entfernte. Der Er¬
folg war günstig.
Das Bestreben der Operateure ging stets dahin, die In¬
fektionsgefahr durch Anlegen eines möglichst kleinen Magen¬
schnittes und durch extraperitoneales Arbeiten zu verringern.
Da sich beide Bestrebungen nicht wohl vereinigen lassen, in¬
dem es in der Mehrzahl der Fälle nicht möglich sein dürfte, mit
dem Finger von der vor die Bauchdecken vorgezogenen
Magen wunde aus in die Kardia und in den untersten Teil des
Oesophagus zu gelangen, hat W i 1 m s lx) ein neues Verfahren
erprobt, welches einerseits die Magenwunde auf das kleinst-
mögliche Mass bringt, andererseits uns in den Stand setzen
soll, ohne Angst vor dem ausfliessenden Mageninhalt und der
dadurch möglichen Infektion in der freien Bauchhöhle zu ar¬
beiten. Wilms führt den mit einem Kondomfingerling ge¬
schützten Finger durch eine gerade für diesen genügend grosse
Magen wunde ein und lässt sich diesen durch eine früher schon
angelegte Tabaksbeutelnaht einbinden. So wird wohl das Aus-
fliessen von Mageninhalt sicher vermieden, doch kann diese
Art des Vorgehens nicht überall zum Ziele führen; denn
abgesehen von den Schwierigkeiten welche das Auffinden der
Kardia macht, nimmt man sich die Möglichkeit, ein entsprechen¬
des Werkzeug mit einzuführen, welches man in vielen
Fällen, besonders bei etwas höherem Sitze des Fremdkörpers
über dem Mageneingange, nötig hat.
Die Sterblichkeitsverhältnisse bei der Gastrotomie sind als
günstige zu bezeichnen. Von den 25 Operierten starben zwei
und nui einer dieser Todesfälle kann der Operation unmittel¬
bar zur Last gelegt werden. (Fall Morton: Peritonitis.12)
Der andere (Fall T rendelenburg13) erlag seiner schon
\or der Operation infolge von Oesophagusperforation ent¬
standenen gangränösen Pneumonie. Dagegen gelang es in
4 Fällen nicht, den Fremdkörper zu finden.
An der Königlichen chirurgischen Klinik hatten wir Ge¬
legenheit, einen Fall zu behandeln, der in mehrfacher Beziehung
Interesse erwecken dürfte. Am 22. November 1906 wurde der
46 jährige Bernhard B. aufgenommen, der folgende Anam¬
nese angibt:
v, i^i babe ™ Apiil 1905, also vor °U Jahren sein aus einer Kaut¬
schukplatte und 4 5 Zähnen bestehendes Gebiss verschluckt. Dieses
sei anfangs in der Höhe des Kehlkopfes stecken geblieben. ' Er ging
sofort zum Arzte, der mit einer Sonde das Gebiss in den Magen zu
stossen versuchte. Der Fremdkörper blieb jedoch in der Mitte der
Brust stecken, und, da die Vornahmen des Arztes dem Kranken be-
Rp1hanHfhmer^u1 yeruJ'sachten’ verzichtete dieser auf eine weitere
^ifldttpnShpfniSfder PHtle,D ln f en nächsten Tasen keine Besch wer-
nij'a,tlte’ befolgte er den Rat des Arztes nicht, sich in chirurgische
5 hh.rthpCSiiZU b?geben- Jetzt hat er seh etwa einem Vierteljahre
Schluckbeschwerden, indem grössere Bissen nur unter Schmerzen
te?e11R rSebraC+t wer^en können. In allerletzter Zeit musste er här¬
tere Bissen unter schmerzhaftem Würgen ausspeien. Deshalb liess
wurde1- ^ hl6Slge Klmik aufnehmen> wo folgender Status erhoben
Uebermittelgrosser, stark abgemagerter Patient, dessen innere
?piSfei,aUSSer euVer schweren, beiderseitigen Bronchitis mit ungemein
wdsen hlaSenSCh eimig“eitngem Auswurfe nichts Abnormes nach-
o, uDJe Untersuchung des Oesophagus mit Sonden ergibt, dass
auch die dicksten, z. B. No. 26, ohne a u f e i n Hindernis
zu stossen, bis in den Magen eingeführt werden können. Die
auf einen' har\en°wÄ^d el"era AbS‘a"de V°n 42 Cm kaum eben
. !e am -9- November 1906 vorgenommene Oesophago-
ok ° ® T" erge'bn‘slos. Das Oesophagoskop glitt stets an der
. tülc, wo der vermutete bremdkörper sitzen musste vorüber ausser
befö ST6 S vH Cine Schleimhautfalte vor das Instrument, welche auch
b S ehj/°ri und Ruckwärtsschieben desselben nicht verschwand
Nachdem sich die Bronchitis gebessert hatte, wird am 12 De
2ember 1906 zur Operation (Prof. Lexer) geschritten.
s) Semaine medicale, V. 99, p. 12.
i<nHAeiLzfeld: Zentralbl- f- Chir. 1898, No. 10.
Chir. 1907^S 295 ^ et ^ pharmac< militaire 1906, ref. Arch. f.
u) D. Zeitschr. f. Chir., 360, 1901. S. 348.
) Annals of Surgery 1896, April.
) Zahn: Inaug.-Diss., Leipzig 1906.
Ruhige Chloroformnarkose ohne Zwischenfall. Mediane Laparo¬
tomie vom Schwertfortsatze bis zum Nabel reichend. Nach Er¬
öffnung des Peritoneums stellt sich der kleine Magen ein, der sich
leicht vorziehen lässt. Er wird mit 2 Seidennähten angeschlungen
die freie Bauchhöhle gründlich mit Kochsalzkompressen abgedeckt
und in der linken Hälfte, in der Mitte zwischen grosser und kleiner
Kurvatur, eine etwa 2 cm lange Oeffnung angelegt. Der durch diese
in den Magen eingeführte und dicht abschliessende Finger gelangt
zwar leicht in die Kardia und in den Oesophagus, ein Fremdkörper
kann jedoch vorerst nicht getastet werden. Es wird daher die Magen-
w linde vergrössert und mit der ganzen Hand eingegangen. Es ge¬
lingt nun mit der Spitze des dritten Fingers im Oesophagus einen
harten Körper zu fasten, wenn man sich mit dem hakenförmig ge¬
krümmten zweiten Finger gleichzeitig die Kardia und das Zwerchfell
so stark als möglich herunterzieht. Nach vieler Mühe gelingt es, den
rremdkörper mit einer gebogenen Kornzange neben dem tastenden'
mgei zu fassen und herauszuziehen, wobei die ihn fest umfassende
Narbe der Speiseröhre, wie die geringere Blutung zeigt, vor gröberer
Verletzung bewahrt wird. Der Magen wird mit fortlaufender, zwei¬
reihiger Naht geschlossen. In der Gegend der Kardia, dicht am
Zwerchfell, wird ein Jodoformtampon eingeführt. Am 22. Januar 1907
wurde der Patient geheilt, ohne die geringsten Schluckbe¬
schwerden, entlassen. Die Bronchitis war im Verlaufe seines Aufent¬
haltes in der Klinik fast vollständig verschwunden.
Der entfernte Fremdkörper ist ein Gebiss in der Grösse 3Vz:6 cm.
.s besteht aus einer stark gewölbten Kautschukgaumenplatte, an
welcher sich 3 Zahne befinden. Ein vierter wurde beim Fassen mit der
Kornzange abgebrochen.
Dieser Fall war in mehrfacher Hinsicht von Interesse. An¬
fänglich Hessen fast alle Methoden, den genauen Sitz des
remdkörpers festzustellen, im Stiche. Die dicksten Schlund¬
sonden konnten anstandslos bis in den Magen eingeführt
werden, v. Hacker14) erklärt dieses auch von ihm beob-
achtete Zutreffen einleuchtend damit, dass die elastische Sonde
in dem Bestreben, sich gerade zu strecken, vorzugsweise die
hintere Oesophaguswand betastet, weshalb er für solche Fälle
die Benützung der Olivensonde oder des von ihm angegebenen
Instrumentes empfiehlt. Besonders häufig soll dieses Vorbei¬
gleiten der Sonde bei Gebissen Vorkommen, wenn diese mit
mrer Konvexität der konkaven Vorderwand des Oesophagus
anlagen. Auch in unserem Falle gelangten wir erst mit der
Ohvensonde zum Ziele. Der getastete Widerstand war jedoch
so gering, dass genauere Schlüsse aus diesem Befund nicht zu
ziehen waren.
Wesentliche Klärung der Verhältnisse brachte erst die
Untersuchung mit den R ö n t g e n s t r a h 1 e n. Anfänglich war
allerdings die Durchleuchtung nicht von Erfolg begleitet Da
es ziemlich verständlich ist, dass bei der Durchleuchtung in
■sagittMer Richtung der für die Strahlen, wie in unserem Falle
leicht durchgängige Fremdkörper durch den Herz- und
Wirbelsaulenschatten gedeckt wird, ist die sogen. Fechter¬
stellung für diese Zwecke als geeignetste angegeben worden
Es ist dies jene Stellung, bei welcher die Strahlen von vorne
rechts nach hinten links durch den Körper durchtreten. Auch
diese Untersuchung war in unserem Falle ergebnislos. Von
ur ana?01™schen Lage des Oesophagus zwischen Herz und
Wiibelsaule ausgehend, versuchten wir noch die Durch¬
leuchtung in rein frontaler Richtung, wiewohl hiervon mit Rück-
filc aaU m16 ^Uahrijri2en anderer wegen der geringen Grösse
i6S durchleuchteten Körpers nicht viel zu erwarten war. Und
doch bekamen wir jetzt am Schirme aufs deutlichste den ge¬
suchten Fremdkörper zu sehen. Die in dieser Stellung auf¬
genommene Platte zeigte uns im untersten Abschnitte des Oeso¬
phagus das Gebiss, und zwar lag es so, dass die Zahnkrümmung
nach aufwärts, die Enden der Bögen nach abwärts sahen und
die Gaumenplatte frontal stand. Nachdem auch anderweitig
über das negative Ausfallen der zur Sicherung der Diagnose
allenthalben stets verlangten Röntgenuntersuchung berichtet
wurde so glauben wir auf Grund unseres Erfolges uns zu dem
Rate beiechtigt, man möge beim Versagen der anderen Stel-
ungen noch einen Versuch in rein frontaler Stellung machen.
Vollkommen im Stich wurden wir von der Oesophago-
svopie gelassen. Nichts verriet im Bilde die Anwesenheit eines
Fremdkoipers. Keine auffällige Rötung, keine Hämorrhagie
der Schleimhaut konnte aufgefunden werden. Die stets vor
dem Instrumente herziehende Schleimhautfalte liess sich durch
keinen Kunstgriff wegbringen. Grund für dieses Verhalten
durfte unserer Meinung nach der Sitz des Fremdkörpers ab-
14) Handbuch S. 404.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2083
geben Wie das Röntgenbild zeigte, bestand im untersten Stück
der Speiseröhre eine bedeutende Erweiterung, in deren vor¬
derem divertikelartig ausgebuchtetem Anteil das Gebiss lag.
Die von oben her mitgebrachte Falte wurde nun vom Oeso-
ohagoskope über das Gebiss hinweg visierartig geschoben. Bei
der ungemein festen Verkeilung des Gebisses erscheint es
fraglich, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, den Fremd¬
körper auf diese Weise zu entfernen, wenn man sich erinnert,
welche Schwierigkeiten z. B. Kausch1“) bei einem nur 25 cm
hinter der Zahnreihe sitzenden Gebisse zu überwinden hatte.
Schliesslich gelang ihm die Entfernung doch mit Hilfe eines
grossen spitzen Hakens, eines Werkzeuges, welches mir nicht
geeignet erscheint, die Gefahren des Eingriffes wesentlich
herabzusetzen^ation erwies sicl, a|s technisch ungemein
schwierig. Anfänglich wurde der Versuch gemacht nach Ar
der von Wilms angegebenen Methode vorzugehen. Die
Kardia wurde entgegen den Angaben anderer Autoren muhdos
und sofort gefunden. Doch konnte der hochsitzende Fremd¬
körper mit dem einen durch die kleine Magenwunde einge¬
führten Finger nicht erreicht werden. Man gelangte ia au^
nach Vergrösserung der Magenwunde mit der Fingeikupp
eben nur an den Fremdkörper heran. Ein Herausbefordern
wäre auf diesem Wege ganz ausgeschlossen gewesen. Es
müssen daher besonders günstige Verhältnisse vorhegen, um
mit dieser Art des Vorgehens beim Erwachsenen wenigstens zu
dnem Ziele zu gelangen. Bei Kindern, wo die anatomischen
Verhältnisse wesentlich kleiner sind, wird es gewiss öfters ge-
lingen mit Hilfe der von Wilms angegebenen Methode den
Fremdkörper zu entfernen. Uebrigens sind ja die Gefahren
eines grösseren Magenschnittes keineswegs allzuhoch anzu-
schlagenlwenn man nur die freie Bauchhöhle gut abdeckt und
Gummihandschuhe wenigstens für den Eingrifl ^'m Ma2en ; „och
benutzt Beim Eingehen mit der ganzen Hand hat man nocn
den Vorteil dass man sich, wie es in unserem Falle notwendig
war, die Kardia herabziehen und dadurch den Fremdkörper
näher bringen kann.
Ein Beitrag zur Aetiologie der Perityphlitis.
Von Dr. J. P. Naab in Biebrich a. Rh.
Als ich während meiner mehrjährigen Tätigkeit in Diarhekr
a Tigris Ende 1901 eine Zusammenstellung der von mir be-
handfiten Kranken machte, ergab sich ein Bild das m v.eten
Punkten grosse Abweichungen von dem in Deutschland De
kannAm auffen'dsten war es, dass sich nur ein einziger leichter
Peritvphlitisfall unter ihnen fand. Ich wendete deshalb in den
folgenden Jahren meine ganze Aufmerksamkhelthf.ie^rr ^nter-
heit zu sowohl bei der Anamnese als auch bei d er Unter
suchung wenn nur der leiseste Verdacht auf Blinddarment¬
zündung bestand. Und trotzdem konnte ich in den fo genden
Jahren nur noch einen Fall von Perityphlitis feststellen, der
operativ zur Heilung kam. Im Jahresdurchschnitt . hatte ^ch
1732 Patienten behandelt und dabei nur alle 2 Jahre einmal
Blinddarmentzündung gesehen.
Für Obermesopotamien haben wir also die merkwui ige
Tatsache festzustellen, dass von 6800 b^handelt^no5^teänden
zwei = 0,03 Proz. an Perityphlitis und deren
litten. Ich erkundigte mich bei mehreren europäischen Aer: z
in der asiatischen Türkei und alle bestätigten die auffallende Er¬
scheinung, dass Perityphlitis im Orient ausserst seifen beob¬
achtet werde. So konnte mein nächster Nachbar Dr C h i
in Urfa etwa 4 Tagereisen weiter westlich, wahrend fu
jähriger Tätigkeit nur zwei Fälle von Perityphlitis feststellen,
„obschon er sich in allen Fällen von Leibschmerzen etc. b -
mühte, eine Perityphlitis herauszufinden ; und dabei kathte
ein bedeutend grösseres Krankenmaterial zur Beobachtung
gehabtes ich.^ ^ ^ Blinddarmentzündung in den grossen
Städten der syrisch-kleinasiatischen Küste auf. Konstantinopel,
151 Med Klinik 1906, No. 51 — 52. . . ,
0 H. C r i s t: Medizinisches aus dem Orient (in der Medizinischen
Klinik 1905, No. 33).
zumal als Uebergangsstation nach Europa, liefert uns da sehr
interessante Zahlen aus zwei grossen, von Deutschen geleiteten
Krankenhäusern. Besonders wertvoll sind die sehr ausführ¬
lichen Aufstellungen aus dem Krankenhause der Medizinschule
in Gülhane-Stambul (Prof. Rieder-Deycke)2), da vor
allem auch ein grosses poliklinisches Krankenmaterial dabei
bearbeitet ist, das sich hauptsächlich aus Eingeborenen zu¬
sammensetzt. Unter 21 562 beobachteten Fällen wurde 38 mal
= 0,18 Proz. Perityphlitis festgestellt. Von den 1899/1903 auf
die innere und chirurgische Station aufgenommenen 5302 Kran¬
ken war Perityphilits mit 18 Fällen = 0,3 Proz. vertreten.
Bedeutend ungünstiger gestaltet sich das Verhältnis in dem
deutschen Hospital in Konstantinopel, in dem fast ausschliess¬
lich die Bewohner aus den Europäervierteln Pera und Galata
Aufnahme finden. Dort wurden im Jahresdurchschnitt auf dei
inneren und chirurgischen Abteilung 1412 Personen verpflegt,
darunter 37 Blinddarmkranke = 2,6 Proz.
Ausserordentlich zu bedauern ist es, dass die Statistik dci
grossen Krankenhäuser in Deutschland für unsere Aufstellung
völlig versagt; denn das vom Reichsgesundheitsamt aufgestellte
Formular kennt die Rubrik dieses so fest umgrenzten Krank¬
heitsbildes: „Perityphlitis mit Folgezuständen“ leider noch
nicht. Bei ihm geht Perityphlitis zusammen mit Peritonitis,
einerlei ob letztere durch perforierende Magendarmge¬
schwüre, Gallenblasenempyeme oder Appendizitis entstanden
ist Mithin ist es auch vorläufig für Deutschland unmöglich zu
einem genauen Schluss über die Häufigkeit der Perityphlitis zu
kommen. , , , .
Nur manche Privatkrankenhäuser haben, da sie an das
offizielle Schema nicht gebunden sind, die Pentyphht18 und
daraus entstandene Peritonitis besonders aufgefuhrt. So hatte
Paulinenstift-Wiesbaden unter 2916 stationären Patienten 8-
Perityphlitisfälle = 2,8 Proz., ähnlich dem Verhältnis im Pera-
Zusammengefasst ergibt sich für die Häufigkeit der Peri¬
typhlitis für den Orient:
Asiatische Türkei: OJBProz. aUer B ’
Konstantinopel (Türkenspital): |q’3 ” der stationären Kranken.
Konstantinopel (Deutsches Spital) : 2,6 „ r *
Um Klarheit über die relative Häufigkeit der Perityphlitis
im Orient und Deutschland zu bekommen, bleibt uns einst¬
weilen kein anderer Ausweg, als die viel genauer aufgestellten
Operationsstatistiken heranzuziehen; und zwar werden wir
zur besseren Uebersicht die meist getrennt genannten Eingri re.
Exstirpation im Anfall, Inzision bei Abszess und Resektion im
Intervall zusammenfassen als chirurgische Eingriffe bei i eri-
typhlitis und Folgezustände.
Von meinen beiden am Tigris beobachteten Perityphhtis-
fällen kam einer durch interne Behandlung, der andere durch
Operation zur Heilung. Das bedeutet für meine in 3 Jahren dort
ausgeführten 980 Operationen 0,1 Proz. wegen Perityphlitis
Mein Nachbar Dr. Christ in Urfa hatte in 4 fahren 1466
Operationen, davon nur eine wegen Perityphlitis — 0,07 1 roz^
Dr. Shepard in Aintab nördlich von Aleppo hatte z. B. 1904
unter 546 Operationen, davon 32 Laparotomien, keinen einzigen
Perityphlitisfall. Das heisst also für diese 3 Platze im Innern
der asiatischen Türkei, dass im Jahresdurchschnitt unter 1000
Operationen etwa 1 wegen Perityphlitis ausgefuhi vn
In der Metropole Konstantinopel hatte Prof. R i e d e r in
seinem Krankenhaus Gülhane dessen Kranken ähnlich wie bei
uns im Innern sich aus Türken, Kurden, Armeniern etc. . zu-
sammensetzen unter 2545 grösseren Operationen nur 8 mal -
0 3 Proz wegen Perityphlitis einzugreifen. Auffallend ist
wieder, wie sich das Bild in der gleichen Stadt ändert, wenn
wir die Statistik des deutschen Hospitals auf der anderen Seite
des goldenen Horns mit seinen Patienten aus den Frankenstadt
teilen gegenüberstellen. Dort musste im Jahresdurchschnitt bei
651 Operationen 22 mal = 3,3 Proz. wegen Perityp i is ope-
rierVür Deutschland ergeben die Jahresberichte der grösseren
Krankenhäuser ziemlich ähnliche Zahlen. Ich führe
*) Rieder: Für die Türkei. Selbstgelebtes und Gewolltes.
Bd. 2. 2*
2U84
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
2 an, welche zugleich eine grössere Differenz in Prozenten
aufweisen.
Allgemeines Krankenhaus in Eppendorf:
1903 von 2954 Operationen 151 wegen Perityphlitis = 5 Proz.
1904 „ 3433 „ 246 = 7 „
1905 „ 3398 „ 303 „ == 9 „
Städtisches Krankenhaus am Urban:
1901 von
1400 Operationen 116
wegen
Perityphlitis = 8,3”Proz.
1902 „
1690
150
yy
= 9
1903 „
1665 „
197
yy
„ =11,8 „
1904 „
1712
225
V
» = 13,1 „
Eppendorf und Urban
zusammen
unter 16,252 Operationen
1388 wegen Perityphlitis = 8,5 Proz.
Kurz zusammengefasst ergibt sich, dass bei mehrjährigem
Durchschnitt unter den operativ behandelten Fällen wegen
Blinddarmentzündung und Folgezustänien eingegriffen wurde:
Innere asiatische Türkei in 0.1 Proz. d. Fälle
Konstantinopel Stambul Türkenhospital Giilhane „ 0,3 „
Konstantinopel Pera Deutsches Hospital „3,3 " ”
Deutschland: Hamburg-Berlin „8,5 l l l
Ich bin mir vollkommen klar darüber, dass diese letzte
Zusammenstellung für die Häufigkeit der Perityphlitis keinen
vollgültigen Beweis erbringen kann. Immerhin haben wir
dabei nur solche Krankenhäuser berücksichtigt, welche deutsche
Aerzte leiten, und sind deshalb zur Annahme einer gleichartigen
Indikationsstellung für die Operation berechtigt. Auf alle Fälle
beweist aber die vorhergehende Allgemeinstatistik, dass Peri¬
typhlitis bei einem Vorkommen von 0,03—0,18 Proz. fast eine
unter dem türkischen Volke unbekannte Krankheit genannt
werden muss und selbst in der gleichen Stadt 10 mal seltener
unter ihm beobachtet wird als unter Europäern.
Diese auffallende Tatsache legt es nahe, bei jenem Volke
eine weitere Rückbildung des rudimentären Wurmfortsatzes
zu vermuten. Leider stehen dieser Feststellung heute noch
grosse, teligiöse Hindernisse im Wege. Nur in Küstenplätzen
haben einige Krankenhäuser Sektionserlaubnis durchgesetzt.
So berichtet Dr. Dschebadschian aus Beirut auf die
Frage: Warum ist Appendizitis nicht häufig im Orient? „Ich
hatte Gelegenheit 40 Leichen genau zu untersuchen; unter diesen
hatten 2 überhaupt keinen Appendix und die meisten der üb-
ligen hatten einen sehr rudimentären, fadenartigen, einigemale
ohne Lumen“.
Das sind keine wesentlichen Abweichungen von den uns
bekannten Tatsachen; denn auch in Deutschland fehlt der Pro-
zessus manchmal ganz oder ist stark geschrumpft. Und in
bezug auf die Obliteration des Lumens stellte Nothnagel
fest, dass im 60. Lebensjahre in 50 Proz. der Fälle partielle
oder totale Obliteration bei völlig frei beweglichem Wurmfort¬
sätze festzustellen war. Nach Ribbert und Zucker¬
kand 1 ') spielen sich im Proc. vermiformis Involutionsvor¬
gänge ab, die mit dem 5. Lebensjahre beginnen und zur Obli-
teration in grösserer oder kleinerer Ausdehnung führen. Sie
landen in 25 Proz. aller Fälle den Prozessus partiell oder total
\ erschlossen, ohne dass abgelaufene Entzündungserscheinungen
"acl™eisen waren- — Eine Rassendifferenz in Bezug auf den
Ruckbi dungsgrad des Wurmfortsatzes lässt sich also kaum
teststellen. Wohl aber könnte innerhalb desselben Volkes ein
besonders lang entwickelter Prozessus als Familieneigentüm¬
lichkeit eine gewisse erbliche Veranlagung zur Perityphlitis be¬
dingen resp. eine Heredität der Krankheit Vortäuschen (vergl.
lesch: ^rPathologie der Appendizitis; Münch, med.
Wochenschr. 1907, No. 5).
Da ferner bei der Perityphlitis kein spezifischer Krankheits¬
erreger in Betracht kommt, dürfen wir auch nicht Immunität
jenes Volkes gegen denselben annehmen. Auch die klima¬
tischen Verhältnisse können keinen direkten Einfluss haben da
wir ja ui derselben Stadt im Europäerviertel die Perityphlitis
zehnmal häufiger fanden, als in dem Türkenstadtteil.
Es bleibt also nur übrig, die grundverschiedene Ernährung
der Orientalen und Europäer für die Seltenheit resp. Häufig¬
keit der Krankheit verantwortlich zu machen. In dieser Auf-
fassung bestärkt mich die Tatsache, dass man bei uns in
Deutschland, also innerhalb desselben Volkes, in falscher Er¬
nährung und deren Folgen das wichtigste ätiologische Moment
der Blinddarmentzündung sah. Leider konnte man sich noch
nicht darüber einigen, worin diese verkehrte Ernährung be¬
steht.^ Lange Zeit glaubte man die Ursache in dem Eindringen
von Fremdkörpern, Obstkernen etc. in den Prozessus gefunden
zu haben. Aber dann müsste die Krankheit im Orient noch viel
häufiger sein als bei uns, da dort das Volk in den Sommer¬
monaten fast ausschliessljch von Früchten, Melonen, Trauben,
Feigen etc. lebt und dabei alles verschluckt. Uebrigens hat
man auch in Deutschland nur sehr selten solche Fremdkörper
im Prozessus bei der Operation finden können.
Am verbreitetsten ist wohl die Ansicht, dass Stuhlträgheit
die Entstehung der Perityphlitis ausserordentlich begünstige,
ja sogar verursache. Indes habe ich bei meinen Patienten im
Orient die Obstipation eher häufiger angetroffen als hier. Auch
Riede r P ascha schreibt 2): „Unter meinen Kranken findet
sich Obstipation mindestens ebenso häufig als in Deutschland.“
„Perityphlitis zu beobachten, hatten wir nur selten Gelegenheit
gehabt; bei Europäern in Pera soll sie häufig Vorkommen“, wie
es meine obige Aufstellung klar dartut.
Daraus geht hervor, dass Stuhlträgheit an sich keine Peri¬
typhlitis auslöst, sondern dass in der Verschiedenartigkeit der
Ingesta und deren Verhalten im Darm die wahre Ursache für
die Differenz im Auftreten der Krankheit gesucht werden muss.
Und da ist cs geradezu erstaunlich, zu sehen, welche enorme
Mengen Pflanzennahrung der Orientale täglich vertilgt und
welch untergeordnete Rolle das Fleisch in seinem Haushal¬
tungsplane spielt. Ochsen- und Schweinefleisch kennt er über¬
haupt nicht und Hammelfleisch sieht der gewöhnlich Mann alle
8 Tage auf seinem lisch; Brot, Reis und Früchte bilden seine
Nahrung. Der reiche Städter isst wohl täglich ein Fleisch¬
gericht, aber es verschwindet völlig hinter der Unmenge vege¬
tabiler Beigaben. Sicherlich ist es kein blosser Zufall, dass
meine beiden Perityphlitisfälle in den wohlhabendsten Familien
der Stadt vorkamen.
Da aber nach dem Gesagten solch zellulosereiche, vegeta¬
bilische Nahrung ebenso häufig Obstipation verursacht ohne
gleich häufig auftretende Perityphlitis, so müssen wir an¬
nehmen, dass diese reichlichere, den Darm mechanisch mehr
anregende Kost, ohne chemisch zu reizen, eine erhöhte Peri¬
staltik auslöst, um solch grosse Mengen, wenn auch relativ
langsam, vorwärts zu bewegen, wodurch gleichzeitig der
)a rin k anal gewissermassen ausgefegt und Stagnation einzelner
Skyballa verhindert wird.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei Obstipation infolge
vorwiegender Fleischnahrung; die Gesamtmenge ist bedeutend
kleiner und erfordert infolgedessen nur geringe Peristaltik zur
Fortbewegung. Dazu dickt sich der Darminhalt bei Fleisch¬
kost weiter oben ein und bildet dort einzelne harte Kotballen,
die sich sehr leicht in den Ausbuchtungen des Blind- und Dick¬
darms fangen und durch länger dauerndes Verweilen an einer
Stelle Schleimhautreizung verursachen können4). Die un¬
mittelbare Folge dieses mechanischen Reizes ist gar nicht selten
erhöhte Peiistaltik und Sekretion mit plötzlich einsetzender
Diarihoea stercoralis. Treten noch pathogene Elemente hinzu
so haben wir eine wirkliche Schleimhautentzündung am Ort der
Kotstagnation 5), die sich leicht fortpflanzen kann. Dass der
linddarm eine Prädilektionsstelle für solche Koprostasen und
Koprolithen bildet, ist allgemein anerkannt und die Gefahr einer
dadurch verursachten Typhlitis stercoralis mit Uebergang in
I erityphlitis vorhanden. Ewald0) rechnet sogar mit der
Möglichkeit, dass einseitige Fleischnahrung gewisse Digestions-
produkte einseitig überwiegen lässt, welche bei ihrer Resorp¬
tion in loco eine Lähmung der Darmnerven zur Folge haben
und so zu Kotstauung mit allen Folgeerscheinungen führen
wobei Penzoldt noch ganz besonders die Bildung von
Fäulnisgasen als Schädigung für die Mukosa erwähnt.
Wir wären damit zu dem Schlüsse gedrängt, dass sowohl
nach den statistischen I atsachen als nach den theoretischen
Erwägungen nur die Kotstauung bei der ballast-
D Sch Unge:: Handbuch der praktischen Chirurgie, Bd. III,
0 P
5) S
°) L
enzoldt und Stintzing: Bd. IV, S 510 u f
trümpell: Bd. II, S. 142.
eyden: Ernährungstherapie, Bd. II, S. 245.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2085
a r m e n Fleischnahrung Ursache einer lokalen Ent¬
zündung und damit einer Typhlitis und Peritonitis bilden kann.
Das schliesst selbstverständlich nicht aus, dass gelegentlich
auch andere Dinge, z. B. genuine Enterokolitis eine Perityphlitis
verursachen, wie es Q u i n o n ) fiii das KindesalLr nach¬
gewiesen hat. , . . . ,
Hatte uns der Orient gezeigt, dass dort bei minimalem
Eleischgenuss, resp. vorwiegend vegetabilischer Nahrung, die
Perityphlitis fast unbekannt ist, so beweisen uns die Zustände in
Deutschland, dass mit zunehmendem Fleischkonsum auch diese
Krankheit häufiger geworden ist. Hier heisst es schon lange,
dass Perityphlitis hauptsächlich eine Krankheit der besseren
Stände ist Auch dass die Stadtbevölkerung eki grösseres
Kontingent stellt als das platte Land, ist öfter erwähnt worden.
Charakteristischerweise fällt auch das häufigere Auftreten der
Krankheit in den letzten Jahren mit dem statistisch festgestell¬
ten gesteigerten Fleischkonsum zusammen. Dass übrigens die
Zunahme der Perityphlitis eine tatsächliche ist und nicht bedingt
durch exaktere Diagnosestellung, beweisen verschiedene Auf¬
stellungen der letzten Jahre; ich führe hier nur ein Beispiel von
vielen an. Im Krankenhaus am Urban wurden auf der inneren
und äusseren Station unter Abzug der Verlegten verpflegt.
1901- 8674 Kranke mit 188 Peritvphlitisfällen = 2,2 Proz.
1902: 9702 „ „ 202 „ = 2,6 „
1903: 9706 „ * 263 „ = 2,7 „
1904: 8680 „ „ 319 „ — 3,7 „
Also in 3 Jahren nahezu eine Verdoppelung, die sicher
nicht nur durch häufigeres Einweisen ins Krankenhaus bedingt
ist. Völlige Klarheit werden wir allerdings erst bekommen,
wenn durch genaue Einzelaufstellung vor allem auch der prak¬
tischen Aerzte festgestellt wird, aus welchen Bevölkerungs¬
schichten sich die Perityphlitiskranken rekrutieren, unter Be¬
rücksichtigung der gewohnten Lebensweise.
Unsere Untersuchung hat ohne Zweifel einen innigen Zu¬
sammenhang zwischen Perityphlitis und Fleischkost ei kennen
lassen; beider Kurven bewegen sich stets in gleichem Sinne,
ob man ganze Völker mit einander vergleicht, oder innerhalb
desselben Volkes verschiedene Volksklassen. Auch dass
Kinder in den beiden ersten Lebensjahren trotz Häufigkeit der
Enteritis nur selten von Perityphlitis befallen werden, könnte
auf die fleischlose Ernährung zurückgeführt werden. Das all¬
mählich häufigere Auftreten im ersten Dezennium fällt wieder
genau mit der in diesem Alter langsam gesteigerten Eleisch-
ernährung zusammen. Dass dann trotz gleich bleibender Kost
nach dem 30. Jahre die Häufigkeit schnell abnimmt3) und nach
dem 40. nur selten vorkommt, hat nach Ribbert seinen
Grund in der Obliteration des Wurmfortsatzes, wodurch die
vermittelnde Stelle für den Uebergang einer Typhlitis auf die
Umgebung ausgeschaltet ist.
Worin bei Fleischeiweissiiberfütterung die schädigende
Wirkung auf die Darmschleimhaut, speziell des Blinddarms und
der Appendix besteht, lassen sich einstweilen nur Vermutungen
anstellen. Möglich, dass mein Erklärungsversuch falsch ist,
dass vielmehr bei reichlicher Fleischkost chemische Zer¬
setzungsprodukte die Mukosa schädigen oder die abnorme
Steigerung des zirkulierenden Eiweisses im Gegensatz zum
Organeiweiss7 8) die Widerstandskraft schwächt, immerhin
glauben wir in obiger Zusammenstellung bewiesen zu haben,
dass in dem übermässigen Fleischgenuss das wichtigste prä¬
disponierende Moment für die Entstehung der Perityphlitis zu
suchen ist.
Dem Praktiker ist mit dieser Aetiologie zugleich eine W afte
im Kampfe gegen jene Krankheit gegeben, die trotz frühzeitigen
Eingreifens der Chirurgen zahlreiche Opfer fordert; auch die
glücklich überstandene Operation hinterlässt doch nicht selten
dauernde Schädigung durch Adhäsionen etc. Deshalb müssen
wir auch hier unsere vornehmste Aufgabe in der Verhütung
dieser heimtückischen Krankheit sehen. „Unzweifelhaft“, sagt
■ Prof. F 1 e s c h 1. c., „ist man bezüglich der Prophylaxe der
Appendizitis genügsamer, als es im Interesse der Sache der
Fall sein sollte.“ Fassen wir das Uebel an der Wurzel! Be¬
seitigung der Obstipation durch Abführmittel hat nur ganz
7) Guinon: Münch, tned. Wochenschr. 1907, I, S. 38.
8) Hoffmann: Allgemeine Therapie, S. 352.
vorübergehenden Nutzen, da nach dem Gesagten Stuhlträgheit
an sich gar nicht die wahre Ursache sein kann; hier muss
physikalisch-diätetisch einzuwirken gesucht werden.
Früher haben die Aerzte entschieden einer Ueberfütterung
mit Fleisch das Wort geredet, deshalb besteht jetzt im Volk
die Meinung, Fleisch in der Nahrung nach Möglichkeit zu be¬
vorzugen (Hoffmann 1. c.). Diesen Standpunkt müssen wir
zum Wohle unserer Patienten bekämpfen und für eine mög¬
lichst gemischte Kost mit starkem Ueberwiegen der vege¬
tabilischen Nahrung eintreten. Eine vegetarisch-mehlhaltige
Diät soll ja nach Guinon (1. c.) geradezu eine antiseptische
Wirkung auf den Darm ausüben.
Wenn Ewald (1. c., S. 266) sagt: „Eine Verhütung der
Perityphlitis durch prophylaktische Massregeln anbahnen zu
wollen, etwa durch eine besonders ausgewählte Kost, ist eine
Utopie, die keine ernste Erwägung verdient,“ so ist er ent¬
schieden zu weit gegangen. Vielmehr glauben wir nach dem
Gesagten ein gutes Recht zu haben, gerade in der Regelung
der Diät, speziell in der energischen Einschränkung der Eleisch-
nahrung zu Gunsten der vegetabilen den wichtigsten Faktor
zur Verhütung der Perityphlitis suchen zu müssen. Und wie
draussen ganze Völker unbewusst durch ihre vorwiegend vege¬
tarische Ernährung die Krankheit von sich fernhalten, so wird
die Erkenntnis dieses Zusammenhanges auch hier bei uns
manchen vor diesem Leiden bewahren.
Aus dem Kgl. Garnisonlazarett München.
Bericht über 100 Blinddarmoperationen.
Von Dr. AlfredSchönwerth, Stabsarzt und Privatdozent
für Chirurgie.
Im Nachfolgenden möchte ich mir erlauben, in Kürze über
100 von mir im hiesigen Garnisonlazarette ausgeführte Blind-
darmoperationen zu berichten. Weitläufige, den Charakter der
Wiederholung tragende Erörterungen verbieten sich von selbst
bei einem so viel besprochenen Thema wie das vorliegende;
ich werde mich deshalb lediglich auf die Wiedergabe von Tat¬
sachen und subjektive Erfahrungen beschränken. — Voraus¬
schicken darf ich noch, dass es sich bei sämtlichen Operationen,
die von Mitte 1903 bis Mitte 1907 ausgeführt wurden, mit ver¬
schwindenden Ausnahmen um jugendkräftige Leute im Duich-
schnittsalter von 20 Jahren handelte.
Der Eingriff wurde vorgenommen im Frühstadium 23 mal,
im Intermediärstadium 7 mal, bei Abszessen 21 mal, bei Peri¬
tonitis 6 mal, im freien Intervall 40 mal, unter irriger Diagnose
3 mal. „.. ,
Ein Einfluss der Jahreszeit auf das Vorkommen von Blind¬
darmentzündungen zeigt sich insofern, als im November 11,
im März 8 Eingriffe nötig wurden, während auf die übrigen
Monate durchschnittlich 3,8 Fälle treffen. (Hier sind die im
freien Intervall sowie unter irriger Diagnose ausgeführten Ein¬
griffe nicht berücksichtigt.)
Ein oder mehrere Anfälle waren vorausgegangen 35 mal,
erbliche Belastung Hess sich nur 3 mal feststellen.
Als Ursache wurden sehr häufig Diätfehler odei Erkältung
im Dienste bezeichnet, wichtiger als diese oft unzu\ ei lässigen
Angaben scheint mir die Tatsache, dass unter 100 Fällen die
Erkrankung nur ein einziges Mal einem Trauma zur Last gelegt
wurde, eine Beobachtung, die sich gegen die Annahme einer
traumatischen Appendizitis verwerten lässt.
Frühoperationen.
Ich verstehe unter Frühoperationen Eingriffe, die innerhalb
der ersten 2 mal 24 Stunden vorgenommen wurden; ich ver¬
füge über 23 derartige Fälle; mit Ausnahme eines einzigen
tödlichen Ausgangs erfolgte stets Heilung, und wie ich schon
hier bemerken möchte, ohne irgendwelche Komplikationen.
Der erwähnte Todesfall betraf einen Patienten bei dem
29 Stunden nach Entfernung des brandigen Wurmfortsatzes der
Tod, und zwar lediglich unter den Erscheinungen der Hetz¬
schwäche eintrat; möglicherweise handelte es sich hier um
Schwächung des Herzens durch Bakteriengifte und Lhloro-
formeinwirkung; die Sektion wurde nicht zugegeben. .
Von den im Frühstadium beobachteten Erscheinungen
seien erwähnt:
2086
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Schüttelfrost, der sich hier wie anderwärts als ein
auf schwere Infektion hindeutendes Zeichen erwies; ich ver¬
füge über 2 einschlägige Fälle, bei denen der Eingriff vor¬
geschrittene Gangrän des Wurmfortsatzes nachwies.
In dem einen Falle erfolgte die Perforation bei der Her¬
auslagerung des Zökums; dieser Fall ist auch insofern von
Interesse, als die Erscheinungen zunächst geringfügiger Natur
waren; erst der Schüttelfrost (24 Stunden nach Beginn des
Anfalls), der die Temperatur von 37,7 auf 40,4, den Puls von
92 auf 140 iiinaufschnellen liess, kennzeichnete den Ernst der
Lage.
Temperatur und Puls. Temperatursteigerungen
höheren und niederen Grades wurden niemals vermisst mit
einer einzigen Ausnahme, wobei der kahnförmig eingezogene
Leib auf die Schwere der durch den Eingriff bestätigten Ver¬
änderungen hinwies. Dieser Fall lehrt die Wichtigkeit einer
genauen Beachtung jedes einzelnen Symptomes.
Die hohe diagnostische Bedeutung der Pulsbeschaffenheit
ist eine anerkannte Tatsache; ich möchte hier nur die Dis¬
harmonie von Puls und Temperatur betonen, die ich 11 mal
unter 23 Fällen beobachten konnte; es fanden sich hohe Tem¬
peraturen bei langsamem Pulse (z. B. 39,7 — 86) und umgekehrt
(z. B. 38,1 — 100); auch direkte Verlangsamung des Pulses
bei normaler oder fast normaler Temperatur ist mir auf¬
gefallen (z. B. 38,0 — 56).
Die Operation ergab bei diesen Fällen am Wurmfortsätze
6 mal Perforation oder Gangrän, 3 mal Geschwürsbildung mit
stark entzündlichen Veränderungen der Schleimhaut. Nur
2 mal war der Wurmfortsatz wenig verändert, das Bild der
Appendicitis Simplex darbietend, aber auch hier fand sich ein¬
mal Oedem der Bauchdecken, das anderemal in der freien
Bauchhöhle Flüssigkeit; letztere, 1—2 Esslöffel, trübserös und
auf die nächste Umgebung des Zökum beschränkt, wurde
5 mal beobachtet.
Obwohl die geringe Anzahl meiner Fälle weitergehende
Schlüsse verbietet, so glaube ich doch, dass 'die erwähnte Dis¬
harmonie im allgemeinen auf die Bösartigkeit eines Falles hin¬
weist, wenn auch aus dem Fehlen derselben nicht auf Gut¬
artigkeit des Prozesses geschlossen werden kann; es dürfte
dies rein objektiv nachweisbare Symptom unter Umständen
auf unseren Entschluss für oder gegen die Operation bestim¬
mend mit einwirken; andererseits kann bei Fehlen der Dis¬
harmonie die Beurteilung eines hohen Pulses bei gleichzeitig
bestehendem Fieber gewissen Schwierigkeiten unterliegen, da
hohe Temperaturen an sich ja schon mit erhöhter Pulsfrequenz
einhergehen.
Die Disharmonie ist bedingt durch die Infektion des Peri¬
toneums; dies geht schon daraus hervor, dass nach Entfernung
des kranken 'Wurmfortsatzes die normalen Verhältnisse sich
sehr rasch wieder herstellen; bei Fällen mit Pulsverlang¬
samung scheint auch Schockwirkung mit im Spiele zu sein. —
Einen Zusammenhang dieses Symptomes mit bestimmten ana¬
tomischen Veränderungen am Wurmfortsätze oder in der
Bauchhöhle konnte ich nicht feststellen, auch nicht mit Berück¬
sichtigung der bei Abszessen und diffuser Peritonitis vor¬
liegenden Verhältnisse.
Vom Lokalbefund sei zunächst erwähnt die Druck¬
empfindlichkeit der Blinddarmgegend, die in
keinem Falle fehlte und mehrmals auch auf die linke Bauch¬
seite Übergriff, ohne dass gelegentlich des Eingriffes ein Fort¬
schreiten der Entzündung auf diese Seite nachweisbar gewesen
wäre. Möglicherweise handelte es sich hier nur um sekundäre
Beteiligung der Lymphbahnen, um Lymphangitis, die nach Ent¬
fernung des primären Entzündungsherdes rasch wieder zurück¬
ging (Burkhard).
Die Spannung der Bauch decken in der Blind¬
darmgegend stellte ebenfalls ein konstantes Symptom dar; bis¬
weilen fiel besonders starke Spannung des rechten geraden
Bauchmuskels auf; in einem einzigen Falle (schon zitiert) sah
ich kahnförmige Einziehung des Leibes bei gut lokalisiertem
Prozess.
Die regelmässig auch per rectum vorgenommepe Unter¬
suchung war negativ mit Ausnahme einer öfters beobachteten
rechtsseitigen Druckempfindlichkeit.
Unter den am Wurmfortsätze bei der Operation festge¬
stellten Veränderungen fanden sich 5 Perforationen und 8 mal
Schleimhautgangrän; 5 mal Geschwüre und 5 mal geringe Ver¬
änderungen (Appendicitis Simplex); 8 mal wurden Kotsteine
beobachtet.
Zur Operationstechnik sei bemerkt, dass die Leibeshöhle
meist mit einem rechtsseitigen Flankenschnitt, häufig mit
stumpfer Trennung der Muskeln eröffnet wurde. Von Knopf¬
lochschnitten wurde im Interesse einer guten Orientierung stets
Abstand genommen. Der Wurmfortsatz selbst wurde nach
vorausgehender Abquetschung der Basis in typischer Weise
abgetragen und versorgt.
Auf Grund meiner Beobachtungen möchte ich den Zeit¬
raum für die Frühoperation im Allgemeinen auf 2 mal 24 Stun¬
den ansetzen.
Für die Indikation zum Eingriff wirken bestimmend neben
der schmerzhaften Spannung der Bauchdecken und dem Ver¬
halten von Puls und Temperatur Veränderungen des Allgemein¬
befindens, dessen Verschlimmerung, und wenn dieselbe auch
nur in einem Symptom zum Ausdrucke kommt, auf die Schwere
des Prozesses hinweist. Ferner glaube ich, dass es an Hand
der bekannten Erscheinungen so gut wie immer möglich ist,
den richtigen Zeitpunkt zum Eingriff zu bestimmen. Wichtig
ist dabei neben der persönlichen Erfahrung eine ständige Ueber-
wachung des Kranken; in letzterem Momente liegt der grosse
Vorteil der Krankenhausbehandlung, die infolge dessen ein ab¬
wartendes Verhalten in manchen Fällen gestattet, die in der
Privatpraxis sofort operiert werden.
Intermediärstadium.
Im Intermediärstadium habe ich 7 mal operiert und zwar in
der Zeit zwischen 2K und 8 Tagen; stets im 1. Anfall; der ein¬
zige tödliche Ausgang erfolgte, wie die Sektion nachwies, an
Pneumonie.
Die Indikation zum Eingriff wurde abgeleitet von der An¬
dauer des Fiebers und einer deutlich nachweisbaren Ge¬
schwulst, die sich bei der Operation als mit dem Wurmfortsatz
verklebtes Netz erwies. — Gelegentlich des Eingriffes fanden
sich 3 mal Verklebungen des Wurmfortsatzes mit Netz und
entleerten sich bei der Lösung derselben in jedem dieser Fälle
einige Tropfen dicken Eiters.
Im Allgemeinen scheut man sich, im Intermediärstadium,
also nach Ablauf von 2 mal 24 Stunden zu operieren, weil man
befürchtet, eine lokalisierte Entzündung zu einer diffusen um¬
zuwandeln. — Ich glaube nun doch, dass man auch in diesen
Fällen individualisieren muss und dass man den Beginn des
Intermediärstadiums (so wie man jetzt diesen Begriff auffasst),
nicht in jedem Falle von dem Ablauf von 48 Stunden abhängig
machen darf. Ganz abgesehen von der Bösartigkeit der je¬
weiligen Infektion und der persönlichen Widerstandskraft
kommt es sicher auch darauf an, ob der Patient sich von Anfang
an zweckmässig oder gegenteilig verhält; diese Umstände üben
ebenso bestimmt Einfluss auf den zeitlichen Ablauf der Ent¬
zündung aus wie die anatomische Beschaffenheit des Wurmes,
ob noch intakt beim Einsetzen des Anfalls oder von früher her
schon krankhaft verändert. Dieselben Veränderungen, die ein¬
mal schon nach 48 Stunden ausgeprägt sind, können in einem
anderen Falle viel mehr Zeit zu ihrer Entwicklung benötigen.
Dementsprechend wird in solchen Fällen eine genaue Ueber-
wachung notwendig sein und wird man bei eintretender Ver¬
schlimmerung den Eingriff nicht ablehnen dürfen.
Abszesse: 21 Fälle.
Als Indikation zur Operation diente neben Berücksichtigung
des Allgemeinbefindens und des Pulses das Verhalten von
Tumor und* Temperatur. Wenn Tumor und Fieber 3—5 Tage
lang bestanden, ohne Neigung zum Zurückgehen zu zeigen, so
wurde die Diagnose auf Eiterung gestellt und eingeschnitten.
Fieber wurde niemals vermisst; gewöhnlich hielt sich die
Temperaturkurve zwischen 38,0 und 39,0 mit morgendlichen
Remissionen; Disharmonie von Puls und Temperatur wurde
8 mal beobachtet; teilweise in sehr ausgeprägtem Mass-
stabe z. B. 37,0—102; 38,1—120.
Unter den beiden beobachteten Todesfällen handelt es sich
einmal um einen paralytischen Ileus, der am 4. Tage nach
Abszessinzision sich ausbildete und auf Anlegung der Ente-
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2087
rotomie hin wieder zurückging. Der Tod erfolgte 2 Monate
später an Erschöpfung bei chronisch-fibrinöser Peritonitis. —
Im 2. Fall lag ein grosses eitriges Exsudat vor, das trotz täg¬
licher Temperatursteigerungen zwischen 39 und 40 erst am
14. Tage operiert werden durfte; Tod 2 Tage später an diffuser
Peritonitis. , ,
Die Operation bestand in Eröffnung des Abszesses mittels
Flankenschnitts; bei direkt unter dem wandständigen Bauch¬
fell befindlichen Eiter gestaltet sich der Eingriff zu einem höchst
einfachen (16 mal); in den übrigen Fällen fand sich der Eiter
stets an der Aussenfläche des Blinddarms, in Adhäsionen ein¬
gebettet; nach Eröffnung der Leibeshöhle und Umgrenzung des
Blinddarms mit Jodoformgaze wurde der Eiter durch stumpfes
Vordringen in die erwähnten Adhäsionen entleert. Die Ope¬
ration lässt sich in dieser Weise schnell beenden und habe ich
von diesem Durchleiten des Eiters durch die freie Bauchhöhle
unter den erwähnten Vorsichtsmassregeln nie Nachteile gesehen.
Der Wurmfortsatz wurde nach Spaltung des Abszesses
nur dann entfernt, wenn er frei zu Tage lag oder leicht zu er¬
reichen war; sonst wurde die Ausheilung des Abszesses ab¬
gewartet und der Wurmfortsatz im freien Intervall entfernt;
durchschnittlich etwa 5 Wochen nach Entleerung des Eiters.
In allen Fällen war der Eiter gut abgekapselt; Kotsteine
wurden 8 mal gefunden; gelegentlich einer Intervalloperation
wurde auch ein Schrotkorn im Wurmfortsätze beobachtet.
Komplikationen traten bei 5Kranken auf; es handelte sich um
2 rechtsseitige seröse Pleuraergüsse (Heilung durch Punktion);
1 Douglasabszess (Spaltung vom Mastdarm aus); 1 Pleura¬
empyem, rechtsseitig, (Heilung nach Rippenresektion); 2 Peri¬
tonitiden (Heilung nach Laparotomie); 1 Ileus, bereits erwähnt.
Also unter 21 Fällen 7 mal Komplikationen und zwar stets
in Fällen, bei denen der Wurmfortsatz nicht entfernt worden
war; im Gegensätze dazu 23 Wurmfortsatzresektionen im Früh¬
stadium ohne eine einzige Komplikation, ein beredter Hinv eis
auf die Vorteile der Frühoperation!
Peritonitis.
Es handelte sich um 6 Fälle, die operiert wurden, mit 3 töd¬
lichen Ausgängen. ,
Zweimal fanden sich beim Eingriffe (24, resp. 48 Stunden
nach der Lazarettaufnahme) mächtige serös-eitrige Exsudate
mit zahlreichen Adhäsionen, die das Auffinden des Wurmfort¬
satzes unmöglich machten; Tod unter Fortdauer dei peii-
tonitischen Erscheinungen.
Die 4 übrigen Fälle (1 tödlicher Ausgang) charakterisierten
sich durch das Fehlen von Adhäsionen bei reichlichen Mengen
serös-eitrigen, mit Flocken vermischten Exsudates (fibrinös¬
eitrige Peritonitis). Der mit dem Blinddarm leicht verklebte
Wurmfortsatz wies 2 mal Perforation, 2 mal Schleimhautgan¬
grän auf. , ^ ,
Fieber, 2 mal von Schüttelfrost eingeleitet, und Puls setzten
von vornherein hoch ein (39 — 40; 120 — 140); 2 mal bestand
deutliche Disharmonie (37,8 — 120; 36,9 — 108); Verlangsamung
des Pulses fiel nicht auf. — Stärkerer Meteorismus wurde nur
in einem einzigen Falle beobachtet. Dieser Umstand war offen¬
bar bedingt durch die straffen Bauchdecken der jugendlichen
Individuen, die der Entwicklung der Gasauftreibung Widei stand
leisten; einmal war der Leib kahnförmig eingezogen. In dem
tödlich endigenden Falle trat der Tod erst am 5. Tage nach dci
Operation ein, war also nicht durch letztere bedingt, im Gegen¬
teil scheint das Leben hiedurch eher verlängert worden zu sein.
Der Eingriff, stets innerhalb der ersten 24 Stunden vor¬
genommen und nie die Dauer einer halben Stunde übersteigend,
wurde stets in Vollnarkose nach den von N o e t z e 1 für die
Frankfurter Klinik angegebenen Vorschriften ausgeführt. Ein
dynamischer Ileus, der am Tage nach der Operation auftiat,
ging unter Atropininjektionen zurück
Freies Intervall.
In 11 Fällen wurde der Wurmfortsatz nach vorausgehender
Abszessspaltung im freien Intervall entfernt; erwähnt sei hier
ein Patient, bei dem im Jahre 1898 4 Anfälle beobachtet wurden,
deren letzter zur operativen Entleerung des Eiters zwang-, nach
8 jähriger Pause eine neue Attacke; nach Ablauf derselben Ent¬
fernung des stark geknickten, 4 Kotsteinchen enthaltenden
Wurmfortsatzes. — Schwierigkeiten beim Auffinden des Wurm¬
fortsatzes ergaben sich nur in einem Falle, bei dem vor 8 Mo¬
naten ein Abszess gespalten und dann noch 2 mal vergeblich
nach dem Wurmfortsätze gesucht worden war. Ich konnte den
letzteren nur dadurch finden, dass ich auf einen in den dichten
Adhäsionen fühlbaren Kotstein einschnitt; nach Einführung
einer Sonde in das Lumen liess sich die Exstirpation ohne Mühe
vornehmen.
Von den übrigen 29 Fällen möchte ich über 4 Patienten
berichten, bei denen überhaupt kein ausgesprochener Anfall
vorausgegangen war; dagegen bestanden schon seit Jahren
unbestimmte Schmerzen in der Blinddarmgegend. Der Eingriff
ergab deutlich nachweisbare Veränderungen am Wurmfort¬
sätze, einmal sogar völlige Verödung des distalen Drittels.
Derartige Beobachtungen beweisen, dass innerhalb dieses Or¬
ganes ausgedehnte Veränderungen vor sich gehen können,
ohne dass hiedurch ein eigentlicher Anfall bedingt sein muss.
Ich glaube, dass mancher -sogenannte erste Anfall nichts anderes
als die akute Exazerbation eines latenten Prozesses darstellt.
Dass die Entzündung durch derartige bereits bestehende Ver¬
änderungen in ihrem Verlaufe beeinflusst werden kann, liegt
auf der Hand. — Kotsteine wurden unter sämtlichen 40 Fällen
nur 4 mal gefunden.
Bei sonst stets per primam verlaufender Heilung ist ein
Todesfall durch eitrige Peritonitis zu verzeichnen. Der junge
kräftige Mann, der schon mehrfach Attacken durchgemacht
hatte, ging mit den Erscheinungen einer leichten Blinddarm¬
entzündung zu, die sich nach einigen Tagen wieder zurück¬
bildeten; darauf Angina, die lediglich mit Rötung der Mandeln
einherging und die einzige zur Beobachtung gelangende J em-
peratursteigerung, 39,3, bedingte; 6 Tage später wurde bei
völlig normalem Verhalten der Rachenorgane von einem
kleinen Schnitt aus der chronisch entzündete Wurmfortsatz ent¬
fernt. Der Eingriff bot keinerlei Schwierigkeiten; schon am
nächsten Tage entwickelten sich die Erscheinungen einer dif¬
fusen Peritonitis, welcher der Patient trotz operativen Ein¬
schreitens 2 Tage später erlag.
Was hier die Peritonitis bedingte, ist schwer zu sagen.
Abgesehen von einem allenfallsigen Fehler in der Aseptik kann
die Infektion mit der Angina in Zusammenhang gebracht
werden; unter dieser Voraussetzung wäre es vielleicht besser
gewesen, noch einige Tage mit dem Eingriffe zu warten. -
Ich persönlich neige mich zu der Ansicht, dass möglicherweise
beim Herauslagern des Zökums ein kleiner, vielleicht nur einige
Tropfen Eiter enthaltender Abszess entleert wurde, ein Vor¬
kommnis, das sich bei der Kleinheit des Schnittes meiner Beob¬
achtung entzog und so Veranlassung zu Infektion gab. Ich
lege seitdem mehr Gewicht auf genaue Orientierung als aut
die Kleinheit des Schnittes. ,. P
Zur Operationstechnik möchte ich bemerken, dass die .Er¬
öffnung der Leibeshöhle gewöhnlich mittels rechtsseitigen
Schrägschnittes unter stumpfer Trennung der Muskeln oder
mittels Pararektalschnittes unter Schonung der Nerven vorge¬
nommen wurde. Die Entfernung des Wurmfortsatzes war
die typische. . ..
Unter irriger Diagnose wurde operiert ein Fall von
Peritonealtuberkulose; die Natur des Leidens wuide erst bei
Spaltung eines Ileozökalabszesses erkannt; bei glattem Wund¬
verlauf Tod an Erschöpfung, 2 Monate später. — Eine wegen
offenbar hysterischer Beschwerden ausgeführte Resektion des
normalen Wurmfortsatzes brachte keinerlei Besserung. — n
einem letzten Falle täuschte eine beginnende Pneumonie voll¬
ständig die Erscheinungen einer akuten Appendizitis voi
(Schmerzen und Druckempfindlichkeit in der Blinddarmgegend,
Muskelspannung, Erbrechen, Fieber 39,7, Puls 120); Entfernung
eines normalen Wurmfortsatzes; schon am nächsten hage die
ausgesprochenen Symptome einer Pneumonie des rechten
Unterlappens; Heilung. - Bei derartigen nicht seltenen
Verwechslungen denkt man an die Wirkung von Behexen, die
durch den pneumonischen Prozess ausgelöst m das Abdomen
ausstrahlen und derartige Erscheinungen auslosen, bevoi noch
die Pneumonie selbst sich dokumentiert.
Literatur:
v Mangold: Aphorismen zur Appendizitis. Deutsche Zeit¬
schrift' für Chirurgie, Bd. 85. - B u r k h a r d : Linksseitige PP orne
bei Perityphlitis. Münch, med. Wochen-schr. 1906, No. 50. r r a n K e.
2US8
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Beitrag zur chirurgischen Behandlung .der Perityphlitis und ihrer
Folgezustände. Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 51. — K r e c k e:
Können wir die schweren, die sofortige Operation erfordernden,
Appendizitisanfälle erkennen? Münch, med. Wochenschr. 1906, No.
15. — Bode: Chirurgische Behandlung der Appendizitis. Beiträge
zur klinischen Chirurgie, Bd. 46, Heft 3. — N o e t z e 1: 241 Peritonitis¬
operationen. Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. 47, Heft 2.
Zur Behandlung granulierender Wunden.
Von Dr. med. Carl Haeberlin, leitendem Arzte des
städtischen Krankenhauses zu Bad Nauheim.
Die Behandlung granulierender Wundflächen, in deren
} iefe keine chronisch entzündlichen Prozesse sich abspielen,
ist meist einfach durchzuführen. Und doch fordert sie auch'
wie jede andere Betätigung, die volle Aufmerksamkeit des
Arztes, da je nach den vorliegenden, durch die Form der
Granulationen, durch die reichliche oder geringe Sekretion der
Granulationsfläche, durch das Verhalten des Epithelsaumes,
bedingten Verhältnissen verschiedenartige Massnahmen er¬
forderlich sein können. Wer sich nicht darauf beschränkt,
schematisch mit der einen oder anderen Salbe zu arbeiten!
sondern bei jedem Verbandwechsel das Verhalten der Wund¬
fläche und ihres Epithelrandes genau prüft, wird bald bemerken,
dass die eine Wunde auf leicht adstringierende oder irritierende
Salben anders reagiert, als die andere; er wird ferner be¬
merken, dass vor allen Dingen zu dick aufgetragene Salben¬
lagen der Heilung einer bis ins Niveau granulierten Wunde
durch die Mazeration des Epithelrandes und durch uner¬
wünschte Anregung zu hypertrophischer Granulation mehr
hinderlich als fördernd sind. Dies führt dazu, bei Wund¬
flächen, die das Niveau der umgebenden Haut erreicht haben,
Salbenmengen nur in sehr dünner Schicht auf die aufgelegte
Verbandgaze aufzutragen, und man sieht hier in der Tat oft
einen \ iel schnelleren Fortschritt der Heilung als unter dicken
Salbenschichten. Unter ganz dünner Salbenschicht ist der
Luftzutritt zu der Wundfläche ein wesentlich besserer,
die Wunde wird schneller trocken und die einzelnen sie bilden¬
den Gewebsanteile fester und kräftiger als unter erweichenden
grossen Salbenmengen.
Diese Beobachtung lehrt den sehr günstigen Einfluss des
Luftzutrittes zu Wundflächen, und die Erfahrung zeigt, dass
gewisse, ganz trocken behandelte, nur durch Gaze gegen äussere
Schädlichkeiten geschützte Wundflächen sich oft überraschend
schnell epithelisieren. Es eignen sich hierzu besonders Wund¬
flächen, die bis ins Niveau granuliert sind und die keine Neigung
zu hypertrophischer Granulationsbildung haben. Hat man sie
vorher mit Salbenverbänden behandelt, und unter der Salbe
stets eine ziemlich reichliche Sekretion bemerkt, so wird man
oft überrascht sein, wie trocken diese der Lufteinwirkung allein
ausgesetzten Flächen häufig werden. Die aufgelegte Gaze
zeigt oft kaum mehr Spuren von Anfeuchtung, klebt infolge
dessen oft auch überhaupt nicht an, der Epithelsaum ist kräftig
und scharf markiert, und an den Granulationen lassen sich die
weiteten Heilungsvorgänge gut verfolgen. Die gekörnte,
,, granulierte Fläche — daher der Name — wird zusehends
glatter und gleichzeitig geht damit eine charakteristische Ver¬
änderung im Farbentone vor sich. Aus dem intensiveren Rot
der anfangs noch feuchten Fläche wird ein zartes Rosa, eine
Aenderung, die bedingt ist durch die Vorgänge im Granulations¬
gewebe, die Schrumpfungsprozesse, -die Rückbildung und Ver¬
ödung seiner Gefässe und die Verkleinerung seiner Lymph¬
spalten, mit einem Worte durch die Bildung des Bindegewebes,
des mesodermalen Anteils der Narbe, über den sich von den
Seiten her dann der kräftig proliferierende Epithelsaum zieht,
um sich endlich ganz zu schliessen.
Will man eine Wundfläche der Lufteinwirkung aussetzen,
so bedeckt man sie am besten zum Schutze gegen äussere
Schädigungen mit wenig lockerer, reiner, die Wundränder nach
allen Seiten überragender Krüllgaze, welche durch je einen
ober- und unterhalb der Wunde geführten, dieselbe nicht über¬
deckenden Pflasterstreifen, der auf der gesunden Epidermis
haltet, befestigt wird. Bei kleinen Granulationsflächen, deren
Durchmesser einen Zentimeter oder weniger beträgt, empfiehlt
es sich, den Verband so anzulegen, dass man das kleine, der
Wunde locker aufgelegte Gazestückchen durch ein quadra¬
tisches Heftpflasterstück fixiert, in dessen Mitte man ein Fenster
von etwas grösserer Oeffnung, als die Wundfläche beträgt,
eingeschnitten hat. Sucht man die für trockene Behandlung ge¬
eigneten, oben näher charakterisierten Fälle richtig aus, dann
wird man sie in der genannten Weise sicher schneller als unter
Salbenverbänden heilen sehen, deren leicht mazerierende und
daher die solide Epitheliserung verlangsamende Einwirkung
sich nie gänzlich ausschalten lässt.
Einen weiteren, die Heilung granulierender Flächen aufs
mächtigste fördernden Faktor besitzen wir im Sonnen¬
licht. Wer einmal von demselben ausgedehntere Verwen¬
dung bei der Behandlung granulierender Wunden gemacht hat,
der wird es stets bedauern, dass in unseren hyperboräischen.
Zonen so viel trübe Tage, so viele den Himmel bedeckende
Wolken es unmöglich machen, das Sonnenlicht als ein stets ver¬
fügbares Heilmittel unserer Thrapie einzureihen. Diese Un¬
gewissheit mag auch die Ursache dafür sein, dass es bisher
trotz seiner hervorragend günstigen Wirkung bei uns so wenig
regelrechte Anwendung gefunden hat; nur in den Hochgebirgs-
zonen der Schweiz, wo fast stets eine unermessliche Lichtfülle
herrscht, ist es seit einigen Jahren in der Behandlung erprobt
und ist seine Wirkung Gegenstand wissenschaftlicher Beob¬
achtung geworden 1).
Die aktinische Reizwirkung des Sonnenlichtes auf die Epi-
deimis ist bekannt. Die Zunahme des Pigments in den unteren
Schichten des Stratum Malpighi, die Dermatitiden mit nach¬
folgender Abstossung grosser Epidermisfetzen, das Erythema
solare bedürfen keiner näheren Schilderung. Wie auf epi¬
theliale Gebilde, so übt das Sonnenlicht auch auf Bindegewebe
und seine Abkömmlinge, das Granulationsgewebe, eine starke
Wirkung aus, wenn sie ihm ausgesetzt werden. Lässt man
auf eine bisher unter Salbenverband gehaltene Granulations¬
fläche Sonnenlicht unmittelbar scheinen, so bemerkt man im
Verlaufe von 1 — 2 Stunden Veränderungen, die zunächst als
Eintrocknungsvorgänge imponieren könnten, doch die genauere
Betrachtung lehrt, dass es sich um weit mehr als das handelt,
wenn auch vielleicht die schnelle Verdunstung des Wund¬
sekretes dabei nicht ohne Bedeutung ist. Die auffallendste Ver¬
änderung besteht zunächst darin, dass die intensiv sonnen¬
bestrahlte Granulationsfläche, die vorher feucht und unregel¬
mässig hoch war, in kurzer Zeit glatt und glänzend und trocken,
„epitheloid , wird, während sie ein frischrotes Aussehen be¬
wahrt. Man kann oft bemerken, dass kleine Gefässstämme, die
sichtbar durch die Granulationen zogen, nach 1 — 2 Stunden
vei sch wunden sind. Die Umwandlung der Granulationen in
eigentliches Bindegewebe geht hier oft ganz ausserordentlich
schnell vor sich; bei etwas grösseren und tieferen Granulations-
flächen zeigt sich oft schon nach einer 2 — 3 ständigen Sonnen¬
bestrahlung an Stelle der Granula eine Anordnung von Faser-
ztigen, die in Bündeln nach verschiedenen Richtungen ziehen,
und die nichts anderes sind, als fertiges Bindegewebe. Diese,’
die Narbenbildung einleitenden, unter der Insolation so schnell
sich vollziehenden Prozesse, bleiben natürlich nicht ohne Wir¬
kung auf die Wundränder und ihre weitere Umgebung. Mit
dem Aufhören der Granulationsproduktion beginnt das Epithel
des Wundsaumes einen schnelleren Vormarsch, und es kommt
■voi, dass in 2 3 Stunden der Epithelsaum sich um mehrere
Millimeter vorschiebt. Zugleich aber werden die Epithclränder
auch durch die Schrumpfungsvorgänge bei der Bindegewebs¬
bildung einander passiv genähert und es kommt so eine un-
gemein schnelle Verkleinerung der Wundfläche zustande. Bei
dei Heilung jeder grösseren Wunde wird nun naturgemäss
auch das dem Wundrande benachbarte gesunde Gewebe durch
die Schrumpfungsprozesse der Narbenbildung von allen Seiten
hei zusammengezogen, daher das bekannte strahlige Aussehen
oci Narben von grösseren Defekten. Während für gewöhnlich
unter Salbenbehandlung diese Vorgänge sich so langsam ab¬
spielen, dass man wenig davon während des Heilungsverlaufes
merkt, erscheinen während der schnellen Verkleinerung der
besonnten Wundfläche in der umgebenden Haut feine, radiär
um die Wundränder angeordnete Falten als der Ausdruck der
auf das intakte Gewebe ausgeübten konzentrischen Zugwir-
P Bernhard: Münch,
für Schweizer Aerzte
1907, No. 13.
Blatt
Wochenschr
med. Wochenschr. 1904, No. 1 und Korr.-
1904, No. 26. Widmen Münch, med.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2GS9
kung der schnell sich verkleinernden Narbenbildung. Mit der
völligen Epithelisierung und Konsolidation der Narbe ver¬
schwinden diese anfangs sehr deutlichen feinen Faltenbildungen
wieder völlig. , , . , . . . ...
Zwei Hauptcharakteristika hat jede, einige wenige Male
besonnte Wundfläche, in deren Tiefe sich keine chronisch ent¬
zündlichen Prozesse abspielen: das frische und tiockene Aus¬
sehen der fast glatten Wunde und den kräftigen Epithelsaum.
Unter einer grösseren Anzahl so behandelter Wunden habe ich
kein einziges Mal etwas gesehen, was an die unter Salbenver¬
bänden so häufig zu beobachtenden schwammigen Granu¬
lationswucherungen erinnert hätte, und ich habe nicht nur ein¬
fache traumatische Wunden, sondern auch granulierende
Wundflächen nach operativen Eingriffen aller Art — von der
inzidierten Furunkelphlegmone bis zur Wundheilung des breiten
Drainagekanals nach jauchig eitriger Appendizitis dem
Sonnenlicht oft stundenlang ausgesetzt, stets mit dem Erfo g
schneller Heilung. Immer gewinnt man dabei den Eindruck,
dass die Wundheilung im Sonnenlicht einen ganz ausserordent¬
lich regelmässigen Verlauf nimmt, bei dem die Vorgänge im
bindegewebigen und im epithelialen Anteil der Wunde sich stets
völlig das Gleichgewicht halten. Die Wirkung des
Sonnenlichtes lässt sich also charakteri¬
sieren als eine wesentliche Beschleunigung
aller normalen W undheilungsvot g ä n g e. Irgencl
welche Veränderungen, die auf einen ungünstigen Einfluss auf
die spätere Narbe schliessen lassen könnten, Hyperämie der
Narbe oder Keloidbildung habe ich nicht gesehen.
Möglicherweise spielt bei den Heilungsvorgängen die
Frage bedarf näherer Untersuchung — die bakterizide Kraft des
Sonnenlichtes eine bedeutsame Rolle. Manchmal sicherlich,
wie z. B. in einem von mir behandelten Falle, wo sich im Ver¬
laufe der Heilung einer komplizierten Kniegelenksverletzung
nach Heilung der Kapselwunde in der halbhandtellergrossen,
trichterförmigen Granulationsfläche eine sekundäre P>o-
zyaneusinfektion etabliert hatte. Dieselbe erwies sich gegen
Jodoformausreibungen und Berieselungen mit Wasserstoff¬
superoxyd völlig indifferent und erzeugte fortgesetzt grosse
Mengen des bekannten grünblauen Eiters, bis ich die Wunde
zweimal je 2 Stunden dem Sonnenlicht aussetzte, wonach die
Infektion spurlos und dauernd verschwunden blieb.
Was die Technik dieser Sonnenbeleuchtung anbetrifft, so
ist dieselbe äusserst einfach. Die Wunde wird so in das direkte,
nicht durch Glasscheiben filtrierte Sonnenlicht gebracht, dass
dessen Strahlen senkrecht auffallen und das Pflegepersonal
wird angewiesen, darauf zu achten, dass bei dem Weiterrücken
des Gestirnes auch die Wunde entsprechend in ihrer Lagerung
geändert wird. Die durchschnittliche Dauer der Bestrahlung
betrug in meinen Versuchen 2 — 3 Stunden, meist waren es die
Vormittagsstunden von 9 — 12 Uhr. Irgend welcher Vorrich¬
tungen zum Sammeln oder Reflektieren 'der Strahlen habe ich
mich nicht bedient. Nach jeder Beleuchtung wird die Wunde
mit einem Stück Krüllgaze locker bedeckt.
Wenn wir im Sonnenlicht in unserem Klima ja auch nur
einen leider keineswegs stets verfügbaren Heilfaktor besitzen,
der uns andere Behandlungsarten überflüssig machen könnte,
so lohnt es sich doch für jeden Arzt, der granulierende Wun¬
den zu behandeln hat, beim Vorhandensein von Sonnenlicht
es für den Kranken nutzbar zu machen. Bei der ausgezeich¬
neten Wirkung des allen anderen Methoden in der günstigen
Einwirkung auf die Wundheilung überlegenen und in seiner An¬
wendung so überaus einfachen Verfahrens verdient es aus¬
gebreitete Verwendung zu finden an allen Tagen, wo uns ein
heller Himmel die Gabe des Sonnenlichtes zu Teil werden lässt.
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses München r/I. (Direktor: Hof rat Dr. Brunner).
Versuche über Händedesinfektion unter besonderer
Berücksichtigung der von Heusner empfohlenen Jod¬
benzinmethode.
Von Dr. Max Grasmann, I. Assistent der Abteilung.
Die zahlreichen Arbeiten über Händedesinfektion, die in
den letzten Jahren erschienen sind, haben den Beweis ge¬
liefert, dass keine Methode existiert, mit der wir regelmässig
unsere Hände im bakteriologischen Sinne keimfrei machen
No. 42.
können. Die Versuche haben uns gelehrt, dass das Haupt¬
gewicht bei der Händedesinfektion auf eine gründliche, mecha¬
nische Reinigung der Hände, d. h. die Entfernung der auf der
Haut sitzenden Keime zu legen ist.
Der Glauben, dass die Desinfektionsmittel die Keime an
unsern Händen abtöten oder wenigstens unschädlich machen,
ist längst erschüttert. Manche verzichten daher vollständig
auf die antiseptischen Waschwasser, wie Schleich, und be¬
schränken sich nur auf die mechanische Reinigung, mit voll¬
kommenem Unrecht, denn alle einwandfreien Versuche er¬
gaben, dass bei Anwendung von Desinfektionsmitteln nach
gründlicher mechanischer Reinigung die Anzahl der Keime an
unsern Händen eine geringere wurde, als unter Verzicht auf
dieselben.
Das Sublimat war bis vor kurzem das meist gebrauchte
antiseptische Waschwasser, wurde aber wegen seiner schä¬
digenden Wirkung auf die Haut verlassen, als das „voll¬
kommen reizlose“ Sublamin in den Handel kam.
Auch unsere Hände vertrugen das Sublimat teilweise
schlecht: Rauheiten, Sprödigkeiten und Ekzeme waren die
Folgen seiner Anwendung. Bei der Suche nach einem Ersatz¬
mittel für Sublimat kam ich zu keinem befriedigenden Resultat,
denn alle versuchten Desinfektionsmittel hatten neben anderen
nicht erwünschten Eigenschaften einen geringem Desinfektions¬
effekt. Auch das Sublamin rief wie das Sublimat Ekzem her¬
vor, was ja nicht zu verwundern ist, da jedes wirksame Anti¬
septikum mit den Eiweisskörpern Verbindungen eingeht, mögen
es nun Epidermiszellen oder Mikroorganismen sein. Dies gab
mir Veranlassung, andere Händedesinfektionsmethoden zu
versuchen.
In den Arbeiten von Paul und S a r w e y, sowie in der
erst in den letzten Jahren erschienenen von Engels wurden
die Methoden, die sich in der Praxis einen bedeutenderen Platz
erobert haben, einer exakten Prüfung unterzogen. Diese
Autoren kamen zu dem Resultate, dass weder die Methode von
A h 1 f e 1 d, noch die von Fiirbringer oder von M i c u 1 i c z
die Hände auch nur mit einiger Sicherheit keimfrei machen
könne. Ich konnte mir deshalb ersparen, diese Methoden noch¬
mals einer Prüfung zu unterstellen.
Von den neueren Verfahren erweckte hauptsächlich das
von Heusner empfohlene Jodbenzin mein Interesse, da ich
glaubte, durch das Benzin eine gründliche mechanische Rei¬
nigung der Hände erreichen zu können und andernteils im Jod
ein gutes Desinfektionsmittel zu besitzen.
Lassen sich nun schon die von den einzelnen Untersuchern
unter gleichen Bedingungen gewonnenen Resultate nicht ohne
weiteres mit einander vergleichen, so war ich um so mehr ge¬
zwungen, andere Methoden mitzuprüfen, da meine Versuchs¬
anordnung in manchen wichtigen Punkten von den üblichen
abweicht.
Ich prüfte deshalb neben dem Jodbenzin den von Engels
und von Sarwey empfohlenen Snblaminalkohol, fernei die
von Schum berg verwendete Alkohol-Aether-Salpeter-
säure-Mischung und endlich die bei uns seit Jahren übliche
modifizierte Fürbringer sehe Methode. So konnte ich
die quantitativen Unterschiede des nach erfolgter Desinfektion
zurückgebliebenen Keimgehaltes zum Vergleiche der ver¬
schiedenen Desinfektionsmethoden heranziehen und auf die
Leistungsfähigkeit der einzelnen Methoden schliessen.
Dass die Wirksamkeit einer Händedesinfektionsmethode
auch nicht mit einiger Zuverlässigkeit aus dem Heilungsver¬
lauf unserer Wunden und der dadurch gewonnenen Operations-
resultate beurteilt werden kann, haben uns die Untersuchungen
von Tavel, Brunner, Döderlein und anderen gezeigt.
Trotz zahlreicher zum Teil als pathogen bekannter Keime in
unsern „aseptischen“ Operationswunden tritt meist Prima¬
heilung ein. , , .. , ,
Es kann deshalb die Frage, mittels welchen Verfahrens
wir unsere Hände vor Operationen am besten desinfizieren, nur
mit Hilfe bakteriologischer Untersuchung auf die Anwesenheit
oder Abwesenheit von Keimen an unseren Händen beantwoitet
werden
Zur bakteriologischen Prüfung der Hände nimmt man nach
dem Vorschläge von F ü r b r i n g e r die gewöhnliche J ages-
hand mit den zahlreichen auf ihr befindlichen Keimen oder man
infiziert die Hände mit Prodigiosus oder Pyozyaneus und unter-
3
2090
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
sucht dann auf diese Keime. Andere gehen noch einen Schritt
weiter (K r ö n i g und B 1 u m b e r g) und schalten das Tier¬
experiment ein, um die ganze Methode der Prüfung des Hände¬
desinfektionsverfahrens den praktischen Verhältnissen enge
anzupassen, indem sie an der toten Haut mit Milzbrandsporen,
an der lebenden mit Tetragenuskeimen arbeiten.
Ich glaube, dass die Tageshand bei der Beurteilung einer
Händedesinfektionsmethode vollkommen ausreichend ist.
Von den Händen wurden gewöhnlich einzelne Finger, die
Fingerspitzen oder nur die Unternagelräume, Nagelfalze einer
Hand, oder auch beider Hände untersucht und zwar entweder:
1. durch die Fingereindruckmethode (Kümmell), indem
die einzelnen Fingerspitzen einfach in einen festen sterilen Nähr¬
boden eingedrückt wurden, oder
2. mittels der Seidenfadenmethode (Häg ler), indem
sterile Seidenfäden zwischen den Händen gerieben, durch die
Unternagelräume und die Nagelfalze durchgezogen wurden,
oder
3. mit der Schabmethode (F ü r b r i n g e r), ausgeführt mit
sterilen Hölzchen.
Von diesen Methoden kann unzweifelhaft, wie auch die
Untersuchungen von Paul und Sarwey ergaben, nur die
biirbringer sehe Schabmethode und zwar ausgeführt stets
an beiden Händen und deren Teilen einen vollkommenen Auf¬
schluss über die Grösse der vor dem Verfahren vorhandenen
und nach der Desinfektion noch lebensfähigen Keime geben.
Ich liess die Hände zur Feststellung des primären, d. h. des
vor der Desinfektion vorhandenen Keimgehaltes feucht ab¬
schaben, indem ich 5 ccm steriles Wasser in den Händen ver¬
reiben liess, da die Keimentnahme von der feuchten Haut er¬
leichtert ist, am Schluss des Versuches die Haut ebenfalls feucht
abgeschabt wird und so die Keimgewinnung unter gleichen
Bedingungen erfolgt. Zum Abschaben wurden sterile Zahn¬
stocher aus hartem Holz verwendet. Die Hölzchen wurden
nach dem Abschaben mit 2 ccm sterilem Wasser 5 Minuten
lang tüchtig geschüttelt, dann mittels Plattenverfahrens die An¬
zahl der Keime ermittelt. Als Nährboden wurde Agar ver¬
wendet; die Platten wurden bis zu 8 Tagen bei einer Tem¬
peratur von 37 0 C beobachtet.
Sehr wichtig bei all diesen Desinfektionsversuchen ist es,
die Wirkung des chemischen Präparates nach dem Versuche
auszuschalten, wie dies Geppert bei Sublimat durch An¬
wendung von Schwefelammonium eingeführt hat, um die Ent¬
wicklungshemmung des Desinfektionsmittels möglichst voll¬
kommen zu beseitigen. Wenn dieses Erfordernis heute allseits
bei der Prüfung von Desinfektionsmitteln auf ihren Wirkungs-
weit anerkannt wird, so ist es mir unverständlich, warum das¬
selbe Verfahren bei den Desinfektionsversuchen der Hände
nicht auch stets herangezogen wird. Gerade an der Haut
•scheint eine grössere Anzahl von chemischen Desinfektions¬
mitteln fest haften zu bleiben, sie werden dort sozusagen fixiert
und lassen die Keime gar nicht oder erst nach verhältnismässig
anger Zeit zur Entwicklung gelangen. Ich sehe es als dringen¬
des Erfordernis an, dass bei allen künftigen Händedesinfektions¬
versuchen das Desinfektionsmittel nach Ablauf der Methode
sofort wieder durch geeignete chemische Mittel ausgeschaltet
vird; nur dadurch bekommen wir annähernd richtige Zahlen
und ein untrügliches Bild von dem Erfolge. Wir werden da-
durch vollkommen unabhängig von der entwicklungshemmen¬
den Wirkung der einzelnen Desinfektionsmittel, die ja bekannt¬
lich sehr verschieden und im einzelnen Falle gar nicht ab¬
zuschätzen ist.
In den hier aufgeführten Versuchen wurde hierauf Rück¬
sicht genommen; die Quecksilberverbindungen wurden durch
Schwefelammoniumlösung (10 fache Verdünnung der gebräuch-
fernt*1 ^SUI1^ ’ ^as ^l,rch 1 proz. Thiosulfatlösung ent-
Es dürfte hier wohl der Einwand zu erheben sein, dass
solche Amorderungen zu weitgehende sind und diese Verhält¬
nisse nicht den Tatsachen der Praxis entsprechen. Gewiss
hat dieser Einwand seine Berechtigung. Allein verzichten wir
auf die Entfernung des Desinfektionsmittels, so können wir nach
memer Ansicht die einzelnen Methoden, die mit verschiedenen
Desinfektionsmitteln arbeiten, nicht mit einander vergleichen
da wir ja die jeweilige Wirkung des aut den Nährboden über¬
tragenen Antiseptikums nicht beurteilen können; ferner ent¬
zieht es sich unserer Kenntnis, ob die Wirkung des Desinfek¬
tionsmittels im Körper auf die durch unsere Hände in die
Wunde übertragenen Keime die gleiche ist, wie im Nährboden.
Sicher ist es, dass beim Abschaben der Hände eine relativ
grosse Menge des Desinfektionsmittels auf eine geringe Menge
Nährböden übertragen wird und so quantitativ die Verhältnisse
beim Nährboden viel günstiger liegen als in der Praxis. Es
erscheint mir zweckmässiger zu sein, die ganze Anzahl der
Keime, die nach der Desinfektion noch zur Entwicklung ge¬
langen können, zu erfahren, als sie kurzer Hand unberück¬
sichtigt zu lassen. Die Resultate, die wir nach Entfernung des
Antiseptikums bei den einzelnen Methoden erhalten, stellen '
allerdings das Minimum der Leistungsfähigkeit der Me¬
thode dar.
Nicht minder wichtig ist es nach meiner Erfahrung, zu den
Versuchen nur solche Hände heranzuziehen, die längere Zeit
mit keinem Desinfektionsmittel, besonders nicht mit Sublimat,
in Berührung gekommen waren. Ich machte anfänglich die
Untersuchungen mit meinen Händen und den Händen anderer
Assistenten, musste mich aber bald überzeugen, dass damit zu¬
verlässige Resultate nicht zu erzielen sind. Die Haut unserer
Hände ist mit Sublimat und anderen Desinfektionsmitteln im¬
prägniert, der primäre Keimgehalt war meist ein sehr geringer,
die Keime gingen in den Nährböden erst nach längerer Zeit,'
oft erst nach 8 1 agen auf, nachdem die entwicklungshemmende
Wirkung des Sublimats aufgehoben war. Wie sehr das
Sublimat an unserer Haut haftet, davon konnte ich mich durch
eine Waschung mit Schwefelammoniumlösung überzeugen
3 Tage nachdem ich mit keinem Desinfektionsmittel in Be¬
rührung gekommen war, meine Hände wurden braunschwarz.
Dass der Fehler Quellen unendliche sind, wenn wir mit solchen
Händen experimentieren, glaube ich, kann nicht in Zweifel ge¬
zogen werden.
Ich machte meine Versuche grösstenteils mit Bader¬
gehilfen, die ich für die Approbationsprüfung vorzubereiten
hatte, nur einige mit sonstigen intelligenten Laien. Die Ver¬
suche wurden alle unter meiner Leitung und Aufsicht aus¬
geführt. Dass ich nur Leute nahm, deren Hände in gutem Zu¬
stande waren, und dass ich die Leute vor dem Versuche ent¬
sprechend belehrte und unterwies, glaube ich nicht hervor¬
heben zu müssen. Ich gewann stets den Eindruck, dass sich
alle Mühe gaben, ihr Bestes zu leisten. Es Hesse sich ein¬
wenden, dass es sich hier um Leute handelt, die noch keine
oder wenigstens nicht genügende Erfahrung und Uebung im
Desinfizieren der Hände hatten und meine Versuche deshalb
nicht einwandfrei seien. Wenn meine Versuche den Zweck
verfolgten, nachzuweisen, ob mit einer Methode Keimfreiheit
der Hände zu erreichen ist, dann hätte der Einwand seine Be¬
rechtigung, so war es mir aber darum zu tun, verschiedene
Desinfektionsmethoden zu vergleichen und daraus auf deren
Leistungsfähigkeit einen Schluss zu ziehen. Die sich etwa ein¬
schleichenden Fehler wiederholen sich und beeinträchtigen die
\ ergleichenden Resultate nicht. Ich bin überzeugt, durch
Heranziehung von verschiedenartig beschaffenen Händen zu
meinen Versuchen mehr Urteil für die Leistungsfähigkeit einer
Methode bekommen zu haben, als wenn ich stets mit den
gleichen Händen experimentiert hätte.
Nach dei Entfernung des Desinfektionsmittels musste die
durch den Waschprozess entfettete trockene Haut aufgeweicht
w erden, um ein gründliches Abschaben der Hände zu ermög¬
lichen und die tiefer gelegenen Keime berücksichtigen zu
können. Ich verwendete zuerst steriles Wasser, in den spä-
tcien Vei suchen aber nach F ü th s Vorschlag 0,1 proz. Natron¬
lauge. Nach Anwendung der Natronlauge wurden die Hände
mit sterilem Wasser abgespült, mit sterilen Hölzchen abge¬
schabt und so der Keimgehalt der desinfizierten Hand festge¬
stellt.
Am zweckmässigsten werden alle diese Manipulationen
nach dem Vorschläge von Paul und Sarwey in einem
sterilen Kasten ausgeführt, um eine Luftinfektion während des
Versuches vollkommen auszuschiiessen. In den hier auf¬
geführten Versuchen musste aus Zeitersparnisrücksichten,
sov le mit Rücksicht auf die ausführenden Personen vom
Kasten Abstand genommen werden. Es wurden die Versuche
15. Oktober 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
<2091
teilweise im Freien gemacht, da bekanntlich die Luft dort keim-
ärmer ist.
I Sublaminalkohol m e t h o d e nach Engels.
Engels versuchte durch Zusatz von Desinfizientien zum Alko¬
hol eine befriedigendere Wirkung der Händedesinfektion zu erreichen,
als dies bei den bisher üblichen Methoden der Fall war. Er machte
Versuche mit Lysoform-, Bazillol- und Sublaminalkohol und erzielte
die besten Resultate mit Sublaminalkohol.
Sublamin ist Quecksilbersulfatäthylendiamin. Die Vorzüge des
Sublamins sind nicht zu unterschätzen: Es besitzt alkalische Reaktion
und ist meines Erachtens dadurch die ihm nachgerühmte vortreffliche
Tiefenwirkung bedingt, die Desinfektionskraft steht der des Sublimats
nicht nach, mit Seife entsteht keine Fällung, Nickelinstrumente werden
nicht angegriffen. . . „ . , ,
Dass das Sublamin nicht völlig reizlos ist, wie in allen Berichten
angegeben wird, habe ich bereits oben angeführt. Es handelte sich
dabei allerdings um Hände, die durch das vorausgegangene Subhmat-
ekzem sehr empfindlich waren. Nicht in Zweifel kann gezogen wer¬
den, dass die Reizerscheinungen einer wässrigen Sublaminlösung ge¬
ringer sind, als die einer Sublimatlösung, wie ich auch an meinen
eigenen Händen feststellen konnte.
Engels empfiehlt 0,2 proz. Lösung von Sublamin in 99proz.
Alkohol.
Seine Anordnung lautet: ,
Waschen der Hände mit steriler Seife (brauner Kaliseife) und
steriler Bürste in heissem Wasser . 5 Minuten;
Behandeln der Hände mit Alkohol-Sublamin-Lösung mit Hilfe
eines sterilen Flanellappens . 5 Minuten.
Seine Resultate sind: ln 4 (von 5) Versuchsphasen erzielte er
100 Proz. Keimfreiheit. Nicht nur die Keimabnahme von der des¬
infizierten Hand blieb in allen Versuchen ohne Erfolg, auch in den
tiefen und tiefsten Schichten hatte die 2 prom. alkoholische Queck-
silberlösung derart wirken können, dass die vom Sandbad gegossenen
Platten stets steril blieben, von den gescheuerten Händen keine Bak¬
terien entnommen werden konnten und die mit dem scharfen Löffel
von der rechten Hand abgeschabten Teile — es handelte sich nicht
selten sogar um kleine Hautläppchen — keine lebenden Mikroorganis¬
men mehr enthielten.
Nach der Infektion mit Tetragenuskeimen erhielt Engels:
93,9 Proz. sterile Platten.
6,1 Proz. wenige Keime;
Nach Infektion mit Staphylokokken:
92,3 Proz. sterile Platten,
7,7 Proz. wenig (1 — 20) Keime.
Seine Resultate sind überaus günstig.
2. Durch 5 Minuten langes Waschen der Hände mit Bürste,
Schmierseife und messendem, warmem Wasser wird die An¬
zahl der Keime an den Händen sehr vermindert.
Diese hochgradigeKeimverminderung steht anscheinend im
Widerspruch mit den Befunden der meisten Untersucher. Der
Grund liegt in der verschiedenen Händebeschaffenheit der
waschenden Personen: Während die anderen Untersucher mit
den besser gepflegten Händen von Aerzten und Chirurgen ex¬
perimentierten, arbeitete ich mit Ueuten, die ihren Händen
nicht die nötige Pflege angedeihen lassen. Der Keimgehalt der
Hautoberfläche ist hier natürlich viel grösser, die oberflächlich
gelegenen Keime lassen sich durch die Waschung leichter ent¬
fernen und so ist der gute Effekt zu erklären.
3. Nach der Desinfektion mit Sublaminalkohol blieben die
Nährböden steril. Die Ursache ist die Trockenheit und dadurch
erschwerte Abschabbarkeit der Haut und nicht zum geringsten
die wachstumshemmende Wirkung des auf den Nährboden
übertragenen Sublamins.
4. Nach Aufhebung der entwicklungshemmenden Wirkung
des Sublamins durch Schwefelammoniumlösung und Baden der
Hände in warmem, sterilen Wasser lassen sich von den ma¬
zerierten Händen stets mehr oder weniger zahlreiche Keime
mittels Hölzchen gewinnen.
5. Die Keimverminderung ist eine hochgradige und betragt
unter 9 Versuchsreihen einmal 94,3, 3 mal über 98 und 5 mal
über 99 Proz.
Dass die Resultate ganz andere sind, wenn man mit Händen
von Aerzten arbeitet, die Erfahrung, Uebung und Verständnis
für Händedesinfektion haben, deren Haut aber auch mit
Sublimat und andern antiseptischen Flüssigkeiten imprägniert
ist, mögen drei Versuche zeigen, die an einem Tage ausgeführt
wurden, an dem wir mit Sublimat nicht in Berührung ge¬
kommen waren.
Die Versuchsanordnung war die gleiche wie oben, nur
wurde zum Mazerieren der Hände sterile 0,1 proz. Natron¬
lauge 7 Minuten lang benützt.
oUUld.111111 lid.un uci vv aoLiiuiij; ihwiil «.uo, ou UUJJ ~
Nährboden übertragen wurde und hier seine entwicklungshemmende
Wirkung entfalten konnte.
Meine Versuchsanordnung war: Nach Kürzung der Nägel und
Reinigung der Unternagelräume und Nagelfalze vom sichtbaren
Schmutz, Waschen der Hände mit Schmierseife, steriler Bürste und
fliessendem warmem Wasser 5 Minuten lang. Bearbeiten der Hände
mit 0,2 proz. Sublamin-Alkohol mit Hilfe einer sterilen Bürste 5 Mi¬
nuten lang, Entfernung des Quecksilbers durch Waschen der Hände
in Schwefel-Ammonium-Lösung 5 Minuten lang, Baden der Hände
in sterilem Wasser 7 Minuten lang.
Nach dem Vorschläge von Sarwey wurde statt des Flanell¬
lappens die Bürste verwendet.
Versuchs¬
personen
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4 800
2 640
16 800
72 480
72 000
6 720
5 760
36 480
15 600
72
2 680
220
540
94
690
2 160
0
0
0
0
1
0
0
0
0
4
44
100
650
80
380
110
500
140
Proz.
99,9
98.3
99.4
99.1
99,8
94,3
98.1
98,6
99.1
Aus den Versuchsreihen ergeben sich folgende Resultate:
1. Von den feuchten, unvorbereiteten Tageshänden können
bei ailen Versuchspersonen mittels harter, steriler Hölzchen
sehr zahlreiche Keime entnommen werden.
Versuchspersonen
Primärer
Keimgehalt
Keimgehalt nach der
Desinfektion etc.
Dr. Gras mann
3
4
Dr. Zeller
24
0
’ Dr. He nes
22
0
So starke, bakterientötende Eigenschaften der Sublamm¬
alkohol demnach auch hat, so fürchte ich doch, dass er sich für
die Praxis nicht eignet, eine häufigere Anwendung des Subla-
minalkohols mittels der Bürste wäre wenigstens für unsere
nicht sonderlich empfindlichen Hände wegen auftietender hef¬
tiger Reizungserscheinungen ausgeschlossen. Auch die An¬
wendung des Sublaminalkohols mittels eines Flanellappens, wie
Engels angibt, reizt, wenn auch in geringerem Grade, die
Haut. Ob die Resultate bei Anwendung eines Flanellappens
ebenso günstig ausfallen, wie beim Gebrauch der Bürste, kann
ich nicht entscheiden, da ich hierüber keine Versuche angestellt
habe. Ich bin der Ueberzeugung, dass mit der Bürste der
grösste mechanische Effekt erzielt werden kann.
II. Händedesinfektionsmethode nach S c h um ¬
berg mit Alkohol-Aethermischung und proz.
Salpetersäure.
Oberstabsarzt Schumberg suchte nach einem schnellen und
schonenden Desinfektionsmittel, das besonders den Kriegschirurgen
von Vorteil sein müsste. . ... ,
Er empfiehlt auf Grund seiner Untersuchungen eine Mischung von
2 Teilen Alkohol absolut., 1 Teil Aetber und setzt U proz. Salpeter¬
säure zu. Die Salpetersäure soll entwicklungshemmend wirken und
zugleich für die Hände angenehm sein, da sie Sprödigkeit und Risse
Von der Mischung werden 100 — 150 ccm 1 2 Minuten lang mit¬
tels gewöhnlicher, entfetteter Wattebäuschchen zur Desinfektion dei
Er stellte fest, dass die Desinfektion von 2Va Minuten Dauer mit
saurer AlkohoJ-Aether-Mischung meist über 99 Proz. der an der Ge¬
brauchshand haftenden Keime entfernt. Die Desinfektion ist nicht nui
oberflächlich, eine fast vollständige, sondern sie beseitigt auch .3
2092
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
aut wenige Reste die in der Tiefe der Haut vegetierenden und
schwer zugänglichen Keime, ohne die Haut selbst, wie das beim
Bürsten mit Seife der Fall ist, zu schädigen.
Die Resultate sind überraschend gute. Die Erklärung für die
guten Resultate ist in der von Schumberg angewandten Methodik
zu suchen. Schumberg stellte die Anzahl der Keime meist nur
nach Bewegen der Fingerspitzen in flüssigem Agar von 45° C fest.
In mehreren Versuchen wurde nebenbei die Hohlhand mit sterilen
Lanzettenklingen abgeschabt, um den Keimgehalt der Tiefe zu er¬
mitteln; es wurde jedoch stets die trockene, durch die voraus¬
gegangene Waschung mit saurer Alkohol-Aether-Mischung teilweise
entfettete Haut abgeschabt, wodurch die Keimentnahme natürlich sehr
erschwert ist; die Agarplatten wurden nur 1 Tag beobachtet.
Mehrere Vorversuche, die teils nur die Finger, teils nur die
Unternagelräume und Nagelfalze unserer Hände betrafen, ergaben ein
\ iü ungünstigeres Resultat als die Desinfektion mit Sublaminalkohol
oder .Jodbenzin. Um mir unnötige Arbeit zu ersparen, wählte ich
zu den Versuchen 2 Badergehilfen, die in der Händedesinfektion be¬
reits einige Uebung besassen.
Meine Versuchsanordnung war. Nach Kürzung der Nägel etc.
wurden, die Hände 2Vz Minuten mit der sauren Alkohol-Aether-
Mischung nach den Angaben von Schumberg mittels steriler
attetupfer bearbeitet, darauf die Hände 7 Minuten lang in warmem,
sterilem Wasser gewaschen.
Versuchs¬
personen
Primärer
Keimgehalt
Keimgehalt der
Hände nach der
Desinfektion
Eichstätter
Bayer
57 840
39 600
3 360
3 600
Keimgehalt der
Hände nach dem
Baden in steri¬
lem Wasser
Keimvermin¬
derung
6 000
4 320
Proz.
89,6
89,1
Wie aus meinen Versuchen 'zu entnehmen ist, ist die An¬
zahl der Keime, die sofort nach der Desinfektion von den
trockenen Händen abgeschabt werden kann, eine sehr grosse-
nach Mazerierung der Haut ist die Keimzahl eine noch höhere
Die Keimverminderung ist eine relativ hohe, der Grund ist wie
nach der Seifenwaschung in der Beschaffenheit der Hände
meiner Versuchspersonen zu suchen.
Nachdem die Ergebnisse meiner Versuche mit meinen Vor¬
versuchen ubereinstimmten, glaubte ich auf weitere Versuche
verzichten zu können.
III. Die von uns bisher geübte modifizierte
Fürbringersche Methode.
Jnteressant war fs für uns, die Leistungsfähigkeit der bei uns
seit Jahren geübten Methode zu erfahren.
Unsere Vorschrift lautet:
1. Waschen der Hände mit Bürste und Schmierseife in warmem
messenden Wasser — 10 Minuten; m
nuteir ^iirSten der Fände mit 0,2 proz. Asterolseifenspiritus — 5 Mi-
3. Abspülen des Seifenspiritus in messendem Wasser;
4. Bürsten der Hände mit 1 prom. wässriger Sublimat- resp
2 prom. Sublaminlösung — 5 Minuten.
nn'netl yfrsuchen wurde 2 prom. Sublaminlösung verwendet
J ei ’h ; fr !d e Tn ° sS w f f 7\ T d £ die.WirTkunS des Sublamins durch Baden
der Bande in Schwefel-Ammomum-Lösung, 5 Minuten lang ausce-
rMi‘„t^t„d,ananufKtwS.dUrCh Wasch“ WP-teÄ
Versuchs¬
personen
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Stoffel
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37 920
50 400
9 600
5 280
38 880
6 720
290
5 280
2 160
6 480
5 520
190
190
Pioz.
75.5
50,0
90,3
86.6
99.5
99.6
Aus den Versuchen ist zu entnehmen:
Lvy°cn den muhten, unvorbereiteten Tageshänden können bei
a|Ien Versuchspersonen mittels steriler harter Hölzchen sehr zahl
reiche Keime entnommen werden. zam
Q ., 2' ^ach 10 Md!uten langer Bearbeitung der Hände mit Bürste,
Seife und warmem Wasser wird die Anzahl der Keime sehr vermindert
angegeben hochgradigen Keimverminderung habe ich bereits oben
3. Nach der Waschung mit Asterolseifenspiritus und 2 prom Su¬
blaminlösung, Entfernung des Quecksilbers und Mazerierung der Haut
können in allen Fällen mehr oder weniger zahlreiche Keime von den
Händen entnommen werden.
Wie aus den Tabellen zu ersehen ist, ist der Keimgehalt der
Fände nach der Desinfektion bei den ersten 4 Versuchen ein sehr
hohen wahrend die beiden letzten Versuche günstig ausgefallen sind.
L et hohe Keimgehalt der Hände, den ich in den ersten 4 Ver¬
suchen nach der langdauernden und intensiven Waschung erhalten
hatte, war überraschend. Hätte ich Sublimat als antiseptisches Wasch¬
wasser benutzt, so wäre der Grund der schlechten Resultate klar
gewesen: Das Sublimat wird durch die an der Haut haftenden Seife
zersetzt, es bilden sich unlösliche Quecksilberverbindungen und das
Sublimat wird unwirksam.
Zunächst stellte ich Versuche mit der verlängerten Ftir-
b r ! n g e r sehen Methode an. Meine Versuchsanordnung war- Nach
Kürzung der Nägel etc., Waschen der Hände mit Bürste, Schmier¬
seife in warmem messendem Wasser 5 Minuten lang. Waschen der
Hände mit 90 proz. Alkohol und Bürste 2 Minuten lang. Waschen
der Hände mit warmer 2 prom. Sublaminlösung 5 Minuten lang, Baden
dei Hände in Schwefelammoniumlösung 5 Minuten lang, Mazerierung
der Haut mit 0,1 proz. Natronlauge 7 Minuten lang.
Versuchs¬
personen
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184 320
60 960
39 360
450
1 080
480
820
210
Proz.
99,7
98,6
99,5
Die Resultate mit der verlängerten F ii r b r i n g e r sehen Me¬
thode waren bedeutend besser als mit der von uns geübten Modi¬
fikation. Es musste also die Anwendung des Seifenspiritus die Ur¬
sache der schlechten Ergebnisse sein.
Bei meinen beiden letzten Versuchen Hess ich nach der Waschung
mit Astero seifenspiritus die Hände ca. 2 Minuten in messendem
warmem Wasser tüchtig waschen, um die Seife von der Haut mög-
hchst vollständig zu entfernen. Der Erfolg ist aus den gewonnenen
Resultaten zu ersehen; ich erhielt in beiden Versuchen über 99 Proz
Keimverminderung.
(Schluss folgt.)
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik München (Direktor:
Herr Geh. Rat Prof. Dr. v. W i n c k e I).
Lieber die Verwendung der flüssigen Somatose bei
Wöchnerinnen.
Von H. Schmidt, ehern. Koassistent und Med.-Praktikant
der Klinik.
Seit Einführung der Somatose als Nährpräparat durch
:u , dx?. b r a n d t Ü im Jahre 1893 haben sich die Ansichten
ubei den Nährwert der künstlichen Eiweisspräparate allmählich
geklärt.
Man hat die Ueberzeugung gewonnen, dass kaum eines
der künstlichen Eiweisspräparate imstande ist, beim er¬
wachsenen Menschen den N-Bedarf zu decken; mit anderen
dass diese Erzeugnisse die Eiweissnahrung nicht voll-
standig ersetzen können. Dagegen hat man ihren Wert in
iln ei Eigenschaft als kräftigende und appetitanregende Mittel
schätzen gelernt.
Auch die Somatose wurde anfangs als Nährmittel und
daher in viel zu grossen Dosen gegeben. Diese Mengen wurden
ungenügend resorbiert, und die Folge davon war eine Darm-
leizung, die der Verbreitung des Präparates nicht gerade
förderlich war. Wenn sich die Somatose trotzdem heute eines
ausgedehnten Gebrauches erfreut, so hat das darin seinen
Grund, dass sie, in medizinalen Dosen gegeben, als Roborans
und Stomachikum ausgezeichnete Dienste leistet, wie dies die
Praxis am Krankenbett beweist.
Man hielt nach den älteren Versuchen von Voit, Bauer,
Hofmeister u. a., gemäss deren natives Eiweiss vom Darm
aus aufgenommen werden kann, die Verwendung vorverdauter
EAveisspräparate als Arbeitserleichterung für den geschwäch¬
ten oder kranken Darm für überflüssig. Nach den neuesten
Untersuchungen von H u g o u n e n q - Lyon scheint dagegen
festzustehen, dass das Nahrungseiweiss in weitgehendster
') Verhandlungen des XII. Kongresses für innere Medizin, Wies¬
baden 1893.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2093
Weise gespalten wird, dass durch den Darmsaft Albumosen
und Peptone bis zu den Aminosäuren gespalten werden, aus
denen sich dann wieder leicht resorbierbare Zwischenstufen
albuminoider Form durch Kuppelung aufbauen.
Werden Albumosen, z. B. Somatose, zugeführt, so bleibt
dem Darm ein Teil seiner Arbeit, die Eiweissstoffe erst in oben
genannte Zwischenprodukte zu verwandeln, erspart. Nur muss
vorsichtig dosiert werden. Zuntz*) hat nachgewiesen, dass
der Körper aus der in der Somatose enthaltenen und ihm zu¬
geführten N-Menge N ansetzt. Der Verdauungstraktus wird
durch Somatose weniger in Anspruch genommen als bei Gaben
nativen Eiweisses; die dabei auftretende Oxydations¬
steigerung ist äusserst gering und klingt schneller ab
als bei nativem Eiweiss. Man kann also demnach die Somatose
als vorzügliche Krankenbeikost verabreichen bei allen den
fieberhaften Krankheiten, bei denen Oxydationssteigerungen
von üblem Einfluss sind, namentlich Temperatursteigerungen
hervorrufen, z. B. bei Tuberkulose.
Die appetitanregende Wirkung der Somatose ist eine heute
fast allgemein anerkannte Tatsache. Nach Singer") soll es
sich hierbei um eine Erhöhung der Motilität des Magens und
dadurch bedingte schnellere Entleerung seines Inhaltes handeln.
Winkler und Stein2 * 4) haben mit ihrer Jodipinprobe den
strikten Beweis für die Sing ersehe Anschauung erbracht.
Das bei ihren Somatoseversuchen gegebene Jod wurde näm¬
lich schneller und in grösseren Mengen in den Sekreten aus¬
geschieden, als in gewöhnlichen Fällen.
Nach v. 0 e f e 1 e 5 6) wird bei der Verdauung der Fette nur
ein Teil derselben verseift und dieser verseifte Teil übernimmt
dann die Emulgierung des übrigen Fettes. Analog gestaltet sich
die Verdauungsarbeit des Körpers auch beim Eiweiss. Es wird
ein Teil des Nahrungseiweisses gespalten, dadurch entstehen
Zwischenstufen und mit Hilfe dieser erfolgt dann die weitete
Losung und Resorption des übrigen Eiweisses.
Gibt man nun Somatose, also einen schon gespaltenen Ei¬
weisskörper, eine Zwischenstufe, so werden durch sie nac .
dem oben Gesagten genuine Eiweisskörper gelöst', die Ver¬
dauung wird beschleunigt und so der Appetit des Kranken aut
natürlichem Wege gehoben. Eine Theorie, die sich sehr wohl
mit der experimentell konstatierten erhöhten Magenmotilität in
Einklang bringen lässt.
Weiterhin hat v. 0 e f e 1 e ö) nachgewiesen, dass die Soma¬
tose vollständig resorbiert wird. Denn selbst nach grossen
Dosen — bis zu 30 g im Tag — zur übrigen Kost gegeben,
fanden sich im Kot weder Albumosen noch Peptone.
Ungenügende Resorption und dadurch bedingte Darm¬
reizung zeigen sich nur bei zu grosser Dosierung der Somatose,
wie schon oben angeführt wurde. Und wer mit der Liteiatur
der künstlichen Eiweisspräparate vertraut ist, wird deraitige
Experimente von vornherein meiden.
Physiologische Versuche und langjährige praktische An¬
wendung am Krankenbett haben den sicheren Erweis gebiacht,
dass durch mässige Somatosegaben, als Beikost gegeben,
Darmtätigkeit und Appetit angeregt werden, die Verdauung
direkt und indirekt durch leichtere Verarbeitung und Aus¬
nutzung des N-haltigen Materiales gefördert wird.
Ich habe nun die neue flüssige Somatose an der Münchener
Universitäts-Frauenklinik und Hebammenschule seit zirka
2 Jahren angewendet und in zirka 2000 Fällen probiert.
Bei der meist nur 7 tägigen Aufenthaltsdauer der Frauen
bei normalem Wochenbett in den Anstalten musste ich natür¬
licherweise von Versuchen über die physiologische Ausnützung
der Somatose absehen, ebenso von einer Kontrolle des Hämo¬
globingehaltes des Blutes.
Mir kam es darauf an, festzustellen wie die Somatose auf
Darm, Magen, Appetit der Wöchnerinnen wirkt, wie sie von
ihnen vertragen, ob sie gern genommen wird, und ob eine
Hebung des Ernährungs- und Kräftezustandes bei geschwäch-
2) Bericht der Deutschen pharm. Ges., 9. November 1902 und
Heft I, 1903.
US'inger: Therap. Monatshefte No. 10, 1902.
4) Zentralbl. für innere Medizin 1899, XX. pag. 849.
5) Wiener klin. Wochenschr. No. 48, 1904, No. 2, 1905.
6) Allgem. med. Zentralztg. No. 41, 1905.
ten Patienten, in der Rekonvaleszenz etc. durch Somatosc
merklich gefördert werden kann.
Verabreicht wurde flüssige „süsse“ und „herbe“ Somatose.
Ich kann nicht behaupten, dass eine von beiden Sorten be¬
vorzugt worden wäre. Beide wurden gleich gerne genommen.
Ich kenne nicht einen einzigen Fall, wo die Somatose Wider¬
willen erzeugt hätte und zurückgewiesen wurde. Die süsse
Somatose bekamen die Wöchnerinnen pur, die herbe habe ich
als Zusatz zu Suppen, zu Fleischbrühe etc. gegeben; sie wurde
in dieser Form ausserordentlich gern genommen.
In Anbetracht der, wenn auch physiologischen, so doch
sehr intensiven Alteration sämtlicher Körperfunktionen durch
eine Geburt, wurde zunächst mit geringen Dosen (2 rheelöffel
am ersten Tage) begonnen und schliesslich gesteigert bis zu
3 maliger täglicher Gabe eines ganzen Esslöffels. Niemals
wurden üble Erscheinungen von seiten des Verdauungstraktus
beobachtet. Die Wirkung der Somatose war augenscheinlich.
Namentlich durch starke Blutverluste geschwächte Wöch¬
nerinnen mit völlig darniederliegendem Appetit nahmen schon
nach wenigen Somatosegaben die ihnen gebotene Wochenbett¬
kost gern und reichlich auf.
In den nicht sehr zahlreichen Fällen, wo ein längerer
Klinikaufenthalt geboten erschien, und eine Hämoglobinkon¬
trolle daher möglich war, liess sich ein regelmässiges stetes
Ansteigen des Hämoglobingehaltes beobachten, der ohne
Zweifel auf Rechnung der, mit Hilfe der Somatose sich stei¬
gernden reichlicheren Nahrungszufuhr und gründlicheren Aus¬
nutzung des Gebotenen zu setzen sein dürfte.
Die Eigenschaft der Somatose, gut und leicht vertragen zu
werden, hat sie zu einem schätzenswerten Mittel in all den
Fällen gemacht, wo infolge heftigen, unstillbaren Erbrechens
iede Nahrungsaufnahme per os unmöglich gemacht wurde. Ich
hatte des öfteren Gelegenheit, die ausgezeichnete Wirkung der
Somatose bei solchen schweren Fällen zu beobachten. Mit
Rücksicht auf das fortgesetzte Erbrechen und die dadurch be¬
dingte völlige Inanition erhielten stark geschwächte Wöchne¬
rinnen zunächst nur ein ganz geringe Menge (etwa lK Thee-
löffel pro die) Somatose; eine Dosis, die stets behalten wurde;
niemals mussten des öfteren vergebliche Dosen gegeben
werden. Langsam wurde gesteigert. Die Frauen bekamen
Appetit, wurden zusehends kräftiger und verlangten immer
gierig nach ihrer Somatose. Vom 3. — 4. Tage an wurde zur
gewöhnlichen Wochendiät übergegangen, die reichlich ge¬
nossen, nicht erbrochen und gut verdaut wurde.
Diese- ausgedehnte klinische Anwendung der flüssigen
Somatose und die damit erzielten Resultate beweisen, dass
dieses künstliche Albumosenpräparat in der Wochenbettpraxis
als kräftigendes und appetitanregendes Mittel tatsächlich ganz
vorzügliche Dienste leistet, dass es die Ernährung befördert,
dabei Magen und Darm durchaus nicht belästigt.
Aus der medizinischen Klinik in Jena (Direktor: Geh. Med. -Rat
Prof. Dr. S t i n t z i n g).
Ein Todesfall infolge reflektorischer Anurie nach Harn¬
röhrensondierung bei einem Manne mit hochgradigen
Schrumpfnieren.
Von Dr. Hermann Bennecke, Assistent der Klinik.
Der mitzuteilende Fall hat vielleicht einiges allgemeine
Interesse, da Umstände, wie die zu schildernden, häufiger
gegeben sein dürften, und derart unliebsame Ereignisse, be¬
sonders ausserhalb einer Klinik oder eines Krankenhauses, dem
Arzte von den Laien leicht zum Vorwurf gemacht und als
Kunstfehler ausgelegt werden können, ohne dass ein Ver¬
schulden ärztlicherseits vorliegt.
Anamnese: 65 jähriger, auf der Wanderschaft foefindlichei
Buchbinder, der wegen rheumatischer Beschwerden, besonders im
rechten Knie in die Klinik aufgenommen wurde. Ausserdem klagte
er über starkes Brennen beim Urinieren und häufigen Harndrang,
der ihn nötigte, ungefähr alle halben Stunden tags und nachts Wassei
zu lassen. Der Urin ging jedoch nur tropfenweise und unter starken
Schmerzen in der Blasen- und Nierengegend ab. Schliesslich klagte
er noch über Appetitlosigkeit und geringe, aber fast ständige Kopt-
schmerzen, besonders im Hinterkopfe.
2094
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Die Familienanamnese ist belanglos. Pat. hat Kinderkrank¬
heiten gehabt und wegen allgemeiner Körperschwäche nicht ge¬
dient.
Vor ca. 40 Jahren will er sich gonorrhoisch infiziert und wegen
eines chronischen 1 rippers lange Zeit in ärztlicher Behandlung ge¬
standen haben. Als Folge davon soll es zur Entwicklung einer Harn-
röhrenstriktur gekommen sein, die nach erfolgloser anderer Behand¬
lung zweimalige Operationen, zuletzt vor ca. 5 Jahren, nötig machte.
Angeblich hat Pat. sich schon früher monatelang ohne schädliche Fol¬
gen katheterisiert; auch in letzter Zeit hat er wegen der erneuten
Beschwerden beim Urinlassen wieder den Katheter angewandt Es
liess sich nicht feststellen, ob die Zystitis die Ursache oder Folge
dieses Eingreifens war.
Bis vor einigen Jahren will er viel Bier und Wein getrunken
naben.
Status: Mittelgrosser, schlecht genährter, elender Mann von
etwas blassem Aussehen.
i ^ au *. 've^k und schlaff. An den Knöcheln geringes Oedem
das nach einigen Tagen bei Bettruhe schwindet.
Lungen etwas emphysematos ; dabei geringer Katarrh.
Herz nach rechts und links etwas verbreitert; Herztöne leise
Hrnri/n« Sls m/ss^.lefüllt/ etwas gespannt, regelmässig. Blut¬
druck 118— 132, ändert sich während der Beobachtung nicht nennens¬
wert. A. radiajis etwas verhärtet.
^•foBaUDCh0IoS,ane ausser gerinSer Koprostase ohne Besonder-
“™?ni B «"1 Paaren in der Blasengegend werden die Bauch¬
muskeln reflektorisch angespannt.
Reflexe sämtlich etwas herabgesetzt,
findliclf r IinkC ProstatalapPen ist etwas vergrössert und emp-
Am Penis finden sich im hinteren Teile die glatt vernarbten
Operationswunden. Ausfluss aus der Harnröhre besteht nicht.
1- a perkutorisch und palpatorisch über den Füllungszustand der
Blase nichts festgestellt werden konnte, so wurde zur Prüfung auf
Resturin mit einem Nelatonkatheter eingegangen. In der Harnröhre
war dabei mit Sicherheit keine Striktur nachzuweisen: es gelang nur
mit der allergrössten Mühe, die Pars prostatica resp. posterior ure-
urinefaZndPsTchenfchtda ^ Starker SPhinkt«renkrampf bestand. Rest-
Der Urin war trübe, roch ammoniakalisch und enthielt bei der
ÄerTSZyMnd^terS“ChUnS: Sehr Vie‘ Eiter Sehr Spärlic"e
an eine' aszendieren^PyeLnephritis1 gedacht re’ SPä‘er W“rde a“ch
Der weitere Verlauf war nun der, dass sich ein mit gelegent-
lichen, nicht sehr hohen Temperatursteigerungen, ständigem Er-
k'prCR6n V°n Sct e-im un? Speisen’ Kopfschmerzen und wechselnd star¬
ke Zustand entwickelte, der als chro-
! ' ncbe Uraemi1|, aufgefasst werden musste. Von einer lokalen Be
andlung der ßlase wurde unter diesen Umständen abgesehen viel
mehr erhielt der Kranke zunächst Urotropin, später statt dessen' lanv«
Zeit hindurch mit scheinbar demselben, nicht ungünstigen Erfolg«
Zystopunn und 1 Flasche Wildunger Helenenquelle täglich Ausse
entsprechender Nephritisdiät bekam er öfters warme Bäder geger
entb®?rwdee”en Thermophore- Morphium konnte abends „ich
pr ^oräbersehend musste der Kranke rektal ernährt werden dz
vor allen Speiser beiam “"d eine" unübe™i"clli‘:l>en Widerwillen
Die ISÄ'Ä^SlSSliSS^^ Ä
wurde langsam immer klarer, bis schliesslich im ^zentrifngieiten Urin
wipCp°Ch Se?r sparliche’ ]a oft gar keine Leukozyten usw. nachge¬
wiesen werden konnten. Ebenso ging es mit den an sirti cpimn
nicht sehr reichlichen Zylindern, die meist nur mit grösster Mühe
zwisfhenToon Zunnnden wa-r£n' ,Die Urinmeilge schwSkte letet
zwischen 1000—1400 ccm, wahrend sie früher zeitweise auf 300 rnnl
gesunken war; das spez. Gewicht des Urins betrug 1006—1010- Ei-
von ]etzt ab bis mm Tode nie auch nur in Spuren trotz
ast täglicher Untersuchung nachzuweisen. Das Körpergewicht nahm
der Appetit wurde zeitweise recht SS und de”
mnrP fl5gR n aufzustehen. Er klagte nur noch über leichten Magen-
druck und Brennen m der Harnröhre beim Urinieren.
Unter diesen Umständen wurde aufs Neue erwno-pn nh n,vr,+
pea .ersten Untersuchungen, die wegen der lebhaften Klagen
des I at. über sehr starke Schmerzen bald hatten abgebrochen wer¬
den müssen, doch eine Striktur übersehen worden sei Doch stellte
eine nochmalige, spezialistische Untersuchung (Dr 'Spiethoff)
mit Sicherheit fest dass eine Striktur nicht bestand" Das Einführen
du Katheter und Bougies war auch diesmal durch den Sphinkteren
krahrJ1cpf erschwert, doch verlief davon abgesehen die mit^llen Vor-
sichtsmassregeln ausgeführte Untersuchung vollkommen glatt Nur
klägte der Pat. dabei wieder über lebhafte Schmerzen die auch nach
der Untersuchung unvermindert anhielten. Dazu gesellte sich dann
noch ein Gefühl grosser Mattigkeit und Hinfälligkeit so dass Pat
au suchte. Kurze Zeit später wurde er von einem starken
v üuittehrost und äusserst lebhaften Schmerzen, die von der Damm-
^egend in das Skrotum, die Ureteren- und Nierengegend ausstrahlten.
befallen, so dass der sonst gegen sich sehr harte Mann laut stöhnte
und schrie. Dabei war der Puls bis 100 beschleunigt, etwas ge¬
spannt; der Blutdruck war wegen der Unruhe nur ungenau bestimm¬
bar, betrug ca. 140 mm; die Pupillen waren eng und scheinbar re¬
aktionslos; dabei bestand bis zum Tode eine ausgesprochene Zyanose
der Lippen und der sich kalt anfühlenden Extremitäten; Krämpfe
wurden nicht beobachtet. Zugleich stieg die Temperatur, die zufälli¬
gerweise am Tage vorher — wie aber auch schon früher gelegent-
, lieh die subnormalen Werte von 35,6 — 36° gezeigt hatte, auf 38,4°.
Irgend ein besonderer Grund liess sich nicht finden, so dass die Tem¬
peratursteigerung als Katheterfieber gedeutet wurde. Die Zahl der
Leukozyten betrug 8000 und stieg, um das vorweg zu nehmen, an
dem nächsten Tage bis 9300.
Abends steigerte sich die Unruhe des Pat. bis zu wahren De¬
lirien: er warf sich mit rollenden Augen, laut stöhnend, schreiend und
über die heftigsten Schmerzen im Kopfe, der Harnröhre und dem Leibe
klagend hin und her. Die Zunge war trocken, rissig, ohne dass hohes
Fieber bestand. Gierig trank der Kranke die ihm gereichte Milch und
andere Getränke in grossen Mengen; feste Nahrung aber wies er bis
zu seinem Tode zurück.
Erst nach einer Morphiuminjektion von 0,02, die Pat. schon früher
wiederholt und ohne irgendwelche bemerkenswerten Folgen be¬
kommen hatte, trat Ruhe ein. Diese ging dann vom nächsten Mor¬
gen an bis zu dem um 4 Uhr nachmittags erfolgenden Tode in einen
komatösen Zustand über, in dem der laut schnarchende Pat. auf keine
Reize reagierte.
Während der ganzen Zeit, d. h. von dem Tage an, an dem
katheterisiert wurde, bis zum Tode, während 30 Stunden
also, entleerte der Kranke nicht einen Tropfen
Urin. Wiederholt wurde die Blase auf ihren Füllungszustand unter¬
sucht, aber stets leer befunden. Es gelang auch auf keine Weise die
Urinsekretion anzuregen: so wurde Diuretin und Digalen per os
gegeben; durch Venaesektion wurden ca. 100 ccm Blut entleert und
danach 850 ccm physiologische Kochsalzlösung subkutan injiziert:
auf die Nierengegend wurden Thermophore gelegt und der Patient
in warme Tücher eingepackt. Aber es gelang weder die Urin-
noch Schweissekretion anzuregen, trotz,, wie erwähnt, genügender
Flüssigkeitszufuhr.
Dass Urin unbemerkt abgegangen ist, kann mit Sicherheit aus¬
geschlossen werden, denn es ist hierauf natürlich genau geachtet
worden.
Bei der Sektion erwies sich nun die Harnblase so gut wie
leer; sie enthielt einige Tropfen stark getrübter Flüssigkeit. Ihre
Schleimhaut liess ausser einer leichten ödematösen Schwellung über
dem Trigonum nichts Besonderes erkennen; an der Hinterwand,
oberhalb der rechten Uretermündung, fand sich ein Divertikel. Die
Harnröhre, deren Schleimhaut nichts Besonderes erkennen liess, er¬
wies sich als leicht durchgängig. Eine durch das Katheterisieren
bedingte Verletzung war nicht vorhanden. Ebenso waren beide
Ureteren vollkommen intakt und durchgängig. Beide Nieren zeigten
das Bild hochgradigster Schrumpfung, aber gleichfalls keine Spur
frischer eitriger Entzündung. Eine Erweiterung des Nierenbeckens
bestand nicht.
Sonst fand sich an den Organen nichts, das zur Klärung des
Falles beitragen konnte, auch nicht am Gehirne oder der Prostata.
Es ergibt sich also folgende Situation: Ein Mann mit chro¬
nischer, scheinbar nicht arteriosklerotischer Schrumpfniere
macht eine Zystitis durch, neben der ein als chronische Urämie
zu bezeichnender, sehr bedrohlich scheinender Zustand besteht.
Er erholt sich jedoch so, dass zeitweise bezüglich der Urämie
an eine Fehldiagnose gedacht wird. Da entwickelt sich in¬
mitten der schon wochenlang anhaltenden Rekonvaleszenz
innerhalb 30 Minuten im Anschluss an eine lege artis aus¬
geführte Harnröhrensondierung ein von vollständiger Anurie
begleiteter resp. eingeleiteter Zustand, der als akute U.rämie
gedeutet werden muss und der innerhalb 30 Stunden zum' Tode
führt, ohne dass es gelingt, die Harn- und Schweissekretion
in sichtbarer Weise anzuregen. Bei der Lage des Falles muss
angenommen werden, dass die Anurie reflektorisch durch
mechanische Reizung einer Stelle der Harnröhre ausgelöst
wurde. Als solche kommt nur die Gegend der Schliessmuskeln
der Blase in Betracht, von denen bei den vorgenommenen
Untersuchungen festgestellt wurde, dass sie sich im Krampf¬
zustande befanden, ob infolge entzündlicher Reizung von der
Blase her, was bei dem Sektionsbefunde nicht ganz sicher sein
dürfte, oder wahrscheinlicher infolge nervöser Uebererregbar-
keit, muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist diese an sen¬
siblen und sympathischen Nerven ziemlich reiche Gegend die
wohl ausschliesslich in Betracht kommende Stelle.
Nun sind Zufälligkeiten bei derartigen Ereignissen ja nie
nnt Sicherheit auszuschliessen. Indessen muss im vorliegenden
alle doch gesagt werden, dass der zeitliche Zusammenhang
zwischen dem Eingriffe und der tötlichen Anurie resp. Urämie
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2095
• Hirpkter ist als dass ein ursächlicher von der Hand
zewfesen'werden könnte. Auf Laien, und das ist die praktische
Bedeutung des Falles, wird es diesen Eindruck jedenfalls
mache Niemand wird es mit Recht einfallen, auf Grund
dner einzelnen derartigen Beobachtung in einer ähnlichen
Situation nicht zu sondieren oder zu kathetensieren.
b Erwähnt sei noch, dass das bei der Venaesection gewonnene Blut
inkteriologisch nach der von Cast eil ani angegebenen, an de
Sit fast ausschliesslich geübten Methode untersucht und steril
hpfunden wurde Eine von den Harnwegen ausgehende Sepsisform,
wf“ sie Ochmann [11] jüngst beschrieben hat, kann also aus-
8eSCEineenetawadndfreie Erklärung des Falles wird sich kaum
, iqccpn Reflektorische, entweder vorübergehende oder
?um Tode führende Anurien, ausgelöst durch Eingriffe oder
Erkrankungen (Steine usw.) der Niere, des Nierenbeckens und
der Ureteren sind bekannt genug und teilweise auc^ exper ;
mentell zu erklären versucht worden [7j. Aehnhche Er
kiürnnvsversuche wird man auch für den vorliegenden Fall
machen können, besonders unter Berücksichtigung des oben
mehrfach Angedeuteten, doch soll darauf nicht naher ein¬
gegangen werden, da bei der immerhin noch lückenhaften
Kenntnis der Nervenbahnen von und zu dieser Gegend und der
fehlenden histologischen Untersuchung des Falles eine positive
Förderung in der Deutung derartiger Vorgänge nicht erwartet
WCr Mndera mir zugänglichen Literatur fand sich etwas Aehnliches
■ u t ebert [12] schreibt S. 333: „Man beschreibt auch a
Fnkrp der Zvstitis vollkommene Anurie mit allen Zeichen _ einer
2 cp, u Infektion und selbst tödlichem Ausgang, wenn infolge
Her Zvsti is d e Mündung beider Ureteren unwegsam geworden _ ist.
c hege aber Zweifel gegen die Möglichkeit, dass Zystitis allem emen
mfS fin kt ,1 bei sehr reizbaren und ängstlichen Personen
SaSraSrung des Katheters sogar Todh^cdher"“*™
splell nnS die trotz manchmal fast unglaublich langen Bestehens me
zum Tode führt, hier nicht vorliegt, ist wohl sicher [4, 5, 8, 9,
Literatur.
1 Adrian: Zehntägige kalkulöse Anurie ^ mit spontaner Ge¬
nesung. Deutsche med. Wochenschr. 1907 No. 16, S. 664 2. A P o^
lant- Leber Anurie. Deutsche med. Wochenschr. 1903, No. -9.
/a ,co li Vorlesungen über Urämie. Jena, Gustav Fischer 1903.
S - 4 P Berbez; L’anurie neurasthenique Gaz. hebd. de
me] et de chfr'. 1898, No. 43. - 5. M Carriere: Un cas dtaune
neurasthenique. Ibidem No. 48. 6- v. _ r i _ „ , Goetzl:
U n t e rs u chu n g e n 'übe r efl ekto d s ch e Anurie. Pflügers Archiv, Bd 83
Un cas d’anurie hysterique avec elimination “
qui a dure pendant 12 iours, chez une femme hystenque gue™ co^
pletement. Progres med. 1898, No. b. 18 ,, Toch.
von Anurie. Ref. Zentralbl. f. inn. Med. 1896, S. 351. — 11 J o cn
mann: Zur Kenntnis der von den Harnwegen ausg^hende^S^ep^^
formen. Deutsches Arch. f. klm. Med., Bd. 87, 1906. -■
Krankheiten der Harnblase, v. Ziemssens Handbuch IX, 1, b. 338.
— 13 John Blake White: A brief consideration of mflammatory
striMurl°of themale uretra Journ. of cut. -dkenito-ur.m diseases
I ot>7 Vol V No 6 — 14. V. S c a r p l n i: H\ sterische Aiiunt unu
Ausscheidung des Urins durch den Magen. Reb Zentralbl f. m^Med.
1904 S 494 — 15- Hermann Till man ns. Lehrbuch dei ^p
Chirurgie. II. Bd., S. 262, 1899. _ _
Aus der medizinischen Abteilung II des Bürgerspitals zu
Strassburg i. E. (Direktor: Prof. Dr. Cahn).
Bacterium coli commune als Sepsiserreger in 2 Fällen
von Abdominalerkrankungen.
Von Dr. Ernst Krencker, Assistenzarzt.
Gallenwege und Urogenitalsystem bilden ausser dem
Darmtraktus die Haupteingangspforten, durch die es ae
B. coli commune gelingt — sei es in Gemeinschaft im
Bakterien, die den Boden zur Infektion yorbereiten, sei es allein,
in den Organismus einzudringen und dort die Rolle des dem
Körper nützlichen Parasiten mit dem das Leben zerstörenden
oder in Gefahr setzenden zu vertauschen. Beide, Urogemtai-
traktus wie Gallenwege, stehen mit der Aussenwelt resp dem
Darm in offener Verbindung; sie infizieren sich selbst leicht mit
B coli und wenn durch Entzündungen, chirurgische Eingriffe,
Traumen u dgl. der Schutzwall, den die intakte Schleimhaut
bildet, durchbrochen wird, dann kann es auch zur Allgemein-
infektion, zur Sepsis kommen. Dass mit dem Eindringen des
B coli in diese Organe nicht unbedingt auch die Blutmasse und
damit der ganze Organismus infiziert werden muss, lehren die
zahlreichen Fälle, wo nach Katheterismus der Blase sich monate¬
lang Kolibakterien ohne nachweisbare Schädigung für den
Körper daselbst aufhalten können, ferner Falle, wo durch
Durchbruch eines Gallensteins in den Dickdarm eine offene
Kommunikation zwischen Gallenblase und Darm geschaffen
wurde, ebenso bei in die Blase durchgebrochenen Rektum¬
karzinomen, im Anschluss an mit Zerstörung der Darmschleim¬
haut einhergehenden Erkrankungen des Darmes usw Es muss
zu all den Schädigungen entweder erhöhte Virulenz oder starke
Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit oder beides kommen.
Daher das Vorkommen von Kolibakterien bei Neugeborenen,
bei allen möglichen Darmerkrankungen präagonal (s. lh.
Esche rieh und B. Pfaundler in K o 1 1 e - W a s s e r -
man ns Handbuch der pathogenen Mikroorganismen), bei
Magenkarzinom mit Metastasen (Westenhoef t e r) bei
einer gangränösen Phlegmone mit Kommunikation in den Darm
(V i d a 1 und Lemierre), nach Austerngenuss (S a m e 1 e) und
besonders nach Geburten (L e a, V i d a 1 und L e mie r r e).
Eine Anzahl Fälle, wo B. coli von der Gallenblase oder
vom Urogenitaltraktus allgemeine Infektion hervorrief, finden
sich u. a. im obenerwähnten Artikel von EsclJerich u
Pfaundler. Bei Pyelitis hat Lenhartz in 80 Fallen
66 mal B. coli im Urin nachgewiesen, jedoch gelang es ihm nur
einmal aus dem Blute B. coli zu züchten, wahrend zwei weitere
Kranke an Kolipyelitis zu Grunde gingen. . ...
Es seien hier zwei weitere Fälle von Kolisepsis mitgeteilt,
von denen der eine sicher seinen Ausgangspunkt im Urogenital¬
traktus hatte, während beim zweiten Veränderungen der
Gallenwege das Eindringen der Erreger wahrscheinlich ver-
i fall: 28jähr. Patienten H. aus Neudorf bei Strassburg i. E.
Früher nie krank, die letzte Geburt vor mehreren Jahren.
Ff Die PatiÄ wurde am 6. I auf die chirurgische Abteitang : I
mir - Privatdozent Dr. Stolz) aufgenommen. Sie klagte über
krampfartige Schmerzen im linken Unterleib und hinten in der linken
Nierengegend Die Schmerzen waren plötzlich mit Schüttelfrost und
mit sehr starkem schmerzhaftem Stuhldrang aufgetreten. Ein draussen
«rabreÄ Oelkfirstier blieb ohne Erfolg; die Schmerzen nahmen
rinrh 711 auch die Winde waren verhalten. . ,
ÄÄ" ÄÄ sfg
o-ano- ein die Schmerzen hessen nach, doch hielt aas rieoer an.
fm Tage nach der Aufnahme trat die Periode ein. In den folgenden
Tagenden y^Ve/ Erkrankung Verlegung auf die medizinische
Abten“e Temperatur erreichte abends 40,6". Nierengegend auf Druck
SitÄf" keine l^kem'V^SälSommeneü
Uri" ü'fo Im folgenden' Tage*™ SW 1 > vorgenommene Venaepunktion
ergab auch im Blute, das in Bouillon und Agar emgebracht wurde
Up in ccm Blut in 150 ccm) B. coli commune in Reinkultur. Mac
weiteren 3 Tagen (8. Tag) sank die Temperatur kritisch, die Patiei)j n
nfpl hPhP,- bei Eine am 15. Tage nochmals vorgenommene Urin-
unTersuchun^ergab'noch immer B. coli (trotz Verabreichung massiger
D0SEineeStgenaufuahme der linken Niere Hess nichts von Nieren-
SteinAme25enTage wurde die Patientin geheilt entlassen; im Urin
fanden sich^ noch v— — - ene Bu itserum agglutinfort
den ^ dem ßVe der Patientin ^£„^AU°BwW
aus dem Urin gezüchteten 1 : 500. B. typm, parai> i
nicht agglutinier^ ? ^ ms ., bewusstlosem Zustande der
43 iiihr. Geschäftsreisende T aus Str^shmg ^ugefohrt. einma|
Gelbs^citTTVin den ffi «Äfi » —
Leib und Stuhlveriialtung, sowie an Schüttelfrösten. ,m Jm)i
erlittenen Unfall »rt T° wieder gelb, besonders an den Skleren;
danach traten Schmerzen im Leib und in der Lebergegend auf. T.
wurde allmählich schwermütig und leicht erregbar. In den Weih¬
nachtstagen erkältete sich T., er bekam am 2. 1. 07 einen Schüttel-
ir°.st, der fast den ganzen Tag andauerte; am 4. I. verlor er das Be-
\\ usstsein und Hess Urin ins Bett gehen.
t_i S tat u s: Kräftiger Patient. Starke ikterische Verfärbung der
Maut und der Skleren. Ueber den ganzen Körper zerstreut zahlreiche
wersse Stellen von braunem Pigment umgeben, im ganzen erbsen¬
gross.
Pupillen klein, reagieren gut auf Lichteinfall. Augenhintergrund
normal. * 11 u
... . Berz nacj1 rechts vergrössert, starkes systolisches Geräusch, am
stärksten an der Spitze.
Lungenbefund ohne Belang.
Abdomen etwas aufgetrieben, nirgends Dämpfung. Leberrand
unterhalb des Rippenbogens zu tasten, Leberoberfläche derb- Milz
ebenfalls vergrössert zu fühlen, derb.
n. ^ef,exe überall erhalten; die rechtsseitigen Sehnenreflexe an
Ober- und Unterextremitäten etwas gesteigert
Stuhl gallehaltig.
Prostata gleichmässig hart.
Keine Oedeme.
Urin geht tropfenweise ab, er enthält Leukozvten und Niereneni-
thehen und granulierte zyhnder. Kein Zucker. Kein Gallenfarbstoff.
Respirat/on1 38PCratUr 061 Aufnahme 38’1 °> mittags dl, 9°. Puls 140.
w . BluS,ru^k. 135-, Hämoglobin 105 (nach Gowers-Sahli)
u eisse Blutkörperchen 9000, rote Blutkörperchen 3 800 000
Abends Schüttelfrost.
Die bakteriologische Untersuchung des Blutes ergab am 1 und
4. läge B. coli commune in Reinkultur (Bouillon).
Am 9^ TTx^uTbefsts Vt£ ^ ebenS° Fi'6ber Und raScher Puls-
Die Sektion (Prof. Dr.’c’hiari) ergab:
„Gehirn ohne besonderen Befund.
Atelektase des rechten Unterlappens durch Hochstand des
Untertappens. ^inzelne frische Ekchymosen auf der Pleura des rechten
Linke Lunge normal.
und moZn„de«s1Blutr enlsprechentI ^ “"er Höhle frisches
Becken Stsiml»?, H5S.rali vertent- ,ara reichlichsten im kleinen
necKen angesammelt, ca. 200 ccm seros-eitriges Exsudat Leber eher
S'S'n*,""' teils Krob sranuliert^auf dem Durch-
R- h ischen den Inseln des Lebergewebes reichliches zähes
oLt^ilVfasEnm J" der Qa“e"bla“ dunkllbraun'e
Schleimhaut2 des ‘Magen^^l^SrhieTE™“6“’ derbe K°"Siste"z'
färbt,' 'wie eSwi!irier't;Se S‘*y*" ,tod 8demaWs- z' T- fäelblic" ver-
des Lebeiufewebes1 ' (tsi Cr,,rrl',,s'i 'gratis mit starkem Abbau
ut-j, Leoei gewenes. 2. Im Schnitte an der geröteten Stelle des vninn
ascendens findet sich teils nur das Bild eines Katarrfis te ls dasS
“urVMctnndUr& de?. letztSren Stellender Submukosa
B con immune.“ Bazallen vom Aussehen des
Peritnneüfc1" vWU+rden -m öathologisch-anatomischen Institut aus dem
I errtonealsekret, sowie aus dem Herzblut und der Galle gramneeative
StdbD^1 ^s^^^e^zblu^d^Patii^en^ewmnene6
mortal) gezüchtete5 Bacte^^^colf commune6! • 200 dß (POSt'
typhi A und B wurde nicht agglutinieH B‘ tyPhK Para"
das rS dÜpte mithin der Beweis, dass in diesen beiden Fällen
., co 1 comniune allein die Sepsis hervorgebracht hatte
mit aller erwünschten Sicherheit erbracht sein
B. coh war aus dem Blute in Reinkultur während dps
ebens zu züchten; die kulturellen Eigenschaften geprüft durch
nositivlKartiff^T b Aga,r' !V’ilch' Bouillon hndolreaktion
positiv) Kartoffel, 7 raubenzuckerbouillon, Lackmusmolke Fndo.
mid Conradi-Drigalskiplatten verhielten sich charakteristisch
I erner agglutnnerte bei beiden Patienten das Blutserum die ans
Ä -Ä
ent mit der Leberzirrhose zu Grunde ging. a
Literatur.
rh. Esche rieh und M PfannHUf. n
“ Bdehr, " «'Ä5ZS: Ü
Zentralbl. f Lkten'ol Ref 3? - 71°^ der Cholezystitis. Rot:
commune in human Mection. Ref.: Zentralbl k Ba JeHol RekÄ-
uia.U.SImueiSlir' h'e r. : Baumgartens Jahresbericht. XX. —
Jahresbericht xK r rwl / Hrderni. I a k o b y. Ref.: Baumgartens
k'r iro,ni ’ o - ~ B 0 d 1 a 11 d,e r: Zur Kenntnis der idiopathischen
Sami le vdv! Barntrakts- Ref.: D. med. Wochenschr 19U6 —
Wochens^hr ^?905 Pbka v*-6 1 nfch AusternKenuss. Ref.: D. med.
ki2 2 • n lal l\nd L e m 1 e r r e: Kolibazillensepti-
Kam e. Ref.. D. med. Wochenschr. 1904. — Lea: B coli bei Puer
peialsepsLs Ref.: Zentralbl. f. Bakteriol., 37. - Lenhartz: Ueber
Wochenschr. Munch, med.
Ueber einen
neuen Röntgenapparat und einige mit
diesem erzielte Resultate.
Von Diplomingenieur Dr. phil. Josef R o s e n t h a 1 - München.
Eingehende Versuche über -die für Röntgenröhren w.
stfuktfnn Art elektnscher Entladungen führten mich zur Kon-
fnnprf ä fK6S ne!len Iri,duktonums, das sich sowohl in seinem
inneien Aufbau als auch äusserlich wesentlich von den bisher
angewandten Induktorien unterscheidet.
Die Abbildung zeigt einen solchen Apparat1) auf Marmorkonsole.
Die Sekundärwicklung besitzt 4 von einander isolierte Klemmen
IG, Ks, Ks, K«, von welchen Drahtverbindungen zu einer über dem
Induktor angebrachten Schaltvorrichtung führen. Je nachdem man
das eine oder andere der Gewichte Gt, G2 oder G.-,, welche an Haken
auf ge hangt sind, herablässt, werden durch die erwähnte Schaltvor-
richtung die Sekundärwicklungen selbsttätig parallel oder hinterein-
talgt^ef oi u'ncToa geSchaItet Der Anschluss der Röntgenröhre er-
Neben der Sekundärwicklung ist auch die Primärwicklung viel¬
lach zu variieren. Zu diesem Zweck führen 9 Drähte vom Induk-
vpi-Tu - ZiUm Snha hhsch, auf welchem durch einfache Steckkontakte
veischiedene Pnmarschaltungen vorgenommen werden können.
,?urch die Kombination geeigneter Primär- und Sekundär-
df !"fen lst maa ,nun Jn der Lage, Sekundärströme der ver-
schredensten Art zu erzeugen, Sekundärströme, die ganz be¬
sonders für a 1 1 e Z w e c k e d e r R ö n t g e n o 1 o g Le und fü? alle
** s .di ? ?r irk jä
S"1“1“ Zweck .die wünschenswerteste ist. Von der für die
Röntgenröhre geeignetsten K u r v e n f o r m der SekLlä
de0Schaä?fdeerunnd<dlearl'xtn hä.nirt u: a- ! m hohen Grade sowohl
alsmtch die H alt b fr k e " t deVÄenrWire
Miinchen,ehergesetellt”dUkt0r Von der Polyphos Elektr.-Qes„
Beilage zu No. 42 der Münchener medizinischen Wochenschrift. 15. Oktober 1907.
Zur Arbeit Dr. phil. Rosenthal: „Ueber einen neuen Röntgenapparat und einige mit diesem erzielte Resultate
Fig. 1. Thorax eines 33jährigen Mannes, aufgenommen ohne Verstärkungsschirm bei 2 Sekunden
Expositionszeit (Röhrenabst and 50 cm).
Durch die Pfeile A B wird die Lage einer scharf konturierten Drüse und 4 kleiner, unter letzterer befindlichen
Verdichtungen gekennzeichnet. Die punktierte Linie am linken Flerzrand stellt die Grösse des Herzens des in
Fig. 2. abgebildeten Teleröntgenogramms des gleichen Thorax dar.
Fig. 2. T e 1 e r ö n t g c n o g r a m m des gleichen Ihorax wie
auf genommen. — Expositionszeit bei Verwendung
Fig. 1, — bei zwei Meter Röhrenabstand
von Verstärkungsschirmen 4 Sekunden.
Tafel II
i
WS.
Fi"
v o n
Hüftgelenk. Expositionszeit ohne Verwendung
Verstärkungsschirmen 6 Sekunden. Röhre nabstand 50
cm.
Ei g. 3. Bien den aufnah me des Gesichts¬
teiles vomSchä de 1. Expositionszeit ohne
Verwendung von Verstärkungsschirmen
6 Sekunden. R ö h r e n a b s t a n d 52 cm.
I cl eröntgenogramm des Beckens eines 22jährigen Mannes (Röhrenabstand zwei Meter),
-xpositionszcit bei , er Wendung von Verstärkungsschir m e n 8 Sekunden.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2097
Als Beispiel einiger wichtiger Anwendungen des
neuen Induktors mögen 5 Röntgenogramme kurz besprochen
werden, die auf Tafel I und II dargestellt sind (siehe Beilage).
Fis. 1 zeigt den Thorax eines 33 jährigen Mannes. Die Auf¬
nahme erfolgte bei 2 Sekunde n Expositionszeit und einem Röhren¬
abstand von 50 cm mit Lumiere-Sigma-Platte, am Rieder sehen
Aufnahmestativ, unter Benützung eines Blendenkästchens (Blenden¬
öffnung 12 cm). Verstärkungsschirme wurden nicht benützt. Die
Expositionszeit war reichlich gross, da das Bild im Entwickler so¬
fort erschien. Man erkennt unschwer die hervorragende
Schärfe und die grossen Kontraste dieser Aufnahme z. B.
an der Struktur der Rippen, insbesondere aber auch an der
scharf konturierten Drüse am rechten Hilus (in Fig. 1 durch
die beiden Pfeile A B gekennzeichnet). Noch deutlicher geht die
Schärfe des Röntgenogrammes aus den 4 kleinen, unterhalb der er¬
wähnten Drüse befindlichen Verdichtungen hervor, die auf der
Originalplatte etwa 1 — 2 mm Durchmesser besitzen und deutlich von
einander getrennt sind. Auch die übrige Lungenstruktur zeigt Details,
die ich bei den bisherigen Thoraxaufnahmen nie gesehen habe. Um
mich zu überzeugen, ob die kleinen vorerwähnten Verdichtungen
nicht auf Plattenfehler zurückzuführen sind, machte ich eine zweite
Aufnahme, welche die Verdichtungen in genau gleicher Weise zeigte.
Natürlich geben die Reproduktionen bei diesen, wie auch bei den
übrigen Bildern die Details nicht annähernd so vollkommen, wie die
Originale.
In Fig. 2 ist der gleiche Thorax, jedoch bei einem Röhren-
abstand von zwei Meter aufgenommen, dargestellt. Um hier¬
bei nicht zu grosse Expositionsze.it zu erhalten, wurde die von Prof.
Rieder und mir bereits im Jahre 1899 2) publizierte und seitdem
vielfach erfolgreich angewandte Methode der Momentaufnahme des
Thorax mittels Film und 2 Verstärkungsschirmen benützt. Die in
Fig. 2 dargestellte Aufnahme erfolgte auf Agfa-Film, bei einer Ex¬
positionszeit von 4 Sekunden wieder am Rieder sehen Auf¬
nahmestativ, unter Verwendung einer Blendenöffnung von 3 cm.
Das erste Teleröntgenogramm — ich akzeptiere
diese von Dr. G r a s h e y (s. Verhandlungen der Deutschen
Röntgengesellschaft 1907, Bd. III, pag. 89) vorgeschlagene Be¬
zeichnung für Aufnahmen aus grosser Entfernung — wurde, wie
mir Herr Dr. Alban Köhler3) mitteilte, bereits im Jahre 1903
angefertigt. Ferner hat sich um die Teleröntgenographie Prof.
Dr. Albers-Schönberg verdient gemacht, welcher zu deren
Ausführung ein 2 m langes Blendenrohr von 25 — 30 cm Durch¬
messer benutzte. Die Aufnahme Fig. 2 . wurde ohne solches
Rohr unter Verwendung der bereits erwähnten Blende von 3 cm
Durchmesser hergestellt. Die allgemeinere Einführung der
zweifellos aus s erst wichtigen Teleröntgenogramme
scheiterte bisher an den relativ grossen Expositionszeiten, so-
dass Aufnahmen in Atempause von Erwachsenen nicht oder nur
unter ganz ausnahmsweise günstigen Bedingungen möglich
waren.
Vergleicht man die beiden Aufnahmen Fig. 1 und Fig. 2 mit¬
einander, so erkennt man sofort, dass bei letzterer die vorderen
und rückwärtigen Rippenteile gleich hoch erscheinen,
während bei ersterer die von der Platte weiter abstehenden
rückwärtigen Rippenteile wesentlich vergrössert sind. Das
Herz (in Fig. 2) ebenso wie die übrigen Brustorgane dürften
bis auf verschwindend kleine Differenzen mit Orthodia-
g rammen übereinstimmen, während in Fig. 1 diese Teile je
nach ihrer Entfernung von der Platte in verschiedenem Masse
vergrössert erscheinen. Die Differenz beider Herzaufnahmen
ist aus Fig. 1 ersichtlich.
Wenn auch in Figur 2 einige Lungenstrukturen, insbe¬
sondere die stärkeren Bronchialzweige zu erkennen sind, so
sind doch Details, wie sie Figur 1 zeigt, bei Verwendung von
Verstärkungsschirmen ausgeschlossen; es sind weder Struk¬
turen der Rippen, noch die kleinen Verdichtungen in der Lunge
zu erkennen, während andererseits doch die Ko nturen des
Herzens vollkommen genügend scharf erscheinen, um
Messungen vornehmen zu können.
Fig 3. Blendenaufnahme des Gesichtsteiles vorn Schädel. —
Abstand der Antikathode von der Platte: 52 cm. — Expositionszeit
6 Sekunden. — Schleussnerplatte ohne Verstärkungsschirm. —
Kompres'sionsbtende.
Fig. 4. Hüftgelenk. — Abstand der Antikathode 50 cm. —
Expositionszeit 6 Sekunden. — Lumiere-Sigma-Platte ohne Ver¬
stärkungsschirm. — Kompressionsblende. Das Bild erschien im Ent¬
wickler sofort; die Expositionszeit war also sehr reichlich bemessen.
2) Rieder und Rosenthal: Münch, med. Wochenschr. 1899
No. 32.
3) Alban Köhler: Wiener klin. Rundschau 1905, pag. 279.
Fig. 5. Tele röntgenogram m d e s Beckens eines
22 jährigen Mannes. — Entfernung der Antikathode von der Platte
zwei Meter. — Expositionszeit 8 Sekunde n. — Agfa-Film mit
2 Verstärkungsschirmen. K a e s 1 1 e sches Kompressionsbrett.
Welche Bedeutung die Teleröntgenographie des
Beckens für die G y n ä k o 1 o i e, die Chirurgie und die
Orthopädie hat, wird von medizinischer Seite noch ein¬
gehend behandelt werden.
Ein Teil der Aufnahmen wurde mit meiner Platin-
Eisen-Röhre, ein anderer mit einer neuen nach meinen
Angaben gefertigten „I r i d i u m r ö h r e“ hergestellt. Ob die
eine oder andere Röhrenart benützt wurde, war für die Quali¬
tät der Bilder gleichgültig. Dagegen dürfte die Iridiumröhre
bei länger dauernder Exposition, der grösseren Haltbarkeit
wegen, vorzuziehen sein.
Die Aufnahmen lassen sich sowohl bei 110 Volt als bei
220 Volt Gleichstrom und sowohl mit Wehnelt- als Simon-
unterbrecher hersteilen; ich bevorzuge jedoch den Polyphos-
Simon-Unterbrecher bei 220 Volt.
Natürlich können die Reproduktionen nicht alle Details,
welche die Originale zeigen, wiedergeben. Die in einzelnen
Abbildungen vorhandenen Plattenfehler wurden nicht entfernt,
um eine störende Retouche zu vermeiden.
Nachdem es mir gelungen ist, das Becken von Er¬
wachsenen teleröntgenographisch aufzunehmen,
ist zweifellos auch die T eleaufnahme des mit Rieder-
scher Wismutnahrung versehenen Magens und Darmes
unschwer auszuführen. Ferner dürfte die Möglichkeit k i ne¬
in a t o g r a p h i s c h e r Herzaufnahmen nunmehr auch
wesentlich näher gerückt sein. Diesbezügliche Versuche sollen
demnächst in Angriff genommen werden.
Auch die Röntgentherapie wird — soweit ich dies
als Nichtmediziner beurteilen kann — voraussichtlich in be¬
stimmten Fällen den neuen Induktor mit Vorteil verwenden;
so dürften z. B. zur Verhinderung des Auftretens von Rezi¬
diven intensivste kurzdauernde direkte Bestrahlungen des
Operationsfeldes nach Entfernung tiefer gelegener bös¬
artiger Geschwülste in Betracht kommen, da in diesem Falle
die Applikationsdauer einer bedeutenden Röntgendosis nur
noch relativ gering ist und daher die direkte Bestrahlung des
Operationsfeldes wohl mit geringerer Gefahr für die Patienten
vorgenommen werden kann.
Referate und Bücheranzeigen.
E. Kaufmann: Lehrbuch der speziellen pathologischen
Anatomie für Studierende und Aerzte. IV. neubearbeitete und
vermehrte Auflage, mit 683 Abbildungen, fast sämtliche nach
Originalzeichnungen des Verfassers. Berlin, Druck und Ver¬
lag von G. Reimer, 1907.
Wenn auch für die vorliegende 4. Auflage des Kauf-
m a n n sehen Lehrbuches von einer vollständigen Umarbeitung
einzelner Kapitel abgesehen werden konnte, so wurde doch das
ganze Werk einer gründlichen Durchsicht unterworfen und fast
überall begegnet man grösseren oder kleineren Zusätzen und
Ergänzungen, welche den neuen Errungenschaften auf dem Ge¬
biete der pathologischen Anatomie entsprechen und vielfach
auf eigenen Untersuchungen und Erfahrungen des Verfassers
begründet sind; so seien in dieser Hinsicht z. B. die Abschnitte
über die Krankheiten des Herzens und des Blutes, sowie der
Knochen hervorgehoben. Dabei wurde, wie schon in den-
früheren Auflagen, bei der Darstellung stets auch den klinischen
Bedürfnissen Rechnung getragen, ein Vorzug, durch welchen
sich das vortreffliche Kaufmann sehe Lehrbuch besonders
auszeichnet und sich mit Recht der grössten Beliebtheit bei den
Aerzten erfreut.
Namentlich für solche, welche sich mit eigenen literari¬
schen Arbeiten beschäftigen, ist es von grossem Vorteil,
dass in der neuen Auflage die Literaturangaben nicht allein
ganz bedeutend vervollständigt wurden (um etwa 2500 An¬
gaben!), sondern dass innerhalb der einzelnen Kapitel die
Literatur wiederum für einzelne Abschnitte zusammengefasst
wurde, wodurch die Uebersicht ausserordentlich erleichtert
wird. Auch die zahlreichen Abbildungen wurden wieder um
55 vermehrt. O- Hauser.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
2098
v. Bergmann und v. Bruns: Handbuch der prak¬
tischen Chirurgie. III. Auflage. 5 Bände. 1906 — 1907. Verlag
von Ferd. Enke. Preis 103 M.
Dieses Werk, noch unter den Auspizien E. v. Berg¬
manns in der neuen Auflage vollendet, liegt nunmehr kom¬
plett vor. Die Bearbeitung der neuen Auflage ist im Zeiträume
von etwa einem halben Jahre vollendet, und so befindet sich
das Werk in allen seinen Teilen auf dem Standpunkt der
neuesten Forschung. Wie sehr es auch im Ausland anerkannt
wird, beweisen die inzwischen erschienenen Uebersetzungen
in englischer, italienischer und spanischer Sprache. Das Werk
umfasst jetzt fünf Bände (früher vier), da die Abteilungen Bauch
und Becken in zwei Bänden untergebracht sind.
Die Absicht der Herausgeber, dass das Werk nicht nur
dem Spezialarzt für Chirurgie, sondern auch dem angehenden
wie dem beschäftigten praktischen Arzt dienen soll, wird sicher
in Erfüllung gehen; denn durch ein genaues alphabetisches
Register zu jedem Band ist ein rasches und müheloses Nach¬
schlagen ermöglicht. So ist es auch dem beschäftigten Arzt
leicht gemacht, sich auf jedem Gebiete der Chirurgie, wie es
seine praktische Arbeit erfordert, schnell und ausreichend zu
orientieren. Ich war selbst wiederholt in der Lage, Aerzten
dies Werk zur Anschaffung zu empfehlen und habe stets die
anerkennendsten Worte auch von diesen über das Werk ver¬
nommen.
So wird es nicht fehlen, dass die III. Auflage dieses aus¬
gezeichneten Werkes sich rasch einbürgern wird, zumal seine
Ausstattung, auch mit Abbildungen, deren Zahl nunmehr auf
1312 Textbilder gebracht ist, eine vorzügliche ist. Das Werk
kann deshalb allgemein aufs wärmste empfohlen werden.
Prof. H e 1 f e r i c h - Kiel.
Atlas der Hautkrankheiten mit Einschluss der wichtigsten
venerischen Erkrankungen für praktische Aerzte und Stu¬
dierende von Dr. E. J a c o b i, a. o. Professor und Direktor der
dermatologischen Universitätsklinik in Freiburg i. Br. Dritte
Auflage, 243 farbige und 2 schwarze Abbildungen auf 132 Ta¬
feln nebst erläuterndem Text. Urban &. Schwarzen¬
berg. Berlin-Wien 1907. Preis 38 M.
Der vorliegende Atlas, der diesmal in seiner dritten
Auflage vor uns liegt, wurde vom Unterzeichneten Bericht¬
erstatter vor 4 Jahren bei seinem Erscheinen mit einer unein¬
geschränkten Freude und Befriedigung begrüsst. Das damals
ausgesprochene Urteil kann heute für die dritte Gesamtauflage
wiederholt, die Hoffnungen, die damals auf den Erfolg des
Werkes gesetzt wurden, dürfen als berechtigt gewesene an¬
erkannt werden. Brachte der 1906 erschienene Ergänzungs¬
band des J a c o b i sehen Atlas schon eine neue Reihe von
76 Abbildungen, so hat der Verfasser dennoch nicht geruht,
sondern abermals eine Anzahl von Krankheitsbildern neu auf¬
genommen. Auch wurden einige Abbildungen, welche den
Anforderungen des Autors nicht gänzlich entsprachen, durch
bessere, vollkommenere- ersetzt. Der auch in der Reihenfolge
der Bilder neu geordnete Atlas umfasst jetzt 132 Tafeln mit
245 fast ausschliesslich farbigen Bildern. Es soll hier nicht
wiederholt werden, was über Naturtreue, Plastik und Schärfe
der Abbildungen früher an gleicher Stelle ausgeführt worden
ist, doch ist es angebracht, die ärztliche Welt, besonders die
Fachärzte, auf das neue, vervollständigte Werk des J a c o b i -
sehen Handatlas aufs wärmste hinzuweisen. Er steht nach
jeder Hinsicht auf der Höhe. H o p f - Dresden.
Lebensversicherung und Aerzte von Paul Grasemann.
77 Seiten. Berlin 1907. Hermann Walther. Preis 1.50 M.
Bei Besprechung dieser gegen die Lebensversicherungs¬
gesellschaften gerichteten Philippika ist es nicht unsere Sache,
die Diktion und Schreibweise des Verfassers, die gewiss nicht
nach jedermanns Geschmack sind, zu beurteilen. Auch die
gegen die Direktoren und Führer der Lebensversicherungs¬
gesellschaften unberechtigterweise generell gerichteten An¬
griffe zurückzuweisen, ist nicht unsere Aufgabe — nicht der
Ton und die Melodie, auch nicht die uns unbekannten Beweg¬
gründe des versicherungsmedizinischen Tyrtäus, sondern nur
der ärztliche Angelegenheiten direkt betreffende Inhalt dieser
Stretta, deren Fazit das ist, dass die Aerzte von den Gesell¬
schaften ausgebeutet und demoralisiert würden, gehen uns an.
Dieser schwere Vorwurf muss auf seine Stichhaltigkeit unter¬
sucht werden. Vorweggenommen sei, dass Gr. durchweg die
Interessen der Aerzteschaft vertritt und sich in bezug auf ihre
materiellen und ideellen Bedürfnisse und Standesfragen auf
einen ganz korrekten Standpunkt stellt; besonders das, was
S. 17 — 20 über die Beziehungen zwischen Arzt und Publikum
im allgemeinen gesagt ist, kann nur Billigung finden. Doch zur
Sache selbst! Sie zerfällt in drei Hauptteile:
1. „Der Geldpunkt“: Das belebende Prinzip der
Lebensversicherungsgesellschaften sei die Gewissenhaftigkeit
der Vertrauensärzte; ihre Untersuchungen für die Gesellschaften
stellen an Wissen und Gewissen wie an Zeit und Ausdauer die
höchsten Anforderungen, letzteres noch dadurch, dass zu
der rein ärztlichen Tätigkeit, die verlangt wird, die „Ausbildung
zum Auskunfteiagenten“ komme, die dem ärztlichen Stande
ins Gesicht schlage, da diese Arbeit dieselbe sei, wie sie einem
Schutzmann bei der Einlieferung eines Verhafteten oder dem
Inspektor eines Krankenhauses bei der Aufnahme eines Kranken
obliege.
Mit der Festsetzung von 10 Mark Honorar für die Unter¬
suchung verschaffe sich ferner die Gesellschaft den eingehen¬
den Agenturbericht über Familienverhältnisse und sonstige
Anamnese, der eigentlich als eine protokollierende Schreiber¬
arbeit, da ja lediglich nach dem Diktat des Kandidaten Ant¬
worten niederzuschreiben seien, Sache des Agenten sei, von
den Vertrauensärzten ganz umsonst.
Die Aerzte seien deshalb zu tadeln, dass sie es sich ge¬
fallen Hessen, dass die Versicherungsgesellschaften mit dazu
helfen, die Arbeitsleistung ihrer Aerzte herunterzudrücken und
damit die Stellung des ganzen ärztlichen Standes herabzusetzen.
Die Aerzte müssten in Ansehung der überaus günstigen
Vermögenslage der Gesellschaften verlangen, dass das Honorar
für jede einzelne Aufnahmeuntersuchung auf 20 Mark fest¬
gesetzt werde; wollten die Gesellschaften den Agenturbericht
weiter von den Aerzten aufgenommen und verantwortlich ge¬
zeichnet haben, so würde dies eine besondere Gefälligkeit von
seiten der Aerzte bedeuten und der Bericht mit 10 Mark zu
honorieren sein, sodass das Gesamthonorar für die sogenannten
Arztpapiere in der bisherigen Form 30 Mark betrüge.
Auch die sogenannten Hausarztatteste müssten mit 10 statt
mit 5 Mark bewertet werden, wie die Hamburger Aerzte sich
ihrem Aerztlichen Verein gegenüber verpflichtet hätten, kein
Hausarztattest unter 10 Mark auszustellen und diese For¬
derung auch immer durchsetzten.
2. „Ein wunder Punkt“: nämlich die Ausbeutung der
Arztpapiere dadurch, dass die deutschen Gesellschaften ein¬
schliesslich einiger österreichischer und zweier amerikanischer
einen Ring bildeten, innerhalb dessen sie sich gegenseitig ver¬
pflichtet hätten, wenn irgend ein Kandidat von irgend einer
Gesellschaft abgelehnt oder zurückgestellt sei und sich bei
einer anderen zur Aufnahme meldete, der letzteren die Arzt¬
papiere auf Verlangen abschriftlich zu übergeben. Da in den
weitaus meisten Fällen die eine Gesellschaft den ablehnenden
Grund der anderen einfach zu dem ihrigen mache, so bedeute
dies eine Schädigung der Kandidaten und der Aerzte; der
ersteren insofern, als ihre durch die Stellung eines neuen An¬
trags bei einer zweiten Gesellschaft eingelegte Reklamation
gegen die Ablehnung der ersten Gesellschaft einfach unter den
Tisch fiele, die Kandidaten auch keine direkte Erlaubnis ge¬
geben hätten, dass das Resultat der ersten Untersuchung einer
anderen Gesellschaft mitgeteilt werde, und sie sich dagegen
wohl verwahren würden, wenn sie von diesen „Rundreisen“
der Arztpapiere Kenntnis hätten; die Aerzte insofern als nach¬
dem ihre einmal bezahlte Untersuchung für mehrere, eigent-.
lieh für alle Gesellschaften gemacht sei, die Kosten für eine
zweite und dritte Untersuchung gespart würden, ferner durch
die Preisgabe ihres ärztlichen Berufsgeheimnisses, das mit der
Einwilligung des Kandidaten nur der auftraggebenden Gesell¬
schaft übergeben worden sei, welch letztere dann die Schweige¬
pflicht des Arztes übernehme und das anvertraute ärztliche Ge¬
heimnis ebenso strenge und unverletzt zu wahren habe wie der
Arzt selbst.
Die Aerzte sowohl wie die Kandidaten müssten daher in
ihrem eigenen Interesse darauf dringen, dass das von beiden
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2099
unterschriebene Formular den Schlussatz enthielte: Alle hier
gemachten Aussagen, sbwie der Untersuchungsbefund sind nur
der auftraggebenden Gesellschaft gegenüber erfolgt, die sich
verpflichtet, keinem Dritten darüber Mitteilung zu machen.
3. „Der schwarze Punk t“, das Spionagesystem
mittels des sogen. Kartenregisters der Kandidaten, das die
Brücke bilde zum Spionagesystem gegen die Aerzte.
Nicht alle, aber die meisten Gesellschaften hätten einen
zentralisierten Bund zur Ueberwachung der Aerzte ge¬
schlossen, der mit Hilfe einer schwarzen Liste arbeite und all¬
jährlich an alle Mitglieder ein Verzeichnis der im letzten Jahre
von irgend einer der dem Bunde angehörigen Gesellschaften
aus irgend einem Grunde gestrichenen Vertrauensärzte ver¬
schicke, welch letztere dann gewärtig sein müssten, von allen
Gesellschaften, bei denen sie eventuell tätig seien, ebenfalls ge¬
strichen zu werden. Auserdem enthielte diese sogen. „Merk¬
liste“ auch manchmal den Hinweis auf Aerzte, die noch tätig für
die Gesellschaften seien und zur Streichung vorgemerkt wür¬
den zuweilen wegen solcher Momente, die mit rein ärztlichen
Dingen gar nichts zu tun hätten, aber veranlassten, dass bei
der geringsten Kleinigkeit die Streichung des Arztes wegen
„Unzuverlässigkeit“ erfolge. Die meisten Aerzte aber würden
dadurch „zur Strecke gebracht“, dass die Untersuchungsatteste
der abgelehnten oder zurückgestellten Kandidaten Gemeingut
der Gesellschaften seien und von Hand zu Hand gingen, wofür
einige Beispiele zur Illustration dienen. Der Schluss dieses
Kapitels enthält den Passus: „Hat sich ein Arzt als unzuver¬
lässig erwiesen, und kann man ihm die Unzuverlässigkeit zu¬
verlässig beweisen, so verdient er keine Schonung und soll
auch keine haben. Aber es stünde schlimm sowohl um Eine
und Ansehen der deutschen Aerzteschaft, als auch um Gesund¬
heit und Wohlbefinden des deutschen Volkes, wenn es so viele
unzuverlässige Aerzte gäbe, wie sie in den schwarzen Listen
der Gesellschaften stehen“.
Dies der sachliche Inhalt der Broschüre, der von allen
Aerzten beachtet werden sollte und deshalb etwas ausführlicher
wiedergegeben wurde.
Die kritischen Bemerkungen können kürzer sein:
Was den letzten Punkt (die „Merkliste“ etc.) betrifft, so ist
uns ein derartiges Verfahren einzelner Gesellschaften nicht be¬
kannt; wir glauben auch nicht, dass auf so leichtfertige und
unqualifizierbare Weise mit Aerzten verfahren wird, es müsste
denn ein einwandsfreier Fall in allen seinen Einzelheiten das
Gegenteil beweisen.
Das Kartenregister der Kandidaten und die Weitergabe der
Arztpapiere stellen wirklich eine materielle und moralische
Schädigung der Aerzte (und der Kandidaten) dar, und es wäre
dringend zu wünschen, dass ein solcher Passus, wie Gr. ihn
vorschlägt, in die Antragsformulare hineinkäme. Formell ist
aber meiner Ansicht nach die Gesellschaft im Recht, da sie ja
mit dem allerdings sehr dehnbaren: „auf ihr sonst geeignet
erscheinende Weise“ die Erlaubnis, „dass sie sich von ihr für
notwendig erachtete Auskünfte zu verschaffen sucht und dass
ihr diese gegeben werden“ von seiten des Kandidaten hat,
und dieser damit den erstuntersuchenden Arzt und dessen auf¬
traggebende Gesellschaft von ihrer Schweigepflicht gegen¬
über der zweiten Gesellschaft entbunden hat.
Bleibt noch der erste Punkt, der „Geldpunkt“ übrig:
10 Mark sind in Wirklichkeit für eine derartig zeitraubende und
äusserste Sorgfalt und Genauigkeit erfordernde, dazu noch so
verantwortungsvolle Untersuchung, bei der Auskultation und
Perkussion der Brustorgane, Messung einer Reihe von Massen,
Ohrenspiegeluntersuchung u. a. m., kurz eine peinliche Explo¬
ration nach allen Richtungen hin und die ausführliche Be¬
schreibung alles positiv und negativ Konstatierten verlangt wer¬
den, zu wenig, ebenso wie die auf dem Aerztetag zu Eisenach
im Jahre 1874 festgesetzten 5 Mark für das sogen. „Hausarzt¬
attest“, zumal in jetzigen Zeiten. Dazu kommt noch, dass der
Vertrauensarzt heutzutage eine viel grössere Summe von
Kenntnissen und Fertigkeiten beherrschen muss, als früher (z. B.
die funktionelle Diagnostik u. a. m.).
Dass die erschöpfende Anamnese, der „Agenturbericht“,
nicht Sache des Arztes sei, kann nicht behauptet werden; denn
nur der Arzt ist imstande, durch richtiges und individuell wech¬
selndes Fragen die rationellen Antworten im Einzelfall zu er¬
halten und das Gesamtbild der anamnestischen Verhältnisse
zutreffend zu konstruieren, aber er muss auch für diese Leistung
honoriert werden. Der deutsche Aerztetag in Münster hat
dieser Forderung auch Rechnung getragen.
Das wirksamste Mittel, diese Forderung, eventuell noch
andere Bedingungen durchzusetzen, ist und bleibt die Organi¬
sation der gesamten Aerzteschaft auch nach dieser Rich¬
tung hin. Schwab- Berlin-Schöneberg.
Die abnormen Charaktere bei I b s e n von Dr. W. W e y -
gandt, Professor in Würzburg. Wiesbaden. Verlag von
J. F. Bergmann 1907. Preis 80 Pf. 16 Seiten.
Einige wenige, besonders hervorstechende Gestalten aus
Ibsens Dramen werden in diesem Vortrag, der im Verein
„Frauenheil“ zu Würzburg gehalten wurde, vom Standpunkte
de$ Psychiaters oder Psychologen aus, entsprechend dem Ver¬
ständnis des Zuhörerkreises, für den der Vortrag bestimmt war,
kurz besprochen. Max Nassauer - München.
Neueste JournalHteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medizin. Bd. 91. 3.u. 4. Heft.
10) Joh. E. Schmidt: Untersuchungen über das Verhalten der
Niere bei Hämoglobinausscheidung. (Aus der medizinischen Klinik
in Tübingen.)
Frisches, arteigenes Hb (intravenös eingebracht als lackfarbenes
defibriniertes und von den Stromata befreites Blut) macht keine
Thrombose und bedingt keine weitere Hämolyse. Es macht selbst
bei und nach oftmaligem Durchgänge durch die Niere keine ent¬
zündlichen Erscheinungen, es verursacht auch keine weitergehende
Epitheldegeneration, bezw. Nekrose. Nach wiederholten Injektionen
können einzelne Epithelzellen abgestossen werden, vielleicht im Sinne
einer stärkeren Abnutzung, die allein auf das Hb als einer doch
nicht absolut harnfähigen Substanz zurückzuführen ist. Ferner be¬
steht sicher eine, wenn auch geringe, an die Ausscheidung der in¬
jizierten Lösung gebundene, mit ihrem Aufhören fortfallende funk¬
tionelle Nierenschädigung, die zum geringen Teile wohl auch au^
andere Bestandteile des gelösten Blutes als das Hb zurückzufiiht en
ist, wobei es nahe liegt, besonders an eine Allgemeinwirkung der
Kalisalze zu denken.
11) W. Janowski: Ueber minimale Schwankungen der Dauer
einzelner Pulsweilen in normalen und pathologischen Zuständen.
Pulse, die bei der Palpation und auf der sphygmographischen
Kurve ganz rhythmisch erscheinen, zeigen bei genauer Ausmessung
einzelner Wellen auf Kurven regelmässig Schwankungen der Dauei
der einzelnen Wellen. Diese Schwankungen waren bei Gesunden am
grössten: in gleicher Reihe stehen Kranke mit normalem Pulse, dann
folgen Nierenkranke mit gespanntem Pulse. Arterio, Sklerotiker mit
gespanntem Pulse, Fiebernde mit dikrotem Pulse etc. Die kleinsten
Schwankungen fanden sich bei Fiebernden mit entspanntem Pulse
und bei Kranken mit leichten Kompensationsstörungen. Diese Schwan¬
kungen der Dauer verschiedener Pulswellen sind von kleinen Unter¬
schieden der Dauer der Diastole und solchen der Systole abhängig.
Die grössten Schwankungen üb>ertrafen 1U Sekunde nicht und ent-
behren deshalb wohl einer praktischen Bedeutung. Immerhin sind
sie eine interessante Uebergangsstufe zwischen idealer Herzfunktion
und seiner arhythmischen Tätigkeit.
12) E. Rautenberg: Die Registrierung der Vorhofpulsation
von der Speiseröhre aus. (Aus der Kgl. med. Universitätspoliklinik
zu Königsberg i. Pr.) (Mit 16 Kurven.)
Nach Schilderung der von ihm angewandten Untersuchungs¬
technik bespricht Verf. zunächst eingehend die ösophageajen Vor-
hofpulsa+ionen des gesunden Herzens, dann die getrennte 1 atigkeit
(Dissoziation) der Vorhöfe und Ventrikel, um sich schliesslich der
ösophagealen Vorhofpulsation. bei den Klappenfehlern des Herzens
(Mitralisinsuffizienz, Mitralstenose. Mitralinsuffizienz und ^ ten ose.
Mitral- und Aorteninsuffizienz) zuzuwenden. Wenn auch manche
Ergebnisse noch nicht genügend geklärt sein mögen, so sind doch
von der Anwendung dieser neuen Untersuchungsmethode wichtige
Resultate für das Studium der Herzarhythmie zu erwarten.
13) E. Müller: Ueber das Verhalten des proteolytischen Leu-
kozytenfermentes und seines ..Antifermentes“ in den normalen und
krankhaften Ausscheidungen des menschlichen Korners. 1. Mit¬
teilung. (Aus der medizinischen Klinik zu Breslau.) _
Die Prüfung der Verdauungskraft unveränderter Flüssigkeit von
Transsudaten und Exsudaten, sowie des Zentrifugates derselben be¬
zeichnet der Verf. als Ferimentreaktion. die Prüfung auf etwaigen
Gehalt an Hemmungsköroern in solchen Flüssigkeiten als Antiferment¬
reaktion. Es ergab sich, dass die Fermentreaktion des Zentrifugats
stets dann positiv ist, wenn sich bei der Zytodiagnostik ein reichliche!
Gehalt an gelapptkernigen, neutronhilen Leukozyten findet. Die re -
mentreaktion der von den erhaltenen Zellen befreiten i unkti
flüssigkeit aus Brust- und Bauchhöhle, ist nur dann positiv, wenn
akut entzündliche und durch Eitererreger (in weitestem Sinne) her¬
vorgerufene Erkrankungen zu einem Zerfall solcher Leukoz\ tenmas $
;juu
geführt haben, dass nach völliger Bindung des gleichzeitig vorhan¬
denen Hemmungskörpers ein wirksamer Ueberschuss an freiem pro¬
teolytischem Ferment entsteht.
Die Antifermentreaktion der Punktionsfliissigkeit aus Brust- und
Bauchhöhle [ehrt, dass bei Transsudaten die Hemmungskraft mit zu¬
nehmender Eiweissmenge zu steigen pflegt; bei Exsudaten ist jedoch
der Hemmungstiter abhängig nicht nur von der Grosse des Eiweiss¬
gehaltes, sondern auch vom Grade des Leukozytenzerfalls und der
damit einhergehenden Absättigung des „Antifermentes“ durch freies
rerment. Gewisse Unterschiede der Hemmungstiter, die Transsudate
trotz gleichem, prozentualen Eiweissgehalt zeigen können, lassen ver-
muten, dass für den Ausfall der Antifermentreaktion auch die Art des
Eiweisses eine Rolle spielt.
14) H. v. Höss li n: Ueber Tvphusfälle mit geringer und feh-
,5,nd^r Agglutination un(j typhusähnliche Fälle. (Aus der II. medizin
Klinik in München.) (Mit 2 Kurven.)
o balle. P°sitivem Typhusbazillenbefund im Stuhle, sowie
m - hallen mit positivem Bazillenbefund im Blute Hess sich keine,
bezw. nur geringe Agglutination erzielen, ohne dass sich ein Gftind
huefur fand. In 3 anderen Fällen, die nach ihrem ganzen Krankheits-
veHauf als Typhen anzusprechen waren, fanden .sich weder im Stuhl
noch im Blute Typhusbazillen; auch hier fehlte die Agglutination.
a 77 7 ed5 m a n n: Versuche, die Funktion des Herzens nach
dem Verfahren Heinrich v. Recklinghausens zu prüfen. (Aus
der medizinischen Klinik zu Strassburg.)
Mit Hilfe der R e c k 1 i n g h a u s e n sehen Formel (Amplitude
v _ Sekundenvolumen
X Pulsfrequenz - weitbarkeit der Oefässe > schle" eine °bi^tive
I i üfungsmethode der Herzfunktion durch die Möglichkeit einer zahlen-
^est.imrnung des Sekundenvolumens gegeben, wobei unter
Weitbarkeit die relative Inhaltszunahme des Gefässystems zu ver¬
stehen ist. Es zeigte sich, dass während der Arbeit bei Gesunden und
Kranken der mittlere Blutdruck und das Amplitudenfrequenzprodukt in
die Hohe gingen, wenn keiner Herzermiidung eintrat; andernfalls blieb
drnse Erhöhung aus. _ Die Blutdruckamplitude zeigte bei nicht er-
schopften Personen eine fast konstante Zunahme. Nach der Arbeit
verhielt sich zunächst das Amplitudenfrequenzprodukt ähnlich wie
wahrend der Arbeit, also im allgemeinen erhöht, um dann (6—15
Minuten nach der Arbeit) zum Ruhewerte zurückzukehren. Jeden-
als bedeutet eine nur geringe Vergrösserung oder gar eine Ver¬
kleinerung des Amplitudenfrequenzproduktes objektiv eine Herz¬
insuffizienz Die Frage, ob das Herz im Einzelfalle bei Ermüdung
andere Blutmengen auswürfe als in der Norm, d. h. die Frage nach
antworten6 ^ SekundenvoIumens üess sich zahle, nmässig nicht be-
^ ^ - «T ' n k H r g: Klinische und experimentelle Unter-
(S 38KSrvenr)D,abeteS ,nsipidus- (Aus der medizin- Klinik zu Bonn.)
. DafcTi^rV-erSuChe zei/en' dass die nach Läsion bestimmter Hirn-
tule des Kaninchens auftretende, länger anhaltende Polyurie eine
dernDuerst°eränF 1?’ und dass die gesteigerte Wasseraufnahme und
der Durst erst Folgeerscheinungen darstellen. Diese Polyurie kann
HchStinh^ ?ne darS di‘e Konzentrationsfähigkeit der Niere nachweis¬
lich in stärkerem Grade gelitten hat, so dass für diesen experimentell
Nie?e8 nnFkUten D‘abeteS ir]siDidus nicht eine Funktionsstörung der
wnrdiVh F°rm CineS mangelnden Konzentrationsvermögens verant-
worthch zu machen ist. Tierversuche und klinische Beobachtung
we rhpVV e‘Chei V^e,IS‘e die Annahme, dass der Mechanismus, durch
Y* ver™ebrte Harnausscheidung beim Diabetes insipidus
Tv K^nd^ kom!TI[’ ,b5‘ dem idiopathischen und organisch nervösen
;al- eske-n einheitlicher zu sein scheint. Auch ist die Frage noch
JnT.r tSaheidenB ?b Slch nicht im weheren Verlaufe auch der akut
Ä S,” e"’e Verrfa!:eruns des Konzentratlonsver-
«■' VertältSs
zens. (Aus der medizin Klinik zu Bonn.) (Mit 6 Abbildungen )
Stolischem rirnokCk 7 & a +Dl?erenz zwischen .systolischem und dia¬
stolischem Druck in der Arterie — stellt nur unter gewissen Voraus-
dar ZUn7^Sn reotlVeS Mass,für das Schlagvolumen des Heizens
ikir. Zu diesen Prämissen gehört auch, dass sich der Elastizitüts
modu! der Aorta bei verschiedenen Höhen des Innendruckes gleich-
bleibt, was jedoch nicht zu erwarten ist. Unter Elastizitätsmodul
im vorliegenden Falle ist das Verhältnis des Innendruckes der AoHa
zu du von ihm abhängigen Volumzunahme zu verstehen- der Elasti¬
zitätsmodul ist gross, wenn hoher Druck nur eine geringe Volm
Zunahme,!« Aorta bewirkt: dam, liest hohe ElastS vor D™e
Untersuchung ereab — es wurde stets die Aorta descendens eeeicht
iei verschiedenen Druckhöhen derselben Aorta, dass der Volum¬
modul, d. ln das Verhältnis Druck : Volumen dauernd steigt mit
steigendem Druck. Es verringerte sich als die Dehnbarkeit der AoHa
m dei Weise, dass bei gleichem Druckzuwachs die zugehörige Vo
lumzunahme dauernd geringer wurde, und umgekehrt bei gleichem
Volumzuwachs d,e zugehörige Druckzunahme grösser wurde Wa™
die kubische Zunahme verschiedener Aorten bei gleichen Druck
hohen betrifft, so wächst das Volumen im höheren Lebensalter ganz
beträchtlich bis auf mehr als das doppelte erwachsener junger Leute
Be, hohem Innendruck werden zwar diese Unterschiede zwischen
Alten und Jungen geringer, aber doch ist das Volumen der Aorta
älterer Leute noch ganz beträchtlich grösser. Die Volumzunahme,
deren Umfang ja von der Grösse des Gefässes und der Dehnbarkeit
dessen Wandung abhängt, bleibt zwischen dem 20. und 40. Jahre ziem¬
lich gleich, nimmt im 4. — 5. Dezennium deutlich ab und erhebt sich im
6. Dezennium wieder auf die frühere Höhe; in noch höherem Alter er¬
folgt ein unaufhaltsames Sinken. Es muss also im höheren Lebens¬
alter das Schlagvolumen des Herzens und die Menge Blut, die die
Aorta in der Zeiteinheit durchfliesst, in ausgesprochenem Masse ab¬
nehmen. Als Ausgleichsvorrichtung, um dieser Verkleinerung des
Schlagvolumens entgegenzuarbeiten, ist die ständige Grössenzunahme
der Aorta, die nicht als einfacher Elastizitätsverlust zu deuten ist.
und die in Form des typischen Greisenpulses — ein Zeichen für
zentrale Arteriosklerose — sich äussernde Erhöhung der Herzarbeit
anzusehen. Das Schlagvolumen des Herzens und die Geschwindig¬
keit der Blutströmung, in der Jugend am grössten, werden beide,
wenn der Höhepunkt des Lebens überschritten ist, allmählig geringer.
er Mensch ist nicht nur so alt wie seine Arterien, sondern auch so
alt wie seine Aorta und sein Herz.
18) R. Dünger: Das Verhalten der Leukozyten bei intra¬
venösen Kollargolinjektionen und seine klinische Bedeutung. (Aus
der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Johannstadt in Dres¬
den.) (Mit 6 Kurven.)
Die intravenöse Kollargolinjektion erzeugt beim Menschen zu¬
nächst eine Verminderung, dann eine mehr weniger starke Ver¬
mehrung dei Leukozyten. Bei diesen Schwankungen sind fast aus¬
schliesslich die polynukleären neutrophilen Zellen beteiligt. Die an¬
fängliche Verminderung beruht auf Leukozvtenzerfall; dadurch er¬
klären sich einige wichtige klinische Begleiterscheinungen der In¬
jektionen (Schmerz in den erkrankten Organen, die etwas später ein¬
tretende hochfieberhafte Reaktion des Gesamtorganismus die wohl auf
Intoxikation mit den beim Leukozytenzerfall freiwerdenden Fermenten
beruht). Letzterem Vorgang kommt vielleicht auch eine erhebliche
therapeutische Bedeutung zu. Uebrigens dürfte die Wircung der
intravenösen Kollargolinjektionen mit den an den Leukozyten sich ab¬
spielenden Vorgängen nicht erschöpft sein: es könnte auch noch die
chemischJkatalytische Wirkung des Kolloidmetalles, möglicherweise
auch die bakterizide Silberwirkung in Frage kommen.
Bamberger - Kronach.
Zeitschrift für Tuberkulose. Bd. XI, Heft 3 u. 4.
Heft 3. Sir William Henry Broadbent zum Gedächtnis.
Heller- Bern und Wolkenstein - Wladiwostok : Die Be¬
deutung der experimentellen Lungenanthrakose für die Frage nach
der Entstehung der Lungentuberkulose.
Die Verfasser zeigen unter Mitteilung der Protokolle, dass all¬
gemeine Lungenanthrakose nur durch Inhalation erzeugt werden
kann, dass aber auch auf andere Art der Einverleibung die Lunge
etwas Pigment aufnimmt. Die Versuche usw. können hier nicht aus-
fuhrheh berichtet werden. Es ist nur das zu sagen, dass sie keine
Anhaltspunkte für Behrings Theorie von der intestinalen Ent¬
stehung der Lungentuberkulose geben.
W o 1 f f - Reiboldsgrün : Ueber Krankenauswahl und Kurdauer
in den Volksheilstätten.
7rb m.acht Vorschläge über verbesserte Formulare, die nament¬
lich sich nicht auf schematische Stadien erstrecken, sondern den
ganzen Menschen in Betracht ziehen, und schlägt vor, alle Kranken
zuerst einer sechswöchtenlichen Kur zu unterziehen, um dadurch
eine Auslese treffen zu können, welche Fälle sich für eine spätere
dann in ihrer Länge unbeschränkten Kur eignen.
Die Berliner Tuberkulosewoche. 1. XI. Generalversammlung
des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose,
m • ,n«i907’ ~ 2‘ ,V* Versammlung der Tuberkuloseärzte, 24. und 25.’
vja\. . — . Die Heilstättendebatten in der Gesellschaft für soziale
Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik.
Haentjens - Putten (Holland) : Die Ursache der relativen
angeborenen Immunität des Hundes gegen Tuberkelbazillen.
t Be7ft,durwh fne Reihe von Tabellen zeigt Verf.. dass die
Immunität des Hundes aui einer ganz besonderen Gestaltung seiner
Gewebesafte beruht.
. dr 7 ^1 77 7, Hderberg: Die Zungentonsille als Eingangspforte
des Tuberkelbazillus.
Kurze Mitteilung, dass die Untersuchung des Verf. die von
Freudenthal Heft 4, Band 10 dieser Zeitschrift aufgestellten
Hypothesen nicht stütze.
Hinweis 1 4 016 VL ,nternationale Tuberkulosekonferenz. Kurzer
.. ^ [ c ‘ i,f e 1 und Hermann I r u n k - Hörgas (Steiermark): Ueber
die Behandlung von Lungentuberkulösen mit Marmoreks Anti¬
tuberkuloseserum.
vi ls a es se r - Hannover: Spezifische Behandlung der Tuber¬
kulose durch passive Immunisierung.
Beide Aufsätze der erste durch zahlreiche Krankengesichten
fni(ipein>edMUCkte 1 horaxschemata erläutert, schildern günstige Er¬
folge mit Marin 0 reks Antituberkuloseserum.
Ti.n/l6!1 W k s “Die.pholz: Einige Erfahrungen auf dem Gebiete der
i uberkulosebekampfung auf dem Lande.
Die (schlechten) hygienischen Verhältnisse auf dem Lande in
des \ erfassers Gegend werden geschildert. Man will dort jetzt so
01 gehen, dass man alle irgendwie fähigen Personen, Geistliche,
15. Oktober 1907.
MtJENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2101
Aerzte, Gemeindevorsteher, Krankenpflegerinnen, Hebammen, Desin¬
fektoren, Mitglieder von Frauenvereinen zu gemeinsamer Arbeit zur
Bekämpfung der Tuberkulose heranzieht.
Haentjens: Tuberkeltoxinstudien. II. Zu kurzem Referat
nicht geeignete Wiedergabe seiner Arbeiten mit Filtrase.
P e t e r s - Davosplatz: Ein guter und zugleich billiger Sputum¬
desinfektionsapparat.
Beschreibung eines brauchbaren, nur 462 Mark kostenden
Apparates. Liebe- Waldhof Elgershausen.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. X, Heft 9 u. 10.
1) Joseph D e u t s c h - Kiew: Die Duschevorrichtung als ein
Problem der hydriatrischen Technik.
D. beschreibt einen Apparat, der eine leichte, rasche und genaue
Regulierung sowohl des hydraulischen Druckes als der Temperatur
gestattet.
2) Karl Colombo-Rom: Ueber die Wirkung der Röntgen¬
strahlen auf das Zentralnervensystem.
C. beobachtete eine Patientin mit Fussgeschwiir, bei der unter
längerer therapeutischer Anwendung von Röntgenstrahlen starke ner¬
vöse Erscheinungen, Krämpfe und Schlaflosigkeit auftraten. Die Stö¬
rungen zeigten einen Parallelismus mit der Dosierung der Strahlen,
insofern« sie jedesmal abnahmen, so oft die Anwendung eingestellt
wurde und Zunahmen, je mehr Belichtungen stattfanden.
3) Max E i n h o r n - New York: Die diätetische Behandlung der
chronischen Diarrhöen.
E. unterscheidet Diarrhöe durch chronischen Darmverschluss
bedingt, nervöse Diarrhöe und chronische Diarrhöe infolge von
Dünndarmkatarrh, manchmal auch von einem katarrhalischen
Zustand des Kolons begleitet. Die meisten Formen involvieren
hauptsächlich den Dünndarm, und kann man diese Gruppe wieder
in folgende Kategorien einteilen: Primärer Katarrh, Katarrh, der
durch Abnormitäten der Magensekretion bedingt ist und Katarrh
mit Ulzeration. In der Behandlung aller dieser Arten ist es
hauptsächlich von Wichtigkeit, Speisen zu gemessen, die nicht
reizen und wenig Rückstand hinterlassen. Dieselben dürfen den
Darm weder mechanisch noch chemisch reizen und dürfen nicht zu
kalt genossen werden. Die Spezialbehandlung jeder einzelnen Art
erfordert verschiedene diätetische Anordnungen. Bei chronischem
Darmverschluss muss die Diät eine flüssige sein (Milch, rohe Eier.
Suppen, Fleischsaft). Bei' der Diarrhöe nervösen Ursprungs braucht
die Diät nicht zu strenge zu sein. Neben den Nervensedativen be¬
steht die Hauptbehandlung darin, dass der Patient nicht jedem Ruf
zum Stuhlgange folgen darf, sondern das Gefühl unterdrücken muss.
Bei Magenstörungen wie Achylia gastrica muss fleischfreie Diät eine
Zeit lang angeordnet werden, bei Hyperchlorhydrie spielt Fleisch und
eiweissreiche Kost neben Zufuhren von Alkali eine Hauptrolle. Bei
chronischem Dünndarmkatarrh sind Früchte, Salate, gewürzte und
sonst reizende Speisen und kalte Getränke zu meiden. Jedoch dürfen
wir im allgemeinen nicht zu strenge sein, um Unterernährung zu ver¬
meiden.
4) W. D. L e n k e i - Balaton-Almadi: Die Durchdringungsfähig-
keit der blauen und gelben Strahlen durch tierische Gewebe.
L. kommt zu dem Ergebnisse, dass durch Haut und Bindegewebe
bis zu einer Tiefe von 0,5 cm noch ca. der Vioo Teil des auffallenden
Lichtes dringt. 85 Proz. desselben sind gelbe und 5 Proz. blaue
Strahlen. Spuren von blauen Strahlen dringen durch die Haut und
die darunterliegenden Gewebe noch etwas tiefer als 3cm ein: ein ge¬
ringer Teil des auf gewöhnliche photographische Platten wirksamen
Lichtes dringt noch 5 — 6cm tief in die Gewebe; jedoch besteht dieses
durchdringende Licht in dieser Tiefe nur mehr aus gelben Strahlen.
Die Untersuchungen machen es aber wahrscheinlich, dass die roten
Strahlen noch tiefer in die Gewebe eindringen als die gelben.
5) Erik E k g r e n - Berlin: Zur Massagetherapie bei Prolapsus
recti. (Aus der I. medizin. Universitätsklinik.)
Verf. hebt den Nutzen der Massagebehandlung als Nachbehand¬
lung post operationem hervor, ferner in Fällen, in denen die vorge¬
fallene Partie des Darmes nicht allzugross ist und1 die Darmmuskulatur
ihre Kontraktilität nicht ganz verloren hat, um teils durch ihre lokale
Wirkung, teils durch Regelung der Stuhlverhältnisse einen günstigen
Einfluss auf den Heilungsprozess auszuüben.
6) Karl Hiss-Bad Gastein: Ueber Hochfrequenzströme und
deren Wirkung auf den arteriellen Blutdruck.
Durch Herabsetzung des Blutdruckes kann bei ihrer Anwendung
die Arbeit geschwächter Herzen erleichtert werden .
7) H. Senninger-Bad Reichenhall: Ueber Lignosulfitinhala-
tionen.
S. beschreibt 2 Apparate zur Lignosulfitinhalation, deren Wirkung
durch Verflüssigung des Sekrets und reflektorische Vertiefung der
Atmung bei akuten und chronischen Erkrankungen der Bronchien und
Lunge, insbesondere auch bei Keuchhusten Beachtung verdient.
H. 10. l) Karl O p d e n h e i m e r - München: Ueber die An¬
wendung von Sonnenbädern bei Peritonitis tuberculosa.
O. hat in 2 Fällen von Peritonitis tuberculosa bei Anwendung
von Sonnenbädern Besserungen konstatiert. Er vergleicht ihre Wir¬
kung mit dem nach Laparotomien öfters beobachteten und auf Erzeu¬
gung von Hyperämie zurückgeführten günstigen Effekt.
2) W. v. Rutkowski: Bericht über die Jahre 1904 06. (Aus
dem Röntgenlaboratorium der 1. medizinischen Universitätsklinik
Berlin.)
R. berichtet über 686 malige Anwendung der Röntgenstrahlen,
um zu zeigen, wie wichtig dieselben als diagnostisches Hilfsmittel und
als Heilfaktor geworden sind.
3) Dora M a r t i n - Berlin: Diätetische Kochkurse.
M. berichtet über die für Aerzte in 12 Lektionen gegebenen Koch-
kursc im Pestalozzi-Fröbel-Hause.
4) Fritz L o e b - München: Beiträge zur Kaffeefrage. Eine lite¬
rarische Studie.
Der Kaffeekonsum ist in Deutschland im letzten Dezennium der¬
art im Steigen begriffen, dass die Gefahr des Missbrauchs zur sozialen
Frage sich gestaltet. Eindeutige Untersuchungen haben festgestellt.
dass dem Koffein die Hauptwirkung zuzuschreiben ist. Eine Tasse,
aus 15 Bohnen bereitet, enthält ca. 0,15 g Koffein. Die chronische
Kaffeevergiftung wird oft mit Neurasthenie und Hysterie verwechselt
und äussert sich in Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Schwindel¬
anfällen. In stärkerer Konzentration kann Kaffee auch das Herz emp¬
findlich schädigen und die Magenverdauung ungünstig beeinflussen.
Vor allem ist deshalb Kindern der Genuss zu verbieten. Auch Un¬
regelmässigkeiten der Stuhlentleerung, Polyurie, leichtes Eintreten
von Dyspnoe bei geringen Anstrengungen und Pruritus wurden be¬
obachtet. Was die aktuelle Frage des Kaffeeersatzes betrifft, ist Malz¬
kaffee insoferne empfehlenswert, als er das Kaffeearoma nachahmt,
unschädlich und zugleich billig ist.
5) H. Engel - Heluan: Ist die bei Lues übliche Kombination von
Quecksilber- und Schwefeltherapie in absoluter Gleichzeitigkeit ratio¬
nell?
E. vertritt auf Grund klinischer Erfahrung den Standpunkt, dass
die gleichzeitige Anwendung von Schwefelbädern mit einer Oueck-
silberkur ein direktes Hindernis für den antiluetischen Effekt ist. Die
Bedeutung einer starken Schwefelquelle liegt lediglich auf der anti-
merkuriellen Seite, um bei beginnender Intoxikation das Quecksilber
möglichst schnell zu eliminieren.
M. Wassermann - München.
Zentralblatt für innere Medizin. 1907. No. 31 bis 40.
No. 31. F. Schilling: Die Druckempfindlüchkeit und die
Druckpunkte des Abdomens.
Verfasser unterzieht die mannigfaltige Bedeutung druckempfind¬
licher Stellen am Abdomen einer genaueren Betrachtung und widmet
besonders den sympathischen Nervengeflechten seine Aufmerksam¬
keit. Zur Erhaltung von Vergleichswerten hat er ein Druckästhesio¬
meter angegeben. Die Deutung der Druckempfindlichkeit des Leibes
ist oft schwierig und nur unter Berücksichtigung des gesamten
Untersuchungsergebnisses mit einiger Sicherheit möglich. Gerade
die Fälle mit nervösem Druckschmerz (Enteroptose, viszerale Neur¬
asthenie usw.) ergaben sehr wechselnde Befunde.
No. 32. Weissmann - Lindenfels: Ueber Trinkkuren mit
Lamscheider Stahlbrunnen.
Der Brunnen, 0,07 g Eisenbikarbonat im Liter enthaltend, ist
wirksam bei Chlorose und bei sekundären Anämien.
No. 33. Ohne Originalartikel.
No. 34. C. Bachem: Alkohol und Warmblüterherz. (Aus dem
Pharm. Inst. Bonn.)
Mitteilung experimenteller Untersuchungen, die meist eine Stei¬
gerung des Blutdrucks für kurze Zeit (bei intravenöser Einverleibung)
ergaben. Bei künstlich geschwächten Herzen der Versuchstiere war
die Drucksteigerung geringer als bei gesunden. Nur die wiederholte
Zufuhr entsprechend dosierter Gaben ist imstande, dem Herzen über
eine eventuelle Krisis hinwegzuhelfen. Die Dauer der günstigen
Alkoholwirkung auf den Blutdruck war jedesmal sehr flüchtig.
No. 35, 36, 37. Ohne Originalartikel.
No. 38. Wiens und E. Müller: Ueber die Beeinflussung
des proteolytischen Leukozytenferments durch das Blutserum ver¬
schiedener Wirbeltierklassen.
Mitteilung der Ergebnisse: Gegenüber dem Leukozytenferment
des Menschen hemmen diejenigen Sera am stärksten, die vcn solchen
Säugetieren stammen, welche selber ein proteolytisches Ferment be¬
sitzen, das sind Affe und Hund.
No. 39. F. Rosenberger- Heidelberg: Ueber neue Harn¬
zucker.
Ausser Dextrose kommen im Harn Diabetischer zuweilen noch
andere gärfähige, aber nicht drehende Zucker vor, die sich bisher
nicht genau identifizieren lassen.
No. 40. Ohne Originalartikel. W. Zinn- Berlin.
Zentralblatt für Gynäkologie, No. 38 u. 39.
M. N e u - Heidelberg: Bemerkungen zu dem Aufsatz von
Dr. v. Velits: „Ueber Adrenalinwirkung bei Osteomalakie“ in
No. 29 d. Bl.
N. hält die von Bossi verwendeten Adrenalindosen für zu
hoch und daher nicht ungefährlich, wie die Fälle von v. Velits be¬
weisen. Als Maximaldosis bezeichnet er Vio mg pro dosi, höchstens
Iw mg in kürzeren Intervallen. Die Gefahr besteht in Nebenwir¬
kungen auf das Herz und die Lungen, letzteres, wenn Osteomalakie
mit Tuberkulose kombiniert ist. Bei gleichzeitiger Gravidität be-
I steht ausserdem die Gefahr des Aborts.
J1U2
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
I li. van de V e 1 de -Haarlem: Blastonivzeten und Entzün¬
dungen der weiblichen Genitalien.
Verf. hat bei den verschiedenartigsten Erkrankungen der weib¬
lichen Genitalien Hefe zellen gefunden, deren Bedeutung für die
Pathologie bisher unterschätzt zu sein worden scheint. Die grösste
Zahl der Fälle betraf akute Entzündungen der Zervix mit Kolpitis
und Vulvitis. Als Ursache erwies sich in einem Teil der Fälle das
zur Vaginalirrigation verwendete Wasser. In einem Falle enthielt
die Milch einer Stillenden reichlich Blastomyzeten. Begünstigt wird
die Infektion damit bei chronischer Gonorrhöe, ebenso bei Schwan¬
gerschaft. Verf. fand ferner noch Hefepilze im Blute einer an Puer¬
peralfieber Verstorbenen, bei akuter Vulvitis und Kolpitis kleiner
Mädchen, in Tubentumoren, in der freien Peritonealhöhle und im
Blute von Kranken, die an reiner Blastomyzetensepsis zu gründe ge¬
gangen waren.
R. v. B r a u n - Fernwald: Ueber Uterusperforation,
Klinische Vorlesung mit zahlreicher Kasuistik aus der Literatur,
für ein Referat jedoch nicht geeignet.
R. B i r n b a u m - Göttingen : Die Erkennung und Behandlung
der Urogenitaltuberkulose mit den Koch sehen Tuberkulinpräna-
raten.
B. empfiehlt auf Grund der Erfahrungen an der Göttinger Frauen¬
klinik eine ausgedehnte Verwendung des Tuberkulins zu diagnosti¬
schen und therapeutischen Zwecken. In ersterer Beziehung hat das
Mittel unter hundert Fällen nur 1 mal versagt. Zur Behandlung ge¬
langten 23 Fälle, die sich folgendermassen verteilten: 7 Peritoneal¬
tuberkulosen mit Aszites: 3 geheilt, 7 Peritonealtuberkulosen ohne
Aszites: 5 geheilt, 5 Adnextuberkulosen: 3 geheilt, 4 Blasentuber¬
kulosen: 1 geheilt Wichtig ist dabei die sog. Etappenbehandlung,
d. h. Aussetzen der Injektionen während einiger Monate, um sie
dann zu wiederholen.
W. S i g w a r t - Berlin : Zur Pubiotomie im Privathause.
Eine Erwiderung auf den Artikel Hamme nschlags in
No. 33 des Zentralblattes. S. glaubt, dass auch in poliklinischer Praxis
die Wöchnerinnen nach schweren Entbindungen, wie z. B. nach
Eklampsie, Placenta praevia, Pubiotomie etc., im Laufe der ersten
8 12 Stunden besucht werden können und müssen. Im allgemeinen
kann daher der Fall H.s nicht als Warnung vor der poliklinischen
Ausführung der Pubiotomie gelten. J a f f e - Hamburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
57. Bd. 3. u. 4. Heft. 1907.
11) J. B o c k - Kopenhagen: Ein Apparat zu Infusionsversuchen.
Der beschriebene Apparat lässt sich auf Injektion einer grösseren
oder kleineren Flüssigkeitsmenge pro Minute einstellen und arbeitet
nach seiner Einstellung stundenlang ohne irgend welcher Aufsicht
zu bedürfen.
12) J. B o c k - Kopenhagen: Untersuchungen über die Nieren¬
funktion. I. Ueber die Ausscheidung der Alkalimetalle nach Injektion
von Kaliumsalzen.
In dem Kampfe der Meinungen, ob die Nierentätigkeit auf einer
riltration oder Sekretion beruhe, stellt sich Bock mit seinen schönen
Versuchen auf die Seite der Sekretionsverteidiger. Er bemängelt,
dass von den Verfechtern der Filtrationshypothese die Harnab¬
scheidung nur nach der Ausfuhr der Säurereste — CI, SO*, PO* —
üei Harnsalze beurteilt wurde, und dass man die Beobachtung der
Alkaliausfuhi fast völlig vernachlässigte. Aus den Säureresten die
Beckenausscheidung zu berechnen, geht durchaus nicht an, wie aus
Bocks Versuchen hervorgeht. Bestimmungen der Harnalkalien
nach Injektion isotonischer Chlorkaliumlösung ergaben neue Resul¬
tate, welche sich mit der Eiltrationshypothese ohne Zwang nicht ver¬
einigen lassen. Weder das Natrium noch Kalium oder Chlor folgen
in lln ei Ausscheidung der Stärke der Diurese. Diese Abweichungen
mittelst einer Rückresorption zu erklären, wie die Anhänger der
lltrationshypothese es tun, ist nach Bock durchaus willkürlich und
wurde diese Rückresorption schliesslich auch wieder einen Akt echter
Sekretion darstellen. Ausserdem müsste diese postulierte Rück¬
resorption zur Erklärung der vorliegenden Befunde ungeheuer gross
sein und die abgesonderte Harnmenge um das 13— 23 fache über¬
steigen. Aus diesen Gründen hält Bock dafür, dass die Salze des
arns mittels einer „Sekretion“ ausgeschieden werden, d h durch
gänglidir(isteSS’ dCr ZUr ZCit e'ner physikalischen Erklärung nicht zu-
,, « Goure witsch - Moskau : Ueber das Verhalten des
Koffeins un Tierkörper mit Rücksicht auf die Angewöhnung.
• •UCV ^)e»in Koffein findet eine Angewöhnung statt, wenn auch
nicht in dem Masse wie beim Morphin. Die Ursache derselben beruht
aber nicht in einer vermehrten Zerstörungsfähigkeit der Gewebe
gegenüber dem Koffein, denn es werden in den Organen der im¬
munisierten Here erhebliche Koffeinmengen gefunden Auffallender
\\eise fmdet sich besonders reichlich Koffein im Gehirn und in dem
Muskeln vor, also in jenen Organen, die am stärksten auf Koffein
reagieren. Diese scheinen demnach das Koffein bei der Gewöhn mw
m erhöhtem Masse anzuziehen, vermögen sich aber gleichzeitig durch
eine aktive Zelhmmunität zu schützen. * S ü
Giftigkeit des^Harzgases.”B°n,1: ^ “»«
tdddch verlaufende Vergiftung mit den durch Trocken
destillation gewonnenen Harzgasen gab Veranlassung zur Unter¬
suchung derselben. Als Ursache der Vergiftung konnte der hohe
Kohlenoxyd- und Kohlensäuregehalt des Harzgases festgestellt
werden.
15) L. H i r s c h s t e i n - Hamburg: Die Beziehungen der endo¬
genen Harnsäure zur Verdauung.
Bestimmungen der bei purinfreier Kost ausgeschiedenen „en¬
dogenen“ Harnsäure zeugten, dass vor allem Nahrungsaufnahme und
zumal Genuss purinfreien Eiweisses eine Steigerung der Harnsäure¬
ausscheidung hervorruft. Tierversuche ergaben, dass diese Harn¬
säure Purinkörpern entstammt, welche sich der ursprünglich purin-
fi eien Nahiung im Magendarmkanal in den Verdauungssäften bei-
mischen. Es muss also der Ursprung der endogenen Harnsäure den
purinhaltigen Drüsensekreten zugeschrieben werden.
16) Ed. Allard- Greifswald : Untersuchungen über die Harn-
absonderung bei Abflusserschwerung.
?.U1, ^ 1 iifung der jetzt so eifrig diskutierten Frage, ob Filtration
oder Sekretion der Harnabsonderung zu Grunde liege, stellte Allard
interessante Versuche an einem Manne mit Blasenektopie an, dessen
beide Ureterenmündungen der Untersuchung leicht zugänglich waren.
Wählend normaler Weise die beiden Nieren im grossen ganzen gleich
viel und gleich zusammengesetzten Hain liefern, sezernierte die Niere
deren Abfluss erschwert ist, Wasser, Harnstoff und Chloride in ver¬
minderter Menge. Dieses Verhalten wurde unter dem Einfluss von
einer Reihe diuretisch wirkender Stoffe geprüft. Die Resultate, welche
im einzelnen hier nicht mitgeteilt werden können, lassen sich nach
Allard nicht mit der Annahme einer durch den Druck begünstigten
Resorption in den Harnkanälchen erklären, vielmehr sprechen sie für
eine Behinderung der Wasser- und Chlorausscheidung in den Glo-
rneruhs, verbunden mit einer geringen Beeinträchtigung der Funktion
der Kanalchenepithehen, denen nach der Sekretionstheorie die Ab-
scheidung des Harnstoffs und der Phosphate obliegt. Wie Bock
ist also auch Allard ein entschiedener Verfechter der Bow-
mann-Heidenhain sehen Sekretionstheorie der Nierenfunktion.
CI. 17,\ b Spiegel-Berlin: Beziehungen der Phenole zur
Schwefelsaureausscheidung.
f..,Nach Ehrliehs bekannter Theorie binden dem Körper zu-
gefuhrte Giftstoffe sonst anders funktionierende Seitenketten lebens-
\y lcntiger Zellsubstanzen und entziehen sie dadurch ihrer eigentlichen
Funktion. Nach einem biologischen Gesetz führt dies zu einer Ueber-
produktion dieser Seitenketten und zu ihrer Abstossung in
den Kreislauf Wahrend Ehrlich dies Verhalten körper¬
fremder Substanzen nur hochmolekularen Substanzen un¬
bekannter Konstitution zuschreiben wollte, suchte Spiegel es
auch an einfachen Substanzen bekannten Aufbaus nachzuweisen,
indem er dem Organismus Phenole zuführte, die bekanntlich sich im
Koi per mit Schwefelsäure paaren. Wäre die Voraussetzung richtig,
dass die Phenole sich an die H2SO4 von Seitenketten binden, so
musste bei genügend langer Phenolzufuhr eine Vermehrung der Ge-
samtschwefelsäure des Harns sich feststellen lassen. Der Versuch
bestätigte diese Erwartung nicht, vielmehr bewirkte die Fütterung
von Euguform einem ungiftigen Kondensationsprodukt des Guajakols
nnt Formaldehyd, ein Absinken der gepaarten und der Gesamt¬
schwefelsaure. _ Erstere ist wohl infolge der darmdesinfizierenden
Wirkung des Präparates vermindert. Das Absinken der Gesamt¬
schwefelsaure glaubt Spiegel aber im Sinne der Ehr lieh sehen
I heorie durch den infolge Herabsetzung der Darmfäulnis verminderten
Bedarf an spezifischen schwefelsäureliefernden Seitenketten erklären
zu Können. Angaben über die Grösse der Phenolausscheidung enthält
die Arbeit nicht.
18) H. Hildebrandt-Halle: Ueber Bebeerin.
Von rein pharmakologischem Interesse.
19) Schwenkenbecher und T u t e u r - Strassburg: Wie
Wännebildunge?ernde MenSch auf eine W'Hküriiche Steigerung seiner
Zur Entscheidung der Titelfrage gaben die Verfasser ihren Ver¬
suchspersonen eine konzentrierte Kost und führten dadurch eine
.Weigerung der Wärmebildung herbei. Letztere wurde dann an der
ri™ihrearetli°mSeSieSSen’, di? allerdings nur ein ungefähres Mass
duMSje ‘ AS ergad sich’ dass eine etwa gleiche Steigerung
Erh fihimp11 rWd Wä GesVnd<j und Fiebernde durch eine nahezu gleiche
Erhöhung der Wärmeabgabe ausgleichen. Genesende reagieren auf
Nahrungsaufnahme mit einer stärkeren Schweissekretion, die viel¬
leicht auf einen labileren Zustand des Nervensystems zurückzuführen
st‘ J. M ü 1 1 e r - Würzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 40. 1907.
Die Perkussion der Lungen-
1) G 0 1 d s c h e i d e r - Berlin:
spitzen. (Schluss folgt.)
2) H. H. Schmidt - Berlin: Ueber einen Fall von progressiver
Muskelatrophie und über rachitische Pseudoparaplegie.
J jährigen Patienten, über dessen Befund und
f tSmeSnhlC^t"i,berichtet wird’ war vor 4 Jaüren die Diagnose
auf atrophische Lähmung der unteren Extremitäten, progressive
Muskelatrophie und Poliomyelitis anterior chronica 'infantum gestellt
^°rde,n- Spat^r bildeten sich typische rachitische Erscheinungen
wÄrS-^,?e?en auSL Verf: erörtert, mit welchem Grade von
yahrscheinlichkeit es sich um eine sogen, rachitische Pseudonara-
plegie dabei handelt und lässt es schliesslich dahingestellt, ob eine
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2103
myopathische Dysatrophie oder eine chronische atrophische infantile
Spinallähmung vorliegt. ... , .
3) C. S. Engel-Berlin: Ueber Rückschlag in die embryonale
Blutbildung und Entstehung bösartiger Geschwülste.
Vergl Inhaltsangabe S. 1454 .der Münch, med. Wochenschr. 190/.
4) P. Manasse- Berlin: Ein Fall von infizierter Hydronephrose
mit seltener Anomalie des Ureterverlaufes.
Vergl. Inhaltsangabe S. 50 der Münch, med .Wochenschr. 1907.
5) H. V i rchow -Berlin: Eine nach Foriji zusammengesetzte
kyphotische Wirbelsäule.
' Der wesentliche Inhalt des Artikels, welcher eine Reihe von
Abbildungen bringt, ist S. 1309 der Münch, med. Wochenschr. 1907
ane-eeeben
6) K. K u t s ch e r - Berlin: Paratyphus und Nahrungsmittel¬
infektionen. ^ XT , ... ,
Verf. unterscheidet 3 grosse Gruppen von Nahrungsmittel¬
infektionen, deren erste durch Intoxikation durch das Botulismusgift,
die zweite durch die Entwicklung von Fäulnisbakterien in den ur¬
sprünglich nicht gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln, die dritte
durch Bakterien der sogen. Typhuskotigruppe in ihren klinischen Er¬
scheinungen bedingt werden. Verf. bespricht hauptsächlich die letz¬
tere Gruppe und betont besonders die schon längst von B o 1 1 i n g e r
vertretene Auffassung, dass bei den Fleischvergiftungen als Ursache
meistens das Fleisch notgeschlachteter Tiere in Frage kommt. Er
bespricht dann den Mechanismus, welcher für die Fleischvergiftung
durch den Paratyphusbazillus praktisch in Wirksamkeit tritt. Die Be¬
zeichnung Paratyphus erklärt er für eine höchst unglücklich gewählte.
Das wichtigste Bekämpfungsmittel ist in einer sorgfältigen Fleisch¬
beschau gegeben. Nach den in vielen Epidemien gemachten Er¬
fahrungen ist besonders vor dem Genüsse des Hackfleisches, welches
so oft von notgeschlachteten Tieren stammt, zu warnen.
Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 40.
1) H. W. F r e u nd - Strassburg: Die Behandlung des unstill¬
baren Erbrechens der Schwangeren.
Klinischer Vortrag. Verf. betont den Wert einer guten Prophy¬
laxe und einer vollkommenen diätetisch-physikalischen Therapie,
bringt auch Beispiele für den Erfolg der Suggestion.
2) V. Ban dl er und K. K r e i b i c h - Prag: Erfahrungen über
kutane Tuberkulinimpfungen (Pirquet) bei Erwachsenen.
Verf. impften unverdünntes Alttuberkulin in die gereinigte Haut
Erwachsener mit und ohne Hauttuberkulose. Von den letzteren (37)
reagierten 22 in verschiedenem Grad, 2 weitere erst bei wiederholter
Impfung, 15 gar nicht. Von 2 Fällen von Lupus, erythematodes re¬
agierte der eine deutlich, der andere schwach. Von 26 Kranken
mit lokaler Tuberkulose der Haut zeigten 22 eine exquisit hochposi¬
tive Reaktion, 4 Fälle von schwerer miliarer Schleimhauttuberkulose,
hochfiebernd, kachektisch, mit schwerer tuberkulöser Zerstörung der
Lungen und Drüsen reagierten nicht. Schon abgeblasste Impfreak¬
tionen exazerbierten nach Tuberkulininjektion nochmals. Die
Unterscheidung zwischen Lichen scrophulosorum und Lichen syphi¬
liticus gelang mittels der Reaktion nicht sicher. Sehr deutlich unter¬
schied sich jedoch die Reaktion bei interner Tuberkulose von der
viel stärkeren bei Hauttuberkulose, was eine spezifische Ueber-
empfindlichkeit der Haut bei letzterer bedeutet. Das histologische
Bild der Impfpapel wird beschrieben.
3) Franz Nagelschmidt - Berlin : Zur Diagnose und Thera¬
pie tuberkulöser Hautaffektionen.
Lokale Impfung mit Alttuberkulin ruft in einem tuberkulösen
Hautherd fast regelmässig ein Geschwür hervor, im Gegensatz zu
anderen Hauteffloreszenzen und zu normaler Haut, die nur eine
Papel bildet, welche sich nach wenigen Tagen mit einer kleinen
Kruste bedeckt. Gelegentlich dieser diagnostischen Impfungen be¬
obachtete Verf., dass manchmal mit dem Ablauf der Reaktion auch
eine klinische Heilung oder Besserung der tuberkulösen Efflores-
zenzen eintrat; doch hat die Methode grosse Nachteile.
4) S c h e 1 1 e n b e r g - Beelitz i. M.: Gleichzeitig mit Gicht¬
anfällen auftretende Glykosurie bei einem Fall von Lungentuberku¬
lose.
Die Glykosurie (0,14 — 0,7 Proz. trat in dem beschriebenen Fall
nur zeitweise während der Gichtanfälle auf.
5) E n g e 1 e n - Düsseldorf : Ein Fall von Erythromegalie kom¬
biniert mit Basedow scher Krankheit.
Um einen einheitlichen Krankheitssitz in dem beschriebenen Fall
zu erklären, schliesst sich Verf. der bulbären Theorie für beide
Krankheitsbilder an.
6) Th. Pa p a l o an n ou - Athen: Ein seltener Fall von Echino¬
kokkus des N. opticus.
Bei dem einseitig erblindeten 12 jährigen Patienten wurde mit¬
tels K r ö n 1 e i n scher osteoplastischer Operation die Geschwulst
freigelegt; bei der Lösung der Verwachsungen platzte die Ge¬
schwulst und erwies sich als Echinokokkenblase, welche noch 5 — 6
kleine Tochterzysten enthielt. Der Bulbus wurde nebst dem grössten
Teil des Sackes exstirpiert. .
7) W e de r h ak e -Düsseldorf: Beiträge zur Paraffinprothetik.
iVerf. verwendet eine Paraffinkautschukmasse; dieselbe lässt
sich leicht formen, erstarrt langsam zu Knorpelhärte, wird scheinbar
nicht resorbiert.
8) Max W u n s c h - Berlin: Ein Skolioscapparat.
Schulterkrücke an verstellbarer Stange, Gurten und Bänder (s.
Abbildung).
9) P. J a c o b s o h n - Berlin: Fortschritte der Krankenpflege¬
technik.
10) T h i e m - Kottbus: Die Stellungnahme des Arztes als Gut¬
achter bei der Ausführung der Arbeitergesetze.
Beherzigenswerte Fingerzeige für Abfassung von Unfallgut¬
achten. .
11) Grieco-Rom: Das Militärsanitätswesen in Italien.
>- r. o h n ir
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 40. A. v. Frisch -Wien: Historischer Rückblick über die
Entwicklung der urologischen Diagnostik.
Eröffnungsrede zum I. Kongress der deutschen Gesellschaft für
Urologie. . ^ J , ,
O. Zucker kan dl- Wien: Ueber die Totalexstirpation der
hypertrophischen Prostata.
Z. empfiehlt die Totalexstirpation nur bei vorgeschrittenen ballen,
zumeist aus vitaler Indikation, wenn die palliative Behandlung nicht
mehr ausreicht, wo schon geringe Harnansammlung schmelzhaften
Tenesmus erzeugt und den Katheterismus erfordert, wo dei Kathe¬
terismus immer schwieriger wird, wo Neigung zu profusen Blutungen
eintritt und bei frischer Infektion der oberen Harnwege, welche duich
Spülungen der Blase nicht gebessert wird. Von den Operations¬
methoden scheint die suprapubische vor der perinealen den Voizug
zu verdienen wegen der Unmöglichkeit der Mastdarmverletzung, der
einfacheren Nachbehandlung und der geringeren sexuellen Ausfall¬
erscheinungen. Kurzer Bericht über 30 perineal (4 Todesfälle) und
30 transversikal (7 Todesfälle) operierte Fälle. Mit Ausnahme von
zwei Fällen mit Komplikationen war die Wiederherstellung des Harn¬
abflusses eine vollständige und ebenso günstig ist der Einfluss auf das
Allgemeinbefinden.
H. Schur und J. Wiesel: Beiträge zur Physiologie und
Pathologie des chromaffinen Gewebes.
Vortrag, gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte.
A. v. Frisch: Bericht über 300 operierte Blasentumoren.
95 Karzinome, 201 Papillome, von denen 107 beginnende
krebsige Degeneration auf wiesen, also zwei Drittel
aller Tumoren waren bösartigen Charakters, der in vivo vor der
Operation nicht nachzuweisen ist. Die Operation durch die Sectio
alta hatte bei den Karzinomen 25,3, bei den Papillomen 9 Proz.
Mortalität. Von 53 weiter verfolgten gutartigen Papillomen hatten
21 Rezidive, von 49 solchen mit krebsigen Einschlüssen hatten 29
Rezidive, 62 Karzinomkranke hatten ausnahmslos Rezidive, ein Teil
hatte lange Zeit sich sehr wohl befunden. Nach der Anschauung Fs.
indiziert jeder Blasentumor die Operation und zwar fordert er als
prinzipieller Gegner des endovesikalen Operieiens die vollständige
Freilegung des Blaseninnern durch den hohen Blasenschnitt.
G. Kapsammer - Wien : Ueber kompensatorische Hyper¬
trophie der Niere. , . „ , ,
Die funktionelle Hypertrophie der zweiten Niere bei Erkrankung
einer Niere lässt sich durch den Ureterenkatheterismus oft gut er¬
kennen: es wird aus der hypertrophischen Niere eine deutlich ver¬
mehrte Harnmenge abgeschieden bei gleichzeitiger Verkürzung der
Pausen zwischen den Entleerungen. Diese erhöhte Funktion findet
sich auch an Nieren, welche selbst an einer toxischen Nephritis er¬
krankt sind. Nach Entfernung einer Niere ist diese funktionelle
Hypertrophie der zurückgebliebenen natürlich noch leichter an du
täglich ausgeschiedenen Harnmenge zu verfolgen.
Ist 'die zurückgebliebene Niere krank und nicht hypertroplnei t,
so bleibt die Urinmenge weit unter 1000 ccm, ist sie gesund, so
liefert sie ca. 500—800 ccm, ist sie hypertrophisch, so werden schon
am ersten Tage etwa 1000 ccm sezerniert.
V. Blum- Wien : Die Bedeutung des reno-renalen Reflexes
für die Pathologie und Diagnostik der Nierenkrankheiten.
B. behandelt zunächst die reflektorische reno-renale bchmerz-
übertragung auf die gesunde Niere mit mehreren Krankheitsberichten,
dann die reno-renale reflektorische Anurie, schliesslich die sym¬
pathische Nephritis, welche bei einer Erkrankung einer Niere durch
reflektorische, disponierende Veränderungen in der zweiten ent¬
stehen und bisweilen durch Heilung der ersten Niere auch zur Heilung
gelangen können.
R. Cristof oletti- Wien: Ueber eine neue Urethralplastik.
Zwei Fälle. Fortgeschrittenes Uteruskollumkarzinom mit Meta-
stasen in der Urethralgegend; die ausgedehnte Operation entfernte
den Uterus mit den Adnexen, Vagina und Urethra in einem Stuck.
Die neue Urethra wurde nach vorhergehender hectio alta aus dem
Reste der hinteren Vaginalwand gebildet, durch eine Schleife des
Sphincter ani durchgezogen und so die Kontinenz erzielt, die Vulv.
über der ein ganzes bildenden Blase und Urethra duich Nahte
geschlossen. c h t e n s t e r ,n . Wien : Ueber diffuse inkrustierende
Zystitis,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Zuckerkandl hat 2 Fälle dieses hartnäckig progredienten
Leidens zur Heilung gebracht durch radikale Exzision der phos-
phatisch inkrustierten Geschwürsflächen, Vernähung der Defekte mit
Katgut und Aetzung der übrigen Schleimhaut mit Jodtinktur. Nach
1 bezw. 2 Jahren war die Heilung noch eine vollständige.
i . N e c k e r - Wien: Chronische, sklerosierende Parazystitis,
paravesikale Holzphlegmone.
Krankengeschichte eines 20 jährigen Mannes bei dem sich an-
sch liessend an eine wegen Blasensteins ausgeführte Sectio median.a
eme Prostatitis und dann eine diffuse, von der Symphyse bis nahe
an den Nabel reichende brettharte, schmerzhafte Infiltration fast ohne
I iebererscheinungen entwickelte, die schliesslich zum operativen Ein¬
greifen zwang, da sie allen palliativen Mitteln widerstand. Exzision
grösserer Partien aus den derben schwieligen Massen,' Jodoform¬
tamponade. feuchter Verband. Allmähliches Schwinden des In¬
filtrats und Heilung. Der zystoskopische Befund bestand nur in einer
lokalen Schleimhautischämie. Der ganze Charakter der Erkrankung
gleicht am meisten dem von Reclus als Holzphlegmone beschrie¬
benen Typus.
R. P a s c h k i s - Wien: Ueber Komplikation von Blasenstein mit
anderweitigen Steinbildungen im Harnsysteme.
Die hier beschriebenen Fälle der Z u c ke r k a nd 1 sehen Ab-
teHung zeigen folgende Kombinationen: Freier Blasenstein und
Divertikelsteine; Blasenstein und Prostatastein; Blasenstein und
Uretei stein; Blasenstein und Nierenstein.
r u' -V,USj ’ V^en: Beitrag zur Klinik ausgebreiteterer papillärer
Geschwülste der Harnröhre.
Zwei Fälle, in dem einen Amputatio penis, in dem anderen Ex¬
zision der vorderen Hälfte der weiblichen Harnröhre. Zusammen¬
stellung von 13 Fallen aus der Literatur.
Wiener medizinische Presse.
. N°- 28' .H- Erey-Wien: Die sogen. Reflexepilepsie infolge Er¬
krankungen des Ohres und des Nasenrachenraumes.
ts.g.ib,! fälle in der Literatur, welche diesen Zusammenhang
^cl un^eTä CFn ,^ach?n : , F- .selb(st bat bei diesbezüglichen Unter-
. : „ J " gefunden, bei denen nach entsprechender Behand-
öhfeiternn? l N.asen'nufehelhypertrophie, einer chronischen
Bm.n S,hll;r,beVf Meerschweinchen in dem diTh die
FiiifmininVrn.n V r hVe 0peratiüI) bewirkten Reizzustand durch
Einführung von Fremdkörpern und ähnliche Reizung des Ohres und
des Nasenrachenraumes epilepsieartige Krämpfe hervortuen können
Syphuis.He mUth’WaSCh'im: Mergal in der Behandlung der
H. bezeichnet das Mergal als ein gutes inneres Antiluetikum das
den Magendarmkanal bei vorsichtigem Gebrauch und zweckmässiger
Ernährung weniger reizt als andere interne Mittel.
o N?' .29V B- Pericic-Zara: Erythema toxicum grave nach
antimalanscher Behandlung.
i m hal9 Üälle von schwerem scharlachähnlichem und Eiterblasen
A sendbeo^7chhteT "n ßeFan,dlung der Malaria mit Chinin-Eisen-
tovisch Wirknna dem Lhimii oder dem Arsen die schwere
toxische Wirkung zukam, ist ungewiss. 4 Fälle, darunter ein hier
naher beschriebener, endeten tödlich. n er
nhüon °'t~9 i2' Fl Schmiegelow - Kopenhagen : Ueber Oeso¬
phago-, Tracheo- und Bronchoskopie.
Klinischer Vortrag mit Kasuistik.
■ No. 38/33. A.Strasserund R. Blumenkranz: Die Wir-
ung indifferenter und schweisstreibender Bäder bei Nephritis
Zur Bekämpfung der Urämie und Oedeme empfehlen die Ver
tsser nach ihren Erfahrungen entschieden mehr Schwitzbäder welche
die Körpertemperatur nicht lange und stark erhöhen als intensiv!
Schweissprozeduren, die nicht selten unangenehme Folgen zeSen
und nur ausnahmsweise eine ausgiebige Diurese im Gefolge haben
Atoxyl? M- v. Z e i s s 1 - Wien: Die Behandlung der Syphilis mit
a +■ Nach 4jährigen Erfahrungen erklärt v. Z., dass das Atoxvl kein
An isyphUitikum ist und die luetischen Erscheinungen nicht rasch zum
Schweden bringt Dagegen ist es ein gutes Roborans, das im Gegen™
‘ z anderen Arsenpräparaten fast ungiftig ist, nach der Injektion
x'erbreiS"^26" U"d AbSZ6SSe bewirkt k^en iSoWauSÄ
No 36 37. M Heitler: Zur Klinik des Herzens,
ä) Unterscheidung von Mitral- und Trikiispidalgeräuschen. Zur
Unterscheidung dient der Leber-Herzreflex, der Akzentwechsel an den
Herztönen bei Druck auf die Lebergegend. Verstärkt sich das Ge
rausch bei Druck auf die Leber, so entsteht es am ^ Trikuspidalostium
ostiumeS Schwacher oder schwindet es, so entsteht es am Mitral-
b) Veränderungen des Herzens bei Kompression der grossen
Gefasse. Bei Kompression der Kruralis verstärken sich fast stets
Kaero i°snnnUrdpQier rllSChe 5*™*' ?.er Druck auf die Bauchaorta,
Karotis und Radialis verstärkt in der Regel den zweiten Aortenton
c) Abschwachung und Verstärkung der Herztöne und Herz-
gerausche. Studien über die Einwirkung von Temperaturappli¬
kationen, Sinneseindrucken etc. B e r g e a t - München
Bericht über die neueren Arbeiten aus dem Gebiete der ge¬
samten Physiologie.
Von Prof. Dr. K. B ii r k e r - Tübingen.
(Schluss.)
Die Sinnesphysiologie ist in den folgenden Arbeiten Gegenstand
der Bearbeitung.
Messungen der Riech schärfe bei Europäern
und Javanern durch G. G r i j n s - Weltevreden haben mit Hilfe
des Z w a a r d e m ak e r sehen Olfaktometers ergeben, dass die Riech¬
schärfe der Javaner für Essigsäure, Phenol und Ammoniak etwa
doppelt so gross ist als die der Europäer (Engelmanns Arch f
Physiol., 1906, S. 509).
In einer Arbeit: Der Abfluss des Labyrinthwassers
in seinen Folgen für die Funktion des Ohres (v. Voits
Zeitschr. f. Biol., Bd. 48, S. 455, 1906) kommt B e z o l d - München zu
dem Resultate, dass die Entlastung der endolymphatischen Räume
durch Abfluss von Perilymphe das C o r t i sehe Organ in seiner
Funktion nicht nachweisbar beeinträchtigt.
W ie ausserordentlich klein die Energiemengen zu sein brauchen,
um das Sehorgan zu erregen, geht aus einer Arbeit von v. Kries-
Frerburg : Die zur Erregung des Sehorgans erforder¬
lichen Energiemengen (Nagels Zeitschr. f. Sinnesphysiol.,
Bd. 41, S. 373, 1907) hervor. Die grosse Erfahrung, welche dem
Verfasser zu Gebote steht, ermöglichte ihm eine sehr scharfe Prä¬
zisierung der günstigsten Versuchsbedingungen. Darnach sollten
uie Energiemengen ermittelt werden, welche das Auge treffen, wenn
bei hochgradiger Dunkeladaption und günstigster exzentrischer Be¬
obachtung Felder von ca. 2 Bogenminuten Ausdehnung während
Zeiten von weniger als 0,125 Sekunden von einem Lichte von
0,00U507 mm Wellenlänge und solcher Stärke erleuchtet werden, dass
das Objekt sich an der Grenze der Sichtbarkeit befindet. Unter diesen
günstigsten Bedingungen genügt eine Energiemenge von 1,3— 2,6
X 10 10 Erg pro Sekunde, um wahrgenommen zu werden. Be¬
denkt man, dass 1 Erg Arbeit geleistet wird, wenn ca. 1 mg 1 cm
hoch gehoben wird und dass nur der zehntausendmillionste Teil dieser
Arbeit, in einer Sekunde geleistet, als Licht wahrgenommen wird, so
muss man staunen, wie das die Natur zustande bringt.
Eine Vorrichtung, welche es ermöglicht, mit Hilfe des eigenen
einen Auges den Augenhintergrund des eigenen anderen Auges im
umgekehrten Bilde zu untersuchen, hat Wessely- Berlin kon¬
struiert (Engelmanns Arch. f. Physiol., 1906, S. 544). Ein solches
Autophthalmoskop kann von Optiker Sydow in Berlin, Albrecht-
strasse 17 für 18 M. erworben werden.
Ueber das Sehen von Bewegungen. 1. Mittei¬
lung. Die Wahrnehmung kleinster Bewegungen be¬
richtet A. B a s 1 e r - Tübingen auf Grund eingehender Versuche in
Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 582, 1906). Darnach
sind bei mittlerer 1 agesbeleuchtung und einer Entfernung des Auges
von 30 cm Verschiebungen des Gegenstandes um 0,03 mm noch deut¬
lich zu sehen, was einer Winkelverschiebung von 20 Sekunden, auf
der Netzhaut 0,0015 mm entspricht. Fallen zwei Bildpunkte gleich¬
zeitig in diesem Abstand auf die Netzhaut, so werden sie nicht mehr
als getrennt wahrgenommen. Des weiteren wurde ermittelt, dass
eine Bewegung, um sie wahrzunehmen, um so grösser sein muss,
je mehr ihr Netzhautbild von der Macula lutea entfernt ist. Das
demonstriert sehr gut auch ein Versuch von Czermak: Man be¬
trachte den Sekundenzeiger einer Taschenuhr zuerst direkt, dann in¬
direkt, indem man auf die XII des Zifferblattes blickt; im letzteren Falle
scheint dei Zeiger viel langsamer vorzurücken. Grössere Gesamt¬
helligkeit und grössere Schnelligkeit der Bewegung befördern die
Wahrnehmung kleinster Bewegung.
Eine Theorie der Farbenempfindung und Farben¬
blindheit entwickelt F. S c h e n c k - Marburg in Pflügers Arch
f. d. ges. Physiol., Bd. 118, S. 129, 1907. Der Verfasser stellt sich
für den voll entwickelten Farbensinn auf den Boden der Young-
H e 1 m h o 1 1 z sehen Dreikomponententheorie und sucht zu dieser
auf entwicklungsgeschichtlichem Wege zu gelangen. In einem frühen
Entwicklungsstadium soll der für das Hellsehen dienende Zapfen¬
apparat, der allein der farbentüchtige ist, nur eine Sehsubstanz ent¬
halten haben, deren Erregung die Empfindung Weiss vermittelt. Die
Substanz sei zunächst gegen langwellige Lichter wenig empfindlich
sie werde es erst durch sog. Panchromatisierung. Die weiteren Ent¬
wicklungsvorgänge beständen in Teilungen der ursprünglichen Weiss¬
sehsubstanz in Gelb- und Blausehsubstanz, beide gleich stark erregt,
geben zunächst noch Weiss. Erst dann teile sich die Gelbsehsub¬
stanz in eine Rot- und Grünsehsubstanz, deren gleichstarke Erregung
die Empfindung der Muttersubstanz, also Gelb hervorbringe. Die
typischen Fälle angeborener Farbenblindheit beständen dann in einem
als Entwicklungshemmung aufzufassenden Ausbleiben der Pan¬
chromatisierung oder der Teilungen. Der Verfasser geht dann noch
genauer auf seine Theorie, deren Grundgedanke von A. Fick her-
riihrt, ein.
Interessante Versuche, welche beweisen, dass auch beim Hunde
der Farbensinn gut entwickelt ist, teilen A. Samojloff und
A. I heophilaktowa - Kasan in einer Arbeit Ueber die
a i b e n Wahrnehmung beim Hunde im Zentralbl. f.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2105
Physiol., Bd. 21, S. 133, 1907 mit; im Anschluss daran berichtet
\V. A. N a g e 1 - Berlin am selben Orte S. 205 über ähnliche Versuche.
Eine ganze Reihe von Arbeiten über Barbenschwäche und Far¬
benblindheit ist in der von W. A. Nagel -Berlin herausgegebenen
Zeitschrift für Sinnesphysiologie erschienen, sie sind meist unter
Nagels Leitung ausgeführt worden. Es berichtet A. Guttmann
über Ein Fall von Grünblindheit (Deuteranopie)
mit ungewöhnlichen Komplikationen Bd. 41, S. 45,
C o 1 1 i n und W. A. Nagel über Erworbene T r i t a m o p i e
(Violettblindheit) Bd. 41, S. 74, W. A. Nagel über Eine
Dichromatenfamilie Bd. 4L S. 154, W. A. Nagel
über Fortgesetzte Untersuchung zur Symptomato¬
logie und Diagnostik der angeborenen Störungen
des Farbensinns Bd. 41, S. 239 und 319, C. L. Vaughan
über Einige Bemerkungen über die Wirkung von
Santonin auf die Farben empfind ungen Bd. 41, S. 399,
W. A. Nagel über Versuche mit Eisen bahn - Signal¬
lichtern an Personen mit normalem und abnormem
Farbensinn, 1. Mitteilung, Bd. 41, S. 455, A. Guttmann über
Untersuchungen über Farbenschwäche Bd. 42, S. 24,
W. A. Nagel über Zur Nomenklatur der Farbensinns-
Störungen Bd. 42, S. 65, B. May über Ein Fall totaler
Farben Blindheit Bd. 42, S. 69.
Die Lehre von der intraokularen Flüssigkeits¬
strömung ist nicht begründet, behauptet O. Weiss-
Königsberg in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 602, 1906,
denn für das Vorhandensein eines Druckgefälles zwischen vorderer
und hinterer Kammer oder zwischen Irisvorderfläche und Kammer¬
winkel spreche nicht eine einzige Tatsache. Vielmehr habe man eine
Strömung im Auge nur insofern anzunehmen, als bei Schwankungen
des Druckes von den Augengefässen aus ein Zu- oder Abfluss von
Flüssigkeit vermutlich in allen gefässfiihrenden Abschnitten statthat.
In das Gebiet der Muskelphysiologie fallen die folgenden
Arbeiten.
Interessante Untersuchungen Zur Theorie der Kontrak¬
tilität. I. Kontraktilität und Doppelbrechungs¬
vermögen hat Th. W. Engelmann - Berlin in seinem Archiv
1907, S. 25 veröffentlicht. Der Verfasser hat früher schon den Satz
ausgesprochen: Kontraktilität, wo und in welcher Form sie auftreten
möge, ist gebunden an die Gegenwart doppelbrechender, positiv
einachsiger Teilchen, deren optische Achse mit der Richtung der Ver¬
kürzung zusammenfällt. Die Behauptung wird nun nach verschie¬
denen Richtungen hin bewiesen. Einige diesbezügliche Fundamental¬
sätze seien zitiert.
Alle geformten kontraktilen Substanzen sind doppelbrechend.
Da, wo die kontraktilen Fibrillen, wie bei den quergestreiften
Muskeln, aus abwechselnd iso- und anisotropen Gliedern bestehen,
sind nachweislich die anisotropen (doppelbrechenden) — und wahr¬
scheinlich nur sie — Sitz verkürzender und verdickender Kräfte.
Alle kontraktilen Formelemente sind positiv einachsig doppel¬
brechend (d. h. sie brechen den ausserordentlichen Strahl stärker als
den ordentlichen) und bei allen fällt die optische Achse mit der Rich¬
tung der Verkürzung zusammen.
Die spezifische, d. h. auf die Einheit des Querschnitts bezogene
Kraft der Verkürzung ist anscheinend um so grösser, je höher die
spezifische Kraft der Doppelbrechung der kontraktilen Elemente ist.
Bei der Ontogenese der Muskelfasern und der Flimmerorgane
treten Doppelbrechung und Kontraktilität gleichzeitig auf. Bei der
Umbildung der Muskeln in elektrische Organe schwindet mit der
Kontraktilität die Doppelbrechung.
Bei der physiologischen Kontraktion der Muskeln findet wie eine
Abnahme der verkürzenden Kraft, so auch eine Abnahme des Doppel¬
brechungsvermögens statt. Bei der Erschlaffung treten die entgegen¬
gesetzten Aenderungen ein.
Wie die verkürzende Kraft des Muskels nimmt auch die Kraft
der Doppelbrechung mit der Belastung (Dehnung) zu.
Wenn quergestreifte Muskelfasern durch chemische Agentien zur
Quellung gebracht werden, verkürzen und verdicken sie sich unter
gleichzeitiger Abnahme ihres Doppelbrechungsvermögens. Durch
entgegengesetzt wirkende Agentien können beide Arten von Ver¬
änderungen wieder rückgängig gemacht werden.
Auch alle leblosen faserigen Gewebselemente, welche positiv
doppelbrechend und merklich quellungsfähig sind, besitzen das Ver¬
mögen, sich unter Verdickung in der Richtung der optischen Achse
zu verkürzen wie z. B. Kautschuk. Auch ihnen kommt also Kon¬
traktilität zu. Für den physiologischen Vorgang schlägt daher der
Verfasser das Wort „Aktionsfähigkeit“ vor. Demnach kann der tote
Muskel noch Kontraktilität besitzen, aber nur der lebende ist aktions¬
fähig.
Ueber einige Eigenschaften der Gefässmus-
kulatur mit besonderer Berücksichtigung der
Adrenalin Wirkung berichtet O. B. M e y e r in einer im Würz¬
burger phvsiologischen Institut ausgeführten gekrönten Preisschrift
(v. Voits Zeitschr. f. Biol., Bd. 48, S. 352, 1906). Als besonders ge¬
eignetes Versuchsmaterial erwiesen sich Muskelnnge aus Rinder-
subklavien oder Karotiden, die mit einer Schreibvorrichtung verbun¬
den in konstant körperwarmer, sauerstoffhaltiger Ringer scher Lö¬
sung beobachtet wurden. Zur Beseitigung der Dauerkontraktion er¬
wies sich eine 15 Minuten lange Dehnung durch Belastung vorteilhaft.
Spontane Kontraktionen zeigten die Präparate nicht.
Rasche Erwärmung der Präparate von 10—30° C wirkte er¬
regend. Auf einen Oeffnungsinduktionsschlag hin erfolgte eine Zuk-
kung mit um so länger dauerndem Stadium der Erschlaffung, je
niedriger die Spannung war. Die Latenzzeit war 30—80 mal grösser
als beim quergestreiften Muskel. Wurde das Präparat kühl auf¬
bewahrt, so blieb es 13 Tage lang erregbar, bei Körpertemperatur
nur 12 Stunden. Adrenalin veranlasst« eine ziemlich steile Zuckungs¬
kurve, die stundenlang auf der Höhe blieb, bei niederer Temperatur
fand keine Reizung durch Adrenalin statt; 0,00006 mg Adrenalin :1g
war gerade noch wirksam. Das Adrenalin war auswaschbar, mit der
Zeit wurde es vom Gewebe zerstört. Im Blutserum ist eine adrenalin¬
ähnliche Substanz enthalten. Auch auf die Lungengefässmuskulatur
wirkte Adrenalin im Gegensatz zu anderen Angaben. Atropin, Kokain
und Kurare sind Antagonisten des Adrenalins, wirken also gefäss-
erweiternd. Adrenalin wirkt wahrscheinlich auf nervösem Wege.
Sehr beachtenswerte Beiträge zur Physiologie der
peristaltischen Bewegungen des embryonalen
Darmes hat J. Yanase-Wien geliefert (Pflügers Arch. f. d.
ges. Physiol., Bd. 117, S. 345, 1907). Er fand bei Untersuchungen von
Meerschweinchenembryonen, dass die peristaltische Bewegung zwi¬
schen dem 25. und 26. Tage beginnt. Die histologische Untersuchung
ergab, dass gerade zu dieser Zeit der nervöse Apparat sich in der
Längsmuskulatur entwickelt. Die Ringmuskulatur ist schon früher
angelegt als die Längsmuskulatur, sie ist reizbar aber enthält keine
nervösen Elemente und zeigt dementsprechend auch keine peristal¬
tische Bewegung. Aus alledem wird geschlossen, dass die automati¬
schen Bewegungen neurogenen Ursprungs sind. Im Anschluss daran
wäre nochmals genau zu untersuchen, ob das embryonale Herz in der
Tat schon vor Ausbildung seiner nervösen Elemente rhythmisch
schlägt, wie insbesondere H i s behauptet hat.
In Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 116, S. 252, 1907 wirft
A. Müller- Wien die Frage auf : Wie ändern die von glat¬
ter Muskulatur umschloss ein en Hohlorgane ihre
Grösse? Die Antwort lautet: Nicht durch Verlängerung und Ver¬
kürzung ihrer Muskelelemente allein, sondern auch durch Umordnung
derselben, wobei das intramuskuläre Bindegewebe eine grosse Rolle
Knieseh nen-
117, S. 108, 1907)
dass die Zuckung
spricht, dass die
spielt.
Zwei Warmblüternervmuskelpräparate und zwar die ausseren
Augenmuskeln des Hundes, noch besser einen Streifen Zwerchfell mit
dem Nervus phrenicus empfiehlt F. B o La z z i - Neapel in v. Voits
Zeitschr. f. Biol.. Bd. 48. S. 342, 1906 und im Zentralbl. f. Physiol.,
Bd. 21, S. 171, 1907, zu Muskelversuchen.
Versuche über die Struktur des quergestreiften
Muskels im ruhenden und tätigen Zustande und
über seinen Aggregatzustand teilt K- H ü r t h 1 e - Breslau
in Rosenthals biol. Zentralbl., Bd. 27, S. 112, 1907 mit.
Ausgedehnte Untersuchungen über die galvanische
Muskelzuckung des gesunden Menschen hat J. Kol¬
lar i t s - Ofen-Pest (Engelmanns Arch. f. Physiol., 1906, Suppl. S. 276)
angestellt.
In einer Arbeit: Zur Physiologie des
reflexes (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd.
kommt N. Scheven - Rostock zu dem Resultate,
durch indirekte Reizung zu stände kommt; dafür .
Reflexzeit beim Sehnenphänomen ungefähr doppelt so gross ist als die
Latenzzeit bei direkter Muskelreizung, wie durch Versuche eimittelt
wurde. Dafür spricht ferner die Art der Bewegung bei sukzessiver
Steigerung der Reizfrequenz.
Ueber Dauerverkürzungen an gelähmten Mus¬
keln berichtet S. S a i t o - Würzburg in v. Voits Zeitschi. f. Biol.,
Bd. 48, S. 340, 1906. Die Muskeln wurden durch Einhängen in be¬
stimmte Lösungen ihrer Erregbarkeit beraubt und dann von einem
konstanten Strome durchströmt. Unter diesen Umständen geben sie
weder bei Schliessung noch bei Oeffnung des Stromes Zuckung od-ei
Tetanus, dagegen Dauerverkürzung, die in der kathodischen Hältte
grösser als in der anodischen ist. Die Verkürzung lässt im Laufe
der Durchströmung nach (Aenderung der Wasserverteilung. ).
Bei derartig elektrisch unerregbaren Muskeln erzeugt ein Schlag
auf den Muskel gleichfalls Dauerverkürzung. Nach Verfassers An¬
sicht beruht vielleicht auf ähnlichen Umständen die idiomuskulare
Kontraktion. „ .
Aus instruktiven Versuchen überden postmo r t a 1 e n Gl y-
kogenschwund in den Muskeln und seine A b h a n g l g -
keit von physiologischen Bedingungen (Hofmeisters
Beitr. z. ehern. Physiol. u. Pathol.. Bd. 8, S. -10, 1906) schliefst
F. Kisch- Wien, dass der Schwund
erfolgt.
Sehr bemerkenswerte Beitr
Wärmestarre des Muskels
(v. Voits Zeitschr. f. Biol., Bd. 48. S. . — — ... , ,.
gebildeter Methodik gewonnen. Untersucht wurde insbesondere d i
Beziehung zwischen den Verkürzungsstufen des Muskels >ei zu¬
nehmender Temperatur und den Eiweissfraktionen des mit ?mger-
lösung verdünnten Muskelpressaftes. Dabei zeigte sich, . dass nic i
notwendig Verkürzungsstufe mit einer Eiweissfallung bei derselben
Temperatur zusammenfallen muss.
durch ein diastatisches Ferment
ä g e
hat
313.
zur Kenntnis der
C. I n a g a k i - Würzburg
1906) mit Hilfe gut durch-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
;iu6
Mit der Physiologie des peripheren und zentralen Nerven¬
systems befassen sich die folgenden Arbeiten:
lieber^ e 1 e k t r o pathologische Untersuchungen
111. Die Elektropathologie des Warmblüternerven,
sowie der Veränderungen der elektrischen Eigen¬
schaftender Nerven überhaupt beim Absterben und
Degenerieren von H. Boruttau - Göttingen siehe Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 115, S. 287, 1906.
Als Hauptergebnis einer Arbeit von A. B e t h e - Strassburg
über Neue Versuche über die Regeneration der Ner¬
venfasern (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 116, S. 385.
1907) ist hervorzuheben, dass nach Ansicht des Verfassers der
Neurotropismus zum grossen Teil Eigenschaft des Perineuriums ist.
Erst sekundär folgen die Nervenfasern den vom Bindegewebe ge¬
schaffenen Bahnen.
I. Das Myelotom, ein Apparat zur Ausführung
genau begrenzter Durchschnei düngen und die Folgen
der mit diesem Apparat vorgenommenen II. Median Spaltung
des Kleinhirns am Kaninchen beschreibt W. Tren¬
del e n b u r g - F reiburg i. B. in Studien zur Operations¬
technik am Zentralnervensystem in Engelmanns Arch.
f. Physiol., 1907, S. 83. 16 — 20 Tage nach der Durchschneidung ver¬
schwanden die anfangs vorhandenen Störungen der Bewegung.
Ueber Versuche über die Innervation der Atembe¬
wegungen siehe die Arbeit von R. N i c o 1 a i d e s - Athen in
Engelmanns Arch. f. Physiol. 1907, S. 68.
Eine Einwirkung der Grosshirnrinde auf Blut¬
druck und Organvolumen hat E. Weber - Berlin (Engel¬
manns Arch. f. Physiol., 1906, S. 495) festgestellt, indem er fand
dass diejenigen quergestreiften Muskeln, welche von der Grosshirn-
linde aus durch elektrische Reizung der Rinde in Bewegung versetzt
werden, ihr Volum durch Blutzufluss vergrössern, während gleich¬
zeitig der Blutgehalt des Darmes abnimmt.
Sehr auffallende Verschiedenheiten in der Stärke dieser Re¬
aktion bei verschiedenen Tieren veranlassten denselben Ver¬
fass e r zu Versuchen über denEinflussderLebensweise
und F o r t b ewegungsart auf die Beziehungen zwi¬
schen Hirnrinde und Blutdruck (Engelmanns Arch. f.
Physiol., 1906, Suppl. S. 309). Dabei stellte sich heraus, dass die
yvrf .on (Bewegung und Zunahme des Volumens) um so stärker aus¬
fällt, je mehr das Tier die betreffenden Muskeln gebraucht. Der
Hund arbeitet z. B. normaler Weise mehr mit der Beinmuskulatur,
reizt man daher das betreffende Zentrum, dann tritt starke Reaktion
ein. Die Katze dagegen gebraucht mehr die Rumpfmuskulatur, eine
starke Reaktion ist daher auch von deren Zentrum, das aber im
Mnmhirn gelegen ist, zu erhalten, während auf Reizung des Zentrums
für die Beinmuskulatur nur ein geringer Erfolg zu erzielen ist. Wieder
ein Beispiel für funktionelle Anpassung.
Dass in der Tat glatte Muskulatur auf einen Reiz von der Gross-
hirnrinde her mit einer Kontraktion antwortet, geht aus einer Arbeit
\on Li e b e n - Prag: Zur Lehre von den Beziehungen
der Grosshirnrinde zu den Pilomotoren (Zentralbl.
. I hysiol., Bd. 20, S. 485, 1906) hervor. Die Arrektionsbewegung
der langen und starken Schwanzhaare des Ziesels wird durch mächtig
ausgebildete glatte Muskulatur, welche an der Wurzel der Haare in¬
sei lert, besorgt. Es liess sich denn auch in unmittelbarer Nähe
des Sinus durae matris transversus eine Stelle der Rinde finden, deren
Keizung starke Bewegung der Schwanzhaare hervorrief.
R. v. Pfun gen- Wien gibt in einer Arbeit: Ueber den
Einfluss der Reizung des kortikalen Darmzen-
t ! um sauf den Dünndarm und den Sphincter ileo-
Bd ma 9SweiSon?Und in Pflügers Arch- f. d. ges. Physiol..
fT '.J , .?■ 38t: 90" an< lm Gyrus suprasilvius ant. und im vordersten
haben ^ °yrUS suprasPlenialis ant. ein Zentrum gefunden zu
Nür wenige Arbeiten betreffen die Physiologie der Zeugung und
Entwicklung. Ueber das Schicksal der nicht ejaku-
1 1 e r t e n Spermatozoen hat H. K o e n i g s t e i n - Wien Unter-
SUC oo^Snn1SeFteI 1 ^P^sers Arch. f. d. ges. Physiol, Bd. 114,
S. 199, 1906). Er fand, dass die Spermatozoen in der Samenblase
eine Reihe von Veränderungen ihrer Gestalt und chemischen Zu¬
sammensetzung erfahren, in deren Verlauf es zur Bildung eosino-
plider Kugeln kommt, die schliesslich der Verflüssigung und Körn-
chenbildung anheimfallen.
d e «An i nelnfr Ar5eit VOn I k e d a - Wien: Zum Einflüsse
des üanglion hypogastricum auf die Geschlechts-
funktionen (Zentralbl. f. Physiol., Bd. 20, S. 590 1906) geht her
EHkuläion stellt0311^011 CnKSter Bcziehung zur Errektion und
Versuche von A. S t a ub er- Wien: Ueber das embryo-
n a I e A u r t reten diastatischer Fermente (Pflüders Arch
schönen' dPJypa0l'VBd‘ Hp' ?' 6l9, 1906) ergaben* dass die Fermente
schon in der I arotis, im Pankreas und. was bemerkenswert ist. in der
Tin mus vorhanden sind, noch bevor die verdauende Tätigkeit des
Digestionsapparates in Kraft tritt. s es
Inauguraldissertationen.
Mastitis, und Biersche Stauung betitelt sich eine Er¬
langer Dissertation von Georg Sauer, der das Material der Er¬
langer Frauenklinik zu gründe liegt. Der Verfasser gibt eine um¬
fangreiche Statistik, aus der er folgendes positive Resultat aufstellt *
Die Stauungsbehandlung nach Bier-Klapp bei Ma¬
stitis ist dringend zu empfehlen, da dieselbe 1. mindestens die
Hälfte der Fälle noch coupiert, welche bei den bisherigen Methoden
zur Eiterung kommen würden, 2. die bei der Abszedierung sonst ge¬
wohnten 6 Erkrankungswochen bis auf 3 und 4 abkürzt, 3. grössere
operative Eingriffe vermeidet und daher die erkrankte Drüse funk¬
tionell und kosmetisch schont, 4. so leicht auszuführen ist, dass auch
der praktische Arzt ohne viel Zeitverlust und Mühe im stände ist.
die Methode sich anzueignen. F. L.
Neu erschienene Dissertationen.
Universität Greifswald. September 1907.
14. Krüger Franz: Beobachtungen über den Geburtsverlauf beim
engen Becken.
15. Birch Johannes: Ueber Resectio ovarii.
16. Wrembel Wenzel: Ueber ungewöhnliche Lokalisation sub-
periostaler Abszesse im Anschluss an akute Streptococcus-mu-
cosus-Otitis.
Universität München. August und September 1907.
70. Biller Simon: Zur Kasuistik perforierender Verletzungen der
Sklera und Kornea.
71. Boehm Gottfried: Die Bedeutung der durch Hetol (zimtsaures
Natron) hervorgerufenen Hyperleukozytose bei der intravenösen
und subkutanen Milzbrandinfektion des Kaninchens.
72. Oehmig Otto: Ueber einen Fall von multiplen Leberabszessen.
73. Blumenthal Paul: Beitrag zur Kasuistik von Gehirntumoren
(Gliosarkom des Zerebellium).
74. Spenge! Rudolf: Ueber Blutdruckerniedrigung bei beginnender
Lungentuberkulose.
75. Aurnhammer Albert: Milchversorgung der Stadt München.
76. Engel Heinrich: Ein Fall von hypertrophischer Pylorusstenose
im Säuglingsalter. (Mit Abbildungen.)
77. Götz Heinrich: Ueber den Einfluss fluoreszierender Sub¬
stanzen auf die Spaltung von Glukosen in alkalischer Lösung.
78. Linde Max: Pupillenuntersuchungen an Epileptischen, Hyste¬
rischen und Psychopathischen.
79. Stambach Ludwig: Bildung einer Nervenanastomose zwischen
N. medianus und radialis infolge Radialislähmung nach kom¬
plizierter Oberarmfraktur.
80. Braun Carl: Hernia parajejunalis. (Mit einer Tafel.)
81. v. Skopnik Amelie: Ueber Epithelzysten des Oesophagus.
(Mit zwei Abbildungen.)
82. Ortloph Wilhelm: Coxa vara ein Frühsymptom bei Osteo¬
malazie.
83. Zander Paul: Wie viele unter 1000 Wöchnerinnen sind unfähig
zu stillen und welches sind die Ursachen?
84. Schäfer Paul: Der Plattenepithelkrebs der Glandula
Thyreoidea.
85. Schmorell Hugo: Ueber die Wärmewirkung auf Invertin bei
Anwesenheit und Abwesenheit verschiedener chemischer Körper.
86. Messelhäusser Hans : Myom als Geburtshindernis.
87. Ems Fritz: Persistenz des Foramen ovale und paradoxe Embolie.
88. Kolb Otto: Zur Pathologie der Gallenwege. Ein Fall von hoch¬
gradiger kystenartiger Erweiterung des Ductus hepaticus und des
Ductus choledochus.
89. Schnaar Hermann: Ueber Amyloidosis bei Granularatrophie
der Nieren.
90. R u pp Adolf: Zwei Fälle von Bulbusruptur mit subkonjunktiver
Linsenluxation und Herausschleuderungen der Linse aus dem
Auge. (Mit 1 Tafel.)
91. Werner Karl: Ueber einen Fall von hochgradiger Hepatoptose
verbunden mit verschieblicher Intermittierender Hydronephrose.
92. Gift Adolf: Traumatische Atresien des Gehörganges.
93. S c h r e d 1 Leo : Ueber einen Fall von Thrombose der Mesenterial¬
venen und der Vena portae mit folgender Abszessbildung in der
Leber nach Appendicitis perforativa.
94. Ichenhäuser Menki: Beitrag zur Kasuistik der beiderseitigen
Tubargravidität.
95. R e i c h a r d t Felix: Ein Fall von angeborener infantiler
Myxidiotie.
96. Kretzmer Eugen: Ueber seltene Befunde bei Appendizitis.
1. Fall: Empyem und Hydrops des Wurmfortsatzes mit Invagi-
nation des Zökumkopfes. 2. Fall: Ein Fall von permanenter
Appendixfistel. (Mit Abbildungen.)
97. Voigt Felix: Ueber die Entwicklung und den feineren Bau des
Ligamentum spirale in der Gehörschnecke.
98. L ö w e n b e r g Max: Ueber Hyperämiebehandlung nach Bier
bei Epididymitis und Arthritis gonorrhoica.
". Grimm Paul: Ueber sekundäres und intramedulläres Karzinom
des Rückenmarkes. (Mit 2 Abbildungen.)
100. Lau tz August: Beitrag zur Kasuistik der Tumoren des Klein-
hirnbruckenwinkels.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2107
Vereins- und Kongressberichte.
Erste Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher
Nervenärzte
in Dresden am 14. und 15. September 1907.
Rericht unter teilweiser Benützung von Autoreferaten erstattet von
Dr. v. Rad, Nervenarzt in Nürnberg.
Die von 120 Teilnehmern besuchte Versammlung wurde namens
des provisorischen Vorstandes von O p p e n h e i m - Berlin eröffnet
und beg i(jer Vorstandschaft, welche per Akklamation erfolgt,
ergibt als I. Vorsitzenden E r b - Heidelberg, als II. Oppenheim-
Berlin- zu Schriftführern wurden, nachdem H o f m a n n - Heidelberg
abgelehnt hatte, Schönborn - Heidelberg und Bruns - Hannover
gewählt. Als weitere Vorstandsmitglieder wurden v. Frankl-
H och wart- Wien, S ä n g e r - Hamburg, v. M o na k o w - Zürich.
E d i n g e r - Frankfurt und N o n n e - Hamburg gewählt.
Zu Ehrenmitgliedern wurden ernannt: Victor Horsley, v.
Eiselsberg, Dejerine, Henschen.
N ei s s e r - Stettin hielt dann das Reterat über die Hirn-
cunktion. Diese Methode, deren Brauchbarkeit von Weintraud
Ascoli, Unverricht, Schulze, Pfeffer u. a bestätigt
wurde, verdient eine feste Stellung in den Massnahmen der Klinik.
N geht im einzelnen auf die Technik der Hirnpunktion ein und
empfiehlt das Besteck der Firma Cassel in Frankfurt a. M. (ein¬
fache Stahlnadel, Elektromotor), Narkose sei nicht erforderlich, der
Aethvlspray den lokalanästhesierenden Injektionen vorzuziehen.
Diagnostische Resultate wurden erzielt: 1. bei Hamatomen,
2 bei Zysten, 3. bei Tumoren, 4. bei Abszessen (dagegen ist von
therapeutischer Entleerung von Abszessen in keiner Weise die Rede),
5. bei Hydrozephalus. _ T
Bei der grossen Anzahl von Hirnpunktionen, die N. vorgenommen
hat, habe er nur in 2 Fällen ernstere Folgeerscheinungen (u. a. bei
einem gefässreichen Tumor) gesehen. . . , Aat,
Fedor Krause- Berlin referiert über Chirurgische Therapie der
Gehirnkrankheiten mit Ausschluss der Geschwülste.
Die Epilepsie und zwar die für den Chirurgen wichtigste Form,
die Jackson sehe, ist keine Krankheit sui generis, sondern stellt
einen Symptomenkomplex dar, der bei vielen Leiden des uehirns
und seiner Häute vorkommt, also durch die verschiedenen Ursachen
ausgelöst werden kann. Vor allen Dingen sind die t r a um atischen
Fälle izu sondern. Am einfachsten liegen die Verhältnisse, wenn
eine Verletzung am Schädel die motorische Region betroffen hat und
ein Bluterguss, ein Knochensplitter oder eine Depression, Zysten oder
Narbenbildung, entzündliche und eitrige Prozesse die Hirnrinde un¬
mittelbar in Mitleidenschaft ziehen. Solche traumatische Epilepsien
sind seit langer Zeit operativ behandelt worden indem man die
Narben der weichen und knöchernen Schädeldecken herausschnitt,
nötigenfalls eine Trepanation ausführte, Knochensplitter entfernte,
Zysten und Abszesse entleerte, auch die narbig veränderten Hirn¬
häute und Hirnteile exzidierte. An einem 25 jährigen Kranken werden
die Vorgefundenen Veränderungen demonstriert nach der sehr aus¬
gedehnten, in drei Zeiten ausgeführten Trepanation trat Heilung ein.
Das Hauptgebiet der operativen Tätigkeit sind die nicht
traumatisch entstandenen Formen der Jackson sehen Epi¬
lepsie. Zuerst bespricht Kr. jene Fälle, die sich an die z e r eb i al e
Kinderlähmung anschliessen. Bei einem 15 jährigen Mädchen
fand sich in dem primär an den Krämpfen beteiligten Armzentrum
dicht unter der Hirnrinde eine enzephalitische Zyste von etwa 200 ccm
Inhalt. Nach ihrer Beseitigung ist seit 14 Jahren nicht allein Hebung
von der Epilepsie schwersten Grades eingetreten, sondern die zuvor
vollkommen verblödete Kranke hat ihren Verstand wieder gewonnen
und sich zu einem normalen Menschen entwickelt. Die sogenann e
Porenzephalie stellt eine Defektbildung dar, die von der Gehirn¬
oberfläche ausgehend, verschieden weit in die Tiefe, selbst bis m den
Seitenventrikel hinein, reichen kann. Die porenzephalische Zyste
liegt an der Gehirnoberfläche und wird von der Arachnoidea über¬
zogen, während die Pia mater mit der anliegenden Hirnrinde die
übrige Zystenwand darstellt. Der Porenzephalus kommt ange mren
vor und kann zu Epilepsie Veranlassung geben. So fand Kr. bei
einem 13 jährigen epileptischen Mädchen drei derartige Lys en-
bildungen in der Zentralregion neben- und untereinander. Es gibt
aber auch erworbene Formen der porenzephalischen Zyste; und
mehrere derartige Operationsbefunde werden demonsti lei t.
In anderen Fällen von Rindenepilepsie nach zerebraler Kinder¬
lähmung zeigen sich Narbenbildungen an der Gehirnoberflache, ohne
dass aus den Symptomen diese Veränderung mit Sicherheit zu er¬
kennen wäre. . , .. .. ,
Weiter bespricht Kt. die schweren anatomischen Veranderunge ,
die er in zahlreichen Fällen J a c k s o n scher Epilepsie an den an¬
häuten, namentlich der Arachnoidea gefunden, während das uemrn
sich anatomisch normal verhielt. — Die letzte Gruppe umfasst jene
Formen der Jackson sehen Epilepsie, wo sich bei der Operation
gar keine oder keine wesentlichen Abnormitäten am Gehirn und seinen
Häuten finden. In allen diesen Fällen führt Kr. die Exzision des
primär krampfenden Hirnzentrums aus. Diese Methode führt zu Et-
folg, wenn man nicht, wie das häufig geschehen, das Zentrum nach
anatomischen Merkmalen bestimmt, die durchaus unzuverlässig sind,
sondern hierzu die elektrische Reizung mit den notwendigen strengen
Vorsichtsmassregeln verwendet. Ist auf diese Weise das Zentrum
gefunden, so erfolgt die Exzision im Zusammenhang mit den weichen
Hirnhäuten und zwar bis zur weissen Substanz, d. h. in einer durch¬
schnittlichen Tiefe von 5 — 6 mm. Die Gefahr dei Operation wird
durch die Exstirpation eines kleinen Hirnrindenabschnittes nicht ver-
grössert, die zunächst eintretenden Lähmungen und sensiblen Stö¬
rungen gehen zurück. Vom Tierexperiment ist dies seit langem be¬
kannt. — Kr. bespricht dann die Ergebnisse, die er bei der einpoligen
faradischen Reizung der Hirnrinde bekommen und demonstriert die
bei 18 Menschen festgestellten Reizpunkte der verschiedenen
Körpermuskeln; sie liegen nämlich in der vorderen Zentralwindung,
da nur diese sich als elektrisch erregbar erwiesen hat. In Ueberein-
stimmung damit hat auch die durch Herrn Dr. Brodmann aus¬
geführte mikroskopische Untersuchung der exzidierten Hirnrinden¬
stücke ergeben, dass diese der vorderen Zentralwindung angehören.
— Von den anderen zum Thema gehörigen Hirnerkrankungen demon¬
striert Kr. eine Reihe physiologisch und klinisch interessanter Fälle,
bei denen Fremdkörper durch Verletzung ins Gehirn gelangt waren.
Weiter behandelt er an eigenen Beobachtungen die Gehirn-
a b s z e s s e, zunächst die traumatischen, dann die metastatischen,
wie sie namentlich von Eiterungen der Organe der Brusthöhle aus
entstehen, ferner die Abszesse; im Gefolge von Schädeldecken¬
erkrankungen, namentlich Tuberkulose, endlich die otitischen Schläfen-
und Kleinhirnabszesse und rhinogenen Eiterungen im Stirnhirn. Im
Zusammenhang damit werden die Sinusthrombosen benigner und in¬
fektiöser Natur erwähnt. — Zum Schlüsse geht Kr. auf eine Reihe von
Beobachtungen ein, in denen alle Erscheinungen auf eine solide Ge¬
schwulstbildung im Kleinhirn oder in der hinteren Schädelgrube hin-
wiesen, die operative Freilegung der Veränderungen anderer Natur
aufdeckte. In manchen Fällen des Hydrocephalus internus handelte es
sich um eine wesentliche Beteiligung des 4. Ventrikels. Allerdings
können die anderen drei Ventrikel auch in Mitleidenschaft gezogen
sein, aber der 4. Ventrikel in so überwiegendem Masse, dass man
wirklich von einem Hydrocephalus des 4. Ventrikels zu sprechen be¬
rechtigt ist. Man findet diesen bis zur Grösse eines Fingerhuts er¬
weitert, während die anderen nicht besonders ektatische sind. In
einigen Fällen war infolge der allgemeinen Drucksteigerung der ganze
Hirnstamm so in das Foramen occipitale hineingespiesst, dass ent¬
sprechend dessem Rande an den benachbarten Abschnitten des Klein¬
hirns eine tiefe zirkuläre Furche zu sehen war. Auch eine Eröffnung
des 4 Ventrikels von hinten her war durch Schnitte in der Medianlinie
technisch ausführbar, wie an Präparaten gezeigt wird. Die Operation
käme zur Beseitigung eine Zystizerkus des 4. Ventrikels eventuell in
Frage.
II. Sitzung.
Vorsitzender: Erb- Heidelberg.
L. R. M ü II e r - Augsburg: Ueber die Empfindungen in unseren
inneren Organen. . , „
Der Vortragende wendet sich gegen die von chirurgischer Seite
(L ennander und W i 1 m s) aus aufgestellte Behauptung, dass die
inneren Organe ganz unempfindlich seien und dass von ihnen nur
dann Schmerzen ausgelöst würden, wenn die dort vorliegende Störung
in irgend einer Weise auf die peripheren Nerven des zerebrospinalen
Systems einwirke. Müller weist nach, dass das Kopfweh in de:
Gehirnsubstanz selbst zustande komme und nicht, wie das allge¬
mein angenommen wird, von den Hirnhäuten ausgehe. Tatsächlich
erweist sich der Magen bei Operationen und bei Tierversuchen gegen
alle äusseren Engriffe als unempfindlich, es ist aber doch nicht an¬
gängig, mit Len n an der die Magenschmerzen auf eine Lymph-
angitis, die sich bis zu den sensitiven Nerven der hinteren Bauchwand
erstreckt, zurückzuführen. Vielmehr lässt sich mit 'Sicherheit dar¬
legen, dass durch vermehrten Salzsäuregehalt des Magensaftes
Magenschmerzen hervorgerufen werden können. Auch die Darm-
koliken. die Gallenstein- und Nierensteinkoliken kommen nicht, wie
das Lennander und W i 1 m s behaupten, durch Reizung dei
Bauch wandnerven zustande. Viele Tatsachen lassen sich dafür an-
führen, dass die sympathischen Nervenfasern, welche zu diesen
Organen ziehen, für die Schmerzleistung in Betracht kommen. Stehen
doch die grossen Geflechte des autonomen Nervensystems durch zahl¬
reiche Rami communicantes und durch die Nervi splanchmci mit dem
Rückenmark in Verbindung. Dort haben sie zwar keine direkte Fort¬
setzung nach dem Gehirn zu. doch dringen die Reize durch rarafli-
sation auf die schmerzleitenden Fasern, welche, aus den spinalen
Nerven kommend, ebenfalls durch die graue Substanz der Hinter-
säulen ziehen, zentripetalwärts zum Bewusstsein. So ist es zu 'ver¬
stehen, dass in den Hauptpartien, deren Nerven aus demselben Rucken-
marksabschnitt stammen, wie die sympathischen Fasern des er¬
krankten Organs, eine Ueberempfindlichkeit gegen ^^zeindiuc'
besteht, wie dies He ad schon früher nachgewiesen hat. Aus den
Untersuchungen des Vortragenden kann man entnehmen, dass sic
die Sensibilität der Blase and des Mastdarms Santanders verhalt,
als die des übrigen Darms und des Magens. Die I atsache. dass ü
hlneren Organe ^für Reize, welche wir an de, '
finden, anästhetisch sind, kann somit nicht als Beweis für ihre ab
solute Unempfindlichkeit gelten. Die Sensibilität der ^neren Organe
richtet sich nach der Art der in Betracht kommenden Schädlich-
2ius
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
keiten. So reagiert das Gehirn auf Intoxikationen, der Magen auf
ungeeignete Speisen mit Schmerzen; in den muskulären Hohlorganen
lösen erschwerte oder verstärkte Tätigkeit und Mangel an Blutzufuhr
peinliche Empfindungen aus. Dem Sympathikus fällt die Aufgabe zu,
getreu seinem Namen solche Störungen aus den inneren Organen
dem zentralen Nervensystem zu übermitteln.
L. Bruns- Hannover: Die chirurgische Behandlung der Rücken-
markshautgeschwüiste.
Bruns will nicht über die eigentliche chirurgische Behandlung
der I umoren der Häute des Rückenmarkes sprechen, sondern aus der
gesamten Pathologie dieser Tumoren alles das hervorheben, was
'ür den schliesslichen Rat zu einer chirurgischen Inangriffnahme von
Bedeutung ist, was diesen Rat erleichtert oder ihn erschwert. Er
spricht zunächst über die .pathologische Anatomie, die Eorm, Grösse
und den Sitz dieser Geschwülste, dann über ihre Einwirkung auf das
Rückenmark, seine Wurzeln und seine Hüllen. Darauf folgt ein Ab¬
schnitt über die Symptomatologie, wobei besonders Rücksicht ge¬
nommen wird auf die Fälle mit atypischem Verlauf: Fehlen ganzer
Symptomengruppen, z. B. der Schmerzen, und Aenderungen in der
Aufeinanderfolge der Symptome. Vortr. weist mit Nachdruck darauf
hin, dass man auch in diesen atypischen Fällen unter Umständen zu
einer Operation raten müsse, dass diese dann aber einen explorativen
Charakter habe. — Es folgen allgemeine Bemerkungen über die Allge¬
mein- und Segmentdiagnose; besonders genau wird die Differential¬
diagnose zwischen Cauda equina- und Lumbodorsalmarkstumoren
erörtert; auch auf die Wirbel- und Markstumoren und auf die Menin¬
gitis spinalis circumscripta wird genau eingegangen. Hervorgehoben
w ird nochmals, dass die Segmentdiagnose eines Tumors der Häute
meist nur eine des oberen Randes sein kann. — Nach Erörterung aller
dieser Verhältnisse kommt Bruns zu dem Schlüsse, dass die intra-
o u erl,moren I]ervorragend günstige Objekte für eine chirurgische
Behandlung seien und beweist das durch die glänzenden Erfolge
v-Tr . tzes und Oppenheims auf diesem Gebiete. Zum
Schlüsse bringt er Hochbeinige Bemerkungen über Operationsgefahren.
Cassierer: Die Therapie der Erkrankungen der Cauda
equina.
Die operative Behandlung der Tumoren hat bisher sehr schlechte
Resultate gehabt. In der Literatur sind 24 Fälle vorhanden, von denen
bei 3 die Operation zu einem Erfolge geführt zu haben scheint (Rehr,
r e r r l e r and Ho rsley, Kümmel), in 3 weiteren scheint auch
ein günstiges Resultat erzielt zu sein. Das wären 25 Proz in den
übrigen 75 Proz. keine Heilung. In der Mehrzahl allerdings eine Bes¬
serung, meist jedoch vorübergehend, von kurzer Dauer, ln mehr als
einem Viertel .der Fälle folgte auf die Operation ziemlich rasch der
I od, oder die Operation konnte nicht zu Ende geführt werden. Die
Ursachen der Misserfolge, die besonders gegenüber den Rücken¬
markstumoren bemerkenswert sind, liegen erstens in der Art der
umoren, diese sind meist bösartig (Karzinom, Sarkome, Endotheliome)
zu einem nicht unerheblichen Teil multiple, wie die Ergebnisse der
Sektion deutlich erkennen lassen. Noch nicht 20 Proz. betreffen
relativ gutartige Tumoren. Die Geschwülste können ferner sehr gross
^oer.den- ~ Schliesslich ist die Diagnose mit grossen Schwierigkeiten
verbunden. Für diese genügt nicht allein die Feststellung, dass es
sich um einen Tumor der Cauda handelt, sondern es muss bei der
grossen Langsausdehnung eine genauere Höhenbestimmung des
windHrhprS^Chht Werw/ Df sAtdsst auf grosse, zum Teil unüber¬
windliche Schwierigkeiten. da Affektionen in verschiedenen Höhen
dasselbe Symptombild erzeugen können.
In einem Fall eigener Beobachtung wurde erst das Kreuzbein
dann die Lendenwirbelsäule geöffnet, ohne dass der (vermutete Tu¬
mor gefunden wurde. Die Patientin Überstand die operativen Ein-
ai?^t^ldslos- D^r Fall bleibt vorläufig unaufgeklärt. Es kann
] ■ n D*aguose der Art des Leidens Schwierigkeiten machen
operativ r ?£ S m ” ? ' Trf°tz al'€r günstigen Momente muss die
operative Behandlung weiter versucht werden und zwar möglichst
i uh zeitig. Dei jetzt erreichte Stand der operativen Technik erlaubt
auch bei einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose die Vornahme der Lamin-
ektomie (explorative Laminektomie).
Die Behandlung der Tuberkulose der Cauda equina sollte wenn
die schonenderen Massnahmen (Extension. Fixation etc.) ohne Er-
folg zu bleiben scheinen, häufiger als bisher eine ODerativp win
miige Sektionsfälle lehren die Möglichkeit der operativen Behandlung'
Nreuzbems, für die Barde nh euer eine Methode vorgeschlagen
sä^ief Fer r'fe^'un^Rnii10" bei 7llhcurkulose der Lendenwirbel-
operatt» zur ifcito* Ballance b™1"“ einen derartigen Fal!
Bei der operativen Behandlung der Verletzungen des Gebietes
ist sehr zu berücksichtigen, dass spontan eine oft weitgehende Bes
serung einzutreten pflegt, so dass man jedenfalls gut tut zuzuwarten
Die Aussichten einer Operation sind nach den bisherigen Ergebnissen
wechselnde. Neben Besserungen ist auch nicht zu selten von einem
unglücklichen Ausgang der Operation berichtet worden Bei Schuss
l «hrZ“n^Se‘„dlL0Pe;a‘lVe **«•<"«•* mehrfach mH QWclÄ
rungen vor Ü Aud ' h,er kommen übrigens spontan Besse-
Nonne Hamburg: Differentialdiagnose des Tumor cerebri
NA..!?eri(:htet unter Demonstration einer Reihe von Pränaraten
u ier Falle, in denen fälschlicherweise die Diagnose Tumor cerebri
gestellt worden war. Im 1. Falle wurde trotz optischer Halluzi¬
nationen, die nur nach der rechten Seite hin bestanden, und trotz
einer Klopfempfindlichkeit der rechten Hinterkopfseite der Okzipital¬
lappen intakt gefunden.
Ferner berichtet N. über Fälle, in denen Pachymeningitis und
solche, in denen Abszesse diagnostiziert worden waren und bei denen
die Operation oder Sektion die falsche Diagnose bewies.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
vom 15. — 21. September 1907 in Dresden.
III.
Abteilung fiir Geschichte der Medizin und der Naturwissen-
III. Sitzung am
Vorsitzender:
schäften.
17. September nachmittags.
Herr v. G y ö r y - Ofen-Pest.
7. Herr S c h e 1 e n z - Kassel : Zur Geschichte des Naturselbst¬
druckes (Physiotypie).
8. Herr S c h e 1 e n z - Kassel: Zur Gecshichte des Skelettierens
von Pflanzenblättern (mit Vorführung von Beispielen).
Was Vortragender im Vorjahre mitzuteilen im letzten Augen¬
blick verhindert war und nur im engen Rahmen eines Referates vor¬
gelesen werden konnte, ist er heuer in der Lage, als gedrängte Ueber-
sicht aus einer jetzt vermutlich abgeschlossenen Geschichte des frag¬
lichen Drucks mitzuteilen. Dass das klassische Altertum das Wort
Ichnographie, übersetzt: die Kunst, Fährten oder Spuren ein¬
zugraben, in Wachs zu ritzen, zu schreiben besass, lässt als sicher er¬
scheinen, dass es sicher wohl den „Fährtennaturdruck“ kannte, und
des Wortes spätere Bedeutung „Grundriss“ zeigt, dass man sich klar
darüber war, wie am einfachsten ein solcher Grundriss durch Auf¬
drücken, ganz wie es die Assyrer mit ihren Stempeln, die Aegypter
mit ihrem Zeugdruck ausübten, zu erzielen war. Die Rede von den
Handgriffen des Naturdrucks ist erst bei Alexius Pedemontanus,
der sie sicherlich in dem gelobten Lande aller, besonders aber der
darstellenden Kunst, Italien, gelernt hatte, die Rede. Zu gleicher Zeit
aber auch sollen die Aerzte Kenntmann, Vater und Sohn, schon
„Icon es s t i r p i u m impressae“ in Jena 1583 dargestellt und
eine Sammlung von ihnen soll Hofrat C. W. Büttner besessen
haben. Das würde das älteste Zeugnis des Drucks sein. Von den
nächstältesten von Paolo Boccone konnte Vortragender ein photo¬
graphisch hergestelltes Muster zeigen, ebenso später zum Teil
äusserst seltene Werke, und. er konnte mitteilen, dass die Königliche
Bibliothek in Dresden auch ein in China dargestelltes, die Pflanzen
im „Pentsao zeigendes Werk besitzt. Auch Proben von späterem
„Natur-Selbstlichtdruck“, Photographien direkt von Pflanzenblättern
und solche von injizierten Körperteilen mittels Röntgenstrahlen, legte
er vor, und schliesslich ein Muster eines skelettierten Blattes. Auch
die Kunst des Skelettierens des Blattes geht bis ins
XVII. Jahrhundert zurück, als man nach einem Säftekreislauf auch in
den Pflanzen suchte. I atsächlich isolierte man schon im Altertum
das Prosenchym der Pflanzen beim „Röstprozess“, und nach einem
solchen „skelettierte“ man die Blätter am Ende des XVIII. Jahr¬
hunderts zur Darstellung „kurioser“ Naturprodukte, wie es die Vor¬
lage eins ist. Einen wissenschaftlichen Wert kann das Verfahren
kaum mehr beanspruchen; es ist wie der Naturselbstdruck der Ge¬
schichte anheimgefallen.
9. Herr A r c h e n h o I d - Treptow: Geschichtliches aus dem
astronomischen Museum der Treptowsternwarte.
Neben astronomischen Instrumenten hat Vortragender sein Augen¬
merk auf Kometenschriften und andere astronomische Praktiken' und
Einblattdrucke gerichtet, davon er in Original und Nachbildung schon
manch hübsches Stück zusammengebracht, ferner auf eine Porträts¬
sammlung berühmter Astromen und Naturforscher und auf die Samm-
hing von Briefen Gelehrter, laus denen er eine ganze Reihe interessanter
Mitteilungen macht.
In der Diskussion weist Herr S u d h o f f auf den Unter¬
schied von „Einblattdrucken“ und „Flugblättern“ hin und auf eine
Reihe grosser Sammlungen von Druckwerken beider Art. Wenn eine
Praktika von 1532 einen Kometen erwähnt, so sei das gewiss nicht
der „Halleysche“ von 1531. Auch 1532 sei ein Komet erschienen,
der eine Mugschriftenliteratur hervorgerufen habe. Zu jeden von
beiden Kometen hat Paracelsus ein besonderes Büchlein er¬
scheinen lassen. Der Parallelismus zwischen aussergewöhnlichen
Himmelserscheinungen und Monstris, d. h. der Geburt von Miss¬
bildungen, namentlich Zwillingsmissbildungen, in der Verwendung
zur Voraussage der Zukunft sei uralt; auf zahlreichen Keilschrifttafeln
finden sich schon Listen solcher Prodigia samt Angabe ihrer funesten
oder günstigen Vorbedeutung. Dass der Stern Christi ein Komet ge¬
wesen sein müsse, sei ebenso oft behauptet, wie widerlegt worden;
viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich habe die Annahme, dass es sich
um die grosse Konjunktion im „feurigen Trigonum“ gehandelt habe.
Herr M a r t i n - Zürich-Berlin berichtet über die grosse Samm-
ung von Flugblättern und Einblattdrucken in der Wiek sehen
^ ammlung und anderen Bestände der Züricher Staatsbibliothek und
medizinischen Bibliothek, sowie über eine handschriftliche „Physica
sacra aus dem 18. Jahrhundert auf der Kgl. Bibliothek zu Berlin.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2109
Herr Fuchs- Dresden macht auf die grosse Porträtssammlung
der Dresdener Kgl. öffentlichen Bibliothek aufmerksam, die auch
durch einen vorzüglichen Katalog raschen Ueberblick gewähre.
10. Herr S u d h o f f - Leipzig: Aufgaben, Methoden und Hilfs¬
mittel einer medizinischen Archäologie.
In Anlehnung an die glänzenden rednerischen Darlegungen eines
weiland Alexander Con,z e, Hermann Usener und Brun n suchte
Vortragender den Begriff der archäologischen Wissenschaft zu
fixieren, die Johann Joachim Winkelmanns geniale Intuition
einst in die Wirklichkeit rief, die dann namentlich unter Ottfried
Müller, Friedrich Qottl. Welcker, Eduard Gerhard und Otto
Jahn eine so glänzende Weiterentwicklung nahm. Freilich die
höchste Aufgabe, die sich die heutige klassische Archäologie stellt,
das volle Verständnis der künstlerischen Seite der antiken Volks¬
seele, berührt die medizinische Historik nur mittelbar, und was wir
etwa unter dem Begriff einer medizinischen Archäologie des alten
Orient, der Antike, des morgen- und abendländischen Mittelalters
und der Renaissance bezeichnen könnten, wird von diesem hohen
Standpunkte wohl als antiquarischer Kleinkram erscheinen, hat aber
doch mit der im engeren Sinne sogen. „Archäologie“ Grundlagen
und Methoden und Hilfsmittel völlig gemeinsam. Wie sich die Philo¬
logie als wichtigste Grunddisziplin aller historischen Forschung in der
Sprache und Schrift, im Texte betätigt und wesentlich das Ohr als
perzeptiven Sinn in Anspruch nimmt, so stützt sich die archäo¬
logische Forschung auf die Anschauung: Auge und Tastsinn sind die
Vermittler ihrer Erkenntnis und ihr Forschungsgegenstand die Denk¬
mäler. Auch bei der medizinischen Archäologie sind es die „Denk¬
mäler“, die zu uns reden, die freilich nur in engster Anlehnung an
die überlieferten schriftlichen Aufzeichnungen volles Verständnis
finden können, aber doch auch wieder umgekehrt als Realien den
Texten die vielfach so dringend notwendige Aufhellung und Ergän¬
zung bringen, wenn man auch sicher zu weit ginge, wollte man etwa
im Archäologischen den Geist sehen, der den Buchstaben, der tötet,
erst wieder lebendig macht. Dem Studium der Kleindenkmäler des
Privatlebens der Vergangenheit, der Hausaltertümer, der hygienischen
Volksaltertümer vom medizinischen Gesichtspunkte aus, beispiels¬
weise der Kinderpflege, der Krankenpflege, der Körperpflege über¬
haupt in jeder Hinsicht, der Kleidung, des privaten und öffentlichen
Badewesens, des Geschlechtslebens, des Handels und Verkehrs, der
Nahrungmittelhygiene, des Bestattungswesens usw. ist also die
medizinische Archäologie gewidmet. Man wird dem mit Recht ein
Doppeltes entgegenhalten: 1. Du predigst da aber gewiss nichts
Neues; durchaus nicht, aber etwas äusserst Nötiges soll die
Geschichte der Medizin volle Erträgnisse geben — und 2. was du da
lehrst, ist ja alles medizinische Kulturgeschichte, warum
also eine neue Sparte der medizingeschichtlichen Forschung kreieren!
Sehr wohl, erwidere ich, aber eben weil das, was man bisher als
medizinische Kulturgeschichte bezeichnet und zur Darstellung ge¬
bracht hat, sich völlig auf das literarisch-ästhetische Gebiet der
Zusammenhänge und Uebergänge und gegenseitige Bedingtheit und
Beeinflussung der verschiedenen Wissenschaften beschränkt hat, ob
mit Recht oder Unrecht, will ich heute gar nicht untersuchen, schien
es notwendig, dieses wichtige Gebiet dennoch mit grossen Zügen
zu umreissen und auf seine Methoden und Hilfsmittel, die der grossen
gesamtarchäologischen Forschung zu entnehmen sind, hinzuweisen,
was dann im Anschluss an diese thematischen Darlegungen in aus¬
giebiger Weise im weiteren Vortrage geschieht, wobei nochmals ein¬
dringlich darauf hingewiesen wird, dass auch auf diesem Gebiete
der medizinischen Historik die für alle Geschichtswissenschaften gü¬
tigen Grundlinien der philologischen Forschung die, „recensio“, die
Feststellung der durch die Ueberlieferung gegebenen Tatsachen, und
die „interpretatio“, deren geistige Durchdringung massgebend sein
müssen, ob man nun Kleinbronzen, oder Medaillen, oder geschnittene
Steine oder Vasen, oder Grabreliefs, oder Spiegelkapseln, oder Terra¬
kotten, oder Tempelbauten, oder Schnitzereien, oder Amulette, oder
Gebrauchsgegenstände beforscht; auch bei dem speziell medizinischen
Instrument, wie bei allem Genannten kommt es im Grunde auf die
Erkenntnis der Kongruenz zwischen Form und Gedankeninhalt an,
auf die Kongruenz zwischen Form und Zweck.
In der Diskussion spricht Herr Fuchs seine volle Zu¬
stimmung aus zu allen Aufstellungen des Vorredners, die ihm auch
als klassischem Philologen aus der Seele gesprochen seien, auch in
Bezug auf die Notwendigkeit besserer Pflege dieser Zweige.
Herr v. G y ö r y hofft, dass die entrollte neue Fahne medizin-
geschichtlicher Sonderforschung ebenso eifrige Nachfolger finde zum
Segen der gesamten Medizingeschichte, wie der Ruf zur Arbeit, den
der Vortragende in der einleitenden Abhandlung „Richtungen und
Strebungen in der medizinischen Historik“ zu dem gerade vorgelegten
neuen Leipziger „Archiv für Geschichte der Medizin“ erschallen lässt,
welches die Puschmann-Stiftung herausgibt.
1L Herr Ernst S e i d e I - Oberspaar bei Meissen: Charakter und
Werdegang der älteren armenischen Heilkunde nach Ausweis ihrer
Literatur. (Erscheint anderwärts.)
In der Diskussion teilt Herr Sudhoff mit, dass er schon
vor Monaten den Vortragenden gebeten habe, für die Dresdener Ta¬
gung ein Referat über die Regelung der Benennung der arabischen
Aerzte auszuarbeiten; er hatte dann Herrn Geh. Rat Julius Hirsch-
berg in Berlin, den Meister der arabischen Medizingeschichte, um
ein mündliches oder schriftliches Korreferat ersuchen wollen. Doch
war Herr Seidel zu sehr mit anderen Arbeiten überhäuft gewesen,
wie sein demnächst mit Unterstützung der Puschmann-Stiftung er¬
scheinender Mechithar von Her beweisen werde. S u d h o f f
erbittet sicn daher von der Versammlung die Autorisation, die Frage,
ob man die alten latinobarbarbarischen Bezeichnungen ganz fallen
lassen solle und wie man sich in der Abkürzung der langatmigen
arabischen Schriftstellernamen einigen wolle, der Abteilung für Ge¬
sichte der Naturwissenschaften und der Medizin auf dem II. inter¬
nationalen Historikerkongress im August 1908 in Berlin vorlegen zu
dürfen. Er wolle versuchen, einen französischen und einen deutschen
Referenten hierfür zu gewinnen.
IV. Sitzung am Mittwoch, den 18. September,
vormittags.
Vorsitzender: Herr Siegmund G ii n t h e r - München.
12. Herr M u 1 e r t - Meissen: Bäder und Badewesen in Alt-
Meissen. (Der Vortrag erscheint ausführlich in den Mitteilungen
der naturwissenschaftlichen Gesellschaft „Isis“ in Meissen.)
Die künstlichen warmen Bäder mit Einschluss der Dampfbäder,
wie sie in den Badstuben des Mittelalters verabreicht wurden, ge¬
hörten zum Lebensbedürfnis unserer Vorfahren. In Meissen gab es
3 Badstuben, welche zuerst 1312 erwähnt werden. Die eine war ein
Lehen des Domstiftes, die zweite gehörte den Burggrafen, die dritte
der Stadt Meissen. Die beiden letzteren gingen später in Privatbesitz
über und haben sich bis in das 19. Jahrhundert erhalten. Ausser den
öffentlichen Badstuben gab es in Meissen noch Bäder in den Klöstern,
Amtswohnungen und den besseren Bürgerhäusern. Die Fürstenschule
zu St. Afra hatte ihre eigene Badestube, welche von den Lehrern und
Schülern alle 14 Tage benutzt wurde. — Auch zwei natürliche
Mineralquellen hat Meissen besessen. Die eine von Prof. Dr.
Schneider aus Leipzig 1714 entdeckt, war ein eisenhaltiger Säuer¬
ling. Die andere fand 1796 der Stadtphysikus Dr. P. Lutheritz
und errichtete dabei ein Kur- und Logierhaus, das „Buschbad bei
Meissen“. Diese Stahlquelle Meissen mehr als 50 Jahre den Ruf
eines Kurortes verschafft. Beide Quellen aber haben ihren Eisen¬
gehalt verloren. — Das kalte Flussbad, das im Mittelalter bei jungen
Leuten und Schülern sehr beliebt war, wurde anfangs des 17. Jahr¬
hunderts in Meissen durch Schulgesetze verboten. Die erste Fluss¬
badeanstalt finden wir in Meissen 1802 wieder. Von 1812 an wurde
den Fürstenschülern wieder gestattet, Flussbäder zu nehmen. Aber
noch in den 40 er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde das Fluss¬
baden von den Behörden durchaus nicht begünstigt. Erst die letzten
Jahrzehnte haben der Körperpflege und dem Baden die ihr zu¬
kommende Stelle angewiesen.
Diskussion: Herr F o e h r - Cöthen hält das Erlöschen der
Meissener Mineralquelle wegen des Zurückgehens des Kohlensäure-
und Eisengehaltes aus geologischen Gründen für unwahrscheinlich.
Es stehe zu erwarten, dass die verschüttete Quelle durch Bohrungen
schon in geringer Tiefe wieder freigelegt werde.
13. Herr Treptow - Freiberg: Die älteste Geschichte des Berg¬
baues und die geschichtliche Sammlung für Bergbaukunde in der
Königl. Sächsischen Bergakademie Freiberg.
Neben schriftlicher Ueberlieferung beruht unsere Kunde vom
Bergbau alter Kulturvölker namentlich auf der beständig wachsen¬
den Zahl von Funden in alten Bergbauen, die wieder in Betrieb ge¬
nommen werden. Leider ist dies letztere Material weit in Museen
zerstreut, was namentlich die zeitliche Fixierung solcher Einzel¬
funde noch sehr erschwert. Und doch wäre gerade dies besonders
wertvoll namentlich in Bezirken, wie auf der Pyrenäenhalbinsel
wo so vielerlei Völker nach einander Bergbau getrieben haben.
Für solche chronologische und ethnographische Festlegungen sind
methodisch angelegte Sammlungen von grossem Werte, wie sie die
Bergakademie Freiberg mit Hilfe ihrer alten und weitverzweigten
Beziehungen anzulegen in der Lage war, die auch das prähistorische
Zeitalter nicht ausser acht gelassen haben und jetzt ein wenn auch
nicht lückenloses, so doch überaus vielseitiges Bild über die Ent¬
wicklung des Bergbaues vor Urzeiten an über die ganze Erdober¬
fläche bieten, das sich aus Abbildungen aller Art bis zu den berühmten
japanischen Rollbildern hinaus und den verschiedensten Fundstücken
von Werkzeugen, Lampen, Fördergeräten und Wasserhebungs¬
maschinen usw. in bunter Fülle zusammensetzt. Von alledem bringt
der Vortragende äusserst instruktive Beispiele in Bild und ein¬
dringendst sachverständiger Erklärung zur Vorführung.
Diskussion: Herr G ii n t h e r - München stellt die Frage,
ob abgesehen von den ersten marktscheiderischen Anweisungen
Herons (100 v. Chr.) sich irgendwo und irgendwie vor Agricola
Versuche zur Orientierung unter der Erde nachweisen Hessen, was
Vortragender durch Hinweis auf zwei hockende, mit kompassartigen
Instrumenten ausgerüstete Japaner auf einer seiner vorgelegten Ab¬
bildungen und durch römische bergmännische Anlagen beantwortet.
Herr S c h e 1 e n z-Kassel weist auf das „Feuersetzen“ bei Hanni-
bals Alpenübergang in Berichten des Livius und auf die Illu¬
strationen Blümners in seiner antiken Technik hin.
Herr Fuchs- Dresden gibt interessante Aufklärungen über
griechische Anschauungen über Essigeinwirkung auf das Erdreich und
meint, es werden sich auf Vasenbilder und Münzen doch wohl noch
mehr Details zum Bergbau finden lassen.
JiiO
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Herr Sud hoff betont die Wichtigkeit der Befestigung von
Werkzeugklingen am Holzstiel auch für das Verständnis mancher
antiker medizinischer Instrumente und berichtet als lehrreiches Bei¬
spiel, wie man kürzlich in Paris lange für Hackenklingen ge¬
haltene, mit einem Fortsatz versehene flache meisseiartige Bronze¬
platten aus karthagischen Grabungen durch Inscnriften und ein¬
gravierte Zeichnungen als karthagische Rasiermesser von ganz
besonderer Gestalt erkannt habe, die namentlich seitens der Priester
in dieser Form gebraucht wurden.
Herr S e i d e 1 - Meissen erinnert an uralten Bergbetrieb am
Obsidianfelsen des Yellowstone-Parks auf Cypern und der Sinai-
halbinsel.
14. Herr D e u s s e n - Leipzig: Ueber das Gründungsjahr der
Leipziger Löwenapotheke (1409).
Nach verschiedenen Ueberlieferungen soll die Leipziger Löwen¬
apotheke 1409 zugleich mit der Universität gegründet worden sein.
Dagegen machte Prof. Wustmann - Leipzig 1902 Zweifel geltend
und zwar deshalb, weil sich in Leipzig keine urkundlich beglaubigte
Zeugnisse vorfänden. Vortragender fasste den Gedanken, in dieser
Frage auch das Urkundenmaterial der Prager Universität zu prüfen.
Durch das freundliche Entgegenkommen von Herrn Apotheker
Sedivy-Prag kam Vortragender in Besitz davon. Freilich muss
er augenblicklich Herrn Sedivy die Verantwortung für die Richtig¬
keit der gemachten Angaben überlassen. Die 'Angaben aus Prag
gehen dahin, dass ein Professor Hoff mann 1413, auch Rektor
der Universität, den Universitätsapotheker namens H u t e r n a nebst
Gesellen nach Leipzig mitgenommen und dort eine Universitäts¬
apotheke eingerichtet hat. Vortragender spricht die Vermutung aus,
dass der Name H u t e r n a vielleicht die tschechische Form für Hüter
(Hutter) ist; dies würde dann im Einklang mit den Leipziger Ueber¬
lieferungen stehen, die als ersten Besitzer der Apotheke einen Johann
Hutter angeben. In den Universitätsakten von 1409, 1410 und auch
in späteren Jahren findet man Vertreter des Namens Hutter. Sie
nehmen zum Teil hervorragende Stellungen an der Universität ein.
Ein Mag. in artibus Georg Hütte*, der 1464 Dekan der philo¬
sophischen Fakultät war und wohl identisch mit Georg Hutter ist,
der im Stadturkundenbuche 1465 vorkommt, war auch Apotheker
und Vormund von Johann Apothekers sei. Erben; er kaufte 1474
deren Apotheke. Vortragender glaubt, dass Familie Hutter in
irgend welchen Beziehungen zu dieser Apotheke schon lange vor
1474 gestanden hat, aber aus irgend welchen Gründen einen direkten
Einfluss auf die Verwaltung der Apotheke bis 1474 vermieden hat.
Dass die Universitäts- und die städtischen Akten keine Angaben über
eine Apotheke in den Jahren von 1409 bis 1425 machen — 1425
führen die Stadturkunden als 1. Apotheker einen Meister Hugo auf — ,
dies versucht Vortragender so zu deuten: Wenn der 1409 in Leipzig
einziehende Apotheker der Universität unterstellt war, so galt er da
nur als untergeordnete Persönlichkeit (und zwar auf Grund des
Prager Materials) und in diesem Falle hatten die Stadturkunden kaum
Veranlassung, von der Person des Apothekers Kenntnis zu nehmen.
Wiederum die Universitätsbehörden werden nach der Gründung 1409
wichtigeres zu tun und zu bedenken gehabt haben, als über den
Apotheker, der als „subditus“ galt, Personalien aufzuzeichnen. Vor¬
tragender glaubt auf Grund des Prager Materials annehmen zu dürfen,
dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die Errichtung der Löwen¬
apotheke 1409 auf die Gründung der Universität zurückzuführen ist.
15. Herr S u d h o f f - Leipzig: Die Wanderbücher Hohen¬
heims.
Als „Manuale I. und II“, ein längeres chemisches und kürzeres
medizinisches, grossenteils in lateinischer, der Rest in deutscher
Sprache, gab 1582 der Baseler Verleger Peter Perna unter Hohen¬
heims Namen eine buntscheckige Kollektaneensammlung heraus,
die auch H u s e r in seine Sammelausgabe aufnahm unter ausdrück¬
licher Betonung, dass sie den echten Werken Hohenheims nicht
an die Seite gestellt werden dürfte, da er sie vermutlich in seiner
Jugend auf seinen weiten Reisen zusammengelesen habe, als er von
den behandelten Gegenständen eine tiefer gehende Kenntnis noch nicht
besessen habe — flüchtige Reisenotizen über da und dort im Ge¬
brauch gesehene chemisch-technische Verfahren oder ärztliche Be¬
handlungsweisen, gesammelte Anweisungen und Rezepte. Konnte
schon dieser angebliche Entstehungsmodus bei Hohenheims
ganzer Veranlagung von vornherein keine grosse Wahrscheinlichkeit
erwecken, dass die Entstehung dieser Rezeptensammlungen zutreffend
in dieser Weise geschildert sei und Hohenheim wirklich der
Verfasser sei, so machten ein ganze Reihe äusserer und innerer Mo¬
mente beim erneuten Studium dieser angeblichen Paracelsus¬
reliquien den Vortragenden immer stärker stutzig. Endlich ergab
eine genaue Prüfung, dass Huser bei allen anderen Schriften, die
ihm im Autogramm Hohenheims von Dr. Ho melius II. in
Pettau in der Steiermark zugekommen waren, ausdrücklich angibt,
dass sie bei Hornel ius im Autogramm Hohenheims noch
vorhanden seien, dass er aber bei den Manualen in scharfem Gegen-
satuz “ r!ur frerPerk*’ „H o m e 1 i u s habe die Originalien bei sich
gehabt ; er hatte sie also 1589 nicht mehr im Besitz und hat sie dem
trefilichen Kenner Paracelsischer Schriftzüge, Johannes Huser
n i c h t im Original (angeblich von Hohenheims Hand) vorgelegt’
Auch die mechanische Echtheit dieser sogen. Wanderbücher Hohen¬
heims erscheint somit mindestens suspekt, jedenfalls durchaus nicht
bewiesen.
V. Sitzung vom 18. September, nachmittags.
Vorsitzender: Herr S ud h o f f - Leipzig.
Geschäftssitzung (VI. ordentliche Hauptversammlung) der deutschen
Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften.
Das den Begrüssungsworten angeschlossene Expose des Vor¬
sitzenden stellt einen gesunden stetigen Fortschritt der Gesellschaft
fest. Die Beziehungen zu verwandten Körperschaften in Berlin und
München sind zufriedenstellend, wenn auch ein Zusammenarbeiten
mit der letzteren auf literarischem Gebiete einstweilen noch wenig
Aussicht bietet. Der Kassenbericht des Schatzmeisters weist eine
Einnahme von 4930 M. und eine Ausgabe von 3669 M. auf, so dass
einschliesslich eines Festbetrages von 900 M. für lebenslängliche
Mitglieder das verfügbare Vermögen 2160 M. beträgt, bei einer Zahl
von 229 Mitgliedern. Der Etatsvoranschlag für 1907/08 balanziert
mit 5240 M. in Ausgabe und Einnahmen. Dem Schatzmeister wird „
Entlastung und Dank einstimmig ausgesprochen. Beim Uebergang
zur Vorstandswahl erklärt Herr v. G y ö r y - Ofen-Pest, von seinem
Posten zurücktreten zu wollen und bittet, von einer eventuellen Neu¬
wahl absehen zu wollen, da er es nicht für richtig halte, als Aus¬
länder dem Vorstand der Gesellschaft dauernd anzugehören, wie
sehr er sich auch die vorübergehende Mitgliederschaft im Vorstand
zur Ehre gerechnet habe. Die getätigte Wahl ergibt: Sudhoff
(Vorsitzender), Günther (dessen Stellvertreter), Wohl will
(Schatzmeister), F o s s e 1, E. v. Meyer, P a g e 1, Ritter v. T ö p 1 y
als Geschäftsführung für das kommende Jahr.
Zum II. internationalen Historikerkongress in Berlin (1908)
wurden S u d h o f f und Günther delegiert; zum III. internationalen
Philosophenkongress in Heidelberg (1908) wurde dem Vorstand die
eventuelle Delegierung eines seiner Mitglieder oder eines anderen
Gesellschaftsmitgliedes freigestellt. In der Frage des Hochschul¬
unterrichts in der Geschichte der Naturwissenschaft wurde auf Vor¬
schlag Herrn Günthers eine Resolution folgenden Wortlautes
angenommen:
„Eine der Bedeutung dieses Studiengebietes würdige Be¬
rücksichtigung der Geschichte der Naturwissenschaften und der
Medizin wird in unserem Hochschulwesen noch sehr häufig ver¬
misst. Deshalb verlangt die Deutsche Gesellschaft für Geschichte
der Medizin und der Naturwissenschaften dringend eine Aenderung
in diesem Sinne, wie auch für Vorträge und Uebungen, die
in die wissenschaftliche Forschung einzuführen bestimmt sind,
grundsätzlich Vorsorge getroffen werden muss. Als einen vor¬
bereitenden Schritt würde es die Gesellschaft begrüssen, wenn
bei den Versammlungen Deutscher Naturforscher und Aerzte ge¬
schichtliche Vortragsobjekte, die stets auf ein vielseitiges Inter¬
esse rechnen dürfen, sowohl für die allgemeinen, als auch für die
Hauptgruppensitzungen mit herangezogen würden.“
Für den Berliner Kongress soll eine Denkschrift über diese Frage
ausgearbeitet werden, um deren Abfassung Herr Strunz- Wien er¬
sucht werden soll. Herr Günther erklärt sich bereit, sich dieser
Angelegenheit auch weiterhin anzunehmen. Neben dem durch diePusch-
mannstiftung in Leipzig im Verlag von Joh. Ambrosius Barth, unter
Redaktion von Sudhoff, seit dem 15. September 1907 heraus¬
gegebenen „Arch. für Geschichte der Medizin“*) sollen die „Mit¬
teilungen ‘ als Organ der Gesellschaft in der bisherigen Weise weiter
bestehen. Den Sitzungsberichten der „Berliner Gesellschaft für
Geschichte der Naturwissenschaft und Medizin sollen die „Mit¬
teilungen in unbeschränkter Weise offen stehen bis zum Höchst¬
umfang von 4 Seiten „Petit“ für den Bericht über eine einzelne
Sitzung; ein etwaiger grösserer Umfang soll nur in der Weise erfolgen
können, dass die Berliner Gesellschaft die ganzen Mehrkosten trägt, die
mit dem Verleger der „Mitteilungen“ zu vereinbaren wären, ebenso
die etwa erhöhten Portokosten 'der Versendung des betreffenden
Heftes.
Die Vorschläge des Schatzmeister betreffend Honorierung der
Mitarbeiter der „Mitteilungen“ aus der Kahlbaumstiftung und sup¬
plementär aus Gesellschaftsmitteln finden die Zustimmung der Ver¬
sammlung, die mit dem Wunsche gedeihlicher Weiterentwicklung
und frohen Wiedersehens in Berlin und Köln geschlossen wird.
Karl S u d h o f f.
Abteilung für innere Medizin.
Sitzung vom 17. September, nachmittags.
• u ^eiera^ über das Thema: Typhus und Paratyphus und ihre Be¬
ziehungen zu den Gallenwegen. Referenten: C h i a r i - Strassburg.
Hirsch- Freiburg, Förster - Strassburg.
Herr Chiari: Die Beziehungen von Typhus und Paratyphus
zu Entzündungen der Gallenwege sind sehr innige. Das erweist
'/ortr- ,an ^em eingehenden Literaturbericht, aus dem die Arbeiten
von F ii 1 1 e r e r und G u i 1 b e r t, die zuerst bakteriologisch genau
arbeiteten, hervorgehoben werden müssen. Nachdem in der Litera-
tur zunächst die Angabe von Typhusbazillen in Reinkultur in der
Gallenblase auftrat, wurden diese Bazillen öfter als Inhalt von Steinen
erkannt. _ Neuerdings wird schon aus dem Nachweis von Typhus-
bazillen in der Gallenblase die Diagnose auf Typhus abdominalis ge-
*) Vergl. die Nummer vom 17. September 1907 der Münch, med.
Wochenschr.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2111
stellt. Im letzten Jahre hatte der Vortr. unter 8 Typhusfällen in
7 positiven Bazillenbefund in den Gallenwegen. Dieses Material
diente zum Nachweis des Weges, den die Bazillen in die Gallenblase
nehmen. Dass sie aus dem Darm kommen, ist ausgeschlossen, da¬
gegen ist sicher, dass sie mit der Galle in die Gallenblase kommen,
also auf dem Blutwege.
Die Typhusbazillen gehen bei Typhus de regula immer in die
Gallenwege; sie rufen Entzündungen hervor und können sich in der
Gallenblase vermehren. Die Bazillen können sehr lange (bis zu
14 Jahren) in der Gallenblase sein; Rezidive durch Entleerungen in
den Darm hinein können stattfinden, sie können Cholelithiasis hervor-
rufen. Experimente zeigten, dass Bazillen, in die Bauchhöhle ge¬
spritzt, bald in der Gallenblase auftreten und Entzündungen erregen.
Die Galle stellte sich als ein für das Gedeihen der Bazillen gutes
Medium heraus. Es sind auch Steine durch Injektion von Typhus¬
bazillen in den Gallenwegen gebildet worden.
Die Erfahrungen über den Paratyphus sind noch gering, doch
dürften im allgemeinen dieselben Beziehungen bestehen zwischen
Paratyphus wie zwischen Typhus, was aus den wenigen Angaben in
der Literatur hervorgeht.
Herr Hirsch- Göttingen erörtert das Thema vom klinischen
Standpunkte:
Der Ikterus ist eine seltene Erscheinung bei Typhus; bei Kin¬
dern ist er etwas häufiger. Auch die frühere Ansicht, dass die akute
gelbe Leberatrophie häufig durch Typhus hervorgerufen würde, ist
nicht zutreffend, dasselbe gilt für den Leberabszess. Auch die Ent¬
zündungen der Gallenwege sind klinisch selten. Die klinische Dia¬
gnose der Cholecystitis typhosa ist schwer. Die reflektorische Mus¬
kelspannung bei der Palpation ist wichtig. Es darf die Anwesenheit
von Bazillen in der Gallenblase, die von Pathologen so häufig kon¬
statiert wurde, nicht mit Krankheit identifiziert werden. Nur bei
Gallenstauung (Naunyn) tritt die Erkrankung auf. So wenig eine
Bakteriurie eine Zystitis voraussetzen lässt, so wenig beweisen Ba¬
zillen in der Galle eine Cholezystitis. Die gleiche Bedeutung wie die
Behinderung des Gallenabflusses spielen für die Cholezystitis Fremd¬
körper. Ein weiteres prädisponierendes Moment sind die erweiter¬
ten Luschka sehen Gänge.
Die Einteilung der Cholecystitis typhosa in gleichzeitige und
posttyphöse besteht zu Recht. Ob es primären Leber- und Gallen¬
wegetyphus gibt, ist nicht sicher, da es ja kaum möglich ist, vor¬
hergehenden Darmtyphus auszuschliessen. In den Fällen von Chole¬
zystitis, bei denen Steine nicht als ätiologisch wirksam gelten konn¬
ten, sind Verwachsungen oder Wanderleber als gallenstauend an¬
zunehmen. Fälle unerklärter Gallenstauung sind! vorhanden und
bestätigen als Ausnahme die Regel .
Die Bildung von Gallensteinen im Verlaufe des Typhus ist viel
diskutiert. Naunyn glaubt, dass Gallensteine sich in wenigen
Tagen bilden können. Experimentell werden in vitro Gallensteine
durch Galle und Typhusbazillen festgestellt. Die Kolloidchemie liefert
eine Deutung für den Ausfall von Cholesterin, da die Bakterien kol¬
loidfällend wirken können. Notwendig scheint die Anwesenheit von
Eiweiss, das bei Entzündungen in der Tat nachweisbar ist. Auch
für die nichtbakteriellen Fälle kann bei der Anwesenheit von Eiweiss
kolloidchemisch eine Ausfällung stattfinden bei saurer Reaktion der
Galle, die ja bei Eiweissanwesenheit bald auftritt. Not tut das Zu¬
sammenarbeiten zwischen Klinikern und Chemikern, da ja die Re¬
aktion der normalen Galle nicht einmal feststeht.
Herr F o r s t e r - Strassburg behandelt vom bakteriologischen
Standpunkte das Thema:
Zwei Tatsachen sind von diesem Standpunkt aus wichtig: dass
die Typhusbazillen in die Gallenblase übergehen und dass sie dort
fortwuchern können. Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Vor¬
handensein der Bazillen im Blut schon in der Inkubation, während
sie in den Ausleerungen erst in der ersten und zweiten Woche auf¬
treten. Auch die Reaktionsprodukte wie Antistoffe treten viel früh¬
zeitiger auf als die Bazillen in den Fäzes. Vorzugsweise auf dem
Wege der Galle scheinen die Bazillen in den Darm ausgeschieden
zu werden, das erklärt das häufige Vorkommen von 1 yphusbazillen
in der Gallenblase.
Bei den Bazillenträgern, besonders denen, die noch nach dem
Ablauf der Erkrankungen Bazillen in den Fäzes haben, sind zwei
Gruppen zu unterscheiden. Eine, die nur wenige Wochen Bazillen
posttyphös äusscheidet, das sind Männer, Frauen und Kinder: eine
andere, die Monate und Jahre posttyphös Bazillen ausscheiden: unter
dieser Gruppe sind viele, die an Gallensteinen leiden, und zwar mit
Bevorzugung des weiblichen Geschlechtes (80 Proz. Frauen.
5 — 7 Proz. Kinder von 5—12 Jahren, 13—15 Proz. Männer). Auf¬
fallend ist, dass dasselbe Verhältnis auch bei Gallensteinleidenden
besteht. Nun geht ja der grösste Teil der Gallensteinleiden — etwa
10 Proz. — ohne Symptome einher, und auch hier ist vom Vortragen¬
den dasselbe Zahlenverhältnis an den Dauerträgern von Typhus¬
bazillen festgestellt worden. .
Die Gefährlichkeit der Dauerbazillenträger wird an einzelnen
Fällen erläutert, die illustrieren, dass die sogen. Typhushäuser, in
denen der Typhus endemisch ist, immer an die Anwesenheit eines
Typhusbazillenträgers gebunden ist. Die natürliche Vegetations¬
stätte dieser Typhusbazillenträger ist die Gallenblase. Für solche
Personen, die an Gallensteinen leiden, ist die Zystektomie an¬
gezeigt. Die Zystostornie genügt nicht zur Eliminierung der Bak¬
terien. Bei den nicht mit manifesten Gallenblasensymptomen ver¬
sehenen Bazillenträgern handelt es sich darum, die Bazillen regel¬
mässig aus der Galle auszuschwemmen. Und zwar müssten von
der Klinik Mittel und Wege dazu gefunden werden, vielleicht durch
Darreichung von Gallen und Gallensäuren, welche die Galle ver¬
mehren und abführen. Es handelt sich weiter darum, das Wachs¬
tum von Typhusbazillen hemmende Stoffe der Galle und den Gallen¬
säuren zuzumischen, Versuche, die sich noch im Stadium der Vor¬
bereitung befinden.
In der Diskussion betont Herr C u r s c h m a n n - Leipzig
noch einmal die Seltenheit klinischer Beobachtung von Gallenwege¬
erkrankungen bei Typhus und glaubt, dass die Galle selbst im Typhus
anders ist als normal, wie dies für das spezifische Gewicht von fran¬
zösischen Autoren nachgewiesen wurde.
Herren Schur und Wiesel- Wien: Zur Physiologie und
Pathologie des chromaffinen Organs.
Die Vortragenden haben durch klinische, experimentelle und ana¬
tomische Untersuchungen an einem grossen Material folgende Tat¬
sachen erhoben: erstens, dass zwischen Nierenfunktion und der des
chromaffinen Gewebes Wechselbeziehungen bestehen, und zweitens,
dass durch Muskeltätigkeit die Adrenalinsekretion angeregt wird.
Die Wechselbeziehungen zwischen Nierenfunktion und der des
chromaffinen Systemes zeigt sich vor allem darin, dass doppelseitige
Nierenexstirpation oder einseitig partielle zu Uebertritt von Adrena¬
lin in das Blut führt, welches sowohl biologisch — mit der Ehr-
m a n n sehen Reaktion — als auch chemisch nachweisbar wird und
dass anatomisch beim einseitig partiell-nephrektomierten Tier Hyper¬
trophie des chromaffinen Gewebes auftritt. Ausserdem konnten die
beiden Vortragenden an der Hand eines grossen kasuistischen Ma¬
terials zeigen, dass nach ihren bisherigen Erfahrungen nur chro¬
nische Nephrosen zu Adrenalinanämie führen. Die Anregung der
Adrenalinsekretion durch Muskeltätigkeit Hess sich dadurch nach-
weisen, dass bei Hunden während anstrengenden Laufens Adrenalin
ins Blut Übertritt. Der Adrenalinverbrauch lässt sich auch ana¬
tomisch durch Abnahme und endliches Verschwinden der Chrom¬
bräunung an den chromaffinen Zellen nachweisen.
Schliesslich besprechen und demonstrieren die Vortragenden eine
offenbar während des Laufens der Tiere entstandene Mesarteriitis
einzelner Arterien und weisen auf einen möglichen Zusammenhang
mit der Adrenalinanämie hin, was für gewisse Formen der Arterio¬
sklerose von Bedeutung sein könnte.
Sitzung vom 18. September, vormittags.
Herr K r e t s c h m e r - Würzburg: Wirkungsmechanismus des
Adrenalins und dauernde Blutdrucksteigerung durch Adrenalin.
Nach den bisherigen experimentellen Beobachtungen konnte mit
Adrenalin nur eine rasch vorübergehende „Reizwirkung“ auf den
Blutdruck erzielt werden. Durch die vorliegenden Untersuchungen
wurde mittels einer neuen Methode durch kontinuierliches Einfliessen-
lassen von Adrenalin eine dauernde, ganz konstante
Blutdruck Steigerung erreicht, und es Hessen sich eine
Reihe von Einzelheiten über den Wirkungsmechanismus des Ad¬
renalins überhaupt nachweisen, von denen die wichtigsten Ergeb¬
nisse waren, dass experimentelle Adrenalinwirkung nur so lange
besteht, als dasselbe im Blut vorhanden ist und dass das
Verschwinden aus demselben durch einen beständigen Zerstörungs¬
prozess (Alkaleszenz von Blut und Gewebe) bedingt ist. Durch
experimentelle Variation derselben (intravenöse Mineralsäure¬
abgaben) konnte die Wirkung des Adrenalins auf den
Blutdruck um das fünf - bis sechsfache verlängert
werden.
Herr Schmidt und Herr Lohrisch - Halle a. S. : Die Be¬
deutung der Zellulose für den Stoffhaushalt schwerer Diabetiker.
Die Zellulose wird im Organismus wahrscheinlich als Wärme¬
spender, nicht als Eiweissspai er ausgenutzt. Endprodukte sind
Kohlensäure, Sumpfgas, flüchtige Fettsäuren, die für den Organismus
verwendet werden. Bei 3 Fällen von schwerem Diabetes wurden
in 5 tägiger Vorperiode Eiweiss-Fett-Diät, dann besonders zellulose¬
reiche Nahrung 5 Tage zugelegt, dann wieder 5 Tage Eiweissfett
gegeben. Als Gemüse wurde gedörrtes Weisskraut besonders zu¬
bereitet. Der Gehalt an reiner Zellulose betrug etwa 15 Proz. des
Weisskrauts. In allen Fällen zeigte sich eine Tendenz zur Verringe¬
rung der Glykosurie und der Azidosis. Das Körpergewicht nahm zu.
Die Zellulose beeinflusst also in keiner Weise die diabetische Stoff¬
wechselstörung ungünstig. Wenn auch die verdauten Mengen nicht
gross sind, so ist zu berücksichtigen, dass neben der Zellulose noch
in den Gemüsen ausnutzbare inkrustierende Substanzen (zellulose-
ähnliche Substanzen) in Betracht kommen, die bei dem Versuch
nicht berücksichtigt sind. Wenn die Zellulose zu 45 Proz. verwertet
wird, so können 100 g Zellulose 20 g Fett ersetzen. Man könnte also
mit Recht ein Präparat suchen, das in genügender Menge eingeführt
werden könnte, also in möglichst reiner Form. Der praktische Erfolg
steht noch aus, da Darmreizungen nach den angewendeten I rapa-
raten auftraten.
Herr F i s c h e r - München: Beitrag zur Kenntnis des karzinoma-
»en Magensaftes. .... t
Die Frage, ob bei der peptischen Verdauung. Aminosäuren aui-
:ten, wurde experimentell nachgeprüft, da die bisherigen Versuche
;ht einwandfrei waren. Im nichtkarzinomatösen Mageninhalt fanden
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
i, h i* f'deiM°-nüu' noSh Diaminosäuren. Im karzinomatösen Mascu-
aJ i uCh. na(;h gleicher Methode Monoaminosäuren. Wahr-
pnf1 wlo 1 AIeh- mi karzinomatösen Magensaft die von Kos sei
entdeckte Arginase. Es wurde nun versucht, ein Ferment aus dem
sDal1et°nne? nil? *1”’ die. A'minosüuren aus den Peptiden ab-
‘ p . ; ‘ . Dc' (jedanke liegt nahe, aus der Anwesenheit dieses Fcr-
Im Magensaft ein diagnostisches Hilfsmittel bei Karzinom des
■ agens zu gewinnen. Die Versuche sind noch im Gange.
H Ha.n5 W eicker-Görbersdorf: Das Tuberkulin in der
Hand des praktischen Arztes.
CharaktSPZrUSHimShSenifVOn d(rr,ßehandlui1« sind die Fälle mit toxischem
Charakter, gleichgültig welchen Stadiums. Die Fälle mit geringem
hnHUndAUV,Lungen und Temperatur, Muskel- und Nervenermiidung
bilden Antikörper nur in geringer Zahl und würden durch spezifische
Pfleeed Huf llmVlm,ert werden- Die Fälle, die häuslich keine
d5gl? UI d Beobachtung haben, sind ebenso auszuschliessen. da sie
individuell nicht behandelt werden können.
Chronische Lungentuberkulosen, die jahrelang bestehen, sind
trotz vorgeschrittenen Lungenbefundes für spezifische Behandlung
ein Kutes Merz u,,d kräf,i^ Makulatur haben
Hier ist Tuberkulin von grossem Nutzen. Durch langsam steigende
Dosen, bei Vermeidung von Fieber, schwindet die Tuberkulose.
immer soll mit kleinsten Dosen, z. B. Vioo mg Alttuberkulin be¬
gonnen werden. Die Normaltemperatur muss vorher genau fest-
gei egt werden. Jeder noch so geringe Anstieg über die Norm, auch
3 1 eilstriche, stellt eine spezifische Reaktion dar. Als Zwischen¬
räume sind anfangs 4—5 Tage einzuhalten. Die Höhe der Maximal¬
dosis ist nicht absolut anzugeben, da sie von der Empfindlichkeit
des Organismus abhängt.
Um Fiebernde zu entfiebern benutzt Weicker seit 1901 die
von Koch angegebene Fieberemulsion. Dem praktischen Arzt ist
wenigstens der Beginn dieser Art der Behandlung nicht anzuraten.
Bei den diagnostischen Injektionen ist genau das vorsichtige
Vorgehen wie bei der therapeutischen angezeigt.
B^kPSSion: Herr S o b o 1 1 a - Reiboldsgrün hält die Aus-
luhrbarkeit der 1 uberkulinbehandlung für den praktischen Arzt für
unbestreitbr. Ls gibt aber Fälle, bei denen Tuberkulinschädigungen
sich nicht vermeiden lassen. Auf dem Lande, auf weite Entfernungen
hin ist die spezifische Behandlung abzuraten.
Herr S c h e r e r - Bromberg hat sich zunn Grundsatz gemacht.
ins!16! spezifisch noch nicht behandelte Fälle zunächst mit Perlsucht-
tuberkulm zu behandeln. Kehlkopftuberkulose ohne vorgeschrittenen
Lungenbefund gaben in letzter Zeit guten Erfolg. 4 Schwangere hat
Redner mit bestem Erfolg behandelt. Schädigungen hat er in sechs¬
jähriger Praxis nicht gesehen.
.. hje m " Benin verfügt über 20 seit 3 Jahren geheilte,
nnt Alttuberkulin behandelte Fälle.
, .. Berr L en h ar t z - Hamburg tritt für die Anwendung des Tuber¬
kulins bei der Erkrankung des Urogenitalapparates auf. die der
chirurgischen Behandlung vorauszugehen -hat. L. sah in schweren
Fa len absolute Heilung, so in einem Falle von Bazillose, Hämaturie
Koliken, doppelseitiger Spitzenaffektion. In einer Kur von 8 Wochen
nahm der Patient 25 Pfund zu, die Koliken hörten auf, nach weiteren
drei Monaten war er absolut geheilt. In ähnlichen Fällen haben
praktische Aerzte denselben guten Erfolg gehabt. L. zieht Alt-
tuberkulin dem Neutuberkulin vor. In diagnostischer Beziehung hat
auch er 1— 5 g ohne jeglichen Nachteil gegeben, therapeutisch von
ho mg an aufwärts.
. . Bcii S c he n k e r - Aarau: Meine Beobachtungen in der Tuber¬
kulosetherapie bei der Anwendung von Marmorekserum.
(Erscheint an anderer Stelle dieser Wochenschrift.)
In der Diskussion erwähnt Herr Frey- Davos dass er
an 1500 subkutane und über 5000 rektale Injektionen von Marmorek¬
serum gemacht habe. Nach seiner Ansicht ist es ein reines anti¬
toxisches Serum. Moribunde sind mit dem Mittel nicht zu retten,
(lanz akute Falle lassen sich z. T. innerhalb von Wochen heilen.
C. ironische werden zum grossen Teil mit vorzüglichem Erfolge be¬
handelt werden können. Sie ist als rektale Methode dem Praktiker
sehr zu empfehlen, eventuell mit Opiumzusatz.
Herr M e i n e r t z - Rostock: Tuberkulose und Thrombose, ein
Beitrag zur Kenntnis des Verlaufes der experimentellen Tuberkulose
in der venos-hyperamischen Niere.
Wurde eine venöse Hyperämie durch Unterbindung eines Ureters
in einer Niere hervorgerufen, dann eine Emulsion von Tuberkel-
baz-llen in die Karotis injiziert, so traten Bindegewebshyperämien
und Parenchymschwund verschiedenen Grades je nach der Länge der
Zeit auf. In der unterbundenen Niere entstanden viel mehr Tuberkel
und zwar postglomerulärer Natur. Postglomerulär nennt M. alle Tu¬
berkel des Nierenparenchyms mit Ausnahme der glomerulären
Wurde Tuberkelemulsion injiziert und danach erst unterbunden
so trat dasselbe ein In beiden Nieren trat zunächst Thrombose durch
Bazillenpfropfe auf, in der Niere mit unterbundenem Ureter Neu¬
bildung von Bindegewebe, in der nicht unterbundenen epitheliale
Hyperplasien. Eine Benachteiligung eines gestauten Organs gegen-
uber I uberkulose soll mit diesen Versuchen nicht mit Allgcmein-
gultigkeit ausgesprochen werden.
. *• H!irr Y0t!«!.ard-5or“: künstliche Atmung durch Venti¬
lation der Luftrohre. Mit Demonstration.
In zahlreichen Versuchen an Hunden gelang es Tiere, deren At¬
mung durch Kurare aufgehoben war, durch einfache Eröffnung der
Lungen röhre und Einleitung von Sauerstoff 1—2 Stunden am Leben
zu halten. Bei Ventilation mit Luft statt mit O trat bald Tod ein.
Das Tier stirbt schliesslich deshalb auch bei O-Einlei-ten, weil das¬
selbe keine Gelegenheit hat, sich von der Kohlensäure zu befreien.
Im Anschluss an diese Versuche hat Vortragender aus einem
einfachen Soxhletapparat sich einen einfachen Respirationsapparat
konstruiert. Er empfiehlt seinen Apparat für die künstliche Atmung
bei Tierexperimenten, für den Menschen eignen sich wohl besser
andere, z. B. der von Brat angegebene.
Herr E n g e 1 - Bad Nauheim: Ueber orthotische Albuminurie bei
Nephritis.
Es gibt nach den Beobachtungen des Vortragenden chronische
orthotische Nephritiker, deren Diagnostizierung nur unter
strenger Beachtung gewisser Vorsichts- und Verhaltungsmassregeln
möglich ist. Die das Phänomen auslösenden Momente lagen in den
gegebenen Fällen nicht auf dem Gebiet des Blutkreislaufs und seiner
Veränderungen im Stehen und Liegen. Weder rein hydrostatische
Einflüsse, noch der allgemeine Blutdruck spielten dabei eine Rolle.
Das Vorhandensein eines durch Essigsäure im Kalten fällbaren Ei¬
weisskörpers, des Euglobulin, deutete auf rein parenchymatöse Ein¬
flüsse hin. Eiweissausscheidung und Kreislaufänderung im Stehen
sind bei Orthotikern als koordinierte Reizerscheinung aufzufassen,
auf einen Hypertonus der Körperfunktionen zurückzuführen, dem die"
vitalen Kräfte der Organzellen in konkreten Fällen nicht gewachsen
sind. Das tiefere Geheimnis der orthotischen Albuminurie scheint
in der Juvenilität der Nierenzellen zu liegen, welche bei Horizontal-
d. h. Ruhelage des Körpers die Möglichkeit der Erholung und damit
dci normalen Funktion findet. Deshalb weisen auch orthotische
Nephritiker eine günstigere Prognose auf als nichtorthotische.
Heil Groedel II und Herr Groedel III - Bad Nauheim: Die
Form der Herzsilhouette bei den verschiedenen Herzaflektionen.
Dm ch Ausgestaltung und Modifikation der Orthodiagraphie ist es
den Vortragenden gelungen, die einzelnen Bogen des Herzschatten-
i an des genau zu verfolgen und aufzuzeichnen. Man kann auf diese
Weise erkennen, welcher Herzabschnitt bei einer Vergrösserung des
Herzschattens besonders beteiligt ist. Es lassen sich bestimmte For¬
men der Herzsilhouette für die meisten Herzerkrankungen feststellen.
Das Verfahren ist daher als Ergänzung und Kontrolle der übrigen
klinischen Untersuchungsniethoden ausserordentlich wertvoll.
Hcn Arnold L o r a n d - Karlsbad : Klinische Beiträge zur Frage
über die Beziehungen der Schilddrüse zum Diabetes.
Sitzung vom 18. S e p t e m b e r, nachmittags.
Herr Curschmann - Mainz: Ueber die Kontrolle der Schinerz-
prufung durch die Blutdruckmessung.
Gleichdosierte, faradische S ch merzreize wirken, wenn
sie in die Nähe sensibler Nervenstämme lokalisiert sind, (aber die
motorischen Reizpunkte vermeiden), bei Normalen mit normaler Sen¬
sibilität a 1 lei meist blutdrucksteigern d, selten senkend,
jedenfalls diffeient, bei Menschen mit organischer (Nephritis) und
tunktioneller (Angioneurotiker) Hypertension des Blutdrucks ent¬
sprechend noch stärker steigernd (bis 25 mm Hg).
Bei organischen Analgesien bleibt -die Blutdruckverände¬
rung stets aus. Die Reizung hysterischer Analgesien zeigte
dasselbe Verhalten, Fehlen der B 1 u t d r u c k r e ak t i o n. die
aber wiederkehrte nach psychogener Heilung der Analgesie. Dieses
Verhalten spricht jedenfalls sehr für die — noch von manchen Autoren
angezweifelte - Realität der hysterischen Sensibilitätsstörungen,
eine Annahme, die zu der von Pit res verfochtenen, sensiblen Are-
flexie bei schweren hysterischen Gefühlsstörungen stimme.
Herren Kraus und Nicolai- Berlin : Ueber das Elektrokardio¬
gramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen.
Herr Kraus führte aus, dass man mit Hilfe des Elektrokardio¬
gramms (d. h. der photographisch registrierten elektrischen Schwan¬
kung, welche jede Herzkontraktion begleitet) im stände ist. manche
pathologischen Verhältnisse des Herzens, besonders muskulöse Er¬
krankungen und Degenerationen zu diagnostizieren und dass es über¬
haupt eine wertvolle Ergänzung der gebräuchlichen Untersuchungs¬
mittel darstelle. In theoretischer Beziehung hat es sich vor allem
beim Studium der Arrhythmien bewährt — so hat es den sicheren
Nachweis einer wahren Hemisystolie erlaubt.
Herr Nicolai .gibt ein Bild von dem Verlauf einer Herz¬
kontraktion, wie es sich aus dem Studium des Elektrokardiogramms
ergibt. Er unterscheidet mehrere einigermassen selbständige Muskel¬
systeme im Herzen; auf Grund anatomischer Untersuchungen scheinen
dies zu sein: die Vorhöfe, die Papillarsysteme beider Kammern, das
Treibwerk und die Spiralfasern. Diese Systeme kontrahieren sich
normaler Weise in einer ganz bestimmten Reihenfolge, und die Re¬
sultierende aus den verschiedenen superponierten elektrischen
Schwankungen ist das normale Elektrokardiogramm, das keines¬
falls, wie es bisher geschah, als einfache diphasi-
sche Schwankungen mit verlängerter erster Phase
erklärt werden kann.
Unter pathologischen resp. experimentellen Bedingungen kann die
Reihenfolge und Richtung der Kontraktionen und damit die Form des
Elektrokardiogramms geändert werden. Manchmal, z. B. bei Vagus¬
reizung, können sich einzelne Abschnitte allein kontrahieren.
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2113
Herr Wohlgemuth - Charlottenburg: Untersuchungen über
das diastatische Ferment in Körperflüssigkeiten und Organen, auf
Grund einer neuen Methode zur quantitativen Bestimmung der Dia-
stase.
Die neue Methode ist eine Grenzmethode und beruht auf der
Eigenschaft der Stärke, mit Jod sich blau zu färben und beim weiteren
Abbau zur Erythrodextrin eine rote bezw. gelbe Farbe anzunehmen.
Die Technik der Methode ist sehr einfach und liefert bei Lösungen,
die reich an diastatischem Ferment sind, bereits in 15 — 30 Minuten
sehr genaue Resultate. W. schlägt vor, den Gehalt an diastatischem
Ferment in 1 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit mit D zu be¬
zeichnen und die Fermentstärke auszudrücken durch die Anzahl
Kubikzentimeter einer 1 proz. Stärkelösung, die durch 1 ccm der
Fermentlösung hydrolisiert wird.
Für den Speichel verschiedener Personen ergab die Untersuchung
151
D 4Qö = 150 — 200. Der Gehalt an Ptyalin wird weder durch die
Nahrungsaufnahme doch durch die Art der Ernährung in irgend einer
Weise beeinflusst. Im Hundemagensaft, der in den 3 untersuchten
Fällen aus dem „kleinen Magen“ nach Pawlow operierter Hunde
stammte, liess -sich niemals eine diastatische Wirkung feststellen.
Während saurer Magensaft bekanntlich das Ptyalin sofort unwirksam
macht, wirkt vorher neutralisierter auf das Ferment ganz beträchtlich
verstärkend. Un-d ebenso wird die Wirkung der Pankreasdiastase
durch neutralisierten Magensaft wesentlich begünstigt. Diese Förde¬
rung der diastatischen Kraft beruht aber nicht auf einem aktivieren¬
den Ferment, sondern auf der Gegenwart von Kochsalz, und es
konnte bewiesen werden, dass es im NaCl vorwiegend das Cl-Ion ist.
welchem diese Begünstigung zukommt. Die gleiche Eigenschaft zeigt
auch das Br-Ion, während das J-Ion sich im wesentlichen indifferent
verhält.
Menschliches -Serum wurde in 30 Fällen auf seinen Gehalt an
diastatischem Ferment untersucht; dabei ergaben sich sehr schwan¬
kende Werte. W. -hält es — analog den Vorgängen in der Pflanze —
für sehr wahrscheinlich, dass die Ernährungsverhältnisse hierbei eine
wesentliche Rolle spielen.
Herr R a u t e n b e r g - Königsberg: Resultate seiner Unter¬
suchungen über Vorhofpulsation beim Menschen.
An der normalen Kurve markiert sich die Vorhofsystole als
Welle, der Beginn der Ventrikeldiastole durch tiefen Abfall der Kurve.
Im Beginn der Ventrikelsystole (s) schaltet sich die „Ventrikelzacke“
dazwischen. Bei Fällen von Dissoziation der Vorhöfe und
Ventrikel treten Interferenzerscheinungen an der Kurve auf. zwischen
den durch Vorhofaktion und -den durch Ventrikelsystole bedingten
Wellenbewegungen. Die Parese -des Vorhofes (Mitralfehler. Myo¬
degeneration) ist deutlich an der Aenderung der Kurve erkennbar.
Nach Erholung durch Digitalisgebrauch tritt dann wieder normales
Aussehen der Vorhofpulsation auf. Experimentaluntersuchungen am
Tier ergeben die Uebereinstimmung der osophag. Pulsation mit der
des rechten Vorhofes, so dass -diese Methode auch klinisch als zu¬
verlässig zu betrachten ist und die Berechnung der Dauer von
Vorhof- und Ventrikelsystole usw. gestattet. Die gleichzeitige Regi¬
strierung des Venen- und Vorhofpulses bei Mensch und Tier hat er¬
geben, dass die Schwankungen des Venenpulses sich gegen die ur¬
sächlichen Druckschwankungen des Vorhofes in ungleichmässiger
Weise verspäten, dass mit der Vorhofwelle synchron im Venenpulse
eine positive Druckschwankung vorkommt und dass der Anstieg der
Venenwelle ventrikulärer Natur ist. Zum Schlüsse demonstriert Vor¬
tragender Kurven eines Herzklappenfehlers, bei dem Pulsation aller
4 Herzabteilungen -an der äusseren Brustwand sichtbar sind, und
Kurven von ventrikulären und aurikulären Extrasystolen, die einen
deutlichen Einblick in die Herzarbeit gestatten.
Diskussion: Hering, Minkowsiki, Rautenberg.
Herr Mayer-Brünn: Zur Klinik der Erkrankungen des lym¬
phatischen Apparates.
Vortragender bespricht die Symptomalogie der von den übrigen
Affektionen des hämatopoetischen Apparates abzutrennenden Krank¬
heitsbilder der Leukosarkomatose und der unter dem Bilde der Pseu¬
doleukämie auftretenden Lymohdrüsentuberkulose.
Als charakteristisch für die Leukosarkomatose hält er neben den
übrigen Symptomen eines eventuell auftretenden Tumors den Blut¬
befund, der sich durch grosse, einkernige Zellen mit schwach tingier-
baren und mit Vakuolen versehenen Kernen . charakterisiert. Er
vertritt -bei der Auffassung dieser auch diasikopisch demonstrierten
Blutbilder die S t e r n b e r g - B a b e s sehe Annahme, dass es sich
hierbei gegenüber der Auffassung von Türk und Pappen heim
um Geschwulstzellen handelt.
Bezüglich der zweiten Affektion, die auf chronisch-entzündlicher
Grundlage zu stände kommt, bringen seine Beobachtungen eine Be¬
stätigung des Befundes von Schur, sowie Hitschmann und
5 t r o s s, indem in derartigen Fällen das Auftreten einer polymorph¬
kernigen Leukozytose eine Diagnose -ermöglicht: jedoch tritt dies
nicht in demselben Falle zu allen Zeiten auf, woraus sich auch -eine
Erklärung für die negativen Befunde anderer Autoren ergeben würde.
Herr S i c k - Stuttgart: Beitrag zur Mechanik des Magens.
S i c-k - T e d e s c o - Wien berichten über experimentelle Unter¬
suchungen, die sie unter Uebertragung der Magnus sehen Methode
(Untersuchung des überlebenden Darms im Sauerstoff-Ringerbad) auf
den Magen erhalten haben.
Die Befunde, die sie hinsichtlich der motorischen Verrichtungen
des Fundusteiles feststellen konnten, sind von Interesse und prak¬
tischer Bedeutung. Es zeigte sich, dass die Muskulatur des Fundus¬
abschnitts sofort reflektorisch erschlaffte, sobald Inhalt, wenn auch
nur unter ganz geringem Druck in ihn eintrat. Es war dies eine
aktive Erweiterung, eine aktive Diastole des Magens, die nicht durch
die physikalischen Verhältnisse einer elastischen Blase erklärt wer¬
den konnten, denn- diese Reaktion fehlte beim toten und -nicht leichen¬
starren Magen und war im Pförtnerteil des Magens nicht nachweis¬
bar. Eine Anzahl Beobachtungen weisen darauf hin, dass diese Stö¬
rungen der Erweiterungsfähigkeit des Magens auch in der Patho¬
logie der Motilität des Organs Berücksichtigung finden müssen. Be¬
merkenswert ist, dass Ueberdehnung des Hauptmagens rhythmische
peristaltische Wellen erzeugte, deren graphisch aufgezeichnete Kur¬
ven die grösste Aehnlichkeit hatten mit solchen, die Sick bei Pa¬
tienten mit Pylorusstenose vom Fundus des Magens gewinnen konnte.
Abteilung für Chirurgie.
Herr v. M a n g o 1 d t - Dresden: Ueber das Endschicksal des im¬
plantierten Rippenknorpels.
Während dem embryonalen Knorpel bei seiner Uebertragung in
andere Gewebe eine ausserordentliche Proliferationskraft innewohnt
(Versuche von Zahn und Leopold), gilt dies nicht im gleichen
Grade von dem einmal ausgebildeten Knorpel. Dieser verfällt nach
den Versuchen von O 1 1 i e r und T i z z o n i nach kurzer oder längerer
Zeit der Resorption. Diese Tatsache hat wahrscheinlich bisher davon
abgehalten, den Knorpel zu chirurgischen Plastiken zu verwenden.
Vortragender hat seit 1897 wiederholt Uebertragungen, und zwar von
hyalinem Rippenknorpel zum Zweck der Einheilung in das Knorpel¬
gerüst des Kehlkopfes zur künstlichen Erweiterung desselben bei
Narbenstenosen, ferner zur Beseitigung von Defekten am Kehlkopf,
wie an der Trachea, endlich zur Heilung der Sattelnase gemacht.
Bei diesen Versuchen wurde auf Erhaltung und Mitübertragung des
Perichondriums besonderes Gewicht gelegt, weil dieses noch am
ehesten Aussicht bietet, den Knorpel am Leben zu erhalten. Seine
Rippenknorpelübertragungen sind inzwischen von verschiedenen Au¬
toren mit Erfolg wiederholt worden. Die Frage nach dem späteren
Schicksal des transplantierten Riopen-knorpels am Menschen blieb
bisher noch ungelöst. Vortragender zeigt nun, dass ein mit Peri-
chondrium unter die Halshaut in das Unterhautzellgewebe über¬
tragenes Rippenknorpelstück, das einer *43 jährigen Frau eingesetzt
wurde, noch nach 8 Jahren wohl erhalten bleibt, seine alte Form
bewahrt und sich auch nach dem mikroskopischen Befunde als
lebend erweist. Für das Weiterleben des übertragenen Knorpel¬
stückes spricht die nachweisbare Wucherung der Knorpelzell-en unter
dem Perichondrium, die Verteilung der Knorpelzellen über den
ganzen Knorpel, sowie das Fehlen ausgedehnter, regressiver Ver¬
änderungen, endlich die Tatsache, dass sich der Knorpel in allen
seinen Teilen in differenzierender Weise färben lässt. Das Peri¬
chondrium hat in einzelnen Teilen den Knorpel ganz umwachsen: her¬
vorzuheben aber ist, -dass sich eine Wucherung der Knorpelzellen nur
dicht unter dem alten Perichondrium findet, während an dem gegen¬
überliegenden Schnittrand, wo die tieferen Knorpellagen sich finden,
keinerlei Wucherung der Knorpelzellen wahrzunehmen ist. Dieser
Rand ist so scharf geblieben, als wäre das Knorpelstück erst frisch
übertragen. Aus diesem Befunde geht hervor, dass zwar eine ge¬
wisse Knorpelneubildung vom alten Perichondrium ausgeht, dass
sich diese aber nicht -auf die tiefer liegenden Zellagen des Knorpels
erstreckt. Diese führen vielmehr wie es scheint ein eigenes Leben,
und bleibt es zweifelhaft, ob diese grossen Zellen mit Kernen und
mächtiger hyaliner Zwischensubstanz überhaupt aus den Perichon-
driumz-ellagen hervorgehen. Den Ueb-ergang von den kleinen, mehr
parallel zu einander liegenden Zellschichten unter dem Perichon¬
drium in die mediale Zel'lage. wo sich die grossen Knorpelzellen
finden, ist ein meist ziemlich unvermittelter, und ist dies tinktioriell
manchmal recht auffallend nachweisbar. Dass diese medialen Zell¬
lagen in ihren Lebensbedingungen von dem Perichondrium abhätigen.
geht daraus hervor, dass sie ohne dieses zu gründe gehen, während
andererseits der Beweis noch nicht erbracht ist. dass bei reiner
Uebertragung vom -Perichondrium mit seiner Zellage sich -ein echter
hvaliner Ripoenknorpel mit all seinen typischen Zellschichten wieder
bildet. Die Tatsache, dass der mit Perichondrium übertragene Rio-
penknorpel am Leben bleibt. .sichert ihm für plastische Operationen
als Stütz- und Füllmaterial eine hervorragende Bedeutung.
Redner demonstriert dies an 5 Kranken, bei welchen vor 7 — 8
Jahren die Rippenknorpelübertragung zur Anwendung kam.
In 2 Fällen wurde durch Einheilung eines Rippenknorpelstückes
zwischen die Schildknorpelplatten nach Larvngofissur eine Erweite¬
rung des strikturierten Kehlkopfes erreicht, in einem Falle durch
Rippenknorpelübertragung eine verlorengegangene ganze Schild¬
knorpelplatte ersetzt, in einem weiteren ein grösserer Trachealdefekt
geschlossen, endlich bei Sattelnase der Nasenrücken neu gebildet und
'die flottierenden Nasenflügel durch Einziehung von Knorpelspangen
versteift. Alle diese Patienten sind seitdem gesund geblieben, und
lassen sich an ihnen die eingesetzten Rippenknorpelstücke noch als
wohlerhalten nachweisen.
Herr K ö n I g - Altona: Studien aus dem Gebiete der Knochen¬
brüche.
2114
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
König weist auf die Bedeutung systematischer Nachunter¬
suchung in kl. Röntgenogramm von disloziert verheilten Knochen-
briichen hin. Wenn man aus dem Bild eines durch brückenförmigen
Kallus an der Vorderseite versteiften Ellbogens sehen kann, dass
die Ursache die versprengten Trümmer einer Fraktur des Radius¬
köpfchens abgaben, so erlaubt das den Schluss: in solchen Fällen muss
man künftig alsbald operativ eingreifen. Umgekehrt beweist die
tadellose Funktion von disloziert verheilten Unterschenkelbrüchen,
dass hier eine forcierte Verfolgung der anatomischen Korrektion
völlig überflüssig wäre.
Interessante Resultate ergibt solche „retrospektive Betrachtung“
'bei kindlichen Frakturen. Vortr. demonstriert an Röntgenbildern
von in Kallus befindlichen und nach 1 — 5 Jahren nachuntersuchten,
disloziert verheilten Brüchen des Oberschenkels, Unterschenkels so¬
wie des Humerus am Ellbogen, wie grosse Knochenkanten aufgesogen
werden, wie von dem dislozierten Schaft der ganz freistehende Teil,
weil unnütz, im Dicken- und Längenwachstum zurückbleibt und da¬
durch monmentane Bewegungshemmungen später wieder verschwin¬
den. Sogar Verkürzungen werden zum Teil wieder gut gemacht
Andererseits freilich gibt es auch beim Kinde prognostisch
schlechte Dislokationen. Dazu gehören Verbiegungen des Femur
nach aussen, die verschlimmert werden können, sowie die konse¬
kutiven Veränderungen 'der Gelenkstellung. So gehen die Valgus-
oder Varusstellungen z. B. am Ellbogen nicht zurück, und natürlich
sind halbe oder völlige Verdrehungen, z. B. des Condyl. ext. humeri
im Gelenk keiner Aenderung fähig.
Danach kann man manche Dislokationen bei kindlichen Frak¬
turen etwas vernachlässigen, andere aber bedürfen der andauernden
Aufmerksamkeit. Zum grössten Teil genügen unsere redressiven
Massnahmen, aber bei intraartikulären Zertrümmerungen und Ver¬
drehungen sollten wir bei Kindern und Erwachsenen alsbald nach ge¬
stellter Diagnose die Fraktur freilegen, reponieren, nähen, und erst
dann in geeigneter Weise weiterbehandeln.
Herr A. B e c k e r - Rostock: Die endemische Verbreitung der
Echinokokkenkrankheit in Mecklenburg.
B. hat die M a d e 1 u n g sehe Sammelforschung über die endemi¬
sche Verbreitung der Echinokokkenkrankheit in Mecklenburg für
die Zeit von 1884 — 1905 inkl. fortgesetzt. Es sind während dieser
22 Jahre im ganzen 327 Fälle von Echinokokkuserkrankungen beim
Menschen in Mecklenburg zur ärztlichen Kenntnis gekommen. B.
hat' alle für das gehäufte Vorkommen dieser Seuche in Betracht
kommenden Faktoren untersucht und kommt zu folgenden Ergeb¬
nissen :
Es ist seit der Madelung sehen Sammelforscnung eine nicht
unbeträchtliche Zunahme und nicht, wie irrtümlich vielfach ange¬
nommen wurde, eine Abnahme der beim Menschen ärztlich be¬
obachteten Echinokokkenerkrankungen in Mecklenburg zu ver¬
zeichnen.
, 2. Die Verbreitung der menschlichen Echinokokkenerkrankungen
auf die einzelnen Landesteile von Mecklenburg ist im Verhältnis die
gleiche geblieben, insofern auch heute noch der Südwesten von
Mecklenburg nur vereinzelte Erkrankungsfälle aufweist, dieselben sich
jedoch um so mehr häufen, je weiter man nach Osten und Norden
geht.
3. Die Zahl der Hunde in Mecklenburg hat erheblich zuge-
nofnmen und zwar in stärkerem Grade als die der Bevölkerung.
4. Der mecklenburgische Hund beherbergt die Taenia echino-
coccus häufiger als Hunde in echinokoikkenarmen Gegenden.
5. Der grösste Teil der an Echinokokkus erkrankten Mecklen¬
burger gehört den niederen Ständen an, ein grosser Teil solchem Be¬
rufe, der anerkanntermassen viel mit Hunden in Berührung kommt.
Ein grosser Teil der erkrankten Patienten gibt zu, sich viel mit
Hunden beschäftigt zu haben.
6. Der Viehreichtum von Mecklenburg hat seit 1883, obgleich
eine erhebliche Abnahme der Schafzucht stattgefunden hat, im gan¬
zen doch erheblich zugenommen und zwar in stärkerem Masse als
die Bevölkerung.
7. Auch heute noch weist Mecklenburg die grösste Schafzucht
in ganz Deutschland auf; und zwar wird in den Aushebungsbezirken
von Mecklenburg, wo die meisten Echinokokkenerkrankungen beim
Menschen Vorkommen, auch die Schafzucht am intensivsten betrieben.
8. Mecklenburg weist im Verein mit Vorpommern von ganz
Deutschland den höchsten Prozentsatz von echinokokkenkrankem
Schlachtvieh auf.
9. Die Frage, ob die Echinokokkenkrankheit bei den Haustieren
in Mecklenburg im Abnehmen begriffen ist, kann mangels zuver¬
lässigen statistischen Materials heute noch nicht mit Sicherheit ent¬
schieden werden. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, dass die
Seuche beim mecklenburgischen Vieh im Rückgang begriffen ist.
10. Dass jedenfalls keine weitere Zunahme, sondern wahr¬
scheinlich eine Abnahme der Hundewurmkrankheit beim mecklen¬
burgischen Schlachtvieh stattgefunden hat, ist auf die in den letzten
20 Jahren hierselbst zur Durchführung gekommenen Massnahmen
zurückzuführen, in erster Linie auf die Errichtung von sachgemäss ge¬
leiteten Schlachthäusern mit Schlachthauszwang.
11. Ein Einfluss dieser hygienischen Massnahmen im Sinne eines
Riiokganges auch der menschlichen Erkrankungsfälle hat sich bisher
wegen der oft über Jahrzehnte sich erstreckenden Latenzzeit der
menschlichen Echinokokkenkrankheit nicht geltend machen können.
Herr G r u n e r t -Dresden: Die chirurgische Behandlung der
Prostatahypertrophie.
Das starke Prävalieren der Prostatektomie in der Debatte über
die Behandlung der Prostatahypertrophie hat den Vortragenden ver¬
anlasst, die vorhandenen Statistiken durchzusehen, bezw. wenn keine
Statistiken vorhanden waren, die Angaben in der Literatur statistisch
zu verwerten zur Beantwortung der Fragen:
1. Was leisten die einzelnen Operationen in Bezug auf den
Erfolg?
2. Welche unbeabsichtigten Ereignisse treten nach den einzelnen
Operationen auf?
3. Welches ist die Mortalität bei den einzelnen Operationen?
Katheterbehandlung und palliative Blasenoperationen scheiden
für diese Fragen aus.
Die Vasektomie gibt im Mittel 30 Proz. Heilungen, die doppel- *
seitige Kastration 45 Proz., die B o 1 1 i n i sehe Operation 52 Proz..
die Prostatektomie 85 Proz. Die Mortalitätsziffern sind in derselben
Reihenfolge 0, 3,75, 6,25 und 7,5 — 12 Proz.
Ueble Folgen nach der Operation sind: nach Vasektomie keine,
nach Kastration psychische Störungen, nach Bottini (wie überhaupt
nach Prostatotomie) Nachblutungen und Rezidive durch Weiter¬
wachsen der Prostata, nach Prostatektomie Impotenz, Incontinentia
urinae, suprapubische und perineale Urinfisteln, Rektourethralfisteln.
Strikturen am Blasenhals und psychische Störungen.
Eine Kombination von Vasektomie auf der einen und Kastration
auf der anderen Seite hat dem Vortragenden in 6 Fällen gute Er¬
folge ohne nachteilige Folgen gegeben.
Diese Operation wird vorgeschlagen, ' jedem Prostatiker zu
machen, sowie sich die ersten Symptome der Rrostatahvpertrophie
zeigen. Bei der absoluten Gefahrlosigkeit dieses Eingriffes sollte
er bei keinem Prostatiker, der auf den Katheter angewiesen ist.
unterbleiben, denn 30 Proz. dieser Kranken werden, ohne in die ge¬
ringste Gefahr zu kommen, dadurch den Katheter wieder los.
Bleibt der erwartete Erfolg aus, so ist nichts geschadet worden,
und man kann sich immer noch für ein ferneres Katheterleben oder
einen weiteren chirurgischen Eingriff entscheiden.
Intelligente Patienten soll man selbst entscheiden lassen, indem
man ihnen die Gefahren des Katheterismus und die Aussichten der
Operation wahrheitsgemäss schildert. Mit unintelligenten Patienten
wird man schneller fertig; ihnen wird man den Katheter nicht in
die Hand geben können, ihnen wird man die Operation Vorschlägen
müssen.
Ob man jetzt erst noch einen weiteren Versuch mit der Bot¬
tini sehen Operation macht, oder ob man sogleich die Prostatektomie
ausführt, das wird jeweilig von dem betreffenden Falle abhängen.
Herr A. F r e u d e n b e r g -Berlin demonstriert ein von ihm an¬
gegebenes Evakuationskystoskop, das gestattet, verschiedene
Katheter beliebigen Kalibers , immer mit derselben Optik zu
armieren, und so für die Evakuation immer das grösste Kaliber anzu¬
wenden, das noch die betreffende Harnröhre passiert. Auch als
einfaches Kystoskop und als Kvstoskop nach Lohnstein-Güte r-
b o c k schem Prinzip kann das Instrument Verwendung finden.
Herr K e 1 1 i n g - Dresden : Ueber die Ergebnisse serologischer
Untersuchungen bei Karzinom.
K e 1 1 i n g hat 600 verschiedene Patienten mit seiner biochemi¬
schen Methode untersucht. 200 wurden mit der Präzipitinmethode.
400 mit der hämolytischen Methode untersucht. Von den Karzinom-
kranken wurde mehr als jeder fünfte Fall, von den Nichtkarzinom¬
kranken durchschnittlich jeder achte Fall mindestens zweimal geprüft.
265 Fälle waren maligne Geschwülste, davon betrafen 230 den Ver¬
dauungskanal mit 108 Dositiven Reaktionen, davon 93 auf Huhn; 8
Fälle betrafen Mammakarzinome (2t). 9 Uteruskarzinome (lt) und
18 diverse Karzinome (9 t) innerer Organe; 9 Fälle betrafen maligne
Blutkrankheiten (4 perniziöse Anämie [4f], 4 Leukämie [4tl. 1
Pseudoleukämie); 6 gutartige Geschwülste, welche keine Reaktion
gaben, und 320 andere Fälle. Insgesamt kamen auf 265 maligne Ge¬
schwülste 119 Reaktionen, auf 100 Fälle also 43,4, auf 320 andere Fälle
11 Reaktionen, also auf 100 Fälle 3,4 (darin stecken einige Fehler-
auellen, die vermieden werden können). In 28 Fällen wurde die
Diagnose „okkulter Krebs“ allein auf die Reaktion hin gestellt: 17
Fälle davon unterzogen sich der Operation. 8 mal konnte die Ge¬
schwulst entfernt werden, 4 Patienten davon sind zurzeit beschwerde¬
frei und ohne palpable Rezidive. Beim Auftreten der Rezidive treten
die Reaktionen von neuem auf. so dass sie zur Kontrolle auf Rezidiv
verwendet werden können. Die Reaktion tritt dann meist schon inner¬
halb des ersten halben Jahres nach der Resektion auf. Bei einem
Fall wurde die Operation wegen Pylorusstenose ausgeführt: Pat.
zeigte keine Reaktion: später trat in der Bauchnarbe eine Krebs¬
geschwulst auf und mit ihr auch die Reaktion.
Redner zeigt ferner an gastroenterostomierten Patienten, wie
mit der Zunahme des Gewichtes durch den besseren Ernährungszu¬
stand eine vorher fehlende Reaktion auftreten kann. In anderen
Fällen bleibt die Reaktion negativ trotz guter Gewichtszunahme.
Diese beiden Gruppen haben verschiedenes Tumoreiweiss. Spritzt
man das Tumoreiweiss der ersten Gruppe einem Tiere ein. so be¬
kommt man die gleiche positive Reaktion, bei der Einspritzung des
Tumoreiweisses der zweiten Gruppe bleibt sie aus.
Gegen v. Düngern, der auf dem Krebskongress in Frankfurt
K e 1 1 i n g s Untersuchungen als nicht überzeugend hingestellt hat.
führt er aus, dass v. Düngern seine Werte, die für 1 proz. Koch-
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2115
Salzlösung und 4 Stunden Exposition gelten, auf 0,8proz. Kochsalz¬
lösung und 2 Stunden Exposition übertragen hat, ferner aber die
wichtige Kontrollbestimmung, welche die Menge des Immunkörpers
allein bestimmt, gänzlich weggelassen hat. Ausserdem sei das Ma¬
terial ungenügend gewesen (ein Fall von Magenkarzinom für die
Methode, welche zur Diagnose der Magendarmkrebse angegeben wor¬
den ist). Demgegenüber betont K e 1 1 i n g, dass seine serologischen
Untersuchungen im Verlauf von 3 Jahren immer die gleichen positiven
Ergebnisse gezeigt haben.
K e 1 1 i n g empfiehlt die Bluteinspritzungen, welche Bier gegen
Karzinom angegeben hat, zu spezialisieren, nämlich diejenigen Tier¬
blutarten zu nehmen, gegen die der Körper des Geschwulstkranken
an und für sich schon reagiert, und diese Einspritzungen in erster
Linie zur Immunisierung geeigneter Fälle gegen Rezidive zu ge¬
brauchen.
Herr R o s e n b a u m - Dresden hat die K e 1 1 i n g sehe Blut¬
serumdiagnose beim Krebs des Verdauungskanals an 70 Fällen nach¬
geprüft und besonders andere Krankheiten des Verdauungskanals mit
zum Vergleich herangezogen. Er kommt zu ähnlichen Resultaten wie
K., nämlich 54 Proz. positive Ausschläge, und hält die Methode für
wert, nachgeprüft und in der Praxis verwandt zu werden, da sie
sich wesentlich vereinfachen lässt.
Herr P ä s s 1 e r - Dresden : Zur chirurgischen Behandlung des
Lungenemphysems (Exzision von Knorpelstücken aus einer grösseren
Anzahl Rippen).
P. stellt einen mit sehr gutem Erfolg nach Freund operierten
Fall vor und knüpft daran allgemeine Betrachtungen über die Patho¬
logie des Emphysems. Das Operationsresultat sei eine wesentliche
Stütze für die Freund sehe Theorie des alveolären Lungenemphv-
sems, zum mindesten insofern, als dadurch die essentielle Bedeutung
der starren Thoraxdilatation für die Gesamtheit des klinischen Krank¬
heitsbildes „Emphysem“ dargetan wird. Die von Seidel ange¬
gebene und durchgeführte Operationsmethode erlaubt — und das
erscheint besonders wichtig für einen durchschlagenden therapeuti¬
schen Erfolg — , ohne Gefahr und ohne Verletzung eines Nachbar¬
organs auch die 1. Rippe zu durchsehneiden.
Herr St ieda- Halle a. S.: Ueber die chirurgische Behandlung
gewisser Fälle von Lungenemphysem.
Er stellt dabei einen von ihm vor 10 Wochen operierten Fall
von starrer Dilatation des Thorax mit Lungenemphysem vor. der
einen 51jährigen früheren Schiffer betrifft. St ieda resezierte (nach
dem Vorschläge von W. A. Freun d) von der 2., 3. und 4. Rippe
beiderseits Stücke des Rippenknorpels in 2 — 3 cm Länge, von der
2. Rippe ausserdem auch ein Stück der knöchernen Rippe mit sorg¬
fältiger Wegnahme von Perichondrium resp. Periost. Der Zustand des
Pat. ist heute sehr wesentlich gebessert; objektiv ist gegen den
starren Thorax mit Unverschieblichkeit der Lungenränder vor der
Operation, jetzt eine deutliche respiratorische Bewegung des Thorax
mit Verschieblichkeit der Lungenränder um mehrere Zentimeter zu
konstatieren. Vortragender bespricht noch kurz die histologischen
Veränderungen an den exzidierten Rippenknorpeln und rät dringend,
ähnliche Fäile von starrer Dilatation des Thorax mit Lungenemphvsem
rechtzeitig operativ anzugreifen, ehe womöglich die bekannten se¬
kundären Degenerationen sich ausgebildet haben.
Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
(Schluss.)
Sitzung vom 18. September 1907.
Herr Sauer-Bad Steben: Eignung und Wert der physi¬
kalischen Hilfsmittel in der Gynäkologie.
Die physikalischen Heilmittel wirken als mechanische Reize.
Die Wahl der physikalischen Heilmittel — chemische, thermische,
elektrische — ist nicht so von Wichtigkeit, wie die Dosierung. Sie
kommen in der Gynäkologie zur Anwendung bei Lageveränderungen,
bei Menstruationsstörungen, bei mangelhafter Entwicklung der Genital¬
organe, bei alten entzündlichen Prozessen. Die Grösse der Einwirkung
ist bei den verschiedenen Reizmitteln nicht gleich gut bestimmbar, am
besten können wir sie bei den elektrischen Reizen bestimmen. Für
Allgemeinbehandlung empfehlen sich am besten die Temperaturreize.
Die mechanischen Reizungen kommen als manuelle Behandlung, Be¬
lastung und Massage in Betracht. Jede Eiteransammlung, jede akute
Entzündung verbietet Massage; sie kommt in Anwendung bei alten
chronischen Prozessen, namentlich zur Lösung von Adhäsionen, als¬
dann zur Lageverbesserung des Uterus. Aeussere und innere Be¬
lastung können als Unterstützungsmittel in Betracht kommen. Die
Belastung lockert die Gewebe, und wirkt als Vorbereitungsmittel
für Massage günstig. Auch die Staffeltamponade ist in diesen Fällen,
besonders bei chronischen Blutungen ein gutes Unterstützungsmittel.
Die elektrische Behandlung als Faradisation hat nur den Wert
eines Tonikum, das Apostolische Verfahren hat seinen Wert bei
Behandlung der interstitiellen Myome nicht verloren. Sehr wichtig
ist für Behandlung in der Gynäkologie die Anwendung der thermi¬
schen Reize, Kältewirkung und Wärmeeinwirkung; die oberflächlichen
Gefässe erweitern sich, der Stoffwechsel wird beschleunigt. Die ent¬
zündlichen Erkrankungen sind das Hauptgebiet für die Anwendung
der thermischen Reize. Mit dem Abklingen der Entzündungserschei¬
nungen tritt die Wärmewirkung in ihr Recht, bei den akuten Entzün¬
dungen hingegen ist noch immer Eis- und Kälteeinwirkung vorzu¬
ziehen. Die trockene heisse Luft wird von der Haut am besten
vertragen, feuchte Wärme hingegen ist schmerzstillender als trok-
kene, es gehen aber chemische und mechanische Einwirkung voll¬
kommen der örtlichen Anwendung der trockenen heissen Luft und
der feuchten Wärme ab. Bäder, namentlich Sandbäder und Moor¬
bäder, wirken gleichzeitig mechanisch ein, letztere auch hautreizend.
Die Mehrbelastung bei einem Moorbad gegen ein Wasserbad beträgt
21 kg. Es erlaubt die Anwendung höherer Wärmegrade für längere
Zeit, ohne das Allgemeinbefinden zu beeinflussen. Auch eine ther¬
mische Tiefenwirkung ist bei Moorbädern durch Untersuchungen von
Sauer erwiesen, bei einem % vollen Bade stieg die Temperatur
in der Achselhöhle, die freiblieb, von 37— 37,5; in der Uterushöhle
hingegen von 37,2 — 38,5.
Diskussion: Herr Osterloh erwähnt, dass er das A po¬
st o 1 i sehe Verfahren als erster mit angegeben, dasselbe aber längst
verlassen habe.
Herr Arthur M u e 1 1 e r - München : Ueber die Beziehungen
zwischen Kopfformen und Geburtsmechanismus.
In seinen früheren Arbeiten hat Vortragender gezeigt, dass die
während der Geburt erworbene Kopfform, die Konfiguration, ihrer¬
seits von wesentlichem Einflüsse auf den weiteren Geburtsverlauf
wird.
Man kann an dem Austrittsmechanismus und der Kopfform je
5 verschiedene Kopflagen unterscheiden, von jeder gibt es eine dorso-
posteriore und dorsoanteriore Form.
Von der Flexionslage wurde fast immer nur die dorsoanteriore
Lage beachtet, während von den Deflexionslagen wiederum nur die
dorsoposteriore, weil charakteristischer, beachtet wurden.
Zu letzteren wurde fälschlich auch die dorsoposteriore Hinter¬
hauptslage gezählt.
Von den verschiedenen Lagen hat nun jede ihre in Profilansicht
besonders charakteristische Kopfform, welche in der Sagittalscheitel-
kurve am schärfsten zum Ausdruck kommt.
Wenn man den Kopf so einstellt, dass die Gesichtslinie öfter d*e
Frankfurter (deutsche) Horizontale durch den Unterrand der Orbita
und den Oberrand der Gehörgangsöffnung gelegt ist, horizontal liegt,
so zeigt die Sagittalkurve der Profilansicht bei jeder Lage verschie¬
denes Verhalten, deren Modifikationen bei den verschiedenen Lagen
Vortragender schildert.
Da nun bei Erwachsenen alle, wiederholt als für die verschie¬
denen Kopflagen charakteristisch zusammengestellte Profilformen
Vorkommen, ist es interessant, nachzuforschen, ob diese Formen der
Erwachsenen hereditären Einflüssen, dem Geburtsvorgange oder Ein¬
flüssen nach der Geburt zuzuschreiben sind. Dies ist erst möglich
geworden, nachdem die Anthropologen die Profilansicht mehr be¬
rücksichtigten und wenn die Geburtshelfer die verschiedenen Lagen
schärfer trennen, als bisher geschah.
Das Vorhandensein von Dolichokephalie und Brachykephalie ante
partum hat Ruedinger nachgewiesen. Daher können auch die
anderen Kopfformen ante partum hereditär vorhanden sein.
Sind sie dies, so können sie hinwiederum zu den ihnen zukom¬
menden Lagen disponieren, da die Geburt in der entsprechenden
Lage am leichtesten verläuft. Müller hat in der Festschrift für
F. v, W i n c k e 1 näher auseinandergesetzt, wie bei plattem Becken
unter gleichen Durchmessern des Beckens und der Stirne Brachy-
kephalie zu Vorderhaupts-, Dolichokephalie zu Gesichtslagen dispo¬
niert. An einem kleinen Phantom kann man dies veranschaulichen.
Dass post partum der Schädel veränderlich ist, beweisen die
künstlichen Kopfformen mancher Indianerstämme und hat Wal eher
experimentell durch Lagerung bewiesen.
Wenn Geburtshelfer, Hausärzte und Anthropologen Zusammen¬
arbeiten, dürfte auf diesem Gebiete noch manches interessante Er¬
gebnis erzielt werden können.
Herr Arthur M u e 11 e r - München: Ueber die Beziehungen zwi¬
schen Frauenleiden und Darmleiden.
Vortragender hat in verschiedenen Publikationen schon in den
Jahren 1902 und 1903 darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten
Unterleibsentzündungen vom Rektum oder Sigmoideum auf die Ge¬
nitalorgane der Frau überwandern.
Diese schon damals in ihren Beziehungen zu den Bauch¬
organen geschilderte Krankheits- und Symptomengruppe wird in ihrer
chronologischen Entwicklung dargestellt.
Von der durch Obstipatio gereizten und chemisch und mechanisch
entzündeten Darmschleimhaut aus entwickeln sich Darmpolypen,
Darmulzera, Hämorrhoiden, Periproktitis und periproktitische Exsu¬
date und Abszesse; Parametritis, Endometritis, Anteflexio und Retro-
flexio uteri, Perimetritis und Salpingooophoritis. Aufsteigend ent¬
steht Sympathizismus und als Folge Hyperemesis gravidarum. Durch
die Stenosis recti, welche eine Folge der Parametritis posterior ist,
entsteht Dickdarmkatarrh, Darmatonie, Colica mucosa, Sigmoiditis.
Oophoritis sinistra, Zystitis. Vom Wurmfortsatz aus entsteht Sal¬
pingooophoritis dextra, seltener sinistra. Infolge der Intoxikation
können Chlorose, Rheumatismus. Gicht, Neurasthenie hinzutreten oder
verschlimmert werden. Die Therapie besteht in allen Arten der
Wärmeapplikation und der Massage, speziell der Vibrationsmassage
von den Bauchdecken, der Vagina und dem Rektum aus. Letztere
Behandlung hat A. Mueller zuerst angewandt. Wichtig ist, stets
2110
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
weichen Stuhl zu erzielen und durch direkte Behandlung mit Klysmen
und Antisepticis den erkrankten Darm zu heilen.
Die Behauptung, dass 90 Proz. aller entzündlichen Frauenleiden
von Gonorrhöe stammen, hält Vortragender für falsch, hält es viel¬
mehr für viel wahrscheinlicher, dass 90 Proz. vom Darm ausgehen.
Diskussion: Herr Harz betont den grossen Einfluss, den
die Darmerkrankungen auf die Krankheiten der Genitalien üben, na¬
mentlich ist die Obstipatio bei Adnexerkrankungen ein ungünstig
auf den Verlauf einwirkendes Moment, die physikalische Behandlung
sollte daher in der Gynäkologie einen grösseren Raum annehmen
namentlich die Bauchmassage.
Heu Hölk weist auf die Wichtigkeit hin, die chronische Blind¬
darmerkrankungen für die Aetiologie der Frauenkrankheiten haben.
,. ™rr .Leopold: Bei den Erkrankungen bei jungen Mädchen,
die allerdings häufig durch lang bestehende Obstipatio entstehen,
konnte L. Verdickungen und Verengungen der unteren Darmpartien!
wie Mueller, nicht nachweisen. Eine Regulierung der Lebens-
weise ist die Hauptsache. Die Periproctitis anterior ist in der grössten
Anzahl der Fälle auf gonorrhoische Infektion zurückzuführen: die
abweichende Ansicht von Erb ist durch das verschiedenartige Ma-
terial zu erklären. Die Anwendung der Massage bei Periproktitis
ei scheint Leopold kontraindiziert.
Herr Hölk bestätigt die Notwendigkeit der Regulierung der
1na.rr'e?ntlich sah er bei Dysmenorrhöe durch eine vegetabilische
Diät bei Vermeidung von Kaffee gute Erfolge.
Herr Krabler empfiehlt bei der Massage die Einführung eines
\ on K i u g angegebenen Glasstabes in den Mastdarm als Stützpunkt
bei der kombinierten Massage.
Herr G ers tenberg warnt vor Massage bei allen Fällen, in
denen Gonorrhoe besteht oder bestanden hat. Zur Behandlung der
Dysmenorrhöe empfiehlt G. Fomitin, 4 mal täglich 1 Esslöffel.
Heri- Fromme: Ueber die Klassifizierung der in der Scheide
normaler Schwangerer lebenden Streptokokken.
• Die AN'Naheit °^er Artvielheit der Streptokokken ist bisher noch
nicht entschieden. Die Verschiedenheit der Untersuchungen, ob die
: fl eptokokken direkt vom Menschen entnommen, oder in Nährmedien
kultiviert wurden, sind die Ursache für die abweichenden Ansichten
ueJn?dnern Untersucher. Blutagarnährböden sind von grösster
Wichtigkeit für die Differenzierung der Streptokokkenarten, bei dieser
Art der Züchtung kann man 4 Arten von Streptokokken nnter-
leiden (nach Schottmüller). Die puerperalen Strepto-
kokkamiefalle werden nach Fromm stets durch den Streptokokkus
longus (hämolytischer Streptokokkus) verursacht. Es fragt sich nun
ob sich dieser auch bei Schwangeren und im Lochialsekret normaler
}un^nen'Zen ^ ,D€rSC,be wurde bei 100 Schwangeren nie ge-
tunden. Bei 36 Wöchnerinnen wurden 19 mal Streptokokken ge-
iunden. nur .. mal zeigten diese geringe hämolytische Wirkung
Werden bei Streptokokkenerkrankung im Blute Streptokokken
gefunden, so gehören sie dem Streptococcus longus an. Finden sich
Stre^okoicken bei Puerperalfällen im Uterus, so brauchen sie durch-
d.e.Pm'Flii " , tlSChen Streotokokkenarten anzugehören, in
ei St^nw 1St fie Prognosf durchaus günstig: aber selbst wenn
fA X Pp ° lo?*u* IS ,oder s,ch Streptokokken im Blute finden,
ist die Prognose nicht schlecht zu stellen.
Abteilung für Kinderheilkunde.
Sitzung vom 17. September 1907.
Vorsitzender: Herr E s c h e r i c h - Wien.
das artfremde* Eiweiss.' Verl,alten des il,fiendlicl,en Organismus gegen
“f Untersuflhungen hatten zur Aufgabe, zu prüfen, wie der junge
Fiwehs verum, ^erglei<ihe Erwachsenen sich gegen artfremdes
Eiweiss verhalt, wenn dieses direkt in die Blutbahn oder auf sonsti¬
gem parenteralem Wege einverleibt wird. Die Versuche ergaben
ptm deu Junge wachsende Organismus (Kaninchen) die parenterale
Einverleibung des artfremden Eiweisses weit besser und länger als
, Eiwachsene verträgt, weder mit lokalen noch allgemeinen Er¬
scheinungen reagiert und gesund bleibt. Diese Verhältnisse be-
be?ti^matesr \\7er ?s Tier ,juns ist‘ Hat dasselbe ein
nestimmtes Alter (8— 10 Wochen) erreicht, so ist es mit dieser an-
geborenen Resistenz vorbei. In gleichem Masse waren zwischen
erwachsenem und jungem Organismus Unterschiede in der Bildung
a ' In de^D^sTu^s i n6r Antik.ör,peI und Agglutinine konstatierbar
in der D iskussion bespricht Langstein - Berlin auf GrimH
der \ ersuche von B a h r d t - Berlin, die noch nicht publiziert sind die
Unterschiede ,m Abbau des artgleichen Eiweiss bS" hlfifcivorM und
it v°uen- neugeborenen Tieren und weist auf die Resultate hin die
die bisherigen Untersuchungen über die Verdauungsarbeit bei’ der
h del Sf2 VTi artfremdern und arteigenem Eiweiss beim Säugling
der Berliner Universitäts-Kinderklinik ergeben haben
PMÜmiu-w 2 6 •*' °raZ: Dif Res°n*tion des Kolostrums.
, b nilcheinspritzungen rufen bei Kaninchen zwar Antikörper-
b ldung hervor doch sind die gewinnbaren Antisera nur niedrS-
uertige. Injektionen von Erstkolostrum, dem direkt nach der Ge
burt des Kalbes gewinnbaren Kolostrum, schaffen Antisera die das
n]Iüch°aberUI!Iunr0CiJ v Verdünnungen von 1: 12 000 bis 1: 15 000. Kuh-
i .ixh aber nur in Verdünnungen von 1:3000 bis 1:4000 präzipi-
tici eil. Das Erstkolostrum zeigt also bei der Kuh einen hohen Anti¬
gengehalt für Präzipitinserum. Bei Verbitterung von Kuhkolostrum
an neugeborene Hündchen wie an einen Fall von Spina bifida liess
sich mittels eines solchen Antiserums der Uebertritt von Kolostrum¬
antigen ins Blut nachweisen. Die Antigene des Kolostrums ent-
stammen dem Blutserum, welches mit Kolostrumantiserum gleichfalls
I räzipitine gibt. Vergleicht man Kolostrum, Blutserum und Milch
bezüglich ihres Antigengehaltes, so erweist sich als am reichsten an
Antigenen das Kolostrum. Das erklärt sich wohl daraus, dass zur
Zeit der Kolostrumbildung neben Sekretion Resorption immer statt¬
findet. Diese Antigene, gemeinsam dem Blutserum, Kolostrum und
der Milch, gehen aus dem mütterlichen Blute nicht durch die Pla¬
zenta über, denn das Blutserum des neugeborenen Kalbes gibt mit
Kolostrumantiserum keine Präzipitine. Dieses Fehlen der Präzipitin¬
antigene liess es als möglich erscheinen, die bisher nur bei Zufuhr
artfremden Eiweisses in Anwendung gebrachte Präzipitinmethode
auch bei der Resorption arteigenen Eiweisses anzuwenden. Es zeigte
sich, dass 6- 8 Stunden nach der Aufnahme des Erstkolostrums dieses
biologisch^ im Blute nachweisbar wird, dass der höchste Gehalt am
zweiten Tage erreicht wird und dass er allmählich abnimmt. Der
heran wachsende Organismus zeigt eine ständige Zunahme dieser
Stoffe, das erwachsene Tier aber einen ganz konstanten Gehalt. Ob
dieser mütterlichen Mitgift eine teleologische Bedeutung zukommt
will der Vortragende nicht entscheiden. Auffällig bleibe es immer¬
hin, dass dadurch das Blut des Neugeborenen dem des Erwachsenen
ähnlicher wird. Die Einverleibung dieser Stoffe auf enteralem Wege
lasst vielleicht daran denken, dass ihnen eine Rolle im Sinne von
Katalysatoren zukommt, die das schlummernde Leben der Darm-
epithelien auslösen und fördern.
In der Diskussion fragt K ö t tu i t z - Dresden, ob sich bei
den mitgeteilten Versuchen Albumosen im Harne nachweisen Hessen.
Langstein- Berlin betont die Schwierigkeiten des Albumosen-
nachweises im Harn von Kälbern, die eine besonders starke Albu¬
minurie der Neugeborenen zeigen und möchte die Frage als vor¬
läufig nicht entscheidungsfähig ansehen.
Herr M o r o - München: Experimentelle Beiträge zur Frage der
künstlichen Säuglingsernährung.
Herr Pfaundler - München : Säuglingsernährung und Seiten¬
kettentheorie.
Herr M o r o - München: Verhalten des Serumkomplements beim
Säugling.
Herr H e i m a n n - München, referiert durch Herrn Pfaund¬
ler-München: Potentieller Komplementbestand bei natürlicher und
künstlicheir Ernährung.
Die vorstehenden Vorträge erscheinen an anderer Stelle dieser
Wochenschrift.
Herr Pfaundler - München : Dystrophie der Säuglinge.
Die von Heimann, Moro und Pfaundler vorgebrachten
experimentellen Befunde wären mit folgendem Sachverhalt vereinbart.
Dlf.. Nutzstoffe der Milch sind tropholytische Komplemente, die bei
j. u'hcher Ernährung an die Körperzellen des Kindes gelangen und
die Tropholyse vermitteln. Es gibt neugeborene Kinder, die in aus¬
reichendem Masse zur Selbstbeschaffung aller Werkzeuge der zellu¬
laren Veidauung befähigt sind und daher auf Brusternährung nicht
xrng^.!fen s,ind’ Es gibt anderseits solche, die der mütterlichen
Nachhilfe noch jenseits der Geburt bedürfen. Wird ihnen diese ver-
sägt, so kommt es zu einer Ernährungsstörung, einer Dystrophie,
deren Abhängigkeit von der artfremden Nahrung in der Bezeichnung
Hetei odysti ophie zum Ausdruck kommt. Diese beruht auf einer
Herabsetzung des Bestandes an tropholytischen Komplementen Kom¬
plementmangel bedingt eine gehinderte, zelluläre Tropholyse, er be¬
hindert die Nähi Stofferledigung an der Zelle. Auf die Fragestellung,
die sich aus dieser Auffassung für das Wesen der Intoxikation, für die
Wesensverwandtschaft von infektiösen und alimentären Schäden er¬
geben, im Rahmen eines kurzen Referats einzugehen, ist nicht mög¬
lich, deswegen auf das ausführliche im Jahrb. f. Kinderheilk. er¬
scheinende Autoreferat verwiesen sei.
Herr S a 1 g e - Göttingen: Chronische Toxinvergiftung, Ueber-
futterung und Atrophie.
Vortragender versucht abzuleiten, dass gewisse Probleme der
Sauglingsernährung mit biologischen Methoden, die auf der Ehr¬
lich sehen Seitenkettentheorie fussen, angegangen werden müssen.
Er zieht eine Parallele zwischen Immunisierung und chronischer
Toxinvergiftung einerseits, Ueberfiitterung und deren Folgen ander¬
seits. Um auf diesem Wege vorwärts zu kommen, muss zunächst
der Bestand des Säuglingsorganismus an Rezeptoren etc. geprüft und
namentlich das Verhalten der im extrauterinen Leben erworbenen
Rezeptoren studiert werden. Geeignet dazu erscheinen namentlich
die Hämolysine, und Salge teilt eine einfache Methode mit, mittels
der es möglich ist, mit zehnmal geringeren Serummengen als bisher
zu arbeiten.
Andiese Reihe biologischer Vorträge schliesst sich eine umfang-
reiche Diskussion, an der sich C i t r o n, F i n k e 1 s t e i n - Ber-
lin, K o 1 1 n it z - Dresden, S a 1 g e - Göttingen, E s c h e r i c h - Wien
M o r o und Pfaundler - München beteiligen. Hervorgehoben sei'
nur, dass C 1 1 r o n eine von Pfaundlers Auffassung abweichende
Anschauung über die Assimilation des Eiweisses vorträgt und sich
auch dagegen ausspricht, dass Fieber eine Immunreaktion sei. Fin-
15. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2117
k eist ein äussert seine Skepsis an der Bedeutung der Nutz- und
Schutzstoffe. Pfaundler bespricht im Schlusswort seine von
Ehrlich abweichende Auffassung bezüglich der Zwischenkörper.
K ö 1 1 n \ t z bespricht das Problem vom physikalisch-chemischen
Standpunkt.
Herr Eugen S c h I e s i n g e r - Strassburg: Körpergewicht kran¬
ker Säuglinge.
Die Gewichtskurve der kränklichen und irrationell genährten
Säuglinge unterscheidet sich von derjenigen gesunder Kinder zu¬
nächst durch den langsamen Anstieg, indem sich das Geburtsgewicht
durchschnittlich erst im siebenten Monat verdoppelt, im achtzehnten
Monat verdreifacht (statt im fünften bezw. zwölften Monat), ferner
durch ein Alternieren regelmässiger und unregelmässiger Zunahmen,
durch den ausschlaggebenden Einfluss des Ernährungsmodus im
ersten Halbjahr, durch die Hinausschiebung des Maximums der täg¬
lichen Zunahme, durch eine häufige Steigerung der Zunahme nach
dem Abstillen, durch den deutlich hemmenden Einfluss der Hoch¬
sommerhitze, der regelmässiger ist als derjenige der Zahnung. Die
Gewichtsabnahme hängt im allgemeinen ab von der Heftigkeit, noch
mehr von der Dauer der Erkrankung, am meisten aber von dem Er¬
nährungszustand des Kindes vor der Krankheit, wobei sich übrigens
atrophische Säuglinge verschieden verhalten. Bei den akuten Er¬
nährungsstörungen ist der Verlauf der Kurve ausserdem wesentlich
abhängig von der Kombination mit Dyspepsien; dabei lassen sich an
dem ab- und aufsteigenden Schenket der Kurve mehrere durch ver¬
schiedene Ursachen bedingte Phasen unterscheiden, von denen be¬
sonders der bereits in die Rekonvaleszenz fallende Teil der Abnahme
Interesse verdient. Bei den chronischen Ernährungsstörungen und
der Pädatrophie steigt die Kurve überaus langsam und flach an, über¬
dies bei akuten Exazerbationen mit grossen Schwankungen. Kurz¬
dauernde stärkere Zunahme bei der Atrophie sind im allgemeinen
nichts Heilsames; dagegen ist eine anhaltende sprungartige Zunahme,
namentlich im Herbst, von grosser prognostischer Bedeutung. —
Die Gewichtsabnahme bis zum Tode beträgt durchschnittlich bei den
rasch verlaufenden Ernährungsstörungen ein Zehntel, bei den sub¬
akuten Fällen ein Siebentel, bei der reinen Pädatrophie ein Viertel
bis ein Drittel des schon einmal erreichten Höchstgewichts des be¬
treffenden Kindes. Bei den debilen Säuglingen kann man nach an¬
fänglich ziemlich gleichmässigem Verlauf der Kurve später ein drei¬
faches Verhalten beobachten, wobei der Rückstand bereits im zwei¬
ten oder erst etwa im sechsten Lebensjahre oder gar erst in der
Pubertät eingeholt wird. Schwere hartnäckige Rachitis ist aus¬
gezeichnet durch monatelangen Stillstand während des ersten und
unter Umständen auch des zweiten Frühjahrs. Bei der hereditären
Syphilis ist mehr als je sonst das Anfangsgewicht für die weitere
Zunahme massgebend (drei Typen). Bei den akuten Infektions¬
krankheiten, ausser den Masern, wird der anfängliche Gewichtsver¬
lust vielfach noch während der Erkrankung selbst wieder ausge¬
glichen. Hautkranke, namentlich ekzematöse Säuglinge, weisen häu¬
fig abnorm starke Zunahme auf, besonders deutlich bei der Ent¬
stehung des Ekzems. Fettsucht mit auffallend langen Perioden täg¬
lich grosser Zunahme kommt eher bei jungen überernährten Brust¬
kindern als bei älteren überfütterten Flaschenkindern vor.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Oktober 1907.
Vorsitzender: Herr Deneke.
Demonstrationen :
Herr Albers-Schönberg: Gleich nach dem Bekannt¬
werden der Lumiere sehen Methode zur Herstellung von Photo¬
graphien in den natürlichen Farben wurden auf der Röntgenstation
des Krankenhauses St. Georg Untersuchungen angestellt, ob und wie
weit diese Technik für medizinische Zwecke verwertbar sei. Für
künstlerische Landschaftsphotographie hat die geniale Erfindung der
Gebrüder Lumiere unbestritten bewundernswerte Erfolge zu ver¬
zeichnen. Hervorragend, wenn auch noch nicht vollendet, sind die
Ergebnisse der Porträtphotographie. Die letztere kommt neben der
Aufnahme pathologischer Präparate und Mikrophotogramme vor¬
wiegend zu Demonstrationszwecken im Krankenhausbetriebe in Be¬
tracht. Bei der Behandlung von Hautkrankheiten war es stets als
Missstand empfunden worden, dass die, gerade durch ihre Farben sich
auszeichnenden Krankheiten (Kankroide, Lupus, Psoriasis usw.) nur
durch kostspielige und oft nicht naturgetreue Aquarelle wiedergegeben
werden konnten. Dieses ist jetzt anders geworden, denn die
Lumiere sehen Autochromplatten liefern uns vorzügliche und
naturwahre Bilder, die wenn auch nicht in Abzügen reproduzierbar,
doch im Projektionsapparat von ausserordentlichem didaktischen
Werte sind. (Vorführung von Kankroiden, Lupus und Psoriasisfällen.)
Die Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate gewinnt
ebenfalls durch die neue Farbenphotographie, da sie die feinen Farb-
unterschiede in vorzüglicher Weise wiedergibt. (Demonstration einer
tuberkulösen Lunge.) Auch für die Mikrophotographie ist die Methode
anwendbar, wenngleich die Technik hier noch einer weiteren Aus¬
gestaltung bedarf. (Demonstration besonders schöner, von Dr.
J a c k e s - New York hergestellter Präparate von Malariaplasmodien,
Leukozyten (2000 fache Vergrösserung), histolog. Schnitte (Hämatoxi-
linfärbung) u. a. m. Interessant ist ferner, dass man imstande ist,
die im Betrieb befindliche Röntgenröhre zu photographieren. Die be¬
kannte schöne hellgrüne Farbe lässt sich (allerdings nur bei sehr
langer Exposition) zur Darstellung bringen. Auch die Violettfärbung
des Glases einer stark gebrauchten Röntgenröhre ist naturwahr mit¬
tels Autochromplatte zu photographieren. Merkwürdigerweise er¬
scheint die Röntgenröhre im Projektionsbilde absolut stereoskopisch.
Man nimmt deutlich die Kugelform der Röhre mit der darin be¬
findlichen Antikathode usw. wahr (Demonstration). Für die Rönt-
genographie eignen sich die Platten, wie vorauszusehen war, nicht.
Trotzdem wir erst im Anfang der Entwickelung einer für Wissen¬
schaft und Kunst gleich bedeutenden Erfindung stehen, muss den
Leistungen der Gebrüder Lumiere, die nur durch unermüdlichen
Fleiss und grösste Opferwilligkeit zu erreichen waren, die höchste
Bewunderung und Anerkennung gezollt werden.
Herr F ü 1 1 e b o r n gibt die technischen Erläuterungen und de¬
monstriert an einer Reihe von Projektionsbildern den Werdegang
einer Photographie in natürlichen Farben.
2. Demonstration von kinematographischen Aufnahmen von
niederen Lebewesen.
Herr Lauenstein stellt zwei geheilte Fälle von Perforations¬
peritonitis vor. Bei einer 46 jährigen Frau handelte es sich um ein
grosses Ulcus ventriculi perforatum, das 4 Tage nach dem Eintritt
der Perforation operiert wurde und noch zu glücklichem Ende geführt
wurde. — Einem 8 jährigen Knaben war ein Wagenrad über den Leib
gegangen. Gleich nach der Einlieferung ins Krankenhaus Eröffnung
der Bauchhöhle. Als Quelle der Blutung wurde eine Zerreissung des
rechten Leberlappens festgestellt; die Blutung wurde tamponiert.
Ausgang in Heilung.
Herr Wichmann demonstriert 1. eine Frau mit einem Aspirin¬
exanthem. Chronischer Aspiringebrauch seit 3 Jahren. Seit Fort¬
lassen des Mittels bereits Besserung des Gesichtsausschlages, dessen
Differentialdiagnose eingehend besprochen wird.
2. einen Mann mit Darier sehen Tuberkuliden. Bei dem Pa¬
tienten besteht ein -doppelseitiger Spitzenkatarrh.
Herr Franke berichtet über eigene Versuche, die die Reaktion
der Bindehaut auf eingeträufelte Tuberkulinlösung betrafen. Dieses
zur Erkennung der Tuberkulose als diagnostisches Hilfsmittel von
C a 1 m e 1 1 e und anderen Franzosen angegebene Verfahren ist von
W olff-E'isner und C i t r o n nachgeprüft und bestätigt. Auch die
b r a n k e sehen Versuche, die sich ursprünglich genau an Cal-
m e 1 1 e sehe Vorschriften anlehnten und schliesslich zur Herstellung
einer mit Thymol haltbar gemachten 1 proz. Tuberkulinlösung führten,
Hessen die Brauchbarkeit der Methode erkennen. Die Versuche
werden fortgesetzt.
Herr Arning demonstriert lebende und gefärbte Spirochäten
bei Dunkelfeldbeleuchtung.
Herr Nonne: Ueber Lymphozytose- und Globulinunter¬
suchungen der Spinalflüssigkeit bei organischen Nervenkrank¬
heiten.
Die Vermehrung der Lymphozyten im Spinalpunktat ist
vor 5 Jahren von französischer Seite in die Diagnostik der
organischen Nervenkrankheiten eingeführt. Besonders bei Pa¬
ralysen, Tabes und den organischen echtsyphilitischen Hirn¬
erkrankungen finden sich grössere, bisweilen sehr grosse Men¬
gen von Lymphozyten. Gleichwohl ist der positive Ausfall
dieser Untersuchungen nicht bei diesen Krankheiten allein zu
konstatieren, sondern bei einzelnen anderen Nervenkrankheiten
findet man, wie ein Blick auf die linke Hälfte der untenstehenden
Tabelle lehrt, auch eine Lymphozytose, deren Hochgradigkeit
allerdings diejenige der 3 oben genannten Krankheiten nicht
erreicht.
Man hat daher die Bestimmung der Globuline als diagnosti¬
sches Kriterium herangezogen, Untersuchungen, die nach der
Entdeckung von französischen Forschern auf deutscher Seite
von Henkel, Meyer und C i m b a 1 ausgebaut sind, ohne
dass damit eine sichere, in wichtigen Fällen einwandsfreie
diagnostische Hilfe gefunden wurde. Nonne hat nun mit
A p e 1 1 und Schum m diese Globulinuntersuchungsmethode
etwas modifiziert: Eine gesättigte Lösung von Ammonium¬
sulfat wird mit der gleichen Menge Spinalpunktat vermischt.
Tritt nach 3 Minuten eine Trübung ein, so ist die Reaktion
positiv ausgefallen. Nonne bezeichnet diese Reaktion als
Phase I-Reaktion, weil sie nur in zeitlicher Beziehung (der
Zeitpunkt von 3 Minuten ist willkürlich gewählt, hat sich aber
als praktisch brauchbar erwiesen) von den sonst angegebenen
Reaktionen sich unterscheidet. Diese Phase I-Reaktion ist
der Lymphozytenbestimmung überlegen. Sie stellt ein feineres
Reagenz auf die Krankheiten dar, um deren Differentialdiagnose
es sich handelt. Sie ist auch viel einfacher und bequemer als
die Lymphozytenuntersuchung, zu der man einer Zentrifuge und
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4 2.
Jiltj _
mikroskopischer Untersuchungen bedarf. Das Auftreten von
Globulinen ist dabei ebenso ein Frühsymptom wie das Vor¬
handensein von Lymphozyten.
Eigene Fälle
Literatur
Zahl der Fälle
Positive Phase 1
Reaktion in
Proz.
Zahl der
untersucht.
Fälle
Positiver
Zellbefund
in Proz.
Zahl der
Fälle
Positiver i
Zellbelund
in Proz.
56
97
331
98
Dementia paralytica
22
100
76
95
95
95
Tabes dorsalis
17
93
36
75
14
80
Lues III
15
92
5
40
76
40
Lues II
5
20
2
100
15
100
Lues congenita
2
100
35
33
18
44
Ueberstandene Lues
18
0
19
4
17
6
Alkoholismus
12
0
13
15
21
15
Epilepsia idiopathica
10
0
12
33
15
23
Apoplexia sanguinea
—
—
14
23
15
24
Sclerosis multiplex
—
—
5
40
14
65
Tumor cerebri
3
33
20
0
37
0
Neurasthenie, Hysterie
12
0
5
0
6
0
Gesunde
12
0
Die praktisch wichtige und oft schwer zu entscheidende
Frage, ob es sich um einen Neurastheniker handelt, der einmal
Syphilis gehabt hat, oder ob es sich um einen Fall von be¬
ginnender Paralyse handelt, lässt sich durch die Phase-I-
Reaktion beantworten. In einem Fall von Tumor cerebri war
allerdings auch diese Reaktion positiv ausgefallen.
Werner.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. August 1907.
Vorsitzender: Herr Goldschmidt.
Herr Hagen demonstriert:
1. Ein durch Operation einer Bauchstischverletzung gewonnenes
Diinndarmstück (Resektion), welches bei einer Länge von 25 cm
8 Stichverletzungen aufweist, von denen immer je 2 einander gegen¬
überliegen. An den Bauchdecken war dabei nur eine 1,5 cm breite
glatte Stichwunde vorhanden. Man muss wohl annehmen, dass die
betreffende Dünndarmschlinge stark geschlängelt war und so von
dem verletzenden Instrument in seinen einzelnen (4) Windungen auf-
gespiesst wurde. Die betr. Schlinge lag in der linken Fossa iliaca,
wodurch ein Ausweichen ihrerseits verhindert worden war. Ausgang
in Heilung. Vortr. nimmt Gelegenheit, die Therapie der offenen Bauch¬
verletzungen kurz zu streifen, welche stets in einer operativen Frei¬
legung der Wunde und eventueller sofortiger Laparotomie bestehen
soll.
2. Fine Reihe von operativ gewonnenen Appendices vermiculares
(Frühoperation bei verschiedenen Stadien der pathologischen Ver¬
änderungen).
3. Fine in eine linksseitige Schenkelhernie isoliert eingeklemmte
und torquierte Appendix epiploica der Flexura sigmoidea.
4. Das Präparat einer Hodentuberkulose. Der betreffende Pa¬
tient war vor Vz Jahre an einer rechtsseitigen Hodentuberkulose
operiert worden. Damals war eine Beteiligung der Samenbläschen
nicht nachweisbar. Bei der diesmaligen Operation fand sich eine
linksseitige Hodentuberkulose. Nunmehr waren auch die Samehbläs-
chen deutlich erkrankt. Vortr. bespricht die gegenwärtigen Anschau¬
ungen über den Verbreitungsweg der Tuberkulose des Genital¬
apparates und nimmt für den vorliegenden Fall an, dass es sich
um eine primäre hämatogene Infektion (bei bestehender
Lungentuberkulose) beider Testes gehandelt habe, die bei dem einen
Hoden langsamer zur Entwicklung gekommen sei. Von hier aus sei
es entlang dem Sekretstrom sekundär zu einer Erkrankung der Samen-
blaschen gekommen.
Herr Mainzer spricht über die theoretische und thera¬
peutische Bedeutung des L e d u c sehen intermittierenden
Gleichstromes.
\ oii den beiden in der Praxis wesentlich verwendeten
^troniarten dient der faradische fast nur zur Erzielung nicht
spezifischer Wirkung; diese sind in 1 herapie und vor allem in
der Diagnostik dem galvanischen Strom Vorbehalten. Das
Zurücktr eten des faradischen Stroms gegenüber dem gal¬
vanischen ist durch die in der Praxis tatsächlich noch be¬
stehende Unmöglichkeit ihn zu messen bedingt; für die Elektro¬
diagnostik wenigstens eignete er sich durch seinen Charakter
mehr als der galvanische. Wir erhalten die charakteristischen
Reaktionen der Elektrodiagnostik als Reaktionen der Schlies-
sungs- und Oeffnungszeit des Stroms; diese Periode des Stroms
zeigt ihn als variablen durch kondensatorische Eigenschaften
des Körpers etc. nicht als konstanten, und die Einwirkungszeit
des Stroms ist nicht kurz genug, um den Widerstand des Kör¬
pers unverändert zu lassen; und dieser Widerstand selbst in
seiner Abhängigkeit von physikalischen, chemischen und bio¬
logischen Verhältnissen und seiner dadurch wechselnden
Grösse beeinflusst die Stromstärke. Daher kommt es, dass die
Breite der normalen Erregbarkeitswerte der Nerven oft 3—5
mal so gross ist als der Mittelwert. Der Stand der Elektro¬
diagnostik ist in Wahrheit unbefriedigend. Der faradische
Strom wäre durch die Kürze der Reizdauer und die grössere
Unabhängigkeit vom Widerstand vorzuziehen, wenn er nur
messbar wäre. Die Einführung der Kondensatoren, deren Ent¬
ladung bei entsprechender Wahl ihrer Grösse von genügend
kurzer Zeitdauer und exakter Berechenbarkeit ist, enthält einen
grossen Fortschritt; äussere Gründe hemmen die allgemeine
Anwendung. Einen messbaren Strom faradischen Charakters
in oben ausgeführter Beziehung gibt uns Le du cs intermit¬
tierender Gleichstrom. Der positive Teil, der Schliessungs¬
draht, ist unterbrochen; die Unterbrechungsstellen gehen in
zwei Drahtbürsten aus, deren gegenseitige Entfernung ver¬
ändertwerden kann. Von diesen Bürsten rotiert der breite Rand
einer Scheibe, der durch 4 gleich grosse Metallbänder, durch
Isolationsmasse von einander getrennt, gebildet wird. Wenn
beide Bürsten auf dem gleichen Metallband laufen, ist der Strom
geschlossen, sonst geöffnet. Durch Veränderung der Rotations¬
geschwindigkeit der Scheibe kann die Zahl der Unter¬
brechungen in der Zeiteinheit, durch Veränderung der Ent¬
fernung der Bürsten die Dauer der einzelnen Schliessung ge¬
wechselt werden. Beide Grössen sind messbar bezw. leicht
berechenbar; eventuell könnte eine empirische Skala ihre so¬
fortige Ablesung gestatten. Die Dauer der Stromschliessung
drückt die Dauer der Reizung des Nerven aus; diese wichtige
Grösse ist dadurch leicht feststellbar; die Spannung und Inten¬
sität des Stroms und der Widerstand sind leicht messbar.
L e d u c hat nun festgestellt, dass die Reizdauer von 0,001 Sek.
einen optimalen Reiz für den Nerven bildet, da bei grösserer
und kleinerer Reizdauer eine höhere Spannung zur Erzielung
der Minimalzuckung nötig ist. Vortragender erhielt in einer
grösseren Versuchsreihe gleichfalls den Wert 0,001—0,002 Sek.
Eine allgemeinere Gesetzmässigkeit dahinter zu vermuten, ge-
stattet der Vergleich mit der Tatsache, dass es einen Konden-
satoi von optimaler Kapazität in obigem Sinne gibt, dessen
Entladungszeit den gleichen Wert wie die optimale Reizzeit be¬
tlägt. Die Ausdehnung der diesbezüglichen Kondensatoren¬
versuche ist gross genug, um eine allgemeine Gültigkeit
für das Nervensystem annehmen zu können. Vielleicht ist die
Latenzzeit der Muskelreaktion bei Nervenreizen, die eben
0,001 Sek. beträgt, bestimmend für die optimale Reizzeit. In
einer Reihe von Versuchen an paretischen Muskeln nach
Schädigung des peripheren Nerven konnte Vortragender eine
optimale Reizzeit längerer Dauer feststellen; allerdings um¬
fassen die Versuche nicht alle Stadien von Degenerationen und
keine degenerative Veränderung konnte von Anfang bis zu
Ende vei folgt werden. Es kann kaum mehr als die Hoffnung
ausgesprochen werden, dass unter Verfeinerung der technischen
Anordnung der Wert der optimalen Reizzeit leicht zu be¬
stimmen sein werde, und eine exaktere Grösse als die jetzige
in der Elektrodiagnostik sein werde. Vortragender bespricht
die Erscheinungen der lokalen und allgemeinen Narkose die
der intermittierende Gleichstrom nach L e d u c erzeugt. Setzt
man die Kathode auf einen Nervenstamm auf, so tritt bei ent¬
sprechender Stromspannung Anästhesie, Hyperalgesie, event.
oberflächliche Analgesie und Herabsetzung des Muskelsinns
auf; völlige Analgesie konnte Vortragender nie konstatieren.
Lasst man die Kathode auf der Stirn wirken, so erhält man
bei bestimmter Versuchsanordnung Ausschaltung der Sprach-
und Bewegungsfähigkeit, Aufhebung der Reflexe der oberen
Extremitäten bei dämmerhaftem Bewusstsein; Rubinowitsch
kam bei Selbstversuchen bis zu völliger Ausschaltung des Be¬
wusstseins; zu starke Ströme sistieren die Atmung, stärkere
die Herztätigkeit. Zu praktischer Verwertung der allgemeinen
Narkose fehlen vorerst und wahrscheinlich dauernd die Vor-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2119
15. Oktober 1907.
aussetzungen. Die lokale Narkose hat Vortragender seit
2 Jahren zur Behandlung von Neuralgien benutzt- Bei Neu¬
ralgien tiefer liegender Nerven war der Erfolg nicht besser als
ihn die übliche elektrische Behandlung erwarten liess; dagegen
übertraf der intermittierende Gleichstrom die übliche galva¬
nische Anwendung in der Therapie der Trigeminusneuralgien
teils durch schnellere Wirkung, teils durch Heilung resp. weit¬
gehende Besserung in Fällen, wo vorher die gewöhnliche elek¬
trische Behandlung wirkungslos geblieben war; aber nicht
immer waren Erfolge beschieden. Es ist ratsam, in schwereren
Fällen einen Versuch damit zu machen.
Herr Hubrich referiert eine Arbeit von Wittmaack:
„Ueber Schädigungen des Gehörs durch Schalleindrücke“.
Herr B u 1 1 e r s demonstriert das operativ gewonnene Präparat
einer traumatischen Darmperforation durch Hufschlag.
Herr Stein berichtet über 4 Fälle von Appendizitis.
XIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und
Neurologen.
Zu der am 26. und 27. Oktober 1907 in Leipzig stattfindenden
XIII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und
Neurologen beehren sich die Unterzeichneten Geschäftsführer er¬
gebenst einzuladen.
Sonnabend, 26. Oktober von 8 Uhr abends an gesellige Ver¬
einigung im Theatef Restaurant (Augustusplatz).
Sonntag, 27. Oktober I. Sitzung: 9 Uhr vormittags im Hör¬
saal der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität. II. Sitzung :
1 Uhr nachmittags ebendaselbst. Festmahl: 4Vz Uhr nachmittags im
Ratskeller (Burgstrasse).
Anmeldungen zu weiteren Vorträgen werden baldigst, Anmeldung
zu der Teilnahme am Festmahl (Gedeck 4 Mark) bis zum 22. Oktober
an den 1. Geschäftsführer Flechsig erbeten.
Gäste willkommen.
Die Geschäftsführer:
Flechsig - Leipzig. W i n d s c h e i d - Leipzig.
Verschiedenes.
Aus dem Budget des Königreichs Bayern für die Jahre 1908 und 1909.
Militäretat.
Beim Kriegsministerium soll in der Medizinalabteilung, deren Ge¬
schäfte in einer Weise angewachsen sind, dass sie von dem vor¬
handenen Personal unmöglich mehr bewältigt werden können, eine
Vermehrung der Abteilungsreferenten um einen Stabsarzt erfolgen.
Die Ausdehnung der Dienstgeschäfte des Generalstabsarztes der
Armee machen die Schaffung einer Sanitätsinspektion, einer Dienst¬
stelle zwischen dem Generalstabsarzt und den Korpsgeneralärzten,
erforderlich. Bei dem preussischen Kontingent bestehen seit 1906 vier
solche Inspektionen; die ihnen zugedachten Aufgaben sind: a) Kon¬
trolle über den baulichen Zustand, die Einrichtung und den Dienst¬
betrieb der Lazarette; b) Leitung des ärztlichen Dienstes und Ueber¬
wachung der Einrichtungen des Genesungsheimes; c) Prüfung, Ueber-
wachung und Verbesserung des Sanitätsmaterials; d) Ueberwachung
der wissenschaftlichen Fortbidung des Sanitätsoffizierskorps;
e) Ueberwachung des ärztlichen Dienstes beim Ersatzgeschäft und
bei den Invalidenprüfungen; f) Beobachtung und Feststellung der
hygienischen Verhältnisse im gesamten Geschäftsbereiche, besonders
in Beziehung auf die Sanierung der Bezirke und auf Seuchenbe¬
kämpfung; g) Kriegsausbildung und Kriegsvorbereitung des Sanitäts¬
korps. Der Sanitätsinspektor ist zugleich Vorstand des Operations¬
kursus. Für den Bureaudienst bei der Inspektion wird ihm 1 Stabs¬
arzt und 1 Sanitätsunteroffizier (Schreiber) zugeteilt. Beim Ope¬
rationskurs kommt 1 Oberstabsarzt als Vorstand in Abgang. Der
Gehalt des Sanitätsinspekteurs ist mit 10 260 Mk. und 900 Mk. Zu¬
lage angesetzt
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 14. Oktober 1907.
— Ein staatliches Erziehungsheim, das vorbildlich zu werden
verspricht, entsteht z. Z. in der „Schülerheimkolonie des
Arndt -Gymnasiums“ bei Berlin. Dort wird im Randgebiet
des Grunewalds in der Domäne Dahlem ein Gymnasium mit Alumnat
errichtet, das die Prinzipien eines Landerziehungsheims mit den Vor¬
teilen einer staatlichen Schule verbinden wird. Die Anstalt wird mehr
als 25 Morgen Landes bedecken; auf diesem ausgedehnten Areal er¬
hebt sich das Unterrichtsgebäude und, in die Gartenanlagen verstreut,
die „Schülerheime“, stattliche Landhäuser, in denen 'je ein Lehrer
des Gymnasiums mit seinen Angehörigen, (oder falls er unverheiratet
ist, mit einer Hausdame), mit einem Assistenteh und mit etwa 15
Schülern als Pflegesöhnen wohnen wird. Durch diese Verteilung der
Schüler in kleinere Gruppen soll der unpersönliche Charakter eines
grossen Alumnats zu gunsten kleiner familienhaft und behaglich äus-
gestatteter Lebensgemeinschaften vermieden werden, ohne die wirk¬
lichen Vorteile einer grossen Anstalt mit kräftigem Korpsgeisf'zu ver¬
lieren. Der Lehrplan der Anstalt ist der des humanistischen 'Gym¬
nasiums, jedoch mit besonderer Betonung der Pflege körperlicher
Uebungen. Für diese ist durch ausgedehnte Fussballwiesen, Tennis¬
plätze, durch Gelegenheit in Schwimmen, Rudern und Eislauf auf dem
benachbarten Grunewaldsee, der durch besonderen Erlass des Kaisers
den Zöglingen freigegeben wurde, Sorge getragen. Der Handfertig¬
keitsunterricht wird in besonderen Werkstätten erteilt. Vor den
privaten Landerziehungsheimen hat das Arndt-Gymnasium den
grossen Vorzug des staatlichen Charakters, den eine bessere Aus¬
wahl des Lehrpersonals garantiert, als sie bei privaten Anstalten
möglich ist und den Drill auf Examina unnötig macht, unter dem
die Landerziehungsheime jetzt leiden. Selbstverständlich können nur
körperlich, seelisch und intellektuell durchaus gesunde Kinder aus
gebildeten deutschen Familien in die Schülerheimkolonie aufgenommen
werden. Die Kosten werden die einer guten „Pension“ nicht über¬
steigen.*) — Die neue Anstalt bedeutet die Anerkennung des Prinzips
der Landerziehungsheime durch den Staat, zunächst durch den preus¬
sischen Staat. Dass dieses Prinzip ein gesundes ist, ist durch die
guten Resultate der Landerziehungsheime zur Genüge erwiesen.
Trotzdem haben sich die Regierungen den Landerziehungsheimen
gegenüber z. T. wenig entgegenkommend verhalten. Dass jetzt ein
deutscher Staat selbst mit der Errichtung einer den Landerziehungs¬
heimen nachgebildeten Anstalt vorangeht, begriissen wir als einen
grossen Fortschritt unseres deutschen Schulwesens auf dem Wege
zur Erziehung eines nicht nur gelehrten, sondern auch gesunden
und kräftigen Geschlechtes.
— Die deutsche Kaiserin hat dem Grafen v. Posadowsky-
Wehner, der gleichzeitig mit dem Ausscheiden aus seinem Amt
den Vorsitz im Präsidium des deutschen Zentralkomitees zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose niederlegte, ein in den wärmsten Worten
abgefasstes Dank- und Anerkennungsschreiben für seine Tätigkeit im
Zentralkomitee zugehen lassen. Wenn der systematische Kampf
gegen die Verheerungen dieser Volksseuche, so heisst es in dem
Schreiben, Erfolge zu zeitigen beginne, so dürfte sein Name unter den
ersten genannt werden, die daran beteiligt sind.
— Die feierliche Enthüllung des Leichtenstern-
Denkmals findet am 20. Oktober 1. J. im Augusta-Hospital zu
Köln statt. >n
— Der Zentenar- Jubiläumsfonds des Pensionsvereins für
Witwen und Waisen bayerischer Aerzte, dessen
Zinsen den Eintritt von unbemittelten Kollegen durch ganze oder
teilweise Zahlung der Jahresbeiträge ermöglichen sollen, hat durch
die Beiträge der Herausgeber der Münchener medizinischen Wochen¬
schrift, vieler ärztlicher Bezirksvereine und einzelner Aerzte gegen¬
wärtig die Höhe von 11 228 Mk. 50 Pfg. erreicht. Weitere Zu¬
wendungen wären sehr erwünscht. Beiträge nimmt der Geschäfts¬
führer, Hofrat Dr. Daxenberger, München-Gern. Düllstrasse 23
entgegen.
— Vom „Jahresbericht über die Fortschritte auf
dem Gebiete der Erkrankungen des Urogenital¬
apparate s“ begründet von weil. Prof. M. N i t z e und Dr. S.
Jacoby, ist jetzt der 2. Jahrgang, Bericht über das Jahr 1906, er¬
schienen. Verlag von S. Karger in Berlin. Preis 16 Mk.
— Der offizielle Bericht über die IV. Versammlung der
Tuberkulose-Aerzte in Berlin, den 24. und 25. Mai 1907, her¬
ausgegeben von Oberstabsarzt a. D. Dr. N i e t n e r, Generalsekretär
des deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose ist
soeben im Verlag des Zentralkomitees (Berlin W 9, Eichhornstr. 9)
erschienen. Gleichzeitig erschien der Bericht über die Verhand¬
lungen des deutschen Zentralkomitees zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose in der II. Generalversammlung
am 23. Mai 1907 in Berlin.
— Cholera. Russland. Nach den amtlichen Ausweisen im
„Regierungsboten“ sind am 21., 22., 23. und 24. September in Russland
noch 91 — 194 — 117 — 133, zusammen 535 Personen an der Cholera er¬
krankt und 39 — 92—60 — 60, zusammen 251 der Cholera erlegen. Spä¬
teren amtlichen Angaben zufolge sind am 25., 26., 27., 28. und 29. Sep¬
tember in ganz Russland noch 133 — 109 — 74 — 54—112, zusammen
482 Personen an der Cholera erkrankt und 56 — 36 — 51 — 26 — 56, zu¬
sammen 225 der Cholera erlegen. — Straits Settlements. In Singapore
wurden vom 21. bis 27. August 22 und in der folgenden Woche vom
28. August bis 3. September 10 Cholerafälle gemeldet. — Japan. In
Moji schien sich zufolge einer Nachricht vom 22. August die Cholera
zu verbreiten; unter den etwa 49 000 Einwohnern der Stadt waren bis
dahin 76 Erkrankungen, darunter 40 mit tödlichem Ausgang vorge¬
kommen, auch hatte die Seuche auf einige Nachbarstädte, u. a. Schimo-
noseki, übergegriffen. An Bord von Seeschiffen sind in Kobe am 28.
und 30. August 3 Cholerafälle beobachtet, von denen einer alsbald
tödlich verlief. Zufolge einer Drahtnachricht vom 1. Oktober waren
in Yokohama 18 Cholerafälle amtlich festgestellt. Aus Formosa wird
berichtet, dass auf 2 von Moji am 31. August und 2. September in
*)Eine eingehendere Darstellung findet sich in Tägl. Rundschau,
i Unterhaltungsbeilage No. 233 u. 234, 1907.
212Ü
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Kelung eingetroffenen japanischen Dampfern mehrere tödlich ver¬
laufene Cholerafalle beobachtet worden seien, weswegen die Schiffe
in Quarantäne gelegt wurden.
Pest. Aegypten. Vom 21. bis 28. September wurden in ganz
Aegypten noch 3 neue Erkrankungen (und 3 Todesfälle) an der Pest
festgestellt. — Algier. Zufolge einer Mitteilung vom 29. September
ist in Oran der Ausbruch der Pest amtlich festgestellt. — Britisch-
Ostmdien. Vom 18. bis 24. August sind in ganz Indien 3691 Personen
an der 1 est gestorben und 5285 neue Erkrankungen gemeldet. —
Japan. Nach den bis zum 20. August vorliegenden Nachrichten wurden
in Osaka seit Beginn dieses Jahres 72 Erkrankungen an der Pest be¬
obachtet, von denen 70 tödlich verlaufen sind; in Yokohama nebst
Umgebung erkrankten bis zum 9. August noch 18 Personen an der
Pest, sodass sich hier die Gesamtzahl der Pestfälle vom 23. Mai bis
23. August auf 21 belief, von denen 16 mit dem Tode geendet haben.
— Vereinigte Staaten von Amerika. In San Franzisko waren nach
den neuesten Angaben der Publ. Health Reports seit dem 12. August
bis zum 17. September 29 Personen an der Pest erkrankt und 17 der
Seuche erlegen.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 22. bis
28. September sind 21 Erkrankungen (und 11 Todesfälle) angezeigt
worden.
— In der 39. Jahreswoche, vom 22. bis 28. September 1907,
cPuT d£utschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Bielefeld und Schwerin mit je 4,9, die geringste Ham-
iorn mit 33,1 Todesfällen pro. Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Königshütte,
Magdeburg, an Diphtherie und Krupp in Buer, an Unterleibstyphus in
Solingen, an Keuchhusten in Borbeck, Heilbronn. V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
P c, r ^ U1'. Aar Vorschlag des preussischen Kultusministeriums
S“5+ever Prozent an der Universität Berlin und Prosektor am
Stadt. Krankende Moabit Professor Dr. Westenhoeff er von
der Chilenischen Regierung zum ordentlichen Professor für all¬
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie an die Universität
° Jn e berufen- Ausser der Direktion des pathologischen
Instituts der Universität übernimmt er auch die Direktion sämtlicher
Laboratorien der vom öffentlichen Wohlfahrtsausschuss abhängigen
öffentlichen Krankenanstalten. Mit der Berufung ist der ehrenvolle
Mm/r X VRpbUnnden’ d£n UntTTicht in der Pathologischen Anatomie
B®ZiehunSf;n zwischen den Kliniken zum pathologischen
Institut nach deutschem Muster einzurichten.
G r e i f s w a 1 d. Der erst eben als Nachfolger Geheimrat Mar-
S We pTh6 +Dlr,ektor der, Universitäts-Frauenklinik Professor Dr.
b t o e c k e 1 hat, ehe er noch seine hiesige Tätigkeit begonnen, einen
Ruf nach Marburg erhalten und angenommen. An seine Stelle ist
neiher der bisherige Privatdozent in Berlin Professor Dr. Henkel
berufen. Derselbe hat den Ruf angenommen.
Heidelberg. Dr. med. Alfred Schwenkenbecher
Iiivatdozent und Assistenzarzt bei Geheimrat Krehl an der
Heidelberger medizinischen Klinik, hat den Ruf als a. o. Professor und
angenommen?5 (hc°)eS50rS d e 1 a C a m 0 ™ d« Universität Marburg
Rat ProfesSn?nr^StFrc der KieJefr Hochschule, der wirkl. Geheime
rotessoT D/- v- Esmarch feierte am 7. X. in aller Stille sein
, jähriges I rofessorenjubiläum. Aus Anlass dieses Gedenktages
^ W° d der ^aiser wie der Kultusminister Holle Glück-
rwk thteieSramme ?es,andt ~ Der Qe'h- Med.-Rat Dr. H e 1 f e r i c h
gnöügt gesehenem ‘ F hat Sich aUS Gesundheitsrücksichten
tigt gesehen uni die Enthebung von seinem Amte nachzusuchen.
iUh ' n'(-Uer , T dungs^urs für praktische Aerzte an der
Akademie für praktische Medizin wird von ca. 130 Aerzten aus
3eAerCztbndenUndAuSi fCSUcht’ darunter ca. 40 Ausländer und
o Aerztmnen. Auch die Professoren Geheimrat Schultze und
SS 'X'0^0' Dr- M 0 1 [i 6 von deT Handels?
liehe ' professifr für" 7äfh!.h€I-itJni^ersität ist eine zweite ausserordent-
iuie 1 rotessur für Zahnheilkunde errichtet worden. Diese wurde
dem herzogl. sachsen-meiningenschen Hofzahnarzt Wilh P f a f f in
Dresden vom 1. April 1908 ab übertragen.
Geh Me^-Rat" Prof X ffn VOm, Lehramte zurückgetretenen
der Gehnrtshilfp ,?n'nDr A -V d wunde zum ordentlichen Professor
uer ueburtshille und Gynäkologie un.d Direktor der Frauenklinik nn
der Universität Marburg der erst vor kurzem nach Greifswafd he"
ru ene Ordinarius, Prof. Dr. med. Walter Stoeckel ernannt De?'
selbe wird bereits zum bevorstehenden Wintersemester das Mar
burger Lehramt übernehmen, (hc.) Hiersemester ,üas Mar-
schenMFak,?ltäf“n.i.D?r al|v«r?hrt?i Senior der Münchener medizini-
DozenteSubUänm V ° "' fe‘er*e ™ 8' d' M' sei" 50iähr-
Basel. Dr. med. Oswald Löb hat sich als Privatdozent für
experimentelle Pathologie in der medizinischen Fakultät der Uni¬
versität Basel niedergelassen, hc.
Buenos Aires. Dr. M. Acufia wurde zum ausserordentlichen
Professor der Kinderheilkunde ernannt.
n , N u a P o !• Zu ausserordentlichen Professoren wurden ernannt'
L)r. h. 1 adula (chirurgische Anatomie und Operationslehre), Dr N
laue (Bakteriologie).
Ofen-Pest. Dr. L. J. Rohr er habilitierte sich als Privat¬
dozent für medizinische Chemie.
v ^ u d, >U a‘. E. O r e f i c e habilitierte sich als Privatdozent für
Kinderheilkunde.
,.T r.a Zu ausserordentlichen Professoren an der tschechischen
medizinischen Fakultät wurden ernannt die Privatdozenten Dr
R. Jedhcka (Chirurgie), Dr. St. Ruzicka (Hygiene).
n * ° m S k- DLer ausserordentliche Professor der Kinderheilkunde
i. v. 1 lmascheff wurde zum ordentlichen Professor ernannt.
(Todesfälle.)
,.In Frankfurt a M starb der bekannte Hygieniker Geheimer
Medizinalrat Dr. Wilhelm Grandhomme, früher Kreisarzt der
Stadt Frankfurt. 73 Jahre alt.
M ,.D.r- St^SWrifh-in Wi.Iders’ früher Professor der gerichtlichen
Medizin an der Universität Birmingham.
Dr. J Henry Jackson, Professor der Physiologie an der Uni-
versity oi Vermont zu Burlington.
In Sarajevo starb am 9. Oktober der Primararzt und Leiter
Leopold QSi;ü‘cekrZeS0ViniSChen Landess'pitals> Landessanitätsrat Dr.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
R a ^c>e r 6 r * a ^S^-n Gr- Franz Grillmeier in Falkenstein,
B.-A. Roding, seit 2o. IX. 07, appr. 1907.
V et z°gen: Dr. Stefan Wurm von Tittmoning nach Haag
in Oberbayern. **
• Er"ann!: De,r prakt Artzt Df. Franz Gebhardt in Haag,
seiner Bitte entsprechend, zum Bezirksarzt I. Klasse in Viechtach.
c v 'ür-Se!'zt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. August Lüst in
beurenbmUnChen &UI Ansuchen in &lecIier Eigenschaft nach Kauf-
, , +QeNsTt0,rben: B- Stoeckl, K. Bezirksarzt a. D., zu¬
letzt in Neunburg v. W., in Mainburg, im 66. Lebensjahr.
Korrespondenz.
Eine Festsetzung der Vergütungen für ärztliche Dienstleistungen auf
dem Verordnungswege.
Burghaslach, 11. Oktober 1907.
... A^ ^Lhluss zur Korrespondenz über: Eine Festsetzung der Ver-
?a an.gen für ärztliche Dienstleistungen auf dem Verordnungswege
ist folgendes zu berichten:
Das Versicherungsamt für bayerische Verkehrsanstalten (Post-
Krankenkasse) lress mir auf meine wiederholte Verweigerung der
Anerkennung des Tarifs zur Kenntnisnahme nunmehr mitteilen, dass
H]ir b's. auf weiteres bei Inanspruchnahme meiner Dienste die niedrig¬
sten Satze nach der Kgl. Allerh. Verordnung vom 17. Oktober 1901
zugestanden werden.
Also doch ein Erfolg von der grundsätzlichen Verweigerung der
Anerkennung des Tarifs. Eine weise Lehre für die Zukunft sollte doch
aus diesem EinzelfaH gezogen werden. Es kann dem Ansehen des
ärztlichen Standes nur schaden, wenn sich einzelne Mitglieder aus
urcht, in Ungnade bei einer Kasse zu fallen, herbeilassen, unter
den Sätzen der Armentaxe förmliche Tarife anzuerkennen.
Dr. Weber.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 39. Jahreswoche vom 22. bis 28. September 1907
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 19 (11*)
Altersschw. (ub. 60 J.) 7 (5), Kindbettfieber 1 (1), and. Folgen der
Geburt —- (“~)i Scharlach - (-), Masern u. Röteln -(1), Diphth. u.
Krupp 3 (4), Keuchhusten — (D, Typhus —(—), übertragb. Tierkrankh.
- (-), Rose (Erysipel) - (-), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
nraltes7nrgMfti- ? (3>> ' Tuberkul. d. Lungen 20 (20), Tuberkul. and.
ürg. 8(6), Miliartuberkul. —(1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 10 (4)
Influenza -(— ), and übertragb. Krankh. - (3), Entzünd, d. Atmungs-
organe 1 (3), sonst. Krankh. derselb. 4 (3), organ. Herzleid. 15 (11),
Kr d-Krflslaaf,f0fg- (einschl. Herzschlag) 6 (9), Gehirnschlag
l (2K Gßisteskrankh. 1 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 7 (4), and.
Krankh d Nervensystems 3 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
E1e?rufg) V- i40)’, ?rankb- d- Leber 4(3), Krankh. des
Bauchfells 1 (— ), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 5 (5), Krankh. d.
EaJnxrU' hlechtsorg. 2 (5), Krebs (Karzinom Kankroid) 11 (18),
and. Neubildg. (einschl Sarkom) 1 (-), Selbstmord 2 (-), Tod durch
fremde Hand ( ) Unglücksfälle 2 (2), alle übrig. Krankh. 3 (5).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 183 (174). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 17,4 (16,5), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,5 (10,8).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
von i. F. Lc«H)*<n. in München — Pmc)( von r MiihllJvilpr« Ruch nn<1 Kiinvtilnirkerpi A O . Münrhpn
Oje Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe n< wöchentlich
Jm Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen
Nummer 8<i 4- * Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
^ ö—., , Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf¬
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 8V1— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. • Für
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. v. Angerer, Ch. Bäumler, 0. r. Bollinger, H. Curschmann, B. Uelferich, Wj. Leute, G. Merkel, J. t. Michel, F. Penzoldt, B.t Banke, B. Spatz, B.v.Winckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
No. 43. 22. Oktober 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Die experimentelle Pharmakologie.
Von Dr. B. N a u n y n in Baden-Baden.
Die Unruhe, welche unsere Zeit charakterisiert, kommt
kaum irgendwo deutlicher zum Ausdruck, als in der Entwick¬
lung der Pharmakologie: Wir erleben es hier, dass eine Dis¬
ziplin an hochwichtigen Stellen als veraltet und absterbend be¬
trachtet zu werden droht, während sie sich selbst mit Recht
noch jung und im Besitz noch stetig wachsender Kräfte fühlt
und sich mit Recht rühmen kann, dass sie noch täglich Boden
gewinnt und,, auch äusserlich genommen, noch täglich erstarkt.
Was die Pharmakologie wissenschaftlich leistet und wel¬
chen Ansehens sich die auf ihre Rechnung zu setzenden Publi¬
kationen erfreuen, davon legt die Blüte und die unbestrittene
Achtung und der Erfolg Zeugnis ab, dessen sich das Archiv
für experimentelle Pathologie und Pharmakologie rühmen
kann; und dass die experimentelle Pharmakologie tatsächlich
noch auf dem aufsteigenden Aste ihrer Entwicklung steht, das
beweist wohl auch die Tatsache, dass nicht nur im Auslande
fast alljährlich neue Professuren mit glänzend ausgestatteten
Instituten für sie geschaffen werden, sondern auch soeben erst
wieder in Deutschland (in Freiburg und Tübingen).
Es würde dies kaum geschehen, wenn nicht von den mo¬
dernen Therapeuten ebenso wie von uns älteren Klinikern das
Bedürfnis nach wissenschaftlicher Analyse und Kritik der Arz¬
neiwirkung und nach entsprechender Unterweisung der Medi¬
zinstudierenden empfunden würde; vielleicht heut um so drin¬
gender, als die täglich wachsende Zahl der von der Industrie
auf den Markt gebrachten Heilmittel zu roh empirischer Poly¬
pragmasie und zu bedenklichem Experimentieren an Kranken
zu führen droht. Nicht nur anatomisches und physiologisches
Wissen, sondern auch gründliche theoretische Kenntnis von der
Wirkung der Arzneimittel und Gifte gehört heute zur unent¬
behrlichen wissenschaftlichen Bildung des Arztes. Hierzu ge¬
nügt keineswegs der einfach deskriptive Unterricht in der Ma-
teria medica, sondern ist die experimentelle Pharmakologie un¬
entbehrlich; diese soll — um mit Schmiedeberg zu reden
— dem Arzte ein Wegweiser werden um die Ziele zu er¬
kennen und ins Auge zu fassen, die dann auf den verschiedenen
Wegen der praktischen Therapie erstrebt werden mögen.
Demgegenüber fehlt es aber nicht an Stimmen, die der
heutigen Pharmakologie Verknöcherung oder gar Unfrucht¬
barkeit vorwerfen und ihr gegenüber die neu und glänzend
erstandene experimentelle Therapie als Konkurrenten aufzu¬
stellen geneigt sind.
Die für die experimentelle Therapie gegründeten Institute
haben schnell grosse Anerkennung erworben, und man schickt
sich hier und da vielleicht bereits an, sie — die experimentelle
Therapie — als den legitimen Erben der alten experimentellen
Pharmakologie anzusehen.
Die Vorliebe, deren sich die Institute für experimentelle
Therapie an massgebender Stelle erfreuen mögen, wäre wohl
begreiflich: Die bereits existierenden Institute derart sind zwei
genialen Männern auf den Leib zugeschnitten und das Genie
dieser Männer trägt sie! Ausserdem aber sind diese Institute
von vornherein dadurch in eine sehr günstige Lage gebracht,
No. 43.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
dass sie der besondere Behandlung einiger bestimmter Wis¬
senszweige geweiht wurden, deren Kultur die wichtigsten
praktischen Konsequenzen bereits zu zeitigen begann oder in
kürzester Zeit zu zeitigen in Aussicht stellte — mit Spannung
folgt man seit ihrem Entstehen jeder ihrer Lebensäusserungen.
Demgegenüber hat die Pharmakologie durchaus und mit
vollem Bewusstsein nicht nur verschmäht, ihre praktischen
Erfolge geltend zu machen, sondern es geradezu abgelehnt,
direkt praktischen Zielen nachzugehen! Sie hat sich von An¬
fang an als wissenschaftliche Disziplin gehalten, die sich selbst
und nur sich selbst und ihren wissenschaftlichen Aufgaben lebt;
da wird dann leicht die Fühlung mit der Praxis vermisst und
solcher Standpunkt erscheint gar dünkelhaft und überwunden.
Freilich nur dem Fernstehenden, denn wer diese Dinge kennt,
weiss, dass jede neue wissenschaftliche Disziplin sich so stellen
muss. Gerade für uns in Deutschland lehrt die Geschichte
wie das immer so gegangen ist und wie die Blüte und Leis¬
tungsfähigkeit aller der verschiedenen in schneller Reihenfolge
sich abspaltenden Disziplinen und damit die Blüte und Leis¬
tungsfähigkeit der gesamten Wissenschaften auf dieser
stolzen Selbständigkeit beruht, die sich jede einzelne — ange-
masst hat. Die Früchte für die Praxis sind nirgends ausge¬
blieben und auch die Pharmakologie, so jung sie noch ist,
hat deren genug gezeitigt.
Zunächst um mit dem Augenscheinlichsten zu beginnen —
man schilt über die übertriebene Produktion von neuen Mitteln,
und doch denke man sich einen Arzt ohne: Antipyrin,
Phenazetin, Salol, Aspirin, Chloral, Veronal, Kokain, Supra-
renin, Diuretin etc. etc. — das sind einige wenige der un¬
entbehrlichen Drogen, die wir der Pharmakologie danken.
Einen wichtigen Schritt hat die Pharmakologie ferner getan,
indem sie aus natürlichen Drogen den wirksamen Bestand¬
teil isolierte, darstellen und kennen lehrte (Digitoxin, Strophan¬
tin, Kokain, Hyoszyamin etc.). Auch hier praktische Erfolge
vollauf und täglich neue in Sicht! Viel mehr aber als das was
sie so selbst direkt der Praxis geholfen hat, gilt die Aus¬
arbeitung der Methoden für die Untersuchung all dieser
Drogen — auf diese Seite der pharmakologischen Arbeit
komme ich sogleich noch zurück.
Es ist richtig, dass die Pharmakologie in ihrer Zurück¬
haltung nach einer Seite vielleicht zu weit gegangen war; es
hat lang gedauert, bis sie sich entschlossen hat Fühlung mit
der Serologie zu nehmen und diePharmaka, welche diese bietet,
in den Bereich ihrer Forschung zu ziehen. Erst vor wenigen
Jahren ist dies geschehen; doch hegen bereits Ergebnisse vor,
welche hoffen lassen, dass auch auf den nun ihr durch die
Serologie erschlossenen Gebieten der Pharmakologie Erfolge
beschieden sein werden.
Es ist für mich kein Zweifel, dass die experimentelle Pliai-
akologie die Serologie in sich aufnehmen muss und wird,
enigstens so weit es sich um die chemische und physiologi-
:he Erforschung der Körper handelt mit deren Kraftäusse-
mgen diese uns bekannt gemacht hat, und dass die Serum-
rschung solcher Mitarbeit der experimentellen Pharmakologie
i ihren Problemen durchaus bedarf; denn ihre, der Phaima-
Hogie, Sache ist es, über die Methoden zu verfügen oc.ei
jlche zu finden, deren es zur Darstellung dieser Körper uni
im a 1 1 s e i t i g e n Studium ihrer Zusammensetzung und \v n -
2122
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
kungsweise bedarf. Die Einseitigkeit der Methodik, mit der
die Serumforschung bisher arbeitet ist der Grund, weshalb sie
auch heute noch manchem Misstrauen begegnet und es scheint,
dass sie aus sich allein zur Entwicklung einer vielseitigeren
Methodik nicht kommen will. Möge sich die Pharmakologie
die Anregung, die sie bei der Serumforschung finden kann
immer mehr zu Nutzen machen — sie kann dort viel davon
holen. Sie wird und darf aber hierdurch nicht an eine unter¬
geordnete Stelle gedrängt werden; im Gegenteil es ist hier
ein neues w eites Arbeitsfeld eröffnet, auf dem wir ihre Mit¬
arbeit nicht entbehren können und auf dem auch sie neuen
Ruhm ernten wird.
. Nichts wäre bedauerlicher und verfehlter, als wenn die
Meinung aufkommen und wirksam werden sollte, das Studium
der Arzneistoffe und Arzneiwirkungen, das ist die experi¬
mentelle Pharmakologie, habe als systematisches Lehrfach und
als eigenartiges unbegrenztes Forschungsgebiet nicht mehr
ihre volle Berechtigung. Im Gegenteil, ich bin der Meinung,
sie sei heute wichtiger geworden und nicht zum Wenigsten im
Hinblick auf die neuen Probleme, die ihr von jener neu erstan¬
denen, anderen Zielen zustrebenden Schwesterwissenschaft ge¬
steckt werden!
Zur Behandlung der Dysmenorrhöe von den Brüsten aus.
Von Prof. Dr. Hermann Freund in Strassburg.
Unter Dysmenorrhöe verstehen wir den gestörten Ablauf
des Menstruationsprozesses, der sich bald mehr durch Schmer¬
zen, bald mehr durch auffälliges Verhalten des Blutflusses
kennzeichnet. Es sind mithin verschiedenartige Symptome,
die wir mit dem Sammelausdruck Dysmenorrhöe bezeichnen;
sie können mancherlei organischen oder nervösen Zuständen
zugehören. Wir werden also gewöhnlich bei der Behandlung
der Dysmenorrhöe die Diagnose des zugrunde liegenden Lei¬
dens zu stellen und dieses dann anzugreifen haben. Eine
mechanische Dysmenorrhöe existiert, wenn sie auch nur selten
rein und unkompliziert auftritt. Es muss nicht immer eine zer¬
vikale Stenose vorliegen, am häufigsten ist eine ungenügende
Entwicklung der Gebärmutter Schuld an der ungenügenden
Funktion. Der infantile, kongenital atrophische, manchmal
auch der missbildete Uterus funktioniert während der Menses
schlecht und unter schmerzhaften Kontraktionen, weil die der¬
ben, dicht aneinander liegenden Muskelfasern, welche hier
charakteristisch sind, der menstruellen Auflockerung wider¬
ten* ferner ist besonders mit dem Infantilismus eine
schlechte Entwicklung des arteriellen Systems oft verbunden;
den engen Arterien entsprechen dann (Morgagni) weite
Venen. Somit ist der Blutumlauf in den Geschlechtsteilen ein
stockender. Allgemeine Anämie und nervöse Reizbarkeit oder
epression findet man nicht selten nebenher — kurz eine ganze
Summe von Minderwertigkeiten kommt zur Geltung, wenn
minderwertige Organe funktionieren müssen. Sache der kli¬
nischen Beobachtung ist es, festzustellen, welche Organe oder
Systeme im einzelnen Falle hervorragend schlecht von der
Natui bedacht sind, wenn eine rationelle Therapie eingeleitet
werden soll. Dass auch krankhafte Prozesse in und um die Ge¬
bärmutter herum, auch Allgemeinkrankheiten und Störungen
m Oiganen, die von den Genitalien weit abliegen, Dysmenor¬
rhöe verursachen können, ist eine bekannte Tatsache, die in
der Behandlung selbstverständlich die erste Beachtung be¬
ansprucht. Es liegt nicht im Rahmen meines Aufsatzes, auf
diese Dinge näher einzugehen. Ich möchte nur noch betonen,
dass zweifellos, wie Lomer kürzlich hervorgehoben hat,
manche Dysmenorrhöe der Ausdruck einer Hysterie ist, dass
das aber meiner Erfahrung nach nicht gerade sehr häufig vor¬
kommt. Eine länger dauernde Beobachtung lässt schliesslich
doch mitunter anatomische Veränderungen als auslösendes
Moment erkennen. Im Vorbeigehen sei bemerkt, dass inter¬
stitielle und ganz besonders dauernd hyperplastische Pro¬
zesse im Endotnetrium, auch bei Virgines, nach Infektions¬
krankheiten, Adnexaffektionen, bei mechanischen Störungen
sich etablieren können, nach deren Beseitigung die Dysmenor-
lhöe nachlässt, die man anfangs leicht in die Gruppe der ner¬
vösen oder hysterischen einzureihen geneigt sein kann1). Bei
lein hysterischer Dysmenorrhöe ist die lokale Behandlung sel¬
ten erfolgreich, oft geradezu schädlich.
Die folgenden Auseinandersetzungen sind durch eine Mit¬
teilung Polanos2) veranlasst, in welcher eine Behandlung
von Dysmenorrhöefällen verschiedener Aetiologie durch künst¬
liche Hyperämie der Brüste empfohlen wird. Wenn andre
interne und chirurgische Eingriffe nicht zum Ziele führen, setzt
Polano schon einige Tage vor dem erwarteten Eintritt der
Periode auf beide Brüste das von der Bier sehen Mastitis¬
behandlung her bekannte Klapp sehe Saugglas auf und ver¬
dünnt mittels der zugehörigen Spritze die Luft so lange, bis
die Patientin in den stark vorquellenden Mammae stärkeres'
Ziehen verspürt. Das Verfahren wird täglich während einer
Viertel- bis halben Stunde bis zum Menstruationsende fort¬
geführt. Polano teilt nur 3 Fälle etwas ausführlicher mit,
in denen er Erfolge von seinem Verfahren sah; es wäre aber
wünschenswert, wenn er sein ganzes Material bekannt gäbe,
Zahl und Art der Fälle gestatten dann ein besseres Urteil.
Welches sind die Grundlagen und die Ziele dieser Behand¬
lungsmethode, die, wie wir sehen werden, zu den allerältesten
in der Medizin gehört?
Polano schreibt: „Theoretische Ueberlegung und kli¬
nische Beobachtung legen uns die Annahme von einem Antago¬
nismus zwischen der physiologischen Funktion von Ovarium
und Brustdrüse nahe. Die Mehrleistung eines dieser beiden
Organe beeinträchtigt die physiologische Leistungsfähigkeit
des anderen längere oder kürzere Zeit, wie dies die bekannten
Verhältnisse in der Schwangerschaft und im Wochenbett be¬
weisen.“
Gibt es Tatsachen, welche einer solchen Auffassung Vor¬
schub leisten? Die Eierstöcke besorgen die Ovulation. Dieser
Prozess geht mit Veränderungen in den Geschlechtsorganen
und im ganzen Organismus einher, die sich in erster Linie im
Zirkulationsapparat und im Blut, in zweiter Linie und als Folge
davon im Nervensystem abspielen. Die Lehre von der inneren
Sekretion der Eierstöcke, sie mag als sicher oder unsicher be¬
gründet angesehen werden, darf auf diese Beobachtungen sich
stützen. Bei nicht wenigen Frauen und Mädchen schwellen
in der genannten Epoche der „Mehrleistung“ der Ovarien die
Brustdrüsen an, es kann zur Hyperämie und Hyperästhesie der¬
selben, Erektionen der Warzen und Sekretabsonderung kom¬
men. Das ist nicht Antagonismus der Eierstocks- und Brust¬
drüsenfunktion, sondern Koordination, vielleicht sogar „Ur¬
sache und Folge“. Oder ist es bekannt, dass die Brüste wäh¬
rend der Menstruation schlaff werden?
Polano zieht die „bekannten Verhältnisse“ in der
Schwangerschaft heran. Ruht denn da die Funktion des Eier¬
stockes? Die Entwicklung und das Wachstum des gelben
Körpers im Anfang der Gravidität beweisen das Gegenteil,
seine Persistenz bis ins Wochenbett hinein nicht minder. Die
Born sehe Theorie, nach welcher die Zellen des Corpus lu¬
teum graviditatis die innere Sekretion besorgen, ist, wenn auch
nicht unumstösslich erwiesen, doch nicht -ohne Grundlage.
Und dass neben dem grossen Graviditäts-Corpus-luteum noch
weitere kleine Follikel während der Schwangerschaft zur Reife
gelangen, ist sicher beobachtet worden und beweist, dass die
Eierstocksfunktion in keiner Weise beeinträchtigt' ist. Ein
Antagonismus mit den in dieser Epoche hypertrophierenden
und sezernierenden Brustdrüsen besteht nicht. Polano denkt
an das Aufhören der menstruellen Blutung aus der Gebär¬
mutterschleimhaut während der Schwangerschaft und des
Wochenbettes. Aber das hat mit den Eierstöcken nichts zu
tun und lässt die Annahme eines „Antagonismus“ ebensowenig
zu. Bei Fällen, in denen auch die menstruellen Blutungen
während der Schwangerschaft fortdauern, zeigt sich keine Be¬
einträchtigung der Kolostrumbildung, und im Wochenbett re¬
generiert sich die Mucosa uteri und das Myometrium in er¬
staunlicher Kraft und Schnelligkeit, unbeeinflusst durch die ge¬
waltige Mehrleistung der Brustdrüsen. Tritt die Regel wäh-
P Die kürzlich von Hitschmann und Adler festgestellte
physiologische antemenstruelle Veränderung in der Mukosa ist von
diesen chronischen Zuständen zu unterscheiden.
2) Diese Wochenschrift 1907, No. 35.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2123
rend des Stillens auf, so vermindert sich bei ausreichender
Schonung der Wöchnerin die Milchmenge durchaus nicht
immer in nennenswertem Masse.
Ich will an den Einfluss der Kastration auf die Brustdrüsen
nur kurz erinnern, ebenso an die Erfahrungen englischer
Operateure über die spontane Verkleinerung von Mammakarzi¬
nomen nach der Entfernung der Eierstöcke. Ich kann nur den
Schluss ziehen: es gibt keinen Antagonismus zwischen der
physiologischen Funktion von Ovarium und Brustdrüse.
Damit verschmälert sich die Grundlage zu der Behandlung
der Dysmenorrhöe von den Brüsten aus. P o 1 a n o folgert
weiter: „Da wir nun die Menstruation als einen Vorgang auf¬
fassen müssen, der durch die biologischen Kräfte des Eierstocks
ausgelöst wird, lag es nahe, die krankhaften Formen der Men¬
struation, vor allem -die Dysmenorrhöe, durch künstliche An¬
regung der Brustdrüse in ihrer Intensität herabzusetzen. Jede
physiologische Arbeit eines Organs ist abhängig von der Blut¬
versorgung. Die künstliche Hyperämie ermöglicht am einfach¬
sten eine Mehrleistung.“ Es soll also die physiologische Arbeit
der Brustdrüse gesteigert werden, worauf nach der Hypothese
vom Antagonismus die biologische Kraft der Eierstöcke ge¬
schädigt werden müsste.
Nehmen wir einmal jene Hypothese als begründet an, so
ist immer noch die Frage zu erörtern: auf welchen Bahnen be¬
wegen sich denn die Reize von den Eierstöcken zu den Brust¬
drüsen und umgekehrt so sicher, dass die Funktionen des einen
Organs vom andern aus beeinflusst werden können? Es kom¬
men hier nur die Blutbahn und die Nervenwege in Betracht.
Die erstgenannte Möglichkeit nehmen diejenigen an, welche
nach dem oft zitierten Versuch von Goltz der Ansicht sind,
dass aus -der tätigen Keimdrüse eigentümliche Stoffe in die Blut¬
bahn gelangen, welche die bekannten Veränderungen im weib¬
lichen Körper während der Menstruation und der Schwanger¬
schaft hervorbringen. So können ‘die physiologischen Vor¬
gänge im Eierstock die Blutzusammensetzung verändern und
eine entfernte Drüse, wie Brust oder Schilddrüse, in ihrer
Funktion beeinflussen. Für die Annahme eines entsprechenden
Verhaltens der Mammae den Ovarien gegenüber aber fehlt uns
jeder Anhalt, ja wir -dürfen dergleichen als nicht existierend
bezeichnen. Dass vollends eine künstliche Hyperämisierung
der Brüste irgend einen Einfluss auf die Blutzusammensetzung
(oder Verteilung?) ausüben könnte, -der sich gerade in den
Eierstöcken störend geltend macht, ist ausgeschlossen. Weder
bei der normalen, noch bei der gestörten Menstruation kann
die Blutversorgung der Ovarien von den Brüsten aus ver¬
ändert werden.
Die andere Möglichkeit, die P o 1 a n o nicht urgiert, könnte
vielleicht in Frage kommen. Ein Reiz, der von den blutüber¬
füllten Mammae ausgeht, könnte auf zerebrospinalen oder sym¬
pathischen Bahnen die Ovarien erreichen. Das ist allerdings
nur hypothetisch und nicht erwiesen; den Weg durchs Rücken¬
mark müssen wir mit Goltz sogar ausschliessen oder höch¬
stens für den nur ausnahmsweise benutzten ansehen.
Physiologische Tatsachen fehlen also für die Annahme,
dass eine Blutstauung in den Brüsten der Ovarialtätigkeit Ab¬
bruch tun könnte. Dagegen kennen wir solche, die die Mög¬
lichkeit einer Beeinflussung der Gebärmutter durch Rei¬
zungen der Brustdrüsen (genauer: der Brustwarzen) anzeiget1.
Kontraktionen des Uterus, während das Kind an der Brust
trinkt, sind sicher zu konstatieren. Ich habe 3) gefunden, dass
ein genügend starker Reiz, welcher die Brustwarzen einer
Schwangeren trifft, imstande ist, Uteruskontraktionen auszu¬
lösen und habe einen „elektrischen Schröpfkopf“ konstruiert,
der, über die Brustwarze gesetzt, die schwangere Gebärmutter
zur Zusammenziehung bringt, wenn die Anode des durch¬
geschickten konstanten Stromes in Form einer Platte auf das
Abdomen gelegt wird. Mollath4) hat in 10 Fällen mit 140
Versuchen diesbezüglich keinen Misserfolg gehabt. Zur Ver¬
stärkung schwacher oder Wiedererweckung erloschener Ge-
3) Ueber die Beziehungen der Schilddrüse und der Brustdrüse
zu den schwangeren und erkrankten weiblichen Genitalien. Deutsche
Zeitschr. f. Chir. XXXI. — Der elektrische Schröpfkopf. Zentralbl.
f. Gyn. 1890, No. 26. — Erfahrungen mit dem elektr. Schröpikopf.
Verh. d. deutsch. Ges. i. Gyn. 1891.
k 4) Wiener med. Bl. 1891, No. 12 — 15.
burtswehen hat sich der Apparat bewährt, zur Einleitung der
künstlichen Frühgeburt nur ausnahmsweise. Ich habe damals
die physiologischen Wege studiert, auf denen dieser Reiz von
der Mamma auf den Uterus übermittelt wird und verweise auf
meine einschlägigen Mitteilungen. (Man findet dort auch An¬
gaben über Reize, die vom Uterus -aus zu den Brüsten gehen.)
Nach den mit dem elektrischen Schröpfkopf gemachten Er¬
fahrungen, bei welchen Hyperämie der Brustdrüse, Saugwir¬
kung und galvanischer Reiz zusammenwirkten, war es ge¬
wiss naheliegend, den Apparat zur Beschränkung profuser
menstrueller Blutungen, also wieder als kontraktionsbefördern¬
des Mittel zu probieren. An eine Stillung dysmenorrhoischer
Schmerzen wurde dabei nicht gedacht. Ich kann kurz mit-
teilen, dass ich nicht selten eine gewisse Einschränkung der
Blutungen und eine Abkürzung ihrer Dauer bemerkt habe, dass
aber im allgemeinen die Wirkung des Verfahrens die anderer
Methoden, besonders mit styptischen Mitteln, nicht sicher über¬
traf, weshalb ich nur ganz ausnahmsweise den Schröpfkopf bei
Menorrhagien noch anwende. Eine schmerzstillende Wirkung
habe ich nicht konstatiert.
Ich sagte oben, dass das Verfahren in seinen Grundzügen
uralt ist. H i p p o k r a t e s 5), der übrigens mehrfache An¬
gaben über die Beziehungen der Gebärmutter zu den Brüsten
macht, sagt : „Um 'den Menstrualf luss anzuhalten,
soll man einenmöglichstgrossen Schröpfkopf
auf die Brustwarze setze n“. S c a n z o n i 6) erzielte
gute Wehen vermittelst grosser Saugapparate aus Kautschuk,
die nach Art eines Schröpfkopfes wirkten; er war sogar mit¬
unter imstande, eine Frühgeburt damit einzuleiten.
Man sieht, dass bisher nur eines feststeht: die Wirkung
von Sohröpfköpfen auf die Brustwarze äussert sich lediglich im
Sinne einer Kontraktion der Gebärmutter. Auf die Eierstöcke
ist sie ohne Einfluss. Die Bier sehen und Klapp sehen Saug¬
gläser, die doch nur eine sehr vollkommene Schröpfkopfform
darstellen, wirken jedenfalls nicht anders.
Polano will noch eine schmerzstillende Wirkung im
Bereiche der Genitalorgane bemerkt haben. Ob diese tat¬
sächlich bei grösseren Beobachtungsreihen sich wird erweisen
lassen und o# nicht bei positiven Resultaten doch Suggestion
anzunehmen ist, muss vorderhand dahingestellt bleiben. Eine
annehmbare andere Erklärung fehlt bislang.
Die 3 Fälle P o 1 a n o s widersprechen den bisherigen Er¬
fahrungen betreffs der Wirkungsweise der auf die Brüste men¬
struierender Frauen aufgesetzten Schröpfköpfe nicht. Jedesmal
wurde eine Verringerung »und zeitliche Abkürzung des Blut¬
flusses konstatiert, was ebenso aus einer sicher erzielten Kon¬
traktion des Uterus zu erklären ist wie das Verhindern des
Anteponierens der Regel, sobald gestaut wurde. Ueber die
schmerzstillende Wirkung in den 3 Fällen ist ein Urteil schwer
zu erlangen. Ein suggestiver Einfluss ist jedenfalls im Falle I
nicht ganz auszuschliessen, in welchem bei einem mehrfach
operierten Mädchen nach der Applikation der Sauggläser sogar
ein früher bestehender Mittelschmerz völlig verschwand.
Man kann übrigens auf einfachem Wege zur Klarheit
kommen, ob Suggestion im Spiele ist oder nicht. Ich ver¬
wende mitunter eine ebenfalls von den alten Geburtshelfern
überkommene Methode der Behandlung schmerzhafter Dys¬
menorrhoe, besonders bei fetten Frauen: die Applikation
mehrerer gewöhnlicher Schröpfköpfe in die Kreuzgegend.
Diese gelinde Form der Blutentziehung (in die Haut) lässt eine
gewisse Erklärung der schmerzstillenden Wirkung zu. Oft
genug aber ist Suggestion dabei. So sah ich neulich einen
prompten Erfolg bei sehr schmerzhafter Dysmenorrhoe bei
einem Mädchen, welchem die Schröpfköpfe irrtümlicherweise
auf die Hinterbacken appliziert worden waren! — Verspricht
man mit Ernst und Nachdruck eine sichere Wirkung vom Aui-
setzen des grossen Saugglases in die Kreuzgegend, so dürfte
bei nervösen Patientinnen ein Resultat zu erwarten sein. Das
Experiment sollte gemacht werden.
Jedenfalls ist der K 1 a p p s c h e Apparat ein grösserer und
energischer wirkender Schröpfkopf als die bisher benutzten; es
5) Aphorismen 50. S. meine ob-en zitierte Arbeit in -der deutschen
Zeitschr. f. Chir.
B) Beitrag zur Geburtskunde I, S. 15*
1*
2124
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
ist durchaus verständlich, dass bei seiner Verwendung, wie
P o 1 a n o mitteilt, eine Mehrleistung der Brustdrüsen, eine
vermehrte Milchproduktion zu erzielen ist, ebenso, dass das
Verfahren beim plötzlichen Versiegen der Sekretion erfolgreich
sein kann. Im übrigen können wir von ihm bisher nur eine
Beschränkung menstrueller und anderer Uterusblutungen er¬
warten; beschränken sich nebenbei auch dysmenorrhoische
Schmerzen, so ist das sicherlich sehr erfreulich, darf aber als
Erfolg des Verfahrens als solchen nicht angesehen werden.
Aus der Kgl. chirurgischen Klinik zu Greifswald.
Zur Behandlung inoperabler Tumoren mit künstlicher
Hyperämie.
Von Prof. Dr. Carl Ritter.
Vor einem Jahr habe ich in der Festschrift der
Greifswalder Fakultät über Versuche berichtet, Tu¬
moren mit künstlicher Hyperämie, und zwar mittels
der Schtöpfmethode zu beeinflussen. Den einen Pa¬
tienten, dessen Krankengeschichte ich dort ausführlich wieder¬
gegeben habe, hatte ich schon am 4. November 1905 in der
Sitzung des Medizinischen Vereins vorgestellt. Ich habe im
ganzen 10 solche Fälle behandelt. Es handelte sich in allen
um inoperable, meist sehr weit vorgeschrittene Tumoren (Kar¬
zinome und Sarkome). Es kam mir damals darauf an, festzu-
stellen, ob die Hyperämie für Tumoren so schädlich oder sogar
das auslösende Moment zum Wachstum ist, wie man gerade in
neuerer Zeit behauptet hatte.
Schon früher hat Bier durch Einspritzung von fremd¬
artigem Blute inoperable Tumoren zu beeinflussen gesucht,
eine Methode, die er neuerdings wieder lokal mit günstigem
Erfolge angewandt hat. Es ist hierbei aber fraglich, ob allein
die Hyperämie oder das fremdartige Gift die Ursache für den
therapeutischen Erfolg ist.
Reine Hyperämie hat Bier schon 1897 lokal mittels der
Stauung bei Tumoren versucht, aber mit schlechtem Erfolge,
denn 2 Sarkome wucherten sehr schnell unter der Anwendung
der Stauungshyperämie.
Ich habe die Saugmethode verwandt, über deren hyper-
ämisierende Wirkung ja kein Zweifel besteht.
Die Fälle waren zum grössten Teil wahrhaftig für eine Be¬
handlung nicht sehr günstig, da es zum Teil ganz her¬
untergekommene elende kachektische Personen waren. Trotz¬
dem habe ich in keinem einzigen Fall eine Verschlimmerung,
Wucherung oder Ausdehnung beobachtet, vielmehr in einer
Reihe von Fällen eine deutliche und wesentliche Verkleinerung
der Tumoren gesehen, und zwar je stärker, je länger ich die
Fälle behandelte.
Ausserdem konnte ich an später exzidierten Partien mikro¬
skopisch nachweisen, dass an Stelle des ursprünglichen Karzi¬
nomgewebes Granulationsgewebe getreten war, das ganz spär¬
liche Krebszellen enthielt.
Es war selbstverständlich, dass ich bei den mir zur Ver¬
fügung stehenden alten inoperablen heruntergekommenen Pa¬
tienten keine grossen therapeutischen Erfolge feiern konnte,
und so habe ich auch meine an sich interessanten Beobach¬
tungen in einer recht bescheidenen Form mitgeteilt.
Anders ist es mir dagegen bei einem jugendlichen Manme
ergangen. Hier erzielte ich mit der Saugmethode einen so
günstigen Erfolg, dass ich ihn bei dem Interesse, das man
neuerdings der Tumorenbehandlung wieder schenkt, der
Wiedergabe für wert halte.
Es handelte sich um einen 20 jährigen Maurer, den ich
wahrend der Vertretung meines Chefs beobachtete und der an
einem inoperablen Sarkom des Halses und der Schultergegend
Ich lasse die Krankengeschichte kurz folgen:
Vorgeschichte: Seine beiden Eltern sind Ende des
30. Lebensjahres gestorben, die Mutter im Wochenbett, der Vater an
unbekannter Krankheit. Pat. kann selbst sich auf frühere Krankheiten
nicht besinnen.
Im Herbst 1904 fiel ihm auf. dass die linke Schulter höher wurde
Im Frühjahr 1905 traten öfter leichte Beschwerden in der linken
Schulter auf dadurch, dass das Jackett zu stramm sass. Auf ver-
ordnete ärztliche Einreibungen besserten sich die Beschwerden
wieder; er nahm seine Arbeit wieder auf und setzte sie bis November
fort. Schmerzen bestanden damals nicht.
Als Pat. im Januar 1906 wieder zu arbeiten anfing, stellte sich
eine blaugelbliche Färbung der Haut an der linken Schulter ein. Die
Schulter war mittlerweile immer dicker geworden und er konnte den
Arm nicht mehr hochheben wie früher. Pat. wurde daher eine Zeit¬
lang in ein Krankenhaus aufgenommen und ihm dann eine Operation
\ * n geschlagen, zu der Pat. sich jedoch nicht entschliessen konnte.
Auf anderweitigen Rat wurde er dann der chirurgischen Klinik
uberwiesen.
Status. Bei seiner Aufnahme handelte es sich um einen
grossen, kräftig gebauten Mann mit gut entwickelter Muskulatur in
ziemlich günstigem Ernährungszustand.
Die linke Schulter wird von einer grossen Geschwulst ein¬
genommen, die sich nach dem Rücken zu bis zur Mitte des Schulter¬
blatts nach aurwärts bis 3 Finger breit nach der Wirbelsäule erstreckt
nach der Horizontalen abwärts bis fast zum Ansatz des Deltamuskels
reicht, nach vorne bis zum Proc. coracoideus. Der Tumor sitzt der
Schulter gewissermassen auf. Die Haut über ihm ist bläulichrot ge¬
färbt, lasst zahlreiche Venenerweiterungen erkennen und ist nicht
frei verschieblich. Der Iumor selbst fühlt sich weich, fast schwammig
an, nur an einzelnen Stellen sind stärkere Resistenzen fühlbar. Im
Bereich dieser Resistenzen besteht zum Teil vollkommene Gefühl-
' a/C Beweglichkeit dAes Schultergelenks ist passiv kaum
erheben Akt’V Pat' den Arm DUr wenig iiber ,die Horizontale
31 nmDeHntJm?/tng de? Arms betragt unterhalb der Achsel: rechts
rechts 28cm- links 26cm: Unterarm
Auch die linke Supraklavikulargrube ist durch weiches Tumoren-
vo^dpn n ■ V s ausgefüllt Hier ist aber die Tumormasse, offenbar
IHrh?1 VnT aUSfgangen’ ziemlich scharf abgegrenzt, anscheinend
lfnHhtntmd Vnter Kge v^schieblich. Sonstige Drüsenschwellungen
sind nicht nachweisbar. Der Tumor wurde von vornherein als in-
am6abTV 7 ? aafgefasst- Um aber die Diagnose zu sichern, sollte
-i- V; 07nuater Schleich scher Infiltrationsanästhesie der leicht
beweghehe Drusentumor in der Supraklavikulargrube zwecks mikro¬
skopischer Untersuchung exstirpiert werden.
ich 2?dafht^attrpad°^l1Verlief-nber nicS S° einfach und leicht’ wie
i gedacht hatte, Schon nach querer Durchtrennung der Haut fallen
mächtige Venenerwe^erunge^ die über dem Tumor liegen, auf Sie
lassen sich zwar verhältnismässig leicht unterbinden. Bei dem
w eiteren Versuch aber, den Tumor in toto zu exstirpieren erweist
er sich als vollkommen inoperabel. Er ist nicht nur ganz auTser-
gewohnheh blut- und gefassreich, sondern ist trotz seiner relativen
Beweglichkeit überall mit der Umgebung fest verwachsen.
c;,.. Peshalb wl.Ld die Operation abgebrochen und nur ein grösseres
S uck aus dem Tumor entfernt. Sofort entsteht dabei eine abundante
BDtung aus dem weichen, sofort ausreissenden Tumorgewebe. So¬
wohl Unterbindung wie Umstechung gelingen nur teilweise Drei
I crnTL?5? hegen bleibe,n- Tamponade. Hautnaht bis etwa
m_b'aage- Kompressionsverband. Kochsalzinfusion.
e ■ 7‘ ni ± der gestern etwas blass aussah, hat sich heute von
seinem Blutverlust ziemlich erholt.
tT ?vIVnr°c!le™nE „Tampons. 10- IV. Entfernung derselben.
Entfernung der Nahte. gebeiT D^ume“" '
geben0 klein1zelhgeseSarkomkrOSkOP*SC*len Präparate deS Tumors er‘
etwa^ünsli/vu Tumor wenigstens auf andere Weise
etwas günstig zu beeinflussen, wurde Pat. vom 12. IV ab täglich
einmal mit Sauggläsern behandelt. ' S n
Am 29. IV. zeigte sich zu unserem grossen Erstaunen dass der
gaff+ Tumor sich wesentlich zurückgebildet hatte. Die normale
F.chulterkontour trat wieder deutlich hervor. Die Tamponstelle ist
v,erheil‘- Pat "at Sich erholt
, *"• T- wurde Pat. als geheilt entlassen. Es ist heute nichts
mehr von einem Tumor nachweisbar. Die linke Schulter ist voll¬
kommen gleich wie die rechte ausgebildet. An der Tamponstelle ist
üründe^Line Phnm^3"1'^ entstanden- Le:ider konnte aus äusseren
urunden keine Photographie vor seiner Behandlung aufgenommen
werden, so dass uns nur ein Bild am Tage der Entlassung zur Ver-
SjS Ste,lt’ das k,einen Unterschied zwischen linker und rechter
verzichtet^Dem PatiP fAuf lhr€ WiederSabe habe ich natürlich hier
verneinet. Dem Patienten war eingeschärft worden sobald qirh
wieder eine Verschlechterung zeigen sollte, sofort zu uns zu kommen
TaSt®^ ai!ch YersPraoh. Er ist bisher nicht gekommen. Eine Frage-
Karte nach seinem jetzigen Befinden ist als unbestellbar vor wenigen
stand" „fchls aBussaget„WOr,den' S° ka"" iCh Öber Seinen ietzige" Zu‘
. Dieser: ausserordentlich günstige Erfolg war mir auch nach
^i"enTfruheren Deobachtungen sehr überraschend, denn auch
fn CrnTUm°n Wa[’ die Probeexzision erwies, absolut in-
perabel. schon der Tumor in der Supraklavikulargrube war
nicht, wie man nach der äusserlichen Untersuchung dachte
verschieblich, sondern fest mit der Umgebung verbacken um
so mehr der auch äusserlich unverschiebliche Tumor in der
Schultergegend.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2125
Auch der Umstand, dass es sich um ein jugendliches, rela¬
tiv kräftiges Individuum handelte, macht den Rückgang des
Tumors erklärlicher. Denn bekanntlich wachsen gerade Sar¬
kome jugendlicher Leute rapid.
Bemerkenswert ist weiter, dass der Tumor ganz allmählich
zurückging, ohne dass es zu Nekrotisierung, Erweichung und
Durchbruch kam. Denn nach den bisherigen Mitteilungen über
Rückgang von bösartigen Tumoren, durch welche Mittel es
immer versucht ist, scheint es fast, als ob nur auf diese Weise
eine Heilung möglich sei. Den gleichen Schluss scheinen
andere aus den früher von mir mitgeteilten Fällen, in denen
ich reichliche Gallert- und Kankroidmassen entleeren konnte,
herausgelesen zu haben. Ich möchte aber davor warnen,
diesen Vorgang unbedingt als Heilungsvorgang aufzufassen.
Ich beobachtete einen Fall von inoperablem Weichteilsarkom des
Oberschenkels mit sehr grosser Metastase in der Leiste, den ich mit
Saugglas behandelte. Beide Tumoren waren geschlossen. Man
fühlte undeutliche Fluktuation. Um Vergleiche anstellen zu können
zwischen dem histologischen Bau vor und nach der Behandlung, ex-
zidierte ich ein kleines Stück des Tumors, ehe ich die Schröpfmethode
einleitete.
Dabei zeigte sich nun, dass das ganze exzidierte Stück total
nekrotisch war. Im übrigen war der Tumor stark ödematös durch¬
tränkt (daher das Gefühl der Fluktuation).
Dann wandte ich täglich 1 mal die Schröpfmethode an. Darunter
schien die Exzisionsstelle unter Granulationsbildung sich zu schliessen.
Aber bald kam es an anderer Stelle ausserhalb des Bereichs der
Schröpfpartie zum Durchbruch. Erst später brach auch die erheblich
verkleinerte Exzisionsstelle wieder auf. Aus den Durchbruchsstellen
konnte man nun in den nächsten Tagen fast den ganzen grossen Tumor
mit Pinzette und scharfem Löffel ohne Blutung herausholen. Er war
bis auf eine schmalere Zone frischen Sarkomgewebes an der Peri¬
pherie total nekrotisch. Ganz das gleiche Bild zeigte sich später bei
der Sektion an dem Leistendrüsentumor, der nicht behandelt war.
Hätte ich in diesem Falle nicht von vornehereki aus dem
exzidierten Stück die fast völlige Nekrose des Tumors nach¬
gewiesen, so wäre immer noch der Verdacht geblieben, die
Nekrose sei die Folge der Saugbehandlung, während so, wie
der Fall lag, früher oder später mit oder ohne Behandlung ein
Durchbruch erfolgen musste.
Ich habe schon früher wiederholt darauf hingewiesen, wie
unendlich häufig die bösartigen Tumoren in kleinem oder
grossem Massstabe nekrotisch sind. Deshalb scheint es mir
sehr gewagt, wenn nach einer therapeutischen Massnahme Zer¬
fall mit Erweichung emtritt, dies auf Kosten der Behandlung
zu setzen. Auch bei der Tuberkulose stossen sich tote Ge¬
webstrümmer aus Geschwürsfisteln ab. Die Abstossung ist
möglicherweise die Wirkung der betreffenden Behandlung,
aber nicht die Nekrotisierung der Gewebsmassen. Eine Ver¬
kleinerung und ein Zurückgehen eines bösartigen Tumors kann
jedenfalls auch ohne Ausstossung von nekrotischen Massen
erfolgen.
Natürlich wird man gegen den günstigen Einfluss der
Hyperämie durch Saugung in diesem Fall manche Einwände
machen: Auch ohne die Behandlung wäre der Tumor spon¬
tan zurückgegangen; die unvollkommene Operation ist Schuld
an der Heilung; es ist gar kein Sarkom gewesen.
Was den letzten Einwand anlangt, so sprach nichts für
eine andere Affektion, zumal für Lues nicht. Das ganze Ver¬
halten, die Beschaffenheit und das Aussehen des Tumors waren
nur die eines Sarkoms. Die mikroskopische Diagnose sowohl
der chirurgischen Klinik als auch des pathologischen Instituts
ergab Sarkom.
Zum andern ist es bekanntlich wohl beobachtet, dass ein
Sarkom spontan zurückgeht und selbst verschwindet, aller¬
dings ist das immer eine ganz ausserordentliche Seltenheit und
von den Pathologen stets angezweifelt worden. Nie aber, so¬
weit meine Kenntnis reicht, hat man ein Sarkom dann zurück¬
gehen sehen, wenn es unvollkommen operiert ist. Viel¬
mehr ist es gerade mannigfachste Erfahrung, dass unvoll¬
kommene Operation das Wachstum eines bösartigen Tumors
ganz erheblich fördert und meist rapid schnell zu gewaltiger
Grösse wachsen lässt.
Diese Einwände halten also nicht Stich.
Immerhin bin ich mir der mangelhaften Beweiskraft eines
einzelnen Falles wohl bewusst. Aber bei der traurigen Lage,
in die wir bei den inoperablen Tumoren vielfach gesetzt
sind, scheint es mir doch berechtigt, auf Grund eines so günstig
verlaufenen Falls in Verbindung mit den früheren
Beobachtungen das Saugverfahren weiter zu versuchen
und zu empfehlen.
Aus der medizinischen Abteilung der kantonalen Krankenanstalt
in Aarau.
Msine Beobachtungen in der Tuberkulosetherapie bei
der Anwendung von Marmorekserum.*)
Von Oberarzt Dr. G. Schenker in Aarau.
Trotzdem schon 25 Jahre verstrichen sind, seitdem Koch
seine epochemachende Entdeckung des Tuberkelbazillus ge¬
macht hat, trotz allem bisherigen Forschen und Suchen der
ersten Autoritäten unserer medizinischen Wissenschaft, war
es leider bis dahin nicht gelungen ein sicher wirkendes, spe¬
zifisches Mittel gegen die so verheerend wirkende Krank¬
heit, die T u b e rku 1 o s e zu finden, ähnlich wie wir es gegen
die Pocken in der Vakzine, gegen die Diphtherie in dem Diph¬
therieserum haben. Eine Menge von verschiedenen Seris sind
aufgetaucht. Die meisten davon sind aber nach kürzerer oder
längerer Zeit verschwunden, indem sie die ersehnte Heilung
der Tuberkulose doch nicht brachten. Und doch ist es unsere
Pflicht als Aerzte in unserem Suchen nicht nachzulassen. Wir
müssen und werden auch diesen armen Tuberkulösen Hilfe
bringen können. Nicht nur heilen wollen wir diese fiirchtei liehe
Krankheit, sonderen verhüten müssen wir sie; das ist unsere
Pflicht als Pioniere auf dem Gebiete der Gesundheitspflege.
Nebst einer rationellen Ernährung und Pflege der Tuber¬
kulösen wendete ich in den letzten Jahren neben den verschie¬
denen Kreosotpräparaten und deren Derivaten hauptsächlich
He toi Länderer, das Neutuberkulin Koch, Tu¬
berkulin Beraneck und das Antitubei kulose-
serum Marmorek an.
Während ich das Hetol Länderer sei ca. 10 Jahren bei ge¬
eigneten Fällen mit befriedigendem Erfolge gebrauchte — es ist
ja kein Spezifikum, aber einen günstigen Einfluss auf die Krank¬
heit kann man ihm bei mittelschweren Fällen doch nicht ab¬
sprechen _ so habe ich die anderen 3 Mittel erst seit 2 Jahren,
der Zeit meiner spitalärztlichen Tätigkeit, verwendet.
Neutuberkulin Koch verwendete ich bei 5 Kranken und das
ruberkulin Beraneck bei 9 Kranken. Verschiedene Erfahrungen
ind Beobachtungen mit diesen 2 Mitteln, welche mich nicht ge-
liigend befriedigten, veranlassten mich, deren Anwendung bis
uif weiteres zu sistieren. Ich wendete mich nun dem Anti-
uberkuloseserum Marmorek zu. Durch das übei -
ms generöse Entgegenkommen von Prof. Dr. Marmorek
vurde es mir möglich, seit Oktober 1906 bei 39 Patienten ein¬
gehende Versuche anzustellen. Ich danke für seine weit¬
gehende Güte hiemit bestens.
Dr Marmorek gab mir zu meinen Versuchen folgende
Begleitung: „Es müssen mittelschwere Fälle sein, da zu leichte
?älle bei eventueller Besserung nach der Serumbehandlung für
leren spezifischen Wert wenig beweisen, und auch keine sehr
schweren Fälle, weil die zu grossen Störungen irreparabel
5 ind Alle internen Fälle müssen im Sputum Bazillen nach-
vveisen lassen und deutliche klinische Symptome der Tuber¬
kulose zeigen. Weiter müssen sie schon einige Zeit ohne sicht¬
bare Besserung in Spitalbehandlung sein. Dies ist not¬
wendig, damit nicht nachträglich der Einwurf gemacht werden
kann, dass die Kranken auch ohne Serum im Spital sich ge¬
bessert hätten.“ (6. X. 06.) v
Die Auswahl des zu Versuchszwecken bestimmten Kran-
<enmaterials war zum voraus grösstenteils schon bestimmt
iurch die Qualität der im Spital Hilfe suchenden Tuberkulosen.
Lungenkranke leichten Grades (I. Grad T u r b a n) haben wir
sozusagen auf unserer medizinischen Abteilung keine, indem
solche von Privatärzten zu Hause behandelt werden odei dann
dn Lungensanatorium aufsuchen. Alle in unserer kantonalen
Krankenanstalt zur Behandlung kommenden Lungenkranken
sind zum kleinen Teil mittleren, und zum grösseren Teil schwe¬
ren Grades (II. und III. Grad T u r b a n), und kommen meistens
aus Armen- und Arbeiterkreisen. Bei der Auswahl der Kranken
Al\ n r m n r p
, 1 — I ^ Vi A i i n c r*Vi &
*) Vortrag, gehalten auf der Deutschen Naturforscher- und
Aerzteversammlung ln Dresden.
nung getragen, habe aber doch auch bei einer grossen Anzahl
Schwerkranker das Serum angewendet, um auch bei solchen
Kranken die. Wirkung desselben kennen zu lernen.
Die Pflege und Ernährung der Kranken fand nach den
Grundsätzen statt wie sie heutzutage in den massgebensten
Spitälern und Sanatorien durchgeführt wird. Nicht unerwähnt
dürfen hier bleiben die mit gutem Erfolg durchgeführten Frei-
luftliegekuren (Heliotherapie) wie ich sie bei Tuberku¬
lösen seit 1906 anwende. Der Tagesbefehl lautete für die¬
selben :
6 Uhr Tagwache,
7 — 772 „ I. Frühstück,
73A — 9 „ Aerztl. Morgenvisite,
9—972 „ II. Frühstück,
972 — 10 „ Spaziergang,
10 — 12 „ Liegekur im Freien,
12 „ Mittagessen,
1 — 1 72 Uhr Spaziergang,
P/2 — 3 „ Liegekur im Freien,
3—372 „ Milchkaffee,
372—4 „ Spaziergang,
4—6 „ Liegekur im Freien,
7 „ Nachtessen,
8 „ Ruhe.
Mit Ausnahme der Zeit von Weihnachten bis Neujahr 1906,
wo die Kälte bei uns im Freien 15—20° C unter Null war,’
wurde diese Freiluftbehandlung genau nach Vorschrift den gan¬
zen Wintei hindurch durchgeführt und die Kranken unterzogen
sich derselben sehr gerne, indem sie sich trotz Kälte im Freien
wesentlich besser fühlten als in den Krankensälen drinnen. Da¬
mit dieselben nicht frieren mussten, wurden sie auf Liege¬
stühlen in wollene Decken und Mäntel eingepackt und mit Fin¬
ken und warmen Bettflaschen versehen. Die betreffenden
Kranken lagen somit täglich bei jeder Witterung 5—6 Stunden
im Freien. Es liegt ausser allem Zweifel, dass diese Freiluft-
Liegekuren wie sie in unserem Spitalpark, der bezüglich
Grösse und Schönheit seinesgleichen sucht, durchgeführt wer¬
den konnten, ausserordentlich günstig auf das allgemeine Wohl¬
befinden der Kranken einwirken mussten und so die Serum¬
behandlung sehr günstig beeinflussten.
Die Anwendung des Antituberkulose-
s e 1 umMarmorek fand auf meiner Abteilung grösstenteils
per rectum statt. Man gab es auch versuchsweise per os,
abei ohne Erfolg. In Form von subkutanen Einspritzungen
wurde es bei einigen Patienten angewendet. Doch zeigten sich
da bei einzelnen Kranken akzidentelle Begleiterscheinungen,
wie Infiltrationen, Abszesse, Fieber, allgemeines Unwohlsein,
was man bei der Applikation per rectum nicht beobachtete!
Eine steigende Ueberempfindlichkeit (Anaphylaxie) des mensch¬
lichen Organismus gegenüber den wiederholten Serumdosen,
kam bei einigen Kranken, wo das Serum subkutan injiziert
wurde, evident zum Ausdruck, was bei der nachherigen An¬
wendung per rectum nicht gesehen wurde. Marmore k
glaubt, dass die Ursache dieser Ueberempfindlichkeit in der
Haut liege. Eine subkutane Applikation des Serums würde ich
einer rektalen vorziehen, indem man bei letzterer doch nicht
weiss, wie gross die Dosis ist, welche von der injizierten Flüs¬
sigkeit 1 esorbiert wird, was bei der subkutanen Anwendung
der Fall wäre. Aber die eingetretenen unangenehmen Neben¬
erscheinungen waren es, welche mich zwangen, der rektalen
den Vorzug zu geben. In ganz jüngster Zeit bin ich bei einigen
Kranken (Erwachsenen) wiederum zu den subkutanen Ein¬
spritzungen des Serums übergegangen, und zwar injiziere ich
je alle 1—2 Tage 5 cm in den Oberarm. Merkwürdigerweise
habe ich jetzt dabei weniger Unannehmlichkeit als früher. Ob
wohl indessen die Zubereitung des Serums geändert wurde?
Sehr gut wurde das Serum ausnahmslos — in relativ
grossen Dosen — von den Kindern per rectum ertragen. Die
Anwendung des Serums per Klysma bei ganz kleinen Kindern
bot Schwierigkeiten, indem man dasselbe nur durch 1 _ 2 Stun¬
den langes Zuhalten des Afters zur Resorption im Darme brin¬
gen konnte und auch dann ging noch ein Teil davon nutzlos
ab. Vor der rektalen Applikation des Serums wurde dem Kran¬
ken jedesmal zuerst der Darm ausgewaschen und hierauf das
Serum mittels einer 10-cm-Spritze durch einen Nelatonkathe-
ter in den unteren Teil des Colon descendens eingeführt. Durch
Nachspritzen von 10—15 ccm Aqu. dest. wurde das noch im
Schlauch befindliche Serum auch noch in den Darm hinauf¬
getrieben. Die Erwachsenen erhielten meistenteils pro dosi
10 ccm Serum, je 3 mal per Woche, während ich den Kindern
6 mal per Woche je 5 ccm Serum einspritzen liess. In letzter
Zeit verabfolgte ich allen Patienten, welche über 12 Jahre alt
waren, tägliche Einläufe von je 10 ccm Serum, ohne infolge¬
dessen unangenehme Reaktionen zu beobachten. Im Gegenteil,
es r,sc^ien mir’ dass das Sputum dabei sich rascher
verflüchtigte, die Tuberkelbazillen darin rapider ab-
nahmen und das allgemeine Befinden sich schneller
besserte. Schädliche Einwirkungen des Serums konnte
ach bei dieser Anwendungsweise weder bei den Er¬
wachsenen noch jemals bei den Kindern beobachten Lei¬
der erlitt die Serumbehandlung hie und da Unterbrechungen
wegen Mängel an Serum. Alle Kranken wurden beim Eintritt
ärztlich genau untersucht, was bei denselben dann im Spital
ordentlicherweise alle 8. Tage wiederholt wurde. Das Körper¬
gewicht viirde ebenfalls alle 8 Tage gemessen. Temperatur
und Puls wurden täglich 2— 4 mal geprüft. Die Sputa- und
Urinuntersuchungen wurden bei den Patienten ordentlicher-'
weise alle Monate einmal vorgenommen, und zwar auf das
Vorhandensein von Tuberkelbazillen wie anderer Mikroorga-
nisnien. Bei weitaus den meisten Kranken hatten wir Misch-
lnrektion. Neben mehr oder weniger Tuberkelbazillen fand
man im Sputum Diplokokken, Streptokokken oder Staphylo¬
kokken. Erfolgte Besserung auf die Seruminjektionen, so sah
man zuerst Abnahme der Tuberkelbazillen, während die übri¬
gen Mikroorganismen sich vorübergehend eher zu vermehren
sc nenen, um aber dann später allmählich auch abzunehmen.
Es schien mir an Hand der periodisch gemachten mikro¬
skopischen Untersuchungen, dass speziell am Beginn der
Serumkur eine allgemeine Aufgeregtheit unter die verschie¬
denen Mikroorganismen im menschlichen Körper gekommen
sei. wenn man den Krankheitszustand meiner mit Antituber¬
kuloseserum Marmorek behandelten Patienten betrachtet, so
muss man sagen, dass die meisten davon eher Schwerkranke
sind und nur der kleinere Teil zu den mittelschweren Fällen
gezählt w erden darf. Es dürfte das wohl der Hauptgrund sein
warum meine Resultate weniger günstig sind, als bei anderen
Kollegen, welche das Mittel ebenfalls anwendeten. Aus dem
gleichen Grunde dürften verschiedene Komplikationen zutage
getreten sein, welche bei leichteren Krankheitsfällen nicht be¬
obachtet wurden. Was bei allen mit Marmorekserum Behan¬
delten eintrat, das war Pulslbeschleunigung. Schon
nach 2—3 Einläufen sahen wir die Pulszahl von 70—80 Schläge
in der Minute auf 100—110—120, ja sogar bis auf 130 hinauf¬
gehen. Und während der ganzen Serumkur hielt sich bei den
meisten Kranken der Puls auf derselben Höhe. Aber wir be¬
obachteten nie, dass dadurch andere, unangenehme Erschei¬
nungen bewirkt wurden.
Bei einzelnen Patienten wurde auch einigemale das Blut
untersucht. Bei allen diesen konnte eine wesentliche Stei¬
gerung der Leukozytose gesehen werden.
Bei einigen wenigen sahen wir während der Serumanwen¬
dung Hämoptoe eintreten, was uns jeweilen veranlasste,
das Mittel auszusetzen. Das aber später von Zeit zu Zeit wie¬
der eintretende Lungenbluten machte uns glauben, dass nicht
die Serumanwendung die Ursache der Blutungen sein konnte.
Bei 2 Kianken sahen wir jedesmal nach der Applikation
des Serums das Auftreten von Drängen im Bauche, Leib¬
schmerzen und Diarrhöe. Während sich bei einem derselben
diese Erscheinung verlor, musste man beim anderen auf die
weitere Anwendung dieses Medikamentes verzichten.
Temperatursteigerungen, Fieber zeigten ebenfalls einige
Kranke. Doch wir glauben nicht annehmen zu dürfen, dass sie
vom Serum herrühren. Denn dieselben hatten meistenteils
schon vorher zeitweise Temperaturerhöhungen. Im Gegenteil
nach kürzerer oder längerer Zeit stellte sich bei den meisten
Fiebernden ein Temperaturabfall zur Norm ein.
Doch sehen wir uns die mit dem Antituberkuloseserum
Marmorek behandelten 39 Kranken etwas näher an: Ich teile
dieselben ein:
Nach Alter und Geschlecht:
Jahre: Männer:
Alter: 1—5 4
6—10 2
11—15 2
16—20 4
21—25 5
26—30 5
31—40 3
41—50 4
über 50 2
31 ‘ 8 39
Frauen: Total:
1 5
— 2
2 4
3 7
— 5
2 7
— 3
— 4
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2127
Nach der nachweisbaren Lokalisation der
Tuberkulose.
Lungen .... 20 Nieren . 1
Knochen .... 3 Bauchfell .... 1
Gleichzeitig verschiedene Organe ... 14
NachdemStadiumderErkrankung (nach T u rban).
I. Stadium 1. II. Stadium 9. III. Stadium 29.
Von den 27 Lungentuberkulösen, inklusive derjenigen, bei
welchen auch andere Organe tuberkulös waren, fand man beim
Eintritt in die Anstalt bei 26 Patienten mehr oder weniger viel
Tuberkelbazillen im Sputum. Bei den meisten waren es Misch¬
infektionen. Am Ende der Serumkur konnte man bei 11 Kran¬
ken keine Tuberkelbazillen mehr nachweisen, bei 7 waren sie
wesentlich vermindert, bei 8 waren sie gleich geblieben oder
haben trotz Serum zugenommen. Bei einem Kranken konnte
man überhaupt nicht mit Sicherheit Tuberkelbazillen nach¬
weisen, doch liess das klinische Bild mit Bestimmtheit auf das
Vorhandensein derselben schliessen.
Die Dauer der Serumkur war je nach dem Zu¬
stande, dem Erfolg und der Ausdauer des Kranken sehr ver¬
schieden, und zwar von 16 bis 215 Tage; durchschnittlich
69 Tage.
Die Zahl der Injektionen betrug pro Patient von
8_76 Injektionen durchschnittlich 31 ä 5—10 ccm per rectum.
Subkutan wurde nie mehr als je 5 ccm eingespritzt.
Werfen wir nun einen Blick auf die erzielten Erfolge und
Misserfolge derjenigen Kranken, welche von uns mit Marmo-
rekserum behandelt wurden, so dürfen wir mit dem erzielten
Resultate zufrieden sein, wenn man bedenkt, was da für Kran¬
kenmaterial zur Verfügung stand. Da darf der Erfolg nicht
nach Prozent gemessen und etwa mit den Heilresultaten von
Sanatorien verglichen werden. Denn mit wenig Ausnahmen
würden die wenigsten dieser Patienten in Anbetracht der
Schwere der Krankheit, noch in einer Heilstätte Aufnahme ge¬
funden haben.
loh schätze meine erzielten Erfolge auch nicht nach Hei¬
lung und Nichtheilung ein. Ich betrachte einen Tu¬
berkulösen überhaupt erst als geheilt, wenn
erwieder so weit hergestellt ist, dass er nach
Entlassung aus der ärztlichen Behandlung
we nigstens 2 Jahre lang ununterbrochen total
arbeitsfähig war.
Demgemäss rubriziere ich die Erfolge meiner Kranken in
folgende Kategorien:
1. ganz arbeitsfähig (geheilt),
2. teilweise arbeitsfähig (wesent¬
lich gebessert),
3. wenig gebessert,
4. nicht gebessert,
5. gestorben.
Nach gewissenhafter Prüfung meiner Fälle in bezug auf die
erzielten Resultate teile ich sie folgendermassen ein:
1. ganz arbeitsfähig (geheilt)
2. teilweise arbeitsfähig
(wesentlich gebessert)
11
In Summa 29.
3. wenig gebessert
4. nicht gebessert
5. gestorben
4
5
1
Die übrigen 10 Kranken befinden sich noch in der An¬
stalt und erfreuen sich bis jetzt alle ohne Ausnahme einer ganz
bedeutenden Besserung.
Symptome der Besserung: Bei meinen Beobach¬
tungen an den mit Marmorekserum behandelten Kranken
konnte ich nie ein rasches, in die Augen springendes Bessern
sehen. Die Besserung kam allmählich, langsam. Bei den einen
freilich schneller, bei den anderen langsamer. Sie zeigte sich
durch das Auftreten eines allgemeinen Wohlbefindens und He¬
bung des Appetites. (Es darf da nicht unerwähnt bleiben, dass
der Glaube, das Vertrauen des Patienten zu einem neuen Medi¬
kament, das ihm Besserung ja vielleicht Heilung bringen wird,
auch eine gewisse suggestive Rolle dabei spielt, ähnlich wie
bei vielen anderen Krankheiten.) Dann folgte Sinken der fe¬
brilen Temperatur, Abnahme der Nachtschweisse. Der Husten,
speziell in der Nacht, verminderte sich ebenfalls. Der Schlaf
wurde ruhiger, erquickender. Das Sputum wurde flüssiger,
wenn auch anfänglich etwas reichlicher. Das Körpergewicht
vermehrte sich bei den meisten von Woche zu Woche, ja so¬
gar bei einzelnen um 12 — 14 kg bis zum Ende der Serumkur.
Bei der Untersuchung der Lungen hörte man anfänglich eine
Zunahme der Rasselgeräusche, dieselben wurden aber gleich¬
zeitig wesentlich feuchter und lockerer. Später jedoch nahm
das Rasseln dann allmählich ab, um bei den günstigen Fällen
ganz zu verschwinden und einem unbestimmten Respirations¬
geräusch, meist mit verlängertem In- und Exspirieren, wieder¬
um Platz zu machen. Die vorher mehr und weniger vermin¬
derte Atmung in den erkrankten Lungenpartien hellte auf. Die
Zahl der Atemzüge nahm ab, die Tiefe der Inspirationen zu.
Bei 2 Kranken sahen wir das Verschwinden der beim Eintritt
vorhandenen Kavernen. Bei keinem der mit Serum Behandel¬
ten konnte ich das Wiederkehren von ganz reinem Per-
kussionsschall und ganz reinem vesikulärem Atmen nach¬
weisen. Bei allen blieben mehr oder weniger Verdichtungen
im Lungengewebe, Narben zurück, was auch durch röntgeno-
skopiische Aufnahmen bestätigt wurde.
Bei der Knochentuberkulose bildeten sich die meisten
Symptome der chronischen Entzündung zurück. Eine Ver¬
dickung der erkrankten Knochenpartie, eine partielle oder
ganze Versteifung der affizierten Gelenke blieb jedoch öfters
zurück, ohne sonst anderen wesentlichen Schaden zu hinter¬
lassen.
Bei der Harnblase- und Nierentuberkulose erfolgte die
Besserung in dem allmählichen Abnehmen und zuletzt Ver¬
schwinden der Tqberkelbazillen im Sediment des Urins und der
auffallenden Besserung des allgemeinen Befindens der Kranken.
Fast wunderbar kam uns der Heilungsprozess bei jenem
schweren Falle von Bauchfelltuberkulose vor. Das ganz ab¬
gemagerte, fiebernde Mädchen mit dem grossen, brettharten
Bauche — das Schulbild einer Bauchfelltuberkulose — liess
vermuten, dass wohl innerhalb weniger Tage der Tod ein-
treten werde. Nichts von dem! Nach einigen Einläufen von
Marmorekserum und später Anwendung von Röntgenstrahlen
konnten wir fast von Woche zu Woche eine zunehmende
Besserung konstatieren, bis dass sie wieder total arbeitsfähig
entlassen werden konnte. Sie hat während des letzten Som¬
mers meistens auf dem Lande gearbeitet und zeigte absolut
keine Betschwerden mehr.
Schlussätze.
Die Beobachtungen und Erfahrungen, welche ich mit dem
Antituberkuloseserum Marmorek gemacht habe, führten zu fol¬
genden Ergebnissen:
Das Serum Marmorek hat bei Tuberkulose eine anti¬
toxische Wirkung auf den menschlichen Organismus. Das
erkennen wir aus der Abnahme re'sp. Verschwinden der Tuber¬
kelbazillen im Auswurf der Lungenschwindsüchtigen und im
Harnsediment bei Harnblase- und Nierentuberkulose, solcher,
welche mit Marmorekserum behandelt wurden. Besonders
günstig wirkt das Serum bei Lungentuberkulose I. und II. Gra¬
des, sowie bei Knochen- und Bauchfelltuberkulose. Tuberku¬
löse leichteren Grades können somit ganz gut ambulatorisch
behandelt werden.
Bei Lungentuberkulose III. Grades hatte ich so gute Er¬
folge wie mit keinem anderen Mittel. Wenn es auch nichi.
immer heilend wirkt, so kann es doch die Krankheit zum Still¬
stand bringen und eine Weiterzerstörung des Köipers tempo¬
rär hemmen. Deshalb kann man und soll man das Sei um
Marmorek in weiter vorgeschrittenen Fällen versuchen, wenn
einigermassen noch Aussicht auf Besserung ist.
Je schwerer und hartnäckiger der Krankheitsprozess ist,
desto länger muss das Serum verabfolgt werden. Die publi¬
zierten Misserfolge kommen wahrscheinlich vom zu frühen
Sistieren oder von der unrichtigen Anwendung des Marmorek-
serums her. . „
Auch bei Mischinfektionen erfolgt in vielen Fallen Bes¬
serung, wenn auch langsamer und seltener als bei reiner Tuber¬
kulose. .. , _
Da wo ausgedehnte, schwere Zerstörungsprozesse schon
vorhanden sind, da wird das Marmorekserum nicht mehr
helfen, so wenig wie etwas anderes.
Das Marmorekserum, rektal angewendet, hat keine
schädlichen Nebenwirkungen und wird speziell vom jugend¬
lichen Alter gut und auf lange Zeit vertragen. Wie bei andcien
Infektionskrankheiten, gegen welche man spezifische Gegen¬
mittel hat, so müssen auch hier die allgemeinen Lebensbe¬
dingungen zur Genesung resp. Besserung günstig gesic! t
22. Oktober 1007.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
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2130
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 4d.
werden. Eine rationelle Pflege und Ernährung des Kran¬
ken ist da absolutes Erfordernis. Ereiluftkuren, besonders
Sonnenbäder sind notwendig. Aufenthalt im Hochgebirge, in
geschützten, sonnenreichen Gegenden ist sehr empfehlenswert.
Aber auch Ereiluftkuren in der T a 1 e b e n e, sogar in Nebel¬
gegenden während des Sommers, wie im Winter wirken nicht
nur nicht schädigend, sondern zeigen auffallend schöne Heil¬
resultate. Will man mit Marmorekserum schöne Erfolge er¬
zielen, so soll man die Freiiuftkur (Heliotherapie) nicht ausser
acht lassen.
Einen Nachteil hat das Marmorekserum noch und das ist
sein Geldpreis.
Die 7 uberkulose ist eine Volkskrankheit wie keine andere;
alt und jung, reich und arm werden davon heimgesucht. 4ber
doch ist sie ganz besonders der Würgengel des Proletariats
dei Armut. Und da ist der Preis des Marmorekserums noch
meu dazu angetan, um in der Armenpraxis Verwendung zu
finden.
Es sind das Preise, welche zu hoch sind, um das Heilmittel
zu einem V o 1 ik s h e i 1 m i 1 1 e 1 für arm und reich zu machen.
Ich glaube nicht, dass wir nun im Marmorekserum das
Non plus ultra zur Bekämpfung der Tuberkulose haben. Und
Marmorek glaubt es offenbar auch selbst nicht; denn immer
und immer noch ist er bestrebt, dasselbe zu verbessern. Doch
treuen wir uns dessen, was wir haben. Es ist doch ein grosser
bchntt vorwärts im Kampfe gegen die Tuberkulose
Hr M'P;™DaS Murrnorekserum ist erhältlich im Laboratorium des
Ur. Marmorek, Rue de Langschamps 72 ä Paris-Neuilly.
Aus der Kgl. Poliklinik für Ohren- und Nasenkranke in
Gottingen. (Direktor: Prof. Dr. Bürkner.)
Zur Plastik der Missbildungen der Ohrmuschel.
Mitteilung einer zweckmässigen Methode für Fälle von
Mikrotie.
Von Privatdozent Dr. W. U f f e n o r d e.
Die praktisch wichtigsten Missbildungen, die die gesamte
Ohrmuschel betreffen, werden bekanntlich im wesentlichen in
E^kt V r ^k£0tfle Und solche von Makrotie unterschieden.
Es !st hudangheh festgestellt, dass solche Missbildungen oft
mit anderen zusammen auftreten, namentlich am Gehörorgan
Fisteln Colobn i (Polyotie), angeborene
Fisteln, Coloboma lobuli, Atresie des Gehörorgans, verschie¬
denartige Hemmungsbildungen des Mittelohres, seltener solche
des Labyrinthes und der Hörnerven, sehr selten angeborene
EaziahsLahmung [Hypoplasie] (Neuenborn [17], °S u ga?
L ]) gleichzeitig z. I . mit Hemiatrophia facialis beobachtet
u. z. gilt das mehr für die Bildungsdefekte wie für die Bildungs-
Lxzesse der Aurikula. Dass daneben auch Missbildungen am
mitgeteilt Unterklefer u- a- beobachtet werden, wurd le öuTr
■ Während nun bei kongenitaler Atresie des Gehörganges
einer rdat^ häufigen, 'bisweilen auch ganz isoliert auftreten-’
c Hemrnungsbildung, lediglich die Gehörfunktion unser In¬
teresse in Anspruch nimmt und die Frage, wie weit sie über-
haupt ausgebildet ist, zunächst beantwortet werden muss tritt
bei der Makrotie und Mikrotie das kosmetische Interesse in-
n!SC i eru°f abscheulichen Entstellung in den Vordergrund
a-b. Mikrotie durch die stark eingerollte Ohrmuschel ge-
gen tl ich einmal auch das Gehör sehr beeinträchtigt werden
kann, beweist u a. der Fall von St etter [21]. Aber bei
weitem in erster Linie wird die Entstellung des Patienten durch
die mangelhaft oder zu stark entwickelte Ohrmuschel den Arzt
xeranlassen, diese womöglich durch eine Plastik zu beheben
selbst wenn das Gehör so sehr beeinträchtigt ist dass ein
Erfolg in dieser Hinsicht von vornherein aussichtslos erschei
ne,, muss. Bekanntlich soll man den Versuch! die XresiJ des'
eruierEhat ?ur ™achen. nachdem man vorher
CI Hielt hat, ob überhaupt Gehorvermögen vorhanden ist
ö C rV W- [2°]): Wieweit die Ohrmuschel überhaupt für
die Gchorfunktion dienlich ist, darüber gehen die Meinungen
noch immer auseinander; sie wurde von den einen nur als
Schutzorgan, von anderen als für die Beurteilung der Schall¬
richtung wertvoll und von noch anderen wiederum als Schall¬
trichter, als Resonator für hohe Töne angesehen. Auf jeden
all ist ihr Einfluss besonders durch die unzweckmässige Form
und den Verlust der Beweglichkeit nicht erheblich. Wie ich
nebenbei bemerken möchte, geht das neuerdings von G e i g e 1
|Ö| in dieser Hinsicht mitgeteilte von irrtümlichen Voraus¬
setzungen aus. Schon Mitte des vorigen Jahrhunderts ist im
wesentlichen seine mitgeteilte Auffassung von Kramer u. a.
angenommen. Er glaubt, „die Knorpel der Ohrmuschel nehmen
die Schallwellen auf, geraten in Schwingungen und vermitteln
diese Schwingungen ohne Uebergang in Luft durch lauter feste
eile dem Trommelfell“. Geig eis [9] Annahme, dass nur
der das Trommelfell berührende Cerumenpfropf die Gehörs-
Wahrnehmung wesentlich herabsetze, ist falsch. Sobald dieser
obtuiieiend ist, hat er auch sonst die Wirkung, und dadurch ist
die Auffassung als widerlegt zu betrachten. Man braucht sich
ja nur durchfeuchtete Watte in den Gehörgang zu stecken, um
einen hohen Grad von Schwerhörigkeit zu erreichen, trotzdem
wird dann offenbar durch Resonanzerscheinung Geigels [9]
Versuch mehr positiv. Bei meinen Untersuchungen über die
Auskultation des Mittelohrs [26] habe ich auch mehrere dort
mitgeteilte Versuche über die Schalleitung angestellt und den
Lurtweg als notwendig dafür gefunden. In der Tuba Eustachii
liegen die Verhältnisse in dieser Hinsicht ebenso wie beim Ge-
horgange. Andererseits ist durch die Mitteilungen von Blake
[1] und Bürkner [4] erwiesen, dass vollkommener Verlust
der Ohrmuschel die. Gehömvahrnehmung an sich nicht beein¬
flusst, sondern nur die Lokalisation und entsprechende. Ein¬
stellung auf die Schallquelle erschwert und auch dadurch auf
jene wirkt. Endlich ist die von Geigel [9] als allgemein an¬
erkannte Auffassung über die Zuleitung der Schallwellen zum
irommelfell, nämlich dass die Ohrmuschel die Schallwellen
sammele und wie in einen Trichter durch Reflexion in den
Gehorgang hineinleite, bereits im Jahre 1875 von Mach [141
widerlegt.
Unsere Ohrmuschel ist als rudimentär entwickeltes Organ
anzusehen und hat offenbar nur geringen Wert für die Gehör¬
wahrnehmung an sich, wohl aber wesentlicheren Wert für die
Lokalisation der Schallquelle. Demgegenüber ist bei vielen
Saugetieren die Ohrmuschel von grossem Vorteile, wie man
z. B am besten „am Spiel des Gehörs bei sicherndem Rehwild“
beobachten kann, welches dabei nach der Schallquelle sucht
und die Muschel darnach einstellt.
Nach Geigel [9] wäre ja ein Gehörgang fast überflüssig, die
Uebertragungsreihe von Ohrmuschel auf Trommelfell bei uns
aber wegen der verschiedenen Gewebsarten unzweckmässig;
solche Verhältnisse finden sich in zweckentsprechenderer Form
beim Wal, und sind treffend von Bonninghaus [2] be¬
schrieben und erklärt. Beim Wal, dem stets im Wasser leben¬
den Säugetier, sind die Ohrmuscheln unnütz geworden, an ihrer
Stelle findet sich eine trichterförmige Vertiefung; ein Gehör-
gang besteht nicht. Für die Schallübertragung ist von Wich¬
tigkeit, dass ja Wasser ein viel besserer Schalleiter ist als Luft,
dass die Grösse des Leitungsvermögens der Dichte des Lei-
tungskorpers proportional ist. Das Ohr des Wales ist eben den
Lebensbedingungen entsprechend eingerichtet, es würde auf
dem Lande seinen Zweck verfehlen. Wenn auch die feineren
P ysikalischen Vorgänge bei der Schalleitung im allgemeinen
nicht feststehen, so ist doch als sicher anzunehmen, dass der
Gehorgang als solcher bei uns die wichtigste-, Rolle dabei spielt.
Am wahrscheinlichsten erscheint es, dass, wie Machs 14]
Veisuch zeigt, die Schallwellen den Wandungen z. T der Ohr¬
muschel und des Gehörgangs entlang fortgeleitet werden.
Ein äie I3ehandlung der Ohrmuschelmissbildungen sind ver¬
schiedene Methoden angegeben. Die Verunstaltung des Gesichtes
durch Makrotie wird am besten durch die von T r e n d e 1 e n -
bürg |25J angegebene Methode behoben, und zwar durch Ex-
deTMitip'öP^h65! aUS der, 0hrmuschel, dessen Basis etwa in
der Mitte des hinteren Hehxrandes und dessen Spitze in der
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culae CS mit der ^onkavitat nach vorn aus der Scapha auri-
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Füe iä.e sehr hässlich vom Kopf abstehenden Ohren mag
icser Schönheitsfehler erworben oder angeboren sein, kommt
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2131
bisweilen eine operative Behandlung in Frage, da die ortho¬
pädische selten Erfolge bringt. Hier wird meist die E 1 y sehe
[8] Operation empfohlen, die darin besteht, dass ein Haut¬
schnitt parallel der Insertionslinie der Ohrmuschel auf der
Schläfenbeinbedeckung gemacht wird, dessen beide Enden
durch einen zweiten, bogenförmig über die hintere Fläche der
Ohrmuschel laufenden Schnitt verbunden werden. Die da¬
durch begrenzte Haut wird mit dem Unterhautzellgewebe ab¬
gelöst. Alsdann wird durch zwei den ersten parallele, den
Knorpel durchtrennende Schnitte ein elliptisches Stück von
diesem entfernt, und schliesslich die Wunde durch Nähte ge¬
schlossen, welche teils nur die Haut, teils Haut und Knorpel
betreffen.
Aber schon vor E 1 y [8] sind von anderen ähnliche Metho¬
den zur Anwendung gebracht, so von Keen [12].
Von Grub er [10] sind die Fälle dadurch operiert, dass
hinter der Ohrmuschel durch 2 mit ihrer Konkavität gegen¬
einander gerichtete bogenförmige Schnitte ein lanzettförmiges
Hautstück Umschnitten und exzidiert wurde.
Neuerdings ist von M’S h a n e [16] zur Korrektion ab¬
stehender Ohren ein keilförmiges Stück retroaurikulär ex¬
zidiert.
Von Morestin [15] ist für die Fälle mit Einrollung
namentlich des oberen Teiles der abstehenden Ohrmuschel eine
umständlichere Methode ausgeführt.
Häufiger als die Makrotie wird die Mikrotie und besonders
die Form des Katzenohrs beobachtet. Ostmann [18] hat
diese Missbildung bei seinen Untersuchungen an 7537 Schul¬
kindern des Kreises Marburg in 5 Fällen gefunden. Die Be¬
handlung dieses Bildungsdefektes ist naturgemäss schwieriger
als die des eben besprochenen Bildungsexzesses. Der Voll¬
ständigkeit halber will ich hier auch die sehr seltene, inter¬
essante fötale Ohrform bei Erwachsenen einfügen, die D e i 1 e
[6] beschrieben hat. Hierbei wird man kaum einer Plastik be¬
dürfen. Eine kleine, unvollständig ausgebildete Ohrmuschel
wird auch bei Hemiatrophia faciei beobachtet (Körner [13]).
Vollkommene Aplasie wird man meist nur durch zweck¬
mässige Frisur, indem dazu die seitlichen Kopfhaare benutzt
werden, verdecken.
Von Szymanowsky [24] ist für die Aplasie ein
Schema einer totalen Otoplastik angegeben, welches aber, wie
Schwartze [20] sagt, nur von theoretischem Interesse sein
wird.
Von Ran da 11 [19] ist eine total abgerissene Ohrmuschel
mit leidlichem Erfolge durch Plastik aus der umliegenden Haut
ersetzt. Ebenso hat v. Hacker [10 a] durch Lappenbildung
eine fast totale Otoplastik ausgeführt.
Dagegen kann man eine partielle Otoplastik versuchen,
z. B. zum Ersatz des verloren gegangenen Lobulus auriculae
oder des oberen Teiles, wie solche Methoden schon von Dief-
f e n b a c h [7] angegeben und auch z. T. ausgeführt sind. Auch
von C o c h e r i 1 [5] wird darüber berichtet.
Wir haben jüngst in einem Fall, bei dem wir den Lobulus
auriculae wegen tuberkulöser Veränderung abtragen muss¬
ten, durch doppelte Lappenbildung aus der umliegenden Haut
den Defekt gedeckt. Die Basis des ersten Lappens, der die
laterale Fläche und durch Einrollung am hinteren freien Rande
auch z. T. die mediale Fläche des Lobulus bilden wird, ist die
vordere Insertionslinie des Lobulus; dieser Lappen liegt also
in der Projektion des Lobussitzes, nur muss er wegen der
Schrumpfung' grosser sein. Ein zweiter schmälerer Lappen
mit der Basis schräg nach unten und etwas vorn von der des
ersten wird aus der Haut hinter dem hinteren Mandibularrande
gewonnen; er deckt die hintere Fläche des neugebildeten Lo¬
bulus. Der Erfolg war ein guter.
Handelt es sich um sehr geringe Entwicklung der Muschel,
so wird man am besten versuchen, eine Prothese aus Papier¬
mache darauf zu adaptieren.
In Fällen von Mikrotie, für die eine operative Behandlung
in Frage kommt, sind verschiedene Methoden mitgeteilt:
Stetter [21] hat folgende Methode für die Beseitigung
der Katzenohrform angegeben:
Loslösung eines dreieckigen Hautlappens, dessen Spitze
nach oben und dessen Basis in der Höhe des Lobulusansatzes
vor dem Ohre liegt; dann wird das Unterhautbindegewebe
durch viele kleine quere Inzisionen durchtrennt. Darnach lässt
sich die Spitze der Muschel ziemlich weit erheben. Anderer¬
seits werden auf der Rückseite der Ohrmuschel und der Haut
des Schläfenbeins 2 parallel verlaufende Schnitte durch die
äusseren Integumente gemacht, die oben nahe am Helixrande
ansetzen und nach hinten oben verlaufen. Dieser umschnittene
Hautstreifen wird von der Mitte aus vollkommen unterminiert,
hochgehoben und durch Matratzennähte vernäht. Zwischen
den vorderen dreieckigen Hautlappen und das darunterliegende
Gewebe wurde Staniolpapier eingefügt. Die Hautduplikatur
wird erst nach vollkommener Vernarbung der vorderen
Wunde, soweit sie überflüssig ist, entfernt. Stetter [22] hat
seine Methode bei einem 2. Falle erprobt. Den Verhältnissen
entsprechend hat er hier den hinteren zu unterminierenden
Hautlappen breiter angelegt und vorn oben die Ohrmuschel
ganz losgelöst; ein Teil des durch die Zurückstellung der
Auricula vor derselben entstehenden Defektes wurde durch
einen Hautlappen gedeckt, der nach vorn daran grenzt und
durch 2 parallele Inzisionen mit nachfolgender Lockerung von
der Unterlage entstand, indem der Lappen möglichst in den
Defekt hineingezogen wurde und so fixiert; der andere Teil
heilte per secundam intentionem.
Burger [3] hat 2 weitere Fälle von Katzenohr mitge¬
teilt, die er nach eigener Methode operierte: In dem ersten
Falle, in dem die rechte Auricula nach vorn und unten umge¬
klappt und mit der Tragusgegend verwachsen war, wurde die
rechte Muschel so stark als möglich emporgerichtet, wobei ihre
vordere Insertion gespannt wurde. Die so gespannte Hautfalte
vor der Auricula wurde gespalten und ihre Insertion- voll¬
ständig lospräpariert. Um nun das losgelöste Ende des Helix
hoch nach oben fixieren zu können, wird von der Wunde nach
oben eine Inzision gemacht und in diese klaffende Wunde der
losgelöste obere Teil der Ohrmuschel eingenäht.
In dem anderen Falle war die linke Muschel ad maximum
nach vorn und unten umgeklappt und in der Tragusgegend so
fest verwachsen, dass es unmöglich war, die Concha und den
Meatus zu sehen. Hier ging Burger [3] in ähnlicher Weise
vor, doch wurde der letztere Hautschnitt nicht senkrecht, son¬
dern horizontal nach hinten gemacht. Diese 4 cm lange In¬
zision klaffte nach vorn, der lospräparierte Helix wurde so ge¬
dreht, dass er sich in die Wunde fügte und wurde darin durch
Nähte fixiert. Der Ueberschuss an Haut auf der Rückfläche der
Ohrmuschel wurde durch eine ovale Exzision entfernt; diese
musste später noch einmal wiederholt werden. Der Erfolg
dieser 2. Plastik soll noch besser gewesen sein als der der
ersten.
Ueber einen sehr interessanten Fall von Missbildung mit Plastik
berichtet Hecht [ 1 1 ] aus unserer Poliklinik. Hier handelt es sich
um eine Kombination von Mikrotie (Katzenohr) und Makrotie. „Der
obere Helixteil war abnorm gross, wulstartig lateralwärts und nach
unten umgeklappt, mit dem der Concha benachbarten Teile des Crus
anthelicis verwachsen. Die ganze Muschel war stark vom Schädel
abstehend, an der medialen Fläche durch einen dicken, zwischen¬
gelagerten, etwa 8 mm breiten Wulst vom Warzenteile abgedrängt.
Lobulus sehr fleischig.“ Die Behandlung geschah zum Teil nach
, G r u b £ r [10] und zum Teil durch Exzision eines keilförmigen
Stückes, Haut und Knorpel, aus dem oberen Helixteile, nachdem diesei
gelockert und emporgehoben war. Der schliessliche Erfolg war ein
guter.
Ich möchte in dem folgenden eine plastische Methode für
die kosmetische Beeinflussung der in Frage kommenden Foi-
men von Mikrotie mitteilen, die einerseits relativ einfach ist,
andererseits in ausgesprochenen Fällen von Katzenohrform
noch eine wesentliche Besserung gestattet. Die Methode ist
kurz folgende:
Nach gründlicher Vorbereitung der Schläfengegend wird
ein Schnitt 1 cm vor der Auricula, vor dem Tra¬
gus beginnend über die Haargrenze hinaus nach oben
geführt. Darauf wird durch das Crus helicis, wel¬
ches gespannt wird, ein Querschnitt senkrecht auf den ersten
bis in die Cymba conchae gesetzt. Etwa 2 cm hinter und unter¬
halb von dem oberen Endpunkte des 1. Schnittes wird ein mit
der Konkavität nach vorn gerichteter Schnitt entsprechend
durch die Haut des Schläfenbeins nach unten geführt und ein
zweiter ebenso durch die Haut der Hinterfläche der Ohi-
muschel, der dann über dem oberen Insertionswinkel der
* 2*
2132
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT'.
Auiicula auf den 1. Längsschnitt trifft. Dieser zuletzt umschnit-
tene retroaurikuläre Lappen wird von seiner Unterlage los¬
präpariert, darauf wird die Auricula und besonders der los¬
geloste obere Teil in die Höhe gehoben und in den Winkel unter
der Brücke des eben gebildeten Lappens entsprechend ein¬
genäht. Dieser wird nun nach vorn geklappt und den Ver¬
hältnissen entsprechend zugeschnitten, indem der entstandene
Winkel an der vorderen Seite des Lappens ausgeglichen wird
Die Spitze desselben kommt in die klaffende Lücke von Crus
helicis zu liegen. Nach sorgsamer Adaptierung werden alle
I eile mit Aluminiumbronzedraht vereinigt.
Die Methode wurde an unserem Patienten beiderseits aus¬
geführt; die Heilung geschah per primam. An beiden Ohren
war bereits früher von anderer Seite ein operativer Versuch
in dieser Hinsicht gemacht, offenbar durch Exzision nach Qru-
b e r L10J, aber ohne jeden Erfolg.
K i a n k e n g e s c h i c h t e: Th. G., 12 J., Landwirtssohn, Gie-
boldshausen. Journal LIII, No. 1165.
Patient kam am 27. III. 07 in die Poliklinik wegen Luftmangel
urch die Nase und Schwerhörigkeit. In der Nase und an den Augen
bestehen stets Verschwärungen. Die Missbildungen an den Ohr¬
muscheln seien bereits doppelseitig ohne Erfolg operiert.
•i -Diagnose. Mikrotie, Katzenohr bds. Otit. med. suppur. chron.
bil. Hypertrophie der Rachenmandel. Ekzema introit. nar. et con¬
junctivae. Rhinitis hypertrophica.' Pharyngitis granulosa.
Eunktionsbefund: Knochenleitung bds. erhalten. Weber nicht
"J. rf,isiert: , ^Dne bds. negativ. Perzeptionsdauer bds. 13 Sek
Die Uhr wird bds. 17 cm gehört.
Nach Entfernung der Rachenmandel und Heilung des Ekzems am
Naseneingang wurde am 9. IV. 07 die Plastik rechts und am 15. IV.
dieselbe links ausgeführt. Nach 6 Tagen wurden beide Male die
Nahte entfernt. Die Heilung geschah per primam.
Am 3. V. wurde 1. in den oberen Helixteil, der etwas schwächer
entwickelt war, mittels der O n o d i sehen Spritze Paraffinum durum
injiziert.
Der Patient wurde am 6. V. entlassen. Das kosmetische Resul¬
tat auf dei rechten Seite war ein sehr gutes. Die Ohrmuschel ist
zwar relativ klein, aber von fast normaler Gestalt und Lage. Auf
der linken Seite ist der obere vordere Helixrand adhärent und da¬
durch kosmetisch ein Nachteil geblieben, der sich auch durch Paraf¬
fininjektionen nur wenig beseitigen Hess. Immerhin ist eine wesent¬
liche Verbesserung erzielt.
Mo. 43.
Literatur:
1. Blake: Zit. bei Bür kn er: Lehrbuch der Ohrenheilkunde,
1^92. 2. Boenninghaus: Das Ohr des Zahnwales und die
Schalleitung. Zeitschr. f. Ohrenheiik., Bd. XLV, 1, S. 1.-3. Bur¬
ger: Nederl. Tijdschr. voor Geneeskd. 1594. Ded. T. No. 18 ’ b o4«
Autoref.: Monatsschr. f. Ohrenheiik. 1894, 11, S. 378. — 4 Bürkner’
Arch. f. Ohrenheiik., Bd. XXII, 201. — 5. Locher il: De la restau-
[^lon tlu Pavillon de l’oreille. Revue de laryngol., d’otol. et de rhinol.
189o, No. 3 u. 4. — 6. D e i 1 e: Ein Lall von beiderseitiger totaler Ohr-
lorm bei einem Erwachsenen. Zeitschr. f. Ohrenheiik., Bd. 47, S. 73.
TT /• Vf f f.e n, ba eh: Von dem Wiederersatz des äusseren ’ohres.’
Abt. II, Berlin 1830, 1. 116. In „Chirurg. Erfahr, über die Wieder-
h UnS ZerotÖit,er \e.ile des menschlichen Körpers nach neueren
E yJ pme Operation zur Verbesserung der Stellung
abstehender Ohrmuscheln. Zeitschr. f. Ohrenheiik. XI, 1, S. 35 1882
~ Vx/e 1 5 el: uBedeutung der Ohrmuschel für das Hören. Münch’
med Wochenschr. 1907, 30, S. 1478. - 10. Gr über: Lehrbuch'
Wochinschr fonr %n 188f, -L 10 »• v- Wiener kUn.'
m/on 1901» 3/' T“ pb Hecht: Zur Kasuistik der opera-
Behand^ lung kongenitaler Bildungsfehler der Ohrmuschel Arch
sunrerv"l870 ’ felV' 89' “T K e e „ - Philadelpto“ AnnaU
?2 } f 8/üf~ J3* Kerner: Beteiligung der Ohrmuschel und des
XU kM 4 1*4 M Hhem^lr°Ijh1ia Jaciei. Zeitschr. f. Ohrenheiik.,
4\~ i14': •Aiach: Bemerkungen über die Funktion der Ohr
muschel. Arch f. Ohrenheiik., 9, S. 72. — 15. M o r e s t i n Reposi¬
tion, p hssement et modelage du pavillon de l’oreille. Arch general
de medecine, No. 32, 1904. - 16. J. E. M’Shane: Neue und twzck-
iridssige Methode zur Korrektion abstehender Ohren. Indiana Med
da 11: Arch. of Otolog, New York 1892. (Ausführl. Referat bei
Lochen ; De la restauration du pavillon de l’oreille Revue de
larynstol. d'otoh et de rhinol. 1895, No. 3 n. 4. - 20 Sch wa r t , e
Handbuch der Ohrenheiik., Bd. II, XII, S. 710. _ 21 SteUel- 7,!;
Bd. XXXIX, S. ,01. - 23. S u g ä r: Rudimentär ^ntwidteltef missbil':
dete Ohrmuschel mit Atresie des Gehörganges, Fistula auris con-
genit. u. Hemiatrophia fac. Arch. f. Ohrenheiik., LVIII, 3 u. 4. —
tdiweZJ I«7nn ° *Py: Handbuch der operativen Chirurgie. Braun-
l of 7 r„e " d eLei11Purs: Deutsche Chirurgie. Stutt-
gart 1886 Lief. 33, I. Hälfte, S. 193. — 26. Uffenorde: Beiträge
zui Auskultation der Mittelohrräume. Arch. f. Ohrenheiik., Bd. LXVI.
Aus der I. Universitäts-Augenklinik in Berlin (Direktor- Geh
Med. -Rat Dr. v. M i c h e 1).
Eine neue Behandlungsmethode der Blennorhoea adul¬
torum mittels Bleno-Lenicetsalbe.
Von Dr. Adam, Assistent der Klinik.
So vortrefflich die übliche, sagen wir klassische, Behand¬
lungsmethode (Arg. nitr. 0, 5-2,0 Proz., K-2 stündlich Spülen
mit einer antiseptischen Flüssigkeit und nachfolgendes Ein¬
streichen von Borvaseline) bei der Blennorrhoea neonatorum
wirkt (von 71 in den Jahren 1905 und 1906 stationär behandelten
Augen erkrankte während der Behandlung nur eines an einem
Hornhautgeschwür), so wenig erfreuliche Resultate hatte die
gleiche Methode bei der Blennorrhoe der Erwachsenen. In allen
eimgermassen schweren Fällen hatte man die Prognose als
ungünstig zu bezeichnen. Es hat daher natürlich nicht an Vor¬
schlägen gefehlt, die aber im wesentlichen, abgesehen von
B e r n h e i m e r s J) Empfehlung des Airol nur Modifikationen
de, klassischen Methode waren.
m +.D}.e . Hauptforderung jeder bezüglichen Behandlungs¬
methode ist der Schutz der Hornhaut. Man muss zunächst von
ihr verlangen, dass sie möglichst einfach sei, dass sie die Mani¬
pulationen am Auge auf das Mindestmass beschränke. Dieser
oi deiung kommt die klassische Methode schon nicht nach da
das Ektropiomeren der geschwellten, zuweilen hart infiltrierten
Lider immer eine gewisse Gefahr für das durch die mazerieren¬
den Eigenschaften des Sekretes geschädigte Epithel darstellt.
Zwar wird von vielen Seiten empfohlen, im ersten Stadium,
d. h im Stadium der harten Infiltration kein Argentum anzu-
wenden ; gewiss sehr weise, aber wie viel kostbare Zeit geht
vnnFVoeirl°ren‘f ^eiterhin bilden die Spülungen, besonders die
\on Kalt empfohlenen grossen Irrigationen, eine grosse Ge-
tahi tur die Hornhaut, wenn, wie es empfohlen wird, auch die
Nischen, die durch die gewulstete Bindehaut gebildet werden
ausgespült werden sollen.
Zum direkten Schutz der Hornhaut wurde im Gegensatz zu
anderen Kliniken von der unseren Borvaseline nach jeder
Spülung eingestrichen, doch war die Konsistenz derselben zu
gering, so dass sie meist geschmolzen wieder herausfloss
Das Prinzip der Bedeckung der Hornhaut durch 'eine
Salbenschicht hat sich die neue Behandlungsmethode gleich-
fahs zunutze gemacht. Sie war aber darauf bedacht, eine Salbe
zu schäften, die trotz genügender Geschmeidigkeit konsistent
genug war, um sich etwa 2 Stunden im Bindehautsack zu
halten. Nach verschiedenen Versuchen mit Zusätzen von
Amylum Pepton, Hartparaffin, Wachs, Honig, Gummi arabi-
cum habe ich mich für eine Salbe entschieden, die die che-
rmsche Fabrik Dr. Rud. R e i s s - Berlin, der ich für die bereit¬
willige Unterstützung bei diesen Versuchen dankbar bin, unter
dem Namen: „Euvaseline“ in den Handel bringt. Dieselbe be¬
steht aus besonders reiner weisser amerikanischer Vaseline
die durch einen genau abgegrenzten Zusatz von reinem hoch-
schmelzendem Naturceresin und wasserfreiem Lanolin eine
Beschaffenheit erhalten hat, der zufolge sie durch Luftsauerstoff
und „ uchtigkeit nicht verändert und durch Körperwärme nicht
verflüssigt wird. Bei Körperwärme wird sie weicher, behält
aber ^re Elastizität bezw. Homogenität vollkommen bei, und
bildet hierdurch und gleichzeitig durch ihre hohe Adhäsions¬
kraft eine vorzügliche, lang vorhaltende Schutzdecke für die
Hornhaut.
Nicht allein zur Blennorrhöebehandlung wird sie mit Vor¬
teil verwendet werden, sondern in allen Fällen, in denen man
eine festere Salbe gebraucht; also z. B. zum Bedecken des
Bulbus nach der Hess sehen Ptosisoperation, bei Lagoph-
thalmos, bei Salbenverbänden speziell zur Bedeckung der
Mo JsbGii'r Augenheilkunde? XLfv^Febr.6" Qonoble'lnorrll6e- «in.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
21 33
T h i e r s c h sehen Lappen etc. Auf ihre Verwendungsfähigkeit
in heisseren Klimaten (Tropen) sei hier nur kurz hingewiesen.
Die zweite und dritte Forderung, die man an eine rationelle
Behandlung stellen muss, ist die Beschränkung und Unschäd¬
lichmachung des Sekrets.
Was bisher durch Argentum und Spülung nur unvoll¬
kommen erreicht wurde, gelang uns in weit höherem Masse
durch ein Präparat, das wir zufällig anwendeten, durch das
neue Mittel Lenicet2): Dasselbe ist nach Angaben des Ver¬
fertigers die polymere Trockenform des Tonerdeazetats (kein
trocknes gewöhnliches Aluminium aceticum pulv.). Es stellt
ein sehr feines, weisses, schwer lösliches Pulver dar, das
im Kontakt mit den Geweben wirksame essigsaure Tonerde
abspaltet. Die staubfreie Form ist nicht durch mechanische
Zerkleinerung gewonnen, sie ist vielmehr die natürliche che¬
mische Form der Substanz.
Der Fabrikant des Präparates hatte es uns mit der Bitte
gebracht, ob wir es nicht an Stelle von Borvaseline verwerten
wollten, da es bedeutend billiger wäre (20 g = 25 Pf.).
Ich verwendete es bei normaler Bindehaut, fand aber, dass
es nicht reaktionslos vertragen wurde, also als indifferente
Salbe, wenigstens in 10 proz. Konzentration nicht benutzt
werden könne. An Stelle von Borvaseline verwendete ich es
auch bei einer Blennorrhoe, die ich zufällig auf der Station
hatte. Die Wirkung war eine so auffällige, dass ich zunächst
nicht an den alleinigen Erfolg der Lenicetsalbe glauben konnte.
Die Sekretion, die bis dahin sehr profus war, hörte mit einem
Schlage auf; statt des reinen Eiters fand sich mit Salbenresten
vermischt eine koagulierte Masse im Bimdehautsack. Wieder¬
holte Versuche mit verschiedener Konzentration führten uns
schliesslich zur Ausbildung der Methode, die ich unten näher
beschreiben werde.
Die Wirkung des Präparates ist weniger eine bakterizide,
als vor allem eine sekretionsbeschränkende; vor allem wirkt
es nicht wie das Agentum auf die tiefer liegenden Bakterien,
daher wird man zuweilen eines Silberpräparates nicht ent-
raten können, doch braucht dieses auch nicht entfernt in dem
Umfange angewendet werden, wie bei der klassischen Me¬
thode. Mit 2—8 Tropfen der % proz. Lösung kommt man für
die ganze Behandlung aus. Denn wir verlangen von ihr nicht
eine sekretionsbeschränkende Wirkung — diese besorgt das
Lenicet — , sondern nur eine bakterientötende in den Fällen,
in denen die Gonokokken tiefer in das Epithel eingedrungen
sind.
Ich lasse zunächst die Krankengeschichten der 8 von uns
mit Lenicet behandelten Patienten folgen, um hieran einige Be¬
merkungen zu knüpfen, und will dann die von uns als zweck¬
mässig herausgefundene Behandlungsmethode geben. Für die
wertvolle Beihilfe bei Ausbildung der Methode bin ich Herrn
Dr. K ö 1 1 n e r, auf dessen Station die meisten der Patienten
lagen, sehr dankbar.
1. 'E. W., Arbeiter, 33 Jahre.
Befund bei der Aufnahme 30. III. 06: Anamnese:
Seit 4 Tagen Entzündung des linken Auges. Befund: R. normal.
L. Bindehaut stark injiziert und geschwellt, in der S k 1 e r a 1 binde-
haut zahlreiche kleine Hämorrhagien. Sekretion gering. Horn¬
haut intakt, von Bindehaut nicht überlagert.
Behandlung: 1. IV. R. ebenfalls leichte Sekretion mit In¬
jektion der Tarsalbindehaut. Ar g ent., 10 n r o z. Lenicet.
3. IV. Beiderseits Sekretion und Injektion bedeutend zu¬
rück g e g a n g e n. 5. IV. Gelenkkomplikation.
Befund bei der Entlassung: 5. IV. Keine Sekretion
mehr. Skleralbindehaut fast injektionslos. Hornhäute intakt.
Dauer der Behandlung: 7 Tage.
2. F. H., Hausdiener, 20 Jahre.
Befund bei der Aufnahme 24. X. 06 : Seit 2 Tagen Ent¬
zündung des linken Auges. R. normal. L. starkes Oedem der
Lider. Lidbindehaut massig geschwellt. Skleralbindehaut stark
chemotisch, die Hornhaut in einem Wulst überlagernd. Sehr starke
eitrige Sekretion. Kornea intakt.
Behandlung: 25. X. Chemosis und Schwellung hat zu¬
genommen. 10 proz. Lenicet. Argentum. 26. X. Sekre¬
tion bedeutend zurückgegangen. 30. X. Sekretion wie¬
der stärker. 3. XI. Ulcus am unteren Hornhautrand, das am 9. XI.
perforiert.
2) Auch Lenicetpuder (10 Proz. Lenicet, 90 Proz. Talkum) haben
wir bei nässendem Ekzem mit Erfolg gebraucht.
Befund bei der Entlassung 1. XII: Leukoma adhaerens.
Keine Sekretion mehr. S. = Finger in 3 m.
Dauer der Behandlung: 41 Tage.
3. R. W., Schlächter, 23 Jahre.
Befund bei der Aufnahme 23. II. 06: Seit 3 Tagen
heftige Entzündung. R. normal. L. mässiges Oedem der Lider,
aus der Lidspalte quillt reichlicher Eiter. Bindehaut stark injiziert
und chemotisch, sodass die Hornhaut überall wallartig überlagert ist.
Hornhaut, soweit erkennbar intakt.
Behandlung: Nur 10 proz. Lenicet. 25. XI. Sekretion
hat bedeutend nachgelassen. 27. XI. Weitere Abnahme
der Sekretion und Schwellung. Gelenkkomplikation. 12. XII. In¬
jektion nur noch gering. Keine Sekretion mehr. 14. XII. Aus¬
gedehnter zentraler Epitheldefekt (traumatischen Ursprungs?).
Befund bei der Entlassung 14. XII. : An der Stelle
des früheren Epitheldefektes ist das Epithel sehr unregelmässig^ Der
dadurch bedingte Astigmatismus setzt die Sehschärfe auf S = V io
herab. Mit Siebbrille sieht Patient S = 14 — 1!a.
Dauer der Behandlung: 22 + 30 T age.
Der Epitheldefekt ist kaum auf Rechnung der Blennorrhoe zu
setzen, da mehrere Tage vorher die Sekretion völlig sistiert hatte.
4. J. W., Arbeiter, 34 Jahre.
Befundbed der Aufnahme 13. XI. 06 : Auswärts mehrere
Tage mit Umschlägen behandelt. Bds. Bindehäute stark injiziert
und geschwellt, die Hornhäute wallartig überlagernd. R. perforiertes
Geschwür. L. am oberen Hornhautrand infizierter Epitheldefekt.
Behandlung: Nur 10p roz. Lenicet. 16. XII.: Se¬
kretion und Schwellung haben erheblich nachge¬
lassen. 29. XII. Kaum noch Sekretion. Chemosis zurückgegangen.
Befund bei der Entlassung 15. I.: Keine Sekretion.
L. Hornhaut intakt.
Dauer1 der Behandlung: 34 Tage.
Der auf dem linken Auge bestehende Epitheldefekt ergänzte sich
während der Behandlung!
5. A. F., Handlungsgehilfe, 28 Jahre. .
Befund bei der Aufnahme: Seit 3 Tagen Entzün¬
dung beider Augen. 20. XII. Bds. mässiges Oedem beider Lider.
Bindehaut stark geschwellt, Hornhaut überlagernd. Mässig starke
eitrige Sekretion. Hornhäute soweit sichtbar intakt.
Behandlung: Nur 10 p r o z. Lenicet. 29. XII. Bds.
Schwellung und Chemosis zurückgegangen. Sekretion kaum
noch vorhanden. Hornhäute intakt. 6. I. Sekretion, wieder
stärker. 8. I. Bds. zentrale oberflächliche Ulzera, die eine auf¬
fallend geringe Heilungstendenz zeigen. Sie bedecken sich mit
opaken, scholligen Massen, die leicht entfernt werden können. Nach
energischer Abkratzüng und Anfrischung der Ränder heilen die
Geschwüre mit einer feinen Narbe.
Befund bei der Entlassung: Bds. feine zentrale
Maculae. S: Bei der Entlassung bds. Finger in 3—4 m. Bei spä¬
terer Untersuchung S = ,V 'Mit Siebbrille Ve.
Dauer der Behandlung: 85 Tage.
6. O. Z., Arbeiter, 15 Jahre.
Befu-ndbei der Aufnahme: Seit 3 Ta^en Entzündung des
linken Auges. 26. III. 07. Oedem der Lider. Bindehaut che¬
motisch, die Hornhaut überlagernd. Starke eitrige Sekretion. Horn¬
haut normal. .
Behandlung: 5 proz. Bl e n o -Len ic ei 9. IV.: Keine
erhebliche Sekretion mehr. 15. IV. : Keine Sekretion
mehr. ...
Befund bei der Entlassung: Hornhaut intakt.
Dauer der Behandlung: 22 Tage.
7. M. P., Zimmermann, 17 Jahre.
Befund bei der Aufnahme: Seit 5 Tagen Entzündung
des rechten Auges. 18. V. 07. Schwellung des Oberlides. Bindenaut
stark geschwollen. Starke eitrige Sekretion.
Behandlung: Zuerst 10 proz., dann 5 proz. Bleno-Lemcet.
20. V.: Die Schwellung und Sekretion hat abgenommen. 22. V.:
Wieder stärkere Sekretion. Vom 24. V. ab 5 proz. Bleno-Lenicet.
25. V.: 1 Tropfen % proz. Argent. nitr. Vom 1. VI. täglich 1 Tropfen
Argent. und Decksalbe. 8. VI.: Keine Sekretion mehr.
Befund bei der Entlassung: Hornhaut intakt.
Dauer der Behandlung: 20 Tage.
8. R. P., Kellner, 21 Jahre. .. .
Befund bei der Aufnahme 9. VI. 07.: R. mässig starkes
Oedem der Lider. Chemosis, mässig eitrige Sekretion. Kornea
intakt. „„ ,rT . e
Behandlung: 10 proz. Bleno-Lenicet. 11. VI.: Geringe Se¬
kretion. 13. VI.: Injektion und Schwellung nehmen ab. 4 proz.
Arg. nitr. Euvaseline. 15. VI.: Zunahme der Schwellung, und der
Sekretion, wieder 10 proz. Lenicet. 20. VI.: Sekretion wieder ab¬
genommen. Zink. ..
Befund bei der Entlassung 29. VI.: Mit Zinkvaseline
entlassen. Hornhaut intakt.
Dauer der Behandlung: 20 J age.
Alle Fälle sind als schwere anzusehen, da sie mit er¬
heblicher Schwellung der Skleralbindehaut einhergingen, die
grösstenteils als Wulst die Hornhaut überlagerte. Man kann
2134
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
den günstigen Erfolg der Behandlungsmethode also nicht ein¬
fach damit abtim, dass man sagt, es habe sich um leichte
bormen gehandelt. 2 Fälle, die von vornherein sehr leicht aus¬
sahen, habe ich daher gar nicht aufgeführt. In allen Fällen
waren Gonokokken nachgewiesen.
Die auffälligste Wirkung war, wie es aus den Kranken¬
geschichten hervorgeht, die bedeutende Abnahme der Sekre¬
tion, die fast momentan einsetzte. Durch diese Abnahme wird
natürlich die Gefahr der Mazeration auf das Hornhautepithel
von vornherein stark herabgesetzt. Es ist die Mazerations¬
wirkung für das Epithel sicher als bedenklicher anzusehen als
die Einwirkung der Bakterien selbst, die erst dann einsetzt,
wenn die Hornhaut ihres Schutzes beraubt ist.
Was weiter auffällt ist die Länge der Zeit, die die Epithel¬
defekte resp. Ulcera zu ihrer Heilung gebrauchten, besonders
der Fall 5 scheint in dieser Hinsicht lehrreich. Trotzdem in
diesem Falle auch die oberflächlichsten Schichten des Paren¬
chyms beteiligt waren, zeigte sich doch lange Zeit hindurch
keinerlei Gefässbildung, die die Reparation bewirken konnte.
Und auch dann, als Gefässe sich gebildet hatten, dauerte es
lange Zeit, bis die Defekte sich epithelialisiert hatten. Es schien,
dass der lange Gebrauch des Lenicets direkt einen störenden
Einfluss auf die Heilung hat, wie dies bei einem antiseptisch
wirkenden Körper auch nicht verwunderlich ist. Damit nicht
genug, bildeten sich auf den Defekten opake schollige Massen,
die wohl als Lenicetniederschläge anzusehen sind, wenn gleich
auch unter dem Mikroskop eine kristallinische Struktur oder
sonstige Hinweise auf die mineralische Natur der Niederschläge
nicht nachzuweisen waren. Erst Abtragung dieser Schollen
und Anfrischung der Ränder des Defektes führten zu einer
Heilung desselben.
Die Erfahrung lehrte uns, dass wir nicht zu lange die
hoch (lOproz.) konzentrierte Lenicetsalbe anwenden dürfen,
wir bedienten uns daher in den letzten Fällen mit Erfolg der
folgenden Methode:
1. Einstreichenvon lOproz. Bleno-Lenicet-
salbe (so nennen wir die Kombination des Lenicets mit der
Luvaseline) 2 s t ü n d 1 i c h (natürlich auch nachts) bis zur
deutlichen Abnahme der Sekretion. Das Ein¬
streichen wird, um möglichst viel Salbe ins Auge zu bringen,
am besten in der Weise vorgenommen, dass man den Patienten
stark nach unten blicken lässt und die Salbe etwa bohnengross
mittels Glasstäbchen unter das abgezogene Oberlid bringt.
Ist das Oberlid zu stark infiltriert, so begnügt man sich mit dem
Linstreichen in den unteren Bindehautsack bei gleichzeitigem
Aufwärtsblicken des Patienten.
Argentum wird nicht gegeben; iiberfliessendes, mit Salbe
\ ermischtes Sekret, wird nicht fortgespült, sondern nur äusser-
hch abgewischt.
Hat die Sekretion in deutlicher Weise abgenommen _
es pflegt dies nach 1—2, auch 3 Tagen der Fall zu sein —
so streicht man nur 5 proz. Bleno-Lenicet 3—4 stündlich ein und
lasst auch dieses fort, wenn die eitrige Sekretion ganz oder
nahezu aufgehört hat; dann gibt man
3. nui Eu Vaseline und ätzt die Bindehäute einmal täglich
nnt proz. Argentum nitricum, wo man selbstverständlich die
Hornhaut möglichst schützt. Letzteres erreicht man am besten
in folgender Weise: Man stülpt das Oberlid um und drängt
mit dem Zeigefinger den Rand des ektropionierten Lides sanft
nach hinten, während der Daumen das ektropionierte Unterlid
tixiert. Wenn man dann den Patienten auffordert, die Augen
zuzupressen, so wölben sich die Uebergangsfalten vor und
Schutzen so völlig die Hornhaut.
Sollte die Sekretion wieder stärker werden, so gebrauche
man wieder kurze Zeit das 5 resp. lOproz. Bleno-Lenicet
4 Haben Sekretion und Injektion aufgehört, so entlässt
man den Patienten mit 0,5 proz. Zinkvaseline.
Es wird hieraus ohne weiteres klar, dass die Methode
bedeutend geringere Anforderungen an das Wartepersonal
stellt da in kurzer Zeit die Sekretion so eingeengt wird dass
das Linstreichen auf wenige Male am Tage beschränkt werden
kann. Ausserdem kann man das Medikament auch weniger
geübten Wärtern resp. den Angehörigen in die Hand geben
ohne dass man fürchten muss, dass durch die Spülungen etc!
die Hornhaut geschädigt wird, ja man kann auf diese Weise
den Patienten in seinem Hause behandeln, während dies mit
der bisherigen Methode doch kaum möglich war.
Anmerkung: Gerade nach Beendigung der Arbeit erschien
ein Aufsatz von H. Davids: „Die grossen Ausspülungen nach
kalt bei Behandlung der Blennorrhoea adultorum“ (Klin. Monatsbl
f. Augenheilk., August 1907). in der er die Resultate der Göttinger
Klinik zusammenstellt. Es handelt sich um 15 Augen, von denen 3
bei Beginn der Behandlung noch intakte Hornhäute hatten. Wenn
auch meine Fälle, die sämtlich im Beginn der Behandlung intakt
waren, nicht ohne weiteres sich mit jenen vergleichen lassen, so ist
der Unterschied im Resultat doch so bedeutend, dass ich hieraus
einen weiteren Schluss für die Brauchbarkeit meiner Methode ent¬
nehme: In der Göttinger Klinik bestand bei der Entlassung 2 mal
nui Lichtschein, 3 mal ein Visus von S — Finger in 14 m 1 mal
Finger dn_l m, 1 mal S = 0,3, 2 mal S = 0,4-0, 5, 2 mal S ’= 0,8,
Lu 5 ~ l’0; Leid'er ist über den Zustand der Augen vor der
Behandlung nichts gesagt, so dass man sich aus den obigen Angaben
kein richtiges Bild von den erzielten Resultaten machen kann! Ich
hatte aus diesem Grunde darauf verzichtet, diejenigen Fälle, die schon
mit angegriffenen Hornhäuten in die Behandlung kamen, in meine
Statistik aufzunehmen. Von meinen 9 Augen kamen 5 mit völlig
'intakter Hornhaut, 3 mit ganz oberflächlichen Geschwüren (S = 1/i0
bis 1/a) und nur einer mit einem Leukoma adhaeres (S — Finger
in 3 m) durch. Die Resultate sind relativ so günstige, dass es sich
wohl verlohnt, das empfohlene Mittel, das obendrein so bequem
anzuwenden ist, in Gebrauch zu nehmen.
Aus der Kreis-Kranken- und Pflegeanstalt der Pfalz in
Frankenthal.
Zur Behandlung der Typhusbazillenträger.
Von Dr. Dehler.
In No. 16, 1907 der Münch, med. Wochenschr. habe ich über die
operative Behandlung einer Patientin berichtet, bei welcher durch die
von mir am 20. VIII. 06 vorgenommene Cholezystostomie die kon¬
stante Ausscheidung von Typhusbazillen mit dem Kot sistiert wurde.
(Die Cholezystostomie war nicht wegen krankhafter Symptome von
Seite des Gallensystems, sondern auf Grund der Arbeiten der Strass¬
burger Typhusforscher einzig zur Befreiung der Pat. von ihren
Typhusbazillen vorgenommen.) Die (geisteskranke) Patientin ver¬
blieb seitdem in hiesiger Anstalt und zwar in der Isolierbaracke in
meiner Behandlung; Darmdesinfizientia u. dgl. wurden bei ihr seit
II. 07 nicht mehr angewendet. Seit der Operation wurde die bak¬
teriologische Kontrolle durch die k. Untersuchungsstation Landau
(Stabsarzt Dr. Hertel) fortgesetzt, indem mit seltenen Ausnahmen
von jeder Stuhl- und dieser entsprechenden Urinentleerung vor-
schriftsmässig entnommene Proben untersucht wurden. Während
wie in oben genannter Veröffentlichung berichtet, vor der Operation
seit dem Juni 1904 von 39 Kotproben 37 reichlich positiven Befund
von Typhusbazillen ergaben, wurden vom 24. VIII. 06 bis 24. VIII. 07
176 Kotproben nach mittlerweile noch verbesserten Methoden unter¬
sucht mit dem Resultat, dass am 17. X. 06, am 9. III. 07 und 8. IV. 07
spärliche Kolonien von Typhusbazillen nachzuweisen, in 173 Proben
aber 1 yphusbazillen nicht mehr zu finden waren.
Was nun die Beimengung von spärlichen Kolonien zu 3 von
176 Kotproben betrifft, so erklärt sie sich mit grösster Wahrschein¬
lichkeit als zufällige von aussen her.
uei stauen oaracKe Dennaen sicn
- - imnuiwu kJ 1 a 11 1 11 LI 1 1 1 1 CI I, U1C
konstant, und 2 Patientinnen, die oft Typhusbazillen mit dem Kot aus-
scheiden, sämtliche Patientinnen sind geisteskrank, manche unrein;
nun muss zwar jede Patientin eine eigene Bettschüssel benützen und
ist auch sonst für tunlichste Reinhaltung und Separierung Sorge ge¬
tragen; es ist aber bei der Schwierigkeit der Pflege solcher Pa¬
tientinnen nicht zu verwundern, wenn irgend einmal z. B. durch Ver¬
wechslung der Gefässe einer Entleerung nachträglich Typhusbazillen
beigemischt werden. So erklärte sich auch, dass vor der Operation
von 10 Urin proben 1, vom 24. VIII. 06 bis 24. VIII. 07 von
134 Ui inpioben 2 spai liehe Kolonien von Typhusbazillen nachweisen
Hessen.
Die Möglichkeit, dass es sich um Entleerung vereinzelter
cholangitischer, Darmwand- oder Nierenabszesse handelt, bezw. um
Ausscheidung von I yphusbazillen durch Leber und Nieren aus der
Blutbahn (Knochenmark!), ist nach dem jetzigen Stand unserer Kennt¬
nisse immerhin vorhanden.
. ,JPie Q/Ub er-Widal sehe Reaktion war bis II. 1907 positiv
Ji ?n’ulrV ^arz urLd April 1;50, im Mai, Juni und Juli negativ, am
1.6’ VII[- 1 : 50 angedeutet. Die Untersuchung des Blutes selbst, mit
Anreicherungsverfahren, ergab stets negatives Resultat. Die Er¬
scheinungen des Darmkatarrhs sowie Mastdarmprolaps und Inkon¬
tinenz sind geschwunden. Patientin ist jetzt reinlich und von sehr
gutem Ernährungszustand. Die Operationsnarbe ist solid und ver¬
ursacht keine Beschwerden.
, N; ■ Falb Am 10. IV. 07 habe ich eine andere Typhus-
b a..? ' 1 1n"tr,ag,er..inj der Cholezystostomie unterzogen-. Die
4o jahr. Patientin befindet sich seit 21. I. 1897 wegen Geisteskrankheit
in hiesiger Anstalt; frühere Typhusinfektion ist nicht festzustellen.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2135
nach nachträglichen ungenauen Angaben des Bruders vielleicht in
larvierter Form vor 19 Jahren erfolgt. Die W ld a 1 sehe Reaktion
war im Juli 1904 zum 1. Mal positiv befunden und am 3. I. 05 waren
zum 1 Mal Typhusbazillen im Kot nachgewiesen worden; im Jahre
1905 ergaben von 16 Kotproben 9, im Jahre 1906 von 10 Kotproben
5 positiven Befund von Typhusbazillen (Urinproben negativ); vom
Januar bis 9. IV. 1907 war bei 20 Proben das Resultat 16 mal positiv,
(von 14 Urinproben zweimal); in Summa waren vor der Operation von
1 qo4 _ 9 IV. 1907 in 30 von 55 Kotproben Typhusbazillen nachge¬
wiesen worden. Interne Mittel zur Vertreibung der Typhusbazillen
waren ohne Erfolg angewendet worden. Erscheinungen von Seite
des Gallensystems bestanden in den letzten 3 Jahren nicht.
Am 10. IV. 07 punktierte ich die nicht verwachsene, kleine, tief
liegende Gallenblase und eröffnete sie breit nach Fixation. Die mit
steriler Spritze entnommene Galle war im ganzen klar, nur mit einigen
Flöckchen vermischt; sie enthielt massig zahlreiche Typhus-, vor¬
wiegend Kolibazillen; es wurden mehrere kleine linsengrosse, sowie
2 über erbsengrosse glatte Steine entfernt, welche baktei lologisch
sich steril erwiesen. Die chirurgische Nachbehandlung mit Drainage
und Spülung der Gallenblase sowie auch die bakteriologischen Unter¬
suchungen vollzogen sich wie in dem früher veröffentlichten balle.
Am 18., 19. und 20. IV. wurden vereinzelte, am 21. IV. zahlreiche
Tvphuskolonien in der nach aussen abgeflossenen Galle nachge-
wiesen* von 'da ab floss die Galle nur spärlich nach aussen ab und
Drains und Tampons aus dem Innern der Gallenblase wurden stets
steril befunden; aus der mühsam offen gehaltenen, wiederholt durch
Laminaria erweiterten Fistel entleerten sich später nui selten geringe
Mengen Galle, meistens etwas steriler Schleim.
Der Kot blieb, wenn auch in den 2 ersten Wochen etwas blass.
doch stets gallig gefärbt. , J _ .. , . Qn D .
Im K o t sind seit dem 9. Tage nach der Operation bei 30 Proben
nur am 25. V. und 3. VII. 07 jedesmal „vereinzelt“ Typhusbazillen
nachgewiesen worden (auch diese Patientin liegt infolge Mangels
anderer Möglichkeit in demselben Barackensaal wie die 3 konstant
Typhusbazillen Ausscheidenden und ist daher zufällige nachträgliche
Beimischung von Typhusbazillen zu den Entleerungen nicht ausge¬
schlossen). In 28 von 30 Kotproben wurden Typhusbazillen nicht
gefunden. Blut - und Urinuntersuchung ergaben stets negatives
Resultat. Die Gruber-Widal sehe Reaktion war am 31. VII. 07
positiv 1:100, am 16. VIII. 07 negativ.
Die Untersuchungen werden auch in diesem Falle fortgesetzt.
Unter Bezugnahme auf die Schlussätze meiner Veröffent¬
lichung in No. 16, 1907 dieser Wochenschrift und in Berück¬
sichtigung der seitdem erschienenen Typhusliteratur halte ich
eine operative Reinigung der Gallenblase und -wege für be¬
rechtigt und angezeigt bei Typhusträgern, bei denen durch
wiederholte Untersuchung mit AnreicherungsverfahrenTyphus-
bazillen im Blut und dem (bei weiblichen Patienten mit Kathe¬
ter entleerten) Urin nicht, wohl aber noch Monate lang nach
überstandenem akuten Typhus im Kot Typhusbazillen nach¬
gewiesen werden.
Aus dem pathologischen Institut der Universität Strassburg
(Direktor: Prof. Chiari).
Fast totale Nekrose des Leberparenchyms bei syphi¬
litischer interstitieller Hepatitis.
Zugleich ein Beitrag zur Genese der Gallengangsadenome.
Von Eduard Melchior, Medizinalpraktikant.
Ein im Strassburger pathologischen Institut am 22. II. 07
zur Sektion gekommener Fall von sogen, syphilitischer inter¬
stitieller Hepatitis, der klinisch nicht ohne Interesse, auch durch
den anatomischen Befund beachtenswert erscheint, bietet die
Veranlassung zu dieser Mitteilung.
Aus der mir von der Direktion der medizinischen Klinik giitigst
zur Benutzung überlassenen Krankheitsgeschichte entnehme ich kurz
folgendes: Eine 56jährige ledige Fabrikarbeiterin, ehemalige Pro¬
stituierte, erkrankt Mitte Januar 1907 unter Leibschmerzen; sie be¬
merkt eine Auftreibung des Bauches, Gelbwerden des Gesichtes,
später auch des übrigen Körpers; des Morgens erfolgt oft galliges
Erbrechen. Während die Menses bereits seit 8 Jahren ausgesetzt
haben, stellen sich Blutungen aus dem Genitale ein. Stuhl angeblich
regelmässig. , ,
Sie will früher stets gesund gewesen, sein, mit Ausnahme einer
Attacke von Schmerzen in allen Gelenken, die sie als „Gliederweh
bezeichnet, und das von einem aus grossen roten Flecken bestehen¬
den Ausschlage gefolgt war. .
Zwei normale Partus — ein Kind früh gestorben, ein anderes lebt
und ist gesund — fallen zeitlich vor diese Erkrankung.
Bei der Aufnahme in die medizinische Klinik am 6. II. 07 wird
ein universeller „leicht hellgelber“ Ikterus konstatiert, der Leib ist
durch frei verschiebliche Flüssigkeit stark aufgetrieben; die Venen
der Bauchhaut sind erweitert. Kleine Drüsen in der linken. Supra-
klavikulargegend, sonst keine Drüsenschwellungen. Keine Z e i -
chen von Lues. . . , , .
Urin deutlich ikterisch; Fäzes weniger stark gefärbt, aber
nicht acholisch. Nach der Entleerung von 6 Liter Aszites (spez. Gew.
1010, Alb. 16 Prom. nach Esbach, im Sediment reichlich Erythro¬
zyten, wenige mononukleäre Leukozyten = Lymphozyten) ist der
Leberrand den Rippenbogen überragend, von derber Konsistenz, pal-
psbcl
Nach Probefrühstück wie Probemahlzeit fehlt freie HCl im
Mageninhalt. , , ....
Der Ikterus nimmt im weiteren Verlaufe zu, der Aszites sammelt
sich wieder an, an Stelle der anfangs subfebrilen Abendtemperaturen
(bis 37,6) treten leicht subnormale Temperaturen, der Exitus erfolgt
am 20. II., nachdem seit Beginn der ersten Krankheitserscheinungen
kaum 5 Wochen verstrichen waren. 4 Tage nach der Aufnahme
(10 Tage vor dem Tode) hatte Pat. 3 g Jodkali pro die erhalten, vom
8. Tage ab Hg-Injektionen.
Die klinische Diagnose wurde mit Vorbehalt auf Karzi¬
nom der Gallenwege — vielleicht primär vom Magen ausgehend —
gestellt. Die Annahme einer Leberlues wurde wegen des rapiden Ab¬
laufes und des Ausbleibens einer Wirkung der spezifischen Behandlung,
die allerdings erst im letzten Krankheitsstadium hatte eingeleitet wei¬
den können, als nicht recht wahrscheinlich betrachtet, obwohl jene
vor 24 Jahren durchgemachte Krankheit — zumal mit Rücksicht aut
das frühere Gewerbe der Pat. — als der Ausdruck eines von rheu¬
matischen Schmerzen begleiteten sekundären syphilitischen Exan¬
thems mit ziemlicher Sicherheit angesprochen wurde.
Aus dem am 22. II. 07 28 Stunden post mortem erhobenen Sek-
tionsbef und hebe ich folgendes hervor:
Exquisiter universeller Ikterus. Aszites von Menge
und Beschaffenheit des in der Klinik punktierten.
Leber unter dem Rippenbogen verborgen: Ihr vorderer Rand
mit dem nach oben geschlagenen grossen Netz verwachsen. Die Ober¬
fläche der Leber ausgedehnt mit dem Zwerchfell verwachsen. Grösse
normal (1540 g schwer). Der vordere Rand stark abgerundet und ge¬
kerbt Konvexe Fläche stark gewölbt; nach Lösung der Verwach¬
sungen finden sich daselbst zahlreiche Züge narbig eingezogener
Furchen wodurch die Oberfläche der Leber vielfach gefurcht und ge¬
lappt erscheint.
Derartige kugelige Protuberanzen sind besonders an der Unter¬
fläche wahrzunehmen, wo sie hie und da völlig abgesprengt im be¬
nachbarten Binde- und Fettgewebe angetroffen werden, doch stets so,
dass sie durch bindegewebige Züge mit der übrigen Leber in Verbin¬
dung stehen. . . , . ,
Gallenwege und Gallenblase sind normal und ent¬
halten gewöhnliche Mengen Galle.
Die Hauptmasse der Leber wird durch den rechten Lappen re¬
präsentiert. Der linke Lappen stellt einen walnussgrossen Appendix
von Lebergewebe dar, der in der Mittellinie einen schwieligen Aus-
läufer nach der Leberpforte zu entsendet.
Im übrigen ist die Gegend des linken Lappens von reichlich fett¬
haltigem Narbengewebe gebildet, in welchem sich ein abgesprengter,
1 ccm grosser Knoten von Lebergewebe befindet.
Auf Durchschnitten durch die Leber finden sich zahlreiche weiss-
liche Narbenzüge, die sich z. T. netzartig verbinden und Ausläufer an
die Oberfläche senden, woselbst sie sich in die die Lappen begrenzen¬
den narbigen Gewebsziige in und unter der Leberkapsel verlieren.
Das Lebergewebe ist sehr derb und springt kleinhöckrig aut der
Schnittfläche vor. , ^ , , „ ,
Azinuszeichnung verwischt. Farbe des Parenchyms
jberall gelb, wobei hellere Partien mit dunkleren abwechseln.
Milz (18-11:4,5 cm) ebenfalls bindegewebig mit der Umgebung
verwachsen, Kapsel stellenweise verdickt, von mittlerer Konsistenz.
Die Schleimhaut des Magen grundes ekchymosiert.
Im Darm normal beschaffene gallige Konten t a.
Die anatomische Diagnose lautete: Hepatitis
interstitialis syphilitica (Perihepatitis hbrosa, Peri¬
splenitis fibrosa). Tumor lienis chronicus. Morbus Brigthn chron.
Hydrops ascites. Icterus universalis. Varices oesophagi et extiem -
tatum inferiorum. Ekchymoses multiplices mucosae ventneuh. 1 u-
berculosis obsoleta apicum pulmonum. Perimetritis chronica act-
haesiva. Persistentia suturae frontalis.
Da das mittlere Lebergewicht für Frauen 1526 g beträgt (V i er -
o r d t) in diesem Falle der linke Lappen auf höchstens 30 g geschätzt
werden kann, auf das Gewicht des rechten Lappens also ebensoviel
entfällt, als normal der ganzen Leber zukommt, handelt es sich um eine
Vergrösserung — offenbar kompensatorischer Art des reente
Lappens, selbst wenn wir die Vermehrung des Bindegewebes berück¬
sichtigen, die aber in diesem Falle keine bedeutende ist.
Derartige partielle kompensatorische Vergrösserungen von
Leberabschnitten sind wie bei zahlreichen anderen mit De¬
generation des Parenchyms einhergehenden Prozessen in der
Leber, auch bei der syphilitischen Hepatitis lange bekannt, ic i
brauche hier deshalb nicht näher darauf einzugehen und ver¬
weise nur auf Fig. IV im zweiten Bande von Frerichs
bekannter Monographie, welche namentlich durch die ausser-
2L36
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
ordentliche Verkleinerung des linken Lappens an den vor¬
liegenden Fall erinnert.
Offenbar hat hier die kompensatorische Vergrösserung des
rechten Leberlappens funktionell vollkommen ausgereicht _
war doch Pat. bis zum Einsetzen der akuten Erscheinungen
beschwerdefrei, während doch der zu einer so grossartigen
gTobsichtbaren Umgestaltung der Leber führende syphilitische
Erkrankungsprozess nach unseren Vorstellungen sicher
seit vielen Jahren datiert, ja vielleicht schon anscheinend als
abgelaufen oder wenigstens stationär zu betrachten war.
Die mikroskopische Untersuchung der unter
No. 4037 im Museum aufgestellten Leber an teils nach den ge¬
wöhnlichen Methoden eingebetteten und gefärbten Objekten,
teils an nach Formolfixierung angefertigten, mit Sudan III auf
Fett gefärbten Qefrierschnitten — letztere Methode eignete sich
auch gut zur Demonstration der Verteilung des Gallenfarb¬
stoffes — ergab nun folgendes:
Die Leber ist durchzogen von einem weitmaschigen Binde-
gewebsnetz, welches der Glissonschen Kapsel folgt; doch ist das
periportale Gewebe nicht überall vermehrt. Die Maschen dieses Ge-
\\ cbsnetzes entsprechen durchschnittlich an Grösse einem vier- bis
sechsfachen normaler Azini. Im ganzen bleibt die Bindegewebsent-
Wicklung hinter der Ausdehnung zurück, welche bei einer gewöhn¬
lichen Zirrhose massigen Grades gefunden wird. Die feineren Binde-
gewebszüge sind verhältnismässig reich an Bindegewebszellen und
entsenden vielfach zarteste Ausläufe in das umgebende Parenchym.
Die breiteren Züge bestehen aus kernarmem straffem Gewebe in
das hie und da unregelmässig 'begrenzte Herde von Rundzellen (mono-
nukleare) eingelagert sind, welche eine bestimmte Anordnung be¬
sonders zu den Gefässen nicht erkennen lassen.
Der azinöse Typus im Aufbau des Parenchyms
i s t v o 1 1 1 g verwischt; der überwiegend grösste Teil
befindet sich in Nekrose. Es kommen dabei alle Stadien
dieses Prozesses zum Ausdruck, neben Zellen, deren Kern verwaschen
erscheint, sind an anderen Stellen die Kerne überhaupt nicht mehr tin-
gierbar, dabei ist die Form der Leberzellen stark verändert; sie er¬
scheinen spindelförmig und unregelmässig abgeplattet. Hie’ und da
lassen Häufchen von Detritius durch ihre Anordnung erkennen, dass
sie aus dem Zerfall einer Leberzelle hervorgegangen sind. Schliess-
ch findet sich Detritus in Form zahlloser regellos zerstreuter Schol¬
len und Körnchen gelagert. Dieser Zerfall der Parenchymzellen wird
begleitet von dem Auftreten von mittels Sudan III darstellbarem
bet e, we ches im Beginn des Prozesses in Form feinster Tröpfchen
in den Zellen auftrrtt; an einem weiteren Stadium kommt es zur Bil-
dung fernerer und gröberer Fettkugeln, welche schliesslich auch extra-
Z4 tUrLrpZ^1Schin++den? Detritus sich gelagert finden. Parallel mit dem
Auftitten des Fettes kommt es zur Imbibition mit grünem Gallenfarb-
dPrp’nVAn T' Wle Z0tt dlri 5te'Ibarem Pette, die guterhaltenen Zellen,
deren Anordnung ich noch schildern werde, völlig frei sind. Die in
legtessiver Metamorphose befindlichen Zellen erscheinen bei schwä¬
cherer Vergrößerung stark diffus grün gefärbt. Bei Anwendung stär-
kerer Lmsen löst sich diese Färbung, zum Teil wenigstens in feinere
! mfCre !Kensiv ,KrÜrl? Körnchen auf, daneben bleibt eine hell-
gr ne diffuse Ionung des Protoplasmas bestehen. In den Zonen wo
extraUzrenü ä?nundV G,?€tritUiS k°mmt; liegen derarttee Körnchen mich
extrazellular und lassen sich zumeist von dem gallig imbibierten De-
tiitus gut unterscheiden. Die feineren Gallengänge erscheinen irr
mitf °aIler ge,fiint’ ebensowenig konnte ich „Gallenthromben“"
t che auf eine Injektion der Kapillaren zu beziehen wären, auffinden’
. , s dm « ut erhaltenen Zellpartien betrifft, finden sie
sich teils in Form unregelmässig zerstreuter Zell'balken, teils auch in
222 sollden Knoten, welche in der Regel einem Pfortaderaste an-
k laßeG sind, und zwar stets in der Weise, dass der dem Gefäss 711
nächst gelegene Teil des Knotens intakt erscheint, wähmid die distal
gelegenen Partien keine scharfe Grenze gegen die nekrotischen Par
ÄT" •" erkenT lassen' Hie “"d »a bilden intakte Leber!
zellbeznke einen geschlossenen Ring um einen „noeud porto-biliaire“
Diese Anordnung hat Sabourin als typisch für diese als reeenem-
■ v-lnperplastisch aufzufassenden Bildungen beschrieben sie ist aber
konstant.)*1 “dWer Ste"C -«i-nderSeVtzthabe“) dirchans üichi
Daneben finden sich ganz vereinzelte Verbände von gut erhal
enen Leberzellen, deren Grösse das mehrfache normaler Azini bei
lagt, welche ebenfalls nicht ganz scharf gegen die TJmgebnno- ->1,
gesetzt sind, und welche nach ihrem ganzen Aufbau — ich verzichte
auf eine genauere Schilderung, da ich eine solche phpnfmic F
vnrKne|rsbct "abe <'■ <=•> - t
nodulajres“ vEFentsprechen. -Hypirp.as.es
Nach der gesamten Anordnung des Parenchyms ergibt sich nun
Grund der von Kretz aufgestellten Kriterien 2), dass es im
D Beitrag zur
Feint im Laufe _
') Wiener klin. Wochenschr. 1900.
/S hypertrophischen alkoholischen Zirrhose ete
(Erscheint im Laufe, dieses Jahres in Zieglers BeitrÄ
vorliegenden Falle zu einem völligem Umbau der Leber durch Neu¬
bildung des Parenchyms gekommen ist. Auf die Schlüsse, die aus
dieser Tatsache zu ziehen sind, komme ich noch zurück.
Inbetreff der Gallengänge fanden sich nun folgende Verhält¬
nisse: in jenen schmalen zellreichen zwischen dem Parenchym ver¬
laufenden Bindegewebszügen lagern zahlreiche z. T. offenbar neu
gebi dete Gallengänge, die vielfach kolbig blind endigen, teils auch
deutliche Knospen von Leberzellen an ihren Endigungen aufweisen
ähnlich wie ich es anderwärts beschrieben und abgebildet habe’
(1. c.) Doch erreichen im vorliegenden Falle diese Bildungen keine
besondere Grosse, finden sich überhaupt nicht sehr zahlreich, so dass
ihre Bedeutung für den regeneratorischen Prozess hier jedenfalls keine
grosse ist. Ich kann hier auf die Frage und Diskussion, die über
che Rolle, welche die Gallengänge bei diesen regeneratorischen Pro¬
zessen spielen, besteht, nicht näher eingehen; bemerke jedoch, dass
He rxhe 1 me r ) über die Bildung von Leberzellen aus Gallen-
gangen bei der in Frage stehenden Leberaffektion als eine fest¬
stehende Tatsache berichtet: Reineke4) konnte bei dem von ihm
untei suchten Fall einen derartigen Vorgang nicht nachweisen; nach
dem von mir oben mitgeteilten Befunde zu urteilen dürften graduelle
bestelle gd e 11 b e 1 * e n in dieser Hinsicht zwischen den einzelnen Fällen
Ganz anders verhalten sich nun die Gallengänge in jenem oben
lescln lebenen schwieligen, vom linken Lappen zur Leberpforte
reichenden Ausläufer. Dieser ca. 5 mm breite Streifen besteht fast
gänzlich aus Gefässen, einigen Nerven, alles eingelagert in ein
ausserst derbes faseriges Gewebe, in welches ebenfalls hie und da
Herde von mononukleären Leukozyten eingesprengt sind. Die Ar¬
terien und Pfortaderäste zeigen durchwegs in diesem Gebiet die für
w vT1 charaktenstische, besonders die Intima betreffende
Wandverdickung, teilweise ist völlige Obliteration eingetreten. Ein¬
zelne der Gefasse weisen ebenfalls Rundzellen in allen Wandschichten
2 !? eTr \Cne f Ünd Ich Thromb°se. Wir werden nicht fehlgehen,
w ,der Annahme, dass hier ein Abschnitt des linken Lappens vor-
hnftmia ^ err2" nach.Ttotalem Schwund des Parenchyms unter Er-
Fro2S- • QefaSfen’ Nerven’ und Bindegewebe darstellt; in seinem
7 mSi"hnHrinneIät dl rS6ir Pr(?ze:ss äusserlich wenigstens an die normale
Zui uckbildung des linken Lappens um die Zeit der Geburt.
GallpnSm^ic? t6n 2 in dieser Schwiele zahlreich verlaufenden
g lst uUn Kdgendes. wobei ich bemerke, dass ich gleiche
grosse 11° * n tfp aihh h df’ sch^ieligen Umgebung des isolierten 1 ccm
neb“n kldnen etwas^-"6" K"°tenS gef“"den habe' Es finden sich
schlängelt verlaufenden,
mit kubischem Epithel
versehenen Gallengängen,
solche mit hohem Zylin-
derepithel versehene, zy¬
stisch erweiterte, hie und
da den ersten Beginn von
papillären Exkreszenzen
nach dem Lumen zu zei¬
gend. wobei betreffs des
Zustandekommens dieser
Gebilde, wegen des schön
erhaltenen schlanken Zv-
linderepithels schwerlich
an den Effekt einer me¬
chanischen Dilatation zu
denken ist; schliesslich
findet sich eine Reihe
miliarer Knötchen aus
Gruppen meist solider, durch Septen von einander getrennter Epi¬
thelstrange, in eine gemeinsame Kapsel eingeschlossen, welche als
Figur) ngangsadenorne angesprochen werden müssen (siehe
Dieses so verschiedene Verhalten der Gallengänge — einer¬
seits inner halb der Leber, anderseits in dieser ausgedehnten
lsoheiten parenchynrfreien Schwiele — scheint mir nun einen
nicht uninteressanten Beitrag zur Lehre von der Genese der
Geschwülste darzustellen.
Das gleichzeitige Aorkonrmen von L e b e r z e 1 1 adenomen
und hyperplastischen regeneratorischen Bildungen ist nament-
heh bei der gewöhnlichen Leberzirrhose längst bekannt und
hat zu der Vorstellung geführt, dass der Uebergang zwischen
regeneratorischer Hyperplasie und Adenom — vielleicht auch
Karzinom — ein messender ist. (Sabourin, Kretz —
F5ctr. Literatur s. auch meine Arbeit I. c.)
Über gleichzeitiges Vorkommen von leber-
zellbildenden Gallengangswucherungen und Gallengangs-
adenomeii meines Wissens noch keine Beobachtungen mitgeteilt •
dabei erscheint mir gerade diese Kombination bedeutungs-’
:) ZieWrl MMte Xx/lLwsV5 ErS£b”iSSe £tC" XU I906'
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2137
voll unter dem oben angedeuteten Gesichtspunkte. Während
nämlich in jenen Fällen die morphologische Abgrenzung
zwischen zirkumskripter Hyperplasie und echtem Adenom nicht
immer scharf möglich ist, ja die Adenomzellen gelegentlich
wohl allem Anscheine nach die Funktion der normalen Leber¬
zellen ausüben können, und dadurch auch die Scheidung von
„zweckmässigem“ und „unzweckmässigem“ äusserst kompli¬
ziert wird, hegen hier die Verhältnisse einfacher. Soweit hier
nämlich einerseits eine Knospung von Leberzellen, eine Bildung
jener abgebildeten Adenomknoten anderseits vollzogen ist, er¬
gibt sich zwischen ihnen eine nach morphologischen wie funk¬
tioneilen Gesichtspunkten vollkommen scharfe Scheidung. Be¬
vor allerdings jene differenten Endstadien erreicht sind, er¬
scheinen nicht nur die Gallengangswucherungen als identische
Formationen, sondern es berechtigt auch nichts, sie bereits
in ihrer ersten Anlage als potentiell differente aufzufassen.
Wir müssen nach dem vorliegenden Befunde annehmen,
dass das Primum movens für die Wucherungen der Gallen¬
gänge, unabhängig von der weiteren nach zwei verschiedenen
Seiten erfolgenden Entwicklung, hier wie dort ein gleiches
ist — allgemein ausgedrückt: ein proliferatorischer Reiz, ent¬
standen durch Ausfall funktionierender Drüsensubstanz. Dieses
involviert, dass von einem „spezifischen“ zum Neoplasma
führenden Reiz hier jedenfalls nicht die Rede sein kann.
Warum nun die unter einem gleichen Einflüsse entstandenen
Gallengangswucherungen in der weiteren Entwicklung einmal
zur Bildung von Leberzellen, das anderemal zur Entstehung
von Adenomen führen, dafür scheint in diesem von mir unter¬
suchten Falle die verschiedene Lokalisation beider Bildungen
einen gewissen Anhalt zu geben.
Jene entstehen innerhalb der Leber selbst, in zartem,
zwischen dem Parenchym befindlichen Bindegewebe, diese
in einer umfangreichen leberzellfreien Schwiele, welche vom
übrigen Organ gleichsam abgesprengt erscheint. R i b b e r t
hat als Postulat für das Zustandekommen von Geschwulst¬
bildungen eine „Trennung“ von Zellen „aus dem physio¬
logischen Verbände“ aufgestellt. Es scheint mir die vor¬
liegende Beobachtung geeignet, eine Bestätigung für diese Auf¬
fassung zu liefern.
Was den akut verlaufenden Eintritt der fast totalen
Nekrose des Leberparenchyms betrifft, so scheinen
wenigstens herdweise Nekrosen ein typisches Attribut
dieser Leberaffektion zu bilden. So konnte sie Goure-
vitsch5) in allen vier Fällen, die er zu untersuchen Gelegen¬
heit hatte, nachweisen. Es möchte sogar der totale Umbau des
Leberparenchyms, wie er in meinem Falle zu konstatieren ist,
schwerlich anders zu erklären sein, als durch einen „herdweise
lokalisierten chronischen Degenerationsprozess mit einge¬
schobenen Regenerationen des Parenchyms“. Es ist dies die
bekannte Kretzsche Auffassung der gewöhnlichen Zirrhose,
welche somit auch für den vorliegenden Prozess — abgesehen
von den etwa durch gummöse Bildungen hervorgebrachten Ver¬
änderungen — Gültigkeit hätte, eine Tatsache, welche mir noch
nicht genügend berücksichtigt zu sein scheint. —
Gourevitsch fand in den von ihm untersuchten Fällen
die erwähnten zirkumskripten nekrotischen Herde zum Teil
gallig imbibiert. Ueber dieses Zusammentreffen äussert er sich
folgendermassen :
„In gewissen Fällen könnte man als Ursache der Nekrosen
toxische Eigenschaften der sie imbibierenden Galle ansehen, da
aber an vielen Stellen eine solche Imbibition gänzlich fehlt,
weiter aus dem Umbau des Organs zu schliessen ist, dass das
Zugrundegehen des Parenchyms ein chronisches war, und da
ausserdem andere entsprechende kausale Momente, wie z. B.
akute Infektion, fehlen, so muss man wohl diese Nekrosen auf
die Wirkung der Noxe beziehen, die auch die Grundkrankheit
erzeugt hat, d. h. auf die Wirkung des Syphilisgiftes“.
Ich möchte mich diesen Ausführungen völlig anschliessen.
Kennen wir doch eine Reihe von Beobachtungen über
Fälle von akuter gelber Leberatrophie, die ätiologisch auf
sekundäre Syphilis bezogen werden °), sodass die Annahme
einer toxischen Wirkung der syphilitischen Noxe auf die Leber-
5) Zeitschrift für Heilkunde XXVII, 1906.
6) Literatur bei Neumann, Syphilis 1896, Wien.
No. 43.
zellen in meinem Falle nicht willkürlich erscheint. Wir werden
uns in unserem Falle vorzustellen haben, — bei dem Fehlen
nachweisbarer anderer Noxen — dass hier die akut sich ab¬
spielende Nekrose im Rahmen der Grundkrankheit so zu
Stande kam, dass das lange Zeit hindurch bestandene Gleich¬
gewicht zwischen Degeneration und Regeneration — vielleicht
durch eine schliessliche Erschöpfung des Organismus — ge¬
stört wurde.
Was die Möglichkeit einer Erklärung der Zellnekrose
durch Gallenstauung betrifft, so möchte ich die obigen Er¬
wägungen von Gourevitsch noch durch Folgendes er¬
gänzen.
Die Möglichkeit einer Leberzellnekrose durch Gallen¬
stauung besteht nach den heute vorliegenden Tatsachen.
Immerhin handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine ein¬
fache toxische Wirkung der Galle, sondern um kompliziertere
Verhältnisse, wegen derer ich auf die Originalarbeiten E p -
p i n g e r s 7) verweisen muss.
In meinem Falle erscheint mir jedoch ausser den von
Gourevitsch angegebenen, auch hier zutreffenden Be¬
denken, ein derartiger Zusammenhang noch aus folgenden Er¬
wägungen unwahrscheinlich :
Die eigentümliche oben beschriebene gegenseitige La¬
gerung von nekrotischen Partien und nicht nekrotischen würde
einer Erklärung der Nekrose durch mechanische Stauung die
grössten Schwierigkeiten bereiten; auch gelingt es nirgends
eine Injektion der feineren Gallenwege oder der Gallenkapil¬
laren nachzuweisen; immerhin gebe ich zu, dass das von mir
angewandte histologische Verfahren für die Darstellung dieser
Verhältnisse nicht das ideale ist.
Dabei waren auch die Darmkontenta bei der Autopsie nor¬
mal gallig gefärbt, die gröberen Gallenwege durchaus normal
beschaffen, auch enthielt die Gallenblase die gewöhnliche
Menge Galle, so dass jedenfalls gröbere Störungen der Gallen¬
passage auszuschliessen sind.
Gibt man aber anderseits die von Gourevitsch aufge¬
stellte Möglichkeit eines lokalen Leberikterus nach primärer
Leberzellnekrose zu — ein Vorgang der, wie ausgeführt, mir
auch hier am wahrscheinlichsten erscheint, so ist, wenn man
sich vorstellt, dass die gallig imbibierten Zelltrümmer zur Re¬
sorption gelangen, wobei natürlich die Gallenkapillaren breit
eröffnet werden — bei genügender Ausdehnung der nekro¬
tischen Partien wie hier — zum allgemeinen Ikterus nur noch
ein Schritt. Ich lasse es dabei dahingestellt, ob diese gallige
Imbibition der Zellen ausschliesslich durch Aufnahme der Galle
von aussen zu statten kommt, oder etwa auch durch Durch¬
tränkung der nekrotisierenden Zellen mit ihrem eigenen Sekret.
Es liegen eine Reihe von Beobachtungen vor, die sich
vielleicht als Stütze für die Möglichkeit einer derartigen Er¬
klärung verwerten Hessen. So fanden Mallory, Free¬
mann u. a. bei Krankheiten, die bekanntlich gelegentlich ein¬
mal mit Ikterus einhergehen — Pneumonie, Endokarditis, Ty¬
phus abdominalis u. a. — nekrotische Leberherde, welche von
den Autoren teils auf toxische Einflüsse, teils auf embolische
Prozesse zurückgeführt werden konnten.8)
Ich wollte diese Verhältnisse, die noch zu wenig geklärt
sind, um bestimmte Urteile zu erlauben, hier nur berührt haben,
um auf eine Möglichkeit, wie der Ikterus in dem Falle als ent¬
standen gedacht werden könnte, hinzuweisen.
Was den klinischen Ablauf dieses Falles betrifft, so ist ein
derartiger Ausgang nach Neumann (1. c.) selten.
Da mir die Ergebnisse der anatomischen Untersuchung
derartig verlaufender Fälle nicht vorliegen, muss ich es dahin¬
gestellt sein lassen, ob der hier erhobene Befund — fast totale
Nekrose des Parenchyms — ein typischer ist.
Aus dem hier ausgebliebenen Erfolge einer spezifischen
Behandlung dürften, da hier diese Therapie erst eingeleitet
werden konnte, als akute Erscheinungen schon seit über 3
Wochen bestanden und der Zustand ein desparater war,
Schlüsse über die Wirksamkeit der antiluetischen Behandlung
im ersten Beginn derartiger Erscheinungen kaum gezogen
werden können.
7) Eppinger: Zieglers Beiträge XXXI, 1902 und XXXIII, 1903.
8) Ausführliche Literaturangaben im Referat von Kretz, Lu-
barsch und Oster tags Ergebnisse etc. 1902, II.
3
2138
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Da aber a priori nichts gegen die Möglichkeit einer gün¬
stigen Beeinflussung einzuwenden ist, dürfte der frühzeitigen
Diagnose dieser immerhin seltenen Verlaufsweise, eine prak¬
tisch nicht unerhebliche Bedeutung zukommen.
Aus der dermatologischen Abteilung des Allerheiligen-Hospitals
zu Breslau (Primärarzt Dr. H a r 1 1 u n g).
Quecksilbervergiftung mit tödlichem Ausgange.
Von Dr. Wilhelm Bartsch, Sekundärarzt.
Runeberg [l] berichtete 1889 über einen Todesfall nach
2 Injektionen Ralomel ä 0,1 und fügt dieser Mitteilung einen
Bericht über 6 andere, schon früher veröffentlichte Hg-Intoxi-
kationen mit tödlichem Ausgange bei. N e u b e c k |2] stellte
1902 auf Grund eines Todesfalles nach 0,25 Hg. sal.-Injektionen
die Literatur über dieses Gebiet ausführlich zusammen; es sind
im ganzen 21 Fälle, wovon 7 mit denen von Runeberg
identisch sind, sämtlich nach Injektion von unlöslichen Salzen,
bezw. Ol. einer. Hierzu kommen noch 8 Todesfälle nach Ein¬
reibungskuren. Seitdem finden sich in der deutschen Literatur
nur 2 Mitteilungen von M e y e r |3] und E i c h h o r s t [4] über
tödlich verlaufende Hg-Intoxikationen — beide nach Inunk-
tionen — ; in den französischen Zeitschriften berichten Le-
noir und Camus |5j über einen, C a u d e und Dobro-
vici [6J über 5 Todesfälle nach Anwendung von grauem Oel.
H a 1 1 o p e a u [7] hat einen letalen Ausgang nach Enesol
erlebt.
An unserer Abteilung durften wir uns rühmen, seit
10 Jahren nie einen Todesfall durch Hg verursacht zu haben.
Freilich blieben auch wir nicht verschont von all den Zwischen¬
fällen, die im Verlaufe einer Hg-Kur auftreten: schmerzhafte
Glutäalinfiltrate, die ja glücklicherweise meist bald schwinden,
Embolien, die im ganzen doch nur selten auftreten, ferner Tem¬
peratursteigerungen, Stomatitiden, Enterititiden. Erfordern die
erstgenannten Zwischenfälle sorgfältigste Beachtung, so sind
auch Diarrhoen im Verlaufe einer Rur stets besorgniserregend.
Und gerade für diese bedrohlichen Erscheinungen glaubten wir
ein unbedingt zuverlässiges Mittel in dem Opium zu haben,
so paradox es auch klingen mag. Im vorigen Jahre hat Herr
Primärarzt Dr. H a r 1 1 u n g [8j in der dermatologischen Zeit¬
schrift diese unsere Anschauung niedergelegt, die sich auf eine
Bemerkung Roberts in seinen „Intoxikationen“ gründete
und die sich durch den Erfolg während 10 Jahren vollauf be¬
stätigt fand. Opium in hohen und höchsten Dosen — wir gaben
bis zu 200 Tropfen täglich in einzelnen verzweifelten Fällen —
brachte stets alle, auch die schlimmsten, blutigen Diarrhöen
zum Stehen. Im Anfang dieses Jahres sahen wir in wenigen
Wochen 4 Patienten an Hg-Intoxikation zu Grund gehen, ohne
dass wir durch irgend eine Massnahme die Vergiftungserschei¬
nungen zu beeinflussen vermochten. Diese 4 trüben Er¬
fahrungen stehen wir nicht an, der Oeffentlichkeit mitzuteilen.
Ich lasse im Auszug die 4 Rrankengeschichten folgen.
L a 1 1 I. B. R. 23 jähr. Stickerin, aufgenommen am 22. XI. 1906.
Allgemeine Anamnese ohne Befund. Luesinfektion vor 3-^t Monaten.
Status: Mässig kräftiges Mädchen. Ernährungszustand ge¬
nügend. Struma mässigen Grades. Brust und Bauchorgane gesund.
Urin frei von Eiweiss und Zucker.
Quoad Lues: Papulae madidantes in scheusslichem Zustande ad
genitalia. Papulöses Exanthem am Stamm. Grosse, zerklüftete Ton¬
sillen mit Plaques belegt. Polyskleradenitis inguinalis et cervicalis.
Reflexe normal.
I h e r a p i e. Neben lokaler Behandlung der Genitalien und des
Mundes erhält Pat. vom 23. XI. bis 26. XII. Injektionen von Hg.-sal.-
Vasenol (10 proz.). Originalpräparat von Dr. R ö p p, in regelmässigen
Abständen von 3 Tagen, beginnend mit Vz Pravazspritze, dann stets
1 ganze, in Summa 1,15 Hg. sal.
Die Rur verläuft ohne Störung, die Lueserscheinungen sind nach
10 Tagen fast geschwunden. Gewicht bei der Aufnahme 113 Pfd.,
beim Ende der Rur 106 Pfd. Urin frei von Eiweiss. Am 22. XIL
stellt sich eine Rolpitis mit scheusslichem Fötor ein, die sich durch
lokale Ichthyol-Tampon-Behandlung bessert.
Am 29. XII. erfolgt trotz eindringlichen Abratens Entlassung
der Pat. auf eigenen Wunsch.
Am 15. I. 07 Wiederaufnahme. Die Labien sind kolossal ge¬
schwollen, dunkelblaurot bis schwarz verfärbt, aus der Vagina stossen
sich scheusslich übelriechende Gewebsfetzen ab. Ausserdem Diar¬
rhöen.
Pat. wird in ein Dauerbad gelegt; ihr Zustand wird täglich
schlechter, Pat. kommt unter den Anzeichen einer vollendeten Hg-
Rachexie am 31. I. ad exitum. Therapie während dieser Zeit: Robo-
rantien und Opium.
Die Sektion ergab neben alten tuberkulösen Herden in der
Lunge: Myokarditis, Cyanosis lienis et hepatis, Colitis ulcerosa, Ne¬
phritis parenchymatosa gravis, Periurethritis, Periproctitis, Abscessus
paravaginalis, Fistula vesicovaginalis et rectovaginalis, Necrosis mus-
culi glutaei sinistri.
Fall II. J. B., 24 jähriges Dienstmädchen. Aufnahme 7. I. 07.
Allgemeine Anamnese ohne Befund. Luesinfektion vor ca. 2 Monaten.
Status: Gut genährtes, kräftiges Mädchen. Der 1. Mitralton
klingt gespalten; sonst Brust- und Bauchorgane ohne Befund. Urin
frei von Eiweiss und Zucker.
Quoad Lues: Papeln ad genitalia. Makulöses Exanthem am
Stamm. An Ober- und Unterlippe annuläre Papeln. Plaques beider
Tonsillen. Polyscleradenitis inguinalis, cubitalis, cervicalis indolens.
An der Stirn, in der Gegend des linken Tuber frontale, eine'
markstückgrosse periostale Schwellung von hoher Druckempfindlich¬
keit.
Reflexe normal. Gewicht 103 Pfd.
Nebenbefund: Gonorrhoea urethrae.
Therapie und R rank he its verlauf: Neben örtlicher
Behandlung der Genital- und Lippenpapeln, der Tonsillenplaques und
der periostalen Schwellung Injektionen von Hg-sal.-Vasenol (10 p.roz.),
Originalpräparat von Dr. R ö p p.
8. I. 0,05, 11. I. 0,1, 14. I. 0,1 Hg sal.
14. I. abends Temperaturanstieg auf 39,9.
17. I. Temperatur ist wieder auf 37,7 zurückgegangen, daher
wiederum Injektion von 0,1 Hg sal.
18. I. Temperatur 38,6. Durchfälle. Priessnitz und 90 Tropfen
Opium täglich.
20. I. Profuse Diarrhöen. Täglich 120 Tropfen Opium + 4 g
Tannalbin neben flüssiger Diät.
21. I. Temperaturabfall auf 36.
26. I. I emperatur zwischen 37,5 und 38,5. Diarrhöen unver¬
ändert. Opium täglich 150 Tropfen + Bismut. subnitr. + Einläufe
mit Acid. tannic. Prolaps der Rektalschleimhaut.
30. I. Puls sehr schlecht, 120 in der Minute. Exzitantien. Roch-
salzinfusion.
1. II. Exitus letalis.
Die Sektion ergab: Neben alten pleuritischen Prozessen in den
Lungen: fettige Degeneration des Herzens und der Aorta, Cyanosis
hepatis et lienis. Nephritis parenchymatosa. Im Magen massenhaft
blutende Erosionen. Colitis mercurialis necrotica, die nach dem Rek¬
tum zu an Intensität zunimmt.
Fall III. C. B., 40 jährige Schauspielerin, aufgenommen 22. I. 07.
Allgemeine Anamnese ohne Befund. Luesinfektion 1894. I. Rur 1895,
II. Rur 1&98.
Status: Mässig kräftiges Mädchen in relativ gutem Er¬
nährungszustände. Brust- und Bauchorgane ohne Befund. Urin frei
von Eiweiss und Zucker.
Quoad Lues: Haut und Schleimhäute sind symptomlos. Poly-
scleradeniitis inguinalis et cervicalis.
Nervensystem: Pat. bietet das Bild einer ausgeprägten spinalen
Lues. Ich greife aus dem umfangreichen Nervenstatus; der an
anderem Orte veröffentlicht werden wird, nur folgendes heraus:
Pupillarreflexe prompt. Patellarreflex fehlt rechts, links nur schwach.
Romberg positiv. Schlaffe Lähmung beider Beine. Gang schlep¬
pend, ohne Stütze unmöglich. Incontinentia urinae et alvi.
I herapie: Im Einverständnis mit unserem neurologischen
Ronsiliarius wird eine antiluetische Rur begonnen. In 3—5 tägigen
Pausen Injektion von Ralomelvasenol (10 proz.), Originalpräparat von
Dr. Rö pp, anfangs 0,025, später 0,05 und 0,075; in Summa 0,7 Ralo-
mel. Am Schluss detr Rur hatten sich die spinalen Luessymptome
wesentlich gebessert. Der Gang ist relativ gut und schnell, ohne
Stütze möglich. Blasenfunktion gut.
Was die Defäkation anbetrifft, so war auch hier anfangs bald die
Inkontinenz geschwunden. Nach der 4. Injektion traten Diarrhöen auf,
die auf Opium standen. Pat. gab an, auch trotz der Diarrhöen den
Stuhl, im Gegensatz zu früher, anhalten zu können. So blieb das
Bild bis zum Schluss, als am 20. III. 07 nachts ganz plötzlich der
Exitus erfolgte. Urin war dauernd frei von Eiweiss.
Die Sektion ergab: Arteriosklerose. Oedema et emphysema
pulmonum, Hyperplasia et Cyanosis lienis, Colitis mercurialis,
Haemorrhagiae intestini, Gummata hepatis, Hydrosalpinx, Endo¬
metritis, Fibroma subseros. uteri, Degener. cyst. ovarii dextri, Hydro-
cephalus externus et internus; Degeneratio funiculi posterioris et
lateralis.
Fall IV. G. A., 57 jähriger Bibliothekar. Angenommen
29. I. 07, unverheiratet. Allgemeine Anamnese, ohne Befund. Lues¬
infektion 1887. Damals 1 Schmierkur, angeblich 5 Touren. Seit¬
dem frei yon frischen Luessymptomen. Reine weitere Rur. Vor
2 Jahren Anschwellung des linken Fusses, später des ganzen Unter¬
schenkels und Rnies, ohne besondere Schmerzen.
Status: Rräftiger Mann in genügendem Ernährungszustände.
Herztätigkeit sehr frequent, sonst ohne Befund. Ueber den Lungen
katarrhalische Geräusche. Bauchorgane ohne Befund. Arterio¬
sklerose. Urin frei von Eiweiss. Linkes Rnie zeigt periostale Ver¬
dickungen; der Unterschenkel ist stark angeschwollen und braunrot
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2139
verfärbt, ebenso der Fussrücken. An der Fussohle ein Mal perfo-
rant. Am rechten Fussrücken akut entzündliche Schwellung, über¬
greifend auf den rechten Unterschenkel.
Pupillen- und Patellarreflexe fehlen. Die Sensibilität beider
Unterschenkel und Fiisse ist fast aufgehoben.
Therapie: Tiefe Inzision der Schwellung des rechten russ-
rückens Keinerlei schmerzhafte Empfindung dabei. Es entleert sich
reichlich Eiter. Feuchter Verband. Im Verlaufe der Behandlung kam
es anfangs zu ausgedehnter Nekrose des ganzen Gewebes am rechten
Fussrücken und Unterschenkel, so dass die Tibia und die Muskulatur
frei zutage lag. Nach ca. 4 Wochen war die tiefe Ulzeration in guter
Granulation begriffen, so dass, als am 17. III. der Exitus erfolgte,
nur noch eine kleine oberflächliche Hautwunde vorhanden war Die
Affektionen beider Unterschenkel fassten wir als spezifische auf und
leiteten daher eine antiluetische Kur ein. Pat. erhielt in Abständen
von 4 — 5 Tagen anfangs 0,025, später 0,05 Kalomel, im ganzen 0,3o
Kalomelvasenol (lOproz.), Originalpräparat von Dr. K o p p. Jod¬
kali 6 g pro die, musste bald wegen Jodismus ausgesetzt weiden.
Anfang März traten Diarrhöen auf, die auf Opium — täglich 90 bis
120 Tropfen — nicht standen. 17. III. 07 Exitus.
Die Sektion ergab: Neben alten Prozessen in der Lunge und
den Bronchien Arteriosclerosis gravis, Degeneratio adjip. myocard..
Hrperplasia pulpae lienis, Colitis mercurialis, Cirrhosis hepatis, Ati o-
phia renis utriusque, Degeneratio grisea fumculi posterioris.
Diese 4 Krankengeschichten in Verbindung mit den bek-
tionsprotokollen beweisen leider nur zu evident, dass alle 4
Patienten an Hg-Intoxikation zu Grunde gegangen sind. Ich
übergehe die zahlreichen Nebenbefunde und wende mich nur
den Wirkungen des Quecksilbers zu. Die degenerativen Pro¬
zesse an Herz und Nieren entsprachen durchaus den Ver¬
änderungen, wie sie allgemein bei Hg-Vergiftung gefunden
werden und wie sie z. B. K a u f m a n n [9] schildert. In keinem
Falle waren sie stark ausgebildet, zum Teil fehlten sie ganz.
Klinisch im Vordergründe standen in allen 4 Fällen die un¬
stillbaren blutigen Diarrhöen, kompliziert in Fall I durch die
Nekrose der Vagina und Vulva. Diese Diarrhöen, die aut keine
Weise weder durch Opium noch durch geeignete Einlaufe zum
Stehen gebracht werden konnten, waren gleichzeitig auch
überhaupt das erste Anzeichen der beginnenden Hg-Intoxi-
kation. Sie setzten sofort mit solcher Macht und so plötzlich
ein, dass auch durch sofortiges Aussetzen der Hg-Behandlung
kein Erfolg mehr zu erzielen war. Recht merkwürdig ist es,
dass in keinem unserer Fälle ein Hg-Exanthem auftrat, wie ein
solches von den meisten Autoren als erstes Signum der Intoxi¬
kation in den mannigfachsten Formen beschrieben wird Mit
dem klinischen Bilde der Colitis mercurialis stimmte jedesmal
der Sektionsbefund überein. Stets war der Dickdarnt in der
schwersten Weise verändert. Der Gesamteindruck war dci
einer völligen Nekrose bis tief in das Rektum hinunter Nach
Abspülen der schwarzen, übelriechenden Kotmassen sah man,
dass hauptsächlich die hervorragenden Falten mit einer
schwarzgrünen, diphtherischen, nicht abziehbaren Membran be¬
deckt waren. Dazwischen fanden sich in der Tiefe der halten
weniger intensive Veränderungen, manchmal kleine Risse, auch
Geschwüre. Der Dünndarm war, bis auf die kleinen Hamor-
rhagien in Fall IV, intakt.
Die Pathogenese dieser Colitis ulcerosa, necrotica, diph-
therica ist Gegenstand eingehendster Untersuchungen gewesen.
Die Ansicht, dass die Kolitis als Folge einer einfachen lokalen
Aetzwirkung des Hg aufzufassen sei, ist längst verlassen.
Kunkel [10] bemerkt dazu sehr richtig: „einfache Aetz¬
wirkung des Quecksilbers auf den Darm ist unmöglich, da bei
Sublimatvergiftungen per os nur sehr geringe Störungen im
Magen und Ileum, dagegen schwerste Kolitis gefunden wurde.
Auch die von chirurgischer Seite bei Darmverschlingungen
vorgenommene Therapie, metallisches Quecksilber per os zu
geben, ist ohne wesentliche Folgen für die Darmschleimhaut
geblieben. T ,
Kaufmann [9] hat sich Ende der 80 er Jahre experi¬
mentell mit dieser Frage beschäftigt („die Sublimatintoxi¬
kation“) und kommt zu dem Ergebnis, „dass man die bei dei
Sublimatintoxikation deutlich hervortretende Neigung zur
Stasen und Thrombosenbildung im Blut . . . auch zur Erklärung
der Darmaffektion heranziehen muss. Zirkulationsstörungen
machen die Darmschleimhaut gegenüber eindringenden ent-
zündungs!erregenden Darmbakterien widerstandslos und er¬
zeugen die diphtherische Nekrose“. Nicht erklärt ist hierdurch,
warum der Dünndarm niemals derartige ulzeröse Prozesse
aufweist, ein Einwand, den auch Almkvist LllJ erhebt.
Letzterer hat im vorigen Jahre die Frage eingehend erörtert.
Er gibt eine genaue Uebersicht der zahlreichen Erklärungen
der Pathogenese der Kolitis und kommt im Gegensätze zu
Pollio [12], Fischei [13] und Siebe rt [14], im Einver¬
ständnis mit J u s t u s [15] und K a s s a i [16] zu dem Ergebnis,
dass das Hg in den Kapillarschlingen allgemein Niederschläge
bildet. Durch diesen Nachweis ist er in der Lage, sowohl
Stomatitis wie Colitis mercurialis erklären zu können. Das
Resultat seiner eingehenden Untersuchungen gibt er in folgen¬
den Worten wieder: „Sind in der Mundhöhle und im Dickdarm
absehbare Fäulnisprozesse vorhanden, so wird hierdurch die
Schleimhaut etwas aufgelockert oder erodiert. Durch diese
veränderte Schleimhaut wird das von den Fäulnisprozessen
gebildete H?S-Gas teilweise resorbiert. Enthält das Blut des
Tieres Quecksilber, so entsteht dabei in den oberflächlichen
Kapillarschlingen ein Niederschlag von Schwefelquecksilber,
welcher sich in den Endothelzellen der Gefässwand nieder¬
schlägt. Hierdurch wird die physiologische Rolle der Gefäss¬
wand für die Zirkulation gestört und infolgedessen leidet die
Nutrition des Gewebes. Unabhängig hiervon, wahrscheinlich
infolge einer lähmenden Einwirkung auf den Gefässnerven, ent¬
steht besonders im Darm Gefässdilatation. Als Folge der Er¬
nährungsstörung entwickeln sich im Gewebe degenerative
Prozesse“. Den Versuch, Stomatitis und Kolitis in gleicher
Weise zu erklären, hat schon Bockhart [17] gemacht, ohne
aber den histochemischen Nachweis des Hg in den Kapillar¬
schlingen zu bringen. Er führte die degenerativen Prozesse auf
Reduktionsvorgänge, begünstigt durch die Mikroorganismen
zurück. Dass diese eine Hauptrolle bei der Nekrose spielen,
ist ja auch die Ansicht A 1 m k v i s t s. Hierdurch ist nun einer¬
seits die Nichtbeteiligung des Dünndarms erklärt, den R o 1 1 y
und Liebermeister [18] steril fanden, andererseits auch
unsere Beobachtung in Fall I, wo wir ausser Stomatitis und
Kolitis noch eine Kolpitis fanden. Gerade so, wie, unter nor¬
malen Verhältnissen, der Mundschleim trotz der Anwesenheit
von Bakterien imstande ist, eine Entzündung zu verhindern,
und erst bei Ablagerung von Hg im Sinne A 1 m k v i s t s eine
Stomatitis entsteht, ebenso liegen die Verhältnisse in der Va¬
gina. Runge [19], Döderlein und Krönig [20] er¬
kennen die bakterizide Kraft des Vaginalschleims an. Diese
büsst aber ihre Kraft ein, wenn günstige Bedingungen für die
Entwicklung von degenerativen Prozessen vorhanden sind.
N e u b e c k [2] ist der einzige, der gleichfalls eine Kolpitis als
Folge der Hg-Intoxikation auftreten sah. Er sieht darin ein
Analogon mit den Abschuppungsvorgängen auf der äusseren
Haut. Er sagt: (pag. 486) „Wie hier die Hornschichten infolge
einer wohl durch das im Blut zirkulierende Quecksilber verur¬
sachten Schädigung in der Ernährung abstarben und sich in
grossen Fetzen loslösten, so mögen wohl auch dem Gangränös¬
werden der Scheidenwände ähnliche Vorgänge zu Grunde
liegen“. Damit ist aber nicht die Gangrän erklärt. Diese kann
eben nur Zustandekommen durch die Anwesenheit von Bak¬
terien und die durch diese bedingten Fäulnisprozesse, die dann
erst zur Wirkung kommen können, wenn sich durch die Ab¬
lagerung von Hg in den Kapillaren Ernährungsstörungen ein¬
gestellt haben.
Erwähnen möchte ich noch, dass Katsura [21] das
Ueberwuchern einer Bakterienart im Dickdarm bei Hg-Intoxi¬
kation, die dem Bacillus coli commune nahezustehen scheint,
gefunden hat. Hierfür ist wohl darin die Erklärung zu suchen,
dass die Lebensbedingungen für diese Bazillen günstig waren;
sie als spezifische Erreger aufzufassen, was im iibiigen
Katsura auch nicht für bewiesen hält, wäre natürlich gänz¬
lich unzulässig.
Zu erörtern wäre noch die eingangs gestreifte Fiage,
warum wir niemals ein Hg-Erythem auftreten sahen. Ich
meine, wir müssen uns hierbei mit dem ja allerdings noch völlig
ungeklärten Wesen der Organidiosynkrasie behelfen, wie sie
Tomasczewski [22] theoretisch aufstellt, und an der Hane
vieler Fälle praktisch zu beweisen sucht. Diese Organ¬
idiosynkrasie haftet bei den einzelnen Individuen an verschie¬
denen Organen, meist nur an einem. Warum aber gerade an
diesem und nicht an einem anderen, dafür weiss loma-
s c z e w s k i keine Erklärung. Auch nach unseren Ertahrungen
lässt sich nichts genaueres darüber sagen. Die Ausscheidungs-
3*
2140
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Organe waren in allen Fällen vor der Rur intakt, die Nieren
auch während der Kur wenigstens für die klinische Unter¬
suchung. Es hat also auch nicht eine Verminderung der Aus¬
scheidung seitens der Nieren und dadurch eine Kumulation statt¬
gefunden. Ausserdem war die Hg-Zufuhr in keinem Falle
übermässig.
Dass andere Umstände, etwa direkte Injektion in Qefässe
vorgekommen sein könnten, ist ausgeschlossen. Auch unsere
Vorratsgefässe für die Injetionsfl iissigkeit bieten keine Fehler¬
quelle, da wir gehörig schütteln und kleine reagensgläschen¬
artige Qlasgefässe mit halbkugeligem Boden verwenden.
Die Suspensionsflüssigkeit war in allen Fällen Vasenol.
Seit dem Erscheinen des Vasenol sind mehrere kleine Berichte
über die Güte und die Gefahrlosigkeit dieser Emulsion ver¬
öffentlicht. So berichtet Schnabel [23], dass er bei Ver¬
wendung von Vasenolpräparaten nie gastroenteritische Er¬
scheinungen bemerkt hätte, auch nicht bei Kranken, die die¬
selben regelmässig nach jeder Paraffinemulsion in starken und
stärksten Graden gezeigt hatten. Auch Thimm [24] empfiehlt
die Vasenolemulsion aufs wärmste, ebenso Lengefeld [25].
Immer wird demHg-Vasenol leichtLResorbierbarkeit und feinste
Verteilung nachgerühmt. Es drängt sich mir hierbei folgender
Gedankengang auf, angeregt durch Olshausens [26] Worte:
,, Andererseits scheint bei der medikamentösen Verwendung
von Metallen (wie z. B. Hg und Ag) die Art resp. die Schnellig¬
keit der Resorption der an Ort und Stelle eingegangenen Ei¬
weissverbindungen und die damit wohl in Verbindung stehende
feinste Zerteilung des Metalls von Bedeutung zu sein. Wir
wissen, dass, je feiner zerteilt ein Pulver oder für den vor¬
liegenden Fall ein Metall ist, desto grösser die Wirksamkeit ist.
Die Resorptionsvorgänge in den Geweben sind nach dem je-
weilgen Kräftezustand, in dem sich die Betreffenden befinden,
verschieden“. Vielleicht ist es gerade diese feinste Verteilung
und die überaus schnelle Resorbierbarkeit des Vasenolprä¬
parats, die eine Ueberschwemmung des Körpers mit Queck¬
silber hervorbringt, die wir früher bei den Paraffinpräparaten
nicht gekannt haben.
Wie dem auch sei, die Tatsache, dass auch Vasenol nicht
vor Todesfällen schützt, ist allgemein wichtig und interessant.
Sollen wir nun nach unseren trüben Erfahrungen von der
Injektion unlöslicher Salze gänzlich absehen? Selbstverständ¬
lich nein. Kunkel [10] sagt zwar, dass „die Einspritzung
grösserer Mengen ungelöster Hg-Präparate unbedingt zu ver¬
werfen ist“, billigt aber die Anwendung per os oder auf ku¬
tanem Wege. Er vergisst dabei, dass eine Reihe von Todes¬
fällen nach Inunktionen bekannt geworden sind, wie ich ein¬
gangs erwähnte, und dass auch bei der Darreichung per os
v. Scott - Snyden [27] eine tödlich verlaufende Hg-Ver-
giftung sah. Ebenso schützen die löslichen Hg-Salze nicht vor
diesem schlimmen Ausgange, wie H a 1 1 o p e a u s [7] Fall zeigt.
Nicht eingehen will ich auf die vielen Fälle, wo uns einzig und
allein Kalomel als letztes Rettungsmittel bleibt. Ich denke an
die Fälle plötzlicher zerebraler oder spinaler Gefässerkran-
kungcn, ebenso wie an die sich langsam entwickelnden Gefäss¬
verschlüsse in diesen Regionen.
Aber über die Frage, ob man unlösliche Hg-Präparate ge¬
brauchen soll oder nicht, sind ja eigentlich die Akten ge¬
schlossen und es erübrigt sich, hier weiteres auszuführen.
Unsere Methodik werden wir revidieren müssen, sowohl mit
Rücksicht auf die Dosierung der Einzelinjektion, als auf die
Aufeinanderfolge der einzelnen Injektionen. Auch mahnen
unsere Fälle (Fall 1) zu einer ausserordentlich genauen Beob¬
achtung der Kranken, nachdem die Behandlung schon ab¬
geschlossen ist, wie ebenso zu einer Einschränkung dieser In¬
jektionsmethode für ambulante Kranke. Hier sollte sie nur Ver¬
wendung finden bei Leuten, die man in steter Kontrolle halten
kann.
Fs wäre noch übrig, über die Therapie dieser Intoxika¬
tionen einige Worte zu sprechen. Vogeler [28] empfiehlt auf
Grund zweier Fälle die Vornahme eines chirurgischen Ein¬
griffes am Orte der Injektion. Wie weit dies in praxi durch¬
zuführen ist, ist mehrfach erörtert worden im Anschlüsse an
ähnliche Veröffentlichungen. Das Resümee ist jedenfalls, dass
nur in den seltensten Fällen man sich zu diesem Schritte ent¬
schlossen kann. Auch wir glauben nicht, dass im allgemeinen
ein chirurgischer Eingriff indiziert ist; jedenfalls wäre in keinem
unserer Fälle diese Therapie anwendbar gewesen, teils weil
die Infiltrate nur äusserst gering und sehr tief waren, teils des
Allgemeinzustandes der Patienten wegen. Gleichwohl wird in
einigen besonderen Fällen hierdurch Abhilfe geschaffen werden
können.
Unsere eingangs erwähnte Anschauung über die Wirkung
des Opiums, die genauer in der H a r 1 1 u n g sehen Arbeit nach¬
zulesen ist, hat uns diesmal im Stich gelassen. Warum, ist
unklar. Trotzdem wird das Opium im H a r t tu n g sehen
Sinne weiter Verwendung finden und sicher in vielen Fällen
sein gute Wirkung entfalten. Dass man sich sonst zur Be¬
kämpfung der üblen Situation aller nur denkbaren symptoma¬
tischen Mittel bedienen wird, ist selbstverständlich, aber es
wird schwer gelingen in solchen Fällen, wie den erwähnten,
das Verderben aufzuhalten.
Literatur.
1. Runeberg: Quecksilberintoxikation mit tödlichem Ausgang
nach subkutanen Kalomelinjektionen. D. med. Wochenschr. 1889.
pag. 4. — 2. Neubeck: Quecksilbervergiftung mit tödlichem Aus¬
gange nach Einspritzungen von Hydrargyrum salicylicum. Dermatol.
Zeitschr., Bd. IX, 1902, pag. 470. — 3. Meyer: Ueber tödlich ver¬
laufende Quecksilberdermatitiden. Med. Klinik, Jahrg. I, No. 19. —
4. Eichhorst: Ueber Quecksilbersepsis. Med. Klinik, Jahrg. 1
(Ref.: Therapeut. Monatsh. 1905, pag. 383). — 5. Lenoir und
Camus: Ein Fall von medikamentöser Quecksilbervergiftung mit
tödlichem Ausgang. Bull, et Mem. de la Soc. med. des höp. de
Paris 1906 (Ref.: Wiener klin. Wochenschr. 1906, pag. 250). —
6. Caude und Dobrovici: 5 Todesfälle nach Injektionen mit
grauem Oel. Annales des maladies veneriennes, Oktober 1906. —
7. Hallopeau: Sur un cas d’intolerance idiosyncrasique ä l’egard
du salicylarsinate de mercure. Journal des maladies cutanees et
syphihtiques 1906, pag. 247. — 8 .Harttung: Unglückliche Zufälle
bei Hg-Injektionen. Dermatol. Zeitschr., Bd. XIII, H. I .— 9. Kauf¬
mann: Spezielle pathologische Anatomie. — 10. Kunkel: Hand¬
buch der Toxikologie, pag. 140. — 11. Almkvist: Ueber die Patho¬
genese der merkuriellen Kolitis und Stomatitis. Dermatol. Zeitschr.
1906, pag. 835. 12. Po 11 io: Ueber die Aktion des Quecksilbers
auf das syphilitische Gewebe. Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. LX,
pag. 119. 13. Eise hei: Ueber die Aktion des Quecksilbers auf
das syphilitische Gewebe. Versuch seines histochemischen Nach¬
weises. Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. LXI, pag. 387. —
14. Siebert: Nochmals über die Aktion des Quecksilbers auf das
syphilitische Gewebe. Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, LXV1I.
pag. 271 u. Bd. LXXV, pag. 213. — 15. Justus: Die Aktion etc.
Archiv f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. LVII; Bd. LXX, pag. 645;
Bd. LXXV, pag. 203. — 16. Kassai: Ueber die Aktion etc. Archiv
f. Dermatol, u. Syphilis, Bd. LXII, pag. 351. — 17. Bockhart:
Ueber die Aetiologie und Prophylaxe der merkuriellen Stomatitis und
Proktitis. Monatsh. f. prakt. Dermatol., Bd. XXXIV, pag. 1.13. —
18. R o 1 1 y und Liebermeister: Experimentelle Untersuchungen
über die Ursachen der Abtötung von Bakterien im Dünndarm
D. Archiv f. klin. Med. 1905, Bd. LXXXIII, pag. 448. — 19. Runge-
Lehrbuch der Gynäkologie, 1903, pag. 82. — 20. Döderlein-
Kroeni g: Operative Gynäkologie, 1905, pag. 19. — 21. K a t s u r a:
Uebei den Einfluss der Quecksilbervergiftun,g auf die Darmbakterien.
Zentralbl. f. Bakteriol. 1900, pag. 359. — 22. Tomasczewski'
Quecksilberexantheme und Quecksilberidiosynkrasie. Zeitschr. f.
klin. Med., Bd. LI, H. 5 u. 6. — 23. Schnabel: Beitrag zur In¬
jektionstherapie bei Syphilis. D. med. Wochenschr. 1904, pag. 1893. —
24. Thimm: Vasenol etc. Dermatol. Zeitschr. 1904, pag. 543. —
25. Lengefeld: Ueber Vasenol. Dermatol. Zentralbl. 1905,
pag. 198. — 26. Olshausen: Argyrie -nach äusserlicher Behandlung
mit Höllensteinlö'sung. D. med. Wochenschr. 1893, pag. 1206. —
27. v. Scott-Snyden: 1 ödliche akute Hg-Vergiftung. Referat:
Wiener klin. Wochenschr. 1905, pag. 439. — 28. Vogeler: Zur Be¬
handlung der Syphilis mit subkutanen Kalomelinjektionen. Berl. klin.
Wochenschr. 1890, No. 41.
Zur Frage des Blutnachweises in den Fäzes.*)
Erwiderung auf den Artikel von Dr. Max Fraenkel in
Hamburg in No. 33 dieser Wochenschrift.
Von Dr. Hermann Friedrich Grünwald in Wien.
Vor kurzem von meinem Urlaube zurückgekehrt, komme ich
erst jetzt dazu, auf obengenannten Artikel zu erwidern:
1. In der Regel werden wohl überall — bei uns immer — die
Proben vom Arzte selbst ausgeführt; sollten sie aber wirklich dem
Wartepersonal überlassen werden, so darf man wohl annehmen, dass
dieses dann so geschult und intelligent ist, dass man es auch an-
*) Vergl. Zentralbl. f. innere Med. 1907, No. 4.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2141
standlos mit Zyankalium arbeiten lassen darf. Keinesfalls kann dieser
Einwand Fraenkels als stichhaltig anerkannt werden.
2 Die Schichtdicke der spektroskopisch untersuchten Flüssigkeit
anzugeben war kein Grund vorhanden, da immer, wie wiederholt er¬
wähnt, mit Eprouvetten gearbeitet wurde, die wohl überall annähernd
den gleichen Durchmesser haben; die Art des Spektroskops ist wohl,
wenn man überhaupt ein gutes Instrument verwendet, völlig irrele¬
vant; es wurde übrigens ein Browningsches Taschenspektro¬
skop verwendet. ......
3. Unter zeitraubend versteht man wohl, dass die Anstellung
der Probe selbst, i. e. die Manipulation mit derselben, längere Zeit in
Anspruch nimmt; nach Fraenkels eigenen Angaben braucht man
zur Schümm sehen Modifikation der Weber sehen Probe 10 bis
15 Minuten; die Anstellung der Zyankaliumprobe erfordert wenige
Augenblicke: denn die 2 Stunden, die man sie ruhig stehen lassen
soll, können wohl schwerlich als Arbeitszeit gerechnet werden.
’ 4. Die Färbung „braungelb mit einem starken Stich ins grüne“,
also nicht blau oder grün, die Fraenkel bei stärkeren Ver¬
dünnungen bei Anstellung der einfachen Weber sehen Probe er¬
hielt, wurde ja nicht nur von ihm, sondern u. a. auch von Schümm
und auch von mir erhalten; gerade das Unsichere dieser Farben¬
nuance ist es, was diese Probe in diesem Falle unverlässlich er¬
scheinen lässt.
5. Die Empfindlichkeit der Schummschen Modifikation habe
ich nie angezweifelt, die Vergleiche beschränkten sich auf die ein¬
fache Weber sehe Probe. Hiebei wurde die oben geschilderte Fär¬
bung selbstredend nicht als deutlich positiv angesprochen.
6. Fraenkel scheint eine Vorschrift nicht beobachtet zu
haben: er mischte — bei der Hämochromogenreaktion — 3 g gut
verrührten Stuhles mit 10 g 15 proz. Natronlauge und einigen Tropfen
Schwefelammonium und filtrierte nach 5 Minuten. Es soll dagegen,
wie ich das immer tat und in meiner Arbeit auch erwähnt habe, dass
Schwefelammonium nach dem Filtrieren, unmittelbar vor der
spektroskopischen Untersuchung zugesetzt werden.
7. Ich habe auf mein Verfahren eine quantitative Bestimmung der
Blutmenge nicht aufgebaut, sondern nur auf die Möglichkeit einer
ungefähren Schätzung hingewiesen.
8. Bei der Zyankaliumprobe wird das Blut durchaus nicht als
Zyanhämoglobin spektroskopisch festgestellt; wohl hielt Preyer
den entstehenden Körper für Zyanhämoglobin, doch steht es wohl
fest, dass diese Bezeichnung falsch ist; das entstehende Produkt hat
eine bisher unbekannte Konstitution und leitet sich jedenfalls vom
Hämatin, nicht vom Hämoglobin ab.
9. Der Zusatz von Essigsäure bei Anstellung der Guajakprobe
in wässeriger Lösung mag überflüssig sein, ist aber keinesfalls ein
störender Fehler. Uebrigens wurden auch Kontrollversuche ohne
Essigsäure angestellt, die das gleiche Resultat ergaben. Eine dritte
Prüfung war die in alkalischer Häminlösung, so dass die doppelt
verifizierten Resultate wohl nicht anzuzweifeln sind.
10. Eine Ueberlegenheit der Zyankaliumreaktion gegenüber der
Hämochromogenreaktion habe ich nie behauptet: ich habe im Gegen¬
teil gezeigt, dass beide Proben völlig gleiche Empfindlichkeit
haben; deswegen habe ich auch der Zyankaliumprobe nicht den
Vorzug gegeben, sondern sie der Hämochromogenreaktion gleich¬
gestellt; zur Sicherheit und als Kontrollreaktion empfahl ich das
Ueberführen des einen Spektrums in das andere, welcher Vor¬
schrift Fraenkel mit dem gleichen Resultate wie ich nachge¬
kommen ist. Damit hatte ich gleichzeitig die chemische Verschieden¬
heit beider Reaktionen nachgewiesen, während frühere Autoren (s.
meine Originalarbeit) sie für identisch hielten.
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses München r/I. (Direktor: Hofrat Dr. 'Brunner).
Versuche über Händedesinfektion unter besonderer
Berücksichtigung der von Heusner empfohlenen Jod¬
benzinmethode.
Von Dr. Max Gras mann, I. Assistent der Abteilung.
(Schluss.)
IV. Jod-Benzinmethode nach Heusner.
Wenn wir durch unsere Versuche erfahren, dass es uns
trotz langer und intensiver mechanischer und chemischer Des¬
infektion nicht oder nur in Ausnahmefällen gelingt, unsere
Hände keimfrei zu machen, so drängt sich uns unwillkürlich die
Frage auf:
Welche Umstände sind es, die die Händedesinfektion gar
so schwierig gestalten?
Hätte unsere Haut eine glatte Oberfläche, so wäre die Des¬
infektion leicht, wie wir aus den Untersuchungen über die
mechanische Sterilisation der Gummihandschuhe wissen. So
aber besitzen wir an unseren Händen, abgesehen von den Nagel¬
falzen und Unternagelräumen unzählige Poren, Furchen, Falten
und Schrunden, die alle mit Luft und Fettschichten mehr oder
weniger ausgefüllt sind. Luft und Fett lassen sich nun aus
diesen Oeffnungen nicht so leicht entfernen und verhindern,
dass das Desinfektionsmittel überall ungehindert Zutritt er¬
langt. Um ein Bild von den Lufträumen der Haut zu be¬
kommen, dürfen wir nur unsere Hände kurze Zeit unter eine
grössere Schicht Aether halten, und wir werden an der Ober¬
fläche der Haut zahlreiche kleinste Bläschen entstehen sehen —
eine Eigenschaft, die hauptsächlich dem Aether zukommt, näm¬
lich die Luft zu verdrängen; diese Eigenschaft hat das Wasser
nicht und nur in geringem Grade der Alkohol.
Dass das Fett nicht so leicht von der Haut zu entfernen
ist, ist auch dem Laien hinreichend bekannt.
Diese beiden Materien — Luftbläschen und Fettschichten —
sind bei der Ausführung der Händedesinfektion ein so schwierig
zu überwindendes Hindernis, dass ich bezweifeln möchte, ob
es jemals gelingen wird, diese beiden vollkommen auszu¬
schalten.
In richtiger Würdigung dieser Faktoren bei der Händedes¬
infektion ging ich mit Freuden an die Versuche mit Jodbenzin,
weil ich glaubte, im Benzin das richtige Mittel zu besitzen, um
einerseits das Fett zu lösen, anderseits infolge seiner Leicht¬
beweglichkeit die Luftbläschen zu verdrängen und ferner das
Desinfektionsmittel an alle Stellen der Haut und damit wieder
zu allen Keimen hinzuschaffen. Den Zusatz des Jodes zum
Benzin hielt ich für eine glückliche Kombination. Die desinfi¬
zierenden Eigenschaften des Jodes sind seit R. Kochs grund¬
legenden Versuchen von verschiedenen Autoren festgestellt
worden. Koch fand, dass Milzbrandsporen nach 24 stündiger
Einwirkung einer reinen Jodlösung von 1:5000 abgetötet
waren. Spätere Untersucher kamen zu gleichen oder ähnlichen
Resultaten. Die bakteriziden Wirkungen des Jodes stehen nach
den vorliegenden Untersuchungen denen des Chlors und der
Quecksilbersalze, besonders des Sublimates nur wenig nach.
Die Gründe, warum das Jod trotz seiner guten desinfi¬
zierenden Wirkung in der Praxis bisher nicht oder nur sehr
wenig angewendet wurde, sind hauptsächlich in seiner nicht zu
unterschätzenden Giftigkeit und in der das Gewebe intensiv
reizenden und schädigenden Eigenschaft zu suchen. Erst in
jüngster Zeit wird das Jod wieder mehr verwendet; abgesehen
von der Anwendung der Jodtinktur zur Desinfektion der
schwer zu reinigenden Nagelräume wird es hauptsächlich zur
Sterilisation des Katguts empfohlen.
Wie die neueren Untersuchungen zeigen, besitzen sehr
verdünnte Jodlösungen die genannten, die praktische Ver¬
wendung des Jods ausschliessenden Eigenschaften kaum mehr.
Bevor die Versuche mit Jodbenzindesinfektion unternommen
wurden, musste zweckmässig die bakterizide Wirkung einer 2prom.
Jodbenzinlösung ermittelt werden. Diese Wurde nach den Angaben
von K r ö n i g und Paul mit an Granaten angetrockneten Staphylo¬
kokken bestimmt mit der Modifikation, dass die Granaten bei der
Einwirkung auf ein Mullgazebänkchen gelegt wurden, damit dem
Desinfektionsmittel von allen Seiten bequemer Zutritt zu den Gra¬
naten möglich ist.
Die Versuchsanordnung war demnach:
1. Einwirkung von 0,2 proz. Jodbenzin auf je 5 Stück Granaten,
an welche Staphylococcus pyogen, angetrocknet waren, je 5, 10,
30 Minuten lang.
2. Ausschalten der Jodwirkung mit 0,5 proz. Thiosulfatlösung 5
Minuten lang.
3. Auswaschen von Thiosulfat 10 Minuten lang.
Ergebnis:
Nach 5 Minuten langer Einwirkung von Jodbenzin etc. waren
14 160 Keime, nach 10 Minuten langer Einwirkung 8880 Keime und nach
30 Minuten langer Einwirkung 1200 Keime vorhanden.
Die Kontrolle von 5 Granaten, wobei nur 2 und 3 ausgeführt
wurde, ergab 15 280 Keime.
Die Keimverminderung betrug also nach 30 Minuten Einwirkung
von 0,2 proz. Jodbenzin 92,1 Proz.
Die von mir mit einer 0,2 proz. Jodbenzinlösung erhaltenen
Resultate sind ungünstiger als die Ergebnisse anderer Untersucher.
Der Grund liegt in der von mir geübten Ausschaltung der Jodwirkung
am Schlüsse des Versuches; dadurch wird nicht nur verhindert, dass
Jod auf die Nährböden übertragen wird, sondern es wird auch
die entwicklungshemmende Wirkung des bereits mit den Bakterien
in Bindung getretenen Jodes aufgehoben.
Heusner verwendet eine Lösung von 1 Jod auf 1000 Benzin.
Für jeden Beteiligten wird eine desinfizierte Porzellanschüssel mit
je 200 g (ca. 300 ccm) Jodbenzin aufgestellt. Hiernit wer¬
den die Hände ohne vorhergehende Wasserbenützung _ 5 Mi-
I nuten lang gebürstet, während die Haut des Patienten meist nicht
2142
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43
mit der Bürste, sondern mit Gazelappen bearbeitet wird. Nach voll¬
endeter Waschung wird in einer frischen Schüssel mit Jodbenzin eine
letzte Abspülung und Abreibung mit Gazetupfern vorgenommen
Schliesslich werden die Hände wie auch die Haut des Patienten im
Operationsgebiet mit einer 2 prom. jodhaltigen Vaseline eingerieben.
Heusner bemerkt, dass in dieser Verdünnung das Jod die
rltiut nicht reizt, es tritt nur eine unbedeutende bräunliche Huutver-
farbung ein, die sich nach kurzer Zeit von selbst wieder verliert. Die
Geiahr einer Erkrankung durch Einatmung von Jod besteht bei den
geringen Quantitäten, welche für die Desinfektion verbraucht wer¬
den, nicht.
Untersuchung des Urins der Beteiligten hat keine Jodreaktion er¬
geben.
c, .Bakterienversuche, die Prosektor Dr. Markwald mit einer
Amlösung von 2 Teilen Jod auf 1000 Benzin vornahm, haben zu ähn¬
lichen Resultaten geführt, wie sie Kinnamann bezüglich seiner
gleichstarken, wässerigen Jod-Jodkaliumlösung gefunden hat, die
Streptokokken und Staphylokokken in wenigen Minuten abtötete.
Systematische Versuche wurden weder von Heusner bekannt
gegeben, noch konnte ich in der Literatur Nachprüfung des Ver¬
fahrens finden. Heusner berichtet, dass er seit Jahren vor allen
grosseren Operationen Abimpfungen habe vornehmen lassen in der
LM .eise> , dass ein kleines Gazestückchen zu einem erbsengrossen
Klümpchen geballt, energisch über die gefährdetsten Stellen der Hände,
namentlich die Nagelfalze hin und her gerieben und dann in Bouillon
mit Gelatine gebracht wurde: Nach einer Zusammenstellung des Herrn
Dr. Markwald ergab sich bei der alten Desinfektionsmethode.
Heisswasser Spiritus und Sublimat bei 100 Untersuchungen 52 mal
\ ö liges kehlen der Keime, 48 mal fanden sich ein oder mehrere
Keime. Bei dem neuen Verfahren stellten sich die entsprechenden
Zahlen auf 77 gegen 23. Dabei war die Anzahl der gefundenen Keime
durchgehends weit geringer.
Meine Versuchsanordnung war:
. Nach Kürzung der Nägel auf 2—3 mm nach dem Vorschläge von
Ha gl er und Reinigung der Unternagelräume und Nagelfalze vom
sichtbaren Schmutz wurden nach Befeuchten der Hände mit 5 ccm
sterilem Wasser die Hände samt Unternagelräumen und Nagelfalzen
mit sterilen Hölzchen abgeschabt. Die Hände waren nach dieser Zeit
wieder vollkommen trocken. Nun folgte die eigentliche Desinfektion
mit 300 ccm 1 prom .Jodbenzin 5 Minuten lang, darauf nochmals mit
Tiischei Losung Durchwaschen beider Hände, hierauf wurde das Jod
durch i proz. ThiosulfatJäsung entfernt, 5-7 Minuten lang, dann die
7 Minute n^ langri 6S Wasser’ resp- 0,1 proz- Natronlauge aufgeweicht,
Statt des Benzins des Handels, das wahrscheinlich Heusner
S^tZtA’ ^endD6x1C,1 das Benzij? Petrolei des deutschen Arzneibuches
'au0cT. Aetber I etrolei genannt) mit einem Siedepunkt von 50 bis
/u L-/ an.
Versuchs¬
personen
Primärer
Keimgehalt
Keimgehalt der
Hände nach
Einwirkung des
Jodbenzins
Keimgehalt der
Hände nach Ent-
fernungdesjodes
durch Thiosulfat-
lsg. u. Waschen
der Hände in
sterilem Wasser
7 Min. lang
Keimgehalt der
Hände nach Ent-
fernungdesjodes
durch Thiosulfat-
Isg. u. Waschen
der Hände in
3,1 proz. Natron¬
lauge 7 Min. lang,
1
Riegl
6 720
2
162
2
Niedermeier
15 300
0
o
3
Scharfenberger
63 800
10
2
4
Bayer
48 960
3
210
5
Seitz
7 920
2
160
6
Kohlschmidt
190 080
0
3
7
Mehrl
7 680
0
5
8
Seitz
7 440
2
540
9
Ernst
14 160
1
140
10
Jodel
249 600
0
180
*1
Palme
75 840
0
190
12
Bode
17 280
2
1 50
13
Sepperl
23 040
0
?20
14
Danne r
69 120
0
SO
15
Müller I
161 280
_
4«n
16
Girstonbräu
31 680
—
_
100
Proz.
97.6
100
99.9
99.6
97.9
99.9
99.9
92.7
98.9
99.9
99.6
99,1
99.8
99,0
99.7
99,6
Aus diesen Versuchsreihen ergeben sich folgende Resultat--
L Von den feuchten, unvorbereiteten Tageshänden können bei
allen Versuchspersonen mittels steriler Hölzchen sehr zahlreiche
Keime entnommen werden.
2- Nach Desinfektion der Hände mit Jodbenzin lassen sich von
der entfetteten, trockenen Haut nur vereinzelte Keime gewinnen
der in f ialtUMdeS J°des mit Thiosulfatlösung und Baden
der Hände in sterilem Wasser, resp. 0,1 proz. Natronlauge können
\ on den mazerierten Händen mehr oder weniger Keime abgeschabt
werden, nur einmal blieb die Platte steril. ^esenant
09 7 pr?je Keimverminderung beträgt unter 16 Versuchen einmal
einmal 100 PkS™ 9/’ Clnmal U‘ber 98’ elfmal über 99 Proz.,
rnK^r?Hhfnem Jodbenzin so günstige Resultate erzielt hatte,
L and 1,11 rni'-11 die krage, welchem Komponenten, ob dem Benzin
oder dem Jod der günstige Effekt zuzuschreiben ist. Dass die
0,1 proz. Jodlösung innerhalb 7 Minuten eine solche Desinfektions¬
wirkung entwickeln sollte, war nach den Resultaten, die ich bei der
Prüfung der bakteriziden Wirkung einer 0,2 proz. Jodbenzinlösung ge¬
wonnen hatte, nicht möglich. Zur Klärung der Frage liess ich die
Hände mit Benzin waschen. Die Versuchsanordnung war die gleiche,
wie bei Jodbenzin, nur fiel die Waschung mit Thiosulfatlösung weg.
Versuchs¬
personen
Primärer
Keimgehalt
Keimgehalt nach Keimgehalt nach
Waschung der Bad. d. Hände in
Hände m. Benzin 0,1 proz. Natron-
und Bürste llauge 7 Min. lang
Keim¬
verminderung
1
Ernst
60 960
6
55
Proz.
99,9
2
Dalmeier
41 280
1
28
99,9
3
Guggenberger
59 640
0
48
99,9
4
Dorner
232 320
0
38
99,9
5
Mayer
192 000
0
85
99,9
Die Resultate der Waschung der Hände mit Benzin sind über¬
raschend gute. Ich erzielte in allen 5 Versuchen 99,9 Proz. Koim-
verminderung. Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass der gute
Effekt bei der Jodbenzinmethode nicht dem Jod, sondern hauptsächlich
dem Benzin zuzuschreiben ist. Dass das Jod in der Praxis, wobei
ja das Jod nach der Waschung nicht entfernt wird, von gutem Ein-
fluss ist, kann nicht in Zweifel gezogen werden.
Wie ist nun die hohe Desinfektionswirkung des Jod-
benzins zu erklären?
Aus meinen Ergebnissen muss ich schliessen:
Das Benzin wirkt fettlösend, luftverdrängend, die Epi-
dermisschüppchen lockernd und mit den Keimen wcgschwem-
mend und ermöglicht so dem gleichzeitig zugesetzten Jod den
Zutritt zu den tiefer gelegenen Keimen.
Ein sehr grosser Nachteil der Jodbenzinmethode ist ihre
Feuergefährlichkeit. Für den praktischen Arzt, sowie für das
niederärztliche Personal, Hebammen und Bader, macht dieser
Umstand die Methode unbrauchbar.
Wie bedeutend die Gefahren sind, welche die Verwendung
des Benzins durch seine leichte Entzündlichkeit und Explosions¬
fähigkeit mit sich bringt, ist aus Mitteilungen der chemischen
Fabrik Griesheim-Electron zu entnehmen. Innerhalb 13 Mo¬
naten konnten aus deutschen Zeitungen 88 leichte, 10 schwere
bi andverletzungen und 25 Todesfälle gesammelt werden.
ln Anbetracht dieser Tatsachen glaube ich, die Gefahr der
Verwendung von Benzin nicht allzu gering anschlagen zu
dürfen.
Ich war deshalb bestrebt, ein Ersatzmittel für Benzin zu
finden.
Hen Oberapotheker Dr. Rapp, der mich bei meiner Arbeit stets
in zuvorkommendster Weise unterstützte, machte mich auf Benzino-
loim aufmerksam, das zum Ersatz für Benzin als Fleckenreinigun rs-
mittel in neuerer Zeit sehr empfohlen wird.
Das Benzinoform ist Tetrachlorkohlenstoff, hat seiner chemischen
Zusammensetzung entsprechend die Formel CCb. Es ist eine farblose
wasserklare Flüssigkeit mit einem eigentümlichen Gerüche. Es ist
nicht brennbar und nicht explosiv; sein spezifisches Gewicht ist 1,6*
der Siedepunkt liegt bei +77° C. Tetrachlorkohlenstoff lässt sich
gleich dem Benzin mit Aether und Alkohol leicht mischen, im Wasser
'st dagegen nicht löslich. Das Lösungsvermögen des Benzinoforms
tur Fett ist nach meinen orientierenden Versuchen das gleiche wie das
des Benzins.
mui erneuern giauoie icu im tsenzinotorm ein gutes Ersatzmittel
für Benzin gefunden zu haben. Ich verwendete nun analog dem Jod-
benzin 0,1 proz. Jod-Benzinoform, eine violette Flüssigkeit.
I ic Vei Suchsanordnung war die gleiche wie bei Jodbenzin.
3
o ,
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Wenzel
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90 240
120 960
30 240
16 800
167 040
51 840
2
9
6
380
120
1 680
1
6
065
10
£ bj)
u e
£ 3
> i-
3 o
.3 73
<U
*
Proz.
99,5
99,9
94.8
99.9
98.7
99.8
Die Keimverminderung beträgt unter 6 Versuchsreihen einmal
94,8, einmal 98,7 und viermal über 99 Proz.
Die Resultate sind gleich günstig wie bei Jodbenzin.
Reizungserscheinungen der Haut durch das Waschen mit Jod-
benzinoform konnte ich weder an meinen Händen noch an den
Händen meiner Versuchspersonen beobachten.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2143
Der Preis des Kilo Benzinoforms, Marke chemische Fabrik
Griesheim-Electron ist der gleiche wie der des Benzins der
^ Nachdem ich meine Versuche bereits abgeschlossen hatte,
erschien in der deutschen Zeitschrift für Chirurgie April 1907
eine kurze Abhandlung von Heusner, in welcher er weitere
Erfahrungen und Verbesserung seiner Jodbenzinmethode
Die Waschflüssigkeit besteht jetzt aus einer Lösung von l g
Iod ta 750 g Benzin und 250 g Paraffinöl Die Zumischung von A
Para finöl erfolgt, da es sich herausgestellt hat, dass durch das Jod¬
benzin eine zu starke Entfettung der Haut, bei zarter Haut zuweilen
auch Reizerscheinungen veranlasst werden. Für jeden bei der Ope-
rabon Beteiligten wird V* Liter der Desinfektionsflussigkeit in eine
Porzellanschüssel (reKossen, worin er sich mit Bürste und rauhem
HandtuchlaDOen die Hunde 5 Minuten lantr abreibt. Er berichtet ferner,
dass er seit” EinfühninK der Jodbenzinmethode in 75 neuerdmss soear
in sn Proz der Impfungen Keimfreiheit der Hände erzielte. D
Abimpfmethode besteht in Abreibung der Haut und Nagelfalze mit
Gazebäuschchen. . , _ ... ,. _
Die Jodbenzinparaffinölmischung ist eine fettige, glitschige
Flüssigkeit. Bringt dieser Umstand die von manchen Chirurgen
als Nachteil empfundene Notwendigkeit mit sich, bei den Ope¬
rationen leinene Handschuhe zu tragen (denn trotz Abreibens
der Hände mit einem rauhen Tuch nach der Desinfektion wie
Heusner vorschlägt, bleibt die Hand rutschig und glitschig),
so waren für mich andernteils die günstigen Desinfektions¬
resultate auffallend, und standen mit meinen Versuchen in
Widerspruch. Ich musste, wie oben ausgeführt, die günstigen
Desinfektionsresultate bei der Jodbenzinmethode hauptsächlich
der mechanischen Wirkung des Benzins zuschreiben. Durch
den Zusatz von Paraffinöl verliert die Flüssigkeit ihre wich¬
tigste und notwendigste Eigenschaft, fettlösend und luftver¬
drängend zu wirken. , , „ , , . ,,
Mit grösstem Interesse machte ich deshalb noch drei Ver¬
suchsreihen, um über den Desinfektionswert der Jodbenzin-
Paraffinöl-Mischung orientiert zu sein.
Meine Versuchsanordtiung war:
Nach Kürzung der Nägel etc., feuchtes Abschaben der Hände
samt Unternagelräume und Nagelfalze 5 Minuten lange Waschung der
Hände mit Bürste und 300 ccm 1 prom. Jodbenzin-Paraffinol-Mischung,
nochmaliges Durchwaschen der Hände mit frischer Lösung und sterilen
Tupfern, hierauf, in Versuch 1 und 2, Entfernung des Paraffinols mit
Benzin und Tupfern 2 Minuten lang, dann Baden der Hände in 1 proz.
Thiosulfatlösung 4 Minuten, Waschen der Hände in 0,1 proz. Natron¬
lauge 7 Minuten lang.
Versuchs¬
personen
Primärer
Keimgehalt
Keimgehalt der
Hände nach der
Waschung mit
Jodbenzin-
Paraffinölmisch
Keimgehalt nach
Baden derHände
inThiosulfatlösg.
und 0,1 proz.
Natronlauge
Keim¬
verminderung
Proz.
1
Mayer X.
40 320
1 080
15 840
60,7
2
Stadler
149 760
—
12 720
91,5
3
Wimmer
97 920
—
5 2S0
94,6
Die Keimverminderung mit der Jodbenzin-Paraffinöl-
Mischung beträgt in 3 Versuchsreihen 60,7, 91,5 und 94,6 Proz.
Die Resultate sind unvergleichlich schlechter als mit Jod¬
benzin, ein neuer Beweis für die Richtigkeit meiner Erklärung
der Wirkungsweise des Jodbenzins.
Schlussfolgerung.
Fasse ich die Resultate meiner Untersuchungen zusammen,
so fand ich: .
Die Händedesinfektionsmethode mit der Aljtohol-
Aether-Sal peter säure-Mischung nach Schum¬
berg ist zwar eine sehr einfache, schnelle und schonende,
es bleibt jedoch der Desinfektionseffekt weit hinter den andern
von mir geprüften Methoden zurück.
Der Keimgehalt der Hände nach der Desinfektion ist ein
sehr grosser, die Keimverminderung ist zwar eine relativ hohe,
wofür der Grund in der Beschaffenheit der Hände meiner Vei-
suchspersonen zu suchen ist.
Die bei uns geübte modifizierte Fürbringer-
sche Methode liefert nach gründlicher Entfernung des
Seifenspiritus vor der Sublaminwaschung gute Resultate; die
Keimverminderung beträgt in 2 Versuchsreihen über 99 Proz.
Allein der Zeitverbrauch, über 20 Minuten, ist ein grosser; die
Methode ist ziemlich umständlich, und endlich stellt das lange
Bearbeiten der Hände mit Bürste hohe Anforderungen an die
Widerstandsfähigkeit der Haut.
Das Ergebnis der Händewaschung mit Sublamin-
alkohol nach Engels ist sehr günstig; in 9 Versuchen
erzielte ich dreimal über 98, fünfmal über 99 Proz. Keim¬
verminderung.
Das Jodbenzin nachHeusner ergab noch bessere
Resultate; ich erhielt in 16 Versuchsreihen zweimal über 97,
einmal über 98 und elfmal über 99 Proz. Keimverminderung,
einmal sogar Sterilität der Hände.
Welcher von beiden Methoden eine grössere bakterizide
Wirkung zukommt, kann ich nicht entscheiden, da die Ver¬
suche nicht in gleich grosser Anzahl gemacht wurden und aus
kleinen Unterschieden ein Schluss nicht gezogen werden kann.
Zu einer brauchbaren Desinfektionsmethode gehört aber
nicht nur eine gute bakterizide Wirkung, sondern die Methode
darf auch unsere Hände möglichst wenig angreifen. Dass die
Anwendung des Sublaminalkohols mittels Bürste die Hände
wenigstens unsere, sonst nicht empfindlichen Hände so
reizt, dass eine wiederholte Waschung ausgeschlossen ist, habe
ich bereits oben erwähnt. Ob die Hände die ständige Wa¬
schung mit Sublaminalkohol und Flanellappen vertragen,
möchte ich nach meiner Erfahrung in Zweifel ziehen.
Bei Anwendung des Jodbenzins konnten wir an unseren
Händen Reizerscheinungen nicht beobachten, auch die Hände,
die auf Waschung mit Sublimat und selbst mit Sublamin mit
Ekzem reagierten, vertragen das Jodbenzin seit einem Jahre
sehr gut. Wir verwenden allerdings auf die Pflege unserer
Hände grosse Sorgfalt und führen der Haut das entzogene Fett
durch Salben reichlich zu.
Ausser der guten Desinfektionswirkung und der von uns
beobachteten Reizlosigkeit bietet die Jodbenzinmethode noch
weitere Vorteile, nämlich: Einfachheit und Einheitlichkeit und
kurzen Zeitverbrauch, Vorteile, die vor allem für den piak-
tischen Arzt und den Kriegschirurgen, sowie für das nieder¬
ärztliche Personal, die Hebammen und Bader in Betracht
kommen, aber auch für den klinischen Betrieb nicht ohne Be¬
deutung sind. .
Der allgemeinen Anwendung des Jodbenzins steht aber
seine nicht zu unterschätzende Feuergefährlichkeit hindernd
im Wege. Das aus diesem Grunde von mir zum Ersatz von
Benzin empfohlene Benzinoform vermeidet diesen Uebelstand.
Auf Grund meiner Untersuchungen möchte ich für die
Praxis zur Händedesinfektion 0,1 proz. Jod-
benzinoform empfehlen. Es besitzt sehr gute Desinfek¬
tionswirkung, ist reizlos für die Haut, die Methode ist einheit¬
lich, sehr einfach, schnell und ungefährlich.
Ueber weitere Erfahrungen mit 0,1 proz. Jodbenzinoform
werde ich später berichten.
Literatur:
Ahlfeld: 1. Deutsche med. Wochenschr. 1895, No, 51; 2.
ebenda 1896, No. 6; 3. ebenda 1897, No. 8; 4. Zeitschr. f. Geburtshilfe
und Gynäkologie, 1898, Bd. 38, H. 3 und 1899, Bd. 41, H l; 5. Zen¬
tralblatt für Gynäkologie 1894, No. 47 und 52. — Claudius. Me¬
thode zur Sterilisation des Katguts. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie,
Bd. 64. — Dö der lein: Die Bakterien aseptischer Operations¬
wunden. Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 26. — Engels: Die
Desinfektion der Hände. Jena 1905. — F ü r b r i n g er: Unter¬
suchungen und Vorschriften über die Desinfektion der Hand- des
Arztes. Wiesbaden 1888. — Fromme und G a w r o n s k y: Ueber
mechanische Sterilisation der Gummihandschuhe. Munch, med. Wo¬
chenschrift 1904. No. 40. — G e p d e r t: 1. Deutsche med. Wocrenschr.
1891, No. 25: 2. Berliner klin. Wochenschr. 1889. No. 36 und 37.
Göbel: Ueber die desinfizierenden Eigenschaften L u go 1 -,nd'
lösungen. Zentralbl. f. Bakteriol., I. Abt., Bd. 47, H. 1, 1906.
Hä gl er: Händereinigung, Händedesinfektion und Handeschntz.
Basel 1900. Heusner: 1. Ueber Jodbenzindesinfektion. Zentralbl.
f Chir. 1906, No. 8; 2. Deutsche Zeitschr. f. Chir 1907. Bd. 87.
H. 4— 6. — Krönig und Blumberg: Münch med. Wochenschr.
1900, No. 29 u. 30. — Krönie und Paul: ZeiDUir. f. Bvomne.
Bd. 25. 1897. — v. M i k u 1 i c z: Die Desinfektion der Um’ ’jV1 ^ '
mittelst Seifenspiritus. Deutsche med. Wochenschr 1899 No -
Martina: Deutsche Zeitschr. f. Chir.. Bd. 70. — Pa«1 ' ^ - a
vev: Exoerimentaluntersucbunpen über Handedesm - m • •
Münch, med Wochenschr. 1899. No. 49. 51: 2. ebenda 19 • - •
28, 29, 30: 3. ebenda 1901. No. 12. 37. 38. • — S a r v_e • __
logische Untersuchungen über Händedesinfektion. Berlin ) •
2144
Chi?..' Bdb»,rH.: l!T906Che “ber Händedesinfektion- Archiv f»r klin.
- -
E. Hitzig.
Professor* v /'■ verstfrb in st- Blasien der ordentliche
Psychiatrie an der Universität Halle-Wittenberg
ta sein! vnVehe'-V Dr-„E- nitzig "ach la"sen, Leiden
m s^nem 70 . Lebensjahre. Hitzig hatte schon im Jahre 1903
seine Tätigkeit als Lehrer und Direktor der von ihm begründe¬
ten psychiatrischen Klinik in Halle a. S. niederlegen müssen
mm- C{n *im dahre 1895 zuerst konstatiertes Augenleiden bis
da hm fast zu voller Erblindung geführt hatte. In den letzten
Jahren litt er auch noch an schweren Ernährungsstörungen
dn°hgh-emer Zackerharnruhr. Trotz seiner Leiden war er aber
r°wm-S zu semen letzten Lebenstagen angeregt wissenschaft¬
lich tätig und verfolgte alles Neue auf unserem Wissensgebiete
Sn ^ndaue1rn1emr,Interesse- Eine grosse Freude war es für
ihn auch, als der Deutsche Verein für Psychiatrie ihn im Friih-
jair diese5 Jahres in Frankfurt, wo auch er damals als Patient
weilte, zum Ehrenmitgliede ernannte.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
No.
o • E* Hitzig wurde am 6. Februar 1838 zu Berlin geboren
teste JwprlTd r diSri0ch'i°n erbaurat Hitzig, dessen bekann¬
testes Werk die Ruhmeshalle in Berlin ist; der Grossvater ein
bekannter Kriminalist. So verlebte er schon seine erste Jugend
m wissenschaftlich und künstlerisch angeregten Kreisen. Er
studierte in Wurzburg und Berlin und promovierte 1862 in Ber¬
lin mit einer Dissertation: „De ureae origine“. Er lebte dann
zunächst einige Jahre als Arzt in Berlin, war aber von Anfang
an auch wissenschaftlich tätig; schon vor die Zeit des deutsch-
französischen Krieges fallen die ersten mit Fritsch gemein¬
samen Untersuchungen über die elektrische Erregbarkeit des
Gehirns Untersuchungen, die dann durch den Feldzug an
dein H i t z l g als Arzt teilnahm, unterbrochen wurden. Gleich
i’sS tGm wurde,n sie aber fortgesetzt, und im Jahre
L7-4 konnte Hitzig alle diese Arbeiten in seinen „Unter¬
suchungen über das Gehirn“ zusammenfassen. Dieses epoche¬
machende Werk stellte seinen Autor mit einem Schlage in die
eiste Reihe der wissenschaftlich-medizinischen Forscher, und
nitzig, der sich unterdessen habilitiert hatte, wurde dann
im Jahre 1875 als ordentlicher Professor der Psychiatrie nach
7«7o * wd ZUm Direktor der Irrenanstalt Burghölzli berufen.
1879 folgte er von dort einem Rufe zum Direktor der Provin-
zial-Ii renanstalt Nietleben und ordentlichen Professor der
! sychia?ne in Halle a. S. Die grossen administrativen Arbei-
ten in dieser seiner Stellung als Anstaltsdirektor nahmen aber
seine Zeit so in Anspruch, dass es H i t z i g von Jahr zu Jahr
schmerzlicher empfand, dass ihm für seine wissenschaftlichen
Arbeiten keine Müsse mehr blieb, und so strebte er eine Tren¬
nung der Klinik von der Provinzialirrenanstalt nnd die Grün¬
dung einer eigenen psychiatrischen Klinik in Halle mit der ihm
eigenen Energie an. Im Jahre 1885 hatte er es erreicht, dass
lese neue Klinik zunächst in zwei Privathäusern in der Nähe
der übrigen Kliniken eröffnet werden konnte: die erste
selbständige psychiatrische Klinik in
1 i eu ss en. In dieser Zeit folgte der Unterzeichnete seinem
Lehrer als 1. Assistent der neuen Klinik von Nietleben nach
a* e ' es ^var e’ne Zeit schwerer und verantwortungsvoller
Arbeit, aber auch eines fröhlichen und erfrischenden Strebens
Von Beginn dieser Zeit an war dann ein grosser Teil der Ar-
beitstätigkeit Hitizigs ausgefüllt mit dem Entwerfen des
mnes und schliesslich mit der Bauausführung der neuen Kli-
nik, die ganz nach seinen Ideen gebaut wurde, und die er am
29. Apn 1891 einweihen konnte. Von dieser Zeit an bis zu
seinem Abgang im Jahre 1903 hat er dann als Lehrer und Di¬
rektor an dieser neuen Klinik gewirkt, an der von vornherein
von ihm stetig angeregt das regste wissenschaftliche Leben
lerrschte. Hier war es ihm auch möglich, die lange
unterbrochenen, aber nie ganz aus den Augen verlorenen liirn-
physiologischen Arbeiten wieder aufzunehmen; die Resultate
dieser neuen und seiner alten hierhergehörigen Arbeiten hat er
dann nochmals in einem starken Bande im Jahre 1904 zu¬
sammengefasst. Nach dem Niederlegen seiner Lehr- und Di-
••ektortätigkeit lebte Hitzig zum Teil, weil das seine Ge-
e”such‘te abedre^’ V' auf ^isen namentlich auch in, Süden;
wissenscLfmVn J Wle V lhm mö«lich war, auch den
wissenschaftlichen Kongressen beizuwohnen — namentlich den
SeT'TnT, derhdeats?h“ und der mitteldeu“ psych-
kritisclTer ndehTfthblSrZUF ?t-ein ?ets anre8“der und scharf
Kritischer Debatten Im Frühjahr dieses Jahres war ihm leider
die Teilnahme an der Tagung der deutschen Irrenärzte in
diesem Orteweiltr11" m0gliCh’ °bgleich Gr damals auch an
Wissenschaftlich und schriftstellerisch hat Hitzig wie
ero?semngFeipeUtet’ T ikginn seiner arztIichen Laufbahn mit
grossem Fleisse und ebenso vielem Erfolge gewirkt Seine
Aibeiten betreffen die verschiedensten Gebiete der Psychiatrie
und Neurologie. Ich nenne, ohne irgendwie vollständig zu sein
d ephA;bTeilen Ub+er BIeilahmun^> über Muskelatrophien trauma¬
tische Tabes, traumatische Hysterie, Fazialislähmung, Hirn-
cnrurgie, dann über periodische Psychosen, subnormale Tem¬
peraturen bei Paralytikern, Querulantenwahnsinn; über Ein¬
richtung und Kostordnung in seiner Klinik. Allen voran
stehen aber, wie schon erwähnt, seine hirn-
physiologischen Arbeiten, die ihn während
eines Verlaufes von über 30 Jahren immer
wieder beschäftigten und die er gerade in den
lC\Aen i? h r en 'noch zusammenfassen und in
reicher Weise vervollständigen konnte Es ist
an dieser Stelle gewiss nicht nötig, darauf hinzuweisen/ von
welcher grundlegenden Bedeutung für die ganze Anatomie und
Physiologie des Gehirns und für die Pathologie und Therapie
der Hirnkrankheiten der Nachweis Hitzigs von dem Vor¬
handensein bestimmt lokalisierter, elek-
trisch erregbarer Muskelzentren im Gehirn
g e w ord en ist; der ganze weitere Ausbau der
okalisationslehre im Gehirn und damit die
ganze moderne Hirn forsch ung steht auf die-
ser Grundlage; vorher war nur sehr weniges Hierher-
gehoriges auf klinischem Wege bekannt geworden (Brokas
Aphasie, J a c k s o n sehe Anfälle). Ich will hier nur hervor¬
heben dass, wenngleich Hitzig sich selbst so ausidrückt,
dass ihm ein „günstiges Geschick“ gestattet habe, die Ent¬
deckung der elektrisch erregbaren Zonen der Hirnrinde zu
machen, diese Entdeckung doch keineswegs ein
blinder Zufall war, s/ondern dass er ganz be¬
stimmt nach solchen Hirnstellen gesucht hat,
und dass zweitens seine Untersuchungen so
genau waren, dass er schon im Beginn der 70 er
d a b r e 11 a c h Experimenten an einem einzigen
Affen fest stelle n konnte, dass nur die vordere
Zentral win düng als motorische zu bezeich¬
ne n i s t, eine Tatsache, die erst in den letzten Jahren all¬
gemein anerkannt und auch anatomisch-histologisch begründet
ist. ^ Kurz, mit seinen hirnphysiologischen Ar¬
beiten hat sich Hitzig ein monumentum aere
pei ennius geschaffen — sein Name kann nicht
vergessen werden.
Mii als einem seiner ältesten Schüler, der immer nur
Grund gehabt hat, ihm dankbar zu sein, ist es vielleicht ge¬
stattet, an dieser Stelle auch einige Worte über Hitzig als
Menschen zu sagen. Der hervortretendste Zug im Charakter
Hitzigs War eine Neigung zu scharfer Kritik; namentlich tritt
das hervor in den Erwiderungen auf die Angriffe derjenigen, die
seine Lehren, die natürlich nicht gleich unwidersprochen an¬
genommen wurden, nicht anerkannten; vor allem aber in pole¬
mischen Aufsätzen denen gegenüber, die seiner Ansicht nach
n 011 ibm Erforschtes als ihr Eigentum widerrechtlich in An-
spiuch nahmen. Hier wurde seine Feder oft ein scharfes
Schwert, wenn er auch selber angibt, dass er sich immer
Mühe gegeben habe, sachlich in seiner Polemik zu bleiben, und
dass es ihm gelungen sei, mit einer grossen Zahl seiner frühe¬
ren Gegner später in freundschaftliche Beziehungen zu treten.
Sein kritischer Geist trat natürlich auch sonst denjenigen gegen-
ubei zu tage, die mit ihm in nähere Beziehungen traten, so
namentlich auch seinem Assistenten; es war nicht immer ganz
eicht, mit ihm als Chef zusammenzuarbeiten, und manchem ist
das überhaupt nicht auf die Dauer gelungen. Aber man musste
doch auf der einen Seite gestehen, wenn man das auch viel-
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2145
leicht im höheren Alter erst ganz einsah, dass die Neigung
zu „schlimmen kritischen Stunden“, wie Hitzig selbst es
einmal in einem Briefe an den Unterzeichneten mannte, nur ge¬
eignet war, die Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt des Schülers
zu stärken, ihm etwas von der wissenschaftlichen Sorgfalt und
Genauigkeit zu geben, die Hitzig selbst eigen war — was
aber kann der Schüler Besseres von seinem Lehrer lernen.
Ausserdem konnte man sich, wenn man nur im Recht war, gegen
etwaige Vorwürfe H i t z i g s auch als sein Assistent, selbst
mit Schärfe, wehren; er sah dann ein* dass er Unrecht hatte
und trug das nie nach. Hatte man erst einmal sein Vertrauen
gewonnen, so konnte man auch versichert sein, in allen spä¬
teren Lebenslagen und bei allen Lebensschicksalen an ihm einen
eifrigen Förderer und teilnehmenden Freund zu finden. Viele
seiner früheren Assistenten — ich brauche Namen hier nicht
zu nennen — haben das an sich erfahren. Die persönlichen
Beziehungen zu Hitzig wurden in angenehmster Weise auch
gefördert durch die wahrhaft vornehme Gastfreundschaft, die
sein Haus ,das unter der Leitung seiner ihm geistig eben¬
bürtigen Gattin, einer Tochter aus dem Gelehrtengeschlechte
Ranke, stand, Jedem bot, der nach Halle kam und ihn auf¬
suchte; ich glaube, dass viele Leser dieses Nachrufes das mit
mir in dankbarer Erinnerung tragen werden.
Sein Leben lang war Hitzig ein Kämpfer im Gebiete
seiner Wissenschaft; er war auch wohl an sich eine
Kampfnatur; ein Mensch zu sein heisst ja aber ein Kämpfer
sein. Jetzt ruht er aus von Arbeit und Streit; wir aber besitzen
das reiche Erbteil, das er uns hinterlassen. Möge ihm die
Erde leicht sein. Prof. Dr. med. L. Bruns, Hannover.
Referate und Bücheranzeigen.
Th. Kocher: Chirurgische Operationslehre. 5. Auflage.
Jena, Verlag von Gust. Fischer, 1907. Preis 20 M.
Dieses klassische Buch liegt hier wieder in neuer Auflage
vor, vielfach umgearbeitet und durchaus unter Berücksichti¬
gung der täglich weiterspannenden Aufgaben der Chirurgie.
An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass das Buch auch für
den chirurgisch tätigen Arzt ein vorzüglicher Berater ist. Die
Darstellung ist so wundervoll klar, die Darlegung der neuesten
operativen Methoden so logisch auf älteren Methoden und
physiologisch-pathologischen sowie anatomischen Tatsachen
aufgebaut, dass alle mit Genuss dem Studium dieses Buches
sich hingeben werden. Die Ausstattung ist glänzend; im Text
des ohne Register 1060 Seiten enthaltenden Buches dienen
412 zum Teil farbige Abbildungen zur Erläuterung.
Prof. H e 1 f e r i c h - Kiel.
Carl Beck: Surgical diseases oi the ehest. Philadelphia.
P. Blaikiston’s son &. comp. 1907.
Es könnte fast scheinen, als sei durch die spez. Pflege der
Abdominalchirurgie das Interesse für andere Gebiete in der
amerikanischen Literatur ein geringeres, da seit Pagets
Werk über die Chirurgie der Brust kein spezielles Werk über
dieses Gebiet erschienen, durch Asepsis, Bakteriologie, Rönt¬
genstrahlen etc. aber gerade hier grosse Fortschritte erzielt
worden sind. B. schien es deshalb an der Zeit, die chirur¬
gischen Krankheiten des Thorax in einem trefflich ausgestatte¬
ten Werke zusammenzufassen. Nach einleitenden anatomi¬
schen Vorbemerkungen werden zunächst die Erkrankungen der
Thoraxwandung (Missbildungen, Halsrippen, Meningozele etc.),
Kyphose und Skoliose, dann die Wunden, Frakturen des Ster¬
num und der Rippen, Verbrennungen und deren Folgen, Ent¬
zündungen, Geschwülste etc., dann die intrathorakischen Affek¬
tionen des Perikards und Herzens, der Pleura und Lunge, die
chirurgischen Krankheiten der Brustdrüse etc. und ihre Be¬
handlung eingehend dargestellt. — Jedem Kapitel sind ent¬
sprechende anatomische Bemerkungen (meist mit Abbildungen
nach Morris) vorangestellt; eine grosse Anzahl von Abbil¬
dungen (162 — 16 farbige) illustrieren die Ausführungen B.s,
die selbsverständlich alle neueren Methoden (z. B. Broncho¬
skopie, Naht der Herzwunden, Sauerbruch sehe Kammer
etc.), alle Fortschritte bezüglich Diagnostik und Behandlung mit
berücksichtigen, vor allem auch die Bedeutung der Röntgen¬
strahlen in der Diagnose (wie bei Aortenaneurysma, Lungen¬
gangrän etc.) und bei therapeutischer Verwertung (bei H o d g -
k i n scher Affektion, inoperablen Geschwülsten etc.) eingehend
würdigen. In vielen Punkten finden wir die an einem reichen
Material gewonnenen Erfahrungen des Autors näher angeiührt
und sehr beherzigenswerte Ratschläge für die Praxis gegeben,
wie z. B. bei Indikation und Technik der Empyemoperation etc.
B. hat hier auch das Instrumentarium durch mehrere zweck¬
entsprechende Instrumente bereichert und bezeichnet mit Recht
seine Methode der Resektion mit nachfolgender Gazedrainage
als einfache, sichere und nahezu unblutige Operation. 261 früh¬
zeitig diagnostizierte unkomplizierte Fälle genasen alle; von
115 im späteren Stadium Operierten behielten 11 Fisteln zurück,
7 starben. Auch betr. des Vorgehens bei altem Pyothorax be¬
schreibt B. seine Methode und Resultate; er empfiehlt als ex-
plorative Resektion zuerst eine Rippe in der Mitte des Dämp¬
fungsgebietes, ohne Rücksicht auf Lage einer Fistel, zu re¬
sezieren und dann entsprechend der Ausdehnung der Höhle
weitere Rippenstücke nach Bedarf zu entfernen. Betr. des
Mammakarzinoms befürwortet B. ein möglichst radikales Vor¬
gehen (Entfernung auch des Pektoralis etc.) und empfiehlt seine
neue Schnittführung in H-Form mit Bildung eines oberen und
unteren Lappens. Der Röntgentherapie wird hier auch pallia¬
tive Bedeutung (nach Vereinigung der Wunden angewandt) zu¬
erkannt und bei ihrer Anwendung werden auch unter Um¬
ständen partielle Operationen nicht ganz verworfen. Das Werk
ist frisch und anregend geschrieben, diagnostische, historische,
statistische, sowie kasuistische Bemerkungen lassen die Lek¬
türe des Buches sehr fesselnd erscheinen. Von den Abbil¬
dungen sind besonders die anatomischen Durchschnitte
und Röntgendarslellungen vortrefflich. Den Schluss des
371 Seiten starken, übersichtlichen und handlichen Buches
bildet eine Uebersicht der betr. Literatur, worin die zahlreichen
Beiträge des Verf. in diesem Gebiet hervortreten, und ein gutes
Register. Das Werk kann allen Kollegen, die gerne auch die
ausländische Literatur etwas verfolgen, bestens empfohlen
werden. Schreiber.
H. Braun- Zwickau : Die Lokalanästhesie, ihre wissen¬
schaftlichen Grundlagen und praktische Anwendung. II. Auf¬
lage. Leipzig, Barth, 1907. 452 S. Preis 10 Mk., geb. 11 Mk.
Die erste Auflage dieses ausgezeichneten Handbuches ist
im vorigen Jahre an dieser Stelle ausgiebig gewürdigt worden.
Wenn nach kaum 2 Jahren die zweite Auflage nötig geworden
ist, so beweist das einmal die hohe Bedeutung, die man in den
ärztlichen Kreisen der Lokalanästhesie beimisst und weiter die
Vortrefflichkeit des vorliegenden Werkes. Es wurde schon
früher ausgeführt, wie gerade B. berufen war, ein solches Buch
zu schreiben. B. ist auch in der Zwischenzeit nicht müssig
gewesen und hat zumal durch die Prüfung des Novokains viel
zur weiteren Verbesserung der lokalanästhetischen Methoden
beigetragen. Dass im übrigen in der neuen Auflage allen
neuen Errungenschaften der letzten 2 Jahre ausgiebig Rechnung
getragen wird, braucht nicht besonders hervorgehoben zu
werden. Die Medullaranästhesie erfährt eine eingehende, in
ihrer vorurteilsfreien Kritik angenehm berührende Besprechung.
Die noch vielfach berichteten Misserfolge der Lokal¬
anästhesie liegen zweifellos an der ungenügenden Technik. Es
sollte kein Praktiker an eine Operation unter örtlicher An¬
ästhesie herangehen, ohne sich genau über das Verfahren
unterrichtet zu haben. Das B.sche Buch bietet dazu die beste
Gelegenheit. Krecke.
R. Doerr: Das Dysenterietoxin. Mit 2 Kurven im Text
und einer Tafel. G. Fischer, Jena, 1907. 75 S. M. 2.50.
Nach den Untersuchungen des Verf. sezernieren die Dys¬
enteriebazillen vom Typus Kruse-Shiga ein echtes lös¬
liches Toxin, das sich durch keimfreie Filtration selbst
junger Bouillonkulturen oder durch Extraktion junger
Agarkulturen mit Kochsalzlösung und nachfolgender Fil¬
tration darstellen lässt und in Mengen von 0,01 bis
0,3 ccm für Versuchstiere tödlich wirkt; gegen Erhitzen auf
70° ist dieses Toxin resistent, bei 80" und darüber wird es
rasch zerstört; es wirkt giftig, besonders auf Kaninchen, ferner
auf Katzen, Hunde und Affen, bei diesen 1 ieren entsteht eine
hämorrhagisch-nekrotisierende Entzündung der Darmschleim-
2146
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
haut, ferner konstant Läsionen der Nervenzentren, denen die
I iere erliegen. Beim Kaninchen wird in einem Drittel der Fälle
eine hämorrhagisch-diphtheritische Typhlitis beobachtet, der
Dünndarm bleibt wie beim Menschen frei. Die Untersuchungen
des Verfassers sind von grosser praktischer Bedeutung, da
sich mit diesem echten Dysenterietoxin ein für die Behandlung
der Bazillenruhr brauchbares antitoxisches Serum hersteilen
lässt. Dieudonne- München.
Praktische Geburtshilfe für Studierende und Aerzte in 20
Vorlesungen von Prof. Dr. Karl August Herzfeld in Wien.
2. verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 154 Abbildungen.
Leipzig und Wien. Franz D e u t i c k e 1907. 448 Seiten.
Preis 11 Mk.
Die erste Auflage des Buches ist vor 9 Jahren erschienen.
Das Lehrbuch bringt die in den letzten Jahren im Vordergründe
des Interesses stehenden Fragen (Dilatation nach B o s s i,
Pubiotomie, vaginaler Kaiserschnitt etc.) schon zur Ver¬
wertung, hat aber die Fehler seiner Tugenden: Es soll zwei
Herren dienen, Studierenden und Aerzten, die doch aus ver¬
schiedenen Bedürfnissen heraus ein geburtshilfliches Lehrbuch
in die Hand nehmen. So sind einzelne Kapitel, z. B. über den
Abort, für den Praktiker zu kurz behandelt, andere zu aus¬
führlich. Dies scheint uns insbesondere für die Operationen am
Phantom der Fall zu sein, welches denn auch meistens zu den
Abbildungen des Buches benutzt ist. Verfasser begründet dies
„. . mit der Erwägung, dass es sich hiebei um die möglichst
genaue Wiedergabe typischer Handgriffe handelt. Leider wird
auf die Exaktheit dieser alterprobten Handgriffe zur Zeit viel
zu wenig Gewicht gelegt. Dem Anfänger müssen jedoch diese
Handgriffe direkt in Fleisch und Blut übergegangen sein, damit
er mit ihnen unter allen Umständen auskommen muss“. Die
klare und ausführliche Schilderung der Operationen am Phan¬
tom können dem Nachlesenden zu mancher Auffrischung seines
Wissens dienen: wir sind indessen anspruchsvoller und ver¬
wöhnter geworden. Leider fehlt ein Namen- und Sachregister,
v elches das Buch dem Leser vertrauter machen würde.
Max Nassauer - München.
Das Jahrbuch der Wiener k. k. Krankenanstalten, heraus¬
gegeben von der niederösterr. Statthalterei. Wien und Leipzig,
Willi. Braumüller, 1907.
Es liegt uns der XII. und XIII. Jahrgang dieses Jahrbuches
vor, der die Ereignisse der Jahre 1903 und 1904 zum Inhalt hat.
Der stattliche Band mit mehr als 1000 Seiten Grossoktav ent¬
hält die wichtigsten Daten hinsichtlich der Neugestaltung des
Wiener allgemeinen Krankenhauses, die Chronik der zwei Be¬
richtjahre, den Personalstand, die allgemeine und spezielle
Krankenstatistik, ferner Berichte und Frequenz der Ambula¬
torien, ein Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten, der
ausgeführten Operationen und ihrer Indikationen, endlich einen
Bericht über den Vermögensstand, die Normalerlässe, mehrere
Register und einen Index zu den in den Jahrgängen I— XIII
dieses Jahrbuches erschienenen Gesetzen, Verordnungen und
Normalerlässen. Die Anordnung und Gruppierung des reichen
Materiales ist die gleiche geblieben.
In den 9 grossen öffentlichen Krankenanstalten Wiens
wurden im Jahre 1903 70 802, im Jahre 1904 73 187 Personen
behandelt, von welchen 66 402, bezw. 68 641 noch im gleichen
Jahre in Abgang kamen, so dass 4400, bezw. 4546 am Ende des
Jahres in den Krankenanstalten zurückblieben. In derselben
Zeit wurden überdies in 5 Kinderspitälern 5621, bezw. 6407
Kinder verpflegt und behandelt. In den Ambulatorien wurden
behandelt 1903: 93 085 Männer und 69 581 Weiber, 1904:
102 730 Männer und 74 454 Weiber. In den Spitälern starben
1903 10,08 Proz., 1904 9,94 Proz., während 82,45 Proz. resp.
82,73 Proz. geheilt entlassen wurden. 5213 Sektionen wurden
vorgenommen.
In der Schutzimpfanstalt gegen Wut (Lyssa) in Wien
wurden im Jahre 1903 275 Personen der Schutzimpfung unter¬
zogen. Die Anstalt besteht seit 10 Jahren und wurden in dem
Dezennium 1894—1903 im ganzen 2146 Personen behandelt.
In 92,6 Proz. aller Fälle waren die Behandelten von erwiesen
wutkranken Tieren gebissen worden, der Rest scheidet aus der
Statistik aus, weil in vielen Fällen die Schutzimpfung nur über
dringendes Ersuchen zur persönlichen Beruhigung der Ge¬
bissenen vorgenommen wurde, oder weil sich später heraus¬
stellte, dass der beissende Hund gar nicht wutkrank war. Von
1937 von erwiesen wutkranken Tieren gebissenen und hier-
selbst behandelten Personen sind 23 an Lyssa gestorben.
10 Personen starben innerhalb jenes Zeitraumes, in welchem
nach den Versuchen Pasteurs die Immunität noch nicht
eingetreten sein konnte; es verblieben somit zur weiteren Be¬
trachtung 13 gestorbene Fälle und da zeigte es sich wieder,
dass die meisten Todesfälle auf schwere Verletzungen und
besonders auf Kopf- und Gesichtsverletzungen entfallen.
Diphtherieheilserum wurde in den Spitälern Wiens in¬
jiziert im Jahre 1903 in 886 Fällen (775 geheilt, 111 gestorben),
im Jahre 1904 in 270 Fällen (240 geheilt, 30 gestorben).
Das riesige Material der grossen öffentlichen Spitäler
wurde in den zahlreichen Instituten, an den Kliniken und Ab¬
teilungen wissenschaftlich bearbeitet und liegt ein ausführliches
Verzeichnis der in den Journalen des In- und Auslandes ver¬
öffentlichten Beiträge vor. Die Statistik und Ausweise sind
in zahlreichen grösseren und kleineren Tabellen in übersicht¬
licher Weise und nach verschiedensten Gesichtspunkten ver¬
wertet, sie bilden eine wahre Fundgrube für jeden Spitalarzt
und für jeden literarisch sich betätigenden Kollegen. Dr. E. F.
Neueste Journalliteratur.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. XXV,
Heft 6.
1) Czyzewicz- Lemberg: Die Gesetze der Physik als Grund¬
lage des Verhaltens der Geschlechtsorgane des Weibes während der
Schwangerschaft und Geburt.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
2) Adler und Kr aus -Wien: Manuelle Plazentarlösung.
Unter 40 000 Entbindungen in der S c h a u t a sehen Klinik
wurde 452 mal die Plazenta manuell gelöst (1,13 Proz.) und zwar
217 mal (0,54 Proz.) bei zwingender Indikation, wegen Adhärenz der
Plazenta und stärkerer Blutung in der Nachgeburtszeit, 235 mal im
Anschluss an Operationen in Narkose behufs Austastung des Uterus,
bei Eklampsie aus therapeutischen Gründen zwecks rascher Ent¬
fernung des Eies, bei Infektionsgefahr, aus prophylaktischen Gründen
bei Plazenta praevia mit geringerer Blutung, nach rascher opera¬
tiver Entleerung des Uterus mit nachfolgender Atonie zwecks Tam¬
ponade in derselben Narkose, dann auch in manchen Eällen von Ver¬
letzungen der Zerv-ix, der Scheide und des Dammes.
In 161 Fällen, in denen die manuelle Plazentarlösung der einzige
operative Eingriff war, beträgt die Morbidität 2,8 Proz., unter Ausser-
achtlassung von 3 infolge anderer Ursachen eingetretener Todesfälle
die Mortalität 0 Proz. Diese Resultate sprechen dafür, dass die
manuelle Plazentarlösung unter den entsprechenden Kautelen eine
lebenssichere Operation darstellt.
3) Kutscher und Rieländer - Marburg : Ein Fall von
Mikrocephalus und Encephalocele mit chemischer Untersuchung der
Zerebrospinalflüssigkeit.
Die Encephalocele wurde wiederholt punktiert und mit asep¬
tischen Umschlägen (Alkohol) behandelt, die sich sehr gut bewährten.
Eine Resektion der E. mit Verschluss der Schädelöffnung könnte erst
später in Frage kommen. Die durch die Punktion gewonnene
Flüssigkeit enthielt als vorherrschenden Eiweissstoff ein Albumat.
Die Untersuchung auf das in letzter Zeit bei Gehirn- und Rücken¬
markerkrankungen in der Zerebrospinalflüssigkeit oft gefundene und
stark giftige Cholin ergab Kristalle, die den charakteristischen Cholin-
platinatkristallen ähnelten, bei genauerer Untersuchung (Ueber-
fiihrung des Platinates in die Goldchloridverbindung) ergab sich aber,
dass es sich nicht um Cholin, sondern um eine andere unbekannte
Base handelte.
4) Stolz-Graz: Zur Behandlung inoperabler Genitalprolapse.
Vorfälle kann man ihrer Schwere nach in zwei Gruppen trennen,
in solche, bei denen der Levator und dessen Hilfsmuskel aktionsfähig
sind und solche, bei denen diese Muskel vollständig oder nahezu voll¬
ständig erschlafft sind. Für die ersten Fälle können Pessare Ver¬
wendung finden, die am wesentlichsten durch ihr Volumen wirken
und sich breit auf das Diaphragma pelvis stützen (Ring- oder Kugel¬
pessare), für die anderen kommen die Pessare in Betracht, die ihre
Wirksamkeit in ihrer Form finden, und hauptsächlich zirkumskripte
Partien des Diaphragma als Stützen benutzen: Stielpessare. Bei
diesen ist der isolierte Druck der Keule oder des Zapfens auf die
Scheide ein Uebelstand, den Verf. durch die Konstruktion eines Pes¬
sars zu beseitigen glaubt, das in seiner Form einen leicht gebogenen
Braun sehen Ring darstellt, an dem statt eines Stieles ein Halb¬
bogen von der Dicke und dem Durchmesser des Pessars befestigt ist.
Der Ring wird in einem Stück mit breiten runden Flächen gearbeitet
(hohl, Hartgummi), wobei eine Drucknekrose, sowie Sekretstauungen
nicht so leicht Vorkommen und vermieden werden können. Zur
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2147
Reinigung der Scheide empfiehlt Verf. Substanzen, die keine Nieder¬
schläge erzeugen (Lysol, Wasserstoffsuperoxyd, Alkohol).
5) Burckhard- Würzburg: Ueber das Vorkommen von kar-
zinomatöser Degeneration des Uterusstumpfes nach snpravaginaler
Amputation. . , , , ,
In der Literatur hat Verf. nur 17 Falle verzeichnet gefunden, in
denen sich nach supravaginaler Amputation wegen Myom am Uterus¬
stumpf Karzinom entwickelte. Diesem relativ seltenen Vorkommnis
reiht Verf. eine eigene Beobachtung an, aus der zu entnehmen ist,
dass zur Zeit der Operation eine Neubildung an der Zervix nicht nach¬
weisbar war. Diese hat aber bei einigen der mitgeteilten Fälle ohne
Zweifel schon bei der Operation bestanden. Die sekundäre Ent¬
wicklung des Karzinoms scheint so selten zu sein, dass die geringe
Wahrscheinlichkeit einer späteren Karzinomentwicklung am Zervix-
stumpf bei der Beurteilung der supravaginalen Amputation bei Myom
gegenüber der Totalexstirpation zuungunsten der ersteren ernstlich
nicht verwertet werden kann.
6) Schoppig - Basel : Das Beckenenchondrom, besonders als
Geburtshindernis.
Ausführliche Beschreibung eines einschlägigen Falles aus der
pathologisch-anatomischen Anstalt zu Basel.
Bemerkenswert war an dem Fall das einem malignen Tumor
ähnliche rapide Wachstum des Enchondroms, das sich vom linken
Os ilei entwickelte und den Geburtsweg verlegte. Kaiserschnitt. Tod
an Peritonitis. Anschliessend an diese Mitteilung Zusammenstellung
der in der Literatur bekannten Fälle von Beckenenchondrom.
Weinbrenner - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. No. 40.
G. Schubert - Breslau : Verwertung eines einfachen mecha¬
nischen Prinzips für ein selbsthaltendes Bauchspekulum.
Statt der üblichen scherenförmigen Bauchspekula hat Sch. einen
rahmenförmigen Selbsthalter für das Auseinanderhalten der Wund¬
ränder bei Laparotomien konstruiert, der verschiedene Vorzüge vor
jenen besitzen soll. Zu haben bei H. Härtel in Breslau.
G. G e 1 1 h o r n - Washington: Menstruation ohne Ovarien.
Zwei Fälle, die beweisen sollen, dass unter gewissen Be¬
dingungen die Menstruation auch ohne Ovarien fortbestehen kann.
Im 1. Fall waren einer 38 jährigen Frau beide Ovarien exstirpiert
worden. Trotzdem hielten die Menses 17 Monate lang regelmässig
an. Bei einer abermaligen Laparotomie wegen peritonealen Ad¬
häsionen fand G. einen atrophischen Uterus, von Tuben und Ovarien
jedoch keine Spur. Als erregende Ursache der Menstruation be¬
zeichnet G. 3 Adhäsionsstränge, die vom unteren Rande des Netzes
zum Fundus uteri führten und das Blut zum Uterus geleitet haben
sollen. Nach Durchtrennung dieser Adhäsionen hörte die Menstruation
dauernd auf.
Im 2. Falle war eine 35 jährige Frau durch Entfernung beider
Adnexe vorzeitig zum Klimakterium gebracht, d. h. die Menstruation
blieb aus und Molimina climacterii stellten sich ein. 3 Monate nach
der Operation erhielt Pat. Ovarintabletten, worauf die Menstruation
prompt wieder eintrat.
Auf die sonstigen Schlüsse des Verfassers, die auf die Theorie
einer nach der Menopause latenten Wellenbewegung des Weibes sich
gründen, erübrigt es sich, näher einzugehen.
N. .1. A. F. B o e r m a - Groningen : Geburtshemmnis bei Zwil¬
lingsgeburt durch Eintritt beider Köpfe ins Becken.
Von dieser seltenen Komplikation sind nur 8 Fälle in der Literatur
beschrieben, denen B. eine neue Beobachtung hinzufügt. Bei der
27 jährigen I. Para machte B. in tiefer Narkose die Wendung, worauf
es ihm gelang, beide Kinder lebend zu extrahieren. Wochenbett
bis auf eine leichte Thrombose ungestört.
Dies ist bisher der einzige Fall, der durch Wendung beendet
wurde. Meist wurde perforiert oder die Zange am 2. Kopf angelegt.
Doch gibt B. selbst zu, dass eine für alle Fälle geltende Therapie nicht
anzugeben ist. In der Regel schliessen sich Zange und Wendung ja
aus. J affe- Hamburg.
Gynäkologische Rundschau. Jahrgang I. Heft 19.
1) Otto v. Her ff -Basel: Kann man die Zahl der Erkrankungen
an Ophthalmoblennorrhoea gonorrhoica verringern? (Mit 3 Figuren
und 2 Kurven.)
Interessante Statistik über die Prophylaxe der Ophthalmo¬
blennorrhoe. Zur Anwendung kamen nach einander Arg. nitric.
(l — 2proz.), Protargol, Argyrol und Sophol (anfangs lüproz., später
5proz.). Auf Grund der mit diesen Mitteln gemachten Erfahrungen
empfiehlt v. H. das Sophol, sowohl wegen der sicheren Wirkung, der
geringen Reizerscheinungen (90 Proz. der behandelten Augen ohne
Reizung) und Schmerzlosigkeit, als auch der Konstanz und Haltbar¬
keit der Lösungen. Mit dem Fallenlassen des Arg. nitric. und der
Einführung der anderen angeführten Silbersalze verminderte sich die
Zahl der Erkrankungsfälle an Ophthalmie um 80 Proz., während in der
gleichen Zeit die Zahl der Erkrankungen in der Stadt sich gleich
blieb.
2) Paul R i s s m a n n - Osnabrück: Adstringenden und prophy¬
laktische Scheidenspiilungen.
Rissmann empfiehlt bei pathologischem Scheidensekret in
der Schwangerschaft prophylaktische Spülungen mit sauren
a d 'S t r i n g i e r e n den Lös u in gen ( V> proz. Alsolverdünnung
und 10 proz. Lösung von Jod. trichlorat.), wodurch die normale
Bakterienflora gestärkt und die pathologische vernichtet wird. Anti¬
septische Spülungen schädigen das Epithel in unvorteilhafter Weise.
Am Schlüsse der Arbeit wird ein Schema für eine gleichmässige
Fieberstatistik im Wochenbett aufgestellt.
3) Heinrich W a 1 1 h e r - Giessen: Ein Beitrag zur sozialen Lage
der Hebammen.
Lehrreicher Aufsatz über die soziale Stellung der Hebammen des
Gi ossherzogtums Hessen. Statistische Daten über die Zahl der jähr¬
lichen Geburten der einzelnen Hebammen (52 Proz. leiteten weniger
als 25 Geburten, 27 Proz. weniger als 10). über die Besoldung der
Gemeindehebammen (48 Proz. erhielten 20 — 50 Mk., 6 Proz. unter
20 Mk., 11 Proz. teils Naturalien, teils gar nichts) und über die jähr¬
lichen Einnahmen aus der geburtshilflichen Tätigkeit (44 Proz. ver¬
dienten 100—200 Mk., 30 Proz. weniger als 100 Mk., 7 Proz. weniger
als 50 Mk.). .
Der Vorteil der Hebammenbezirke wird an einer Statistik aus
den preussischen Kreisen Fulda und Hünfeld dargelegt, doch kommen
bei dieser sonst so bewährten Einrichtung auch Nachteile ans Licht,
wie Todesfälle (durch Verblutung) durch zu spätes Eintreffen dei
Hebamme bei der Kreissenden. Die Prüfungsresultate bei den Nach¬
kursen haben sich nach Ausmerzung der alten Hebammen aus der
vorantiseptischen Zeit und durch Verjüngung des Hebammenmaterials
erheblich gebessert. W. fordert dringend ein Eingreifen des Staates
zur Besserung der sozialen Stellung der Hebammen, ev. unter Heran¬
ziehung der privaten Wohltätigkeit: die Regelung der materiellen
Fürsorge für die Hebammen gehört seines Erachtens zu den wich¬
tigsten hygienischen Aufgaben der Gegenwart.
A. R i e 1 ä n d e r - Marburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 66, Heft 2.
6) W. Camerer: Das Energiegesetz in der menschlichen
Physiologie.
Die lesenswerte Abhandlung stellt ein kritisches Referat der be¬
deutendsten Arbeiten über die Energielehre dar. Besondere Berück¬
sichtigung fand Rubners Werk „die Gesetze des Energieverbrauchs
bei der Ernährung“. Mit der Interpretation gerade dieses grund¬
legenden, aber „einen starken Schwimmer erfordernden“ Werkes hat
sich Camerer ein grosses Verdienst um die Pädiatrie erworben, zumal
er viel Eigenes hinzugefügt hat. Die zu kurzem Referat nicht ge¬
eignete Arbeit möge im Original nachgelesen werden.
7) E. Fe er -Heidelberg: Der Einfluss der Blutsverwandtschaft
der Eltern auf die Kinder. (Ausgearbeitet nach dem Referate für die
Gesellschaft für Kinderheilkunde, vorgetragen auf der Naturforscher¬
versammlung zu Stuttgart 1906.)
Der praktischen Bedeutung des Referates Rechnung tragend,
seien die Schlussfolgerungen des Autors 'wiedergegeben :
1. Eigenartige oder schädliche Folgen, beruhend auf der Bluts¬
verwandtschaft der Eltern an sich, sind nicht erwiesen.
2. Die Eigenschaften und Krankheiten der Nachkommen bluts¬
verwandter Eltern erklären sich aus den auch sonst gültigen Tat¬
sachen der Vererbung. _ .
3. Einige seltene Krankheitsalllagen, sicher diejenigen zu Retinitis
pigmentosa und zu angeborener Taubstummheit, erlangen mehr wie
andere eine gesteigerte Vererbungsiintensität, wenn sie sich bei beiden
Teilen eines Elternpaares vorfinden. Da nun die Wahrscheinlichkeit,
dass die betreffenden Anlagen bei beiden Eltern vorhanden sind,
a priori in Verwandtenehen grösser ist als in nicht verwandten Ehen,
so begünstigt diese Tendenz der Retinitis pigmentosa und der ange¬
borenen Taubstummheit zu zweigeschlechtiger Entstehung das Auf¬
treten dieser Krankheiten bei den Kindern blutsverwandter Eltern.
Literatur.
8) E. Oberwarth - Berlin : Zur Kenntnis der H u t c h in s o n-
schen Zähne. Ein Beitrag zur Heredosyphilis. (Aus des Priv.-Doz.
H. Neu man ns Kinderpoliklinik zu Berlin.)
Im Gegensatz zu den meisten neueren Autoren misst Verf. dem
Symptome der H u t ch i n s on sehen Zähne eine hervorragende
Bedeutung bei. Von 27 Kindern, bei welchen Verf. Hutchinson-
sche Zähne beobachtete, litten 24 sicher. 3 sehr wahrscheinlich an
hereditärer Syphilis. Demnach ist diese Zahnmissbildung nach Ober¬
warth eines der wichtigsten und zuverlässigsten Dokumente der
hereditären Syphilis. — Auszug aus den Krankengeschichten.
Vereinsberichte: Bericht über die 27. Sitzung der Vereinigung
niederrheinisch-westfälischer Kinderärzte am 11. November 1906
zu Köln. ..
Ueber die sogenannte angeborene Muskelschwache von M.
B e r n h a r d t - Berlin.
Bemerkungen zu vorstehender Mitteilung von T o b 1 e r - Heidel¬
berg. Notiz. J. .1. Gran eher J\ Nekrolog von Heubner.
Literaturbericht von L. L a n g s t e i n.
O. Rommel- München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 4L
1) Riedel -Jena: Ueber die verschobene, an falschem Orte
durch Verwachsungen festgelegte rechte Niere. (Schluss folgt.)
2) Hochhaus -Köln a. Rh.: Ueber Cholelithiasis und Gly-
kosurie.
2148
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
a) T all von transitorischer Glykosurie (7 Tage lang, am ersten
3.3 Proz.) bei Gallensteinkolik; als Ursache der Glykosurie vermutet
Verfasser infektiöse oder toxische Wirkung auf das Pankreas von der
Cholezystitis aus; b) Fall von Diabetes, der durch einen Anfall von
Cholelithiasis dauernd geheilt wurde.
3) Fornet, Schereschewsky, Eisenzimmer und
Rosenf eld - Strassburg; Spezifische Niederschläge bei Lues, Tabes
und Paralyse.
Bei syphilitischen Erkrankungen waren in der grossen Mehrzahl
der Fälle Präzipitinogene nachweisbar und zwar immer, wenn gleich¬
zeitig Spirochäten gefunden waren, und fast immer, wenn es sich um
floride Erscheinungen handelte. Präzipitine wurden bei wenig aus¬
geprägten Krankheitssymptomen und nach erfolgter Heilung beob¬
achtet. Die parasyphilitischen Erkrankungen wiesen meist Präzipitin
auf, nur bei je 2 Fällen vonTabes undParalyse zeigten sichPräzipitino-
gene. Verfasser nehmen an, dass dabei von der luetischen Injektion
her noch Krankheitserreger im Körper zurückgeblieben waren, und
machen deren Anwesenheit für das Auftreten sowohl der Lues¬
präzipitine als auch der Luespräzipitinogene verantwortlich.
4) H. Conr ad i- Neunkirchen: Wann steckt der Typhus¬
kranke an?
Verfasser ermittelte, dass etwa 58 Proz. von beobachteten Kon¬
taktinfektionen mindestens innerhalb der ersten Krankheitswoche,
wenn nicht schon während der Inkubationszeit des primären Typhus¬
falles erfolgten und erörtert die Wichtigkeit dieses Befundes für die
Typhusprophylaxe.
5) Paul R ö d e r - Berlin; Resektion grosser Nervenstämme ohne
Lähmung.
Bei einer 21 jährigen Patientin wurden multiple, in grossen
Nervenstämmen aufgegangene Geschwülste unter Resektion der be¬
treffenden Nerven entfernt, ohne dass eine Lähmung entstand.
6) W. M i n t z - Moskau: Entfernung eines Druckknopfes aus
einem Bronchus 2. Grades.
Da bei oberer Bronchoskopie keine genügende Anästhesierung
gelang, wurde der Fremdkörper mittels unterer Bronchoskopie erreicht.
7) F. S c h ä f f e r - Giessen : Die Klopfung als Heilmittel bei
Pseudarthrosen.
2 Unterschenkelbrüche mit verzögerter Kallusbildung erhärteten
unter Anwendung kräftiger Klopfmassage.
R. Grashey - München.
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. XXXVII. Jahrg.
No. 19. 1907.
Bernheim-Karrer - Zürich : Säuglingsskorbut bei Er¬
nährung mit homogenisierter Berner Alpenmilch.
Während bisher von Säuglingsskorbut bei Ernährung mit
Maschenmilch (Stalden, Yverdon) in der Schweiz nichts be¬
kannt war, sah Verfasser in den letzten Monaten 9 Fälle der Krank¬
heit bei Ernährung -mit homogenisierter Alpenmilch und glaubt die
Ursache bei der unveränderten Zusammensetzung der Milch in der
Möglichkeit der Infektion bei dem komplizierten Herstellungsver¬
fahren zu finden.
Eugen Bi r eher: Eine seltene Schussverletzung. (Schluss
folgt.)
Edwin P fi s t e r - Zürich : Einige Bemerkungen zur Leprafrage
in der Schweiz. (Im Anschluss an Herrn Dr. Lar dys Aufsatz „En-
core la lepre“ I ibid. No. 11, ref. Münch, med. Wochenschr. 1907
No. 25, p. 1250]).
Verf. unterstützt Lar dys Anschauung, dass Lepra auch in der
Schweiz mehrfach zu finden ist und dass ihr Krankheitsbild den
Aerzten fast ganz unbekannt geworden ist. Er empfiehlt gegen
weitere Verbreitung ähnliche Vorkehrungen wie in Deutschland und
Norwegen. P'ischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 4L J. Hof bauer -Königsberg: Experimentelle Beiträge
zur Karzinomfrage.
H. geht von den neueren Versuchen aus, die Wucherung eines Ge¬
webes, sei es die physiologische bei der Plazentabildung, sei es die
pathologische Geschwulstbildung, auf eine chemische (Ferment-) Wir¬
kung der Zellen zurückzuführen. Der Schutz eines Gewebeterri¬
toriums gegen die Einwucherung fremden Gewebes wird durch die
Annahme von „Antifermenten“, die das Gegengewicht bilden sollen
erklärt. Durch Einspritzung von Trypsinlösungen in das Binde¬
gewebe suchte H. bei Kaninchen diese Antifermentwirkung des Binde-
gew ebes aiifzuheben und sah dann eine Rundzellenwucherung ein-
treten in gewisser Analogie zu den Vorgängen, die B. Fischer in
dei Münch, med. Wochenschr. 1906, No 42 beschrieben hat. In
Zusammenhang lassen sich diese Erörterungen mit den neuen Ver¬
suchen Biers bringen, die bösartigen Geschwülste durch Injektionen
von artfremdem Blut zur Heilung zu bringen.
. ()VJlner"Wien: Das Wesen der Avidität der Zellen zu
den iNahrstoffen und die Entstehung der Geschwülste aus verlagerten
Keimen.
Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
A. Schatten froh: Die Grundlagen der hygienischen Wasser¬
begutachtung.
Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongress für Hygiene
referiert S. 2060.
O. P o 1 1 a k - Wien : Beitrag zur aktiven Bier sehen Hyperämie
in der Gynäkologie.
Beschreibung eines von M. Bauer konstruierten, die Nachteile
der bisherigen Methoden vermeidenden, eine ausgiebige Tiefen¬
wirkung der Wärme erzeugenden Heisswasserapparates. Wie bei den
bisherigen Methoden Sind die Erfolge am besten bei chronischer
Parametritis und bei Perimetritis, unsicherer bei den Adnextumoren
(kleinere, nicht unter einem Jahr bestehende).
F. P e n d 1 - Troppau: Darmstenose nach Brucheinklemmung und
Taxis.
Die Dünndarmstenose auf eine Länge von 10 cm wurde bei der'
Laparotomie gefunden, welche wegen Obstipation, Darmblähung und
Kotbrechen 2 Monate nach forcierter Taxis einer Leistenhernie vor¬
genommen werden musste. Heftige Koliken, Diarrhöen und Meteoris¬
mus hatten sich schon 14 Tage danach bemerkbar gemacht, Metoris-
mus und blutige Stühle waren der Taxis unmittelbar gefolgt. Man
muss die Stenose als eine Folge der durch die Taxis gesetzten Altera¬
tionen der Darmwand betrachten. P. erwähnt noch einen zweiten
Fall, wo nach gewaltsamen Taxisversuchen Darmblutungen auftraten.
Schliesslich erfolgte die spontane Rückbildung unter Anwendung von
Thermophorkompressen, wie auch in 5 anderen frischen Fällen.
E. Ruff- Wien: Darmblähung und Darmlähmung bei Sepsis
extraabdominellen Ursprungs.
Krankengeschichten zweier tödlich verlaufener Fälle, Phlegmone
des Oberschenkels, bezw. Abszess der Oberschenkelmuskulatur nach
Operation einer chronischen Synovitis des Kniegelenkes.
Topolanski: Zur Frage des chromaffinen Systems.
Mit Bezug auf die Arbeiten von Schur und Wiesel verweist
I’. auf die eigenen Beobachtungen, dass bei alten Nierenerkrankungen
der Retinabefund fehlen und umgekehrt beim Vorhandensein letzterer
der Harnbefund normal sein kann; vielleicht kommt hier als Zwischen¬
faktor die Nebenniere in Betracht. Aehnlich hat N e u s s e r schon
für gewisse Fälle vermutet, dass die Albuminurie und Retinitis albu¬
minurica die Folge toxischer Nebennierenprodukte seien.
G. Alexander- Wien : Adam Politzer.
Biographische Würdigung der Bedeutung Politzers anläss¬
lich seines Rücktritts vom Lehramt. Verzeichnis seiner Arbeiten.
Prager medizinische Wochenschrift.
No. 26. E. H a i m - Budweis: Zwei Fälle von Pseudoherma¬
phroditismus masculinus bei Geschwistern.
Die beiden Individuen. 13 und 20 Jahre alt, waren als Mädchen
erzogen; auf Wunsch der Eltern, welche dieses Verhältnis beibehalten
wollten, wurden bei beiden die atrophischen Hoden (welche zum
Teil schmerzhaft und in einer Hernie gelegen waren) entfernt.
H. R i h a - Budweis: Abnorm starke Entwicklung der Schultern
als Geburtshindernis.
H. R i h a- Budweis : Ueber einen Fall von Selbstentwicklung bei
verschleppter Querlage.
Kasuistische Mitteilungen.
K. Schneider - Budweis: Beitrag zur Aetiologie und Therapie
des Kopfschmerzes.
In 5 hier beschriebenen Fällen Hess sich eine uratische Diathese
als wahrscheinlicher ätiologischer Faktor für die Anfälle ermitteln.
In solchen Fällen leistet ausser der entsprechenden Lebensweise das
Zitarin während andere Mittel wie Phenazetin, Antipyrin etc. ver¬
sagen — oft sehr gute Dienste.
No. 27. E. Ho ke -Prag: Ein Fall von akutem Rotz.
Tödlich verlaufene Laboratoriumsinfektion. Die Diagnose war
hinget e Zeit auf I yphus gerichtet, obwohl Rotz zu vermuten war.
Roseola, Milztumor, Diarrhöen sprachen für Typhus, bis schliesslich
als der Kranke schon komatös war, das Bild des Rotzes klinisch und
kulturell zui vollen Entwicklung kam. Frühzeitig traten Schmerzen
an der Leber auf. denen bei der Obduktion ein grosser Abszess
entsprach.
No. 28/30. A. Sitzen f rey-Prag: Ueber die Beziehungen
der Cholelithiasis znm weiblichen Geschlechtsleben und zu gynä¬
kologischen Leiden. Nebst Mitteilung eines durch Zystektomie
geheilten Falles von Gallenblasenempyem im Wochenbett.
S. stellt vor allem die einschlägigen Beobachtungen aus der
Literatur zusammen und beschreibt ausser dem in der Ueber-
schiift genannten Fall noch zwei weitere Beobachtungen aus der
v. Franque sehen Klinik.
No. 28. L. E k s t e i n - Oberhaid : Ueber einige äusserlich wahr¬
nehmbare Zeichen bei Tuberkulose.
Ausser dem bekannten Glanz der Augen betont Verf. eine fein¬
haarige Hypei trichose am Rücken und an der Stirne und gibt an,
un eigentümliches schmutziges, weisses Sekret am inneren Augen¬
winkel nur bei Tuberkulösen gefunden zu haben.
No. 33. R. Bache r-Olmiitz: Ueber einen Fall von Becken¬
bruch kombiniert mit Pseudoluxation des Beckens.
Mitteilung eines dieser noch selten beschriebenen Fälle: Frak-
turen an den beiden Schambeinen bei intakter Symphyse, Lösung der
v j nchondrosis sacro-iliaca der einen Seite. Beschreibung des Durch-
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2149
leuchtungs- und Obduktionsbefundes. Die Diagnose war schon nach
der äusseren Inspektion und Palpation ziemlich sicher zu stellen.
j. Stein- Saaz: Ueber eine besondere Form von Gehörs¬
halluzinationen bedingt durch Zerumenpfropf.
Der 78 jährige psychisch nicht ganz normale, reizbare und mit
leichtem Beziehungswahn behaftete Kranke klagte, dass er seit zwei
Jahren des öfteren manche gehörte Worte oder Sätze unendlich oft
innerlich wiederholt hörte und zwar nicht selten wie gesungen oder
unter bekannten Melodien oder unbestimmten musikalischen Begleit¬
tönen. Nach Entfernung eines harten Zerumenpfropf es aus dem einen
Ohr verschwand dieses lästige Singen im Kopfe sofort und kehrte
nur noch einmal vorübergehend am nächsten Tage zurück.
Bergeat - München.
Italienische Literatur.
Am 22. Juni d. J. feierte Maragliano, der italienische Klini¬
ker, sein 25 jähriges Professorenjubiläum und die Gaz-
zetta degli osped. ehrte ihn mit einer besonderen Festnummer.
Uns sei es gestattet, aus dem Ueberblick, welchen der Jubilar
an diesem Tage über das letzte Schuljahr gibt, hier einiges von den
Leistungen der Genueser Schule anzuführen.
Im Immunisierungsverfahren gegen Tuberkulose wurde in der
von M. inaugurierten Methode eifrig fortgefahren. Der Impfung gegen
Tuberkulose in J e n n e r scher Weise wurden in diesem Jahre
24 Kinder unterzogen, so dass die Zahl jetzt auf 70 gestiegen ist.
welche Kinder nach Möglichkeit unter sorgfältiger Beobachtung blei¬
ben. Manche derselben, hereditär tuberkulös belastet, auch bereits
vorher die Zeichen einer Infektion bietend, erfreuen sich dauernden
Wohlbefindens und erhöhten Agglutinationsvermögens.
Die Ernährung mit Kindermilch von hoch tuberkuloseimmun ge¬
machten Kühen wird mit sichtlich gutem Resultat fortgesetzt. Das
vorher negative Agglutinationsvermögen ist bei allen Kindern positiv
geworden, im Verhältnis von 1 : 10 wenigstens.
Ueber Pulsfrequenz bei akuter epidemischer Parotitis sind von
G h e d i n i in einer Reihe von 15 Fällen Untersuchungen angestellt.
Der Puls zeigt sich selbst bei hohem Fieber in der Kulminations¬
periode der Krankheit verlangsamt bis zu 42 — 60 Schlägen. Die Er¬
klärung dieses Phänomens soll in einem Vagusreiz durch die kom¬
primierende Parotisgeschwulst zu suchen sein.
Bruschettini glaubt eine Methode gefunden zu haben,
gegen Diphtherie nicht nur ein antitoxischesi, sondern auch ein bak¬
terizides Serum darzustellen; ein Verfahren, das eingehend beschrie¬
ben wird und dessen prophylaktische Wichtigkeit auf der Hand liegt.
Rossi untersuchte bei Typhusinfektion das Verhältnis von
Agglutinationsvermögen und Schutzstoffbildung; dieselben gehen
nicht parallel.
In der grösseren Zahl der Fälle zeigte das Blutserum schon in
der akuten Periode der Krankheit ein beträchtliches Immunisierungs¬
vermögen gegen Typhusbazillus; nur in einigen Fällen wurde Fehlen
des Immunisierungsvermögens während der Fieberperiode und Auf¬
treten desselben in der Rekonvaleszenz beobachtet; besonders be¬
traf dies schwere und prolongierte Fälle; indessen gelang es nicht,
ein bestimmtes Verhältnis zwischen hohem Immunisierungsviermögen
des Serums und einem milden* Verlauf zu finden.
In 2 Fällen von Typhus ergab die Untersuchung des antiseptisch
aufgefangenen Urins eine beträchtliche Bakteriurie. Bei der mikro¬
skopischen Untersuchung des Sediments erschien der Bacillus Eberth
wie in Reinkulturen; vorher war in beiden Fällen der Pilz im strö¬
menden Blute nachgewiesen worden.
Ueber Beziehungen zwischen Typhusbaziüus, Paratyphus A
und B und dem Bacillus enteritidis Gärtner.
Ein Fall von akuter Zystitis durch ein Bacterium coli simile, mit
bemerkenswerter Widalreaktion.
Ueber den Nachweis von Influenzabazillen im Blut und in der
Milz Influenzakranker, sowie über Agglutination des Influenzabazillus
durch Blutserum Influenzakranker.
Diese Agglutination ist nur erheblich bei jugendlichen Individuen
und bei stark febrilen Formen während der Akme; dagegen schwach
und oft fehlend im Serum von Individuen bei leichter Erkrankung
und solchen, die sich lange hinziehen.
Das bakterizide Vermögen des Blutserums Influenzakranker ist
gering auf Influenzabazillen, ebenso gering auf Bacillus Eberth, Diplo¬
kokken, Streptokokken und Staphylokokken; in beiden Fällen häufig
geringer als bei normalem Blutserum.
Dies Faktum erscheint geeignet, die Influenzarezidive zu er¬
klären, sowie die Erscheinung, dass solche Kranke leichter von
anderen Infektionskrankheiten befallen werden.
Von G h e d i n i und Livierato wurde experimentell der
schädigende Einfluss von Influenzabazillen auf das Herz nach¬
gewiesen.
Ueber Leberkrankheiten und Coma hepaticum.
Maragliano empfiehlt und betont die Einteilung der chro¬
nischen interstitiellen Hepatitiden in 2 Formen, in die Cirrhosis aperta
und Cirrhosis clausa. Die letztere Form ist die, bei welcher sich keine
Kommunikationswege zwischen den Pfortaderstämmen und der Vena
cava bilden, oder wenigstens nicht genügend, um eine Entladung zu
ermöglichen. So folgt einerseits Aszites, andererseits starker Verlust
an Ernährungsmaterial. Anhäufung von Toxinen im Blute, deren Ent¬
leerung durch die vikariierend eintretenden Nieren nicht bewirkt wer¬
den kann, führen bei, dieser Form zum Koma.
Eine grosse Reihe von Untersuchungen betrafen Nieren und
Harnwege; wir erwähnen hier nur den Nachweis bestimmter Prä¬
zipitine im Urin bei chronischer Nephritis.
Kleine und wiederholte Injektionen von Serum, welches Nephriti-
kern entnommen wurde, führt bei Tieren bisweilen zu bestimmten
Störungen (Abmagerung, Oligämie, Anurie, Albuminurie). Erschei¬
nungen, welche ganz verschieden sind von denjenigen, welche man
mit normalem Blutserum erzielen kann. Vorwiegend ist es das Blut¬
serum chronischer Nephritiker, welches diese Störungen auslöst. Bei
Kaninchen, welche mit demselben injiziert sind, gelingt es, ein spe¬
zifisches Präzipitin darzustellen. Es ist anzunehmen, dass diese Prä¬
zipitine von den zelligen Elementen der Niere stammen und ferner,
dass sie selten aus dem Blutserum in den Urin übergehen.
Ueber Phlorizinglykosurie bei Infektionskrankheiten wurden von
T e deschi Versuche angestellt. Es kommt bei dieser Probe nicht
auf die Quantität des ausgeschiedenen Zuckers an, sondern auf die
Zeit des Auftretens des Zuckers im Urin.
Je nachdem das Auftreten schneller oder langsamer erfolgt, kann
man auf grössere oder kleinere Läsionen der Nieren schliessen,
welche letzteren oft durch andere Mittel nicht nachweisbar sind.
Fast immer findet sich bei Infektionskrankheiten die Phlorizin¬
glykosurie verändert.
Experimentaluntersuchungen über das Verhalten der alimentären
Glykosurie und Lävulosurie bei Diplokokkeninfektionen ergaben nur
in einem Falle von sieben eine alimentäre Glykosurie, dagegen Lävu-
Losurie in fünf Fällen. Beide Proben scheinen, wenn sie positiv aus-
fallen, einen Schluss auf den Funktionszustand der Leber zu ge¬
statten und auch für die Prognose von Bedeutung zu sein.
Ueber den Einfluss der Lebensweise der Schutzstoffe erzeugen¬
den Tiere auf die Schutzstoffbildung veröffentlicht Sciallero seine
binnen 8 Jahren an serumspendenden Tieren gemachten Beobach¬
tungen. Diese Schutzstofferzeugung wechselt zu verschiedenen Zei¬
ten bei verschiedenen Tieren oft ohne nachweisbare Ursache. Ein¬
fluss auf dieselbe haben die Qualität des Futters, Ruhe, Verdauungs¬
störungen, auch zu oft wiederholte Aderlässe. Erscheinen die Tiere
durch letzteres Moment erschöpft, so genügen 30 — 40 Tage Ruhe,
um aufs neue hochwertige Sera zu gewinnen.
Von therapeutischen Leistungen der Genueser Schule erwähnen
wir noch die Anwendung des Eumydrin bei den funktionellen Erkran¬
kungen des Magens. Es ist ein Ersatzmittel des Atropins wegen
seiner moderierenden Eigenschaft auf sezernierende und motorische
Tätigkeit des Magens. Es hat vor dem Atropin voraus die geringere
toxische Wirkung und die Vermeidung unangenehmer Neben¬
wirkungen.
Die Röntgenbehandlung wurde in zwei Fällen von Malaria quoti-
dianen Typus mit Erfolg angewandt; einen partiellen Erfolg gelang
es auch bei Epilepsie zu erzielen, ebenso zeigte sich dieselbe wirk¬
sam bei den verschiedensten Affektionen auf das eine Symptom, den
Schmerz.
Die Wirkung des von Sciallero dargestellten Neuropoins,
eines organotherapeutischen Präparats auf Epilepsie, Neurasthenie,
auch Schlaflosigkeit, ist an anderer Stelle bereits erwähnt.
In der Therapie der Gicht wurden mit sichtlichem prompten Er¬
folge Inhalationen von Formaldehyd und lokale Behandlung der be¬
fallenen Gelenke mit Formaldehydumschlägen und Einwicklungen
(eine 2prom. wässrige Lösung) angewandt.
Hager- Magdeburg.
Norwegische Literatur.
Axel Holst und Theodor Frölich: Ueber Beriberi. II. Unter¬
suchungen betreffs der Schiffsberiberi. Fortsetzung: Ueber die Ur¬
sachen des Skorbuts. (Norsk Magazin for Lägevidenskaben 1907,
No. 7.)
Prof. Holst hat mit Dr. Fröhlich zusammen seine in dem
letzten norwegischen Literaturber'icht dieser Wochenschrift erwähnten
Untersuchungen fortgesetzt. Diese Arbeit ist von grossem Interesse.
Es gelang nämlich den Verfassern durch einseitige Nahrung mit ver¬
schiedenen Kornarten, Griesen und Brot regelmässig bei Meer¬
schweinchen eine Krankheit hervorzurufen, die sowohl makro- wie
mikroskopisch dem Skorbut der Menschen entspricht, speziell so, wie
diese Krankheit unter dem Namen der Barlowschen Krankheit bei
Säuglingen und Kindern auf tritt. Das Leiden war, wie der mensch¬
liche Skorbut an gewisse Nahrungsmittel geknüpft; z. B. trat es nach
ausschliesslicher Fütterung mit Kohl oder frischen Kartoffeln nicht auf,
während es dagegen durch getrocknete Kartoffeln hervorgerufen
wurde. Die experimentellen Untersuchungen zeigten ferner den Wert
der Antiskorbutlka, zeigten auch, dass ein einzelnes Antiskorbutikum,
nämlich Kohl, seine Wirkung durch halbstündliches Kochen bei 100 0 C
nicht einbiisst, aber in wesentlichem Grade durch Kochen bei 110 .
Es gelang den Verfassern nicht, durch ihre Versuche die „jüngere
Schwester des Skorbuts“, die Schiffsberiberi, hervorzurufen, obgleich
hie und da ein ihr ähnlicher „abortiver Skorbut“ auftrat. Die tiefere
Ursache, dass Kornarten usw. Skorbut hervorrufen können, liegt noch
im Dunkeln. . . , ,,
Sofas Wideröe: Eine differentialdiagnostische Eiterreaktion.
(Aus dem Krankenhaus der Diakonissenanstalt.) (Ibidem No. 8.)
2150
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
T
No. 4c
In einer grösseren Reihe von Fällen machte der Verfasser ver¬
gleichende Untersuchungen der verschiedenen differentialdiagnosti¬
schen Eiterreaktionen; speziell wurde nach Müller (Zentralhl. f. inn.
Med. 1907) das M i 1 1 o n sehe Reagens als Hilfsmittel zur Unterschei¬
dung von tuberkulösen und andersartigen Eiterungen untersucht.
Diese Probe kann, glaubt der Verfasser, einigen Wert haben. Für den
Ausfall der Probe zeigte es sich, dass die Grösse der angewandten
Eitermenge Bedeutung hat. Die Reaktion soll deshalb in folgender
Weise ausgeführt werden: 2 Eitertropfen werden in das Zentrum
der mit Mil Ion scher Flüssigkeit gefüllten Schale getan, so dass
beide Tropfen ein zusammenhängendes Häutchen bilden. Nach einer
Minute wird eine Platinöse mit wagerecht liegendem Auge unter dem
Zentrum des Eiters angebracht. Wenn der Eiter tuberkulös ist, kann
er ohne zu zerbrechen aufgehoben werden; wenn er nicht tuberkulös
ist, wird die Oese den Eiter durchschneiden, welcher dadurch in zahl¬
reiche Teilchen geteilt wird. Nach 15 Minuten wird die Flüssigkeit
filtriert, um zu entscheiden, ob rote Färbung eingetreten ist. Wenn
Blut neben dem Eiter vorhanden ist, wird die Reaktion gestört. Eine
deutliche Rotfärbung spricht dagegen gegen die Diagnose Tuber¬
kulose, obgleich eine rote Nuance nicht konstant bei allem nicht
tuberkulösem Eiter auftritt.
Fristen Andersen: Die Verteilung des Krebses, mit anderen
Krankheiten verglichen, und in Bezug auf die Aetiologie des Krebses.
(Ibidem.)
Grosse statistische Arbeit, zu kurzem Referat nicht geeignet.
. Arent de Besehe: Ein Fall von doppelseitiger maligner Neben¬
nierengeschwulst mit Metastasen im Knochensystem. (Aus dem
pathologischen Institut der städtischen Krankenhäuser Christiania.)
(Ibidem.)
Trotz sorgfältiger mikroskopischer Untersuchung der Ge¬
schwülste liess ihr Platz in dem onkologischen System sich in diesem
r all wie in den früher veröffentlichten nicht bestimmen; der Verfasser
benützt deshalb den nichts präjudizierenden Namen bösartige Neben-
nierengeschwulst. Der Fall war interessant teils dadurch, dass,
trotzdem keine Reste der Nebennieren gefunden wurden, keine
Bronzefärbung oder abnorme Pigmentierung der Haut vorhanden war,
dadurch, dass unabhängig von den Nebennierengeschwülsten
und ihren Metastasen ein gewöhnliches Adenokarzinom des Magens
mit Drüsenmetastasen vorhanden war.
Wilhelm Magnus: Transplantation von Ovarien, mit spezieller
Rücksicht auf den Abkömmling. (Ibidem No. 9.)
Der Vei fassei exstirpierte beide Ovarien eines schwarzen Ka¬
ninchens, nähte diese Ovarien am Mesovarium eines Albinokaninchens
lest, exstirpierte die Ovarien des albinotischen Kaninchens und befestigte
diese am Mesovarium des schwarzen Kaninchens, vertauschte also die
Ovarien. In einem Fall wurde ein solches schwarzes Kaninchen mit
ti ansplantierten Ovarien eines Albinokaninchens von einem Albino-
kamnehen befruchtet. EinMonat nachdem befruchtenden
Koitus gebar das schwarze Kaninchen ein weisses
u n d ein sc hwarzes Kaninchen. Am 7., 13., 18., 19. und
JJ. Mai wurde das schwarze Kaninchen wieder mit dem Albinomänn¬
chen gepaart. Am 20. Juni nachmittags wurde dasselbe tot im Käfig
gefunden, nach der Enthäutung wurde es in Formol gebracht und am
folgenden Tage seziert. An der rechten Seite wurden Adhärenzen
zwischen einer Dünndarmschlinge und dem rechten graviden Uterus-
horn, das 7 ausgetragene Embryonen enthielt, gefunden. Das rechte
lmbnaende war mit dem rechten Uterushorn zusammengewachsen.
An der mken Seite war auch eine Dünndarmschlinge an dem leeren
linken Lterushorn adhärent; die Tube war zusammengewachsen und
zusammengedreht, zugleich an einer Dünndarmschlinge adhärent.
Uterus enthielt 2 dunkelgefärbte und 5 hellrote (Albino?) Embryonen
An der linken Seite war von dem transplantierten Ovarium keine
Spur an der rechten Seite wurde ein Ovarium dem Hilus entlang
zum Mesovarium festgewachsen gefunden; das Ovarium war mehr
gelbweiss als normal, enthielt 7 Corpora lutea im regressiven Sta-
,Der un^ere Pol war mit dem graviden Uterus leicht zusammen-
gewachsen. I eritoneum normal. Das Kaninchen war während der
Entbindung gestorben, weil die Adhärenzen zum Uterus eine Atonie
hervorgerufen hatten. Der Verfasser behauptet, dass die Exstirpation
vollständig gewesen und dass kein „drittes“ Ovarium vorhanden war.
er } Erfasser setzt seine in biologischer Beziehung sehr inter¬
essanten Versuche fort.
K. Thiis: Sahlis Desmoidreaktion. (Ibidem.)
nie Ul® Methode hat sich dem Verfasser nicht gut bewährt, insofern
als die Desmoidreaktion in ihrer jetzigen Form mit gar zu vielen, nicht
ganz erklärlichen Unregelmässigkeiten verbunden ist, so dass man ihr
keine grosse diagnostische Bedeutung beilegen kann. Sie kann in
keiner Weise die Magensonde ersetzen.
Adolph H. Meyer- Kopenhagen.
Inauguraldissertationen.
Die Zusammensetzung der Geheimmittel gegen
Asthma bronchiale bespricht J. S a i d i n e r in einer wert¬
vollen und interessanten Berliner Dissertation (1907), die auf Anregung
on Prot. b. K r a u s und mit Unterstützung von Brugsch ent¬
standen ist. Nicht weniger als 59 derartige Geheimmittel hat er zu¬
sammenstellen können, aber trotz ihrer grossen Anzahl bieten diese
nichts, was der wissenschaftlichen Medizin nicht schon bekannt wäre
Die Analysen der Geheimmittel, die der Verfasser anführt, erlaube:
folgendes Schema:
I. I n n e r 1 i c h e Mittel: a) Jodkali und Narkotikum, b) Digj
talis mit oder ohne Narkotikum, c) Expectorantia mit und ohne Nar
kotikum.
II. Verstäubungsmittel, für die Nase hauptsächlich
Atropin, Kokain, Menthol.
III. Räuchermittel: a) Solaneen, b) Kalium nitricum
c) Kalium n'itrosum.
„Für den Arzt ist eine Kenntnis der Geheimmittelliteratur nicht
unwichtig, da die medikamentöse Therapie des Asthma bronchiale zun
grössten Teil von der Geheimmittelliteratur erschöpft wird; anderer¬
seits der Arzt auch von diesem und jenem Mittel durchaus ohne
Schaden des Patienten Gebrauch machen kann. So ist die Anwendung
des I ucke rschen und Brügelmann sehen Mittels zu einem Ver¬
such durchaus anzuraten.“
Tuckers Ge heimmittel ist eine angenehm riechende
braunrote, klare Flüssigkeit, die mittels Zerstäubers in die Nase und
die tieferen Luftwege gebracht wird. In 100 Teilen enthält das
Mittel: AtropinsulfaT 1,0, Natr. nitrit 4,0, Pflanzenextrakt (Koka oder
Belladonna?) 0,52.
B r ü ge Imann sehe Lösung enthält: Atropin, Kokain, Koka
Glyzerin, Saure.
n n • • Er 111 culcr Jmsseriauonsaroeit au<
dei I oliklimk für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu Rostock übei
die Behandlung der Stomatitis m e r c u r i a 1 i s mi i
W a s s e r s t o 1 1 s u p e r o x y d. Er führt den Nachweis, dass eine
bestehende merkurielle Stomatitis rasch, schonend und angenehm ge¬
heilt, eine beginnende oder drohende verhütet werden kann, wenn man
energisch mit HsO? A — /2 stündlich gurgeln und spülen lässt. (Rostock
iyu/'' Fritz Loeb.
52.
16.
17.
18.
Universität Berlin. September 1907.
Miljaeff Berthold: Ueber Endocarditis gonorrhoica.
Universität Heidelberg. August und September 1907.
Th o r s p ec ken Oscar: Zur Frage der idealen Cholezystektomie.
K li n g e Herbert Eduard: Ueber das Chorioepithelion nebst Mit¬
teilung eines neuen Falles.
Sutraiirb + ?e0rg Frariz: Ueber einen Fall von Broncho-Oeso-
phagealfistel, verursacht durch indirekten Druck eines Aorten-
aneui ysmas auf den linken Stammbronchus.
’ kdfn^ fonnUbiUon^ Ve^er^ diie ‘IE. der Heidelberger chirurgischen
Klinik 1900 190o behandelten Fälle von Carcinoma penis.
Universität Strassburg. Monat September 1907.
I s r a e 1 Arthur : Klinische Beobachtungen aus der med. Klinik
in Stra^sburg aber das Symptom der Hypertension.
d e r° H a r n \v ege° ' Beitrag ZUI Kenntnis der nervösen Erkrankungen
Universität Würzburg. August und September 1907.
io' Randelski Zdzislaw: Primäres Tubenkarzinom.
“y- ts \ 6SS Franz: Chorea gravidarum.
' ' DiaheUteVVii!lsipSidtusQe0rff: ^ Aetiologie u,ld Pathogenese des
3? WerVh™ 5nrnStkiUebRer+Atrophia cutis ichopathica progressiva.
Vulva- ^undaScheid'enk^rzinomeZUr *thÖl0,fie Und Tberapie dCr
18.
19
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die Hygieneausstellung.
Nachdem der Kongress für Hygiene und Demographie ge
schlossen war, blieb noch ein wesentlicher Teil von ihm, di
Ausstellung für das grosse Publikum zurück. Da die Hygien
djejemge Wissenschaft ist, welche am unmittelbarsten den
gesundheitlichen Gedeihen des Volkes wie des Einzelnei
lenste leistet, so war es ein glücklicher Gedanke, im An
Schluss an .die Reden und Erörterungen der Gelehrten, dii
och hauptsächlich für diese selbst bestimmt sind und nur voi
w1CIi v.^sta|]den werden, den Laien zu zeigen, wie in der
Werkstätten der Wissenschaft zum Wöhle der Volksgesundhei
gearbeitet wird, und welche Erfolge diese Arbeiten gezeitig
haben. Man muss der Ausstellungsleitung das Lob spenden
dass sie ein klares, übersichtliches und leicht verständliche«
i a ^ on dem Stande der hygienischen Forschung geschaffer
nu, und dass sie die Ausstellung vollständig frei gehalten ha'
von dem Ballast der Reklamegegenstände, welche auf der
meisten Ausstellungen dem ernsten Beschauer so lästig sind
Die Ausstellung gliedert sich in 12 Gruppen: Säuglings- unc
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2151
Kinderhygiene, soziale Bekämpfung der 1 ubeikulose, allge¬
meine Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Schutzimpfung,
Wasserversorgung, Abwässerbeseitigung und Beseitigung dei
Abfallstoffe, Bekämpfung des Kurpfuschertums, Krankenhaus¬
bau und Desinfektion, Hygiene der Ernährung und Kleidung,
Gewerbekrankheiten, Hygiene der Luft, Heizung und Beleuch¬
tung, wissenschaftliche Apparate und Laboratoriumsgeräte,
Leichenbestattung, Gesundheits-, Krankheits- und Sterblich¬
keitsstatistik. Ausserdem sind noch eine Reihe von Sammel¬
ausstellungen vorhanden. Beginnen wir mit den letzteren, so
wird unsere Aufmerksamkeit auf die grossartige Ausstellung
des Reichsgesundheitsamtes hingelenkt. In sehr anschaulicher
Weise sieht man an Tafeln, Würfeln und Pyramiden die Mor¬
talitätsstatistik der einzelnen Krankheiten 'dargestellt, man über¬
zeugt sich mit einem Blick von der hohen Pockensterblichkeit
in Ländern ohne Impfzwang. In gleicher Weise ist die allge¬
meine Bevölkerungsstatistik, die Sterblichkeit in verschiedenen
Altersklassen und in grossen und kleinen Städten, die Abnahme
der Sterblichkeit an Infektionskrankheiten u. a. plastisch darge¬
stellt. Ein Modell zeigt, wie Pestratten durch Einblasen kohlen¬
oxydhaltigen Gases in Schiffsräume getötet werden; eine
Reihe von Präparaten belehrt über die Tuberkuloseforschungen,
andere über Blutbestimmungen, über Phagozytose, über Nah¬
rungsmittelfälschung und über noch manche andere Fragen, die
dem Laieninteresse mehr oder weniger nahe hegen. Ein gutes
Bild von dem Transport und der Pflege der Verwundeten im
Kriege bietet die Ausstellung der Vereine vom Roten Kreuz;
auch von der Friedenstätigkeit dieser Vereine gibt die Aus¬
stellung mit ihren Modellen von Tuberkuloseheilstäten, Kinder¬
heilstätten, Erholungsstätten Kunde. Das Institut für Infek¬
tionskrankheiten hat Bilder und mikroskopische Präparate von
Krankheitserregern aller Art, die Methoden ihrer Züchtung
und der Serumgewinnung vorgeführt; an der Ausstellung des
Institutes für experimentelle Therapie interessieren neben den
Wandtafeln über die Infektions- und Immunisierungsvorgänge
besonders die karzinomatös gemachten Mäuse. Besondere
Beachtung verdienen die Ausstellungen der hygienischen Uni¬
versitätsinstitute, namentlich derer von Berlin und Marburg,
überall findet man viel Sehens- und Wissenswertes, und Aerzte
und Laien finden überall reiche Belehrung. Von den Gruppen¬
ausstellungen wird die Abteilung für Säuglings- und Kinder¬
hygiene viel beachtet; lebhaftes Interesse erregen die Darstel¬
lungen über den Betrieb in Säuglingskliniken und Krippen, dei
durch schnell sich bewegende Bildchen in kinematographischer
Art zur Anschauung gebracht wird. Bei der Ausstellung der
Gewerbekrankheiten fallen besonders die Verletzungen durch
elektrischen Starkstrom auf; in der Abteilung für Infektions¬
krankheiten hat die brasilianische Regierung auf prachtvollen
Tafeln ein Bild der Seuchenbekämpfung in Brasilien gegeben,
bemerkenswert ist der erfolgreiche Kampf gegen das gelbe
Fieber. Auch in allen anderen Gruppen ist ungemein viel
Interessantes zu sehen, das einzeln aufzuführen auch nicht an¬
nähernd möglich ist, wie überhaupt in dieser Schilderung nur
einige wenige Einzelheiten, gewissermassen als Stichproben,
herausgegriffen werden konnten, ohne dass damit gesagt sein
soll, dass das viele Nichterwähnte nicht ebenso interessant
wäre. Zum Schluss wollen wir nur noch die Ausstellung der
Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums
nennen; hier wird gezeigt, welchen von Jahr zu Jahr steigen¬
den Umfang das Kurpfuschertum angenommen hat, wie gross
die Zahl der Bestrafungen unter ihren Vertretern, welcher Art
ihr Bildungsniveau ist, und mit welchen unglaublich dreisten
Mitteln sie die Leichtgläubigkeit der Kranken auszubeuten
verstehen. Wenn dieser Teil der Ausstellung recht fleissig be¬
sucht wird, so könnte er allein schon viel Nutzen stiften.
M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Eine neue Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nerven¬
kranke in Wien. — Das Ende der passiven Resistenz der
niederösterreichischen Gemeindeärzte. — Alters-, Witwen-
und Waisenrente der Gemeindeärzte. — Blatternstatistik, gün¬
stige Resultate der Impfung resp. der Revakzination. — Der
Bürgermeister Wiens gegen die „Impferei“. — Proteste. —
Für den Impfzwang.
Am 8. Oktober 1. J. sind die niederösterreichischeil Landes¬
heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkratnke „am
Steinhof“ feierlichst eröffnet worden. An der Grenze des 16.
und 13. Wiener Gemeindebezirkes, auf sanft abfallenden Ab¬
hängen des Galizinberges gelegen, für die Wiener leicht er¬
reichbar, aber dennoch von der City genug weit entfernt, um
einen freundlichen Rundblick auf bewaldete Berge und grüne
Wiesen der Umgebung zu gestatten, ist hier aut einem riesigen
Territorium eine kleine Stadt, oder — wenn man will — ein
entzückend schönes Villenviertel mitten in Gärten hinein er¬
richtet worden. Und all das ist für Geistes- und Nervenkranke
bestimmt, hier werden tausende arme und reiche Kranke be¬
herbergt, gepflegt, behandelt und beschäftigt werden. Die neue
Landesanstalt gliedert sich in 3 Abteilungen, in eine Heil¬
anstalt für heilbare Geistes- und Nervenkranke, in eine
Pflegeanstalt für unheilbare gemeinschädliche oder un¬
heilbare harmlose Geisteskranke, endlich in ein Sanatoriu m,
ein Pensionat für bemittelte Geistes- und Nervenkranke. Dass
die neue Heilanstalt die grösste auf dem Kontinente
ist, das mögen einige Ziffern bekunden, welche wir hier an¬
führen; dass sie aber auch die schönste und modernste, mit
aller Umsicht und raffinierter Ueberlegung erbaute ist, das
kann nur die eigene Anschauung lehren; eine kurze Beschrei¬
bung, die wir hier geben können, genügt in keiner Weise diesem
Zwecke.
Auf einem Grundkomplex von 1,4 Millionen Quadrat¬
metern, wovon 53 600 Quadratmeter verbaut sind, wurden
neben, und hintereinander in mehreren terrassenförmigen
Reihen 60 einzelne Pavillons errichtet. 36 Gebäude mit zu¬
sammen 518 Wohnräumen sind zur Aufnahme von Kranken be¬
stimmt, die restlichen 24 Pavillons dienen allgemeinen Zwek-
ken, der Verwaltung, Wirtschaft, Küche, Heizung etc. Der
Grund kostete 4X Millionen Kronen, der Bau und die Einrich¬
tung der 3 Anstalten erforderten insgesamt einen Aufwand von
mehr als 20 Millionen Kronen, wovon auf das Sanatorium allein
(10 Pavillons mit einem Belagraum für 356 Kranke) ca 5 Mil¬
lionen Kronen entfallen. Die 3 Anstalten können heute schon
2200 Kranke aufnehmen, sie können aber jederzeit, wenn ein
Bedarf vorhanden ist, zur Aufnahme von 3000 Kranken bereit
gestellt, eventuell durch Zubauten noch erweitert werden.
Während der Bauperiode von 2X> Jahren versahen die
Bauleiter zu Pferde ihren Dienst, jetzt steht eine elektrische
Bahn mit Oberleitung zur raschen Beförderung der Speisen
aus den Küchen in die einzelnen Pavillons, zum Transport der
Wäsche, der Kohle und des Holzes etc. zur Verfügung. Man
bewundert die prächtige Kirche, die mit ihrer reich vergolde¬
ten Kuppel weithin sichtbar ist und das Ganze krönt; man er¬
geht sich in den grossen Gartenanlagen, die zum Teile, wo
unruhige Kranke untergebracht sind, mit hohen Mauern um¬
geben, zum Teile wieder von niederen Gittern eingerahmt sind,
oder sich als offene Gärten (für ruhige Kranke) präsentieren;
man bewundert die zahlreichen schmucken Bäder, besieht die
Stallungen für Pferde und Schweine, das Schlachthaus für
Wurstlerei und Fettschmelze, das Kesselhaus etc. Das von den
Heil- und Pflegeanstalten getrennte Sanatorium wird, wie er¬
wähnt, Patienten aus zahlungsfähigen Kreisen des In- und Aus¬
landes beherbergen und weisen dementsprechend die einzelnen
Pavillons allenthalben in ihrer Einrichtung einen behaglichen
Komfort, stellenweise sogar wahren Luxus auf. Neben den
Krankenzimmern gibt es da eigene Erholungs- und blurnen-
geschmückte Wandelräume, gemeinsame Konversations- und
Speisesäle, einen Fest-, einen Billard-, einen Rauch- und einen
Musiksalon, einen Turnsaal, sodann mehrere Räumlichkeiten
für Hydro-, Miechano- und Elektrotherapie, ein Winter¬
schwimmbad, Luft- und Sonnenbäder etc. Die Kranken sollen
womöglich im Freien, und, wenn dies nicht angeht, in eigenen
Werkstätten passend beschäftigt werden und dazu dienen die
gärtnerischen Anlagen, die Kulturen von Obst und Gemüsen,
dann die Ateliers für Maler, Bildhauer und Holzschnitzler; zui
Erheiterung dienen ein Tennisplatz, im Winter ein Eisplatz und
eine Rodelbahn. In hygienischer Hinsicht sind die staubfreien
Fussböden, die Kanalisierungs-, Beheizungs-, Beleuchtungs-
2152
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
und Ventilationsanlagen nach modernen Grundsätzen muster¬
gültig hergestellt worden. Eine Telephonzentrale mit 236 Tele¬
phonapparaten vermittelt den Verkehr der Abteilungen unter¬
einander, der Krankenzimmer mit Aerzten und Wärtern. An¬
gestellt sind bisher: ein ärztlicher Direktor (Dr. Heinrich
Schloss), sodann 4 Primärärzte (für die Heilanstalt 2, für die
Pflegeanstalt und das Sanatorium je einer), 3 ordinierende
Aerzte, 10 Assistenzärzte, 1 Prosektor; ausserdem sind
420 Pflegepersonen und 60 Diener zur Dienstleistung bestimmt.
Im Sanatorium zahlt der nach Niederösterreich zuständige
Kranke je nach der Klasse täglich 18 oder 9 Kronen, der nicht
zuständige 20 resp. 10 Kronen. Für die Benützung der hydro-,
mechano- und elektrotherapeutischen Apparate sowie für die
Wäsche müssen separat kleinere Beträge entrichtet werden.
Die Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift in Halle
a. S. hat aus Anlass der Eröffnung dieser Anstalt eine „Fest¬
nummer“ erscheinen lassen, in- welcher von Aerzten, Ingenieu¬
ren und Verwaltungsbeamten eine Beschreibung des Baues,
der Organisation des ärztlichen Dienstes, der Administration
etc. in authentischer Weise niedergelegt wurde.
Am 7. Oktober 1. J\ hat der niederösterreichische Landtag
einen Gesetzentwurf beraten und angenommen, welcher ge¬
eignet ist, die passive Resistenz der Gemeindeärzte, welche
bekanntlich am 1. Februar des Vorjahres einsetzte, zu beendi¬
gen. Die Aerzte haben damit viel gewonnen, wenn auch nicht
alles, was sie angestrebt haben. Das Gesetz sichert den Ge¬
meindeärzten eine Invaliden- resp. Altersrente, ihren Angehöri¬
gen eine Witwen- und Waisenrente. Dafür haben die Ge¬
meindeärzte eine Reihe von neuen Pflichten übernommen, die
sie bisher nicht hatten, nämlich die öffentliche Impfung vor¬
zunehmen, die ihnen der Staat zu bezahlen hat, die Schüblinge
in ihrem Amtssprengel unentgeltlich zu untersuchen und die in
Armenversorgung stehenden Personen bis zur Anzahl von 10
(wobei eine Familie als Person gerechnet wird) unentgeltlich,
die übrigen Armen und Findlinge gegen eine Entlohnung zu be¬
handeln, die der Landesausschuss nach Anhörung der Aerzte-
kammer festsetzt. Dem Landesausschusse steht das Recht der
Ernennung der Gemeindeärzte zu; er entscheidet auch, wer
als invalid zu betrachten ist. Das ganze Gesetz ist das Resul¬
tat eines Kompromisses zwischen Aerzten und Landesaus¬
schuss, welcher im Juli 1. J. abgeschlossen wurde.
Als Maximum des Ruhegehaltes (Pension) eines Gemeinde¬
arztes wurde ein Betrag von 1500 K angesetzt. Die volle Pen¬
sion erhält er nach einer Dienstzeit von 30 Jahren, ohne Rück¬
sicht auf seine Arbeitsfähigkeit. Dafür muss er in Raten eine
einmalige Ernennungstaxe von 100 Kronen und dauernd 3 Proz.
seines Gehaltes zum Pensionsfonds beisteuern. Der Arzt, der
eine Pension bezieht, darf keine besoldete Stelle bekleiden,
sonst verliert er seine Altersrente. Der Gehalt eines Ge¬
meindearztes in Niederösterreich ist je nach dem Domizil des¬
selben und der Möglichkeit eines weiteren Erwerbes aus der
ärztlichen Praxis ein verschiedener; einzelne Posten konnten
bisher gar nicht besetzt werden oder sie bildeten sog. „Wan¬
derposten“, da die Aerzte trotz höherer Subvention seitens des
Landes daselbst keine Existenz fanden. Dadurch, dass der
Landesaussohuss sich jetzt das Ernennungsrecht für alle
Posten sicherte, wird er auch die schlechten Stellen besetzen
können, indem er den Aerzten zur Entlohnung nach einiger Zeit
bessere Posten zusichert.
Das Gesetz bestimmt ferner: Wird ein Gemeindearzt, der
mindestens 10 Jahre lang Dienste geleistet, unverschuldeter¬
weise invalid, so erhält er 40 Proz. der Bezüge, die er zuletzt
hatte, und nach jedem weiteren Jahre 3 Proz. mehr. Ist er bei
Ausübung des Dienstes als Gemeindearzt invalid geworden, ist
die Karenzzeit 5 Jahre. Die Witwe eines Gemeindearztes be¬
kommt als Pension die H ä 1 f t e der Pension, auf die der Gatte
am Todestag Anspruch gehabt hätte, mindestens aber 400 K.
Die ledigen weiblichen und die unversorgten männlichen Wai¬
sen erhalten bis zum 24. Lebensjahre nur 10 Proz. dessen, wor¬
auf der Vater bei seinem Tode Anspruch gehabt hätte. Die
Witwe erhält als Leichenkostenbeitrag % der Jahrespension
des Arztes, wenn er nicht pensionsberechtigt war, erhält sie
nur 100 K und ausserdem als Abfertigung 400 K.
Nicht genug zu tadeln ist die Bestimmung, dass die Er¬
nennung eines Arztes 3 J a h r e 1 a n g provisorisch ist und erst
dann eine definitive wird (ein einjähriges Provisorium hätte
wohl auch genügt!), ferner, dass die angestrebte Einteilung der
Gemeindeärzte in Gehaltstufen „dermalen mit Rücksicht auf
den Stand der Landesfinanzen“ als Ding der Unmöglichkeit be¬
zeichnet wurde. Es fehlt auch noch eine Dienstesinstruktion
für die Gemeindeärzte, doch erklärte der Statthalter von Nie¬
derösterreich im Verlaufe der Debatte, dass die Statthalterei
eine solche Dienstesinstruktion ausgearbeitet habe, bezüglich
welcher das Einvernehmen mit dem Landesausschusse werde
gesucht werden. Das Mehrerfordernis beträgt — nach den
Berechnungen des Landesausschusses — jährlich rund
100 000 K, welches Erfordernis späterhin eher eine fallende als
eine steigende Tendenz aufweisen wird. Und daru m war
ein Kampf von 114 Jahren notwendig! Jedoch — das Kom¬
promiss ist geschlossen worden und das Kriegsbeil muss ver¬
graben werden. Das Bestreben der Aerzte, ihre Position in
moialischer und materieller Beziehung zu bessern, wird aber
sicheilich anhalten und die Festigung und der Ausbau der
Organisation der Aerzte in Niederösterreich auf wirtschaft¬
licher Grundlage wird sie in den Stand setzen, ihrem starken
Gegner noch manche Positionen abzuringen.
Die Zahl der täglichen Blatternerkrankungen in Wien hat
stark abgenommen, es gibt auch Tage ohne Neumeldung, die
Statthalterei hat daher die Aufhebung des Epidemieverfahrens
angeordnet. Die Impfungen und Revakzinationen haben auf¬
gehört, die Bevölkerung hat sich wieder beruhigt. Amtlich
werden folgende Daten bekannt gegeben: Vom 1. Januar bis
30. September 1. J. sind in Wien 152 Personen an Blattern er¬
krankt, seit dem 10. Juli insgesamt 130 Personen, von welchen
am 1. Oktober noch 83 in Behandlung standen. Die Zahl der
Blatterntodesfälle beträgt 30. Von den Erkrankten waren 49
ungeimpft, bei 5 Personen konnte eine stattgefundene Impfung
nicht festgestellt werden. Von diesen 54 Erkrankten sind 21
an Blattern gestorben. Von den restlichen 98 Erkrankungen
sind vor mehr als sieben Jahren (Dauer des Impf¬
schutzes) 45 mit Erfolg, 4 ohne Erfolg und 14 mit unbekanntem
Erfolg, insgesamt sonach 63 geimpft oder revakziniert wer¬
den. Auch diese 63 sind somit nach allgemeiner Annahme als
gegen die Bakterieninfektion nicht mehr wirksam geschützt an¬
zusehen und den Ungeimpften gleichzuachten. Von den im
Laufe der letzten 7 Jahre Geimpften sind 21 Erkrankte erst
während der letzten 15 Tage vor Ausbruch der Krankheit, also
bereits in infiziertem Zustande geimpft worden. Nach
weiteren Details fährt der offizielle Bericht fort: Es sind dem¬
nach von den 152 Erkrankten 112 des sichernden Impfschutzes
nicht teilhaftig gewesen, von den restlichen 40 sind 18 als ohne
Erfolg Geimpfte den Ungeimpften gleichzuzählen und bei wei¬
teren 16 ist der Impfzustand oder der Impferfolg unbekannt.
Es verbleiben daher n u r 6 m itErfolg Geimpfte, welche
von Blattern ergriffen wurden und von diesen 6 sind 5 in be¬
reits infiziertem Zustand geimpft worden, während bei dem
übrig bleibenden 6. Fall der Zeitpunkt der Impfung auch nicht
annähernd sichergestellt wurde. Von den 30 Gestorbenen
waren 18 ungeimpft, 6 ohne Erfolg, 3 mit unbekanntem Erfolg
geimpft, bei 3 war der Impfzustand unbekannt und sind diese
mit Recht den Ungeimpften beizuzählen. Durch die Impfung
direkt oder indirekt veranlasste Krankheitsfälle, sog. Impf-
schäden, sind der Behörde bisher nicht zur Kenntnis gelangt.
Erhebungen in einzelnen Fällen, welche infolge von Gerüchten
über schwere Erkrankungen oder Todesfälle gepflogen wur¬
den, haben die völlige Grundlosigkeit derselben er¬
wiesen.
Wir hätten von dieser amtlichen Darstellung, welche
— wenn auch mit kleinen Zahlen — für die hohe Erspriessiich-
keit der Schutzpockenimpfung eintritt, gar nicht in dem Aus¬
masse Notiz genommen, wäre nicht post festum, d. h. nach
glücklicher Eindämmung der kleinen Epidemie, den Aerzten
ein Impfgegner erstanden wäre, dessen Auslassungen leider
volle Beachtung verdienen. Unser Bürgermeister Dr. Karl
Lueger sagte in öffentlicher Gemeinderatssitzung am
27. September 1. J. unter anderem auch folgendes: „Wie viel
von der Impf-erei zu halten ist, hat gerade der letzte Fall
erwiesen. Ein Arzt, der bereits geimpft war, sich wieder
impfen liess (zu spät, da er bereits infiziert war, der Ref.), hat
die Blattern bekommen. Wenn andere Menschen durch das
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2153
Impfen gegen die Blattern immun werden sollen, so muss doch
ein Doktor der Medizin auch immun werden!“ Das weiss
doch jeder gebildete Laie, dass die Schutzimpfung keinen abso¬
luten, sondern nur einen relativen Schutz verleiht. Doch hören
wir weiter: „Infolge des Impfens und der förmlichen
Impfpanik sind viel mehr Krankheiten entstanden und viel
mehr Todesfälle ein getreten als durch die Blattern
in Wien während der ganzen Zeit jetzt.“ - Zum Schlüsse
ereiferte sich der Bürgermeister gegen einen Erlass des
k. k. Landesschulrates, demzufolge ungeimpfte resp. seit mehr
als 7 Jahren nicht revakzinierte Kinder nicht in die Volks¬
schulen aufgenommen werden sollen. „Wissen sie denn nicht,
dass es keinen Impfzwang, dass es aber einen Schulzwang gibt?
Wenn da nicht Ordnung geschaffen wird, dann weiss ich nicht,
was man sich in Wien mit der Bevölkerung erlauben darf.“
(Stürmischer Beifall.)
Das Stadtphysikat und die Statthalterei wissen absolut
nichts von schweren Gesundheitsschädigungen oder gar 1 odes-
fällen nach oder infolge der Impfungen und nur der Bürger¬
meister Wiens, der Chef der autonomen Verwaltung der Resi¬
denzstadt, macht Aeusserungen, welche von den Impfgegnern
noch nach vielen Jahren als wohlbegründete und unumstöss-
liche Erfahrungen zitiert werden können. Es ist selbstver¬
ständlich, dass diese völlig grundlosen lauten Aeusserungen,
vom stillen Hasse gegen Wissenschaft, Aufklärung und Foit-
schritt diktiert, bei den gleichgesinnten Freunden des Bürger¬
meisters „stürmischen Beifall“ fanden, bei den Aerzten jedoch
volle Indignation erregten. Zum Ausdrucke gelangte diese
Indignation in einer kürzlichst abgehaltenen Protestversamm¬
lung des ärztlichen Vereins des I. Bezirks, in welcher eine
scharfe Resolution gefasst wurde, die gegen die obenerwähnte
Aeusserung unseres Bürgermeisters gerichtet ist.
Auch im niederösterreichischen Landtage wurde gegen den
oberwähnten Erlass des k. k. Landesschulrates interpelliert
und der Statthalter beantwortete diese Interpellation dahin,
„dass in dem vom Unterrichtsministerium ausgegangenen Er¬
lasse eine auf die Einführung des Impfzwanges abzielende
Massnahme nicht zu erblicken sei, vielmehr nur der Impf¬
zustand der Schuljugend festgestellt werden solle, weshalb
kein Grund vorliege, diesen Erlass zurückzunehmen. Kein
Schüler wurde wegen der Nichtimpfung zurückgewiesen.“ Es
ist selbstverständlich, dass der Impfzwang auf dem Verord¬
nungswege nicht eingeführt werden kann. Der XII. öster¬
reichische Aerztekammertag, der in Troppau am 19. und
20. September 1. J. tagte, hat daher einen Dnnglichkeitsantrag
der deutschen Sektion der Aerztekammer Böhmens ange¬
nommen, welcher lautet: „Angesichts der Blatternfälle in Wien
und der drohenden Gefahr einer Einschleppung der Variola auch
in angrenzende Kronländer wird beschlossen, es sei möglichst
umgehend an die Regierung heranzutreten, dass noch im Laufe
der heurigen Reichsratssession dem Parlamente ein Gesetz¬
entwurf betreffend die obligatorische Impf- und Revakzina-
tionspflicht vorgelegt werde.“ Auch von anderer Seite werden
Anträge und Interpellationen in diesem Sinne im Abgeordneten¬
hause eingebracht werden. Die Regierung wird sich aber
voraussichtlich hüten, diese Sache in Fluss zu bringen, da sie
darauf bedacht sein muss, die Stimmen ihrer klerikalen Partei¬
gänger für den Ausgleich mit Ungarn, die Bewilligung des Bud¬
gets etc. zu gewinnen. Durch die Vorlage eines solchen Ge¬
setzentwurfes könnte aber die gute Laune dieser Herren ge¬
trübt werden, was um jeden Preis vermieden werden wird.
Also wirds wohl noch für längere Zeit beim Alten bleiben. Es
müssen bei uns wohl erst Tausende Menschen an Blattern
erkranken oder sterben, der Volksunwille in seinen Tiefen auf-
gerüttelt werden, bis auch in diesem Punkte der Vernunft
Rechnung getragen werden wird.
Vereins- und Kongressberichte.
VII. Internationaler Physiologenkongress
in Heidelberg vom 13. bis 16. August 1907.
Bericht von Professor Dr. H. Steudel in Heidelberg.
Der siebente internationale Physiologenkongress hat in Heidel¬
berg unter dem Vorsitze von Herrn Geheimen Hofrät A. Kossel
vom 13. bis 16. August ds. Js. getagt. Solche Vereinigungen der
Physiologen aller Länder pflegen regelmässig alle drei Jahre statt¬
zufinden; die Versammlung fand zum ersten Male vom 10. bis 12. Sep¬
tember 1889 in Basel unter dem Vorsitze von J. Holmgreen statt,
die ferneren Kongresse waren in Lüttich vom 29. bis 31. August 1892
(Vorsitzender: Leon F r e d e r i c q), in Bern vom 9. bis 13. September
1895 (Vorsitzender: Hugo Kronecker), in Cambridge (England)
vom 22. bis 26. August 1898 (Vorsitzender: Sir Michael Foster), in
Turin vom 17. bis 21. September 1901 (Vorsitzender: Angelo Mosso)
und in Brüssel vom 30. August bis 3. September 1904 (Vorsitzender:
Paul Heger).
Die Kongresse sind immer gut besucht gewesen und auch dieses
Mal hatten sich zahlreiche Physiologen aller Länder versammelt.
Das äusserst reichhaltige Sitzungsprogramm — es waren über 200
Vorträge und Demonstrationen angemeldet — konnte in der kurzen,
zur Verfügung stehenden Zeit nur erledigt werden, indem mehrere
Sektionen, den einzelnen Zweigen der Physiologie entsprechend, ge¬
bildet wurden, in denen zu gleicher Zeit vorgetragen wurde. So war
denn gleichzeitig das anatomische, physiologische, mineralogische und
chemische Institut der Schauplatz des Kongresses.
Die Eröffnungssitzung fand am 13. August, 9 Uhr vormittags in
der Aula der Universität statt. Nach den offiziellen Begriissungsreden
hielt Herr Geheimrat A. Kossel eine Ansprache, in der er unter
anderem auch die Stellung der Chemie zur Physiologie beleuchtete.
Wir lassen dieselbe wörtlich folgen:
„Ich danke im Namen des Kongresses für die freundlichen Worte,
mit denen Sie unsere Versammlung begriisst haben. Schon bei den
Vorbereitungen haben wir gesehen, dass diesen Worten ein tat¬
kräftiges Wohlwollen zu Grunde liegt. Es wäre nicht möglich ge¬
wesen, diesen Kongress ins Werk zu setzen, wenn uns nicht von
seiten der Grossh. Regierung, von der Stadtverwaltung, von den
Kollegen die wirksamste Förderung zu teil geworden wäre.
Im besonderen gebührt unser Dank Seiner Königlichen Hoheit
dem Grossherzog, welcher uns ein so schönes und ehrendes
Zeichen seiner Huld gegeben hat. Die Medaille trägt das Bild des
grossen Heidelberger Physiologen und die Inschrift: „Den Teil¬
nehmern des 7. Internationalen Physiologenkongresses zu Heidelberg,
gewidrnet vom Grossherzog Friedrich von Baden.“
Mit diesem Bronzebildnisse werden die Teilnehmer unserer Ver¬
sammlungen die Erinnerung an einen erhabenen Fürsten heimtragen,
welcher den Bestrebungen unserer Wissenschaft ebenso wie allen
hohen und edlen Zielen der Menschheit eine warme, tätige Teilnahme
entgegenbringt.
Ich beantrage, die Versammlung möge durch Absendung eines
Telegramms ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen.
Das Bildnis Hermann v. H e 1 m h o 1 1 z’ erinnert uns an eine
Glanzzeit unserer Wissenschaft.
Jene Periode scheint uns die fruchtbarste gewesen zu sein,
welche die Physiologie je erlebt hat. Die Ideen und Anregungen,
welche von jener Zeit ausgegangen sind, haben auch die folgende
Generation geleitet. Aber noch ehe sich die Erwartungen erfüllt
hatten, die man an die Errungenschaften dieser Zeit knüpfte, sind neue
Hilfsmittel geschaffen und neue, vielversprechende Gedanken ent¬
wickelt worden.
Unsere Wissenschaft hat diese Fortschritte zum Teil durch ge¬
meinsame Arbeit mit anderen medizinischen und naturwissenschaft¬
lichen Disziplinen gewannen. Wenn wir die Freude haben, unter den
Teilnehmern der heutigen Sitzung und unseres Kongresses so viele
Vertreter verwandter Fächer zu begriissen, so ist dies ein Zeichen
der engen Berührung unseres Streben« und unserer Wege. Gemein¬
sam mit der Anatomie und Histologie haben wir die Zweifel um das
Sein oder Nichtsein des Neurons durchgekämpft, in, gemeinsamer Tätig¬
keit mit Anatomen und Zoologen sind die sichtbaren Veränderungen
der Zelle bei ihren verschiedenartigen Funktionen erforscht worden.
Die experimentelle Methode, bisher ausschliesslich ein Werkzeug des
Physiologen, ist in erfolgreicher Weise in das Studium entwicklungs¬
geschichtlicher Vorgänge hineingetragen, und diese Untersuchungen
haben einen neuen, der Morphologie und Physiologie gemeinsamen
Ideenkreis geschaffen. Nicht minder charakteristisch für die letzten
Entwicklungsjahre der Physiologie sind die Bestrebungen, die am
Wirbeltier gewonnenen Erfahrungen auf ihre allgemeine Gültigkeit zu
prüfen, und diese Arbeit hat die Physiologen in die zoologischen
Institute und Stationen hineingeführt.
Am Ausgangspunkte der Entwicklung unserer Disziplin hat die
praktische Heilkunde gestanden. Aerztliche Kunst, medizinische
Wissenschaft, physiologisches Experiment müssen ihrem inneren
Wesen gemäss stetig Hand in Hand gehen, und die letzten Jahr-
zehnte waren geeignet, in uns und in unseren medizinischen Kollegen
das Bewusstsein dieses Zusammenhanges zu stärken.
2154
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Die Fragen der praktischen Medizin haben von jeher wichtige
Anregungen erteilt und die klinischen Beobachtungen das physio¬
logische Experiment ergänzt. Besonders hat sich mehr und mehr
gezeigt, wie sehr die Physiologie der Nervenzentren auf eine Sym¬
biose mit der klinischen Neurologie angewiesen ist. Andererseits hat
aber auch die Einführung der neueren chirurgischen Technik in die
Physiologie einen mächtig fördernden Einfluss ausgeübt, indem sie
auch für das Studium der Verdauungsvorgänge die grossen Vorteile
ermöglicht hat, die aus der zeitlichen Trennung von Operation und
m uachtung hervorgehen. Ebenso schnell haben aber auch neue
Methoden und neue Anschauungen der Physiologie in die praktische
Medizin Eingang gefunden.
Zürn Teil ist diese Uebertragung durch die Pharmakologie ver¬
mittelt worden.
Wir begrüssen in dieser Versammlung zahlreiche Kollegen,
welche unserm Kongress durch einen Beschluss der Vereinigung
deutscher Pharmakologen zugeführt worden sind und deren Tätigkeit
uns einerseits mit den Bestrebungen der Serologie und der Immuni¬
tätslehre, andererseits mit der /praktischen Heilkunde in Verbindung
bringt.
Die Physiologie hat die mannigfaltigen und bedeutenden An¬
regungen, die aus dem Gebiete der biologischen Wissenschaften zu¬
strömten, ebenso verarbeitet und in ihren eigenen Ideenkreis an¬
genommen, wie die Einflüsse der Physik und Chemie. Die schnellsten
und auffälligsten Fortschritte unserer Wissenschaft erfolgten in jener
Zeit, als die physikalischen Forschungsmethoden in die physiologi¬
schen Arbeitsstätten Eingang fanden, und die Beobachtungen, die Be¬
messung räumlicher und zeitlicher Verhältnisse auf’s feinste ver¬
schärften, als die Begriffe, welche die Physik geschaffen hatte, in
systematischer Weise auf die Probleme des Lebens angewandt
wurden, als das Bedürfnis nach einer mechanischen Analyse der
Lebensvorgänge die Entwicklung der physiologischen Graphik her¬
beiführte.
Die Verhandlungen unserer früheren Kongresse, die Ausstellung
physiologischer Apparate, welche heute zugleich mit dem Kongress
eröffnet wird, legen ein Zeugnis dafür ab, dass auch diese Forschungs¬
gedanken ihre alte Anziehungskraft und ihre Fruchtbarkeit bewahrt
haben.
Durchaus andersartig hat sich das Verhältnis der Chemie zur
Physiologie gestaltet. Die Untersuchung der durch Pflanzen und
I iere erzeugten Stoffe hat die Anregung gegeben zur Entwicklung der
organischen Chemie. Diese Wissenschaft hat ein System geschaffen,
welches für die Auffassung physiologisch-chemischer Vorgänge und
Produkte heute allein massgebend ist. Die Vorstellungen über die
räumliche Lagerung der Atome, welche in den letzten 100 Jahren
ausgebildet worden sind, geben uns eine Anschauung von den Be¬
ziehungen der physiologisch-chemischen Produkte untereinander und
damit zugleich ein Verständnis für ihre Bildung und Umwandlung.
Die Bemühungen der physiologischen Chemiker sind daher zunächst
darauf gerichtet gewesen, die Produkte derTiere und Pflanzen aüf dieses
System der organischen Chemie zurückzuführen, mit anderen Worten:
ihre chemische Konstitution zu ermitteln. Wir verdanken aber der
organischen Chemie noch mehr als dieses System; auch ihre Arbeits¬
methoden sind die unserigen geworden, und wir schätzen es als ein
Glück, dass einzelne hervorragende Chemiker ihr Interesse physio¬
logischen Objekten zugewandt haben. Ihre Arbeiten haben Grosses
für uns geleistet — aber trotzdem ist die physiologische Chemie nicht
m 'uci organischen Chemie aufgegangen und sie wird es niemals tun.
Vielmehr hat sich gezeigt, dass für den erfolgreichen Ausbau dieser
Forschung die stete Berührung mit dem lebenden Objekt not¬
wendig ist.
Die dem tierischen Organismus entstammenden Stoffe haben für
'L.c!n- |)F^an*sch&n Chemiker, der gewohnt ist, mit scharf präzisierten
Objekten zu arbeiten, wenig Verlockendes. Es bedarf schon einer
ganz besonderen I riebfeder, um diese Gemische und Extrakte, deren
Aufteilung so grosse Schwierigkeiten bietet und so wenig Erfolg ver¬
spricht, als Gegenstand des Studiums zu wählen. Diesen Antrieb
pflegen nur diejenigen zu empfinden, welche durch dauernde gleich¬
zeitige Beschäftigung mit der Physiologie und der Medizin in der
Ueberzeugung von der Bedeutung dieser Aufgaben erhalten werden
Unter den organischen Chemikern sind es stets nur Einzelne ge-
v esen, die von der Wichtigkeit dieser Aufgabe durchdrungen, ihr
Interesse auch den schwerzufassenden, nicht kristallisierenden Pro¬
dukten des rierkörpers zu wandten. So ist es wohl zu erklären
das trotz der ungeheuren wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem Ge¬
biete der reinen Chemie viele der wichtigsten physiologischen Ob-
jckte erst spater und zögernd, andere noch gar nicht von organischen
Chemikern in Angriff genommen sind, dass ihre Bearbeitung in vielen
rallen allein dem physiologischen Chemiker zugefallen ist.
. . . ^azJJ kommt noch folgendes: das Ziel der Bemühungen ist ein
biologisches, also wird auch der Biologe am besten imstande sein, zu
beurteilen was für die Erreichung dieses Zieles wesentlich, was
unwesentlich ist. Die Fragestellung, die Bezeichnung und Beschaffung
i c s muteiiellen Objektes für die Konstitutionsforschung wird stets von
der physmlogischcj,1 Chemie ausgehen, die Kenntnis der biologischen
Verhältnisse, unter denen eine Substanz gebildet wird, gibt oft schon
die Richtung an, m der die Lösung des Strukturproblems zu suchen
is . Und wenn nun wirklich durch die Mitwirkung der organischen
Chemie die Struktur eines physiologischen Produkts aufgeklärt ist.
so kehrt der Forschungsweg, der vielleicht eine Zeitlang durch das
rein chemische Gebiet geführt hat, zur physiologischen Wissenschaft
zurück.
Auf dem Boden der Biologie wirken die Ergebnisse der Kon-
stiutionsforschung weiter. Sie regen neue Fragen an; auf die Be¬
trachtung der chemischen Produkte und ihre Zusammensetzung folgt
jetzt die Untersuchung der Stoffwechselvorgänge, und es entsteht oft
eine neue, andersartige Berührung mit der theoretischen Chemie.
Die physiologische Chemie kann nicht mit der reinen Chemie
verschmelzen, weil sie ihren Zielen nach zur Physiologie gehört, aber
sie muss auch innerhalb der Physiologie eine selbständige Stellung
•iin Anspruch nehmen. Schon ihrer Methodik wegen. Man wird auf
diesem schwierigsten Gebiete der Chemie nur von solchen Forschern
Erfolge erwarten dürfen, welche in streng chemischer Schulung er¬
zogen sind, und diese Schulung fordert den ganzen Menschen.
Diese Stellung der physiologischen Chemie ist um so eigen¬
artiger und selbständiger, da sie zugleich eine deskriptive Wissenschaft
ist. Man darf die histochemische Analyse als eine Fortsetzung der
mikroskopisch-histologischen Untersuchung — der optischen Analyse
- betrachten. Die deskriptive Histochemie wird sich auch einst in
der Richtung entfalten, welche auf morphologischem Gebiete
durch die Entwicklungsgeschichte und die vergleichende Anatomie
vorgezeichnet ist.
Demgemäss ist die Bedeutung der histochemischen Ergebnisse
für die Physiologie ähnlich wie die der histologischen — die Bisto-
chemie lehrt die Objekte kennen, an denen sich die Lebensprozesse
vollziehen. Dieser deskriptiven Tierchemie steht die physiologische
Chemie im engeren Sinne, die Lehre von den chemischen 'Lebenspro¬
zessen. die Lehre vom Stoffwechsel gegenüber. Somit besteht die
I lerchemie aus zwei Disziplinen, deren eine zugleich einen Teil der
Physiologie bildet. Beide Wissenszweige können nicht von einander
getrennt werden, und so haben sie sich gemeinsam als eine besondere
Wissenschaft entwickelt, durch die Methode selbständig, durch ihre
Ziele mit der Physiologie eng verbunden.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat diesen Zusammenhang
gefestigt. In dieser Richtung haben z. B. die Untersuchungen über die
Wechselwirkung der inneren Organe gewirkt. Durch die Auffindung
cei Hormone sind wichtige physiologische Beziehungen, die man bis¬
her ausschliesslich als Funktionen des Nervensystems auffasste auf
eine ohemische Grundlage gestellt worden.
Dass die weitere Ausgestaltung unseres Wissens nicht — wie
man gewöhnlich sagt — zu spezialisierender Trennung, sondern zur
Vereinigung führt, das beweist auch die Entwicklung der Stoff¬
wechsellehre, in der eine dynamische Betrachtungsweise der che¬
mischen Vorgänge mehr und mehr an Boden gewinnt. Wirksamer
noch im Sinne vereinter chemischer physiologischer Arbeit ist
die Hoffnung, dass es einst gelingen möge, für die Erscheinungen der
Enzymwirkung, der Immunität und der Irritabilität ein Verständnis auf
chemischer Grundlage zu gewinnen, dass es vielleicht gar einst mög¬
lich werde, die^Probleme der Befruchtung und Vererbung mit unseren
chemischen Vorstellungen in Zusammenhang zu bringen. Trotz aller
gi ossen Erfolge, welche die Strukturehemie durch die konsequente
I urchfiihrung ihrer Anschauungen errungen hat, dürfen wir uns aber
kaum des Gedankens erwehren, dass es für die Bearbeitung dieser
Fragen noch ganz neuer und andersartiger Vorstellungsreihen und
Hypothesen und einet ähnlichen Umformung unserer Denkweise be-
dai f, wie Dal ton sie vor 100 Jahren durch die Atomtheorie her¬
vorrief.“
I.
Von den im chemischen Institut gehaltenen Vorträgen, die
grösstenteils in das Gebiet der chemischen Physiologie fallen seien
hier folgende erwähnt:
Hamburger- Groningen schlägt vor, behufs quantita¬
tiver Bestimmung von kleinen Niederschlags¬
mengen das Volumen statt des Gewichtes zu bestimmen.
In geeigneten Gefässen wird die Fällung zentrifugiert bis zum kon-
stanten Volumen und dann mit dem Volumen einer Fällung aus einer
Lösung von bekanntei Konzentration verglichen. Für grössere Ver¬
suchsserien fallen bei dieser Methode das zeitraubende Auswaschen
Einäschern und mehrmalige Wägen fort.
Derselbe Forscher hat Untersuchungen über die Per-
m e a b i 1 i t ä t von Membranen nach zwei Richtungen hin an¬
gestellt. Die unversehrte, lebende Mukosa des Darms gestattet dem
Kochsalz vom Lumen aus den Durchgang in die Blutgefässe, nicht
aber umgckehit, und dieses Verhalten ist von Cohnheim als ein
v ichtiges Argument zu Gunsten einer vitalen Auffassung der Darm-
i esorption angeführt worden. Ist aber die Mukosa durch Fluor-
natrium oder Liquor Fowleri lädiert, so sei von solch einem Unter¬
schied nicht mehr die Rede. Die Verschiedenheit der Durchlässigkeit
VI e: entgegengesetzten Richtungen sei eine Lebenseigenschaft der
Mukosa.
e Dagegen sPrechen aber Versuche, die Hamburger an toten
Schleimhäuten gemacht hat. Diese besitzen sowohl für Wasser, für
^alz und Pepsin ebenfalls eine verschiedene Durchgängigkeit in zwei
Achtungen. Der Unterschied ist bedeutend und so handelt es sich
hier also um eine Erscheinung rein physikalischer Natur. Der Grund
hierfür liegt vielleicht an der Struktur der Membran, denn die tote
- chleimhaut besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Membranen,
MUENCHENER MEDIZINISCHE .WOCHENSCHRIFT.
2155
von der die Muscularis mucosae die eine ist. Künstlich hergestellte
Doppelmembranen, z. B. aus Pergamentpapier und Chromgelatine
oder aus Pergamentpapier und Kollodium zeigen das gleiche Vt
halten wie die Darmschleimhaut. , ' .
P Rona demonstriert eine neue Methode zur Ent¬
fernung des Eiweisses aus Flüssigkeiten, bei der die
Adsorptions- bezw. Umhüllungserscheinungen bei den kolloidalen
Lösungen von Eiweiss und Mastix verwertet werden. Zusatz einer
bestimmten Menge einer Mastixemulsion zu herum oder Blut bei
schwach saurer Reaktion und Gegenwart einer geringen Elektrolyt¬
menge bewirkt vollständige Enteiweissung der Flüssigkeit. Auch
Kaolin kann zur Enteiweissung benutzt werden.
L Camus und E. Gley haben die proteolytische
Wirksamkeit des Pankreassaftes untersucht, der unter
den verschiedensten Bedingungen sezerniert wurde. Der Satt, der
unter der Wirkung des Sekretins abgesondert wird, ist nicht immer
inaktiv; injiziert man nämlich, wenn die Absonderung nach Injek¬
tion einer gewissen Sekretinmenge aufgehört hat, von neuem Sekretin,
so zeigt der nunmehr abgesonderte Saft anfangs schwach proteo¬
lytische Wirkung.
Der unter dem Einfluss einer Injektion von Albumosen oder von
Pilokarpin abgesonderte Saft ist immer aktiv.
Nach Injektion von Pilokarpin kann man die Absonderung von
abwechselnd aktivem und inaktivem Saft, also eine Art Periodizität,
beobachten. , ,
Bringt man zu dem nach Injektion von Pilokarpin abgesonderten
Saft neutrales Kalium- oder Natriumoxalat, um das Kalzium, das im
Saft enthalten ist, auszufällen, so wird die Wirksamkeit des Saftes
um so mehr verzögert, je vollständiger die Fällung des Kalziums ist.
Aber die proteolytische Kraft ist nicht verschwunden, denn nach
35 — 48 Stunden ist auch hier die Verdauung vollständig.
M. Nicloux führt seine neue Methode vor, Alkohol,
Ae Eher und Chloroform im Blute zu bestimmen.
Das Eiweiss wird mit Pikrinsäure gefällt, dann das Filtrat im Appaiat
von Schlösing-Aubin destilliert und im Destillat der Alkohol
und Aether nach der schon früher publizierten Methode des Autors
bestimmt. Das Chloroform wird im Destillat durch alkoholisches Kali
zerstört und dann das Chlor mit Silberlösung titriert.
M. Dony-Henault (Institut Solvay, Brüssel) bringt kri¬
tische Ein wände gegen die herrschende Ansicht
von den Oxydationsfermenten, und meint, dass die
Existenz tierischer Oxydasen bisher nicht streng bewiesen sei, da
die meist gebrauchte Methode ihres Nachweises (Oxydation des Sali-
zylaldehyd) zweifelhaft und nicht zuverlässig sei.
H. Bechold -Frankfurt a. M. führt eine Methode zur
fraktionierten Filtration kolloidaler Lösungen
vor. Mit Gallerte imprägnierte und gelatinierte Filter lassen je
nach der Konzentration der Gallerte nur Lösungen von bestimmter
Molekülgrösse durchfiltrieren. Mischt man z. B. eine kolloide Lösung
von Berlinerblau mit einer Hämoglobinlösung, so erhält man eine
grüne Mischung. Giesst man von dieser Mischung auf ein dichtet es
Filter, so läuft reines Wasser ab; giesst man auf ein durchlässigeres
Filter, so erhält man als Filtrat eine rein rote Hämoglobinlösung,
während das Berlinerblau vom „Ultrafilter“ zurückgehalten wird.
E. Abderhalden hat gemeinschaftlich mit P. Rona Ver¬
suche ausgeführt, die sich mit dem Problem der Eiweiss -
Synthese im tierischen Organismus beschäftigen. Ab¬
derhalden ist es nun gelungen, einen 3 Monate alten Hund mit
einem Verdauungsprodukt aus Fleisch als einzigem stickstoffhaltigen
Materiale der Nahrung 3 Wochen lang nicht nur im Stickstoffgleich¬
gewicht zu halten, sondern Stickstoffretention und Vermehrung des
Körpergewichtes zu erzielen. Das Verdauungsprodukt bestand zunv
grössten Teile aus den einfachsten Bausteinen der Proteine. Danach
ist man wohl berechtigt, zu sagen, dass der tierische Organismus
wenigstens gilt dies für den Hund — sein Körpereiweiss aus den
einfachsten Bausteinen aufbauen kann.
Derselbe Forscher teilt ferner Versuche Emil Fischers
mit, der unter Mitwirkung Abderhaldens zusammengesetzte
Abbauprodukte durch Spaltung von Seide u n d
Elast in erhalten hat. Ausser sogenannten Dipeptiden, die Ver¬
kettungen zweier Amidosäuren sind, ist auch ein Tetrapeptid, ent¬
haltend 2 Moleküle Glykokoll, I Molekül d-Alanin und 1 Molekül
1-Tyros'in, aus Seide isoliert worden. Diese Ergebnisse geben der An¬
nahme, dass im Eiweissmolekül die Aminosäuren in amidartiger Ver¬
kettung sich finden, eine wertvolle Bestätigung. Da das isolierte
Tetrapeptid albumosenartige Eigenschaften hat, so wäre eine Revision
der Auffassung des Begriffs der Albumosen notwendig.
H. Steudel berichtet über seine Untersuchungen der
Nukleinsäuren aus Thymus und aus Heringssperma.
Diese beiden Säuren, die wahrscheinlich identisch sind, liefern als
Spaltungsprodukte 4 stickstoffhaltige Körper, von denen 2 zu den
Purinderivaten (Guanin und Adenin), und 2 zu den Pyrimidinderivaten
gehören (Thymiti und Zytosin). Ausserdem ist in den Nukleinsäuren
eine Kohlehydratgruppe mit 6 Kohlenstoffatomen enthalten. Mit den
experimentell gefundenen Ergebnissen würde es sich am besten ver¬
einigen, wenn man auch von der Kohlehydratgruppe 4 Moleküle in
der Nukleinsäure annimmt, dann würde als letzter Bestandteil der
Nukleinsäure nur noch Tetrametaphosphorsäure übrig bleiben. Man
kann sich also vorstellen, dass die Nukleinsäure eine 1 etrametaphos-
phorsäure wäre, die jedem Phosphoratom entsprechend eine Kohle-
hydratgrupoe besässe, also Tetraglykotetrametaphosphorsäure. An
diese wäre je eins der 4 stickstoffhaltigen Spaltungsprodukte ge¬
bunden (Guanin, Adenin, Jhymin und Zytosin). Die theoretische
Formel der Nukleinsäure ist dementsprechend zu korrigieren; die aus
der neuen Form verlangten prozentischen Werte der einzelnen Ele-
mente stimmen mit den Analysenergebnissen früherer Forscher be¬
friedigend überein.
M. Siegfried hat im Verlaufe seiner Untersuchungen
über die Trypsinverdauung zwei Fibrinpeptone dargestellt,
deren Verhalten auch nach verschiedenen Reinigungsmanipulationen
unverändert blieb. Diese Peptone sind also als chemische Individuen
anzusehen. Zum Vergleiche von Peptonen mit Peptiden wurde mit
CO o
Hilfe der „Karbaminoreaktion“ der Quotient N ^ den Trypsin¬
peptonen und bei Peptiden bestimmt. Aus den Resultaten ergibt sich
die Annahme, dass die Peptone ausser Peptidbindungen noch
N-Gruppen enthalten, die sich gegenüber der Karbaminoreaktion
anders als die Peptidbindungen der geprüften Peptide verhalten.
R. Lepine and B o u 1 u d haben Untersuchungen iiber
die Glykoside des Blutes angestellt. Sie haben gefunden,
dass das Blut mehrere Glykoside enthält, die Glykose abspalten, ent¬
weder während der Zirkulation oder in vitro; und im letzten Falle
besonders während der ersten Minuten nach dem Austritt aus den Ge-
fässen. Die Menge des in Freiheit gesetzten Zuckers wird besonders
merklich, wenn dem Blut etwas Invertin hinzugesetzt wird. Manche
sich widersprechenden Angaben über den Zuckergehalt des Blutes
finden dadurch vielleicht ihre Erklärung, aber die genaue Bestimmung
des Zuckers, der in vitro in Freiheit gesetzt wird, wird auch noch da¬
durch kompliziert, dass gleichzeitig eine Glykolyse stattfand.
Reid H u n t - Washington U.S.A. hat das Verhältnis des
Jods zur Schilddrüse untersucht. Als empfindliche Unter¬
suchungsmethode, um die Beziehungen zwischen prozentualem Jod-
gehalt und physiologischer Wirksamkeit der Thyreoidea festzustellen,
hat R. H. Thyreoidea verfüttert und die Empfindlichkeit der gefütterten
Tiere gegen gewisse Gifte (Azetonitril, Morphin) beobachtet. Füt¬
terung mit Thyreoidea vermehrt die Widerstandsfähigkeit der Mäuse
gegen Azetonitril — erniedrigt die Widerstandskraft gegen Morphin
und zwar steht die Wirksamkeit der Thyreoidea in einem bestimmten
Verhältnis zum Jodgehalt.
Thyreoideafütterung vermindert die Widerstandsfähigkeit von
Meerschweinchen gegen Azetonitril, und Jodverbindungen haben den¬
selben Erfolg. Wenn die Thyreoidea entfernt wird, so sind auch die
Jodverbindungen wirkungslos — ein Beweis, dass das Jod seine
Wirksamkeit durch die Thyreoidea ausiibt.
H. Boruttau berichtet über seine Versuche über die
Entstehung des Adrenalins im Tierkörper. Digeriert
man Nebennierenbrei mit Brenzkatechin, so kann man eine Ver¬
mehrung des Adrenalingehaltes konstatieren, die noch auffallender
wird, wenn man dem Digestionsbrei noch Cholin hinzufügt. Cholin
ist nach Kutscher ein regelmässiger Bestandteil der Nebenniere.
Die Seitenkette des Brenzkatechins in der Konstitutionsformel des
Adrenalins ist ein Cholinrest, welcher dem physiologischen Abbau des
Cholins entspricht.
O. v. Fürth hat das Verhalten der tierischen Per¬
oxydasen studiert. Er hat gefunden, dass zu ihrem Nachweis die
bisher vorwiegend benutzte Guajakreaktion nicht geeignet ist, soweit
es sich um die Organe hämoglobinführender Tiere handelt. Der Nach¬
weis der Peroxydasen in bluthaltigen Geweben und Säften wird da¬
gegen durch die Jodreaktion ermöglicht, da die Oxydation der Jod¬
wasserstoffsäure bei Gegenwart von Wasserstoffsuperoxyd durch
den Blutfarbstoff nicht katalytisch beschleunigt wird. Es gelang,
so die Gegenwart echter Peroxydasen in Leukozyten, in lymphoidem
Gewebe (Knochenmark, Milz, Lymphdriisen) und im Sperma nach¬
zuweisen. Um die Wirkung tierischer Oxydasen messend verfolgen
zu können, wurde ein soektrophotometrisches Verfahren ausge¬
arbeitet, 'das auf der oxydativen Bildung von Malachitgrün aus seinei
Leukobase beruht. Das glykolytische Blutferment ist nicht mit der
Peroxydase der weissen Blutzellen identisch.
v. Fiirth hat ferner Versuche angestellt über die Akti¬
vierung und Reaktivierung des Pia nk'r e a s s t e ap -
s i n s. Danach scheint dieses Ferment komplexer Natur zu sein und
aus einem inaktiven Zymogen zu entstehen. Es ist selbst wahrschein¬
lich aus einem thermostabilen und einem thermolabilen Anteile zu¬
sammengesetzt.
Charles R i c h e t - Paris untersuchte genauer die Wirkung
äusserst geringer Dosen von Salzen aufd i e Milch-
ger Innung. Es wurden meist die Chloride von Vanadin, Baryum,
Lithium, Thallium, Platin, Silber. Thor, Mangan, Kobalt und Uran
benutzt und es zeigte sich bei den sehr grossen Verdünnungen zu¬
nächst eine Verlangsamung der Gerinnung; wurde dann noch weiter
verdünnt, so wurde die Gerinnung wieder beschleunigt, um bei noch
weiterer Verdünnung wieder verlangsamt zu werden. Ganz grosse
Verdünnung hatte dann wieder eine zweite Beschleunigung zur Folge.
So konnte noch eine Beeinflussung durch eine Menge von
0,000 000 000 1 g Vanadin im Liter Milch nachgewiesen werden. Die
Menge ist ausserordentlich klein, erscheint aber plausibel, da die
nach Moschus oder Jodoform riechende Luft kaum grössere Mengen
Substanz enthält!
2156
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCEIENSCHRIFT.
No. -43.
h. P. Lyon und O. P. Terry haben die Fermente der
befruchteten umd unbefruchteten Eier von See-
i kr ein und See st e r n e n verglichen. Danach ist die fettspaltende
Kratt und die Fähigkeit, Wasserstoffsuperoxyd zu zersetzen in
befruchteten Eiern geringer als in unbefruchteten. Ferner zeigten
unbefruchtete Eier in drei Versuchen eine grössere Autolyse als
befruchtete; es wurde hierbei das Eiweiss koaguliert und die Menge
des Stickstoffs im Filtrate bestimmt.
J. Rosenthal glaubt, dass bei einer neuen theo¬
retischen Erklärung der Art und Weise, wie die
Spaltungen sich enzymatisch vollziehen, seine folgen¬
den Beobachtungen mit herangezogen wenden müssten. Stoffe, die
durch Enzyme zerlegt werden können, erfahren nämlich ganz ähn¬
liche Umsetzungen, wenn sie der Einwirkung eines in Stärke und
Richtung wechselnden elektromagnetischen Feldes ausgesetzt werden.
1 . H. M i 1 r o y- Belfast berichtet über Veränderungen, die er an
Heringen beobachtet hat, wenn bei ihnen eine Reifung ihrer
Geschlechtsdrüsen stattfindet. Solche Untersuchungen waren
von Mi es eher und Weiss am Lachs ausgeführt und hatten ge¬
zeigt, dass der männliche Lachs, der während der Reifungsperiode
keine Nahrung zu sich nimmt, seine Geschlechtsprodukte grössten¬
teils aus seinem zu Grunde gehenden Muskeleiweiss aufbaut. Der
Hering macht nun eine verhältnismässig nur kurze Hungerperiode
durch und braucht also auch nur eine kurze Zeit sich an das in
seinen Muskeln aufgestapelte Eiweiss zu halten.
F. Röhmann hat seine Untersuchungen über kiinst-
liehe E r nähr u n g fortgesetzt. Es ist ihm jetzt gelungen, Mäuse
mit einer Nahrung, die aus einem Gemisch von Vitellin, Kasein,
Hühner ei weiss, Stäike, Fett und Salzen besteht, durch zwei Gene¬
rationen am Leben zu erhalten. Die verschiedenen Eiweissstoffe
können sich nicht vollständig gegenseitig vertreten.
E- P- C a t h c a r t - Glasgow gibt eine Uebersicht über einen
Versuch, in dem während einer 14 tägigen Hungerperiode bei einem
Manne die Ausscheidung von Harnsäure, Gesamt¬
purinkörper, Kreatin und Kreatinin quantitativ
bestimmt wurde.
M. H Nemser-St. Petersburg hat das Schicksal des
Alkohols im Magen- und Darmkanal näher verfolgt
Hunden mit Dauerfisteln an verschiedenen Stellen des Magendarm¬
kanals wurde eine bestimmte Quantität verdünnten Alkohols quanti-
tativ nut oder ohne Nahrung verabreicht und dann in der aus der
Fistel abfliessenden Flüssigkeit die Quantität des Alkohols bestimmt.
I abei fand sich, dass Alkohol schon im Magen in grosser Quantität
resorbiert wird. Die Resorption wird im Duodenum fortgesetzt und
erreicht im Jejunum ihr Maximum. (Versuch an einem Hunde mit
Dauerfistein, eine am Ende des Duodenums, die andere in der Mitte
des Dünndarms. Die Entleerung aus einer Fistel am Ende des
Ileums enthalt gar keinen Alkohol.) (Schluss folgt.)
Erste Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher
Nervenärzte
in Dresden am 14. und 15. September 1907.
Bericht von Dr. v. R a d - Nürnberg.
(Schluss.)
III. Sitzung am 15. September 1907.
Vorsitzender : Jendrassilk - Ofen-Pest.
Zum Ort für die nächste, anfangs Oktober 1908 stattfindende
Versammlung wird Heidelberg gewählt. Oppenheim übernimmt
£mRefarat Uober Ar Stellung ,der Neurologie in der Praxis, im Unter-
ncht und in der Wissenschaft, Erb, Nonne und Wassermann
SnnLn !?eaen £bfr d,en Stan,d der Syphilisfrage und ihre Be¬
ziehungen zu den Erkrankungen des Nervensystems.
Reicher - Wien : Kinematographie in der Neurologie.
demonstriert eine lückenlose Serie (1060 bezw. 1235 Schnitte)
u Gehirnschnitten mittels eines Kinematographen.
strationen C h ü 1 1 e r ‘ Wien : Schädelröntgenographien, mit Demon-
Sch. demonstriert zahlreiche Photographien, welche wertvolle
diasnosteche Aufschlüsse bieten. Die Fälle betreffen Verletzungen
d^s ' ehadels, durch Fremdkörper, Kontinuitätstrennungen (Fis¬
suren, Impressionen, Locner). luetische Erkrankungen, knöcherne Tu¬
moren und Hyperostosen. Von besonderer Wichtigkeit ist die Er
kennung jener Schädeldestruktionen, welche durch Weichteiltumofen
bedingt sind; man kann danach Hypophysentumoren von äSders-
ai tigen basalen 1 umoren und von interkraniellen (ausserhalb der
Hypophyse gelegenen) Geschwülsten unterscheiden. Bei Epilepsie
und bei Erkrankungen der pneumatischen Räume des Schädels, welche
mit nervösen Störungen einhergehen, bietet nicht selten das Röntgen¬
methoden. ErganZUng der übrigen neurologischen Untersuchungs-
Sänger -Hamburg demonstriert 5 Diapositive von Röntgen¬
aufnahmen bei Hypophysistumoren. *umgen-
1 T?r iwarn! aber auch davor, aus zu minimalen Veränderungen an
der Rontgenplatte zu weitgehende Schlussfolgerungen zu machen Ln
einem Falle, in dem von kompetentester Seite Veränderungen an de?
' c a tu,aca und besonders der Keilbeinhöhle angenommen worden
■ a.en, ergab die Autopsie einen Tumor in der hinteren Schädelgrube.
Beiträge zur Diagnostik operabler Hirn-
Hartmann- Graz:
erkrankungen.
Alfred S ä n g e r - Hamburg: Ueber Herdsymptome bei diffusen
Hirnerkrankungen.
Nicht immer entspricht dem Auftreten von Herdsymptomen eine
lokalisierte organische Veränderung im Gehirn. Das Uebersehen
dieses raktums hat vielfach zu übereilten schweren chirurgischen
Eingriffen Veranlassung gegeben, so z. B. bei dem Auftreten von
.1 a c k s o n scher Epilepsie oder bei Halbseitenerscheinungen bei ge¬
nuiner Epilepsie.
Bei der Meningitis kommt es gar nicht selten lediglich zu
lokalisierten Symptomen, speziell bei der tuberkulösen Form.
Schon im Jahre 1903 hat yortragender Fälle von zirkumskrip-
tci tuberkulöser Meningitis mitgeteilt. Hiebei muss hervorgehoben
werden, dass die mikroskopische Untersuchung der Hirnhäute bei
Meningitis tuberculosa auch an scheinbar normalen Abschnitten Ver¬
änderungen nachweisen lässt.
Auch die eitrige Meningitis kann sich, allerdings in
selteneren Fällen, lediglich durch Herdsymptome dokumentieren.
oi ti agendei teilt einen einschlägigen Fall aus seiner Erfahrung mit
fei n e i einen Fall von sar komatöser Meningitis, der sich
durch komplizierte Herdsymptome ausgezeichnet hat. Endlich wird
ein Fall von rechtsseitiger Lähmung mitgeteilt, bei welchem sich als
einziges pathologisches Substrat eine diffuse Leptomenin-
g 1 1 1 s gefunden hat.
Die scharf umschriebenen Herdsymptome, die manchmal bei der
Kar zinoma tose Vorkommen, sind oft der Ausdruck einer karzi-
nomatosen Infitration der Pia, was Vortragender 1901 zuerst auf
mikroskopischem Wege nachweisen konnte. Der makroskopische
Befund in solchen Fällen ist oft negativ oder so unbedeutend, dass
er leicht übersehen werden kann.
, uElwe 'd ‘ f f u s e Enzephalitis kann sich ebenfalls lediglich
duich Herdsymptome aussern, was Vortragender in einem eklatanten
ralle erlebt hat. Zum Schluss hebt Vortragender hervor, dass die
Hirnerkrankung, welche mit am häufigsten infolge der auftretenden
Herdsymptome zu Irrtiimern Veranlassung gibt, der chronische
Hydrozephalus sei, indem meistens ein Hirntumor diagnosti¬
ziert wird.
Es ist unsete Aufgabe, die Herdsymptome genauer zu erforschen,
uai ,fie J)11* grösserer Sicherheit differenzieren zu können. Vielleicht
durfte hierbei ausser der Lumbalpunktion das neue Verfahren der
Hirnpunktion nach N e i s s e r und Pfeiffer, sowie die Röntgen¬
aufnahme des Schädels von grossem Nutzen sein, um die Allgemein¬
erkrankungen, wie Meningitis, Enzephalitis und Hydrozephalus, besser
zu erkennen, als es bis jetzt möglich war.
v. Eiseisberg- Wien und v. Frankl - Hochwart - Wien •
Leber operative Behandlung der Hypophysistumoren.
A, v< E r a n k 1 - H o c h w a r t berichtet zunächst über einen Fall von
Akromegalie, der einen 20 jährigen Kaufmann betrifft. Seit 1899 be¬
standen sehr starke Kopfschmerzen; die Untersuchung ergab schon
im Jahre 1901 linksseitige Amaurose infolge Optikusatrophie, rechts¬
seitige Hemianopsie und leichte Neuritis optica, starke Adipositas
und minimale Behaarung an den Pubes und in den Achselhöhlen.
Unter Thyreoidmbehandlung erfolgte Rückgang der Kopfschmerzen
und Besserung des Sehvermögens, die Fettentwicklung ging nie
rötlich zurück, auch kam es nie zu geschlechtlichen Erregungen.
Seit 190p wieder Verschlechterung des Gesamtzustandes und neuer¬
liches Aultreten der rechtsseitigen Hemianopsie. Die Röntgenunter¬
suchung ergab Destruktion des Keilbeinkörpers und der Sattellehne
Processus clinoidei waren erhalten.
. Gelegentlich der Demonstration dieses Falles wurde von Fröh¬
lich der Satz aufgestellt: „dass bei Symptomen, die auf einen Tumor
in der Gegend des Hirnanhanges hinweisen, bei Fehlen akromegalischer
Symptome das Vorhandensein anderweitiger, trophischer Störungen
eine lasch sich entwickelnde Fettleibigkeit oder auch an Myxödem
erinnernde Hautveränderung, auf die Hypophysis selbst als Ausgangs¬
punkt der Neubildung hinweist. Allerdings beweist das Fehlen solcher
Erscheinungen nichts gegen das Vorhandensein eines Tumors des
Hirnanhanges .
Dei Vor ti agende berichtet kurz über einen ähnlichen, von A.
B e r g e r beobachteten Fall, bei welchem auf Grund dieses dia¬
gnostischen Satzes die richtige Diagnose auf Geschwulst der Hvpo-
physisgegend gestellt wurde. Da bei dem zuerst erwähnten Pa¬
tienten die Kopfschmerzen sehr heftig wurden und die Sehschärfe
rapid sank, wurde ein operativer Eingriff vorgenommen, über welchen
v. Eiseisberg berichtet.
Nach Umschneidung der Nase an ihrer Wurzel und Aufklappung
nach rechts wurde der Septum durchtrennt und die obere Muschel
entfernt.
Blosslegung des Sinus frontalis, Eröffnung und Wegmeisselung
der vorderen Wand, stückweise Wegnahme der Vomer bis an seinen
Ursprung Abschaben des Periosts bis zur vorderen Wand des Kcil-
bcins und Blosslegung der vorderen Wand der Keilbeinhöhle. Vor-
hJvhll1SeT Aufmej?seluns der Keilbeinwand, Eröffnung der Keilbein-
MpmKrJn d-em7'ef.e d®rTsel^e.n wurde eine weissliche, haselnussgrosse
mbian sichtbar; auf Inzision entleerten sich mehrere Esslöffel einer
nach altem Blute aussehenden Flüssigkeit. (Zyste entsprechend der
Hypophyse.) Nach Entfernung der Ränder des Hohlraums wurde
tamponiert, die Nase reponiert und vernäht. Die histologische Unter-
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2157
suchung der Sackwand Hess vermuten, dass es sich um ein Karzinom
handeln könne. Der Wundverlaüf war ein guter, subjektiv besserte
sich der Zustand insofern, als die Kopfschmerzen kaum mehr auftraten
und auch das Sehvermögen sich besserte. Das Gesichtsfeld hatte
sich temporal bedeutend erweitert, auch war merkwürdigerweise am
linken total amaurotischen Auge eine geringe, aber immerhin deut¬
liche Lichtreaktion der Pupille zu erzielen. Das Körpergewicht hat
um 2 Kilo abgenommen.
Kühne- Kottbus : Die kontinuierliche Bezold-Edelmann-
sche Tonreihe als Untersuchungsmethode für den Nervenarzt.
Vortragender schildert zunächst die Handhabung der Bezold-
Edel mann sehen Tonreihe und bespricht dann die Hörstörungen,
soweit sie den Neurologen interessieren. Eingehend werden die trau¬
matischen Schädigungen des Hörorganes gewürdigt. Die kontinuier¬
liche Tonreihe kann in solchen Fällen oft sehr wertvolle diagnostische
Aufschlüsse geben.
A. S c h a n z - Dresden: Demonstration von chirurgisch-ortho¬
pädisch behandelten Lähmungen.
Vortragender demonstriert zunächst 2 Kinder, an denen die
durch Kinderlähmung vollständig gelähmten Kniestrecker aus der
Beugegruppe durch Transplantation ersetzt sind. Beide Patienten,
frühere Krückengänger, gehen jetzt ohne jede Stütze. In 4 weiteren
Fällen von spinaler Kinderlähmung wurde durch die Behandlung, in
welcher immer die Quadrizepsplastik den wichtigsten Punkt bildet,
freie selbständige Bewegungsfreiheit erlangt. Ein Fall von Pes
equinovarus paralyticus wurde durch Verlagerung der -Peroneussehne
nach vorn von dem äusseren Knöchel korrigiert, weiter ein Fall von
Schlotterfuss mit Kombination von Sehnentransplantation und Ortho-
dese behandelt. Bei einem Fall von Schulterlähmung ist eine Funk¬
tionsbesserung durch Transplantation der Trapezius in den Deltoides
erreicht worden. Weiter werden 2 Kinder mit spastischen Lähmungen
vorgeführt, die ganz bewegungsunfähig waren und bei denen durch
Muskel- und Sehnendurchschneidungen die Bewegungsfähigkeit so
gebessert wurde, dass sie jetzt frei ohne Stütze gehen können.
Kohnstamm - Königstein und W a r n k e - Berlin : Demon¬
strationen zur physiologischen Anatomie der Medulla oblongata.
'Unter den -in der Medulla oblongata entstehenden Neuronen ist
neben den motorischen Haubenkernen ein „Centrum sensorium“ zu
unterscheiden. Dasselbe nimmt Endigungen der gekreuzten sen¬
siblen Spinalbahn und gekreuzter Sekundärneurone aus den sensiblen
Hirnnervenkernen auf und entsendet einen ungekreuzten Tractus
bulbo-thalamicus ascendens, der in den Endstätten des Schleifen¬
systems endigt. Damit ist die gekreuzte sensible Bahn lückenlos
erkannt. Demonstration des sensiblen und motorischen Anteils der
Formatio reticularis an Photogrammen, die W a r n k e im berliner
neurobiologischen Institut nach seinen Nisslpräparaten hergestellt
hat, sowie an eigenen Marchi- und Nissl-Degenerationspräparaten.
W a r n k e demonstriert Einzelheiten des Seitenstrangkerns. Aus¬
führliche Publikation im Journal für Psychologie und Neurologie.
IV. Sitzung.
Vorsitzender: Mingazzini - Rom.
0 p p e n h e i m - Berlin: Allgemeines und Spezielles zur Pro¬
gnose der Nervenkrankheiten.
Der Vortr. zeigt an einer Reihe von Krankheitsformen, dass die
Prognose im Laufe der Zeit viel günstiger sich gestaltet habe, als es
den früheren Erfahrungen und Anschauungen entspreche. Er führt
dies aus für die Tabes, Sclerosis multiplex, -den Tumor medullae spi-
nalis, die Poliomyelitis, den Tumor cerebn (Pseudotumor), Abszessus
cerebri, die Psychasthenie, die Tics u. a. Dieser Wandel in den Auf¬
fassungen und Tatsachen se'i auf verschiedene Momente zurück¬
zuführen:
1. auf die Fortschritte in der Therapie, besonders der Chirurgie;
2. durch Fortschritte in der Erkenntis der Ursachen;
3. Fortschritt in der Diagnosestellung;
4. auf die Tatsache, dass nicht nur die Infektionen, sondern auch
die aus ihnen hervorgehenden Nervenkrankheiten ihren Charakter
ändern (Lues, Poliomyelitis);
5. dass auch die Individuen sowohl wie die Generationen in ihrer
Reaktion auf Krankheitsstoffe einem Wechsel unterliegen;
6. die Abgrenzung der Krankheitsbilder wurde ursprünglich ana¬
tomisch, d. h. bei tödlich verlaufenden Fällen vorgenommen, dadurch
wurde bezüglich der Prognose einer zu ernsten Auffassung Raum ge¬
geben;
7. die Erfahrungen der Privatpraxis sind anderer Art als die
der Klinik, wo die relativ schwerer Erkrankten zur Behandlung
kommen.
Vortragender schliesst mit dem Mahnwort, mit der Prognose vor¬
sichtig zu sein und besonders den Kranken gegenüber pessimistische
Auslassungen zu vermeiden.
V e r a g u t h - Zürich: Die Bedeutung des psycho-galvanischen
Reflexphänomens.
Der Vortrag eignet sich nicht zu kurzem Referate. (Cfr.
Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie 1906.)
P f e i f f e r - Halle: Cysticercus cerebri mit dem klinischen Bilde
einer kortikalen sensorischen Aphasie, durch Hirnpunktion diagnosti¬
ziert.
Vortragender berichtet über einen Fall, bei welchem mittels
Hirnpunktion eine im linken Schläfenlappen lokalisierte Zystizerkus-
erkrankung des Gehirns festgestellt wurde, nachdem vorher auf
Grund der Anamnese und des klinischen Befundes die Diagnose eines
Tumors des linken Schläfenlappens gestellt worden war.
Die Erkrankung begann 7 Wochen vor Aufnahme mit Kopf¬
schmerz und einer Sprachstörung (sensorische Aphasie). Dazu kam
eine, bald wieder zurückgehende, rechtsseitige Hemiparese.
Von subjektiven Allgemeinsymptomen waren nur Kopfschmerzen
und rechtsseitige Benommenheit zu konstatieren. Der objektive Be¬
fund ergab Stauungspapille, links stärker als rechts ausgesprochen,
eine leichte rechtsseitige Fazialisparese im unteren Ast, kortikale sen¬
sorische Aphasie, leichte rechtsseitige spastische Parese, ferner
beiderseits transkortikale motorisch-apraktiache Störungen, zuweilen
auch ideatorisch-apraktische Erscheinungen.
Durch Hirnpunktion wurde am mittleren Teil der ersten linken
Schläfewindung ein grauweisses Gewebsstückchen gewonnen, dessen
mikroskopische Untersuchung ergab, -dass es sich nur um die Wan¬
dung einer Zystizerkenblase handeln konnte.
Das Ergebnis der Punktion wurde durch die Operation voll¬
kommen bestätigt. Es fand sich eine Zystizerkenansammlung, die
teils im hinteren Teil der ersten linken Schläfenfurche, teils im
hinteren Abschnitt der Fossa Sylvii lokalisiert war, sowie ein bohnen-
grosser Zystizerku-s in der Rinde des hinteren Teils der ersten
Schäfenwindung selbst.
Trotzdem diese Zystizerken anscheinend sämtlich bei der Opera¬
tion entfernt wurden, gingen aber die Lokalsymptome nicht zurück
und es traten später noch weitere Lokalsymptome von seiten des
Kleinhirns und der rechten motorischen Region ein.
Vortragender geht auf die Schwierigkeit der Diagnose der Zysti-
zerkenerkrankung des Gehirns näher ein und hebt die Wichtigkeit
der Hirnpunktion auch für die Diagnose dieser Erkrankung hervor.
Bezüglich der operativen Behandlung -der Zystizerken weist er
darauf hin, dass der Fall zwar lehre, dass man auch bei nach dem
klinischen Befund anscheinend lokalisierter Zystizerkenansammlung
und bei anscheinend radikaler Entfernung derselben durch Operation
auf weitere Hirnsymptome durch Zystizerken anderen Sitzes, die
vorher keine klinischen Erscheinungen gemacht hatten, gefasst sein
müsse. Andererseits zeigen aber die Obduktionsbefunde einiger
Fälle, dass isolierte, oder herdförmig lokalisierte Hirnzystizerken. deren
chirurgische Behandlung möglich gewesen wäre, unter schweren Er¬
scheinungen zum Tode führten. Die Operation derartiger Fälle sollte
stets versucht werden und die Hirnpunktion kann, wie der Fall zeigt,
zur richtigen Diagnose solcher Fälle verhelfen.
E. S c h w a r z - Riga: Ueber akute Ataxie.
Vortragender berichtet über 2 Kranke mit ungewöhnlich hoch¬
gradiger Ataxie und ganz akuter Entstehung derselben nach exzes¬
sivem chronischen Alkoholmissbrauch. Der eine Kranke bot die aus¬
gesprochenen Erscheinungen einer alkoholischen Polyneuritis mit
leichter motorischer Schwäche, starken Sensibilitätsstörungen und
fehlenden Kniephänomenen. Der 2. Fall bot noch eine gewaltigere
Ataxie der oberen und unteren Extremitäten, die durch Augenschluss
in keiner Weise verschlimmert wurde (lokomotorische und statische
Ataxie). Die Sensibilität war tadellos erhalten, -die Kniephänomene
gesteigert.
Vortragender fasst in beiden Fällen -die Ataxie als eine motorische
zentrale zerebrale Ataxie auf und möchte 4 Formen der akuten Ataxie
unterschieden wissen:
1. die akute zerebrale Ataxie bei multiplen Herden,
2. die akute polyneuritisch-e Ataxie,
3. die akute motorische zentrale Ataxie,
4. die zerebellare akute Ataxie (Bechterew).
Mingazzini- Rom berichtet über einen Fall von transzen¬
traler sensorischer Aphaxie.
S c h u s t e r - Berlin: Ueber die antisyphilitische Behandlung in
der Anamnese der an metasyphilitischen und syphilitischen Nerven¬
krankheiten Leidenden.
Sch. suchte festzustellen, ob die mehr oder minder intensive Be¬
handlung der Syphilis von Einfluss ist auf die Entstehung der meta¬
syphilitischen und syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems.
Die Ansichten früherer Autoren über die event. präventive Kraft der
antiluetischen Behandlung hinsichtlich der Verhütung nervöser Leiden
weichen erheblich von einander ab, ja stehen sich diametral gegen¬
über. Vortragender verfügt über 186 Fälle, davon sind 75 Tabiker,
35 Paralytiker und 76 Patienten mit zerebrospinaler Lues. Bei allen
war Lues vorhanden gewesen, bei allen war in der Krankengeschichte
eine Notiz über die vorangegangene merkurielle Behandlung (meist
Schmierkur). In Uebereinstimmung mit den Arbeiten Eulenburgs
-und D i n kle r s zeigt auch das Material Sch.s einen kleinen Prozent¬
satz gänzlich unbehandelter Fälle (in maximo 23 Proz.). In 17 bis
19 Proz. der Fälle fanden zahlreiche (3 — 9) Kuren statt. Weiter
stellte Vortragender an seinem Material fest, dass bei den nicht und
schlecht behandelten Fällen die Latenzzeit, d. i. die zwischen der
syphilitischen Infektion und dem Auftreten der ersten nervösen Zeichen
liegende Zeit, auch nicht kleiner ist, als in -den gut behandelten Fällen.
Er kommt auf Grund -seines Materials keinesfalls zu dem Schluss, -dass
ein Nutzen der merk-uriellen Behandlung hinsichtlich der Verhütung
nervöser Nachkrankheiten erweislich sei. Weiter berichtet Sch. noch
über 16 serologische Untersuchungen an Paralytikern, I abikern und
2158
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Patienten mit Lues cerebrospinalis, welche in seiner Poliklinik von den
Herren Dr. Citron und Dr. Mühsam ausgeführt worden sind.
Ls fanden sich in einem grossen Prozentsatz der Fälle Antikörper im
Blut, jedoch liess sich eine deutliche Einwirkung des Umstandes, ob
die Kranken mit Hg behandelt worden waren oder nicht, auf den
Qehalt an Antistoffen nicht feststellen. Sch. neigt zu der Ansicht, dass
die Behandlung der primären Lues deshalb den Ausbruch der meta¬
syphilitischen Leiden nicht verhüten könne, weil die Hg-Therapie die
Antistoffe nicht aus dem Blute beseitigen könne. Hiermit nähert er
sich einer gelegentlich von Wer nicke ausgesprochenen und von
L ö w e n t h a 1 - Liverpool auf rein spekulativem Wege gestützten
Vermutung, nach welcher die Antikörper die Hauptnoxe für das
Nervensystem darstellen sollen.
Erben -Wien: Beobachtungen bei ataktischen Tabikern.
Bei ataktischen Tabikern ist die Fussohlenempfindlichkeit regel¬
mässig herabgesetzt. Die Qieichgewichtsprüfungen, besonders am
Vestibularapparat -ergeben normale Verhältnisse. Die Gelenkunruhe
der atakten Tabiker beruht auf Ausfall der Tiefensensibilität. Somit
setzt sich die tabische Ataxie aus 2 Komponenten zusammen: Ausfall
der Fussohlenempfindlichkeit und der Tiefenempfindung. — Dem Ta¬
biker fehlt nicht die „Balanze“ (die antagonische Funktion von
Beuger und Streckmuskel). Solange der Muskel in Ruhe ist, sind die
Schwankungen grösser als bei stärker kontrahierten Muskeln. Beim
Stehen ist der Quadrizeps ohne jede Kontraktion.
F 1 a t a u - Berlin : Fehlen des Achillesphänomens.
Von den Sehnenphänomenen, deren Fehlen diagnostische Be¬
deutung hat, stehen das Kniephänomen und der Achillessehnenreflex
im Vordergund. Ueber das letztere ist noch keine Einigkeit erzielt
worden. In der Literatur schwanken die Angaben zwischen 80 Proz.
Fehlen bei nicht nervöser Erkrankung bezw. Gesunden und einer
Konstanz, die dem des Kniephänomens gleich kommt. Auf Grund
eines Materiales von 250 Fällen kommt Fl. zu folgenden Schlüssen:
1. Als Prüfungsmethode kommt diejenige im Knien nach Babinski
an erster Stelle. 2. Im Vergleich zu den Trizepsphänomenen ist das
Fersenphänomen konstant. 3. Es ist weniger konstant als das Kni'e-
phänomen und leidet schneller unter mechanischen Verhältnissen,
Alter, Ernährungstörungen. 4. Das Fehlen des Achillesphänomens ist
immer beachtenswert, hat aber weniger Bedeutung als das Fehlen
des Kniephänomens.
14. Internationaler Kongress für Hygiene u. Demographie
Vom 23.-29. September 1907 zu Berlin.
III.
Sektion I. Hygienische Mikrobiologie und Parasitologie.
1. Aetiologie der Tuberkulose.
Von den vom Kongresse aufgestellten Referenten vertrat C,
r l u gg e -Breslau den Standpunkt, dass die Inhalation des Tuber¬
kelgiftes einen Infektionsmodus darstellt, welcher in bezug auf die
sein niediige untere Grenze der infektiösen Dosis sich der gleichfalls
sehr wirksamen subkutanen Infektion anreiht, während bei.V e r -
t ii 1 1 e r u n g von 1 uberkelbazillen, so dass sie nur vom Darm oder
vom Rachen aus in den Körper eindringen können, millionenfach
grossere Bazillenmengen als bei der Inhalation zur Hervorrufung
manifester Krankheitserscheinungen erforderlich sind; der Ausbruch
der letzteren und das tödliche Ende erst später eintreten. Inhalierte
Bazillen werden keineswegs — w.ie von einigen Autoren behauptet
- erst dadurch wirksam, dass ein Teil derselben verschluckt
w ird und vom Darm oder Rachen aus eindringt.
Dass die Einatmung wirklich einen Teil der in der Luft in
I röpfchenform inhalierten Tuberkelbazillen bis in die feinsten Bron¬
chien führt, davon kann man sich leicht überzeugen, indem man kurz
nach der Inhalation die peripheren Teile der Lunge
auf Meerschweinchen verimpft. Letztere gehen
dann an Impftuberkulose zu Grunde.
Ohne weiters ist aber aus diesen experimentellen Tatsachen ein
bchluss auf die Bedeutung des einen oder andern Weges für die
natürliche Verbreitung der Tuberkulose nicht statthaft, -hier ist
vor allem auf die Gelegenheit der Aufnahme von Tuberkel¬
bazillen zu achten können diese wesentlich häufiger durch den
Verdauungskanal als durch die Atmungsorgane in den Organismus
gelangen, so verliert letzterer Weg der Infektion an praktischer Be¬
deutung gegenüber dem ersteren.
Die Infektionsgelegenheiten liegen für die Menschen wesentlich
'anHT;Tie fÜ-rx II6, ^wirtschaftlichen Nutztiere; werden Schweine
und Kälber mit Milch von tuberkulösen Kühen aufgezogen, so iiber-
wiegt diese Infektionsgelegenheit vollständig und die Tiere gehen
sämtlich an intestinaler Infektion (bezw. Aspirationstuberkulose) zu
Grunde. — Die der intestinalen Infektion entgangenen Rinder können
dagegen an Inha ationstuberkulose erkranken, indem sie
durch den Autenthalt in der Nähe hustender tuberkulöser Rinder ge-
TrMoherSmit wlrCd WelC“e ^ L“ft *»berkelbazille„haltiEe„
Für den Menschen komme hauptsächlich die Inhalations¬
tuberkulose besonders in Form der B l.ä s c h$ n infektion in Frage
weniger tuberkelbazillenhaltiger Staub, da die B i 1 du n g feinster
flugfähiger Stäubchen aus S p u t u m schwierig und
selten ist; unter Umständen kann bei Kindern intestinale
Infektion durch tuberkelbazillenhaltige Milch oder Butter oder auch
durch das in den Mundbringen mit Sputum beschmutzter Finger
entstehen.
L. Schrötter - Wien vertritt einen ähnlichen Standpunkt, in¬
dem er sagt, dass weitaus am häufigsten die Lunge primär an
Tuberkeln erkrankt, sie sei das Organ, das gerade spezifisch auf den
Tuberkelbazillus reagiert.
R i b b e r t behauptet auf Grund von Leichenbefunden, dass die
Tuberkulose weitaus am häufigsten in den Bron¬
chi a 1 d r ü s e n -und in den Lungen lokalisiert sei, die Tuber¬
kulose der Bronchialdrüsen ist in der bei weitem überwiegenden
Zahl der Fälle die einzige Lymphdriisentuberkulose.
Masyck P. Rasenei- Philadelphia vertritt dagegen den
Standpunkt, dass der Verdauungskanal häufig die Eintritts¬
pforte bei den Tuberkelbazillus bilde: Die Bazillen gehen mit dem
Speisesaft durch die Lymphgefässe und durch den Ductus thoracicus
ins Blut, welches sie in die Lungen führt, in denen sie durch die
filtrierende Wirkung des Gewebes in grossem Masse zurückgehalten
werden. Die Ansteckung durch den Verdauungskanal ist besonders
häufig bei Kindern.
Ferner kann Tuberkulose durch Berührung, wie Küssen, un¬
reine Hände usw. übertragen werden.
S. A r 1 o i n g - Lyon spricht über die Veränderlichkeit
des Infektions Vermögens (Virulenz) der T-uberkelbazillen;
er ist der Anschauung, dass es nur einen einzigen Bazillus dieser
Krankheit gibt und dass die von den verschiedenen Autoren ge¬
fundenen Arten einfach zeitweilige Varietäten sind, deren anscheinend
ständige Form nicht länger dauert als die Verhältnisse der Um¬
gebung, unter denen sie entstanden sind; streng abgegrenzte Typen
seien überhaupt selten zu finden.
Vom hygienischen Standpunkte liege daher eine wirkliche Gefahr
darin, auf so wenig beständigen Unterschieden die Prinzipien für die
Tuberkulosebekämpfung zu gründen.
2. Die Bazillen der Typhus gruppe.
Le nt z - Berlin: Typhus und Paratyphus sind bak-
teriämische Krankheiten, bei welchen die Krankheitserreger
durch die lymphatischen Apparate des Verdauungstraktus aufgenom-
men werden und in diesen, nämlich Mesenterialdrüsen, Milz und
Knochenmark, sich vermehren. Von dort werden sie in die Blutbahn
eingeschwemmt und gelangen von hier in erster Linie durch die Leber
mit der Galle und durch die Nieren mit dem Urin in die Ausscheidungs¬
wege des Körpers. Im D a r m i n ’h a 1 1 vermehren sich diese Krank¬
heitserreger nicht, gehen hier vielmehr zu Grunde.
E p i deiniolog Ls c h wichtig sind bei beiden Krankheiten, (die
an sich ätiologisch, klinisch und pathologisch-anatomisch von einander
wohl zu unterscheiden sind, die leichten Erkrankungen, die Aus¬
scheidung von Krankheitserregern durch klinisch Gesunde, die Aus¬
scheidung durch den Urin und protrahierte Ausscheidung während der
Rekonvaleszenz und darüber hinaus, beim Paratyphus ausserdem die
Identität des Erregers mitdemBac. typhi murium, Bac. suipestifer und
Bac. enteritis (Flügge-Kaensche).
Bei den (durch den Erreger der Fleischvergiftung erzeugten
Krankheiten stehen im Vordergründe des Krankheitsbildes die In-
toxikationserscheinungen, welche -durch «die in «den infizierten Speisen
enthaltenen Toxine ausgelöst werden. An die Intoxikation kann sich
durch Uebertritt der Bakterien in die Lymphapparate und die Blut¬
bahn eine mehr oder weniger typhusähnliche bakteriämische Er¬
krankung anschliessen.
Epidemiologisch wichtig ist ferner, dass der Typus Flügge-
Kaensche der Enteritisbazillen mit den Bakterien der Hog-Cholera
Gruppe identisch ist, der Typus Gärtner mit rattenpathogenen
Bakterien, dem Rattin (Dunbar), sowie den Bazillen von D a n y s z
und Issatschenko.
R 9 ? ^ r m °.n * un,c* Lesicur teilen mit, dass sogen. Para-
tj phusinfektionen in Frankreich ziemlich selten seien; sie verlangen
zui Sicherung der Diagnose, ob I yphus oder Paratyphus vorliege,
dass nicht nur die Seroreaktion angestellt wird, sondern dass auch
Reinkulturen aut dem Blut gezüchtet werden; die Bezeichnung Typhus
und Pai aU phus müsse verschwinden, da beide Krankheiten und ihre
Erreger streng spezifische Eigentümlichkeiten haben.
L ö ff 1 e r - Greifswald betont die Notwendigkeit der Differen¬
zierung der einzelnen in die grosse Gruppe der Typhen gehörigen
Spezies und schlägt zur Klärung dieser Frage vor, eine internationale
Kommission zu gründen.
3. Meningokokken und verwan
ate Bakterien.
••uWLV^LlÄlge sheim'Beuthen °--Schl.: Die in Oberschlesiei
wahrend der Genickstarreepidemie 1904/05 und später beobachtete.
Meningokokken zeigten die Eigenschaften, welche von Weichsel
bäum und seinen Mitarbeitern angegeben sind: sie traten auf ii
Form von D i p 1 o - und T etrakokken, ohne Neigung zu Ketten
bidung stets Gram-negativ; sie gedeihen am besten bei Bruttempera
tur, nicht mehr unter „5 C, sind gegen Austrocknung sehr empfindlich
; Vchere Nennung der Meningokokken gestattet nur das Kulturver
fahren: Verarbeitung des Untersuchungsmaterials geschah meist au
durchsichtigen Nährböden.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2159
Der mikroskopische Nachweis intrazellulär gelegener Kokken
von dem Aussehen und dem tinktoriellen Verhalten der Meningo¬
kokken macht nur dann die Diagnose wahrscheinlich, wenn es sich
um Punktionsflüssigkeiten, Abszess der weichen Hirnhäute etc. han¬
delt. Bei Untersuchung von Nasensekreten ist der bloss mikro¬
skopische Nachweis solcher Gebilde völlig belanglos.
Zur Sicherung der Diagnose wurde auch mit Erfolg die Aggluti¬
nationsprobe mit spezifischem Serum angewandt.
A. G hon -Wien: Der Meningokokkus Weichselbaum ist der
ausschliessliche Erreger einer besonderen Form von akuter Menin¬
gitis, die teils sporadisch, teils epidemisch auftritt.
Die Eintrittspforten des Meningokokkus in den mensch¬
lichen Organismus dürften in der Regel die Nasenhöhle oder der
Nasenrachenraum sein, wo er entweder eine manifeste Ent¬
zündung hervorrufen oder sich wie ein Saprophyt verhalten kann
(Kokkenträger). Die hier erzeugte Entzündung kann lokal bleiben
oder sich mit oder ohne Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase
und der Paukenhöhlen auf die Hirnhäute fortsetzen. In diesem Falle
kann der Meningokokkus auch in andere Organe verschleppt werden
und entzündliche Veränderungen derselben hervorrufen.
Von den Verwandten des Meningokokkus Weichsel¬
baum besitzen noch zwei Arten für den Menschen krankheits¬
erregende Eigenschaften, nämlich der M.icrococcus gonor-
rhoeae Ne iss er und der Micrococcus catarrhalis
Pfeiffer.
Von den nicht pathogenen Verwandten, deren Zahl eine grosse
zu sein scheint, leben viele als Saprophyten auf verschiedenen
Schleimhäuten des menschlichen Organismus, vor allem auf den
Schleimhäuten des oberen Respirationstraktus.
4. Ueber krankheitserregende Spirochäten und die
Aetiologie der Syphilis.
D o f 1 e i n spricht über krankheitserregende Spirochäten, diese
sind den Protozoen anzugliedern; in dem ausführlichen Berichte über
die bisher gemachten Beobachtungen werden die morphologischen und
biologischen Eigenschaften derselben näher erörtert.
C. L e v a d i t i - Paris (Institut Pasteur): Abgesehen von der
Syphilis, (der tropischen Framboesia und einer Schweinedermatide, sind
alle Spirillosen Blutinfektionen. Die Spirillen des europäischen und
des amerikanischen Rekurrensfiebers, des Zeckenfiebers (afrikani¬
schen Rekurrensfiebers), sowie die Spirillen der Gänse, Hühner etc.
ruhen im Blutkreislauf, wo sie sich in ausserordentlicher Weise ver¬
mehren. Ob die Spirillen den Protozoen zuzurechnen seien, diese
Frage könne zurzeit noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden.
Krankheitserregende Spirillen ausserhalb des lebenden Organismus zu
züchten, sei bisher noch nicht möglich gewesen (bisher meist Züch¬
tung in Kollodiumsäckchen, die in das Peritoneum von Kaninchen ein¬
geführt wurden, unter diesen Verhältnissen behalten die Parasiten
zum Teil ihre Virulenz auf längere Zeit).
Viele der bekannten Spirillosen sind Rückfallkrank-
h eiten; der erste Anfall endet mit einer Krisis oder Lysis, während
welcher die Spirillen mehr oder weniger schnell aus dem Blutkreis¬
lauf verschwinden. Das Verschwinden der zirkulierenden Parasiten
wird nicht durch die bakteriolytischen Antikörper verursacht, denn
diese Antikörper (Lysine oder Agglutinine) erscheinen erst einige Zeit
nach der ersten Krisis oder Lysis. Die Krisis wird vielmehr durch die
Aufnahme der Spirillen durch die Phagozyten verursacht und
durch deren intraprotoplasmatische Vorrichtung, wie die mikro¬
skopische Prüfung ergeben hat.
Die Ursache von Rückfällen ist, dass eine Anzahl von
lebenden und giftigen Parasiten aus der Krisis unbeschädigt hervor¬
gehen. . „
Die spirillolytischen Antikörper erscheinen im Blute ungefähr
48 Stunden' nach der ersten Krisis. Die aus der ersten Krisis ent¬
kommenden Spirillen sind nach bisherigen Untersuchungen gegen
Antikörper immun; der Rückfall ist also weiters durch diese Immuni¬
sierung der Spirillen ermöglicht.
Gewisse Spirillen sind durch Ektoparasiten übertragbar (z. B.
durch die Wanze die europäische Spirillose).
Impfung zur Immunisierung gegen Spirillose geschieht mit
Erfolg durch Einspritzung vorher a b g e t ö t e t er Spirillen, auch
S'erot'herapie ist möglich.
Zur Behandlung empfehlen sich chemische Mittel, z. B.
Atoxyl bei Hiihnerspirillose.
L a n d s t e i n e r - Wien spricht über Immunität und
Serodiagnostik bei menschlicher Syphilis.
Nach der Syphildsinfektion treten im erkrankten Organismus Ver¬
änderungen ein, welche eine erneute Infektion, einen typischen Pri¬
märaffekt, nicht mehr hervorrufen lassen; die$e Immunität ist jedoch
keine absolute, sie hängt ab von der jeweiligen Reaktion des Körpers
auf das Krankheitsgift.
Der Nachweis von Syphilisantikörpern ist bei Tieren bereits ge¬
lungen, wenn man ihnen in grösserer Menge Syphilismaterial in¬
jizierte; vielleicht kann dies später zu diagnostischen Zwecken beim
Menschen Verwertung finden.
Die Versuche, ein als Impfstoff verwendbares, abgeschwächtes
Virus herzustellen, haben noch kein eindeutiges Resultat ergeben.
E. Hoffmann- Berlin: P a r-as i t e n b e f u nde bei mensch¬
licher Syphilis.
Die Spirochaete pallida ist bei akquirierter Syphilis mit grosser
Regelmässigkeit in fast allen Krankheitsprodukten der Frühperiode
und mehrfach auch bei Späterkrankungen (Papeln, Gummen, Aortitis)
nachgewiesen worden, mitunter konnte sie auch bei im sekundären
Stadium Verstorbenen auch in inneren Organen (Milz, Nebenniere,
Leber, Lunge, Hirnarterien) aufgefunden werden.
Bei kongenital-syphilitischen Kindern und Föten sind ausser der
Haut auch die inneren Organe mit Spirochäten oft geradezu über¬
schwemmt.
Im Ausstrich lässt sich die Spirochäta am besten mit Giemsa-
1 ö s u n g, im Schnitte am schönsten durch Versilberung dar¬
stellen: Zur Diagnose empfiehlt sich neben der Schnellfärbung nach
Giemsa die irische Untersuchung mit Dunkelfeldbeleuch¬
tung. . . •. o
Die Spirochaeta pallida ist durch die Feinheit und das schwache
Lichtbrechungsvermögen ihres Fadens, ihrer grossen Länge im Ver¬
hältnis zur Tiefe, Steilheit und Regelmässigkeit der Windungen und
die häufig vorkommenden langen Endfäden charakterisiert.
Die Vermehrung geschieht wahrscheinlich durch Längsteilung
wie bei den Trypanosomen, oder nach Anschauung anderer Forscher
durch Querteilung wie bei den Bakterien.
Züchtungsversuche sind bis jetzt nicht gelungen.
Die Spirochaeta pallida ist unzweifelhaft der
Erreger der Syphilis.
Die gleiche Anschauung sprach auch B a c g d a r e 1 1 i - Turin
aus, während Dr. S i e g e 1 - Berlin als Gegner dieser Auf¬
fassung a u f t r a t.
Die Spirochaeta pallida habe keine feste typische Form, man
könne sie nicht von den saprophytischen Arten unterscheiden, bei
bösartiger Syphilis fehlten die Spirochäten in den inneren Organen
immer, ebenso gelinge der Nachweis in den Organen syphilitischer
Affen nicht. Die Silberfärbung sei stets unzuverlässig und zweideutig,
man findet dabei nämlich Spirochäten auch bei Lungengangrän, bei
Keratitis parenchymatosa und bei Mazerationsnekrosen.
Wir finden die Spirochaeta pallida auch in den hohlen Zähnen
gesunder Menschen, bei Krebs und nicht syphilitischen Geschwüren etc.
Die Syphilis sei keine Spirillose, sondern gehöre zu den akuten
Exanthemen.
Woyte berichtet über D u r i n e, eine durch eine T rypanosomart
hervorgerufene Blutkrankheit der Pferde, die bei der Begattung über¬
tragen wird. Zur Behandlung derselben wird mit Erfolg Atoxyl
verwendet.
Manteuffel - Berlin spricht über Rückfallfieber; durch
neuere Untersuchungen ist festgestellt, dass Rückfallfieber durch
Läuse von einer Ratte zur anderen übertragen werden kann, es
ist demnach nicht ausgeschlossen, dass Rückfallfieber auch bei
Menschen durch derartiges Ungeziefer, wie Flöhe, Läuse, Wanzen
übertragen werden kann.
5. Krankheitserregende Protozoen.
v. Wasielewski: Alle schmarotzenden Protozoen können
gelegentlich als Krankheitserreger auftreten. Für den Menschen
pathogen sind Amöben, Flagellaten, Hämosporidien,
Sarkosporidien.
Von Darmflagellaten höherer Tiere kommt die Gattung
Lambia gelegentlich auch bei Menschen als Erreger von Darm¬
katarrhen zur Beobachtung.
Die Blutflagellaten stammen von Darmschmarotzern der
W'ürmer und Insekten ab; mit der Gewöhnung der Wirtstiere an Blut¬
nahrung erfolgte eine Anpassung der Darmbewohner an die Blutkost,
ein Unempfindlichwerden gegen Blutgifte, sowie Steigerung der Ver¬
mehrungsfähigkeit durch die gelösten Nährstoffe des Blutes..
Die Wirbeltiere dienen für die Erhaltung der Blutflagellaten als
Depots, sind deshalb als Zwischenwirte zu bezeichnen.
6. Insekten als Verbreiter von Krankheiten.
Bruno Galli-Valerio-Lausanne: Die Anthropoden als
Verbreiter derKrankheiten sind unter 3 verschiedenen Gesichtspunkten
zu betrachten: 1. als einfache Träger der Parasiten, 2. als direkte
Ueberträger von Parasiten, 3. als Wirte von gewissen tierischen
Parasiten.
Dönitz: Die Zecken, Ixodidae, sind Zwischenwirte für
Spirochäten und Piroplasmen, d. h. beide Arten von Para¬
siten sind zur Erhaltung der Art auf den zeitweisen Aufenthalt im
Körper der Zecken angewiesen. Die erwähnten Tiere vermehren sich
nicht nur in den Zecken, sondern machen in ihnen auch einen Ent¬
wicklungsgang durch, nach dessen Ablauf die Parasiten erst wieder
ein Stadium erreicht haben, in welchem sie frische Tiere oder Men¬
schen zu infizieren vermögen. Bei manchen Krankheiten, z. B. beim
Texas- und Küstenfieber, sowie beim Rückfallfieber ist nachgewiesen,
dass die Parasiten auf die Nachkommenschaft vererbt werden.
Die A r g a s s i d e n (Argas und Ornithosorus) sind bisher nur als
Ueberträger verschiedener Arten von Spirochäten bekannt; die
Ixodinen (Boophilus, Rhipicephalus, Haemaphitalis, Ixodes) über¬
tragen Piroplasmen.
Zur Bekämpfung der durch die Zecken verbreiteten Krank¬
heiten hat sich bisher nur die Vertilgung der Zecken bewährt. Zur
erfolgreichen Durchführung dieser Massnahmen ist jedoch noch ge¬
naue Kenntnis der Lebensweise der Zecken und der verschiedenen
Arten derselben notwendig.
2160
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
7. Ueber die Methoden der Serumprüfung.
Kr aus -Wien: Der Antitoxin ge halt antitoxischer Sera
(Cholera, Dysenterie, Diphtherie) gibt nicht immer ein Mass für den
Heilwert.
Hin in vitro wirksames antitoxisches Serum kann im Heilversuch
unwirksam sein.
Zwischen Antitoxinmengen und Heilwert bestehen keine fixen
Beziehungen. Es kann ein minderwertiges Serum bei gleichen Mengen
unabhängig vom Antitoxingehalt bessere Heilwirkung ergeben als
solche hochwertige Sera; dem hochwertigen Diphtherieserum scheint
überhaupt eine geringere Heilwirkung zuzukommen als solchem,
welches weniger wert ist.
Die bisherige Wertbemessung nach Ehrlich zeigt die Menge
der Toxine an, berücksichtigt aber nicht den Heilwert eines Heil¬
serums.
8. Ueber neuere Immunisierungsverfahren.
J. B o r d e t - Brüssel: Wenn auch das Prinzip der aktiven Im¬
munisierung seit den fundamentalen Arbeiten Pasteurs keine
eigentliche Neuerung erfahren hat, so hat man sie doch vorteilhaft zu
verändern versucht, namentlich durch Anwendung von ab ge¬
sell Wächtern Virus zur Immunisierung, ferner hat man ver¬
sucht, das in einer Mikrobenkultur besonders wirksame immuni¬
sierende Prinzip genau festzustellen; auf diesem Gebiete ist man je¬
doch noch zu wenig befriedigendem Ergebnis gelangt, namentlich gilt
dies noch bezüglich der Tuberkulose.
Man wendet deshalb bei dieser Krankheit noch verschiedene
Immunisierungversuche an (Bovovakzin, Säckchenmethode).
Weitere Untersuchungen bezüglich der mutmasslichen Identität
zwischen Opsoninen und den Ambozeptoren (Substances sensibili-
satrices) oder Alexinen sind notwendig.
Die sogen. Aggressine stellen nicht das eigentliche Wesen der
Virulenz der Mikroben dar, verschiedene der Mikroben (Strepto¬
kokken, Milzbrand) verdanken ihre Virulenz in Wirklichkeit der ihnen
zukommenden Eigenschaft, sich mit einer Hülle zu umgeben, welche
sie gegen Phagozytose, das Hauptverteidigungsmittel des Organismus,
schützt.
Die Säckchenmethode (Einführung von Säckchen) stützt
sich auf den immunisierenden Wert der diffusiblen bakteriellen Pro¬
dukte.
Zur Feststellung des besten Verfahrens der Tuberkulosebehand-
iung sollte internationale Beratung stattfinden.
C a 1 m e 1 1 e - Lille und R. P a 1 1 a u f - Wien: Die Menge Anti¬
toxin, welche gegen eine tödliche Vergiftung präventiv schützt, ist
viel geringer als die, welche in vitro dieselbe Giftmenge neutralisiert.
Die Menge des produzierten Antitoxins steht in keiner Korrelation zur
Menge des injizierten Giftes.
Zur Gewinnung antitoxinhaltender Sera ist die Immunisierung mit
Giftlösungen notwendig.
Die Antiendotoxine sind nicht absolut spezifisch, sie können
auch andere Toxine (Partialtoxine) als das .homologe neutralisieren.
Eiir die therapeutische Beurteilung eines Immunserums bleibt
schliesslich immer der Erfolg bei der natürlichen Erkrankung bezw.
der experimentellen, der natürlichen Infektion möglichst nahestehen¬
den massgebend.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
vom 15.— 21. September 1907 in Dresden.
IV.
Abteilung für innere Medizin.
Sitzung der medizinischen Hauptgruppe vom
19. September, nachmittags.
Herren Chr. Bohr -Kopenhagen und N. Ph. Tendeloo-
Leiden: Die funktionelle Bedeutung des Lungenvolums in normalen
und pathologischen Zuständen.
Herr Bohr: Die Ergebnisse der Spirometrie sind bisher geringe
gewesen, weil man allein die Vitalkapazität mass und die Residual¬
luft und die mittlere Kapazität dabei vernachlässigte.
Die Mittelkapazität, d. h. der Füllungszustand der Lunge bei nor¬
maler Atmung, ist in ihrer Grösse stets von den an die respiratorische
Arbeit der Lunge gestellten Forderungen abhängig, und zwar sowohl
bei dem respiratorischen Stoffwechsel als auch unabhängig von ihm.
Dies letztere ist der Fall beim Einatmen einer sauerstoffarmen oder
kohlensäurereichen Luft. Nach angestrengter Arbeit stieg die Mittel¬
kapazität von 3,8 bis auf 4,2 1. Die Mittelkapazität zeigt eine Ver¬
mehrung unmittelbar nachdem man durch Anhalten des Atems einen
dyspnoischen Zustand erregt hat, eine Verminderung, wenn das Be¬
dürfnis des Atmens unmittelbar nach einer Reihe willkürlich unter¬
nommener forcierter Atemzüge herabgesetzt wird. Wird die Luno-e
stärker gefüllt, so wird die respiratorische Oberfläche grösser und die
Zirkulation des Blutes durch die Lunge erleichtert. Die Erleichterung
der Blutzirkulation verringert den Druck im Thoraxraum und damit in
den grossen Venen, bringt die Lungenkapillaren zur Erweiterung und
vermindert so den Widerstand im kleinen Kreislauf. Die Vital¬
kapazität stellt das Resultat einer willkürlich angestellten Probe
über die äussersten Grenzen der Füllung und Entleerung der Lunge
dar. Daher muss die Vitalkapazität bei verschiedenen Individuen
von höchst verschiedener Grösse sein. Aber sie schwankt auch bei
demselben Individuum innerhalb kurzer Zeiträume. Bei Anstren¬
gungen tritt eine Verminderung der Vitalkapazität ein. Bei dieser
Verminderung handelt es sich um ein Versagen des Vermögens, die
forcierte Atmung so tief auszuführen, wie es sonst möglich wäre.
Das Experiment zeigt, dass die Verminderung der Vitalkapazität einer
Vermehrung der Residualluft zu danken ist. Mit der Zunahme der
Residualluft stellt sich stets ein sehr beträchtliches Steigen der Puls¬
frequenz ein, und es unterbleibt die Vermehrung der Residualluft bei
unverminderter Herztätigkeit.
Die Resultate der Untersuchungen lassen sich in zwei gemein¬
gültige Regeln zusammenfasssen. Die Mittelkapazität nimmt ihre Ein¬
stellung stets reflektorisch den an die Lungenarbeit gestellten Forde¬
rungen gemäss ein, indem sie gleichzeitig mit dieser zu- und abnimmt.
Die Menge der Residualluft erweist sich als bis zu gewissem Grade
von der Lungenfunktion abhängig, doch tritt die Abhängigkeit erst
dann hervor, wenn die Herztätigkeit infolge einer sehr angestrengten
Arbeit stark beeinflusst ist.
Bei dem akuten Emphysem, das bei ungeübten Rekruten beob¬
achtet wird, handelt es sich um eine Zunahme der Residualluft durch
Reflexhemmung. Das wird oft auch für längere Zeit nach forcierten
Bergtouren beobachtet. Massgebend für die Dauer und den Grad der
Lungenlähmung ist der Zustand des Herzens. Die akute Lungen¬
blähung ist nicht als eine Beschädigung der Lunge, sondern als ein
zweckmässiger kompensatorischer Reflex zu betrachten, der Schwie¬
rigkeiten des Kreislaufs zu beseitigen sucht. Das gleiche gilt für das
typische kardiale Emphysem.
Beim chronischen substantiellen Emphysem, das ja in der Lunge
selbst liegt, handelt es sich ebenfalls um einen kompensatorischen
Reflex. Beim vorhergehenden chronischen Bronchialkatarrh geht
das Epithel verloren und Gefässschwund tritt ein. Die Lunge er¬
weitert sich, um den durch die Entartung des Gewebes verursachten
Verlust der Eunktionsfähigkeit wieder auszugleichen. Bei Respi¬
rationsversuchen zeigte sich die Mittelkapazität und Residualluft
erhöht.
So zeigt sich die pathologische Lungenerweiterung der normalen
gleich, indem sie bei Vermehrung der Mittelkapazität und der Re¬
sidualluft als eine reflektorische Einstellung der Lunge zu betrachten
ist, die geeignet scheint, den primären Funktionsstörungen abzuhelfen,
indem sie dem Kreislauf der Lunge und dem respiratorischen Stoff¬
wechsel bessere Bedingungen schafft.
Herr T endeloo- Leiden : Nach Bohr bedeutet Vergrösserung
des intrapulmonalen Drucks eine Zunahme des Lungenvolums und
einen zweckmässigen Reflex. Das vikariierende Emphysem ent¬
steht in vorher gesundem, das chronische, substantive Emphysem in
vorher erkranktem Lungengewebe. T endeloo betont dagegen,
dass Vergrösserung des Lungenvolums durchaus nicht immer eine
Vermehrung des intrapulmonalen Gaswechsels zur Folge haben muss.
Bei stärkerer Zunahme des Lungenvolums, wie beim Emphysem, ist
die Hämoglobinoberfläche wohl verringert. Es handelt sich also beim
Emphysem nicht um einen zweckmässigen Reflex, sondern wahr¬
scheinlich um eine rein physikalische Erscheinung, um ^elastische
Nachwirkung“. Durch Dehnung der elastischen Fasern, w“as gleich¬
bedeutend mit Volumzunahme ist, nimmt ihre Federkraft ab, und
zwar um so mehr, je stärker die Dehnung ist und je länger sie dauert.
Eine elastische Nachwirkung tritt bei den elastischen Lungenfasern
wohl ähnlich auf wie nach Dehnung von Kautschukfasern. Der Kaut¬
schuk erholt sich allmählich mehr oder weniger, d. h. die gedehnte
Faser bekommt ihre ursprüngliche Länge allmählich wieder; aber
nur bei geringer Dehnung, bei stärkerer Dehnung bleibt sie verlängert,
wenn auch noch eine fortschreitende Verkürzung eine Zeitlang sicht¬
bar ist. Aber wenn man eine Faser einige Tage, nachdem sie ihre ur¬
sprüngliche Länge wieder bekommen hat, zum zweiten Mal dehnt,
verlangen sie sich viel rascher als das erste Mal, ein Beweis, dass
ilne Federkraft nicht der ursprünglichen wieder gleich geworden ist.
Durch elastische Nachwirkung nnd Summation kleinster elasti-
scher Nachwii kungen erklärt sich das senile und das akute sowie das
chronische Emphysem. Das senile Emphysem entsteht durch die fort-
w äh i ende (statische) Dehnung des Lungengewebes und durch die
normale 'inspiratorische Dehnung: also statisch inspiratorische Deh¬
nungsatrophie. Das krankhafte Emphysem ist die Folge einer über¬
mässigen Dehnung des Lungengewebes. Sitz und Ausdehnung des
Emphysems entsprechen idem Angriffsabschnitt der dehnenden Kraft.
Das akute Emphysem kann in- oder exspiratorischen Ursprungs sein.
Inspiratorisches, akutes Emphysem befällt vorzugsweise die sterno-
parasternalen und lateralen kaudalen Lungenabschnitte. Exspira-
torisches Emphysem kann nur in kaudalen Lungenabschnitten
auttreten. Diese werden bei der forcierten Ausatmung bei be¬
hinderter Ausströmung der Luft aufgeblasen, so beim Husten,
beim Blasen der Musiker usw. Das chronische Emphysem kann
ebenfalls in- oder exspiratorischen Ursprungs sein. ln beiden
Fällen kann es entstehen durch häufige Wiederholung des
akuten Emphysems oder von vornherein schleichend, chronisch. Hält
die übermässige Dehnung eine Zeitlang an, so atrophiert das Lungen¬
gewebe.
Herr B e t h e - Strassburg und Herr Spitzy-Graz: Ueber die
Nervenregeneration und Heilung durchschnittener Nerven.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2161
Herr Bethe: In .der Frage der Nervenregeneration stehen sich
zwei Anschauungen gegenüber: die Anschauungstheorie (Waller)
und die autogenetische Theorie. Erstere nimmt an, dass die Degene¬
ration Folge der Abtrennung von einem nutritonschen, in der Gan¬
glienzelle gelegenen Zentrum ist und dass bei der Regeneration der
zentrale erhalten gebliebene Faserstumpf selbständig (ohne Beteili¬
gung peripherer Zellelemente) zur Peripherie hin auswächst. Nach
der autogenetischen Theorie ist die Degeneration nur Folge des 1 rau-
mas Bei der Regeneration spielen zwar (nach der autogenetischen
Theorie) zentrale Prozesse eine Rolle, sie lässt aber die neuen Ner¬
venfasern aus den Sch wann sehen Zellen des zentralen und beson¬
ders des peripheren Stumpfes hervorgehen.
Die neuen Befunde von Cajal und Perroncito über die
Wachstumsprozesse am zentralen Stumpf lassen keine klare Deutung
zu, sie können also der Auswachsungstheorie nicht als wesentliche
Stütze dienen. Die autogenetische Theorie kann sich zurzeit auf ein
wesentlich eindeutigeres Tatsachenmaterial stützen:
1. Bei jungen Tieren können dauernd vom Zentrum abgetrennte
Nerven sich aus sich selbst heraus regenerieren.
2. Ihrer Achsenforsätze ganz beraubter Ganglienzellen vermögen
nicht neue Neuriten zu regenerieren. Bei der Regeneration müssen
aber periphere Elemente wesentlich beteiligt sein.
Einen definitiven Abschluss hat die Regenerationsfrage jetzt noch
nicht erreicht. „ , _
Herr S p i t z y bespricht anschliessend an B e t h e die Ergebnisse
der theoretischen Forschung für die chirurgische Praxis. Sowohl
Nervennaht, Nervenlösung, Nervenresektion finden eingehende Er¬
örterung, besonders aber wendet der Vortragende sein Augenmerk
der Nervenanastomosierung zu, der die neuen Forschungsergebnisse
schöne Perspektiven eröffnen. Die Nomenklatur der verschiedenen
Arten des Neuanschlusses von gelähmten Nerven wird festgelegt:
periphere und zentrale Pfropfungen und Kreuzungen sind zu unter¬
scheiden. Die einzelnen topographisch sowie technisch sich ergeben¬
den Fragen werden an der Hand von Tafeln beantwortet.
Sowohl die Fazialisneuanschaltung wie insbesondere die dem
Vortragenden näherliegende Chirurgie an Extremitätennerven wird
einer eingehenden Kritik unterzogen. Ermutigt durch eindeutige Er¬
folge (70 Proz.) bei verschiedenen Lähmungen der Extremitäten, peri¬
pheren wie zentralen Ursprungs, empfiehlt Spitzy die Vornahme
dieser Operationen bei Lähmungen einzelner Nerven, insbesondere
vor der Vornahme eingreifender entstellender Operationen.
Vorträge über maligne Geschwülste.
Herr G o 1 d m a n n - Freiburg: Ueber die Beziehungen des Ge-
fässystems zu den malignen Geschwülsten.
Bei den Untersuchungen betreffend das Verhältnis .der Ge¬
schwülste zu den Blutgefässen waren folgende Gesichtspunkte mass¬
gebend: 1. Welche Rolle spielt das Blutgefässystem bei der Verbrei¬
tung der Geschwülste? 2. Wie bauen sich die Gefässe in der Ge¬
schwulstwand auf? 3. Dienen die Gefässe nur zur Ernährung der
Geschwülste oder auch zur Abwehr?
Es hat sich herausgestellt, dass die Befunde bei Mäusen genau
denen beim Menschen gleichzusetzen sind. An der Vene findet sich
gewöhnlich eine Endophlebitis, an den Arterien eine Periphlebitis
carcinomatosa. Von Bedeutung dafür ist die Tatsache, dass die
Arterien nur Vasa vasorum in der Adventitia haben. In pathologi¬
schen Zuständen gehen die Vasa vasorum jedoch bis in die Intima.
Die Aufnahme von Geschwulstzellen ins Blut geschieht leichter
als bisher angenommen wurde, und zwar weil neuere Untersuchungen
die Anwesenheit von zahlreichen Verbindungen zwischen Blut- und
Lymphgefässystemen erwiesen haben.
Was den Aufbau der Gefässe in der Geschwulst betrifft, so hat
Goldmann von den Vena saphena aus die Gefässe mit Bismut
injiziert und auf Röntgenplatten festgestellt, dass der Gefässaufbau
der Geschwulstarten grundverschieden ist. In jedem Falle erfolgt eine
ausgedehnte Neubildung von Gefässen, die auf einzelnen Bildern dem
Tumor entgegenwachsen. Bei Karzinomen bildet sich im Innern des
Tumors das Gefässystem bald zurück. Beim Sarkom bleibt aber im
Innern eine Gefässstruktur. Das Chondrom bildet auch eine blut¬
reiche Kapsel, von der Gefässe zu Bluträumen im Innern gehen.
Man muss den Gefässen Abwehrbedeutung zuschreiben, denn
sonst ist ja der Aufwand an Gefässen in minimalen Geschwülsten
nicht zu erklären. Ferner beweisen Lymphdrüsen und Blutgefässe,
in denen sich einzelne Geschwulstteile in ausgeheilten Stellen be¬
finden, dass die Gefässe die Kraft haben, die Geschwulstzellen zu
zerstören. In den Gefässen liegen also Schutzvorrichtungen, die von
seiten der Chirurgen mehr berücksichtigt werden müssen bei ihren
Operationen, die vielleicht zu radikal sind, wie bisher. Eine grosse
Anzahl schöner Bilder illustrierte das Vorgetragene.
Herr G. S c h ö n e - Frankfurt a. M.: Weitere Erfahrungen über
Geschwulstimmunität bei Mäusen.
Es handelt sich um epitheliale Tumoren der Mamma, welche
in gewissen Beziehungen für die Maus charakteristisch sind, den
menschlichen malignen Tumoren aber nahe stehen.
Durch die Arbeiten von Jensen, Clowes, Ehrlich usw.
ist erwiesen, dass eine aktive Immunisierung gegen die Wirkung einer
nachfolgenden Impfung mit diesen Tumoren gelingt, wenn die Ver¬
suchstiere (weisse Mäuse) mit mehr oder weniger virulentem Ge¬
schwulstmaterial vorbehandelt werden.
Diese aktive Immunisierung lässt sich auch erreichen durch die
Vorbehandlung mit normalen Geweben: Mäuseblut, Mäuseembryonen,
Leber, Milz.
Zahlreiche neue Versuche haben die bereits mitgeteilten Resultate
der Embryonenimmunisierung bestätigt. Wirksam sind sowohl mehr¬
fache wie einmalige subkutane und intraperitoneale Injektionen.
Rattenembryonen lassen nur in einzelnen Fällen eine eben merkbare
Wirkung erkennen.
Im allgemeinen scheint die Embryonenimmunität an Stärke von
der Spontantumorimmunität übertroffen zu werden.
Obwohl das Wesen dieser Immunitäten noch unbekannt ist,
lassen sich eine Anzahl von Argumenten anführen für die Annahme,
dass die neue nicht spezifische (Blutembryonen- usw.) Immunität und
die auf eine Tumorinjektion folgende nicht prinzipiell verschieden
sind, sondern dass in beiden Fällen Körperzellen oder deren Produkte
die wesentlichen immunisierenden Faktoren sind.
Sitzung vom 20. September, nachmittags.
Herr N a g e I s c h in i d t - Berlin: Ueber Hochfrequenzströme.
Vortragender hat diese Ströme an ca. 300 Fällen seiner Klinik
studiert und zum Teil hervorragende therapeutische Erfolge mit den¬
selben erzielt. Die hochgespannten Ströme von hoher Wechselzahl
unterscheiden sich in physikalischer und physiologischer Beziehung
wesentlich von den gewöhnlichen Strömen. Trotz der hohen Span¬
nung gehen sie bei geeigneter Anwendungsweise ganz unmerklich
durch den Körper hindurch, ohne irgend welchen Schaden anzurichten.
Es hängt dies jedoch vollkommen von der Anwendungsweise ab. Die
elektrischen Vorgänge in den für die Behandlung konstruierten Ap¬
paraten sind so ausserordentlich komplizierte und bisher noch un¬
aufgeklärte, dass es durchaus wahrscheinlich erscheint, dass bei der
Anwendung nicht nur die eigentlichen Hochspannungsströme zur Ver¬
wendung gelangen, sondern neben ihnen zum Teil wohl auch vor¬
wiegend andere elektrische Phänomene eine Rolle spielen. Die von
den Franzosen gerühmte Wirkung auf den Blutdruck und den Stoff¬
wechsel im Solenoid hat Vortr. nicht beobachten können. Indessen
bat er klinisch gute Erfolge mit dieser Behandlungsmethode erzielt bei
Fällen von leichter Insomnie, allgemeiner Neurasthenie und Angina
pectoris. Es handelt sich hierbei nicht um eine Heilung der Arterio¬
sklerose, sondern nur um die Beseitigung des quälenden Svmptomes.
Die Anfälle wurden seltener, hörten dann ganz auf, kamen aber später
wieder. Auch nur leichte Fälle von Insomnie eignen sich für die
Solenoidbehandlung. Sobald es sich um hartnäckige und schwere
Fälle handelt, muss man die Anwendungsweise der Ströme ändern.
Hervorzuheben ist nur noch die günstige Wirkung auf Hautneuralgien
und Hautjucken, sowie ganz besonders die Beeinflussung von tabi-
schen Schmerzen und Krisen; bei 18 Fällen war kein Misserfolg er¬
zielt. Krisen und Schmerzen, die weder auf Morphium, noch irgend
ein anderes Medikament reagierten, schwanden unmittelbar unter der
Behandlung. Es handelt sich auch hier nicht um eine Heilung der
Tabes, sondern lediglich um eine Beseitigung der Schmerzen. Es ist
eine Behandlungdauer von 2 — 3 Monaten notwendig, um eine Dauer¬
wirkung zu erzielen, indessen sind auch schon nach kürzerer Behand¬
lung Intervalle absoluten Wohlbefindens von 15 Monaten bis jetzt
beobachtet worden. Auf eine Anwendungsweise weist Vortragender
noch besonders hin1 das ist die Erzeugung von Muskelzuckungen
bei bipolarer Anwendung unter Zwischenschaltung einer kleinen
Funkenstrecke. Die Erklärung dieses Phänomens ist bisher noch nicht
« möglich. Von den gewöhnlichen Stromapplikationen unterscheidet
sich diese Anwendungsform durch die Schmerzlosigkeit: es gelingt
ohne Schmerzauslösung hierbei Muskelkontraktionen auszulösen von
einer Ergiebigkeit, die bisher nicht erzielt werden konnte, weil man
relativ grosse Strommassen auf diese Weise schmerzlos in den Körper
hineinbringen kann. Es scheint sich hierbei ein grosses neues Gebiet
für die diagnostische Untersuchung von Lähmungen, sowie thera¬
peutische Beeinflussung derselben zu eröffnen.
Herr L u s 1 1 g - Meran: Die Diätetik bei Arterienverkalkungen.
Vortragender sieht in einer rationellen und zielbewussten Di?"
tetik das einzig wirksame Mittel zur Bekämpfung der Arteriosklerose
und gibt der Ansicht Ausdruck, dass der physikalische Heilschatz
erst in zweiter Reihe bei der Behandlung in Betracht kommen kann.
Er tritt auf Grund ausführlicher Stoffwechseluntersuchungen wärmstens
für eine vegetabilische, alkalireiche und kalkarme Diät ein, behauptet,
dass der Kalkbedarf des Organismus zu hoch eingeschätzt wird und
bestätigt die Angaben Renwalls, dass man mit 0,50 — 0,60 g pro
die auskomme. Die Grundsätze bei der Diätetik formuliert er in
folgende drei Punkte: 1. Einschränkung des Fleischkonsums auf das
notwendigste und zulässigste Minimalmass. 2. Verordnung einer kalk¬
armen, vegetabilischen und alkalireichen Diät und 3. Eliminierung der
blutdrucksteigernden und die Herztätigkeit über das normale Mass
hinaus in Anspruch nehmenden Nährungs- und Genussmittel.
Er betont die Wichtigkeit reichlichen Obstgenusses und tritt für
Anwendung von Traubenkuren ein. Milchkuren sollen unterbleiben,
besonders bei stärkeren Graden des Leidens, ebenso dürfen Mineral¬
wasserkuren nur mit Vorsicht angewendet werden.
Herr E. Rothschuh - Aachen : Die Selbstbehandlung der zen¬
tralamerikanischen Indianer bei rheumatischen Erkrankungen.
Verf. hat 13 Jahre in Managua, der Hauptstadt von Nicaragua,
Praxis ausgeübt und die Gewohnheiten der Eingeborenen reichlich zu
beobachten Gelegenheit gehabt. In dem vulkanischen Lande treten
2162
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
zahlreiche kalte und warme Mineralquellen, sodahaltige, salzhaltige,
gemischtalkalische, glaubersalzhaltige, zutage; daneben gibt es Moore
mit stark schlammigem Inhalt und sehr heisse Schwefelwässer; letz¬
tere werden mit Vorliebe und fast ausschliesslich bei Gelenkschmerzen
benutzt; das Bad wird in einer grossen Holzwanne genommen, stun¬
denlang ausgedehnt und durch Unterhaltung mit Freunden, Essen und
Trinken kurzweiliger gemacht. Diät fast rein vegetarisch, aber stark
eiweisshaltig.
Herr Rosen bäum - Dresden : Blutuntersuchungen beim Krebs
des Verdauungskanals.
Vortragender hat die von K e 1 1 i n g angegebene Methode, die
hämolytische Reaktion des Blutserums beim Karzinom des Ver¬
dauungskanals zur Diagnose zu benutzen, an 70 Bällen nachgeprüft,
und besonders Fälle von Magen- und Darmkrankheiten, .die für die
Differentialdiagnose in Betracht kommen, zum Vergleich heran¬
gezogen. Er kommt zu ähnlichen Prozentzahlen wie Ke Hing;
nämlich von 26 Fällen von Karzinom 14 mal = 54 Proz. eine positive
Reaktion. Bei seinen Untersuchungen zog er die erste Probe, die
auch die Fermente mit berücksichtigt, als nicht beweisend nicht in Be¬
tracht und verwandte nur die zweite Probe, die auf den Immun¬
körpern allein beruht. Der Methode haften besonders zwei Mängel
an, dass nämlich die Resistenz der Tierblutkörperchen nicht konstant
ist, ebenso wie das normale Blutserum, das man zum Vergleiche
braucht, gewissen Schwankungen unterworfen ist. Aus seinen Er¬
gebnissen zieht Rosen bäum .den Schluss, dass die Methode wert
ist, nachgeprüft und auch jetzt schon in der Praxis als Hilfsmittel
für die Diagnose „Krebs“ angewandt zu werden.
Herr L a q u e u r - Ems und L ö w e n t h a I - Braunschweig:
Ueber die Aufnahme von Radiumemanation bei Bade- und Trink¬
kuren.
Die Radiumemanation stellt den spezifischen Heilfaktor der
Mineralquellen dar. Vortr. untersuchten, auf welchen Wegen die
Emanation in den Kreislauf eintritt. Bei Trinkkuren per os in be¬
kannter Menge, daneben durch die Atmung infolge des starken Ema¬
nationsgehaltes der Luft in den Trinkhallen. Bei Badekuren wird
Emanation nicht durch die Haut .aufgenommen. Dagegen ist die
Luft über dem Badewasser und in den Baderäumen so emanations¬
reich, dass erhebliche Mengen durch die Atmung aufgenommen
werden und messbar im Urin wiedererscheinen.
Vortr. empfehlen für schwächliche und empfindliche Personen
die Technik der Thermalbäder abzuändern, sodass zunächst nur
Emanation getrunken und inhaliert, später nach Ablauf der Reaktion
erst gebadet wird.
Herr Martin- Freiburg: Ueber elektromagnetische Therapie.
Die elektromagnetische Therapie ist ähnlich der Hochfrequenz¬
strombehandlung ein Mittel, grosse Energiemengen dem menschlichen
Organismus zuzuführen. Sie wirkt chemisch als physikalischer Kata¬
lysator auf die Stoffwechselvorgänge und physiologisch wohl als
Tonikum für die Vasomotoren. Die therapeutische Einwirkung des
Verfahrens auf das Nervensystem ist eine schmerzlindernde und
schlafmachende, sodass man es fast als physikalisches Narkotikum
bezeichnen darf. — Erfolge wurden erzielt bei Schlaflosigkeit, Neu¬
ralgien, Ischias, nervösem Asthma, Migräne, Gicht und Rheuma, und
zwar gerade bei exquisit chronischen Fällen. Für den Kranken ist die
Behandlung äusserst angenehm, da er mit völlig bekleidetem Körper
vor dem Apparat sitzt und die magnetischen Wellen die behandelten
Teile durchdringen, ohne dass eine unangenehme Sensation entsteht.
Durch Kombination des Elektromagnetismus mit einer besonders
feinen und gleichmässigen Vibration, mit Wärme und Faradisation,
die alle direkt vom Apparat erzeugt werden, ist noch eine Reihe
weiterer Heilwirkungen gewährleistet und zugleich die Möglichkeit
gegeben, in jedem Fall zu individualisieren.
Herr C. R e i c h e r t - Wien (Demonstration): Neuer Spiegel¬
kondensor F (Plattenkondensor) zur Sichtbarmachung ultramikro¬
skopischer Teilchen (an allen Mikroskopen ohne jegliche Anpassung
verwendbar).
Herr G. L o c k e m a n n - Leipzig: Ueber Katalasen und Oxy-
dasen im Blute. Nach Versuchen, in Gemeinschaft mit J. Thies und
H. Wiehern.
Bei den Versuchen über Blutkatalase, die im wesentlichen nach
der von Ad. J o 1 1 e s angegebenen Methode ausgeführt wurden,
stellte sich folgendes heraus: Chlornatrium verhindert die Zer¬
setzung des H2O2; trotzdem wirkt Blut in physiologischer Kochsalz¬
lösung stärker katalytisch als in wässeriger Lösung. Durch Licht
wird die Katalasenwirkung wesentlich gehemmt, durch längere Be¬
lichtung allmählich völlig zerstört. Dabei wirkt blaues Licht stärker
als rotes. Vielleicht spielen die Katalasen bei der L i c h 1 1 h e r a p i e
eine gewisse Rolle.
Als charakteristische Reaktion auf Peroxydasen ist von
Bach und C h o d a 1 die Bildung von Purpurogallin aus Pyro-
gallol bei Gegenwart von Wasserstoffsuperoxyd angegeben. Diese
Reaktion tritt mit Blutlösungen ebenfalls ein (neben der Bildung eines
anderen unbekannten Körpers); aber auch schon ohne Zusatz von
H2O2, sodass man einen gewissen Gehalt des Blutes an Oxy-
genasen (organischen Peroxyden) annehmen müsste.
Durch Belichten wird diese Oxydasenwirkung erhöht, im
Gegensatz zu dem Verhalten der Katalase. Es zeigte sich ausserdem,
dass die Purpurogallin bildung aus Pyrogallol und Wasserstoff¬
superoxyd schon bei Gegenwart von sehr wenig E i s e n s a 1 z ein¬
tritt, ja sogar schon auf Zusatz von etwas Chlornatrium lösung.
Beide Reagenzien wirken auf die Katalase bemerkenswerterweise
hemmend. So scheinen die Katalase- und Peroxydasevorgänge in
fast allen Beziehungen reziprok zu sein. Vielleicht muss man den
anorganischen Salzen, besonders dem Chlornatrium, in den
physiologischen Flüssigkeiten auch peroxydaseartige Wirkungen zu¬
schreiben, die für den ganzen Stoffwechsel von Bedeutung sind.
Herr J. Thies demonstriert eine Tabelle, die die Werte der
Katalasen während der Geburt bei Mutter und Kind wiedergibt und
bespricht den Einfluss, den der Katalasengehalt beim Fötus und
Neugeborenen auf den Stoffwechsel und auf die Atmung hat.
Berichtigung. In No. 42 ist auf S. 2113, Sp. 1, Zeile 34 v. u.
zu lesen : „K a r 0 t i s w e 1 1 e“ statt „Vorhofwelle“.
Abteilung für Chirurgie.
Diskussion zu den Vorträgen von P ä s s f e r - Dresden und
S t i e d a - Halle zur chirurgischen Behandlung des Lungenemphysems.
Herr K r a u s s - Berlin: Ob die thorakale Starre beim Em¬
physem primär oder sekundär ist, ist noch zweifelhaft. Wenn
aber die thorakale Starre besteht, dann erleichtert die Operation
den Zustand des Kranken. Doch nehme er einen reservierten Stand¬
punkt ein und meine, man solle nicht zu früh operieren, doch müsse
man operieren, bevor das Herz in Mitleidenschaft gezogen sei. End¬
lich glaube er, dass die einseitige Operation genüge.
Herr Hof bau er hält die Operation nicht für physiologisch be¬
gründet und empfiehlt eine von ihm angegebene Methode, welche ge¬
stattet, das Zwerchfell zu heben; es käme darauf an, die exspira-
torischen Muskeln zu kräftigen.
Herr Krauss - Berlin widerspricht Herrn Hofbauer; die Er¬
folge der Operation wiesen darauf hin, dass die Inspiration durch die
Operation erleichtert wird.
Herr S e i d e 1 - Dresden (Schlusswort): M. H.l Mit Herrn
Krauss sind wir der Meinung, dass nicht jeder Fall von Emphysem
bei Thoraxstarre ohne weiteres operiert werden soll. Wie aus dem
Vortrage von Herrn Prof. Pässler wohl hervorgeht, plädieren auch
wir natürlich zunächst für interne Behandlung, fordern aber bei nach¬
gewiesener Nutzlosigkeit derselben allerdings baldige Operation.
Scheint diese Indikation zunächst auch, wie Herr Krauss meint,
noch etwas zu weit gestellt, so wird sie sich bei näherer Betrachtung
als exakt und rationell erweisen. Besonders hebe ich Herrn Krauss
gegenüber hervor, dass in unserem Falle ja alle Mittel der internen
Behandlung erschöpft waren, dass der Patient vor der Invalidisierung
stand und die Indikation zur Operation nicht einseitig, sondern durch
intensives Zusammenarbeiten des internen Klinikers und des Chirurgen
gestellt wurde. Mit Herrn Krauss betone ich Herrn Ho fb au er
gegenüber, dass die Behinderung der Inspiration beim Emphysem
eine grosse Rolle spielt.
Was die technische Seite der Frage betrifft, so ist vielfach die
Ansicht laut geworden, dass die Operation eine schwierige sei. Das
ist sie nicht. Eine gewisse Vorsicht ist natürlich am Platze, um un¬
erwünschte Nebenverletzungen und namentlich Pneumothorax zu ver¬
meiden. Ich bin in der Weise vorgegangen, dass ich vom ersten
Rippenknorpel mit der Luer sehen Zange Stück für Stück abtrug,
bei den vier nächsten Rippen das Perichondrium ablöste, den Rippen¬
knorpel mit stumpfer Führungsnadel umging und mit der Giglisäge
durchschnitt. Die entfernten Stücke waren lVg cm lang. Bei den
ersten drei Rippen wurden die über ihnen lagernden Pektoralisfasern
durchtrennt, bei der 4. und 5. Rippe stumpf auseinandergezogen. Die
Blutung war gering.
Besonderes Interesse fordert die Durchschneidung der ersten
Rippe. Sie ist unseres Wissens, abgesehen von Zwecken der Thorako-
plastik, hier zum ersten Male vorgenommen worden. Dabei erwies es
sich nicht als nötig, einen Teil der Klavikula mit fortzunehmen, wie
Hildebrandt vorschlug. Diese Tatsache ist nun äusserst wichtig.
Die Enge und Starre der oberen Brustapertur wird bekanntlich für
die Entstehung der Spitzentuberkulose zum Teil verantwortlich ge¬
macht. Die dahin zielenden Untersuchungen von Freund sind von
Hart erweitert worden. Er konnte ferner bestätigen, dass in zahl¬
reichen Fällen von ausgeheilter Spitzentuberkulose sich Gelenkbil¬
dungen an erster oder zweiter Rippe fanden. Diese Befunde haben
Freund ja schon vor längerer Zeit veranlasst, die Durchschneidung
der ersten Rippe bei beginnender, sonst nicht zur Ausheilung kom¬
mender Spitzentuberkulose zu fordern. Da sich die Operation als so
verhältnismässig einfach erwiesen hat, werden wir sie nun auch in ge¬
eigneten Fällen von Spitzentuberkulose ausführen. Es ist dies ein
Vorgehen, das bei den vielen fruchtlosen Versuchen, die Initialtuber¬
kulose zu bekämpfen, bei gewissenhafter Auswahl sicherlich ange¬
bracht ist und unseren physiologischen und pathologisch-anatomischen
Erfahrungen durchaus entspricht.
Herr S e i d e 1 - Dresden: Rationelle Behandlung des Pleura¬
empyems, mit besonderer Berücksichtigung des Aspirationsverfahrens
(Bülau, Perthes, eigenes Verfahren).
Für die rationelle Behandlung des Empyems stellt Vortr. drei
wesentliche Forderungen auf: 1. völlige Entleerung des Eiters aus der
Pleurahöhle, 2. Verhütung der Wiederansammlung des Eiters, 3. mög¬
lichst schnelle Wiederherstellung des Patienten, wenn möglich ad in¬
tegrum. Dabei kommt in Betracht: a) völlige Wiederausdehnung der
Lunge, b) Verhütung stärkerer Pleuraverwachsungen, wodurch die
respiratorische Verschieblichkeit der Lunge erhalten, Thoraxdeformi¬
täten vermieden werden.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2163
Diesen Forderungen genügen die Punktionsverfahren nicht,
mögen sie mit oder ohne Spülung, mit oder ohne nachfolgende Drai¬
nage geübt werden.
Auch das B ü 1 a u sehe Verfahren ist nicht unbedingt zuverlässig.
Man wird es namentlich bei gutartigen Pneumokokkenempyemen, zum
Teil auch bei Empyemen der Kinder versuchen dürfen, bei irgend
welchen Anzeichen von Komplikationen aber sofort die Rippen¬
resektion anschliessen müssen. , ... , ,
Für die meisten Fälle wird demnach das Verfahren der Wahl
immer die Radikaloperation in Gestalt der Rippenresektion bleiben.
Das Perthes sehe Verfahren der Aspiration der Lunge kommt
der Forderung, die Wiederausdehnung der Lungen zu fördern, am
nächsten und hat sehr gute Resultate ergeben.
Seidel verwendet nun in der Nachbehandlung des Empyems
den Apparat, den er schon Anfang 1906 zur Nachbehandlung des post-
operativen Pneumothorax im Anschluss an die Sau erb i uchsclien
Ideen angegeben hat. Der Apparat ist jetzt bedeutend verbesseit und
vereinfacht Er besteht aus einem kleinen Kasten mit einem Gummi-
wulst, welcher durch ein jeder Thoraxform sich anschmiegendes Stahl¬
band mittels eines Gummigurtes über der Thorakotomiewunde luft¬
dicht befestigt werden kann. Durch einen leicht abnehmbaren Glas¬
deckel hat man freien Zugang zur Wunde und zur Pleurahöhle, man
kann demnach, ohne an der ganzen Anordnung etwas zu ändern, alle
notwendigen chirurgischen Massnahmen, Drainwechsel usw. vor¬
nehmen. In diesem Kasten, mithin auch in der durch ihn überdachten
Pleurahöhle wird ein negativer Druck durch eine Wasserstrahlpumpe
mit Rückschlagsventil erzeugt. Die Flöhe des negativen Druckes wird
angegeben durch ein Manometer, das irgendwo am oder neben dem
Bett des Kranken befestigt werden kann und mit einem nach Art
eines Müll er sehen Ventils funktionierenden Quecksilbersicherheits¬
ventil verbunden ist, durch welches eine stärkere als die gewünschte
Druckerniedrigung verwieden wird.
Der Apparat hat also vor dem P e r t h e s sehen den Vorzug,
jederzeit freien Eingang zur Wunde und Pleurahöhle zu gewahren,
ohne dass an ihm etwas geändert oder dass er abgenommen zu
werden braucht, und dass eine zuverlässige und dabei unkomplizierte
Druckregelung stattfindet.
Bei der Behandlung lässt Seidel nicht permanent saugen, son¬
dern etwa 2—3 mal täglich 4—5 Stunden den Unterdrück auf die Lunge
einwirken, und zwar fängt er mit niedrigsten Werten (5—8 mm Hg)
an, und steigt dann bald, aber meist nicht über 15 mm Hg hinaus. Bei
permanentem Zuge und stärkerer Druckerniedrigung kommen vor¬
zeitige Verklebungen und Eiterretentionen vor, welche sich in Tem¬
peratursteigerungen bemerkbar machen.
Seidel lässt ferner regelmässig gegen Wasserwiderstand
exspirieren. Zur genaueren Dosierung hat er einen kleinen Apparat
konstruiert, in dem bei der Exspiration durch ein verschieden zu
belastendes Ventil jeder beliebige Druck erzeugt werden kann, der
dann durch ein Manometer angezeigt wird.
Mit dieser kombinierten Methode wurden bisher 9 Fälle be¬
handelt, von denen 2 besonders markante vorgestellt werden.
Nach seinen günstigen Erfahrungen glaubt Seidel die kon¬
sequent durchgeführte kombinierte Methode (Zug von der Pleura¬
fläche, Druck von der Bronchialfläche aus) in der Nachbehandlung des
Empyems warm empfehlen zu sollen.
Diskussion: Herr Gar re -Bonn betont, dass es von der
Ursache abhänge, welche das Empyem hervorgerufen habe, welche
Methode der Behandlung man wählen solle; die einen Fälle heilten
leichter als die andern. Für die Rippenresektion wird man sich leicht
entschliessen, weil der Eingriff leicht sei.
Herr L e nh a r t z - Hamburg: Er könne dem vorgeführten
Apparat keine Vorzüge vor dem Perthesschen zuerkennen. Er
empfiehlt eine Modifikation, welche gestattet, den Perthes sehen
fast ohne Verbandwechsel liegen zu lassen, sodass es in einzelnen
Fällen gelungen sei, die Empyeme unter einem Verbände zur Heilung
zu bringen. Die Perthes sehe Methode habe sich ihm ausgezeichnet
auch bei doppelseitigen Empyemen bewährt.
Herr Perthes- Leipzig betont, dass die Aspiration nicht zu
stark gemacht werden dürfe, der Druck dürfe 1 — 2 cm nicht über¬
schreiten. Dass sich in allen Fällen die Thorakoplastik vermeiden
lasse, glaube er nicht, nur meine er, dass bei der Anwendung des
Aspirationsverfahrens die Testierenden Empyeme dabei nicht so gross
blieben und dass die Thorakoplastik, falls sie notwendig würde, er¬
leichtert sei.
Herr Limpburger - Bregenz beschreibt die von ihm geübte
Methode mit Punktion an zwei Stellen mittels verschieden starken
Trokars mit nachfolgender Spülung mit Salizylsäure und Instillation
von Jodoformglyzerin.
Herr His -Berlin warnt vor Pleuraspülungen, weil dabei Todes¬
fälle beobachtet worden seien.
Herr Naunyn hat Todesfälle nach Einbringung von Jodoform¬
glyzerin in die Pleurahöhle gesehen und warnt davor. Endlich tritt
Herr M ii 1 1 e r -Rostock warm für die alte Methode — Schnitt und
Rippenresektion — ein.
Herr Seidel- Dresden : Das Vorgehen Schreibers, nach
Einführung eines Katheters durch Punktion in die Pleurahöhle perma¬
nent zu aspirieren, scheint mir nicht rationell zu sein. Herrn Len-
hartz gegenüber möchte ich hervorheben, dass ich mir sehr wohl
bewusst bin, dass das Aspirationsverfahren umständlicher ist als die
gemeinhin übliche Nachbehandlung. Es gilt dies aber sowohl für den
Perthes sehen als auch für meinen Apparat. Ich bin auch darauf
vorbereitet gewesen, dass meinem Apparat der Vorwurf besonderer
Kompliziertheit gemacht wird. Es ist dies ganz natürlich, da man
sich vom’ Gegenteil erst beim Gebrauch überzeugen kann — er ist
in der Tat einfach. Dass man Exspirationsübungen ohne besonderen
Apparat vornehmen kann, ist mir, wie ich ja auch erwähnt habe, wohl-
bekannt. Manometrische Messungen sind aber im Interesse der Kon¬
trolle des Patienten erwünscht. Er sei sehr erfreut, dass die Grund¬
sätze, die er gelegentlich einer Diskussion auf dem letzten Chirurgen¬
kongress in bezug auf die Aspirationsbehandlung aufstcllte, an Boden
zu gewinnen scheinen und jetzt zum Teil schon als selbstverständlich
bezeichnet werden. So gibt Perthes jetzt die Möglichkeit vor¬
zeitiger Verklebungen bei stärkerem Zuge zu, und er wendet jetzt
auch bei weitem weniger hohen Unterdrück an als früher. Dass wir
mit dem Aspirationsverfahren die Thorakoplastik nicht in allen Fällen
vermeiden werden, glaube ich auch — wir werden sie aber bedeutend
einschränken.
Herren v. Klapp und Dönitz: Beitrag zur Jiändedesinfektion
(mit Chirosoter).
Da bei jeder Desinfektionsmethode in einer Anzahl von Fällen
Keimfreihe.it nicht erzielt werden kann, versuchten Klapp und
Dönitz die Testierenden Keime dadurch unschädlich zu machen,
dass sie sie an Ort und Stelle durch eine Wachsimprägnation der Haut
fixierten. Sie zerstäubten zu diesem Zweck eine Lösung von Wachs
und Harzen in dem nicht feuergefährlichen Tetrachlorkohlenstoff (die
unter dem Namen Chirosoter von Krewel & Co. in Köln in den
Handel gebracht wird), mit einem Sprayapparat auf Hand und
Operationsfeld. Die bakteriologischen Ergebnisse sind äusserst er¬
mutigend. Als geeignetste Vorbehandlung erwiesen sich die Des¬
infektionsmethoden, die die Haut trocken machen, z. B. bei An¬
wendung von Alkohol (A h 1 f e 1 d sehe Methode, Seifenspiritus
usw.). Nach M e i ss n e r - Tübingen ergibt sogar die Besprayung
der gänzlich unvorbereiteten Tageshand eine hochgradige Keim¬
armut (nach Vortragendem jedoch nur bei glatten, nicht rissigen
Händen!), was für Notoperationen, z. B. im Kriege von grösster
Wichtigkeit ist. Ein Vorzug des Verfahrens ist seine Einfachheit.
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
161. Sitzung vom 2. Juli 1907.
Herr de la Camp demonstriert einen 6jährigen Jungen mit
einer hochgradigen L i 1 1 1 e sehen Krankheit. Die Besonderheiten
des Falles sind: 1. Eine linksseitige Hüftgelenksluxation, deren an¬
geborener Charakter zweifelhaft erscheint; vielleicht handelt es sich
vielmehr bei vorhandener Prädisposition um die Folgezustände des
hochgradigen Adduktorenspasmus, die resultierende völlige Ueber-
kreuzung der spastisch gelähmten unteren Extremitäten hindert fast
vollkommen das Gehen. Der Junge kann sich nur fortschieben.
2. ist die hochgradige Verbildung des Schädels auffallend. Wahr¬
scheinlich sind die Schädeldifformitäten durch die Zangengeburt ver¬
anlasst. — Der Intelligenzdefekt ist bei dem Jungen trotz einer un¬
zweifelhaft vorhandenen Idiotie nicht ein derartiger, dass von einer
operativen Behandlung abgeraten werden müsste.
Diskussion: Herren v. Kryger, Specht, de 1 a Camp.
Herr Menge demonstriert unter Mitteilung der betr. kranken¬
geschichtlichen Notizen folgende Operationsobjekte: 1. Gravidität in
einem rudimentären Uterusnebenhorn mit Berstung des letzteren.
2. Uterus duplex mit Vagina septa (mit Ovarialabszess). 3. Total-
exstirplerte Genitalien bei doppelseitigen Ovarialtumoren. 4. Exstir-
pierte Ovarialfibrome verschiedener Grösse. 5. Ovarialzyste kom¬
biniert mit Peritonealtuberkulose (Totalexstirpation exklusive des
zweiten Ovariums). 6. Malignes Chorionepithelion (Totalexstir¬
pation).
Diskussion: Herren Heim, Merkel, Menge.
Herr Prof. Graser demonstriert einen sehr stark geblähten,
grau-grün verfärbten Wurmfortsatz, den er 16 Stunden nach dem
Beginn eines perityphlitischen Anfalls durch die Laparotomie ent¬
fernt hat. Trotz .der kurzen Zeit seit Beginn des Anfalls fand sich
schon eine reichliche Eiteransammlung in der Bauchhöhle ohne jede
Andeutung einer Verklebung. Jedoch erwies sich das Exsudat bei
der bakteriologischen Prüfung als steril und konnte demnach an¬
genommen werden, dass die Bakterien noch in dem geblähten und
verdünnten Wurmfortsatz zurückgehalten waren. Im Wurmfortsatz
fand sich eine jauchige Flüssigkeit mit Bakterium coli und Staphylo¬
kokkus. Der Zeitpunkt der Operation war gerade noch günstig.
Einige Stunden später wäre wohl bereits der Wurmfortsatz geplatzt
gewesen und eine schwere, wohl tödliche Infektion zu der chemischen
Reizung des Bauchfells hinzugetreten. Der Vortragende bespricht
die oftmals von ihm gemachte Beobachtung, dass bei den Fällen von
akuter P. als erstes Zeichen der Veränderung ein freies seröses
oder leicht getrübtes Exsudat vorhanden ist, welches
erst sekundär infiziert wird, und glaubt, dass in den günstig ver¬
laufenden Fällen die abdämmenden Verklebungen sich erst später
bilden. Deshalb hält er auch mit andern Chirurgen den Zeitpunkt, in
dem diese Verklebungen sich ausbilden, also zwischen dem 3. und
4. Tag, für die Operation ungeeignet und sucht die Operation der Fälle,
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. -43.
dei ihm erst nach 36 Stunden zugehen, möglichst bis zum Ende der
ersten \\ oche zu verschieben, betont aber gleichzeitig die ausser¬
ordentlich grosse Verschiedenheit der einzelnen Erkrankungen.
Diskussion: Herren Hauser, Menge, P e n z o 1 d t
Graser. ’
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. J u 1 i 1907.
Herr H. Kämmerer demonstrierte einen Fall (I. med. Klinik)
von Hamatomyelie des Konus und Epikonus, entstanden durch einen
Betriebsunfall (Zerrung beim Heben einer schweren Last). Charakte-
ristische Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. peroneus und par¬
tielle Reithosenanästhesie. Anfangs Schmerzen und Gehstörungen,
ketentio urinae et alvi, gesteigerte Patellarreflexe, Erhaltung des'
Analieflexes. Später automatische, vom Willen unabhängige Spon¬
tanentleerung des Kotes, völlige Heilung der Retentio urinae. Erhal-
uiig dei Erektionsfähigkeit des Gliedes, Abgang des Spermas tropfen¬
weise, kehlen der Ejakulation aus der Urethra. Fortschreitende Besse-
r.un8:: je’ £laubt.’ dass der Fall eine Stütze für die neuere, besonders
durch die Experimentalarbeit L. R. Müllers vertretene Anschauung
ulde, nach der die Zentren für die Blasen-, Mastdarm- und Genital-
Uinktion nicht im Konus, sondern in den sympathischen Ganglien des
Beckens zu suchen seien. Für die Praxis sei der Fall wegen der Mög-
lchkeit einer günstigen Prognosestellung bei derartigen Rückenmarks¬
blutungen nicht unwichtig.
Herr Rossbach demonstriert einen Fall von amyotrophischer
Lateralsklerose mit Bulbärparalyse. Bei dem 2-4 jährigen Patienten,
~ure? 0ktoJ?er 1.905 krank ist, entwickelte sich die Krankheit all¬
mählich mit Schwäche in den Händen, die nach und nach auf die
Arme und Schultern Übergriff. Im Laufe des Jahres 1906 traten Be¬
schwerden beim Schlucken, erschwertes Sprechen und Schwerfällig¬
keit beim Gehen auf Jetzt kann Pat. die Hände gar nicht gebrauchen,
verschluckt sich eicht, kann nur breiige Kost gemessen, Sprache müh-
*am- r 1 yp‘scke Affen- und Klauenhand. Atrophien der Daumen- und
Kleinfmgerballenmuskulatur, der Spatia interossea, der Unterarm¬
muskeln des Bizeps, Trizeps, Deltamuskels und Kukullaris. Reflexe
stark erhöht, fibrilläre Zuckungen. Erloschensein der elektrischen
Erregbarkeit; teilweise auch nur quantitative Herabsetzung. Oberer
raziahs intakt, ebenso Augenmuskeln und Pupillen. Unterer Fazialis
paretisch. Untere Gesichthä'fte leblos, starr. Pfeifen etc. unmöglich.
n!ISw- ark atrophisch, paretisch. Gaumensegel' paretisch. Gaumen-
und Wurgreflex noch vorhanden. Entartungsreaktion der Zungen¬
muskulatur. Keine Motilitätsstörung der Stimmbänder. Dysarthrie,
n. klanglos. Gang exquisit spastisch-pare-
E’fskl.^rk Reflex?.’ Babinski, Fussklonus; keine Blasen- und
Mastdarmstorung, keine Sensibilitätsstörung.
In gewissem Gegensatz dazu steht ein Fall von Pseudobulbär-
E?m, ^Vnr0^ V f rViebra!fr Glosso-pharyngo-Iabial-Paralyse. 65jährige
krau Vor l/2 Jahren Apoplexien. Jetzt rechtsseitige Hemiplegie mit
Kontrakturen etc. Motorische Aphasie. Dabei Parese der g a n z e n
Zungen-, Lippen-, Schlundmuskulatur. Unfähigkeit, Mund zu spitzen
nndRFHih^-arSZrl,StreClu!n‘ ,I?et,rachtliche Dysphagie, kann feste Bissen
nd Massigkeiten nicht schlucken. Normales Volumen der Muskulatur
7 16 e^ektrische Erregbarkeit. Dabei eigenartige Störung, auf die
Muskulär diP h V,? rn? S.* p m e r 1 i n g hingewiesen haben. Die
r willkürlich nicht mehr innerviert werden kann tritt
von Weinen nnd ^ ebenS° bei Affekten. Krampfhafte Ausbrüche
TTn^-Wr m -End- Lachen’ starker Beeinträchtigung der Atmung
von Lachen Einhalt z" ee:
. .. Carl° Mainini: Demonstration über diagnostische Tuber-
kulinimpfung nach Pirquet.
.. ,,M; demonstriert 2 Patientinnen, die er nach der Pirquet sehen
S, n ?“ Tbe;kl,li,n, s,etolpft hat' “nd äibt im Anschluss daran
einige Daten über den Verlauf der Reaktion und die Verwendbarkeit
td„enr EUC o bC1 Erwachsenen- Er meint, dass unter bestimm-
innif hp1; Fn dieiP 1 r q u e 1 sche Impfung zum Zwecke der Diagnostik
auch bei Erwachsenen verwendet werden kann
nionsM^^;,0ni-HerruMorohält die *eaktion *ei beiden de-
monstnerten Fallen für sicher positiv. In dem einen Falle ist die Re-
aktion wohl deshalb so deutlich ausgesprochen, weil es sich um ein
Individuum rmt skrophulösem Habitus handelt. Nach Erfahrungen
auf der Kinderklinik haben gerade die mit Skrophulotuber-
wnhl°le befh,a te,ten. Eu'der e,ine verstärkte Reaktion dargeboten, was
v ohl darauf hindeutet, dass hier ein besonders gesteigerter
kl,; TV!nF-nPe*zi|ischer U e b e r e m p f i n d 1 i c h k e 4 ,t be¬
steht. In -4 ballen traten 10—15 Tage nach der Impfung Phlyktänen
f“ befriedigende Erklärung für diese Spätreaktion ist M. nicht
m stände zu geben. Es wäre sehr erfreulich, wenn die Reaktion auch
beim Erwachsenen verlässliche Resultate ergäbe, v. P i r q u e t selbst
verhalt sich in diesem Punkte sehr skeptisch. Unsere am Kinde?-
material gemachten Erfahrungen sprechen sehr für den grossen prak¬
tischen Wert der Reaktion. Von klinisch sicher Tuberkulösen
reagierten nicht: Kachektische und Miliartuberkulose sowie Meningitis
tuberculosa im letzten Stadium. Von Kindern, die klinisch absolut
keine Anhaltspunkte für Tuberkulose ergaben, reagierten 2, ein Fall
von Mongolismus und ein Fall von Chorea minor. Die Erfahrung
lehrt, dass gerade mongoloide Kinder im hohen Grade zur Tuberkulose
disponiert sind, und beim 2. Fall ergab sich anamnestisch schwere
hereditäre Belastung.
Herr E. Meyer: M. H! Ich fühle mich verpflichtet, zu erklären,
dass ich dem Urteil von Kollegen Moro nur zustimmen kann. Die
Reaktion ist zweifellos in beiden hier demonstrierten Fällen positiv.
Die Patientin, die von Mainini als „negativ“ bezeichnet wurde,
ist am 4. d. M. geimpft worden; wie Kollege Mainini und der
Assistent, auf dessen Abteilung die Patientin liegt, versichern, war
bis heute Morgen keine Reaktion vorhanden. Jetzt ist sie da. Es
ist bisher nicht beobachtet worden, dass eine Reaktion noch so spät
auftritt, nachdem in den Tagen vorher nichts zu sehen gewesen war.
Es wird darauf zu achten sein, ob nicht bei dieser Patientin irgend
ein auf I uberkulQse hindeutender Befund sich noch finden wird.
Herr Dürck demonstriert: 1. Ein psammöses Endotheliom der
Dura mater spinalis.
Bei einer 55 jährigen Frau fand sich in der Höhe des VII. Zervikal-
bis I- Dorsalsegmentes an der Innenfläche der spinalen Dura mater
ein 4 cm langer länglicher, walzenrunder, grauroter Körper von Ge-
staU und Umfang einer mittleren Dattel. Das Rückenmark war in der
Ausdehnung des Tumors in sagittaler Richtung platt zusammenge¬
presst worden. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst er¬
gab einen Tumor von der gleichen Zusammensetzung wie der Vor¬
tragende in 3 Fällen früher an der Dura mater cerebralis beobachtet
und in der Sitzung vom 13. März 1907 demonstriert hat: ineinander¬
gedrehte Schläuche von enorm gewucherten Endothelien, welche zum
leil ganz kompakt und teilweise verkalkt waren. D. hat in letzter
, e d ^ Fälle solcher Tumoren gesammelt, welche von französischen
Autor en als „Sarcome angiolithique“ beschrieben werden.
2. 3 Vz Monate alte Schussverletzung des Gehirns.
D. zeigt das Gehirn eines 45 jährigen Mannes, welcher 3V» Mo¬
nate vor seinem Tode einen Selbstmordversuch gemacht hatte indem
er einen Revolverschuss gegen seine Stirn abfeuerte. Die Kugel war
cluicli das Stirnbein eingedrungen und hatte vom Stirnpol aus die
rechte Grosshirnhemisphäre in sagittaler Richtung bis an die Grenze
des Hinterhauptlappens etwas schräg nach aufwärts steigend durch¬
setzt. Der Mann war in vollkommen bewusstlosem Zustande und
mit totaler Lähmung der rechten Körperhälfte in die Klinik einge¬
macht woi den. Die Bewusstlosigkeit löste sich im Laufe von einigen
I agen und auch die Lähmungserscheinungen gingen langsam aber
stetig im Laufe von 3 Vz Monaten zurück, so dass nur noch eine geringe
1 ärese der linken Unterextremität übrig blieb. Am Abend vor seinem
Tode hatte der Mann mit Stubengenossen noch Karten gespielt und
war am nächsten Morgen tot in seinem Bette gefunden worden, so
dass der Verdacht entstand, es könne vielleicht ein Selbstmord durch
Vergiftung vorliegen. Die Sektion ergab allgemeine Adipositas, sehr
starke Adipositas coi dis, marantische Thrombose in der unteren
Hohlvene und eine tödliche Lungenembolie. Wie auf Serienschnitten
durch das Gehirn zu sehen war. zeigte der Schusskanal schon vorge¬
schrittene Vernarbung durch Einlagerung eines nur mehr wenig pig-
mentierten bindegewebigen Pfropfes. Das Geschoss, eine 7mm
VV eichbleirevolverkugel war an der Grenze des rechten Scheitel- und
Hinterhauptlappens in der grauen Rinde von einer allseitig ge¬
schlossenen zarten Bindegewebskapsel eingehüllt und hatte sonst
keinerlei Reaktionserscheinungen ausgelöst. Trotz der leichten Ent-
fernbarkeit des Projektiles war es also auch im vorliegenden Falle
das Richtige gewesen, den operativen Eingriff zu unterlassen, da
Reizerscheinungen nicht Vorlagen.
3. Diffuse Gallertkarzinose des Gehirns.
Bei einer 44 jährigen Frau, welche an einem primären Gallert-
Kai zinom des linken Lungenunterlappens gestorben war, fand sich das
ganze Gehirn in allen seinen Teilen ausserordentlich dicht durchsetzt
von tausenden von grösseren und kleineren, teilweise nur mikro¬
skopisch wahrnehmbaren Metastasen des ursDriinglichen Tumors, in
denen überall die gallertige Degeneration der Karzinomepithelien deut¬
lich erkennbar ist.
4. Margaritom des Oberwurmes des Kleinhirns.
Bei einem 57 jährigen, an Sepsis zugrunde gegangenen Manne
fand sich als zufälliger Befund an der erwähnten Stelle ein Cholestea¬
tom mit Einlagerung sehr zahlreicher mattglänzender kugeliger Perlen,
welche dieser Art von Tumoren den Namen „Margaritom“ verschafft
haben.
5. Drei Fälle von Verdrängung der Kleinhirntonsillen in die Rück¬
gratshöhlen.
D. macht daiauf aufmerksam, dass in Fällen von Hydrocephalus
externus oder internus unter Umständen die Kleinhirntonsillen weit
zapfenartig in die Rückgrathöhle hinuntergedrängt werden können.
Dies war z. B. der Fall bei einem 27 jährigen an Diabetes gestorbenen
Mann mit ziemlich starkem Hydrocephalus externus. Noch bedeutend
starker aber waren diese Verdrängungserscheinungen bei 2 Kindern
mit bmina bifida. In beiden Fällen war starker Hydrocephalus internus
vorhanden. Die Kleinhirntonsillen waren hier bis über 3 cm lang als
dunkelgerötete hämorrhoidalknotenähnliche Anhänge in den Wirbel¬
kanal hinabgepresst.
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2165
6. Sechs Fälle von Hirnabszess, meist otogenen Ursprungs.
In einem Falle, welcher ein Jahr nach operativer Eröffnung zu¬
fällig verstarb, war vollkommene Ausheilung eingetreten. An Stelle
des Abszesses fand sich nur mehr eine trichterförmige bindegewebige
Narbe an der Spitze des linken Schläfenlappens.
7. Flimmerepithelzyste des Oesophagus.
Bei einem 2 jährigen, an Diphtherie gestorbenen Knaben fand sich
im unteren Teil des Oesophagus etwas rechts neben der Mittellinie
eine gut haselnussgrosse fluktuierende Blase mit durchscheinenden
Wandungen. Die Punktion ergab reichliche hohe flimmernde Zylinder-
epithelien. Im Schnittpräparat ergab sich kontinuierliche Auskleidung
der von 2 muskulären Schichten umgebenen und von der Speiseröhre
völlig getrennten Zyste mit flimmerndem Zylinderepithel.
8. Branchiogenes Karzinom.
Bei einem 48 jährigen Mann fand sich an der rechten Halsseite
ein doppelt faustgrosser Tumor, welcher sowohl von der Haut als
von der Schilddrüse gut abgrenzbar war. Ursprünglich Verdacht auf
Karotisdrüsentumor. Mikroskopische Untersuchung ergibt Platten¬
epithelkarzinom.
Diskussion: Herr G e b e le teilt zu dem von D. demonstrier¬
ten Fall von Kopfschussverletzung mit, dass die Erfahrungen der chi¬
rurgischen Klinik bezüglich Kopfschussverletzungen nicht gut seien
und dass über 80 Proz. der Fälle ad exitum kommen. Trotzdem zeige
auch wieder der demonstrierte Fall die Berechtigung der konserva¬
tiven Behandlungsmethode nach den Grundsätzen Bergmanns.
' Die Kugel habe sich abgekapselt und sei reaktionslos eingeheilt.
Klinisch dürfte von Interesse sein, dass das Bewusstsein des Patienten
fast 4 Wochen lang getrübt war und die linksseitige Lähmung sich ersx
innerhalb 10 Wochen zurückbildete. Doch erholte sich schliesslich
der Pat. vollkommen, er ging nicht an der Schussverletzung, sondern
an einer interkurrenten Erkrankung zugrunde. Die hohe Mortalität
der Kopfschussverletzungen überhaupt erkläre sich aus den sehr häufi¬
gen, schweren Gehirnzertrümmerungen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
4. Landesversammlung des Bayerischen Medizinalbeamten-
vereins
in München am 13. Oktober 1907.
Der Vorsitzende, Bezirksarzt Dr. Angerer - München, eröffnet
um 9/4 Uhr die Versammlung mit einem Hoch auf Se. K. Hoheit den
Prinzregenten. Als Gäste werden begriisst: Geheimrat v. ürashey
und Bezirksamtmann Huber als Vertreter des Ministeriums des
Innern, Ministerialrat v. Marth als Vertreter des Justizmini¬
steriums und Kreismedizinalrat Professor Dr. Messerer. Der
Vorsitzende verweist sodann auf die Wichtigkeit der Tagesordnung.
Die Reformbestrebungen des Vereins werden, wie schriftliche Zu¬
stimmungskundgebungen beweisen, vielfach begrüsst und gebilligt.
Geheimrat v. Grashey begrüsst im Namen des Ministers
des Innern und für seine Person die Versammlung mit dem Wunsche,
dass sie einen guten Verlauf nehme und dass alle Wünsche der Amts¬
ärzte in der einen oder anderen Form in Erfüllung gehen mögen. Die
Aufgabe sei schwierig, die Beratung werde sehr eingehend und
namentlich die Motivierung der Anträge eine sehr gute sein müssen.
Nach einigen geschäftlichen Mitteilungen durch den Vorsitzenden
hält Dr. A. G r o t h - München einen Vortrag über Amtsarzt und
Säuglingssterblichkeit.
Es haben bei den Impfterminen in Bayern umfangreiche Er¬
hebungen über den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Mortalität
der Säuglinge stattgefunden. Verschiedene statistische Tabellen
geben Aufschluss über die Verschiedenheit in den einzelnen Landes¬
teilen, über den Zusammenhang zwischen niederen Stillziffern und der
hohen Sterblichkeit, desgleichen der Geburtenhäufigkeit mit der
hohen Sterblichkeit und ebenso zwischen der Zahl der Armenunter-
stützungen und der Sterblichkeit. Dabei zeigen sich die letzteren
Faktoren in den Städten weniger wirksam wie auf dem Land, offenbar
infolge der Fortschritte der allgemeinen Hygiene und Aufklärung.
Der Einfluss der mangelhaften Brusternährung tritt aber auch in den
Städten deutlich zu tage. Es muss aber und kann auch hier durch
Aufklärung eine Besserung geschaffen werden, in der Stadt und auf
dem Lande. Daran hat auch der Staat das grösste Interesse und seine
Amtsärzte sind in erster Linie zur Arbeit berufen. Wo die Verhält¬
nisse günstig sind, wo vorwiegend Brusternährung geübt wird und
die Bevölkerung intelligent ist, müssen diese guten Verhältnisse mög¬
lichst auch bei zunehmender Industrialisierung erhalten und überall
unablässig auf langes Stillen hingewirkt werden unter Mitwirkung der
Aerzte, Hebammen, event. auch der Geistlichkeit. Der beifällig auf¬
genommene Vortrag schliesst mit dem Dank für die wertvolle Mit¬
arbeit der Herren Medizinalrat Dr. Stumpf und Prof. Dr. Hahn.
Es folgt nunmehr das Referat Dr. B e c k e r s - München: Ueber
den amtsärztlichen Dienst im Königreich Bayern. (Die Leitsätze des
Referates sind in der Beilage zu No. 41 der Münch, med. Wochen¬
schrift abgedruckt.)
Am Schluss seiner Ausführungen, welche, von einer Mittagspause
unterbrochen, mehr als 4 Stunden in Anspruch nahmen und an Klar¬
heit, Sachkunde und Sachlichkeit kaum zu übertreffen waren,
sprach der Referent den Wunsch aus, dass die eingehende Begründung
der Forderungen die Staatsregierung von deren Richtigkeit und Er-
spriesslichkeit überzeugen und eine ausgiebige Diskussion zu einer
Klärung der gemeinsamen Auffassung führen werde. Soweit finan¬
zielle Fragen in Betracht kommen, dürfe man wohl auf eine bereit¬
willige Stimmung im Landtage rechnen.
Der Vorsitzende eröffnet die Diskussion unter dem Aus¬
druck des lebhaften Dankes für das ausserordentlich mühevolle
Referat (Beifall).
Medizinalrat Professor Dr. H o f m a n n stellt die Frage, ob die
Anwesenden im allgemeinen einverstanden sind mit dem Referate.
Bezirksarzt Dr. Gruber - München unterbreitet folgende
Resolution :
„Die 4. Landesversammlung des bayerischen Medizinal¬
beamtenvereins erblickt in den Leitsätzen über den amtsärztlichen
Dienst im Königreich Bayern eine geeignete Grundlage für eine
Medizinalreform und erklärt sich damit einverstanden.
Sie beauftragt ihre Vorstandschaft, die Leitsätze und die von
dem Referenten gegebenen Erläuterungen der k. Regierung zu
unterbreiten mit der ehrerbietigsten Bitte, dieselbe wolle die
Wünsche für die Ausgestaltung des amtsärztlichen Dienstes und
die Verbeserung der Gehaltsverhältnisse in wohlwollende Wür¬
digung ziehen und die notwendig erscheinenden Massnahmen
hierzu in die Wege leiten. Sie beauftragt ferner die Vorstand¬
schaft, die Weiterentwicklung dieser Frage zu verfolgen, zur
Beratung über die einzelnen Sparten des Medizinalwesens das
Material zu sammeln und vorzubereiten, sowie die hieraus sich
ergebenden Anträge auf die Tagesordnung der nächsten Landes¬
versammlungen zu setzen.“
Medizinalrat Dr. G o e t z -Nördlingen ist in allen wesentlichen
Punkten einverstanden.
Bezirksarzt Dr. Henkel- München ist einverstanden, wenn
ausgedrückt wird, dass Beckers fleissige und scharfsinnige Arbeit
die Grundlage zu weiteren Beratungen bilden kann und Becker
der grösste Dank gebührt. Bedenklich wäre es aber, die Resolution
anzunehmen und sich damit mit allem einverstanden zu erklären.
Bezüglich des Medizinalamtes könne er beispielsweise nicht zu¬
stimmen. Schon jetzt sei der Wirkungskreis des Bezirksarztes um¬
schrieben und stehe ihm die Initiative zu, und er stimme mit Becker
überein, dass es nur auf den Bezirksarzt ankomme, was er aus seinem
Bezirk mache. Aber die Schaffung eines Medizinalamtes ist schwach
begründet. Der dienstliche Apparat mit allen Hilfskräften würde zu
gross werden.
Bezirksarzt Dr. S c h ii t z - Vilsbiburg ist ebenfalls gegen eine
bedingungslose Zustimmung und spricht sich insbesondere gegen die
Aufstellung von Amtsgerichtsärzten aus. Das bedeute eine schädliche
Dezentralisation. Wir brauchen weder bezirksärztliche Stellvertreter
noch Amtsgerichtsärzte, die in unsere Befugnisse eingreifen. Wo
das Bedürfnis besteht, sollen, wie es bereits geschieht, neue Bezirks¬
ämter errichtet werden, aber keine Nebenämter mit volltönenden
Titeln. Die Zuständigkeit der Amtsgerichte wird ja in der Haupt¬
sache nur auf privatrechtlichem, nicht auf strafrechtlichem Gebiet
erweitert werden.
Landgerichtsarzt Dr. B u r g 1 - Nürnberg: Einer der wichtigsten
Vorschläge ist die Loslösung des gerichtsärztlichen Dienstes und
Uebertragung an das Ressort des Justizministeriums. Die von dem
Referenten gut motivierte Forderung ist sicher das richtige. Es
wird immer gewisse Punkte allgemeiner Art geben, wo auch das
Ministerium des Innern in Betracht kommt, wie z. B. die Grund¬
sätze über die Anstellung der Amtsärzte, Statistik, Durchführung
der sanitären Massnahmen usw., aber in erster Linie sollen die Land¬
gerichtsärzte dem Justizministerium unterstellt werden und in diesem
soll ein Referent aus der Reihe der Gerichtsärzte aufgestellt werden,
das muss nicht gleich ein Obermedizinalrat, das kann auch ein jüngerer
Herr sein. Die Schaffung einer gerichtlichen Medizinalabteilung
stünde vollkommen im Einklang mit der Verfügung vom 26. IX. 07,
welche die Bildung eigener Abteilungen ;in den Ministerien für be¬
sondere Geschäftsbereiche empfiehlt.
Dr. Dollmann - München empfiehlt dem Referate und der ein-
gebrachten Resolution zuzustimmen. Den Titel Amtsgerichtsarzt
könne man den bezirksärztlichen Stellvertretern ruhig gönnen.
Bezirksarzt Dr. G r a s s 1 - Lindau befürwortet doch eine gewisse
Zulassungsfrist für das Physikat, damit eine wohltätige Selbstauslese
stattfinde. Die Bakteriologie und Nahrungsmittelchemie könne eine
Einschränkung, die Gewerbehygiene und die soziale Gesetzgebung
und vor allem das Gebiet der Demographie eine grössere Berück¬
sichtigung erfahren. Die Fortbildungskurse sind notwendig, die bak¬
teriologischen Kurse nur von geringem Werte. Die Aufstellung von
„Amtsgerichtsärzten“ geht zu weit. Dagegen empfiehlt sich wohl, die
Kompetenzen der Bezirksärzte, die zurzeit mehr von der Gnade der
Verwaltungsbeamten abhängen, genau abzugrenzen, ihnen mehr Exe¬
kutive zu erteilen und den sanitären Ueberwachungsdienst unter eine
einheitliche Leitung zu stellen. Man kann ausrechnen, dass heute
bereits auf 98 Einwohner irgend eine „Medizinalperson“ kommt.
Interessant sei bei einem Rückblick auf die Gehaltsverhältnisse, dass
früher die Gehälter der Bezirksärzte und Assessoren übereinstimmten,
das Verhältnis sich aber immer mehr zu gunsten der letzteren geändert
habe, obwohl die Erwerbsbedingungen für die Bezirksärzte, die nicht
ihre ganze Kraft dafür einsetzen können, sich mehr und mehr ver¬
schlechtere.
Bezirksarzt a. D. Dr. G a i 1 1 wünscht, dass die gesamte Schul¬
hygiene den Amtsärzten übertragen wende.
2166
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Kreismedizinalrat Prof. Dr. M e s s e r e r - München : Schon in
der Kreisversammlung von Oberbayern sind so grosse Meinungsver¬
schiedenheiten über den Entwurf hervorgetreten, dass kein Resultat
erzielt wurde. Ein so wichtiger Gegenstand kann durch ein so kurzes
Referat nicht erledigt werden. Schon von den bisherigen Rednern
sind grosse Bedenken geäussert worden bezüglich des Medizinal¬
amtes, der Amtsgerichtsärzte. Das Referat ist verdienstvoll, aber
doch ist noch eine eingehende Beratung erforderlich; die Annahme der
Resolution wäre bedenklich. Ein ganz wesentliches Bedenken besteht
auch gegen den Vorschlag, dass die Landgerichtsärzte selbst bakterio¬
logische und pathologische Untersuchungen vornehmen sollen. Als
Angeklagter würde ich dagegen auf das entschiedenste protestieren.
Dazu gehört mehr Uebung, das können die Landgerichtsärzte, denen
von Zeit zu Zeit einmal eine Untersuchung vorkommt, nicht. Sehr
bedenklich wäre auch die Lostrennung der Landgerichtsärzte vom
Ministerium des Innern. Ich war selbst 15 Jahre Landgerichtsarzt
und würde sie sehr bedauern. Sie würden sich selbst ins Fleisch
schneiden; denn der segensreiche Uebergang zwischen den Land¬
gerichts- und Bezirksärzten wird in Zukunft sehr erschwert sein, die
Landgerichtsärzte werden einfach draussen stehen. Die Verbesse¬
rungen werden sich auch so erreichen lassen; wenn geeignete An¬
träge kommen, wird es an der Bereitwilligkeit der beiden Ministerien
nicht fehlen. Der Obermedizinalrat im Justizministerium würde wohl
eine beneidenswerte Stellung haben, guten Gehalt und nichts zu tun!
Das Referat Beckers ist sehr gut, aber verschiedene Punkte be¬
dürfen noch sehr der Klärung.
Medizinalrat Prof. Dr.Hofmann hält die Stelle eines Medizinal¬
referenten im Justizministerium gleichfalls für überflüssig, er würde zu
wenig zu tun haben. Die Prüfungsordnung für den Staatsdienst dürfte
bereits in der nächsten Zeit einer Revision unterzogen werden. Die
Gründe für die Abschaffung der Wartezeit sind einleuchtend, das Examen
kann im ersten Jahr nach dem praktischen Jahr stattfinden. Dass die
Errichtung von gerichtsärztlichen Instituten absolut und baldigst not¬
wendig ist, ist nicht zu bezweifeln. Bezüglich der Vorbereitungskurse
müsste nicht nur München in Betracht kommen, sie brauchen auch nicht
obligatorisch zu sein, manche Kandidaten bestehen das Examen gut
auch ohne solche Kurse. Die Ungleichheit der Aufgaben für die schrift¬
lichen Arbeiten ist allerdings misslich, man möchte auf diese aber
doch nicht ganz verzichten, sie geben doch manche Aufschlüsse über
die Fähigkeit, sich in ein Gebiet einzuarbeiten und schriftlich aus¬
zudrücken. Mancher Landarzt liefert ausgezeichnete Arbeiten und
mancher Arzt in einer Universitätsstadt ganz ungenügende. Wir
wollen uns nicht so sehr ereifern, um das oder jenes an dem Referat
auszusetzen, wir wollen sagen, so denkt die Mehrzahl der Amtsärzte,
es vorlegen und abwarten, was herauskommt.
Bezirksarzt Dr. Schütz- Vilzbiburg: Schwierigkeiten bezüglich
des Uebergangs von dem Bereich der Justiz in den der Verwaltung be¬
stehen jetzt schon. Einem jungen Kollegen, der als Gefängnisarzt in
Kaisheim angestellt wurde, ist das bereits amtlich bedeutet worden.
(Zwischenruf: Wenn man das nur schon früher getan hätte!)
Ein Missstand ist die Qualifikation der Bezirksärzte durch die Be¬
zirksamtmänner; sie sollte nur durch die übergeordnete Kreisregierung
erfolgen. Zu wünschen wäre eine grössere Selbständigkeit der Be¬
zirksärzte für Kommissionen und die Gewährung eines Reiseaver-
sums.
Bezirksarzt Dr. Henkel: Es bestehen jedenfalls verschiedene
Meinungen und die Notwendigkeit, die Gegenstände noch weiterhin
zu beraten, aber sicher auch der Wunsch, das Referat bald zur Kennt¬
nis der Regierung zu bringen. Es empfiehlt sich vielleicht den ersten
Satz der Resolution etwa so zu fassen: Die Versammlung stimmt
darin überein, die wichtigen Vorschläge, wie sie in den Leitsätzen
Di. Becker s enthalten sind, der Regierung in Vorlage zu bringen
und erachtet es als Pflicht, die Vorschläge im Medizinalbeamten¬
verein weiter in Beratung zu ziehen.
Bezirksarzt Dr. Gr über schlägt für ddn ersten' Satz der von
ihm eingebrachten Resolution folgende Fassung vor:
Die Versammlung erklärt sich mit den Leit¬
sätzen über den amtsärztlichen Dienst... inso¬
weit einverstanden, als sie in ihnen eine ge¬
eignete Grundlage für eine Medizi tfalreform er¬
blickt.
Der Vorsitzende schlägt im Einverständnis mit dem Referenten
den Zusatz vor: „unbeschadet von Meinungsverschiedenheiten über
einzelne Punkte“.
B
Nach weiteren Bemerkungen der Herren Schütz, Dollman
a n alt - Würzburg und Dietsch-Hof betont.
Bezirksarzt Dr. A 1 a f b e r g - Ludwigshafen, dass eigentlich ni
eine krage strittig sei, die wegen der unglücklichen bezirksärztliche
Stellvertreter, sonst seien keine erheblichen Bedenken voi
handen.
Bezii ksarzt Dr. G r u b e r: Auch über diese sind wir wohl dahi
einig, dass ihre Stellung reformbedürftig ist.
Dr. Becker (Schlusswort): Die Differenzpunkte sind eigentlic
recht geringfügig. Bei den Vorbereitungskursen wäre es nicht richtij
es den Kandidaten zu überlassen, wo sie ihre Kenntnis holen woher
der Staat muss wünschen, dass die Leute Gelegenheit haben, das un
jenes zu lernen, was der Staatsdienst erfordert. Gute Examina ohn
die Kurse sind Ausnahmen und betreffen wohl nur die mündlich
I nnung. Wegen der bezirksärztlichen Stellvertreter besteht di
Meinungsdifferenz darin, dass man Ihnen alles nehmen und den Be
zirksärzten alles geben will. Wenn das im öffentlichen Interesse
wäre, hätte ich das auch vorgeschlagen. Den Dienst an den aus¬
wärtigen Amtsgerichten kann der Bezirksarzt nicht versehen, die Be¬
hörden bedürfen da eines ortsansässigen Sachverständigen. Dieser
soll dann auch einen Titel bekommen, welchen, ist schliesslich gleich;
so volltönend ist der Titel Amtsgerichtsarzt doch nicht; im übrigen
heisst ja auch der Vorstand der kleinsten Gemeinde Bürgermeister,
so gut wie der Bürgermeister von München. Was die Untersuchungen
durch die Landgerichtsärzte angeht, so sind sie durchführbar, wenn
sich der Betreffende öfter damit zu befassen hat. Ich muss staunen,
dass man ihnen diese Fähigkeit abspricht und sogar von einem Protest
der Angeklagten redet. Es wäre doch merkwürdig, Wenn demnächst
in einem Prozess ein Anwalt für seinen Klienten protestieren würde
mit Berufung auf die heutigen Ausführungen des Vertreters der Re¬
gierung. Man hat den Obermedizinalrat im Justizministerium als »
Privatier bezeichnet. Man kann es sich in jeder Stellung leicht oder
schwer machen. Die regelmässige ärztliche Untersuchung der Ge¬
richtsgefängnisse und Strafanstalten hat bisher fast ganz gefehlt, es
dürfte dort gewiss manchmal Nachschau gehalten werden. Hoffentlich
wird sich das Justizministerium nicht auf denselben ablehnenden
Standpunkt stellen. Die Uebertragung der gesamten sanitären Auf¬
sicht an eine besondere Behörde, das Medizinalamt, würde jedenfalls
einen Fortschritt bedeuten. Ueber die Qualifikation der Bezirksärzte
hat sich seinerzeit auf eine Interpellation des Abgeordneten Söldner
im Landtag der Minister Graf Feilitzsch bündig dahin geäussert,
dass die Bezirksärzte den Bezirksamtmännern koordiniert, nicht sub¬
ordiniert sind, und dass eine Qualifikation durch das Bezirksamt
nicht stattfindet. Wenn Bezirksarzt Grassl das organische Edikt
vom Jahre 1808 wiederhergestellt wissen will, so kann man ihm zu¬
sammen, sofern er nicht an die Wiederherstellung des Wortlautes,
sondern an die des Geistes denkt. Es ist zu verwundern, dass der
Vertreter der Regierung gegen die Annahme der Resolution ge¬
sprochen hat, gerade als wenn die Regierung ein Interesse daran hätte,
dass kein einmütiger Beschluss zustande komme. Die Meinungsver¬
schiedenheiten sind jedenfalls geringfügig, sie schaden nicht und es
ist nur gut, wenn die Staatsregierung alle Meinungen kennen lernt;
es ist nur das eine zu wünschen, dass die Sache weiter verfolgt und
mit der Ausgestaltung des Medizinalwesens ein grosser Schritt vor¬
wärts getan wird.
Kreismedizinalrat Prof. Dr. Messerer zur Berichtigung: Ich
habe nur als Gast und nicht als Vertreter der Regierung meine per¬
sönliche Ansicht ausgesprochen. Meinen Worten über die Land¬
gerichtsärzte ist ein Sinn beigelegt worden, den sie nicht hatten.
Nach Verlesung der Resolutionen G r u b e r und Henkel wird
die er stere in ihrer modifizierten Fassung mit
allen gegen 3 Stimmen angenommen.
Mit dem besten Dank an die Gäste, die Referenten und die Dis¬
kussionsredner schliesst der Vorsitzende nach 5% Uhr die Versamm-
lung. Bgt.
Verschiedenes.
Aerztliche Gebühren.
Unter diesem Titel bespricht der Kgl. Amtsrichter A. Ei b e c k e r
zu Deggendorf in No. 17 und 18 der „Z e i t s c h r i f t f ü r Rechts¬
pflege in Bayer n“ (1907) zwei strittige Punkte der Verordnung
vom 17. November 1902 „Gebühren für ärztliche Dienstleistungen bei
Behörden betreffend“.
1. Der erste Streitpunkt betrifft die Berechtigung der Entschädi¬
gung für den Zeitaufwand in der Zeit vonder Ankunft amGe-
schäftsorte — Gerichtssitze etc. — bis zu Beginn des
1 ermins oder des Dienstgeschäftes.
Nach Entscheidung des Obersten Landesgerichtes (11. Februar
1904) kann eine Entschädigung für diese Zeit nicht verlangt werden,
weil in der Gebührenordnung (§ 3 Abs. II) eine solche Vergütung nicht
vorgesehen ist, denn dort ist nur von einer Entschädigung des Zeit¬
aufwandes für die „Wartezeit bis zum Abgang des Beförderungs¬
mittels“, also die Zeit von Beendigung des Dienstgeschäftes bis zum
Abgang des Beförderungsmittels die Rede.
Der Vei fassei weist nun auf die Härte hin, welche diese Aus¬
legung des § 3 enthält, insoferne der Arzt, wenn er aus irgend welchen
Gründen bereits am Abend vor dem Termin an den Gerichtsort ab-
i eisen, dort auf seine Kosten übernachten müsse; er erwähnt dabei
noch das Beispiel von zwei aufeinander folgenden selbständigen
agesterminen : Fährt ein Arzt nach Beendigung des ersten Termins
nach Hause zurück, um vielleicht auch schon nach 14 stündigem Auf¬
enthalte zu Hause die Reise nach dem Terminsorte wieder antreten
zu müssen so bekommt er wenigstens die Entschädigung für Zeitauf¬
wand auf der Hin- und Herreise, während der Arzt, welcher am Ge¬
richtsorte bleibt, für die Zeit von Beendigung des ersten Termins
us zum Beginn des nächsten 1 agestermins eine Entschädigung weder
für die versäumte Zeit noch für die gehabten Auslagen erhält.
a -P™ P'ffSe ^gleichen aufzuheben, haben bisher manche Gerichte
damit abhelfen wollen, dass man auch demjenigen auswärtigen Arzte,
der bis zum Beginn des zweiten Termins am Gerichtssitze blieb, eine
K e i s e entschädigung zuwies, die erwachsen wäre, wenn der Sach¬
verständige in der Zwischenzeit vorübergehend heimgereist wäre,
i l- a ieSM AusRsiing wird seitens des Verfassers als unzulässig er¬
klärt, weil es nicht angeht, für eine Reise, die gar nicht gemacht
22. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2167
wird eine Zeitaufwandsentschädigung zu gewähren; er hält auch
diese Verlegenheitsentschädigungen“ gar nicht für notwendig. Der
Verf vertritt nämlich die Anschauung, dass durch § 17 der Verordnung
vom 17. November 1906 keineswegs die Bestimmungen der §§ 3 und 5
der Reichsgebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom
30, Juni 1878, bezw. 20. Mai 189S aufgehoben seien, welche die all¬
gemeine Norm bezüglich Begriffs Zeitaufwand und Entschädigung
desselben für Zeugen und Sachverständige aufstellen.
Es kann hier nicht näher auf die Begründung eingegangen
werden, welche der Verf. in eingehender Weise für seine Auffassung
bringt; es darf aber hier darauf hingewiesen werden, dass die gleiche
Auffassung bereits in unserem Werkchen: „S p a e t - S t e n g 1 e i n:
Das ärztliche Gebührenwesen in Bayern“ 1903, S. 217
vertreten ist; sie wurde von mir näher vertreten in der Münch,
med. Wochenschr. No. 6, 1904.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Art der Lösung strittiger
Frage namentlich dem Nichtjuristen als die natürlichste erscheint;
es ist erfreulich, dass nunmehr auch von einem Juristen mit aller
Entschiedenheit für diese Auffassung eingetreten wird, ob diese Aus¬
legung aber in Zukunft von den entscheidenden Gerichtsorganen an¬
genommen wird, namentlich ob das Oberste Landesgericht seine Ent¬
scheidung vom 11. Februar 1904 wieder ändert, das erscheint vorerst
noch fraglich.
2. Der zweite Punkt betrifft die Entschädigung ärztlicher Sach¬
verständiger für Aktenstudien; die meisten Gerichte haben bis¬
her eine Entschädigung hierfür abgelehnt; erst in neuerer Zeit ist das
Landgericht München I zur Bejahung der Honorierungsfrage unter ge¬
wissen Voraussetzungen gekommen und der II. Z.S. des O.L.G.
München hat unterm 27. Dezember 1906 ausgesprochen, dass man
einem Sachverständigen ein unentlohntes Studium umfangreicher
Akten nicht zumuten könne. Die Tätigkeit des Aktenstudiums setzt
das O.L.G. der Ab Wartung eines gerichtlichen Ter¬
mins gleich und kommt damit zu einer sinngemässen Anwendung
der Ziffer 14 der V.O. vom 17. XI. 02.
Verf. hält jedoch auch diesen Ausweg nicht für einwandfrei, weil
einzuwenden ist, dass in Wirklichkeit kein Termin stattgefunden
hat, wesshalb es auch keine Ter m i n gebühr geben kann.
Anderseits ist aber Verf. der Anschauung, dass im Interesse der
Rechtspflege und auch aus finanziellen Gründen eine Entlohnung der
Sachverständige für längeres Aktenstudium erfolgen müsse, weil sonst
die Gefahr besteht, dass Aerzte das häusliche Aktenstudium ab¬
lehnen und dem Gerichte es zuschieben, ihnen den Akteninhalt
i n e i n e r Reihe von Terminen mitzuteilen, wozu sie zweifel¬
los berechtigt sind.
Nach Anschauung des Verf. ist übrigens der am O.L.G. gewählte
Ausweg gar nicht nötig, hier kämen ebenso wie bei der Frage der
Entschädigung für den dort besprochenen Zeitaufwand die Bestim¬
mungen der §§ 3 und 5 der Reichsgebührenordnung für Zeugen und
Sachverständige in Betracht: also Entschädigung für den durch Akten¬
studium bewirkten Zeitaufwand — 2 M. für die Stunde bis zur Maxi¬
malgrenze von 10 Stunden im Tage.
Die Einordnung des Aktenstudiums unter Ziff. 7 (als eine Unter¬
art ärztlicher Untersuchung und Beobachtung) hält Verfasser neben
anderem auch deshalb für unangezeigt, weil bei grösserem Akten¬
studium eine recht ungenügende Entlohnung sich ergeben würde —
man hat eine des Arztes recht unwürdige Stundenentschädigung
von 20 Pfennig. —
Um solche Unzukömmlichkeiten zu vermeiden, wurden bisher
die Gutachter angewiesen, von Fall zu Fall beim Justizministerium
um die Erhöhung der Gebühr nachzusuchen. Dass der vom Verfasser
gegebene Ausweg den Vorzug verdient, wird nicht bestritten werden
können, auch ich habe in dem oben erwähnten Artikel der Münch,
med. Wochenschr. (No. 6, 1904) mich dahin ausgesprochen, dass eine
derartige Beschwerdeführung bei jedem einzelnen Falle für die be¬
teiligten Aerzte als auch namentlich für die zuständigen Behörden
fortwährende Gesuche und Verbescheidung derselben verursacht, eine
Geschäftsvereinfachung somit nicht ist.
S p a e t - Fürth.
Verstellbares Bruchband.
AUTOKRAT ^cs ^cscn
Der Fabrikant Trechknann bringt ein neues Bruchband
den Handel, dessen Pelotte sich in
jede gewünschte Stellung bringen lässt.
Die Pelotte kann durch eine sinnreiche
Vorrichtung sowohl nach einwärts und
auswärts, wie nach auf- und abwärts
verschoben werden. Ein Versuch mit u
dem Bruchbande in geeigneten Fällen scheint gerechtfertigt
in
; \
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 215. Blatt der Galerie bei: Eduard
Hitzig. Vergleiche den Nekrolog auf Seite 2144.
Therapeutische Notizen.
Ueber Finsens Hämatin-Albumin berichtet Max
Weissbart-München im „Zentralbl. f. d. gesamte Therapie“,
Oktoberheft. Er zitiert eine Analyse verschiedener Eiweiss-Eisen-
präparate aus dem F r e s e n i u s sehen Laboratorium, aus der her¬
vorgeht, dass sowohl das Hämoglobin als auch das Eisen in diesem
Präparat im Vergleich zu, einer Reihe anderer analoger Präparate
viel billiger bezahlt wird. So kosten 1ÜÜ g Hämoglobin in
Krewels Sanguinapillen M. 77.70, beim Hommel sehen
Hämatogen M. 6.69, beim Perdynamin M. 24.69 und beim
F i n s e n sehen Hämatin-Albumin nur M. 2.74, während sich
der Preis eines Grammes Eisen bei diesen Präparaten auf M. 12.76
(S an gu in alp'illen), M. 19.01 (Hämatogen), M. 41,49 (Per-
dynamin) und nur M. 7.26 beim Hämatin-Albumin beläuft.
Weissbart hat das Mittel bei allen jenen Kranken verordnet, bei
welchen er eine Kräftigung des Organismus erstrebte, so vor allem
in der Rekonvaleszenz. Auch zur Hebung des Appetites wurde es mit
bestem Erfolge gegeben. Namentlich in Fällen von Chlorose und
sekundärer Anämie hat das Mittel „vorzügliche Dienste ge¬
leistet“. Beträchtliche Gewichtszunahmen wurden bei Ge¬
sunden, denen das Hämatin-Albumin zu diesem Zwecke ver¬
abreicht wurde, konstatiert. Wegen seiner leichten Verdaulichkeit
und guten Assimilierbarkeit gab Weissbart das Präparat
anämischen Kindern, gerade in diesen Fällen hat sich dasselbe am
schönsten bewährt; niemals wurden irgend welche unerwünschte
Nebenwirkungen beobachtet. Das Mittel wird von der chemischen
Fabrik FeustellNachf. in Altona-Bahrenfeld hergestellt und zwar
in Pulverform oder als Tabletten. Weissbart gibt bei Kindern
in — alle drei Tage — steigender Weise täglich 3 mal 2—8 Tabletten,
bei Erwachsenen ■ — - gleichfalls alle drei Tage steigend — dreimal täg¬
lich 3 — 12 Tabletten, etwa Vs Stunde nach dem Essen mit oder ohne
etwas Wasser oder dergl. Der Gebrauch des Präparates kann be¬
liebig lange in der erreichten Maximaldosis fortgesetzt werden. F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 21. Oktober 1907.
— In Preussen und Bayern wird zurzeit die Frage der Feuer¬
bestattung wieder lebhaft erörtert; dort, weil eine bevorstehende
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts die endliche Freigabe der
Feuerbestattung zu bringen verspricht, hier, weil ein Gesuch der
Feuerbestattungsvereine München und Nürnberg um Zulassung der
Feuerbestattung vom Ministerium des Innern abermals abschlägig
verbeschieden wurde. Allerdings erklärte der Minister in der Kammer
es für zweifelhaft, ob auf die Dauer die Nichtzulassung der Leichen¬
verbrennung sich werde halten lassen, da es kein befriedigender Zu¬
stand sei, dass zahlreiche Leichen (aus München allein im Jahre 1907
85) zum Zwecke der Verbrennung nach auswärts gebracht würden.
Vorläufig aber ist die Frage für Bayern wieder auf längere Zeit ver¬
tagt. Massgebend für die Ablehnung - waren offenbar politische
Gründe, d. h. die Rücksicht auf die die Feuerbestattung perhorres-
zierende Landtagsmehrheit. Die Regierung stellte sich daher auf den
rein formalen Standpunkt, dass die Voraussetzung für die Gestattung
der Leichenverbrennung eine Aenderung des Art. 61, 3 des Polizei¬
strafgesetzbuches sei, die vorzunehmen aber zurzeit nicht angezeigt
sei. Unter den Gründen der Ablehnung spielt auch die Sicherung der
Strafrechtspflege, die Möglichkeit, dass durch die Verbrennung die
Spuren eines Verbrechens aus der Welt geschafft würden, wieder eine
Rolle. Tatsächlich liegt darin auch das einzige vernünftige Bedenken,
das man vom Standpunkte des Staates aus gegen die Feuerbestattung
haben kann. Es muss aber immer wieder betont werden, dass durch
geeignete Vorschriften über die Feststellung der Todesursache dieses
Bedenken nicht nur vollständig zerstreut wird, dass vielmehr in der
Aera der Feuerbestattung, die ja doch kommen wird, infolge der
besseren Feststellung der Todesursache manches Verbrechen recht¬
zeitig entdeckt werden wird, an das bei den derzeitigen Leichenschau¬
verhältnissen kein Mensch denkt. München steht zurzeit unter dem
Eindrücke des grässlichen Falles, dass ein 14 jähriges Dienstmädchen
in kurzer Aufeinanderfolge 5 ihrer Obhut anvertraute Kinder durch
Nadelstiche in das Gehirn tötete. Die Opfer wurden nach ordnungs¬
gemäss vollzogener Leichenschau ahnungslos zur Erde bestattet.
Erst durch die Häufung der Fälle wurde der Verdacht eines Arztes
wachgerufen. Es ist kein Zweifel, dass unter der Herrschaft der Vor¬
schriften zur Feststellung der Todesursache, wie sie die Feuer¬
bestattung -zur Voraussetzung hat, ein solcher Fall unmöglich gewesen
wäre; schon beim ersten Todesfall wäre das Verbrechen durch die
Sektion entdeckt worden. Ja man darf annehmen, dass beim blossen
Bestehen solcher Vorschriften manches Verbrechen ungeschehen
bliebe, das jetzt im Vertrauen auf die Unzulänglichkeit unserer
Leichenschau riskiert wird. Die Strafrechtspflege würde also nicht
nur keinen Schaden, sondern sicher den grössten Nutzen von der
Einführung der Feuerbestattung haben.
Man kann nun einwenden, dass die Einführung wirksamerer Vor¬
schriften zur Feststellung der Todesursache auch unabhängig von der
Feuerbestattung möglich wäre. Das ist richtig. Da jedoch dieselben
religiösen Vorstellungen, die der Feuerbestattung entgegenstehen, auch
die Sektion der Leichen, wenn auch nicht verbieten, so doch^ er¬
schweren, so ist auch darauf nicht zu rechnen. Von ärztlicher Seite
darf allerdings der Hinweis nicht unterbleiben, dass die Leichenschau,
wie sie zurzeit geübt wird, nur der Konstatierung des eingetretenen
Todes dient, dass sie aber zur Feststellung der Todesursache,
also auch zur Entdeckung eines Verbrechens, soweit es sich nicht um
auffallende äussere Verletzungen handelt, nicht ausreicht. Sollen also
Fälle, wie der eben erwähnte, unmöglich gemacht werden, so wäre
eine Revision der Leichenschauordnung nötig, die darin zu gipfeln
hätte, dass in allen Fällen, in denen die Todesursache nicht mit Sicher-
2168
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
heit ärztlich festgestellt werden kann, die Sektion vorzunehmen wäre.
— Münchener Aerzte erhalten zurzeit ein vertrauliches Rund¬
schreiben eines Diplomingenieurs Hans Hagen, Institut für elektro-
medlzinische Apparate in München, in welchen für Apparate im Preise
von über 20 M., die auf Empfehlung eines Arztes hin gekauft werden,
dem betr. Arzte eine Provision von 3373 Proz. in Aussicht ge¬
stellt wird. Ein derartiges Anerbieten ist eine Beleidigung der Aerzte,
denen es gemacht wird; denn es hält die Aerzte für fähig, statt im
ausschliesslichen Interesse ihrer Patienten, um der Provision willen
ihre Verordnungen zu treffen. Erfreulicherweise pflegen solche An¬
erbieten ihren Zweck stets vollkommen zu verfehlen.
— Als Tag des diesjährigen Zusammentritts der bayerischen
Aerztekammern wurde durch Ministerialentschliessung Montag
der 4. November bestimmt.
— Robert Koch hat am 15. ds. die Heimreise aus Afrika
von Mombassa aus angetreten. Seine Untersuchungsstationen in
Uganda sind von der britischen Regierung übernommen worden.
— Die Senckenbergische Naturforschende Ge¬
sellschaft zu Frankfurt a. M. ernannte anlässlich der Einweihung
ihres neuen Naturhistorischen Museums folgende Herren zu ihren kor¬
respondierenden Mitgliedern; Dr. Charles Barrois in Lille, Prof.
H. E. B u m p u s in New York, Dr. med et phil. G. E i s c h e r in Jena,
Geheimrat Prof. Dr. v. G r o t h in München, Geh. Med. -Rat Prof. Dr.
O. Hertwig in Berlin, Geh. Hofrat Prof. Dr. R. Hertwig in
München, Prof. Dr. Ray- Lancester, Direktor des British Museum
of Natural History in London, Geheimrat Prof. Dr. W. Pfeffer in
Leipzig, Geheimrat Prof. Dr. Steinmann in Bonn, Prof. Dr.
Treub in Buitenzorg auf Java, Geh. Hof rat Prof. Dr. J. Wiesner
in Wien und Geheimrat Prof. Dr. F. Zirkel in Leipzig.
— Cholera. Russland. Nach den Ausweisen im „Regierungs¬
boten“ sind vom 25. September bis einschl. 2. Oktober an der Cholera
782 Personen erkrankt und 376 gestorben. In das Alexanderhospital
zu Kiew wurden am 5. Oktober 2 choleraverdächtige Kranke auf¬
genommen, von denen der eine am Tage darauf starb. Die bakterio¬
logische Untersuchung ihrer Entleerungen ergab das Vorhandensein
von Kommabazillen. Am 7. Oktober wurden 4 weitere, am 8. und 9.
noch 9 choleraverdächtige Kranke in das Hospital aufgenommen.
Die Erkrankten hatten in verschiedenen Stadtteilen gewohnt. —
Straits Settlements. In Singapore wurden vom 4. bis 10. September
5 Cholerafälle mit tödlichem Ausgange gemeldet.
— Pest. Aegypten. Vom 29. September bis 5. Oktober in Ale¬
xandrien 3 neue Erkrankungen und 3 Todesfälle, am 5. Oktober im
Bezirk Beni Mazar 2 Erkrankungen. — Algier. Zufolge einer Mit¬
teilung vom 7. Oktober waren in Oran seit dem 1. Oktober 2 neue
Pestfälle vorgekommen; die bisher angeordneten Vorsichtsmassregeln
wurden in vollem Umfange aufrecht erhalten. — Britisch-Ostindien.
Während der beiden Wochen vom 25. August bis 7. September sind
in ganz Indien 4627 + 6390 Personen an der Pest gestorben und 6953
7 9556 neue Erkrankungen gemeldet. In Kalkutta starben vom
25. August bis 7. September 9 Personen an der Pest. In Moulmein
sind vom 1. bis 14. September 14 Personen der Pest erlegen. — China.
In der Mandschurei hat zufolge einer Mitteilung vom 25. September
die Pest in Kaiping grössere Verbreitung gewonnen. Chinesische
Zeitungen meldeten auch ein Uebergreifen der Seuche nach Liaoyang,
wo ihr bereits über 100 Chinesen und etwa 10 Japaner erlegen sein
sollen. In Port Arthur und in Kirin soll die Pest ebenfalls ausgebrochen
sein. — Britisch-Südafrika. In der Kapkolonie sind in der Einge¬
borenenniederlassung von Cathcart während der letzten Augustwoche
4 Personen an der Pest erkrankt. — Vereinigte Staaten von Amerika.
Neueren Mitteilungen zufolge waren in San Franzisko vom 12. August
bis zum 21. September insgesamt 38 Personen an der Pest erkrankt
und 22 gestorben. Die Pestfälle haben sich in ihrer überwiegenden
Mehrzahl im Italiener- und Chinesenviertel gezeigt. — Neu-Stid-
Wales. Nachdem bis zum 19. Mai während des laufenden Jahres
in Sydney und Umgebung 43 Pestfälle festgestellt worden waren, galt
dort Ende August die Pest als erloschen.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 29. Sep¬
tember bis 5. Oktober sind 29 Erkrankungen (und 18 Todesfälle) an¬
gezeigt worden.
— In der 40. Jahreswoche, vom 29. September bis 5. Oktober
1907, hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
^ Deuthen mit 27,3, die geringste Malstatt-Burbach mit
8,9 1 odesfallen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Bonn.
m u N V. d. K. G.-A.
(Hochschulnachrichten.)
n B5rAi !u , De™ ?xtabsarzt an der Kaiser Wilhelms-Akademie,
i. nied. Wilhelm H o f f m a n n, Schriftführer der Hygieneausstellung
im Reich stagsgebäude, wurde das Prädikat Professor verliehen (hc )
Je na. Dr. med. Theodor Meyer (aus Kiel) hat sich mit einer
I robevorlesung über „Das medizinische Wissen der Griechen vor
l.ippokrates als I rivatdozent in der medizinischen Fakultät der Uni¬
versität Jena niedergelassen, (hc.)
Kiel Als Nachfolger des vom Lehramt zurücktretenden
Direktors der chirurgischen Klinik Professor Dr. Helfe rieh sind
vorgeschlagen . L e x e r - Königsberg, Payr - Greifswald und Per¬
thes- Leipzig.
Marburg. Dem Privatdozenten für innere Medizin und Ober¬
arzt an der medizinischen Klinik der Universität Marburg, Dr. med
Otto Hess, ist der Professortitel verliehen worden, (hc.) ’
Kopenhagen. Habilitationen: Dr. Axel Borgbjärg
(Habilitationsschrift: Die Bedeutung der Magenfunktionsuntersuchung
für die Diagnose von Ulcus ventriculi) und Dr. V. J. Harslöf
(Habilitationsschrift: Die operative Behandlung von Ulcus ventriculi.
seine Komplikatonen und näheren Folgen, ein Abschnitt der jetzigen
Stellung der Magenchirurgie in Dänemark).
Posen. An der Posener Akademie lesen im bevorstehenden
Wintersemester Prof. Wer nicke über „Wesen, Verbreitung und
Bekämpfung der Infektionskrankheiten mit Demonstrationen“, Prof.
B usse über „Das Nervensystem des Menschen“, (hc.)
(T o d e s f ä 1 1 e.)
Einen unserer besten Kollegen haben wir in München verloren;
Hofrat Gossmann ist am 17. ds. gestorben. In tiefer Trauer gab
ihm die Münchener Aerzteschaft und der grosse Kreis seiner Freunde
das letzte Geleite. Das Lebens- und Charakterbild dieses seltenen '
Mannes zu zeichnen, soll einer anderen Feder Vorbehalten bleiben; hier
soll nur dem Schmerz Ausdruck gegeben werden, der uns alle erfüllt,
alle ohne Unterschied der Stellung zu den uns bewegenden und zum
Teil trennenden Fragen, über den Verlust dieses prächtigen, liebens¬
werten Menschen und Kollegen. Gossmann war die Verkörperung
aller guten Eigenschaften, die einen Arzt zieren können; reichbegabt,
gründlich gebildet, von vielseitigen Interessen, originell und selbst¬
ständig in seinen Ansichten und Ueberzeugungen, hochgesinnt und be¬
geistert für alles Edle und Schöne, selbst begnadet mit reichen künst¬
lerischen Anlagen und mit einem sonnigen Humor, ein warmer
Menschenfreund, seinen Patienten ein wahrer Helfer und Berater,
seinen Kollegen ein treuer Freund, der ärztlichen Sache ein bewährter
Mitstreiter. Nichts spricht mehr für die Berechtigung unserer wirt¬
schaftlichen Bestrebungen, als dass ein so ideal gesinnter Mann, wie
Gossmann, sich ihnen angeschlossen hat, ein Mann, der von den
höheren Pflichten des Arztes gegen die Menschheit, den Pflichten der
Menschenliebe und Aufopferungsfähigkeit für andere, nichts preis¬
zugeben bereit war. Um so mehr freilich sollten auch die Grenzen
beachtet werden, die von solchen Männern diesen Bestrebungen ge¬
zogen werden. Auch unsere Wochenschrift verliert in Gossman n
einen guten Freund und Mitarbeiter. Viele seiner wissenschaftlichen
Arbeiten auf seinem Spezialgebiete, der Frauenheilkunde, sind in
diesen Blättern erschienen; unsere früheren humoristischen Nummern
enthalten von ihm eine grosse Zahl reizender Beiträge, neben Er¬
zeugnissen einer ausgelassenen Laune viele gehaltvolle Gedichte, aus¬
gezeichnet durch die glückliche Mischung von Ernst und Humor, die
dem Charakter Gossmanns eigen war. — Wir werden nimmer
seinesgleichen sehen; um so höher soll sein Andenken gehalten
werden.
Dr. Peter M. Wise, früher Professor der Psychiatrie an der
University of Vermont zu Burlington.
Dr. William .1. S n e e d, früher Professor der. Anatomie an der
Vanderbilt-Universität zu Nashville.
Berichtigung. In No. 42, S. 2107, Sp. 2, Zeile 16 v. u.
(Vortrag L. R. Müller über die Empfindungen in unseren inneren
Organen) ist statt „Faradisation“ zu lesen: „Irradiation“.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Walter Gulat-Wellenburg,
appr. 1902, in München.
Erledig t: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Schwabmiinchen.
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Ge¬
suche bei der ihnen vorgelegten K. Regierung, Kammer des Innern,
bis 31. Oktober 1. J. einzureichen.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 40. Jahreswoche vom 29. Sept. bis 5. Okt. 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M) 13 (19*)
Altersschw. (üb. 60 J.) 6 (7), Kindbettfieber 1 (1), and Folgen der
9eburt? Scbarlach- (-)> Masern u. Röteln 1 (—), Diphth. u.
Krupp 2 (3), Keuchhusten 1 (-;, Typhus -(-), übertragb. Tierkrankh.
— (— ), Rose (Erysipel) — (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
El5®ry®rS‘fy J (2), Tuberkul. d. Lungen 16 (20), Tuberkul. and.
Org. 10 (8), Miliartuberkul. 1 (— ), Lungenentzünd. (Pneumon.) 3 (10),
Influenza ( ), and. übertragb. Krankh. 3 ( — ), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 3 (1), sonst. Krankh. derselb. 1 (4), organ. Herzleid. 10 (15)
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 6 (6), Gehirnschlag
5 (14), Geisteskrankh. 1 (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 2 (7), and.
Krankh d Nervensystems 1 (3), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl Abzehrung) 46 (31), Krankh. d. Leber 3 (4), Krankh. des
Bauchfells 2 (1), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (5), Krankh d.
HaJrn;Tu-,Cl!schlechtsorS- 4 ( 2), Krebs (Karzinom Kankroid) 24 (11),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 4 (1), Selbstmord 3 (2), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 4 (2), alle übrig. Krankh. 6 (3).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 188 (183). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 17,8 (17,4), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,0 (11,5).
_ *) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche,
Verlag von
F. Lehm «Dt! in München. — Druck von E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A G . München.
ä *, Münchener Medizinische Wochenschrift ersehe nt wöchentlich
Umfang von durchschnittlich 6—7 Bogen. * Preis der einzelnen
Nummer 80 j. • Bezugspreis in Deutschland vierteljährlich
M 6— • Übrige Bezugsbedingungen siehe auf dem Umschlag.
(Zusendungen sind zu adressieren: Für die Redaktion Arnulf-
strasse 26. Bureauzeit der Redaktion von 87,— 1 Uhr. • Für
Abonnement an J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15 a. * Für
• Inserate und Beilagen an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. •
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. t. Angerer, Ch. Banmler, '-0. v. Bollinger, E. Curschmann, H. Belferich, 1U Leute, G. Merkel, J. t. Michel, F.Penzoldt, B.v danke, B. Spatz, F.r.Winckel,
München. Freiburg i. B.
München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg.
Berlin.
Erlangen. München. München. München.
No. 44. 29. Oktober 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
Originalien.
Aus der Kgl. Kinderklinik in München.
Zur Physiologie und Pathologie der Säuglingsernährung.*)
I.
Säuglingsernährung und Seitenkettentheorie.
Von Prof. M. Pfaundler.
Nach Ehrlich ist die Immunitätsreaktion die Reproduk¬
tion gewisser Vorgänge des normalen Stoffwechsels, insbeson-
ders der intrazellulären Assimilation und Desassimilation, der
„zellulären Verdauung“ (K r u k e n b e r g). Die der zellulären
Verdauung dienenden Werkzeuge, die Biolysine, löst der Im¬
munisierungsprozess aus der Bildungsstätte los und macht sie
experimentellem Studium in vitro zugänglich. Solche Studien
(über Hämolyse und Bakteriolyse) eröffnen somit Aussichten,
dem bisher völlig rätselhaften Vorgänge der zellulären Ver¬
dauung nachzuspüren. Der Mechanismus der Verankerung
und Lösung der Nährstoffe an der Zelle bezw. am Protoplasma¬
molekül, die „Tropholyse“, ist jenem -der schon eingehend stu¬
dierten Hämolyse und Bakteriolyse vermutlich analog: es dient
ihr ein tropholytischer Rezeptor (Zwischenkörper) und ein
tropholytisches Komplement. Gemäss Zweck und Natur des
Vorganges laufen Bakteriolyse und Hämolyse (vorwiegend)
humoral ab, die Tropholyse (vorwiegend) zellulär; dieser
Unterschied ist ebensowenig essentiell, wie der, dass im einen
Falle eine morphologische Einheit (Bakterien-, Blutzelle),
im anderen Falle eine chemische Einheit (Nährstoffmolekül)
in Reaktion tritt. Eine unmittelbare „Verschmelzung“ der
(meisten) Nährstoffe mit der Zellmasse oder ein Eintritt durch
Diffusion ist undenkbar; das übereinstimmende Ergebnis mor¬
phologischer, wie biochemischer Forschung fordert einen be¬
sonderen Mechanismus im Sinne der Tropholyse.
Auf dieser Grundlage fussende Forschung verspricht auf
dem Gebiete der allgemeinen Physiologie und Pathologie der
Ernährung bedeutsame Fortschritte. Es wurde erwogen, wel¬
che einschlägige Fragestellungen sich für die Lehre der
Säuglingsernährung im besonderen ergeben.
An anderem Orte habe ich die Ansicht ausgesprochen und
begründet, dass der Unterschied in den Erfolgen der natür¬
lichen und künstlichen (der arteigenen und artfremden) Er¬
nährung nicht — wie bisher -meist angenommen wurde —
wesentlich und unmittelbar auf einem Schaden durch letztere,
sondern auf einem besonderen Nutzen durch -erstere beruht,
welcher Nutzen eben von vielen Säuglingen schwer
oder gar nicht entbehrt werden kann. Ich gelangte
mit Escherich zum Schluss, dass die arteigene
Milch Nutzstoffe besonderer Art enthalte, welche
thermolabil, auf dem Verdauungswege nur innerhalb der
Spezies in wirksamer Form übertragbar, in gewisser
Hinsicht fermentähnlich wirksam sind und welche nicht so sehr
bezüglich der Verdauungsvorgänge diesseits, als vielmehr
*) Nach vier in der Sektion für Pädiatrie auf der Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte zu Dresden am 17. Septembei 1907
gehaltenen Vorträgen. Ausführliche Mitteilung erscheint an anderem
Orte.
No. 44.
jenseits der Darmwand, also bezüglich der zellulären Ver¬
dauung, fördernden Einfluss nehmen.
Hiernach ergab sich vor allem die Frage, ob die Ueber-
legenheit der Muttermilch gegenüber artfremder Nahrung etwa
in dem Gehalte der Muttermilch an tropholytisch wirksamen,
bezw. die Tropholyse im Organismus des Kindes fördernden
Stoffen beruhe. Die Ueberlegung ergibt, dass hier nicht etwa
tropholytische Rezeptoren (Zwischenkörper), sondern wohl nur
tropholytische Komplemente in Betracht kommen können.
Ohne sich für die Einheit oder Vielheit des Alexines
== Komplementes nach Bordet oder Ehrlich zu entschei¬
den, darf man -den relativ leicht nachweisbaren und messbaren
Gehalt der Körperflüssigkeit an hämolytisch und bakterio-
lytisch wirksamem Komplement in gewissem Sinne als In¬
dikator für den Gehalt an Substanzen betrachten, die in ande¬
rem System andere komplementäre (vielleicht weniger sinn¬
fällige oder in vitro schwer zu prüfende) Wirkungen — wie
z. B. die vermeinte Tropholyse — entfalten.
Es wurden demnach zunächst folgende Themen in experi¬
mentelle Bearbeitung genommen:
1. Enthält die Milch (hämolytisches, bakteriolytisches)
Komplement?
2. Kann Komplement, das dem Säugling mit der Milch zu¬
geführt wird, den Ver-dauungstrakt passieren und wirksamer
Körperbestand des Säuglings werden?
3. Wie gestaltet sich der Komplementbestand beim Säug¬
ling nach Art, Individuum, Alter, Ernährung etc.?
ad 1. Nach Untersuchungen, die der Vortragende gemein¬
sam mit Herrn M o r o durchgeführt und a. a. O. ausführlich
mitgeteilt hat, konnte diese Frage — entgegen vorliegenden
Angaben der Literatur — prinzipiell bejaht werden. Kuhmilch
enthält hämolytisches Komplement; auch in der Milch von
Ziege und Kaninchen kann solches nachgewiesen werden.
M o r o hat ferner in verschiedenen Milcharten bakterio¬
lytisches Komplement einwandfrei nachgewiesen. Der Nach¬
weis wird erschwert (und in bezug auf hämolytisches Komple¬
ment in der Frauenmilch vorläufig vereitelt) durch eine (der
Frauenmilch in besonders hohem Masse zukommende) hämo¬
lysenhemmende Wirkung (die zum Teil wohl auf komplexe
Antikomplemente, zum Teil auf andere Faktoren zurückgeht).
ad 2. Die zur experimentellen Beantwortung dieser Frage
hrende Beweiskette ist noch nicht geschlossen. Sicher ist,
iss wenigstens gewisse (sonst so labile!) bakteriolytische
omplemente durch Einwirkung künstlicher Verdauungssäfte
cht zerstört werden (Kölle). Von anderen Haptinen (vom
ypus der Immunkörper) ist der Uebergang aus der Milch
a Verdauung in den Körperbestand des Säuglings er¬
lesen; er kommt aber gesetzmässig nur innerhalb
er Spezies, also nur bei artgleicher Ernährung zu-
:ande. Diese vielfältig geprüfte experimentelle Tatsache
sst per analogiam vermuten, dass auch artgleiche K o in p 1 e -
lente bei der natürlichen Ernährung aus der Milch in den
irganismus wirksam übergehen können. Manche klinische
leobachtung stützt diese Vermutung. Hierüber, sowie zur
leantwortung der dritten oben gestellten Frage, werden me
[erren M o r o und Heimann aus meiner Klinik berichten.
X
2170
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
II.
lieber das Verhalten des Serumkoniplements beim Säugling.
Von Privatdozent Dr. M o r o.
Quantitative Komplementbestimmungen, die an 83 Säug¬
lingen und an neugeborenen Versuchstieren vorgenommen
wurden, führten zu folgenden Ergebnissen:
Das Serum des neugeborenen Menschen entbehrt jeglicher
hämolytischer Kraft. Diese Erscheinung ist ebenso wie beim
Nabelvenenserum auf den Mangel an freien Zwischenkörpern
zurückzuführen. Da die Wirkung dieser für das Zustande¬
kommen der humoralen Biolyse von entscheidendem Einfluss
ist, so erklärt sich damit hinreichend die grosse Gefahr der all¬
gemeinen Ausbreitung geringfügiger Primärinfekte während
der Neugeborenenperiode. Das Komplement ist hingegen, so¬
wohl im Fötalserum als auch im Serum des Neugeborenen
knapp nach der Geburt, in einer Menge vorhanden, die den
beim eiwachsenen Menschen ermittelten Werten nur wenig
nachsteht.
Bald nach der Geburt nimmt der Komplementgehalt des
Serums unbeträchlich ab; sein weiteres Verhalten ist von der
Art der eingeleiteten Ernährung abhängig.
Bei normalen, natürlich ernährten Neugeborenen steigt die
Menge des Serumkomplements in der Regel schon am 2. Le¬
benstage wiederum an und erreicht, unabhängig von den mit
der physiologischen Gewichtsabnahme einhergehenden All¬
gemeinreaktionen, am 4. bis 5. Lebenstage annähernd oder ganz
den Normalwert des erwachsenen Menschen. Bei den von
der Geburt an künstlich ernährten Säuglingen zeigt die Kurve
des Sei umkomplementes in der ersten Lebenswoche entweder
ein allmähliches Absinken oder sie verhält sich so wie beim
normalen Brustkind. Es ist bemerkenswert, dass das Körper¬
gewicht bei dieser letzteren Kategorie von Flaschenkindern
ein allmähliches Absinken oder sie verhält sich so wie beim
in den untersuchten Fällen von den ersten Lebenstagen an
einen ansteigenden Verlauf genommen hat.
Bei neugeborenen Meerschweinchen ist der Komplement¬
gehalt des Serums am 1. Lebenstage 10— 20 mal geringer als
jener der^ älteren Tiere und erreicht nach 6—9 Tagen, zu
v elchem Zeitpunkte die extrauterine Abhängigkeit des iunsren
Meerschweinchens abgeschlossen ist, die Höhe des für die
erwachsenen 1 iere ermittelten Wertes.
Nach Ablauf der ersten Lebenstage erhält sich beim ge¬
sunden Brustkind das Serumkomplement auf konstanter Höhe,
während die bei gesunden, künstlich ernährten Säuglingen
bestimmten Komplementwerte häufiger herabgesetzt als nor¬
mal gefunden wurden.
Die von der Art der Ernährung bedingte Differenz im
Komplementgehalte ist eine sehr auffällige bei debilen Kindern
und bei Säuglingen, deren Gesundheit eine Störung erlitten hat.
„ ährend bei natürlicher Ernährung der Komplementgehalt des
Serums in weiten Grenzen unabhängig ist von .der Konsti¬
tution des Säuglings, erweist sich derselbe bei debilen, künst¬
lich ernährten Säuglingen in den ersten Lebenswochen zumeist
a u,tlel uJnter der Norm stehend. Zeigt in diesen Fällen und nach
Ablauf dieser Zeit die Komplementkurve nicht die Tendenz
anzusteigen, so ist wenig Aussicht vorhanden, diese Kinder
bei künstlicher Ernährung am Leben zu erhalten.
Das Serumkomplement erhält sich beim Brustkind auch bei
interkurrenten Erkrankungen leichterer Form annähernd auf
gleicher Höhe; beim künstlich ernährten Kinde hingegen zeigt
die Komplementkurve schon bei relativ geringfügigen Ge¬
sundheitsstörungen Schwankungen an. Diese Labilität des hu¬
moralen Komplementbestandes ist für das Flaschenkind ge¬
radezu charakteristisch.
Bei akuten Ernährungsstörungen künstlich ernährter Säug¬
linge ist der Komplementgehalt des Serums in der Regel ver¬
mindert und bei schweren, chronischen Ernährungsstörungen,
wie insbesonders bei der vorgeschrittenen echten Atrophie,’
fast ausnahmslos1) sehr tief reduziert.
D Ich will nicht ermangeln zu bemerken, dass unter patho¬
logischen Verhältnissen bei Säuglingen manchmal Komplementwerte
angetroffen werden, die unseren Erwartungen, nach dem Dargelegten
nicht entsprachen und die vor einer allzu schematischen Auffassung
des Sachverhaltes warnen.
Bei den mit den Kennzeichen der beginnenden Atrophie
behafteten Kindern kann die Komplementbestimmung zu ver¬
schiedenen Ergebnissen führen. Bei der Beurteilung dieser
Fälle gewinnt die Probe insofern einen praktischen Wert, als
hier ein relativ hoher Komplementgehalt die Prognosestellung,
selbst bei fortgeführter künstlicher Ernährung im günstigen
Sinne beeinflusst. Ein niedriger Komplementwert lässt hin¬
gegen eine entsprechende Deutung nicht zu, weil die ein¬
malige Komplementbestimmung uns zwar über den momen¬
tanen Gehalt an freiem Komplement Aufschluss gibt, nicht aber
über die Funktion der Reservekräfte, d. h. über den Grad der
Fähigkeit des Organismus, Komplement zu bilden.
In dieser Richtung erscheint die subkutane Injektion von
physiologischer Kochsalzlösung verwertbar zu sein, die bei
guten Komplementbildnern eine beträchtliche Steigerung der
hämolytischen Kraft des Serums herbeiführt, bei schlechten
Komplementbildnern hingegen reaktionslos verläuft. '
III.
Potentieller Komplementbestand bei natürlicher und künstlicher
Ernährung.
Von Prof. M. Pfaundler, als Referent für experimentelle
Untersuchungen von Herrn Heimann- München.
In Bezug auf bakteriolytische Vorgänge im Organismus
wurde mit Recht mehrfach betont, dass für den Erfolg dieser
Abwehrbestrebungen nicht so sehr der habituelle Gehalt der
normalen Körpersäfte (des Blutplasmas) an bakteriolytisch wir¬
kenden Stoffen massgebend sei, als vielmehr die dem Organis-
I mus in wechselndem Masse eigentümliche Fähigkeit, solche
Wehrkräfte im Bedarfsfälle (im „Kriegsfälle“) rasch zu mo¬
bilisieren und am Orte der Infektion, „am Kriegsschauplätze“
zu konzentrieren. Es frägt sich, ob solche Erwägungen auch
in Bezug auf die uns interessierenden biolytischen Vorgänge
der Ernährung Geltung haben.
Hier liegen die Verhältnisse aber offenbar ganz anders.
Erstens ist die Tropholyse im Gegensatz zur Bakteriolyse und
Hämolyse ein im Rahmen physiologischer Verhältnisse, ein
,,iin Frieden“ ablaufender Prozess, in Bezug auf dessen Werk¬
zeuge mithin eirie solche „Mobilisierung“ nicht in Betracht
kommt. Zweitens beziehen sich die obigen Ausführungen über
die Bakteriolyse vorwiegend auf (spezifische) Immun¬
körper, deren Produktion eben durch den eintretenden Be¬
darf angeregt wird, während für die Tropholyse, einen durch
die Rezeptoren der sesshaften Körperzellen vermittelten und
an diesen selbst ablaufenden Vorgang von humoralen Sub¬
stanzen wohl nur Komplemente gefordert werden.
Trotzdem haben wir getrachtet nach Tunlichkeit auch über
den „potentiellen Bestand“ an Komplementen im tierischen Or¬
ganismus unter verschiedenen Ernährungsbedingungen dadurch
Aufschluss zu gewinnen, dass wir den (hämolytischen) Vor¬
gang, dessen Ausmass auf die disponible Komplementmenge
rückschliessen lässt, in den Körper des Versuchstieres selbst
verlegten.
Wie bekannt bewirkt das Komplement des Säugerblutes
nur deshalb keine Biolyse der eigenen Blutkörperchen, weil
es an geeigneten Zwischenkörpern fehlt. Werden solche (in
Form von inaktiviertem hämolytischem Immumserum) subkutan
eingebracht, so kommt die Auflösung der eigenen Blutkörper¬
chen unter charakteristischen Krankheitserscheinungen in vivo
zustande (G r u b e r u. a.), und zwar ceteris paribus offenbar in
dem Aufmasse, das durch die augenblicklich verfügbare und —
im Verbrauchsfalle — durch die nachgelieferte Komplement¬
menge bestimmt wird. In diesem Sinne müssen die Erschei¬
nungen der intravitalen, intravaskulären Hämolyse auf Injek¬
tion hämolytischer Zwischenkörper unter zweckentsprechen¬
den Versuchsbedingungen ein quantitativ verwertbarer Aus¬
druck des aktuellen und potentiellen Komplementbestandes
sein.
Die Versuche wurden an Hunden (wiederholt) und an
Kaninchen in mehrfacher Variation angestellt; vom gleichen
Wurfe stammende Tiere wurden teils natürlich, teils — auf
sorgfältigste Weise — künstlich ernährt. Bei den Flaschen¬
tieren stellte sich dabei eine Ernährungsstörung ein, die in
manchen äusseren Zeichen an den „Milchnährschaden“ Von
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2171
Czerny-Kelle r,_ das Stadium dyspepticum F i n k ei¬
st e i n s erinnert. Zur Zeit der Injektion des spezifischen hämo¬
lytischen Immunserums (auf Hunde-, bezw. Kaninchenblutkör¬
perchen) war die Schädigung der Flaschentiere (namentlich der
Kaninchen) zumeist schon weit vorgeschritten, ihr Körperge¬
wicht ein erheblich reduziertes, der 'Allgemeinzustand ein ungün¬
stiger. Es wurden absolut gleiche Mengen des Giftes ein¬
gebracht, also bei den Flaschentieren relativ bedeutend
m e h r als bei den Brusttieren. Den nochwar d i e Schä¬
digung der Brusttiere nach deren ganzem Verhalten,
nach deren Blutbilde, Organveränderungen und — bei Ver¬
wendung grosser Dosen — nach dem zeitlichen Auftreten des
Todes eine erheblich schwerere, als die der Fla¬
schentiere.
Wir schliessen daraus, dass bei den Flaschentieren der
aktuelle und potentiale Komplementbestand ein reduzierter war;
nur so ist die relative Begünstigung dieser sonst schwer ge¬
schädigten Tiere einem Gifte gegenüber zu erklären, das eben
nur durch Vermittlung der Komplemente seine spezifische Wir¬
kung ausübt. Wir stehen hier vor dem eigenartigen Falle, dass
eine im Dienste wichtiger physiologischer Funktionen stehende
Körpersubstanz infolge eines äusseren Eingriffes ihre Wirkung
gegen den eigenen Organismus kehrt. Die Komplemente
werden — durch die eingebrachten hämolytischen Ambozep¬
toren gewissermassen irregeführt — zu Schädlingen und die
spezifischen Ambozeptoren derart zu einem merkwürdigen
Gifte, das kräftige, gesunde Brusttiere weit mehr als dys¬
trophisch Flaschentiere schädigt.
IV.
Ueber Dystrophie der Säuglinge.
Von Prof. M. Pfaundler- München.
Die hier von Hei mann, Moro und mir vorgebrachten
experimentellen Befunde wären mit folgendem Sachverhalte
vereinbar: Die fermentähnlich wirkenden Nutzstoffe der Milch
(siehe oben) sind tropholytische Komplemente (oder solchen
sehr nahestehende Stoffe); sie gelangen bei natürlicher Ernäh¬
rung auf dem Wege des Verdauungstraktes und der Körper¬
säfte an die sesshaften Körperzellen des Kindes und vermitteln
dort die Tropholyse (zelluläre Verdauung, Assimilation). Die¬
ses Verhalten in der Periode der extrauterinen Abhängigkeit
des Kindes von der Mutter hat sein Analogon in den während
der intrauterinen Abhängigkeit bestehenden Wechselbezieh¬
ungen: hier wie dort werden sowohl die Nährstoffe als auch
die zu ihrer Bewältigung dienenden Werkzeuge, die tropho¬
lytischen Komplemente von der Mutter für das Kind gemein¬
sam geliefert, hier durch den diaplazentaren Säftestrom, dort
durch die Brusternährung. Die Lieferung der tropholytischen
Komplemente durch die Mutter hat statt, weil die Fähigkeit,
diese Zellsekrete selbst zu produzieren, beim Kinde auch noch
jenseits der Geburt zum mindesten unter gewissen Umständen
und in manchen Fällen eine noch rückständige, unzureichende
ist. In dieser Rückständigkeit eben drückt sich die extrauterine
Abhängigkeit namentlich aus.
Es gibt neugeborene Kinder, sowie andere neugeborene
Säuger, die in ausreichendem Masse zur Selbstbeschaffung
aller Werkzeuge der zellulären Verdauung befähigt und daher
auf Brusternährung nicht angewiesen sind. Es gibt anderer¬
seits solche, die der mütterlichen Nachhilfe auch noch jenseits
der Geburt bedürfen; wird ihnen diese Nachhilfe versagt, d. h.
wird ihnen eine wie immer beschaffene andere Nahrung als
Muttermilch gereicht, welche artgleicher und daher wirksam
übertragbarer tropholytischer Komplemente entbehrt, so kommt
es zu einer Ernährungsstörung, einer Dystrophie, deren Ab¬
hängigkeit von der artfremden Nahrung als solcher zweck¬
mässig in der Bezeichnung „Heterodystrophie“ zum Ausdruck
kommt.
Die Heterodystrophie beruht nach dieser (heuristischen)
Hypothese im Wesen auf einer durch verminderte Pr°-
duktionsfähigkeit und ausbleibende Zufuhr bedingten He¬
rabsetzung des Bestandes an tropholytischen Eomp c
menten Die Theorie Ehr lieh s lehrt Folgezustände des
Komplementmangels kennen. Diese Folgezustände sind also
bei Heterodystrophie zu gewärtigen, wenn unsere Hypotnese
richtig ist; dass sie tatsächlich auftreten, soll als Stütze der
Hypothese kurz dargelegt werden.
A. Komplementmangel muss zunächst eine verzögerte Er¬
ledigung der Nährstoffe an der Zelle zur Folge haben: be¬
hinderte zelluläre Tropholyse — wovon in bezug
auf den Gesamtorganismus Erscheinungen ähnlich jenen bei
einfacher Unterernährung zu gewärtigen sind. Solche Er¬
scheinungen werden in der Tat bei künstlich genährten Säug¬
lingen im Beginn der Störung gesehen; sie geben sehr häufig
Anlass zu einer Steigerung des Nahrungsangebotes; davon
sieht man nun aber an Stelle des gewärtigten Erfolges schwere,
stürmische Krankheitserscheinungen (Finkeisteins „para¬
doxe Reaktion“ und „alimentäre Intoxikation“); auch die Ana¬
lyse dieser Erscheinungen lässt die Auffassung zu, dass es sich
um (mittelbare) Folgen des Komplementmangels handle:
B. Der Komplementmangel behindert, wie erwähnt, die
Nährstofferledigung an der Zelle. Zellrezeptoren bleiben dau¬
ernd von unerledigten Nährstoffeinheiten besetzt, was nach
Ehrlich einen ehestens zu ersetzenden Defekt bedeutet, zur
(überschüssigen) Neubildung und zur Abstossung von Rezep¬
toren führt. Die Nährstoffeinheit wird mit
anderen W orten durch den Komplement¬
mangel zum Antigen und löst als solches die „Immun¬
reaktion“ aus. Diese ist eine (die einzige?) Ursache des als
Fieber bezeichneten Symptomkomplexes. Der Zellbestand
leidet durch die Abstossung zahlreicher Rezeptoren; dem ins
Aphysiologische gesteigerten „Bindungsreiz der Antigene
fallen endlich wohl auch Zellen selbst zum Opfer: sog. toxi-
scher Eiweisszerfall. Die ihrer Lage und ihrer Natur
zufolge an der Zwischenkörperbildung insbesondere beteiligten
oder hiezu vornehmlich befähigten lymphatischen
Zellbezirke und Organe (Follikel, Plaques, Lymph-
drüsen) hyperplasieren.
C. Nährstoffeinheiten, die sich wegen Besetzung der Zell-
■ezeptoren im Blute stauen, können dort einem abnormen oxy-
iativen Abbau anheimfallen ; namentlich kommt aber in Be-
:racht, dass die Nährstoffeinheiten in den Körpersäften mit ab-
^estossenen tropholytischen Rezeptoren (Ambozeptoren) koni-
3lexe Antikomplemente von hoher Avidität bilden müssen, die
dch mit den (spärlich) verfügbaren Komplementen des Blutes
m wirksamen biolytischen Systemen ergänzen. Auch von
dieser nach den Säften abgelenkten, also gewissermassen dem
„leitenden Verstände der Zellen entzogenen“ humoralen
tropholyse ist abnormer Verlauf zu gewärtigen : Un¬
wirtschaftlichkeit des Betriebes in energe¬
tischer Hinsicht, Auftreten und Ausschei¬
dung abnormer Zwischen- und Endpiodu kt e .
Albumosurie, Peptonurie, Peptidurie (?), vermehrte Amido-
säurenausscheidung — Fettstauung in Blut und Leber; Azeton¬
körperbildung; echte, absolute Azidose; verminderte Alkales-
zenz des Blutes mit (entsäuernder) grosser Atmung, die ihrer¬
seits steilen Wasser-(Gewichts-)verlust durch die Lungen zur
Folge hat; Verschiebung der Stickstoffverteilung im Harne,
namentlich vermehrte renale Ammoniakausfuhr — , herabge¬
setzte Assimilationsgrenze für Zucker, Milchsäureausschei¬
dung.
D. Es sind ferner Abwehrreaktionen des Organismus gegen
den bestehenden Schaden zu gewärtigen. Der vermehite An¬
spruch an die als Komplementerzeuger vielleicht insbesondere
in Betracht kommenden Leukozyten kann Schwankungen der
Leukozytenzahl bedingen. Augenscheinlich sehr zw eck-
mässige Schutzvorrichtungen kann der Organismus auf dom
Gebiete des Verdauungstraktes, der äie Einbruchspforte d
alimentären Giftes darstellt, in Szene setzen (NahrstöH
s d e r r e) • Nahrungsverweigerung, Speisebreiverhaltung, er
brechen, Hypochlorhydrie, ferner (vermehrte) e^teral(|e^n;
Scheidung, bezw. verminderte Resorption von Fett Sehen
E Sekundäre Erscheinungen (als Störung von Oiganfunk
tionen) sind Kollaps, Koma und Konvulsionen.
\
2172
MüENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Alle in den Gruppen A bis E genannten Zeichen
gehören in den semiotisehen Rahmen der Heterodys¬
trophie bezw. der alimentären Intoxikation (F i n k e 1 -
Steins Neunzahl!). Die Deutung dieser Zeichen als un¬
mittelbare oder mittelbare Folgen des Komplementmangels
wird wesentlich durch die Erwägung gestützt, dass dieselben
das „grösste gemeinsame Mass“ aus der Symptomatik einer
Reihe von Zuständen sind, die — anscheinend sehr hetero¬
gen — Eines gemeinsam haben, nämlich den aus verschie¬
dener Ursache verminderten Bestand an Komplementen bezw.
unbesetzten Zellrezeptoren, hierher gehört z. B. die akute
Phosphorvergiftung, die Serumkrankheit und vor allem die
ganze Reihe der akuten Infekte.
Eine solche Auffassung könnte Verständnis für manche
Wahrnehmung auf dem Gebiete der Säuglingspathologie er-
schliessen, wofür einige Belege folgen.
Infektiöse und alimentäre Schäden sind
wesensverwandt. Dem Schädling hier und dort ist die
haptophore Gruppe gemeinsam; die Antigenwirkung aber liegt
im ersten halle an der Natur der verankerten Substanz, im
zweiten Falle an den nach der Verankerung sich darbietenden
besonderen Bedingungen, nämlich am verminderten Komple¬
mentbestand ; dieser ist es, was Czerny und F i n k e 1 s t e i n
als den zu Ernährungsschäden disponierenden „Zustand“ der
Kinder, wir als Heterodystrophie, bezeichnen. Die Be¬
ziehungen dieses Stadiums labilen Gleichgewichtes auf dem
Gebiete der Zellverdauung zur Krise der alimentären Intoxi¬
kation sind jenen des diabetischen Zustandes zum Coma dia-
beticum vergleichbar. Besagte Wesensverwandtschaft er¬
klärt die symptomatische Verwandtschaft von
alimentären und infektiösen Schäden des Säuglingsalters.
Namentlich die Erscheinungen der „Immunreaktion“
(Gruppe B) haben immer wieder dazu verleitet, echten alimen¬
tären Schäden eine infektiösen Charakter zuzuschreiben. Auf
symptomatische Kriterien zur Unterscheidung der beiden wird
man vielleicht völlig verzichten müssen : a 1 1 e i n der Nachweis
von Antigen und spezifischem Antikörper wird massgebend
sein.
Ferner erklärt die Wesensverwandtschaft den Umstand
dass alimentäre und infektiöse Schäden wechselseitig Disposi¬
tion schaffen und wohl häufig tatsächlich ineinander greifen
(„endogene Infektion“, Ernährungsstörungen bei und nach
Infekten).
Es wird erklärlich, dass die alimentäre Intoxikation beim
Heterodystrophiker durch jedes Moment ausgelöst werden
kann, das dem schon drohenden Missverhältnis zwischen An¬
spruch und Leistungsfähigkeit auf dem Gebiete der Zellverdau-
ung Vorschub leistet. Dieses Moment kann Qualität wie
Quantität der Nahrung betreffen oder aber auf den Komple¬
mentbestand des Körpers ungünstig einwirken. Gegenteiligen
(günstigen) Effekt haben Nahrungskarenz, Komplementzufuhr
(Muttermilch) und andere Mittel zur Hebung des humoralen
Komplementbestandes (z. B. Hypodermoklysma, vermutlich
viele „physikalische Heilfaktoren“).
Unsere Auffassung der in der Gruppe D erwähnten Magen¬
darmsymptome, welche die Aufmerksamkeit auf die Vorgänge
im Darmtrakt abgelenkt und immer wieder die Annahme eine«
primär enterogenen Prozesses nahegelegt haben, ist mit dem
Charakter der alimentären Intoxikation als einer primären
Stoffwechselstörung wohl vereinbar.
Das hier auszugsweise Dargelegte bringt im wesentlichei
11111 Eiagestellunge n, aber solche, die m. E. in richtig!
Bahnen weiter lenken, in jenen, welche Czerny und Fm
kelstein schon betreten haben. Künftig wird, wie mii
scheint, die klinische und die physiologisch-chemische For
schung nicht für sich weiter streben dürfen, sondern mit Ge¬
winn biologische Leitgedanken nach Ehrlichs Lehre unc
experimentelles biologisches Material verwerten.
Beiträge zur Immunitätslehre: Ueber Opsonine.*)
Von Privatdozenten Dr. med. A. Strubeil in Dresden.
M. H. ! Seit den Zeiten der homerischen Kirke und des
Königs Mithridates von Pontus hat die Frage der Giftfestigkeit
und Giftfestigung des menschlichen und des tierischen Orga¬
nismus bei Laien wie bei Aerzten eine grosse Rolle gespielt.
Waren es in früheren Zeiten die Zauber- und Liebestränkej
gegen die man nach wirksamen Antidoten suchte, waren es
später die heute sogenannten banalen Gifte, für die man
Gegengifte ersann, so sind es in den letzten Jahrzehnten be¬
sonders die Bakteriengifte und unter ihnen die eigent¬
lichen 1 oxine gewesen, die man durch ebenso spezifische
Antitoxine unschädlich zu machen mit Erfolg bemüht war.
Diese letztere humorale Therapie fand aber leider ihre Be-
gienzung in der Iatsache, dass die eigentliche Toxin-Antitoxin-
Gegenwirkung und -bindung nur für wenige Bakterien, be¬
sonders für den Diphtherie- und Tetanusbazillus Geltung hat,
während die grössere Mehrzahl der Mikroorganismen als
solche ihre verderblichen Wirkungen ausüben, welche nicht
durch Toxinbildung, sondern durch Bakteriozidie oder
Agglutination paralysiert werden. Solche Wirkungen
der zirkulierenden Körpersäfte genügten aber nicht, um die Re¬
aktion des kräftigen Organismus den eingedrungenen Krank¬
heitserregern gegenüber zu erklären, und diesem Erklärungs¬
bedürfnis entsprach die M e t s c h n i k o f f sehe Phagozyten-
theorie, die die Elimination der gefährlichen Gäste durch die
polynukleären Leukozyten des Wirtes in freilich einseitiger
Weise zu deuten bestrebt war. Die Fülle der aus der hundert¬
fältigen Variabilität des Modus der Infektion und der Heilung
derselben sich ergebenden Tatsachen war aber zu gross, als
dass es möglich gewesen wäre, allen Varietäten beizukommen,
und so entsprach es daher einem theoretischen und praktischen
Bedürfnis ebenso wie den vorliegenden experimentellen Tat¬
sachen, wenn der Engländer W right auf Grund von Beob¬
achtungen, die L e i s h in a n vor ihm und die er selbst mit
Douglas gemeinsam anstellte, ein neues Gebäude errichtete,
unter dessen Dach, dank der emsigen Mitarbeit einer grösseren
Anzahl englischer und amerikanischer Autoren, sich ein guter
Teil bis dahin obdachlosen wissenschaftlichen Gutes birgt. Die
neue Lehre, als deren Vater W r i g h t trotz einiger Vorläufer
zweifellos anzusehen ist, die Lehre von den Opso¬
ninen (von dem lateinischen; opsono = ich bereite zum
Mahle vor), hat nun, so viel Anerkennung sie auch jenseits
des Kanals und jenseits des atlantischen Ozeans gefunden, ihren
Weg nach unserem alten Kontinent nur sehr spät gemacht und
den Pas de Calais gewissermassen nur mit schüchternen
Schlitten überbrückt, die Sie in den Publikationen von
Weinstein und einigen Sammelreferaten, wie das kurze,
ausgezeichnete von J o e s t und das ausführlichere, literarisch
erschöpfende von Sauerbeck, erkennen wollen. War nun
aber durch solche literarische Berichte die öffentliche Meinung
in medizinischen Kreisen auf die neue Lehre vorbereitet, so hat
die praktische Verwertung derselben auf dem Festlande Eu¬
ropas bis jetzt noch auf sich warten lassen. Man hat auch bei
uns in Deutschland die Theorien W r i g h t s, so weit man
davon Notiz nahm, als ein interessantes Novum auf sich wirken
lassen, ohne selbst mit Hand anzulegen und den Ausbau seiner
Lehre auf klinisch praktischem Gebiete zu fördern.
Zu einem solchen Zeitpunkte betrachte ich es als einen
ganz besonderen Vorzug, dass ein günstiger Wind mich nach
England führte, wo ich in dem opsonischen Departement von
St. Marys Hospital, im Laboratorium Prof. W rights, Ge¬
legenheit hatte, die Frage der Opsonine und der Opsonotherapie
an einem reichen Krankenmateriale zu studieren und die
schwierige Technik der Bestimmung des opsonischen Index
mir anzueignen.
Gestatten Sie, m. H., dass ich bei der beschränkten Zeit,
die mir zur Verfügung steht, auf den Kern der Angelegenheit,
nämlich ihre praktisch klinische Verwertung, sehr bald eingehe!
nachdem ich die Theorie der opsonischen Wirkung nur kurz
dem Verständnis näher gerückt habe.
Aerztea\T5.— ^1. Sept. /\9Q7t ^SekdM^für
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2173
Nach W r i g h t kreisen im Blutserum und Plasma des
Menschen Stoffe, die in einer spezifischen Weise auf etwa in
den Körper eingedrungene oder in vitro experimentell mit dem
Serum zusammengebrachte Bakterien einwirken. Diese Ein¬
wirkung besteht darin, dass durch den Kontakt des Serums mit
den Bakterien diese so beeinflusst werden, dass sie leichter
von den hinzugefügten polynukleären Leukozyten (Phagozyten
Metschnikoffs) aufgefressen werden können. Diese
Eigenschaft des Serums, welche die Bakterien für das Auf¬
gefressenwerden durch die Phagozyten vorbereitet (opsono
= ich bereite zum Mahle vor), ist die opsonische. Sie ist
spezifisch insofern, als für jedes opsonierbare Bakterium ein
besonderes Opsonin im Serum sich findet, welches durch Ver¬
mischung mit diesen Bakterien gebunden, absorbiert wird,
während dasselbe Serum für einen anderen Mikroorganismus
ungeschwächte opsonische Kraft behält. So kann z. B. ein
Blutserum, das mit Tuberkelbazillen vermischt war, keine oder
nur ganz geringe Wirkung gegen Tuberkulose ausüben,
während es eine Staphylokokkenkultur kräftig opsoniert, d. h.
phagozytabel macht. Die opsonische Kraft des normalen Se¬
rums ist eine ganz besondere, denn sie tritt auf Bakterien gegen¬
über, denen gegenüber dasselbe Serum keinerlei oder nur
schwache Bakteriozidie ausübt. Eine Eigenschaft haben diese
Opsonine aber noch, sie werden durch die Erhitzung ver¬
nichtet. Diese Eigenschaft bietet aber eines der wichtigsten
differentialdiagnostischen Merkmale der ganzen Lehre, inso¬
fern das Opsonin des Normalserums fast vollständig durch Er¬
hitzen zerstört wird, während das Opsonin der Immunsera zu
einem beträchtlichen Teile bestehen bleibt. Hiei besteht die
Möglichkeit, eine vorhandene oder vorhergegangene Infektion
auf opsonodiagnostischem Wege nachzuweisen, und es er¬
scheint mir, angesichts dieser praktisch so hochwichtigen Tat¬
sache, die Frage von sekundärer Bedeutung, ob die Opsonine
des normalen und des Immunserums identisch und nur durch
ihre Konzentration verschieden, oder ob die Immunopsonine
besondere Substanzen vorstellen.
Ich möchte in meinem heutigen Vortrage, der sich haupt¬
sächlich mit der praktischen Seite der ganzen Opsoninlehre
beschäftigt, umso weniger auf diese heikle, theoretische Frage
eingehen, als sich an dieselbe sofort neue Erörterungen knüpfen
müssten bezüglich der eigentlichen Natur der Opsonine, von der
wir zugeben müssen, wenn wir ehrlich sind, dass wir noch
herzlich wenig wissen. Denn die Versuche, sie in Einklang zu
bringen mit den Ausdrücken und Begriffen der bisher heischen¬
den Theorien über die Immunität, speziell der E h r 1 i c h sehen
Seitenkettentheorie, haben wie mir scheint zu sicheren Resul¬
taten nicht geführt. Denn weder genügt die Thermolabilität der
Normalopsonine, um sie ohne weiteres mit den Komplementen
zu identifizieren, noch die relative Thermostabilität der Immun¬
opsonine, um diese mit den Ambozeptoren gleichzustellen, um
so mehr als Bakteriolyse oder Bakteriozidie und Opsonierung
durchaus nicht Hand in Hand gehen. Wir müssen, bis eine ge¬
nauere Kenntnis dieser Substanzen angebahnt wird, daran fest-
halten, dass wir es hier mit besonderen Stoffen zu tun haben,
die eine besondere, neue, bisher unbekannte Wirkung ausüben,
eine Wirkung, die Sie, wenn man durchaus Analogien mit
anderen Lehren schaffen will, den Antiaggressinen
gleichstellt.
Ich habe gesagt, dass die Opsonine die Bakterien für die
Phagozytose vorbereiten, und da muss ich darauf eingehen,
dass es zwei Arten von Phagozytose gibt, eine spontane und
eine induzierte. Bringen Sie Bakterien und Leukozyten
in einer indifferenten Flüssigkeit, etwa physiologischer Koch¬
salzlösung, suspendiert, zusammen, so tritt die eine Art der
Phagozytose auf, die spontane. Eine kleine Anzahl von
Leukozyten phagozytiert kräftig, event. sogar im Uebermass,
so stark, dass einzelne weisse Körperchen vollkommen mit
Bakterien angefüllt sind, während die Mehrzahl der Leukozyten
sich gar nicht beteiligt. Sie haben unter solchen Umständen
den Eindruck eines völlig regellosen Vorganges. Ganz anders,
meine Herren, wenn Sie unter Umständen, welche die eben
geschilderte spontane Phagozytose vollkommen unterdrücken,
nämlich in einer Lösung von 1,5 proz. NaCl weisse Blutkörper¬
chen mit der Bakterienemulsion zusammenbringen und irgend
ein normales Serum hinzufügen. Dann finden Sie, in. H., wenn
Sie diesen Prozess bei entsprechender Konzentration der Bak-
terienemulsion eine Zeitlang unter der günstigen Temperatur
von 37 0 C. haben vor sich gehen lassen, dass die grosse Mehr¬
zahl der Phagozyten Bakterien in sich aufgenommen hat, und
Sie können nun durch Zählen unter dem Mikroskop die durch¬
schnittliche Menge von Bakterien ermitteln, die der einzelne
Leukozyt enthält. Diese Zahl, die sich ergibt, wenn Sie die
Bakterien in 100, 200 oder mehr Leukozyten zählen und das
Resultat durch die Anzahl der gezählten Leukozyten dividieren,
nennen wir nach Wright „Phagocytic Count“. Ich
übersetze diesen Ausdruck ins Deutsche mit „phago¬
zytische Zah 1“.
Bringen Sie nun dieselbe Bakterienemulsion in 1,5 proz.
NaCl suspendiert, und dieselben Leukozyten mit dem Serum
eines durch das betreffende Bakterium bereits infizierten Pa¬
tienten zusammen, so erhalten Sie bei gleicher Behandlung
der Mischung eine von der vorigen deutlich differierende phago¬
zytische Zahl. Sie dividieren nun die phagozytische Zahl des
zweiten auf seine opsonische Kraft zu untersuchenden Serums
in die des ersten und erhalten eine Verhältniszahl: den opso¬
nischen Index. Ich bitte Sie, m. H., an diesen klassischen Aus¬
drücken Wrights: Phagocytic Count = phago¬
zytische Zahl, und opsonischer Index festzuhalten,
sonst bringen wir nur Verwirrung in die Literatur. Ich betone
das hier besonders, weil der Verfasser des ausgezeichneten und
ausführlichsten Sammelreferates in deutscher Sprache, ich
meine Sauerbeck, den Ausdruck phagocytic count in „a b -
soluter Inde x“, den Ausdruck opsonischer Index in
„relativer Index“ verändert hat. Erstens halte ich es
nicht für berechtigt, wenn ein Referent die überall akzeptieite
Nomenklatur eines so illustren Autors wie Sir Almroth
Wright es ist, willkürlich abändert. Zweitens aber ist die
Bezeichnung „absoluter Index“ eine völlig unzutreffende, da in
der ganzen Technik der Opsoninbestimmung alles relativ und
nichts absolut ist. Die phagozytische Zahl wird durch die Aus¬
zählung irgend eines beliebigen Normalserums oder durch die
Vergleichung mehrerer Normalsera oder durch die Herstellung
eines sogen.- P o o 1 s e r u m s, d. h. eines Standard¬
serums, durch Vermischung mehrerer Normalsera und Be¬
stimmung ihrer opsonischen Kraft gewonnen, mit der dann die
phagozytische Zahl des Patienten verglichen wird. Hier ist,
wie gesagt, alles relativ. Es handelt sich hier um Vergleichs¬
werte und es liegt gar kein Grund vor, die höchst prägnante
Ausdrucksweise Sir Almroth Wrights „phagocytic
Count = phagozytische Zahl“ und „opsonic In-
dex = opsonischer Index“ abzuändern.
In der Bestimmung des opsonischen Index des Serums
haben wir, m. H. ein neues, für die Diagnose, Prognose und
Therapie der Infektionskrankheiten, wie für die Geschichte der
Immunitätstheorien gleich wichtiges, epochales Kriterium ge¬
wonnen, das uns in ganz anderer Weise als bisher gestattet,
der pathologischen Physiologie der Infektion näher zu kommen
und ihre feineren Veränderungen zu beobachten. Die Be¬
stimmung des opsonischen Index im Blutserum eines Menschen
erlaubt es, die Widerstandsfähigkeit des betreffenden Indi¬
viduums gegen Infektionskrankheiten zu beurteilen, deren Er¬
reger wir nach opsonischer Einwirkung der Phagozytose unter¬
worfen haben. So ist es z. B. möglich, bei einem Menschen den
Ausbruch einer lokalen oder allgemeinen Tuberkulose monate¬
lang vorherzusagen. Im Laboratorium von Sii A. W i i g h
in London hat sich in geradezu tragischer Weise die Richtigkeit
solcher prognostischer Vorhersagen an einigen Mitarbeitein
des Laboratoriums erfüllt, die im Dienste der Wissenschaft
gewohnheitsmässig täglich kleinere Quantitäten ihies Blutes
für die Untersuchungen hergaben. Das Blut der Assistenten
wird offiziell als normal angesehen, die phagozytische Zahl als
„1“ gesetzt, und nur gelgentlich werden einmal die bera der
verschiedenen Herren unter einander verglichen. Bei solchen
gelegentlichen Vergleichungen stellte sich nun heraus, dass
der eine oder der andere Herr konstant einen sehr niedrigen
opsonischen Index gegen Tuberkulose hatte. Bei dem einen
derselben brach einige Monate später eine schwere Lungen¬
phthise, bei dem anderen eine Tuberkulose des einen Hodens
aus. Es fragt sich nun, m. H.: War der schon lange vor dem
klinischen Ausbruch der Krankheit nachgewiesene mediige
2174
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
opsonische Index der Ausdruck der blossen Widerstandslosig¬
keit oder das Zeichen der bereits stattgefundenen, aber kli¬
nisch noch latenten Infektion des Patienten? Prof. W right
ist geneigt, das letztere anzunehmen.
Ich führe Sie, m. H., mit der Mitteilung dieser progno¬
stischen Beobachtungen sofort in medias res der klinischen
krage: Inwieweit die Schwankungen des opsonischen Index
der Ausdruck sind zukünftiger, gegenwärtig vorhandener und
verflossener Infektionen? M. H., ich muss Sie nun da zunächst
darauf aufmerksam machen, dass die W r i g h t sehe Opso¬
nintheorie zwar einen ganz epochalen Fortschritt auf dem Ge¬
biete der Immunitätslehre bedeutet, dass sie aber eine allum¬
fassende aus dem Grunde nicht genannt werden kann, weil
nicht sämtliche Bakterien der Opsonierung unterworfen sind.
Das gilt in erster Linie für den Diphtherie- und den Xerose-
bazillus, die der Opsoninwirkung ebenso wenig unterliegen
wie der Bakteriozidie und Bakteriolyse, ferner für den Cholera-
und den Typhuserreger, die zwar der Bakteriolyse und Bak¬
teriozidie, nicht aber der Opsoninwirkung zugänglich sind.
Wenn wir diese Einschränkung vorausgeschickt haben,
dürfen wir uns ganz dem Reize hingeben, den das Studium
eines völlig neuen, theoretisch und praktisch gleich be¬
deutsamen wissenschaftlichen Gebietes für den Forscher
hat. M. H., wenn wir auch nicht in der Lage sind, den
Grad der Virulenz eines Bakteriums für den menschlichen und
tierischen Organismus in allen Fällen auf opsonischem Wege
zu bestimmen, so sind wir doch in der Lage, folgende allge¬
meine Gesichtspunkte festzustellen:
1. Im Blutplasma des normalen Organismus kreisen Stoffe,
die eingedrungene Bakterien zur Phagozytose vorbereiten und
die ihrerseits durch Bakterien absorbiert werden: Normal-
Opsonine.
2. Diese Opsonine sind spezifisch.
3. Die Menge der Normalopsonine ist zwar in gewissem
Masse abhängig von der Tageszeit und äusseren Einflüssen
(Anstrengungen, Märsche etc.), schwankt aber in ziemlich
engen Grenzen.
4. In dem von einem oder mehreren Bakterien infizierten
Menschen oder Tier werden durch die Bakterien in den Körper¬
geweben Stoffe gebildet und in die Säfte übergeführt, die eine
Gegeni eaktion des Organismus in Gestalt von vermehrter
Opsoninbildung hervorrufen (Immunopsonine). Diesel¬
ben sind ebenfalls spezifisch, sind also wirksam nur
gegen das eine Bakterium, dessen Produkte
ihre Entstehung oder Vermehrung angeregt
haben.
5. Diese Gegenreaktion des Organismus hängt ab von der
Menge der in die Zirkulation übergeführten Bakterienprodukte
und schwankt bei Personen mit allgemeinen Infektionen be¬
trächtlich.
6. Bei Patienten mit lokalen Affektionen, die wenig und
langsam ernährt werden (Hauttuberkulose), tritt die vermehrte
Bildung von Opsoninen nicht auf, vielmehr ist der opsonische
Index deutlich herabgesetzt. Trotzdem charakterisieren sich
die Opsonine eines solchen Patienten zum grössten Teil als
Immunopsonine, da sie durch die Erhitzung nicht oder nur zu
einem mässigen Prozentsatz zerstört werden.
M. H., die ersten drei Sätze bedürfen keiner Erklärung,
sie sind nach dem Vorhergesagten ohne weiteres verständlich.’
Hervorgehoben braucht nur zu werden die geringe Schwan¬
kung des normalen Index. Die letzten drei Sätze, m. H., aber
geben Ihnen einen Begriff von den Schwierigkeiten, auf die
Sie bei der opsonischen Beurteilung eines Krankheitsfalles
stossen. Wir können demnach die Krankheitsfälle einteilen:
1. in solche, bei denen eine gewisse Schwäche oder Dis¬
position einem Krankheitserreger gegenüber besteht, bei
denen aber der niedrige opsonische Index schon auf eine be¬
reits vorhandene, zur Zeit noch latente Infektion hinweist;
2. in solche, bei denen manifeste lokale Affektionen be-
stehen, die wenig mit Lymphe durchspült werden. Hier ist
die Gegenreaktion des Organismus gering, der opsonische In¬
dex niedrig;
3. in solche allgemeiner Infektion, wo infolge der reichen
aber wechselnden Gelegenheit zur Resorption von Bakterien
oder Bakterienprodukten auch die Reaktion des Organismus
in Gestalt eines Steigens oder Sinkens des opsonischen Index
verschieden ist. Dabei ist natürlich zu bemerken, dass der
grösseren Ausdehnung der Autoinokulationen — um hier
endlich das von der W r i g h t sehen Schule so viel gebrauchte
Wort zu bringen — , dass der grösseren Ausdehnung der Auto¬
inokulationen zwar eine beträchtlich vermehrte Bildung, aber
auch eine beträchtlich gesteigerte Absorption von Immunopso¬
ninen entspricht. Diesem starken Wechsel von Opsoninbildung
und Inanspruchnahme entsprechen die bedeutenden Schwan¬
kungen des opsonischen Index, der durch die verschiedensten,
scheinbar gleichgültigen Ereignisse und Massnahmen ver¬
ändert wird. Sollte man es glauben, dass dieser Index, der das
Zeichen der Widerstandsfähigkeit des Organismus gegen eine
bestimmte Bakterienart vorstellt, bei solchen Patienten sich
ändern kann infolge eines kurzen Spazierganges, durch mässi-
ges Bewegen einer erkrankten Extremität, ja durch die ein¬
fache physikalische Untersuchung des Thorax eines Patienten.
Was die Autoinokulationen, von denen die B i e r sehe
Stauung wohl die von ärztlicher Seite künstlich am häufigsten
herbeigeführte ist, was die Autoinokulationen in dem kranken
Organismus hervorrufen, eine stärkere Bildung von Opsoninen,
und zwar von Immunopsoninen, die den Organismus wider¬
standsfähiger gegen Infektion machen, das erzielen wir thera¬
peutisch in viel exakterer, weil genau dosierbarer Weise durch
die Vakzination mit den abgetöteten Kulturen eben desselben
Mikroorganismus, der die Krankheit hervorgerufen hat. Der
Grundsatz Hahne manns von dem Similia similibus und die
Geschichte von der Wunde des Königs Telephus, die durch die
Lanze des Achilleus geheilt wurde, wenn irgendwo, hier haben
sie Geltung.
Sie verstehen leicht, m. H., dass solche Impfungen mit
den toten Bakterien besonders dort eine hervorragende Wir-
kung ausüben müssen, wo die Reaktion des Körpers auf die
Infektion in Gestalt von Immunopsoninbildung fehlt oder insuf¬
fizient ist, nämlich bei den streng lokalisierten Infektionskrank-
eiten, z. B. tuberkulösen Haut-, Knochen- und Drüsenerkran¬
kungen, wo aus dem schlecht vaskularisierten Gewebe wenig
herausgespült wird von toxischen oder infektiösen Substanzen.
Hier Bt der opsonische Index ja niedrig, und wenn wir nun
durch künstliche Einverleibung von abgetöteten Bakterien die
reaktive Opsoninbildung hervorrufen, so werden nun die lo-
kalen Herde von einer Blutflüssigkeit umspült, die ein weit
stärkeres Heilungsvermögen besitzt als vorher. Es ist zu be¬
merken, dass bei geeigneter Dosierung diese Injektionen zwar
genügen, um den opsonischen Index des Blutes zu erhöhen
aber nicht immer, um den Krankheitsherd zu heilen. Dazu ge-
hort oft noch ein weiteres Moment, es ist nämlich nötig, den
lux des stärker opsonischen Blutes im Krankheitsherd zu
erhöhen, und zu diesem Behufe stehen uns verschiedene Hilfs-
nntcl zur Verfügung. Eines der hervorragendsten ist, be¬
sonders an den Extremitäten oder bei mehr oberflächlichen
Prozessen, die Anwendung von Biers Stauung, von der ich
bereits gesagt habe, dass sie ein hervorragendes Mittel sei, um
Autoinokulationen hervorzurufen. Nun, ebenso gut wie durch
diese Prozedur die erkrankten Gewebe besser von toxischen
^ubstanzen befreit und ausgelaugt werden, ebenso gelangen
diese Gewebe in reichlichere Berührung mit frischen Opso¬
ninen. Die therapeutischen Erfolge des Bier sehen Verfahrens
sind ausschliesslich auf dieses Moment: Abfuhr von Toxinen
Eihohung der Reaktion des Organismus und Zufuhr von
frischem, opsomerfähigem . Blutserum und Lymphe zurück-
zufuhren. Was bei einem tuberkulösen Gelenk gelingt, das ge-
mgt aber noch in erhöhtem Masse bei Staphylokokkeninfck-
tion, wie den hurunkcln, obwohl hier auch die Injektion, event
plus Stauung, nicht genügt, da zunächst der Eiter entleert
,mUSS- ,Pe/ ura,te Qrundsatz ubi pus ibi evacuatur
eiiahrt hier endlich seine theoretische Begründung. In dem
Elt,eruei*?es Furunkels, eines Abszesses, ist der grosse Opsonin¬
gehalt des Eiterserums grösstenteils längst von den Bakterien
absorbiert wahrend die Leukozyten ihre tryptische Kraft auf
das umgebende Gewebe ausüben. Entleeren wir den Eiter
so schaffen wir das opsonisch verbrauchte Serum und die ihre
Umgebung verdauenden Leukozyten desselben heraus und
nun kann frisches Serum die Testierenden Bakterien kräftig
opsomeren, was auch geschieht. Nirgends feiert die Opsonin-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2175
t
theorie grössere Triumphe, als bei solchen eitrigen Staphylo¬
kokkenaffektionen der Haut, als da sind Furunkulose, Sykosis,
Akne usw. .
M. H., ich habe in London an einem reichen
Material geradezu stupende Erfolge bei Staphylokokken¬
erkrankungen gesehen und darf wohl ohne Ueber-
treibung sagen: „So etwas hat’s noch nicht gegeben. Die
Schnelligkeit, mit der die grössten Karbunkel auf ein paar In¬
jektionen von Staphylokokkenvakzine abheilen, ist bisher un¬
erhört. Der opsonische Index gegen Staphylokokken steigt in¬
folgedessen sehr hoch. Eine Massnahme daif ich allerdings
nicht vergessen, die Sir Almroth W right auf Grund seiner
ausgezeichneten Untersuchungen über die Gerinnbarkeit des
Blutes nicht unterlassen: Auf die Oeffnung eines Abszesses
oder Furunkels wird eine sterile Lösung von Zucker und
Natriumzitrat als feuchter Verband appliziert, welche die Ge¬
rinnung der Wundsekrete verhindert und durch ihren starken
osmotischen Druck das Ausströmen von Lymphe begünstigt
und somit wieder frische Opsonine an die Infektionsstelle fuhrt.
Auch die Erfolge von Massnahmen, wie die Röntgenbestrah¬
lung, Finsentherapie und heisse Kataplasmen sind von diesem
Gesichtspunkte aus zu erklären.
M H so schön und überwältigend die Erfolge der Vak-
zinetherapie bei den geschilderten Staphylokokkenerkran-
klingen sind, so langwierig und so wechselnd sind die Erfolge
bei den lokalen Tuberkulosen. Wir müssen uns stets vor
Augen halten, dass die Vakzinetherapie W r 1 g h t s die einzige
ist die wissenschaftlich dosierbar, bei diesen desolaten Kran
heitsbildern Hoffnung auf Heilung verspricht, um unsere Un¬
geduld zu zügeln, wenn wir Fälle, die lange opsonisch behan¬
delt worden sind, aus Gründen, die meist in den sozialen Ver¬
hältnissen der Patienten liegen, nicht so vorwärts bringen, wie
wir wünschen und hoffen. Aber indem ich diese Worte mit
einer gewissen Resignation ausspreche, muss ich doch sagen
dass ich im opsonischen Departement von St. Marys Hospital
unter dem überreichen Material der scheusshchsten Haut-,
Knochen- und Gelenktuberkulosen eine grosse Anzahl von
Fällen gesehen habe, die, nachdem sie viele Jahre, ja Jahr¬
zehnte lang mit allen möglichen anderen Methoden vergeblich
behandelt worden waren, durch die Opsonotherapie geheut
worden sind. M, H., freilich ist eben die Geduld unendlich
gross die auf jeden einzelnen Fall verwendet wurde. Ich
werde in der allernächsten Zeit, dank dem höchst generösen
Entgegenkommen von Sir A. W right, in der Lage sein, eine
grössere Serie von Fällen aus dem opsonischen Departement
von St. Marys Hospital zu veröffentlichen, und zwar werde ich
in dieser Publikation von der bisherigen _ Gepflogenheit
W rights und seiner Schule abgehen, die meist ausgewählte
Fälle mitteilen. Ich habe mir aus dem vorhandenen Material
einige 50 Fälle, die ich beobachten konnte, wahllos heraus¬
genommen, um an ihnen dem Leser die Schwankungen des
opsonischen Index, die Mühseligkeiten und die Zwischenfäl e
der Beobachtung und Behandlung vor Augen zu führen, pn
solches Unternehmen scheint mir dankenswert, denn es lasst
die Schwierigkeiten, denen wir zu begegnen haben, viel besser
erkennen als eine Anzahl Paradefälle. Aber solche Schwierig¬
keiten sind für die deutsche Wissenschaft noch niemals ein
Hindernis gewesen, wenn es sich darum handelte, fremdes Ver¬
dienst anzuerkennen und Methoden aufzunehmen, die der
kranken Menschheit in so hervorragender Weise Nutzen
bringen wie die epochalen Errungenschaften
W r i g h t s!
M. H., die vakzine Behandlung der allgemeinen Tuber¬
kulose ist in London bisher noch wenig geübt worden. Zu den
theoretischen Schwierigkeiten, die aus dem fortwährenden
Schwanken des opsonischen Index infolge von Autoinoku¬
lationen resultieren, gesellt sich der Umstand, dass Professor
W r i g h t nur über ambulantes Material, nicht aber über
stationäres, klinisches verfügt. Wenn aber ein Patient mit aus¬
gedehnter Lungentuberkulose an sich schon nach etwas tieferer
Inspiration sich selbst autoinokuliert, wie viel mehr geschieht
dies, wenn er einen weiten Weg machen muss, um zum Aizte
zu gelangen. Soll hier die Impfung von irgend welchem Vor¬
teil sein, so muss der Patient strengste Bettruhe bewahren.
Günstige Resultate hat W right übrigens auch bei der Peri¬
tonealtuberkulose und bei Nierentuberkulosen gesehen. Von
der letzteren Affektion stehen auch mir mehrere zum Teil sehr
gut verlaufene Krankheitsberichte zur Verfügung.
Auch Streptokokken, Kolierkrankungen, Gallensteinleiden,
gonorrhoische Arthritiden sind der Gegenstand der opsonischen
Behandlung gewesen, die ich Ihnen, nachdem ich ihre Prin¬
zipien anseinandergesetzt, des näheren schildern will.
Ist bei einem Patienten irgend eine Infektion mit einem be¬
stimmten Bakterium festgestellt, so wird eine Vakzine aus den
Kulturen des betreffenden Organismus gemacht. Für den Tu¬
berkelbazillus genügen entsprechende Verdünnungen des
Koch sehen Neutuberkulin, für Staphylokokken wird eine ge¬
mischte Standardvakzine hergestellt aus Kulturen von Sta-
phylococcus aureus, albus und citreus und nach einem von
W right angegebenen Zählverfahren die Zahl der Bakterien
im Kubikzentimeter der Vakzine ermittelt. Für die meisten
anderen Arten von Infektionen wird die Vakzine frisch aus
der vom Patienten selbst abgeimpften Kultur bereitet. Die
Vakzine wird bei 60° C im Bain Marie eine Stunde lang
sterilisiert.
Mit der Injektion dieser Vakzine — über die genauere
Dosierung werde ich nachher sprechen — wird nun durchaus
nicht etwa ein einheitlicher Effekt erzielt. Vielmehr sind die
therapeutischen Resultate, insoweit sie sich an einem so feinen
Reagens, wie es der opsonische Index ist, manifestieren,
äusserst 'wechselnd. Nehmen wir an, wir hätten die Dosis aus
übergrosser Vorsicht, die nebenbei bemerkt sehr am Platze
ist, zu gering genommen, so wird der Ausschlag des opsoni¬
schen Index nach oben ein sehr kleiner sein und nach kurzer
Zeit sich vollkommen und ohne bleibenden Nutzen für den er¬
krankten Organismus wieder ausgleichen (Tafel!). Wählen wir,
Reinokulation während der
negativen Phase.
Inokulationskurve.
Minimale
Inokulation.
Korrekte
Inokulation.
Ideale
Inokulation.
Exzessive Inokulation Kurve mit falschem Auf-
(gibt zu grosse negative stieg.
Phase).
I
“~V
um gleich das andere Extrem anzunehmen, die Dosis viel zu
stark, so tritt an die Stelle des mässigen Anstieges ein dezi¬
diertes Fallen des opsonischen Index, d. h. es werden durch
die übermässigen Mengen injizierter Bazillen eine grosse
Menge von Opsoninen absorbiert. Der Organismus verarmt
dann zunächst und braucht geraume Zeit, um sich wieder davon
zu erholen und neue Opsonine zu produzieren. Ein solches
Fallen und Tiefbleiben des opsonischen Index geht meist mit
sehr unangenehmen subjektiven Gefühlen, wie Abgeschlagen-
heit, Prostration der Kräfte etc. einher (Tafel!). Nehmen wir
dagegen an, wir hätten zufällig oder auf Grund einer reichen
Erfahrung gleich das Richtige getroffen, dann sehen wir folgen¬
des Bild: Auf die medizinal richtige Dosis steigt eventuell zu¬
nächst der opsonische Index um ein klein wenig an (false rise,
initial rise, d. h. falscher anfänglicher Anstieg nach W r l g h t)
Dieser falsche Anstieg, m. H., ist aber Ausnahme und nicht
Regel und er kann ausbleiben. Dann erfolgt sofort das zweite
Stadium, im Falle des Ausbleibens des false rise also das erste,
nämlich am Tage der Injektion und dem darauf folgenden ein
deutlicher Abfall (von W right als negative Phase be¬
zeichnet), und auf diesen folgt eventuell am dritten Tage der
deutliche Anstieg, die sogen, positive Phase, dm nun dank der
kräftigen Reaktion des Organismus einige Zeit anhalt, dann
aber allmählich absinkt (Tafel !). Es ist nun nötig, diesen all¬
mählichen Abfall der Kurve abzuwarten, bevor inan sich zu
einer neuen- Injektion entschliesst. Wohl wäre es ein idea e
Gedanke, die Vakzination so rasch zu wiederholen, dass ma
zwei positive Phasen superponiert. In vereinzelten Fallen so
das auch gelungen sein, aber es besteht die grosse Gefan ,
durch die übereilte zweite Inokulation sofort statt der erhoff en
zweiten positiven Phase eine um so stärkere negative I hase
zu erhalten.
2176
M. H., wir haben in London im opsonischen Departement
von St. Marys Hospital, ich kann sagen allwöchentlich Fälle
gesehen, die ausserhalb mit wähl- und kritiklosen Dosen von
Bakterien oder Vakzinen geimpft worden waren, und nun in
desolatem Zustande in die Behandlung Prof. W r i g h t s kamen.
Vor nichts muss ich mehr warnen als vor der schablonenhaften
Applikation einer solchen Therapie, die in des Wortes wahrem
Sinn als ein zweischneidiges Schwert bezeichnet werden muss
sobald der Anfänger, der Routinier sich ihrer bemächtigt (Häu¬
fung der negativen Phasen; Tafel!).
Die Inokulationstherapie, davon bin ich überzeugt, wird nie
von der breiten Masse der ärztlichen Praktiker angewendet
werden können, sie wird vielmehr die Domäne einzelner
eiben, die mit spezialistischen Detailkenntnissen ausgerüstet
vermittels eigens dazu eingerichteter Laboratorien diese neue’
ll,aus mühsame therapeutische Disziplin zum Heile der
Menschheit verwerten.
M. H. die Arbeitslast, die auf einem opsonischen Labora-
0^ KUht; lst ungeheure- Prof. W right besoldet
10 Mitarbeiter, die Rosten seines Laboratoriums, die er aus
eigener lasche trägt, sind sehr beträchtliche. Die grösste
Schwierigkeit neben der höchst komplizierten Technik ist aber
die klippenreiche Frage der Dosierung, von der einer der Mit¬
arbeiter des Laboratoriums scherzend zu mir sagte: Das ist
as fin „ge’ was Prcd- W right selbst nicht ganz versteht “
, wie Sie sehen, ist ein Häufen der Dosen ausser-
ordenthch gefährlich, und ich zeige Ihnen das Gegenstück auf
einer Tafel, das schematische Bild einer idealen Inokulations-
kurve, wo stets vor dem Ende des allmählichen Abfalles der
positiven I hase mit einer mässigen Injektion so eingesetzt
^n£d%dfS u deJ °ps°msche Index im ganzen deutlich hoch
g ng- cbe ldeale Kurven kann aber nur der erhalten der
vorsichtig tastend an jeden Fall herangeht, lieber etwas kleinere
S/b . lleberT e+twas länger zuwartet, als dem Patienten
, adet. ^inern Irrtum aber möchte ich Vorbeugen, nämlich
der Meinung, als würde durch eine solche Inokulationstherapie
.jede andere ärztliche und diätetische Massnahme überflüssig
bei h frS nöbVUCh andere Heilfaktoren, besonders
hS h /aberkulosen Patienten möglichst heranzuziehen und
■ den letzteren den opsonischen Index nicht nur durch Vak¬
zineinjektion sondern auch durch gute Nahrung zu erhöhen
Einem tuberkulösen Patienten, der sich abhungert und der in
Sorgen und schlechten Verhältnissen steckt, dem werden Sie
nnt der sorgfältigsten Vakzination nicht auf die Beine helfen.
pc h pMh 1Ch habu es bisher als gegeben betrachtet, dass wir
e?nzLdneBnkf mSChen ?ehan?lung unserer Patienten mit einem
immer^ der FaTVi u DaS ist aber durchaus nicht
mmer der Tall. Vielmehr haben wir es sehr oft mit Misch-
zwd odTr hUn v0!? dann iSt 65 nÖt'g’ die Patienten mit
zw ei oder mehr Vakzinen zu impfen. Im W right sehen
Laboratorium haben sich die Erfahrungen gehäuft, die dahin
gehen, dass; man sehr oft mit der Inokulation so lange nicht
.um ^Iel® kommt, bis es nicht gelungen ist, sämtliche in Frage
kommenden Krankheitserreger zu ermitteln und ätiologisch zu
desTäheren bin ich, nicht in der Lage’ mich darüber
(les näheren zu aussern und verweise diesbezüglich sowie
auch was die exakte Dosierung der Injektion belangt, auf die
°r je£ende englisch-amerikanische Literatur und auf die aus-
fuhrhehe Arbeit, die ich demnächst publizieren werde.
Ich bin am Ende. Selbstverständlich war es mir nicht
Fn gf 1C£\reSr a!f- einen kurzen Abriss zu geben von dem
Tortschritt, den die neue Lehre Sir A. W rights für die
Wissenschaft wie für die medizinische Praxis bedeutet. Viele
unk e habe ich nur gestreift, die eine ausführlichere Be-
e bUng frrordern’ und lch fühIe so sehr, wie unvollkommen
das ist was ich in so kurzem Zeitraum habe bieten können
dass ich es ergänzen möchte. Ich bin dazu in der Lage bin
bereit, den Worten Taten folgen zu lassen. ’
Ich verdanke es in erster Linie der so überaus lieben«;
würdigen Unterstützung des Herrn Medizinalrates Joest, des
ausgezeichneten pathologischen Anatomen an der hiesigen
Tierärztlichen Hochschule, welcher ich als Dozent angehöre
dass ich dem Kongress in einem Raume des pathologischen
nstituts der Tierärztlichen Hochschule mein neues opsonisches
Laboratorium, das erste opsonische Laboratorium auf dem
Kontinent demonstrieren kann. Auf die Anregung und den
Antrag des Herrn Medizinalrats Joest hat die Königlich
Sächsische Staatsregierung mir den offiziellen Auftrag zu dieser
Studienreise erteilt und Mittel für das Laboratorium zur Ver-
DankgaSeückenICh '"ÖCllte ^ a“Ch an dieSer Ste"e meinen
Zur Frage der chirurgischen Behandlung der beginnen¬
den tuberkulösen Lungenspitzenphthise.
Von Dr. K a r 1 H a r t, Prosektor am Auguste-Viktoria-Rranken-
haus, Schöneberg-Berlin.
c , 5er V°n PJ SAS 1 e r und S e i d e 1 in No. 38 dieser Wochen¬
schrift gebiachte Artikel über die chirurgische Behandlung des
ungenemphysem ist ausserordentlich bemerkenswert weil er
nicht nur in wertvoller Weise die F r e u n d sehe Lehre über
Aetiologie und Pathologie einer bestimmten Art des alveolären
Lungenemphysems bestätigt und die von F r e u n d empfohlene
chirurgische Behandlung dieses Emphysems in ihrem vollsten
Nutzen zeigt, sondern vor allem deshalb, weil hier Seidel
zum ersten Male auch die Resektion des ersten Rippenknorpels
ausgefuhrt hat. Diese Operation, welche mir selbst von Chi¬
rurgen als schwierig und gefahrvoll bezeichnet wurde, scheint
näch S eid el s Ausführungen durchaus nicht allzugrosse
Schwierigkeiten zu machen und für den Patienten nicht sehr
eingreifend zu sein. So ist es denn wohl am Platze, auch
die von Freund bereits vor fast 60 Jahren geforderte chi-
rurgische Behandlung der beginnenden tuberkulösen Spitzen-
pnthise, welche in eben jener Durchtrennung des ersten Rippen¬
knorpels besteht, von Neuem nachdrücklich zu empfehlen zu-
mal sich herausgestellt hat, dass eine mechanische Behinderung
der oberen Thoraxapertur im Sinne der F r e u n d sehen Lehre
in \\ eitern Masse zur tuberkulösen Spitzenerkrankung dispo-
nieit und uns die Selbsthilfe der Natur den Nutzen einer Durch¬
trennung der ersten funktionsunfähigen Rippenknorpel deutlich
genug vor Augen führt.
Die Fr eund sehe Lehre, welche leider bei weitem nicht
die ihr gebührende Beachtung gefunden hat, sagt, dass infolge
einer Entwicklungshemmung der ersten Rippenknorpel die
obere Thoraxapertur stenosiert wird und dadurch einen schäd¬
lichen Druck auf das umschlossene Lungengewebe ausübt und
ass der verkürzte Knorpel infolge grösserer Rigidität und
eigung zu verschiedenartigen Verknöcherungsprozessen eine
für das Gewebe der Lungenspitze überaus schädliche Einbusse
semer Funktionstüchtigkeit erleidet. Mit dieser Beobachtung
steht die Entdeckung Schmor ls einer subapikalen Druck-
rurene und die bekannte Mitteilung Birch-Hirschfelds
über Zusammendrängung und Verkümmerung der Aeste des
subapikalen hinteren Spitzenbronchus in vollstem Einklang und
durch die Ausführungen dieser Forscher sowie meine eigenen
Untersuchungen ist gezeigt worden, dass in der Tat alle diese
zusammenhängenden Veränderungen die Ansiedelung der Tu-
berkelbazillen und die Entstehung einer tuberkulösen Spitzen¬
phthise begünstigen.
Die Klärung des Dispositionsbegriffes und die in neuester
Zeit immer mehr wachsende Ueberzeugung der Bedeutung
welche dispositionellen Faktoren für die Entstehung der Krank¬
heiten zukommt, hat auch dazu beigetragen, den Wert der alten
Lehre F r e und s ins rechte Licht zu setzen, und es ist jetzt an
aei Zeit, auf Grund der pathologisch-anatomischen Verände¬
rungen zu prüfen, inwieweit die Forderung einer chirurgischen
Behandlung mechanischer Missverhältnisse im Bereich der
oberen Thoraxapertur berechtigt ist, und die Indikationsstellung
möglichst scharf zu präzisieren.
Da ich selbst in umfangreichen Untersuchungen 1) die An¬
gaben Freunds habe bestätigen und erweitern können und
es mir gelungen ist, das Wesen einer mechanischen Spitzen¬
disposition in einzelnen Punkten etwas genauer zu formulieren,
so gehe ich von den Ergebnissen meiner eigenen Beobachtungen
aus. Trenn d forderte ganz allgemein die D-urchschneidung
des ersten Rippenknorpels bei Feststellung einer beginnenden
„ !),C-, b[.a rt: mechanische Disposition der Lungenspitzen
zui tuberkulösen Phthise. Enke, Stuttgart 1906.
29. Oktober 1907, _ MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2177
tuberkulösen Spitzenphthise namentlich jugendlicher Personen,
sofern die Erkrankung des Lungengewebes nicht zu weit nach
abwärts vorgeschritten ist, und er stützte diese Forderung auf
die wertvolle und richtige Beobachtung, dass eine Gelenkbil¬
dung am verknöcherten und daher funktionsuntüchtigen ersten
Rippenknorpel häufig mit ausgeheilten tuberkulösen Spitzen¬
herden anzutreffen und daher als eine Naturheilhilfe zu be¬
trachten ist. Damit schien der Wert einer chirurgischen Durch¬
trennung des ersten Rippenknorpels ohne Weiteres klar vor
Augen geführt, allein nach meinen eigenen Untersuchungen
liegen die Verhältnisse doch nicht ganz so einfach.
Mechanisch-funktionelle Missverhältnisse im Bereich der
oberen Thoraxapertur kommen in zwei Formen in Betracht,
welche scharf von einander zu trennen sind. Die erste Form
entspricht der Lehre Freunds, sie besteht in einer primären
Entwicklungshemmung der ersten Rippenknorpel oder aber
auch der ersten Rippen selbst, wodurch eine Stenose der oberen
Thoraxapertur erzeugt wird, welche für das umschlossene Ge¬
webe der Lungenspitzen um so verhängnisvoller wird, als die
Knorpelverkürzung eine stärkere Neigung der Apertur, eine
grössere Rigidität der Knorpelsubstanz und ausgesprochene
Neigung zu scheidenförmiger Verknöcherung zur Folge hat.
Diese Verknöcherung des mit dem Sternum fest verbundenen
ersten Rippenknorpels muss dessen Funktion und damit die des
ganzen ersten Rippenringes, von welcher die respiratorische
Atembewegung des ganzen Thoraxgerüstes abhängt, völlig auf-
heben. Nun hat sich aber nach meinen Untersuchungen heraus¬
gestellt, dass die Stenose der Apertur unter diesen Verhält¬
nissen keineswegs eine nur allgemeine ist, sondern dass sie
sich auch in einer überaus schwerwiegenden Formveränderung
äussert, indem die Apertur aus der kartenherzförmigen quer¬
ovalen in eine geradovale Form übergeht und damit durch den
steil nach vorn gerichteten Verlauf der ersten Rippe speziell die
seitlichen Ausbuchtungen räumlich beeinträchtigt, in welchen
die Lungenspitzen liegen. Gerade und allein durch den Ueber-
gang der Form der oberen 1 horaxapertur in eine Form, welche
derjenigen der niederen Säugetiere entspricht, wird die
S c h m o r 1 sehe Lungenfurche mit der Zusammendrängung der
subapikalen Bronchialäste erklärt.
Wie bereits Freund betont hat, handelt es sich um eine
Entwicklungshemmung, deren Anlage nach Freund selbst
und Mendelsohn schon in allerfrühester Zeit zuweilen offen
zutage tritt, die sich aber nach meinen Ausführungen endgültig
erst zur Zeit der Reife geltend macht, so dass ihr eine besondere
ursächliche Bedeutung gerade für die tuberkulöse Lungen¬
phthise jugendlicher, in der Blüte der Jahre stehender Indivi¬
duen zugeschrieben werden muss.
Von diesen zur tuberkulösen Spitzenphthise disponierenden
Anomalien des ersten Rippenringes schied ich scharf gewöhn--
liehe als Altersveränderungen aufzufassende in der Knorpel¬
substanz auftretende Verknöcherungsprozesse, aus denen ich
mir die Lokalisation der beginnenden tuberkulösen Phthise in
der Lungenspitze bei älteren Individuen erklärte. Sie haben
m. E. niemals die gebührende Beachtung gefunden, obwohl
ihnen sicher die gleiche Bedeutung zukommt wie der von
Freund zuerst beschriebenen scheidenförmigen Verknöche¬
rung der ersten Rippenknorpel. V i r c h o w hat einmal darauf
hingewiesen, dass durch eine starre Verknöcherung der ersten
Rippenknorpel die Durchlüftung der Lungenspitzen sehr be¬
einträchtigt wird, so dass sich dort Bronchialkatarrhe ent¬
wickeln und so eine Disposition zur Infektion setzen können.
Mit zunehmender Funktionsunfähigkeit der ersten Rippenknor¬
pel bilden sich eben alle jene Verhältnisse aus, welche beson¬
ders die aerogene, aber auch hämato- und lymphogene tuber¬
kulöse Infektion des Lungenspitzengewebes begünstigen. In
diesen Fällen fehlt zwar so gut wie immer die Kompression des
Spitzengewebes durch einen stenosierten und formveränderten
Knochenring, allein dieser Ausfall wird oft genug reichlich aus¬
geglichen werden durch alle jene disponierenden Momente,
welche mit zunehmendem Alter naturgemäss immer mehr Gel¬
tung erlangen. Gerade in höheren Lebensjahren finden wir ja
die chronischen, zu ausgedehnter Schwielenbildung führenden
Formen der tuberkulösen Lungenphthise, was ich teilweise auf
die nur allmählich eintretende Funktionsstörung des ersten
Rippenringes und auf dessen sekunäre Mobilisierung durch Ge¬
lenkbildung seiner Knorpel zurückführen möchte.
No. 44.
Eben diese Gelenkbildung am ersten Rippenknorpel gab
Freund Veranlassung, eine entsprechende chirurgische Be¬
handlung der Funktionshemmung der oberen Thoraxapertur
zu fordern, und es ist in der Tat unzweifelhaft, dass diese
Gelenkbildung die Heilung tuberkulöser Gewebserkrankungen
in den Lungenspitzen begünstigt, falls sie noch nicht zu aus¬
gedehnt sind und noch nicht auf Lungenbezirke übergegriffen
haben, welche von der oberen Thoraxapertur weder räumlich
noch funktionell beeinflusst sind. ■
Entsprechend meinen Anschauungen über diese beiden
scharf getrennten Grundlagen der Spitzendisposition ergaben
sich mir auch bezüglich der Heilung der tuberkulösen Lungen¬
spitzenaffektion bestimmende Gesichtspunkte, welche ich im
Wortlaut anführen will. „Die in jugendlichem Alter infolge
einer Stenosierung und Formveränderung der oberen 1 horax-
apertur entstehende tuberkulöse Spitzenphthise ist, wenn nicht
besondere kräftige Heilfaktoren einwirken, einer Ausheilung
nicht fähig, weil Stenose und Formveränderung irreparable Zu¬
stände darstellen und die Grundbedingungen zur Gelenkbildung
am ersten Rippenknorpel (gewisse Altersveränderungen)
fehlen, durch welche die funktionelle Minderwertigkeit des
ersten Rippenringes gebessert werden könnte. Infolgedessen
werden alle mit diesen Fehlern behafteten Individuen schnell
und früh ausgemerzt, sobald sie einer genügend starken Infek¬
tion ausgesetzt waren. Selbst aber wenn dies nicht der Fall
ist, bedeuten die Missverhältnisse im Bereich der oberen Tho¬
raxapertur für ihren Träger eine ständige Gefahr, früher oder
später doch noch einer tuberkulösen Lungenphthise zu erliegen.
Wir können daher bei jugendlichen Individuen nicht häufig aus¬
geheilte tuberkulöse Spitzenprozesse erwarten. Im höheren
Alter ändern sich diese Verhältnisse. In je späteren Jahren ein
Individuum an einer tuberkulösen Spitzenaffektion erkrankt,
um so grösser wird die Möglichkeit einer Heilung, weil bei der
Mehrzahl der Erkrankten die Disposition der Lungenspitzen
vorwiegend auf einer Funktionsstörung des ersten Rippenringes
infolge von Altersveränderungen der Knorpelgrundsubstanz
beruht, welche eine Gelenkbildung und damit günstige Beein¬
flussung der Funktionsstörung gestatten. Das Spitzengewebe
wird, sofern nur die sonstige allgemeine und lokale Konsti¬
tution eine gute ist. zu einem erfolgreichen Widerstand gegen
die tuberkulöse Infektion befähigt.
In vielen Fällen wird die Hilfe eine ausgiebige sein, in
anderen zwar keine Heilung bringen, wohl aber ein rasches
Fortschreiten des Prozesses hindern, wieder in anderen Fallen,
wo noch keine Infektion erfolgt war, die Lungenspitze über¬
haupt vor der Erkrankung bewahren.“
Aus diesen Worten ergibt sich meine Stellung zur Forde¬
rung der chirurgischen Behandlung der beginnenden tuberku¬
lösen Spitzenphthise. Für alle diejenigen Fälle, in welcnen die
Erkrankung auf einfache, durch Altersveränderungen bedingte
Funktionshemmung der ersten Rippenknorpel zurückzuführen
ist, halte ich die Forderung Freunds nicht nur für berech-
tigt, sondern sogar für geboten. Dabei wild zu berücksichtigen
sein, dass der Begriff der Altersveränderung ein sehr relativer
ist denn die Knorpelveränderungen, welche wir damit bezeich¬
nen, treten oft auffallend früh, oft spät oder auch gar nicht ein,
ohne dass wir für dieses wechselnde Verhalten in allen ballen
eine genügende Erklärung hätten. Der Nutzen einer Durch¬
trennung des funktionsunfähigen ersten Rippenknorpels, wel¬
chen uns schon die natürliche Gelenkbildung vor Augen führt,
wird durch die Beobachtung Seidels in schönster Weise ge¬
zeigt. Der absolut starre, verkalkte erste Rippenknorpel zeigte
keine Bewegung, solange auch nur noch eine schmale, wenige
Millimeter dicke Spange stand, um nach deren Durchtrennung
sofort die ausgiebigsten respiratorischen Bewegungen auszu¬
führen.
Der Heilwert einer chirurgischen Durchtrennung des star¬
ren ersten Rippenknorpels wäre vielleicht deshalb schon ein
hoher, weil er nur für einen gewissen Lebensabschnitt über¬
haupt in Betracht kommt, in welchem die stenosierten und
formveränderten Aperturen zum grössten Teil eliminiert sind
und gerade solche Veränderungen zum Teil die Disposition der
Lungenspitzen zur tuberkulösen Phthise bedingen, welcie
r'hii-n rcncrVtpn Finyriff besondeis günstig zu beein¬
flussen sind.
217 8
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
i
No. 44.
Natürlich sind bezüglich der Indikationsstellung zur Opera¬
tion vom Kliniker auch alle anderen wichtigen Ueberlegungen
in Rechnung zu stellen, allein ich meine, man sollte die Opera¬
tion in weitgehendstem Masse veranlassen, selbst wenn ein
Erfolg zweifelhaft erscheint, nachdem Seidel gezeigt hat,
dass der Eingriff für den Patienten kein allzu schwerer ist.
Augenblicklich möchte ich allein die tuberkulöse Lungenphthise
bei Diabetes von chirurgischer Behandlung ausschliessen, weil
diese ihrer besonderen Form nach nicht den Voraussetzungen,
auf welchen die Operation basieren soll, entspricht.
Es versteht sich ja überhaupt von selbst, dass nur dann ein
günstiger Erfolg von der Operation zu erwarten ist, wenn nicht
allgemeine Faktoren den Gesamtorganismus oder andere lokale
speziell die Lungenspitzen in ihrer Widerstandskraft ge¬
schwächt haben.
Ein Punkt erscheint noch besonderer Erwähnung wert,
dessen Bedeutung wir später noch erkennen werden. Die in¬
spiratorische Spannung des ersten Rippenknorpels ist nämlich
von hohem Werte für die exspiratonische Phase der Atembewe¬
gung des Thorax, weil, wie Freund gezeigt hat, der inspira¬
torisch gespannte Knorpel bei der Exspiration mit grosser Kraft
in seine Ruhelage zurückschnellt und diese Bewegung den mit
ihm durch das Brustbein fest verbundenen unteren Rippen mit¬
teilt. Bei jeder Durchtrennung des ersten Rippenknorpels muss
daher eine beträchtliche Einbusse dieser für die Exspiration
wichtigen Federkraft eintreten, wir dürfen sie aber deshalb bei
der durch Altersveränderungen bedingten Durchtrennung der
ersten Rippenknopel ausser Betracht lassen, weil ohnehin mit
der Erstarrung des Knorpels seine Funktion behoben ist. Eins
aber bleibt zu berücksichtigen: Es ist sorgfältig auf den Zu¬
stand auch der anderen Rippenknorpel zu achten und eventuell
auch deren Durchtrennung vorzunehmen, weil die Sicherung
und Begünstigung der Exspiration als die Vorbedingung eines
Erfolges der Operation zu betrachten ist.
Die Technik der Operation kann uns natürlich nicht be¬
schäftigen, in dieser Hinsicht hat Seidel wertvolle Finger¬
zeige gegeben, wir müssen nur darauf aufmerksam machen,
dass sich entweder eine breitere Resektion empfiehlt oder bei
einfacher Durchtrennung für eine forcierte Atembewegung der
oberen Thoraxpartie Sorge zu tragen ist, weil es feststeht, dass
die Knorpeldurchtrennung mit einer lebhaften ossifizierenden
Perichondritis einhergeht, welche zu einer sekundären Konsoli¬
dierung des Knorpels führen kann.
So sehr ich nun die von Freund geforderte chirurgische
Durchtrennung des ersten Rippenknorpels bei durch Alters¬
veränderungen bedingter Funktionsuntüchtigkeit empfehle, so
wenig Erfolg versprach ich mir bisher in dieser Hinsicht bei
Entwicklungshemmungen. „Die Bildungsanomalien“, so
schrieb ich, „werden kaum unschädlich gemacht werden, und
nur bei ausgedehnter scheidenförmiger Verknöcherung ver¬
sprechen wir uns insofern eine Besserung, als wenigstens die
durch diese bedingte Funktionsstörung zum Teil behoben wer¬
den kann.“ In der 1 at weist auch in diesen Fällen nirgends die
Natur durch Selbsthilfe auf den Nutzen einer Knorpeldurch¬
trennung hin, wobei allerdings zu bedenken ist, dass dem Knor¬
pel die eine Selbsthilfe ermöglichenden Veränderungen fehlen.
Inzwischen aber bin ich zu der Ansicht gekommen, dass
die von Freund befürwortete chirurgische Bildung eines Ge¬
lenkes am ersten Rippenknorpel auch für die Fälle beginnender
tuberkulöser Spitzenphthise zu empfehlen ist, welche bedingt
sind durch Stenosierung und Formveränderung der Apertur.
Die erwähnten Bildungsanomalien werden zwar — daran ist
festzuhalten — durch die einfache Knorpeldurchtrennung nicht
unschädlich gemacht werden, aber einige sehr bedeutsame
Folgezustände sind aller Wahrscheinlichkeit nach einer günsti¬
gen Beeinflussung zugänglich. In erster Linie wird die Be¬
wegungsfähigkeit, also die in der respiratorischen Hebung und
Senkung bestehende Funktion des obersten Rippenringes durch
die Durchtrennung des rigideren, weil verkürzten Knorpels ge¬
bessert werden und damit weiterhin die Möglichkeit gegeben
sein, dass die ganze Apertur sich in eine andere mittlere Ebene
einstellt. Denn die stenosierte Apertur zeigt, wie bereits
F reund betont hat und ich bestätigen konnte, eine sehr starke
Neigung gegen die Horizontalebene und bei diesem Stande wird
der Kegel der Lungenspitzen geradezu in den Aperturring
hineingedrückt und nach Art eines Schniirringes in einer schräg
subapikalen Linie komprimiert. Wird nun die Apertur nicht
mehr durch die Knorpel nach unten gehalten, so scheint in der
Tat eine Hebung der Apertur und eine Erleichterung des auf
dem Lungengewebe lastenden Druckes möglich.
Schwere Bedenken bedingt allerdings die mit der Knorpel¬
durchtrennung verbundene beträchtliche Einbusse der gerade
in diesen Fällen für die Exspiration erforderlichen elastischen
Knorpelspannung, weil wir die Bedeutung der exspiratorischen
Phase der Spitzenatmung für die Ablagerung mit dem Luft¬
strom zugeführter Staubpartikel und infektiöser Substanzen
sehr hoch veranschlagen müssen. In Anbetracht aber der Tat¬
sache, dass die Exspiration im wesentlichen ein passiver Vor¬
gang Ist, bleibt die Hoffnung, dass die Vorteile der Knorpel¬
durchtrennung die Nachteile überwiegen und ausgleichen.
So empfehle ich also auch für diese Fälle die von Freund
geforderte operative Durchtrennung der ersten Rippenknorpel,
gleichgültig, ob die Entwicklungshemmung die Knorpel selbst
oder die Rippen oder beide zugleich betrifft. Wenn man sich
vor Augen hält, dass die Aussichten auf Erfolg zweifelhaft sind,
dass es sich zunächst gewissermassen um — nach Seidel
ungefährliche und wenig eingreifende — Versuche handelt,
dass aber die mechanischen Missverhältnisse im Bereich der
oberen I horaxapertur auch nur einen disponierenden Faktor
unter vielen anderen, die gegeben sein können, darstellen, so
wird man sich manche Enttäuschung infolge eines Misserfolges
ersparen und vermeiden, infolge solcher Misserfolge die ganze
Lehre zu diskreditieren.
Wir begeben uns auf Neuland! Es ist zu hoffen, dass die
von Seidel ausgeführte Operation die Anregung dazu gibt,
dem alten Gedanken Freunds die verdiente Beachtung zu
schenken und an die chirurgische Behandlung der beginnenden
tuberkulösen Lungenphthise heranzutreten, um so mehr, als
wir uns nicht verhehlen dürfen, dass die Therapie dieser mör¬
derischen Volkskrankheit leider noch immer nicht genügende
Erfolge aufzuweisen hat. Wer aber geneigt ist, die chirur¬
gische Behandlung in Form der Durchtrennung des ersten Rip¬
penknorpels vorzunehmen oder zu veranlassen in der Meinung,
dass ein tuberkulöser Spitzenherd so günstig zu beeinflussen
sei, der soll auch alle Konsequenzen dieser Anschauung ziehen.
Je länger sich die Operation verzögert und je weiter sich die
Gewebserkrankung ausbreitet, um so weniger Erfolg ist zu
erwarten. Der Kranke ist unmittelbar nach Feststellung der
tuberkulösen Spitzenaffektion dem Chirurgen zuzuführen, ohne
dass vorher eine Heilstättenbehandlung eintritt. Es liegt mir
fern, den Wert einer solchen zu bezweifeln, ich erkenne ihn
vielmehr ausdrücklich an, aber es liegt auf der Hand, dass sie
niemals Heilung bringen kann in den Fällen, wo schwere dis¬
ponierende Momente dauernd einwirken und jederzeit der glim¬
mende Funke zu hellem Feuer aufflammen kann. Erscheint es
nicht in der Erkenntnis des Wertes individueller Disposition
gerechtfertigt, in erster Linie die Grundlagen dieser nach Mög¬
lichkeit zu beseitigen und dann an die nun aussichtsreiche Be¬
kämpfung der Gewebserkrankung heranzutreten? An die
chirurgische Behandlung hätte sich unmittelbar die Heilstätten¬
behandlung anzuschliessen, gewissermassen mit ihr zu kom¬
binieren.
So muss man denn wünschen, dass die chirurgische Be¬
handlung der tuberkulösen Lungenphthise auch im Sinne der
alten Freund sehen Forderung in Angriff genommen werde.
Der Ruf nach dieser Operation kann nicht mehr unverständ¬
lich erscheinen in einer Zeit, wo in immer weiteren Kreisen die
Bedeutung der Disposition neben der Infektion gewürdigt wird,
wo die Vorbedingungen zur operativen Durchtrennung des
ersten Rippenknorpels als in mechanischen Missverhältnissen
der oberen Thoraxapertur bestehende, individuell disponierende
Faktoren anzuerkennen sind, wo endlich Seidel als erster
gezeigt hat, dass es sich um einen technisch verhältnismässig
einfachen und nicht allzu schweren Eingriff handelt.
Noch eine andere bedeutsame Frage erhebt sich aber.
Sollen wir uns darauf beschränken, den durch einfallende Fun¬
ken entfachten Brand zu löschen, und nicht vielmehr alles
daran setzen, nach Möglichkeit den Zündstoff zu entfernen, be¬
vor er entflammt werden kann? Neben der Therapie kommt
also noch die Prophylaxe in Betracht und diese darf sich nicht
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2 170
allein auf einen Kampf gegen den Tuberkelbazillus erstrecken,
sondern sie muss mit allen Mitteln auch eine Lösung der Frage
der Disposition anstreben. Ich selbst habe bereits bezüglich
der Thoraxanomalien, welche uns oben beschäftigt haben, dar¬
auf hingewiesen 2), dass viel zu erreichen ist durch
eine früh einsetzende und energisch fortgeführte Pro¬
phylaxe, und dass dieser Gedanke eines Kampfes auch
gegen die Disposition berechtigt ist, beweisen die be¬
merkenswerten Worte, welche ich einem Artikel Bar¬
tels und Spielers in der Tuberkulose-Festnummer
der Wiener klin. Wochenschr. 3) entnehme: „Wir sind
daher auch der Anschauung, dass mit der antibazillären Pro¬
phylaxis allein die Aufgaben der Hygiene nicht erschöpft sein
können, sondern auch die Lösung von Fragen der Disposition
speziell zur Tuberkulose mit dazu berufen ist, einen erfolgreiche¬
ren Kampf gegen die Ausbreitung der Tuberkulose zu ermög¬
lichen.“ Unzweifelhaft nun arbeitet unsere moderne Sozial¬
hygiene schon längst, wenn auch nicht mit speziellem Endziel
an diesem Werke, denn was anderes ist neben ihrem anti¬
bazillären Kampfe ihr Kern, als das Bestreben, einen kräftigen,
gesunden und widerstandsfähigen Menschen heranzuziehen.
Damit dient sie auch dem Kampfe gegen die Tuberkulose; aber
neben dieser allgemeinen Prophylaxe ist noch eine spezielle zu
fordern, welche sich denjenigen Individuen zuwendet, die in¬
folge besonderer Konstitution von früher Jugend auf zur tuber¬
kulösen Erkrankung disponiert sind. Unter diesem Gesichts¬
punkte darf auch der Wert einer prophylaktischen Durchtien-
nung der ersten Rippenknorpel diskutiert werden. Ich glaube,
dass diese sicher für eine Reihe von Fällen in Betracht kommen
könnte, allein ich kann ihr so lange nicht das Wort reden, als
es nicht gelungen ist, die mechanischen Missverhältnisse im
Bereich der oberen Thoraxapertur gut zu diagnostizieren, und
bevor vor allem nicht der Wert des chirurgischen Eingriffes
für die Heilung des tuberkulösen Spitzenprozesses sicher¬
gestellt worden ist. , , ,
Daher gilt es vorerst, an die operative Behandlung der be¬
ginnenden Lungenspitzenphthise im Sinne Freunds heran¬
zutreten, welche man, wie ich hoffe gezeigt zu haben, mit guter
Berechtigung fordern darf.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Jena (Direktor.
Geh. Med.-Rat Prof Dr. Stintzing).
Klinische und bakteriologische Bemerkungen zur epide¬
mischen Genickstarre im Anschluss an 3 sporadische
Fälle.*)
Von Dr. H. B e n n e c k e, Assistent der Klinik.
Im folgenden soll über drei sporadische Fälle epidemischer
Genickstarre berichtet werden, die innerhalb Jahresfrist in der
Jenaer medizinischen Klinik zur Beobachtung kamen und so¬
wohl in klinischer Beziehung, als auch wegen eigenartiger bak¬
teriologischer Untersuchungsergebnisse einiges Interesse be¬
anspruchen dürften. In allen drei Fällen liess sich der W e i c h-
s e 1 b a u m sehe Meningokokkus nachweisen, sodass sie als
ein weiterer Beleg für die noch nicht völlig geklärte Frage nach
der Aetiologie derartiger sporadischer Fälle angesehen werden
können. Der erste Fall hat dadurch weiteres Interesse, dass er
die Folge von zwei Ohrfeigen sein soll.
Aus diesem Grunde muss die Anamnese näher mitgeteilt
werden. Es handelt sich um einen 17 jährigen Glasarbeiter aus
Jena, der bei der Aufnahme folgende Angaben machte: Er habe am
6. VI. 07 gegen 4 Uhr morgens von seinem Meister wegen mangel¬
hafter Arbeit zwei Ohrfeigen bekommen, die die linke Halsseite
traten; wenige Minuten danach will er nochmals an den Nacken ge¬
fasst und geschüttelt worden sein. Nach den Schlägen ist er an¬
geblich zurückgetaumelt, hat aber unmittelbare Folgen nicht gespürt.
Erst ungefähr Vz — 1 Stunde später soll sich, ohne dass Patient sich
krank fühlte, Erbrechen von grünlichen Massen eingestellt haben, was
er aber nicht achtete, da er vollkommen beschwerdefrei ungefähr
2 Stunden weiter arbeiten konnte. Erst auf dem Nachhausewege,
d. h. also ungefähr 3 Stunden nach den Schlägen soll sich ein ganz
unbestimmtes Unbehagen bemerkbar gemacht haben, das den Pa¬
tienten jedoch nicht hinderte, voll und ganz die Nachtschicht vom
6. VI. abends bis 7. VI. früh durchzuarbeiten.
2) Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 1907.
3) Wien. klin. Wochensohr. 1907, No. 38.
*) Nach einem im ärztlichen Vereine in Jena gehaltenen Vortrage
Als er aber am Abend des 7. VI. sich wieder zur Nachtschicht
begab, fühlte er sich schon unwohl. Der Dienst brachte es mit
sich, dass er von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens Schläfer) konnte;
als er um diese Zeit, d. h. am 8. VI. 07 zur Arbeit geweckt wurde,
konnte er nur noch mit grösster Mühe zwei Stunden lang arbeiten.
Er meldete sich jetzt krank und will nun, d. h. am 8. VI. 07 früh nach
Hause „geschlichen“ sein, wo sich nochmals Erbrechen grünlicher
Massen einstellte. Zwei Tage lang musste er danach mit sehr
starken Kopf- und Nackenschmerzen, Appetitlosigkeit und gelegent¬
lichem Erbrechen zu Hause liegen, bis am 10. VI. 07 ärztlicherseits
seine Ueberführung in die Klinik angeordnet wurde.
Aus den sonstigen Angaben ist nur hervorzuheben, dass er 1905
wegen einer doppelseitigen Otitis media in der Ohrenklinik behandelt
wurde, und dass er Pfingsten, d. h. also ungefähr 17 Tage vor seiner
Erkrankung, ärztlicherseits wegen „Influenza“ 14 Tage lang krank
geschrieben war; bettlägerig will er nur etwa 5—6 Tage gewesen
sein.
Bei der Aufnahme des Patienten in die Klinik bestand mässig
ausgesprochene Nackensteifigkeit, starke Empfindlichkeit der leicht
gekrümmten Wirbelsäule im dorsalen und lumbalen Abschnitte bei
passiven Bewegungen und auf Druck und geringe Driisenschwel-
lungen hinter den Ohren und den Mm. sternocleidomastoidei. Der
Kranke nahm dauernd selbstgewählte Seitenlage ein. Lähmungen
oder Krämpfe bestanden nicht. Die Reflexe boten keine nennens¬
werten Abweichungen; irgendwelche Sensibilitätsstörungen bei dem
zurzeit völlig klaren Patienten konnten nicht festgestellt werden. Die
Pupillen reagierten etwas träge. An den Organen der Brust- und
Bauchhöhle fanden sich keinerlei krankhafte Veränderungen. Auch
an den Ohren konnte seitens der Ohrenklinik Krankhaftes nicht fest-
gestellt werden. Der Puls war regelmässig, 50—60, ein ausge¬
sprochener Druckpuls.
Eine sogleich vorgenommene Lumbalpunktion erweckte den
Verdacht der epidemischen Genickstarre. Das Untersuchungs¬
ergebnis dieser und der folgenden Lumbalpunktionen soll später im
Zusammenhänge besprochen werden.
Der Verlauf der Krankheit, auf den nicht näher eingegangen wer¬
den kann, war ein ganz ausserordentlich wechselnder, indem wieder¬
holt auf Zeiten einer sichtbaren und scheinbar sehr bedrohlichen Ver¬
schlechterung solche einer ausgesprochenen Besserung folgten. Es
gab Tage und Stunden, in denen der Kranke, bei dem zeitweise
Cheyne-Stokes sches Atmen bestand, ganz benommen und
apathisch war, oder auch delirierte und eine eigentümliche Witzel¬
sucht zeigte; dann kamen wieder mehr oder weniger unvermittelt
Zeiten, in denen er scheinbar ganz klar auf Fragen vernünftig und
richtig, nur etwas zögernd, Antwort gab. Sehr charakteristisch
ist der schwere Rückfall der Krankheit, der am 5. VII. 07, nachdem
der Kranke am Abend vorher im ärztlichen Verein vorgestellt war.
einsetzte fl, 2, 3]. , , , . ,
Es spricht sich dieses wechselvolle Verhalten auch aus in der
ganz ungewöhnlich bizarren Form der Temperatur und Pulskurve.
Man sieht daraus, wie auf Tage mit subnormalen Temperaturen un¬
vermittelt solche mit massigen Fiebersteigerungen folgen und wie
sich die Pulskurve zum grossen Teile vollkommen paradox verhält,
indem den höheren Temperaturen meist abnorm geringe Pulszahlen
und umgekehrt entsprechen, kurz, ein Verhalten, das wohl nur zu
einem Teile durch die Schwere der Infektion, zu einem anderen durch
die Drucksteigerung im intraduralen Raume erklärt werden kann 131.
Ferner sei erwähnt, dass im Gebiete der peripheren Nerven die
verschiedensten Ausfalls- und Reizerscheinungen beobachtet wurden,
letztere besonders auffallend im Bereiche des linken J rigeminus, die
gleichfalls das sprunghafte Entstehen und Verschwinden der übrigen
Krankheitssymptome zeigten. Am längsten bestanden eine Paiesc
des linken Abduzens und linken Fazialis, doch bildeten auchi diese
sich schliesslich nach wochenlangem Bestehen restlos zurück. Bla¬
sen- und Mastdarmstörungen bestanden wiederholt, jedoch für nur
wenige Tage. Sehr auffallend war eine nach der ersten Punktion
nachweisbare, umschriebene, zirka handtellergrosse anästhetische
Zone auf der Innenseite des linken Unterschenkels, die nach zwei¬
tägigem Bestehen verschwand, um nochmals nur ganz vorübergehend
einige Tage später aufziutreten (Läsion einer Faser der Cauda equina
bei der ersten Lumbalpunktion?). , , .
Die Reflexe wiesen bis gegen Mitte der Krankheit eine, von ge¬
legentlichen Reflexsteigerungen in einzelnen Gebieten vorübergehend
unterbrochene, langsam zunehmende Herabsetzung auf, bis sie voll¬
ständig erloschen, um dann allmählich, wenigstens zum grössten teile,
wiederzukehren. Ganz vorübergehend war der B a b i n s k l sehe Re¬
flex vorhanden. Das Kernig sehe Phänomen liess sich nicht aus¬
schliesslich ist noch mitzuteilen, dass die Gefässnerven bei dem
Kranken ausserordentlich leicht erregbar waren. Ein leiser 1 ruck
oder Strich mit dem Perkussionshammer genügte, um eine fast mo¬
mentan entstehende Rötung der betreffenden Stellen hervorzurufen.
Sehr auffallend war auch die anfallsweise und ohne nachweis¬
baren Grund auftretende Zyanose der Lippen und Hände der bis¬
weilen ein starker Schweissausbruch vorausgin'g oder nachfolgte.
Gegensätze zu den beiden anderen Kranken bestand bei diesen) v al
rend der ersten Tage ein ausgedehnter Herpes der rechten Ober¬
lippe und Wange.
2180
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Das Bild der Meningitis wurde schliesslich dadurch vervoll¬
ständigt, dass durch die Untersuchung der Augenklinik eine Stau¬
ungspapille und Papillitis festgestellt wurde, und dass der Kranke die
hochgradige Abmagerung der Meningitiskranken zeigte.
Ausser der erstgenannten Lumbalpunktion wurden noch neun
weitere, dreimal ergebnislose, ausgeführt, mit durchaus günstigem
Einfluss auf den Kranken und die Krankheit, wenn dabei auch nie
die unmittelbar sichtbare Besserung zu verzeichnen war, von der
mehrere Beobachter berichten 1 4, 5 u. a.]. Der Druck, unter dem das
Exsudat stand, war ein wechselnder; anfangs war er niedriger (bis
250 mm), als später (bis 370mm). Folgendes sei besonders er¬
wähnt: Die vierte Punktion, bei der wohl wegen beginnender Organi¬
sation des Exsudates keine Flüssigkeit gewonnen wurde, war an
einem Tage gemacht, an dem der Tod des Patienten stündlich er¬
wartet wurde. Oegen alles Erwarten lebte er am nächsten Tage
noch, und der Eindruck, den er machte, war ein etwas besserer. Des¬
halb wurde an diesem Tage nochmals eine, d. h. die fünfte Punktion
ausgeführt und, da wieder kein Exsudat abfloss, und der Fall völlig
hoffnungslos zu liegen schien, 10 ccm Jochmann sches Meningo¬
kokkenserum intradural eingespritzt. Die Besserung des Kranken
hielt nun ununterbrochen einige Tage an. Es lässt sich also mit
Bestimmtheit sagen, dass die Injektion dem Kranken nichts geschadet
hat; ob sie ihm genützt hat, ist eine andere Frage [6, 7, 8] 1). Zweierlei
steht jedenfalls fest: die später nur vorübergehend unterbrochene
Besserung setzte nachweislich schon am Tage vor der Injektion ein,
und in dem Exsudat, das vier Tage später gewonnen wurde, fanden
sich keine Mikroorganismen. Dine ähnliche Situation wiederholte
sich ungefähr 1-4 Tage später. Diesmal waren aber ca. 5 Tage nach
der intraduralen Seruminjektion Meningokokken in dem durch er¬
neute Punktion entnommenen Exsudate nachzuweisen.
Die zytologischen und bakteriologischen Untersuchungen
der durch die Punktionen gewonnen Spinalflüssigkeit hatten
einige merkwürdige, der Erklärung noch nicht zugängige Er¬
gebnisse.
Die Ausstrichpräparate wurden unmittelbar nach der Entnahme,
d. h. spätestens nach 20 Minuten, stets möglichst gleichmässig in
der Weise hergestellt, dass ca. 5— 7 ccm des Exsudates 5 Minuten
lang in einer Handzentrifuge geschleudert wurden. Die über dem
Bodensätze befindliche, in den ersten Fällen gelblich gefärbte, später
fast wasserklare Flüssigkeit wurde dekantiert und der Bodensatz
mit den Resten derselben kräftig durchgeschüttelt. Hiervon wurden
auf Objektträgern zwei Platinösen auf kleinem Raume ausgestrichen,
in der bekannten Weise weiter behandelt und die nötigen Färbungen
'hergestellt, von denen die Jennersche Färbung zwar prächtige
und zur Unterscheidung der Zellen sehr brauchbare, aber zum Nach¬
weis der Mikroorganismen weniger geeignete Bilder lieferte.
Die Zusammenstellung der Befunde in der folgenden Ta¬
belle bedarf einer kurzen Erläuterung.
Meningokokkennachweises übereinstimmende sind, verschieden
darstellen. Besonders interessant ist die Gegenüberstellung
der Rubriken IV und VI ; demnach lassen sich keine
Beziehungen zwischen der Zusammensetzung
der Zellen des Exsudates und dem Blutbilde
finden, welches stets, auch bei 10), das der ausgesprochenen
Leukozytose war, ein Verhalten, wie es ähnlich auch bei an¬
deren Krankheiten festgestellt werden konnte, und worauf an
anderer Stelle im Zusammenhang mit experimentellen Unter¬
suchungen eingegangen werden soll.
Eine Erklärung für das Angeführte kann nicht gegeben
werden. Literaturangaben [l, 9, 10, 11, 12] finden sich nur
insofern, als gelegentlich mitgeteilt wird, dass in der Spinal¬
flüssigkeit bei epidemischer Genickstarre die Lymphozyten die
Leukozyten überwiegen, während umgekehrt bei tuberkulöser
Meningitis bisweilen die Leukozyten die Lymphozyten an Zahl
übertreffen. Die Technik der Herstellung der Präparate war
eine zu gleichmässige, als dass sie als Ursache beschuldigt
werden könnte.
Auf das Resultat der bakteriologischen Untersuchung soll
nur mit wenigen Worten eingegangen werden, da Dr. Kon-
r i c h, der die in der Klinik ausgeführten Untersuchungen im
hygienischen Institute kontrollierte und ergänzte, hierüber be¬
sonders berichten wird. Nur folgende, bereits feststehende Tat¬
sachen sollen mitgeteilt werden.
Bei der zweiten Punktion entwickelte sich in einem 250 ccm
Bouillon haltenden Kolben, in den ca. 1 ccm des Exsudates ein¬
getragen war, ein als schleimiger Bodensatz wachsender, die
Bouillon nicht trübender, Gram-zweifelhafter Diplokokkus,
der für eine weisse Maus nicht pathogen war und in der Kultur
an den Streptococcus mucosus erinnerte. Leider gelang es
auf keinem der gebräuchlichen flüssigen und festen Nährböden,
auch nicht bei Serumzusatz, ihn am dritten .Tage weiter zu
züchten. Die dem hygienischen Institute zugesandte Probe des
Exsudates war steril. Aus dem Exsudate der dritten Punktion
gelang in der Klinik und im hygienischen Institute die Isolierung
eines auch durch die Serumreaktion (Hyg. Inst.) sicherge¬
stellten Meningokokkus, der aber ein von dem gewöhnlichen
insofern abweichendes Verhalten aufwies, als er auf ge¬
wöhnlichem Agar auffallend leicht und gut
wuchs sich auf diesem in zweitägigen Intervallen ohne
besondere Vorsichtsmassreeeln leicht f n r t 7 ii c. h t e n
c
o
c
I
11
III
IV
V
VI
Menge des
gewonnenen
Exsudates
Beschaffenheit
Eiweissge¬
halt des Exsu¬
dates
Zellen des Exsudates
Meningokokken in
s
des Exsudates
Neutrophile
Grosse
Kleine
den Ausstrich-
den Kulturen
Bemerkungen
Leukozyten
Lymphozyt.
Lymphozyt.
Präparaten
1
2
18—20 ccm
15 — 17 ccm
Stark getrübt. Bildet
Flocken und Fäden
beim Stehen
Wie 1
Nicht bestimmt
Nicht bestimmt
Fast ausschl.
vorhd. = ca.
99 Proz.
ca. 68 Proz.
Vereinzelte
Exemplare
ca. 2 Proz.
Keine
ca. 30 Proz.
Sehr spärlich. Nur zu je
1 Exemplar in neutroph.
Leukozyten
Wie 1
Steril
Ste: ii
Im Blute = 16550 weisse Blutkörp.
Ausgesprochene Leukozytose
Im Blute = 30750 weisse Blutkörp.
Ausgesprochene Leukozytose’
3
4
16—18 ccm
Kein Exsudat
Getrübt. Bildet
Flocken
Schätzungsweise
mässig gross
Wie 1
Wie 1
Wie 1
Wie 1
In den Kulturen Meningo¬
kokken (cf. Text)
Blut steril.
Blut steril.
0
wie 4
•
——
—
—
—
—
—
Subdural 10 ccm Meningokokken-
6
18—20 ccm
Leicht gelbl. gefärbt.
Nur Andeutung von
Esbach >
1/l Prom.
ca. 8 Proz.
ca. 8 Proz.
ca. 84 Proz.
Keine Mikroorganismen
Steril
serum.
Im Blute = 14450 weisse Blutkörp.
Flockenbildung
Ausgesprochene Leukozytose
7
16—18 ccm
Zieml. stark getrübt
Nicht bestimmt
Wie 1
Wie 1
Wie 1
Intra- u. extrazellulär;
Zahlreiche typische
Blut steril.
8
14—15 ccm
Flockig getrübt
Wie 7
ca 80 Proz.
Vereinzelte
ca. 20 Proz.
ziemlich reichlich
Keine Mikroorganismen
Meningokokken
Sehr spärl., aber typische
Blut steril.
9
Kein Exsudat
Exemplare
Meningokokken
10
~
—
—
Subdural 10 ccm Meningokokken-
20—22 ccm
Mässig getrübt. Ge¬
ringe Flockenbildung
Wie 6
90—95 Proz.
0,5 Proz.
4, 0-4, 5 Proz.
Sehr spärliche intra- und
extrazellulär gelagerte
Meningokokken
Völlig typische, zahl¬
reiche Meningokokken
serum.
Im Blute = 9900 weisse Blutkörp.
Ausgesprochene Leukozytose.
Aus der Rubrik IV sind die höchst eigentümlichen Ver¬
hältniszahlen zu erkennen, die die Leukozyten und Lympho¬
zyten in den verschiedenen Exsudaten bildeten. Der Tabelle
nach ist die Prozentzahl der neutrophilen (gelapptkernigen) Leu¬
kozyten gegenüber der der Lymphozyten meist in den Fällen am
grössten, in denen die Meningokokken kulturell in dem Exsu¬
date nachzuweisen waren, während diese Zahlen sich bei 1)
bis 10), wo noch Rubrik V die Verhältnisse bezüglich des
l) Die
c . Arbeiten von R u n d 1 und Williams (Lancet 1907)
Scho ne (Therapie der Gegenwart 1907), Se ringhaus (Disser¬
tation Leipzig) kamen mir erst nach Drucklegung der Arbeit
Gesicht.
zu
1 i e s s und dass, wenigstens in den ersten Ge¬
nerationen, in Asstrichpräparaten nichts
von der so charakteristischen Polymorphie
der Kokken zu bemerken war. Sie waren vielmehr
bei sonst ausgesprochener Meningokokken -
f o r m etwas zart und vollkommen gleichmässig gebaut. Erst
von der dritten Generation an stellte sich die Polymorphie ein.
Interessant ist nun, dass die bei den späteren Punk¬
tionen gewonnenen Meningokokken sich mor¬
phologisch und biologisch vollkommen ty¬
pisch verhielten.
Zum Schlüsse sei noch auf den schon aus der Tabelle er¬
sichtlichen Umstand hingewiesen, dass bei der ersten und
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2181
zweiten Punktion die als Meningokokken aufzufassenden
Mikroorganismen nur in den Ausstrichpräparaten, nicht in den
Kulturen, nachzuweisen waren. Diese Beobachtung, auf die
sehr oft in der Literatur hingewiesen wird, würde den Autoren
recht geben, die die bakteriologische Diagnose der Meningitis
c. e. schon bei mikroskopischem Nachweise Gram-negativer,
intrazellulärer Diplokokken in der Spinalflüssigkeit stellen
[14 u. a.].
Der zweite, dem soeben geschilderten ganz analoge Fall
betrifft einen 16 jährigen Oekonomen aus Weilar, bei dem die
Anamnese am Aufnahmetage wegen seiner Benommenheit
kaum zu erheben war. Sie wurde später durch Nachfragen bei
dem Patienten, seinen Angehörigen und durch einen bezirks¬
ärztlichen Bericht ergänzt.
Er will bis zu der in Rede stehenden Krankheit nie ernstlich
krank gewesen sein, nur seit Jahren zeitweise an migräneartigen
Kopfsdhmerzenanfällen und Stuhlverstopfung gelitten haben. In der
Kindheit hat angeblich aus dem linken Ohre Ausfluss bestanden, doch
hat Sich in den letzten Jahren kein solcher mehr bemerkbar gemacht.
Am 18. V. 1906 wurde der Kranke in die Klinik eingeliefert,
doch soll er schon seit ungefähr 14 Tagen infolge eines leichten
Stosses an die rechte Kopfhälfte an langsam schlimmer werdenden
Kopfschmerzen gelitten haben. Indessen legte der Kranke selber
hierauf kein grosses Gewicht, vielmehr datierte er den Beginn seiner
Krankheit mit grosser Bestimmtheit auf den 12. VI. 06. An diesem
Tage erkrankte er mittags plötzlich mit starken Kopf- und Nacken¬
schmerzen, häufigem und ergiebigen Erbrechen, grosser Schwäche,
schwerem Krankheitsgefühl, Nasenbluten und anfänglichen leichten
Temperatursteigerungen (ärztlicher Bericht).
Da Augenmuskellähmungen und Störungen in der Innervation der
Zunge bestanden, so wurde ärztlicherseits in Rücksicht auf die Anam¬
nese und das z. Z. wenig ausgesprochene Krankheitsbild an einen
otitischen Hirnabszess gedacht, die Möglichkeit einer Meningitis c. e.
jedoch auch erwogen.
Der Krankheitsverlauf war im allgemeinen ein dem zuerst ge¬
schilderten ganz analoger. Das Krankheitsbild wurde vollkommen
beherrscht von den gerade in diesem Falle äusserst heftigen und
ziemlich streng auf die Dornfortsätze der Halswirbelsäule lokali¬
sierten Schmerzen, der verhältnismässig etwas schwereren Benom¬
menheit, die sich bald in Apathie, bald in Aufregung, grosser Unruhe
und zeitwe'iser Verwirrtheit äusserten, in der der Kranke zu ent¬
weichen suchte. Zwischendurch war er oft ganz klar, wenn auch
völlig teilnahmslos. Meist lag er in sehr charakteristischer Weise auf
der rechten Seite, in welche Lage er, wenn er einmal umgebettet
wurde, alsbald zurückkehrte. Die Steifigkeit der Wirbelsäule war
im Verlaufe der Krankheit sehr ausgesprochen, besonders im Hals¬
teile, jedoch nicht auf diesen allein beschränkt.
Die Erscheinungen seitens der peripheren Nerven waren die
bekannten und verhielten sich ähnlich wie in dem ersten Falle; be¬
sonders quälend waren die Hyperästhesien der Unterschenkel, die
dem Kranken schon den Druck der Bettdecke unleidlich machten.
Die Reflexe zeigten ein dem ersten Falle ähnliches Verhalten,
nur waren sie gegen Ende der Krankheit hochgradig gesteigert. Sehi
auffallend war, dass bei dem Patienten jetzt, als er sich ungefähr ein
Jahr nach seiner Entlassung wieder in der Klinik vorstellte, bei
sonst auch (in psychischer Beziehung völlig normalem Verhalten ein
beiderseitiger, sehr starker und völlig typisc he r
BabLnskiischer Reflex aus'g.elöst werden konnte.
Dieser muss sich innerhalb des jetzt verga n g e n e n
letzten halben Jahres — ob als Folge der M e n in-
giitis? — entwickelt haben; denn während der Krankheit
bestand er nur ganz vorübergehend, und bei einer Voi Stellung voi
einem halben Jahre war er sicher nicht vorhanden.
Vielleicht hat in diesem Zusammenhänge auch noch folgende
Mitteilung Interesse: Als der Patient gegen Ende der Krankheit
zwecks Prüfung des Kernig sehen Phänomens nach dem Vor¬
schläge Wennagels [15] auf den Bettrand gesetzt werden sollte,
bekam er einen schweren Kollaps mit maximaler er -
Weiterung der Pupillen und starker Herzbeschleunigung, sodass An¬
wendung von Kampher nötig war.
Auch in diesem Falle zog sich die Rekonvaleszenz sehr lange
hin; mehrfach wurde sie durch erneutes Auftreten der Kopfschmerzen,
die mit mehr oder weniger starker Benommenheit verbunden waren,
unterbrochen. Dazu gesellten sich zeitweise Irregularitäten der
Herzaktion. Bemerkenswert (ist auch in diesem Falle die geradezu
enorme Abmagerung, die sich in einer Gewichtsabnahme von ca. 31
Pfund kundgab [19]. , , ,.
In diesem Falle wurden drei Lumbalpunktionen gemacht, die
eine, wenn auch nur vorübergehende Besserung der Kopfschmerzen
bewirkten. Objektiv Hess sich eine unmittelbare Beeinflussung des
Krankheitsprozesses nicht nachweisen. .
Das Exsudat war bei der ersten Punktion rein eitrig, bildete tein-
flockige Abscheidungen und stand unter dem nicht gewöhnlichen
Drucke von 520 mm; bei den späteren Punktionen war es klar,
stand aber nicht mehr unter so hohem Drucke. Mikroskopisch fanden
sich nur gelapptkernige Leukozyten und Gram-negative Diplokokken,
die meist intra-, aber auch extrazellulär lagen und die typische Form
der Meningokokken aufwiesen.
Da in diesem Falle zunächst nicht der Verdacht auf
epidemische Genickstarre bestand, so wurden die ersten
Kulturen auf einfachen Agarröhrchen angelegt. Es ergab
sich nun die interessante und verschieden erklärte
Tatsache, dass die ersten Kulturen auf die¬
sem genau so gut wie auf Serumagar wuch¬
sen. Allerdings gelang die Fortzüchtung bei täglicher Um¬
impfung nur in der dritten Generation; dann gingen die eine
ausgesprochene Polymorphie aufweisenden Kulturen ein. Durch
die Untersuchung im hygienischen Institute konnte mittels der
Serumreaktion die Meningokokkennatur zweifellos festgestellt
werden. . .
Von diesen beiden Fällen klinisch völlig abweichend ver¬
hielt sich der dritte, tödlich verlaufene, der eine 50 jährige
Hausiererin aus Wenigen-Jena betrifft, die mit folgenden von
dem Manne resp. dem Sohne gemachten Angaben am 27. IV. 07
in die Klinik aufgenommen wurde:
Schon seit Wochen soll die Frau über leichte Kopfschmerzen
geklagt haben, die sie jedoch nicht an der Ausübung ihres Berufes
hinderten. Vierzehn Tage vor ihrer jetzigen Erkrankung soll sie eine
fieberhafte „Influenza“ durchgemacht haben, von der jedoch Folgen
nicht zurückgeblieben sind. Am 25. IV., d. h. zwei Tage vor der
Aufnahme, soll sich die Frau noch ganz wohl gefühlt und erst seit dem
folgenden Mittag über Kopfschmerzen, Mattigkeit, Halsschmerzen und
Unlust zur Arbeit geklagt haben. Als sie am Abend dieses Tages
nach Hause kam, war sie bereits leicht benommen und klagte über
lebhafte Kopf- und Nackenschmerzen. In der Nacht verschlimmerte
sich der Zustand rapide, sodass die Kranke am nächsten 1 age schwer
benommen war und auf nichts mehr reagierte. .
In diesem Zustande kam sie in die Klinik, wo sie folgendes Bild
bot- Sehr kräftige Frau mit starkem Pannikulus und vollkommen
benommenem Sensorium; sie reagiert auf energische Hautreize nur
mit schwachen Abwehrbewegungen; Atmung schnarchend. Sie hegt
dauernd in selbstgewählter Seitenlage. Die Pupillen sind eng, rea¬
gieren nicht auf Lichteinfall. Die Wirbelsäule ist nur wenig steif,
aber besonders im Bereiche der Halswirbelsäule sehr empfindlich.
Keine Lähmungen an den Extremitäten. Senstbihtätsprufung un¬
möglich. Die Reflexe waren zum Teil erloschen, zum Teil herab-
■Q* PCPT7T
An den Organen der Brusthöhle keine Veränderungen. Leib
ziemlich aufgetrieben, fluktuiert deutlioh.
Zunächst machte der Zustand den Eindruck eines Komas, doch
bot der ganz normale Urin, der mittels Katheters aus der sehr staik
gefüllten Blase entnommen war, keinerlei Anhaltspunkte hierfür.
Eine Lumbalpunktion hatte keinen Einfluss auf den Zustand der
Patientih, vielmehr trat zusehends eine Verschlechterung ein. Die
Reflexe erloschen sämtlich, die Extremitäten wurden gelahmt und
unter Zeichen hochgradigen Lungenödems trat, nicht ganz drei 1 age
nach Beginn der Erkrankung, der Tod ein. . ,
Bei der Sektion durch Herrn Geheimen Rat Müller fand sich
eine hochgradige Leptomeningitis cerebrospinalis purUenta, ohne
nachweisbaren Ausgangspunkt, und als Nebenbefund ein
^^Das durch die Punktion gewonnene Exsudat (ca. 26 ccm) stand
nur unter dem geringen Drucke von 180 mm, war stark eitrig getun
und bildete feine Flocken und schleimige Fäden.
Auch hier fanden sich im Ausstrichpräparate fast nui gelappt¬
kernige Leukozyten neben kaum nennenswerten grossen Lympho¬
zyten und eine sehr grosse Menge teils intra-, teils extrazellular
gelagerter Diplokokken. Der Gramfärbung gegenüber verhielten sie
sich folgendermassen ; bei der nach Vorschrift mit einer an Staphvlo-
kokken und Typhusbazillen geprüften Farblösung ausgefuhrten Fär¬
bung waren die Kokken zweifellos Gram-positiv; wurde die Färbung
jedoch variiert, indem bald schwächer gefärbt oder langer difteren-
ziert wurde usw., so fanden sich mitunter Präparate, in denen ent¬
weder alle Kokken Gram-negativ waren oder in denen einzelne extra-
zellulär gelagerte Kokken sich vollständig oder nahezu vollständig
entfärbt hatten, kurz, ein Verhalten, das den Literaturangaben 1 10,
17 u. a.l nach nicht unbekannt ist und das. .alles zusammengenommen,
zunächst die Meningokokkennatur zweifelhaft machte.
Sehr auffallend war der Befund von grobkörnigem, braunen, die
Eisenreaktion nicht gebenden Pigment, das seiner Form i nach
Blutpigment angesehen werden muss, für das sich aber auch bei d
Sektion keine Erklärung fand. _
Kulturell gelang es nun in diesem Falle Meningokokken z
züchten, die auf gewöhnlichem Agar so gut wie gar nicht, son¬
dern nur auf Serumagar wuchsen. Die Kolonien entspräche
nach Farbe, Grösse und Beschaffenheit auf letzterem allen An¬
forderungen. Die erste Generation dieser Mikroorganismen,
deren zweifellose Meningokokkennatur später un hygienischen
Institute mittels der Zuckernährböden und der Serumreaktion
2182
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44
festgestellt wurde, verhielt sich bei ausgesprochener Poly¬
morphie der einzelnen Individuen vollkommen identisch denen
in den Ausstrichpräparaten des Exsudates. Auch hier gelang
es bei abgekürzter Färbung oder starker Differenzierung sicher
Gram-negative Präparate oder solche, in denen die über¬
wiegende Zahl der Kokken Gram-negativ war, herzustellen.
Dei vorschriftsmässiger Färbung waren die
Kokken jedoch Gram-positiv, wenn auch Präparate
sich fanden, in denen bei dieser Färbung die Kokken einen leicht
i otvioletten I on hatten. Die Folge dieses Verhaltens war, dass
die Meningokokkennatur auch jetzt noch zweifelhaft blieb, wo¬
durch die Diagnose Meningitis c. e. verzögert wurde. Erst
in der zweiten Generation erwiesen sich die
Kokken als zweifellos Gram - negativ. In-
z wischen abei war die Frau gestorben, und es gelang dem
hygienischen Institute, fast gleichzeitig aus dem durch die
Sektion gewonnen Fiter der Meningen die Meningokokken
nachzuweisen.
Wie dieses aus der Literatur nicht unbekannte und für eine bak¬
teriologische Frühdiagnose wichtige Verhalten zu erklären sein kann
ist natürlich eine müsste« Frage. Technische Fehler dürften auszu-
schliessen sein; es ist auch nicht wahrscheinlich, dass in der ersten
Generation zwei Stämme vorhanden waren, eine Möglichkeit, an die
vom hygienischen Institute gedacht wurde.
. W a s diesem Fallesei n besonderes Gepräge
gibt, ist dei Umstand, dass es gelang, im krei-
senden Blute intra vitam Meningokokken
n a c h z u w e i s e n. Das Blut war in einer Menge von 10 ccm
aus einer Armvene entnommen und in 250 ccm Bouillon über-
tragen worin es dann nach ca. 36 Stunden zur Entwicklung
von Meningokokken kam, deren Identität mit einem authen¬
tischen Stamme gleichfalls im hygienischen Institut festgestellt
wurde. Diese Beobachtung hat an sich ein kasuistisches Inte¬
resse, denn die Zahl der wirklich einwandfreien derartigen Be¬
obachtungen [4, 5, 13, 16-26] bei den sporadischen Er¬
krankungen an epidemischer Genickstarre' ist nicht allzu gross,
jedenfalls nicht so, dass die von mehreren Seiten vertretene
Annahme, die eigentliche Meningitis sei nur eine sekundäre
auf dem Blut- oder Lymphwege zustande gekommene Loka¬
lisation der an anderer Stelle, vornehmlich den Bronchien und
der Rachentonsille primär vorhandenen Meningokokken
als bewiesen gelten könnte. Das ist die Anschauung eines
feiles der Autoren, die ihre Erfahrungen in der schlesischen
Epidemie sammelten. Es ist diese Art der Entstehung der
Meningitis mit den Verhältnissen bei der Osteomyelitis ver¬
glichen worden und wohl auch unter dem Einflüsse der neuesten
Untersuchungsergebnisse beim Typhus entstanden. Jedenfalls
bedarf es noch eines grossen Materials, bis diese Frage ge¬
klart ist. Vor allem wird man auch für die sporadischen Fälle
i egelmassig den Nachweis der Meningokokken im Blute ver¬
langen müssen, was bisher noch nicht geschehen ist Die
Schwiengkeit dürfte hier daran liegen, dass möglicherweise die
Bakteriarme in einem ganz frühen Stadium der Krankheit und
vielleicht ganz vorübergehend besteht, d. h. zu einer Zeit, wo
die Krankheitssymptome noch nicht zu einer bakteriologischen
Blutuntersuchung auffordern. Dass es jedoch möglich ist be¬
weist u. a. die Mitteilung Dieudonnes [19]. Der Nachweis
spezifischer Körper im Serum, der auch in unserem ersten Falle
gelang (Hg. Inst.), kann zum Beweise wohl nicht herangezogen
a"] da ^erte *n der ^e2el recht niedrige sind [19,
Sodann aber ist die Beobachtung dadurch interessant weil
durch sie der dritte Fall gegenüber den beiden ersten, in denen
v ie gesagt, gleichfalls bakteriologische Blutuntersuchungen
aber mit negativem Erfolge, gemacht wurden, ein weiteres be¬
sonderes Gepräge erhält.
m ZahI.der wessen Blutkörperchen betrug 50,000; das
Dlutbild war das einer ausgesprochenen Leukozytose.
Zum Schlüsse sei noch die Mitteilung einer Beobachtung des
kfmSer" noch Wahrend weder bei dem ersten Kran-
ken selber, noch bei Personen seiner weiteren und näheren Um¬
gebung Meningokokken auf der Schleimhaut des Rachens gefunden
ui den, fanden sich in der Umgebung der dritten Kranken in ver-
•) H. Kutscher: Epidemische Genickstarre in
Wassermann, Ergänzungsband 1907 wurde mir erst
Uiucklegung bekannt.
Kol
nach
1 e -
der
hältnismässig grosser Zahl Meningokokkenträger, und zwar waren
diese zum Teil recht lange mit den Meningokokken behaftet. Die
Bedeutung dieser letzten Tatsache braucht wohl nicht besonders her¬
vorgehoben zu werden. Sie ist ein weiterer Beleg für die Besonder¬
heit des dritten Falles, der sich also in klinischer, bakteriologischer
und epidemiologischer Hinsicht von den beiden ersten unterscheidet.
Es kann ja, wie bei der Kleinheit des vorliegenden Ma¬
teriales nicht anders gesagt werden darf, ein Spiel des Zufalls
sein, dass die drei Fälle entsprechend ihrem kli¬
nischen Verhalten sich in bakteriologischer
und epidemiologischer Beziehung gleich¬
sinnig unterscheiden. Auffallend sind die Beob¬
achtungen, die fast in jeder Beziehung Analogien in der
Literatur besitzen, immerhin, und wenn sie nichts weiter
zeigten, als die Schwierigkeit einer exakten bakteriologischen
Diagnose derartiger sporadischer Fälle.
Zum Schlüsse soll noch mit wenigen Worten auf die Frage
eingegangen werden, ob die Meningitis in dem ersten Falle
eine Folge der Ohrfeigen ist. Tatsache ist: Um 4 Uhr morgens
bekommt der Junge die Ohrfeigen. Eine halbe Stunde danach
erbricht er, wohl infolge einer leichten, schwerere Symptome
nicht machenden Gehirnerschütterung, die ihn nicht hindert,
beschwerdefrei 2 — 3 Stunden weiter zu arbeiten. Erst von
diesem Zeitpunkte an lässt sich eine ununterbrochene Reihe von
Erscheinungen feststellen, die zu der Krankheit überführen,
wobei zu bemerken ist, dass noch zwei volle Tage vergehen,
ene die schweren Krankheitserscheinungen einsetzen. Ursache
und Wirkung sind also da, es fehlt nur das Bindeglied, das in
diesem Falle ein ausserordentlich wohl charakterisierter Mikro¬
organismus darstellt, der sich bei der allerdings spät vorge¬
nommenen Untersuchung des Nasenrachenschleims weder bei
dem Kranken, noch in seiner Umgebung hat nachweisen lassen.
Ls fehlt auch ein durch Tatsachen zu beweisender Anhalts¬
punkt dafür, wie man sich vorstellen soll, dass der Mikro¬
organismus an die Stätte seiner Tätigkeit gelangte, denn ein
schweres Trauma hat nachweislich nicht stattgefunden. Die
Annahme einer leichten, klinisch nicht nachweisbaren Ver-
etzung, z. B. kapillaren Blutung oder einer sonstwie zu
denkenden Schaffung eines löcus minoris resistentiae würde im
\ oi liegenden Falle zwar den Boden der Tatsachen verlassen
aber doch nicht ohne gewichtige Analogien sein. Es spitzt sich
also die Frage darauf zu: Wo stammen die Meningokokken
her und wie konnten sie die Meningen in so kurzer Zeit in¬
fizieren? Diese Fragen sind aber nicht zu beantworten. Dreht
man sie um und fragt: Lässt sich beweisen, dass die Ohrfeigen
mcht die Ursache der Meningitis sind, so stösst man auf die¬
selben Schwierigkeiten, denn der Nachweis, dass der Patient
schon vorher krank war, worauf es ankommen würde, lässt
sich natürlich auch nicht erbringen, wenn auch die vor der
Meningitis durchgemachte „Influenza“ mancherlei Bedenken
aufkommen lässt, zumal auch in den beiden anderen Fällen
ähnliche Angaben sich finden [5, 28, 29].
Man bleibt daher auf Analogieschlüsse angewiesen, wobei
der mitgeteilte zweite Fall, in dem die Verhältnisse fast zum
Verwechseln ähnlich lagen, in dem aber die Krankheit nicht
auf das vorhergegangene Trauma bezogen wurde, angeführt
sen Ls kann daher wohl nur gesagt werden, die Möglichkeit
dass die Meningitis durch die Ohrfeigen enstanden sei, ist vor¬
handen, ja vielleicht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit. a)
Literatur:
. , ? c b o t t m ü H e r : Ueber Meningitis cerebrospinalis
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Med Klinik ion? V U^er M^ingitis cerebrospinalis epidemica.
S,Kclmk 19d5> S‘ T" v’ Drygalsky: Beobachtungen bei
Genickstarre. D. med. Wochenschr. 1905, No. 25, S. 932. — 6 L I e h 1 e •
Zentralbl. f. innere Med. 1907, No. 31, S. 793, Sitzungsbericht. -
7. G. Jochmann. Versuche zur Serodiagnose und Serotherapie der
epidemischen Genickstarre. D. med. Wochenschr. 1906, No. 20, S. 788
. > . A n m e rkung bei der Korrektur: Am 7. X. 07 d h
4 Monate nach Beginn der Erkrankung ist der Patient an einem starken
nj diocephalus internus gestorben. Irgend welche als Folgen der Ohr-
teigen aufzufassende Verletzungen fanden sich bei der gerichtlichen
Sektion nicht. Der tödliche Ausgang war nach dem Vorausge-
nJ'lfn !?[ Uwr’%artut' j1!* aber ?n sich kein ungewöhnliches Ereignis
UVopHk, W. Schultz u. a.).
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2183
hi- 793 __ 8 Schöne: Ueberblick über die Behandlung von 30 Ge¬
nickstarrekranken mit Joch man n schein Meningokokkenserum.
Therapie der Gegenwart, Februar 1907. - 9. 0 r t h: lieber die Ex¬
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Zeitschr. f. Hyg. 1907, H. 2. S. 175. - 26. M a r c o v ri c h: Meningo¬
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_ 27. v. Lingelsheim: Die bakteriologischen Arbeiten der Kgl.
hygienischen Station zu Beuthen... Klin. Jahrb. 1906, 15. Bd., H. -
und D. med. Wochenschr. 1905, No. 26 u. 31. 28. A. Oster¬
mann: Die Meningokokkenoharyngitis als Grundlage der epidemi¬
schen Genickstarre. D. med. Wochenschr. 1906. No. 11. S. 418. —
29. Westenhoeff er: Ueber die praktische Bedeutung t er
Rachenerkrankung bei der Genickstarre. Berl. klin. Wochenschr.
1907, No. 38, S. 1213.
Aus der II. medizinischen Klinik in München.
Ueber den Zusammenhang von Asthma bronchiale und
Lungenödem.
Von Dr. Heinrich v. H o e s s 1 i n.
standekommen des Oedems bei gleichzeitiger Aorten- und
Mitralinsuffizienz ist in gleichem Sinne zu verwerten.
Es könen ferner auch noch primäre Gefässschädigungen
zu einem derartigen Zustande führen, wie dies bei akuten und
chronischen Nierenkrankheiten der Fall ist.
Ortner3 4) bezeichnet als dritte Ursache noch eine Läh¬
mung der Gefässnerven — angioneurotisches Oedem — , wie
es bei Erkrankungen der Aorta, Hysterie, Vorkommen soll
durch Intoxikation des Organismus, leugnet dabei aber nicht die
gleichzeitige Schädigung der Gefässwandungen und des Blutes.
Jores5) will endlich auch auf experimentellem Wege ein neu¬
rotisches Lungenödem erzeugt haben.
In vielen Fällen wird man nun keine stienge Trennung
durchführen können, ob ein Lungenödem sich auf eine Schädi¬
gung der Lunge oder des Herzens zurückführen lässt, es bildet
sich hier ein Circulus vitiosus. Ein solcher dürfte bei den von
Sticker6 *) erwähnten Fällen von Oedem bei plötzlicher Ver-
schliessung der Luftwege auftreten. Aehnlich verhält es sich
auch bei denjenigen Fällen, in denen während eines akuten An¬
falles von Bronchialasthma sich unter den Zeichen der Hciz-
schwäche eine Ausscheidung von Blutflüssigkeit in das Lungen¬
gewebe einstellt. . ,
Derartige Komplikationen sind in der Literatur mir seni
wenige erwähnt. R Lek off) berichtet über einen Fall, bei
dem Asthmaanfall und Lungenödem nicht gleichzeitig ei folgten
sondern durch eine krankheitsfreie Zwischenzeit getrennt
waren. Er nimmt eine gemeinschaftliche Ursache für beide Er¬
krankungen an und „erblickt in dem bis zur Transsudation eines
stark eiweisshaltigen Sekretes fortgeschrittenen Entzündungs¬
prozess eine Steigerung der auch sonst beim Asthma beobach¬
teten Entzündungserscheinungen“. Die massige Herzinsuffizienz
sieht er als nebensächlich an. Er erwähnt gleichzeitig zwei
Fälle von Wann er, bei denen mit dem Auftreten des
Asthmaanfalles eine seröse Exsudation in die Lungen stattge¬
funden hat, wie aus dem Auskultationsbefunde und der Be¬
schaffenheit des Sputums nachgewiesen werden konnte. Bei
einem dritten Falle Wanners kam Lungenödem nur diffe¬
rentialdiagnostisch in Betracht; auf Grund des Fehlens von Ei-
weiss im Auswurf wurde die Diagnose Asthma gestellt-
Möglicherweise ist ein von Fuchs ) ganz kurz erw ahnter
Fall als Kombination von Asthma und Oedem zu deuten, da er
mit Mitralinsuffizienz, Stauungskatarrh, asthmatischen e-
schwerden und Eosinophilie des Sputums einhergmg.
Bei der Seltenheit dieses Zusammentreffens von Bronchial¬
asthma und Lungenödem möge es erlaubt sem, über einen wei¬
teren Fall zu berichten.
Es ist bekannt, dass durch eine Reihe von Ursachen teils
mechanischer, teils entzündlicher Natur ein Oedem der Lunge,
d. h. „die Ausscheidung einer massenhaften, serösen, eiweiss¬
haltigen Flüssigkeit aus den Blutgefässen in das Lungen¬
gewebe“ (Friedrich Müller1) ausgelöst werden kann. Vor¬
aussetzung für das Zustandekommen des Oedems ist eine Schä¬
digung des Lungengewebes und der Wandungen der Liingen-
gefässe. Das entzündliche Oedem wird demnach bei Erkran¬
kungen der Lunge, wie Pneumonie, Tuberkulose, beobachtet,
dann bei Reizungen der Bronchial- und Alveolarepithelien
durch Inhalation von Dämpfen verschiedener Herkunft (Chlor,
Salpetersäure, Aether). Rein mechanischer Natur ist das
Oedem, das nach rascher Punktion grosser Exsudate auttritt,
wo Gefässe und Alveolarepithelien durch die langedauernde
Kompression gelitten haben und nun dem plötzlich eintieten-
den Blutdruck nicht genügend Widerstand leisten können.
Als auslösendes Moment für die Oedeme mechanischer
Natur ist von grösster Bedeutung das Nachlassen der Heil¬
kraft, besonders des. linken Ventrikels; es entsteht ein über¬
mässiger Gefässdruck im Lungenkreislauf, indem der rechte
Ventrikel andauernd Blut in die Lungen weiterpumpt und keine
genügende Entleerung in den linken möglich ist. Experimentell
wurde ein solches Stauungsödem von einer Reihe von For¬
schern erzeugt (Friedländer, Cohnhei m, i r ° s s '
m ann, Basch 2). Auch der Hinweis Sahlis ) auf das Zu-
O v. Me ring: Lehrbuch der inneren Medizin.
2) Siehe Sticker: in Nothnagels spez. Pathol. u. lherap.
Krankengeschichte.
Ebenso Geschwister nur eine
iwester hatte einmal Lungenspitzenkatarrh. Kein Asthma in der
Xe keine Nervenleiden. Von Kinderkrankheiten mchts bekannt
18 lahren nach Amerika ausgewandet. Mit 20 Jahren im bommer
leVoranTe^enes Unwohlsein Anfall ™n A‘emn°t der einige
nripn Hanerte und spontan wieder besser wurde, uaoei nerz
Dien wenig Husten mit schwer herauszubefördern, dem weisslichen
leimigln Auswurf Alle paar Monate wiederholte sich der Anfall
ähnlicher Weise meist nach starken körperlichen Anstrengungen,
der Zwischenzeit stets Wohlbefinden. Infolge Mehrung der An-
p kehrte Pat nach 5 Jahren nach Deutschland zuruck, wo sie
rere ahfe lang verschont blieb, bis sie sich allm|hhg nach
rker Arbeit wieder einstellten. Seit Januar 1906 befindet sich
t in München wo sie zuerst frei von den Anfallen blieb, bis im
zember 1906 während eines Brustkatarrhs sie wl.^fer, auftl atf V
smal heftiger wie früher. Sie setzten alle paar Wochen nachts ein
d dauerten bis zum nächsten Morgen yerJ^nefnbeuX-chrängig-
ifah 'be'ga'nif'am' l? wei907 ^^hmabend^ plötzlteh mit Herzklopfen
emnoFund Halten mit spärlichem weissem Auswurf. Nachts
3) Sahli: Arch. f. exp. Path., Bd. 39, 1885; Zeitschi. f. klin.
Li)BVorlesung8en über spez. Therapie innerer Krankheiten.
5) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm.
7) RUkhoff: Dissertation, München “nd W a n n er: I3ei-
e zur Chemie des Sputums. D. Archiv f. klm. Medizin, 1903.
8) Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 7o, S. 34/.
2184
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
steigerte sich der Anfall und dauerte den ganzen folgenden Tag, wobei
Fat. bemerkte, dass der Auswurf allmählig eine rötliche Farbe an-
nahm; dies veranlasste die Verbringung ins Krankenhaus.
... ^ u..s p r a e s e n s< V. 1907. Körperbau und Muskulatur
kräftig, Ernährungszustand gut. Starke Atemnot mit besonderer Er¬
schwerung des Exspiriums. Gesichtsfarbe hochrot. Atmungsfrequenz
ca. 40 Züge per Minute. Von der Ferne schon Giemen und Rasseln
hörbar.
Kopf: Augen- und Ohrenbefund normal.
Nase: R. Schleimhaut trocken, Durchgang frei. L. haselnuss¬
grosser Polyp. Rachen ohne pathologischem Befund.
Thorax: Ziemlich breit; forcierte Atembewegungen. — Ueber
beiden Lungen abnorm lauter Schall. — Grenze R.H.U. zw 12. Br.W.
und 1. L.W., links eine Spur tiefer, nur massig gut verschieblich. —
V.R. unt. Rd. d. 7. Rippe, kaum verschieblich. Ueberall verschärftes
Vesikuläratmen, lautes Giemen und zahlreiches klein- bis mittel¬
blasiges feuchtes Rasseln, letzteres besonders unterhalb beider
Claviculae. Husten mit grosser Anstrengung verbunden; wenig zäher
schleimiger Auswurf, der mit rötlichem Schaum vermengt ist. In
ihm Curschmannsche Spiralen in mässiger Menge, zum Teil
ohne deutlichen Zentralfaden, dann Zentralfäden ohne Umhüllung.
Kristalle fehlen (auch bei längerem Stehen der Sputums). Ferner
zahlreiche rote Blutkörperchen, Leukozyten, darunter massenhaft
eosinophile in Schwärmen angeordnet, Flimmerepithelien, Herz¬
fehlerzellen. Bakteriologisch Staphylokokken, Streptokokken, Pyo-
zyaneus. Bedeutender Eiweissgehalt (ca. Vs Säule).
Cor. Spitzenstoss 5. I.K.R. in d. Mm.L. Grenzen rel. R.St.R.
3> I-K-R-, abs. L.St.R. — 1/4 R.F. innerhalb d. Mm.L. —
4. I.K.R. Töne rein; Puls 108, regelmässig ziemlich weich, nicht sehr
kräftig
Abdomen. Leber und Milz nicht vergrössert.
Extremitäten. An den Knöcheln beider Fiisse geringes
eindrückbares Oedem. — Pat.Refl. auslösbar.
Urin: E. + (Kuppe), hyaline und granulierte Zylinder. Z. 0
Di. 0, Benzaldehyd 0, Sp. G. 1025.
Temperatur 37,6°.
Die sofort vorgenommene Zählung der Leukozyten ergibt
15 240, davon Neutrophile 87,8 Proz., Lymphozyten 8,4 Proz., Mono¬
nukleare + Uebergang 2,6 Proz., Eosinophile 1,2 Proz. (— 183) Mast¬
zellen 0.
* . Therapie: 1,0 g Chloralhydrat per os und 2 Spritzen 20 proz.
Koffemlosung.
• , !. sich im Laufe der Nacht verschlechtert und etwas
leichlicher rötliches, schaumiges Sputum entleert wird, so werden
durch Aderlass 200 ccm Blut entnommen, worauf sichtliche Besserung
16. V. Atembeschwerden bestehen noch, jedoch bedeutend ge¬
ringer als lags zuvor. Giemen und Rasseln haben abgenommen
sonst unveränderter Lungenbefund.
Brustumfang unter der Achsel R 48 cm, L 45 cm, am 11. Brust¬
wirbel R 42,5 cm, L 41 cm.
Die Unke Herzgrenze ist vielleicht eine Spur nach innen gerückt.
I uls 1_4, kräftiger. Blutdruck nach Riva-Rocci 120 _ 142.
Auswurf gering, schleimig, enthält noch rötlichen Schaum, der im
Laufe des Tages verschwindet; zahlreiche eosinophile Zellen
Flimmerepdhehen, vereinzelte undeutliche Spiralen. Eiweiss -f
(ca. / s Säule).
i^8?1UabefUnM ?•, Proz- Erythrozyten 4 213 000. Leukozyten
13.6.80.! davon Neutrophile 86,6 Proz., Lymphozyten 5,4 Proz., Mono¬
nukleare -F Uebergang 5,8 Proz., Eosinophile 2,2 Proz. (= 301) Mast¬
zellen 0.
Temperatur morgens 37,3°, abends 38,2°.
Zweistündlich 1 Esslöffel Koffeinmixtur (3,0:150,0).
17. V. Weitere Besserung, Atmung aber noch erschwert. Ueber
beiden Lungen noch sehr lauter Schall, verschärftes Vesikuläratmen
Giemen und feuchtes Rasseln.
1*1 Lungengrenzen 2 cm höher gestiegen, etwas besser verschieb¬
en nUmfang cm’ L 45>0 cm unter der Achsel, R 41,0 cm
L 40,0 cm am 11. Brustwirbel. ’
Sputum etwas reichlicher, schleimig, mit ziemlich viel weissem
w^mQVern]1SCht’ du,rcb den, sich noch vereinzelte Blutfäden ziehen
Weder Spiralen noch Kristalle zu finden. Eosinophile Zellen haben
abgenommen. Eiweiss + (ca. 14 Säule).
1 uls 84, regelmässig, mittelkräftig. Blutdruck 110 — 125 mm He
Oedeme verschwunden.
Urin: Eiweiss + (Trübung).
„,pLeuko.7ten 874°- duvon Neutrophile 56,9 Proz., Lymphozvten
(= SMEZXta'aS Pro' W EoStoo|>l,il<! ,0'2 Proz-
Oren^n "riu Ä Ä«
noS'Bvo Vanrtl n'1' verscl"el,l"-|'' . <i.emen und spärliches Rasseln
"SS W^amlen. — Sputum zahschleimig, nicht mehr blutig. Eosino-
Sarke TrTbu'i'S einzelnen dichtUesäten Streifen. Eiweiss +
Herzaktion normal, Blutdruck 95—110 mm Hg
n Eeukozyten 9500, davon Neutrophile 65,0 Proz., Lymphozyten
^«KÄlr+üebewo,! » Proz- **** m Ä
19. V. Befinden gut. Im Sputum geringe eitrige Beimengung.
Eiwejss verschwunden. Eosinophile Zellen, Flimmerepithelien und
blutpigmenthaltige Zellen noch vorhanden. Lungenbefund unver
ändert.
, 20-V- Leukozyten 740°- davpn Neutrophile 65,5 Proz., Lvm^ho-
+ Uebergang 6,0 Proz., Eosinophile
4,c I roz. ( 333), Mastzellen 0,5 Proz. Urin einweissfrei,
e * * v-, Rasseln LHU wieder vermehrt, keine Dämpfung. Das
v.putum enthalt ziemlich viel Eiter fkein Eiweiss). Leukozyten 6600
davon Neutrophile 57,25 Proz., Lymphozyten 27,25 Proz., Mono-
025 Proz+ Uebergang 8’25 Proz-’ Eosinophile 7,0 (= 462), Mastzellen
r,.. ,22‘ V\ Pat* fühlt sich weniger wohl und klagt über Stechen im
Rucken. Atmung etwas beschleunigt, 36 p. m., ziemlich viel Husten
leirrV?em Auswurf. — Keine Dämpfung, dagegen LHU
chärffes8 AtZn 1 mittelblasiges’ naheklingendes Rasseln und ver¬
schärftes Atmen. Lungengrenzen etwas oberhalb des 12. Brust¬
wirbels links schlechter verschieblich wie rechts. — Herzaktion
wenig beschleunigt, 96; Temperatur morgens 36, 3°, abends 37,4°
Leukozyten 12 05,°: davon Neutrophile 73,75 Proz., Lymphozyten
öf Pr^(= ÄlÄT ** Pr°Z- E0Si“Ä
hrpirf3n^‘ Pefinden wieder besser; LHU jetzt deutliche, 3 querfinger-
llrLerT-Wn SS!" 1 v*rschieblich- s°"^ Befund
Temperatur morgens 37,0°. abends 37,8°.
Leukozyten 12 050, davon Neutrohile 73,75 Proz., Lymphozvten
6'25 **
««ä sass
(= Sllf'ÄzXd olr<! + Ueber?an>! 7A Proz- Eosinophile 2.8 Proz.
II- Y/ Dämpfung im Abnehmen, Rasseln noch reichlich.
ß o- u-, L?,mpfung nur mehr ^ering. Im eitrigen Auswurf stets
NCTtffile 53 5n Pr mäsSTiger ^enge- - Leukozyten 7800, davon
+ Uebe?vflno-54 7. p ’ Lymphozyten 30,0 Proz., Mononukleäre
(h25 Proz 4,75 Pr°Z” Eosinophile 11,50 Proz. (= 897), Mastzellen
t31\ Yl Dämpfung verschwunden, Rasseln noch vorhanden Aus-
wurf nicht sehr reichlich, schleimig-eitrig. AuS
c u .n u.n ab ,war Pat- bei Jodkaligebrauch stets ziemlich be¬
schwerdefrei, die Atmung meist unbehindert. Ueber den Lungen war
bis zum Austritt vereinzeltes Giemen und feuchtes Rasseln hörbar
Qreuzeu 12. Brustwirbel - 6. Interkostalraum ); im Auswuri fanden
sich andauernd reichlich eosinophile Zellen.
., Am LL LI. wurde der Polyp entfernt. Der Blutbefund blieb
Leu kozyt e n™a h f 1 ^ " pg'S Schwa.nkung unverändert (stets normale
neuKozytenzahl, ) — 12,2o Proz. eosinophile Zellen, 27,5 _ 35 5 Proz
Lymphozyten). Auffallend blieb die ständige leichte psychische Er
mlhyere^eT. Pa,ie"tin' ~ BiS Augl,s‘ 1907 SichTeta Anfall
PinprAJl>S md£r Ana™ese erKibt sich, dass unsere Patientin seit
einer Reihe von Jahren an akuten Anfällen schwerer Atemnot
ltt dm mit Husten und Sekretion einer geringen, niemals blu¬
tigen Sputummenge einhergingen. Nach einigen Stunden ver-
schwandcn diese Anfälle, die ziemlich unabhängig von Zeit
Oerthchkeit und Beschäftigung auftraten, von selbst wieder.’
Uiese Angaben sprechen für Asthmaanfälle. Der letzte, der Pa¬
tientin ms Krankenhaus führte, begann wie die früheren. Wir
finden auch alle Anzeichen eines solchen, grosse Atemnot
\vobei besonders das Exspirium erschwert ist, mühsamen Hu¬
sten mit wenig schleimigem Sekret, das Spiralen und haufen¬
weise eosinophile Zellen enthält. Auf den typischen Blutbefund
wird spater noch zurückzukommen sein. Die Lungengrenzen
sind tiefstehend; auskultatorisch ist bei verschärftem Vesikulär¬
atmen langgezogenes Giemen wahrnehmbar. Daneben finden
wir jedoch diffus verbreitet zahlreiche klein- und mittelblasige
feuchte Rasselgeräusche, eine Beimengung von rötlichem
Schaum zu dem stark eiweisshaltigen Sputum, eine allerdings
nur wenig verbreiterte Herzdämpfung, leichte Oedeme an den
Knöcheln Es war also klar, dass man keinen einfachen
sthmaanfall voi sich hatte, sondern eine gleichzeitige Exsu¬
dation in das Lungengewebe, bedingt durch ein Nachlassen
de:-£er?ira5- ?egen letzteres spricht auch nicht der etwas
erhöhte Blutdruck, der durch den vermehrten Widerstand im
Lungenkreislauf hervorgerufen ist. Das Herz besass also
immer noch die Kraft, diesen grösstenteils zu überwinden. Er-
eichtert wurde ihm diese Arbeit durch einen ausgiebigen Ader¬
ass. Nach Beendigung des Anfalls ging auch die Herzver-
ireiterung wieder zurück, die Oedeme und die Exsudation in
die Lungen verschwanden, mässige Albuminurie trat auf. Das
b putum wurde reichlicher, die Spiralen verloren sich, die
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2185
eosinophilen Zellen nahmen an Menge ab. Die Heilung schien
glatt von statten zu gehen, wurde aber durch eine hinzutretende
Lungenentzündung verzögert. Dann erfolgte bis zu einem ge¬
wissen Grade endgültige Gesundung.
Einige Besonderheiten -des Falles verdienen erwähnt zu
werden - einmal die Durchlässigkeit der Nieren für Eiweiss und
ferner die nach dem Abklingen des Anfalles einsetzende Pneu¬
Sticker9) erklärt die Albuminurie nach Versuchen von
Peiper durch Resorption von Eiweiss durch die Lungen.
Doch müsste dann bei Pneumonie regelmässig auch eine grös¬
sere Eiweissausscheidung stattfinden. Ungezwungener kann
sie auf die allgemeine Stauung zurückgeführt werden; denn sie
war während des Anfalls am stärksten und verschwand rasch
zugleich mit den Oedemen. In der Folgezeit blieb der Urin
stets eiweissfrei. Dieser Umstand, sowie die Menge und das
spezifische Gewicht des Urins zeigen, dass keine wirkliche
Nierenerkrankung v-orlag, die eventuell als primäre Ursache
hätte angesehen werden können. Dagegen spricht feiner der
niedrige Blutdruck, der sich nach dem Anfalle wieder eingestellt
hatt Als Folgeerkrankung trat weiterhin eine Pneumonie auf,
nachdem Patientin sich schon wieder verhältnismässig wohl
gefühlt hatte und die Lungenerscheinungen im Rückgang be¬
griffen waren. Das Befinden verschlechterte sich am 22. Mai
wieder etwas, nachdem schon tags zuvor der Auswurf -mehr
eitrigen Charakter angenommen hatte. In der Folge mani¬
festierten Rachen, stärkerer Hustenreiz, unbestimmtes Atmen,
klingendes Rasseln und Dämpfung, eine Lungenentzündung im
linken Unterlappen. Das charakteristische Sputum und Pneu¬
mokokken fehlten jedoch. Unter geringer Temperatursteige¬
rung verlief die Entzündung ohne schwerere Erscheinungen.
Zweifellos stand die Pneumonie in Zusammenhang mit dem
vorangegangenen Zustand der Patientin. Nicht entscheiden
lässt sich natürlich, ob der Asthmaanfall oder das Oedem den
Ausgang bildeten. Jedenfalls war durch beide die Lunge ge¬
schädigt worden, so dass sie weniger widerstandsfähig gegen
eine Infektion wurde. Die eigentliche Ursache blieb unbekannt.
Bemerkenswert ist endlich noch der Blutbefund. Die
Kranke kam zu uns mit mässiger Leukozytose, die die Asthma¬
anfälle regelmässig begleitet. Wie aus folgender Zusammen¬
stellung ersichtlich ist, stimmt das Verhältnis genau mit den
von Heineke und Deutschmann10) gefundenen Tat¬
sachen überein. Es fanden sich:
Gesamtzahl
Neutrophile
Leukozyten
Eosinophile
Leukozyten
Lympho¬
zyten
15. V.
16. V.
17. V.
15 240
13 680
8 740
Proz.
87.8
86,6
56.9
Proz.
1,2
2,2
10,2
Proz.
8.4
5.4
22,2
Asthmaanfall.
Wohlbefinden.
21. V.
22. V.
23. V.
27. V.
13. VI.
28. VI.
6 600
17 340
12 050
7 800
7 820
7 740
37.25
79.25
73.75
53,5
51.75
51,0
7,0
0,5
3,0
11,5
9,25
11,25
27.25
13.75
17,0
30,0
32.25
30.75
Pneumonie.
Wohlbefinden.
Im Anfall selbst Verminderung der eosinophilen Zellen
und Lymphozyten, relativ und absolut genommen, mit gleich¬
zeitigem Anstieg der neutrophilen Leukozyten; nach Abklingen
des Anfalls rasche Zunahme der ersten beiden Formen und
Sinken der Neutrophilen unter die Norm. Die Vermehrung der
Lymphozyten ist nicht so ausgesprochen wie in dem Fall von
Heineke und Deutschmann, doch ist das Bild hier kom¬
plizierter. Infolge der zweiten, durch die Lungenentzündung
bedingten Leukozytose fällt ihr prozentuales Verhältnis, wäh¬
rend die Eosinophilen auch absolut vermindert werden. Erst
nach dem Ablauf der Pneumonie kehren geregeltere Verhält¬
nisse zurück und man sieht, dass von nun ab, mit geringen
Schwankungen, eine ständige starke Vermehrung der eosino-
9) Ibi-d., Bd. 63, S. 437.
10) 1. c.
M) Münchener me-d. Wochenschr. 1906, No. 17.
No. 44.
philen Zellen besteht, eine geringere der Lymphozyten, und eine
Verminderung der Neutrophilen.
Man kann nun ohne Zwang annehmen, dass dieses Ver¬
hältnis auch schon früher bestanden hat, denn wir wissen, dass
oftmalige Asthmaanfälle häufig eine chronische Eosinophilie
des Blutes zur Folge haben können. Da ferner stets eine das
Normale übersteigende Zahl von eosinophilen Zellen sich im
Sputum fand, die auch nach dem Anfall noch bestehende Bron¬
chitis wenig Neigung zur völligen Ausheilung zeigt, so haben
wir das Bild der sogenannten eosinophilen Bronchitis vor uns,
wie es zuerst von T eichmüller beschrieben worden ist.
Es reagiert also auch bei chronischer Eosinophilie das
Blut in genau derselben Weise wie im akuten Asthmaanfall,
dem völliges Wohlbefinden mit normalem Blutbefunde voiaus-
geg-angen ist.
Man könnte ferner noch daran denken, ob die Asthma¬
anfälle und die Eosinophilie nicht durch -den erwähnten Nasen¬
polypen verursacht sind. Nun hat unsere Patientin während
der ersten Anfälle stets frei durch die Nase atmen können;
der Polyp scheint damals also noch nicht die Ursache gewesen
zu sein.
Zur Vorsicht wurden jedoch die Wucherungen, in denen
sich an manchen Stellen massenweise polynukleäre eosinophile
Zellen fanden, zum Teil durch das Epithel durchwandernd, von
Herrn Prof. Neumayer entfernt. Die vor- und nachher
vorgenommenen Blutuntersuchungen ergaben jedoch nicht den
geringsten Einfluss auf die eosinophilen Zellen des Blutes.
Zum Schlüsse sei noch einmal der Beziehung zwischen
Asthma und Lungenödem gedacht. Rickhoff nimmt für
seinen Fall nur einen graduellen Unterschied -des Entzündungs¬
prozesses an -und legt auf die Herzinsuffizienz weniger Gewicht.
Es Hesse sich dagegen einwenden, dass dann einmal das Oedem
bei Asthmaanfällen öfters beobachtet würde und es müssten
sich wohl auch während der Oedemattacke die spezifischen
Asthmabestandteile im Sputum finden, was bei ihm nicht der
Fall ist. Wann er nimmt neben den rein sekretorischen Vor¬
gängen auch solche transsudativer oder exsudativer Art an.
Mit der Annahme einer Transsudation wird auch die Herz¬
schwäche als auslösendes Moment des Oedems akzeptiert.
Unser Krankheitsbild dürfte gleichfalls so aufzufassen sein,
dass die Lungen durch die wiederholten Asthmaanfälle bereits
dauernd geschädigt waren; wahrscheinlich waren durch sie
auch schon die Lungengefässe und das Herz in Mitleidenschaft
gezogen worden. Im letzten Anfalle war das Herz nun den
Anforderungen, die durch den erhöhten Widerstand im Lungen¬
kreislauf gestellt wurden, nicht mehr hinreichend gewachsen,
so dass es zu einer Transsudation durch die Kapdlarwandungen
und das Alveolarepithel kam, und so neben den Zeichen des
akuten Asthmaanfalles gleichzeitig die des Lungenödems sich
ms der Universitäts-Nervenklinik zu Halle a S. (Direktor:
Geh. Rat Professor Dr. Anton).
Ueber Kohlehydraturie beim Alkoholdelir. )
Von Dr. M a x K a u f f m a n n, Assistenzarzt der Klinik.
Für das Alkoholdelirium charakteristisch ist die akute ort-
tche und zeitliche Desorientierung. Es bestehen weiter ^|ines-
äuschungen von seiten des Gehörs, des Gesichts und des ast-
inns; dazu kommt der Tremor und die Beschaftigungsuniuhe.
Die Alkoholintoxikation ist nicht die einzige Ursache der Er-
;rankung, da man ja häufig erst einige Tage nach der Lnthalt-
;amkeit von Alkohol das Delirum ausbrechen sieh .
Bonhöffer1) spricht sich dahin aus, dass zwischen
kusbruch der Psychose und der chronischen Alkoholvergiftung
:in ätiologisches Zwischenglied liegen müsse, eine akute -to
vechselstörung. . . . „
Als eine der Mitursachen wird die I n a n 1 1 . l o n genann .
ch möchte dabei besonders auf den Mangel an Koh ehydiaten
jewicht legen, weil dabei bekannterweise Azetonkorper im
Jrin erscheinen. Auch das Fieber kann durch rasche Ver-
Drennung des Glykogens zu einem Kohlehydratmangel führe .
*) Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte Halles am 3. Juli 1907.
p Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheitstrinker.
ö
2186
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Eine weitere Ursache scheint schon allein in dem Still¬
liegen bei Krankheiten zu bestehen. Ich habe selbst Fälle von
beginnendem Delirium gesehen, wo man dadurch, dass man
die Kranken aufstehen und arbeiten liess, den Ausbruch der
Psychose verhindern konnte.
Es ist einleuchtend, dass ganz andere Oxydationsvorgänge
in einem Organismus eintreten müssen, der, an viel Bewegung
gewöhnt, plötzlich zur Ruhe genötigt wird.
Der wichtigste Faktor ist das Gehirn. Es handelt sich um
ein durch chronischen Alkoholgenuss vergiftetes Organ; wird
dasselbe durch Ausbleiben des gewohnten Stimulus, des
Alkohols, gegen etwaige kreisende Gifte widerstandsloser, so
kann es denselben leichter erliegen. Der Gehirnschock, das
psychische Trauma, spielt bei einem an und für sich schon nicht
normalen Organ eine grosse Rolle. Es kann auch ferner durch
eine starke akute Alkoholvergiftung das kranke Gehirn in¬
suffizient gemacht werden. Ein Gehirnschock kann beispiels¬
weise bei schweren Verletzungen, Knochenbrüchen, erfolgen,
ferner durch heftigen Schreck. So ist mir ein Potator in Er¬
innerung, der einen heftigen Schreck durchmachte, als er einen
Exitus an Hämoptoe mit angesehen hatte, bei ihm brach das
Delirium am nächsten Tage aus.
Es ist mir schon seit längerer Zeit aufgefallen, dass der
Urin der Deliranten häufig reduzierende Substanzen enthält, die
mit dem Aufhören des Delirs ziemlich rasch verschwinden.
Versetzt man Urin mit dem zehnten Teil des A 1 m e n sehen
Reagens, so findet man, dass, wenn auch nicht gleich, so doch
nach längerem Kochen im Wasserbad, ein deutlicher Wismut¬
niederschlag eintritt. Man soll zwar das N y 1 a n d e r sehe
Reagens nicht länger als 5 Minuten einwirken lassen, weil das
Reagens so scharf ist, dass die physiologische Zuckermenge
von 0,02 Proz. durch ca. >2 ständiges Stehen im Wasserbad
als Braunfärbung noch nachgewiesen wird. Bedenkt man,
dass der Urin von Deliranten gewöhnlich konzentriert ist, so
wäre dies also eine ganz physiologische Erscheinung. Es
fiel mir aber auf, dass selbst bei grösseren Mengen von redu¬
zierenden Substanzen nicht gleich der Wismutniederschlag
erschien, sondern erst nach längerem Kochen. Es trat dann
nicht bloss Braunfärbung ein, sondern Schwärzung. Indikan
gibt wohl Dunkelfärbung des Phosphatniederschlages, aber
nicht diese intensive Schwärzung, welche vor allen Dingen
auch dann deutlich wird, wenn der Urin vorher mit Tierkohle
entfärbt wurde. Untersucht man einen solchen Urin mit dem
Polarisationsapparat, so ist eine leichte Linksdrehung das Ge¬
wöhnliche. Wenn schon dies gegen Traubenzucker spricht,
ferner die verlangsamte Reduktion, so ist noch auffälliger, dass
der Urin mit Hefe meist nicht vergärt. Die T rommer sehe
Zuckerprobe fiel gewöhnlich negativ aus oder es trat blos
Gelbfärbung ein; auffällig war aber, dass nach längerem
Kochen mit verdünnter Schwefelsäure der Urin viel rascher
reduzierte und dass die Linksdrehung in eine Rechtsdrehung
verwandelt wurde. Der mit Hefe vergärte Urin reduzierte
immer noch, während eine Kontrollprobe mit derselben ein¬
wandfreien Hefe nicht reduzierend wirkte. Es handelt sich um
geparte Glykuronsäuren, die durch Kochen mit Säure isoliert
werden und dann reduzieren.
Die Anstellung der S e 1 i w a n 0 f f sehen Reaktion ist da¬
durch erschwert, dass manche Urine schon allein durch Kochen
mit Salzsäure rot gefärbt werden, doch gelang es wiederholt,
dieselbe einwandsfrei zu erhalten; der rote Farbstoff konnte
mit Amylalkohol ausgeschüttelt werden und zeigte spektro¬
skopisch einen Absorptionsstreifen zwischen D und E.
Es liess sich bei verschiedenen Fällen mit p-Bromphenyl-
hydrazin nach N e u b e r g ein Osazon mit Schmelzpunkt
230—232 darstellen, das in Alkohol und Pyridin gelöst stark
links drehte.
Gegen Traubenzucker spricht vor allen Dingen die Nicht¬
vergärbarkeit. Indes können kleine Mengen von Kohlensäure
von Urin und anderen Flüssigeiten absorbiert werden, wie ich
mich selbst bei schwachen Zuckerlösungen überzeugt habe.
Es liess sich ferner nicht das typische Osazon herstellen. Vor
allen Dingen beweisend ist die Linksdrehung, die nach Kochen
mit Säure in Rechtsdrehung verwandelt wird.
Die Glykuronsäure verschwindet nach dem Aufhören des
Delirs entweder plötzlich oder ziemlich rasch aus dem Urin.
In solchen Fällen, wo nur eine minimale Drehung vorhanden
ist, lässt sich das Auftreten derselben nicht nachweisen.
Bei vier Stoffwechselversuchen, die ich bei Alkohol¬
deliranten unternommen habe, fand ich als auffällige Sym¬
ptome bei ca. 45 Kalorien pro Kilogramm eine starke N-Unter-
bilanz, und bei einer leicht verdaulichen Nahrung Zahlen von
über 2 g N im täglichen Kot bei guter Fettverdauung. Ob die
fortwährende Bewegungsunruhe mit der gereichten Kalorien¬
zahl nicht korrespondierte oder ob ein toxischer Eiweisszerfall
stattfand, möchte ich nicht entscheiden.
Die Harnsäureausscheidung war verhältnismässig gering,
dagegen fand sich Oxalsäure am Anfang des Delirs meist ,
über 1 dg.
Xanthinbasen wurden bis zu 1 g täglich ausgeschieden,
auch die Kreatininausscheidung war auffallend hoch.
Azeton, vor allen Dingen Azetessigsäure (nach Arnold
und L i p 1 i a w s k i nachgewiesen) fanden sich in kleinen
Mengen und konnten nach H u p p e r t - M e s s i n g e r als
Azeton bis zu 210 mg täglich bestimmt werden.
Da die Deliranten so ausserordentlich suggestibel sind,
so wurde mit einem der Versuch gemacht, ihn am Zuntz-
schen Respirationsapparat atmen zu lassen. Er lag zwar nicht
vollkommen ruhig, doch gelang die Atmung 6 Minuten. Der
respiratorische Quotient war auffallend niedrig, nur 0,667.
Der Patient hatte 17 Stunden nichts gegessen, der Glykogen¬
vorrat war wohl verbraucht, und als Kraftquelle kam nur Fett
und Eiweiss in Betracht. Nach Magnus Levy ist der respira¬
torische Quotient bei ausschliesslichem Herleiten der Brenn¬
werte aus Fett und der kohlehydratfreien Eiweissgruppe
zwischen 0,613 und 0,706 gelegen.
Am nächsten Tag war das Delirium abgeklungen und es
ergab sich nüchtern nur ein respiratorischer Quotient von
0,713. Man muss annehmen, dass das Glykogen verbraucht
ist und die Kraftquelle fast ausschliesslich Fett mit dem
respiratorischen Quotienten von 0,707 ist. Auch das Auftreten
der Azetonkörper im Urin lässt darauf schliessen, dass ein
Mangel an Kohlehydraten besteht.
Auffallend hoch sind die Zahlen für Indikan, das
als Indigo bestimmt und gewogen wurde bis zu 0,4 g I n d i g 0
pro Tag.
Die gepaarte Schwefelsäure ist verhältnismässig niedrig,
beträgt gewöhnlich nur 1 Proz. des Gesamtschwefels.
Bei Zahlen von 0,4 g Indigo und ca. 0,01 g Aetherschwefel-
säure muss die Paarung des Indoxyls mit einer anderen Säure
angenommen werden, dies ist eben die Glykuronsäure.
Phenol, Kresol, Indol und Skatol liessen sich nach der be¬
kannten Destillationsmethcde nicht nachweisen. Es war inter¬
essant, zu beobachten, dass mit Aufhören des Deliriums auch
die Indikanreaktion nur ganz schwach ausfiel.
Man muss also eine Parung der Glykuronsäure mit Indoxyl
annehmen, daneben kann eine solche mit Harnstoff, Azeton
oder Azetessigsäure bestehen.
Dass Potatoren leicht zu Störungen im Kohlenhydrat¬
wechsel neigen, hat Strauss durch Versuche gefunden. Er
fand, dass sie sehr rasch für Zucker tolerant wurden, meist
nach 3 Tagen, in einem Fall nach 7 Tagen.
Reuter2) hat eine länger dauernde Intoleranz der Pota¬
toren bei seinen Versuchen gefunden. Strauss hat auch bei
Deliranten häufig Intoleranz für Zucker gefunden. Bumm3),
der einen Fall von transitorischer Albuminurie und Melliturie
bei Delirium tremens beschreibt, glaubt, dass zuerst Gebiete
des Grosshirns getroffen werden und eine etwaige Fortsetzung
des Prozesses auf tiefere Gebiete des Zentralnervensystems
(Medulla oblongata, Eiweiss- und Zuckerzentrum) zu Stö¬
rungen auch in den vegetativen Funktionen führen (Albu¬
minurie, Melliturie), wobei man für die plötzlich eintretenden
Todesfälle noch eine Alteration des Noeud vital heranziehen
könne. Die Befunde von Strümpell und K r e h 1 kann ich
übergehen, weil sie Biertrinker betreffen.
Keiner der von mir beobachteten Fälle bekam Chloral, das
die Ausscheidung der Glykuronsäure bedingen konnte.
■) Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten.
) Berliner klinische Wochenschrift 1882, No. 25.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2187
Es gibt Paralytiker, welche zeitweise vollkommen das
Bild des Alkoholdelirs bieten; cs besteht Bewegungsunruhe,
die Kranken sind vollkommen desorientiert. Der ganze Zu¬
stand dauert nur wenige Tage. Bei zwei von solchen Fällen
habe ich ebenfalls eine starke Linksdrehung des Urins, Seli-
w an off sehe Reaktion, Reduktionsfähigkeit und Nichtver¬
gärbarkeit gefunden. Bei einem derselben gelang im Urin mit
p Bromphenylhydrazin die Darstellung des Osazons. Oxy-
buttersäure liess sich als a Krotonsäure nicht nachweisen. Die
geparte Qlykuronsäure verschwand nach dem Aufhören des
paralytischen Delirs wieder. Wir haben also hier eine merk¬
würdige Uebereinstimmung des Klinischen mit dem Physio¬
logisch-Chemischen. Es bestand bei den Fällen auch die Aus¬
scheidung von geringen Mengen von Azetessigsäure.
Ich habe bei geisteskranken Potatoren, Fällen mit Eifer¬
suchtswahn oder ängstlichen Zuständen, durch Darreichung
von 100 g Glukose oder Lävulose die Toleranz dieser Kranken
für die Zuckerarten untersucht. Ich fand auffallend selten die
Ausscheidung von Traubenzucker oder Lävulose, wiederholt
nur die von geparten Glykuronsäuren, und zwar noch längere
Zeit nach dem Aufenthalt in der hiesigen Klinik. So trat bei
einem Potator eine alimentäre Kohlehydraturie noch nach
27 Tagen, bei einem andern nach 3 Wochen auf. Die redu¬
zierenden Substanzen zeigten sich im Urin gewöhnlich mehrere
Tage, und zwar meist länger nach der Eingabe von Lävulose;
ein Befund, der bei Geisteskranken schon von anderen Autoren
gemacht wurde. Die Indikanausscheidung war bei diesen
Fällen ebenfalls stark vermehrt.
Eiweiss habe ich in verhältnismässig wenig Fällen ge¬
funden. Der Urin ist häufig trübe und klärt sich nach Zusatz
von Natronlauge. Versetzt man einen solchen Urin mit Sal¬
petersäure oder Esbachschem Reagenz, so wird die Trü¬
bung stärker und verschwindet auch beim Kochen nicht ganz.
Es handelt sich also um Harnsäure, die in dem konzentrierten
Urin ausfällt. Auf Albumosen habe ich bei mehreren Fällen
geprüft, konnte indessen keine nachweisen.
Der Befund von Glykuronsäure und Traubenzucker bei
manchen Fällen von Alkoholdelirium scheint mir für die Auf¬
fassung des Alkoholdelirs wichtig zu sein.
Wir müssen bei Geisteskrankheiten nicht den Masstab an-
legen, den etwa der innere Kliniker bei Stoffwechselstörungen
aufgestellt hat. Hier wird man, wo man ein ziemlich durch¬
gearbeitetes Gebiet vor sich hat, nur grosse Ursachen für
grosse Wirkungen verantwortlich machen. Wir aber haben
es vor allen Dingen schon mit einem an und für sich kranken
Organ zu tun, dem Gehirn selbst. Es fragt sich, ob die Gehirn¬
störungen, die das Coma diabeticum ausmachen, nicht viel mehr
vom gehirnpathologischen Standpunkt aus zu betrachten sind,
als einfach unter der Berücksichtigung der Säurevergiftung, der
Azidosis. Man muss ein für Säurevergiftung empfängliches
Organ annehmen, denn nicht jedes Gehirn reagiert bekannter¬
weise gleich. Hier wäre die Funktionsprüfung des Organs, die
der Neurologe beherrscht, mehr in den Vordergrund zu stellen,
es wäre zu unterfuchen, ob man nicht bei Leuten, die zu Coma
diabeticum’ neigen, schon vorher durch Intelligenzprüfung ein
schlechter funktionierendes Gehirn nachweisen kann.
Es sind ja nur geringe Mengen von Glykuronsäure, die ich
nach der mehr oder wenig geringen Linksdrehung annehmen
kann. Wir wissen ja aber nicht, ob nicht giftige Zwischen¬
produkte, niedere Fettsäuren, im Blute kreisen, die im Urin gar
nicht erscheinen. Paul Mayer4) hat bei seinen Versuchen
Glykuronsäure gefunden und die Theorie aufgestellt, dass bei
leichten Fällen von Diabetes Glykuronsäure und Oxalsäure
auftreten.
Aus den Versuchen von A. F a 1 c k 5 6) geht hervor, dass
Glykuronsäure und Schwefelsäure vikariierend für einander
eintreten können. P. Mayer erblickt in der Bildung dieser
Säure einen primären Vorgang und es tritt als Folge davon eine
verringerte Produktion der Aetherschwefelsäure ein, während
ihre Ursache in einer unvollkommenen Oxydation des Trauben-
4) Experimentelle Untersuchungen über Kohlehydratsäuren. Zeit¬
schrift für klinische Medizin, 47, 1 und 2.
5) Münch, med. Wochenschr. 1902, No. 36.
6) Neuberg: v. Noordens Pathologie des Stoffwechsels, II.
S. 234.
Zuckers liegen soll, ein Teil des Glukosemoleküls soll beim
Abbau seinen Weg über Glykuronsäure und weiter über Oxal¬
säure nehmen. t!) Gerade meine Versuche bei den Potatoren be¬
weisen, dass die Glykuronsäurebildung das Primäre ist. Wenn
auch Paiiiuge, wie Azeton und Azetessigsäure, vor allen Dingen
Indoxyl, vorhanden sind, so ist einfach die Tatsache, dass
Trauben- und Fruchtzuckereingabe das Auftreten von Glyku¬
ronsäure bewirkt, beweisend, dass nicht die Parlinge das Pri¬
märe sind, sondern der unvollständige Abbau der Glukose.
Vielleicht ist auch zur Theorie der unvollkommenen Zucker¬
oxydation Paul Mayers der verringerte respiratorische
Quotient bei Potatoren anzuführen. Auffällig ist auch noch der
wiederholt erhobene Befund von Vermehrung der Oxalsäure¬
ausscheidung. Dass die Glykuronsäure aus Traubenzucker im
Organismus entstehen kann, hat Paul Mayer mit seinen
Kaninchenversuchen bewiesen.
Was nun die Ursache der vorübergehenden Kohle¬
hydraturie betrifft, so wäre man nach v. Noorden geneigt,
leichte Störungen der Pankreasfunktion anzunehmen. Da es
sich ja um ein Gift handelt, welches leicht eine vorübergehende
Funktionsstörung dieses Organs bewirken kann, so wäre schon
an die Möglichkeit einer akuten Pankreasinsuffizienz zu denken.
Man hat aber gerade bei Pankreasstörungen Glukose gefunden
und es wäre vor allen Dingen nicht zu erklären, warum para¬
lytische Deliranten, die keine Potatoren sind und wochenlang
frei von Alkohol waren, Kohlehydraturie bekommen.
Die Delirien bei Presbyophrenie und die Stardelirien
scheinen mir hauptsächlich auf schweren Gefässveränderungen
zu beruhen. Bei einem Fall von presbyophrenischem Delir
habe ich keine reduzierende Substanz gefunden, dagegen
wiederholt bei Fällen von Korsakow.
Bei Potatoren könnte man an renalen Diabetes denken, es
wäre aber eigentümlich, dass nicht die Glukose selbst im Urin
erscheint.
Die bei Diabetes vorübergehend auftretende Albuminurie
wird nicht als Nephritis gedeutet, sondern als hervorgerufen
durch die schädigende Wirkung der Azetonkörpei;. Dass solche
Nierengifte bei längeren Delirien in grösserer Menge auftreten
können und längere Zeit einwirken, leuchtet ein. Es ist wahr¬
scheinlich die transitorische Albuminurie, welche von manchen
Autoren gefunden worden ist, darauf zurückzuführen.
Bei Potatoren wäre auch der hepatogene Diabetes zu er¬
wägen; aber auch hier begegnet man Schwierigkeiten, wenn
man die paralytischen Delirien erklären will.
Es scheint mir am naheliegendsten, auf die Medulla ob-
longata zurückzugreifen. Die klassischen Untersuchungen
W e r n i c k e s haben ergeben, dass eine besondere Krankheit
der Potatoren, die Poliencephalitis haemorrhagica superior,
existiert. Man findet besonders dabei die Kerne in der Medulla
oblongata erkrankt. Auch Bonhöffer hat bei seinen Fällen
die Medulla oblongata häufig erkrankt gefunden.
Die physiologische Bedeutung einer Erkrankung der Me¬
dulla für den Diabetes ist seit den Untersuchungen Claude
Bernards allgemein bekannt. Da nun der Alkohol gerade
die Medulla oblongata mit Vorliebe angreift, so können wir uns
wohl vorstellen, dass leichtere Störungen derselben zu einer
Störung im Kohlehydratstoffwechsel führen.
Man kann folgendes annehmen: es kann die Erkrankung
eines Gehirnteils den Stoffwechsel in krankhafter Weise beein¬
flussen; die dabei entstandenen Zwischenprodukte können
wieder andere Gehirnteile vergiften. Auffällig ist bei den
Potatoren die profuse Schweissekretion; manche speicheln
sehr stark. Die profuse Sekretion der Schleimhaut könnte auch
manche Bronchitis erklären, die ohne Fieber besteht. Inwie¬
weit die Pneumonie sich leichter bei profusen Bronchitiden ein¬
stellt, wäre zu erwägen. Alles das deutet auf vasomotorische
Störungen, die durch Funktionsstörungen der Medulla ob¬
longata erklärt werden könnten. Bei den schweren Angst¬
anfällen der Paralytiker und den Angstpsychosen findet man
häufig Zucker im Urin. Dabei bestehen auch vasomotorische
Störungen, die sehr an den Diabetes erinnein. es besteht
trockene Haut, seltenes Schwitzen. Man hat die Zuckeraus¬
scheidung einfach als Begleitsymptom der psychischen Alte¬
ration angenommen, es kann aber auch sein, dass erst die
Zwischenprodukte die psychische Störung hervorrufen.
3*
2188
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Hierfür möchte ich ein Beispiel anführen: Es handelt sich um
einen Fall von schwerer Angstpsychose bei Diabetes; letzterere ging
der Psychose einige Monate voraus. Es gelang mir, durch vorsichtige
Entziehung der Kohlehydrate den Diabetes und damit zugleich die
schwere Psychose zu heilen. Dabei war als besonders auffällig zu
bemerken, dass mit dem Abfall der Kohlehydrate die Stimmung ganz
merklich sich besserte; je weniger Fremdkörper kreisten, um so we¬
niger war die Psyche gestört. Im Urin waren nur geringe Mengen
von Azeton und Azetessigsäure. Wenn also schon ein einfacher
Diabetes genügt, um die schwersten psychischen Symptome auszu¬
lösen und die Heilung des Diabetes die Heilung der Psychose be¬
deutet, so müssen wir die Frage aufwerfen, ob eine Störung des
Kohlehydratwechsels nicht auch andere Zustände wie das Alkohol¬
delirium auslösen kann. Bei dem erwähnten Diabetiker bestand
eine ausgezeichnete Fettverdauung, es war kein Anhaltspunkt vor¬
handen, eine Pankreaserkrankung anzunehmen.
Es scheint mir nicht von der Hand zu weisen zu sein,
dass der Alkohol je nach der Disposition ein schweres Qift für
die Medulla oblongata ist. Hiermit ist schon bedingt eine Nei¬
gung zu Diabetes. Treten nun andere Ursachen, wie die an¬
fangs erwähnten, hinzu, so kann das eigentümliche Bild des
Delirium tremens auftreten, das rasch verschwindet, wenn die
Stoffwechselzwischenprodukte nicht mehr gefunden werden.
Bei der Schwierigkeit, denen Stoffwechseluntersuchungen
bei Deliranten begegnen, wird es leider nicht so leicht möglich
sein, die Befunde aufzuklären und in Uebereinstimmung zu
bringen. Die ausführliche Veröffentlichung derselben wird im
Journal für Psychologie und Neurologie erfolgen.
Ich möchte zum Schluss noch eine soziale Frage berühren:
Manche Kassen verweigern beim Alkoholdelirium das Kranken¬
geld. Wer darunter zu leiden hat, das sind doch nur die armen
Frauen. Wenn, wie Bon hoff er erwähnt, 70 Proz. aller
Deliranten erblich belastet sind, wenn man ferner nicht im
Alkohol, sondern in einer akuten Stoffwechselstörung die eigent¬
liche Ursache des Delirs erblicken muss, so erscheint mir eine
solche Bestimmung kaum berechtigt zu sein, auch hat sie wohl
keinen grossen erzieherischen Wert. Es sind bei weitem nicht
immer die stärksten Potatoren, die an Delirium erkranken,
viele enden ihre Laufbahn auf einer inneren Sation an Herz-,
Lungen- oder Leberleiden. Die hiesige Ortskrankenkasse
fragt bei Fällen von Delirium regelmässig an, ob die Krankheit
durch Alkoholmissbrauch hervorgerufen sei, eine Frage, die
schon das ärztliche Berufsgeheimnis, der § 300 des R. S. G. B.,
zu beantworten verbietet. So wenig man bei der progressiven
Paralyse die Syphilis als einzige Ursache bezeichnen darf,
kann man die akute Stoffwechselstörung beim Alkoholdelir
nur auf Alkoholmissbrauch zurückführen.
Aus der medizinischen Klinik der Universität Basel.
Delirium tremens nach Alkoholentzug.
Von Dr. Peter Hans H o s c h, Volontärarzt.
Die Frage, ob plötzliche Abstinenz von Alkohol an sich im¬
stande sei, ein Delirium tremens auszulösen, war lange heiss
umstritten. So mag es denn auch berechtigt erscheinen, alle
solchen Fälle, sofern sie nur sicher als solche anzusprechen
sind, mitzuteilen. Vor kurzer Zeit hatte ich Gelegenheit, einen
derartigen Fall auf meiner Abteilung verfolgen zu können, der
eigentlich die Sicherheit eines Experimentes bietet.
Es handelt sich um einen 35 jährigen Taglöhner. Derselbe war
schon vor 1 h Jahren auf der Abteilung gewesen wegen Pleuritis
exsudativa. Aus der damaligen Krankengeschichte ent¬
nehme ich: Nach Angabe der Frau trank Pat. seit ca. 4 Jahren viel
Schnaps und Wein; gab dafür in der Woche über 10 Frc aus Im
letzten Jahre nahm der Potus zu. Pat. stand oft (2— 3 mal’ wöchent¬
lich) nachts auf, brüllte und lärmte und wollte kleine Tiere fangen
die er im Zimmer herumspringen sah. Seit 2 Jahren Vomitus matu-
tinus. Pat. raucht nicht. Appetit war gering; Pat. genoss nur saure
Speisen.
Vier Tage vor Spitaleintritt war Pat. auffallend unruhig und
schwatzte oft unverständliches Zeug. In dieser Zeit lief Pat 2 mal
nachts von zu Hause weg und blieb eine Stunde fort; wusste, wieder
ins Zimmer zurückgekehrt, nichts davon. Im Spital machte er dann
ein richtiges Delirium tremens durch. Die Pleuritis besserte sich
und Pat. wurde nach etwa 2 Monaten entlassen. oesserte sicn-
Aus der jetzigen Krankengeschichte führe ich an :
Vater an Unglücksfall gestorben. Mutter und 2 Geschwister gesund,
eine Schwester an Lungenkrankheit gestorben. Frau und 2 Kinder ge¬
sund. 2 Frühgeburten. Pat. machte als Kind Diphtherie durch. Seit
mehreren Jahren jeweilen im Winter ziemlich starker Husten und
Auswurf. Seit dem letzten Spitalaufenthalt Müdigkeit und schlechtes
Allgemeinbefinden. Im letzten Jahre konnte Pat. jeweilen einige
Wochen arbeiten und musste dann wieder aussetzen. Atemnot bei
schwerer Arbeit. Hie und da Stechen auf der Brust. Sobald Pat
im Bette blieb, so schwanden Husten und Auswurf. Seit Jahren Nacht-
schweisse (meist nur an den Beinen). Pat. kam dann um einen Auf-
enthalt in Davos ein. Er wurde angenommen und soll nun bis zum
möglichen Eintritt im Spital bleiben.
In letzter Zeit trank Pat. nach eigenen Angaben täglich 1 Litei
Wem, aber keinen Schnaps mehr.
Aus dem Aufnahmestatus; Kräftiger Körperbau, guter
Ernährungszustand. Gesicht gerötet, mit Schweiss bedeckt. Pupillen
reagieren prompt, linke etwas weiter als die rechte. Tremor an den
Händen wenig ausgesprochen. Zunge leicht belegt, ohne Ver¬
letzungen oder Narben; Rachen gerötet.
Rechte Lunge frei. Links vorn und hinten Schall etwas leiser
und hoher als rechts; hinten unten kleine relative Dämpfung. Atem-
ge lausch vesikulär; links mässig zahlreiche, mittelgross- bis gross-
blasige nicht klingende Rasselgeräusche. Linke Spitze 1% Finger
tiefer als die rechte.
m u ziemlich reichlich; schleimig-eitrig, kein Blut darin.
I uberkelbazillennachweis gelingt.
,. Iteiiz °,^ne Besonderheit. Puls regelmässig, voll, ziemlich kräf-
tig, 80 in der Minute. Leberdämpfung etwas vergrössert; unterer
Leben and nicht palpabel. Abdomen ohne Besonderheit; ebenso die
Extremitäten und die Reflexe.
Der weitere Verlauf war folgender :
, Aufnahme. Bad. Bettruhe. Kein Fieber. Appetit
oi dentlich. 1 at. bekommt keinen Alkohol. Abendtemperatur 36.7 °.
2. Tag Nachts hat Pat. ruhig geschlafen. Tagsüber nichts Be¬
sonderes. Abends bekommt Pat. plötzlich aus vollem Wohlbefinden
heraus ohne Vorboten einen epileptischen Anfall. Pat. ist dabei be¬
wusstlos, reagiert nicht. Keine deutlichen Krämpfe; dagegen ziemlich
heftige Bewegungen mit Kopf und Extremitäten. Etwas Stöhnen und
ahneknirschen. Vor dem Mund etwas Schaum. Augenbewegungen
dissoziiert. Pupillen weit, wechseln in der Weite; reagieren aber
nicht auf Lichteinfall.
, Nach wenigen Minuten erwacht Pat. auf Anrufen plötzlich unter
heftigem Zusammenfahren beim Erkennen der Umstehenden. Pat
weiss nicht was mit ihm vorgeht, ist sehr erstaunt; hat keine Er¬
innerung an den Anfall. Darauf wird Pat. ruhig, klagt nur etwas über
Kopfweh. Abendtemperatur 36,5°.
3. 1 a g. Nachts gut geschlafen. Kopfweh verschwunden. Keine
Erinnerung an den gestrigen Anfall.
Mittags wird Pat. unruhig. Tremor der Hände. Leichte Des¬
orientiertheit. Pat. redet leicht wirr, steht auf. — Isolierzimmer.
Gegen Abend vollständig desorientiert. Pat. will zu seiner Frau,
um etwas in Ordnung zu bringen etc. Den Arzt kennt er. Ins Bett
gebracht steht er immer wieder auf. Körperliche Untersuchung er¬
gibt nichts Neues. Abendtemperatur: 36,5°.
• , T.Tg‘ nUht im Bett zu halten. Er wird, damit er sich
icht erkaltet, angezogen. Wandelt ruhelos im Zimmer herum, steht
dann wieder lange am Fenster und sieht starr hinaus. Quin-
qu a u d sches Zeichen deutlich. Er erzählt spontan von eingebildeten
Erlebnissen, lasst sich aber keine Halluzinationen ansuggerieren. Bei
solchen Vei suchen lacht er, sagt, er wisse schon, was man wolle.
a 5/ ”sPinn'e nicht. Er kenne das schon vom letzten Male her
Abendtemperatur 36,9 °.
5. T a g. Nachts sehr unruhig. Warf eine Kaffeeschüssel gegen
das Fenstergitter. Kann, wie seit Beginn der Delirien, kaum dazu
gebracht werden, etwas zu geniessen. Therapeutisch bekommt er
seit Beginn Bromkali und Opium. Heute heftige Halluzinationen.
Er erlebt wilde Dinge, muss Fässer anstechen, hat Händel mit der
Polizei usw. Suggestiv halluziniert er heute sehr leicht. Gegen
bend ruhiger. Bleibt stundenlang im Bett. Geniesst wieder etwas
Abendtemperatur 36,9 °.
• x-‘ Iagv ,Pa^.‘ ,^a* ziemlich gut geschlafen. Viel weniger des-
orientiert. Halluziniert kaum mehr. Tremor schwächer.
Abends ganz klar. Er weiss, dass er wieder „gesponnen“ hat:
schämt sich, sagt, er wolle sich nun zusammennehmen; das sei das
letzte Mal gewesen. Temperaturanstieg auf 38,5°; Lungenbefund
wie früher. Puls entsprechend gestiegen, 100 in der Minute
71-T,ag- ,Nachts gut geschlafen. Pat. ganz klar. Von früheren
epileptischen Anfällen nichts zu eruieren. Allgemeinzimmer. Abend-
temperatur 37,5 °; die folgende Zeit normal.
Urin zeigte während der Delirien Opaleszenz, jetzt wieder klar
Menge und spezifisches Gewicht ohne Besonderheit. Stuhl regel¬
mässig.
Das we*tere Befinden gibt zu keinen Bemerkungen Anlass. Pat.
fühlt sich recht wohl. Körpergewicht nimmt um 6 Pfd. zu. 5 Wochen
nach Eintritt wird in Davos ein Platz frei und Pat. reist dahin ab
Lungenbefund wie beim Eintritt. Husten und Auswurf haben nach¬
gelassen, nie Blut im Sputum.
Epikrise: In dem beschriebenen Falle handelt es sich
um einen sicheren Fall von Delirium tremens, dem ein epilep¬
tischer Anfall voranging. Pat. leidet an einer Lungentuberku¬
lose II. Grades, die in der letzten Zeit keine Verschlimmerung
zeigte. Auch während des Spitalaufenthaltes war nichts Der-
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2189
artiges nachzuweisen. Ins Spital wurde Pat. nur geschickt, um
hier auf einen erst später frei werdenden Platz in Davos zu
warten. Irgend ein Trauma hat Pat. nicht erlitten. Im Spital
befand sich Pat. unter weit günstigeren äusseren Verhältnissen
als draussen. Als auslösende Ursache für den epileptischen
Anfall und das Delirium tremens kann kaum etwas anderes
als der plötzliche Alkoholentzug in Betracht kommen.
Es wäre nun höchstens noch darüber zu diskutieren, ob
nicht der epileptische Anfall die Ursache des Deliriums gewesen
sei. Dass solches möglich ist, dafür finden sich in der Litera¬
tur genügend Belege. Aber epileptischer Anfall und Delirium
sind in diesem Falle sicher vorbereitet durch chronischen Alko¬
holismus; auslösend wirkte die plötzlich erzwungene Absti¬
nenz. Ob nun die Abstinenz den epileptischen Anfall, und
dieser wieder das Delirium ausgelöst hat, oder ob beides un¬
abhängig voneinander Folge der Abstinenz ist, scheint mir
für die prinzipielle Frage wenig wesentlich. Es liegt am näch¬
sten, den Anfall als eine Teilerscheinung des Delirium aufzu¬
fassen. Natürlich könnte noch eingewendet werden, Anfall und
Delirium wären auch bei Alkoholzufuhr eingetreten; das Zu¬
sammentreffen mit der Abstinenz wäre ein rein zufälliges.
Wenn nun auch das Gegenteil naturgemäss nicht bewiesen
werden kann, so hat dasselbe für den Vorurteilsfreien die
grössere Wahrscheinlichkeit für sich.
Sehen wir uns noch etwas in der Literatur über diese
Frage um. So schreibt
K r a e p e 1 i n 0 : „Die Erfahrungen der T rinkerheilanstalten
sprechen im allgemeinen durchaus nicht für das Vorkommen alko¬
holischer Entziehungsdelirien. Dagegen hat Bonhoeff er bei Ge¬
fangenen häufiger das Einsetzen rasch und günstig verlaufender Trin¬
kerdelirien 2—3 Tage nach der Verhaftung beobachtet. Auch ich
habe eine Anzahl derartiger Fälle, namentlich bei Landstreichern ge¬
sehen. Hier ist indessen zu berücksichtigen, dass ausser der er¬
zwungenen Enthaltsamkeit noch die ungünstigen sonstigen Wir¬
kungen der Einsperrung mitspielen.“
Cr am er2): „Gelegentlich nach einem vorübergehenden Aus¬
setzen in der Zufuhr alkoholischer Getränke - setzt die Krank¬
heit ein.“
Mendel3): „Epileptische Krämpfe, welche bei dem Delirium
tremens Vorkommen, können einer bereits vorhandenen Epilepsie an¬
gehören; zuweilen beginnt das Delirium tremens mit einem epilep¬
tischen Anfall, verdankt dem letzteren den Ausbruch, oder der epi¬
leptische Anfall ist die erste Erscheinung der alkoholistischen Gehirn¬
affektion.“
„Die Gelegenheitsursachen zum Ausbruch des Delirium tremens
bilden Entziehung des Giftes . endlich ein epileptischer Anfall.“
Kobert4): „Delirium tremens .... folgt teils auf Exzesse, teils
auf psychische Eindrücke, operative Eingriffe, plötzliche Entziehung
des Alkohols bei Trinkern.“
Oppenheim5): Man hat irrtümlich angenommen, dass die
Enthaltung von dem bis da regulären Alkoholgenuss dasselbe (näm¬
lich das Delirium tremens) hervorbringe.“
H a s c h e - K 1 ti n d e r 6) (nach Jahresbericht Wald eye r und
Posner 1905, p. 48): „Im ganzen handelt es sich um 273 Fälle von
Delirium tremens, welche innerhalb 2 Jahren beobachtet worden sind.
Bemerkenswert ist, dass in einem ganzen Teil dieser Fälle das De¬
lirium erst nach 4 — 5 tägiger Abstinenz zum Ausbruch kam.“
Bonhoeffer7) (nach Jahresbericht V i r c h o w und Posner
1901, p. 73): „Den epileptischen Anfällen kommt vor allem in Ver¬
bindung mit starken Trinkexzessen eine Delirium auslösende Be¬
deutung zu. Die plötzliche Alkoholentziehung ist für sich imstande,
bei schlecht genährten Individuen ein Delirium auszulösen.“
An anderer Stelle führt Bonhoeffer8) an: In Betreff der
Beziehungen der epileptischen Anfälle zum Ausbruch des Deliriums
spricht sich Kruckenberg bestimmt dafür aus, dass, der epilep¬
tische Anfall ein Symptom des Deliriums sei. Das Delirium kann sich
UKraepelin: Lehrbuch der Psychiatrie, VII. Aufl., 1904,
Bd. II, p. 103.
2) O. Binswanger etc.: Lehrbuch der Psychiatrie, 1904,
p. 188.
3) Ebstein-Schwalbe: Handbuch der praktischen Medi¬
zin, II. Aufl.. 1905, Bd. III, p. 106.
4) R. Kobert: Lehrbuch der Intoxikationen, II. Aufl., 1906.
Bd. II, p. 941.
8) O. Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten, III. Aufl.,
1902, p. 1191.
6) H a s c h ie - K 1 ii n d e r : Zur Pathologie des Delirium alco-
holicum. Mitteilungen aus den Hamburger Staatskrankenanstalten.
Hamburg 1905.
7) K. Bonhoeffer: Die akuten Geistesstörungen der Gewohn¬
heitstrinker. Monographie. Jena 1901.
8) K. Bonhoeffer: Zur Pathogenese des Delirium tremens.
Berl. klin. Wochenschr. 1901, Jahrg. 38, No. 32, p. 832.
direkt an den Anfall anschliessen oder aber es liegt ein freies Inter¬
vall dazwischen von 24 — 60 Stunden. Die ersteren Fälle zeigen oft
etwas anderen Verlauf als die gewöhnlichen Alkoholdelirien, die letz¬
teren sind von solchen nicht zu unterscheiden. In den Fällen mit dem
freien Intervall soll nach ihm dem epileptischen Anfall, in Verbindung
allerdings mit noch anderen Ursachen, eine deliriumauslösende Be¬
deutung zukommen. — Bei der Frage der Abstinenzdelirien erwähnt
er Smith, Villers, Jacob sohn und Kraepelin, die der
Alkoholentziehung gar keine Bedeutung zumessen; auf der anderen
Seite stehen R o s e, J o 1 1 y, E 1 s h o 1 z u. a. Er selbst sagt, dass
unzweifelhaft die Gefahr der Abstinenz überschätzt worden sei:
kommt aber zu dem Schlüsse, dass es Abstinenzdelirien gebe. Meist
brechen diese 2—3 Tage nach Beginn des Alkoholentzuges aus, also
nach einem Zeitraum, den wir auch sonst zwischen auslösender Ur¬
sache und Deliriumausbruch liegen sehen. Symptomatologisch sind
sie in nichts von gewöhnlichen Alkoholdelirien zu unterscheiden, nur
verlaufen sie im ganzen etwas schneller und harmloser.
Im ganzen darf somit gesagt werden, dass
heute die Frage der Abstinenzdelirien von
den meisten Autoren bejaht wird. Dass nach Be¬
ginn des Delirium Alkoholzufuhr keinen oder nur unbedeuten¬
den Einfluss auf Länge und Verlauf des Delirium ausübt, wird
allgemein betont. Wenn also auch dem Alkohol keine Bedeu¬
tung im Sinne eines Heilmittels zuzuschreiben ist, so darf
aus dem Vorkommen von Abstinenzdeliiien
andererseits doch abgeleitet werden, d a s s
man zur prophylaktischen Alkoholzufuhr im
Sinne einer allmählichen Entziehung zum
mindesten berechtigt ist.
Aus Prof. Chiaris pathologisch-anatomischem Institute an
der Raiser-Wilhelms-Universität zu Strassburg i/E.
Ueber multiple kavernöse Hämangiome im Darme.
Von Dr. iSakaye Ohkubo aus Tokio.
Durch zwei, im Jahre 1906 erschienene einschlägige Publi¬
kationen wurde die Aufmerksamkeit der Pathologen neuer¬
dings auf diese, übrigens schon seit langem bekannten, merk¬
würdigen Gebilde im Darme gerichtet. Es waren dies die
Publikationen von Bennecke1) und von Ma c C a 1 1 u m -).
Der Fall von Bennecke betraf einen 52 jährigen, an tuberku¬
löser Meningitis gestorbenen Mann. Bei der Sektion des Darmes
wurden dicht nebeneinander stehende, Stecknadelkopf- bis gut
bohnengrosse, die Schleimhaut vorwölbende, dunkelbraum ote,
mässigderbe, unregelmässige Knoten in der Submukosa gefunden.
Dieselben Gebilde fanden sich auch im Magen und im Oesophagus.
Diese Knoten bestanden aus einem System kommunizierender, zum
Teile mit Blut gefüllter Hohlräume, welche mit den benachbarten
Venen innigen Zusammenhang hatten. Bennecke meinte, dass
diese Gebilde als kavernöse Phlebektasien, und zwar als angeborene
bezeichnet werden müssen.
Einen ganz analogen Fall publizierte M a c C a 1 1 u m, in welchem
es sich um einen 54 jährigen Mann handelte, bei dem die Sektion
Atrophie und Oedem des Gehirns, Arteriosklerose, chronische, diffuse
Pankreatitis, beginnende Cirrhosis hepatis und Bronchopneumonie
grg
Im ganzen Dünndarme, besonders in den oberen Partien des
Jejunums, fanden sich ungefähr 40 submukös gelegene, dunkelrote,
bis auf 7 — 8 mm im Durchmesser haltende Knoten von ungleich-
mässigem Umrisse. Mikroskopisch Hessen sie sich als Blutgefäss¬
geschwülste von kavernöser Struktur, welche aus sinuös erweiterten,
innen von Endothel ausgekleideten, mit Blut gefüllten Hohlräumen
bestanden, erkennen.
Da ich nun selbst zwei solche Fälle zu untersuchen Ge¬
legenheit hatte, erlaube ich mir, dieselben hier mitzuteilen.
Erster Fall: Frau von 66 Jahren. Datum der Sektion: 12.
Arpil 1907 (25 Stunden nach dem Tode).
Klinische Diagnose (Klinik Moritz)-. Marasmus senilis.
Bronchitis chronica. Insufficientia cordis. Bronchopneumonia (?).
Im Sputum keine Tuberkelbazillen.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Bronchitis
suppurativa. Bronchiectasia. Emphysema pulmonum. Hypertrophia
cordis ventriculi dextri. Pneumonia crouposa lob! medii pulmoms
dextri. Blepharadenitis. Exostosis calvariae. Lien accessorius. Ky-
phosis arciformis. , , . , , . £ , ,
Die Wand des ganzen Darmes war blass und zeigte bis auf zahl¬
reiche „Varicen“ in der Submukosa des Jejunums keine pathologische
Veränderung.
1) Bennecke: Ueber
ungstraktus. V. A. Bd. 184.
Phlebektasien des Verdau¬
kavernöse
1906. • * . -
2) MacCallum: Multiple cavernous Haemangiomata of the
intestine. The Johns Hopkins Hospital Bulletin, Vol. XVII, No. 185, 1906.
•19Ü
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
t Z w,fJrf e,L 79 J'ähriger Pfründner. Datum der Sektion:
o. Juni 1907 (22 Stunden nach dem Tode).
K I i n i s c h e Dias n o s e (Abteilung Kien): Bronchitis chro¬
nica. Emphysema. Myodegeneratio cordis.
. . ,p.a t ho logisch-anatomische Diagnose: Morbus
inghtn chronicus cum atrophia granulari renum. Hypertrophia cor¬
dis ventriculi sinistri. Encephalomalacia multiplex circumscripta. Em-
pn\ sema pulmonum. Bronchitis suppurativa. Pneumonia lobularis.
Loncietio coidis cum pericardio. Cysticercus subcutaneus thoracis.
In der Submukosa des ganzen Dünndarms fanden sich zerstreut
zahlreiche, bis erbsengrosse „variköse“ Knoten. Der grösste der-
sc I beii sass in der Pars descendens duodeni und war Vs ccm gross.
wr , j ^flauerer Betrachtung boten die erwähnten Knoten in de->-
Wand des Dünndarmes in beiden Fällen ganz gleiche Verhältnisse
dar. Sie lagen in der Submukosa und prominierten je nach der
jiossc mehi minder in das Darmlumen. Die Schleimhaut darüber
war makroskopisch nicht verändert. Im durchfallenden Lichte be¬
trachtet, erschienen die Knoten von dunkelroter Farbe, unregelmässig
geformt und an den Venen sitzend. Ihre Konsistenz war derb
■elastisch. Beim Anschneiden entleerten diese Gebilde teils flüssiges,
tu s gei on neues Blut und zeigten deutlich einen kavernösen Bau.
Mehrere Knoten von verschiedener Grösse wurden von beiden Fällen
ui Formalin-Alkohol gehärtet, in Zelloidin eingebettet und mikro-
tomiert. Als Tinktionsmittel wurden Hämatoxylin-Eosin, die van
1 1 e s o n sehe Lösung und die Weigert sehe Farblösung für elasti¬
sche Fasern angewendet.
Die mikroskopische Untersuchung beider Fälle ergab ganz
gleiche Resultate und stimmten diese mit den Ergebnissen anderer
Versucher in solchen Fällen überein. Die Knoten waren aus überall
mit Endothel ausgekleideten, untereinander kommunizierenden Hohl-
raumen von verschiedener Form und Grösse zusammengesetzt Sie
beschrankten sich regelmässig auf die Submukosa. Nur in dem ge¬
nannten grössten Knoten von Fall II waren einzelne Hohlräume auch
in die zirkuläre Schicht der Muscularis intestini eingelagert, so dass
diese vielfach durchbrochen war. Die longitudinale Muskelschicht
\\cii an diesei Stelle bedeutend verdünnt. Die Wandungen der
Bluträume waren ungleichmässig dick und bestanden aus derb-
aserigem Bindegewebe, spärlichen glatten Muskelzellen und reich¬
lichen elastischen Fasern. Diese letzteren zeigten dabei verschiedene
Dicke und waren in ihrem Verlaufe hie und da unterbrochen: stellen-
w eise fehlten sie auch ganz in den Scheidewänden. Sie waren dabei
Immer in Form eines feinen Netzwerkes angeordnet. Ferner fand
sich in diesem Trabekelsystem eine Anzahl von in den Schnitten quer
oder längs getroffenen, kleinen Blutgefässen, welche als Vasa vasorum
angesehen werden mussten. Manche Hohlräume enthielten einen
Irischen oder einen schon in Organisation begriffene Thrombus. Es
gelang mir auch zu konstatieren, dass diese blutführenden Hohlräume
mit Venen der Nachbarschaft kommunizierten, welche dabei bedeu¬
tend erweitert und mit Blut strotzend gefüllt waren. Ausserdem
war ich im stände nachzuweisen, dass in der Nachbarschaft der Knoten
II1 1. ei -ubmukosa reichliche Neubildung von Blutgefässen kleinsten
Kalibers stattgefunden hatte, welche hie und da zarte, bloss mit
einer endothelialen Wand versehene Gefässsorossen bis in die Mukosa
aussandten. Dieser Befund muss wohl als Vorstadium der beschrie-
henen rumoren gedeutet werden. Arterien konnten mit dem Tumor
/echt in Beziehung gebracht werden; ihre Wandungen waren intakt
ns auf senile Veränderungen. Die die Knoten überziehende Schle.im-
,ut hess mikroskoipsch auch nicht die geringsten Veränderungen
erkennen.
Aus dem mitgeteilten gellt hervor, dass es sich hier nicht
, ' i 11111 11111 einfache Varizen in der Submukosa des Darmes
Handelte, wie es bei der Sektion zunächst den Eindruck machte
und wie solche Varizes so häufig bei älteren Individuen an
anderen Stellen des Körpers gefunden werden. Wir haben es
hier vielmehr mit Gefässgeschwiilsten zu tun, welche von
\ eilen ausgingen und einen kavernösen Bau zeigten. Es geht
das nanientlich daraus hervor, dass die Knoten einerseits "ge¬
wisse Beziehungen zu Venen der Nachbarschaft hatten
andeieiseits auch Neubildung kleinster Gefässe aufwiesen.
Darnach ist der Name Hämangioma fiir diese Bildungen
v ohl gei echtfertigt. In Analogie mit den Tumores cavernosi
lepabs die auch aus lokaler Neubildung von Venen entstehen
(Bmchan ow ), scheint mir für die geschilderten Knoten
m der Submukosa des Darmes der Name kavernöse Häm¬
angiome passender als der von Bennecke gebrauchte Ter¬
minus: kavernöse Phlebektasien.
Pie Häufigkeit solcher kavernöser Hämangiome im Darme
Juiitc giösser sein als gewöhnlich angenommen wird Ich
land meine 2 Fälle bei konsequenter genauer Durchsuchung des
ganzen Darmkanals unter etwa 100 Sektionen Erwachsener.
I hese Hämangiome können nur sehr leicht übersehen werden.
3) Brüchanow: Ueber die Natur und Genese der kavernösen
unungiome der Leber. Zeitsclir. f. Heilkunde, Bd. XX, 1899.
Hic einschlägige Literatur ist eine kleine und ich kann dies¬
bezüglich auf das von Bennecke und M a c C a 1 1 u m zu-
sannnengestellte Literaturmaterial verweisen.
Sarkom und Trauma.
Von Dr. Oskar Orth.
Während man früher gar nicht an die Möglichkeit des Zu¬
sammenhangs zwischen Geschwulstbildung und Trauma dachte,
ist in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit immer mehr darauf ge¬
richtet. Zur Erkennung dieses Konnexes trugen bei einesteils
die aus den Unfallsakten geschöpften Resultate, anderenteils
die bei der Tuberkulose gemachten Erfahrungen. Gerade durch
letztere hat die I heorie von der mithelfenden Beeinflussung
festeren Boden gewonnen. Denn man fand, dass Tuberkulöse
sehr leicht nach Verletzung eine tuberkulöse Erkrankung der
verletzten Stelle bekamen. Die angenommene Möglichkeit,
dass ruhig im Gewebe liegende Geschwulstzellen durch
äussere Veranlassungen zur Entwicklung gebracht werden, —
eine Hypothese, mehr durch Dialektik denn wissentliche Tat¬
sache gestützt — hat wie so oft, so auch in den beiden näher
zu beschreibenden Fällen eine praktische Bedeutung erlangt.
Ein 46 jähriger, früher stets gesunder Mann, erlitt vor 4 Jahren
eine Kontusion des linken Hodens, welche längere Zeit ohne be¬
merkenswerte Folgen blieb. 1 Jahr nach dem Unfall trat eine
Vei gi össei ung ein, die in 4 — 5 Monaten Kindskopfgrösse er¬
reichte. Geringe subjektive Beschwerden. Mit Rücksicht auf das
rapide Wachstum der Geschwulst wurde die Exstirpation des sich
als sein blutreich erweisenden 1 umors, samt den Inguinaldrüsen aus-
getuhrt. Die mikroskopische Untersuchung ergab:
Alveolär angeordnete Haufen von runden, grosskernigen Zellen,
die durch mehr oder minder breite Züge derben, äusserst zellarmen
Bindegewebes von einander getrennt sind. Da sehr nahe Beziehungen
zum Gefässystern bestehen, ist die Diagnose: Angiosarkom gesichert.
I atient, nach 14 1 agen geheilt entlassen, stellt sich nach Ablauf eines
Jahres, wahrend welcher Zeit er vollständig arbeitsfähig war, mit
einem Rezidiv vor, das vom rechten Hoden bezw. Samenstrang aus¬
gehend, sich über die ganze Symphysengegend erstreckte. Die Ope¬
rationsnarbe wenig infiltriert, dagegen oberhalb des P o u p a r t sehen
Landes der linken Seite eine etwa gänseeigrosse mit der Unterlage
fest verwachsene Metastase. Mit Rücksicht auf die Aussichtslosig¬
keit eines operativen Eingriffs, wird dem Patienten, der infolge Stau-
’Ungserscheinungen und Druckschmerzen bei der Arbeit sehr behindert
ist, die Röntgenbestrahlung empfohlen. Das Resultat derselben be¬
stand in einer analgesierenden Wirkung, sowie in einem geringen, ie-
doch immerhin deutlichen Zerfall der Tumormasse. Patient entzog
sich der weitern Behandlung.
Vo.- jährigen Mädchen, dessen Grossvater an einem
Karzinom des Oberkiefers gelitten haben und daran gestorben sein soll,
Pnifi^R3 Jahren anderswo ein Prämolar des linken Unterkiefers
entfernt. Bei der Extraktion brach die Krone ab und so mussten die
Wuizeln einzeln gezogen werden, was
erst nach mehrfachen Versuchen mit der
Zange— schliesslich mit dem Schlüssel (!)
gelang. Die Folge war eine starke, —
schliesslich zur Abszedierung führende
Periostitis. Der Eiter wurde durch In¬
zision nach aussen entleert und dabei ein
Sequester mitentfernt.
Nach ca. 4—5 Monaten trat an dieser
Stelle eine Verdickung auf, die zuerst
durch Auflegen feuohtwarmer Kompres¬
sen erfolglos bekämpft wurde. Denn die
Schwellung nahm zu und bildete sich zu
einer Geschwulst aus, die schliesslich ex-
zidiert wurde. Doch schon % Jahr nach
dem Eingriff entwickelte sich im Bereich
der Narbe, der in der Photographie dar¬
gestellte Tumor. Es wurde nun die Resektion der Pars alveolaris
des Unterkiefers von mir ausgeführt, dabei zeigte sich ein zentral
sitzendes Osteosarkom, wie man es ausser dem Unterkiefer auch noch
in den Epiphysen der grösseren Röhrenknochen beobachtet.
le miki oskopische Untersuchung ergab: Riesenzellensarkom.
Was nun die Entstehung beider Geschwülste betrifft, so ist
dieselbe noch dunkel; beiden gemeinsam aber ist ein voraus¬
gegangenes Iiauma, wozu als weiterer ätiologischer Faktor
beim 2. Fall noch die hereditäre Belastung tritt; doch wie
ereits eingangs erwähnt, ist analog bei Tuberkulose, auch
bei Sarkomen der Zusammenhang mit lokalem Trauma sehr
mufig lestgestellt; besonders Senf t leben (v. Langenbecks
Archiv, Bd. 1) hat diese Ursache gerade für die zentralen
Osteosarkome besonders hervorgehoben; er gibt an, dass
ti aumatische Ursachen fast immer nachzuweisen waren, im An-
29. Oktober 1907.
Schluss daran habe sich der Turnen Mne.st rasch ^nnenen J
M°"ate" “iiSr o"der e von TeM ab langsam weiter ge-
stationar gebheber oder sei^ ^ zuweilen, bei der Ent-
" f.klnng einer Geschwulst einen Schlag, Stossetc. bekommen m
Wicklung einer Festsetzung einer Unfall-
haben, umsonic^u wemi es s zu erwarten und es
rente handelt. Meine t-at e willkürlich gemachten
ÄÄ” " r ä:
Ä&ÄÄen mehrere Insulte hinter-
einander eingewirkt. prsebien mir nach zwei-
Die Publikation be‘f 1 im Falle einer Be-
facher Hinsicht interessant. . Patienten entscheiden,
gutachtung diese sich zu g vielleicht geeignet, die
die Mitteilung des letzteren unterstfltzeIli welche an-
Experimente der Allt01 , Hellen eine Abnahme der
nehmen, dass auch bei n < hemmungen sich erzielen
Restitutionsfähigkeit der pi^Ä”SSfr Intensität ohne
ErhoiuMsmöghehkdt ^einander rasch angewandt wird.
s e n f 1 1 e b e n (Archil Ungelenk Bd .J ™e/,;
ST Re"w"Sr Te r" Das ewäenmto' bösartigen Geschwülste -
jfv.Ao^maVn: Kabelten der BeWegangsor|ane. - Vn-
chow: Die krankhaften Geschwülste. B(^j *
Ein Mittel zur Erzielung konstanter Pole bei der
Wimshurst-Influenzmaschine.
Drehung der Kurbel dieselben in . Beti eb sein J ye Elektrizität
weiss, an welchem Konduktor die posm d g nd hat dem-
sich ansammeln wird; man muss dies einiacn
nach dann seine Massnahmen emzut • Hauptkonduktoren
„Bei den Influenamaschmen zeichnen ^die^naup^^^^ resp
Statte ffiuS « «eibt dem
»5 ff! ife
sind,Bf kÄÄs-ffiS «
gerade wünscht, die I ole hervorrui . 3 erhebliche in der
ÄÄÄÄP»ile.' dass dieselbe letz, kaum
Maschinen wird es daher ff man diese Ma-
dass die Pole nicht konstant sind. I besonders wen n r zt_ was
schinen zur Erzeugung von R o nt ge ms tia ausrdcht und
erhält, nach Vornahme der umgekehrten Einschaltung
schon von neuem umgesprungen sind. elektrostatische
Aber nicht weniger für andere Zwecke z. B. die elekt ros« ™
Kopfdusche, die Frank Husche Ladung ei c. ■ e tc. ^ “eSre„eJtive
sehenswert, vorher zu wissen, wo der posi Einschaltungen
Pol sich etablieren wird, damit gleich die r^ht'^V A cnderungen
gemacht werden können, ohne erst -nachher eventuelle Aenüerungen
vornehmen zu mussemnden das§> wenn man eine Hartgummdamelle
etwa von der Länge des Halbmessers der Scheib« i und beiläufig
einigen Zentimetern Breite am besten mit einem wollenen tro, ckenen
Tuche reibt, bis dieselbe elektrisch geworden ist und diese da
von oben her radial innerhalb des von den zw
Verteilern gebildeten spitzen W inkels in den Kaun
7 wischen den beiden Scheiben hineinhalt, wahrend man
dann sofort die Scheiben selbst durch Drehen der Kurbel von link
i) Vergl. auch Ziegel roth; Handbuch der physikalisch-diä¬
tetischen Therapie, pag. 280.
nach rechts (also dem Zeiger der Uhr entsprechend) in Rotatta" ver-
setzt ohne jede Ausnahme stets der Einsauge rae
rV?v. + Pn g p i t e negative Elektrizität aus den Schei¬
ben auf nl m m t. der andere natürlich positive, gleichviel welche
Polanordnung ohne diese Intervention die Maschine vorher ge-
zeigt hatte Hineinhalten der Hartgummilamelle in der
Hegel eZ Sekunden, und kann die erstere sofort wieder entfernt
werden, sobald die bekannten negativen Lichtbüschel am rechts-
Sel,iSf "iS Fältt ÄÄ « acllten- dass' ebe",s0 %vie ,ma“
die k" radaVn drehen darf, wenn fm~ ATft?
ä äS:;:
her Vmm 'sHUs t°a n d gebracht werden muss, ehe die be¬
sagte kleine Manipulation erfolgreich "die nega-
t i V f Seite r stets mft der H o h 1 s p i e g e 1 k a t h o d e der Rontgen-
rÖhr ' bmih“ndaesn soeben beschriebene höchst einfache Verfahrenst
es also ermöglicht, auch bei Benutzung von W t m sh u r s t. .m
raVeTiMsenftkktLVfambeUem°so dass nun auch einmal her-
gestellte" Verbindungen der Maschine mit der Röntgenröhre bezw.
d^ Koptgtockt dem Isolierschenrel nsw. vollkommen stabil ver-
blelbS" dürfte sich daher empfehlen, dass diesen Maschinen von jetzt
ab gPetch vom Fabrikanten ein entsprechender Hartgumm, streifen zu
oben bezeichnetem Zwecke beigegeben wuide.
Die Schule für Tropenmedizin in Liverpool.
Von Prof. Dr. med. et phil. R. O. Neumann, Heidelbeig.
Die Bedeutung der tropischen Krankheiten für die Kotonien, die
m“"m‘ÄdÄ SÄkäntllch in der bevorzugten Lage
sr ääi ssff
ÖÄÄ « re ich und Eng .and, wo
die kolonialmedizmischen Fragen ^mtol^ge der noch ^‘gf™fderes
jnteressfhaben müssen, und dementsprechend auch noch mehr Aerzte
Sh -e Ä aWÄÄ Ve‘n SÄ
Koiomen zum Teil Fdmten angeghede^^sm^^ ^ London und
iSSSSSSae:
durchLVv e* o”VtaUe‘Äsenhaften Welthandel ging in der
Gründung der Tropeninstitute voran und kann im folgenden Jahre
n!edlD"eSTrop enschuleMldefein Glied der « r r’s ^ f'b Jhs fäur'Te' C L flT -
versität und ist auch, so weit es i Horsate und Arbatsramfc L ^
iSni” »
aber SfsT "g jo den
l0SieWie beiyE?Snng von Instituten, die dem Gemein¬
wohl und der Wohlfahrt des Lamles dienen so wdfach^ h J
herziger Weise die 0™d“n8 : an t Pr vahnmeh ^•(;ha[t „Ilter
auch die Tropenschuie wn der ^lvgp^0lQi) einem weit über Eng-
SeJSÄ
dem Tropeninstitut nach seinem Namen benannt. j 0 n e S fast
Zu den Unterhaltungskosten der bcnuie, u Verhältnis-
ausschliesslich selbst übernimmt, trägt der Staat nur une verhaltms
2192
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
massig geringe Summe bei, wofür letzterem das Recht zusteht, einige
Arbeitsplätze für sich resp. für vom Staat aus gesandte Studierende
oder Aerzte zu belegen.
Es leuchtet aber ein, dass der Spender des Legates auf die Be¬
setzung seiner ersten Professur das Recht der Auswahl der Pro¬
fessoren für sich in Anspruch nehmen darf und auch nimmt.
Neben diesem Institut in der Universität, in welchem die Kurse
abgehalten werden und Arbeitsplätze für angehende Kolonialärzte
vorhanden sind, ausserdem .die entomologische Abteilung und die
tropenmedizinische Sammlung untergebracht sind, hat sich für Ver¬
suche im grossen Massstabe und Infektionsversuche mit tropischen
Krankheiten an grösseren Tieren ein Laboratorium ausserhalb der
Universitätsgebäude als notwendig erwiesen. Hierzu wurden aus¬
gedehnte, der Universität gehörende Komplexe in Runcorn, einer
nahe bei Liverpool gelegenen Stadt am Meere mit herrlichen Weide¬
plätzen für Qrossvieh, gewählt.
Hier entstanden auch, in Crofton Lodge, einer Anhöhe des
Ortes, die Runcorn Research Laboratories mit vielen
Ställen und Einzellaboratorien, die ein vielseitiges Arbeiten möglich
machen, da Versuchstiere in grosser Zahl untergebracht werden
können. Die Unterhaltungskosten dieser zweiten wichtigen Arbeits¬
stätte werden ebenfalls von Sir Alfred Jones getragen.
Es bietet einen erfreulichen Anblick und gewährt gleichzeitig
ein Gefühl der Befriedigung, wenn die grossen Versuchstiere, Pferde,
Esel, Rinder, ungefesselt und frei auf den riesigen Weideplätzen sich
tummeln und in diesem natürlichen und normalen Zustande heran¬
wachsen können. Dass solche Art des „Wohnens“ die beste Gewähr
bietet für eine gedeihliche Entwicklung der Tiere, bedarf keines Be¬
weises. Auch wird die Beobachtung und Beurteilung entstehender,
io 1 tsch i eilender und heilender Krankheiten dadurch in hohem Masse
erleichtert und gefördert, und daher scheint es nur natürlich, dass die
hier erzielten Resultate bisher unanfechtbar gewesen sind.
• Jn ,ganz anal°£er Weise werden andere, von diesen getrennte
Weideplätze für „S e r umpf erde“ verwendet, die dem Serum -
departement der Liverpoler Universität gehören. Die
Institute für die Serumgewinnung liegen nahe an den Gebäuden der
I ropenschule und sind zum Teil mit einander verbunden. Der Ver¬
brauch und die Verwendung der Sera ist bedeutend, und da auch die
englischen Kolonien zum Teil damit versorgt werden, so harren täg¬
lich grosse Mengen der Abfertigung. Hergestellt werden Tuber¬
kulin für Menschen und Tiere, D i.ph t he r i e h e i 1 s e r u m,
1 estserum Kuhpockenlymphe, Rauschbrand he il-
mittel, Mallein, Rattenvertilgungsmittel und Milz¬
brandserum.
Besondere Ställe für Pferde und eine eigene Lymphgewinnungs-
komplexVerV° k°mmnen den medizinisch-Pathol<>£ischen Gebäude-
• + i^UI Beobachtung ft’r Patienten, die an Tropenkrankheiten leiden
udem Tropeninstitut das Royal Southern Hospital in der
Nahe der Docks angegliedert, welches eine Spezialabteilung für solche
Patienten enthalt und dauernd mit Kranken aller Nationen, die bei dem
riesenhaften Schiffsverkehr, den Liverpool aufzuweisen hat2), be¬
setzt ist. Auch in dieser Beziehung ist Liverpool gleich wie Hamburg
viLI°rZUg Ich geeigneter 0rt> tropische Krankheiten zu sehen und
prnen,n Ausser Malaria fand sich zur Zeit meines Aufent¬
haltes Ben-Beri, Dysenterie und Sprue.
Die Leitung der Liverpooler Tropenschule liegt in den bewährten
I?:“ vonn Professor Ronald Ross, jenes bekannten Forschers,
UpWr • vo*lstandige Entwicklung der Vogel-Malariaparasiten im
Uebei träger zuerst nachwies und klarlegte und dessen gesamte Lei¬
stungen auf dem Gebiete der Tropenmedizin 1902 mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet wurden. Als „L e c t u r e r s“ stehen ihm zur Seite das
langjährige Mitglied der Schule Dr. J. W. W. S te ph ens und einer
der bekanntesten Entomologen, R. Newstead, ebenso für das Ge-
Di Hd<E AengiepCthtendeni Pathologie , 'der Professor der Pathologie
, ^nPeXt’ welcher auch gleichzeitig Direktor des Serum¬
departements in Runcorn ist. Bei der Eröffnung der Research
Pab,.° rato r i es fungierte in Runcorn Dr. J. L. Tod d ehemaliges
Mitglied der Schlafkrankheitsexpedition im Kongostaat.’ als Leiter¬
in an seine Stelle Dr- Anton Brei n], der
an der Gelbfieberexpedition nach Manaos in Brasilien 1905 mit teil
nahm Als Mitarbeiter wirken in Liverpool wie in Runcorn noch
eine Reihe Aerzte und Assistenten, die teils bei den Kursen beteiligt
sind, teils sich rmt Spezialarbeiten beschäftigen. g
i • Die A u s b illd u 11 £ Ger Studierenden geschieht in Kursen die in
bchetn °T 3 mal ’n iahr-e abgehalten werden und zwar in dreimonat¬
lichem I urnus mit Beginn im Januar. Mai und Oktober. Derartige
Kurse tragen hier mehr den Charakter von Schulunterricht etwa
entsprechend unseren Seminarien an den Universitäten, während be¬
kanntlich die Kurse im Hamburger Tropeninstitut durchaus die freien
Einrichtungen der üblichen Universitätskurse aufweisen vfelieS
1) B'e auswärtigen Besitzungen
des Deutschen Reiches betrugen 1903 2597200 qkm
\°n Frankreich „ „ 8 770 000 „
^ng.an,d, . T ” 27 847 500 „
) Es laufen im Jahre in Liverpool über 30 000 Schiffe ein vnn
denen allein 1200-1500 aus tropischen Kolonien kommen.
liegt dies mit daran, dass am Ende jedes Kurses ein sehr strenges
schriftliches und mündliches Examen abgelegt wird, dem sich aber
nicht alle Teilnehmer zu unterziehen brauchen. Auf Grund der be¬
standenen Prüfung erfolgt die Aushändigung des „D i p 1 o m a o f
Iropical Medicin“, welches für die kolonialen Ernennungen
von Bedeutung ist.
Das Honorar ist, nebenbei gesagt, nicht ganz niedrig. Es be¬
trägt für einen Kurs 10 Guineen = 210 M„ und für das Diplom¬
examen nochmals 5 Guineen. Trotzdem ist die Zahl der Aerzte, die
sich dem Examen unterziehen, erheblich. Sie betrug in Liverpool
allein in den letzten 3 Jahren über 80. Zugelassen werden nur Aerzte,
die das Staatsexamen bereits gemacht haben und es erstreckt sich auf
eine schriftliche Prüfung in Tropenmedizin, tropischer Pathologie,
tropischer Gesundheitslehre und Entomologie, ausserdem wird ein
klinisches Examen vorgenommen und eine mündliche Prüfung.
Dementsprechend erstrecken sich die Lehrfächer auf all diese'
Gegenstände und es besteht hier kein Unterschied zwischen den Ein¬
richtungen in Hamburg und in Liverpool. Auch in dieser Beziehung
wird in beiden Instituten ein Augenmerk darauf gerichtet, dass die
Professoren und Dozenten selbst sich längere Zeit in den Tropen
aufgehalten haben.
Die Liverpooler Tropenschule hat aber nicht nur ihren Ruf
auf die Kurse und die Lehrtätigkeit geriindet, sondern es sind vor
allem die vielen Expeditionen, die von ihr zur Erforschung tro¬
pischer Krankheiten ausgegangen sind und die sie berühmt gemacht
haben. So wurden seit dem Jahre 1899 nicht weniger als 19 Ex¬
peditionen ausgerüstet, die sich die Erforschung der M a 1 a r i a,
des Schwarzwasserfiebers, der T rypanosomen-
k rank hei ten, speziell der Schlafkrankheit, des gelben
Fiebers und einiger besonderer Erforschungen zur Aufgabe
machten. Auch in diesem Jahr befinden sich zwei Expeditionen unter¬
wegs: die eine zur Erforschung der Verbreitung der Schlafkrankheit
unter DDr. Kinghorn und Montgomery nach Kalomo und
eine zweite zum Studium des Schwarzwasserfiebers nach B 1 a n t v r e
unter DDr. B a r r a 1 1 und Y o r k e.
Die hohen Kosten, welche solche Expeditionen verursachen,
werden in England ebenfalls meist von einzelnen Gönnern oder Inter-
essenten getragen oder Privatgesellschaften rüsten derartige Ex¬
peditionen aus. Es verdient dieses Vorgehen nicht nur vollste An¬
erkennung, weil die Geldmittel dadurch leichter aufgebracht werden,
sondern ganz besonders dadurch, dass die grosse wissenschaftliche
und vor allem wirtschaftliche Bedeutung derartiger Forschungsreisen
von seiten jener Spender in ihrem wirklichen Werte erkannt wird.
Und es unterliegt keinem Zweifel, dass die aus¬
gezeichneten Resultate, welche bei den so zahl¬
reichen Expeditionen erzielt worden sind, den
englischen Kolonien und somit dem Mutterlande
bereits unschätzbare Dienste geleistet haben. Der
piaktische Blick der Engländer hat auch hier er-
k an nt, ^sssoangelegtes Kapital reichliche Zinsen
tragt. Mochten solche leuchtende Beispiele auch
bei uns mehr Nachahmung finden! An geeigneten
Kräften, die sich den an sich schwierigen Expe-
ditionsaufgaben mit Erfolg unterziehen könnten,
fehlt es nicht!
Will uuci U1C
ouiMmi diiiYiieri, ueren
«« , - » - - ucrvampiuiig ja oeKanntncn
unter allen tropenmedizinischen Fragen zurzeit im Vordergründe
steht, auch im Binnenlande experimentelle Erfahrungen — wenig-
stens an grossen Tieren — zu sammeln, wurden erst jüngst von
Alfred Jones grosse Summen gestiftet und der Liverpooler
I ropenschule uberwiesen. Diese von Dr. Nierenstein seit
Jahresfrist ausgefuhrten und zurzeit noch fortgesetzten Versuche mit
der kombinierten Behandlung von Atoxyl und Sublimat an Pferden
und Eseln haben zu sehr schönen Resultaten geführt, so dass die
Hoffnung auf gute Erfolge beim Menschen gegeben ist. Es wird auch
im nächsten Jahre voraussichtlich eine neue „Schlafkrankheits“-
expedition am Menschen dieselben Versuche zu wiederholen haben
u™.zu sehen, ob diese höchst interessanten Ergebnisse sich be¬
stätigen lassen.
Die Experimente werden in den Research laboratories in Runcorn
ausgefuhrt, dem für derartige Versuche ungemein günstigen Platz
. . Ple Resultate der wissenschaftlichen Arbeiten und tropenmedi¬
zinischen Forschungen, ebenso die Ergebnisse auf den Expeditionen
wurden früher in Memoirs“ herausgegeben, jetzt ist dafür die fort¬
laufende Zeitschrift „Annales of Tropical Medicin e and
Parasitology1 eingetreten, von denen der 3. Band eben im Er¬
scheinen begriffen ist.
Auch für dieses mit vielen Tafeln ausgestattete Archiv sind Zu-
wendungen von privater Seite vorhanden. Und eine weitere Stiftung
hat dafür gesorgt dass hervorragende, auf dem Gebiet der Tropen-
lpihc|1Ur-f-i)eWFhrte ,Mani?e^ ~ die an der Liverpooler Tropenschule
durch ^i^T Slnd ausgenommen — mit der Auszeichnung
durch die „The M a ry Kmgsley Medal“ bedacht werden
n0aaen’ 'T i/eit ZU Zeit A.verliehen wird. Bisher wurde sie
h6’ £ v -c h’ ^a Y e r a n’ M a n s o n, Danielewsky, F i n -
1 a y H a f f ki n e, G o 1 g i, G o r g a s, L o o s und S m i t h überreicht.
Zu den besten Lehrmitteln der Tropenschule gehört unstreitig
d!e, 0 P e n nje d i z i n i s c h e Sammlung, die infolge der
zahlreichen Expeditionen ausserordentlich schöne und wertvolle
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2193
Stücke menschlich- und tierisch-pathologischer Natur aufweist. Ganz
besonders erfreut den Sammler aber die Fülle der Insekten, Mücken,
Fliegen, Zecken u. a. blutsaugende wie nicht blutsaugende, die mit
all ihren verwandten Arten eine selten schöne Vollständigkeit auf¬
weisen. Hiermit ist der Name des Entomolgen Newsteads
dauernd verbunden. _ ,
Die Schule ist während der Kurse meist von Engländern oder
aber von Aerzten aus englischen Kolonien besucht, es nehmen aber
auch „ausserenglische“ Ausländer daran teil, wobei beim Dekan der
medizinischen Fakultät um Erlaubnis nachzusuchen ist. Handelt es
sich um ein längeres Arbeiten über ein Spezialgebiet aus der Lehre
der Tropenkrankheiten in den Research Laboratories in Runcorn, so
muss die Zustimmung des Direktors der Tropenschule Prof. Ronald
R o s s in erster Linie eingeholt werden. Diese Arbeitsplätze werden
nur Vorgerückteren, die in tropenmedizinischen Fragen bereits ge¬
arbeitet haben, eingeräumt, wobei ein empfehlender Ausweis an Prof.
R o s s notwendig ist. , , ....... . .
In seinen Arbeiten ist man dann absolut selbständig, unbeein¬
flusst und frei. Das Entgegenkommen von Seiten der englischen
Kollegen ist aufrichtig und freundschaftlich und wer den Vorzug ge¬
habt hat, längere Zeit in der Liverpooler Tropenschule verweilen zu
können, wird mit Dankbarkeit der Liebenswürdigkeit des Direktors
Prof. Ronald Ross, der Dozenten und Assistenten gedenken.
Er wird aber auch mit dem Gefühl zurückkehren, dass hier im Zu¬
sammenwirken von Wissenschaft und einer weitblickenden Initiative
kapitalskräftiger, hochherziger Männer wie Sir Alfred Jones
Grosses geleistet wird, was in vieler Beziehung vorbildlich dasteht.
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. J. Hochenegg: Lehrbuch der speziellen Chi¬
rurgie. I. Band, 1. und 2. Teil, 1075 Seiten. Verlag von
Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien, 1906
und 1907.
Die Bearbeitung des hier in zwei stattlichen Halbbänden
(I. Band komplett) vorliegenden Lehrbuches der gesamten
speziellen Chirurgie geschah auf Grundlage von E. A 1 b e r t s
Lehrbuch der Chirurgie und ist in pietätvoller Weise von zahl¬
reichen Schülern Alberts vollendet. War das berühmte
Lehrbuch Alberts durch die wundervolle Diktion und volle
Einheitlichkeit des gewissermassen in einem Guss vollende¬
ten Werkes ausgezeichnet, so empfiehlt sich das hier vor¬
liegende Werk durch grosse Vollständigkeit des Inhalts, wie
sie eben nur durch Zusammenarbeiten Vieler gewonnen werden
kann. Bei der Bearbeitung der Kopfes sind Schnitzler,
v. Friedländer, Harme r, Gnesda, Jarisch, Ale¬
xander, bei der des Halses v. Friedländer, Lorenz,
Ewald, Payr, Harmer beteiligt. Die Krankheiten der
Brust sind von Payr, die Missbildungen, Verletzungen und
Erkrankungen der Wirbelsäule, des Rückenmarkes
und des Beckens von v. Friedländer, Ewald,
Lorenz und Reiner bearbeitet. Die Ausstattung des in¬
haltsreichen, vortrefflich orientierenden Buches ist sehr gut;
durch reichliche Anwendung von Kleindruck ist der Inhalt auf
kleineren Raum komprimiert, 433 Abbildungen dienen zur Er¬
läuterung. Der II. Band soll bald folgen.
Prof. H e 1 f e r i c h - Kiel.
C. K a u f m a n n - Zürich : Handbuch der Unfallheilkunde.
III. Auflage, I. Hälfte. Stuttgart, Enke. 560 S. Preis 14 Mk.
Das Handbuch der Unfallverletzungen ist vom Verf. zu
einem Handbuch der Unfallheilkunde umgearbeitet worden.
Die Bedeutung der Unfallheilkunde für die ärztliche Tätigkeit
erfährt jeder Arzt jeden Tag so und so viel Male. Unsere
Literatur weist ein Reihe vortrefflicher Werke über die Unfall¬
medizin auf. Dass bei diesem scharfen Wettbewerb das K.sche
Buch in kurzer Zeit drei Auflagen erleben konnte, spricht für
die Vorzüge desselben. Zu den bekannten früher schon ge¬
würdigten Vorzügen des Buches ist ein neuer gekommen, dass
nunmehr ausser der deutschen, österreichischen und schweize¬
rischen auch die junge französische Unfallversicherung und die
private Unfallversicherung mit in den Kreis der Besprechung
gezogen sind. Es gewährt in der Tat einen eigenen Reiz, die
Erfahrungen der verschiedenen Länder mit einander zu ver¬
gleichen und gegen einander abzuwägen.
Ein Hauptvorzug des K- sehen Werkes sind die in reicher
Zahl beigebrachten Beispiele. An ihnen wird sich jeder, der
in dem Buche bei schwierigen Fällen Rat sucht, leicht und sicher
ein bestimmtes Urteil bilden können. Die Auswahl dieser Bei¬
spiele gründet sich auf das Studium von über 10 000 Gerichts¬
entscheiden. K r e c k e.
Dr. Karl Grünberg: Die blutsaugenden Dipteren. Mit
127 Abbildungen im Text. Verlag von Gustav Fischer,
Jena, 1907. 188 Seiten. Preis M. 4.50.
Nach dem Vorwort des Verfassers bezweckt die vor¬
liegende Arbeit, eine knappe und übersichtliche Darstellung
aller als Blutsauger bekannten Dipterengruppen zu geben.
Dass er die Fauna der deutschen Kolonien speziell berücksich¬
tigt, wird ihm der deutsche Kolonialhygieniker besonders dan¬
ken. Da theoretisch eine Ursache nicht vorliegt, warum nicht
andere blutsaugende Dipteren als die schon als Krankheits¬
überträger erkannten Culiciden und Glossinen, menschliche
und tierische Krankheiten zu übertragen vermögen, da viel¬
mehr die letzte Zeit auch für andere Gruppen die Uebertra-
gungsfähigkeit festgestellt hat, wird die Kenntnis der Blut¬
sauger dem Tropenpathologen ein Bedürfnis. Daher schafft
der Verfasser mit dem kleinen Buch ein Hilfsmittel zur Be¬
stimmung von blutsaugenden Dipteren, das einerseits dem
Tropenhygieniker auf allen Wegen von grossem Wert sein
wird, andererseits dem Laboratoriumsarbeiter zu Haus die Be¬
stimmung der übersandten Blutsauger erleichtert. Um durch
zu grossen Umfang die Uebersichtlichkeit des Buches nicht zu
stören, überlässt der Verfasser das genaue Studium und die
Klassifikation des gesamten Materials der wissenschaftlichen
Systematik. Auf den ersten 25 Seiten werden die allgemeinen
Kennzeichen der Dipteren beschrieben, während der zweite
Teil des Buches der Systematik ihrer blutsaugenden Gruppen
gewidmet ist. Die zahlreichen Abbildungen im Text, die das
Studium und die Bestimmung überall erleichtern, sind vor¬
züglich. zur V e r t h - Berlin.
W. U f f e ii o r d e - Göttingen : Die Erkrankungen des
Siebbeins. Mit 7 Tafeln und 35 Abbildungen im Text. Jena,
Gustav Fischer. Preis 10 M.
Während die Lehre von den Erkrankungen der Oberkiefer-
und Stirnhöhle schon mehr ausgebaut ist, darf die Lehre von
den Krankheiten des Siebbeins als noch im Werden begriffen
bezeichnet werden. Uffenorde gibt auf Grund seiner Er¬
fahrungen während der letzten drei Jahre und auf Grund
reichen Literaturstudiums in anregender Weise ein Bild des
jetzigen Standes. Nur dürfte der therapeutische Standpunkt
der meisten Nasenärzte konservativer sein als der des Ver¬
fassers.
Die Anatomie ist sehr klar und übersichtlich beschrieben.
Der Aufbau des klinischen Teils ist einfach, indem scharf
zwischen Nasenpolypen und Eiterungen unterschieden wird.
Verf. plädiert besonders dafür, dass die Polypen — hyper¬
plastische Entzündung des Siebbeins — selbständig ohne Eite¬
rung bestehen können, ja er geht so weit, zu behaupten, dass
die Eiterung ohne Polypen verläuft. Wenn Kombination von
Eiterung und Polypen bestehe, so seien die Polypen das Pri¬
märe. Gegen die letztere Auffassung spricht aber die von
Uffenorde nirgends hervorgehobene Erfahrungstatsache,
dass die doppelseitigen Polypen viel seltener mit Eiterung
kombiniert sind, als die einseitigen. Uffenorde nimmt im
Gegenteil an, dass die Siebbeineiterung meist zu Atrophie der
Schleimhaut führt, was mit den Erfahrungen des Refer. nicht
übereinstimmt.
Die Therapie ist bei Polypen und Eiterungen dieselbe, d. h.
endonasale Ausräumung des Siebbeins. Ueber die Resultate
bringt er leider keine genaueren Zahlen. Bei den Eiterungen
sagt er: „und wenn man auch nicht immer ideale Heilungen
erzielt, so wird man doch die Beschwerden beseitigen und die
Sekretion wesentlich verringern können“. Das stimmt mit der
allgemeinen Erfahrung überein und wird wohl den Verf. in
Fällen ohne Beschwerden allmählich auf einen konservativeren
Standpunkt führen. Bei den Polypen führt er aus: „auf jeden
Fall kann man, wenn auch ungeheilte Fälle übrig bleiben, so
die Beschwerden meist heben, jedenfalls vermindern und dem
Patienten auf jeden Fall Vorteil bringen“. Da die Ausräumung
des Siebbeins bei reinen Polypen bisher nur wenig geübt wor¬
den ist, wären gerade hier genauere Zahlen sehr erwünscht ge¬
wesen.
2194
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Die Eröffnung des Siebbcins von aussen bleibt nur auf be¬
sondere Fälle beschränkt.
Zum Schluss werden auch Tuberkulose, Syphilis und Tu¬
moren des Siefobeins in ansprechender Weise abgehandelt.
Die Austattung des 207 Seiten dicken Buches ist gut, nur
lassen die meisten mikrophotographischen Abbildungen zu
wünschen übrig. Scheibe.
Das Medizinalwesen in Elsass-Lothringen, auf Grund amt¬
lichen Materials bearbeitet von Prof. Dr. Biedert, Medi¬
zinalreferent am Ministerium, und Dr. Weigand, General¬
oberarzt a. D. Strassburg, Beust, 1907. 272 S. Preis geh.
6.50 M., geb. 7.50 M.
Es ist wohl die erste, also unumgänglich nötig ge¬
wesene Sammlung der Medizinalgesetze von Elsass-Lothringen.
Welche Menge des Stoffes verarbeitet werden musste, geht
allein schon daraus hervor, dass noch jetzt geltende Gesetze
bis zum Germinal des Jahres XI zurückgehen. Diese
ganze Menge ist sehr übersichtlich alphabetisch geordnet und
durch häufigen kleinen Druck und äusserst knappe, da und dort
fast das Verständnis erschwerende Sprache auf sehr kleinen
Umfang zusammengedrängt. Nicht nur die Aefzte und Organe
der Verwaltung des Elsasses werden das Buch lebhaft be-
griissen, sondern auch ausserhalb des Reichslandes werden
alle sich mit Volksgesundheitspflege Befassenden die trefflichen
kurzen Zusammenstellungen über einzelne Gegenstände, wie
über Desinfektion, gemeingefährliche Krankheiten und andrer¬
seits die Ermöglichung des Vergleiches reichsländischer Ge¬
setze mit denen des eigenen Landes zu schätzen wissen.
K- Kolb- München.
Bubis erste Kindheit. Ein Tagebuch von Ernst und Gertrud
Scupin. Th. G r i e b e n s Verlag. Leipzig 1907. 263 Seiten.
Preis Mk. 4.
Das mit grosser Gewissenhaftigkeit geführte Tagebuch
bietet einen Einblick in die geistige Entwicklung eines Kindes
während der ersten 3 I^ebensiahre. Die angeführten Beobach¬
tungen sind speziell für Eltern von gewissem Interesse. Eine
Parallele mit dem bekannten Preyer sehen Buche „Die Seele
des Kindes“ kann nicht gezogen werden, da es sich bei letzterem
um die Durchschnittsresultate aus vielen Beobachtungen nor-,
maler Kinder handelt. Die im Vorwort gebrachte Aufforderung
an die Eltern, sich mehr mit der Psyche ihrer Kinder zu be¬
schäftigen, ist ja anerkennenswert, doch führt die Herstellung
eines solchen penibel aufgezeichneten Tagebuches unzweifel¬
haft auch leicht zu grossen pädagogischen Nachteilen, wie z. B.
zum Verlust der kindlichen Unbefangenheit. Für Aerzte ist
besonders die chronologische Uebersicht speziell der Entwick¬
lung der Sprache von Interesse.
G r a s s m ann- München.
Neueste Journalliteratur.
Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und
Chirurgie. 18. Band, 1. Heft. Jena 1907, Gustav Fischer.
1) Kurt P o 1 1 a k: Weitere Beiträge zur Hirnpunktion. (Aus der
inneren Abteilung des städt. Krankenhauses zu Stettin.)
Verf. bedauert, dass die von N e i s s e r und ihm empfohlene
Hirnpunktion sich noch nicht eingebürgert hat, sucht die der Methode
gemachten Einwände zu entkräften, bringt aus der Literatur Fälle bei,
bei denen sie indiziert gewesen wäre und zeigt an neuen eigenen
Fällen deren Leistungsfähigkeit. Ein extradurales rechtsseitiges
Hämatom wurde durch Punktion nicht nur gefunden, sondern
auch therapeutisch sehr gut beeinflusst; die Punktion der Seiten¬
ventrikel lieferte ebenfalls schöne diagnostische und therapeutische
Ergebnisse, ferner wurde ein Fall von Hydrocephalus acquisitus, bei
welchem die Lumbalpunktion nichts leisten konnte, diagnostiziert und
geheilt. Auch die Probepunktion der Stirnhöhlen wurde mit Erfolg
versucht.
2) Viktor Hecht: Die Daktyloskonie als klinische Unter¬
suchungsmethode. (Aus der I. med. Abteilung des k. k. Kranken¬
hauses Wieden in Wien.)
Die Untersuchung des feineren Reliefs an der Haut der Hohlhand
und der Beugeseiten der Finger mit Hilfe von Abdrücken wurde zur
Erkennung gehemmten Wachstums (zerebrale Kinderlähmung, rachi¬
tischer Zwergwuchs) und vermehrten Wachstums (Akromegalie)
herangezogen. Die Hemmung oder Vermehrung des Wachstums lässt
sich aus der Anzahl der auf ein bestimmtes Längenmass entfallenden
Epidermisleisten ermitteln.
3) W. Goebel: Zur Entstehungslehre der Lungenerkrankungen
nach Darmoperationen. (Aus der chirurgischen Klinik der Kölner
Akademie und dem städt. bakteriologischen Institut.)
Kulturen von Tetragenus bezw. Prodigiosus, subserös iin eine
Dünndarmschlinge von Meerschweinchen injiziert, Hessen sich mit
ziemlicher Sicherheit in den Lungen und auch in anderen Organen
nach 1 — 24 Stunden wiederfinden. Sie waren wahrscheinlich auf dem
Wege der mesenterialen Lymphbahnen mit Umgehung der Lymph-
driisen durch den Ductus thoracicus dahin gelangt, auf welchem Wege
auch Tusthekörnchen durchzukommen schienen. Die klinischen Er¬
fahrungen sprechen nach Verfasser dafür, dass auch beim Menschen
die bei Operationen in die Chylusbahnen eingedrungenen Darmkeime
auf dem Lymph- oder Blutweg in die Lunge geraten und unter gün¬
stigen Bedingungen den Anlass zur Entwicklung lobulär-pneumoni¬
scher Entzündungsherde geben.
4) Edens: Ueber Milzvenenthrombose, Pfortaderthrombose und
B a n t i sehe Krankheit. (Aus der inneren Abteilung des Kranken¬
hauses Bethanien zu Berlin.)
2 Fälle mit Krankengeschichte und Sektionsbefund. Im einen
Fall schien die Milzvergrösserung die Folge alter Thrombosen der
Pfortader und Milzvene zu sein, welche traumatisch entstanden ge¬
dacht werden. Im 2. Falle war eine primäre Mesenterialvenenthrom¬
bose anzunehmen, hervorgerufen durch den Druck des grossen stark
gefüllten Magens im Liegen auf das Mesenterium, bei schlechten all¬
gemeinen Zirkulationsverhältnissen; die in der Vena mes. sup., im
Pfortader- und Milzvenenstamm gefundenen Thromben waren
jüngeren Datums. Die klinische Diagnose, insbesondere die Be¬
ziehungen zur Ban ti schen Krankheit werden ausführlich erörtert.
5) S. Auerbach und E. Grossmann: Zur Diagnostik und
chirurgischen Behandlung der Kleinhirnzysten. (Aus der Poliklinik
für Nervenkranke und dem v. N e u f v i 1 1 e sehen Kinderhospitale zu
Frankfurt a. M.)
2 Fälle: a) kleinapfelgrosse Zyste der linken Kleinhirnhälfte;
Diagnose durch Ventrikelpunktion wesentlich gestützt, Exstirpation
unter zweizeitiger osteoplastischer Freilegung der hinteren Schädel¬
grube, Morphiumskopolaminnarkose. Schöner Heilerfolg. Für Ge-
hinnounktion bevorzugen Verfasser statt der N eis ser sehen Me¬
thode die Anlegung einer kleiner Trepanationsöffnung von Vs cm
Durchmesser, b) Fehldiagnose; statt des erwarteten Tumors der
rechten Kleinhirnhemisphäre lieferte die Sektion ein GHosarkom des
Ependyms des rechten Vorderhorns des Seitenventrikels mit Blutung
in denselben. Epikrise.
6) .1. Gilli-Bern: Beiträge zur Frage der Gastroenterostomie.
(Aus der chirurgischen Klinik und Privatklinik von Prof. Locher-
Bern.)
Bericht über 55 Fälle von 1901/02 bis 1905. Von den 43 gut¬
artigen Fällen litten 90 Proz. an Ulcus oder dessen Folgeerschei¬
nungen. Die Exzision des Ulcus wurde in den letzten Jahren nicht
mehr ausgeführt. Als typisches Verfahren wird die Gastroentero¬
stomie betrachtet, dabei die Leistungsfähigkeit der Gastroduodeno-
stomie neben der H a c k e r sehen Methode hervorgehoben. Aller¬
dings bewährt sich der Murphyknopf nur bei letzterer Methode. Die
Gesamtmortalität bei benignen Affektionen in den letzten 8 Jahren
betrug 3,2 Proz. Bei den wegen Carcinoma ventriculi ausgeführten
Gastroenterostomien betrug sie für 12 Fälle (während des erst-
angegebenen Zeitraums) 8,3 Proz.: dabei ergab sich ebenfalls kein
wesentlicher Unterschied in der Leistungsfähigkeit der verschiedenen
Operationsverfahren (1 Gastroenterostomia anterior, 8 posteriore.
2 Gastroduodenostomien).
7) P. N. Hansen: Die Behandlung der akuten Darminvagi-
nationen im Kindesalter, (Aus der ersten chirurgischen Abteilung des
Kommunehosoitals in Kopenhagen.)
28 Kinder, zwischen 3 Monaten und 8 Jahren. 14 geheilt, 14 ge¬
storben. 3 therapeutische Gruppen: a) 7 Kinder mit Wassereinläufen
und Massagen behandelt: 3 geheilt; bei 3 Kindern wurde die ver¬
hängnisvolle Scheinreduktion erreicht: h) sekundäre Lanaro-
tornie nach deutlich erfolgreicher unblutiger Behandlung: 11 Fälle,
4 gestorben, bei zweien war zu lange gewartet worden: c) Gruppe
der primären Laparotomien. 10 Fälle. 6 gestorben, hierunter aber alle
schlechten Fälle mit Gangrän oder Peritonitis. Verfasser spricht sich
entschieden für die primäre Laparotomie aus.
8) Kurt Schulze: Ueber intraoeritoneale Sauerstoffinfusionen
bei Ascites tuberculosus. (Aus dem Stadtkrankenhaus Dresden-Fried¬
richstadt. T. innere Abteilung.)
Mit einem näher beschriebenen Anoarat werden nach Punktion
des Abdomens 500—1800 ccm Sauerstoff in dasselbe unter Druck ein¬
gelassen. Das Gas wird in 8 — 10 Tagen resorbiert; event. wird die
Infusion wiederholt. Sie wird im allgemeinen gut vertragen. Der
Aszites wird in der Regel bald resorbiert. 6 von 7 derart behandelten
Patienten wurden kontrolliert, nach 1 Vs — 2 Jahren waren sie noch
arbeitsfähig.
8) Arnold L öwen stein: Ueber die Venenklaonen und Varizen¬
bildung. (Aus dem anatomischen Institut der deutschen Universität
in Prag.)
Exnerimente lehren, dass sich die Klappen schon beim geringsten
proximalen Ueberdruck schliessen. Bei normaler StromricMung legen
sie sich an die Wand, bilden iedoch kein ..Stromhindernis“ (Ledder¬
hos e). welches zur Begünstigung der Entleerung von Seitenästen gar
nicht nötig ist. Die Vena saphena trug eine Hg-Säule von 1 qmm
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2195
Querschnitt und 500 nun Höhe. Die Varizen sitzen entweder proximal
v0n der schlussfähigen Klappe („Sinusektasien , bei alteren Individuen
häufig) oder als „echte Varizen“ distal von .insuffizienten Klappen.
Schon bei jugendlichen normalen Individuen kann man - verschiedene
Tvoen von Venen unterscheiden: bei den einen besitzt die Sinusstelle
besonders schwache Muskulatur, bei den anderen findet sich die
muskelgeschwächte Stelle distal von den Klappen; hierin scheint eine
verschiedenartige Prädisposition zu liegen. ,
versuucucna s p. Grashey - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 90. Band, 1. 3. Heft,
Leipzig, Vogel, September 1907.
1) w i e t in g- Heber den Nutzen und die Gefahren der der ein-
und doppelseitigen Oberkieferresektion vorausgeschickten Karotis-
unterbindu g ^ Qaro^s communis zu prophylaktischen Zwecken
ist zu verwerfen, die bei weitem ungefährlichere temporäre Kom¬
pression ist ihr durchaus vorzuziehen. Der Erfolg und Vorteil der
Unterbindung der Carotis externa, die an Gefahrlosigkeit der tem¬
porären Abklemmung kaum nachsteht und einfacher ist als diese,
ist ein ganz eklatanter“. Allerdings sind einige Vorsichtsmaßregeln
(Wahl der Unterbindungsstelle zwischen Abgang der Art. thyieoid.
sup. und lingualis, Schonung der Arterienwand, exakte und feste lam-
ponade) zu beobachten.
2) Alfred Ex n e r: Ueber basale Cephalocelen.
Mitteilung eines Falles von Cephalocele der Schädelbasis mit
Austritt zwischen Keil- und Siebbein unter Berücksichtigung dei ein-
schlägigen Literatur und der Genese.
3) Wolko witsch: Zur Frage über den Kehlkopfkrebs und
speziell dessen operative Behandlung. ,
Nach allgemeinen Bemerkungen über die Operation des Kehlkopt-
krebses bespricht W. die von ihm operierten 24 Fälle (19 Männer,
5 Frauen % aller Patienten zwischen 45 und 65 Jahren) bezüglich dei
Lokalisation (in mehr als 2/a der Fälle ist der Aditus laryngis in Mit¬
leidenschaft gezogen), des makroskopischen Aussehens, der Lymph-
drüsenaffektion (8 mal) und des mikroskopischen Befundes (bei
22 Fällen). tt , . . , v
Entfernung der Lymphdriisen am Halse auch bei geringstem \ ei¬
dacht auf Affektion, sowie Entfernung des ganzen Kehlkopfes, wenn
ein zuriickgelassener Teil „kleiner als die Hälfte wäre , tragen zum
radikalen Operieren bei. Der wichtigste Akt der Operation ist eine
gute Schlundplastik.
Die Ernährung geschah mittels während der Operation einge¬
führter und ä demeure verbleibender Sonde. Von allen 24 Patienten
starben unmittelbar an die Operation anschliessend 3, an Iubeikulose
und anderen Erkrankungen starben 7; 5 Patienten bekamen Rezidive,
7 sind rezidivfrei (bis zu mehr als 8 Jahren).
4) Frangenheim: Ueber Kalluszysten.
F. bespricht 2 Fälle von Kalluszysten bei einer subkapitalen
Fraktur des Oberschenkelhalses und bei einer pathologischen Fraktur
(Tumor) im oberen Femurdritte!; Vergleich mit den Zystenblidungen
bei Myositis ossificans. . , .
5) Hosch: III. Das primäre Magenkarzinom mit zystischen
Lebermetastasen. .
Bei einem 55 jährigen Patienten mit der klinischen Diagnose.
Carcinoma ventriculi mit Leber- und Netzmetastasen ergab die histo¬
logische Untersuchung ein myogenes, etwas polymorphzelliges, gross-
zeiliges Spindelzellensarkom mit zystischen Lebermetastasen. 85 Li¬
teraturfälle mit 9 Lebermetastasen. Eine sichere klinische Differential-
diagnose zwischen Sarkom und Karzinom des Magens ist meistens
nicht möglich. . .
Durch chemische Untersuchung der Punktionsflüssigkeit dei
Lebörzysten lässt sich der Echinokokkus ausschliessen.
Das am meisten von Magensarkom betroffene Alter ist das 5. De¬
zennium. Zusammenfassende Bemerkungen über Zystenbildungen.
6) Kirchner: Hochgradiger Spitzfuss infolge von nicht repo-
nierter Luxation des Talus nach vorn aussen.
Ein Beitrag zur Kenntnis der Talusluxationen. Die Frakturen des
Sustentaculum tali.
An der Hand eines Leichenpräparates (Luxation des Talus nach
vorn aussen mit Fraktur des Sustentaculum tali und J uberc. med.
Dost, tali) folgt eine eingehende Besprechung des Mechanismus der
Talusluxation. Einzelheiten im Original.
7) Knoke: Beitrag zur Behandlung der suprakondylären
Humerusfrakturen.
K. empfiehlt zur Behandlung der suprakondylären Extensions¬
frakturen einen Schienenverband mit federndem Zug am Oberarm,
kombiniert mit extendierender Vorderarmschiene (Helfer ich),
eine Kombination von Verbänden, die bereits in der 4. Auflage von
Helferichs Frakturen und Luxationen 1898 einzeln angegeben
wurden. 15 Fälle.
8) Marek: Ueber die Folgen des Verschlusses der Gekrös-
arterien.
M. kommt auf Grund von 18 Versuchen an Hunden, bei denen der
Gefässverschluss teils durch Paraffin-, teils durch Zinkoxvdinjektion
bewirkt wurde, zu folgendem Schlussresultat: „Die vollständige Ab¬
sperrung des arteriellen Zuflusses zu irgend einem Gebiet verursacht
anämische Gangrän, die Verlegung von Arterien bezw, Venen, ge¬
sondert oder gleichzeitig, bei ungenügendem Kollateralkreislauf da¬
hingegen hämorrhagischen Infarkt. Das Bild des letzteren gestaltet
sich dann verschieden, je nach dem Verhältnis zwischen dem Ge¬
samtquerschnitt der jeweilig vorhandenen Anastomosen und der Aus¬
dehnung des Ausschaltungsgebietes oder mit anderen Worten, je nach
dem Grade der Stromverlangsamung und der Höhe des intrakapillaren
D ruckes 44
9) 1 1 o und Soyesima: Zur Behandlung der Fazialislähmung
durch Nervenpfropfung. . . .
6 Fälle von sogen, rheumatischer Fazialislähmung wurden durch
Nervenpfropfung (2 mal Akzessorius, 4 mal Hypoglossus) behandelt.
Auf Grund, der gemachten Erfahrungen wollen Verfassei die Operation
unter Bevorzugung der Hypoglossuspfropfung auf die genannte mm
der Fazialislähmung ausgedehnt wissen.
10) Füster: Novokain als Lumbalanästhetikum.
Aus den Schlussfolgerungen F.s auf Grund von 104 Anästhesien
mit Novokain-Suprarenin sei hervorgehoben: T
„Das Novokain übertrifft in der Dosis von 0,1 m Form von la¬
bletten das Tropakain um ein ganz bedeutendes an analgetische i Kran
bei gleichzeitig geringerer Giftigkeit.“ Versager, in gleicher Menge
wie beim Tropakokain vorkommend, dürften sich auf einen noch
kleineren Prozentsatz herunterdrücken lassen. Das Präparat ist
bei Alter unter 15 Jahren, eitrigen Prozessen, höchstgradiger allge¬
meiner Kachexie kontraindiziert — quoad vitam ungetahrlicü.
11) Graf: Einige Bemerkungen zur Zerreissung der Knie-
kehlende ä^sung def Art< popiitea und der lateralen Vene bei Sub¬
luxation der Tibia nach hinten. Anschliessend gemachte Leichenvei-
suche (Präparation von 10 Kniekehlen mit folgender extremer Sub¬
luxation der Tibia teils nach hinten, teils nach vorn) zeigten
die viel grössere Gefährdung der Gefässe bei der Luxation nach vorn.
G. führte in seinem Falle die Zerreissung auf Ueberstreckung zuiuck.
12) Tomita: Ueber Knochentransplantation bei ausgedehntem
Kontinuitätsdefekt der langen Röhrenknochen. ,
F. transplantierte in 5 Fällen — sämtlich Folgen von Knochen¬
schüssen während des Krieges — 3 mal Periostknochenstucke samt
Knochenmark aus der gleichen oder anderen Tibia desselben Indm-
duums. 2 mal frischen lebenden Tierknochen auf Fibjadefekte bezw.
eine Pseudarthrose mit gutem Resultate. Technisch ist exak^e JB ut-
stillumr und vollkommene Exzision des Narbengewebes wesentlich.
Tierknochen resp. Periost selbst zeigt keine Wucherungsfahig-
keit und scheint weniger Anlass zur Kallusbildung v0" kra^m5'1i,'t
enden aus zu geben.1 Tierknochen wird allmählich resorbiert, heilt
aber besser ein als tote Substanz ..und gibt dem Knochen ^inac*s|
eine feste Stütze ab, die dann allmählich durch menschlichen Knochen
(Kallusbildung) ersetzt wird.“
Kleinere Mitteilungen:
13) Emil Stumme: Ein Fall von Basedow mit Tuberkulose einer
Glandula oarathyreoidea. , , , . „
Die Patientin bot „beim Beklopfen der Wange etwas unterhal
des vorderen Teiles des Jochbogens deutliches Zucken des betreffen¬
den Mundwinkels“. Ausführliches Literatui Verzeichnis.
14) Brunner: Deszensus des rechten Ureters ins Skrotum, eine
Hernia inguina-scrotalis vortäuschend.
B. machte in dem ein Unikum darstellenden Falle die Resektion
und Naht des Ureters. Flö r ek e n- Wuizbuig.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 39 40.
No. 39. Ali Krogius: Zur Technik des blinden Duodenalver¬
schlusses nach der Pvlorusresektion (Methode Billroth II).
Während Brunne r die möglichste Sicherung des Duodenal-
stumofes durch extraperitoneale Lagerung desselben anstrebt. S t e l n-
t h a 1 durch Bedeckung mit Netz und Gazetampon, ist A. Kr. in Uebei-
einstimniung mit Kausch der Ansicht, dass alle Bestrebungen auf
die Erzielung eines absolut zuverlässigen Verschlusses des Duodenal¬
stumpfes hinzielen müssen und empfiehlt hierzu einen kleinen Kunst¬
griff durch den die Schwierigkeiten bei der blinden Einstülpung des
Duodenalstumpfes im wesentlichen beseitigt werden können und der
wohl auch schon von anderen Operateuren benutzt worden ist. Wenn
bei ausgiebiger Resektion des Pylorus die Abtrennung des Duodenum
soweit unten erfolgen muss, dass der zu ruckbleiben de freie Teil zui
Einstülpung des Stumpfes nicht ausreicht und man den Anfang dei
2. Portion durch Lösung seiner retroperitonealen Anheftung mobil
machen muss, wobei man es dann an der hinteren Seate des Duodenum
mit einer dünnen, nicht vom Bauchfell bedeckten Darmwand zu tun
hat, die zur Versenkung des Stumpfes wegen leichten Ausreissens der
Nähte sehr ungeeignet ist, so empfiehlt A. Kr., nach genügender Frei¬
machung, die Durchquetschung und Abbindung des Daims die hinteie.
vom Bauchfell entblösste Darmwandpartie gegen das Lumen hin «mzu-
Xen, indem man, von der Basis des abgelösten Duodenalstuckes
beginnend, mittels einer fortlaufenden Naht abwechselnd ^m o^fre
und unteren Rande des Peritonealdefektes die Peritonealbekleidung
des vorderen Darmumfanges fasst und deren Ränder somit in einer
längsverlaufenden Nahtlinie zusammenzieht, wodurch man einen
ringsum gut von Bauchfell überzogenen Zylinder, etwa vom halben
Umfang des Darmzvlinders. erhält, in den sich der Stumpf leicht
einstülpen und mittels einiger Lembertnähte mit breiten Baue
flächen bedecken lässt.
2196
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
No. 40. H a m m e r - Karlsruhe: Ueber die Behandlung von
Fingerbrüchen.
K. empfiehlt die direkte Anheftung des gebrochenen Fingers an
eine schmale Aluminiumschiene (Steudelsche Schiene) mittels kreis¬
förmiger, fest angelegter Heftüflasterstreifen. Einen Nachteil der¬
selben brauche man nicht zu fürchten, wenn man den Verband erst
nach Ablauf der ersten Periode (der zunehmenden Schwellung) aq-
lege. Die Schiene muss so lang sein, dass sie die benachbarten Ge¬
lenke mit ruhig stellt, am besten bis zur Handwurzel reichend, und
um einer Verschiebung vorzubeugen, wird der Heftpflasterstreifen
einmal um die Schiene geschlungen, bevor man ihn um die Handwurzel
legt. Die Schiene wird meist dorsal, eventuell auch volar angelegt:
bei seitlichen Abweichungen empfiehlt es sich, noch eine kürzere
seitliche Schiene hinzuzufügen. Die Polsterung darf nur gering sein
(4 — 8 fache Mulleinwickelung). Als Pflaster empfiehlt H. Leukoplast
in höchstens 2 cm breiten Streifen; er lässt den Verband 3 Wochen
liegen und wendet denselben auch bei komplizierten Frakturen an,
bemerkt jedoch dabei, dass Aluminium das Kochen in Sodalösung
nicht verträgt, die Schiene entweder in reinem kochenden Wasser
oder strömendem Dampf sterilisiert werden muss. Sehr.
Zentralblatt für Gynäkologie, No. 41.
R. 0 1 s h a u s e n - Berlin: Zur Ventrifixur.
O. korrigiert Liepmanns Angaben über seine (O.s) Methode
der Ventrifixur, die L. verbessert haben wollte (ref. in diesem Blatte
1907, No. 10, p. 483). 0. beschreibt sein von Koblanck modifi¬
ziertes Verfahren, das er jetzt seit 10 Jahren anwendet und bei dessen
richtiger Ausführung Rezidive kaum Vorkommen sollen. Tritt später
Schwangerschaft ein, so wird das Hinaufsteigen des Uterus nicht ge¬
hindert. Auch Aborte hat O. nach der Operation niemals beobachtet.
O. v. H e r f f - Basel : Die Flächennaht nach Noble bei Faszien¬
wunden.
v. H. empfiehlt an Stelle der Kantennaht die Flächennaht
der Faszie nach Laparotomien, wie sie zuerst von Noble im Jahre
1905 angegeben wurde. Sie eignet sich für jede Art von Bauch¬
schnitten, zur Versorgung von Hernien, zur Naht des Inguinalkanals
usf. Die Technik muss im Original nachgelesen werden.
Derselbe: Kumolkatgut oder Jodkatgut?
v. H. bevorzugt, besonders für kleinere Anstalten mit geringem
Bedarf, bei weitem das Jodkatgut, her.gestellt nach Schmidt-
B i 1 1 m a n n in Mannheim. Dasselbe ist einfacher und billiger her¬
zustellen, als das Kumolkatgut, ist widerstandsfähiger und dauerhafter,
und in Bezug auf seine antiseptischen Eigenschaften zuverlässiger.
P. K r o e m e r - Giessen: Ueber die Behandlung der Nebenver¬
letzungen bei Hebosteotomie.
Als gefährlichste Nebenverletzung bezeichnet K. diejenige der
Blase; sie ist zu vermeiden oder die primäre Naht des verletzten
Organes sei die wichtigste Aufgabe. K- empfiehlt ein subkutanes
Schnittverfahren von unten unter Ablösung des Crus clitoridis im
Sulcus interlabialis und des Ligam. pubovesicale. Seit Einführung
des verbesserten Blasenschutzes beobachtete K. eine Besserung der
Morbidität und Verschwinden der Phlegmonen und Thrombosen im
Beckenschenkelbereich. Von 19 Pubiotomierten wurden die letzten
6 mit subpubischem Vestibularschnitt operiert; es genasen alle 19.
Von 20 Kindern (1 mal Zwillinge) starb nur eines an kongenitalem
Herzfehler.
M. Stolz- Graz: Einklemmung eines Laminariastiftes im
Uterus.
Das Ereignis passierte St. bei einer 21 jährigen Nullipara, bei der
ei wegen piogressiver Tuberkulose den künstlichen Abort einleiten
wollte. Die Entfernung des Stiftes gelang erst nach medianer Spal-
tunzder voi deren Zervixwand in Narkose. Zur Vermeidung solcher
Zufälle emfiehlt St., das untere Ende der Stifte, wie bei den Intrauterin¬
stiften, scheibenförmig verbreitern zu lassen.
O. K ai s e r - Dresden: Eklampsie und Parathyreoidin.
Günstiger Verlauf einer schweren Eklampsie bei einer 25 jährigen
I. Para nach Einspritzung von 2,0 Parathyreoidin (Vassale). Da
aber ^nebem auch Aderlass, Kochsalzinfusion, Schwitzbad und
Lnloralhydrat gegeben wurden, so ist schwer zu beurteilen
Mittel der Erfolg zu danken ist. J a f f e - Hamburg. ’
2,0
welchem
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde.
1. — 2. Heft.
1907. 33. Bd.
Katt\\ i n k e 1- München: Ein Fall von primärer syste¬
matischer Degeneration der Pyramidenbahnen.
f ,,9hne jedes, nachweisbare ätiologische Moment, also auch ohne
lamil.are Veranlagung, entwickelte sich bei einem 59 Jahre alten
Mann Hypertonie der Muskeln mit starker Steigerung der S°hnen-
retlexe. Spater gesellten sich dazu noch bulbäre Störungen. Da¬
gegen waren keine sensiblen Ausfallserscheinungen nachzuweisen
Bei der mikroskopischen Untersuchung konnte lediglich eine De-
generatmn der Pyramidenbahnen ohne jede Beteiligung anderer
Fasersysteme restgestellt werden. Also ein reiner Fall von spasti¬
scher Spinalparalyse.
ei,-- *1,/ J 1 '!,d “Heideiber g: .Ein auf Rumpf und Extremitäten be¬
schrankter Fall von Myasthenia gravis.
Kasuistische Mitteilung.
W. F ü r n r o h r - Nürnberg: Myotonia atrophica.
Immer mehr häufen sich die Mitteilungen über Fälle von Myo¬
tonie, die mit starkem Muskelschwund einhergehen. Bei solchen
Kranken treten dann nicht selten die klinischen Erscheinungen der
Myotonie ganz zurück (Myotonia sine tonu) und die Diagnose basiert
lediglich auf dem Nachweis der elektrischen und mechanischen mvo-
tonischen Reaktion. In der Lokalisation der Muskelatrophien ist eine
Gesetzmässigkeit nicht nachzuweisen. Doch scheint die Beschäfti¬
gung des Kranken auf den Ort des Muskelschwundes unter Um¬
ständen einen bestimmenden Einfluss aufzuüben.
F i n k e 1 n b u r g - Bonn: Ueber Meningoenzephalitis unter dem
klinischen Bild des Delirium acutum verlaufend.
Ein 10 jähriger Junge erkrankte mit Delirien, hochgradiger mo¬
torischer Unruhe, halluzinatorischen Zuständen und eigenartigen Dreh¬
bewegungen des Körpers. Meningitische Erscheinungen waren eben- -
sowenig wie Herdsymptome nachzuweisen. Als anatomische Grund¬
lage für die tödlich verlaufende Gehirnerkrankung waren eine chro¬
nische Leptomeningitis der Hirnkonvexität und entzündliche Verände¬
rungen an den Hirngefässen anzuschuldigen.
Bychowski - Warschau : Zur Klinik der Jackson sehen
Epilepsie infolge extrazerebraler Tumoren.
Bei einem 62 Jahre alten Mann stellten sich schon seit Jahren
im Zwischenraum von wenigen Tagen Krampfanfälle in derselben
Reihenfolge, zuerst den Hals, dann den Arm und schliesslich das
Bein ergreifend, ein. Dabei war der Patient bei vollem Bewusst¬
sein, so dass er „Augenzeuge seiner Anfälle“ war. Daran schloss sich
jedesmal kurz dauernde Blasenstörung und schnell vorübergehende
Hemiplegie. Bei der Operation fand sich über dem mittleren Drittel
der hinteren Zentralwindung ein welschnussgrosses Endotheliom der
Dura mater, das eine Impression in die Gehirnoberfläche bedingte.
Der therapeutische Erfolg ist insofern ein guter, als die Krampfanfälle
seit dem Tage des chirurgischen Eingriffes ganz ausgeblieben sind,
dagegen besteht nun eine dauernde Hemiparese, welche jede Arbeits¬
fähigkeit (der Kranke ist Handwerker) ausschliesst.
S t u r s b e r g - Bonn : Zur Kenntnis der metastatischen diffusen
Sarkomatose der Meningen.
Die vorliegende Mitteilung ist dadurch interessant, dass die
Sarkomatose in der Pia lediglich mikroskopisch nachweis¬
bar war und dass klinisch die Erscheinungen einer Polyneuritis, aber
keine meningitischen Symptome Vorlagen.
L a s a r e w - Kiew: Ueber Steiners Infraspinatusreflex.
Der Behauptung Steiners, dass der Infraspinatusreflex ein
echter, über das Rückenmark verlaufender Sehnenreflex sei. wird
von dem Autor widersprochen. Nach den hier gebrachten Ausfüh¬
rungen ist wohl auch nicht daran zu zweifeln, dass es sich lediglich
um eine direkte Muskelreizung handelt, wenn beim Hammerschlag
auf eine Stelle unterhalb der Spina scapulae eine Auswärtsrollung
des Armes zu stände kommt.
K o 1 1 a r i t s - Ofen-Pest: Ein Fall von Rückenmarkskompression
mit sekundären Degenerationen.
P. Z i m m e r - Breslau: 6 Fälle von traumatischer Erkrankung
des untersten Rückenmarksabschnittes.
Auf Grund klinischer Beobachtungen wird die Streitfrage, ob
im untersten Rückenmarksabschnitt Zentren für die Funktionen der
Blase, des Mastdarmes und der Geschlechtswerkzeuge vonliegen.
aufs Neue erörtert. Und zwar schliesst sich der Autor der früher
allgemein geltenden Auffassung an, dass tatsächlich die Ganglien¬
zellen des Conus medullaris für die Innervation der genannten Or¬
gane in Betracht kommen. Damit ist also auch zugegeben, dass im
Rückenmark Zentren für Organe mit glatter Muskulatur bestehen. Ob
diese Annahme zutrifft, möchte der Referent bezweifeln.
M. M i n k o w s k i - Breslau : Ueber zerebrale Blasenstörungen.
Bei Erkrankungen des Gehirns finden sich auch dann, wenn diese
nicht mit Bewusstseinstrübung einhergehen, nicht selten Blasenstö¬
rungen. Diese sind allerdings meist vorübergehender Natur. M.
glaubt ein Zentrum für die Erschlaffung des Sphinkters in der Gross¬
hirnrinde und ein solches für die Kontraktionen des Schliessmuskels
in den subkortikalen Ganglien vermuten zu müssen! Dementspre¬
chend würde eine Läsion der kortikospinalen Bahnen Retention, der
subkortikospinalen Fasern Inkontinenz erzeugen. Freilich ist eine
so genaue Lokalisation von Funktionen, die in letzter Linie durch das
sympathische Nervensystem ausgelöst werden, sehr hvDothetisch.
L. R. Müller.
Archiv für Hygiene. 62. Bd. 3. Heft. 1907.
1) R. L a n g e - Berlin: Ueber das Eindringen von Bakterien in
das niihnerei durch die Eischale.
Es gelang der Nachweis, dass Koli, Typhus, Para-
JVP F u s B, B. e n t e r i t i d i s Gärtner und B. b o t u 1 i n u s die
Fähigkeit besitzen, die intakte Eiwand des Hühnereies zu durch¬
wandern. Die Präparation und Entnahme der Bakterien aus dem
Innern geschah bequem und praktisch, nachdem die Eier zum Ge-
^ ’,ere^?e?r w?ren- Bei einer Erwärmung auf 80° (Vs Stunde)
oder 70 (1 Stunde) werden die Keime im Innern des Eies nicht ver-
nichtet, mit bei 100° gelingt es in 8 Minuten die Keime ausser
. botulinus abzutöten. Das Eindringen der Bazillen scheint von der
lntfe"si Hat der Eigenbewegung abhängig zu sein. Beim Erwärmen
aut 6U ist das Eiweiss nur milchig getrübt, das Eigelb noch flüssig.
Eme stunde auf /0 erwärmt ist das Eigelb erstarrt, das Eiweiss
leicht geronnen.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2197
2) E. Grafe- Berlin: Die Wärmetönung bei der fermentativen
Spaltung der Eiweisskörper und des Leims. .
3) 'Sachs-Müke- Berlin : Können lebende Dysenteriebazillen
die Eiwand des frischen Hühnereies durchwachsen?
Im Gegensatz zu -den von Lange bei den oben genannten Bak¬
terien gemachten Beobachtungen wies der Verf. nach, -dass lebende
Ruhrbazillen die Wand des frischen unverletzten Hühnereies
nicht zu durchwandern vermögen. Wahrscheinlich sterben sie infolge
ihrer geringen Lebensfähigkeit an der äusseren Schale -durch Aus¬
trocknen sehr bald ab. Dagegen vermögen sie durch kleinste unsicht¬
bare Sprünge in -das Ei hineinzuwandern. Ebenso wie Ruhrbazillen
konnten Aspergillus, Mucor und Penicillium die unver¬
letzte Wand nicht durchdringen. In künstlich infizierten Eiern hielten
sich Dysenteriebazillen bis mindestens 17 Tage lebensfähig. Wurde
die Infektion an einer Stelle des Eies bewirkt, so konnte bereits nach
2-4 Stunden eine Durchwucherung des ganzen Eies nachgewiesen
werden. Nach 6 Minuten langem Kochen waren -die Dysenterie¬
bazillen im Ei abgestorben. , A . ..... ^ u
4) Emil B ü r gl -Berlin: Ueber Baktenenagglutination durch
normale Sera. .
Verf. hat in systematischer Weise eine grosse Reihe normaler
Tiersera auf das Agglutinationsvermögen von Cholera, V. Metschni-
koff, Dysenterie, Typhus, Paratyphus B, Koli, Mäusetyphus, Schweine¬
pest, Hühnercholera, Proteus, Pyozyaneus un-d Staphylokokken ge¬
prüft und dabei die Tatsache gefunden, dass die Bakterien normaler
Weise durch die verschiedenen Tiersera in einer immer gleichbleiben¬
den Stärkereihenfolge agglutiniert werden. -Die Reihenfolge ist:
Rind, Pferd, Ziege, Hammel, Huhn, Gans, Hund, Kaninchen, Mensch,
Meerschweinchen. Versuchte man die Ausflockung von Mastix durch
die gleichen Sera, so trat ungefähr -die gleiche Stärkereihenfolge zu
Tage. Es mussten hier -aber ausserordentlich grosse Verdünnungen
des Serums angewendet werden, um Hemmungserscheinungen zu ver¬
meiden. R. O. Neumann - Heidelberg.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten.
2. Heft. 1907.
57. Bd.
1)P. Proskau er, E. Seligmann und Fr. Cr-oner- Berlin:
Ueber die Beschaffenheit der in Berlin eingefiihrten dänischen Milch.
Bei den vorliegenden Untersuchungen handelte es sich um che¬
mische un-d bakteriologische Ermittelungen der aus Dänemark ein¬
geführten Milch un-d um Erhebungen, ob die dänische Milch in
hygienischer Beziehung zu beanstanden sei. Es wurde Sommer¬
milch und W i n t e r m i 1 c h aus Dänemark untersucht und gleich¬
zeitig auch zum Vergleich Berliner Marktmilch und Pommer-
sche Milch. Es liess sich feststellen, -dass unter Berücksichtigung
der Transportverhältnisse, die zum Teil wegen zu langer Dauer des
Transportes verbesserungsbedürftig sind, die dänische Sommermilch
in biologischer Beziehung der im Berliner Verkehr befindlichen Milch
wenig nachsteht, in chemischer Hinsicht diese -sogar übertrifft. Für die
Ernährung von Säuglingen ist sie aber ebenso wenig, wie die Winter¬
milch geeignet. Der Keimgehalt der dänischen Milch ist grösser
als der Keimgehalt der Berliner und der Pommerschen Milch. Die
Reduktionskraft war gesteigert, -die katalysierende
Kraft vermindert. Der Säuregrad verhielt Stich bei allen Milch¬
sorten gleich. Die dänische Milc-h wies mehr Schmutz auf. Die bio¬
logischen Eigenschaften der Milch waren -also bei der Sommermilch,
entsprechend der wärmeren Temperatur gesteigert. Bemerkenswert
ist, dass unter 13 untersuchten dänischen Milchproben 5 Tuberkel¬
bazillen enthielten. Von 9 Milchproben von Berliner Marktmilch ent¬
hielten 5 Tuberkelbazillen.
5) Ed. B ü s i n g - Bremen: Beiträge zur Kenntnis der Diphtherie
als Volksseuche.
Besprechung und kritische Verarbeitung der in den letzten
3 Jahren im hygienischen Institut in Bremen untersuchten Diphtherie¬
fälle. In der Frage der Ubiquität entscheidet sich Verfasser dahin,
dass der virulente Diphtheriebazillus nicht ubiquitär sei, sondern sich
nur bei Diphtheriekranken und bei Rekonvaleszenten finde. Die viru¬
lenten Bazillen kommen für -die Verbreitung der Diphtherie nicht in
Betracht, obwohl sie morphologisch den echten gleichen. Eine sichere
Unterscheidung der H o f f m a n n - W e 1 1 e n h o f sehen Formen
(Pseudodipht-heriebazillen) von den echten gebe es zurzeit nicht, da¬
gegen liesse sich der „Xerosebazillus“ kulturell von beiden unter¬
scheiden (aber nicht in allen Fällen. Ref.).
3) S. M. P o g g e n p o h 1 - Petersburg: Zur Diagnose und zum
klinischen Verlauf des Paratyphus.
Die interessante Studie, die auf selbstgemachten Beobachtungen
beruht, zeigt, dass man bei der Diagnose von Paratyphus sich nicht
nur auf die Agglutinationsreaktion beschränken darf, weil sie trotz
hohen Fiebers zuweilen im Stiche lässt. Die Frage des Paratyphus
bietet nach des Verfassers Ansicht vorläufig nur wissenschaftliches
Interesse, da die Symptomatologie -des Paratyphus mit der des Ab¬
dominaltyphus identisch ist.
4) Paul Neumann - Halle a. S. : Statistischer Beitrag zur Sterb¬
lichkeit im ersten Lebensjahre in Halle a. S. für die Jahre 1893/1902.
Die Säuglingsterblichkeit in Halle steht nach den statistischen
Angaben des Verfassers in engster Beziehung mit den Magendarm¬
krankheiten und weist ungefähr -dieselbe Höhe auf wie Berlin, Breslau,
Königsberg und Stettin.
5) Emil F ü r t h - Hamburg : Ueber künstliche und natürliche
Pestinfektion von Fischen.
Es gelang nicht, bei Goldfischen mit vollvirulentem Pestmaterial,
weder durch Verbitterung, noch -durch intramuskuläre Injektion eine
Pesterkrankung zu erzielen. Die Pestbazillen wurden bei Verbitte¬
rung in den meisten Fällen schon nach 2—3 Tagen ausgeschieden, sie
können allerdings bis zu 5 Tagen im Darmtraktus verweilen. Bei In¬
jektionen können die Bazillen -in die Organe des Körpers übergehen,
ohne dass jedoch der Fisch pathologische Veränderungen aufweist.
Es ist also immerhin möglich, dass Fische unter Umständen Pest¬
bazillen verschleppen können. Inwieweit diese Befunde aber auf
andere F-ische zu übertragen sind, -darüber sind noch Versuche ab¬
zuwarten. R. O. N e u m a n n - Heidelberg.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 41 u. 42. 1907.
No. 41. 1) E. Fr iedb er ge r- Königsberg i. Pr.: Ueber Halt¬
barmachung der Komplemente.
Die Versuche ergaben, -dass durch Zusatz von Kochsalz zum
Serum des Meerschweinchens das sonst sehr labile Komplement kon¬
serviert wird. Im völlig getrockneten Serum werden die Komple¬
mente thermostabil.
2) R. Oe streich - Berlin und H. S t r a u s s - Berlin: Ueber
Vorkommen und Deutung einiger histologischer Veränderungen am
Magendarmkanal bei perniziöser Anämie.
Schon bei früheren Untersuchungen konnten die Verfasser fest¬
stellen, dass bei perniziöser Anämie neben einem starken Drüsen-
schwun-de des Darmes eine Vermehrung der Lymphozyten in der
Schleimhaut desselben besteht. Wie von R o j a s ausgeführte Unter¬
suchungen nachweisen, findet sich dieses Verhältnis im allgemeinen
bei anderen Zuständen nicht. Nach den neuerdings gemachten
Zählungen der Lymphozyten des Blutes besteht eine Beziehung
zwischen der Vermehrung des lymphatischen Gewebes im Magen¬
darmkanal und der Zunahme des Lym-phozytengehaltes des strömen¬
den Blutes. Die histologischen Befunde im Magendarmkanal sind
zwar an sich bedeutsam, doch können bindende Schlüsse bezüglich
einer die perniziöse Anämie erzeugenden Wirkung dieser Ver¬
änderungen nicht gezogen werden.
3) H. H i r s c h f e 1 d- Berlin: Erythrämie und Erythrozytose.
Verf. stellt die Sektionsergebnisse aus 5 Fällen der Polcythaemia
hypertonica zusammen und gibt eine Beschreibung des Blutbefundes
bei diesen Fällen. In allen zur Sektion gekommenen Fällen derart
hat eine Plethor-a v-era Vorgelegen. Das Primäre der Krankheit
scheint -eine krankhafte Wachstumsteigerung des erythroblastischen
Apparates zu sein, woraus sich eine Analogie zur Leukämie ergibt.
Verf. macht noch Vorschläge zur Nomenklatur der in Rede stehenden
Affektion.
4) H. W o 1 f f - Potsdam: Zur Frage der Abduzenslähmung nach
Lumbalanästhesie.
Es fehlt der Beweis, dass bei Abduzenslähmungen im Gefolge
der medullären Anästhesie regelmässig -eine Giftwirkung der injizierten
Substanzen vorliegt. W. hebt hervor, dass -die auftretenden Er¬
scheinungen auch schon durch die blosse Punktion bewirkt werden
können. So hat Ver-f. bei einem Kranken nur die Lumbalpunktion aus¬
geführt, jedoch ohne ein Anästhetikum einzuführen. Am 5. Tag trat
plötzlich eine Abduzenslähmung auf, welche nach einigen Wochen in
eine leichte Parese, nach 12 Wochen in Heilung überging. Verf. be¬
spricht die verschiedenen Möglichkeiten einer Erklärung solcher Vor¬
kommnisse und betont besonders eintretende intradurale Blutungen.
5) A. M e y e r - Berlin: Die Eröffnung des peritonsillären
Abszesses.
Verf. bespricht die Technik des Eingehens von der Fossa
supratonsillaris aus, wie sie von Ruault angegeben worden ist.
Dieses Verfahren ist, wie sich Verfasser an ca. 100 derartigen Fällen
überzeugen konnte, die physiologische Methode, welche besonders
auch die Auffindung kleiner Abszesse gewährleistet. Verf. benützt
zur Operation einen stumpfen M. S c h m i -d t sehen Tonsillenschlitzer.
6) Goldscheider - Berlin : Die Perkussion der Lungenspitzen.
Der Inhalt des Artikels, welcher eine grosse Anzahl von Ab¬
bildungen bringt, ist bereits auf Seite 1507 der Berliner Klinischen
Wochenschrift zur Besprechung gelangt.
No. 42. 1) P. v. Baumgarten - Tübingen : Ueber die durch
Alkohol hervorzurufenden pathologisch-histologischen Veränderungen.
Nach gemeinschaftlich mit Dr. Rumpel angestellten Experimenten.
Subkutan beigebrachter Alkohol ist unfähig, primär, d. h. von
lokalen Nekrosen oder Eiterung unabhängig, zur Schrumpfung
führende Prozesse zu bewirken. Der auf dem Wege der Blutbahn
eingebrachte Alkohol liess jedoch ebenfalls die Fähigkeit vermissen,
bei -den Versuchstieren eine Leberzirrhose erzeugen zu können, so-
dass die klinische Anschauung, dass der chronische Alkoholgenuss an
sich schwere nekrobiotische und zirrhotische Veränderungen der
parenchymatösen Organe, speziell der Leber hervorzurufen geeignet
sei, durch diese Versuche nicht gestützt wird. -Der Alkohol bewirkte,
auch wenn er subkutan beigebracht wurde, bei -den Tieren jedoch
hämorrhagische Erosionen der Magenschleimhaut. Nach dem Ausfall
dieser Versuche kann m-an -dem Alkoholabusus nur eine disponierende
Rolle für die Entstehung der Leberzirrhose zusprechen.
2) Franz Daeis -Gent: Experimenteller Beitrag zur Wirkung
des Yohimbins auf den weiblichen Genitalapparat.
2198
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
1). referiert über die bisherigen Versuche in dieser Richtung und
berichtet dann über seine eigenen. Er führte bei Hündinnen, welchen
er das Präparat gegeben hatte, Laparotomien aus und konnte fest¬
stellen, dass das Yohimbin die Brunst hervorzurufen schien, welche
auch durch die Entfernung der Ovarien nicht in kurzer Zeit wieder
zur Rückbildung gebracht werden konnte. Sowohl bei ganz jungen
Tieren, als auch bei solchen, welche erst vor einigen Monaten ge¬
worfen hatten, traten die Brunsterscheinungen nicht ein. Verf.
schliesst, dass es nicht erlaubt sei, ohne weiteres bei Amenorrhoe,
Aplasie und Menopausebeschwerden das Präparat zu verabreichen.
3) Carl B e c k - New York: Ueber Kombinationsbehandlung bei
bösartigen Neubildungen.
Verf. spricht sich unter Bericht und Abbildung einer Reihe be¬
handelter Fälle für die Kombination des blutigen Operationsver¬
fahrens und der Röntgenbehandlung aus, in der Weise, dass bald
nach der Operation der geschaffene Defekt intensiv bestrahlt wird,
sodass eine ausgiebige Reaktion zustande kommt. Hinsichtlich der
Technik betont Beck die Zweckmässigkeit des Blendenverfahrens.
4) J. W i 1 1 e - Berlin: Ueber die neue Methode quantitativer
Pepsinbestimmung nach .1 a k o b y und Solms.
W. gibt zunächst eine Darstellung des Solms sehen Verfahrens,
welches er selbst an 50 Kranken nachgeprüft hat. Er berichtet da¬
rüber in tabellarischen Uebersichten und kommt zu dem Schlüsse,
dass bei den verschiedenen Magenerkrankungen zwar zwischen
Säureverhältnis und Pepsin ein Zusammenhang besteht, dass jedoch
kein schematischer Parallelismus darin vorliegt. Bei funktionellen
Magenerkrankungen kann eine Verminderung der peptischen Kraft
Vorkommen. Die genannte Methode ist als eine hinlänglich zuver¬
lässige, billige und leicht anszufiihrende zu empfehlen.
5) A. M u s z k a t - Berlin-Reichenhall: Ueber anfallsweise auf¬
tretenden Darmschleimfluss.
M. veröffentlicht eine Beobachtung an einer 30 jährigen Näherin,
bei welcher — und zwar ohne gleichzeitige Koliken — reichliche
weissliche Schleimentleerungen aus dem Darm beobachtet wurden.
Die Schleimhaut des Rektums und der Flexur erwies sich als hype-
rämisch. Das Fehlen der Koliken trennt solche Fälle von den als
„Schleimkolik“ bezeichneten. Die betreffende Patientin zeigte seit
Jahren eine Labilität des vasomotorischen Nervensystems.
6) A. B u 1 1 i n g - Reichenhall und W. Rullmann - München :
Ein Fall von Lungenaktinomykose.
Die mitgeteilte eingehende Krankengeschichte betrifft eine 34jähr.
Frau, deren Sputumbefund 10 Jahre hindurch von Rullmann bak¬
teriologisch kontrolliert wurde. Der Sitz der Erkrankung Hess sich in
der rechten Lunge feststellen, welche sich nach dem durch Bluthusten
erfolgten plötzlichen Tode als mit massenhaften Kavernen durchsetzt
erwies. Während einer Inhalationskur in Reichenhall hatte eine
wesentliche Besserung stattgefunden. Verf. gibt eine eingehende
Epikrise seiner Beobachtung. Qrassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 42.
1) H. T i 1 1 m a n n s - Leipzig: Die allgemeine Behandlung der
Frakturen. (Klinischer Vortrag.)
2) Ri edel- Jena: Ueber die verschobene, an falschem Orte
durch Verwachsungen festgelegte rechte Niere. (Schluss.)
Bei den früher als Niereneinklemmung aufgefassten stürmischen
Attacken mit heftigem Schmerz und Erbrechen handelt es sich nach
der Erfahrung des Verf. entweder um einen akut entzündlichen Schub
in einer Hydronephrose oder um Festlegung der medianwärts ver¬
schobenen rechten Niere, wobei sich Verwachsungen zwischen Duo¬
denum und Gallenblase, Mesokolon und Leber, auch Adhäsionen an
der Pars pylorica des Magens finden können. Die von der Leber
nicht abgrenzhare Niere kann als Gallenblasentumor imponieren.
Aetiologisch kommt für die Nierenverlagerung Druck der Rockbänder
auf die Leber in Betracht, welche nach Verdrängung der Niere deren
Platz einnimmt. Adhäsionen können sich auch unabhängig von der
Wanderniere bilden. Verf. zeigt an Krankengeschichten die Schwierig¬
keit der Djfferentialdiagnose gegenüber Gallensteinleiden und Magen¬
erkrankungen; die fixierte Wanderniere kann nämlich sowohl Ikterus
gravis, als auch stürmische Magensymptome hervorrufen. In letz¬
teren Fällen empfiehlt sich grosser vorderer Schnitt zur Lösung der
Adhäsionen; die Fixation der mobilisierten Niere an der richtigen
Stelle geschieht dann durch Schnitt von hinten, der bei einfacheren
Fällen allein genügt.
3) M. M a r t e n s - Berlin : Ueber Pylephlebitis purulenta bei
Perityphlitis.
Da Verf. in einem Fall schon nach 40 Stunden bei der Operation
eine eitrige Pfortaderentzündung antraf, tritt er für die früheste Früh¬
operation — wenigstens der schweren Fälle — ein. Von seinen
52 Operationen des letzten Jahres, welche innerhalb der ersten
48 Stunden gemacht wurden, endeten 2 tödlich, da eben die Hilfe schon
zu spät kam.
4) H. R i b b e r t - Bonn: Die Eingangspforten der Tuberkulose.
Referat auf dem 14. internationalen Kongress für Hygiene und Demo¬
graphie. Ref. an anderer Stelle dieser Wochenschrift.
5) .1 Pal -Wien: Ueber das Vorkommen mydriatisch wirkender
Substanzen im Harne.
Von 28 Nephritikern hatten 22. von 18 Graviden 6 im Harne
mydriatisch wirkende Substanzen. Bei einem Hunde bewirkte intra¬
venöse Injektion von Adrenalinlösung dieselbe Reaktion.
6) Karl Klieneberger - Königsberg: Weitere Beiträge zum
saprophytischen Vorkommen von hämoglobinophilen Bazillen (Sapro-
phytie in den Harnwegen).
In drei Fällen wies Verfasser in bluthaltigem Urin hämoglobi'no-
phile Stäbchen morphologisch und kulturell nach. Daneben waren
jedoch immer Bakterien vorhanden, welche allein Zystitis oder Pyelitis
hervorrufen können.
7) H e y m a n n - Dresden: Erfahrungen mit der Quarzlampe.
Die Quarzlampe ist nach Verfasser eine brauchbare Unter¬
stützung für die Lupusbehandlung, bewährt sich ferner bei Ekzem,
oberflächlichem Naevus flammeus, Akne.
8) O. S c hu m m - Hamburg-Eppendorf: Zur Kenntnis der Benzin¬
blutprobe.
Wegen der ausserordentlich grossen Unterschiede in der Emp¬
findlichkeit der Benzidinpräparte kann Verf. die Probe dem Praktiker '
vorläufig nicht unbedingt empfehlen. R. G r a s h e y - München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 42. R. Grassberger und A. S c h a 1 1 e n f r o h - Wien:
Immunitätsfragen.
Vorgetragen auf dem internationalen hygienischen Kongress in
Berlin.
A. G hon -Wien: Meningokokken und verwandte Bakterien.
Vorgetragen auf dem internationalen hygienischen Kongress.
R. Kr aus- Wien: Ueber Toxine und Antitoxine des Cholera¬
vibrio.
Experimentelle Grundlage einer antitoxischen Choleratherapie.
Vorgetragen auf dem internationalen hygienischen Kongress.
A. Herz- Wien : Beeinflussung der Gruber-Widal sehen
Reaktion durch sekundäre Erysipelinfektion.
Krankengeschichte einer Frau, die wegen eines Rezidives von
Typhus abdominalis in Behandlung kam. Interkurrentes Gesichts¬
erysipel; während der Dauer desselben wurde die vorher positive
Gruber-Widal sehe Probe negativ, um nach Ablauf des Erysipels
wieder positiv zu werden. Aehnliches ist bei Mischinfektionen des
Iyphus mit Staphylococcus albus und Diplococcus pneumoniae be¬
obachtet worden. Im Gegensatz zu den analogen Versuchen mit diesen
Kokken gelang es Verf. nicht, experimentell durch Zusatz von Ery¬
sipelserum die Agglutination der Typhusbazillen zu alterieren.
E. Mayr -Graz: Die Sekretion des Magensaftes und ihre Be¬
ziehungen zu psychopathologischen Zustandsbildern.
An etwa 90 Kranken der psychiatrischen Klinik hat M. Salzsäure-,
Pepsin- und Labsekretion bestimmt und ist dabei, je nach der Art
der psychischen Alteration, zu verschiedenen Befunden gelangt. Z. B.
hatten die Fälle von reiner Manie mässige oder niedrige Zahlen für
die Azidität, sehr geringe für Pepsin, die ausgeheberte Milch gerinnt
erst nach einiger Zeit im Brutschrank. Dagegen waren bei manischen
Zuständen der Hebephrenie die entsprechenden Zahlen auch für den
Labgehalt höher, die Milch wurde geronnen ausgehebert. In ähnlicher
Weise werden die Befunde bei Amenz, katatonem Irresein, Angst¬
psychosen, die chronische Paranoia klassifiziert. Von Einfluss scheinen
bei den einzelnen Kranken Schwankungen in der Stimmung zu sein;
die Verweigerung der Nahrungsaufnahme scheint auf den Typus des
Befundes ohne Einfluss zu sein. Die Gravidität und das Puerperium
wiesen besonders hohe Werte für die Azidität auf.
O. Porges und E. Neubauer-Wien: Ueber die Kolloid¬
reaktionen wässeriger Lezithin- und Cholesterinsuspensionen.
Die für die physikalische Chemie der Lipoide interessanten
Untersuchungsresultate können hier nicht wiedergegeben werden.
K r e i b i c h - Prag: Ueber Hydroa vacciniforme und Frühjahrs¬
katarrh.
K. erörtert die Wechselbeziehungen der beiden seltenen, aber
relativ oft gleichzeitig vorhandenen Affektionen unter Anführung einer
Krankengeschichte. Im Gegensatz zu A x e n f e 1 d kommt er zu dem
Schluss, dass beide durch die Einwirkung der Sonne bei vorhandener
besonderer Disposition hervorgerufen werden.
.1. C. Reinhardt- Teschen: Zur Anwendung des Murphy-
schen Darmknopfes.
Bei 34 Operationen war die Zahl der Zwischenfälle relativ gross.
Nach Gastroenterostomia antecolica anterior, die sich allerdings dazu
nicht eignet, fand^ sich dreimal der Knopf in den Magen gefallen; in
einem weiteren hall musste der Knopf operativ entfernt werden; in
einem anderen verstopfte ein Pflaumenkern den Knopf un,d es kam
zu langwierigen Abszessen; in zwei Fällen erfolgte der Tod (Ileus,
Verstopfung des Knopfes durch einen Kirschkern). Der Knopf wurde
schliesslich nur bei verzweifelten Fällen als Notbehelf angewandt.
M. Herz- Wien: Zur Orthodiagraphie des Herzens.
Um die für den praktischen Arzt umständliche und unangenehme
Verdunkelung des ganzen Untersuchungszimmers zu vermeiden, ver¬
wendet Verf., nach Art des Dunkeltuches bei den Photographen, einen
weiten Schlauch von schwarzem Tuche, der an den Rand des Platin-
zyaniirschirmes festgenagelt und mit der anderen Oeffnung über
Kopf und Brust des Untersuchenden gestülpt wird. Ein Aermel an
der rechten Seite des Sackes macht den Zeichenstift im Innern zu¬
gänglich.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2199
29. Oktober 1907.
Wiener klinisch-therapeutische Wochenschrift.
No. 25. Chantemesse und Kahn- Paris : Prophylaxe und
Behandlung der Infektion des Peritoneums mittels Nukleins.
Bei der Behandlung des Typhus hat Ch. mehrmals die subkutane
Injektion einer 1 proz. Lösung von nukleinsaurem Natrium versucht,
wo sich peritonitische Reizerscheinungen mit Meteorismus einstellten
und den Verdacht auf eine Perforation erwirkten. Der Erfolg, der
mit der Entstehung einer Hyperleukozytose erklärt wird, war wieder¬
holt ein recht befriedigender, was die Abnahme der Temperatur,
der Schmerzhaftigkeit und Beeinflussung des Allgemeinbefindens be¬
trifft. Vielleicht ist das Mittel imstande, den Ablauf einer Peritonitis
zu mildern, unter Umständen auch die notwendige Widerstandskraft
bei der operativen Behandlung von Darmperforation zu erhöhen.
Berge a t - München.
auch häufig tropische Krankheiten verkannt. Verf., einer der besten
englischen Tropenärzte, gibt in dieser Arbeit den europäischen Aerzten
eine Reihe nützlicher Winke. So macht er darauf aufmerksam, dass
in England Malariaanfälle bei alten Tropenbewohnern hauptsächlich
während der warmen Sommermonate auftreten, er empfiehlt deshalb,
diese Kranken in ein kühleres Klima zu schicken, sobald sich die Ma¬
laria bemerkbar macht, und nicht, was häufig geschieht, in ein wär¬
meres. Hämoglobinurie (Schwarzwasserfieber) tritt in nicht allzu
seltenen Fällen zum ersten Male auf, wenn der Patient aus West¬
afrika nach Europa zurückkehrt. Chinin ist von zweifelhaftem Nutzen.
Verf. sah häufig eine Verminderung der Blutung durch Terpentin
(10 Tropfen 2 stündlich, bis 50 Tropfen genommen wurden). Die
tropische Dysenterie, die in England zur Beobachtung kommt, wird
am besten mit Ipekakuanha behandelt. Die Bittersalzbehandlung
bleibt in der Regel erfolglos. Verf. sorgt zuerst für gute Stuhlent¬
leerung und den Abgang etwa vorhandener Würmer durch Santonin
und Oel. Dann gibt er am folgenden Morgen um 9 Uhr 40 Minuten
20 Tropfen Opiumtinktur, 10 Minuten später legt er ein Senfpflaster
auf das Epigastrium, um 10 Uhr gibt er 2,0 frischgepuverte Rad. Ipe-
cacuanhae in Cachets. Der Kranke muss mit niedrig gelagertem
Kopfe vollkommen ruhig bleiben. Tritt gleich nachher Erbrechen
ein, so muss die Dosis wiederholt werden. Am folgenden Tage wird
unter denselben Vorsichtsmassregeln 1,75 Ipekakuanha gegeben, an
den folgenden Tagen, 1,5, 1,0 und 0,75. 3 Stunden vor und nach
dem Einnehmen der Ipekakuanha darf keinerlei Nahrung gegeben
werden. Ziemlich häufig ist in England der tropische Leberabszess.
Verf. teilt ihn ein in den suprahepatischen, intrahepatischen und
subhepatischen. Der erste ist fast immer, der letzte immer unabhän¬
gig von Dysenterie; der intrahepatische Abszess ist dagegen fast
immer mit Dysenterie verbunden. Wird Eiter in der Leber vermutet,
so punktiere man in Narkose und treffe alle Vorbereitungen, um,
wenn die Punktion positiv ausfällt, sofort die Operation anschliessen
zu können. Verf. entleert den Eiter, wenn er tief sitzt, stets mit einem
dicken Trokar, dann führt er zur Drainage durch denselben ein
dickes Qummirohr ein, das liegen bleibt. Die Eröffnung mit dem
Messer verwirft er. Er hat 100 Leberabszesse derartig operiert und
17 Fälle verloren. Verf. erwähnt dann unter anderem noch, dass das
Maltafieber ziemlich häufig in England vorkommt, und dass es von
allen fieberhaften Krankheiten weitaus am schwierigsten zu be¬
handeln ist.
F. M. Pope: Zur Behandlung der Tabes mit Fibrolysin. (Ibid.)
Verf. gibt die Geschichte eines Tabikers, bei dem er mit 24 Ein¬
spritzungen von 2,3 ccm Fibrolysin eine auffallende Besserung er¬
zielt haben will.
Hugh Maclean: Die Fehlerquellen der Fehling sehen Zucker¬
probe. (Ibid.)
Schöne Arbeit, die namentlich für Versicherungsärzte von Inter¬
esse ist. Verf. macht darauf aufmerksam,, dass bei der Zuckerunter¬
suchung so häufig vernachlässigt wird, vor Anstellung der Probe das
spezifische Gewicht zu nehmen. Ist dasselbe hoch, so muss es durch
Verdünnen des Urins auf 1015 gebracht werden. Gibt ein derartig
verdünnter Urin, wenn man ihn mit dem gleichen Volumen Feh¬
ling scher Lösung 10 Sekunden lang kocht sofort oder nach kurzem
Stehen eine deutliche Reaktion, so kann man annehmen, dass Zucker
in pathologischen Mengen vorhanden ist. Deutlich ist die Reaktion,
wenn mindestens eine opaleszierende Flüssigkeit mit grünlichem oder
gelblichem Niederschlag entsteht. Man muss dabei wissen, dass der
Urin bei der Abkühlung schwerer wird. Ein frischgelassener Urin
von 1020 wiegt, auf Zimmertemperatur abgekühlt, 1025 bis 1026. Fin¬
det man bei gewöhnlicher Diät dauernd Spuren von Zucker im Urin,
so muss vom Versicherungsstandpunkt aus das Leben als gefährdet
betrachtet werden. Vorübergehende Zuckerausscheidung, die z. B.
nach seelischen Erregungen oft beobachtet wird, ist meist ohne Be¬
deutung.
Wm. St. Clair Symmers und W. James Wilson: Die Züch¬
tung des Meningokokkus in der jetzt bestehenden Epidemie von
Meningitis in Belfast. (Ibidem.)
Es gelang den Verff. bei 75 untersuchten Fällen 52 mal den Me-
ningokokus aus der durch Spinalpunktion gewonnenen Flüssigkeit rein
zu züchten; aus dem Blute von 15 lebenden Kranken konnte er
3 mal gezüchtet werden. Es handelte sich um einen Gram-negativen
Organismus, der Gelatine nicht peptonisiert, Indol produziert, Säure
aus Glukose und Maltose, aber nicht aus Galaktose bildet und nie¬
mals Gas produziert. Er wächst gut auf Nährböden, die frische
Aszitesflüssigkeit enthalten; er lebt etwa eine Woche lang auf „Cha-
pasgar“, 2 Wochen bis 1 Monat auf Aszitesbouillon und 2 Wochen
bis 2 Monate auf flüssigen, Zucker enthaltenden Nährböden.
R. Lawford Knaggs: Ueber Stichfrakturen der Schädelbasis.
(Lancet, 1. Juni 1907.) .
Diese Frakturen werden sehr häufig im Beginn ubersehen, am
häufigsten erfolgt der Stich durch die Orbita (in 6 von 11 Tällen).
Auch nach innen von Arcus zygomaticus dringt der Fremdkörper zu¬
weilen ein, seltener vom Munde aus. Die äussere Wunde ist oft weit
vom Sitze der Basisfraktur entfernt, wodurch die Diagnose ausset¬
ordentlich erschwert wird. Der eindringende Fremdkörper bleibt zu¬
weilen zurück und wird übersehen; es kommt dann, wenn der Kranke
den unmittelbaren Folgen der Verletzung (Hirnblutung etc.) entgeht.
Englische Literatur.
W. B, Leishman: Ueber Schutzimpfungen in der englischen
Armee gegen lyphus. (Journal ot the Royal Army Medical Corps.
Mai 1907.)
W. S. Harrison: Dto. (Ibid.)
E. J. H. Luxmoore: Dto. (Ibid.)
Die drei Arbeiten geben eine vortreffliche Uebersicht über den
augenblicklichen Stand aer Typhusimpiungen in der englischen Armee,
die seit 189/ von A. E. W r i g h t zuerst versuent wurden. Leish¬
man berichtet über die von W r i g h t in Indien und Aegypten in
grossem Massstabe inaugurierten Impfungen und über das allmähliche
Nachlassen des Interesses an dieser Methode, das sich dadurch er¬
klärt, dass man die Autklärungen, die man aus den während des
Burenkrieges gemachten Impfungen hoffte, nicht erhielt, da keine ge¬
nauen Statistiken gemacht werden konnten. Soweit Berichte ein¬
liefen, lauteten sie allerdings sehr günstig für die Wirkung der
Methode. Auch in der Erieoenspraxis haben sich die Impfungen be¬
währt, so erkrankten während der Maidstone-Epidemie von 120
nicht geimpften Pflegerinnen 16, von 84 geimpften keine. Dieselben
günstigen Resultate wurden aus den hospitälern von Ladysmith,
Princess Christian, Portland, Scottish Red Cross, Kroonstadt und
Harrismith gemeldet. Trotzdem machten sich eine Anzahl von Stim¬
men gegen die Vornahme der Impfungen geltend, und zwar befürchtete
man, dass die negative Phase, die sich bekanntlich nach der Impfung
einstellt, und während welcher der Opsoningehalt des Blutes ver¬
ringert ist, während dieser ersten Zeit direkt zur Infektion disponiere.
Es wurden schliesslich die Impfungen verboten und eine Kom¬
mission (in der auch Leishman sass) ernannt, um die ganze Frage
zu prüfen. Auf Anraten dieser Kommission sind seit einiger Zeit
die Impfungen wieder erlaubt worden. Die Kommission hat ferner
geraten, 2 Impfungen in einem Zwischenräume von 10 Tagen zu
machen; dann soll jedem Regiment, das ins Ausland geht, ein be¬
sonderer Militärarzt beigegeben werden, der das Impfungsverfahren
genau studiert hat; dieser Arzt bieibt 3 Jahre bei dem Regiment,
überwacht die Impfungen und sammelt das ganze darauf bezügliche
Material. 8 derartige Aerzte sind bisher ernannt worden. Nach
Indien sind bisher 15 000 Dosen der Vakzine gesandt worden. In
Indien überwacht in jedem Militärdistrikt ein älterer Arzt das Impf¬
geschäft, auch sucht er die Mannschaften durch Vorträge und Be¬
lehrungen zu veranlassen, sich impfen zu lassen. Der Impfstoff wird
im wesentlichen nach W rights Vorschriften hergestellt, nur tötet
man die lebenden Kulturen bei 55 0 C, statt bei 60 — 65 u C, wie
W r i g h t empfahl. Die Impfungen brauchen nicht mehr, wie früher,
in die Flanke gemacht zu werden, wodurch die Unbequemlichkeit beim
Gehen fortfällt, überhaupt ist die lokale Reaktion nach der Impfung
jetzt viel milder wie früher. Unbedingt nötig sind 2 Impfungen. Zur
ersten verwendet man 0,5 ccm der Vakzine (500 Millionen Bakterien);
zur zweiten die doppelte Menge. Harrison berichtet in seiner
Arbeit über die verschiedenen Methoden, die Vakzine herzustellen.
Dann hat er versucht, festzustellen, wie lange das Blut geimpfter Per¬
sonen an Schutzstoffen reicher bleibt. Er hat gefunden, dass das
Blut der Geimpften noch nach 6 Jahren eine stärkere bakterizide Wir¬
kung entfaltet und mehr Agglutinine enthält, als das der Ungeimpften.
Allerdings steht es nicht fest, ob die Schutzkraft, die die Impfung ver¬
leiht, nach 6 Jahren noch gross genug ist, um Infektion sicher zu
verhüten. Luxmoore berichtet über die günstigen Erfolge, die
man bei den 17 er Uhlanen in Meerut mit der Impfung erzielte. Das
Regiment verliess 1905 England. Wenige Wochen nach der Ankunft
in Indien brach durch unbekannte Ursache Typhus aus. Die spätere
Verbreitung geschah, wie Verf. glaubt, durch Fliegen. Erst nachdem
die trockene Erde in den Latrinen durch 2 proz. rohe Karbolsäure
ersetzt war, verminderten sich die Fliegen und gleichzeitig auch die
Zahl der Erkrankungen. Im ganzen kamen 63 Erkrankungen vor, da¬
von betrafen 61 ungeimpfte Soldaten, 2 solche, die die zweite Imp¬
fung verweigert hatten.
James Canti ie: Ueber Tropenkrankheiten, die in England zur
Beobachtung kommen. (Brit. med. Journ., 22. Juni 1907.)
In England kommen natürlich alljährlich eine grosse Reihe von
Kranken zur Beobachtung, die kürzere oder längere Zeit in den Tro¬
pen zugebracht haben. Häufig werden dabei Fehler in der Diagnose
gemacht, und zwar werden vielfach Krankheitsbilder als Malaria
gedeutet, die nichts damit zu tun haben, andererseits werden aber
2200
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
leicht zur Ausbildung einer Meningitis. Die Prognose der Verletzung
ist sehr schlecht. Verf. gibt 11 Krankengeschichten.
ß. C. Stevens: Zur chirurgischen Nachbehandlung. (Ibid.)
Verf. empfiehlt, Operierte nicht, wie das oft geschieht, unbe¬
weglich liegen zu lassen, sondern schon nach wenigen Stunden auf¬
zusetzen und häufig zu drehen. Der Durst wird durch Wasserein¬
läufe bekämpft, auch kann man bei Laparotomien vor Schluss der
Bauchhöhle dieselbe mit Kochsalzlösung füllen. Per os gibt er
Eiweisswasser und Plasmon, Milch vermeidet er kurz vor und nach
der Operation. Während der ersten 24 Stunden braucht nicht kathe-
terisiert zu werden. Am Abend des zweiten Tages gibt er 0,3 Kalo-
mel, am folgenden Morgen einen Einlauf. Drainagen sollten meist
nach 48 Stunden entfernt werden. Die Kranken sollen nach Laparo¬
tomien 3 Wochen liegen und fiir 6 Monate eine Bandage tragen.
Schock wird am besten dadurch vermieden, dass man den Patienten
vor der Operation nicht zu stark hungern oder abftihren lässt. Sehr
empfehlenswert sind die in England viel gebrauchten Anzüge aus
Qamgee-Qewebe, die die Pflegerin zusammenheftet und die der
Kranke während der Operation trägt. Kochsalzinfusionen, Adrenalin
und Sauerstoffatmungen sind die besten Mittel zur Bekämpfung des
Schocks. Tritt Meteorismus auf, so gebe man stündlich 0,15 Kalo-
mel und Bittersalz, man führe auch ein Darmrohr ein und mache ein
Klystier mit Terpentin. Das Erbrechen wird am besten mit Magen¬
spülung bekämpft.
David McCay: Die W right sehe Methode der Blut- und
Urinuntersuchung und ihre Ergebnisse. (Ibid.)
Es scheint, als ob bei verschiedenen Formen der Anämie und bei
Nierenerkrankungen das Serum reicher an Salzen ist, während die
Flüssigkeit in den Geweben zurückgehalten wird. Dies geschieht ganz
unabhängig von der Nierentätigkeit, und Widals Ausdruck ,., renale
Undurchlässigkeit“ ist deshalb unrichtig. Wahrscheinlich hängt die
Konzentration des Serums zusammen mit Veränderungen des Blutes
(Verlust an Hämoglobin, Verminderung in der Zahl der roten Blut¬
körperchen etc.). Der sog. exkretorische Quotient, d. h. das Verhält¬
nis der Salzkonzentration des Serums und des Urins hängt nicht vom
Zustande der Niere ab, sondern von der Beschaffenheit des Blutp<'
Näheres im Original.
Geo H. Edington: Zur Frage des Ulcus pepticum jejuni.
(Glasgow Medical Journal, Juni 1907.)
Verf. hat vor kurzem einen 46 jährigen Mann operiert, bei dem
7 Jahre früher wegen gutartiger Pylorusstenose eine Gastroentero¬
stomie gemacht worden war. Der Mann war- 5 Jahre ganz gesund,
dann trat ein Steinverschluss des Ductus cysticus auf, weswegen
die Gallenblase und der Zystikusstein entfernt wurden. Dann wieder
völliges Wohlbefinden bis wenige Stunden vor Verf.s Operation, die
wegen Perforationsperitonitis gemacht wurde. Der Kranke starb
kurz nach der Operation, die gezeigt hatte, dass er sich um ein
perforiertes Ulcus pepticum des Jejunum handelte. Verf. bespricht
dann ausführlich das Ulcus pepticum jejuni und stellt einschlägige Fälle
aus der Literatur zusammen.
William George Harnet: Die Frühdiagnose des perforierten
Magengeschwüres. (Dublin Med'ic. Journ., Juni 1907.)
Seit man gelernt hat, das perforierte Magengeschwür durch die
Operation zu heilen, wenn dieselbe zeitig gemacht wird, ist die Früh¬
diagnose dieses Leidens natürlich von der grössten Bedeutung ge¬
worden. Fälle, die in den ersten 12 Stunden operiert werden, geben
eine gute Prognose (72 Proz. Heilungen); von 12 bis 24 Stunden nach
der Perforation operierten Fällen wurden nur 37 Proz. geheilt, von
den noch später Operierten starben fast alle. Die Hauptzeichen der
akuten Perforation sind der Schmerz, der zuerst auf das Epigastrium
beschränkt ist, später diffus wird und ganz plötzlich beginnt. Er¬
brechen ist ein ganz unsicheres Zeichen, da es oft fehlt. Rigidität
der Muskeln ist das wichtigste Zeichen, das im Beginn (ehe Meteoris¬
mus auftritt) niemals fehlt. Es besteht fast immer Druckempfindlich¬
keit im Epigastrium. Im Beginn bestehen zumeist Blässe und Kollaps
die aber nach einigen Stunden oft verschwinden. Die Temperatur
ist durchaus ohne Bedeutung, auch der Puls täuscht häufig. Verf.
gibt eine Anzahl von Krankengeschichten und bespricht des näheren
die Differentialdiagnose.
Claude B. Ker: Zur Frage der Intubation bei Larynxdiphtherie.
(Scottish Medic. et Surgical Journal. Juni 1907.)
Verf. berichtet über 70 Intubationen. Bei 52 Kindern wurde nur
in tubiert, es starben 9 (3 an Herzlähmung, nachdem die Tube bereits
entfernt war, 1 3 Wochen nach der Extubation an Pneumonie, 2 an
Toxämie, 1 an Pneumonie, 1 an Sepsis. Bei den letzten 4 Fällen trat
der Tod ein während die Tube noch in situ lag, in jedem dieser
rälle hatte die Intubation die Erstickungsgefahr beseitigt. Bei 18
Fällen wurde später noch die Tracheotomie nötig, von diesen starben
10. Verf. zieht in der Hospitalpraxis die Intubation der Tracheotomie
vor, auch in der Privatpraxis sollte, wenn irgend möglich, intubiert
werden, da die Tracheotomie viel gefährlicher ist.
Claude B. Ker und David H. Croom: Die Behandlung der
Diphtherie mit Acid. formic. (Edinburgh Medic. Journal, 1. Juni 1907.)
Nachdem Croom schon früher 100 Fälle von Diphtherie mit
Acid. formicum behandelt und den Eindruck gewonnen hatte, dass
dieses Mittel sehr günstig auf die Muskulatur einwirke, wurden
hude 190() alle in das Edinburgh City Hospital aufgenommenen Fälle
von Diphtherie so behandelt. Zur Verwendung kam eine 25 proz.
Lösung der Säure in Wasser; alle 4 Stunden wurden 5 — 20 Tropfen
in Wasser gegeben. Die Dosierung richtete sich im allgemeinen
mehr nach der Schwere des Falles als nach dem Alter des Kindes.
Das Mittel wurde gerne genommen; es schien eine deutliche Ein¬
wirkung auf den Puls zu haben; derselbe hatte bei den mit Acid.
formic. behandelten Fällen viel weniger Neigung schwach und irregulär
zu werden, als bei nicht so behandelten. Auffallend war auch, dass
die Gesichtsfarbe selbst bei .sehr schweren Fällen eine gute blieb.
Von 507 (1905) Fällen, die ohne Acid. formic. behandelt wurden,
starben 8 Proz., 3,07 Proz. an Herzlähmung. 9,09 Proz. zeigten son¬
stige Lähmungen und 23,7 Proz. Albuminurie. Von 412 (1906) mit
Acid. formic. behandelten starben 6,2 Proz., 1,99 an Herzlähmung.
Sonstige Lähmungen zeigten 2,9 Proz.; 15,7 Proz. litten an Albu¬
minurie. Die Verfasser glauben nicht, dass 1906 die Diphtherie milder
verlief als in den vorausgehenden Jahren. Sie glauben entschieden,
dass das Acid. formic. eine sehr gute Wirkung ausgeübt hat und
empfehlen seine weitere Verwendung.
W. H. Battle: Die traumatische Darmruptur. (Ibidem.)
Verf. stützt seine Bemerkungen auf 30 im St. Thomas Hospitale
beobachteten Falle. Von diesen kamen 25 zur Operation, 6 wurden
geheilt, alle anderen starben. Verf. legt grosses Gewicht auf das
Auftreten von Schmerz, von Erbrechen und von Schock. Muskel¬
rigidität ist fast immer vorhanden und ein sehr wichtiges Zeichen,
Zuweilen tritt sehr bald nach der Ruptur eine hohe Temperatur¬
steigerung auf. Sehr häufig fehlen anfangs alle Symptome. Man muss
eine sehr genaue Anamnese machen und die Art der Verletzung
sehr genau zu ergründen suchen. Treten bei Hufschlagsverletzungen
oder ähnlichen Unglücksfällen irgendwie zweifelhafte Erscheinungen
auf, so operiere man sofort, denn nur eine frühzeitige Operation
kann etwas nützen.
H. H. B u 1 1 m o r e und Rupert Water house: Der Blutbefund
bei Arthritis deformans. (Ibidem.)
Die Verfasser haben bei 42 Fällen das Blut genau untersucht.
Sie fanden stets Anämie. Es bestand Verminderung der roten Blut¬
körperchen (um 5 — 25 Proz.) und eine etwas stärkere Verminderung
des Hämoglobins (10 — 30 Proz.). In der grossen Mehrzahl der Fälle
fanden sie keine Vermehrung der Leukozyten und normale Verhältnis¬
zahlen der verschiedenen Arten der Blutkörperchen zu einander. In
vereinzelten Fällen fand man einige Myelozyten.
(Schluss folgt.)
Inauguraldissertationen.
Ueber G 1 y k o s a 1 berichtet Burkhard Ketterer in einer Frei¬
burger Dissertation. Auf Veranlassung von Prof. Thomas hat der
Verfasser im Verlaufe eines Jahres in der Poliklinik in Freiburg i. Br.
alle für die Salizyltherapie sich eignenden Krankheitsfälle mit Gly-
k o s a 1 = Mono-Salizylsäure-Glyzerinester (von E. Merck, Darm¬
stadt, im Jahre 1901 in die Therapie eingeführt) behandelt. Das
G 1 y k o s a 1 ist ein reines, weisses, geruchloses, kristallinisches
Pulver von herbbitterlichem Geschmack. Seine Ergebnisse fasst
Ketterer in folgenden Sätzen zusammen : 1. G 1 y k o s a 1 ist fast
vollständig frei von unangenehmen Nebenwirkungen und ist insofern
dem Natrium salicylicum entschieden vorzuziehen. 2. Die Wirkung
des Glykosal ist bei allen akuten und chronischen Rheumatismen,
Neuralgien, rheumatoiden und neuralgiformen Erkrankungen der des
Natrium salicylicum und Aspirins mindestens gleichwertig, sogar da,
wo es sich um eine gute Diaphorese handelt, beiden überlegen.
3. Glykosal wirkt infolge seiner diaphoretisch-desinfizierenden
Eigenschaften namentlich bei Erkältungskrankheiten, wie Schnupfen,
Bronchitis, Katarrh der oberen Luftwege, Pleuritis sicca mit Schmer¬
zen und Fieber vorzüglich. Es erweist sich ebenso wie Aspirin gegen¬
über schmerzhaften Frauenkrankheiten, wie Dysmenorrhoe und Kar¬
zinom der Mamma und des Uterus, als eminent schmerz¬
stillend. 5. G 1 y k o s a 1 ist von grosser Bedeutung für die Zahn¬
heilkunde, indem es alle Schmerzen, wie sie bei Karies, nach Extrak¬
tionen, Periodontitis, Abszessen und nach Einlegen der Arsenplompen
auftreten, prompt beseitigt.
Fortgesetzte Beobachtungen des Blutdrucks
bei Herzkranken hat Arthur Franz an der inneren Abteilung
des Augusta-Hospitals in Köln angestellt (Dissertation, Kiel 1907).
Dabei ergab sich, dass der Blutdruck unter der Einwirkung von Digi¬
talis nicht erhöht wird, auch nicht durch intravenöse Digaleninjek-
tionen (5 ccm Digalen). Der Blutdruck wurde kurz vor der Injektion,
5 — 30 Minuten nach derselben und am folgenden Tag gemessen, aber
nie konnte eine Drucksteigerung festgestellt werden.
Die Dissertation von Julius Popp (Erlangen 1907) ü b e r f r e i e
Gelenkkörper liefert einen wertvollen Beitrag zur Genese
der Gelenkmäuse. In dreien der 6 ausführlich geschilderten
Fälle, welche aus der Erlanger resp. Rostocker Universitätsklinik
(Prof. Graser) stammen, war es möglich mikroskopische
Untersuchungen anzustellen, deren Ergebnisse eine Stütze
der Anschauung von der einfachen traumatischen Ge-
n e se der freien Gelenkkörper bilden. Es wurden in diesen
Fällen Knorpelzellen in den Präparaten nachgewiesen, ferner mehr
oder weniger umfangreich vorhandene verkalkte Grundsubstanz und
in 2 Fällen lamellärer Knochenbau mit Kanalbildung. Von Vorgängen,
die auf eine Nekrose im Sinne einer Osteochondritis hinwiesen, war
nichts zu konstatieren. Fritz L o e b.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2201
Vereins- und Kongressberichte.
VII. Internationaler Physiologenkongress
in Heidelberg vom 13. bis 16. August 1907.
Bericht von Professor Dr. H. S t e u d e 1 in Heidelberg«
(Schluss.)
II.
Im anatomischen Institut wurden Vorträge hauptsächlich aus
dem Gebiete der Physiologie des Intestinaltraktus, des Genital¬
apparates und der Atmung gehalten. Von diesen haben etwa die
folgenden ein allgemeineres Interesse:
Warren P. Lombard-Ann Arbor konnte mit Hilfe einer sinn¬
reich konstruierten Wage den Gewichtsverlust graphisch als
Kurve darstellen, den ein Mann durch den Gaswechsel
während der Atmung und durch die Verdunstung
an der Hautoberfläche erleidet. Die Wage konnte bis zu
80 000 000 mg belastet werden und zeigte dann noch einen Gewichts¬
wechsel von 20 mg in 3 Sekunden an. Der Gewichtsverlust während
eines Versuches am Menschen kommt fast ganz auf Rechnung von
Kohlensäure und Wasser, die durch die Lungen ausgeschieden werden,
und von Wasser, das an der Hautoberfläche verdunstet. Diesem
Verlust steht eine Zunahme gegenüber in dem eingeatmeten und in
den Lungen resorbierten Sauerstoff. Da der Verlust an CO2 und die
Zunahme an Sauerstoff sich dem Gewicht nach ungefähr gleich¬
bleiben, so ist der registrierte Gewichtsverlust fast ganz auf Rechnung
des Wassers zu setzen. Die Schnelligkeit des Gewichtsverlustes ist
den mannigfaltigsten Ursachen unterworfen und wechselt sehr stark;
selbst psychische Alterationen, die mit einer Vermehrung der Atem¬
züge einhergehen, können durch den damit verbundenen grösseren
Wasserverlust den Modus der Ausscheidung beeinflussen.
G. Coronedi und F. Delitala haben an Hunden, die nach
P a w 1 0 w operiert waren, die Ausscheidung des Magen¬
saftes beobachtet und sind zu dem Resultat gekommen, dass unter
konstanten physiologischen Bedingungen (gleiche Nahrung, Schein¬
fütterung immer in gleicher Weise) auch immer ein Magensaft von
konstanter Zusammensetzung sezerniert wird. Es wurde ferner der
Einfluss des Kokains, Atropins, Pilokarpins und des Alkohols auf die
Ausscheidung und Zusammensetzung des Magensaftes untersucht.
Leon A s h e r - Bern berichtet über Untersuchungen an
zwei Hunden mit V e 1 1 a f i s t e 1 n, wovon die eine wie ge¬
wöhnlich angelegt wurde, der andern aber die Gallenblase implan¬
tiert wurde. In beiden Fällen hat die Galle keinen Einfluss auf die
Darmperistaltik. Dagegen zeigte sich bei der Untersuchung des über¬
lebenden Darmes nach der Methode von Magnus ein sehr deut¬
licher Einfluss auf die Darmbewegung.
C. F 0 ä - Turin hat D a r m s a f t auf seine Fähigkeit untersucht,
das Eiweiss bis zu seinen letzten Spaltungsprodukten zu spalten und
hat gefunden, dass sich der natürliche Darmsaft in nichts von dem
aus der Mukosa des Darms gewonnenen Erepsin unterscheidet.
Sutherland Simpson und Percy T. Herring - Edinburgh
haben intrazelluläre Kanäle in den Leberzellen, die
in Verbindung mit den Blutgefässen stehen, nun auch in Fisch-
lebern beobachtet. Die erste derartige Beobachtung hatte
S c h ä f e r - Edinburgh an den Zellen der Säugetierleber gemacht,
dann hatten die obigen Autoren solche Kanäle auch in den Leberzellen
der Vögel gefunden.
O. Cohnheim - Heidelberg demonstriert einen Hund mit
einer Duodenalfistel, in der eine Kanüle liegt, die Ein¬
spritzungen in das untere Duodenum gestattet. An einem solchen
Hunde lassen sich die Entleerungen des Magens am besten beob¬
achten. Auch die Sekretion von Pankreassaft und Galle lässt sich
auf diese Weise sehr gut demonstrieren. Fleisch wird im Magen fast
vollständig peptonisiert, der Grad der Verdauung und die Zeit, die es
im Magen verweilt, hängt aber sehr von der Grösse der einzelnen
Stücke ab. Auf 50 g Fleisch kommen über 300 g Magen- und Pan¬
kreassaft. Wird in den vollen Magen Wasser getrunken, so läuft
dieses schnell und fast ohne sich mit dem sauren Mageninhalt zu
mischen durch den Pylorus ab. Ermüdung des Tieres und zahlreiche
andere Einflüsse (pathologische Veränderungen des Darms) können
die Verdauung um Stunden herabsetzen. Es kann aber auch bei
Erkrankungen des Magens saures Sekret fehlen, ohne die Gesamt¬
verdauung merkbar zu stören. Die Verbitterung eines Eiweiss¬
körpers an einen Hund und Auffangen aus der Duodenalfistel emp¬
fiehlt C 0 h n h e i m als die vollkommenste Methode, Eiweiss zu
peptonisieren.
F. H. A. Marshall und W. A. Jolly haben einer Anzahl
Ratten die Ovarien exstirpiert und sie anderen ovariotomierten Ratten
in das Peritoneum oder in die Nieren eingeheilt. Von den letzteren
haben nur wenige die Operation überlebt und diese gehörten bis auf
eins immer zu dem gleichen Wurf, wie die, denen die transplantierten
Ovarien entnommen waren. Bei den erfolgreich operierten Tieren
trat Ovulation zur gewöhnlichen Zeit ein und es wurden typische
Corpora lutea gebildet. Zeigt nach der Entfernung der Ovarien der
Uterus Tendenz zur Atrophie, so konnte diese verhindert werden
durch Transplantation eines Ovariums, trotzdem nun
dieses in ganz abnormer Lage sass und seine gewöhnlichen nervösen
Verbindungen eingebüsst hatte. So war z. B. bei einer ovarioto¬
mierten Ratte nach 6 Monaten der Uterus gänzlich atrophisch, bei
einer anderen dagegen, der auch die Ovarien exstirpiert, dafür aber
andere ins Peritoneum transplantiert waren, vollkommen normal.
C. C. Guthrie hat ebenfalls Ovarientransplan¬
tationsversuche angestellt, aber bei Hühnern. Es wurden
weisse und schwarze Hennen ausgesucht, die immer gleichfarbige
Kücken ausbrüteten. Von diesen wurden einige als Kontrolltiere
unverändert gelassen; es gaben immer weisse Hennen, gepaart mit
einem weissen Hahn, vollkommen weisse Nachkommenschaft, ebenso
bei den schwarzen Hühnern. Nun wurde aber einer weissen Henne
das Ovarium einer schwarzen transplantiert und umgekehrt und nach
einiger Zeit wurden sie dann sowohl mit dem Hahn ihrer eigenen
Farbe, wie mit dem anderen Hahn gepaart. Dabei wurden folgende
Resultate erhalten: 1. Die schwarze Henne, die ein „weisses“
Ovarium trug, gab, mit dem schwarzen Hahn gepaart, in fast gleicher
Zahl, gewöhnlich schwarze Kücken und schwarze Kücken mit weissen
Beinen. 2. Wurde die schwarze Henne mit dem „weissen“ Ovarium
mit einem weissen Hahn gepaart, so erhielt man fast die gleiche Zahl
weisser und gefleckter Kücken. 3. Die weisse Henne mit „schwar¬
zem“ Ovarium, mit weissem Hahn gepaart, ergab grösstenteils ge¬
fleckte Kücken, daneben einige rein weisse und einige rein schwarze.
4. Wurde die weisse Henne mit dem „schwarzen“ Ovarium mit
einem schwarzen Hahn gepaart, so resultierten gleichmässig gefleckte
Kücken. So haben offenbar die transplantierten Ovarien funktioniert
und die Farbe der Nachkommenschaft beeinflusst.
W. E. Dixon und Frank E. T a y 1 0 r - London haben in dem
absolut alkoholischen Extrakt menschlicher Plazenten
einen Körper gefunden, der in seiner physiologischen Wirkung genau
der Wirkung des Adrenalins entsprach. Ferner bewirkte er charak¬
teristische Kontraktionen der glatten Muskulatur des schwangeren
Uterus.
Ebenfalls eine dem Adrenalin ähnlich wirkende Sub¬
stanz haben H. E. Roaf und M. Nierenstein aus der Hypo-
branchialdrüse von Purpura lapillus isolieren können.
Chr. B 0 h r - Kopenhagen hat seine Versuche über den Gas-
austauschbei der Atmung fortgesetzt. In Uebereinstimmung
mit älteren Versuchen ist in mehreren Fällen die Kohlensäurespannung
im Blute niedriger als in der Alveolarluft. Somit kommt der Lunge
eine spezifische Wirksamkeit bei der Kohlensäureausscheidung zu.
Z. B. waren bei einem Hunde die Werte der COs-Spannung in der
Alveolenluft 25,9 mm, im Blute vom rechten Herzen 25,9 mm, im
Arterienblut 16,8 mm. Die ausgeschiedene Kohlensäure ist somit in
toto in diesem Falle in eine dem Druckgefälle entgegengesetzte Rich¬
tung gewandert. In Versuchen einer anderen Gruppe atmen die beiden
Lungen des Versuchstieres für sich, jede getrennt, indem ein Lungen¬
katheter in dem rechten Hauptbronchus angebracht ist. Die Ein¬
atmungsluft ist für die linke und rechte Lnuge verschieden bezw.
atmosphärische Luft und ein Gasgemisch, ca. 8 Proz. Kohlensäure
enthaltend. Die C03-Spannung der Alveolenluft ist unter solchen
Umständen in jeder der Lungen natürlich ein verschiedene; es findet
aber nichtsdestoweniger in beiden Lungen eine COs-Ausscheidung
statt. Hierbei zeigen sich die Bedingungen für den Nachweis der
aktiven Kohlensäureexkretion besonders günstig, indem die CO2-
Spannung des rechten Herzblutes bedeutend niedriger ist als die CO2-
Spannung in der Alveolenluft derjenigen Lunge, welche die CO2-
reiche Luft einatmet. So hat z. B. in einem Versuche die Ausschei¬
dung der Kohlensäure in der rechten Lunge gegen einen Druck von
mindestens 39 mm stattgefunden.
An diese Untersuchungen ankniipfend teilt August K r 0 g h -
Kopenhagen eine neue Methode der tonometrischen Bestimmungen
von Gasen im Blut und anderen Flüssigkeiten mit, zu der nur ganz
geringe Gasmengen (3 — 6 cmm) nötig sind.
T. G. B r o d i e und H. V 0 g t haben den Gasaustausch 1 m
Dünndarm zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht und
beobachtet, dass während der Resorption von Kochsalzlösungen ver¬
schiedener Konzentration und von Pepton die Blutgeschwindigkeit
in den Darmgefässen. der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäure¬
abgabe bestimmten Regeln folgen. .
Desgleichen hat J. B a r c r 0 f t - Cambridge (England) den
Gasaustausch am Säugeti er herzen, an der Niere von
Amphibien und an der Submaxi 11a ris der Katze be¬
obachtet. In Gemeinschaft mit mehreren Mitarbeitern hat er eine
Methode ausgearbeitet, die eine bequeme Analyse der Blutgase er¬
laubt. . _ , ,
W. H e u b n e r-Strassburg hat ein P f ei 1 g 1 f t aus Deutsch-
Siidwestafrika untersucht, das von Buschmännern der Wüste
Kalahari stammte. Es zeigte sich bei der pharmakologischen Unter¬
suchung manche Aehnlichkeit mit dem Bienengift und es ist anzu¬
nehmen, dass es aus Larven des Käfers Diamphidia locusta liergestellt
wird; wenigstens werden diese nach den Berichten von Reisenden
zur Vergiftung von Pfeilen benutzt und die Wirkung solcher Käfer-
larvenextrakte stimmt nach Böhms Untersuchungen mit der des
Pfeilgiftes vollkommen überein.
M. Kochmann - Greifswald hat die Phosphorver g 1 1 -
tung bei Kaninchen und bei Hunden studiert und hat gefunden, dass
die dicken Nebelwolken, die Tiere schon wenige Sekunden nach In¬
jektion von wenigen Kubikzentimeter I — 2 proz. Phosphoröls aus¬
atmen, aus Wasserdämpfen bestehen, welche sich um ein kleines I eil
2202
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Phosphoroxyd kondensieren. Das Phosphoröl bleibt zum Teil in den
Lungenkapillaren sitzen und der in ihm gelöste Phosphor durchdringt
in Dampfform die Kapillaren und die Alveolenwand, um in den
Alveolen im Kontakt mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft
eine Oxydation zu erleiden. Bringt man Kaninchen längere Zeit kleine
Gaben von Phosphoröl subkutan bei, so zeigen sie Veränderungen des
Kalkgehaltes in den Muskeln, der Leber, dem Herzen und den
Knochen. Da gleichzeitig der Eisen-, Kalium- und Natriumgehalt in
den Knochen steigt, so kann die Zunahme der anorganischen Salze
auf einen mit Hyperämie verbundenen aktiven Vorgang im knochen¬
bildenden Periost und Mark ungezwungen zurückgeführt werden.
Der Phosphor übt also nicht allein auf den wachsenden Knochen,
sondern auch auf den Knochen des erwachsenen Tieres einen „forma-
tiven“ Reiz aus.
Graham Lu sk -New York hat bei Tieren während der Phos¬
phor Vergiftung und während gleichzeitigen Hungerns keine
Verminderung des Stoffumsatzes beobachtet, sondern eher eine Ver¬
mehrung, die auf Rechnung des Fiebers zu setzen ist und vielleicht
auf eine spezifische Wirkung des vermehrten Eiweissumsatzes im
Sinne von R u b n e r. Die Kreatininausscheidung ist konstant und
unabhängig vom ausgeschiedenen Gesamtstickstoff.
C. Delezenne - Paris berichtet über die aktivierende
Wirkung, die Kalziumsalze auf Pankreassafthaben
und über Koagulationserscheinungen, die dieser aktivierte Saft in
konzentrierten Peptonlösungen hervorruft.
III.
Im mineralogischen Institut wurden die Vorträge gehalten, die
sich auf die Physiologie des Kreislaufs und des Herzens bezogen.
Von diesen seien hier folgende erwähnt:
R. du Bois-Reymond, T. G. B r o d i e und Franz Müller
haben den Einfluss der Viskosität auf die Blutströ¬
mung untersucht. Die ein gegebenes Röhrensystem in gegebener
Zeit durchfliessende Flüssigkeitsmenge hängt ab von dem Druck,
unter dem die Flüssigkeit eintritt, und von den peripherischen Wider¬
ständen, die sie in dem System überwinden muss. Die Grösse dieser
Widerstände richtet sich bei Durchströmung von Glaskapillaren nach
dem P o i s e u i 1 1 e sehen Gesetz. Nach ihren Versuchen gilt dieses
Gesetz auch für die Blutströmung im lebenden Körper. Ferner ziehen
die Forscher den Schluss, dass Aenderungen der inneren Reibung
gegenüber Schwankungen des Blutdrucks oder er Gefässweite nur
in extremen Fällen und bei krankhaft veränderter Gefässwand für die
Blutströmung in Betracht kommen.
D’Errico berichtet über das Verhalten der Lymphe.
Postmortale Lymphe aus dem Ductus thoracicus ist von normaler
Lymphe durchaus verschieden durch die grössere molekulare Konzen¬
tration, den grösseren Trockenrückstand und die grössere Viskosität.
Dagegen ist die elektrische Leitfähigkeit bedeutend herabgesetzt. Die
Lymphe ist also nicht schon :im Leben so gewesen, sondern hat sich
erst nach dem Tode gebildet. Desgleichen unterscheidet sich die
zerviko-brachiale Lymphe des lebenden Tieres von der nach dem
Tode gewonnenen.
George A. B u c k m a s t e r —London zeigt eine neue Form
des K o a g u 1 o m e t e rs. Ein Häutchen Blut wird in eine ellip¬
tische Schleife ausgespannt und in einer feuchten Kammer bei be¬
liebiger Temperatur untersucht. Wenn man das Häutchen in
Zwischenräumen in eine vertikale Richtung bringt, so kann man mit
einer Lupe beobachten, wie die Blutkörperchen im Plasma nach unten
fallen. Der Endpunkt wird bei dieser Methode dann angenommen,
wenn die Bildung des Fibringerinnsels so weit vorgeschritten ist, dass
die Blutkörperchen am raschen Fall gehindert werden, wenn der
Ring vertikal steht. Der Apparat besitzt manche Vorzüge und erlaubt
ein rasches und zuverlässiges Arbeiten. Die durchschnittlichen Ge¬
rinnungszeiten für menschliches Blut sind bei dem Apparat: 20° C
8 Min. 45 Sek., 31 0 C 5 Min. 45 Sek., 37° C 3 Min. 56 Sek., 39° C
2 Min. 56 Sek.
E. G ö p p e r t - Heidelberg hat Präparate vom Rete
mirabile am Oberarm von Choloepus, Perodictys und Stenops
und des Arteriennetzes von Phocaena aufgestellt. Die Bedeutung der
Einrichtung, die das Blut zwingt, lange Strecken in engen Bahnen
zurückzulegen, ist noch nicht einwandsfrei physiologisch gedeutet.
Beim Zahnwal (Phocaena) bildet das Rete thoracicum eine ausser¬
ordentliche Vergrösserung der arteriellen Blutbahn und gestattet die
Mitnahme einer grossen Menge sauerstoffreichen Blutes beim
I auchen. Vielleicht kommt es auch für die Wärmeregulierung in Be¬
tracht.
Kuliabko-T omsk hat Beobachtungen am über¬
lebenden Fischkopf nach Einleitung einer künst¬
lichen Zirkulation angestellt. Nach Beginn der künstlichen
Zirkulation hören die sehr kräftigen, allgemeinen Zuckungen, die nach
dem Durchschneiden des Körpers sich entwickeln, in einigen Se¬
kunden auf. Anstatt dessen sieht man die immer regelmässiger
werdenden rhythmischen Atembewegungen der Kiemendeckel und
Beschleunigung der Herzschläge. Sperrt man nun den Flüssigkeits¬
strom wieder ab, so bekommt man wieder die ersten dyspnoischen
Erscheinungen: verstärkte und unregelmässige Atemzüge, Atem¬
gruppe]], event. mit darauffolgendem Atemstillstand, starke allge¬
meine Zuckungen, sowie auch Verlangsamung der Herztätigkeit, die
sonst nicht lange dauert. Aehnliche dyspnoische Erscheinungen be¬
obachtet man auch bei Durchströmung des Gehirns durch Locke¬
sche Lösung, die mit Kohlensäure gesättigt ist. Die Gehirnzentren
besitzen also auch bei Fischen ein ziemlich grosses Bedürfnis an
Gasaustausch. Die Tätigkeit der Gehirnzentren kann bei künstlicher
Zirkulation nicht nur stundenlang andauern, sondern auch nach voll¬
ständigem Erlöschen wieder hergestellt werden.
A. Bornstein und Franz Müller haben Beiträge zum
genuinen Blutfarbstoff (Hämochrom) der Katzen und zur
Methämoglobinvergiftung geliefert. Als Gesamtergebnis
geben sie an, dass ihre Versuche durchaus im Sinne der B o h r sehen
Anschauungen sprechen. Der in den Blutzellen enthaltene normale
Farbstoff der Katze zeigt individuelle und zeitliche Schwankungen
der Sauerstoffbindung, des Eisengehaltes und des optischen Ver¬
haltens.
Leon A s h e r - Bern macht Bemerkungen über die Wirk u n g s-
weise der antagonistischen Gefässnerven. An der
Katze kann man nach Barcrofts Methode die Ausflussgeschwin¬
digkeit aus einer Vene der Glandula submaxillaris beobachten. Wird
dann der Halssympathikus der betreffenden Seite durchschnitten, so
ruft Reizung des zentralen Vagusendes bei geeigneter Narkose
Depressorwirkung hervor; gleichzeitig kommt es zu vermehrten Aus¬
fluss aus der Speicheldrüsenvene. Durchschneidung der Chorda hebt
diese Steigerung des Ausflusses bei Drepressorreizung auf. Dies ist
ein neuer Beweis für die Lehre von B ayliss, dass Depressorreizung
nicht allein den Tonus der Vasokonstriktoren herabsetzt, sondern
auch die Vasodilatatoren erregt.
E. Weber- Berlin demonstriert einen Gegensatz im
vasomotorischen Verhalten der äusseren Teile
des Kopfes zu denen des übrigen Körpers bei Mensch
und Tier. Bei elektrischer Reizung der motorischen Rindenzone tritt
bei manchen 1 ieren eine allgemeine Blutdrucksteigerung ein. die
begleitet wird von einer Zunahme des Volums der 4 Beine und einer
Abnahme des Volumens der Bauchorgane. Dieselben Erscheinungen
(Blutdrucksteigerung. Volumvermehrung der Extremitäten und Ver¬
minderung der Bauchorgane) können auch beim Menschen bei Aus¬
führung kräftiger, aber lokalisierter Bewegungen nachgewiesen wer¬
den; ja es ist zum Zustandekommen dieser Erscheinungen gar nicht
die Ausführung der Bewegungen selbst nötig, sondern es genügt
die Erregung einer lebhaften Bewegungsvorstellung, wie sie am leich¬
testen durch hypnotische Suggestionen herbeigeführt werden kann.
Bei Versuchen am Menschen zeigte es sich nun aber, dass auffallen¬
derweise die äusseren Teile des Kopfes sich bei diesen Einwirkungen
umgekehrt verhalten wie alle anderen äusseren Körperteile, dass
nämlich ihr Volumen, am Ohr gemessen, sich stark vermindert, im
Gegensatz zur Volumzunahme der anderen äusseren Teile. Beim
Tier konnte das gleiche Verhalten nachgewiesen werden. Das
Volumen des Gehirns nimmt mit dem allgemeinen Blutdruck zu.
P a n k u 1- Dorpat-Bern hat sich mit der Frage nach der
physiologischen Bedeutung des Hisschen Bün¬
dels beim Kaninchen beschäftigt. Zur Operation am H i s sehen
Bündel diente eine passend geformte Umstechungsnadel. Mit dieser
wurde das H i s sehe Bündel umstochen und dann abgebunden. Ge¬
lang es, wesentlich den muskulösen Kern des Bündels zu umschnüren,
so wurde die Koordination der Vorhof- und Kammerpulse nicht auf¬
gehoben. War das Bündel mit unmittelbar benachbartem Gewebe
zerschnürt, so begann das Herz inkoordiniert zu schlagen. Allo-
rhythmie von Kammern und Vorkammern wurde aber in gleicher
Weise beobachtet wie nach Gesamtligatur, wenn der Faden nur um
das Bündel hei umgeführt worden war, ohne zu ligieren. Es leitet
also nicht der muskulöse Kern des Bündels, sondern die leitenden
Elemente sind höchstwahrscheinlich nervös, nahe dem Muskelbündel
gelegen. Nach Unterbindung anderer Herzstellen, z. B. in der Gegend
der Hohlvenen, pulsieren die Vorhöfe und Kammern des Kaninchen¬
herzens gleichfalls inkoordiniert.
C. J. R o t h b e r g e r - Wien bestimmt die Herzarbeit im
Tierexperiment direkt nach der angenäherten Formel Schlag¬
volumen X Druck in der Aorta. Das Schlagvolumen wird mittels
eines die Ventrikel allein einschliessenden Plethysmographen ge¬
wonnen (Ventrikelplethysfnograph). Verwendet man den Plethysmo¬
graphen so, dass er auch die Vorhöfe einschliesst, so ist er geeignet
zur Demonstration der Volumschwankungen des Herzens; er lässt
sich dann verwenden, wenn es auf die Erhebung absoluter Werte
nicht ankommt.
M. Gildemeister - Strassburg hat Beobachtungen
üb er den Schwebeflug der Vögel angestellt. Er diskutiert
die bisher versuchten Erklärungen des Schwebeflugs: a) kleine, sehr
frequente Flügelschläge, b) Ausnutzung von Luftströmungen ver¬
schiedener Geschwindigkeit und Richtung, c) Ausnutzung von auf¬
steigenden Luftströmungen. Erklärung a wurde schon von Darwin
1834 in Erwägung gezogen und ist neuerdings wieder von Exner
geäussert. Dagegen sprechen aber Versuche des Vortragenden, nach
denen dieselbe Muskelarbeit günstiger in langsamem wie in schnel¬
lem Rhythmus geleistet wird. Dagegen lässt sich gegen die beiden
anderen Erklärungen nicht viel einwenden.
J. P. L a n g 1 o i s - Paris hat Versuche über zentrale
Wärmepolypnöe beim Hunde angestellt. Wird ein Hund durch
intravenöse Injektion von Chloralose anästhesiert und auf 41,5° er¬
wärmt, so kann man folgendes beobachten: 1. Sehr beschleunigte
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2203
Atmung, 200—400 Atemzüge in der Minute. 2. Der polypnoische Re-
snirationsrhythmus wechselt proportional mit dem Blutdruck. I rim-
trin verlangsamt ihn, Adrenalin beschleunigt ihn. 3. Er wechselt um¬
gekehrt proportional dem Kohlensäuregehalt der Respirationsluft. Bei
einem Qehalt von 3 Proz. COs wird der polypnoische Typus zum
dvspnoNchen. 4. Nach der Durchschneidung der beiden Pneumo-
gastrica während der Polypnoe wird der Respirationstypus manch¬
mal um 100 beschleunigt. 5. Abkühlung des Karotidenblutes bis aut
— 2° durch den Apparat von Gad bedingt eine Beschleunigung des
polypnoischen Rhythmus in der gleichen Weise, wie es sehr warmes
Wasser bei einem gewöhnlichen Hund tut.
R. Nicolai des hat bei Kaninchen beide Lungenv agi
ausgeschaltet und diese Tiere am Leben erhalten köimen.
Die Wirkung des rechten Lungenvagus auf das Atmungszentrum
schaltete er durch Exstirpation der rechten Lunge aus, die Wirkung
des linken Lungenvagus durch Durchschneidung am Halse. Der
zweite Eingriff geschah längere Zeit nach dem ersten. Der Atmungs-
tvpus, unmittelbar nach Durchschneidung des linken Vagus, war ähn¬
lich dem nach doppelter Vagotomie, wurde aber allmählich wieder
normal trotz des Ausbleibens der Selbsthemmung der Atmung, die
als unentbehrlich für die Erhaltung der Arbeitskraft des Atmungs¬
zentrums gehalten wurde. Je länger die Zeit zwischen Exstirpation
der rechten Lunge und Durchschneidung des linken Vagus ist. desto
schneller und vollständiger erreichen die Tiere die normale Atem¬
frequenz wieder.
Maurice d’H a 1 1 u in - Lille hat schädliche Wirkungen gesehen,
wenn rhythmische Traktionen der Zunge an Tieren
zur Wiederbelebung ausgeführt wurden. Tiere, die so be¬
handelt wurden, gingen im Gegenteil rasch zugrunde. Häufiger noch
stellten sich Herz- und Atmungssynikope ein.
E. A. Schäfer-Edinburg gibt eine neue einfache Me¬
thode der künstlichen Atmung beim Menschen an. Der
Verunglückte (meist sind es ja Ertrunkene) wird flach mit der Brust
(nicht mit dem Rücken) auf die Erde gelegt, den Kopf lässt man nach
unten und etwas zur Seite fallen und zieht die Zunge wie gewöhnlich
vor. An der Zunge ist weiter keine Manipulation notwendig. Nun
kniet der Arzt an der Seite oder quer über den Patienten, legt seine
Hände flach auf den Rücken des Mannes über die untersten Rippen
und drückt mit dem Gewicht seines Körpers, allmählich und kräftig,
um den Inhalt der Lungen herauszutreiben. Dann wird mit dem
Druck nachgelassen, es kann wieder Luft in die Lungen einströmen
und man wiederholt nun die Handgriffe alle 5 Sekunden oder etwa
12 mal in der Minute. Auf diese Weise kann ein ausreichender Luft¬
wechsel herbeigeführt werden; bei jedem Druck werden mindestens
500, ja bis zu 1000 ccm Luft ausgetrieben und wieder angesaugt; es
wäre also in der Minute an Gaswechsel von 6000 — 12 000 ccm Luft,
mehr als genug, um eine genügende Respiration zu unterhalten.
Gegen die alten Methoden der künstlichen Atmung bringt die neue
beträchtliche Vorteile und sie ist als erste Hilfe bei plötzlichen Un¬
glücksfällen sehr zu empfehlen.
IV.
Im physiologischen Institut, in dem Vorträge aus dem Gebiete der
allgemeinen Physiologie, der Physiologie der Muskeln, Nerven und
der Sinnesorgane gehalten wurden, demonstrierte M. Cremer-
München eine Reihe neuer Apparate (ein Saitenelektro-.
m e t e r — bei Edelmann in München konstruiert — , ein Helm-
holtzpendel mit 8 Kontakten — ebenfalls von Edelmann in
München — , einen Apparat zur Beobachtung von
Aktionsströmen mit Hilfe von Kathodenstrahlen
und ein Pantotom zur sicheren Schnittführung unter dem Mikro¬
skope — von der Firma Sendtner in München gebaut ).
Keith Lu c as- Cambridge hat gefunden, dass man bei gehöriger
Abstufung der Stromfrequenz und Stärke in einem Nervmuskel-
präparat, das die verschiedensten reizbaren Gewebe enthält —
z. B. das Mittelstück eines Froschsartorius, das Nerven, Nervenend-
platten und Muskelfasern zugleich enthält — diese Gewebe einzeln
für sich reizen kann.
R. N i c o 1 a I d e s hat hemmende Fasern in den Mus¬
kelnerven der Wirbeltiere nachweisen können. Es sind
bei der nervösen Hemmung von Skelettmuskeln besonders zentri¬
fugale Nerven tätig d. h. hemmende Fasern, die neben den erregen¬
den in den Muskelnerven verlaufen und die Hemmung braucht nicht
immer intrazentral zu verlaufen, sondern kann auch in einem aktiven
zum Muskel geleiteten Prozess bestehen.
F. B. Hofmann - Innsbruck hat sich mit der Frage der
peripheren Nervennetze beschäftigt. Die Nerven, welche
zum Herzmuskel und zu den glatten Muskeln der Wirbeltiere, sowie
zur Muskulatur von Mollusken hinziehen, endigen in dieser Muskulatur
nicht frei, sondern bilden Endnetze, und zwar könnte entweder
jede Nervenfaser ein geschlossenes Netz für sich bilden oder es
könnte durch Anastomosen zwischen den verschiedenen Nerven¬
fasern ein kontinuierliches peripheres Endnetz entstehen. Diese
Nervennetze beschränken sich aber streng auf die letzten Nerven-
ästchen und sind ganz unabhängig von der Anwesenheit von Gang¬
lienzellen. Physiologisch ist die Innervation der glatten Muskulatur
bei Wirbeltieren und Mollusken eine lokalisierte, es findet keine
allseitige Fortleitung der vom Zentralnervensystem ausgelösten Er¬
regung statt.
A. B e t h e - Strassburg bringt einen neuen Beweis für die lei¬
tende Funktion der Neurofibrillen. Die Nerven aller
Tiere sind mehr oder weniger dehnbar und nehmen auch unter
physiologischen Verhältnissen verschiedene Längen an. Beim Blut¬
egel bleibt z. B. der Bauchstrang auch bei stärkster Kontraktion des
Tieres fast geradlinig; das Längenverhältnis zwischen kontrahiertem
und gestrecktem Blutegel ist aber ungefähr 1 : 3. Die Nervenfasern
verändern also ihre Länge mit der Längenveränderung des Nerven,
die Länge der Neurofibrillen bleibt dagegen konstant, das eine Mal
sind sie gestreckt, das andere Mal gewellt. Nun ist die Leitungszeit
für jede Länge der Nervenfaser die gleiche, mag sie bis auf die
doppelte und dreifäche Länge gedehnt oder nicht gedehnt sein. Eist
nach Dehnung über die physiologische Länge wurden die Latenzzeiten
langsam grösser. Hieraus geht hervor, dass die Neurofibrillen am
Leitungsprozess in erster Linie beteiligt sind.
J. N. L a n g 1 e y hat die Verbindung zw Ls c h e n Nerv
und Muskel näher untersucht; er findet, als Bestätigung und Er¬
weiterung seiner früheren Beobachtungen, dass in der Muskelfasei in
der Gegend der Nervenendigungen wenigstens zwei „rezeptive Sub¬
stanzen“ sind, eine, die eine rasche, kurze Kontraktion bewirkt, die
sich im allgemeinen durch die ganze Faser fortpflanzt,. und eine
zweite, die eine langsame, mehr oder weniger prolongierte Kon¬
traktion hervorruft, deren Fortleitung in verschiedenen Muskeln ver¬
schieden ist. Er betrachtet diese „Substanzen“ als „Kerne des kon-
traktilen Moleküls und nimmt an, dass durch die ganze Muskel¬
substanz hin ähnliche solche Kerne vorhanden sind, die aber weniger
rasch in Tätigkeit gesetzt werden können. Der besondere Charakter
des Muskels an der Stelle der Nervenendigung wäre dann bedingt
durch eine Modifikation eines wichtigen „Kernes“ des kontraktilen
Moleküls. Die Wirkung des Kurare kann durch eine Wirkung auf
diese „Kerne“ erklärt werden und man braucht dabei nicht auf die
Nervenendigungen als Erklärung zurückzugreifen. Die motorische
Nervenendplatte scheint überhaupt keine spezifischen Funktionen zu
haben und die Eigenschaften, die man den Nervenendigungen zuge¬
schrieben hat, sind im Gegenteil Eigenschaften des Muskels.
H. Piper- Kiel teilt Untersuchungen über den wi 11-
kürlichen Tetanus der quergestreiften Muskeln mit.
Es wurde, um die Vorgänge zu verfolgen, welche in der kontrak¬
tilen Substanz des quergestreiften Muskels bei der willkürlichen
Innervation tetanischer Kontraktionen ablaufen, der zeitliche Ablauf
der muskulären Aktionsströme untersucht. Auf der Haut iibei den
Flexoren des Unterarmes wurden unpolarisierbare Elektroden aufge¬
setzt und durch diese wurden die Stromoszillationen, welche bei
willkürlichen Kontraktionen im Muskel auftreten, zum Saitengalvano¬
meter abgeleitet. Die Reaktionen dieses Instrumentes wurden photo¬
graphisch registriert. Es ergab sich: Die Zahl der Stromwellen, die
bei willkürlichem Tetanus ableitbar ist, ist konstant und betragt
47 — 50 pro Sekunde. Ihre Zahl ist wahrscheinlich identisch mit der
Zahl der in den Einzelfasern ablaufenden Kontraktionswellen. Bei
Veränderungen der Kraft der Kontraktion variiert nicht die Frequenz
der abgeleiteten Aktionsstromoszillationen, sondern nur die Amplitude.
Der Vergleich mit den Stromschwankungen, welche bei elektrischer
Reizung des Nervus medianus mit Einzelschlägen (Zuckung) und
Wechselströmen (Tetanus) registriert wurden, führt zu der Annahme,
dass der Rhythmus der im willkürlichen Tetanus über den Muskel
laufenden Kontraktionswellen direkt durch den Rhythmus der Inner¬
vationsimpulse bestimmt wird, dass also diese Impulse mit der Fre¬
quenz von 47—50 pro Sekunde zum Muskel gelangen und nur in ihrer
Intensität variabel sind. Auch kürzeste Willkürkontraktionen sind
Tetani und die Oszillationsfrequenz der Ströme, bezw. des der Kon¬
traktion zu gründe liegenden Prozesses beträgt auch in diesem Falle
47 — 50 pro Sekunde. Es fallen also die Gründe weg, welche die An¬
nahme notwendig zu machen schienen, es handle sich bei den physio¬
logischen Innervationsimpulsen um Reize von zeitlich gedehnter
Schwankungsform, also um sogen. „Zeitreize“.
Die physiologische Natur der Muskelstarre hat
H. Winterstein näher untersucht. Es können nicht zu dick aus¬
geschnittene Säugetiermuskeln in Ringer scher Lösung bei einem
Sauerstoff druck von 2—4 Atmosphären und einer Temperatur
von 36—38° C 20—27 Stunden lang erregbar bleiben. Die Muskel¬
starre ist ein Erstickungsvorgang infolge ungenügender Sauer¬
stoffzufuhr. Bei ausreichender Sauerstoffzufuhr tritt keine Starre
ein und die in Entwicklung begriffene Starre kann durch Sauei stoff¬
druck wieder gehemmt werden. Ausserhalb der Ringer sehen Le¬
sung verliert der Muskel seine Erregbarkeit auch unter Sauerstoff¬
druck in wenigen Stunden. Durch Eintauchen in 0,9 proz. NaLl-
Lösung oder besser in Ringer sehe Lösung vermag er seine Erreg¬
barkeit in 10—15 Minuten wiederzugewinnen, nicht aber in isotoni¬
scher Traubenzuckerlösung.
R. Magnus zeigt am Beispiel der Antagonisten Kurare-Nikotin
und Kurare-Physostigmin, dass antagonistische _uift ver¬
suche für die Lokalisation physiologischer Vorgänge nicht zu ver¬
werten sind.
L. Edinger demonstriert eine Reihe von Wachsmode -
1 e n einer Anzahl von Fischgehirnen, die enorme Unterschiede
der Entwicklung der einzelnen Hirnteile zeigen und reiche Anregung
geben zur Untersuchung über Fragen nach der Verrichtung da ein¬
zelnen Hirnteile.
2204
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
C. S. Sherrington- Liverpool berichtet über den Einfluss
des Strychnins auf die Reflexhinderung am Skelett¬
muskel. An einer grosshirnlosen Katze wird der Musculus vastus
cruris präpariert. Die Präparation besteht darin, dass man alle
anderen Muskeln des Gliedes ausser Tätigkeit setzt dadurch, dass
man ihre motorischen Nerven durchschneidet bis auf den Psoas major.
Psoas minor, Iliacus und Pectineus. Diese letzteren Muskeln werden
wirkungslos gemacht, indem man sie an ihren Ansätzen abschneidet.
Dann findet man, bei Reizung des zentralen Endes des Nervus
saphenus internus unterhalb des Knies, jedesmal reflektorische Er¬
schlaffung des Vastus cruris, der ein Strecker des Knies ist. Wird
nun Strychnin injiziert, so geht nach wenigen Minuten die reflek¬
torische Erschlaffung in eine reflektorische Kontraktion über, hier¬
für genügen 0,2 mg HCl-Strychnin pro Kilo Tier. Es verwandelt
also das Strychnin die normale zentrale Reflexhinderung in zentrale
Reizung.
Sigmund Exner-Wien hat vergleichend-physio¬
logische Untersuchungen über die Sehschärfe bei
Tieren anstellen lassen. Danach würde z. B. bei Säugetieren sich
folgende Reihe ergeben: Rind, Schaf, Schwein, Kalb, Katze, Ziege,
Kaninchen, Hase, Delphin. Hund, Affe, Meerschweinchen, Ratte, Igel.
Fledermaus, und die Sehschärfe des Rindes wäre dabei ca. 35 mal so
gross als die Sehschärfe der Fledermaus. Der Mensch würde mit
seiner zentralen Sehschärfe zwischen Rind und Schaf zu stehen
kommen.
Heine- Kiel hat die Vorgänge während der Akkom¬
modation bei Cephalopoden und Schlangen; untensucht. Die
Gephalopoden sind imstande, ihr Auge aktiv sowohl für die Ferne,
wie für die Nähe aus einer mittleren Ruhelage heraus einzustellen.
Die Linse rückt, ohne ihre Gestalt zu verlieren, entweder vor oder
zurück. Auch nach Eröffnung des Augenbinnenraumes bleibt der
Mechanismus vollkommen intakt, ist also unabhängig vom intraoku¬
laren Druck. Auch wird der intraokulare Druck nicht durch die
Akkommodation beeinflusst. Bei den Schlangen sind ebenfalls
Akkommodation und intraokularer Druck unabhängig voneinander.
Auch hier bedingt die Zonulaentspannung eine Ortsveränderung —
Vorrücken — der Linse, keine Gestaltsveränderung.
H. Zwaardemaker - Utrecht hat ein akustisches, mög-
lichts stilles Zimmer konstruiert, in das kein Lärm von aussen
eindringen kann und dessen Wände den Schall fast nicht zurück¬
werfen. Der Zweck wurde erreicht durch die Anordnung zweier,
durch eine dünne Luftschicht voneinander getrennten, überall voll¬
kommen abschliessenden mehrschichtigen Wände. Die am meisten
nach innen angebrachte Wand besteht, von innen nach aussen gerech¬
net, aus Pferdehaar und Tuffstein, die am meisten nach aussen an¬
gebrachte aus Holz, Sand. Korkstein, Gips; das Ganze also ausser
der Luftschicht aus 6 Schichten. Der Boden und das Dach sind ent¬
sprechend gebaut; besondere Vorrichtungen besorgen den Eintritt
des Sonnenlichtes und ermöglichen die Ventilation. Es ist in diesem
Zimmer so still, dass eine normale Person Ohrensausen hat und um¬
gekehrt ein Muschelgehäuse geräuschlos erscheint. Die Zuleitung,
zu Versuchszwecken, aus ausserhalb des Zimmers aufgestellten
Schallquellen geschieht durch dickwandige Bleiröhren, die dann die
einzige Verbindung zwischen den Doppelwänden darstellen.
Ausser diesen Vorträgen, von denen natürlich ein grosser Teil
hier wegen Mangel an Raum nicht aufgenommen werden konnte,
wurden noch eine ganze Reihe von Demonstrationen ge¬
halten, grösstenteils zur praktischen Erläuterung des in den Vor¬
trägen Gesagten. Endlich fand am Freitag Morgen (den 16. August)
noch eine Sitzung statt, in der Krnnecker eine Beschreibung der
kürzlich auf dem Col d’Olen eingerichteten physiologischen
Anstalt zur Erforschung der Lebensvorgänge in
grossen Höhen gab. Allgemeine Beistimmung fand der Vor¬
schlag, dies Institut nach dem Namen seines Begründers Institut
Mosso zu nennen. In derselben Sitzung fand ferner eine Demon¬
stration von neuen Apparaten des Institut Marey
(Paris) statt und am Nachmittage hielt G. Be r t r a n d -'Paris in der
Schlusssitzung einen glänzenden zusammenfassenden Vortrag über
seine Untersuchungen auf dem Gebiete der Oxy-
d a s e n.
Als Ort des nächsten Kongresses wurde Wien gewählt, wo
nun Pfingsten 1910 sich die Vertreter der Physiologie von neuem ver¬
einigen werden.
14. Internationaler Kongress für Hygiene u. Demographie.
Vom 23. — 29. September 1907 zu Berlin.
IV.
Sektion für Hygiene des Verkehrswesens und Rettungswesens.
Das Programm des diesjährigen internationalen Kongresses für
Hygiene und Demographie erfüllt einen längst gehegten Wunsch in-
soferne, als in ihm eine Sektion 6 b, Hygiene des Verkehrswesens und
Rettungswesens, geschaffen ist.
Die Zukunft wird, so hoffen wir, zeigen, dass mit dem wachsen¬
den Verkehr eine ganze Reihe von Fragen eisenbahnärztlichen und
eisenbahnhygienischen Interesses auftreten und ihrer Beantwortung
harren. Wie der Eisenbahnverkehr internationaler Natur ist, so emp¬
fiehlt es sich, auch für manche dieser Fragen eine internatinonale
Lösung und Verständigung zu suchen.
Dem uns zugewiesenen Raum entsprechend, geben wir im Fol¬
genden eine kurze, nicht erschöpfende Uebersicht der Verhandlungen.
Beim 1. Thema: Einwirkung der Berufstätigkeit im Verkehrs¬
wesen auf die Gesundheit betont Sch wechten - Berlin den Mangel
einer brauchbaren Mortalitäts- und Morbiditätsstatistik bei der
preussisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft. P e r i e r, Chefarzt der
französischen Eisenbahnen de la compagnie du chemin de fer
du Nord, dessen Bericht von Dr. Le t kenne erstattet wird,
hebt gleichfalls das Bedürfnis nach einer besseren Statistik hervor
und besteht auf der Notwendigkeit, sie auf einer gleichförmigen Grund¬
lage aufzubauen. Er stellt folgende Schlussätze auf:
1. Die Mangelhaftigkeit und das häufige Fehlen notwendiger An- v
gaben erlaubt bis jetzt noch keine sicheren Schlüsse betr. den Einfluss
krankmachender professioneller Ursachen auf die Eisenbahnange¬
stellten im allgemeinen. •
2. Die Untersuchung dieser Ursachen wird nur dann sichere all¬
gemeine Resultate ergeben, wenn sie auf Statistiken identischer und
uniformer Art begründet ist.
3. Bis jetzt darf man mit Recht behaupten, dass es keine beson¬
deren Krankheitsformen der Eisenbahnangestellten zu geben scheint.
4. Indessen empfiehlt es sich, beim Unterricht des Personals das¬
selbe mit den einfachsten Grundsätzen der Hygiene bekannt zu
machen.
5. Die Schwierigkeit, sichere Schlüsse zu ziehen und Vergleiche
anzustellen, würde erleichtert, wenn alle medizinischen Statistiken
bei den Eisenbahnangestellten nach ein und derselben Methode zu¬
folge internationaler Vereinbarung geführt würden.
Es empfiehlt sich, diese Frage auf die Tagesordnung des nächsten
internationalen Kongresses zu setzen.
v. Tothfalussy - Ofen-Pest erstattet im Namen des leider
erkrankten hochbetagten Chefarztes der ungarischen Staatsbahnen,
Ministerialrat Dr. v. Csatäry, ein ausführliches Referat über die
statistischen Ergebnisse des Eisenbahnwesens seines Landes mit fol¬
genden Schlussätzen:
1. Die Frage: ob es solche spezielle Krankheiten gibt,
welche zufolge der Berufstätigkeit des Bahnpersonals entstehen, oder,
durch die Veranlagung zum Ausbruch gelangt, sich verschlimmern?
muss entschieden verneint werden.
2. Alle jene Krankheiten, welche angeblich durch den Eisenbahn¬
dienst hervorgerufen werden, sind als Folgen unzweckmäs^iger und
den allgemeinen hygienischen Grundsätzen nicht entsprechender Miss¬
bräuche zu betrachten.
3. Es ist angezeigt, dass eine allgemeine Revision der Dienst¬
vorschriften stattfindet, welche die event. vorhandenen hygienischen
Mängel bezeichne und Vorschläge zu deren Abschaffung mache.
4. Zweckmässige Ernährung, Wohnung, Bekleidung und ent¬
sprechende Zeitdauer für den Dienst sind die hygienischen Erfoder-
nisse der Gesundheit der Bahnbediensteten.
Den deutschen Eisenbahneinrichtungen in hygienischer Beziehung
spendet C s a t a r y lebhaftes Lob.
De L a n t s h e e r e - Brüssel erstattet sein Referat über Augen¬
krankheiten bei Eisenbahnbediensteten.
Er unterscheidet: 1. Traumatische Affektionen, welche mit dem
Eisenhahnbetriebe Zusammenhängen.
2. Professionelle Augenkrankheiten, herrührend von lokalen
Reizungen der Augen und von Intoxikationen.
3. Individuelle Krankheiten, gebunden an allgemeine Ernährungs¬
störungen, an Störungen der Zirkulation, des Nervensystems, bei
welchen das Fehlen der Beobachtungen der gewöhnlichen Regeln der
Hygiene im Betriebe wie der persönlichen Hygiene eine ursächliche
Rolle spielt.
Es folgt ein Referat über Seuchengefahr und ihre Verhütung im
Eisenbahnbetrieb, erstattet von Beck- Württemberg und T h i e r r y-
Paris,
sodann über die Gefahren nervenkranker Bediensteter für den
Eisenbahnbetrieb.
Der Referent Dr. Placzek unterstützt den Wunsch nach einer
sorgfältigen Statistik. Wünschenswert sei es dann aber, dass nicht
Sondergruppen gewählt werden, in denen alles Mögliche unter¬
gebracht werde. Wenn z. B. die preussische Statistik, die ja seit dein
Jahre 1898 schon die Geisteskranken des Eisenbahndienstes nach Be¬
rufen gesondert zählt, Rubriken wie „einfache Seelenstörung“ wählt
und .in diese alle Paranoiaformen, alle Affektpsychosen, alle Rück¬
bildungspsychosen zusammenfasst, so verliert ein derartiges, aus
heterogensten Bestandteilen gewonnenes Ergebnis jeden Wert. In
der Beurteilung der Unfallneurosen hält Dr. Placzek die Aerzte
selbst für schuld, wenn heute jede nur erdenkliche Erkrankung, sobald
sie zeitlich irgendwie mit dem Unfall zusammenfiel, auch ursächlich
auf ihn bezogen werde. Selbst ein ursächlich so klargestelltes Krank¬
heitsbild, wie die progressive Paralyse, werde mit jedem nur er¬
denklichen Unfall in kausale Beziehung gebracht, ja selbst ihre Ent¬
stehung durch Kohlendunst las Placzek vor kurzem als möglich.
Solcher extremen, durchaus unangebrachten, .durch nichts begründeten
Kausalitätssucherei müsse energisch entgegengetreten werden, ebenso
aber auch der Diagnose einer Unfallneurose auf gleichgültigste Sym¬
ptome hin. Dann allein wird man den Zustand bekämpfen können, der
allmählich zur Misere auswächst, dass ein Unfallverletzter nicht mehr
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2205
seine Heilung erstrebt, sondern das privilegierte Recht zu einer Un¬
fallrente erworben zu haben glaubt.
Einen breiten Raum nahmen die mit der Eisenbahnhygiene in
engem Zusammenhang stehenden Verhandungen über erste Hilfe bei
Verletzungen und Ungliicksfällen im Verkehr und allgemeines Ret¬
tungswesen ein, beginnend mit einem vorzüglichen Referat des auf-
diesem Gebiete rühmlichst bekannten Georg Meyer- Berlin. Er
führt etwa folgendes aus:
Bei dem Anwachsen des Verkehrs, der Vermehrung der Betriebe
und den hierdurch bedingten erhöhten Gefahren für die Menschen,
ist es erforderlich, für ständige Einrichtungen Sorge zu tragen, durch
welche plötzlich durch Verkehr, Betriebe und andere Faktoren be¬
dingte Schädigungen der menschlichen Gesundheit nach Möglichkeit
schnell beseitigt oder gemildert werden. Die Organisation des Ret¬
tungswesens muss überall verschieden gestaltet werden, je nach den
Zwecken, welche verfolgt werden, als auch nach den örtlichen Ver¬
hältnissen. Dennoch sind grosse Grundzüge für die Organisation des
Rettungswesens in Städten, auf dem Lande, am Wasser, im Gebirge,
in Bergwerken usw. aufzustellen, wie dies vom Zentralkomitee für das
Rettungswesen in Preussen erfolgt ist. Die Träger des Rettungs¬
wesens sind überall in erster Reihe die Aerzte, welche auch die
Leitung übernehmen müssen, demnächst Krankenanstalten. Sind
diese nicht vorhanden, so sind eigene Rettungswachen zu errichten.
Ausserdem sind die Einrichtungen der Polizei und Feuerwehr, be¬
sonders deren Mannschaften, für den Rettungsdienst und die Kranken¬
beförderung zu benutzen. Es wird dann die Notwendigkeit der Aus¬
bildung von Nichtärzten in der ersten Hilfe (Samariterunterricht) d,ar-
gelegt und die Grundzüge, nach welchen dieser Unterricht stattfinden
soll. Die Organisation des Rettungswesens auf dem Lande wird
gleichfalls geschildert, welche unter Zuhilfenahme der genannten Fak¬
toren in die Wege zu leiten ist. Für das Land ist ganz besonders das
Meldewesen von Wichtigkeit, aber auch für die Einrichtung des
Rettungswesens an anderen Orten. Alle Einrichtungen müssen zen¬
tralisiert sein, wodurch das Meldewesen und die Entsendung der Hilfs¬
kräfte erleichtert wird.
Ueber dasselbe Thema referieren ferner S. Alexander-
Berlin und Charas -Wien.
S t i c h - Nürnberg: Die Verletzungen im Eisenbahnbetrieb und
ihre Verhütung.
Schlussätze.
1. Die deutschen Eisenbahnverwaltungen stehen in bezug auf
im Eisenbahnbetriebe getötete und verletzte Reisende unter allen
Eisenbahnverwaltungen an günstigster Stelle; trotzdem müssen sie
bestrebt sein, durch technische, hygienische und Verwaltungsmass-
regeln dieses Verhältnis noch günstiger zu gestalten.
2. In bezug auf die Verletzungen der Eisenbahn b e a m t e n und
-ar beit er fehlt leider eine vergleichbare Statistik, doch scheinen
auch hier die deutschen Verwaltungen günstig abzuschneiden.
3. Eine vorhandene 25 jährige bayerische Statistik über die Ver¬
letzungen der Angestellten im Eisenbahnbetriebe zeigt, dass der
grösste Teil der Eisenbahnunfälle hätte vermieden werden können.
4. Zur Erreichung dieses Zieles sind nötig:
a) Technische Verbesserungen des Betriebes, z. B. automatische
Kuppelung der Wagen, hörbare automatische Signale für die
Lokomotivführer bei Einfahrt in die Stationen, Herstellung
eiserner, statt hölzerner Wagenkästen, Abschaffung aller
schienengleichen Strassenübergänge, Vermeidung von Wech¬
seln und Kreuzungen durch Gleisüberführungen usw.
b) Hygienische Verbesserungen der Wohnungsverhältnisse, der
Dienstkleidung, in der Ernährung während der Fahrten, in
der Bestimmung der Dienst-, Ruhe- und Urlaubszeit, Ver¬
besserung der Uebernachtungslokale, Ausbildung des Rettungs¬
wesens. Absolutes Verbot jeglichen Alkoholgenusses in
irgend einer Form während der Dienstzeit. Absolutes Ver¬
bot des Tabakrauchens (Zigarre oder Pfeife) während der
Dienstzeit.
c) Verwaltungsmassnahmen: Herausgabe von Unfall-Verhütungs¬
vorschriften an das gesamte Personal, erläuternde Vorträge
über Verhütung von Eisenbahnunfällen durch Verwaltungs¬
beamte und besonders durch die Bahnärzte. Diese Vorträge
müssen mit Wärme gehalten und oft wiederholt werden, die
Vortragenden müssen wechseln und den Betrieb, sowie die
Unfall-Verhütungsvorschriften bis ins kleinste kennen, damit
sie das Interesse der Angestellten an der Unfallverhütung er¬
wecken und erhöhen.
d) Geeignetes Verhalten der Reisenden.
Es folgt noch ein Vortrag von J o s e p h - Berlin: Technik und
Hygiene des Krankenwagens und F r a n k - Berlin: Ueber das ärzt¬
liche Rettungswesen in Berlin.
Den Schluss der Verhandlungen bildete am Sonnabend nach¬
mittag eine geschäftliche Sitzung des deutschen Bahnärztetages,
welche ein allgemeines Interesse nicht bietet und über welche die
Eisenbahnärzte in ihrem Spezialorgan, der Zeitschrift für Eisenbahn¬
ärzte, unterrichtet werden.
Hager- Magdeburg.
Sektion VH. Militärhygiene, Kolonial- und Schiffshygiene.
Berichterstatter: Marinestabsarzt Dr. zur V e r t h - Berlin.
Die Beratungen der Sektion litten unter der überreichen Fülle
an Material. Es erscheint nicht empfehlenswert, so grundverschiedene
Fragestellungen, wie sie die Militärhygiene einerseits, die Kolonial-
und Schiffshygiene andererseits aufzwingt, in einer Sektion er¬
örtern zu wollen.
Sitzung vom 24. September 1907.
Nachdem vor der Tagesordnung Reder-Wien an der Hand
eines Modells die Verwundetenbesorgung auf dem Schlachtfelde in
der österreichisch-ungarischen Armee geschildert hatte, sprach
B i s c h o f f - Berlin über den ersten Verhandlungsgegenstand,
die Wasserversorgung einer Armee im Felde.
Er will, wenn vorhanden, unter Benutzung von abessinischen
Brunnen Grundwasser verwenden. Steht nur Oberflächenwasser zur
Verfügung, so beschränkt er sich auf eine einwandfreie Lieferung
des Trinkwassers und sucht sie durch Abkochen mittels tragbarer
oder fahrbarer Kochapparate zu erreichen. Würde das Ozonisierungs¬
verfahren sich den Kriegsverhältnissen anpassen lassen, so würde
seine Ergiebigkeit einen erheblichen Vorzug gegenüber den Koch¬
apparaten bedeuten. R o u g e t - Paris, dessen Vortrag in seiner
Abwesenheit verlesen wurde, verwendet chemische, physikalische
oder mechanische Reinigungsmethoden je nach den Umständen.
Die Beseitigung der Abfallstoffe aus militärischen Lagern und im Felde
wird nach Dieudonne - München rasch und vollständig am besten
durch Rieselfelder erreicht. Er bevorzugt aus finanziellen
Gründen das Trennsystem. Je nach der Vorfluth ist eine geringere
oder intensivere Reinigung der Abwässer nötig. Nur wenn eine Ab¬
schwemmung der Fäkalien nicht möglich ist, anerkennt er Gruben-
und Tonnensystem, während Sforza -Rom dem Verbrennungs¬
oder Tonnensystem von vornherein den Vorzug gibt. Infektions¬
fähige Stoffe, Leichen infektiös Erkrankter und von Tieren, sind zu
verbrennen. Torfmull bedeutet eine wesentliche Verbesserung des
Gruben- und Tonnensystems.
Die Ursache der Massenerkrankungen durch Nahrungsmittel
in der Armee kann nur durch Mitteilung und Untersuchung aller
Fälle richtig erkannt werden. Hladik-Wien schlägt daher vor,
ein besonderes Kapitel der Sanitätsberichte diesen Massenerkran¬
kungen zu widmen und alle Sanitätsberichte gegenseitig auszu¬
tauschen. Bleivergiftung, Kupfervergiftung — nach Dieudonne-
München meist infolge bakterieller Zersetzung — und unter den
pflanzlichen Stoffen Kartoffelvergiftung sind die wichtigsten. Pfuhl-
Berlin erörtert die Einschleppungswege und Verhütungsmassregeln
der Massenerkrankungen an Typhus.
Ueber die Beziehungen der Erkrankungen an Lungentuberkulose zu
funktionellen Störungen der Herztätigkeit vornehmlich bei Soldaten
spricht zunächst Franz -Wien. Hyperplasie des Gefässsystems und
Dilatation des rechten Herzens sind häufige Begleiterscheinungen der
Tuberkulose, erstere oft schon im latenten Stadium. Die häufigste
funktionelle Störung ist die Tachykardie, seltener die Bradykardie.
Der Blutdruck zeigt im Beginn niedrige Werte, die sich bei destruk¬
tiven Prozessen noch vermindern, bei zur Heilung neigenden über den
Durchschnitt vermehren. Schultzen - Berlin betont, dass Herz¬
störungen die Fortentwicklung der Tuberkulose begünstigen, falls
nicht eine Störung im Lungenkreislauf eintritt.
Die Typhusschutzimpfung in der Armee
wird nicht völlig einheitlich beurteilt. Das Material, das bis jetzt übet
die Impfung nach Kolle-Pfeiffer vorliegt, gestattet nach
Musehold - Berlin noch kein abschliessendes Urteil, spricht aber
zunächst f ü r einen Schutzerfolg. Unvollkommenheiten des Impf¬
verfahrens bedürfen noch der Abstellung. L e i s hm an -London
berichtet über die Erfahrungen mit der von W right hergestellten
Antityphusvakzine in der englischen Armee. (Vergl. d. No. S. 2199.)
Sitzung vom 25. September 1907.
Die Verbreitung und Bekämpfung der Pest
wird mit Sektion V zusammen von G a f f k y - Berlin, Kitasato-
Tokio, dessen Vortrag verlesen wird, und Thompson - Sidney
besprochen. .
Bei Pestrattenschiffen
hält G i e m s a - Hamburg Fahndung auf tote Ratten für unerlässlich.
Die Kadaver sind zu untersuchen. Bei positivem Befund sind sämt¬
liche Ratten an Bord auszurotten. Das unübertroffene Mittel dazu
ist Vergiftung der Ratten mit unexplosiblem Generatorgas, denn es
ist geruchlos, indifferent gegen die Ladung, sehr giftig (Kohlenoxyd)
und sehr billig. Die Niederhaltung der Rattenplage an Land ist
nicht zu vernachlässigen. Die eingeführten Waren sind nach
K o s s e 1 - Giessen ungefährlich, sofern nicht tote infizierte Ratten
oder ausnahmsweise infizierte Flöhe mit verschleppt werden, rur
die geringe Pestmortalität des jahrelang infizierten Aegypten duiite
nach Bitter -Kairo die geringe Flohzahl der ägyptischen Ratten
verantwortlich sein; Bitter schliesst interessante Einzelheiten mei
die Pest Aegyptens an. Ueber die Vorzüge des Generatorgases vor
2206
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
dem Claytongas entspinnt sich eine Diskussion, an der besonders
T jaden und Oiemsa beteiligt sind.
Ueber die Wärmeregulation des Körpers und ihre Erschwerung im
Schiffs- und Tropendienst
teilt D i r k s e n - Wilhelmshaven wertvolle Beobachtungen mit. Er
normiert einen Punkt, mit dessen Ueberschreitung das Gefühl der
Schwüle beginnt, und stellt fest, dass die Grenzen der in ein Ko¬
ordinatensystem nach Feuchtigkeit und Temperatur eingetragenen
Tropenseeklimata der verschiedensten Weltgegenden nahezu gleich
sind und mit der empirisch und durch Laboratoriumsversuche ge¬
fundenen schwülen Grenze zusammenfallen. Es gibt also im Tropen¬
seeklima überhaupt keinen Tag, der für den Uneingewöhnten nicht
das Gefühl der Schwüle, d. h. zum mindesten Wärmeregulations¬
schwierigkeiten, bringt. Die Beurteilung eines Klimas nach der
Temperatur allein führt zu falschen Schlüssen. Einflüsse der Jahres¬
zeiten in der Heimat, Heizraum und Maschinenraumverhältnisse und
Schlussfolgerungen und Nutzanwendungen beschliessen den Vortrag,
der nach der Diskussionsbemerkung von N o c h t - Hamburg neue
Schlaglichter auf wenig bearbeitete Gebiete wirft.
Die ständige Ueberwachung der Seeschiffe,
nicht nur die erstmalige Untersuchung, ist nach N o c h t - Hamburg
ein wesentliches Erfordernis gegen das Eindringen von Seuchen.
Seine Ratschläge sind überall den biologischen Eigenschaften der
Krankheitserreger angepasst und zeichnen sich durch die wissen¬
schaftlich eben noch zulässige Liberalität gegen Handel und Verkehr
aus. R u f f e r -Alexandrien spricht über die gesundheitliche Ueber¬
wachung Aegyptens, das, an die Hauptverkehrstrasse der Welt
stossend, die Aufgabe hat, Europa gegen die gesundheitlichen Ge¬
fahren, die die muselmännische Pilgerschaft mit sich bringt, zu
schützen.
Zur Ventilation und Heizung auf Kriegsschiffen
spricht R i c h e 1 o t - Kiel. Er fordert, dass der Kohlensäuregehalt in
den 'Schiffslazaretten nicht 0,7 Prom., in den übrigen bewohnten
Räumen nicht 1 Prom. überschreite. In den Mannschaftsräumen sind
20, in den Wohnkammern 30, in den Lazaretten 75 cbm Luft für Kopf
und Stunde erforderlich. Natürliche Lüftung ist nur brauchbar in
Wohnräumen, die gegen Seeschlag geschützt sind; daher ist die
eigentliche Lüftung der Kriegsschiffe die künstliche. Die künstlich
gelüfteten Schiffsräume sollen unter Ueberdruck gegenüber der Um¬
gebung stehen, nur in Räumen, die schädliche Gase und Gerüche ent¬
wickeln oder Wärmequellen bergen, soll Unterdrück herrschen.
Für Handelsschiffe hält Goos- Hamburg im allgemeinen an
natürlicher Ventilation fest. Die Mitteldruckheizung ist allen andern
Arten mit Rücksicht auf Anlagekosten, Einfachheit der Bedienung
und Billigkeit des Betriebes überlegen und wird daher trotz ihrer
hygienischen Nachteile ihre überwiegende Stellung behaupten.
Wagner- Wien zieht in Anbetracht des geringen Gewichtes und
der übrigen bekannten Vorteile auch auf Kriegsschiffen die Dampf-
zentraiheizung mit einem Druck zwischen 0,5 und 2 Atmosphären vor.
Die Forderung der Hygiene, dass die Oberflächentemperatur der
Heizkörper zur Vermeidung von Staubverbrennung 70° C nicht über¬
schreite, glaubt er wegen höherer Luftfeuchtigkeit und geringerer
Staubentwicklung an Bord vernachlässigen zu können.
Für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten an Bord
ist nach v. B u n g e - Kronstadt die Schaffung idealer hygienischer
Bedingungen an Bord das wesentlichste Mittel. Je nach der Ueber-
tragungsart der Krankheiten .durch die Luft, durch Personen oder
duich I iere empfiehlt er verschiedene Schutzmittel. D u p u y - St.
Nazaire bringt eine Zusammenstellung von Regeln, die sowohl die Ein¬
richtung und Führung des Schiffes, als auch die Vorkehrungen bei
diohenden oder schon ausgebrochenen Infektionskrankheiten be¬
treffen.
Den Ausbau der Wasch- und Badeeinrichtungen an Bord
von Kriegsschiffen nicht durch die steigenden Anforderungen an die
Gefechtskraft des Schiffes zu vernachlässigen fordert Dirks en-
Wilhelmshaven. Er verwirft die noch jetzt gebräuchliche Methode
der körperlichen Reinigung der Mannschaft zu 6—12 in eine Balje als
gesundheitswidrig und gefährlich und gibt Anweisungen, wie durch
Ersparnisse einerseits, Neuaufstellung von Wascheinrichtungen und
Bi ausebädern andererseits Besserung erzielt werden kann.
Sitzung vom 26. September 1907.
Zur Beurteilung der Tropendiensttauglichkeit
betont S t e u d e 1 - Berlin die Notwendigkeit einer ausführlichen
Anamnese. Alkoholisten, Nerven- und Verdauungsschwache sind nicht
tropendienstfähig. Mense- Kassel will bei der Untersuchung auf
Tropendienstfähigkeit zur Selbstkontrolle des Untersuchers jedem
einen Gesundheitsbrief mitgeben, der den Befund enthält und in den
spätere Krankheiten vom behandelnden Arzt eingetragen werden.
Kohlbrugge - Utrecht stellt, basierend auf die Erfahrungen der
holländischen Kolonien, sehr geringe Anforderungen an den Tropen¬
diensttauglichen.
Für die Durchimpfung der Eingeborenen in den Kolonien
tritt Z i e m a n n - Kamerun ein; er fordert in den Kolonien Reiseärzte,
die neben Bekämpfung der anderen Seuchen die systematische Durch¬
impfung besorgen. Selbständige Massenimpfungen durch eingeborene
farbige Hilfskräfte sind unzulässig. In jeder Kolonie ist mindestens
ein Lymphgewfnnungsinstitut einzurichten. Ehlers- Kopenhagen
erreicht lange Beständlichkeit der Virulenz der Lymphe durch Ver¬
sand im Innern von Kartoffeln, K oh 1 b r u g g e -Utrecht in Pisang-
stämmchen.
Das eigentliche Sanatorium der Tropen
ist nach Kohlbrugge - Utrecht das Höhensanatorium. Es ist
wesentlich, dasselbe auch prophylaktisch aufzusuchen. Für die Krank- s
heiten der Eingeweide bestimmt nur der Boden, nicht die Höhe die
Wahl. Gegen Beriberi, Schwindsucht, Aphtae tropicae sind die
Höhensanatorien nicht zu empfehlen. Auch P 1 e h n - Berlin dringt
auf alljährlichen mehrwöchigen Aufenthalt der Bewohner heisser,
ungesunder Niederungen in Gebirgsstationen, warnt aber Rekon¬
valeszenten vor zu schroffen und zu frühen Uebergängen in Höhen¬
klima. Für letztere sind Sanatorien an der See eventuell als Zwischen¬
station zu empfehlen. Sand with -London schildert die ver¬
schiedenen Gebirgsstationen in Indien. Ranke- München empfiehlt,
sich mittels der modernen Kältetechnik durch künstliche Kühlung des
Hauses vom Klima unabhängig zu machen.
Z i e m a n n - Kamerun weist darauf hin, dass ausser Entdeckung von
Bakterien und Plasmodien noch wichtige Fragen der Erledigung harren,
um Afrika für die farbige und weisse Rasse zu erobern. Ranke-
München erläutert die Notwendigkeit und technische Ausführbarkeit
der Erzeugung eines für den Europäer günstigen Klima der Wohn- und
Arbeitsräume in den Tropen. F ü 1 1 e b o r n - Hamburg projiziert
Mikrophotographien von Präparaten, die das Eindringen von Filaria-
larven in der menschlichen Haut darstellen. M a k a r o f f - Russ¬
land spricht über tropische Anämie.
Sitzung vom 27. September 1907.
Dass die Malariabekämpfung
nur durch Kombination aller Mittel durchgeführt werden kann, ist
ein Axiom aller fünf Referenten, Celli- Palermo, G a 1 1 i - V a 1 e r i o-
Lausanne, R o s s - Liverpool, Ru ge -Kiel. Zur energischen Durch¬
führung dieser Bekämpfung wird vom Kongress eine Resolution be¬
stätigt, die von den Regierungen Initiative und weitgehende Unter¬
stützung in der Bekämpfung der Malaria verlangt.
Eine weitere Resolution, wonach von der genannten Kongress¬
leitung in Anbetracht der zunehmenden Wichtigkeit der Tropen¬
medizin eine besondere Sektion für Tropenmedizin und Hygiene ge¬
bildet werden möge, wird ebenfalls angenommen.
Ueber Gelbfieberbekämpfung
referieren A g r a m o n t e - Habana und O 1 1 o - Hamburg. Zum
Schluss spricht Moore über die Zytologie der Trypanosomen und
G a b b i - Messina über Maltafieber in Italien.
Sitzung vom 28. September 1907.
Der letzte Morgen bringt noch eine Reihe von Vorträgen. Zu¬
nächst erzielte R e u t e r - R o t h - Sidney durch sinnreiche Vorrich¬
tungen die Möglichkeit, bei Unterbringung einer grösseren Anzahl von
Verwundeten in einem Krankenwagen jeden einzelnen umzuladen,
ohne die anderen zu stören. B r e g e r - Berlin verlangt für Binnen¬
schiffe Wassertonnen, die an einwandsfreien staatlich eingerichteten
Wasserentnahmestellen zu füllen seien, und transportable Aborte.
Br echot- Paris spricht über Fortschritte der Desinfektion von
Krankenstuben und Hospitälern. B i f f i - Bologna hält das Carrion-
sche Fieber für Verruca Peruviana plus Typhus oder Raratyphus.
Unger zeigte eine Vorrichtung, mittels der jedeTrage federnd gemacht
wenden kann. Jeder Verwundete ist mit der Trage ohne Umladung bis zu
seiner Verladungsstelle zu transportieren. Di r k se n - Wilhelms¬
haven hat Einrichtungen getroffen, mittels deren grössere Haltbarkeit
und schnellere Herrichtung der Krankentrage der Marine erreicht
wird. Steiner demonstriert das neue österreich-ungarische Ver¬
bandpäckchen. Krause -Berlin gelang es, durch Einspritzen von
Viperngift in Nattern ein polyvalentes Serum zu gewinnen, mit dem
er Tiere gegen die dreifache tödliche Dosis von Nattern- und Vipern¬
gift immunisieren kann. Ein Vorschlag des Genfer weissen Kreuzes,
eingebracht von D e 1 o n c 1 e, dahingehend, dass sich eine inter¬
nationale Konferenz bilde gegen das Unwesen der Zigeuner, Vaga¬
bunden und Herumtreiber, wird angenommen. Der Antrag v. Bam-
bergers zur Gründung militärhygienischer Museen wird zurück¬
gestellt; dann werden unter Dankesworten Sr Exzellenz Ritter
v. Uriel an den Präsidenten der Sektion VII, Generalarzt Kern,
die Verhandlungen geschlossen. Nach Schluss spricht noch M a -
g a 1 h ä e n s - Rio über Piedra und V iry über die Ernährung der
französischen Soldaten im Frieden, ferner de la Roquette über
die Rolle der Fliegen bei der Uebertragung infektiöser Darmkrank¬
heiten.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2207
I. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie
in Wie n, vom 2. bis 5. Oktober 1907.
Referent : Dr. K'ielleuthner- München.
Unter der lebhaftesten Beteiligung von Aerzten aus sämtlichen
Kulturstaaten der Welt tagte in Wien vom 2. bis 5. Oktober der
I. Kongress der voriges Jahr in Stuttgart neu begründeten deutschen
•Gesellschaft für Urologie. Der Protektor des Kongresses, Erzherzog
Rainer, eröffnete denselben in feierlicher Sitzung. Hierauf be-
grüsste der Minister für Kultus und Unterricht Dr. v. Bienerth die
Anwesenden im Namen der Verwaltung. Vizebürgermeister Dr. v.
Neutnayer bewillkommnte in warmen Worten die Teilnehmer im
Namen der Stadt, Hofrat Chrobak als Vorstand .der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte. Nach einer Beglückwünschung der jugendlichen
Schwester der französischen urologischen Gesellschaft durch
Desno s- Paris gab v. Frisch- Wien einen ebenso interessanten
als umfassenden historischen Rückblick über die Entwicklung der
urologischen Diagnostik.
Bei der Verhandlung des I. Referates Diagnostik und Therapie
der Nierentumoren führte K ü s t e r - Marburg folgendes aus:
Geschwulst, Schmerzen und Veränderungen des Harns sind die
hauptsächlichen diagnostischen Merkmale der Nierentumoren. Doch
fehlt häufig die Geschwulst, während sie ein andermal eine kolossale
Grösse erreichen kann. Auch die Schmerzen sind ein nicht kon¬
stantes Zeichen. Die Hämaturie ist sehr eigenartig, sie tritt aus
voller Gesundheit plötzlich auf. Aber auch sie fehlt in selteneren
Fällen. In neuerer Zeit wurde auf ein Symptom, das Auftreten von
Pigmentflecken in der Haut (bei Nebennierengeschwülsten) aufmerk¬
sam gemacht. Bei der Feststellung der Art eines Tumors ist zu be¬
achten, dass drei Viertel der Nierentumoren Hypernephroide sind; es
folgen dann in absteigender Reihe Karzinome, Sarkome und em¬
bryonale Mischgeschwülste. In der Mehrzahl der Fälle ist es möglich,
diese Arten klinisch zu trennen. Bei Kindern unter 10 Jahren sind
Mischgeschwülste höchst wahrscheinlich; die Beschaffenheit ist
schwammig-weich. Grosse Schwierigkeit besteht differential-dia¬
gnostisch zwischen Sarkom und Karzinom. Sarkome sind recht
selten. Bei Hypernephroiden ist die Blutung reichlicher und häufiger
als bei Sarkomen; sie sind gewöhnlich freibeweglich als pilzförmige
Massen :zu fühlen, während Sarkome bald mit der Umgebung ver¬
wachsen. Tumoren, die vollständig festgelötet sind, sind von der
Operation auszuschliessen; dagegen müssen die freibeweglichen und
wenig verwachsenen Geschwülste entfernt werden. Was die Unter¬
suchungsmethoden .der Nieren anlangt, so leisten sie viel, aber nicht
alles. Das Hauptgewicht ist auf die mikroskopische und chemische
Untersuchung des Harns und auf die Zystoskopie zu legen. Die
Kryoskopie des Blutes und des Harns kann nicht allzu hohe Be¬
deutung beanspruchen. Die Phloridzinprobe gibt brauchbare Resul¬
tate; doch sollen bei verlangsamter Glykosurie beide Nieren freigelegt
werden, da die pathologische Anatomie lehrt, dass auch Metastasen
•der anderen Niere Vorkommen können. Ausser dem Harnleiter-Kathe¬
terismus wurde der Separator von Luys in geeigneten Fällen mit
recht gutem Resultate benützt. Bei Kindern stösst man natürlich auf
grosse Schwierigkeiten, den Harnleiter zu sondieren. Da aber hier
Tumoren gewöhnlich einseitig sind, kann man sich in den meisten
Fällen auf eine Prüfung des Gesamtharnes beschränken.
Bei der Operation bevorzugt K. die Lumbalanästhesie, mit der
er äusserst zufrieden ist; er gebraucht Novokain, da dieses die Nieren
am wenigsten angreift. Bei freibeweglichen Tumoren hält er den
lumbalen Weg für den besten, für die eben unbeweglich werdenden
den abdominalen; der letztere hat noch den Vorzug, durch Palpation
von etwaigen Knoten der anderen Niere sich überzeugen zu können;
auch lässt sich hier leicht durch vorherige Unterbindung der grossen
Gefässe eine Embolie von Geschwulstpartikeln verhindern. Unter
allen Umständen sind Fettkapsel und Lymphdrüsen zu entfernen.
v. Eiseisberg - Wien : Das Wichtigste ist die Diagnose einer
bösartigen Geschwulst. Bei der Inspektion achte man auf
Venektasien, eine eventuelle gleichseitige Varikozele, Drüsenver-
grösserungen (v. E. hat aus einer exstirpierten supraklavikulären
Drüse die Diagnose eines Hypernephroms stellen können), dann auf
Thrombosen der Vena cava und Oedem der Beine, endlich auf Pig¬
mentierungen. Auch ein gute Röntgenaufnahme kann den Tumor
zeigen. Die Palpation ist ein Hauptmoment bei der Diagnose der
Geschwülste; grosse, aber bei ausgebildeter Technik auch ganz kleine
Geschwülste können deutlich gefühlt werden. Auf die bekannte
Hämaturie und den Harnbefund ist grosses Gewicht zu legen; doch
geben viele Tumoren keine Veränderung des Harns. Zystoskopie
und beiderseitige Ureterensondierung sowie die Chromozystoskopie
sollen zur Diagnose herangezogen werden. Ueber den Wert der
Gefrierpunktsbestimmung von Blut und Harn sowie die Phloridzin¬
probe sind die Meinungen geteilt. Die Stickstoffbestimmung darf nicht
fehlen. Ein wesentliches Hilfsmittel für die Diagnose einer zweiten
Niere ist bei Versagen dieser Methoden die Freilegung des Schwester¬
organs; auch das Röntgenverfahren ist heranzuziehen, da es häufig
gelingt, die normalen Konturen der anderen Niere zu finden, v. E.
eröffnet auch bei lumb'alem Schnitt das Peritoneum, um sich von dem
Zustande der anderen Niere zu überzeugen. Bei geringen Schwan¬
kungen des Pulses bedient er sich mit bestem Erfolg grosser Koch¬
salzinfusionen. Zum Schlüsse betont v. E. noch die Notwendigkeit
einer frühzeitigen Diagnose zur Erzielung von Dauerheilungen.
In der Diskussion berichtet Verhoogen - Brüssel von 27
Nephrektomien bei malignen Geschwülsten; die Mortalität betrug
11 Proz. Er bedient sich mit Vorliebe des L u y s sehen Separators.
V. beobachtete einen Fall, der niemals Blut im Harn hatte; die Sektion
ergab ein grosses Hypernephrom. Es folgen verschiedene inte¬
ressante Krankengeschichten.
Barth -Danzig hat bei seinen wegen Tumor Nephrektomierten
viele letale Rezidive gesehen. Aus dem mikroskopischen Bau der
Grawitzturnoren lässt sich kein Schluss auf die Gut- oder Bösartigkeit
ziehen. Hypernephrome mit ganz regelmässigem Bau können malign
werden. B. kommt zu dem Schluss, dass sämtliche Grawitzturnoren
als bösartig angesehen werden müssen. Aussichtslos ist die Operation
bei eingetretenen typischen Neuralgien, da sicher die Kapsel bereits
durchbrochen ist. Mit den funktionellen Methoden, besonders der
Phloridzinmethode war B. stets recht zufrieden.
S t ö r k - Wien hat in mehreren Fällen ein multizentrisches
Entstehen der Tumoren, besonders der Hypernephrome gesehen und
hält deshalb Keilexzisionen nicht für angezeigt. Für die leicht ein¬
tretende Malignität der scheinbar gutartigen abgegrenzten Grawitz-
tumoren führt St. an, dass bei genauer Durchsicht von zahlreichen
Schnitten oft Stellen von Gefässein-bruch der Tumormassen ge¬
funden werden.
P reindlsberg er - Serajevo hat eine grössere Statistik zu¬
sammengestellt und zeigt mehrere interessante Fälle.
Stein- Stuttgart hat alle Patienten, welche wegen Nieren¬
tumors operiert wurden, an Metastasen nach längerer* oder kürzerer
Zeit verloren.
Löwenhardt - Breslau zeigt einen Fall von diagnostizierter,
bohnengrosser Nierengeschwulst (Peritheliom). Er spricht den
Wunsch aus, es möge zu einer solchen Verfeinerung der Diagnostik
kommen, dass die Freilegung der 2. Niere unnötig wird.
Ca s p a r -Berlin: Wenn es möglich ist, mittels Röntgenauf¬
nahme normale Nierenkonturen zu sehen, so ist es nicht konsequent,
unter allen Umständen die Freilegung der 2. Niere vorzunehmen. C.
berichtet von seinen letzten 2 Fällen, bei denen ihm Kryoskopie,
Stickstoffbestimmung und Phloridzinprobe vorzügliche Resultate ge¬
geben haben.
Allerdings gibt es Fälle, bei denen die Werte bei der Funktions¬
prüfung der Niere gleich sind, nämlich dann, wenn der Tumor die Niere
bloss zusammendrückt, ohne das Parenchym zu vernichten; in diesen
Fällen ist die Freilegung von Wert.
Th. Cohn- Königsberg: Aus der Verbesserung der chirurgischen
Resultate durch die Anwendung der Kryoskopie darf nicht geschlossen
werden, dass der osmotische Druck irgend eine klinisch hervor¬
tretende Rolle in der Nierentätigkeit spielt. Die Forschung muss er¬
gründen, worauf diese Brauchbarkeit der Methoden in den einzelnen
Fällen zurückzuführen ist.
Kapsammer - Wien vertritt ebenfalls den Standpunkt der Frei¬
legung der Nieren, wenn die funktionelle Prüfung zu keinem befrie¬
digendem Resultate führt.
Gottstein gibt aus der Breslauer Klinik einen grösseren
Bericht über die seit 1891 beobachteten und operierten Nierentumoren.
K ü m m e 1 1 - Hamburg hält es bei einer einzigen Nierenblutung
ohne Nebensymptome nicht für möglich, die Differentialdiagnose
zwischen Tumor und Schrumpfniere zu stellen; das richtige ist in
diesen Fällen, die Niere freizulegen und dann entweder die Dekapsu-
lation oder die Exstirpation der Niere anzuschliessen. Auch K. bedient
sich der Kochsalzinfusion in ausgedehntem Masse; er ging bis zu 4 bis
6 Liter im Tage.
R i n g 1 e b - Berlin spricht über die Vorzüge der Sitz- und Bauch¬
lage bei der Untersuchung der Geschwülste.
Das II. Referat über die Diagnostik und Therapie der Nephro-
lithiasis hatte Kümmell - Hamburg übernommen.
Praktisch lässt sich die Einteilung der Steine in aseptische und
infizierte machen. Erstere können lange Zeit symptomlos bleiben;
erst wenn der Stein zu wandern beginnt, setzen die Symptome ein.
Oder aber es tritt ein Infektionsprozess dazu; dann ist das Hauptbild
die Pyelonephritis, doch kann auch die Entzündung das Primäre sein.
Was die Symptomatologie anlangt, so ist die gewöhnliche Trias,
Blutung, Schmerz und Abgang von Steinen, nur in den allerseltensten
Fällen vollständig in ihrer Dreizahl zu finden. Der Schmerz tritt in
verschiedenen Formen auf, je nachdem der Stein beweglich ist oder
nicht, aseptisch oder infiziert. Grössere aseptische Steine brauchen
gar keine Symptome zu machen; doch tritt oft dumpfer Schmerz, oder
kontinuierlicher, die Kranken sehr peinigender Schmerz auf. Kleinere
Steine veranlassen Nierenkoliken. Die Schmerzen strahlen dabei nach
der Blase, den Hoden, den Schenkeln, Magen und anderen Unterleibs¬
organen aus. Temperatur und Atmung steigen, kalter Schweiss bricht
aus; im Urin findet sich Blut. Schmerzen kommen jedoch bei venöser
Kongestion oder bei einem beliebigen Abflusshindernis auch zur Be¬
obachtung. Die Blutung ist eines der wichtigsten diagnostischen Mo¬
mente, das selten im Stiche lässt. Ueber die Frage, woher das Blut
kommt, kann uns das Zystoskop aufklären; Gerinnsel, die aus dem
einen Harnleiter hängen, werden viel zur Diagnose beitragen. —
Steinabgang beweist nichts als das Vorkommen von Konkrementen
2208
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
innerhalb des Harnapparates. K. verhält sich der reflektorischen
Anurie skeptisch gegenüber; er selbst konnte niemals eine solche be¬
obachten. Bei den Fällen, die zur Sektion kamen oder operativ frei¬
gelegt wurden, war immer eine schwere Degeneration der anderen
Niere nachweisbar.
Die Radiographie füllt bei der Unsicherheit der obigen Zeichen
eine Lücke aus. Fast ausnahmslos können jetzt alle Steine, auch die
kleinsten, nachgewiesen werden; weder die Fettleibigkeit des Patien¬
ten, noch die chemische Zusammensetzung der Steine ist heute ein
Hindernis. K. zeigt eine grosse Reihe von vorzüglichen Diagrammen.
Wichtig ist natürlich die Deutung der Bilder. Zur funktionellen
Nierendiagnostik wendet K. alle Verfahren an und zwar mit Hilfe des
Ureterenkatheters. Besonderen Wert legt er auf die Kryoskopie des
Blutes, die ihm sehr gute Resultate gibt. Die Verschiedenheit der
Ansicht der Autoren beruht auf der Verschiedenheit der Technik.
Die Indikationsstellung für die Operation ist wichtig. Ruhende
aseptische Steine, ohne besondere Schmerzen und Blutung, oder solche
mit langen Ruhepausen nach dem Anfalle können sich bei entsprechen¬
der Diät und Mineralwasserkuren ganz wohl befinden. Wiederholen
sich jedoch die Anfälle, treten grosse Blutungen ein, dann sollte mit
der Operation nicht gezögert werden; der Stein schädigt das Nieren¬
gewebe und kann den Verschluss des Ureters bewirken. Zeigt das
Röntgenbild ein erbsengrosses oder wetzsteinförmiges Konkrement,
so lässt sich ein eventueller Abgang des Steines erwarten. Bei in¬
fizierten Steinen ist jedoch die Operation angezeigt; eine Spon¬
tanheilung wird nie eintreten. Blutungen von grosser Intensität
fordern ebenfalls die Operation. Bei durch Steineinklemmung be¬
dingter Anurie versuche man es zuerst mit reichlichem Trinken, leich¬
tem Massieren, Glyzerin, vorsichtigem Einspritzen von Oel in den
Ureter. Jedoch ist keine zu grosse Zeit damit zu verlieren, da die
Aussicht auf Heilung eine um so grössere ist, je früher wir die Opera¬
tion ausführen.
Von 90 an Nierenstein Operierten starben 3 = 3,3 Proz., und zwar
bei 46 aseptischen Steinen 0, bei 44 infizierten 3. 8 mal, und zwar
bei infizierten Steinnieren, musste die sekundäre Nephrektomie an¬
geschlossen werden. Bei der Operation der Steine wurde 1 mal die
Pyelotomie gemacht. Die geeignetste Methode, um alle Steine zu finden,
ist nach Kümmells Ansicht die Nephrotomie, der Sektions¬
schnitt. Einstechen einer Nadel oder Abtasten des uneröffneten
Nierenbeckens sind zu verwerfen. Der Blutstillung soll besondere
Sorgfalt zugewendet werden; zur Nierennaht dienen tiefgreifende Kat-
gutnähte.
K i e n b ö c k - Wien spricht über die Diagnose der Nierensteine
mittels der Röntgenstrahlen. Eine sehr gute Aufnahme muss nicht
nur die Konkremente, sondern auch die deutlichen Nierenkonturen
zeigen. Die Steine selbst werden bei der heutigen Technik alle bis
auf 2 Proz. nachgewiesen; dies sind gewöhnlich kleine, reine Urat¬
steine. Zur Darstellung des Nierenbeckens und des Ureters bedient
man sich der Völker sehen Methode (mit Kollargol). Wenn der
Steinschatten sich mit der Wirbelsäule deckt, lässt dies gewöhnlich
auf eine Hufeisenniere schliessen. Die Diagnose auf Komplikation mit
Hydronephrose stellt man, wenn der Steinschatten auf einem gleich-
massigen I one (Flüssigkeit) erscheint; ebenso, wenn bei wiederholten
Aufnahmen immer wieder andere Lagen des Steines (wegen des
schlaffen Sackes) sich zeigen. Zu Täuschungen kann der Penis, axial
getroffen, Anlass geben, der als runder, in der Nähe der Blase liegen¬
der Schatten, erscheint. Ein Schutz des Genitals ist mit Bleidecken
immer zu bewirken. Eine Wachstumsstörung bei Kindern ist bei der
gewöhnlichen Belichtungsdauer nicht zu befürchten.
R o b i n s o n - Wien spricht über die Bedeutung der bis jetzt
rätselhaften sogen. Beckenflecken in der Nähe des Ureters am hori¬
zontalen Schambeinast und an der Spina ossis ischii. Entgegen
anderen Erklärungen hält er sie für kleine Bursolithen.
Holzknecht - Wien zeigt wohl die kleinsten (hanfkorn¬
grossen) bis jetzt auf der Platte dargestellten Konkremente, dann
eine Reihe von Steintypen. Zur besseren Kontrastwirkung bedient
er sich sogen. Doppelaufnahmen (auf 2 Platten übereinander). Er
führt die Robinsonsche Druckblende vor, die sich vorzüglich den
Körperformen anpasst. — Schliesslich berichtet er von interessanten
Versuchen über respiratorische Verschiebung der Nierensteine und der
sie umschliessenden Niere, welche beweisen, dass diese Verschiebung
bei Rückenlage mit leichtem elastischen Druck am grössten, beim
Stehen jedoch am kleinsten ist.
In der Diskussion berichtet Brongersma- Amsterdam
über seine Operationsresultate; seinen skeptischen Standpunkt gegen¬
über der Röntgendiagnose gibt er auf, fordert aber auch eine Radio¬
graphie der anderen Niere.
Nicol ich-Triest zeigt eine Reihe sehr schöner, durch Opera¬
tion gewonnener Präparate und guter Diagramme.
R a p o p o r t - Krakau löste einen in der Blase eingeklemmten
Hai nleiterstein bei einem Patienten, der die Operation verweigerte,
mit einem verschiebbaren, beweglichen Löffelchen.
Löwenhardt - Breslau hält auch die Blutkryoskopie für eine
überaus brauchbare Methode. Bei Anurie infolge von Steineinklem¬
mung gelang es ihm in 2 von 4 Fällen durch Ureterenkatheterismus
den Stein zu mobilisieren.
H öhn -Radein hat in einem Falle durch Trinkkuren, Kohlen¬
säurebäder und geeignete Diät nach und nach über 1000 Steine ab¬
gehen sehen.
Adler- Wien spricht über die Theorien der Steinbildung. Steine
kommen häufig vor bei Personen mit Stigmatis; in allen seinen Fällen
hatte früher Enuresis bestanden; auch Erkrankungen der Nieren
Hessen sich nachweisen.
v. No orden -Wien hält Kümmells Standpunkt für allzu
chirurgisch; er frägt an, wie oft Rezidive nach Nierensteinoperationen
auftreten.
A. Lewin -Berlin berichtet über einen Fall von kolossalem
Nierenstein ohne besondere Schmerzen. Auch er gebraucht gerne
Doppelplatten zur Röntgenphotographie.
Schul theiss hält den Nachweis der Steine durch Röntgen¬
strahlen von Vorteil, da die Patienten sich viel lieber operieren lassen,
wenn sie den Stein sehen. Was die Rezidivfähigkeit der Steine an¬
langt, so hat er drei Rezidive gehabt, die immer Phosphatsteine be¬
trafen.
Ca s p e r - Berlin hat früher einmal einen Ureterstein, der auf
der Platte ein scharfes Bild gab, operiert; nach der Operation er¬
neute Röntgenaufnahme; derselbe Schatten ist wieder zu sehen; wahr¬
scheinlich handelt es sich um einen solchen „Bursolithen“ (R o b i n -
s o n.)
F. Cohn- Königsberg betont, dass seine Resultate, welche von
denen des Herrn K ü m m e 1 1 abweichen, nicht auf Fehler in seiner
Methode zurückzuführen seien; denn seine Arbeitsweise ist von dem
Physikchemiker Ab egg für durchaus exakt erklärt worden. Ohne
an der Tatsache der Uebereinstimmung zwischen den Untersuchungs¬
befunden und den Operationsresultaten eines so erfahrenen Chirurgen
wie Kümmell auch nur im geringsten zu zweifeln, bleibt C. auf
seiner bereits erwähnten Bewertung der Kryoskopie.
K ii m m e 1 1- Hamburg erwidert zum Schluss, dass er bei asep¬
tischen Steinen bei geeigneter Diät niemals ein Rezidiv gesehen hat;
dagegen bleibt bei infizierten Fällen die Quelle der Steinbildung be¬
stehen; hier ist man ab und zu genötigt, die Niere wegen Rezidive
ganz zu entfernen.
Wegen Kürze der Zeit verzichten O. Zuckerkandl - Wien
und C a s p e r - Berlin auf ihre Ausführungen.
Ueber das Thema „die Albuminurie“ spricht v. Noorden -Wien.
Die Albuminurie kann eine dauernde oder intermittierende sein.
Es gibt eine Albuminurie, welche tagsüber nach Nahrungsaufnahme
manchmal zu beobachten ist; sie gibt eine zweifellos günstige Pro¬
gnose; ebenso die gewöhnliche Pubertätsalbuminurie, wie sie bei Bleich¬
sucht etc. auftritt und ebenfalls intermittierenden Charakter zeigt.
Die Intermittenz ist jedoch nicht allgemein als absolut günstiges
Zeichen anzusehen; sie schliesst eine Nephritis nicht aus; denn die
Schrumpfnierenalbuminurie ist ausgesprochen intermittierend, be¬
sonders im Anfang, v. N. weist hier auf die Beziehungen zwischen
Nephrolithiasis und Schrumpfniere hin. Die Albuminurie im Gefolge
von Nierensteinkrankheit ist meist das erste Signal der Nieren¬
schrumpfung.
Das Auffinden von Zylindern wird bedeutend überschätzt;
die Zentrifuge zeigt, dass bei gutartigen Albuminurien ebenfalls
Zylinder auftreten können; die Anlegung von Leukozyten, ija Erythro¬
zyten ist nicht selten. Grobgranulierte und wachsartige Zylinder
wird man allerdings nur bei zweifelloser Nephritis sehen. Anderer¬
seits wird Albuminurie als harmlos angesprochen, wenn keine Zy¬
linder zu finden sind. Hier ist zu bedenken, dass diese Gebilde sehr
vergänglich sind, nach 2 Stunden schon verschwinden können. Die
Abwesenheit der Zylinder schliesslich ist kein Grund, eine harmlose
Albuminurie anzunehmen; es kann trotzdem eine progressive Nieren¬
erkrankung bestehen.
Grössere Bedeutung kommt dem Verhalten des Gefäss-
systems zu. Hauptsache ist, die Schrumpfniere bei einer Albu¬
minurie auszuschliessen. Wir wissen, dass sie schon frühzeitig mit
Drucksteigerung im Gefässystem und ihren Folgen einhergeht; es
gibt zwar auch hier Intervalle; aber bei immer erneuter Untersuchung
wird man diese Veränderungen entdecken; sie fehlen bei der harm¬
losen Albuminurie.
Beschränktes Gewicht ist auf die funktionelle' Dia¬
gnostik der Nieren zu legen. Bei den gutartigen Albuminurien
bekommt man gute Resultate; aber auch bei der Schrumpfniere ist
dies der Fall. Dagegen ist schlechter Ausfall der Probe als böses
Zeichen aufzufassen.
Ein weiteres Kriterium ist die klinische Erfahrung. Zu den
harmlosen Albuminurien gehört 1. die reine und typische
orthostati sehe Albuminurie, wie sie sich bei Kindern vom
7. — 15. Lebensjahre findet; sie kann Monate andauern, selten länger;
in der Familie finden sich meist Degenerationsmerkmale vor. Doch
ist hier längere Beobachtung wichtig, da sich eine fortschreitende
Nierenerkrankung unter diesem Bilde verstecken kann. 2. Juve¬
nile Albuminurien; haben insoferne Aehnlichkeit mit den
sub 1 angeführten, als sie nur bei schwächlichen Kindern Vorkommen;
sie zeigen keine Neigung zu fortschreitender Erkrankung; geringe
Dilatation des Herzens ist häufig; auch hier familiäre Anomalien.
Unterscheidung von 1: Bettruhe bringt keine Aenderung. Das
Albuinen bleibt gewöhnlich an der Grenze der quantitativen Be¬
stimmbarkeit. Auch tritt oft eine Verwechslung mit vorgetäuschter
Albuminurie auf, wie sie bei Beimischung von Prostatasekret sich
findet. Nebenbei erwähnt v. N. noch die Albuminurie nach grossen
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2209
Anstrengungen; er warnt vor allzugrossen sportlichen Uebungen
wegen der Gefahr für die Nieren. 3. Fälle, in denen nach
einer Nephritis noch Eiweissabscheidung auftritt.
Herz und Gefässystem sind normal. Albuminurie in der Ruhe etwas
weniger als bei körperlicher Bewegung. Diese Fälle sind als günstig
anzusehen, wenn sich auch in der Folgezeit nichts an dem Gefäss-
apparat zeigt, v. N. hat verschiedene Fälle, die Jahrzehnte lang
Albuminurie haben und sich dabei einer vortrefflichen Gesundheit er¬
freuen. Hier könnte leicht eine Verwechslung mit Nierenschrumpfung
Vorkommen; aber letztere Erkrankung müsste progressiv sein.
Natürlich kann nur sehr lange Beobachtung dies sagen. Das grösste
Unglück ist es, wenn diese harmlose Albuminurie zufällig entdeckt
und dann mit beklagenswertem Schematismus behandelt wird.
4. P r ä t u ib e r k u 1 ö s e Albuminurien in den allerersten
Stadien einer Tuberkulose. Man findet Albumen und einige rote Blut¬
zellen. Später kann ja eine Nephritis eintreten; viel häufiger aber
verschwindet die Albuminurie wieder und es zeigt sich, dass sie harm¬
los war. Es handelt sich wahrscheinlich um eine toxische Albuminu¬
rie; durch Selbstimmunisierung hört die Toxinwirkung auf. 5. A 1 -
buminurie bei Stoffwechselkrankheiten, vorzüglich
bei Diabetes mellitus. Zwar oft entwickelt sich eine Schrumpfniere;
aber auch Albumenausscheidungen kommen vor, die keine fort¬
schreitende Nierenerkrankung darstellen. Diese Albuminurie kann
durch strenge Diabetikerdiät geheilt werden. Eine Beziehung zur
Azidosis besteht nicht. 6. Die bei Altersnephr-itiden er¬
scheinende Albuminurie. In vielen Fällen bedeutet sie
nur einen Abnutzungsvorgang, ohne dass sich eine Sch rümpf niere
entwickelt; sie ist ein Alterssymptom; für den alternden Körper reicht
die Funktion der Niere vollständig aus.
v. N. zieht die Grenzen der harmlosen Albuminurie weiter, als
dies gewöhnlich getan wird; feste Grenzen jedoch zwischen harm¬
losen und nicht harmlosen gibt es nicht; hier muss die persönliche
Erfahrung helfend einsetzen. Die übliche Behandlung dieser Albumi¬
nurien scheint v. N. nicht die richtige zu sein. Es herrscht ein zu
grosser Schematismus; weisses und schwarzes Fleisch, Milchdiät,
Trinkkuren, Wüstenklima etc. sind die Schlagworte, die man allent¬
halben hört. Besonders häufig sind die Missgriffe bei der juvenilen
Albuminurie. Bei strenger Diät, wie bei gewöhnlicher Lebensweise
bleibt das Eiweiss konstant. Durch die lange Diät jedoch werden
mannigfache Schädigungen für den Körper hervorgerufen (Muskel¬
schlaffheit u. a. m.). Auch eine ungünstige Beeinflussung der Psyche
tritt ein. Kräftige Nahrung ist in solchen Fällen sofort zu
geben, sowie eine Stählung der Muskulatur durch systematische
Uebungstherapie und abhärtende Badeprozeduren anzustreben. Was
die Altersalbuminurien anbetrifft, die auf Veränderungen der Nieren-
gefässe beruhen, so wendet sich v. N. gegen die hier häufig ange¬
wandten Jodpräparate, die im Verein mit der geänderten Nahrung
(Milch!) den Appetit völlig ruinieren. Durch diese Therapie scheiden
die Patienten vielleicht weniger Eiweiss aus, kommen jedoch völlig
herunter. Hier ist keine durchgreifende Veränderung der Lebens¬
weise am Platze. Grössere Flüssigkeitsmengen sind eine Gefahr für
das Herz (Erschöpfung). Eine flüssigkeitsarme, fleischreiche Nahrung
(natürlich mit Auswahl!) tut die besten Dienste.
Zum Schluss tritt v. N. nochmals dem Pessimismus bei Albumin¬
urie, der schon so viel Unglück hervorgerufen hat, gegenüber.
P o s n e r - Berlin, als zweiter Redner, führt aus: Sowie Eiweiss
im Urin erscheint, so lenkt sich die Vermutung stets zunächst auf
eine doppelseitige Erkrankung der Nieren. Doch muss die Albuminurie
manchmal als einseitige gedeutet werden. So wissen wir, dass
eine starke Betastung der Niere Eiweiss erzeugen kann (Meng e).
Mikroskopisch sind rote Blutkörperchen und auch hyaline Zylinder
zu finden. Die renale palpatorische Albuminurie tritt nach ein paar
Minuten nach der manuellen Untersuchung auf, und verschwindet in
Kurzem wieder. Ausser diesem mechanischen Reiz sind es auch
noch chemische und toxische, welche eine Niere gesondert betreffen
können. Nach Entfernung einer kranken Niere kann die andere ge¬
sunde stark geschädigt werden. Vor allem durch Narkotika und
Antiseptika, weswegen wir bei Nierenoperationen Chloroform und
Sublimat als besonders gefährlich ausscheiden. Dann ist noch wahr¬
scheinlich, dass nach Fortfall des einen Nierenfilters die Zellen der
anderen Niere unter dem plötzlichen Uebermass ihrer Arbeit leiden.
Aber auch vom Organ selbst ausgehendes Gift schädigt das
Schwesterorgan; bei primärer Nierentuberkulose kommt es oft vor,
dass der Harn der gesunden Seite Albumen führt; geringe Mengen
werden jedoch von der Operation nicht abhalten; diese toxische
Albuminurie geht wieder zurück. Schliesslich bedingt der Zerfall des
Nierengewebes selbst auch Intoxikation durch die sogen. Nephro-
lysine. Nach verschiedenen Autoren sollen einseitige Nierenerkran¬
kungen von wirklicher parenchymatöser Nephritis Vorkommen.
Asch- Strassburg berichtet über einschlägige Versuche.
Schur- Wien glaubt, dass es sich bei der Pubertätsalbuminurie
um eine leichte Form der Schrumpfniere handelt.
C a s p e r - Berlin nimmt ebenfalls Stellung gegen die „Ueber-
therapie“ bei Albuminurie. Von dem einseitigen Auftreten einer
veritablen Nephritis konnte er sich bei seinen ausgedehnten Unter¬
suchungen niemals überzeugen.
Frank- Berlin berichtet über einen selteneren Fall von lange
andauernder gutartiger Albuminurie.
N e c k e r - Wien gibt 2 Methoden an, die eine Unterscheidung
schwerer vesikaler und renaler Pyurien gestattet. Die eine ist die
Sedimentfärbung mit l;proz. Alizarin-sulfonsaurem Natrium, die
andere beruht auf quantitativer, vor und nach exakter Blasenspülung
ausgeführter Eiweissbestimmung.
Kapsammer - Wien hält es für ratsam bei der Frage der ein¬
seitigen Nephritis, sich hauptsächlich auf das anatomische Bild zu
verlassen.
Off er- Wien hat bei seinen Untersuchungen weder einen
grösseren Stickstoff- noch Extraktivstoffunterschied bei weissem und
schwarzem Fleisch gefunden.
ln die Diskussion treten noch kurz ein Hock- Prag und
v. Schrötter - Wien.
In den Morgenstunden der Sitzungstage führte vor einer grossen
Anzahl von Kongressteilnehmern auf der I. chirurgischen Klinik der
Meister der Chirurgie v. Eiseisberg mit bekannter Ruhe eine
schwierigere Magenoperation, O. Zuckerkand! am Rothschild¬
spital mit grosser Gewandtheit und Sicherheit die Enukleation einer
hypertrophischen Prostata aus. Die Abteilung v. Frisch der all¬
gemeinen Poliklinik und die II. chirurgische Klinik (Hochenegg)
wurden eingehend besichtigt.
L u y s - Paris zeigte bei mehreren weiblichen Patienten seine
Cystoskopie ä Vision directe und katheterisierte durch den einfachen
Tubus hindurch die Ureteren.
Von neueren urologischen Instrumenten wurde eine grosse An¬
zahl demonstriert, so von J o o s s - München ein recht brauchbarer
Apparat zur Selbstmassage der Prostata, von E. Frank -Berlin
Zystoskope, die durch Einsetzen eines weiteren Prismas aufrechte
Bilder zeigen und durch eine Aenderung am optischen Apparat ein
grösseres und helleres Gesichtsfeld geben u. a. m.
Die Nachmittage der Sitzungstage waren durch eine fast über¬
grosse Anzahl von Vorträgen ausgefüllt. Es geht über den Rahmen
unserer Wochenschrift hinaus, sie alle, auch nur in kurzem Auszug,
zu geben. Wir behalten uns vor, über die praktisch wichtigen
Themen in einem Uebersichtsreferate zu berichten.
Der nächste Kongress wird Frühjahr 1909 in Berlin stattfinden.
Als Vorsitzende wurden gewählt: Prof. P o s n e r - Berlin und Prof.
0. Zuckerkandl - Wien.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in D r e s d e n am 14. und 15. September 1907.
V.
Abteilung für Kinderheilkunde.
Sitzung am 17. September 190 7.
Vorsitzender : Herr Feer- Heidelberg.
Herr S c h 1 o s s m a n n - Düsseldorf demonstriert an der Hand
von Plänen die Einrichtungen der Kinderklinik in Düsseldorf.
In der Diskussion bespricht E s c h e r i c h - Wien die von
ihm geschaffene Einrichtung der Brutzellen.
Herr N e u m a n n - Berlin: Einfluss des Geburtsmonats auf die
Lebensaussicht im ersten Lebensjahr.
Die Lebensaussicht für das erste Lebensjahr unterliegt nach dem
Geburtsmonat gewissen Schwankungen. Unter den einzelnen Todes¬
ursachen zeigen sich als wichtigster Faktor die Darmkrankheiten.
Eine geringere Bedeutung haben die tödlichen Erkrankungen der
Luftwege. Von dem Rest der Todesfälle fällt ein erheblicher Teil auf
die angeborene Lebensschwäche. Ein Rest der Todesfälle wird zum
Teil durch die Rachitis und die tetanoide Uebererregbarkeit direkt
oder indirekt beeinflusst. Die nach den Geburtsmonaten wechselnde
Lebensaussicht steht wesentlich unter dem Einfluss der künstlichen
Ernährung.
In der Diskussion teilt Brüning- Rostock ähnliche Er¬
gebnisse mit, die er an Rostodker Säuglingen in einem Jahre festge¬
stellt hat.
Herr B u 1 1 e r m i 1 c h - Berlin: Puls, Blutdruck und Temperatur
bei gesunden und kranken Säuglingen.
Mitteilungen von Einzelbeobachtungen.
In der Diskussion warnt Soltmann - Lepzig vor der Ver¬
allgemeinerung von Schlüssen.
Herr Ritter- Berlin : Das Säuglingskrankenhaus Gross-Berlin
nach zweijährigem Bestehen.
Mitteilung der Einrichtung und Erfolge.
Herr L e i n e r - Wien; Eigenartige universelle Dermatose bei
Brustkindern. «
Mitteilung von 43 Fällen einer eigentümlichen Dermatose, die
gewöhnlich am Ende des ersten oder im zweiten Lebensmonat mit
erythematösen Flecken am Stamme oder seborrhoischen Verände¬
rungen auf dem Kopfe beginnt, sich innerhalb weniger Tage über
den ganzen Körner ausbreitet. Die Kopfhaut ist auf der Höhe der Er¬
krankung mit Schuppenkrusten bedeckt. Gesicht, Stamm, Extremi¬
täten sind intensiv gerötet und mit gelblich-weissen Schuppen¬
massen bedeckt. Die darunterliegende Haut ist nirgends stark näs¬
send, auch nicht erythematös verändert. Die übrigen Organe zeigen
normales Verhalten, nur von seiten des Magendarmtraktus liegen
2210
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Störungen vor. Die Abheilung nimmt Wochen und Monate in An¬
spruch. In etwa einem Drittel der Fälle endet die Krankheit mit
dem Tode, gewöhnlich unter Exazerbation der Erscheinungen von
seiten des Darmkanals. Die Sektion ergibt neben der Hautver¬
änderung schlaffe Degeneration des Herzmuskels, fettige Entartung
der Leber und katarrhalische Schwellung der Darmschleimhaut.
L e i n e r fasst die Dermatose als autotoxisches Ekzem auf und schlägt
den Namen Erythrodermia desquamativa vor. Die
Therapie ist eine kombinierte. Sie besteht in strengen diätetischen
Massnahmen und einer milden äusseren Behandlung.
An der Diskussion, in der das Krankheitsbild anerkannt und
seine Stellung im System der Hautkrankheiten wie die Therapie
besprochen werden, beteiligeji sich M o r o - München, Finkel-
stein- Berlin, Soltmann - Leipzig, Schlesinger - Strass¬
burg, Moll- Prag, Langer- Graz.
Herr H o c h s i n g e r - Wien: Tastbare Kubital- und seitliche
Thoraxlymphdrüsen im Säuglingsalter.
Nach den Untersuchungen Hochsingers sind bei absolut
normalen Neugeborenen und jungen Säuglingen nirgends peripherische
Lymphdrüseti zu tasten. Das Tastbarwerden solcher weise immer
auf Reizzustände in den Wurzelgebieten der betreffenden Drüsen¬
gruppen hin. B a e r s Befunde von hirsekorn- bis traubenkern¬
grossen axillaren und inguinalen Lymphdrüsen bei normalen Neuge¬
borenen können auf Gefühlstäuschungen beruhen. Geringe Beach¬
tung hat bis jetzt das Verhalten der Lymphdrüsen in den Kubital-
und seitlichen Thoraxgegenden bei Säuglingen gefunden.
Nach Heubners und des Vortragenden Untersuchungen beruhen
tastbare Lymphknoten in der Ellenbogenbeuge bei Säuglingen fast
aussschliesslich auf Lues. Nach Ansicht des Vortragenden besteht
hier eine Beziehung zur fast niemals fehlenden Osteochondritis am
unteren Humerusende. In der Regel findet man zwei linsen- bis
erbsengrosse Lymphknötchen oberhalb des Epikondylus internus, sel¬
tener ist einer, sehr selten sind drei Lymphknoten abzutasten. Das
Tastbarwerden seitlicher Thoraxdrüsen ist bis jetzt bei Säuglingen
nicht beschrieben worden. Vortragender hat bei lungenkranken, sel¬
tener bei luetischen, dann bei Säuglingen, welche mit Reizzuständen
der Brust- und Bauchhaut behaftet sind, wiederholt linsen- bis erbsen¬
grosse Lymphknötchen im vierten oder fünften Interkostalraume
zwischen vorderer und hinterer Axillarlinie gefunden. Da die frag¬
lichen Glandulae pectorales mit den intrathorakalen Drüsen kommuni¬
zieren und eine Art Vorschaltung zwischen den letzteren und den
Achseldrüsen darstellen, ist das Anschwellen derselben bei entzünd¬
lichen Veränderungen innerhalb der Brusthöhle erklärlich, gleich¬
gültig, ob tastbare Achseldrüsen vorhanden sind oder nicht. Bei
Fehlen von entzündlichen Veränderungen im Bereiche der äusseren
Haut ist demnach das Ta*stbarwerden von Pektoraldrüsen mit Sicher¬
heit auf das Vorliegen entzündlicher Veränderungen im Bereiche der
Brusthöhle (Bronchial- und Mediastinaldrüsenschwellung) zu be¬
ziehen.
In der Diskussion bestätigten R e y h e r - Berlin und Feer-
Heidelberg die Befunde.
Herr B r ü n i n g - Rostodk: Geschichte der Kindertrinkflasche
(mit Lichtbildern).
Die Geschichte der Kindertrinkflasche ist aufs engste verknüpft
mit der Geschichte der künstlichen Säuglingsernährung. Letztere
datiert nicht, wie man bisher wohl allgemein annahm, aus dem 15.
Jahrhundert, sondern ist nach kulturgeschichtlichen und archäologi¬
schen Untersuchungen bereits im Altertum bei den Römern, Griechen
und Aegyptern, ia sogar vielleicht schon bei den Assyrern vorbereitet
gewesen. Zur Zeit der Griechen und Römer bediente man sich zur
Nahrungsdarreichung an ganz junge Kinder sogen. „Gutti“, d. h. ver¬
schiedenartiger Gefässe, aus denen der Inhalt tropfenweise ausge¬
gossen werden konnte. Unter Hinweis auf bildliche Darstellungen
mehrerer derartiger Trinkgefässe aus Ton und Glas schildert Brü¬
ning das damals geübte Verfahren der Flaschenfütterung, welches
von den „Assae nutrices“, d. h. Trockenammen, beruflich ausgeübt
wurde und weist auf die zum Teil sehr sinnreichen Vorkehrungen
einzelner Flaschenmodelle hin, wie sie den hygienischen Anforde¬
rungen gerecht zu werden und namentlich die Säuglingsnahrung vor
Verunreinigungen zu schützen suchten. Er berichtet des weiteren
unter Demonstration einschlägiger Bilder über die seit dem 13. Jahr¬
hundert gebräuchlichen „Saughörner“ als Mittel zur künstlichen Säug¬
lingsnährung. über die im 15., 16. und 17. Jahrhundert üblichen
hölzernen „Zutschkännchen“ und Saugflaschen, sowie über die im
17.. 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beliebten Me¬
ta 11 flaschen (Zinn, Silber) und schildert schliesslich die eigent¬
liche gläserne Säuglingstrinkflasche, welche im Jahre 1769 von
R a u 1 i n zum ersten Male in der Literatur erwähnt wird, in ihrer
allmählichen Vervollkommnung von der metallbeschlagenen, vieifach
mit Malereien und Inschriften gezierten unvorteilhaften „Liidal“ aus
dem Anfang des 19. Jahrhundert bis zur modernen Kindersaug¬
flasche. Zum Schlüsse weist der Redner daraufhin, dass auch das
Studium eines an und für sich so unwichtigen Gegenstandes, wie
sic die Kindertrinkflasche doch abgibt, wohl geeignet ist. interes¬
sante Einblicke in die Entwicklung der so bedeutsamen Frage der
Säuglingsernährung zu ermöglichen und betont, dass von einer ver¬
nünftigen Methodik der Flaschenfütterung erst seit der jüngsten Zeit
gesprochen werden kann.
Sitzung am 18. September 190 7.
Vorsitzender : Herr Soltmann- Leipzig.
Herren Trumpo - München und S a 1 g e - Göttingen : Milch-
küchcn und Säuglingsfürsorgestellen im Dienste der Säuglingsfürsorge.
1. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind ärztlich geleitete
Beratungsstellen und Milchküchen, zumal eine Vereinigung beider,
eine unentbehrliche Einrichtung der öffentlichen Säuglingsfürsorge.
— 2. Ihr Hauptwert liegt in ihrem erzieherischen Einfluss. Ihre
Leistungen sind jeweilen abhängig vom Verständnis des ortsJ
ansässigen Publikums im allgemeinen und von der Vorbildung und
Intelligenz der Frequentanten im besonderen. — 3. Ihre geringe
Zahl und ihr kleiner Wirkungskreis lässt nicht erwarten, dass sie
die allgemeine Säuglingssterblichkeit nennenswert herabsetzen
können. — 4. Man wird sich im Kampfe gegen die Säuglingssterb¬
lichkeit künftig nicht mehr damit begnügen dürfen, die üblen Folgen
von Missständen zu mildern, sondern wird sich der mühsamen
Arbeit unterziehen müssen, das Uebel an der Wurzel zu fassen
und vor allem das Volk durch methodischen Schulunterricht
in Hygiene, speziell auch in Kinder- und Säuglingshygiene, allmäh¬
lich zum verständigen Mitarbeiter heranzubilden. — 5. Um den der
Säuglingsfürsorge dienenden Anstalten die richtige Stellung dem
Volke gegenüber zu sichern, müssen sie den Charakter sozialer
Wohlfahrtseinrichtungen und nicht etwa von Wohltäfigkeitsanstalten
tragen. — 6. Alle derartigen Anstalten sind mit Rücksicht auf ihre
vornehmste Bedeutung als Volkserziehungsinstitut unter ärztliche
Leitung zu stellen. — 7. Die Aerztearbeit im Dienste der Säuglings¬
fürsorge ist nicht umsonst zu leisten. — 8. Es ist anzustreben, dass
die Fürsorgestellen zu Bezirkszentralen ausgebaut werden, die alle
Zweige der Säuglingsfürsorge umfassen.
1. Säuglingsmilchküchen als solche sind nicht als ausreichende
Einrichtungen zur wirksamen Bekämpfung der Säuglingsmortalität
und Morbidität anzuerkennen. Sie können eine Bedeutung nur dann
haben, wenn sie mit einer Fürsorge- oder Beratungsstelle ver¬
bunden sind. Bei derartigen Einrichtungen ist der Nachdruck auf
die Beratung zu legen, der Milchküche kommt nur eine sekundäre
Bedeutung zu. Sogenannte ärztliche Wiegestunden, die mit den
Milchküchen verbunden werden, sind kein vollwertiger Ersatz der
Fürsorgestellen, da nur von ihnen eine genügend eindringliche Be¬
lehrung und Stillpropaganda zu erwarten ist. — 2. Den Säuglings¬
fürsorgestellen muss das Recht zustehen, wenigstens ernährungs¬
kranke Kinder zu behandeln und die Ausführung der gegebenen
Vorschriften im Hause des Säuglings kontrollieren zu lassen. —
3. Die Milchküche muss so eingerichtet sein, dass sie jede diätetische
Verordnung ausführen kann und nicht an ein Schema gebunden ist.
Nicht wünschenswert sind Milchküchen, die nach einem bestimmten
Verfahren arbeitend eine „Säuglingsnahrung“ herstellen, von der
behauptet wird, dass sie der Muttermilch nachgebildet sei. Die An¬
forderungen, die von seiten des Kinderarztes an eine für die künst¬
liche Ernährung des Säuglings geeignete Milch gestellt werden
müssen, sind schärfer zu formulieren, vor allem muss das dringend
und unbedingt Notwendige von dem Wünschenswerten getrennt
werden. — 4. Es ist dringend wünschenswert, einheitliche Auf¬
fassungen darüber zu gewinnen, welchen Bevülkerungsschichten die
Säuglingsfürsorge zugute kommen soll, und es ist zu fordern, dass
die Säuglingsfürsorge von Aerzten geleitet wird, die eine genügende
pädiatrische Vorbildung besitzen.
In der Diskussion ergreift Czerny- Breslau für Keller- Mag*
deburg das Wort und teilt mit, dass durch dessen Erfahrungen iiv
den Milchküchen nichts anderes bewiesen ist, als dass man gesunde
Kinder auch mit Kuhmilch ernähren kann. Wenn die Milchküche
lichts gegen Säuglingssterblichkeit leistet, kann man auf den Stand¬
punkt kommen, dass es schade sei um das viele Geld und die viele
Arbeit, und es sei besser, dass diese Erkenntnis zur richtigen Zeit
ausgesprochen, als dass mit den Milchküchen weiter gewirtschaftet
werde.
F a 1 k e n h e i m - Königsberg führt einige Gründe für die Exi¬
stenzberechtigung der Milchküchen an. S i e g e r t - Köln betont, .dass
die .Milchküche in Köln trotz fehlender ärztlicher Leitung doch inso-
ferne gutes leistet, als sie das Niveau des ganzen Milchhandels ge¬
hoben hat und andauernd Tausende von Litern bester Säuglingsmilch
der Stadt zuführt. Allerdings sieht er in einer städtischen Milch¬
abgabe ohne ärztliche Leitung, ohne Mutterberatung und ohne
jede Kontrolle der Säuglinge wegen der Erleichterung der künst¬
lichen Ernährung eine Art städtischen Unfugs. Seifert- Leipzig teilt
mit, dass er aut demselben Standpunkte stehe wie Czerny und sich
gegen die Errichtung einer Milchküche in Leipzig ausgesprochen habe.
Neumann-Berlin meint, dass es eine Notwendigkeit sei, im Interesse
der tiefsten sozialen Schichten für die Beschaffung guter Milch zu
sorgen, dass ein Unterschied zu machen sei zwischen Milchküche und
Versorgung mit guter Milch, die Milchküche für gesunde Kinder ab¬
zuschaffen sei, sich für kranke und ähnliche Kinder jedoch empfehle.
Er bringt schliesslich statistische Angaben aus den Milchküchen
Berlins. Selter- Solingen nimmt die städtischen Milchküchen¬
einrichtungen in Schutz. Feer- Heidelberg und Trumpp - München
brechen eine Lanze für das Bestehen der Milchküche, während sich
Salge im Schlusswort auf seiten Czernys stellt.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2211
Vereinigung süddeutscher Lungenheilanstaltsärzte
in Baden-Baden vorn 7. bis 9. September 1907.
Nachdem sich im Vorjahre der Plan, die Süddeutschen Heil¬
anstaltsärzte zu vereinigen, auf der Versammlung in Heidelberg als
ein glücklicher und erfolgversprechender erwiesen hatte, wurde im
Laufe dieses Jahres die Vereinigung süddeutscher Lungenheilanstalts¬
ärzte (Vorstand Dr. Nahm, Schriftführer Dr. Pischinger) ins Leben
gerufen, um allen Beteiligten die Gelegenheit zu eingehender Erörte¬
rung speziell bedeutungsvoller wissenschaftlicher und wirtschaftlicher
Fragen und zur Pflege engerer kollegialer Beziehungen zu geben.
Die Zahl der Mitglieder aus allen Teilen Deutschlands beträgt be¬
reits 61, ein deutlicher Beweis dafür, dass die Vereinigung, der ja
jede Offensive gegen andere Vereinigungen ferne liegt, sehr wohl
berechtigt ist.
Am 7—9. September fand nun die Jahresversammlung des
Vereins in Baden-Baden statt und wurde von 20 Kollegen^ besucht
(Programm siehe Münch, med. Wocbenschr. No. 34, S. 1710).
In der ersten wissenschaftlichen Sitzung am 8. referierte nach
einigen geschäftlichen Verhandlungen, wobei als Ort der nächst¬
jährigen Tagung München erwählt wurde, zuerst Krebs über „Die
graphische Darstellung des Lungenleidens“; er besprach eingehend
die schon mehrfach (Ferd. May: Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 66,
und Elk an: Münch, med. Wochenschr. 1906, No. 52, S. 257-4) be¬
schriebene K r e b s - D a n e g g e r sehe Schrift, die seit 10 Jahren
in der Heilstätte Planegg und jetzt in mehreren anderen Heil¬
stätten gebraucht wird, ihre Vorzüge der Uebersichtlichkeit, der
Vollständigkeit und der leichten Erlernbarkeit und empfiehlt ihre
allgemeine Annahme. In der Diskussion werden mehrfach die
Schwierigkeiten einer Einigung erwähnt, Weibel und Cursch-
m a n n gebrauchen urtd empfehlen andere graphische Systeme. Auf
Rumpfs Antrag wird zur Prüfung der verschiedenen Systeme eine
Kommission, bestehend aus Krebs, Curschmann, Weibel und
Liebe aufgestellt.
Weiterhin spricht Curschmann über das Thema: „Nach wel¬
chen einheitlichen Gesichtspunkten sollen die Jahresberichte der
Lungenheilanstalten abgefasst werden“. (Autoref.) Eine gleichmässige
Abfassung der Berichte hinsichtlich der Erfolge ist dringend wün¬
schenswert, um ein eindeutiges zusammenfassendes Urteil zu ermög¬
lichen und eine irrtümliche Auslegung einzelner Angaben zu verhüten.
Es ist zweckmässig und nötig, die einzelnen Erkrankungen je nach
der Schwere der Erkrankung in drei Stadien zu sondern und zwar
möglichst genau nach dem Wortlaut der Turbanschen Stadien¬
einteilung. Der Kurerfolg soll nach Stadien getrennt sowohl nach
dem klinischen Befund wie nach dem allgemeinen Befinden und nach
dem Zustand der Erwerbsfähigkeit gesondert betrachtet werden und
zwar jeweils nach 5 bezw. 4 Graden unterschieden werden. Der
Dauererfolg kann im allgemeinen nur nach der Erwerbsfähigkeit be¬
urteilt werden, aber auch hier sollen immer die einzelnen Stadien
getrennt aufgeführt werden.
In der Diskussion empfiehlt Rumpf die Erfolgsgrade nur nach
den Stadien getrennt anzugeben. Pischinger weist daraufhin,
dass die Aufnahme nichttuberkulöser Kranken wohl mit einer ein¬
deutigen Statistik vereinbar ist, wenn dieselben von vorneherein von
den Tuberkulösen bei der Berechnung der Erfolge ganz abgeschieden
werden.
Das dritte, zeitgemässe Referat: „Ueber die Assistentenfrage m
den Heilstätten“ erstattete Schmidt (Autoreferat). Die Aussichten
der Assistenten sind keineswegs so ungünstig, als sie hingestellt
werden; zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Stellung emofiehlt
sich in grösseren Anstalten die Schaffung von zweiten Arzt-Stellen
mit Heiratsmöglichkeit, im übrigen Tragen einer Lebensversicherung;
zur Aushilfe kommen Praktikanten event. Gehilfinnen für das Labo¬
ratorium in Betracht. Weiterhin hält Herr Prof. Dr. Bul ius-Ereiburg —
auf Bitten von Rumpf — als Gast in liebenswürdigster Weise einen
Vortrag über „Genitaltuberkulose der Frauen“ unter Demonstration
zahlreicher hochinteressanter Präparate und Originalabbildungen. Die
Erkrankung ist weit häufiger als man früher annahm, am
häufigsten in den Tuben (in 16 Proz. aller Fälle sind
die Tuben ausschliesslich erkrankt), als Endosalpinx, besonders
charakteristisch in Rosenkranzform. Endometritis tuberculosa kommt
in zwei Formen vor, bei der einen ist das O'berflächenepithel erhalten,
die darunter liegende Schleimhaut in tuberkulöses Granulationsgewebe
umgewandelt, bei der anderen ist das Epithel primär erkrankt und
es finden sich Bilder ähnlich dem Karzinom: auch an der Portio kann
Tuberkulose, den beiden Formen des Karzinoms durchaus ähnlich
auftreten. Die Ovarialtuberkulose. ebenfalls wesentlich häufiger als
früher angenommen, doch beim Menschen noch nicht primär nach¬
gewiesen. ist manchmal nur in der Kortikalis, vom Peritoneum her-
riihrend, zu finden. Ein wesentliches disponierendes Moment für
Genitaltuberkulose ist Infantilismus, andererseits kommt bei Tuber¬
kulose vorzeitige Verkümmerung der Genitalien vor. Es folgten
noch Angaben über Diagnose (Möglichkeit der Verwechslung mit
Karzinom und Typhlitis) und Therapie (Morphium-Skopolamin mit
sehr wenig Chloroform).
Am 9. gibt Nahm zu Schmidts Referat die auf eine Rund¬
frage cingegangenen Anschauungen und Wünsche der Assistenzärzte
wieder, die allerdings zum guten Teile, wenigstens für Volksheilstätten
nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht erfüllbar sind oder
ausserhalb ihres Bereiches liegen. Es folgt weiterhin ein Referat
„Ueber die verschiedenen Aufnahmeformulare für die Heilstätten“
von Pischinger. Die Verwendung eines Formulars für alle Kran¬
ken aller Heilstätten ist von vornherein ziemlich ausgeschlossen. Re¬
ferent wünscht, dass in den Formularen mehr auf die ärztlichen und
humanitären Interessen Rücksicht genommen werde und dass bei
Kranken, die nicht einer Versicherungsanstalt angehören, auch ein
nicht gesetzlich-wirtschaftlicher Kurerfolg ausgiebig in Betracht ge¬
zogen werde. Die Formulare sollen so wenig Fragen als möglich
enthalten, um eben ein provisorisches Urteil über die Aufnahme¬
fähigkeit des Kranken zu ermöglichen. Referent bespricht im ein¬
zelnen die entbehrlichen und notwendigen Fragen und legt einen aus
der Vergleichung sämtlicher deutscher Formulare gewonnenen Ent¬
wurf vor. Schwangere sollen in den Heilstätten oder mindestens in
Tuberkulosekrankenhäusern o. ä. Aufnahme finden können.
In der Diskussion wird mehrfach die Unmöglichkeit eines einheit¬
lichen Verfahrens betont und die Bedeutung der Formulare sehr ver¬
schieden eingeschätzt. Nach Nahm können Schwangere um ihrer
selbst willen nicht in Heilstätten behalten werden.
Zum letzten Punkt der Tagesordnung: „Therapeutische Mit¬
teilungen“ empfiehlt Koch zur Entfieberung die K o c h sehe Bazillen¬
emulsion und warnt vor Maretin, das Herzstörungen, Abnahme des
Hämoglobins und Ikterus hervorrufen kann; dasselbe sah Krebs
in zwei Fällen neben sonst vielfach guter Wirkung. E 1 1 i e s e n
empfiehlt ebenfalls Bazillenemulsion: Curschmann erkennt als
Gegenanzeige gegen Tuberkulin Verwendung nur an: Neurasthenie,
Neigung zu Kopfweh und Magenstörungen und Nephritis. Blutungen
können, wie im übrigen alle Stadien dadurch günstig beeinflusst wer¬
den. Auf demselben Standpunkt stehen: Schütz, L i p p. Wei¬
bel und Eiliesen. Pischinger berichtet auf Anfrage über
weitere Erfahrungen an nunmehr 177 Patienten mit Beraneckschem
Tuberkulin und. bezeichnet sie als durchaus, offenbar auch subjektiv
günstig und die Verwendung gegenüber dem K o c h sehen Tuberkulin
als einfacher. Die Kuhn sehe Lungensaugmaske scheint nach einigen
Versuchen bei vorsichtiger Anwendung die subjektiven Beschwerden,
besonders die Atemnot, günstig zu beeinflussen, dagegen bei Unvor¬
sichtigkeit eine wenigstens vorübergehende Verschlimmerung ver¬
ursachen zu können.
Am Mittag des ersten Tages fand gemeinschaftliches Mittag¬
essen statt. Der zweite Nachmittag wurde durch einen prächtigen
Ausflug nach Schloss Hohenbaden und zu dem in jeder Hinsicht vor¬
trefflichen Sanatorium Ebersteinburg für lungenkranke Damen von
Rumpf ausgefüllt. Am Abend schied man von dem herrlichen
Baden-Baden, das sich bei schönstem Wetter von der denkbar besten
Seite gezeigt hatte, und wohl ein ieder nahm manche Belehrung, eine
schöne Erinnerung und die frohe Zuversicht auf das weitere Gedeihen
der Bestrebungen des jungen Vereins mit nach Hause.
Pischinger.
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Bericht des Schriftführers.)
Gemeinschaftliche Sitzung mit der Vereini¬
gung niederrheinisch-westfälischer Chirur¬
gen am 16. Juni 1907 zu Duisburg.
Vorsitzender: Herr Schnitze- Bonn.
Schriftführer : Herr Laspeyres - Bonn.
Diagnose und Behandlung der akuten Peritonitis diffusa.
Herr Matthes - Köln (erster Referent) bespricht zu¬
nächst den Begriff der allgemeinen Peritonitis
und die an Stelle dieses Ausdrucks vorgeschlagenen Namen,
wie freie Peritonitis etc. Er betont, dass die allgemeine Peri¬
tonitis sich keineswegs immer als fortschreitende fibrinös¬
eitrige Peritonitis entwickle, dass sie vielmehr oft von Anfang
an allgemein sei und sich erst später lokalisiere. Es folgt dann
ein Ueberblick über die neueren theoretischen Arbeiten, die
unsere Vorstellungen zu modifizieren zwingen. Müller und
K r e i d 1 stellten fest, dass lokale Darmlähmungen nicht zu
Ileus führen und ebensowenig zu Stauungsmeteorismus, da
selbst nach Entfernung der Darmmuskularis auf grosse Strek-
ken die Passage ungestört bleibt. Meteorismus lässt sich auch
durch subkutane Injektionen von Zucker (Lüthje) oder von
Typhusstoffwechselprodukten experimentell erzeugen. Eine
Reihe von Arbeiten liegen über die Schädigungen des Darm¬
nervensystems vor. Endlich hat die Frage nach der Zweck¬
mässigkeit der Resorption, ob sie bei Peritonitis gesteigert oder
verlangsamt ist, vielfache Bearbeitungen erfahren (P e i s e r,
Glimm, Freitag, Danielsen, Fromme etc.). Ueber-
all finden sich auf diesem Gebiete noch unbeantwortete Fragen,
ein reiches Feld für klinische und experimentelle Forschung.
2212
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Referent geht dann auf die Klinik der Peritonitis ein, be¬
spricht die Rolle des Frühergusses, die Bedeutung der Muskel¬
spannung und eine Reihe anderer Symptome kritisch. Endlich
wird die innere Therapie, die neueren Arbeiten über Physo¬
stigmin und Atropin, die Diät bei Peritonitis besprochen und
namentlich auch auf die Wichtigkeit der bewährten internen
Massnahmen für die operierten Fälle hingewiesen.
Herr G r a f f - Bonn (zweiter Referent) bespricht die
chirurgische Behandlung der allgemeinen
eitrigen Peritonitis. Er betont, dass nur sehr frühes
Eingreifen vor Eintritt des Kollapses und der Darmlähmung
imstande ist, die noch keineswegs glänzenden Operationsresul¬
tate zu verbessern. In Fällen starker peritonealer Reizung ist
alles vorzubereiten, damit bei eintretender Verschlimmerung
die Operation sofort ausgeführt werden kann. Die Ueber-
führung in ein Krankenhaus ist daher am besten. Die chirur¬
gische Behandlung der eitrigen Peritonitis hat 3 Indikationen
zu genügen, einmal den Eiter aus der Bauchhöhle zu entfernen
und für den sich neubildenden günstige Abflussverhältnisse zu
schaffen, sodann die Ursache der Peritonitis zu beseitigen und
schliesslich die Folgezustände, vor allem die Darmlähmung
durch Entlastung von dem in den geblähten Schlingen stag¬
nierenden Kot. iDie Vorbereitung zur Operation (Magen¬
spülung, Kochsalzinfusion) und die Mittel und Wege, diesen In¬
dikationen zu genügen, werden ausführlich besprochen. In
der Nachbehandlung soll von Magenspülungen und Kochsalz¬
infusionen ausgiebiger Gebrauch gemacht werden. Falls die
Ernährung per os und per rectum versagt, kann ein Versuch
der subkutanen Ernährung nach Friedrich gemacht wer¬
den. Zum Schluss betont G r a f f noch einmal an der Hand
einiger Statistiken, dass die Operationserfolge am ersten und
zweiten Tage recht günstige sind, und mit jedem Tage un¬
günstiger werden, dass also nur die sofortige Operation die
sonst verlorenen Patienten retten kann, und bei drohender
Peritonitis oder unsicherer Diagnose ein Eingriff nicht so
schwerwiegende Folgen hat, wie das Unterlassen desselben,
wenn der günstige Moment zum Eingreifen vorbei ist.
Herr S e 1 1 h e i m - Düsseldorf (dritter Referent) führt
aus, was in dem Thema „akute Peritonitis“ dem
Gynäkologen näher liegt als dem Chirurgen und inneren Arzt.
In der Diagnose Vorsicht bei gynäkologischer Unter¬
suchung, Empfehlung der Rektaluntersuchung, die durch das
Gefühl des Einbrechens in dünne Spinnenweben auf eine frische
Pelveoperitonitis aufmerksam macht.
Die Prognose hängt ab von der Giftigkeit der Entzün¬
dungserreger, vom Zustand des angegriffenen Organismus
(Konstitution, Lebensalter, Kräftezustand) und von der lokalen
Disposition (Neigung zur Barrierenbildung bei vorausgegan¬
genen Attacken, Sinken der Empfindlichkeit des Peritoneum
nach Malträtierung bei Operation, Steigen der Empfindlichkeit
mit Menstruation, Schwangerschaft und Erreichen des Höhe¬
punktes bei Geburt).
Der praktische Nutzen der Blutuntersuchung für
die Prognosenstellung ist gering. Ein Blick, ob die Zunge
feucht oder trocken ist, hat unter Umständen mehr Wert als
zwei Stunden angestrengter Laboratoriumsarbeit. Die bak¬
teriologische Untersuchung von Lochien und Blut sind wert¬
voll.
In den Bestrebungen, den Organismus gegen Infektion bei
bevorstehender Geburt und Operation zu feien, ist man über
die Proklamierung guter Gedanken nicht weit hinaus-
gekommen.
Bei der B e h a n d 1 u n g ist die Wehrkraft des Organismus
zu erhalten und zu stärken. Medikamente, um den Darm still
zu stellen oder den stillstehenden Darm anzuregen, versprechen
keinen Nutzen.
In allen Fällen, in denen die Peritonitis im Vordergrund
steht, muss, ehe das Bild hoffnungslos wird, die Operation in
Erwägung gezogen werden. Besprechungen der Besonder¬
heiten in der Geburtshilfe und Gynäkologie. Die supervaginale
Amputation mit extraperitonealer Stielversorgung ist, wenn
man bei septischem Uterus operieren will, der vaginalen Ex¬
stirpation vorzuziehen.
In der Behandlung der puerperalen Peritonitis kommt man
mit grossen Eingriffen nicht weit. Eine grosse Operation säu¬
bert vielleicht die Bauchhöhle gründlich, aber der Patient geht
zugrunde, weil er den grossen Eingriff nicht verträgt. Ver¬
derblich sind die protrahierte allgemeine
Narkose, die Abkühlung, die lange Dauer der
Operation, das viele Manipulieren in der
Bauchhöhle. Wenn man etwas erreichen will, muss man
diese Gefahren auf das mindeste beschränken.
Glaubt man der allgemeinen Narkose nicht entraten zu
können, dann hilft man sich für den Augenblick, in dem man
der Kranken Schmerzen macht, mit Lachgas oder Chlor-
ä t h y 1. Sonst sind lokale Infiltration und R ii c k e n - *
marksanästhesie vorzuziehen.
Wo man keinen heizbaren Operationstisch hat,
operiert man im Bett.
Man mache einen Schnitt in der Unterbauch¬
gegend. Je nach den Verhältnissen legt man Gegen¬
öffn u n g e n in der Lendengegend und im hinteren Scheiden¬
gewölbe an und zieht Gummischläuche durch.
Wenn man überhaupt spült, soll es mit äusserster Vor¬
sicht geschehen. Ausgiebige Drainage leitet einen Säftestrom
nach aussen.
Alles kann bei guter Vorbereitung sehr schnell ge¬
schehen.
Wo die Darmlähmung im Vordergrund steht, helfen
vielleicht Enterostom ien. In den schweren puerperalen
Sepsisfällen scheint aber auch dieses Mittel regelmässig zu
versagen.
Die Hauptsache ist, sich zu beschränken; will man
alles auf einmal gut machen, dann bringt man die Patientin
mit seiner Sorgfalt um. Uebersteht die Kranke den Eingriff,
hält sie sich über dem Wasser, dann kann man später mehr
machen.
Als hoffnungslos auszuschliessen sind die Bauchfellentzün¬
dungen, bei denen man den Prozess als Teilerscheinung einer
schweren Sepsis sich rapid entwickeln und rapid fortschreiten
sieht.
Da wo aber die Peritonitis als solche in den Vordergrund
des Krankheitsbildes kommt und sich allmählich entwickelt,
wo man eine gewisse Neigung zur Barrierenbil¬
dung merkt, kann man von der chirurgischen Lokal behand-
Iung etwas erhoffen. Wir retten dann den Organismus vor
der Vergiftung von der Peritonitis aus.
Die Wahl des Zeitpunktes zur Operation
ist sehr schwer. Man wird nicht gleich im Beginn jeder Peri¬
tonitis zum Messer greifen. So mancher Fall kommt zum Still¬
stand und heilt von selbst. Man muss aber doch zu einem
Zeitpunkt operieren, in dem die Hoffnung auf eine Spontan¬
heilung noch nicht ganz aufgegeben werden darf.
In diesem Dilemma macht uns die Einführung des schonen¬
den Eingriffes den Entschluss zur Operation leichter. Das
Risiko ist kleiner geworden, bei unglücklichem Ausgang darf
man sich eher mit der Reflexion trösten, wenigstens zu scha¬
den vermieden zu haben, wo doch nicht zu helfen war.
Je sicherer die Diagnose, um so leichter die Entscheidung.
Wer von der Lochienuntersuchung weiss, dass er mit Strepto¬
kokken zu kämpfen hat, wird dem gefährlichen Feind gegen¬
über wagemutiger. Wer den Eiter bei der Probepunktion
oder Probeinzision sieht, wird ohne Bedenken weiter
schneiden, um ein Sicherheitsventil an der Bauchhöhle anzu¬
legen.
Bei der frühzeitigen Entscheidung für die Operation dürfte
im Einzelfall der Beweis, dass man durch die Operation
ein Menschenleben gerettet hat, schwer zu führen sein.
Diskussion: Herr D r e e s m a n n - Köln. Bei der Behand¬
lung der Peritonitis wird ein Punkt vielfach nicht genügend berück¬
sichtigt, der mir von grosser Bedeutung zu sein scheint, nämlich die
Lagerung der Kranken. Wenn wir nach Perforation eines Ulcus
ventr. oder einer Appendix die Bauchhöhle eröffnen, so finden wir
schon wenige Stunden nach der stattgehabten Perforation ein seröses,
oder trüb-seröses Sekret in der freien Bauchhöhle. In den abhängigen
Partien, besonders im kleinen Becken, hat dies Sekret frühzeitig einen
ausgesprochen eitrigen Charakter. .Der Eiter senkt sich eben der
Schwere entsprechend. Bilden sich ein oder mehrere Abszesse, so
finden wir diese dementsprechend meist in den abhängigen Partien.
Daraus allein schon müssen wir die Lehre ziehen, dem Kranken eine
solche Lagerung zu geben, dass alles Sekret, sicher aber das eiterige
womöglich nur nach einem Punkte sich hinsenkt, und zwar natürlich
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2213
nach -dem. von welchem die Entzündung au-sgeht. Es muss zugegeben
werden, dass dies nicht immer möglich ist, indessen aber gerade bei
der Erkrankung, die wohl am häufigsten zur Peritonitis führt, näm¬
lich bei -der Appendizitis perf. oder gang. Lagern wir -im Beginn der
Erkrankung den Patienten scharf auf -die rechte Seite, so wird sich
das Sekret in der rechten Eossa iliaca und Lumbalgegend ansammeln;
die linke Hälfte der Peritonealhöhle wird frei von Sekret, -die Ent¬
zündung kann sich hier leichter zurückbilden; wir führen die Peri¬
tonitis -diffusa in eine circumscripta über, was ja immer unser Be¬
streben sein muss. Aus dieser Seitenlage erwachsen noch weitere
Vorteile. Die Darmschlingen fallen nach rechts herüber, liegen dann
natürlich fester auf -der Appendix oder auf dem sich dort bildenden
Abszess; -die Verklebungen werden dann fester -sein und können bei
leichten Bewegungen des Patienten, solange er die Seitenlage einhält,
nicht gelöst werden. Der Abszess selbst wird bei -der Seitenlage
sich nach -der Fossa iliaca d. oder der Fossa lumbalis hinsenken, aber
nicht seinen Weg ins kleine Becken oder nach rechts herüber nehmen.
Schliesslich mag noch hervorgehoben werden, dass bei dieser Seiten¬
lage die Entleerung von Urin und Stuhl ohne den Patienten zu be¬
wegen, sehr gut sich ermöglichen lässt.
Die Lagerung wird so gemacht, -dass das linke etwas gebeugte
Knie vor dem rechten liegt; zwischen beide Kniee kommt zuweilen ein
kleines weiches Kissen. Im Rücken erhält der Patient gleichfalls ein
etwas festeres Kissen. Der Kranke liegt dann mehr auf dem Eis¬
beutel, falls ein solcher angewandt wird, als der Eisbeutel auf ihm.
Nur in seltenen Fällen wird über schmerzhaften Druck in der
Trochantergegend geklagt, dem man aber durch ein Polster leicht ab¬
helfen kann. Seit fast lü Jahren haben wir stets auf diese Lagerung
besonderes Gewicht gelegt und nur gutes von ihr gesehen.
Leider -ist es nicht möglich, bei Peritonitiden, die aus anderen
Ursachen entstanden sind, immer eine analoge Lagerung anzuordnen.
Nur bei Peritonitis, -die im kleinen Becken ihren Ursprung nimmt,
werden wir durch Hochlagerung des Oberkörpers ähnlich zu wirken
suchen. Die günstigere Prognose bezüglich der Entstehung einer all¬
gemeinen Peritonitis bei entzündlichen Affektionen im kleinen Becken
dürfte wohl auf die oben hervorgehobenen Momente zurückzuführen
sein. Im übrigen wird es unser Bestreben sein, möglichst frühzeitig
das Sekret durch Drainage aus den abhängigen Partien (Douglas!)
nach aussen abzuleiten. Dies gelingt am besten nach unseren Er¬
fahrungen durch die Anwendung -der Tampondrainage mittelst Glas¬
röhren, wie ich sie im vergangenen Jahre auf dem Chirurgenkongress
empfohlen habe. Ausserdem soll möglichst frühzeitig an einer oder
an mehreren Stellen ein Anus praeternat. angelegt und die sinkende
Herzkraft durch reichliche Dosen- Kampher (% stündl. 1 — 2,0 Ol.
camph. tgl. bis 5,0 Camph.) zu heben gesucht werden.
Herr M o r i a n - Essen hat innerhalb von 2 Jahren 50 Fälle von
diffuser Peritonitis behandelt mit einer Gesamtmortalität von 32 Proz.
Was die Diagnose angeht, so waren in der Hälfte der Fälle Puls¬
beschleunigung und Fieber vorhanden, in 14 der Fälle fehlte das Fieber,
in -dem weiteren <4 fehlten beide Symptome. Bauchdeckenspannung
war bei Durchbruch von Magendarmgeschwüren, sowie bei Darm-
zerreissung immer vorhanden, ebenso meist bei der vorn Wurmfort¬
satz ausgehenden Peritonitis. Sie fehlte bei der letzteren Form nur
dann, wenn die Entzündung die vordere Bauchwand unverändert ge¬
lassen hatte. Die Spannung fehlte bei Pankreasnekrose, Choledochus-
durchbruch und bei der Gonokokken- und Pneumokokkenperitonitis,
ferner bei der eigenartigen Form von B-auchfelltuberkulos-e mit akut
peritonitischem und ileusartigem Charakter. M. hat 4 Fälle dieser
Erkrankung beobachtet. Das hervorstechendste Symptom war die
Darmlähmung. L e j a r s bezeichete die Krankheit als akute Bauch¬
felltuberkulose. M. schlägt vor, -da der anatomische Befund derselbe
ist, wie bei der trockenen und serösen Form -der Bauchfelltuber¬
kulose, und nur -das Symptom der Darmlähmung in den Vordergrund
tritt, die Erkrankung als Peritonitis tuberculosa enteroparalytica zu
bezeichnen.
Unter 27 Fällen von Wurmfortsatzentzündung wurde 9 mal das
Exsudat steril befunden, 10 mal fand sich Bacterium coli allein, 2 mal
mit Staphylokokken, 1 mal mit Streptokokken, 2 mal mit beiden zu¬
sammen, 1 mal mit Diplokokken, 1 mal -mit Diplo- und Streptokokken
zusammen vergesellschaftet.
Die Therapie bestand in Eröffnung mit Drainage oder Tamponade
der Bauchhöhle, Spülungen wurden nur bei Perforation von Magen-
und Darmgeschwüren vorgenomm-en, wenn viel Inhalt in die Bauch¬
höhle gedrungen war. 7 mal entstand ein Douglasabszess, der vom
Mastdarm aus eröffnet werden musste, 7 mal wurde -der gelähmte
Darm durch Einnähen eines Troikarts entleert. Von diesen Fällen
endeten 3 mit dem Tode. 3 mal schloss sich die Fistel spontan, 1 mal
musste die Naht ausgeführt werden. Stets wurden zuerst Magen- und
Mastdarmspülungen versucht. Daneben wurde reichlich Gebrauch
von subkutanen Kochsalzinfusionen gemacht und Eserin subkutan
verabfolgt.
Herr Füth-Köln: Herr Kollege Matth es sprach davon, dass
ein wichtiges differentialdiagnostisches Mittel bei der Erkennung
einer Peritonitis der Vergleich der axillaren Temperatur mit der
rektalen sei. Ich kann dies aus -eigener Erfahrung bestätigen und
denke im Augenblick an eine Beobachtung, die ich noch an der Leip¬
ziger Frauenklinik machen konnte. Es wurde damals eine Patientin
aufgenommen mit der Diagnose „geplatzte Extrauterinschwanger¬
schaft“, und der Zustand war -schon -ein ganz desolater, worauf ich
hier nicht im einzelnen e-ingehen will. Sie wissen, dass man eine Pat.
mit einer geplatzten Extrauterinschwangerschaft, selbst wenn kein
Puls mehr vorhanden ist, durch sofortige Laparotomie in vielen Fällen
noch retten kann, und auf den ersten Blick lag fraglos die Annahme
-eines derartigen Zustandes sehr nahe. Eine genauere Untersuchung
brachte mich -aber von dieser Annahme ab und gerade die Tatsache,
dass die rektale Temperatur um etwa 2° höher als die axillare war,
machte mich -sicher in der Annahme einer intrauterinen Gravidität,
kompliziert mit Perfor-ationsperitonitis, vom Wurmfortsatz aus¬
gehend *).
Herr K r a b b e 1 - Aachen: Ich möchte nur kurz auf ein dia¬
gnostisches Hilfsmittel aufmerksam machen, das bis jetzt nicht er¬
wähnt ist, -das ist die Punktion des Douglas; beim Manne also vom
Rektum aus, bei der Frau von der Vagina. Sie gibt in zweifelhaften
Fällen Aufschluss darüber, ob e-s sich um eine eitrige Peritonitis han¬
delt. — Es li-st so-dann hervorgehoben worden, dass die Art der In¬
fektion von der grössten Wichtigkeit für -die Prognose der Peritonitis
ist; die Gon-okokkenperitonitis gibt eine gute, -die Streptokokkenperi¬
tonitis eine schlechte Prognose. En Punkt ist noch zu berücksichtigen.
Nicht in allen Fällen, die durch Operation zur Heilung gebracht worden
sind, handelt es sich wirklich um eine allgemeine eitrige Peri¬
tonitis in dem Sinn, dass das Peritoneum und der Darm in der ganzen
Ausdehnung erkrankt wäre. Ich habe in verschiedenen Fällen, die als
allgemeine Peritonitis imponierten, als Perforationsperitonitis nach
Appendicitis gangraenosa, wo auch in der linken Seite Schmerz¬
haftigkeit, Auftreibung, Tetanie -der Bauchdecken bestand, zuerst links
die Bauchhöhle geöffnet, aber dort keinen Eiter, nur ein seröses Ex¬
sudat gefunden, gerötete Darmschlingen, kein Fibrin oder Eiterauf-
lagerungen. — Wenn es sich aber um eine partielle, auch ausgedehnte
Entzündung handelt, -sin-d die Aussichten günstiger als bei ganz all¬
gemeiner Peritonitis.
Ich stand früher auf dem Standpunkt, jede allgemeine Per-
foratio-nsperitonitis zu operieren, das tue ich nicht mehr; sind die
Patienten so schwach, der Puls so elend, dass ich dem Kranken einen
Aetherrausch nicht mehr zumuten kann, so nehme ich von der Ope¬
ration Abstand. In Schleich scher Anästhesie operieren, am ent¬
zündeten Peritoneum und Dar-m manipulieren, ist eine entsetzliche
Qual für den Kranken un-d — für -den Operateur. In solchen Fällen
mache ich -die von Katzen -stein empfohlene Kochsalzinfusion in
den Darm, in -der Weise, wie er es angegeben hat; auch subkutane
Kochsalzinfusionen so lange, bis die Kranken sich mit Entschieden¬
heit dagegen sträuben, selbstverständlich Magenausspülungen, Ana-
leptika etc. Bezüglich der Technik der Operation bei allgemeiner
Peritonitis kommt es meines Erachtens nach hauptsächlich darauf an,
den Eiter nach Möglichkeit zu entleeren und ihm dauernd Abfluss zu
verschaffen. Der Douglas muss drainiert werden, ebenso -die Partien
hinter -der Leber und Milz, die Lumbalgegend beiderseits. Dann lasse
ich die Bauchhöhle offen, es wird ein zusammengelegtes Jodoform¬
gazestück unter die Wundränder geschoben un-d -diese mä-ssig zu¬
sammengezogen, keineswegs vollständig geschlossen. Es tritt so
rasch eine Verklebung ein, dass ein Austreten der Darmschlingen,
wenn ein so geeigneter Verband angelegt ist, nicht zu befürchten ist.
Die Enterostomie mache ich nur dann, wenn die Darmschlingen ge¬
bläht sin-d und sich nicht leicht in -die Bauchhöhle zurückbringen
lassen,
Herr Wei-ss- Düsseldorf weist darauf hin, dass bei Peritonitis
sowohl bei zirkumskripter wie bei diffuser, manchmal schon sehr früh¬
zeitig ein leichtes Oe-dem der Bauchdecken auftrete, welches Sym¬
ptom dann ausschlaggebend für die Diagnose werden könne. Zur Be¬
kämpfung der Darmlähmung ist W. in letzter Zeit nach dem Vor¬
schläge von Len n ander zur Anlage multipler Darmfisteln über¬
gegangen. Er glaubt, dass dem Verfahren ein grosser Wert bei¬
zumessen ist. (Schluss folgt.)
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Oktober 190 7.
Vorsitzender: Herr Deneke.
Demonstrationen: t,
Herr Bachmann stellt 5 gleichzeitig in poliklinischer Be¬
handlung stehende Kinder mit progressiver Paralyse vor. Bis zum
Beginn des jetzt mehr oder weniger weit fortgeschrittenen Krank¬
heitsbildes zeigten die Kinder normale geistige und -körperliche Ent¬
wicklung und konnten dem Schulunterricht folgen. Anamnestisch
spielt die Syphilis eine Rolle, teils ererbt, teils akquiriert. Bemerkens¬
wert ist, dass die Mütter von zweien an Tabes leiden. Typische
paralytische Anfälle wurden beobachtet. Im psychischen Verhalten
zeigen die Kinder verschiedene Typen von läppischer Euphorie über
die psychische In-dolenz hinweg bis zur totalen Verblödung. Analog -der
Paralyse der Erwachsenen ist die grosse Vergesslichkeit sowie ein
Schwanken der Stirmmungs- und Affektlag-e zu erwähnen. Dagegen
fehlen Wahn- oder expansive Ideen. Von körperlichen Symptomen
*) Vergl. Schüle: Ueber die Differenz zwischen der Tem¬
peratur -des Rektum und der Achselhöhle, speziell bei der eitrigen
Appendizitis. Münch, me-d. Wochenschr. 1900, S. 603.
2214
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
finden sich Störungen des Ganges, der Sprache, der Schrift, der
Pupillenreaktion, der Sehnenreflexe, der Blase und des Mastdarms.
Spinalpunktion ergab Lymphozytose und positive Globulinreaktion.
Von praktischer Bedeutung erscheint die bei einem der Kinder seit
314 Monaten beobachtete Remission. Da solche Remissionen bei Kin¬
dern sehr lange dauern können, entspinnt sich die Frage, ob nicht
eine Reihe von Kindern, die mit Erscheinungen an Pupillen oder Re¬
flexen unter der Diagnose „Imbezillität“ oder „Idiotie“ in entsprechen¬
den Anstalten verpflegt werden, sich in einem Remissionsstadium der
progressiven Paralyse befinden. B. hält es angesichts dieser Fälle
für wichtig, Schulkinder, deren geistige Regsamkeit nach Angabe der
Lehrer plötzlich stark nachlässt, auf Demenz zu untersuchen und
eventuell ganz aus dem Unterricht zu entfernen.
Herr Grube demonstriert einen neuen von ihm angegebenen
kombinierten Instrumentier- und Instrumentensterilisiertisch (zu be¬
ziehen von Wind ler & Schattschneider, Hamburg).
Herr D e y c k e gibt an der Hand von zahlreichen Demon¬
strationen ein Uebersjchtsbild über die Entwicklung und die
Grundlagen seiner spezifischen Lepratherapie. Er zeigt Kul¬
turen der mehrfach aus Lepraknoten rein gezüchteten Strepto-
thrix leproides, aus der er durch ein eigenes Verfahren eine
wohl charakterisierte chemische Substanz, das Nastin, ge¬
wonnen hat. Das Nastin ist chemisch ein Neutralfett, d. h. der
Glyzerinester einer hochmolekularen Fettsäure, es kristallisiert
in schönen biischel- oder sternförmigen Kristallen (Demon¬
stration des Nastins in Substanz und der mikroskopischen Kri¬
stalle), ist völlig verseifbar und gibt die Glyzerinreaktion der
Neutralfette. Biologisch ist das Nastin als der bakteriolytische
Immunkörper bei der Lepra zu betrachten. Denn schon
die Behandlung von Leprakranken mit dem reinen Nastin hat
gezeigt, dass es eine ausgedehnte, durch Entfettung eingeleitete
Bakteriolyse der Leprabazillen hervorruft. Trotz dieser
Wirksamkeit hat die reine Nastinbehandlung ihre Schatten¬
seiten und Gefahren für die Patienten. Deshalb hat D. versucht,
die Methode weiter auszubauen und zu vervollkommnen. Das
ist ihm dadurch gelungen, dass er Substanzen fand, die im
stände sind, säurebeständige Bazillen, z. B. Tuberkelbazillen,
in ganz kurzer Zeit vollständig zu entfetten, was mit den ge¬
wöhnlichen Fettextraktionsmitteln kaum oder nur äusserst
schwer gelingt. Unter diesen Substanzen, die das gemeinsame
haben, dass sie die wirksame Benzoylgruppe (CoHsCO) abzu¬
spalten vermögen, hat sich am besten das Benzoylchlorid
(CüFLCOCl) bewährt, das in vitro Tuberkelbazillen momentan
entfettet, in vivo das Nastin in hohem Grade aktiviert, so zwar,
dass D. nicht mehr ansteht, seine Lepratherapie in der heutigen
Form, die in einer Kombination des Benzoylchlorids mit dem
Nastin in öliger Lösung besteht, aufs angelegentlichste zur Be¬
kämpfung des Aussatzes zu empfehlen. Projektionsbilder ver¬
anschaulichen die bakteriolytischen Prozesse bei der Lepra in
ihren verschiedenen Stadien, sowie die bisher erzielten Heil¬
resultate (Knochen- und Hautlepra vor und nach der Behand¬
lung).
Die der Nastintherapie der Lepra zu gründe liegenden
Prinzipien gewinnen dadurch ein besonders aktuelles Interesse,
dass auch bei der Tuberkulose das Nastin die Rolle des bak¬
teriolytischen Immunkörpers zu spielen scheint, wie das jetzt
auch v. Behring in seinem auf der internationalen Tuber¬
kulosekonferenz in Wien gehaltenen Vortrag angedeutet hat.
D. ist es schon vor Jahresfrist gelungen, aus Tuberkelbazillen
ein mit dem Nastin sowohl chemisch (Kristallbildung, Reak¬
tionen etc.) als auch biologisch (therapeutische Wirksamkeit bei
Lepra) identisches Neutralfett, das Tuberkulonastin zu ge¬
winnen. Ferner hat sich gezeigt, dass man mit dem gewöhn¬
lichen Nastin Meerschweinchen bis zu einem gewissen Grade,
der abhängig von der Virulenz der Tuberkelbazillenstämme ist,
zu immunisieren vermag. Bei tuberkulösen Menschen kann
man durch Nastin bakteriolytische Prozesse hervorrufen (De¬
monstration eines tuberkulösen Sputums vor und nach einer
Nastininjektion). Trotzdem ist die Anwendung des reinen Na¬
stins bei der Tuberkulose schädlich und zu verwerfen, auch
die bei der Lepra angewandten Konzentrationen des Benzoyl-
nastins sind zu beanstanden. Dagegen hat D. neuerdings Lö¬
sungen von Benzoylnastin in anderem Mischungsverhältnis
hergestellt, die absolut unschädlich sind und bei einer grösseren
Reihe von zum Teil sehr schweren Lupusfällen, die D. in
Gemeinschaft mit Dr. Hahn behandelt, recht befriedigende
und sehr ermutigende Resultate zeitigten. Doch darf nicht ver¬
gessen werden, dass die Benzoylnastintherapie der Tuberkulose
insofern eine einseitige Behandlungsmethode ist, als sie die
pathologisch so wichtigen Toxine des Tuberkelbazillus nicht
berücksichtigt. Werner.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Mitgliederversammlung vom 19. Oktober 1907.
Der Vorsitzende Rehm gibt die Liste der von den einzelnen
hiesigen ärztlichen Standesvereinigungen zu .dem Einigungsausschuss
delegierten Mitgileder bekannt. Es sind dies die Herren Rehm und
Kastl (Bezirksverein), Berge at und Lukas (für den Standes-,
verein), F. Bauer und Schwertfeiner (für die Abteilung für
freie Arztwahl), R. Schmidt und Grünewald (Bahnärzte),
V o c k e und B e s n a r d (Bezirksverein München-Land), Stern-
f e 1 d und H a r 1 1 e (ärztl. Klub), Krecke und Scholl (Leipziger
Verband).
Ein Kollege hat sich über die Ordinationen in den Milchküchen be¬
schwert. Es wird auf einen diesbezüglichen Beschluss vom vorigen
Jahre, der diese verbietet, hingewiesen. Ein anderer Kollege hat an
die hiesigen Hebammen eine Art Geschäftsempfehlung geschickt, ein
Punkt, der noch zur Erörterung kommen soll.
Ueber den Entwurf einer wirtschaftlichen Organisation bayeri¬
scher Aerzte, der bekanntlich von anderer Seite an die Aerztekammern
gelangen soll, referiert Sternfeld (siehe Aerztl. Vereinsbl. No. 616,
S. 584/5). Ref. geht auf die missbilligende Aufnahme ein, die der besagte
Entwurf schon in Münster gefunden habe *), und verurteilt ihn aufs
schärfste, da er zu Kompetenzkonflikten mit dem Leipziger Verbände
führen müsse. Seit 4 Jahren hätten sich die Aerztekammern nicht
um die wirtschaftliche Organisation gekümmert. Sie seien auch, da
sie keinen disziplinären Einfluss haben, gar nicht befähigt, eine solche
durchzuführen. Dies müsse vielmehr durch den Leipziger Verband
geschehen. Die Vorstandschaft beantrage, dass der Entwurf bei der
Beratung in der Kammer abgelehnt werde, welcher Antrag einstimmig
aiigengmmen wird.
Es werden sodann ziemlich debattelos die von dem ständigen
Ausschuss der Aerztekammern beschlossenen Anträge an die Kam¬
mern angenommen. Bei dem Anträge betr. Erhöhung der Leichen¬
schaugebühren entwickelt sich eine interessante Diskussion wegen des
von der Vorstandschaft vorgeschlagenen Zusatzes: „Die Leichenschau
möge allen im Orte ansässigen Aerzten zugängig gemacht werden.“
Insbesondere macht Herr Bezirksarzt Henkel darauf aufmerksam,
dass die Annahme dieses Satzes eine vollständige Umwälzung unserer
bestehenden, vorzüglichen Leichenschauordnung mit sich bringen
würde. Norddeutschland beneide Bayern um seine gute Leichenschau¬
ordnung. Auf den Einwand, dass selbst noch Bader als Leichen¬
schauer fungierten, gibt Henkel an, dass in München ein einziger
seit mehr denn 20 oder 30 Jahren als solcher fungierender Bader noch
vorhanden sei, den man nicht brotlos machen wolle. Auf dem Lande
sträubten sich manche Aerzte, die Leichenschaufunktion zu über¬
nehmen, so dass noch mehrfach Bader dazu verwendet seien. Nach¬
dem Hecht gewarnt hatte, Anträge einzubringen, deren Ablehnung
von vornherein sicher sei und Dornberger ersucht hatte, dem¬
nächst einmal einen gründlich ausgearbeiteten und vorbereiteten Vor¬
trag über dies Thema im Berzirks verein auf die Tagesordnung zu
setzen, zog die Vorstandschaft unter Annahme dieses Vorschlages
ihren Antrag zurück.
Scholl begründet hierauf seinen Antrag: „Angesichts der in der
nächsten Sitzungsperiode des Reichstages erfolgenden Neuregelung
der zur Einschränkung des Kurpfuschertums dienenden gesetzlichen
Bestimmungen möge der Bezirksverein der Aufforderung der Deut¬
schen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums nachkommen
und sobald als möglich in dieser Sache Material aus München sammeln
und der genannten Gesellschaft zustellen. Mit der Sammlung solle
der Pressausschuss betraut werden“. Der Antrag hatte eine im Be¬
zirksverein schon oft erfolgte Diskussion über die Kurpfuscherei und
deren Bekämpfungsmöglichkeit zur Folge. Bezirksarzt Henkel be¬
dauert, wie schon früher, dass die Gesetze zurzeit keine Handhabe
bieten, nennenswertes zu tun. Tesdorpf macht Mitteilungen über
die gegenwärtigen diesbezüglichen Arbeiten des Pressausschusses
unter Vorlage zweier sehr interessanter Bücher: Rechtsvergleichende,
kriminalpolitische Studien von Dr. juris Henry G r a a c k, Verlag von
G. Eischer, Jena, 103 S. Ferner derselbe Autor: Sammlung von
deutschen und ausländischen Gesetzen und Verordnungen, die Be¬
kämpfung der Kurpfuscherei und die Ausübung der Heilkunde betr.,
152 Seiten. Der Antrag Scholl wird angenommen.
Zum 1. Vorsitzenden der Vertragskommission wird einstimmig
Perutz und zum 2. Vorsitzenden Katzenstein gewählt. Der
Vorsitzende teilt noch mit, dass demnächst die Kommission zur Er¬
höhung des Honorars in der Privatpraxis zusammentreten werde, und
schliesst 1014 Uhr die von 54 Mitgliedern besuchte Versammlung.
Nassauer.
*) Seil, beim Referenten und dessen näheren Freunden. Bei der
Mehrheit der übrigen in Münster anwesenden bayerischen Kollegen
fand der Entwurf eine durchaus günstige Aufnahme. Anm. d. Red.
29. Oktober 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Verschiedenes.
Ausstellung über den Alkoholismus in München.
Eine anregende und lehrreiche Ausstellung ist gegenwärtig *) in
den Ausstellungsräumen des Museums für Arbeiterwohlfahrtsein¬
richtungen in München zu sehen. Veranstaltet ist sie vom
Münchener Zentral verbände zur Bekämpfung des
Alkoholismus. Ihm hat sich der Verein für Volkshygiene an¬
geschlossen. Den Grundstock bildet die Sammlung über den Alkohol
£us der ständigen Ausstellung in Charlottenburg. Es ist aber noch
reichliches Material aus München hinzugekommen, so vor allem aus
den Bestrebungen der Eisenbahnverwaltung zur Bekämpfung des
Alkoholgenusses bei den Staatsbahnbediensteten, die ja in dieser
Richtung ausserordentlich grosse Verdienste durch ihr zielbewusstes
und praktisches Vorgehen sich erworben hat. Die Räume reichen
knapp aus, um das Material zu fassen. Für uns Aerzte ist natürlich
viel Bekanntes darunter, aber doch auch teils Neues, teils Altes in
guter übersichtlicher Form. Abends sind durch den Verein für Volks¬
hygiene und die Kommission für Arbeiterhygiene und -Statistik des
ärztlichen Bezirksvereins Führungsvorträge vorgesehen. Ausserdem
sind stets Herren der verschiedenen Vereine gegen den Alkoholmiss¬
brauch anwesend, namentlich macht sich Amtsrichter a. D. Dr. Bauer
durch seine Erklärungen sehr verdient. Für das Publikum, ja ich
möchte fast sagen auch für uns Aerzte sind diese höchst erwünscht.
Denn das ist an der Ausstellung noch entschieden verbesserungs¬
bedürftig — die Tabellen und die sonstig ausgestellten Dinge sprechen
nicht ohne weiteres für sich. Das teilweise spröde Material wirk¬
lich populär darzustellen, ist durchaus nicht leicht, aber sehr wichtig.
Die Versuche etwas drastischer Art, wie sie durch einige bildliche
Darstellungen von älteren Zeiten des Kampfes gegen den Alkohol
herrühren, sind in dieser Richtung von grossem Interesse, wenn sie
auch inhaltlich Angriffspunkte für die Kritik, Uebertreibungen und
Sentimentalitäten bringen. Eine sehr glückliche Idee war es auch,
Sittenbilder aus satirischen und Witzblättern zu bringen, wie dies
. durch K r ä p e 1 i n, so viel mir bekannt ist, hier geschehen ist.
Propagandaschriften und Literatur empfangen uns am Eingänge.
Auch eine kurze Erklärung zu dem Besitzstand der ständigen Aus¬
stellung. Von Präparaten liegen treffliche Wachsmoulagen von nor¬
malen und chronisch-katarrhalisch veränderten Mägen, von normaler
Leber, Fettleber und Schrumpfleber, von normaler und schrumpfender
Niere, von normalen Herzen und dem gegenüber einem Fettherz und
einem echten Münchener Bierherz — Gewichte 300 g, 440 g, bezw.
700 g — ferner von Verkalkung der Aorta etc. auf. Eine sehr an¬
schauliche Zusammenstellung des Alkoholgehaltes verschiedener Ge¬
tränke ist .in einem Kasten untergebracht. In den gewöhnlich zum
Genuss verwendeten Gefässen — einem Römer für Rheinwein, einem
eleganten, langfiissigen Likörgläschen für Damenlikör, einem Bier¬
glas für Bier, einem flachen Reisefläschchen für Kognak — ist durch
gefärbtes Wasser und Oel jeweils der Alkoholgehalt der angegossenen
Flüssigkeit abgegrenzt. Eine Tabelle zeigt überdies in Prozentzahlen
den Alkoholgehalt der verschiedenen Getränke.
Ganz hervorragend sind die ausgestellten, auch im Handel jetzt
zu beziehenden (in Lehmanns Verlag erschienen, 10 Tafeln
10 Mk.) Wandtafeln zur Alkoholfrage, herausgegeben von Grub er
und K r ä p e 1 i n. Erstaunlich ist da z. B„ wie mit dem Ein¬
kommen die prozentuale Ausgabe für den Alkohol enorm steigt —
wie aus einer anderweitigen Tafel hervorgeht, nicht nur bei den Ar¬
beitern, sondern auch bei den anderen Volksklassen einschliesslich
der höheren Schichten. Die Verelendungstheorie trifft daher sicher
nur bei degenerierten Individuen zu. Sonst ist die geringe Einnahme
eher ein Schutz gegen den Alkoholgenuss. Mit der Wohlhabenheit
steigert er sich. Während bei besser situierten Ständen bei der pro¬
zentualen Ausgabe die Menge des genossenen Alkohols durch diese
Zahlen nicht klar :zum Ausdruck kommen mag, darf man dies hier
annehmen, da bei den berücksichtigten Arbeitern fast ausschliesslich
die gleiche Alkoholart (Bier) in Betracht kommt. Gegenüber den
Steuern sind die Ausgaben für Alkohol sehr gross; bei den Karlsruher
Arbeitern 12,3:0,9 Proz. bezw., bei den Berliner Arbeitern, ca. 7: 1,65
Proz. Für Vergnügungen anderer besserer Art bleibt gerade den
letzteren nur etwa der gleiche Teil wie für die Steuern. Da an
anderer Stelle noch auf diese Tafeln zurückzukommen sein wird, so
seien nur noch einige der interessantesten sonstigen erwähnt.
Da ist ein Stammbaum eines I rinkers von Aschaffenburg, der nun
schon in die vierte Generation hineinreicht und einen höchst traurigen
Ausblick gibt. Eine Geburtkurve nach B e s s o 1 a soll zeigen, wie
in den Geburtsmonaten, die einer Zeugung in den Karnevals- bezw.
Weinlesemonaten entsprechen, die Kurven der schwachsinnig Ge¬
borenen in die Höhe schnellen gegenüber den normalen. Die Tafel ist
nicht sehr klar und nicht eindeutig. Allerdings bei den im November
Geborenen gehen die beiden Kurven entgegengesetzt auseinander.
Höchst drastisch wirken dagegen die Darstellungen aus Zürich, der
Rheinprovinz, aus Worms und einer der genannten Wandtafelsamm¬
lung in ihrer vollständigen Uebereinstimmung über den Einfluss der
tage — d. h. der an den Tagen als genossen anzusetzenden Alköhol-
mengen auf die Begehung von Körperverletzungen. Samstag
steigend, Sonntag enorm in die Höhe schnellend, Montag zwar ab-
*) Die Ausstellung ist unterdessen geschlossen worden. Red.
2>
Lj Lj L v )
fallend, aber immer noch weit über den Samstag hinausreichend. Mit
der jährlichen Zunahme des Alkoholismus gehen auch die gefährlichen
Körperverletzungen in die Höhe. Von 100 Straftaten fallen, nach
einer anderen Tafel, bei Mord 46 Proz. in den Zustand der Trunken¬
heit, bei Hausfriedensbruch 54 Proz., bei Totschlag 63 Proz., bei
Körperverletzung 74 Proz., bei Vergehen gegen die Sittlichkeit
77 Proz. usw. Auch hier möge aus einer der Kraepelin-Gru-
b ersehen Wandtafeln der auffallend grossen Beteiligung der Ge¬
legenheitstrinker an den Verbrechen, namenlich den Rohheits-, Leiden¬
schafts- und Sittlichkeitsverbrechen erwähnt sein. Bei letzteren z. B.
fallen auf sie 56,5 von den 77 Proz.
Auch die Störungen der Gehirnfunktionen durch den Alkohol¬
genuss sind in Tafeln wiedergegeben, ferner die Unfallshäufigkeit
unter der Wirkung des Alkohols: Sonnabend, wo der Arbeiter müde
ist durch die Arbeitswoche, steigern sie sich, noch viel mehr aber —
namentlich wenn man das Blaumachen am Montag berechnet — am
Montag, wo diese Ursache nicht hereingezogen werden kann.
Zum Schlüsse eine sehr interessante Tafel, die zeigt, dass die
Alkoholfrage, die einst als Schnapsfrage angepackt wurde, heutzutage
eine Bierfrage ist, ganz besonders für uns in Deutschland. Das ist
nun in gewisser Beziehung schon ein Fortschritt, aber freilich gleich¬
zeitig damit geht trotz des so enorm geringen Alkoholgehaltes des
Bieres eine bedeutende Steigerung der Gesamtmenge des getrunkenen
Alkohols einher! In Schweden ist freilich diese Menge seit 1830 von
23 Liter absoluten Alkohols pro Kopf und Jahr auf etwa 5 herunter¬
gegangen durch die Einschränkung des Branntweingenusses. Dieser
geht auch weiter, wenn auch nur wenig zurück, dagegen steigt der
Gesamtalkoholkonsum auch dort etwas durch den vermehrten Bier¬
verbrauch. Im Deutschen Reiche steigt er ebenfalls seit 1890 von
ca. 4 bis 1895 auf über 5 Liter durch das Bier allein. In Bayern ist
dieser heute niedriger als 1875, steigt aber seit 1885, wo er pro Kopf
211 Liter Bier (ca. 9 Liter Alkohol) betrug bis 1895 auf 226 (etwas
über 10 Liter). Bemerkt sei übrigens gegenüber den oft gehörten
Angriffen auf Amerika, dass die Vereinigten Staaten sowohl im Bier¬
genuss als auch im Branntweingemiss weit hinter Deutschland Zurück¬
bleiben. Höherer Konsum ist nur in Belgien und Frankreich bezüg¬
lich Branntwein, in Belgien und England bezüglich Bier zu kon¬
statieren. Gerade diese Tafeln nach Delbrück sind sehr verdienst¬
voll. Dr. Neustätter.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 28. Oktober 1907.
— Wie aus unserem heutigen Berichte hervorgeht, hat der Aerzt-
liche Bezirksverein München in seiner letzten Sitzung den von dem
geschäftsführenden Ausschuss der bayerischen Aerztekammern vor¬
gelegten Entwurf zum Ausbau der wirtschaftlichen Or¬
ganisation in Bayern abgelehnt mit der Begründung, dass er
zu Kompetenzkonflikten mit dem Leipziger Verband führen müsse.
Diese Bedenken sind gewiss nicht stichhaltig. Bei besonnener Haltung
der beteiligten Faktoren lassen sich solche Konflikte sehr wohl ver¬
meiden und sind bis jetzt immer vermieden worden, obwohl bei fast
allen deutschen und auch bayerischen Aerztekammern (ausgenommen
Oberbayern) seit Jahren Vertragskommissionen — solche bilden den
wesentlichsten Punkt des Entwurfes — bestehen, welche den lokalen
Vertrauenskommissionen übergeordnet sind. Es handelt sich ja über¬
haupt nicht etwa um ein Eingreifen der Aerztekammern bei ausge¬
brochenen Streitigkeiten mit den Krankenkassen, sondern um eine
letzte Berufungsinstanz zur gerechten Wahrung der Interessen der ein¬
zelnen Aerzte und zur Schlichtung drohender Streitigkeiten zwischen
ärztlichen Minoritäten und Majoritäten. Die Kompetenz der Aerzte¬
kammern hat sich bisher unbestritten auf das gesamte Standesleben er¬
streckt und ist auch in dieser Richtung um so weniger anzuzweifeln, als
der L. W. V. sich noch niemals mit dieser lokalen Jurisdiktion befasst
hat und sich niemals damit wird befassen können. Dass ihnen darum
zu tun ist, in einem guten Verhältnis zu dem L. W. V. zu bleiben,
haben die bayerischen Kammern stets und gerade im Laufe dieses
Jahres wiederholt gezeigt. Es gibt aber allzu extreme Organisatoren
welche keinen Einspruch anerkennen, sondern selbst die erste und
letzte wirtschaftliche Instanz sein wollen; sie werden überall nicht
nur mit einzelnen Aerztegruppen, sondern auch mit den Aerzte¬
kammern und schliesslich auch mit dem L. W.'V. selbst in Kollision
geraten. Sie in den notwendigen Grenzen zu halten, ist unseres Er¬
achtens eine gemeinsame Aufgabe der Aerztekammern und des
L. W. V. In diesem Sinne glauben wir, dass die Errichtung der Be¬
schwerdekommissionen, welche hoffentlich nur selten in Tätigkeit zu
treten haben werden, einer Festigung des Vertrauens zur Organisation
dienen wird, und deshalb wäre die Annahme des Entwurfes durch die
Aerztekammern zu begrüssen.
— Man schreibt uns aus Dresden: Die Assistenzärzte
der Dresdner städtischen Krankenhäuser haben er¬
neut — auf ein ähnliches Gesuch vom Sommer 1906 war eine Ant¬
wort nicht erfolgt — eine Eingabe an den Rat gerichtet, in der sie
unter Hinweis auf die Forderungen, wie sie von der im Anschluss an
die Hauptversammlung des Leipziger wirtschaftlichen Verbandes am
21. Juni 1906 in Halle a. S. stattgefundenen Assistenzarztversammlung
aufgestellt worden sind, bestimmte Aenderungen ihrer Anstellungs¬
bedingungen erbitten — bescheidene und durchaus berechtigte
2216
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ho. 44.
Wünsche: Erhöhung des Anfangsgehaltes bei völlig freier Station von
1000 Mk. auf 1-200 Mk., jährliche Steigerung des Gehaltes um 200 Mk.,
Anrechnung der in andern Krankenhäusern und medizinisch wissen¬
schaftlichen Instituten verbrachten Dienstzeit zur Hälfte, vertrags-
mässiges Anrecht auf vierwöchigen Urlaub in jedem Dienstjahr, Ueber-
nahme der Unfallversicherung durch die anstellende Behörde. Die
Sekundärärzte, deren Anfangsgehalt erst im vorigen Jahr auf 1800 Mk.
festgesetzt wurde, haben zur Zeit von der Forderung einer Gehalts¬
erhöhung abgesehen und nur die übrigen Wünsche mit zu den ihrigen
gemacht und zu Papier gebracht. Desgleichen haben die Assistenz¬
ärzte der städtischen Heil- und Pflegeanstalt nur um die übrigen
oben skizzierten Abänderungen der Anstellungsbedingungen nach¬
gesucht und keine Wünsche wegen einer Gehaltserhöhung geäussert,
da die dringend nötige Vergrösserung des gesamten Aerztestabes,
eine damit verbundene Gehaltsaufbesserung bestimmter Arztstellen
bereits vor einigen Monaten von den Anstaltsoberärzten beantragt
worden ist, entsprechend der Grösse der Anstalt, nach dem Vorbild
anderer grosser und moderner Anstalten und entsprechend den mo¬
dernen Anschauungen der Behandlung Geisteskranker und Siecher
und der Ausbildung, Unterweisung und Beaufsichtigung des hierzu
notwendigen Pflegepersonals. Die in diesen Eingaben zum Ausdruck
gebrachten Wünsche sind, wie gesagt, so berechtigt, dass man ihnen
die wohlwollende Würdigung des Rates und der Stadtverordneten
und ihre Erfüllung in allen Punkten nur wünschen kann. Eine Ver¬
besserung der Stellung der Assistenzärzte, eine angemessene, dem
Alter einigermassen entsprechende, standeswürdige Bezahlung kommt
auch den Kranken .zu Gute. Dadurch werden die jungen Aerzte
stationärer zum Vorteil des Krankendienstes, der immerwährende
Wechsel wird eingeschränkt. Namentlich aber wird dadurch die
trotz Ueberfiillung des ärztlichen Berufes zur Zeit herrschende „grosse
Assistentennot“ ohne weiteres beseitigt werden. Einzelne Städte,
zuletzt Stettin, haben dieser Kalamität Rechnung tragend, spontan die
Assistenzarztgehälter verbessert (so Stettin Anfangsgehalt: 1500Mk.l).
Wir können nur das wiederholen, was an dieser Stelle am 15. Juli
ds. Js. bei Besprechung der Eingabe der Münchener Assistenzärzte
gesagt wurde und es auf Dresden übertragen: „Wenn heute die
Dresdner Assistenzärzte ihre Stellen niederlegen würden, würde es
ihnen leicht sein, in kürzester Zeit andere, besser bezahlte Stellen zu
finden, während der Magistrat grosse Schwierigkeiten haben würde,
die Stellen neu zu besetzen. An eine solche Massregel wird gewiss
nicht gedacht. Wir stellen nur die klare Sachlage fest, deren richtige
Würdigung den Dresdner Magistrat veranlassen muss, dem Gesuch
der Assistenzärzte stattzugeben.“
— Voraussichtlich Ende dieses Monats werden die fünf preus-
sischen Stromüberwachungsstationen an der Weichsel und Memel zur
Abwehr der Choleragefahr wieder eingezogen werden, da
die Gefahr eines Uebertritts der Seuche aus dem russischen Gebiet
dann nicht mehr für vorliegend erachtet wird. Zur Vorsicht werden
die Stationen jedoch im Frühjahr nächsten Jahres, sobald das
Flössereigeschäft beginnt, wieder eröffnet werden.
— Das Berliner Polizeipräsidium warnt neuerdings vor zwei
G e h e i m m i 1 1 e 1 n, die in letzter Zeit in öffentlichen Blättern ange¬
priesen wurden. Das erste ist das von der Firma „The Giant Oxie
Co.“ in London angebotene „Oxien“ gegen Herzkrankheiten; eine
dreimonatige Behandlung mit dem sich dahinter verbergenden Medi-
kamenten-Aggregat soll 25 Mk. kosten. Die Tabletten bestehen nach
Feststellung der Polizeibehörde aus Rohr- und Milchzucker, Mais¬
stärke, Sassafrasöl, Wintergrünöl und einem Bitterstoff, die Pillen im
wesentlichen aus einer mit Pfefferminzöl versetzten Mischung von
bitteren Extrakten mit Jalapenharz und Capsaicin, die mit einer Masse
von Zucker und Maismehl überzogen ist. Das zweite Mittel ist das
von der Fabrik pharmazeutischer Präparate Gustav Laar mann in
Berlin in Zeitungen angepriesene „Rheuma -Tabakolin“ gegen „Gicht,
Gelenkreissen und Rheuma“. Es besteht lediglich aus Tabakgrus und
ist mit Melissenöl parfümiert, soll in Spiritus und Wasser ausgezogen
und dieser Auszug zu Umschlägen benutzt werden. Der Preis des
Mittels ist unverhältnismässig hoch (5 Mk. für 100 g); die Umschläge
bedingen die Gefahr einer Nikotinvergiftung.
— Cholera. Russland. Nach den Ausweisen im „Regierungs¬
boten“ vom 16. Oktober sind vom 2. bis einschl. 12. Oktober an der
Cholera 1174 Personen erkrankt und 499 gestorben. In Kiew wurde
das Militärkrankenhaus auch zur Aufnahme von cholerakranken Per¬
sonen des Zivilstandes bestimmt, weil angeblich das bisher allein zur
Aufnahme von Cholerakranken eingerichtete Alexander-Hospital mit
solchen und Typhuskranken bis weit über die Grenzen seiner Auf¬
nahmefähigkeit hinaus überfüllt war. Im Alexander-Hospital hatten
bis zum 14. Oktober angeblich 170 Cholerakranke Aufnahme gefunden.
Es wird behauptet, dass das Dnjeprwasser nach den angestellten
Untersuchungen besonders in der Nähe der Rieselfelder, d. h. ober¬
halb der Stadt Kiew, reichlich mit Cholerabazillen durchsetzt sei.
Einige Strassen, die noch nicht an die allgemeine städtische Wasser¬
leitung, die das Wasser dem Dnjepr unterhalb der Rieselfelder ent¬
nimmt, angeschlossen sind, sondern durch artesische Brunnen ver¬
sorgt werden, sollen auffallend wenig Erkrankungen zeigen. — Straits
Settlements. In Singapore ist die Zahl der Choleratodesfälle für die
Zeit vom 11. bis 17. September auf 13 gestiegen. — Japan. Aus Kobe-
Hiogo wurden vom 12. bis 20. September 108 Choleraerkrankungen
(und 62 Todesfälle) gemeldet, aus Osaka und dessen Umgebung vom
13. bis 21. September 53 (39), d. i. seit dem ersten Ausbruch der
Krankheit 75 (53). _
— Pest. Aegypten. Vom 5. bis 12. Oktober wurden an Ale¬
xandrien 5 neue Erkrankungen und 2 Pesttodesfälle, sonst keine Pest-
fälle gemeldet. — Japan. Auf Formosa wurden im Juni 537 Er¬
krankungen (und 476 Todesfälle) an der Pest angezeigt. In Osaka
sind vom 20. August bis zum 23. September 5 neue Pestfälle fest-
gestellt worden. — Vereinigte Staaten von Amerika. Bis zum 28. Sep¬
tember waren in San Franzisko insgesamt 44 Pestfälle festgestellt
worden, von denen 27 tödlich verlaufen waren. — Britisch-Ostindien.
In Kalkutta starben vom 8. bis 14. September 6 Personen an der Pest.
— Genickstarre. Preussen. In der Woche vom 6. bis 12.
Oktober sind 23 Erkrankungen (und 13 Todesfälle) angezeigt worden.
— In der 41. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Oktober 1907, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Borbeck mit 36,1, die geringste Deutsch Wilmersdorf mit 8,4 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Cottbus, an Keuchhusten
in Altenessen. V. d. K. G.-A.
(H ochse 'hulnach richten.)
Breslau. Dr. Martin T h i e m i c h, Privatdozent für Kinder¬
heilkunde, ist zum städt. Kinderarzt und Leiter des Kinderkranken¬
hauses in Magdeburg gewählt worden, und wird zum 1. Januar 1908
seine neue Stellung antreten.
Heidelberg. Geh. Hofrat Dr. F 1 e i n e r, der den verstor¬
benen Grossherzog behandelt hat, erhielt das Kommandeurkreuz
2. Kl. mit Eichenlaub des Ordens vom Zähringer Löwen. — Der a. o.
Professor für Gynäkologie Dr. Schottländer hat die Aufforde¬
rung erhalten, den nach Wien berufenen Geh. Hofrat v. Rosthorn
zu begleiten und die Stelle als Direktor des Laboratoriums der neuen
Wiener Frauenklinik zu übernehmen.
Jena. Es hat sich habilitiert: Dr. med. Gustav Hesse für
Zahnheilkunde.
Kiel. Dem Oberarzt der chirurgischen Klinik und Privatdozenten
Dr. G ö b e 1 1 wurde der Titel Professor verliehen.
Bologna. Der ausserordentliche Professor der Chirurgie und
operativen Medizin Dr. G. R u g g i wurde zum ordentlichen Professor
ernannt.
Graz. Der Privatdozent Dr. Fr. Hartmann wurde zum
ausserordentlichen Professor der Neurologie und Psychiatrie ernannt.
(Todesfälle.)
Dr. J. C. Simes, früher Professor der Harn- und Geschlechts¬
krankheiten an der Philadelphia-Poliklinik.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: August Besold, appr. 1906, Weissenstadt.
Dr. David Grün b a u m, appr. 1904, in Nürnberg. Dr. Ludwig
Lochner, appr. 1887, in Ornbau, B.-A. Feuchtwangen.
Verzogen. Dr. Adolf Mayer von Kirchenlaibach nach
Naisa, BA. Bamberg I. Dr. Hans Böhmer von Memmelsdorf nach
Bamberg. Dr. Georg Häusler von Ornbau unbekannt wohin.
Dr. Ludwig Hüttner von Kornburg, B.-A. Schwabach, nach Wiesau
in der Oberpfalz.
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse, Dr. Johann Kaspar
B i 1 1 o n in Staffelstein, seiner Bitte entsprechend, in gleicher Eigen¬
schaft nach Forchheim.
Erledigt. Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Staffelstein.
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K- Regierung, K. d. I., bis zum 10. November
1. J. einzureichen.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 4L Jahreswoche vom 6. bis 12. Oktober 1907.
Bevölkerungszahl 548 000.
Todesursachen: Angeborene Lebensschw. (1. Leb.-M.) 12 (13*)
Altersschw. (üb. 60 J.) 5 (6), Kindbettfieber — (1), and. Folgen der
Geburt — (2), Scharlach — (— ), Masern u. Röteln — (1), Diphth. u.
Krupp 1 (2), Keuchhusten — (1), Typhus 1 (— ), übertragb. Tierkrankh.
— (-), Rose (Erysipel) — (— ), and. Wundinfektionskr. (einschl. Blut-
u. Eitervergift.) — (1), Tuberkul. d. Lungen 19 (16), Tuberkul. and.
Org. 1 (10), Miliartuberkul. 1 (1), Lungenentzünd. (Pneumon.) 10 (3),
Influenza — (— ), and. übertragb. Krankh. 6 (3), Entzünd, d. Atmungs¬
organe 1 (3), sonst. Krankh. derselb. 1 (1), organ. Herzleid. 23 (10),
sonst. Kr. d. Kreislaufsorg, (einschl. Herzschlag) 9 (6), Gehirnschlag
8 (5), Geisteskranke — (1), Fraisen, Eklamps. d. Kinder 3 (2), and.
Krankh. d. Nervensystems 6(1), Magen- u. Darm.-Kat., Brechdurchfall
(einschl. Abzehrung) 43 (46), Krankh. d. Leber 2 (3), Krankh. des
Bauchfells — (2), and. Krankh. d. Verdauungsorg. 3 (3), Krankh. d.
Harn- u. Geschlechtsorg. 7 (4), Krebs (Karzinom Kankroid) 20 (24),
and. Neubildg. (einschl. Sarkom) 4 (4), Selbstmord 3 (3), Tod durch
fremde Hand — (— ), Unglücksfälle 2 (4), alle übrig. Krankh. 2 (6).
Die Gesamtzahl der Sterbefälle 193 (188). Verhältniszahl auf das
Jahr und 1000 Einwohner im allgemeinen 18,3 (17,8), für die über
dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,0 (12,0).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in Mtlnchcn. — Druck von E. Mühlthal era Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. r. Angerer, Ch. Blumler, >0. v. Büllinger, H, Cnrsctiraami, H. Belierich, W. v. Leute, G. Merkel, J. t. IHicbel, F.Peozoldf, J.» . Hanke, B.Spalz, F.tJinckel,
München. Freiburg i. B. München.
Leipzig.
Kiel.
Würzburg. Nürnberg. Berlin. Erlangen. München. München. München.
No. 45. 5. November 1907.
Redaktion: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 15a.
54. Jahrgang.
Originalien.
Die Pyozyanase als Prophylaktikum und Heilmittel bei
bestimmten Infektionskrankheiten.
Von Prof. Dr. Rudolf Emmerich - München.
I. Die Behandlung der Diphtherie mit Pyo¬
zyanase.
Auf der Oberfläche von Flüssigkeitskulturen des Bacillus
pyocyaneus — Bazillus des blauen Eiters — bildet sich im
Verlauf weniger Tage eine dicke Bakterienhaut, die beim
Schütteln zu Boden fällt, worauf wieder eine neue Hautdecke
entsteht. Diese Neubildung einer Bakterienhaut wiederholt
sich, wenn man dieselbe durch, in Intervallen von 3 — 4 Tagen
ausgeführtes, kräftiges Schütteln zerstört, etwa 6 — 8 mal. Man
beobachtet aber, dass die zuletzt gebildeten Bakterienhäute
dünner und viel weniger üppig entwickelt sind als die zuerst
gebildeten, bis nach 3 — 4 Wochen die Bakterienentwicklung
ganz aufhört und keine Spur von Hautbildung mehr erfolgt.
Dieses Aufhören der Entwicklung kann nicht durch Nähr¬
stoffmangel verursacht sein; denn es lässt sich nachweisen,
dass alle zur Bakterienernährung nötigen Nährstoffe auch nach
4 Wochen noch in sehr reichlicher Menge in der Kulturflüssig¬
keit enthalten sind.
Auch die gebildeten Stoffwechselprodukte — Abbaupro¬
dukte des Eiweisses, Säuren, oder Ammoniak u. dergl. —
können nicht die Ursache des Stillstandes der Entwicklung sein,
da die letztere weder durch Neutralisation der Kulturflüssigkeit
noch durch die Entfernung der Stoffwechselprodukte vermittels
Dialyse wieder in Gang gebracht werden kann.
Dagegen belehrt uns eine andere interessante Beobachtung
über die Ursache der merkwürdigen Erscheinung.
Die infolge des Schütteins zu Boden gefallenen Bakterien¬
häute bilden anfangs eine sehr voluminöse, flockige, allmählich
zäh und schleimig werdende Masse von mehr als 50 g, deren
Volumen sich bei öfterem Schütteln immer mehr verringert,
bis nach Wochen kaum eine Messerspitze voll eines nur einige
Milligramm schweren, weisslichen Bodensatzes übrig geblieben
ist, der bei mikroskopischer Untersuchung aus leeren Bakterien¬
membranen, punktförmigen Kernresten, Fetttröpfchen und aus
Krystallen besteht.
Die völlige Auflösung einer so grossen Bakterienmasse
kann nur durch ein sehr wirksames bakterienauflösendes Enzym
verursacht kein, welches in den Zellen des Bazillus pyocyaneus
als unlösliches Zymogen enthalten ist und bei der Auflösung
derselben als lösliches Enzym in die Kulturflüssigkeit gelangt.
Diese Erklärung hat sich bei weiteren Untersuchungen als
richtig erwiesen und sie lässt auch die Tatsache begreiflich
erscheinen, dass die bakterienauflösende Fähigkeit der Kultur¬
flüssigkeit um so grösser wird, je länger die Bakterienvege¬
tation dauert, je mehr Bakterienzellen also gebildet und beim
Schütteln aufgelöst werden.
Dieses in Pyozyaneuskulturen gebildete bakteriolytische
Enzym - — die Pyozyanase lässt sich in bakterienfreier, kon¬
zentrierter Lösung gewinnen, wen man die abgelaufene, etwa 3
Wochen alte Kultur durch Berkefeldfilter filtriert und im Va¬
kuum auf 1 Zehntel Volumen konzentriert.
Es hat sich durch jahrelang fortgesetzte Untersuchungen,
die ich gemeinschaftlich mit Professor Dr. Oskar L ö w aus-
No. 45.
(Nachdruck der Originalartikel ist nicht gestattet.)
führte, gezeigt, dass die so gewonnene Pyozyanaselösung nicht
nur die Zellen des Bacillus pyozyaneus, sondern auch Di¬
phtheriebazillen, Cholera-, Typhus-, Pest- und Milzbrandbazillen,
sowie die Strepto-, Staphylo- und Gonokokken abtötet und
auflöst und zwar grosse Mengen dieser Bakterien in sehr
kurzer Zeit.
Diejenigen pathogenen Bakterien, welche der auflösenden
Wirkung der Pyozyanase zugänglich sind, werden wahrschein¬
lich durch die gleiche chemische Konstitution der Eiweissstoffe
ihres Protoplasmas, oder durch die gleiche chemische Be¬
schaffenheit ihrer Membran ausgezeichnet sein; denn wir konn¬
ten feststellen, dass gewisse pathogene Bakterien, wie z. B. die
Tuberkelbazillen, welche eine sehr fett- und zellulosereiche
Membran besitzen und viele Saprophyten wie z. B. die Heu-
bazillen durch die Pyozyanase nicht aufgelöst und auch nicht
abgetötet werden. Die Gruppe der durch Pyozyanase auflös¬
baren, pathogenen Bakterien umfasst aber, ausser den oben
erwähnten, von uns genauer untersuchten Arten, auch noch
andere Erreger menschlicher und tierischer Infektionskrank¬
heiten.
So haben Professor Dr. Th. Escherich und sein Assi¬
stent Dr. J e h 1 e in Wien ermittelt, dass auch die Bakterien
der Säuglingsgrippe und die Meningokokken durch Pyozyanase
vernichtet und gelöst werden.
Diese namhaften Forscher, denen die experimentelle I hera-
pie schon so manche wertvolle Bereicherung verdankt, sowie
Professor Dr. Pfaundler in München und sein Assistent
Dr. Zucker haben zuerst auch die Verwertbarkeit der Pyo¬
zyanase für therapeutische und prophylaktische Zwecke in
grossem Umfange geprüft und erprobt.
Der folgende kurze Auszug aus ihren diesbezüglichen Mit¬
teilungen und der Bericht über die von mir selbst mit Pyo¬
zyanase behandelten Fälle von schwerer septischer Diphtherie
und von Gonorrhöe geben die Gewähr, dass die Pyozyanase¬
lösung bald eine hervorragende Rolle in der kausalen T he¬
rapie der obengenannten Infektionskrankheiten spielen wird.
1. Die experimentellen Grundlagen der Pyo-
zyanasebehandlung der Diphtherie.
Ehe ich an die Behandlung der Diphtherie des Menschen
mit Pyozyanase heranging, und andere dazu veranlasste, habe
ich zahlreiche Versuche über das Verhalten der Diphtherie¬
bazillen in Pyozyanase in vitro, sowie über die Heilung der
experimentellen Diphtherie durch Pyozyanase und die Schutz¬
impfung mit Pyozyanaseimmunproteidin — die Eiweissverbin¬
dung der Pyozyanase — mit positivem Resultat ausgeführt.
Gemeinschaftlich mit Professor Dr. O. L ö v habe ich gezeigt,
dass man auch mit Diphtheriegift tödlich vergiftete Meer¬
schweinchen durch subkutane Pyozyanaseinjektionen retten
kann.
Wenn man zu 1 ccm dialysierter Pyozyanaselösung und zu
1 ccm der gleichprozentigen, dialysierten Nährsalzlösung 5
Tropfen Bouillon und Diphtheriebazillen von einer 24 ständigen
Löfflerserumkultur gibt, so erfolgt in der Pyozyanaselösung m
kurzer Zeit die Abtötung enormer Massen von Diphtherie-
bazillen, während im Kontrollversuch keine Abtötung, sondern
sogar schwache Vermehrung der Diphtheriebazillen eintritt.
2218
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
1 ccm Pyozyanaselösung enthielt:
Sofort nach Zusatz
Nach
Nach
der Kultur
3 Stunden
8 Stunden
Diphtheriebazillen
395 000 000
0
0
992 000 000
1 200
0
1 140 000 000
2 500
0
1
ccm Kontrollsalzlösung enthielt:
Diphtheriebazillen
453 000 000 •
406 000 000
563 000 000
Die Diphtheriebazillen quellen in der Pyozyanase stark auf
und bei mikroskopischer Untersuchung der öfters geschüttelten
Flüssigkeit findet man, dass die Diphtheriebazillen nach 12 bis
24 Stunden bis auf feinste Kernreste aufgelöst sind, während die
Pyozyanaselösung selber schleimige Konsistenz angenommen
hat.
Setzt man zu einem Nährboden, z. B. zu Nähragar Pyo¬
zyanaselösung in grosser Verdünnung zu — 1—10 bis 1 — 80 —
und streicht man nun reichliche Mengen frischer Diphtherie¬
kultur auf, so entwickeln und vermehren sich die Diphtherie¬
bazillen nicht.
Auf der mit Pyozyanase bestäubten diphtheritischen
Schleimhaut haftet die Pyozyanase einige Zeit, da sie die Mem¬
branen imprägniert; sie tötet dabei fortgesetzt Diphtherie¬
bazillen ab und verhindert die Vermehrung derselben. Diesem
Umstande ist es zu verdanken, dass die Diphtherie des Men¬
schen schon nach 2 — 3 Pyozyanasezerstäubungen zum Stehen
und alsdann zur Rückbildung gebracht wird.
Als drittes, für die erfolgreiche Behandlung sehr wesent¬
liches Moment, kommt in Betracht, dass die Pyozyanase nicht
nur enorme Mengen von Diphtheriebazillen in kurzer Zeit ab¬
tötet und auflöst, sondern auch das Diphtheriegift bindet und
unwirksam macht. *)
Wenn man zwei gleichschwere Meerschweinchen durch
subkutane Injektion von aus Bouillonkulturen gewonnener Di¬
phtheriegiftlösung tödlich vergiftet, dem einen der beiden Tiere
aber täglich 0,5 ccm Pyozyanaselösung subkutan injiziert, so
stirbt das nicht mit Pyozyanase behandelte Kontrollier nach
ca. 48 Stunden. Bei der Sektion findet man eine von der In¬
jektionsstelle ausgehende, über Bauch und Brust ausgedehnte
Infiltration des subkutanen Gewebes und eine bedeutende Ver-
grösserung und Dunkelrotfärbung der Nebennieren.
Das mit Pyozyanase behandelte, vorher aber in gleicher
Weise vergiftete Meerschweinchen erkrankt gar nicht,
es bildet sich auch keine sulzige Infiltration an der Giftinjek¬
tionsstelle: das Tier bleibt vielmehr dauernd gesund.
Durch diePyozyanase wird ein chemischer
Körper in den Organismus eingeführt, welcher
sich mit dem Diphtheriegift zu einer ungiftigen Verbindung
vereinigt, ganz so wie dies auch bei der Einführung von Heil¬
serum in den Organismus der Fall ist. Es ist deshalb richtiger,
von Gift b i n d u n g und nicht, wie es Behring tut, von
Gift n e u t r a 1 is a !i o n zu sprechen.
. Diese Versuche über die giftbindende Fähigkeit der Pyo¬
zyanase wurden unter Professors Dr. Escherichs Leitung
in Wien wiederholt und deren Richtigkeit bestätigt.
Auch Escherich konnte Meerschweinchen, die mit töd¬
lichen Mengen von Diphtheriegift vergiftet waren, durch Pyo¬
zyanase retten.
Eine weitere, für die erfolgreiche Behandlung der Di¬
phtherie sehr günstige Eigenschaft der Pyozyanase ist die, dass
das proteolytische, zu den Trypsinen gehörende Enzym,
welches in der Pyozyanaselösung enthalten ist, die Di¬
phtheriemembranen a u f 1 ö s t und zwar um so
rascher, je mehr Pyozyanaselösung man auf die Membranen
bringt. Man hat es in der Hand, diesen Prozess durch häufigere
Anwendung der Pyozyanase zu beschleunigen; auch in vitro
lösen 3 ccm Pyozyanaselösung 3 g Blutfibrin innerhalb 4 Stun¬
den völlig auf.
H Die diesbezüglichen Versuche über Entgiftung des Diphtherie¬
toxins durch Pyozyanaseenzym finden sich in Emmerich und
Löw: Bakteriolytische Enzyme etc. Zeitschr. f. Hygiene und In¬
fektionskrankheiten. 31. Band 1899, S. 33 und 50 — 53.
Eine fünfte ungemein wertvolle Wirkung, welche die Pyo¬
zyanase auszeiohnet und welche sie auch vor dem B e h r i n g-
schen Diphtherieheilserum voraus hat, ist d i e V e r n i c h t u n g
und Auflösung der pyogenen S t r e p t o- und Sta¬
phylokokken durch dieselbe. „Die Streptokokken,
sagt H. K o s s e 1 dringen von den Tonsillen aus in die
Lymphbalmen und stibmaxillaren Lymphdriisen ein. Sie führen
dadurch zu der prognostisch üblen diffusen Anschwellung der
genannten Drüsen und, was schlimmer ist, sie gelangen in die
Blutbahn und rufen schliesslich das Bild einer s c h w e r e n
Sepsis bei dem Diphtheriekranken hervor“.
ln solchen Fällen versagt, wie auch K o s s e 1 zugesteht,
das Heilserum öfters, während gerade solche schwere septische
Fälle durch die Pyozyanasebehandlung rasch
derTodesgefahrentrücktund ebensoglatt ge-
heilt werden wie die einfache, nichtkompli¬
zierte Rachendiphtheritis (siehe Fall I, II, III, V,
VI, VII und VIII). Besonders rasch, meist schon nach 24 Stun¬
den, bildet sich die obenerwähnte prognostisch üble Anschwel¬
lung der submaxillaren Lymphdriisen unter Pyozyanasebehand¬
lung zurück.
1 ccm Pyozyanase, welche unter Anwendung von Frän-
k e 1 scher Nährlösung bereitet war, tötete innerhalb 4 Stunden
350 000 000 Streptokokken und 252 000 000 Staphyloc. pyog.
aureus ab. Die abtötende und entwicklungshemmende Wir¬
kung verdünnter Pyozyanase ist bei Staphyloc. pyogen, aureus
eine geringere als bei Diphtheriebazillen und Streptokokken.
Der rasche Erfolg und die Zuverlässigkeit der Pyozyanase¬
behandlung der gewöhnlichen und komplizierten — septischen
— Diphtherie ist demnach durch die folgenden Einzelwirkungen
bedingt:
1. die Diphtheriebazillen vernichtende Wirkung der Pyo¬
zyanase, durch welche die Diphtheriebazillen in der Membran
und in der Schleimhaut abgetötet werden;
2. die entwicklungshemmende Wirkung der Pyozyanase,
infolge deren eine Vermehrung der noch nicht abgetöteten Di¬
phtheriebazillen auf der Schleimhaut und Membran nicht mehr
erfolgen kann;
3. die Diphtheriegift bindende Wirkung der Pyozyanase;
4. die membranauflösende, trypsinähnliche Wirkung des
proteolytischen Enzyms der Pyozyanaselösung;
5. die abtötende und entwicklungshemmende Wirkung der
Pyozyanase gegenüber dem Streptococcus pyogenes und
Staphylococcus pyogenes aureus;
6. durch eine spezifische, die Restitution der Schleimhaut
unterstützende, vielleicht chemotaktische Heilwirkung.
II. Die Methode der Pyozyanasebehandlung
der Diphtherie.
Die gleich zu schildernden Erfolge der Pyozyanaseanwen-
dung bei Diphtherie werden s i ch e r und in kurzer Zeit
bei ganz gewissenhafter Befolgung der folgenden therapeu¬
tischen Massnahmen erzielt.
Der Arzt spült den eigenen Mund mit einer desinfizierenden
Lösung — Karbolsäure, Odol oder dgl. — aus.
Die Mutter setzt das kranke Kind auf ihren Schoss und
hält dessen Hände; eine andere Person fixiert den Kopf des
Kindes. Der Arzt setzt sich mit dem Escherichzerstäuber, in
welchem er 3—4 ccm „Pyozyanase“ eingefüllt und im Wasser¬
bad auf ca. 40 0 C erwärmt hat, vor das Kind, richtet eine Frage
an dieses und benützt die Gelegenheit, wenn dasselbe ant¬
wortet, um mit der rechten Hand rasch den Löffelstiel oder
Spatel in den Mund bis auf den Zungengrund einzuführen. Der
Löffelstiel muss rasch und tief eingeführt werden. Drückt man
mit demselben auf den Zungengrund, so muss, wie allbekannt,
das Kind den Mund weit öffnen und man bläst nun rasch
und möglichst kräftig durch den Gummischlauch in
den mit der linken Hand gehaltenen Escherich sehen Zer¬
stäuber, dessen Zerstäubungsrohr dicht vor den Zähnen des
Kindes gehalten wird. (Siehe die Abbildung.) •
Wenn alle erkrankten Stellen der Schleimhaut energisch
und die normalen flüchtig mit „Pyozyanase“ bestäubt sind,
2) H. Kossel: Ueber die Behandlung der Diphtherie d^s
Menschen mit Diphtherieheilserum. Zeitschr. f. Hyg. u. InfektionS-
krankh. 17. Band 1894, S. 492.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
JJl9
reicht man dem Kinde eine bereit gestellte Schüssel und lässt
die aus seinem Munde laufende Pyozyanase und Schleim etc.
hineinlaufen. Da das Kind dabei den Mund öffnet, so benutzt
man die Gelegenheit, um, nachdem auf einen Wink der Kopf des
Kindes gefasst wurde, den Löffelstiel nochmals einzuführen und
eine zweite Zerstäubung felgen zu lassen. Dann wartet man
5 — 10 Minuten, während deren die Pyozyanase ihre Wirkung
entfaltet und wiederholt die ganze Prozedur nochmals. *)
Auf diese Weise werden bei jedem Besuche des Arztes
•1 Pyozyanasebestäubungcn ausgeführt. Je öfter die Pyozya¬
nase in angemessenen Zwischenräumen am 1. und 2. Behand¬
lungstage zerstäubt wird, um so rascher wird dem in be¬
denklichem Fortschreiten begriffenen diphtheritischen Prozess
Einhalt geboten; derselbe schreitet nicht mehr weiter und
bildet sich, wenn die Pyozyanasebestäubungen oft genug und
in ausreichender Menge fortgeführt werden, rasch zurück.
Auch bei sehr schweren Diphtheriefällen genügt ein 3 maliger
Besuch des Arztes, wenn bei jedem 2 mal in Intervallen von
5 — 10 Minuten energisch Pyozyanase bestäubt wird, um den
diphtheritischen Prozess zum Stillstand und, wenn dies an den
folgenden Tagen konsequent wiederholt wird, zur raschen
Rückbildung zu bringen.
Befindet sich der Kranke im Hospital, dann kann die Pyo¬
zyanase, um die Heilung möglichst zu beschleunigen, auch
4 oder 5 mal im Tag und mehrmals während der Nacht in der
beschriebenen Weise angewendet werden.
Bei sehr schweren, lebensgefährlichen Fällen ist dringend
zu raten, wenigstens am ersten Tage die Pyozyanasezerstäu-
bung recht oft und auch mehrmals während der Nacht aus¬
zuführen.
Mit Ernst und Entschiedenheit, unter Umständen mit un¬
nachsichtiger Strenge muss der Arzt die unerlässliche Not¬
wendigkeit dieser umständlichen, Kind und Mutter anfangs —
wenn auch grundlos — aufregenden Prozedur darlegen und
betonen, dass dieser einzige mühevolle Tag das Kind nicht
nur vor schwerer Erkrankung und Tod bewahrt, sondern auch
einer raschen Genesung zuführt, während jede schwächliche
Konzession an das Mutterherz — bestehend in der Herab¬
setzung der Dosis oder der Zahl der Zerstäubungen — die
Befreiung von der Gefahr verzögert und den raschen und
prompten Verlauf der Heilung beeinträchtigt. Die Kosten eines
3 maligen ärztlichen Besuches an 3 — 4 Tagen stehen in keinem
Verhältnisse zu dem Nutzen, welchen der Kranke davon hat.
Ich wollte meine schon im Jahre 1900 begonnenen Unter¬
suchungen über die Wirkung der Pyozyanase bei 32 Di¬
phtheriefällen nicht veröffentlichen, bevor nicht das kompetente
Urteil hervorragender Kliniker über die Pyozyanasebehand-
lung der Diphtherie vorlag.
In der oben beschriebenen Weise hat nun Dr. Karl
Zucker in der k. k. Universitäts-Kinderklinik des Herrn
Prof. Meinh. Pfaundler in Graz die Pyozyanase bei Di¬
phtherie angewendet und die Pyozyanasebehandlung bei sehr
*) L i n g n e r hat den Escherichzerstäuber modifiziert und mit
Gummiball versehen. Gebrauchsanweisung in „Ueber Pyozyanase
und ihre Anwendung bei Infektionskrankheiten“. Bearbeitet in der
bakteriologischen Abteilung des Dresdener chemischen Labora¬
toriums Lingner. ......
schweren Fällen mit der Heilseruminjektion und mit der Dampf¬
inhalation vorteilhaft kombiniert.
Dr. Karl Zucker fasst das Ergebnis seiner mustergültigen
klinischen Beobachtungen von ausschliesslich mit
Pyozyanase — ohne Heilserum — behandelten Diphtherie¬
fällen in folgenden Sätzen zusammen:
1. Foetor ex ore verschwand in kurzer Zeit.
2. Die Körpertemperatur erreichte unter
Pyozyanasebehandlung nur relativ niedere.
Grade oder fiel bald zur Nor m a b. Die Temperatur
fiel bei Fall 1 innerhalb 24 Stunden von 40,1 auf 37,2° C, bei
Fall 3 von 38,1 binnen 3 Stunden auf 37,3 und blieb dann dau¬
ernd normal; ebenso wurde bei Fall 8 die Temperatur inner¬
halb 3 Stunden normal und blieb so; bei Fall 7 bewegte sich die
Temperatur an den beiden ersten Tagen zwischen 37,7 und 38,7,
,,dann dauernd afebril“ etc.
3. Das Allgemeinbefinden hob sich in kur¬
zer Zeit und war schon am 2. T age der Behand¬
lung ein relativ recht günstiges. Bei Fall 1 ist
bemerkt: „Der anfangs ungebärdige Patient war am 2. Be¬
handlungstage ruhiger und frisch“, bei Fall 2: Patient schon
am 2. Tage frisch und lebhaft'', bei Fall 3 nach 24 Stunden:
„Patient frisch, spielt“, bei dem schweren Fall 5: „Patient
24 Stunden nach der Aufnahme ziemlich frisch“, und nach
48 Stunden: „Patient sehr frisch, singt“, bei Fall 7 und 8: „Pa¬
tient vom 2. Tage frisch“ etc.
4. Die pseudomembranösen — fibrinösen —
Rachenbeläge verschwanden ziemlich rasch
am 3. o d e r 4. Behandlungstage. Bei Fall 2, bei dem
auf beiden Tonsillen und der hinteren Raohenwand ein dicker,
gelber, sukkulenter, fibrinöser Belag konstatiert wurde, war
schon am 2. Behandlungstage kein Tonsillenbelag mehr vor¬
handen und der Belag im Pharynx war in konzentrischem Ab¬
bau begriffen etc.
Dieses Verschwinden der Beläge geht, nach Professor
Pfaundler und Dr. Zucker, unter Pyozyanasewirkung
in anderer Art vor sich als unter dem Einfluss
des Diphtherieheilserums. „Bei spezifischer Be¬
handlung sieht man nämlich in der Regel nach eingetretener
Demarkation der sukkulent, glatt und glänzend bleibenden Re-
lagmassen ein Flottieren und weiterhin eine Abstcssung in
grösserem Verbände eintreten.“
„In unseren Pyozyanasefällen trat gleichfalls Demarkation
ein, jedoch folgte ihr weiterhin niemals eine Ablösung des
Belages in grösserem Anteil oder gar in toto, sondern vielmehr
ein gleichmässiges Abschmelzen von den Rändern und der
Oberfläche her, welch letztere gekörnt und trocken erschien.
Bei 13 sehr schweren, gleichzeitig mit Heilserum und Pyo¬
zyanase behandelten Fällen war der eigenartige
Typus der Membranabschmelzung noch neben
der Heilserum Wirkung erkennba r.“
„Mit den Belägen schwanden auch die subjektiven Er¬
scheinungen.“
Von grossem Interesse sind jene Fälle der Klinik des Herrn
Prof. Pfaundler, welche einen Vergleich der Pyozyanase-
und Heilserumbehandlung zulassen und in bezug auf welche
Dr. Zucker konstatiert, dass es sich um eine wiederholte
Erkrankung bei ein und demselben Kranken in Intervallen von
6 Jahren, sowie um denselben Typus des Infekts handelte und
dass sich der Verlauf der ersten Erkrankung bei Heilserum¬
injektion ungefähr gleich günstig gestaltete, wie der Verlauf der
2. Erkrankung unter Pyozyanasebehandlung.
Bei sehr schweren, Kinder von 2X> Jahren betreffenden
Fällen von Rachendiphtherie, absteigender Laryngotrachitis et
Bronchitis crouposa, die so oft letal ausgehen, führte die kom¬
binierte Heilserum- und Pyozyanasebehandlung zur Heilung:
so z. B. bei Fall 24, der wegen hochgradiger Dyspnoe inhibiert
und später tracheotomiert, sowie mit 3000 A.E. und 7 läge
hindurch mit Pyozyanasezerstäubung in die Kanüle und Pyo-
zyanase-Dampfinhalation — Siegel scher Apparat und
2 _ 3 ccm Pyozyanase jedesmal — ferner mit Ol. camphorat.
subkutan und 3 mal 2 gtt. Tinct. Stroph. behandelt wurde. Die
Körpertemperatur, anfangs 39,6, war vom 3. Jage ab normal,
raschgr Abbau der fibrinösen t Beläge aut den Ionsülen, Gau-
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
2220
menbögen, Uvula, hinteren Rachenwand, Rückgang der Bron¬
chitis und Decanulement am 7. Tag.
Solche Dampfinhalationen mit Pyozyanase wurden auf
Pfaundlers Klinik öfters bei schweren Fällen von Krupp
und Diphtherie angewendet. „Hierbei schien die fibrinöse
Bronchitis manchmal einen sonst ungewohnten Verlauf zu
nehmen, insoferne nämlich die Verflüssigung der Exsudat¬
massen im Bronchialbaum keine kennzeichnende physikalische
Erscheinung — namentlich feuchtes Rasseln — zur Folge hatte,
vielmehr eine , trockene Lösung1 zustande kam.“ Diese Er¬
gebnisse sind klar und bestimmt.
Die Arbeit Dr. Zuckers wird als ein Beispiel feiner,
durch die bakteriologische Diagnostik unterstützter klinischer
Beobachtung vorbildlich bleiben; denn nicht jeder ist imstande,
durch die Behandlung von 35 Diphtheriefällen zu entscheiden,
ob einem neuen Heilmittel ein untergeordneter oder ein her¬
vorragender Wert zukommt und ob dasselbe namentlich einem
so tausendfach bewährten und einzig dastehenden Heilmittel,
wie dem Diphtherieheilserum gegenüber gewisse Vorzüge be¬
sitzt, welche natürlich sehr erheblich sein müssen, wenn es
einem solchen Konkurrenten gegenüber das Bürgerrecht in
der Medizin erringen will.
Mit Recht betonen Prof. Pfaundler und Dr. Zucker,
dass die Pyozyanase nicht statt, sondern stets nur neben dem
Heilserum angewendet werden soll.
Ich teile nun im folgenden aus der grossen Zahl
der von mir im Laufe der letzten 6 Jahre behan¬
delten Fälle komplizierter — septischer — Diphtherie
einige Krankengeschichten mit, welche beweisen, dass die ge¬
schilderte Art der Pyozyanasebehandlpng auch bei der Strepto-
und Staphylokokkenkomplikation der Diphtherie lebens-
retten de Wirkungen entfaltet und dass die Unterlassung
derselben fehlerhaft wäre und ebenso beurteilt werden müsste,
wie die Unterlassung antiseptischer Massnahmen bei infizier¬
ten Wunden und bei drohender Sepsis.
(Schluss folgt.)
Aus der II. medizinischen Klinik in München (Direktor: Prof.
Friedrich v. Müller).
Influenzasepsis und experimentelle Influenzabazillen-
septikämie.
Von Dr. S a a t h o f f, Assistenzarzt.
Vom 22. August bis zum 7. September d. J. hatten wir
Gelegenheit, auf unserer Abteilung einen Fall von septischer,
letal endender Erkrankung zu beobachten, deren Aetiologie
intra vitam trotz mehrfacher Blutuntersuchung dunkel blieb.
Erst nach dem Tode konnte auf kulturellem und mikroskopi¬
schem Wege als Erreger der Influenzabazillus festge¬
stellt werden. Schwere Allgcmeinsymptoine und Broncho¬
pneumonie eröffneten den Krankheitsprozess, aus dem sich bald
meningitische Erscheinungen heraushoben; weiterhin be¬
herrschte eine unter unseren Augen fortschreitende Endokarditis
das Bild, bis zum Schlüsse ein hämorrhagisches Exanthem auf¬
trat, das an der Diagnose Sepsis kaum noch Zweifel bestehen
liess. Die Sektion ergab als Hauptbefund verruköse En¬
dokarditis, enorme Milzschwellung, hämor¬
rhagische Meningitis und Enzephalitis.
Dass der Influenzabazillus gelegentlich als Erreger von
wirklich septischen und pyämischen Erkrankungen
auftritt, ist eine Kenntnis, die wir erst der neueren Zeit ver¬
danken, wenn auch bisher nur wenige einwandsfreie Fälle be¬
kannt geworden sind. Noch spärlicher sind die Angaben über
Influenzaendokarditis mit nachgewiesenem Bazillen¬
befunde. In No. 38 der Berliner klinischen Wochenschrift hat
Spät aus der I. Prager medizinischen Klinik, unter Beifügung
eines eigenen, im ganzen sechs Fälle aus der Literatur zu¬
sammengestellt. Ausser diesen fand ich noch einen siebenten
von Weinberger1) aus der III. Wiener medizinischen Klinik
mitgeteilten. Keiner von diesen Fällen war jedoch von Enze¬
phalitis oder Meningitis begleitet. Aber noch aus einem an¬
deren Grunde verdient der unsere ein prinzipielles Interesse.
In fast allen beschriebenen Fällen fehlt das typische klinische
U Zeitschrift für klinische Medizin. 1907, Bd. 62. S. 457.
Krankheitsbild der Influenza, so dass man teilweise geneigt
war, diese Fälle von Sepsis und Endokarditis von der klini¬
schen Influenza zu trennen und sie vorläufig als Erkran¬
kungen aufzufassen, die nur durch hämoglobinophile, dem
Pfeiffer sehen ähnliche Bazillen erzeugt seien, eine Tat¬
sache, die natürlich die einheitliche ätiologische Stellung des
Influenzabazillus zu erschüttern imstande wäre.
Gegen diese Annahme scheint mir unser Krankheitsbild
deutlich zu sprechen. Wir sehen im Anfang die charakteristi¬
schen Influenzasymptome: Kopfschmerzen, Kreuzschinerzen
und starke Prostration. Zu diesen kommt dann die Pneumonie.
Nur entwickelt sich hier das Krankheitsbild auf hämatogenem
Wege weiter zur Endokarditis, Enzephalitis und Meningitis,
um sich zuletzt als vollendete Sepsis zu äussern.
Krankengeschichte und Sektion sbefund im
Auszüge:
St., 25 jährig, Bäcker. Früher ausser Darmentzündung und
leichtem Gelenkrheumatismus vor einigen Jahren nie krank. Ge¬
ringes Potatorium. Vor 4 Tagen mit Schüttelfrost und Fieber, star¬
ken Kopfschmerzen, besonders im Hinterkopf, und Kreuzschmerzen er¬
krankt. Vorgestern Bläschenausschlag an Mund und Nase. Vom
Arzt ins Krankenhaus geschickt.
Status (22. Aug. 07): Kräftig gebaut, gut ernährt. Herpes
labialis et nasalis. Leichter Rigor nuchae. Beim Drehen und Beu¬
gen des Kopfes starke Schmerzen im Hinterkopf und in den Augen.
Pupillenreaktion normal.
Rachen organe ohne Befund. Zunge belegt, wird zitternd
vorgestreckt.
Thorax gleichmässig ausgedehnt. Ueber dem rechten Unter¬
lappen tympanitischer Beiklang. Ueberall Vesikuläratmen, keine Ge¬
räusche.
Herz. Spitzenstoss im V. I.K.R., 1 Finger breit einwärts der
Mammillarlinie, nicht hebend. Dämpfung: relative links bis zur Mam-
millarlinie, sonst normal. Ueber der Mitralis unreiner 1. Ton. Puls
regelmässig, voll.
Abdomen. Im Epigastrium Druckempfindliclikeit. Leber nicht
vergrössert nachzuweisen. Höhe der Milzdämpfung 8 cm, Milz nicht
palpabel. Reflexe positiv. Eiweiss, Zucker, Diazo negativ.
Temperatur. Abends 39,9
Leukozyten: 6400.
24. Aug. Kopfschmerzen dauern an; schlechter Schlaf. R.H.U.
vereinzelte Rasselgeräusche. Im Röntgenbild ist die r.
Lunge verschwommen, das Herz nach rechts vergrössert.
27. Aug. Starker Rigor nuchae, Kernig +. L.H.U. Knister¬
rasseln. Albumen und Urobilinogen +. Leukozyten 14 000.
Salipyrin 3 mal 1,0 g. Auf lauwarme Bäder subjektive Besserung.
30. Aug. Lumbalpunktion: Druck 25 cm. Ziemlich klare
Flüssigkeit (25 ccm). Kochprobe minimale Trübung. Mikroskop:
rote und mässig zahlreiche polynukleäre weisse Blutkörperchen.
31. Aug. Dauernd schweres Allgemeinbefinden. Spitzenstoss
1 Finger breit ausserhalb der Mammillarlinie. Deutliches systo¬
lisches Geräusch über der Spitze. Lungen: Beiderseits
hinten unten geringe Dämpfung mit klingenden Rassel¬
geräuschen. Milz: Höhe 12 — 13 cm. Bauch ziemlich stark
gespannt.
2. Sept. Befinden unverändert. Nachts leichte Delirien. Ueber
der Herzspitze leises systolisches Schwirren fühlbar. Puls voll,
weich, dikrot, 122. Atmung 44. Leukozyten 15 000. B 1 u t k u 1 -
t u r e n negativ. Kollargolinjektionen.
5. Sept. Vereinzelte hämorrhagische stecknadelkopfgrosse
Flecken an Schulter und Rücken. Puls 140. Blutkulturen
negativ. Kochsalzinfusion, Kampher.
6. Sept. Purpura auf Hals und Brust in dichten Flecken aus¬
gebreitet. Sensorium benommen. Blutkulturen aerob und
an aerob steril.
Nachts Exitus.
Sektionsbefund. Zahlreiche, bis über erbsengrosse
weiche warzige Auflagerungen der Mitralis-, Trikuspidalis- und
Aortenklappen. Mässige Vergrösserung beider Ventrikel, trübe Mus¬
kulatur, 1. Ventrikel gut kontrahiert. Zahlreiche Ekchymosen unter
dem Endokard und im Myokard. Ekchymosen der Pleura. Kollaps,
Hyperämie und mässige Infiltration beider Unterlappen, vikariierende
Blähung beider Oberlappen. Rötung und Schwellung des Schlundes.
Lakunäre Zerklüftung beider Tonsillen mit eingeschlossenen Pfropfen.
Starke Leberschwellung mit parenchymatöser Degeneration. Hoch¬
gradig geschwollene, weiche Milz (19:12 cm). Trübe Nieren mit
kleinen anämischen Infarkten und Ekchymosen. Hämorrhagien des
Dünn- und Dickdarms mit Schwellung der Schleimhaut.
Einen auffallenden Befund bietet das Gehirn dar: Die weichfen
Hirnhäute sind sehr stark hämorrhagisch infiltriert, so dass die Kon¬
vexität wie in einen blutigen Mantel eingehüllt erscheint. Auch in
die Tiefe der Hirnwindungen setzen sich die Blutungen fort, zum
Teil in das Gehirn übergreifend und hämorrhagische bis kleinhasel¬
nussgrosse Herde bildend. Ausserdem sind Grosshirn, Klein¬
hirn und Brücke von zahlreichen miliaren bis erbsengrossen
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2221
Hämorrhagien durchsetzt, in deren näherer Umgebung die Hirnsub¬
stanz eine sehr weiche, fast zerfliessende Beschaffenheit zeigt.
Mikroskopischer Befund. Einbettung in Zelloidin und
Paraffin. Färbung mit Hämatoxylin-Eosin, Gram, Fuchsin, Löffler-
blau und Methylgriin-Pyronin.
Herz. Schwellung und parenchymatöse Degeneration der
Muskelfasern mit Vakuolenbildung. Periadventitielle und inter¬
stitielle, teils herdförmige, teils diffuse Infiltration mit polynukleären
Leukozyten ohne eitrige Einschmelzung. In diesen Herden feinste
gramnegative Stäbchen, teilweise intrazellulär gelagert.
Klappen der Mitralis und Aorta. Zellige Infiltration des
Grundgewebes mit polynukleären Leukozyten. Auf der Oberfläche
der Klappen feinkörnige Auflagerungen in die von der Basis her
Granulationsgewebe einzuwachsen beginnt. Der freie Rand der Be¬
läge ist umsäumt von dichten Bazillenherden, die hier besonders
typisch die für Influenzabazillen charakteristische Polfärbung er¬
kennen lassen. Kein geschwüriger Zerfall.
Hirn. Zahlreiche Blutungen der Hirnsubstanz, in deren Zen¬
trum teils mit Bazillen vollgestopfte Gefässe sich finden. An anderen
Stellen diffuse eitrige Infiltration mit beginnender Einschmelzung.
Hier liegen die Bazillen frei zwischen und in den Eiterkörperchen.
Leber. Das mikroskopische Bild ist insofern sehr eigentüm¬
lich, als die Pfortaderverzweigungen mit ihren Interstitien fast völlig
frei’ sind, während in den Leberläppchen selbst an vielen Stellen eine
starke eitrige Infiltration sich radiär von der Vena centralis aus¬
breitet, innerhalb deren die Leberzellen alle Stadien der Entartung
bis zum völligen Untergang zeigen. Dazwischen lassen sich die Bak¬
terien frei im Gewebe nachweisen.
Milz. Gewöhnliches Bild der Infektionsmilz. Bazillen sind
nicht sichtbar, trotzdem sie aus der Milz gezüchtet wurden und
auch mikroskopisch im frischen Ausstrich nachzuweisen waren.
Niere. Kleine anämische Infarkte in der Rinde, Blutungen im
Mark. In den erhaltenen Rindenpartien kleinzellige Infiltrate. . Da¬
neben unregelmässig verteilte, teils herdförmige, teils diffuse eitrige
Infiltration, innerhalb deren vereinzelte Bazillen nachzuweisen sind.
Tonsillen. Ohne besonderen Befund.
Lungen. (Unterlappen, infiltrierte Partien.) Freie Alveolen
nur noch vereinzelt sichtbar. Das übrige Gewebe teils kollabiert,
teils infiltriert. Hier und da ausgedehnte Hämorrhagien. Starke Des¬
quamation und Auftreibung der Alveolarendothelien. Ansammlung
von polynukleären Leukozyten, teils in den Alveolen, teils in den
Interstitien. Dazwischen stellenweise die Bazillen teils einzeln, teils
in kleinen Herden, zum Teil auch in kleinen Gefässen, scheinbar
Venenanfängen liegend. Die Bronchiolen sind mit Eiterzellen ge¬
füllt. zwischen denen in grosser Zahl die charakteristischen Gram¬
negativen Stäbchen lagern.
Hervorzuheben ist noch, dass sich ausser den Bazillen, die
überall das gleiche Aussehen hatten, nirgends andere Bakterien fan¬
den, auch nicht in den Bronchiolen.
Bakteriologischer Befund. Wie schon oben er¬
wähnt, war eine 3 malige Blutuntersuchung in den letzten Krankheits¬
tagen vergeblich gewesen; allerdings war nur auf Agar, nicht auf
Bouillon untersucht worden. Die völlig steril gebliebenen Bildplatten
wurden bei der Sektion mit Material aus Herzblut. Milz und
Tonsillen beschickt. Daneben wurden Bouillon-, Blutbouillon-.
Agar- und Aszitesagarkulturen angelegt.
Aus den Tonsillen der Leiche konnten keine charakte¬
ristischen Stäbchen isoliert werden. Das Herzblut blieb völlig
steril; auch nach 3 Tagen konnte aus dem Bodensatz der Blut¬
bouillon nichts nachgewiesen werden. Dagegen ging aus der Milz
auf den Blutagarplatten eine Reinkultur von zahlreichen, winzigen,
nicht konfluierenden, fast strukturlosen Kolonien auf. die ihr Wachs¬
tumsmaxinrum nach 24 Stunden erreichten. Der Blutagar wurde
mach 48 Stunden zunehmend leicht gelb-bräunlich verfärbt. D i e
übrigen Nährböden blieben vollkommen steril.
Die Kolonien bestanden aus feinsten, kurzen. Gram-negativen Stäb¬
chen, die eine geringe Neigung zur Fadenbildung zeigten. In den
Abstrichpräoaraten waren sie vielfach zu zweien und mehreren
parallel aneinändergelagert. Auch in der Folgezeit erwiesen sie
sich als exauisit hämoglobinophil und mussten somit als
Influenzabazillen angesprochen werden. Herr Prof. G r u -
b e r, Direktor des hygienischen Institutes, hatte die Liebenswürdig¬
keit. Kulturen und Präparate zu prüfen und die Diagnose zu be¬
stätigen.
Tierversuche. Da die Tierversuche bemerkenswerte Er¬
gebnisse zeigten, so teile ich sie hier mit. Vorausschicken möchte
ich, dass nach den bisherigen Beobachtungen anderer Autoren kon¬
stante Resultate nicht zu erzielen waren. Als das empfänglichste
Versuchstier hat sich nach dem Affen das Kaninchen erwiesen, bei
dem auf eine genügende intravenöse Dosis einer virulenten Kultur
starke Dyspnoe und lähmungsartige Schwäche der hinteren Ex¬
tremitäten eintritt. Eine Wiedergewinnung der Bakterien aus den
Organen und dem Blute ist fast immer misslungen, so dass die Er¬
scheinungen nicht auf Infektion, sondern auf Intoxikation
zurückgeführt wurden, wobei die Bazillen schnell zugrunde gehen.
Dagegen konnten K o 1 1 e und D e 1 i u s nachweisen, dass bei
intraperitonealer Injektion, besonders beim Meer¬
schweinchen, sich die Bazillen vermehren und vom Peritoneum aus
ihre Giftwirkung äussern. Weiter fand Jakobsohn2), der mit
den Pfeifferschen Bazillen allein keine oder nur geringe Re¬
sultate hatte, dass bei gleichzeitiger Injektion von In¬
fluenzabazillen und a b g e t ö t e t e n Streptokokken die
Mäuse an S e p t i k ä m i e zugrunde gingen und dass aus ihrem Blute
die spezifischen Bazillen gezüchtet werden konnten.
Meine eigenen Versuche hatten folgende Resultate: Eine mehr¬
malige Impfung bei Kaninchen und Meerschweinchen intravenös
und intraperitoneal blieb ergebnislos. Allerdings waren die ver¬
wendeten Dosen infolge des äusserst zarten Wachstums der Kolo¬
nien kaum grösser als eine halbe Normalöse. Etwas mehr Erfolg hatte
ich mit Mäusen. Aber auch diese zeigten keine charakteristischen,
sondern nur unbestimmte Krankheitssymptome, von denen sie sich
in der Regel nach 12 Stunden wieder völlig erholt hatten. Zuletzt,
als ich schon die Versuche aufgeben wollte, machte ich noch unter
wenig aseptischen Massnahmen eine intraperitoneale Injektion bei
einer Maus. Diese zeigte nach etwa 5 Stunden die beschriebenen
charakteristischen Symptome und ging nach 48 Stunden ein. Aus
Milz und Blut gingen zahlreiche Influenzakolonien auf, aber daneben
in noch grösserer Anzahl üppige Kolonien eines feinen, Gram-negativen,
auf sämtlichen Nährböden wachsenden Bazillus, der auf Lackmus¬
agar geringe Säurebildung zeigte, Traubenzucker vergor und Neu¬
tralrotagar erst nach 72 Stunden entfärbte.
Von der Influenzakultur nach dieser ersten Tierpassage erhielt
eine Maus etwa t-i-Normalöse intraperitoneal. Nach Vs Stunde
machte sie einen kranken Eindruck, der sich nach 8 Stunden noch
gesteigert hatte. Nach 24 Stunden war sie wieder vollkommen er¬
holt. Das auf der Höhe der Krankheit entnommene Blut blieb steril.
Eine zweite Maus erhielt etwa Vt Oese Influenza und die gleiche
Menge des begleitenden Stäbchens. Sie war nach 30 Minuten schwer
krank und starb nach 5 Stunden. Aus dem Herzblute und der Milz
konnten wieder beide Bakterien isoliert werden.
Zur Prüfung der Virulenz des Begleiters wurde dieser allein für
sich einer dritten Maus eingeimpft. Diese starb ebenfalls nach 5 bis
6 Stunden.
Weiter wurden dann Impfungen vorgenommen mit Influenza und
einer gleichen Menge des durch Hitze abgetöteten Begleiters. Die
Mäuse gingen nach 12 bis 24 Stunden ein; regelmässig konnten In¬
fluenzabazillen aus Milz und Blut gezüchtet werden. Ebenso fielen
die Versuche positiv aus, wenn mit lebenden Pneumokokken zu¬
gleich geimpft wurde.
Auch die Resultate von Jakobsohn konnte ich bestätigen.
Wenn man Streptokokken, die eine halbe Stunde bei 60° gehalten
waren, zugleich mit Influenza (ie Vs Oese) injizierte, so starb die
Maus nach 24 Stunden und aus Milz und Blut gingen Influenzabazillen
in sehr zahlreichen Kolonien auf. Alle diese Impfungen waren intra¬
peritoneal; eine subkutane Injektion wurde von einer Maus über¬
standen, während eine andere mit derselben Menge geimpfte nach
5 Stunden zu gründe ging.
Nachdem so durch mehrere Tierpassagen der Stamm in seiner
Virulenz gesteigert war, wurde wieder einer Maus eine Rein-
‘ k u 1 1 u r von Influenza, ca. Vs Normalöse eingespritzt, und jetzt
trat nach 24 Stunden durch Septikämie der Tod ein. Aus Milz und
Blut wuchsen Influenzabazillen in reichlicher Menge.
Eines war bei allen Versuchen, in denen Influenzabazillen
rein oder mit abgetöteten Bakterien zusammen verimpft wurden,
auffallend, dass man nämlich, trotz sorgfältiger Massnahmen
bei der Injektion, den Influenzabazillus fast nie ganz rein wieder¬
fand. Aus dem Blute allerdings ging er in den letzten Fällen
gänzlich rein auf, aber in der Milz fanden sich bei mikroskopi¬
scher Untersuchung desto mehr verunreinigende Begleiter, be¬
sondere Staphylokokken, die auch auf den Platten in mehr oder
weniger grosser Menge wuchsen. Dafür dürfte folgender Er¬
klärungsversuch naheliegen: Ebenso wie andere Bakterien dem
Influenzabazillus den Eintritt in das Blut erleichtern, unter
Umständen — wie z. B. bei den Tierinfektionen — erst möglich
machen, so bereitet dieser anderen Mikroorganismen günstige
Existenzbedingungen, ein Gegenseitigkeitsverhältnis, das mit
den klinischen Beobachtungen bei Influenza, insbesondere bei
der Bronchopneumonie, aufs beste im Einklang steht.
Eine Frage, die den Bakteriologen und den Kliniker gleich-
mässig interessiert, ist die nach dem kulturellen Nachweis der
Bazillen im Blute des erkrankten Menschen, die ja neuerdings
bei verschiedenen anderen Infektionskrankheiten eine grosse
Rolle spielt. Bekanntlich ist es Pfeiffer und zahlreichen
anderen Forschern nicht geglückt, den Erreger der Influenza im
Blute nachzuweisen, so dass angeblich positive Befunde grossen
Zweifeln begegneten. Auch Beck in K o 1 1 e - Wasser¬
manns Lehrbuch (1903) hält noch an diesem Standpunkt fest.
Er schreibt, dass bis jetzt eine Züchtung der Pfeiffer sehen
Stäbchen aus dem Blute nicht einwandsfrei gelungen sei. Un-
2) Zitiert nach Beck aus Kolle-Wassermanns Hand¬
buch.
2222
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
terdcssen ist aber eine Anzahl von anscheinend völlig sicheren
Fällen mit kulturellem Nachweis der Bazillen im Blute bekannt
geworden, sodass an dessen Vorkommen nicht wohl mehr ge-
zweifelt werden darf. An seiner Seltenheit allerdings ändert
das nichts, und deshalb erscheint es geboten, in Fällen von
Sepsis mit negativem Blutbefunde an Influenza zu denken und
eventuell nach dem Tode die Diagnose zu sichern. Hypo¬
thetisch liesse sich der eben erwähnte Widerspruch nach Ana¬
logie der Tierversuche dahin aufklären, dass der Influenza¬
bazillus für sich allein primär im Blute keinen dauernden Fuss
fassen kann, dass ihm aber unter Umständen durch ein anderes
Bakterium, das vielleicht später wieder eliminiert wird, die
Existenzbedingungen im Blute geschaffen werden, bis er sich
hier akklimatisiert hat. Von diesem Gesichtspunkte aus würde
sich auch unser viermaliger vergeblicher Züchtungsversuch aus
dem Blute erklären: Es handelte sich eben, wie aus dem mikro¬
skopischen und bakteriologischem Befunde hervorgeht, in un¬
serem Falle um eine absolut reine Influenzainfektion.
Aber nun erhebt sich sofort die Frage: Ist denn das vor¬
liegende Krankheitsbild wirklich als septisches aufzufassen,
wenn die Erreger im Blute nicht nachgewiesen sind? Dass
sie da waren, kann keinem Zweifel unterliegen; schon die Endo¬
karditis ist nicht anders zu erklären. Dass aber auch später
der Organismus häufiger von ihnen überschwemmt sein muss,
ergibt sich aus ihrem Nachweise in allen untersuchten Or¬
ganen. Die Quelle für diese sekundären Infektionen dürfte vor
allem in den endokarditischen Auflagerungen zu suchen sein.
In zweiter Linie kommt aber auch die Lunge in Betracht, von
der wohl zweifellos die erste Bazilleneinfuhr in das Blut ausge¬
gangen ist. Jedenfalls ist der Schluss unabweisbar, dass
lebende Influenzabazillen im Blute gekreist haben. Dass sie
sich in diesem Falle, wie auch in den meisten anderen, der
Züchtung entzogen haben, ist für die Beurteilung der Frage
irrelevant.
Was nun zum Schlüsse noch das anatomische Bild der
Endokarditis anlangt, so ist es mir aufgefallen, dass alle sieben
bisher beschriebenen Fälle, soweit aus der Beschreibung zu
entnehmen war, der verrukösen Form angehören. Wenn
Spät von ulzeröser Endokarditis spricht, so ist das wohl nur
ein Versehen, da er ausdrücklich schreibt: ,,. . . fanden sich am
freien Rande der Mitralklappen grosse blumenkohlartige, war¬
zige, weiche Protuberanzen . . .“. Sollte sich dieses Verhalten
auch weiterhin bestätigen, so wäre das ein Punkt von kli¬
nischer Bedeutung. Denn die an Influenza sich anschliessende*
Endokarditis ist durchaus kein seltener Befund, wenn auch der
positive Bazillennachweis erst der neueren Zeit angehört.
Leichte n stei n zählt in seiner Monographie der Influenza
(Nothnagels Handbuch 1896) eine ganze Reihe von Autoren,
darunter auch Gerhardt, auf, die Endokarditis als Folge der
Influenza beschrieben haben. Allerdings nimmt er für die Mehr¬
zahl eine Mischinfektion, namentlich mit Streptokokken an.
Die Bedeutung des vorliegenden Falles möchte ich noch
einmal dahin zusammenfassen, dass er — vielleicht, zum ersten
MMe • - in ein wandsfreier Weise zeigt, dass eine typisch be¬
ginnende Influenza über Bronchopneumonie, Endokarditis En¬
zephalitis und Meningitis in eine vollentwickelte Sepsis hintiber-
führen kann, unter der alleinigen Aetiologie des
P f e i f f e r s c h e n B a z i 1 1 u s.
Aus der I. medizinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor:
Exzellenz v. L e y d e n).
Experimentelle Hypertrophie der Langerhansschen
Pankreasinseln bei der Phloridzinglykosurie.*)
\ on Prob Pr. Paul Lazarus, bisher I. Assistent der Klinik,
z. Z. dirigierender Arzt der inneren Abteilung am Marien¬
krankenhause (Berlin).
Ich erlaube mir über Versuche zu berichten, welche die
Histiogenese des experimentellen Diabetes betreffen. Zu diesen
Versuchen habe ich Meerschweinchen durch monatelange
Phloridzin- oder Adrenalinbehandlung diabetisch gemacht. Das
Phloridzin wurde den Tieren entweder subkutan verabfolgt,
U Demonstration im Verein für innere Medizin zu Berlin am
22. Juli 1907.
1 cg pro die durch ca. 100 Tage, oder per os verfüttert, durch
8 Monate fast täglich 1 g. Das Adrenalin wurde den Tieren
2 — 3 mal in der Woche in der Dosis von Vio — 3Uo mg ein¬
gespritzt. Ich will mich an dieser Stelle nur auf die Mitteilung
der Resultate beschränken und diese durch die beigefügten
Zeichnungen ergänzen.
Die klinischen Erscheinungen der Phloridzinvergiftung be¬
standen in der bekannten Glykosurie; sie betrug ca. 0,4 Proz.
pro die, mittels der Gärungsprobe, nicht mit der Polarisations¬
methode bestimmt, da das Phloridzin linksdrehend wirkt. Da¬
von kann man sich zuweilen auch beim Diabetes des Menschen
überzeugen, wo eine subkutane schwache Phloridzininjektion <•
eine scheinbare Abnahme, selbst ein Verschwinden des Rechts¬
drehungsvermögen des Harns herbeiführen kann, während die
Gärungsprobe das Vorhandensein des Zuckergehaltes anzeigt.
Die weiteren Erscheinungen der Phloridzinglykosurie bestan¬
den in einer langsam fortschreitenden Kachexie und Ab¬
magerung (besonders bei Ueberwiegen der Brot- über die Kohl¬
nahrung), welche schliesslich bis zu einem 30 — 40 Proz. be¬
tragenden Gewichtsverluste der Tiere führte.
Im Gegensätze zu diesem namentlich das Fettge¬
webe und die Muskulatur betreffenden Gewebsschwunde
steht die bei allen Versuchstieren ausnahmslos ge¬
fundene, beträchtliche Hypertrophie des Pan¬
kreas und der Nebennieren, wovon dieses Prä¬
parat ein Beispiel gibt (Demonstration). Es entstammt einem
8 Monate lang mit Phloridzin gefütterten Tiere; das Pankreas
ist verdickt und derart verlängert, dass es, entspannt, von der
Duodenalschlinge bis ins kleine Becken herabreicht. Auch
die Nebennieren sind derart hypertrophisch, wie man es sonst
fast nur bei der Diphtherie zu sehen pflegt. Diese Vergrös-
serung des Pankreas beruht — wie die histologische Unter¬
suchung zeigte — auf einer ziemlich gleichmässig über
das ganze Organ verbreiteten, hochgradigen, Hyper¬
trophie und Hyperplasie der Langerhans¬
schen Gefässinseln. Die Inselzahl ist gegenüber der
Norm um das 2 — 10 fache vermehrt. Zum Vergleiche sind
Präparate vom normalen Meerschweinchenpankreas (auch
im Stadium der Hungerperiode) ausgestellt, in denen
man suchen muss bis man eine Insel trifft. Fig. 1
Fig. 1.
Phloridzinpankreas; Inselhyperplasie.
zeigt ein Phloridzinpankreas mit einem Komplex von
32 Inseln in einem Gesichtsfeld (Vergr. Leitz ()k. 1, Obj. 2).
Die Inseln sind meist rund, liegen teils in der Mitte, teils in
der Peripherie der Läppchen, heben sich von dem umgebenden
Drüsengewebe ab durch ihre scharfe Umgrenzung, durch ihre
hellere Färbung, durch das homogene Zellprotoplasma, durch
die auffallende Blutfüllung und den Kapillargefässreichtum (s.
Fig. 3, Leitz Ok. 3, Obj. ,5). Nebst der Vermehrung
ist die Vergrösserung der Inseln bemerkenswert, welche
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2223
so weit gehen kann, dass man sie bereits mit freiem
Auge als gelbweisse Punkte erkennen kann. Derartige Riesen¬
inseln sind auf Fig. 2 (Ok. 1, Obj. 5 Leitz) abgebildet; zu¬
weilen füllt sogar eine Riesenimsel bei mittlerer Vergrösserung
Fig. 2.
Phloridzin pankreas; Rieseninseln.
(Ok. I, Obj. IV) das ganze Gesichtsfeld aus. Die Vergrös¬
serung ist zurückzuftihren teils auf die sehr reichliche Vasku¬
larisation (Fig. 3), teils auf die erhebliche Vermehrung der
Fig. 3.
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Phloridzinpankreas; InseFhyperämie, Kapillar-
gefässe beträchtlich vermehrt.
Inselzellen. Diese sind in ihrer Struktur ungefähr normal;
es sind beide Zellarten vertreten : die lymphozy toid.e n
Zellen mit grossem, chromatinreichen, mit Härnatoxylin sich
dunkel färbenden Kern und die epitheloide n, den Gefäss-
kapillarcn eng anliegenden Zellen mit homogenem, sich mit
Eosin schwächer als die körnigen Acinuszellen sich färbenden
Zelleibe mit dem bläschenförmigen grossen Kern und mit 1 bis
mehreren Kernkörperchen. Das intrainsulare Bindegewebe ist
nur sehr gering entwickelt, ebenso ist eine periinsulare Binde-
gewebskapsel nicht nachweisbar. Das umgebende sekretori¬
sche Gewebe und die Ausführungsgänge zeigen ausser Hy¬
perämie keine Zeichen von Entzündung oder Degeneration.
Bemerkenswert ist ferner die Arteriosklerose bei der
Phloridzinglykosurie; insbesondere bietet die Aorta abdominalis
das Bild der Endarteriitis hypertrophica; die Intima zeigte teils
knötchenförmige Verdickungen, teils schollige Stellen. Die
Media ist stellenweise vakuolisiert. Dieses Zusammentreffen
ist von Interesse für das Verständnis der auch beim mensch¬
lichen Diabetes häufigen Kombination mit Arteriosklerose.
Die Gewebsveränderungen bei der Adrenalinglykosurie
sind ähnlich, wenn auch nicht so ausgesprochen wie
bei der Phloridzinglykosurie. Weitere Versuche müssen
lehren, ob nicht auch andere Gifte oder Kachexien an
sich ein derartige Hypertrophie der Pankreasglomeruli
bewirken können. Die bereits jetzt gefundenen J atsachen
sprechen ;
1. Für die funktionelle und anatomische
Selbständigkeit der Gefässinseln, welche sich
scharf vom umgebenden Drüsengewebe absondern.
2. Für die experimentelle Möglichkeit, die Pankreas¬
inseln isoliert zu vermehren, zu v e r g r ö s s e r n
und zu hyperämisieren. Die Inselhyperplasie ist als
eine anatomische Gewebsreaktion beim Phloridzindiabetes an¬
zusehen.
3. Für die Wahrscheinlichkeit der Annahme, dass die Ge¬
fässinseln bedeutsame Faktoren bei der Regulation des Zuckei-
stoffwechsels darstellen. Die Möglichkeit ist nicht von dei
Hand zu weisen, dass beim Phloridzindiabetes die Inseln ent¬
sprechend der Erhöhung ihrer regulatorischen Aufgaben funk¬
tionell derart überlastet werden, dass sie hypertrophieren (Ar¬
beitshypertrophie). Der Phloridzindiabetes ist wohl zu schei¬
den vom menschlichen Diabetes; bei ersterem haben wir Hy¬
poglykämie mit Inselhypertrophie, bei letzterem
Hyperglykämie und häufig Inselschwund. Zu¬
weilen haben Phloridzininiektionen bei Diabetischen eine
vorübergehende Abnahme des Zuckergehaltes zui Folge. ^
und wie durch die hypoglykämischen Eigenschaften dei Phlo¬
ridzinvergiftung die echt diabetische Hyperglykämie beeinflusst
wird, ist gegenwärtig noch nicht zu entscheiden. Als experi¬
mentell erwiesen darf jedoch die Tatsache gelten, dass wii die
Pankreasglomeruli durch Phloridzin zur Hypertrophie bungen
können, in ähnlicher Art wie andere Drüsen unter Jodgebrauch
schwellen können. Inwieweit wir auf diesem Wege im stände
sein werden auch beim Diabetes des Menschen die Langer-
h ans sehen Inseln zu hyperaktivieren, müssen weitere thera¬
peutische Versuche lehren.
Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik in München (Vorstand;
Prof. M. Pfaundler).
Experimentelle Beiträge zur Frage der künstlichen
Säuglingsernährung.*)
Von Privatdozent Dr. Ernst Moro, Assistent der Klinik.
Zur Entscheidung der Frage, ob die Ernährung mit Frauen¬
milch auch im Tierdarm die für das Brustkind charakteristische
Bakterienflora erscheinen lässt, ging ich im Jahre 1905 zum
ersten Male daran, jungen Versuchstieren abgedruckte Frauen¬
milch aus der Flasche zu verabreichen. Dabei machte ich die
Beobachtung, dass bei dieser Ernährungsweise wenige Jage
alte Meerschweinchen und Kaninchen binnen kurzer Zeit last
ausnahmslos zugrunde gingen.
Bei jungen Hunden war der Ernährungserfolg mit Frauen¬
milch insofern ein wesentlich besserer, als die Tiere dabei am
Leben erhalten werden konnten; ihr Ernährungszustand blieb
iedoch während der ganzen Versuchsdauer von -8 Tagen ein
sehr schlechter, was sich neben dem elenden Aussehen dei
*) Nach einem auf der Naturforscherversammlung in Dresden
gehaltenen Vortrag. — Die Kaninchenversuche wurden in Gemein¬
schaft mit Frau Dr. M. Engelhard ausgeiulnt.
2224
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Tiere auch in der vollständig flachen Kurve ihres Körper¬
gewichtes äusserte, während die mit den gleichen Mengen
von Kuhmilch ernährten Kontrollhunde glänzend Zunahmen.
Im heurigen Frühjahr nahm ich gemeinsam mit Frau Dr.
M. Engelhard die Versuche an Kaninchen und Meer¬
schweinchen wiederum in Angriff. Dabei bestätigte sich meine
frühere Beobachtung und es ergab sich ausserdem, dass ebenso
wie die Frauenmilch, auch die Ernährung mit Kuhmilch,
gleichgültig ob roh oder sterilisiert verabreicht, auf die jungen
I iere einen deletären Einfluss ausiibte. Das Bild der Krank¬
heit, die sich bei den Versuchstieren, offenbar als die Folge der
Kuhmilchernährung einstellte, war bei den beiden Tierarten
ein verschiedenes.
Die Kaninchen begannen trotz gieriger Nahrungsaufnahme
rapid abzumagern. Das Fell der Tiere wurde struppig, die
Ohren hingen schlaff herab; der normale Gewebsturgor
schwand. Das Abdomen war mächtig aufgetrieben und ge¬
spannt. Die Versuchstiere bekundeten bis an ihr Lebensende
eine im Vergleich zu den Kontrollkaninchen gesteigerte Leb¬
haftigkeit in ihren Bewegungen, obgleich die zarten und stark
verkrümmten Extremitätenknochen schliesslich kaum mehr im¬
stande waren die Last des Körpers zu tragen. Die Kuhmilch¬
krankheit der jungen Kaninchen, die, von diesen Symptomen be¬
gleitet, nicht vor dem 6. — 8. Fütterungstage in Erscheinung trat,
nahm hier einen ausgesprochen chronischen Verlauf und führte
erst nach Ablauf von mehreren Wochen allmählich den Tod
der Tiere herbei.
Bei den jungen Meerschweinchen setzte hingegen die Kuh¬
milchkrankheit schon am 3. — 4. Versuchstage ganz akut ein.
Die Meerschweinchen verloren plötzlich die Trinklust, die Ge¬
wichtskurve stürzte rapid ab, das Fell der Tiere sträubte sich;
zudem stellten sich im Bereiche der hinteren Extremitäten klo¬
nische Krämpfe ein, die in einigen Fällen schliesslich einer
kompletten Lähmung dieser Körperpartien wichen. Unter
diesem stürmisch verlaufenden Krankheitsbilde verendeten die
Tiere regelmässig schon innerhalb weniger als 24 Stunden.
Die Obduktion ergab makroskopisch keinen besonders, be¬
merkenswerten Befund; nur bei den Kaninchen konnte neben
der allgemeinen Atrophie regelmässig eine auffallend starke
Gasblähung des Magens und Kolons festgestellt werden.
Die Frage nach dem Wesen, der bei den Kaninchen infolge
der Kuhmilchverfütterung aufgetretenen schweren Ernährungs¬
störung führte uns vor allem zur Erwägung dessen, dass den
jungen 1 ieren eine relativ sehr kalorienarme Nahrung zugeführt
wurde; denn bekanntlich ist die Kaninchenmilch ca. 3 mal ka¬
lorienreicher als die Kuh- und Frauenmilch. Mit Rücksicht da¬
rauf stellte Frau Dr. Engelhard an Kaninchen Fütterungs¬
versuche mit „konzentrierter“ Kuhmilch an, die durch Sahne-,
Nutrose- undSalzzusatz demKalorienwert und der quantitativen
Zusammensetzung der Kaninchenmilch, sowie ihrem Gehalt an
plastischen Nährstoffen annähernd entsprach. Sechs derartige
Kaninchenversuche förderten jedoch das gleiche Ergebnis zu¬
tage wie die früheren, mit dem einzigen Unterschied, dass bei
2 1 ieren die Kuhmilchkrankheit etwas später einsetzte und erst
nach Ablauf von 3 — 4 Wochen zum Tode führte. Insbesondere
aber spricht die Tatsache, dass die meisten Versuchstiere bei
der Kuhmilchernährung anfänglich gut Zunahmen und, dass die
1 nanition bei den Kaninchen unter einem ganz anderen Bilde
verläuft, gegen die Vorstellung, dass es sich hier um die Folge¬
erscheinungen einer Unterernährung gehandelt haben könnte.
Bei den Meerschweinchen kam im Hinblick auf den raschen
Eintritt und Verlauf der Kuhmilchkrankheit eine derartige An¬
nahme überhaupt nicht in Frage. Im Uebrigen gelang es mir,
neugeborene Meerschweinchen schon von den ersten Lebens¬
tagen an mit einer sehr kalorienarmen Nahrung, nämlich bei
ausschliesslicher, knapp bemessener vegetabiler Kost am Leben
zu erhalten.
Die bei den Versuchstieren beobachteten Krankheitsbilder
erinnern in ihren groben Umrissen an zwei häufige Typen von
Ernährungsstörungen künstlich ernährter Säuglinge: an die
Atrophie und an die sog. Cholera infantum.
1 Üe Kuhmilchkrankheit der Meerschweinchen trägt zweifel¬
los den Charakter einer „alimentären I n t o x i k a t i o n“
an sich; und eine wesentlich gleiche Stoffwechselstörung dürfte
auch der bei den Kaninchen aufgetretenen, chronischen Er¬
krankung zu gründe liegen.
Die Versuche sind vor allem deshalb von Interesse, 'weil
sie zeigen, dass es auf relativ einfache Weise gelingt, tier¬
experimentell Krankheitsformen zu erzeugen, deren genaueres
Studium für die Erforschung der Ernährungsstörungen im Säug¬
lingsalter vielleicht von Bedeutung sein kann. Der Grund, wa¬
rum bisher das Tierexperiment in allen derartigen Fragen fast
vollkommen im Stiche liess, ist meiner Meinung nach nur in
der ungeeigneten Wahl der Versuchsobjekte gelegen. Die in
Rede stehenden Ernährungsstörungen sind eben für die Säug¬
lingsperiode besonders charakteristisch und der gewünschte
Erfolg tritt, nach meinen Erfahrungen, nicht ein, wenn zu den »
einschlägigen Versuchen Tiere verwendet werden, die nicht
mehr ausschliesslich oder wenigstens vorwiegend auf die Er¬
nährung an der Mutterbrust angewiesen sind. *)
Ferner geht aus den Meerschweinchenversuchen
hervor, dass an dem Zustandekommen des bei der
Kuhmilchernährung eingetretenen Krankheitsbildes den
Darmbakterien eine wesentliche Rolle zugeschrieben
werden müsse. Dieser Schluss ergibt sich von selbst,
wenn wir unsere Ergebnisse mit jenen vergleichen, die
N u 1 1 a 1 1 und 1 hierfelder bei ihren, aus anderen Grün¬
den vorgenommenen Versuchen gewonnen haben. Diesen bei¬
den Forschern gelang es bekanntlich, steril zur Welt gebrachte
und unter sterilen Verhältnissen gehaltene Meerschweinchen
bei Kuhmilchernährung 13 Tage lang am Leben zu erhalten.
Ich führte nun, mit spezieller Berücksichtigung der von Nut¬
tal 1 und Thierfelder angegebenen Vorschriften, analoge
Fütterungsversuche mit sterilisierter Kuhmilch an Meer¬
schweinchen aus, die unter natürlichen Verhältnissen geboren
wurden und erhielt bisher immer das gleiche Resultat — die
Tiere gingen am 4. — 5. Lebenstage, unter den Erscheinungen
der Intoxikation zu gründe. Da der Unterschied zwischen den
beiden Versuchen im Wesentlichen wohl nur darin bestand,
dass in dem. einen Falle der Darm keimfrei war, während er
im anderen Falle eine allerdings von vornherein aphysiologische
Bakterienflora beherbergte, so ergibt sich daraus mit Not¬
wendigkeit, dass die Tätigkeit der Darmbakterien mittelbar
als ätiologischer Faktor der bei den Meerschweinchen aufge¬
tretenen akuten Ernährungsstörung verantwortlich gemacht
werden musste.
Als das einzige ursächliche Moment kommen jedoch die
Darmbakterien wahrscheinlich auch nicht in Betracht. Dafür
spricht unsere weitere Beobachtung, dass bei mässigem Allai-
tement mixte mit der arteigenen Milch die Tiere auf Kuhmilch
nicht merklich reagierten und, dass bei einsetzender Kuhmilch¬
krankheit das Anlegen der Jungen an die Mutterbrust die be¬
drohlichen Symptome in einer Zeit zum Schwinden brachte, die
wegen ihrer kurzen Dauer eine radikale Umstimmung der
Darmflora nicht herbeigeführt haben konnte.
Ausserdem konnte ich feststellen, dass im Beginne der
Krankheitserscheinungen, in einem Stadium, wo die Tiere noch
imstande waren selbständig Nahrung aufzunehmen, die Verab¬
reichung von Vegetabilien einen überraschend günstigen Er¬
folg zutage förderte. Diese Beobachtung führte mich dazu,
auch bei einigen, an akuten Ernährungsstörungen erkrankten
Säuglingen, als passagere Diät, die, ausschliessliche Verab¬
reichung von Gemüsesuppen zu versuchen, eine Massregel, die
sich uns in mehreren Fällen recht gut bewährt hat.
Die Feststellung der bereits früher erwähnten Tatsache,
dass es gelingt, junge Meerschweinchen schon von den ersten
Lebenstagen an, ohne Muttermilch, bei ausschliesslicher vege¬
tabiler Nahrung am Leben zu erhalten, veranlasste mich weiter¬
hin zur Anstellung ausgedehnter Versuchsreihen, deren Er¬
gebnis den Einfluss der Säugungsdauer auf das Schicksal und
D Die „Periode der extrauterinen Abhängigkeit“ (Hambur¬
ger) von der Mutter ist sowohl beim Kaninchen, als auch beim Meer¬
schweinchen eine sehr kurze; beim Kaninchen dauert sie etwa 2 bis
3 Wochen, beim Meerschweinchen längstens 9 Tage. Allerdings
trinken die Jungen noch über diesen Zeitraum hinaus (bis zum Alter
von 4 bis 6 Wochen) an der Brust des Muttertieres; allein ihre Er¬
nährung ist in dieser Zeit bereits eine vorwiegend vegetabile und es
hat die Zufütterung der Muttermilch nach Ablauf dieser Frist auf das
weitere Gedeihen der 1 iere anscheinend keinen wesentlichen Einfluss
mehr.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2225
auf die spätere Entwicklung der Tiere demonstrieren sollte. Zu
derartigen Versuchen eignet sich das Meerschweinchen ganz
besonders, da die Körpergewichtskurve der unter natürlichen
Lebensbedingungen aufwachsenden Tiere einen so regel¬
mässigen Verlauf nimmt, dass man, bei bekanntem Geburts¬
gewicht, aus dem jeweiligen Körpergewicht allein, zu-
mindestens innerhalb der ersten Wochen, den Lebenstag der
Tiere mit ziemlicher Sicherheit zu bestimmen vermag.
Die Versuche wurden so angeordnet, dass eine Reihe von
Tieren, mit annähernd gleichem Geburtsgewicht (50 — 60 g) bald
nach der Geburt und zwar vor jeglicher Nahrungsaufnahme,
und weitere Tierreihen nach Ablauf von 1, 3, 5, 7 Lebenstagen
vom Muttertier isoliert, in Einzelkäfige gebracht und mit vege¬
tabiler Kost bedacht wurden. Den isolierten Tieren wurde
jedesmal ein älteres, nicht milchgebendes Meerschweinchen
mitgegeben, das den Jungen als Wärmequelle dienen sollte.
Von den Tieren, die niemals an der Brust waren, starben
80 Proz., von den nach 1 mal resp. 3 mal 24 Stunden isolierten
Tieren nur mehr 30 Proz. resp. 10 Proz., während alle übrigen
Tiere am Leben verblieben. Das rapide Absinken der Mor¬
talität bei jenen Tieren, die einen einzigen Tag an der Mutter-
brust genährt wurden, zeigt zur Genüge, wie wichtig eine, wenn
auch noch so knapp bemessene Säugungsdauer für das fernere
Schicksal der Tiere war.
Noch deutlicher wie aus der Mortalitätsstatistik geht diese
Tatsache aus der nebenstehenden Tabelle hervor, die die täg¬
lichen Gewichtsschwankungen der am Leben verbliebenen Ver¬
suchstiere in Durchschnittswerten graphisch darstellt.
Die täglichen Wägungen wurden nur bis zum 28. Lebens¬
tage ausgeführt und die nächste Wägung erfolgte erst nach
2 Monaten. Die erste Punktreihe markiert den 21. Lebens¬
tag als jenen Termin, an dem die natürliche Säugungsdauer
beim Meerschweinchen in der Regel bereits abgeschlossen ist.
Körpergewicht in g.
Aus der Tabelle ist besonders deutlich der nachhaltig gün¬
stige Einfluss ersichtlich, den eine, obgleich nur durch zwei
Tage länger fortgeführte Brusternährung auf die weitere Ent¬
wicklung der Tiere genommen hat.
Die vorgeführten Versuche illustrieren in ihren allgemeinen
Ergebnissen die volle Berechtigung jener Lehre in der Phy¬
siologie der Säuglingsernährung, die einer, wenngleich nur auf
die ersten Lebenswochen beschränkten natürlichen Ernährung
einen grossen Einfluss auf das Schicksal und auf das weitere
Gedeihen der Säuglinge zuschreibt. Diesem Moment, dem in
der Praxis viel zu wenig Beachtung geschenkt wird, legen be¬
sonders Czerny und Keller2) ein grosses Gewicht bei :
„Zunächst müssen wir hier nochmals auf die Erfahrungs¬
tatsache hinweisen, die wir bereits erwähnt haben, dass die
künstliche Ernährung die grössten Schwierigkeiten bietet, wenn
wir mit derselben am 2. Lebenstage beginnen müssen, und dass
die Schwierigkeit von Woche zu Woche abnimmt, wenn das
Kind in der ersten Zeit Frauenmilch erhält. Es ist nicht zuviel
gesagt, dass das Gelingen einer künstlichen Ernährung schon
2) Czerny und Keller: Des Kindes Ernährung, Ernührüngs-
bedingungen und Ernährungstherapie, 1. Bd., S. 528.
No. 45.
ausserordentlich an Leichtigkeit gewinnt, wenn ein Kind auch
nur in der 1. Lebenswoche Frauenmilch efhalten hat.“
Die Bestimmung der Viskosität des Blutes.
Von Dr. med. W a 1 1 e r H e s s, I. Assistent an der Universitäts-
Augenklinik in Zürich (Direktor: Prof. O. H a a b).
Heute spielt die Viskosität in der Medizin noch eine sehr
bescheidene Rolle. Hoffentlich gelingt es mir aber zu zeigen,
dass die Viskositätsbestimmung geeignet ist, sich eine sowohl
theoretisch als praktisch wichtige Stellung zu erringen. Ich
werden dabei bestrebt sein, auch demjenigen ver¬
ständlich zu sein, der sich noch nie mit diesem
Thema befasst hat.
Allgemeines über die Viskosität.
Die Eigenschaft einer Flüssigkeit, welche man mit dem
Namen „Viskosität“ oder „Zähigkeit“, auch „in¬
nere Reibung“ bezeichnet, wird am besten an zwei Bei¬
spielen erläutert.
1. In einer ruhenden Flüssigkeit wird Bewegung erzeugt.
Lieber kurz oder lang kommt sie von selbst wieder zur Ruhe;
die Bewegungsenergie ist durch die gegenseitige Reibung der
Flüssigkeitsteilchen gegen ihre Nachbarn, d. h. durch die
„innere Reibung“ aufgebraucht worden.
2. Durch eine enge Röhre wird Flüssigkeit ausgepresst;
trotz hohen Drucks fliesst dieselbe aber nur langsam aus; die
„innere Reibung“ bildet das Hindernis, welches sich einem
schnelleren Strömen entgegensetzt. Je grösser die Vis¬
kosität, um so langsamer das Ausfliessen. Die zähflüssige
Gummilösung hat also eine hohe Viskosität, der leichtflüssige
Aether dagegen eine sehr geringe.
Die Viskosität messen bedeutet also den Grad des Flüssig¬
seins, d. h. die charakteristische Eigenschaft einer Flüssigkeit
zahlenmässig ausdrücken.
Die angeführte Tatsache, dass sich die Viskosität beim
Durchströmen von Röhren (Gefässen) in hervorragender Weise
geltend macht, verschafft ihr bei der Blutzirkulation eine wich¬
tige Rolle.
Ein weiterer Grund lässt sich anführen, welcher die Be¬
deutung der Viskosität beleuchtet: Durch Auflösen von Sub¬
stanzen im Wasser wird dessen Viskosität verändert, meistens
erhöht. Um die quantitativ verschiedene Einwirkung derselben
zeigen zu können, habe ich bei einer Anzahl verschiedener
Lösungen unter gleichen Umständen die Viskosität bestimmt
und graphisch zur Darstellung gebracht.
Die Konzentration aller beträgt 5 Proz.; die Versuchs¬
temperatur ist 18 V)
Kal. jodat . 0,99
Kal. chloric . 0,995
Aquadest . 1,000
Argent. nitr . 1,00
Natr. chlorid . 1,095
Natr. bic . 1,16
Rohrzucker . 1,165
Traubenzucker . 1.185
Milchzucker . 1,195
Eiereiweiss . 1,32
Methylenblau . 1,88
Qummi arab . 3,59
Kasein (nach Hammarsten) 3,80
Stärkemehl . nicht bestimmbar, weil zu dickflüssig
Gelatine . nicht bestimmbar, weil erstarrt.
Die graphische Darstellung (Fig. l) erfolgt so, dass der
sehkrechte Abstand von einer Horizontalen als der Viskositäts¬
grösse proportional gewählt ist.
Ein Blick auf die Zahlen und die graphische Darstellung
lehrt uns, dass die Kristalloide die Viskosität nur in geringem
Masse beeinflussen und in ihrer Wirkung von den Kolloiden
ganz bedeutend übertroffen werden. Dieser Gegensatz wird
beim Blute noch dadurch vergrössert, dass die Konzentration
1) Bei den Salzen mit Kristallwasser ist dasselbe natürlich in
Rechnung gebracht worden; die Lösung des Kaseins erfolgte in
Vio norm. Natronlauge, die des Eiereiweisses in physiologischer
Kochsalzlösung. Die Abwägungen wurden von Herrn Dr. Streitt,
Assistent an der eidgenössischen Prüfungsanstalt für Brennstoffe be¬
sorgt.
2
2226
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
der ersteren wegen des durch ihre Anwesenheit bedingten os¬
motischen Druckes nur sehr gering sein darf, während für die
Kolloide bei ihrer osmotischen Indifferenz viel höhere Kon¬
zentrationen und weit gehende Schwankungen möglich sind. —
Es soll damit den Kristalloiden nicht jede Bedeutung für die
Viskosität abgesprochen werden; wenn sie aber eine solche
erlangen, so kann dies nur geschehen durch physikalische oder
chemische Aenderung von vorhandenen Kolloiden. Ob und in
welchem Masse eine solche indirekte Wirkung vorkommt,
Xri.staItol.cle CM>uU
Fig. 1.
ist eine sehr wichtige, experimentell noch zu lösende Frage.
Auf jeden Fall ist also die Viskosität in engstem Zusammen¬
hang mit den Kolloiden. Die wichtige Rolle, welche dieselben
im Organismus spielen, ist aber schon dadurch gekennzeichnet,
dass ihnen u. a. die Eiweisse zugehören. Ausserdem wurden
die Kolloide überhaupt durch die modernen physikalisch-che¬
mischen Forschungen in den Vordergrund des Interesses ge¬
rückt.
Man darf aus den angeführten Gründen erwarten, dass,
auch abgesehen von hämodynamischen Gesichtspunk¬
ten, sich die Viskositätsbestimmung als ein wertvolles Unter¬
suchungsmittel des Blutes und der übrigen Körperflüssigkeiten
ausbilden lässt.
Als Hauptgrund, weshalb die Viskosität in der Medizin
trotzdem noch eine so untergeordnete Rolle spielt, erachte ich
den Mangel einer genügend einfachen Methode, dieselbe zu
bestimmen. Ist einmal eine solche bekannt, so können aus¬
gedehntere Versuche, welche der Viskosität die verdiente Ach¬
tung verschaffen werden, nicht lange auf sich warten lassen.
Infolge dieser Ueberzeugung bemühte ich mich, einen
Apparat zu konstruieren, welcher mit einer möglichst einfachen
und bequemen Handhabung eine praktisch genügende Genauig¬
keit verbindet.
Einige Methoden, deren sich der Physiker zur Viskositäts¬
bestimmung bedient, beruhen auf der oben erwähnten Ab¬
hängigkeit der Durchflussgeschwindigkeit einer Flüssigkeit
durch eine enge Röhre, eine sogen. Kapillare, von der Vis¬
kosität. Dass dem Wandungsmaterial selbst kein Einfluss auf
die Strömungsgeschwindigkeit zukommt, hat den Grund darin,
dass in allen Fällen, wo eine Benetzung der Wandung erfolgt,
die angrenzende Schicht nur eine unendlich geringe Bewegung
ausführt mit entsprechend unendlich kleiner Reibung. Am
schnellsten ist die Strömung in der Achse der Kapillaren. Da¬
durch, dass die zentral gelegenen Flüssigkeitsschichten ihren
peripheren Nachbarn vorauseilen, kommen sie mit diesen in
Reibung. Diese letztere macht sich von der Achse nach der
Peripherie hin so oftmal geltend, als eben gegenseitig ver¬
schiebbare Flüssigkeitsschichten, also Molekularschichten, vor¬
handen sind. Damit ist es klar, dass für die Durchfluss¬
geschwindigkeit nicht die nur einmal auftretende, unendlich
kleine Reibung von Grenzschicht gegen Wandung, sondern die
sich unzählbar oft wiederholende von Flüssigkeitsschicht gegen
Flüssigkeitsschicht, d. h. die innere Reibung ausschlag¬
gebend ist.
Bevor wir auf das quantitative Verhalten dieser Abhängig¬
keit eingehen, sei noch erwähnt, dass das Resultat einer Vis¬
kositätsmessung auf zwei Arten ausgedrückt werden kann;
nämlich absolut und relativ. Die erstere Ausdrucksweise be¬
dient sich des Grammzentimetersekundensystems; für unsere
Zwecke ist sie ungeeignet. Die zweite, deren wir uns aus¬
schliesslich bedienen wollen, nennt die Zahl, welche angibt,
wie sich die Viskosität der untersuchten Flüssigkeit zu der
des Wassers verhält.
Die Möglichkeit, dieses Verhältnis kennen zu lernen, wird
uns durch die von P o i s e u i 1 1 e gefundene Gesetzmässigkeit
geboten. Deren zufolge ist die Durchflussgeschwin¬
digkeit der Viskosität einer Flüssigkeit umgekehrt, dem
treibenden Druck dagegen direkt proportional. Die Durch¬
fluss m e n g e nimmt, wie ohne weiteres klar, proportional
zu mit der Zeit, während welcher der Durchfluss stattfindet
und ebenso proportional mit der Durchflussgeschwindigkeit.
Diese für irgend eine gegebene Kapillare gültige Abhängig¬
keit von Viskosität, treibendem Druck, Durchflussvolumen und
Durchflusszeit gestattet die Berechnung der ersteren, wenn die
letzteren drei bekannt sind. Auf dieser Basis beruhen sowohl
die für menschliches Blut von Hirsch und Beck2), ferner
von Determann3) angegebenen Methoden, als auch die
meinige.
Das Prinzip des Apparates, den ich in meiner Publikation:
Viskosität des Blutes und Herzarbeit 4), mathematisch begründet
habe, lässt sich in Worten folgendermassen erläutern:
Je grösser die Viskosität einer Flüssigkeit, um so schwieriger
ist sie durch eine Kapillare zu pressen. Will man bei Flüssigkeiten
mit verschiedener Viskosität dennoch gleiche Durchflussvolumina er¬
zielen, so hat man den treibenden Druck und die Durchflusszeit so
zu variieren, dass die Produkte derselben sich proportional ver¬
halten, wie die Viskositätswerte der zu untersuchenden Flüssigkeiten:
d. h. je grösser 'die Viskosität ist, um so grösser der treibende Druck,
oder, wenn dieser gleich bleibt, um so länger idie Durchflusszeit.
Ferner:
Wenn eine bestimmte Flüssigkeit durch eine gegebene Kapillare
gepresst wird, so ist das Durchflussvolum um so grösser, je grösser
das Produkt aus treibendem Druck und Durchflusszeit ist, also, je
höher der Druck, oder, wenn dieser gleich bleibt, je länger die Durch¬
flusszeit.
Das Produkt: Druck mal Durchflusszeit ist also einerseits pro¬
portional den Viskositätswerten der zu untersuchenden Flüssigkeiten,
von welchen ein bestimmtes Volum durch die gleiche Kapillare ge¬
presst wird; es ist anderseits proportional den Durchflussvolumina
einer bestimmten Flüssigkeit, welche unter verscniedenen Druck-
und Zeitverhältnissen eine zweite Kapillare passieren. Und daraus
folgt:
Diese Durchflussvolumina sind proportional jenen Viskositäts¬
werten, und können deshalb als ein relatives Mass verwertet werden.
Die praktische Anordnung, welche diese theoretische Tatsache
sich zu Nutzen macht, ist nun äusserst einfach:
Zwei feine Pipetten sind unter sich und mit einem Saugrohr
durch ein T-Rohr verbunden; dieselben enden je in eine Kapillare,
welche erst passiert werden, wenn beim Ansaugen Flüssigkeit in die
Pipetten eintreten soll. Die eine ist für Blut bestimmt, die andere für
Wasser.
Durch das Saugrohr wird so lange angesaugt, bis die jeweils zu
untersuchenden Blutproben ihre Pipette bis zu einer Marke anfüllen,
also in bestimmter Menge die angeschlossene Kapillare passiert
haben. Der zugleich erfolgte Durchfluss des Wassers durch die Pa¬
rallelkapillare hat, da die saugende Kraft von demselben T-Rohr
ausging, während genau derselben Zeit unter genau denselben Druck¬
differenzen stattgefunden. Die in ihre Pipette eingetretenen
Wasservolumina sind deshalb ein relatives Mass für die je¬
weils zugleich angesaugten Blutproben. Da diese Wasservolumina
durch die Graduierung der Pipette gemessen sind, so kann man des¬
halb an derselben den gesuchten Wert direkt ablesen.
Dieses eigentliche Skelett des Apparates erhielt während
meiner im Oktober 1905 begonnenen, im thurg. Kantonsspital
Miinsterlingen (Dir.: Dr. Konrad Brunner), im Institut für
gerichtliche Medizin in Zürich (Dir.: Prof. Dr. Heinr. Zang-
g e r) und an der Universitäts-Augenklinik in Zürich (Dir.: Prof.
0. Ha ab) durchgeführten praktischen Versuche und Unter¬
suchungen die Gestalt, welche eine Viskositätsbestimmung
weder in der Einfachheit noch der Genauigkeit von einer
anderen klinisch gebräuchlichen Blutuntersuchungsmethode
übertreffen lässt.
Es würde zu weit führen, die Gründe teils phy¬
sikalischer, teils klinischer Natur aufzuzählen, welche
jene in No. 32 (1907) dieser Zeitschrift beschriebene
Form 5) mir als die für unsere Zwecke geeignetste erscheinen
Hessen. Dagegen sollen diejenigen Momente, welche für die
2) Münch, med. Wochenschr. 1900, 49; fermer: Zeitschrift für
physikalische Chemie, XLVIII, 6; ferner Sahli: Lehrbuch der klin.
Untersuchungsmethoden, 1905, pag. 715.
3) Münch, med. Wochenschr., No. 23, 1907.
4) Vierteljahrsschrift der Naturf.-Ges. Zürich, Jahrg. 51, 1906.
5) Der Apparat ist zu beziehen durch die Firma .1. G. Gramer,
Glasbläserei, Spiegelgasse 7, Zürich I, zum Preise von 32 Mk,
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Beurteilung des Apparates und der mit demselben gewonnenen
Werte von Bedeutung sind, der Besprechung unterworfen
werden.
Die Konstanz der Resultate.
Die Resultate der Viskositätsbestimmungen gewinnen, wie
auch die der übrigen klinischen Untersuchungsmethoden nur
dadurch für uns Interesse, dass wir sie vergleichen können mit
solchen, welche an anderen Personen, z. B. an gesunden oder
bei demselben Individuum unter anderen Verhältnissen, z. B.
in verschiedenen Phasen der Krankheit, gefunden wurden. Ein
solcher Vergleich setzt aber voraus, dass die unter gleichen
Umständen an derselben Person gewonnenen Werte eine
genügende Uebereinstimmung aufweisen.
Wie sich in dieser Beziehung unsere Werte verhalten, soll
nun geprüft werden:
1. cf Pigmentdegeneration der Netzhaut. 18° (Versuchstemp.).
a b c d e f g Mittel grösste Diff. gr. Ab.v. Mittelw.
4,10 4,15 4,15 4,15 4,10 4,10 4,22 4,14 2,9 Proz. + 2 Proz.
2. cf Glaukoma secund. 16°.
a b c d Mittel grösste Diff.
4,75 4,78 4,78 4,70 4,75 1,7 Proz.
3. cf Keratitis ekzematosa. 18°.
a b c Mittel grösste Diff.
5,20 5,12 5,20 5,17 1,5 Proz.
4. $ Netzhautblutungen (Nephritis interstit.).
a b c Mittel grösste Diff. gr. Abw. v. Mittelwert
4,22 4,35 4,22 4,26 3 Proz. 2 Proz.
gr. Abw. v. Mittelwert
1,1 Proz.
gr. Abw. v. Mittelwert
1,0 Proz.
Der grösste Unterschied, welchen verschiedene Messungen
bei einer Person ergeben haben, ist demnach 3 Proz. und die
Annäherung des am meisten abweichenden Wertes vom zu¬
gehörigen Mittelwert 2 Proz.
Ob nun diese Uebereinstimmung eine genügende ist, hängt
davon ab, wie gross die Schwankungen der an verschiedenen
Personen zu beobachtenden Werte sind, welche zu konsta¬
tieren praktisches Interesse hat. Wenden wir uns deshalb den
bei meinen klinischen Untersuchungen gewonnenen Re¬
sultaten zu.
(Siehe nebenstehende Tabelle.)
Es erschien mir angezeigt, die im Kantonsspital Mtinster-
lingen (No. 1 bis 79) und die in der Augenklinik Zürich (No. 80
bis 107) untersuchten Fälle in der Tabelle zu trennen; denn
die ersteren geben ein Bild von den unter pathologischen Ver¬
hältnissen vorkommenden Schwankungen, während die bei den
letzteren mit ihren fast ausschliesslich lokalen Erkrankungen
gefundenen Werte wohl ziemlich den bei Gesunden vor¬
herrschenden nahe kommen. Ausserdem kannte ich in Münster-
lingen den Einfluss der einer Blutentziehung vorausgeschickten
lokalen Massage noch nicht, so dass jene Werte sicherlich
durchschnittlich etwas zu hoch und auch weniger exakt sind
(vergl. Kapitel „Blutentziehung“!).
Unter allen Umständen lehrt uns aber die Betrachtung der
Tabellen, dass die vorkommenden Viskositätswerte solche
Unterschiede aufweisen (10 Proz., 20 Proz., 40 Proz. und
mehr!), dass bei deren Konstatierung die Fehlerbreite des ein¬
zelnen Versuches (3 Proz.) überhaupt keine Rolle spielt.
Die Versuchstemperatur.
Wie das spezifische Gewicht einer Flüssigkeit, so ist auch
ihre Viskosität abhängig von der Temperatur. Wird z. B. die¬
jenige des Wassers von 0° mit 1 bezeichnet, so ist sie bei 30°,
0,449, bei 35 0 gleich 0,405 und bei 40 °, 0,368. Es findet also mit
Zunahme der Temperatur eine erhebliche Abnahme der Vis¬
kosität statt. Wie das Wasser, so verhalten sich auch die
übrigen Flüssigkeiten, allerdings nur qualitativ; quantitativ ist
die Beeinflussung eine sehr verschiedene. Wir erhalten also
nicht dasselbe Resultat, wenn wir z. B. Blut von 37° auf Wasser
von 37 0 beziehen, wie wenn wir Blut von 17 0 mit Wasser von
17 0 vergleichen. Welche der beiden Bestimmungen den hohem
Wert liefert, hängt davon ab, ob die Viskosität des Blutes oder
die des Wassers mit steigender Temperatur rascher abnimmt.
Wir gelangen nämlich zu unseren Werten dadurch, dass
wir die Viskosität des Blutes mit derjenigen des Wassers von
derselben Temperatur messen, was durch den Bruch aus-
gedrückt werden kann: Nimmt
nun bei zunehmender Temperatur der Zähler rascher ab als
Tabelle A.
No.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
5 Gastroent. chron. ; Arthrit. def .
9 Care, uteri inop .
cf Rhachitis .
cf Ulcusstenose d. Pylorus .
cf Asthma cardiale .
cf Myokard.; Emphysem .
9 Chlorose . . • . •
9 Vereiterung der Cellulae mastoid. . . .
9 Tuberkulöse Nierenfistel (alte) .
9 Ranula .
cf Struma operiert .
9 Zystitis .
9 Chlorose .
cf Zystitis .
cf Appendicitis suppurat. operiert . . . .
9 Arthritis deformans .
cf Drüsenabszess .
cf Fractura femoris .
cf Osteomyelit. acut. (Stadium d. Sequester¬
bildung) .
cf Fractura tibiae malesanata .
cf Appendicitis acuta (operiert) .
cf Hernia inguinalis .
cf Handverletzung . . .
9 Spondylitis .
9 Gastritis chronica, geheilt .
cf Psoriasis .
cf Appendicitis acuta, operiert .
cf Fractura femoris . . . . .
cf Trachealfistel nach Tracheotomie (alt) .
9 Caries tuberc. ossis .
cf Gonitis tuberc .
9 Skoliose .
9 Ileozoekaltumor (? Natur) .
cf Tuberculosis coxae .
cf Fingerverletzung .
cf Fractura femoris . . . .
cf Gesund . .
cf Hernia ing., operat .
cf Lvmphomata colli tuberc. absced. . . .
2,35
3,2
3.2
3.3
3.85
4,0
TI
4.3
4,3
4,3
4.3
4.4
4,4
4.4
4.5
4,5
4,55
4,55
4,65
4.7
4,75|
4,75
4,75
4,75
4,75
4.8
4.85
4,85|
4.9 :
4,9
4,9
4,9
4,95
4,95
5,0
5,0
5,0
5,0
5,0
9 Lymphomata colli tuberc .
cf Tuberculosis cubiti .
cf Handverletzung .
cf Appendicitis suppurativa, op. geh. . . .
cf Osteomyelitis tuberc .
cf Pleuritis exsudativa .
9 Ekzem der Hände .
cf Scleroderma, Epilepsie .
cf Caries tuberc. costarum .
9 Ulcus tuberc. conjunctivae .
cf Gesund .
cf Gesund .
cf Tubercul. coxae .
cf Fractura antebrachii .
9 Chorea .
9 Osteomyelitis tuberc .
cf Gesund • . . .
cf Fractura tibiae .
cf Osteomyelitis acut. (Stad. d. Sequester¬
bildung) .
Parametritis .
5 Trachealfistel nach Tracheotomie . . .
cf Klavikulafraktur .
cf Malleolarfraktur .
cf Gonorrhöe .
cf Osteomyelitis tuberc .
cf Cholezystitis .
cf Peritonitis traumatic .
cf Gesund .
cf Myokarditis .
cf Gastritis .
9 Ulcus cruris .
9 Tuberkulose des Fussgelenks .
cf Gesund .
cf Spondylitis . . .
cf Osteomyelit. acut. (Stad. d. Sequester¬
bildung) .
cf Tubercul. coxae .
cf Fractura femoris .
cf Hemiplegie (Somnolenz) .
cf Lupus nasi .
cf Meningitis tubercul., coma .
5,15
5,15
5,15
5,2
5,2
5,2
5,2
5.2
5,25
5.3
5.4
5,4
5,4
5,4
5,4
5.4
5.5
5,5
5.5
5.6
5.6
5.7
5,7
5.7
5,75
5.8
5,8
5.8
5.9
5,9
6,0
6,2
6,2
6.3
6.4
6,4
6,4
6,6
6,95
7,65
Mittel
2228
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. -45.
Tabelle B.
No.
80
9 Chorioiditis disseminata .
3,75
81
9 Tuberkulose des Tränenkanals .
4,0
82
9 Katarakta zonularis .
4,05
83
cf Chorioiditis disseminata .
4,05
84
cf Conjunctivitis gonorrhoica .
4,65
85
c f Pigmentdegeneration der Netzhaut . . .
4,1
86
9 Keratitis ekzematosa . .
4,2
87
9 Netzhautblutung (Nephrit, interst.) . . .
4,2
88
cf Chorioiditis disseminata .
4,25
89
cf Neuritis optica .
4,25
90
cf Trachom .
4,3
91
cf Iritis rheumatica .
4,35
'
92
cf Keratitis traumatica .
4,45
93
9 Chorioiditis disseminata .
4,45
o
o
94
9 Iritis tuberc .
4,5
£
TI
13
» -
— >
« ♦
-1
o
o I
95
cf Qlaukoma Simplex .
4,65
O
N
o>
N
CD
96
ö1 Qlaukoma secundarium .
4,7
p
97
cf Keratitis ekzematosa .
4,7
98
9 Chorioiditis disseminata .
4,7
99
cf Keratitis traumatica .
4,85
100
cf Iritis rheumatica .
4,9
101
cf Qlaukoma Simplex .
4,9
102
cf Katarakta senilis .
4,9
103
cf Verstopfung der Vena centr. ret. . . .
4,95
104
cf Neuri is optica .
5,0
105
cf Chorioiditis disseminata .
5,1
106
cf Verstopfung der Vena central, ret. . . .
5,1
107
cf Iritis tuberculosa .
5,75
Die den Klammern Vorgesetzten Zahlen bezeichnen die Unterschiede
von gleich weit nach oben und unten vom Mittel entfernten
Werten, ausgedrückt in Prozenten des letzteren.
der Nenner, so wird der Wert des ganzen Bruches kleiner,
nimmt dagegen der Nenner rascher ab als der Zähler, so wird
der Wert des Bruches, d. h. die von uns experimentell be¬
stimmte Zahl, grösser.
Wie es sich in Wirklichkeit verhält, werden die folgenden
Untersuchungen lehren. Bei denselben wurden mehrere jeweils
von einer Person stammende Blutproben bei verschie¬
denen Temperaturen auf ihre Viskosität geprüft, und
zwar sind die einzelnen Bestimmungen möglichst rasch hinter¬
einander ausgeführt worden, da, wie wir weiter unten sehen
werden, sich die Viskosität des Blutes bei einem Individuum
sonst um messbare Beträge ändern kann:
a) cf Chorioiditis disseminata . 12,5° 22,0° 36,0°
Viskosität = 4,13° 3,97° 3,70<>
b) cf Qlaukoma Simplex . 13,0° 22,0° 36,5°
Viskosität = 5,05° 4,85° 4,17°
c) cf Chorioiditis disseminata; Iritis tuberc. . . 12,5° 22,0° 36,0°
Viskosität = 5,99° 5,36° 4,96°
d) 9 Septische Kachexie . 14,0° 23,0° 36, 0U
Viskosität = 3,7 2<> 3,48° 3,20°
e) 9 Insuffic. cordis arterioscl . 14,0° 21,0° 36,0°
Viskosität = 5,89° 5,64° 4,92°
f) cf Iritis rheumatica . 11,5° 26,0° 36,0°
Viskosität =' 4,66° 4,24° 3,96°
g) cf Katarakta senilis . 11,5° 23,0° 37,5°
Viskosität = 5,15° 4,60° 4,10°
Zur Erleichterung der Uebersicht sollen diese Zahlen
graphisch dargestellt und die zu einer Person gehörigen Punkte
durch Gerade vereinigt werden. Der Verlauf der so entstehen¬
den Kurven veranschaulicht den Einfluss der Temperatur auf
das Resultat unserer Viskositätsbestimmung. Die punktiert ein¬
gezeichnete Mittelwertkurve (M) nimmt die M i 1 1 e 1 1 a g e der
experimentell bestimmten Kurven ein, indem sie die Punkte
verbindet, die den Werten entsprechen, welche für 15°, 20° und
37 0 aus den von den Einzelkurven abzulesenden Werten be¬
rechnet wurden: Nämlich
15° 25° 35°
4,86° 4,52° 4,16°
Die Abweichung der einzelnen Kurven von einer
Geraden, welcher die Mittelwertkurve sehr nahe kommt,
erklärt sich aus dem bereits besprochenen Umstand, dass
die einzelnen von einer Person stammenden Blutproben nicht
ganz identisch sind. Dass in der Tat die Grösse jener Ab¬
weichungen in den Bereich der Fehlergrenze fällt, lässt die gra¬
phische Eintragung der letzteren erkennen; sie ist dadurch er¬
folgt, dass auf verschiedenen Höhen Doppelpfeile (^ ) einge¬
zeichnet wurden, deren Länge jeweils 3 Proz. ihres Abstandes
von der Horizontalen (der Nullinie) beträgt.
Fig. 2.
Durch Analyse der vorliegenden Versuchsrcsultate kom¬
men wir zu folgenden Schlüssen:
1. Bei 37° fallen die Werte durchschnittlich um 16 Proz.
niedriger aus als bei 17° (mittlere Zimmertemperatur).
2. Das Verhalten der einzelnen Kurven ist ein so über¬
einstimmendes, dass die bei Zimmertemperatur ge¬
wonnenen Werte ein sehr genauer Massstab sind für
die bei 37° geltenden Verhältnisse.
3. Der Einfluss der Temperatur ist relativ so gering,
dass Schwankungen von nur wenigen Graden, wie sie im
Krankenzimmer Vorkommen, keine störenden Fehler
verursachen können; für eine Schwankungsbreite von 5°
ist dieselbe nämlich 4 Proz., ein Betrag, der, wie wir im
Kapitel „Konstanz der Werte“ sahen, bei den vorkommenden
individuellen Schwankungen keine Rolle spielt.
Sollte die Versuchstemperatur eine aussergewöhnliche
sein, oder aus irgend einem Grunde eine Steigerung der Ge¬
nauigkeit doch wünschenswert erscheinen, so wird man einer
Abweichung von der mittleren Zimmertemperatur (17°) da¬
durch Rechnung tragen, dass man pro 1 Grad Abweichung der
Versuchstemperatur von 17° 0,8 Proz. des gesunden Wertes
zu- oder abzählt, je nachdem die Abweichung nach unten oder
oben war ; d. h. man korrigiert denWertauf 17 °.
Natürlich brauchte ich, um diese Temperaturabhängigkeit
studieren zu können, einen Apparat mit Wärmevorrichtung,
wie ich eine solche anfänglich überhaupt für alle Apparate vor¬
gesehen hatte. Es sind dabei die Kapillaren mit einem Glas¬
mantel umgeben, durch welchen man Wasser von der ge¬
wünschten Temperatur fliessen lässt. Dem für den klinischen
Gebrauch bestimmten Viskosimeter eine Wärmevorrichtung
beizugeben, erschiene mir aber jetzt nicht nur überflüssig, son¬
dern sogar fehlerhaft; denn alle Werte, seien sie nun bei 37°
oder bei Zimmertemperatur bestimmt worden, gewinnen für
uns, wie bereits hervorgehoben, Interesse nur durch
gegenseitigen Vergleich, zu welchem, wie wir ge¬
sehen, auch die letzteren unbedingt fähig sind. Jede Kom¬
plikation des Apparates aber, wie es eine Wärmevorrichtung
notwendigerweise mit sich bringen würde, beeinträchtigt die
praktische Verwendbarkeit und damit den Nutzen der Methode.
Die Blutentziehung.
Bei der Konstruktion des Apparates erachtete ich es als
eine Notwendigkeit, dass für die Untersuchung ein Tropfen
Blut ausreichte, damit jede kompliziertere Blutentziehung in
Wegfall kommt, und z. B. ein Einstich in die Fingerkuppe ge¬
nügt, um zu der nötigen Menge zu gelangen. Bei den ohne die
Beachtung der Vorsichtsmassregeln, welche sich als notwendig
erwiesen, durchgeführten Serienversuchen an einzelnen Per¬
sonen traten zuweilen Differenzen bis zu 8 Proz. auf. Die
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2229
störende Ursache durfte ich nicht dem Apparat zuschieben;
denn bei mehrfacher Bestimmung der Viskosität unver¬
änderlicher Flüssigkeiten ergab sich eine maximale
Fehlerbreite von 1 Proz. Ausserdem stimmen die mit meinem
Apparat gewonnenen Werte innerhalb dieser Grenze mit den von
andern Autoren konstatierten Zahlen überein.
Bei dem Suchen nach der Fehlerquelle wurde ich durch
folgende Serie auf den richtigen Weg gewiesen:
U1 Keratitis eczeniatosa; 18°.
Blut durch Einstich in die Fingerkuppe gewonnen:
A. ohne zirkulatorische Beeinflussung: 5,1.
B. nach lokaler Stauung: 5,4, 5,2, 6,0, 5,3.
C. nach lokaler Massage: 4,7, 4,7. 4,65.
Ein ähnliches Verhalten war auch an anderen Patienten
zu konstatieren. Die Schlüsse, die wir daraus zu ziehen
haben, sind:
1. Lokale Hemmung der Zirkulation erhöht die Viskosität
um einen beträchtlichen, quantitativ aber vollständig
unberechenbaren Betrag.
2. Durch lokale Anregung der Zirkulation wird mit grosser
Konstanz Annäherung an einen relativ niedrigen Wert erzielt.
3. Von diesem unterscheidet sich auch der ohne zirku¬
latorische Beeinflussung gewonnene um einen ziemlich erheb¬
lichen Plusbetrag.
Bereits war von D e t e r m a n n ü) und Kottniann6 7)
bemerkt worden, dass künstliche Stauung die Viskosität er¬
höht. Bei dieser Erkenntnis ist nun aber die Vermutung sehr
begründet, es könnten sich auch spontan auftretende, z. B. vaso¬
motorische Einflüsse in analoger Weise geltend machen, sodass
auch die ohne künstliche Stauung gewonnenen Werte variabel
und zu hoch sind. Dass dieses wirklich der Fall ist, beweisen
die bei den ohne weitere Massnahmen durchgeführten Serien¬
versuchen auftretenden Schwankungen (bis zu 8 Proz.) und vor
allem die Möglichkeit, durch Anregung der Zirkulation eine
Herabsetzung und grössere Konstanz der Werte zu erreichen.
Die beste Blutentziehung wäre eine solche, welche rein
arterielles Blut liefert; denn dessen Viskosität ist für die
Herzarbeit ausschlaggebend, da bei der Zirkulation der grösste
Arbeitsverlust vom Herzen zu den Kapillaren erfolgt und nicht
von diesen znm Herzen zurück, also auf der arteriellen und
nicht venösen Bahn.
Das Blut direkt aus einer Arterie zu gewinnen, ist aber
aus praktischen Gründen nicht leicht zu verwirklichen. Wir
müssen aber unbedingt darauf bedacht sein, das Blut so arteriell
wie möglich zur Untersuchung zu erhalten, und eben diese Be¬
dingung schreibt uns vor, vor der Blutentziehung die Zirku¬
lation lokal anzuregen, was sehr zweckmässig auch dadurch
geschehen kann, dass man den Patienten die Hände in warmen
Wasser waschen und nachher tüchtig abreiben lässt.
Venöse, besonders die nach Stauung entnommenen Blut¬
proben liefern zu hohe und entsprechend verschiedenen
Graden der Venosität inkonstanteWerte, welche weder
sichere Rückschlüsse auf die wirklichen hämodynamischen
Verhältnisse gestatten, noch für gegenseitigen Vergleich ge¬
eignet sind.
Klinische Betrachtungen.
Anders zu beurteilen ist die Zyanose des Blutes natürlich
dann, wenn sie sich nicht nur auf das venöse, sondern auf das
ganze Gefässystem erstreckt, denn die erhöhte Viskosität
macht sich damit auch auf der arteriellen Bahn geltend, welche,
wie wir bereits gehört, den weitaus grössten Teil der Herz¬
arbeit beansprucht. Es paart sich also mit der Minderwertig¬
keit des Blutes für den Gasaustausch ein die Zirkulation in
ungünstigem Sinne beeinflussendes Moment. Besonders schwer¬
wiegend ist dieses in den Fällen, wo die allgemein erhöhte
Zyanose des Blutes selbst die Folge von Zirkulations¬
störungen ist; ein primär insuffizientes Herz steht nämlich noch
ungünstigeren zirkulatorischen Verhältnissen gegenüber, als
ein gesundes. Unter diesen Umständen können dann aber auch
die Zirkulation nur vorübergehend bessernde
Mittel direkt zu Heilfaktoren werden, da sie durch Herab-
6) Zeitschr. f. klin. Medizin, Bd. 59.
7) Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, Jahrg. 1907, No.
4 und 5.
Setzung der Viskosität den schlimmen Circulus vitiosus unter¬
brechen.
Ein Beispiel, bei welchem Zyanose zweifellos als Ursache des
abnorm hohen Wertes angesehen werden muss, ist der von mir
höchst erreichte, No. 79. Derselbe stammt nämlich von einem in
tiefem Koma liegenden Meningitiskranken mit entsprechend mangel¬
hafter Respiration. Ein Gleiches ist von No. 77 anzunehmen, da es
sich hier um einen somnolenten Hemiplegiepatienten handelt. Auf¬
fällig ist der relativ hohe Wert bei No. 66, da Pat. 2 Tage vor
der Untersuchung einen sehr grossen Blutverlust erlitten hatte und
seit demselben mehrere subkutane Kochsalzinfusionen erhalten hatte.
Als Ursache dieser Erscheinung erblicke ich eine sehr oberflächliche
Respiration, bedingt durch Peritonitis infolge Bauchstich mit Darm¬
perforation. Ebenso war ich etwas überrascht durch den Wert No. 68,
denn entsprechend einem starken allgemeinen Hydrops hatte ich
auch wässeriges Blut, also eine niedrige Viskosität erwartet. Dieser
Gegensatz mag zum Teil durch Zyanose wegen der bestehenden Herz¬
insuffizienz sein; vielleicht ist auch der Mechanismus der Hy-
d. ropsbildung daran schuld; und es macht dieses Beispiel darauf
aufmerksam, dass Viskositätsbestimmungen bei Hydrops der ver¬
schiedensten Aetiologie.n auf jeden Fall sowohl praktisch wie auch
theoretisch besonderes Interesse verdienen.
Unentschieden muss ich auch lassen, ob und eventuell
welcher Zusammenhang zwischen den übrigen abnormen
Werten und der Krankheit besteht. Als verdächtig will ich nur
bezeichnen die relativ grosse Anzahl der (Knochen-) Tuber¬
kulosen unter den hohen Werten, begreiflich dagegen ist die
Anteilnahme von Ernährungs- und anderen konsumierenden
-Krankheiten bei den niedrigen Werten (herabgesetzter Ei¬
weissgehalt des Blutes). Natürlich ist die Anzahl der unter¬
suchten Fälle überhaupt viel zu gering, um Gesetzmässigkeiten
mit Sicherheit daraus ablesen zu können, abgesehen davon,
dass, wie wir weiter unten hören werden, ein exakter Ver¬
gleich der verschiedenen Werte erst dann möglich sein wird,
wenn der Einfluss der während der Bestimmung auf den Pa¬
tienten einwirkenden äusseren Umstände genau bekannt ist.
Es waren die Versuche an dem möglichst gemischten Unter¬
suchungsmaterial auch nur deshalb gemacht worden, um die
Bedürfnisse kennen zu lernen, welchen ein klinisch brauchbarer
Apparat Rechnung tragen soll; zugleich gewann ich aber auch
Anhaltspunkte .für die weitere erfolgreiche Behandlung dieses
Themas.
Bereits haben wir ja betont, dass eine Untersuchungs¬
methode darauf ausgehen muss, möglichst gute Vergleichs¬
werte zu liefern. Es müssen deshalb bei deren Zustande¬
kommen die äusseren Bedingungen, welche eine Rolle spielen,
in derselben Weise mitgewirkt haben. Unter solchen
äusseren Bedingungen sind aber nicht nur die bei der Blutent¬
ziehung besprochenen lokal wirkenden zu verstehen, sondern
auch alle auf die untersuchte Person überhaupt wirkenden
Einflüsse, welche die Viskosität des Blutes ändern können.
Vielleicht dass z. B. Zusammensetzung der Nahrung, Flüssig¬
keitsaufnahme, körperliche Ruhe oder Bewegung, Unter¬
suchungszeit etc. sich in deutlicher Weise bemerkbar machen.
Besonders wichtig werden aber Untersuchungen über die zir¬
kulatorische und respiratorische Beeinflussbarkeit der Vis¬
kosität sein, deren Resultate uns nachher sehr wahrscheinlich
auch umgekehrt Rückschlüsse von dem viskosimetrischen Blut¬
befund auf zirkulatorische und respiratorische Vorgänge er¬
möglichen werden.
Abgesehen davon, dass die genannten Fragen an und für
sich Interesse bieten, ist ihre Lösung zur erfolgreichen Weiter¬
entwicklung der Lehre von der Viskosität des Blutes not¬
wendig; denn erst wenn die variabeln Faktoren bekannt
sind und berücksichtigt werden, können wir die konstant
wiederkehrenden sicher erkennen, beurteilen und verwerten.
Aus dem Hafenkrankenhause in Hamburg.
Ertrinkungsgefahr und Schwimmkunst.
Von Dr. Revenstorf, Sekundärarzt.
Man hört nicht selten von plötzlichen I odesfällen im
Wasser, die eingetreten sind, trotzdem die Verunglückten gute
Schwimmer waren. Die Veranlassung des Todeseintritts bleibt
in diesen Fällen vielfach unaufgeklärt, nicht zuletzt deshalb,
wie Ko ekel hervorhebt, weil die Sektion der Verstorbenen
häufig unterbleibt. Doch wird auch, wenn das Obduktions-
2230
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
ergebnis dem Gutachter vorliegt, das über diesen unver¬
muteten Todesfällen schwebende Dunkel nicht immer gelichtet.
Der Gedanke, dass jeder Beitrag zur Klärung eines offenbar
schwierigen Problems, an dessen Lösung weite Kreise Inter¬
esse haben, willkommen sein wird, mag es rechtfertigen,
dass die vorliegende Arbeit der Veröffentlichung übergeben
wird.
Dem ärztlichen Sachverständigen erwachsen bei der Be¬
urteilung eines plötzlichen Todesfalles im wesentlichen zwei
Aufgaben:
1. die Todesursache festzustellen,
2. die Gelegenheitsursache aufzufinden, „welche die aller¬
nächste Veranlassung gegeben hat, dass die den Tod herbei¬
führende krankhafte Veränderung gerade in dem betreffen¬
den Momente zur deletären Geltung kam“. (Kolisko.)
Bei den plötzlichen Todesfällen im Wasser ist die erste
Angabe, wenn es sich um frische Fälle handelt, in der Regel
leicht zu lösen.
Werden Formelemente der aspirierten Ertränkungsflüssig-
keit oder andere sichere Ertrinkungssymptome nachgewiesen,
so ist Ertrinken als Todesursache anzusehen. Fehlen sichere
Ertrinkungsmerkmale, trotzdem das Ertränkungsmedium stark
verunreinigt war und an seinen charakteristischen Fremd¬
körpern, auch wenn es nur in geringer Menge in die Luftwege
eingedrungen war, leicht hätte erkannt werden können, so ist
— um nur soweit auf diesen Gegenstand einzugehen, als es
für unser Thema interessiert — Ertrinken jedenfalls nicht die
Todesursache. Unentschieden bleibt die Frage, ob Ertrinken
die Todesursache ist oder nicht, nur in den wenigen Fällen, in
denen die Ertrinkungsgefahr durch äussere Gewalteinwirkung
herbeigeführt wurde, wenn die entstandenen Verletzungen so
schwerer Natur sind, dass sie den Tod in dem gleichen kurzen
Zeitraum zur Folge haben mussten, in welchem der Ertrin¬
kungstod einzutreten pflegt.
Die Frage nach der Gelegenheitsursache ist dagegen viel¬
fach recht schwer zu beantworten. Am einfachsten liegt die
Frage bei der Beurteilung äusserer Verletzungen, die häufig
den Charakter einer den Todeseintritt herbeiführenden Ge¬
legenheitsursache tragen. Aber auch bei der Abschätzung der
Folgen einer äusseren Gewalteinwirkung hat man sich davor
zu hüten, eine vorhandene Verletzung ohne weiteres als Ge¬
legenheitsursache anzusehen, da sie selbst nur Folge einer
anderen Ursache sein kann, die sowohl die Verletzung wie
den Tod herbeiführte.
Die Gelegenheitsursachen lassen sich nach Kolisko in
äussere und innere einteilen. Zu den äusseren Gelegenheits¬
ursachen gehören Traumen, psychische Insulte, Ueberanstren-
gung und meteorologische Einflüsse, zu den inneren die physio¬
logischen Ausnahmezustände, die abnorme Körperkonstitution,
akute und chronische Organerkrankungen.
Die gleichen Gelegenheitsursachen, welche den plötzlichen
Tod überhaupt herbeizuführen vermögen, kommen natürlich
auch für die Erklärung plötzlicher Todesfälle im Wasser in
Betracht.
Der beschränkte Raum, welcher mir zur Verfügung steht,
verbietet mir, die grosse Zahl der Gelegenheitsursachen an
dieser Stelle einer erschöpfenden Besprechung zu unterziehen.
Ich verweise statt dessen auf K o c k e 1 (Ueber den plötzlichen
Tod im Wasser. Festschrift zur Eröffnung des Institutes für
gerichtliche Medizin in Leipzig, 1905.). Diese Zeilen sollen
vielmehr nur dem Zweck dienen, aus der Summe der verschie¬
denartigen Fälle, in welchen die Veranlassung des unver¬
muteten Untersinkens guter Schwimmer in tiefes Dunkel gehüllt
blieb, eine kleine Gruppe von Fällen abzusondern, deren Eigen¬
tümlichkeiten mich besonderer Aufmerksamkeit wert dünken.
Als Beispiel schicke ich die Beschreibung zweier Fälle
vorauf.
Fall 1. Djung-Kau, ca. 25 jähriger Chinese, badete am 30. VII.
nach dem Abendessen gegen 8 Uhr im Ellerholzhafen. Nachdem er
eine kurze Strecke geschwommen war, versank er plötzlich im
Wasser. 4 Augenzeugen. Die Leiche wurde nach 2 Stunden ge¬
fischt.
Sektion: Inspirationsbefund. Keine Aspiration erbrochener
Massen. Im Magen 600 ccm Reisbrei ohne Beimengung freier Flüs¬
sigkeit.
Fall 2. Müller, 19 Jahre alt, ertrank im Hansahafen am 14. VII.
Die Meldung über den Unfall lautete: „M. ist soeben (12 Uhr 30 Min.
mittags) die aussenbords hängende Treppe hinuntergegangen, um
sich zu baden. Als er eine kurze Strecke in unmittelbarer Nähe
unseres Schiffes geschwommen war, muss ihm irgend etwas zuge-
stossen sein, da er sich nicht über dem Wasser halten konnte. Ich
rief sofort um Hilfe, worauf unser erster Steuermann ihm ein Tau¬
ende zuwarf. Er sank aber unter, bevor er die Rettungsleine erfassen
konnte. Wir haben ihn sofort mittels eines eisernen Hakens wieder
aus dem Grund gefischt und denken, dass noch Leben in ihm sein
wird.“ Nachtrag: „Der anscheinend leblose Körper wurde mit Dienst¬
barkasse schleunigst an den Anlegeponton vor der Wache ge¬
bracht, woselbst der Heilgehilfe der Unfallstation und sein ablösender
Kollege bis 3 Uhr unausgesetzt Wiederbelebungsversuche angestellt
haben, jedoch ohne Erfolg.“
M. hatte den Vormittag über schmutzige Arbeit ausgeführt und
war gleich nach dem Essen zum Baden gegangen.
Sektion: Inspirationsbefund. Die Luftröhre frei von erbrochenen
Massen mit Ausnahme einiger kleiner Speiseteilchen an der Bifur¬
kation. Ränder und Lungenperipherie frei von aspiriertem Magen¬
inhalt. Mund und Gesicht mit Speisemassen besudelt. Im Magen
500 ccm Speisebrei ohne Flüssigkeitsbeimengung.
Die kurzen Skizzen lassen erkennen, dass es nicht das
Hinzutreten irgend eines besonderen äusseren Umstandes ist,
welcher in diesen beiden Fällen den Todeseintritt herbeiführte.
Fassen wir das Gemeinsame der beiden Fälle zusammen,
so ergibt sich nur, dass beide Personen schwimmkundig waren,
kurze Zeit nach einer reichlichen Mahlzeit (Mittag- bezw.
Abendessen) badeten, und bereits nach kurzer Schwimmleistung
und nach wenigen Minuten des Wasseraufenthaltes unter-
sanken. Bei der Sektion fand sich in beiden Fällen typischer
Ertrinkungsbefund. Im zweiten Falle war Mund und Gesicht
mit Speisemassen besudelt. Einige kleine Speisepartikelchen
fanden sich an der Bifurkation. Doch handelte es sich nicht
um Aspiration erbrochenen Mageninhaltes. Denn Bronchialäste
und die ganze Lungenperipherie waren frei von rriakro- und
mikroskopischen Bestandteilen des Mageninhaltes. Die Spei¬
senmassen waren vermutlich, wie mir auch der Heilgehilfe
später bestätigte, erst durch die ungewöhnlich lange fortge¬
setzten künstlichen Atembewegungen aus dem Magen post
mortem heraufbefördert. In beiden Fällen war der Magen noch
mit Speisebrei (500 bezw. 600 ccm) gefüllt. Freie Flüssigkeit
enthielt der Magen nicht.
Ich bin nun geneigt anzunehmen, dass die Magenfüllung
und der physiologische Ausnahmezustand, in dem sich der
Magendarmkanal befand, die Gelegenheitsnrsache bildete,
welche mittelbar den Todeseintritt herbeiführte. Die Kennt¬
nis der vielen Ertrinkungsfälle, welche ich im Hafenkranken¬
haus im Laufe der Jahre zu sehen Gelegenheit hatte, hat in
mir die Ueberzeugung bestärkt, dass der Zustand des gefüllten
Magens für sich allein ohne das Hinzutreten eines weiteren
Umstandes (Erbrechen, Aspiration des Erbrochenen) genügt,
um eine schwimmkundige Person während des Schwimmens
in Ertrinkungsgefahr zu bringen.
Um diese Ansicht des näheren zu erläutern, bedarf es
einer kurzen Erörterung, in welcher Weise das Schwimmen als
Leibesübung auf den Körper des Schwimmenden einwirkt und
die wichtigsten Körperfunktionen, insbesondere die Herz- und
Atemtätigkeit beeinflusst.
Die Wirkung der eigentlichen Schwimmbewegungen, d. h.
der Fähigkeit, sich im Wasser schwebend zu erhalten und
darin fortzubewegen, ist scharf zu trennen von der Wirkung
des Wasserdruckes, der auf dem Umstande beruht, dass der
Schwimmer sich im Wasser befindet.
Die mechanische Wirkung, welche das Wasser vermöge
seines Gewichtes in Form des allseitigen Flüssigkeitsdruckes
auf Brust und Bauch ausübt, wirkt in erster Linie auf die
Atmung ein. Die mechanische Wirkung steht selbst hinter der
mächtigen thermischen Wirkung nicht zurück. Dieser Um¬
stand, der im allgemeinen wenig Beachtung gefunden hat, ist
erst von R. du Bois Reymond, dem besten Kenner der
Physiologie des Schwimmens, der das Schwimmen als eine
Atemgymnastik ersten Ranges bezeichnet, gebührend hervor¬
gehoben worden (Arch. für Physiologie 1905). Dem Herzen
und dem Arteriensystem erwächst durch das Eintauchen des
Körpers unter die Wasseroberfläche eine erhebliche Mehr¬
arbeit, da das Blut gegen den erhöhten Druck der peripheren
Gefässabschnitte — die Lungenluft steht unter dem Atmo-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2231
Sphärendruck, während auf dem eingetauchten Teil des Körpers
Atmosphärendruch plus Wasserdruck lastet — in die Extremi¬
täten getrieben werden muss. Beim Schwimmen wird die
Atemtätigkeit ausser durch den Wasserdruck noch durch die
Muskelarbeit angestrengt. Befindet sich der Badende im tiefen
Wasser, so beobachtet man, dass schon eine verhältnismässig
geringe Anstrengung sehr bald Atemlosigkeit herbeiführt.
„Wenn man zum Beispiel nur wenige Stösse in schneller Folge
schwimmt, wobei noch lange keine merkliche Muskelermüdung
entsteht, so wirkt dies auf die Atmung wie in der Luft erst
eine viel grössere Leistung wirken würde, und wenn beim
Schwimmen der Zustand der Atemlosigkeit eingetreten ist,
dauert es viel länger, ehe man sich erholen kann, als es in
der Luft dauern würde. Nur wenn man sich auf den Rücken
dreht, wobei die Atemfläche der Brust vom Druck fast völlig
entlastet ist, verliert sich auch die Atemlosigkeit in der gewöhn¬
lichen Weise.“
Nach du Bois Reymond beträgt die Vermehrung der
Atemarbeit des Ruhezustandes durch den Wasserdruck etwa
10 Proz. Ein weiterer Arbeitszuwachs entsteht durch die
Muskeltätigkeit beim Schwimmen, welche eine sehr gute
Lungenventilation erforderlich macht und hierfür die Atem-
muskeln in Anspruch nimmt. Du Bois Reymond schätzt
die Erhöhung der Ruhearbeit der Atemmuskeln beim Schwim¬
men auf mehr als 50 Proz.
Die Einwirkung des Wasserdruckes zusammen mit der
Gesamtarbeitsleistung erklärt also vollauf, warum bei ange¬
strengtem Schwimmen so schnell Atemlosigkeit eintritt.
Schwimmrespirationsversuche, welche 1901 im Brienzer
See von Franz Müller vorgenommen wurden, ergaben, dass
die Lungenventilation das enorme Volumen von 51 Liter pro
Minute erreichte gegenüber 42 Liter beim Bergaufsteigen.
Ob infolge des Wasserdruckes auf den vollen Magen nau-
seose Zustände und Ohnmachtsanfälle eintreten können, ist
noch eine offene Frage, Ko ekel nimmt mit Naegeli an,
dass Wasserdruck und Schwimmbewegungen Uebelkeit her¬
vorzurufen vermag, die sich bis zum Erbrechen steigern kann.
Die beim Erbrechen regelmässig eintretende Erschlaffung der
Körpermuskulatur sei weiterhin die Ursache für das Unter¬
sinken der Leute. Pal tauf neigt mehr der Annahme zu,
dass die plötzlichen Todesfälle im Wasser den plötzlichen
Todesfällen an Herzlähmung gleichzustellen seien und dass
die Herzlähmung durch mechanische Behinderung der Herz¬
bewegung infolge Druckes des übervollen Magens auf das
Herz herbeigeführt werde. Busch, der zugibt, dass plötz¬
liche Todesfälle im Wasser infolge Erbrechens Vorkommen
können, wendet gegen die mechanische Theorie P a 1 1 a u f s
ein, dass das Herz wohl zu beweglich sei, um dem Druck des
Magens bei hochstehendem Zwerchfell nicht auszuweichen.
Mitteilungen, darüber, dass ein Schwimmer durch den Ein¬
tritt des Erbrechens in Ertrinkungsgefahr geriet, habe ich nicht
gefunden. Der bekannte Kanalschwimmer Holbein schwamm
im Jahre 1904 bei einem Wettschwimmen 10 X Stunden, trotz¬
dem er in der neunten Stunde seekrank wurde. Aus dieser
Notiz geht jedenfalls hervor, dass der Eintritt des Erbrechens
das Untersinken des Schwimmers nicht notwendig zur Folge
haben muss. Ueber das Erbrechen Schwimmender und Er¬
trinkender wäre noch mancherlei zu sagen, doch versage ich
mir aus dem eingangs erwähnten Grunde, näher auf diesen
Gegenstand einzugehen.
Der Wasserdruck ist nicht ohne Einfluss auf die Blutver-
sorgung der Baucheingeweide und auf die Lagerung gasge¬
füllter Därme.
Die normaler Weise nur in geringer Menge vorhandenen
Darmgase dürften bei leerem Magen nicht im stände sein, die
Atemtätigkeit der im Wasser befindlichen Personen zu beein-
flusssen. Während der Verdauung sammeln sich die Darmgase
in grösserer Menge an. Infolge des allseitigen Wasserdruckes
und infolge ihrer eigenen Auftriebskraft drängen sich die luft-
gefüllten Darmschlingen gegen den im Füllungszustand tief¬
stehenden Magen und können so mittelbar ein Hindernis bilden,
das die Inspiration erschwert.
Es ist in gewisser Hinsicht der Verdauungszustand mit
seinen Begleiterscheinungen, welcher die Leistungsfähigkeit
des Badenden herabsetzt. Aber die grosse Bedeutung, welche
dem vollen Magen für die Erklärung plötzlicher Todesfälle im
Wasser beigemessen werden darf, hat doch noch einen anderen
Grund. Das Hauptgewicht ist m. E. auf den Umstand zu
legen, dass die starke Ausdehnung des Magens
eine Raumbeengung innerhalb der Bauch¬
höhle schafft, welche die Exkursionsfähigkeit des Zwerch¬
fells vermindert und die Tätigkeit des wichtigsten
Atemmuskels erheblich erschwert.
Wir haben es, allgemein ausgedrückt, bei diesen Todes¬
fällen mit einer besonderen Form von Bewusst¬
losigkeit und Tod durch Behinderung oder
besser von Bewusstlosigkeit und Tod durch
Erschwerung der Atembewegungen zu tun.
Die vorliegende Literatur über Tod durch Behinderung
der Atembewegungen ist nicht gross, enthält aber einige be¬
achtenswerte Angaben.
Tamassia fand bei Tieren, dass die Belastung des
Thorax mit einem Gewicht, das die Hälfte oder zwei Drittel
des Körpergewichts ausmacht, 6 — 7 Stunden ertragen werden
kann, aber den Tod herbeiführt, wenn sie über 10 Stunden aus¬
gedehnt wird. Ist die Kompression gleich dem Körpergewicht
oder übersteigt sie dasselbe um X oder X, so tritt der J od
nach 30—100 Minuten ein. Die gleichzeitige Belastung des
Thorax und des Abdomens kann etwa 3 Stunden ertragen wer¬
den. Sie beschleunigt also den Todeseintritt. Verdoppelt man
die Belastung, so stirbt das Tier in durchschnittlich 1 X Stun¬
den. In einigen dieser Fälle tritt rasche Asphyxie und Tod ein.
Die kürzeste Zeit ist 35 Minuten.
Die klinischen Erscheinungen sind sehr einförmige. Nach
anfänglichen Abwehrbewegungen wird die Atmung flach und
etwas beschleunigt, der Typus abdominal. Der Tod tritt im
tiefsten Kollaps ein. Schwache Konvulsionen im Beginn der
Dyspnoe. Terminale Atembewegungen.
Werden die Gewichte vor Eintritt des Todes entfernt, so
kehrt die Respiration rasch zu ihrem gewöhnlichen Typus zu¬
rück. Das überlebende Tier zeigt keinerlei Krankheitserschei¬
nungen.
T a r d i e u machte bei Kaninchen und Meerschweinchen,
deren Rumpf er durch Gewichte und Bandagen komprimierte,
die Beobachtung, dass der Tod durch eine einfache metho¬
dische Kompression des Brustkorbs manchmal nur schwer
herbeizuführen war. Der Tod tritt dagegen rasch ein, wenn
ein starker Druck gegen den Bauch ausgeübt wurde. Dieses
Untersuchungsergebnis bestätigte die Mitteilung von Isnard
und D i e u, welche betonen, dass bei dieser Form des Er¬
stickungstodes die Kompression des Bauches und das Hinauf¬
drängen des Zwerchfells die Hauptrolle spielt.
Die Symptomatologie des Todes durch Behinderung der
Atembewegungen lässt sich am besten studieren am Versuchs¬
tier, dessen Rumpf in Quecksilber eingetaucht ist. Mit Rück¬
sicht auf die geringe Menge des uns zur Verfügung stehenden
Quecksilbers, benutzten wir für diese Versuche Mäuse. Die
Versuchstiere wurden in kleine Glaszylinder gebracht und an
den Hinterfüssen in geeigneter Weise fixiert. Das klinische
Verhalten der Tiere entspricht den Angaben von Tamassia.
Die Atmung ist rein thorakal im Gegensatz zu dein abdominalen
Atmungstypus bei Thoraxkompressionen. Die Inspirationen,
deren Kraft an den Schwankungen der Quecksilberoberfläche
leicht abzuschätzen ist, werden allmählich schwächer und das
Tier stirbt nach verschieden langer Zeit an Erstickung.
Durch Versuche an Meerschweinchen überzeugten wir
uns, dass es durch entsprechend starken Druck auf den Bauch
möglich ist, sowohl die Brust- wie die Zwerchfellatmung zu
verhindern. Das Tier, welches infolge Luftmangels eine opis-
thotonische Haltung annimmt, vermag bei stärkerer Kompres¬
sion nur noch schwache Laute von sich zu geben und Wird
bei stärkstem Druck völlig atemlos. Die Bewusstlosigkeit
tritt nach etwa einer Minute ein, der Jod in wenigen Minuten.
Wird die Kompression nach Eintritt der Bewusstlosigkeit rasch
beseitigt, so gelingt es in allen Fällen durch Anwendung künst¬
licher Atembewegungen die Tiere zum Leben zurückzurinen.
Sauerbruch versuchte die Blutstillung an Leber und
Milz mit Hilfe geeigneter Anwendung der komprimieiten Luft,
musste aber von der Fortsetzung dieser Versuche abstehen, da
fast stets als gefährliche Nebenerscheinungen em Hinauf-
2232
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. -45.
drängen des Zwerchfells mit folgender Atembehinderung ein¬
trat.
Nun ist allerdings hervorzuheben, dass zwischen der An¬
ordnung dieser Experimente lind den Bedingungen, welche den
schwimmkundigen Menschen in Ertrinkungsgefahr bringen,
wesentliche Unterschiede bestehen.
Das Tier, dessen Rumpf belastet ist, erträgt die Kompres¬
sion eine geraume Zeit, während der Schwimmer bereits
wenige Minuten nach Beginn des Bades versinkt. Man kann
das Verhalten des Schwimmers nur mit dem Verhalten des
I ieres vergleichen, dessen Brust- und Zwerchfellatmung durch
Druck auf das Abdomen brüsk unterdrückt wurde. Die
äusseren und inneren Einflüsse, welche den Schwimmer treffen,
sind wahrscheinlich, wenigstens in ihrer Wirkung, den Ver¬
suchsbedingungen ähnlich, denen diese Tiere unterworfen wur¬
den. Die Atemlosigkeit, welche bei dem Versuchstier durch
mehr oder weniger starke Rumpfkompression rascher oder
langsamer herbeigeführt wird, resultiert beim Schwimmer aus
der Summe der Faktoren, welche ein erhöhtes Respirations-
bedürfnis schaffen und die Atmung mechanisch behindern.
Wir erwähnten bereits, dass schon der Wasserdruck allein
die Atmungsmechanik erschwert. Während des Schwimmens
tritt eine weitere beträchtliche Vermehrung der Atemarbeit
ein durch die lebhafte Muskeltätigkeit, welche die kräftigen und
plötzlichen Schwimmbewegungen erforderlich machen. Schon
bei mässiger Geschwindigkeit ist das Schwimmen eine Fort¬
bewegung, die mit einer recht bedeutenden Anstrengung ver¬
bunden ist. Schnelles Schwimmen erfordert einen Energie¬
aufwand, der die Leistungsfähigkeit selbst kräftiger Personen,
wenn sie nicht besonders eingeübt sind, infolge eintretender
Atemlosigkeit in kürzester Zeit erschöpft.
Nebenbei sei erwähnt, dass das Zwerchfell der Tiere,
welche tauchen oder im Wasser leben, besonders kräftig ent¬
wickelt ist.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass zu den beiden ge¬
nannten Faktoren (Wasserdruck, Muskelarbeit) bei den in
Rede stehenden plötzlichen Unglücksfällen im Wasser noch
ein dritter Faktor hinzukommt (Vergrösserung des Magen¬
volumens durch starke Anfüllung mit Speisen, Flüssigkeit und
Gas), welcher mechanisch die Zwerchfellbewegungen hemmt,
so darf es uns nicht wundernehmen, dass auch gute Schwim¬
mer unvermutet atemlos werden und in Ertrinkungsgefahr ge¬
raten. Vielleicht veranlasst gerade der Umstand, dass diese
Personen im Vertrauen auf ihre körperliche Leistungsfähig¬
keit den Beginn ihrer Schwimmübungen mit erheblichem Kraft¬
aufwand ausführen, den jähen Eintritt der Atemlosigkeit und
den verhängnisvollen Ausgang.
Die genannten drei Faktoren scheinen in so heimtücki¬
scher Weise zusammenzuwirken und das Atembedürfnis in so
unmerklicher und rascher Weise zu steigern, dass die Gefahr
den betroffenen Personen selten rechtzeitig zum Bewusstsein
kommt. Die Unglücksfälle treten plötzlich ein, ohne dass die
Augenzeugen zuvor etwas Auffälliges an dem Schwimmer be¬
obachteten und ohne dass der Ertrinkende Hilferufe ausstösst.
Offenbar hindert der Luftmangel den Verunglückten auch am
Schreien.
Unter den physiologischen Ausnahmezuständen können
Ueberanstrengungen und dadurch herbeigeführte Ermüdungs¬
zustände auch ohne das Hinzutreten eines weiteren Umstandes
ein plötzliches Untergehen selbst ausgezeichneter Schwimmer
herbeiführen. Solche Unfälle beobachtet man, wie Ko ekel
erwähnt, am häufigsten bei Rettungsversuchen und beim Wett¬
schwimmen, ferner, wie ich erfahren habe, auch bei Tauch¬
übungen. Herr Glasermeister Thies in Hamburg teilt mir
ein interessantes Vorkommnis mit, das er als Augenzeuge
während eines Schwimmfestes zu beobachten Gelegenheit
hatte. Beim sog. Hechttauchen ereignete es sich, dass ein
Schwimmer die bisher nicht erreichte Strecke von 78 m unter
Wasser zurücklegte, aber bewusstlos wurde, bevor er die
Wasseroberfläche wieder erreichte und nur durch die rasche
Hilfe meines Gewährsmannes gerettet werden konnte,
Aber diese Mitteilungen betreffen, wie die eben geschil¬
derte, Fälle, in denen die körperliche Leistungsfähigkeit bis zum
äussersten angespannt wurde.
Die Beziehungen der verschiedenen äusseren und inneren
Gelegenheitsursachen (Organerkrankungen, Epilepsie, lym¬
phatische Konstitution, Ueberhitzung des Körpers, Schock,
Kältewirkung des Wassers und Alkoholismus) sind durch die
Arbeiten von Pal tauf und Ko ekel hinreichend geklärt.
An mythische Vorstellungen erinnert die Grille der Alten, dass
das verschluckte Wasser den Magen des Schwimmers auf eine
tödliche Weise ausdehne (Vogel) und die Annahme, dass
Wasserpflanzen wie Polypenarme sich um den Schwimmer
klammern und ihm trotz Kunst und Kraft ein kühles Grab be¬
reiten (N a e g e 1 i).
Wenn ihre Ursache auch rätselhaft blieb, so war die Ge¬
fahr, welche das Baden und Schwimmen unmittelbar nach '
einer reichlichen Mahlzeit mit sich bringt, in ihrer praktischen
Bedeutung vom Volke längst richtig erkannt.
In dem physiologischen Mechanismus der besprochenen
I odesart ist es begründet, dass diese Gefahr sich durch keiner¬
lei Vorboten ankündigt. Wie ein tückischer Feind umlauert sie
den arglosen, Erfrischung und Stärkung suchenden
Schwimmer.
Es kann daher nicht eindringlich genug auf die Beherzi¬
gung der alten, oft ausgesprochenen Warnung hingewiesen
werden: Badet nicht mit vollem Magen!
Hambur g, August 1907.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehl¬
kopfkrankheiten in Erlangen (Direktor: Prof. Denker).
Beitrag zur Behandlung des chronischen Kieferhöhlen¬
empyems.
Von Dr. G. F r e y, Volontärassistent der Klinik.
Während für die konservative Behandlung der chronischen
Kieferhöhlenempyeme wohl von fast allen Autoren die Aus¬
spülungen als der beste therapeutische Eingriff betrachtet wer¬
den, gehen die Ansichten über die operative Radikalbehandlung
noch erheblich auseinander.
Die alte Desault-Küste Esche Methode hat immer
noch Anhänger, die mit Entschiedenheit für sie eintreten und
in den neueren Verfahren keine Fortschritte erblicken; an¬
dererseits hat in den letzten Jahren das Prinzip der primären
Naht der oralen Wunde mit der Drainage nach der Nasen¬
höhle, das von Luc und C a 1 d w e 1 1 eingeführt wurde, mehr
und mehr Anhänger gewonnen. Aber auch hier bestehen noch
umstrittene Punkte: soll zur Anlegung der Gegenöffnung die
untere Muschel reseziert werden oder soll sie erhalten bleiben?
Gerber macht die Gegenöffnung im mittleren Nasengang um
sie zu schonen; Börger befürwortet die Erhaltung derselben
aus Furcht vor abnormer Borkenbildung. Aus denselben Grün¬
den lässt Cordes, der im übrigen die Radikaloperation nach
Denker ausführt, die untere Muschel stehen, und nimmt den
f ampon nicht durch die Nase heraus, sondern durch das vor¬
dere Ende des oralen Schnittes. Demgegenüber entfernt z. B.
Luc ungefähr die vordere Hälfte der unteren Muschel. Andere
Autoren (R e t h i, C a v e 1 1 o) haben ein Verfahren angegeben,
nach dem sie die vorderen zwei Drittel der Muschel resezieren,
eine breite Kommunikation mit der Kieferhöhle hersteilen, und
die weiteren Massnahmen von der Nase aus vornehmen, eine
Methode, die quasi als Gegenstück der Desault-Küster-
schen Methode angesehen werden kann.
Dieser kurze Ueberblick dürfte genügen, um zu zeigen,
wie weit die Ansichten über den Wert und die Zweckmässigkeit
der verschiedenen Eingriffe noch auseinandergehen; in Anbe¬
tracht dieser I atsache ist es vielleicht nicht überflüssig, die
Erfahrungen, die in den letzten Jahren in der Erlanger Klinik
mit der Denk er sehen Methode gemacht wurden, einer kurz
gefassten Kritik zu unterziehen.
Der Operationsmodus, der von meinem hochverehrten
Chef, Prof. Denker 1905 im Archiv für Laryngologie aus¬
führlich beschrieben wurde, dürfte so weit bekannt sein, dass
es genügen wird, dessen Hauptmomente an der Hand einer
Krankengeschichte zu erwähnen, die wir in extenso wieder¬
geben. Ueber die anderen Fälle seien nur die wichtigsten Daten
angeführt.
1. Pat. E. K-, Kaufmann, 40 Jahre alt, Aufenthaltszeit in der Klinik
von 13. November bis 4. Dezember 1905. Pat. war früher nie krank;
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2233
bemerkte vor 3 Jahren zum ersten Male übelriechendes Sekret in
seiner Nase rechts. Er begab sich in spezi, alistische Behandlung; am
25 April 1904 Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes. Januar 1905
wieder Sekret und „Borkenbildung“. Am 17. Mai 1905 wird hier
folgender Status erhoben: oberhalb des vordersten Teils der unteren
Muschel ist die laterale Nasenwand mit dem Septum verwachsen.
Durchleuchtung: rechte Kieferhöhle stark verdunkelt. Nach Kokaini-
sierung und Neigung des Kopfes nach links kommt fötides eitriges
Sekret im mittleren Nasengang zum Vorschein. Hinten im mittleren
Nasengang sind kleine Polypen sichtbar. Nase links unverändert.
Extraktion des 2. Prämolar, is; Anbohrung der Kieferhöhle, in der
sich eitriges, fötides Sekret befindet. Spülungen. Sekret bleibt fötid.
Aufnahme in die Klinik. Resektion der unteren Muschel am
14. November 1905.
16. Nov. Operation in Morphium-Aethernarkose. Schnitt 1 cm
oberhalb des Zahnfleischrandes, beginnend oberhalb des Weisheits-
zahnes, horizontal nach vorn, im Bogen neben dem Erenulum labii
superioris hinaufziehend. Beim Zurückschieben der Weichteile bis unter
die Orbita zeigt sich, dass die faziale Wand der Kieferhöhle an der
Stelle fehlt, welche der Fortsetzung der Alveole des 2. Prämolaris
nach oben entspricht. Dieser Defekt hat eine Höhe von ca. 2%. cm
und eine Breite von 1— Wz cm. — Zurückschiebung von Schleim¬
haut und Periast der lateralen Wand des unteren Nasenganges mit
dem S t a c k e sehen Elevatorium (keine besondere Blutung), Resek¬
tion der fazialen Kieferhöhlenwand von dem beschriebenen Defekt
aus mit Zange und Meissei. Die unter dem Knochen liegende
Schleimhaut ist blaurot und weist eine Dicke von 3—4 mm auf; die
ganze Schleimhaut der Kieferhöhle zeigt diese Veränderung. Ab-
kratzung der Schleimhaut am Boden und im unteren Teil der medialen
Kieferhöhlenwand. Fortnahme der knöchernen lateralen Wand des
unteren Nasenganges von der Apertura piriformis bis zur hinteren
Wand des Kieferhöhle. Bildung eines grossen rechteckigen Schleim¬
hautlappens mit der Basis am Nasenboden aus der vorher abgelösten
Mukosa der lateralen Wand des unteren Nasenganges; Hereinklappen
desselben auf den Boden der Kieferhöhle. Tamponade mit Vioform-
gaze von der bukkalen Wunde aus, primäre Naht der letzteren mit
Seide. Dauer der Operation 1 Stunde und 10 Minuten. — Am Abend
der Operation Temperatur 38; vom 3. Tage an gänzlich fieberfreier
Verlauf. — Die Nähte und Tampons wurden am 4. Tage nach der
Operation entfernt. Bukkale Wunde geschlossen. Regelmässige
Ausspülungen und Borsäureeinblasungen, die der Patient nach kurzer
Zeit sehr leicht selbst ausführen kann.
Entlassung am 4. Dezember, also 18 Tage nach der Operation.
Kontrolluntersuchung am 5. Mai 1907 : keine Sekretion.
Mit Rücksicht auf die Resektion der unteren Muschel wird Pat. ge¬
fragt, ob er über Borkenbildung oder Neigung zu Katarrhen zu klagen
habe ; beides wird negiert.
2. Pat. Wilhelmine E., 30 Jahre alt (vorher an doppelseitiger
Stirnhöhleneiterung nach K i 1 1 i a n operiert). Radikal operiert am
28. November 1904 links. Kontrolliert am 2. März 1907: Kiefer¬
höhle frei von Sekret.
•3. Pat. B. F., 50 Jahre alt. Eiterung seit 3 Jahren. Eröffnung
von der Alveole vor 3 Jahren. Radikal operiert am 23. Januar 1905.
Die stark degenerierte Mukosa der fazialen und medialen Kiefer¬
höhlenwand wird entfernt, ebenso auf dem Boden; an der hinteren
Wand wird sie stehen gelassen. — Verlauf fieberfrei; Entlassung nach
19 Tagen. Kontrolliert am 15. April 1907 : keine Spur von Se¬
kret. Neigung zu Katarrhen nicht vorhanden.
4. Pat. Fräulein H. S., 41 Jahre alt. Eiterung rechts seit
3 Vs Jahren. Vor 3 Jahren Eröffnung von der Alveole. Vor Vz Jahr
Eröffnung von der Fossa canina. Radikaloperation am 12. Januar
1905; Mukosa so stark degeneriert, dass sie in toto entfernt werden
muss. Fieberfreier Verlauf. Da immer noch Eiter von der Stirnhöhle
herunterkommt, wird am 25. Februar 1905 die Stirnhöhlenoperation
nach Killian ausgeführt. Kontrolle am 27. Februar 1907: Keine
Spur von Sekret. Neigung zu Katarrhen seit der
Operation geringer.
5. Pat. Frau K- Q., 35 Jahre alt. Seit ca. 2 Jahren Eiterung rechts,
vor 1% Jahren Eröffnung von der Alveole aus. Radikaloperation
am 25. Januar 1905. Fieberfreier Verlauf. Entlassen am 25. Februar
1905; nachträgliche Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes. Kontrolliert
am 1 . Mai 1907 : Neigung zu Katarrhen wesentlich ge¬
ringer, keine Spur von Sekret.
6. Pat. Joseph S., 32 Jahre alt. Eiterung seit 2% Jahren. Ein
Monat vor der Operation Eröffnung von der Alveole aus; Radikal¬
operation am 4. Mai 1905. Mukosa, weil überall polypös degeneriert,
in toto entfernt. Glatter Verlauf. Entlassen am 16. Mai 1905. Kon¬
trolliert am 5. Mai 1907 : wenig schleimiges Sekret.
Keine Neigung zu Katarrhen.
7. Pat. A. W., 32 Jahre alt. Eiterung rechts seit 12 Jahren. Vor
4 Jahren Eröffnung von der Alveole aus. Radikaloperation am 8. Sep¬
tember 1905. Mukosa der hinteren Wand wird stehen gelassen, an
den anderen Wänden abgekratzt. Temperatur am Abend der Opera¬
tion 38,5°, nachher normal. Entlassung nach 6 Tagen. Kontrolliert
am 5. Mai 1907: kein Sekret; Neigung zu Katarrhen
verschwunden.
8. Pat. Johann S., 46 Jahre alt. Seit 2Vz Jahren Eiterung beider¬
seits. Lange Zeit hindurch Ausspülungen mit dem S i ebenmann -
sehen Röhrchen. Am 8. Januar 1906 Radikaloperation links. Die
No. 45.
stark degenerierte Mukosa der fazialen und der medialen Wand, so¬
wie des Bodens wird entfernt; hinten wird sie stehen gelassen.
Fieberfreier Verlauf. Entlassung am 19. Februar 1906. Radikalopera¬
tion rechts am 28. Mai 1906. Mukosa bleibt auch hier an der hinteren
Wand stehen. Glatter Verlauf. Kontrolliert am 5. Mai 1907: rechts
etwas schleimiges Sekret; links keine Spur davon.
Keine Neigung zu Katarrhen.
9. Pat. Rosa M., 24 Jahre alt. Eiterung links seit % Jahren.
Radikaloperation am 28. Mai 1906. Die stark verdickte Mukosa wird
nur am Boden und im unteren Teil der medialen Kieferhöhlenwand
entfernt. Fieberfreier Verlauf. Entlassen am 9. Juni 1906. Kontrolliert
am 10. Mai 1907: bisweilen leichte Nasenkatarrhe,
keine B 0 r k e n b i 1 d u n g.
10. Pat. Babette M., 36 Jahre alt. Eiterung rechts seit Wz Jahren.
Lange Zeit hindurch Ausspülungen mit dem Sieben mann sehen
Röhrchen. Radikaloperation am 9. April 1906. Mukosa auf ca. 3 mm
verdickt, wird aber nur am Boden und an der medialen Wand ent¬
fernt. Höchste Temperatur 38°, vom 3. Tage an fieberfrei. Ent¬
lassung am 24. April 1906. Kontrolliert am 5. Mai 1907 : M ä s s i g e
Krustenbildung; keine Neigung zu Katarrhen.
11. Pat. R. S., 32 Jahre alt. Seit 8 Jahren Eiterung rechts. Vor
einigen Jahren Eröffnung von der Alveole aus. Radikaloperation am
8. April 1906. Die verdickte Mukosa bleibt an der hinteren Wand
stehen. Entlassung nach 14 Tagen. Kontrolliert am 2. Mai 1907:
keine Neigung ,zu Katarrhen.
12. Pat. E. R., 58 Jahre alt. Beginn des Leidens vor ca. 2 Jahren,
links. Behandlung mit Siebenmann scher Röhre 5 Wochen lang.
14. Tage vor der Operation Ausräumung des Siebbeinlabyrinthes.
Radikaloperation am 23. Mai 1906. Mukosa stark verdickt; wird nur
am Boden und an der medialen Wand entfernt. Verlauf glatt, fieber¬
los. Entlassung nach 21 Tagen. Kontrolliert am 1. Mai 1907: Mäs-
sige geruchlose Sekretion von der Stirnhöhle her;
Kieferhöhle ganz frei. Keine Neigung zu Katar¬
rhen.
13. Pat. Sabine W., 34 Jahre alt. Seit 2Vz Jahren Eiterung links.
2 mal Eröffnung von den Alveolen aus. Radikaloperation am
12. Juli 1906. Mukosa stark verdickt; wird nur am Boden und im
unteren Teil der medialen Wand entfernt. Verlauf normal. Entlassen
nach 11 Tagen. Kontrolliert am 15. April 1907: In der Kiefer¬
höhle gar kein Sekret. Von der Stirnhöhle kommt Sekret
herunter. Neigung zu Katarrhen, die vorher stark war,
gänzlich verschwunden.
14. Pat. Meta S., 28 Jahre alt. Beginn der Eiterung (links) vor
% Jahren. Vor ca. 5 Monaten von anderer Seite Eröffnung von der
Fossa canina aus. Radikaloperation am 14. September 1906. Mukosa
auf 3 mm verdickt; wird nur am Boden und im unteren Teil der
medialen Wund kürettiert. In den folgenden Tagen Temperatur¬
erhöhung bis 38°. Entlassung nach 20 Tagen. Kontrolliert am
1. März 1907: gar keine Sekretion; Neigung zu Katar¬
rhen viel geringer als früher.
15. Pat. J. C., 35 Jahre alt. Beginn der Krankheit (rechts) vor
ca. 16 Jahren. Vor 13 Jahren Eröffnung von der Fossa canina aus;
vor 1 Jahr Eröffnung von der Alveole aus. Radikaloperation am
31 Oktober 1906. Mukosa 2—3 mm dick, wird am Boden und an der
medialen Wand entfernt. Verlauf normal. Entlassung nach 14 Tagen.
Kontrolliert am 3. April 1907: wenig schleimiges Sekret;
Neigung zu Katarrhen verschwunden.
16. Pat. M. G., 36 Jahre alt. Radikaloperation beiderseits am
14. Dezember 1906; die Sekretion in den Kieferhöhlen
sistiert bald vollständig. Exitus im April 1907 an
Hirnabszess, der von einer Nekrose der Lamina cribrosa des Sieb¬
beins, die im Anschluss an tertiäre Lues entstanden war, sich ent¬
wickelt hatte.
17. Pat. H., 40 Jahre alt. Seit 4—5 Jahren Eiterung rechts.
6 Wochen lang ganz regelmässige Behandlung mit der Sieben¬
mann sehen Röhre. Radikaloperation am 22. September 1906. Ver¬
lauf normal. Entlassen nach 14 Tagen. Kontrolliert am 15. April 1907:
Kein Sekret; Neigung zu Katarrhen. Pat. ist durch seinen
Beruf gezwungen, sich häufig in staubigen Räumen aufzuhalten, und
neigt aus diesem Grunde in gleicher Weise wie vor der Operation
zu Katarrh mit schleimiger Sekretion.
18. Pat. F. Seit vielen Jahren übelriechende Eiterung beiderseits.
Am 17. Juni 1907 Radikaloperation rechts. Mukosa der hinteren
Wand (auf ca. 3 mm verdickt) bleibt stehen. Links Anbohrung von
der Alveole aus. Verlauf normal. Entlassen nach 19 Tagen mit
geringer schleimiger Sekretion.
19. Pat. H. K. Eiterung rechts seit ca. Wz Jahren. Wird
ca. 4 Wochen lang regelmässig ausgespült, ohne dass der Fötor ver¬
schwindet. Radikaloperation am 30. Mai 1907. Mukosa der oberen
und hinteren Wand wird stehen gelassen. Entlassen nach 24 Tagen
mit minimaler Sekretion.
20. Pat. G. Eiterung rechts seit 3 Jahren. Radikaloperation am
4. Juli 1907. Verlauf normal. Entlassen nach 9 Tagen mit geschlos¬
sener oraler Wunde.
21. Pat. R. Eiterung rechts seit Jahren; monatelang regelmässige
Ausspülungen. Radikaloperation am 19. Juli 1907. Mukosa der
hinteren Wand (auf ca. 3 mm verdickt) bleibt stehen. Verlauf normal.
Nach 14 Tagen entlassen mit Verschluss der bukkalen Wunde und
geringer schleimiger Sekretion.
2234
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Somit wären von den 21 operierten Fällen 17, soweit es
sich klinisch beurteilen lässt, wohl als dauernd geheilt zu be¬
trachten; auch die 4 letzten Fälle gehen mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit der dauernden Heilung entgegen, müssen jedoch
später noch kontrolliert werden. Es hat demnach das
in unserer KlinikangewendeteVerfahrenauch
beidenhartnäckigstenundschwierigstenFäl-
1 e n bisher niemals versagt; ein Risiko wurde nie
beobachtet.
Was den Fall M. Q. betrifft, der, an den Kieferhöhlen ge¬
heilt, einige Monate nach der Operation an Hirnabszess zu
gründe ging, so waren dort die Verhältnisse so kompliziert,
dass der Fall der Gegenstand einer besonderen Mitteilung sein
wird.
Wie schon Prof. Denker auf dem Kongress der Süd¬
deutschen laryngologischen Gesellschaft 1907 in Heidelberg mit¬
teilte, wurden die Patienten nach einer durchschnittlichen Nach¬
behandlungsdauer von 1614 Tagen entlassen.
Fragen wir uns nun, auf was für Umstände diese gün¬
stigen Resultate zurückzuführen sind, so möchten wir folgendes
hervorheben:
So oft dies auch seit den Mitteilungen von Luc und C a 1 d-
w e 1 1 geschehen ist, müssen wir doch auch an dieser Stelle
betonen, dass wir die primäre vollständige Naht der oralen
Wunde als einen entschiedenen Fortschritt betrachten. Die
angeblichen Nachteile der Gegenöffnung in der Nase, die unter
anderen Koellreuther hervorhebt (abnorme Kommuni¬
kation, Möglichkeit der Entstehung eines Pyosinus) scheinen
uns die grossen Vorzüge des primären bukkalen Verschlusses
nicht aufzuwiegen. Diese Vorteile sind schon so oft hervor¬
gehoben worden, dass wir sie nur anzudeuten brauchen: die
für den Patienten trotz aller Prothesen läs¬
tige Kommunikation mit der Mundhöhle fällt
weg; die Nachbehandlung durch die Nase wird
nicht erschwert, sondern wie wir glauben, er¬
heblich vereinfacht und ist für den Patienten
entschieden angenehmer. Eine Nachbehandlung wäre
vielleicht überhaupt nicht unbedingt notwendig, doch ist es er¬
wünscht, dass das Sekret, das sich in der ersten Zeit immer
bildet, entfernt werde.
Was die Resektion des vorderen Drittels oder der vor¬
deren Hälfte der unteren Muschel betrifft, so möchten wir von
derselben nicht Abstand nehmen, weil sie am besten die Her¬
stellung einer breiten Kommunikation mit der Nase möglich
macht, und somit die vollständige primäre Naht der oralen
Wunde gestattet; bis jetzt haben wir uns von den üblen Folgen,
die dieser Eingriff nach sich ziehen soll, nicht überzeugen
können. Die genaue Kontrolle an den Patienten zeigte im Ge¬
genteil, dass bei fast allen Operierten weder Borkenbildung
noch vermehrte Neigung zu Katarrhen vorhanden waren.
Eine „radikale“ Methode im anatomischen Sinne des Wor¬
tes, d. h. eine Methode, die zur Verödung der Kieferhöhle
führen würde, wie dies bei der Stirnhöhlenoperation nach
Killian der Fall ist — gibt es nicht. Auch mit dem De-
saultschen Verfahren wird dieses Ziel nicht erreicht. Wel¬
ches ist nun das anatomische Resultat und der Heilungsverlauf
der Methoden, bei denen die orale Wunde verschlossen und
die Mukosa nach Möglichkeit erhalten wird? Die Erfahrungen
in unserer Klinik haben ebenso wie die Kretschmann-
schen Beobachtungen gelehrt, dass die nicht vollständig poly¬
pös oder zystisch degenerierte, sondern nur entzündlich infil¬
trierte Schleimhaut zu normalem Verhalten zurückkehren
kann, wenn dauernd für eine Fernhaltung der Eiterretention
gesorgt wird. Der schnelle Heilungsverlauf bei unserem Ver¬
fahren wird hauptsächlich dadurch bedingt, dass nach dem Ein¬
griff der grösste Teil der Höhlenwandungen bereits mit Epithel
bedeckt ist — an der hinteren und oberen Wand und an dem
oberen Teil der medialen Wand ist die Mukosa konserviert
und der Boden durch die Lappenbildung ebenfalls mit Schleim¬
haut bedeckt; es braucht sich demnach nur noch die faziale
Wand, welche nach Resektion des Knochens von der inneren
Periostfläche dieser Gegend gebildet wird, mit Epithel zu über¬
ziehen, und das geschieht von der umgebenden Schleimhaut
aus jedenfalls sehr schnell.
Die Borsäureeinblasungen während der Nachbehandlung,
die, wie die Erfahrungen bei den am Ohr radikal Operierten
zeigen, die Epithelisierung beschleunigen, halten Wir für sehr
zweckmässig.
lieber orthotische Albuminurie bei Nephritis.*)
Von Dr. H. E n g e 1 in Bad Helouan (Aegypten), im Sommer in
Bad Nauheim.
M. H. ! Es ist nicht meine Absicht, in folgendem die Frage
der orthotischen Albuminuriej welche vor diesem Forum schon
so oft zur Diskussion gestanden hat, von neuem in ihrer gan¬
zen literarischen und kasuistischen Ausdehnung aufzurollen.
Die von mir beobachteten Fälle haben aber für eine der haupt¬
sächlichsten Streitfragen eine so ausschlaggebende Bedeutung,
dass ihre kurze Beschreibung wohl gerechtfertigt erscheint.
Vorausschicken möchte ich, dass der Begriff der ortho¬
tischen Albuminurie in seiner Beziehung zu den anderen Albu¬
minurien nicht als selbständige Krankheitsform aufzufassen ist,
wie dies durch seine Abtrennung z. B. von dem Begriff der
Pubertätsalbuminurie fast immer geschieht. Die Pubertäts-
afbuminurie ist wohl ausnahmslos eine orthotische Albumin¬
urie. Auch das Studium der sog. „physiologischen“ Albumin¬
urie hat ergeben, dass vor allem nach starker Be¬
wegung in aufrechter Haltung, wie beim Exerzieren
und nach Dauermärschen, ein wirklich grosser Prozent¬
satz der Soldaten (75 Proz.) Albumen ausschied. Sicher hat
auch hier das orthostatische Moment einen Anteil an der Er¬
scheinung. Den Begriff der orthotischen Albuminurie fallen
zu lassen, sobald sich organische Elemente im Sediment fin¬
den -), wäre ganz falsch. Die orthotische Albumin¬
urie ist im Sinne des Wortes nur als ein Sym¬
ptom, alsein besondererTypus derausirgend-
welchen Gründen zur Ei Weissausscheidung
disponierten Individuen aufzufassen. Finden
wir also Nephritiker von orthotischem Typus, so müssen wir
diesen Begriff auch in das Kapitel der eigentlichen Nieren¬
pathologie mit hinübernehmen. Man begegnet nun in der Li¬
teratur immer wieder der Anschauung, dass es solche Nephri¬
tiden nicht gäbe. Zwar sind von Senator* 2 3), Keller4),
v. R e u s s n), K n ö p f e 1 m a c h e r 5) u. a. Fälle von kindlicher
Nephritis nach Infektionskrankheiten, wie Scharlach, beschrie¬
ben. Aber doch wird meist angegeben, dass die Beeinflus¬
sung des Eiweissgehalts durch Lageveränderung nicht mit
der Sicherheit eines Experiments erzielt
werden konnte, dass auch der Nachturin ge¬
legentlich Eiweiss enthielt. Auch handelte es sich
bei den betreffenden Patienten meist um akute, rasch abklin¬
gende Nephritis, nicht um das Bild der richtigen chronischen
Nierenentzündung.
Die von mir beobachteten Kranken waren alle 3 mit der
Diagnose: chronische parenchymatöse Nephrl-
t i s zur Kur nach Helouan geschickt. Die Fälle gehörten der
Altersainplitüde von 7 — 20 Jahren an. Der erste hatte vor
3 Jahren Scharlach überstanden, der zweite vor 2/4 Jahren
ebenfalls Scharlach, der dritte vor 2 Jahren eine schwere
Influenza. Die Nephritis war nach den ärztlichen Berichten
im unmittelbaren Anschluss an die Infektion zur Beobachtung
gekommen, sie bestand also bei allen 3 Kranken bereits so
lange, dass von einer ablaufenden akuten oder subakuten Ne¬
phritis nicht mehr die Rede sein konnte. An der Diagnose
einer richtigen chronischen Nephritis konnte auch nach dem
objektiven Befund nicht gezweifelt werden. Es bestand
bei allen Zylindrurie, in 2 Fällen deutliche
Hypertrophia cordis; in einem von mir besonders be¬
obachteten Falle waren sogar leichte urämische
S y m ptome vorhanden. Die 24 ständige Eiweissmenge
betrug in allen Fällen nicht mehr als XA Prom.
x) Vortrag, gehalten auf der 79. Naturforscherversammlung in
Dresden 1907.
2) Hauser: Berl. klin. Wochenschr. 1903, No. 50.
3) Verein für innere Medizin Berlin. Sitzung vom 12. Dez. 1904.
4) Jahrb. für Kinderheilk. 1897, H. 1.
8) Gesellsch. f. innere Med. Wien. Sitzung vom 10. März 1904.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2235
Bei der ausgesprochen nephritischen Natur der Fälle lag
der Gedanke an orthotische Albuminurie nicht nahe. Und doch
erfüllten sie durchaus die wesentlichste Bedingung dieses Be¬
griffs : Bei Horizontallage völlige Eiweissfrei¬
heit, bei aufrechter Stellung Albuminurie.
Letztere trat meist sofort auf, nachdem die Patienten nur
wenige Sekunden gestanden hatten, namentlich wenn sie vor¬
her nur kurze Zeit, etwa 1 — 2 Stunden, gelegen hatten. Nach
längerer Horizontallage, also morgens, bedurfte es oft mehrerer
Minuten bis zum Auftreten von Eiweiss. Umgekehrt trat
das Phänomen der Eiweissfreiheit beim Liegen nicht sofort auf,
sondern brauchte oft 1 — 2 — 3 Stunden bis zu seiner Ausbildung,
je nach dem Grad der vorhergegangenen Ermüdung. Wenn
man also den Morgenurin eiweissfrei finden wollte, so musste
man am Abend vorher 1 — 2 Stunden nach dem Zubettegehen
den Urin nochmals entleeren lassen. Auch durfte der Urin
morgens nicht im Stehen, sondern musste noch im Liegen ge¬
lassen werden. Dass der Urin nach dem Mittagessen völlig
eiweissfrei geworden wäre, wie andere Beobachter von ortho-
tischer Albuminurie, so Edel0), gesehen haben, das war bei
meinen Kranken nur durch Kombination mit Horizontallage zu
beobachten. Dann trat aber die Eiweissfreiheit allerdings
rascher auf als sonst. Die nephri tische Natur der
Fälle erschwerte offenbar das Zustande¬
kommen der Eiweissfreiheit, wie das auch aus den
obenerwähnten notwendigen Verhaltungs- und Vorsichtsmass-
regeln zur Beobachtung des Phänomens hervorgeht. Durch
Nichtbeachtung derselben mag manche orthotische Nephritis
der Diagnose entgangen sein.
Ich habe nun versucht, den Ursachen der Erschei¬
nung näher zu kommen. Man muss unterscheiden : die
das Phänomen direkt auslösenden Momente
und die tieferen Gründe, welche es ermög¬
lichen, dass solche auslösende Einflüsse
wirksam sein können.
Es liegt ausserordentlich nahe, die Veränderungen, welche
im Blutkreislauf durch Stehen und Liegen physiologischer
Weise statthaben, als auslösendes Moment zur Erklärung der
orthotischen Albuminurie heranzuziehen. Zunächst wird man
denken und hat man gedacht an rein hydrostatische
Einflüsse, welche beim Stehen zu einer Stauung des
Venenbluts, dadurch zu einer Verlangsamung der Blutzirku¬
lation in den Nieren und so zu Eiweissdurchtritt führten.
Durch langes, selbst stundenlanges Sitzenlassen, bei
welchem doch auch eine Ueberfüllung der unteren Körpervenen
eintritt, erzielte ich in meinen Fällen nie Albuminurie. Ich ging
aber noch weiter und suspendierte einen der Kranken
nach längerem Liegen aktiv, d. h. ich liess ihn an einer über
seinem Bett angebrachten Eisenstange wie an einem Reck
hängen, natürlich direkt aus der liegenden und eiweissfreien
Position heraus. Es trat kein Eiweiss in wieder¬
holten Versuchen auf, selbst wenn die 30 Sekunden,
die sonst zur Ausscheidung von Eiweiss im Stehen nötig
waren, weit überschritten wurden. .
Die Annahme, dass der allgemeine Blutdruck
und seine Veränderungen bei Stehen und Liegen eine
Rolle spielen, ist falsch. Edel7) fand bei seinen Patienten,
dass im Liegen, wenn kein Eiweiss ausgeschieden wurde, die
Diurese vermehrt war, ebenso wie nach grösseren Mahlzeiten.
Als gemeinsame Ursache nahm er Erhöhung des allgemeinen
Blutdruckes an. Nun fand ich aber in vielfach wiederholten
Versuchen, dass der Blutdruck bei meinen Patienten im Lie¬
gen stets erniedrigt war, im Stehen dagegen
erhöht, was um so auffallender war, als der Puls im Stehen
sehr klein und frequent wurde, während er im Liegen voller
und langsamer schlug. Der 7 jährige Patient, dessen Puls
im Stehen eine Frequenz von 120 — 130 Schlägen hatte, und
dessen Cor öfters Erscheinungen von Insuffizienz zeigte, er¬
hielt nun teils aus therapeutischen Gründen an einem besonders
labilen Tag, teils experimenti causa eine zum Zwecke rascher
Wirkung intravenös verabreichte Dosis von 1 ccm Digalen,
Die Pulszahl im Stehen war nach 5 Stunden von 120 auf 90
6) 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 1901.
7) l c.
abgefallen, die Qualität des vorher sehr kleinen und leicht
unterdrückbaren Pulses besserte sich, die Amplitude wurde
grösser. Wenn die Eiweissausscheidung tat¬
sächlich durch zirkulatorische Momente aus¬
gelöst wurde, so müsste sich nun doch durch
eine solche bedeutende Veränderung der
Kreislaufverhältnisse einEinfluss auf die Al¬
buminurie geltend machen im Sinne einer Ab¬
nahme der im Stehen ausgeschiedenen Ei¬
weissmenge. Bei 120 Pulsen von schlechter Qualität
schied der Junge durchschnittlich % Prom. Albumen aus. Bei
90 Pulsen von guter Qualität änderte sich dieses Verhältnis in
keiner Weise. Orthotische Albuminurien als akute Stauungs¬
albuminurien aufzufassen, woran man namentlich bei einer
gleichzeitigen Beteiligung des Herzens am Gesamtkrankheits¬
bild denken könnte, wäre also ganz falsch. Dass akute Ver¬
änderungen des Drucks und der Durchflussgeschwindigkeit
keinerlei Bedeutung für die Zusammensetzung des Nieren¬
sekretes haben, geht ausserdem aus den experimentellen Unter¬
suchungen verschiedener Forscher, wie C 1 o e 1 1 a, hervor.
Die Annahme einer durch Stehen verursachten Anämie
der Nieren mit konsekutiver Sekretionsanomalie infolge
schlechter Blutzufuhr durch die Arteriae renales — der Blut¬
strom soll an den vertikal von der Aorta abgehenden Nieren¬
arterien im Stehen rascher vorbeischiessen — scheint wenig
plausibel, wenn man bedenkt, mit welcher Schnelligkeit die
Albuminurie bei Orthostatikern einzusetzen pflegt.
Auch folgende Tatsache lässt den Zusammenhang der or¬
thotischen Albuminurie und des Kreislaufes als solchen zweifel¬
haft erscheinen. In allen 3 Fällen war im Urin ein durch
Essigsäure im Kalten fällbarer Eiweisskör¬
per vorhanden, den man früher als Nukleoalbumin, später als
Fibrinogen und Euglobulin definierte. Oft enthielten die ortho¬
tischen Urine nur diese Eiweissart und gar kein Serumeiweiss.
Während nun das Serumalbumin als aus dem Blut stammend
erkannt ist, ist Euglobulinausscheidung auf einen Reizzustand
der Nierenzellen zurückzuführen. Oswald8) hat bereits dar¬
auf aufmerksam gemacht, dass bei Auftreten von Euglobulin
immer parenchymatöse Prozesse im Vordergrund stehen.
Alles das muss unsere Aufmerksamkeit von dem Kreislauf
als auslösendes Moment ab und auf die Zellvorgänge in den
Nieren selbst hinlenken. Bei den Orthotikern ist Eiweiss¬
ausscheidung und Kreislaufänderung im Stehen nicht in Ab¬
hängigkeit voneinander zu bringen, sondern als koordi¬
nierte Reizerscheinung aufzufassen. Es handelt sich
bei ihnen um einen Zustand allgemeiner reizbarer Er¬
schöpfung. Alle Fälle boten dieses auch von anderen )
beobachtete Bild : starke Labilität der Vasomoto¬
ren, rasche Ermüdung, gesteigerte Reflexe.
Nicht die aufrechte Haltung des Körpers in ihrer physikalischen
Bedeutung an sich, sondern der vermehrte nervöse Antrieb,
die grössere Anspannung der Funktionen, die stärkere Arbeits¬
leistung des ganzen Organismus, wie sie durch die aufrechte
Haltung des Körpers bedingt wird und wie wir sie auch physio¬
logischer Weise in vermehrter Atem- und Pulsfre¬
quenz und gesteigertem Blutdruck beobachten, ist das
auslösende Moment. Die vertikale Stellung, eine ent¬
wicklungsgeschichtliche Emanzipation des Menschen, wird
hier vom Organismus als pathologische Leistung emp-
funden und mit einem Hypertonus der Nerven und
der von ihnen abhängigen Gewebsfunktionen beantwortet, dem
die vitalen Kräfte der Organzellen in konkreten Fallen nicht
gewachsen sind und welcher so zu einem Versagen der physio¬
logischen Funktionen führt. .. ,
Forschen wir nun weiter nach den tieferen Gründen,
warum überhaupt in dem oder jenem Fall, und nicht in a en,
solche über die Norm hinausgehenden Reize zu zellularpatho¬
logischen Aeusserungen führen, als welche die orthotis
Albuminurie aufzufassen ist. Für die beschriebenen
(Sem. med. 1899),
8) Münch, med. Wochenschr. 1904, No. 15.
sa jy\ o t* i (Sgtti med» 1896)» Tcissici ,
Wochenschr. 1906, No. 42). *
2236
scheint die Erklärung leicht: Der durch die aufrechte Haltung
Niirlenhenfe Ueberr?IZ konnte an den nephritisch veränderten
Wmmpn S 6 * * *n-mT 0CUS ,minoris resistentiae zum Ausdruck
c.|. .y, ,e hieraus theoretisch mit Recht konstruierbare
Schlussfolgerung, dass man dann doch diesem Phänomen häufi¬
ge! begegnen musste, so oft nur eine Nephritis mit einer ab¬
normen Labilität der Nerven und Zellfunktionen einhergeht
rindet nun aber keine Stütze in der Tatsache, dass nur der
jugendliche Nephmtiker das ungetrübte Bild der orthotischen
Albuminurie abzugeben imstande ist. Unter 70 erwach-
s e ne n chronisch parenchymatösen und inter-
s titi eilen Nephritikern habe ich nie ortho-
n s c h e A 1 b u m i n u r i e g e f u n d e n. Zwar hielt sich auch
bei ihnen die Eiweisskurve meist an dieselben Gesetze wie
bej den Orthostatikern, insofern, als im Stehen mehr ausge¬
schieden wurde als im Liegen; die Kurve erreichte aber nie
den absoluten Nullpunkt. Wenn man solche Fälle beobachtet
iahen will, so wird es sich bei ihnen um ausgesprochene
Schrumpfniere gehandelt haben, bei welcher die Albuminurie
an sich nicht zum unumgänglichen Symptomenbild der Krankheit
gehört und gelegentliche Eiweissfreiheit sehr oft beobachtet
wird ohne dass sie sich an die Gesetze der Orthostatik zu hal¬
ten braucht. In der Juvenilität der Nieren zelle
ist also das Geheimnis der o r t h o s t a t i s c h e n
Ne p h r i 1 1 s e n t h a 1 1 e n. Wohlverstanden bezieht sich das
oi t „jugendlich“ nicht bloss auf das Pubertätsalter, sondern
aut die ganze Zeit des Wachstums bis zum Anfang der zwanziger
Jahre EinerErklarung, warum der jugendlicheNephritiker allein
die orthotische Albuminurie aufweist, kann man, so glaube ich
dadurch naher kommen, dass man den Schwerpunkt
auf d i e „E i w e i s s f r e i h e i t im Liege n“, nicht auf
die „Liwejss aus Scheidung im Stehen“ legt
Die juvenile Zelle hat eine ganz bedeutend grössere Erholungs-
tahigkeit als die des zunehmenden Alters. Im orthotischen
Gliaraktei der Albuminurie drückt sich der energischere Kampf
es jugendlichen Organismus gegen die Krankheit aus, welcher
to rt während bestrebt ist, die Schädlichkeit zu überwinden
sobald ihm nur Zeit zur Erholung seiner Zell-
r u n ktionengelassen wird. Diese Erholungsmöglich-
Keit ist bei Horizontallage vorhanden. Jugendliche Ne-
P h r i t i ke r m i t demPhänomender orthotischen
Albuminurie haben deshalb eine günstigere
i ognose aufzuweisen als jugendliche N e -
P nntik er ohne diese Ersch-einu n g. Tatsächlich
sind 2 von den beobachteten Fällen langsam zur Ausheilung ge¬
kommen.
Dass man berechtigt ist, das Bild der orthotischen Albu¬
minurie als Abortivnephritis nach Infektionskrank-
heiten anzusehen, ergab sich mir aus der Beobachtung mehrerer
ellachenknaben, vrelche in der Rekonvaleszenz nach Dengue-
neber und Typhus einige Wochen Eiweiss im Stehen aus¬
schieden, ohne dass sich Nierenbestandteile im Urin fanden.
Man hat bezweifelt, dass es solche Fälle gebe10) .Die Noxe
hatte bei der mangelnden Disposition der ägyptischen Rasse
iur Nierenentzündungen offenbar nur zu diesem leichten Grad
emer Nephritis geführt, die vielleicht unter europäischen Ver¬
hältnissen, bei entsprechender Rassendisposition oder indivi¬
dueller \ eranlagung, i. e. Minderwertigkeit des Organs, in
eine ernste Erkrankung ausgeartet wäre.
Ein nicht disponiertes Organ kann also eine drohende
epnritis unter dem Bild der orthotischen Albuminurie absol-
wuen. Ott ist diese auch nur der Ausdruck einer ganz gering-
Mgigen Schädigung. Die Bezeichnung Nephritis für jede
ortnotische Albuminurie wäre gewiss zu weitgehend Wir
nennen auch nicht jede Herzschwäche Myokarditis, nicht in je¬
der Spitzendämpfung sehen wir den Ausdruck einer aktiven
und tortschreitenden Tuberkulose. Wie viele überwinden die
angeborene oder erworbene Schwäche eines Organs Die
Statistiken über orthotische Pubertätsalbuminurien11) sind der
lü) B e r n h a r d: Diskussion zum Vortrag von S e n a t o r in der
Berliner med. Gesellsch., 2. Dez. 1904. 1 uei
m Kongress für inn. Med. 1899) I ommel
(Deutsch. Arch. f. klin. Med.. Bd. 78, H. 5 u. 6), A r m s t r o n g (Brit.
■ cd. Journ. No. 2284), Berry (Brit. Med. Journ. 1905) Kanne
l1 V (£r?h' £ Kinderheilk., Bd. XLI1I, H. 5). R e y h e V (78 Vers
deutsch. Naturf. 1906) etc. y w°' vers-
cste Beweis dafür. Immerhin müssen wir aus den beschrie
zu hP uFai!en die NutzaJwendung ziehen und so vorsichtig sein
A Bedenken, dass orthotische Albuminurie eine Nephritis zur
GrundDge haben dass sie d a s Symptom einer chro
ii sehen Nephritis sein kann. — Der relativ günstigeren
AWfgen, erfordern solche Fälle unsere besondere
di? Athn ,^mmerksamkeit. Ich möchte sehr bezweifeln ob
die Ausheilung der beiden europäischen Kranken erfolgt wäre
Massnahmen d-le vorteilhaften klimato-therapeutischen
Massnahmen im Verein mit entsprechender, vor allem robo
nereuder Dmtebk und methodischer schonender Uebung der
denkbar beste Antrieb zur Heilung gegeben worden wäre
Zur Genese der Albuminurien.
Von Di . Er. Sc h m i d t - Badenweiler.
Die Frage nach der Herkunft des Eiweisses im Harn von
dem R^rtP r ZUTdst dahin beantwortet, dass dasselbe
u fute entstamme; durch die entzündlichen Veränderungen
S° das ’’Nlennitr“ geschädigt worden sein und nun dem
Blutalbumin Durchlass gewähren. So soll wenigstens die
auptmenge des Eiweisses in den Harn gelangen, während als
eph logen nur gewisse Eormelemente angesprochen werden.
angeführU^6 einige Zitate aus bekannten Lehrbüchern
„Das Eiweiss, welches in all den genannten Fällen in den
arn ubertritt, stammt aus dem Blute; man kann nicht von
uei Hand weisen, dass vielleicht zuweilen aus den abgestor¬
benen Epithelien geringe Mengen von harnlöslichen Eiweiss-
korpern beigemengt werden, aber darüber, wie weit dieselben
ia Bedacht kommen, fehlt jede Kenntnis; im wesentlichen be-
steht das Eiweiss also aus dem Albumin und den Globulinen des
Blutplasma.“ (K r e h 1, pathol. Physiologie, 3. Aufl., S. 509.)
Auch v. Leube bekennt sich zu dieser Auffassung, wenn
ei schreibt: „Wird das empfindliche Glomerulusepithel bei
Kreislaufstörungen durch mangelhafte Zufuhr von Sauerstoff
insuffizient oder degeneriert es gar bei Nephritis, so sehen wir
regelmässig Eiweiss im Harn auftreten; bei dein Durchtritt des
Eiweisses durch das Filter scheint die Art des im Blut ent-
üaltenen Albumins nicht gleichgültig zu sein (v. Leube, Dia¬
gnose der inneren Krankheiten; 7. Aufl., Bd. I, S. 444). ^
Die Ansicht, dass unter Umständen alles öder fast alles
im Nephritikerharn zur Ausscheidung gelangte Eiweiss von den
kranken Organen produziert werden könnte, ist meines Wissens
nirgends vertreten; und doch ist dieselbe zum mindesten ebenso
emleuchtend wie die oben dargelegte, allgemein gangbare.
xt.. , le Jedes entzündete Organ, wie die gereizten serösen
ail!eVWxedie lhrer Epidermis beraubte Kutis kann doch wohl
auch die Niere ein eiweisshaltiges Wundsekret absondern, das
im allgemeinen um so eiweissreicher (u. U. auch hämorrhagisch)
sein wird, je frischer, intensiver und ausgebreiteter der patho¬
logische Prozess ist.
In letzter Linie entstammt natürlich auch dieses Eiweiss
dem Blute, seine Quelle würde mit Unterbindung der zuführen¬
den Gefasse versiegen. Aber als Wundsekret, als Exsudat ist
es doch von einem Filtrate prinzipiell verschieden.
Bei einer solchen Genese wäre auch die Unbeständigkeit
des Eiweissquotienten verständlich, während bei der Annahme
eines mehr oder minder unmittelbaren Ueberganges des Blut-
eiv eisses die Schwankungen nur schwer erklärbar sind.
Die aufgeworfene Frage hat keineswegs, wie zunächst ver-
E!u(£,t weiden könnte, nur theoretisches Interesse; angenommen,
die Eiw eisskörper im Nephritisharn stammen wirklich aus dem
Nierenparenchym, so besteht wahrscheinlich ein Unterschied
zwischen ihnen und jenen, die bei Stauungszuständen, bei
Physiologischer und orthostatischer Albuminurie ausgeschieden
werden Q. Die Ausarbeitung einer Methode zur Identifikation
c r ^ Xerskfei,n£;r,Senator: Die Krankheiten der Nieren. 2. Aufl.
6. „Die Möglichkeit, dass es (das Nukleoalbumin) aus dem Blut
in den Harn gelangt gleich dem anderen Eiweissarten, ist
nicht von der Hand zu weisen“.
^ Auf die Filtratnatur des Eiweisses bei diesen Zuständen weist
schon die Abhängigkeit von Aenderungen der Zirkulation (wechseln-
der Blutdruck, andere Stromgeschwindigkeit etc.) hin. Hier mag
IS .f^ahnt ?ein,. 'dass bekanntlich die orthostatischen und ver¬
wandten Albuminurien häufig durch das Auftreten eines „eigentüm-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2237
wäre also keine vergebliche Mühe, würde sie doch vielleicht
die oft bestehenden differentialdiagnostischen Schwierigkeiten
aus dem Wege räumen und somit auch für unser therapeutisches
Handeln von Einfluss sein. Auf welchem Wege die skizzierte
Frage beantwortet werden kann, muss einstweilen dahin¬
gestellt bleiben 3). Da ich durch äussere Umstände zurzeit nicht
in der Lage bin an ihrer Lösung zu arbeiten, wollte ich mir er¬
lauben, sie hier zur Diskussion zu stellen.
Die Spätoperation bei Appendizitis.
Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. E. Meusel in Gotha.
Wenn ich in den folgenden Zeilen behaupte, dass die
Spätoperation bei Appendizitis, wenn auch nicht gute, doch
nicht die ausserordentlich ungünstigen Resultate hat wie viel¬
fach behauptet und durch Veröffentlichung von Statistik belegt
wird, so möge mir die Erklärung gestattet sein, dass ich selbst
ein Anhänger der Frühoperation bin, und die überlegenen Er¬
folge der Frühoperation selbstverständlich finde. Die Praxis
zwingt aber recht häufig zu Spätoperationen, weil es immer
noch Kollegen gibt, die eine Blinddarmentzündung erst spät
dem Krankenhause zuweisen und das Publikum vielfach den
Arzt erst recht spät zu Hilfe ruft, sodass es nicht in seiner
Hand steht, für Früh- oder Spätoperation zu entscheiden. Es
sind aber gerade recht verspätete Fälle gewesen, welche un¬
serem Krankenhaus das Vertrauen hiesiger und benachbarter
Kollegen gewonnen haben und die mich veranlassen, die Grund¬
sätze zusammenzustellen, die in der mir unterstellten Abteilung
beobachtet werden.
I. Die Diagnose der eitrigen Appendizitis vorausgesetzt,
wird festzustellen gesucht, ob es sich um einen oder mehrere
Abszesse handelt. An die Untersuchung von den Bauchdecken
aus schliesst sich eine gründliche Untersuchung des Rektums.
Es kommt vor, dass nach der Entleerung des Eiters um den
Wurmfortsatz herum sich noch eine vollständig abgeschlossene
Eiterhöhle der Nachbarschaft findet, im kleinen Becken oder
auf der linken Seite, getrennt von dem primären Abszess. Sol¬
che Ueberraschungen müssen vermieden werden.
Ich halte die Darstellung von der sogenannten allgemeinen
Peritonitis, (wie sie sich stets nach dem Durchbruch des Wurm¬
fortsatzes mit jähem Verlauf einstellen soll, für sehr revisions¬
bedürftig und weit übertrieben. Es handelt sich auch nach dem
Durchbruch meistens um Eiterherde, der bei weitem grössere
Teil des Peritoneums bleibt frei von jeder Entzündung. Der
letzte totbringende Durchbruch ist wohl häufig der eines sol¬
chen Eiterergusses, bei dem das Peritoneum nicht mehr die
Kraft hat sich vor dem Eiter zu schützen und eine allgemeine
Atonie eintritt. Bei vielen perforierten Wurmfortsätzen habe
ich den Eindruck gehabt, dass der Durchbruch schon lange
vor der Operation stattgefunden hat, meist lange vor den ge¬
fahrdrohenden Erscheinungen, die endlich zum Entschluss ge¬
führt haben.
II. Der Eiter wird nur mit dem Tupfer entfernt. Ich be¬
diene mich auch bei tiefen Eiteransammlungen des an einer
langen Zange befestigten Tupfers; es wird so lange fortge¬
tupft als noch eine erhebliche Beschmutzung des Tupfers statt¬
findet. Gespült wird nie. Es ist natürlich nicht möglich, auf
diese Weise die Höhle ganz vollständig rein zu bekommen,
indessen das schadet nichts, sie reinigt sich in den folgenden
Tagen von selbst, jedenfalls wird ihr die Neigung genommen,
sich in ein weiteres Schlingengewirr fortzusetzen.
III. Die Hauptsache ist eine gründliche Tamponade. Jeder
Abszess muss bis in die äusserste Spitze sorgfältig verfolgt,
ausgetupft und tamponiert werden. Ich führe mit einer langen
Kornzange den Tampon über 20 cm in die Tiefe, suche jede
Ausbuchtung gründlich auszustopfen, wo es notwendig ist
werden zwei, zuweilen drei Tampons eingeführt. Bei jungen
Leuten wird ein achtfach gelegter, über zweifingerbreiter Jo¬
doformstreifen benutzt, bei älteren Leuten sterile Gaze.
IV. Die Bauchwunde wird so wenig wie möglich genäht,
nur in den Wu-ndwinkeln, und auch da wird sorgfältig darauf
liehen, globulinartigen Körpers“ gekennzeichnet sind. Vergl. v.
Noordens Handbuch Bd. I, S. 1011.
s) Vielleicht lies.se sich etwas auf dem Wege der organ-
spezifischen Reaktionen erreichen.
gesehen, dass der Tampon ja nicht gepresst und die Entleerung
des Sekretes behindert wird. Die Tampons dürfen nicht früh¬
zeitig gewechselt werden. Ich lasse sie vier bis fünf Tage
liegen. Das Wechseln der Tampons in den ersten drei Tagen
ist für den Kranken ausserordentlich schmerzhaft. Die grossen
Tampons lassen sich nicht rasch entfernen und der Schmerz
verkürzen, im Gegenteil man muss die langen Zöpfe vorsichtig
entwickeln, um etwaige Verklebungen nicht zu schädigen. Dazu
kommt vor allem, dass es nie gelingt den neuen Tampon wieder
so gründlich zu lagern wie der erste gelegen hat. Die Se¬
kretion ist fast immer eine sehr reichliche, und schon am zweiten
Tag konstatiert der Geruchsinn eine bedenkliche Atmosphäre
unter dem Verband. Ich wechsle dann nur die auf die Tam¬
pons aufgelegten grossen Verbandstücke, kürze die Tampons
bis auf ein Weniges über die unterdessen meist eingefallenen
Bauchdecken und lege einen neuen grossen Verband an. Die
Tampons bleiben wieder liegen. Es widerstrebt dieses lange
Liegenbleiben der Tampons unserem aseptischen Denken, in¬
dessen die Erfahrung lehrt, dass es keinen Nachteil bringt, dass
die Peristaltik des Darmes durch die Tampons nicht behindert
wird. Im Gegenteil eine bereits bestehende Erschlaffung wird
häufig rasch behoben. Es schadet nichts, wenn der Tampon,
ehe er eine Abszesshöhle ausstopft, durch vollkommen ge¬
sundes Bauchwand- und Darmperitoneum durchgeht. Es
kommt nicht selten vor, dass man nach Eröffung der Bauch¬
höhle scheinbar ganz gesunde Eingeweide zu sehen glaubt und
erst in der Tiefe auf den gesuchten Herd stösst. In derselben
Weise werden ja auch Eiterungen der Tuben mit dem besten
Erfolg tamponiert und häufig ist der Weg zwischen gesundem
Eingeweide ein recht langer.
V. Ein Nachteil der, ich möchte sagen, offenen Behandlung
der Bauchfelleiterung ist der, dass man bei der Beschränkung
der Naht darauf verzichtet, der Bildung einer Hernie vorzu¬
beugen. Indessen ist das Entstehen eines Bruches auch bei
dieser Behandlung nicht die Regel und das, was uns ausschlag¬
gebend in erster Linie bestimmen muss, die Prognose für das
Leben des Patienten und nicht die Frage einer Nachoperation.
Entsteht wirklich die gefürchtete Hernie, so ist die Operation
keine lebensgefährliche und hat gute Chancen. Man muss nur
bei der Verschliessung zuverlässig gesundes Muskelgewebe
auf gesundes Muskelgewebe vernähen. Man darf nicht den
Rand des Muskels, der noch mit Narbengewebe verwachsen
ist, benutzen, sondern den wirklich gesunden Muskelrand auf¬
suchen. Die Naht des Peritoneums ist bei weitem nicht von
solcher Wichtigkeit. Ich habe daran gedacht, von beiden Sei¬
ten der Bruchpforte aus den Muskel aufzusuchen und den
Bruch extraperitoneal zu operieren, es ist mir aber nie ge¬
lungen, in der Weise vorzugehen, weil die Narbe zu innig mit
dem Bauchfell verwachsen war. Derartige Operationen dür¬
fen nicht zu früh vorgenommen werden, weil bei einigem Zu¬
warten oft ganz erstaunliche Verwachsungen im Operations¬
gebiet spurlos verschwunden sind.
Unter den Todesfällen, die ich zu verzeichnen gehabt Habe,
hat die Sektion mehrmals Eiterungen an dem Grunde der Leber
nachgewiesen. Ein Fall ging 14 Tage, ein andeier 22 Inge
nach der Operation zugrunde. Es war mir nicht gelungen, die
Eiterungen zu erkennen und der Tamponade zugänglich zu
machen. Indessen haben mich gerade solche Fälle, ein über
raschend günstiger Umschwung am ersten Tag, ein leidlicher
Verlauf in der ersten Woche, in der Ueberzeugung bestärkt,
dass die Behandlung der mir zugänglichen Eiterung die rich¬
tige war. Möglich, dass das Erkennen einer solchen Eiterung
einem anderen Operateur gelungen wäre, möglich, dass bei
fortschreitender Technik auch diese unheilbringenden Aus¬
läufer der Appendizitis regelmässig überwunden werden.
Ich darf hieran die Bemerkung knüpfen, dass ich cs nicht
für richtig halte, eine Eiterung zu beseitigen und den oft recht
schwer aufzufindenden, vielleicht teilweise 'Zerstörten Wurm¬
fortsatz einstweilen nicht zu resezieren. Es bleiben ja gev issc
Fälle, wo es unmöglich ist, über alle Hindernisse Herr zu wer¬
den und wo es nicht gelingt, das Ziel zu erreichen. A iei nu
fortschreitender Technik werden diese Fälle immer seltener.
Die Gefahr für den Patienten wird, wenn man nicht zu \ n
Zeit bei dem Suchen braucht, nicht wesentlich erhöht Es wird
ihm aber eine zweite Operation, zu der ihm dei Fntsc 1 uss
2238
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
recht schwer fällt, erspart und die Möglichkeit eines Rezidives
ausgeschlossen.
\om 1. I. 1906 bis 1. VII. 1907 sind im Landkrankenhaus
Gotha 52 Fälle von Appendizitis behandelt worden. 8 kon¬
servativ. Es waren meist Erkrankungen, welche die Höhe
schon überschritten hatten, und der Genesung entgegen gingen,
oder leichte Rezidive einer früheren Perityphlitis. Sie wurden
mit der Weisung entlassen, sich regelmässig vorzustellen und
auf die mögliche Notwendigkeit einer späteren Operation auf¬
merksam gemacht Die zweite Kategorie betraf 13 Kranke,
teils Intervalloperationen, teils Frühoperationen (bis zum
dritten Tag inklusive). Bei einer solchen angeblichen Früh¬
operation war bereits Gangrän des Prozessus eingetreten. Sie
wurden alle geheilt entlassen.
31 Spätoperationen weisen 4 Todesfälle auf (1 an Broncho¬
pneumonie [Alkohol], 2 an Leberabszessen und Pyämie; 1 Fall
in extremis operiert, starb bald nach der Operation).
Aus der inneren Abteilung des St. Rochus-Hospitals zu Mainz
(Oberarzt: Dr. Hans Curschmann).
Multiple Sklerose oder Lues cerebrospinalis?
Von Dr. Kuckro, Assistenzarzt. 1
Seitdem die Erfahrungen und Untersuchungen zahlreicher
Autoren (Oppenheim1), Strümpell2 *), J. Hoff¬
man n 8), Eduard Müller4), Morawitz6), Hans
Curschmann*’) u. a.) gezeigt haben, dass die multiple
Sklerose diagnostisch nicht allein durch den typischen Char-
c o t sehen Symptomenkomplex charakterisiert wird, sondern
dass die Früh- und mittleren Stadien des Leidens häufig der
Charcotschen Trias entbehren, ist auch die Differential¬
diagnose der multiplen Sklerose erweitert und erschwert wor¬
den. In letzter Zeit haben besonders E. M ü 1 1 e r, E r b 7), Hans
Curschmann und v. 0 o r d t 8) auf die nicht seltene und
bisweilen schwierige Differentialdiagnose der multiplen Skle¬
rose und der Lues cerebrospinalis hingewiesen. Sowohl in
dem bei beiden Erkrankungen so häufigen akuten, apoplekti-
formen Beginn der Hirnnerven- und Extremitätenparesen wie
im weiteren Verlauf beider Erkrankungen (spastische Ataxien,
Blasenstörungen, Augenmuskellähmungen etc.) ähneln sich die
genannten Zustände bisweilen ausserordentlich. Auch die gün¬
stige Reaktion auf eine Hg- und Jodkalikur unterscheidet die
Lues cerebrospinalis nicht bindend von der multiplen Sklerose,
da die letztere — propter hoc oder post hoc bleibe dahin¬
gestellt — wie auf viele andere medikamentöse Massnahmen,
auch auf antiluetische Behandlung häufig Besserung erfährt.
Die Schwierigkeit der Differentiadiagnose wächst dadurch,
dass speziell bei der ländlichen Bevölkerung, namentlich bei
Frauen, die Anamnese auf Lues oft grosse Schwierigkeiten
macht. .
. Dass aber auch bei sicher beobachteter vorangegangener
Syphilis bei einem später eintretenden Spinalleiden die Differen¬
tialdiagnose zwischen beiden genannten Krankheiten sehr
schwer sein kann, beweist folgender Fall:
Pat. Hans B.. 30 Jahre alt, Schneider, trat am 17. Mai 1907 ins
hiesige Krankenhaus ein.
Anamnese: Vater mit 51 Jahren an Lungenleiden gestorben.
Mutter mit 49 Jahren an Nierenleiden gestorben. Von Geschwistern
sind 3 gesund, ein Bruder 37 Jahre alt, nervenleidend, war einmal in
einer Heilanstalt für Nervenkranke.
Pat. hatte mit 15 Jahren Lungenspitzenkatarrh, mit 28 Jahren
Bluthusten. Im Alter von 20 Jahren akquirierte er
Syphilis, die im städtischen Kranken hause zu
Frankfurt (Herxheimer) behandelt wurde mit
Schmierkur. Zwei Jahre darauf diente er 6 Monate beim
Militär, wurde angeblich eines Magenleidens wegen entlassen. 1903
bekam Pat. Geschwüre am ganzen Körper, machte eine zweite
Inunktionskur durch. Im Jahr 1905 bemerkte Pat. ziemlich plötzlich
') Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 1904.
2) Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, 1907.
A J. Hoffman n: D. Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 31.
4) Die multiple Sklerose. Jena 1904.
s) D. Archiv f. klin. Medizin. 1904.
6) Hans Curschmann: Med. Klinik, 1906, No. 36.
') W. E r b - Baden-Baden: Versammlung südwestdeutscher
Neurologen. 1907.
Ä) v. Oordt: Neurologenversammlung, Baden-Baden 1907.
Schwäche in den Beinen, heftige Kopfschmerzen und Schwindelgefühl
kalte rüsse und Kniee. Das Gefühl in ihnen war taub. Pat. konnte nicht
mehr gehen und stehen. Er wurde im Landkrankenhaus Kassel 11
. ocben lang behandelt, machte eine III. Schmierkur durch, erhielt
mnei lieh Jodkali. Darauf war er wieder vollkommen gesund und arbeits¬
fähig bis zum 17. Mai ds. Jrs. Pat. wollte auf Arbeit gehen, konnte
jedoch plötzlich nicht mehr gehen, hatte Schwindelgefühl und Häm¬
mern im Kopf, taumelte und kam sich vor „als wäre er betrunken“
Status praesens: 17. V. 07. Kleiner Patient in mittlerem
Li nahrungszustand, mässig entwickelte Muskulatur. Sensorium frei
Pat., sehr aufgeregt, hat starken Tremor der Hände.
1 horax; flach, wird symmetrisch bewegt. Lungengrenzen an
normaler Stelle, nirgends Dämpfung. Ueber rechter Spitze etwas
unbestimmtes Atmen, sonst überall Vesikuläratmen.
und äquaV2' ^renzen n*cbt verbreitert. Töne rein, Aktion regulär
Abdomen: ohne Befund.
fNervenstatus: Hirn nerven: I. O 1 f a k t o r i u s rechterseits
st.ii ke Herabsetzung, fast Aufgehobensein der Geruchsempfindung.
II. Optikus (Untersuchung der Augen durch Herrn Dr. De-
te,rJyj ”Rei normaler Sehschärfe ist eine starke Abweichung des
ophthalmoskopischen Befundes von der Norm nicht festzustellen (viel-
leicht eine geringe temporale Abblassung der Papillen). Das Gesichts¬
feld hingegen war bei mehreren Untersuchungen oben stets ein¬
geengt, wenn auch mit schwankenden Grenzen. Auffallend und sicher
festzustellen sind die Farbenskotome für kleine Farbenobjekte (Rot
und Blau wurde benutzt).
p Rechts: Einengung des Gesichtsfeldes nach oben und zentrales
Farbenskotom für kleine Objekte (geprüft mit Rot).
w . LlnJ[s: Ebenfalls Einengung des Gesichtsfeldes nach oben für
Weiss und sektorenförmiges Skotom für Farben und Abblassung an
dies er S te He auch für Weiss bei kleiner Objektgrösse
III. O k u 1 o m o t o r i u s und IV. T r o c h 1 e a r i s beiderseits in¬
takt, geringer Nystagmus.
Y'.J fige minus: auf rechter Seite verminderte Empfindungs-
m,chkOhrlnl,nSrfnven ,miit 5er charakteristischen Begrenzung
nach Ohr und Kinn hin, linker Trigeminus und motor. Nervus V
links und rechts intakt.
VI. Abduzens: beiderseits gut.
VII. Fazialis: auf rechter Seite Fehlen der
empfindung für alle vier Qualitäten auf allen Teilen der
Fazialis gut.
VIILAkustikus: etwas geringere Hörfähigkeit rechts,
ix. u 1 o s s o p h a r y n g e u s: s. o. Geschmack,
y,' \ a ^ u s • X. Akzessorius und H y ip o g 1 o
Motilität: Gang spastisch-ataktisch, rechts
T1 Sv at- taumeIt wie ein Betrunkener, bei Lidschluss Schwanken.
StönmlenüTa deutll£,he objektive und subjektive koordinatorische
Kraft Hg6” der rechten Hand mit geringer Herabsetzung der groben
SenSiyibÄ1!,- dt: Pat' hat auf der ganzen rechten Körperhälfte
hfimif In n MA te!h+n‘e ab eine gleich-massige Herabsetzung der Sensi-
fin dimer3 C' emPfmdet spitz als halbstumpf, taube Emp-
namentlich in rechter Hand; keine besondere Störung der
Stereognosie und des Lagegefühls.
a , .,y e f [ e x e:,, Patellarreflexe beiderseits stark gesteigert, ebenso
Achillessehnenreflexe; Reflexe der O.E. R L gesteigert Bahinsk
beiderseits positiv, R e m a k sehe Zeichen positiv
vöinrcll<ieckenreflexe fehlen auf ‘,eiden Seiten
c . eI-e n:. ganz 'eichte Blasenstörungen (Detrusor-
schwache), Potentia virilis herabgesetzt.
Vo Lu mb al punktion: ergibt wasserklare Flüssigkeit, keine
TytoTe^11112 d6S Elweisssehaltes, keine Lympho-
p .. . Tlln'i,aJDie:J,Be,ttruhe' Inunktionskur und Jodkali, warme
Bader. Bald darauf bedeutende Besserung, so dass Pat. am 27. Mai auf
eigenen Wunsch das Spital verlässt. Gang war bedeutend weniger
ataktisch, flott und rasch. Allgemeinbefinden gut.
^ , Doch bereits am Abend des 27. V. wird Pat. wieder ins Spital
p6 t Ir?+ de.mselben hilflosen Zustand, mit hochgradig gestörter
Gehfahigkeit wie zum erstenmal. s
er die, °bfn angegebene Kur durchgemacht, wird
ei am 7. Juli 1907 sehr erheblich gebessert entlassen.
Geschmacks-
Zunge, sonst
ssus gut.
stärker als
, Epikrise: Es handelt sich also um einen jungen Men-
sehen, bei dem 8 Jahre nach einer genau klinisch beobachteten
und behandelten Syphilis eine akute paretische und koordina-
orische Stöiung beider Beine mit Blasenschwäche aufgetreten
war und sich dann langsam verschlimmert hatte.
Es finden sich kurz folgende Symptome: spastisch-atak-
tische Parese der Beine, Reflexsteigerung mit Babinski, Fehlen
ei Bauchdeckenreflexe, normale Pupillenphänomene, Hemi-
hypaesthesia dextra mit Koordinationsstörung der rechten
and, halbseitige (rechts) Hypogeusie, Hyposmie und Hyp-
akusis, dabei temporale Abblassung der Papillen, rechts ein
zentrales Farbenskotom, links ein sektorenförmiges Skotom.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2239
Bei Hg und Rai. jodat.-Behandlung und Ruhe in wenigen Tagen
Besserung bis zu fast normalem Gang, die aber nach kurzer
Ermüdung sofort wieder einer hochgradigen spastisch-atak¬
tischen Parese Platz macht. Im Liquor cerebrospinalis keine
Vermehrung des Albumens, keine Lymphozytose, übeihaupt
keine Zellen. Gröbere psychische Symptome fehlen; ebenso
keine Zeichen einer hysterischen Psyche.
Die Diagnose musste anfangs im Hinblick auf die
vorausgegangene Lues mit grösserer Wahrscheinlichkeit aut
eine luetische Zerebrospinalerkrankung gestellt werden. Unter
dieser Diagnose war der Patient auch bei seiner ersten Ei-
krankung behandelt worden. Der akute, fast apoplektiforme
Beginn einige Jahre nach den letzten Sekundärerschemungen
wird ja als typisch für die spinale Lues betrachtet, auch die
heftigen Kopfschmerzen, den Schwindel und andere zerebrale
Erscheinungen finden wir meist als Ausdruck der Mitbeteih-
gung der Meningen als Initialsymptom der Syphilis der Zentral¬
nervensystems. Aber auch die multiple Sklerose pflegt oft der¬
artig apoplektiform einzusetzen; die akute, ataktische bara-
parese ist sogar eines der häufigsten Ereignisse der Früh-
formen dieser Leidens. Auch Schmerzen mannigfacher Art of
neuralgischen Charakters, sind, wie fc. M u 1 1 er mb Recht
in einer seiner letzten Publikationen über die multiple Sklerose
hervorgehoben hat, als Frühsymptom lange vor Ausbiuch des
typischen Leidens nicht ganz selten. Heftige Kopfschmerzen
Schwindel und andere Zerebralerscheinungen werd,e+n,bel,^[
akuten Exazerbationen des Leidens zumeist beobachtet. Auch
die initialen Schmerzen können wir darum nicht gegen
multiple Sklerose und für die Lues spinahs diagnostisch ver¬
werten. Der Verlauf in rasch verlaufenden S^h+uben ,und|an^fn
Remissionen ist ebenfalls, wie schon bemerkt, beiden Kran^;
heiten gemeinsam, wenn auch betont werden muss, das
überraschend schnellen Besserungen, z. B. der Gehstonmg,
wie sie übermüdete, schlecht genährte Sklerotiker im Kranken¬
haus in den ersten Tagen so oft zeigen, fast pathognomomsch
für die multiple Sklerose zu sein scheinen.
Die objektiven Störungen der Sehnemeflexe der M
tilität und der Sphinkteren (s. o.) konnten ebenfalls in unserem
Fall die Differentialdiagnose absolut nicht entscheiden, sie
können genau so gut zur multiplen ( Sklerose wie_ zur Kues cere¬
brospinalis passen. Dass schliesslich auch der Erfo g der anti-
luetischen Behandlung in derartigen Fällen diagnostisch nichts
beweist wurde schon erwähnt und begiiindet.
Und doch neigten wir uns mehr zur Diagnose der mu -
ÜP CDie sogenannten Kardinalsymptome der multiplen Sklerose,
skandierende Sprache, Intentionstremor, Zwangsaffekte und
gröberer Nystagmus fehlten ja allerdings. Wir wissen aber
aus den Erfahrungen der eingangs erwähnten ^utoren’dpaS^11e
fast durchwegs Erscheinungen der spateren Stadien der mul¬
tiplen Sklerose darstellen und in früheren Stadien recht häufig
fehlen. Dafür bot unser Patient eine Reihe anderer Symptom
die in den früheren und mittleren Stadien überaus häufig sind
und jetzt als pathognomonisch angesehen werden müssen D i e
geringe temporale A b b 1 a s s u n g de r Papi 1
undeinzentralesSkotom, zwarnichtfi
aber doch für Farbe (Rot und Grün). )
U h t h o f f und neuerdings Fleischer haben beobachtet
dass auch zentrale Farbenskotome bei multipler Sklerose ment
Weiter spricht das beständige Fehlen sämtlicher Baucli-
deckenreflexe für die multiple Sklerose. Auf das letztere
Symptom hat als überaus charakteristisch für die mult p
Sklerose aller Stadien Strümpell mit Recht hingewiesen,
seine Beobachtungen sind dann auch von den meisten Amoien
vollauf bestätigt worden. Ueber das Verhalten der Baue -
decken reflexe bei spinaler Lues verschiedener Art fehlen alle -
dings, wie es bei der relativen Seltenheit dieses Leidens natür¬
lich ist, ausgedehntere Erfahrungen. Nur eines scheint sicnei,
9) Bei zerebrospinaler Lues sind die in vorkommenden Pa-
pillenveränderungen (Uhthoff) meist keine temporalen Abblas¬
sungen. Auch die Störungen des Gesichtsfeldes sind grösstenteils
keine zentralen Skotome, sondern hemianopische o^r ganz ■ uniegei-
mässig begrenzte Ausfallserscheinungen. (W. Uthoff-Grafes Archiv,
Bd. 39 u. 40.)
dass der Verlust dieser Reflexe hier nicht die Regel darstellt,
wie bei der multiplen Sklerose. Bei Fällen von syphilitischer
spastischer Spinalparalyse sind jedenfalls diese Reflexe meist
erhalten.
Ein weiteres, in Verbindung mit den beiden obigen Sym¬
ptomen wesentlich für die multiple Sklerose sprechendes Sym¬
ptom, ist das Fehlen der Lymphozytose und der
Eiweissvermehrung des Liquor cerebrospi¬
nalis. Nun ist zwar einerseits nach den Erfahrungen der
Erb sehen Schule die Lymphozytose des Liquor bei echt
syphilitischen Erkrankungen des Rückenmarks nicht
derartig konstant, wie bei den metasyphilitischen
(Tabes, Paralyse), und andererseits ist Lymphozytose der
Rückenmarksflüssigkeit auch bisweilen bei multipler Skleiose
beobachtet worden (Carrier e, Schönborn, Hans
Curschmann u. a.). Aber es ist doch daran festzuhalten,
dass der negative Befund des Liquor cerebrospinalis weit mein
für die multiple Sklerose, als für die allermeist mit men in -
gitischen Prozessen einhergehende Lues cerebrospinalis spricht.
Schliesslich erübrigen sich noch einige kurze Bemer¬
kungen über die halbseitigen sensiblen und sensorischen Aus¬
fallserscheinungen des Patienten. A priori möchte man geneigt
sein, eine derartige gleichförmige sensorische und sensible Sto¬
rung für hysterisch zu halten. Dagegen ist abei zu bedenken,
dass solche sensibel-sensorische Hypästhesien gerade bei
multiplen Sklerosen mit hemiplegischen Erscheinungen bis¬
weilen Vorkommen. Diese Störungen lassen sich, wie
O. Gau pp10) aus der medizinischen Klinik in Tübingen un¬
längst in 2 typischen Fällen mitgeteilt hat, als sicher organisch
bedingt nachweisen. Auch ist zu bedenken, dass wir ei
unserem Patienten wohl eine Mischung leicht hemiplegischer
Erscheinungen mit paraplegischen annehmen können (vergl. die
leichten koordinatorischen und spastischen Storungen des rec h¬
ten Armes und die stärkeren Spasmen des rechten Rems),
fehlte allerdings dieser Hemihypästhesie die bei zerebralen Ge¬
fühlsstörungen so häufige Dissoziation der Storung < 1 Hh* e£n
meist zu beobachtendes starkes Ueberwtegen der Herab¬
setzung des Tiefengefühls und der Stereognosie. Dass aber
zerebrale Sensibilitätsdefekte je nach dem Ort ihres sie ver¬
ursachenden Herdes sehr verschiedene Formen .“"uäTen
können, dass auch gleichförmige und nach den Extremitäten
enden gleichmässig zunehmende Hemihypasthesien Vor¬
kommen könn^ , zeigen die zahlreichen Beobachtungen von
Fr Müller u), Sandberg 12), O. G a u p P u. a.
Wir möchten zwar die Fragen der hysterischen oder orga¬
nischen Sensibilitätsstörung nicht entscheiden, neigen
doch mehr zur Annahme einer letzteren.
Alles in allem möchte ich nochmals betonen, dass unser
Fall wieder einmal recht deutlich zeigt, wie ausserordentlich
schwierig manchmal unlöslich die Differentialdiagnose Lues
cerebrospinalis und multiple Sklerose ist. Er scheint mir aber
auch darauf hinzuweisen, die Diagnose der spinalen Lu« t r
vitam die zweifellos zu häufig gestellt wird stets rec"! ein
gehend nach der Seite der multiplen Sklerose hin zu revidieien.
Protrahierte Inkubationszeit bei Vakzine.
Folgender von mir beobachtete Fall dürfte für die Herren Kollegen
von Interesse sein. 24 ^ od ist von mir am
Das Kind Elise Johanne 5., sebden^- ^ ^
10‘ ?.• Vh SChd^ ich feststellte, dass
mir die Mutter das Kind zur Nacnscna , nder Knötchen war an
den 'Setwstellen z^sehln nicht die geringste Reizung der Hant
wahrzunehmen. ^ (e die Mutter an^ner der S^nittstelkn
iÄalw**1 »i>‘. lch eins ent-
wickelte Impfpustel fest. ,dass die Inkubation nicht
Die Impfung war somit von » ™ ,aass 33 ^ ^
wie normal 3 Tage, sondern 13 Tage, vom
dauert hatte.
10) 0. Gau dp: Inaug.-Diss., Tübingen 1906. 4/1905.
% S a^vdb^e r g: D^'Zeitschr^0 Nervenkrankheiten, 1906, Bd. 30.
3—4 Hefte.
2240
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Bemerken muss ich noch, dass die Lymphe aus dem Kgl. Impf-
Institute in Dresden stammte und dass ich aus demselben Haarröhr¬
chen, aus dem ich die Lymphe zur Impfung dieses Kindes entnommen
hatte, 2 'I age später, am 12. IX. 07, dieselbe Lymphe zur Impfung des
Knaben Ernst Wolfgang Wilhelm 0., geb. den 27. I. 06 nahm, und
dass sich bei diesem Knaben bei der Nachschau am 19. IX. 07 gut ent¬
wickelte Impfpusteln an allen 4 Impfstellen zeigten.
Plauen i. V., September 1907. Dr. Simon.
Die Vorbeugung der Myopie.
Notiz von Kreisarzt Dr. Berger in Krefeld.
Es ist bekannt, dass man beim Aufenthalt an der See oder im Ge¬
birge besser zu sehen glaubt, als vorher, wenn man kurzsichtig ist.
Ueber die Begründung dieser Wahrnehmung brauche ich keine Worte
zu verlieren.
Ich schickte nun in diesem Jahre einen 14 Jahre alten kräftigen
Jungen, der gern Offizier werden will, aber dessen Sehschärfe auf
beiden Augen auf 14 heruntergegangen war, 6 Wochen nach Borkum.
Nach seiner Rückkehr stellte ich 2ls Sehschärfe fest, er bestätigte mir.
dass es auch ihm in Borkum so vorgekommen sei, als ob er besser
sähe.
Die Beobachtung zeigt, dass wir es bei der im jugendlichen Alter
einsetzenden Myopie nicht mit einem irreparablen Uebel zu tun haben,
sondern dass bei geeigneter Behandlung Besserung möglich ist. Ein
entsprechendes Verhalten nach Rückkehr in die alten Verhältnisse
wird eine neue Verschlechterung verhindern müssen. Die im labilen
Gleichgewicht befindliche Linse kommt offenbar zuerst in eine Art
Krampfzustand, der noch korrigierbar ist, der aber nicht korrigiert
zu dauernden Verhältnissen führt.
Ich empfehle die Prophylaxe einer besonderen Beachtung aller
beteiligten Kreise, nicht zum geringsten der Schulhygieniker.
Schmerz und Blutdruck.
Bemerkungen zudem Artikel von Dr. Hans Curschmann
in No. 42 dieser Wochenschrift.
Von Dr. H. Beuttenmüller, z. Z. Volontärarzt der II.
Medizinischen Klinik Berlin.
Herr Curschmann berichtet über Untersuchung des Blut¬
drucks bei schmerzhaften Reizen.
Er scheint übersehen zu haben, dass vor mehreren Jahren aus
dem med.ddinischen Institut der Universität München 2 Arbeiten er¬
schienen sind, deren Fragestellung sich mit der seinigen vollkommen
deckt. Anders ist dies allerdings mit den Ergebnissen.
Ich habe 1903 unter Prof. Sittmann über den Zusammenhang
zwischen Blutdruck und Schmerzempfindung Untersuchungen ange¬
stellt1). Dabei habe ich speziell auch das Verhalten des Blutdrucks
geprüft bei Reizung von funktionell und organisch anästhetischen
Hautstellen. Als Schmerzreiz benützte ich ebenfalls den faradischen
£ trom, jedoch in höherer Intensität als Curschmann; die Appli¬
kation geschah mit der Erb sehen Elektrode.
Entsprechend dem stärkeren Schmerzreiz erhielt ich auch wesent¬
lich höhere Blutdrucksteigerung: bei Gesunden durchschnittlich
ca. 20 mm Riva-Rocci (Curschmann fand 10 mm). Bei Reizung
organisch anästhetischer Stellen zeigte sich natürlich keinerlei Be¬
einflussung des Blutdrucks.
Dagegen und hier stehen meine Erfahrungen denen
C ursch mann s gegenüber — zeigten die sämtlichen hysterischen
Anästhesien (resp. An- oder Hypalgesien) bis auf einen Fall eine
ziemlich normale Empfindlichkeit gegenüber dem starken faradischen
Schmerzreiz und eine deutliche Blutdrucksteigerung. Der eine Fall,
den ich soeben ausnahm, eine totale Hemianästhesie für alle Quali-
täten, empfand bei starker Faradisation auf der anästhetischen Seite
nicht den geringsten Schmerz, reagierte aber mit einer Blutdruck¬
steigerung von 20 mm wie wir sie durch Reizung der normal emp¬
findenden Seite ebenfalls auslösen konnten.
H e n n e r, der im Anschluss an meine Arbeit die Frage der funk¬
tionellen Anästhesien nochmals aufnahm2), benützte als .Schmerzreiz
das starke Kneifen einer Hautfalte, da auch er die auffallende Empfind-
ichkeit der funktionellen Anästhesien gegen starke faradische Reize
beobachtet hatte. Er erhielt bei Gesunden ebenfalls deutliche Blut-
drucksteigerungen, wenn auch etwas niedrigere Ausschläge, als ich
bei meinen faradischen Reizen.
Bei seinen 8 Fällen von hysterischer Anästhesie fand sich auf
starken mechanischen Reiz eine ausgesprochene Erhebung des Blut-
hätten ^ dl€ Patl€nten Schmerz bei der Reizung verspürt
Auf Grund seiner Beobachtungen kommt Henner zu dem
Schlüsse, dass zur Blutdrucksteigerung durch einen schmerzhaften
D Ueber den Zusammenhang zwischen Blutdruck und Schmerz¬
empfindung. Inaug.-Diss., München 1903.
-) Klinischer Beitrag zur reflektorischen Erregung der Gefäss-
inuskeln. Inaug.-Diss., München 1904.
Reiz die Empfindung des Reizes nicht erforderlich sei; dies deckt sich
mit den im Tierexperiment gewonnenen Resultaten.
Aus unseren Arbeiten geht nun hervor, dass die organischen und
funktionellen Störungen des Hautsinns bei schmerzhaften Reizen sich
nicht gleich verhalten, sondern dass bei starker Reizung hysterisch
anästhetischer Stellen eine Beeinflussung des Blutdrucks auftritt.
Nach den landläufigen Begriffen dürften sich unsere Ergebnisse eher
für die .1 a n e t sehe Theorie einer Amnesie des Gefühls bei den
Hysterischen, als für die von Curschmann angenommene gröbere
Störung verwerten lassen, sofern man aus diesen Beobachtungen
überhaupt solche Schlüsse ziehen kann.
Unter diesen Umständen möchte ich auch nicht allzusehr Zu¬
raten zur Benützung des neuen „Curschmann sehen Symptoms“
bei der Differentialdiagnose zwischen Simulation und traumatischer
flysterie. Denn ich fürchte, dass dann öfters ein traumatischer Hyste¬
riker zu Unrecht als Simulant behandelt würde.
Dagegen möchte ich nochmals hinweisen auf die von uns be¬
obachtete Empfindlichkeit der Hysterisch-Analgetischen gegenüber
starken faradischen Reizen. Ich glaube, dass man diese Erscheinung
verwenden kann zur Differentialdiagnose der funktionellen und orga¬
nischen Anästhesien. Bei einem starken faradischen Reize mit der
Erb sehen Elektrode (ca. 20 — 30 mm Rollenabstand) haben wir stets
eine Blutdrucksteigerung, in den meisten Fällen auch lebhafte
Schmerzäusserungen beobachtet. Bei organischer Analgesie dürfte
dies wohl niemals Vorkommen.
Antwort auf di e obigen Bemerkungen des Dr.
H. Beuttenmüller.
Von Oberarzt Dr. Hans Curschmann -Mainz.
Auf die obigen Bemerkungen des Herrn Beuttenmüller
möchte ich folgendes erwidern: Die Tatsache, dass ich, ebenso wie
die andern in der letzten Zeit unser Thema bearbeitenden Autoren
(Rumpf, Bing) die Veröffentlichungen der Herren Beutten¬
müller und Henner übersehen habe, wird wohl dadurch einiger-
massen entschuldigt, dass diese Arbeiten nur als Inaugural-Disser-
tationen — also für die Zentralblätter und Jahresberichte zumeist
„unter Ausschluss der Oeffentlichkeit“ — erschienen sind.
Was die sachlichen Ausstellungen des Herrn Beuttenmüller
anbetrifft, so erwidere ich folgendes:
I. Ich halte faradische Schmerzreize des hohen Grades, wie sie
Beuttenmüller anwandte (20—30 mm R. A.) schon zur Fest¬
stellung der Blutdruckreaktion normal empfindender Menschen,
für inopportun, da so die reine Schmerz Steigerung des Blut¬
drucks durch zwei weitere blutdrucksteigernde Momente gestört und
verwischt wird: 1. durch die erheblicheren tetanischen Muskelkon¬
traktionen und 2. durch die beträchtliche, auf solch maximale Schmerz¬
reize selten ausbleibende Alteration der Atmung (zuerst Atemstill¬
stand. dann meist Tachypnoe).
II. Erklären die übermässig starken Ströme, die Beutten¬
müller im Gegensatz zu mir anwandte, die Differenz unserer Be¬
funde bei Hysterischen. Es ist nicht erst durch die Doktorarbeiten
der Herren Beuttenmüller und Henner, sondern schon seit
Dezennien jedem Neurologen bekannt, wie stark maximale Ströme
auf die Analgesen Hysterischer wirken und dass sie diese Gefühls¬
störungen nicht selten momentan beseitigen. Wenn Herr
Beuttenmüller nun biologische Eigenschaften
einer pathologischen körperlichen Funktion stu¬
dieren wollte, so war es natürlich nicht empfeh¬
lenswert, diesen labile n, psychogenen Prozess
dabei zu zerstören (wenn auch nur für Momente).
Das hat Herr Beuttenmüller durch seine maximalen fara¬
dischen Ströme aber getan. Deshalb gaben seine hysterischen Ver¬
suchspersonen auch den faradischen Reiz als schmerzhaft, resp. als
Empfindung an, während die meinigen bei dem weit schwächeren Reiz,
der die Analgesie noch nicht tangierte, noch nicht „durchdrang“, eine
Schmerzempfindung weder in Worten, noch mimisch äusserten. Die
Differenz der Versuchsanordnung bedingte also, wie schon bemerkt
die Differenz unserer Resultate; ich betone hierzu noch, dass ich die¬
jenige des Herrn Beuttenmüller für die gröbere, die von mir
in meiner Arbeit geschilderten Fehlerquellen weniger berück¬
sichtigende halte und dementsprechend seine Resultate bewerte.
Im übrigen weise ich nochmals darauf hin, dass mein Befund —
die vasomotorische Areflexie bei Schmerzreizen — völlig zu dem
häufigen Erlöschen anderer subkortikaler Funktionen, der sen¬
siblen R e f 1 e x e im Gebiet hysterischer Anästhesien (P i t r e s,
Redlich, V e r f.) stimmt.
Was die Warnung des Herrn Beuttenmüller gegenüber
■der Anwendung des „Curschmann sehen Symptom“ zur Diffe-
i entialdiagnose der Simulation und Hysterie anbetrifft, so scheint sie
mir für den einsichtigen Leser recht überflüssig. Es ist wohl nichts
selbstverständlicher, als dass ich nur den positiven Ausfall des
Symptoms (also das Ausbleiben der Schmerzsteigerung des Blut-
diucks) für die Diagnose der hysterischen Störung (nach Aus¬
schluss der organischen) verwertet wissen wollte, während der nega-
tive Ausfall (das Auftreten der Steigerung) natürlich nicht sicher f ii r
die Simulation und gegen die Hysterie verwendet werden kann.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2241
III. Die Bemerkung, dass das Tierexperiment ebenfalls bewiesen
habe, dass die Empfindung des Reizes zur Blutdrucksteigerung
nicht erforderlich sei, ist — so allgemein ausgesprochen — un¬
richtig. Griitzner und Heiden hain nahmen vielmehr die
Schmerz e m p f in du n g als das Wesentliche an.
Ausserdem ist durch Analogien die starke Einwirkung nicht nur
des Reizes an sich, sondern auch der psychischen Aufnahme und
Ausnutzung der Empfindung, auf das vasomotorische Nerven¬
system absolut sichergestellt. Ich verweise nur auf die starken und
typischen Schwankungen des Pletysmogramms nicht nur auf
Schmerzreize, sondern auch auf höhere Reize, euphorische und dys-
phorische Affekte etc., die unbedingt eine psychische Verarbeitung
des Reizes, also die „Empfindung“, voraussetzen.
Abschnitte nur die sehr übersichtliche Darstellung der Faszien¬
lagen der einzelnen Muskelgruppen, sowie die Aussenansichten
der Extremitäten mit durchgezeichnetem Skelett. Inspektion
und Palpation sind am Eingänge jedes Abschnittes angeführt.
Die buchhändlerische Ausstattung, der Druck, sowie die
Reproduktion der zum Teil mehrfarbigen Zeichnungen des
Herrn Albrecht Mayer sind von dem Verlag des Herrn J. F.
Bergmann, sowie von der Kunstanstalt Schelter&Gie-
s e c k e in glänzender Weise besorgt worden.
Jedenfalls ist die Anschaffung des schönen Werkes allen
Kollegen auf das Wärmste anzuempfehlen.
Q r a f f - Innsbruck.
Referate und Bücheranzeigen.
K. Corning: Lehrbuch der Topographischen Anatomie
für Studierende und Aerzte. Mit 604 Abbildungen, davon 395
in Farben. Wiesbaden 1907. J. F. Bergmann. 717 Seiten.
Preis Mark 16.
Das Buch, in erster Linie für Studierende geschrieben, soll
eine möglichst knappe und doch vollständige Darstellung der
topographischen Anatomie bringen, bei der namentlich auch die
praktische Verwertbarkeit des Gebotenen berücksichtigt wurde.
Der Stoff ist sehr übersichtlich geordnet, dass er für das Stu¬
dium vorzüglich geeignet erscheint, andererseits ist so viel ge¬
boten, dass das Werk für den Praktiker auf jedem Gebiet als
•Nachschlagebuch an Stelle der oft schwerer beschaffbaren
Handbücher dienen kann. Das Material ist nach folgenden
Kapiteln geordnet: Kopf, Hals, Brust, Bauch, Becken, Rücken
und Extremitäten. Die Inhaltsangabe kann sich bei dem Um¬
fange des Werkes nur auf wenige Angaben beschränken. Im
allgemeinen sind die zahlreichen, sehr guten Abbildungen her¬
vorzuheben, sowie dass überall auf die praktische Bedeutung
der Befunde hingewiesen, wo möglich der Inspektions- und
Palpationsbefund bei der klinischen Untersuchung berücksich¬
tigt ist. Ich erwähne, um nur einiges herauszugreifen, aus dem
ersten Abschnitte die Darstellung der Infektionswege in das
Schädelinnere von den lufthaltigen Nebenhöhlen der Nase und
des Mittelohres einerseits, von den Venen andererseits, sowie
die Aufsuchung der Art. meningea media (K r ö n 1 e i n).
Sehr ausführlich sind Orbita sowie der Nasenrachenraum
behandelt. Dem Abschnitt über die seitliche Gesichtsregion
folgt eine eingehende Besprechung des Gehörorganes mit vor¬
züglichen Abbildungen.
Etwa 60 Seiten sind der Topographie der Halsregion ge¬
widmet. Aus dem Kapitel Brust ist die Verbreitung der Lymph-
gefässe der Mamma in ihrer Bedeutung für das Wachstum der
Karzinome hervorzuheben. Im übrigen wird dieses Kapitel
vor allem 'dem Internisten sehr wertvoll sein. Nach Beschrei¬
bung der 'einzelnen serösen Räume und Organe ist der „Situs
viscerum thoracis“ an der Hand zahlreicher vortrefflicher Ab¬
bildungen geschildert.
In analoger Weise ist die Topographie des Abdomens be¬
handelt. Zu Beginn erfährt die Regio inguinalis eine eingehende
Besprechung. Neben der Entwicklung, Anatomie und Topo¬
graphie der einzelnen Organe ist jedesmal auch ihre operative
Erreichbarkeit berücksichtigt.
Sehr ausführlich ist die Anatomie des männlichen und weib¬
lichen Beckens gebracht (nahezu 100 Seiten). Neben den Ori¬
ginalabbildungen sind in glücklicher Auswahl Darstellungen aus
anderen Werken beigegeben, die das Verständnis des klaren
und präzisen Textes noch erhöhen. Besonders möchte ich
auch die namentlich für den Operateur sehr wertvolle, aus¬
giebige Berücksichtigung des Lymphgefässystemes hervor¬
heben.
Erschöpfend ist die Anatomie der Extremitäten in einem
156 Seiten umfassenden Abschnitt behandelt. Es sind hier
besonders zahlreiche Abbildungen eingefügt, die vielfach neue
instruktive Ansichten der verschiedenen Schichten und Re¬
gionen bringen, die für den Anatomen und Chirurgen gleich
wertvoll sind. Die Abbildungen sind durchaus von hohem
künstlerischen Wert, was einen nach den oft schematisch nüch¬
ternen Darstellungen, wie wir sie alle kennen, sehr angenehm
berührt. Im Einklänge damit steht die Wiedergabe mehrerer
Figuren nach der in Aerztekreisen leider wenig bekannten
Anatomie artistique von Richter. Ich erwähne aus diesem
L. v. Prowazek: Taschenbuch der mikroskopischen
Technik der Protistenuntersuchung. Leipzig 1907. Joh. Ambr.
Barth. 66 Seiten, mit durchschossenem weissen Papier für
Notizen. Geb. Preis Mk. 2.
Die wachsende Bedeutung der Protozoenkunde für
den Mediziner macht es diesem sehr erwünscht, ein handliches
Kompendium der Tecknik der Protistenuntersuchung zu be¬
sitzen. Es ist dies vor allem deswegen wichtig, weil die
protozoologische Technik sich sehr von der bakteriologischen
Technik unterscheidet und viel komplizierter als diese ist. Das
vorliegende kleine Buch ist für den Mediziner und Zoologen
ein ganz ausgezeichnetes Hilfsmittel, da es von einem sehr er¬
fahrenen Protozoenkenner geschrieben ist und von einer aus¬
gezeichneten Beherrschung der Literatur zeugt. Besonders
eingehend ist die Technik der Amöben-, Hämosporidien-, Try¬
panosomen- und Spirochätenuntersuchung behandelt. ^ Auch
sind die wenigen bisher existierenden Kultivierungsverfahren
ausführlich dargestellt. Ich habe das Buch einige Monate be¬
nützt und in der Praxis als sehr zuverlässig in seinen An¬
gaben erprobt. Es verdient nach meiner Ansicht die wärmste
Empfehlung. Dr. F. D o f 1 e i n - München.
Annalen der städtischen allgemeinen Krankenhäuser zu
München. Im Verein mit den Aerzten dieser Anstalten heraus¬
gegeben von J. v. B a u e r. Bd. XII, 1900 — 1902. Mit 4 Plänen,
17 Lichtdrucken und 11 Abbildungen. 700 Seiten. München
1907. J. F. Lehmann. , T
Ein dickleibiger Band mit sehr wechselvollem Inhalt. Lange
Seiten von Zahlen geben kund, welch ausserordentlich grosse
Aufwendungen eine Stadt von der Einwohnerzahl Münchens
für die Krankenfürsorge zu leisten hat. Wurden doch allein
für die Erweiterung und für die baulichen Verändei ungen
im Krankenhause 1. d. I. in den letzten drei Jahrzehnten 5A
Millionen Mark verausgabt! Es ist aber auch in den alten
Mauern eine ganz neue Krankenanstalt geschaffen worden, die
den verwöhnten Ansprüchen der Neuzeit genügt. Die Schilde¬
rung der mustergültigen physikalisch-therapeutischen Einrich¬
tungen entstammt der Feder des Prof. Rieder. Die Anlage
des städt. Sanatoriums zu Harlaching, der Zweck dieses Er¬
holungshauses, das Leben und Treiben und die Heilerfolge dor ,
werden von Oberarzt Hoermann dargelegt.
Die ärztlichen Berichte aus dem Krankenhause r. d. .
und dem Krankenhause München-Schwabing beschranken sich
nicht auf trockene Statistik, hier werden kurze Berichte über
die interessanteren und schwierigeren Falle gebracht. Das
vorliegende Buch beherbergt aber auch grössere wissenschaft¬
liche Beiträge. Kerschensteiner: Ueber unstillbares Er¬
brechen: Löschke: Primäre Gallengangskarzinome, Gol¬
fe r y e: Ueber Polyserositis fibrosa; I n g e lf i n g e r: Beitrage
zur Pathologie der Niereninsuffizienz; Jesionek: Ueber die
Behandlung von Lupus vulgaris und anderer Dermatosen mittels
der statischen Elektrizität; Hoerrmann: Zur Kiimk der
ektopischen Schwangerschaft; Rapp: Beitiag zur “
Stimmung chemischer Desinfektionsmittel ; A 1 b r e c h t Ein
Fall von hochgradiger Pulmonalstenose; Königen Beitrage
zur Kenntnis der primären malignen Tumoren der Leber un
der Leberpforte; Bunz: Stenographische Aufnahmen der
Regio supraclavicularis bei Lungentuberkulose; S c li i eck e n-
bacli: Ueber einen Fall von dissezierendem Aneurysma dei
A.0 rtci
Ob es zweckmässig ist, solche z. T. recht weitvolle Ar¬
beiten in einem, seinem Wesen nach statistischen und ver¬
waltungstechnischen Werke, das nur wenige medizinische Bi-
2242
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
bliotheken und noch weniger Privatpersonen sich anschaffen
werden, zu vergraben, mag dahingestellt sein. Immerhin
bringen die Arbeiten aber den Beweis, dass in den Münchener
Krankenhäusern auch ausserhalb der Kliniken eifriges wissen¬
schaftliches Streben herrscht und dass neben der Bewältigung
des riesigen Krankenmaterials auch Zeit und Gelegenheit zu
theoretischen Studien bleibt.
Vorangestellt ist dem ganzen Werke ein warmer Nekrolog
auf Z i e m s s e n von seinem Schüler S i 1 1 in a n n. Es ist
auch wahrlich angebracht, dem verdienstvollen und genialen
Organisator der Münchener Krankenanstalten in den Annalen,
die er gegründet und durch lange Jahre herausgegeben hat,
ein literarisches Denkmal zu setzen. L. R. Müller.
Dr. E. Meyer, ord. Prof, der Psychiatrie in Königsberg
i. P. : Die Ursachen der Geisteskrankheiten. Gustav Fischer.
Jena 1907. 241 Seiten. Preis Mk. 4.50, geb. Mk. 5.50.
Eine hübsche kritische Zusammenstellung unseres Wissens
über die Aetiologie der Geisteskrankheiten, die jedem, der
sich für diese wichtige und erst in neuerer Zeit eigentlich wis¬
senschaftlich behandelte Frage interessiert, sehr willkommen
sein wird. Bleuler- Burghölzli.
Schularzttätigkeit und Schulgesundheitspflege von Prof. Dr.
G. Leubuscher, Regierungs- und Geh. Med. -Rat in Mei¬
ningen. Leipzig und Berlin. Druck und Verlag von B. G.
T e u b n e r. 1907.
In seiner 70 Seiten umfassenden Broschüre gibt der um
das Schularztwesen des Herzogtums Sachsen-Meiningen ver¬
diente Verf. einen Ueberblick über die Resultate der Tätigkeit
der Schulärzte im Zeitraum der letzten 5 Jahre, und zwar
hauptsächlich betreff der Volksschulen, wiewohl seit 1900 auch
für die höheren Schulen des Herzogtums die Anstellung von
Schulärzten angeordnet ist. Erfreulicherweise berichtet er,
dass die Stellung der Lehrerschaft zu der schulärztlichen In¬
stitution sich von Grund aus geändert hat und dass immer
mehr eingesehen wird, dass der Schularzt nicht nur für den
Schüler, sondern auch für den Lehrer da ist. Hinsichtlich der
Frage: Schularzt im Haupt- oder Nebenamt? nimmt Verf. den
Standpunkt ein und motiviert ihn ausführlich, dass für grössere
Städte die Aufstellung von Berufsschulärzten zweckmässig sein
mag, dass im allgemeinen aber der Schularzt im Nebenamt das
richtige und durchführbare System ist. Er befürwortet die
Zuziehung von Spezialärzten (Augen- und Zahnärzte) soweit
dies nach Umständen möglich ist. Wenn er ferner eine spe¬
ziellere Ausbildung für schulärztliche Tätigkeit innerhalb der
ärztlichen Fortbildungskurse wünscht, so wird ihm jeder Er¬
fahrene darin beistimmen. Aus dem Bericht selbst ist zunächst
anzuführen, dass L. für die Aufhebung jener Bestimmungen sich
ausspricht, nach welchen die 4 oberen Mädchenklassen nur unter
gewissen besonderen Voraussetzungen zur Untersuchung kom¬
men sollen. Denn die Voraussetzungen solcher Bestimmungen
seien falsch, ein Standpunkt, den Referent ebenfalls durchaus
einnimmt. Die Mitteilungen an die Eltern von Schülern, bei
welchen Krankheiten konstatiert worden sind, erfüllen ihren
Zweck vielfach nicht, mehr erwartet sich der Verf. von einer
gutorganisierten Aufklärung bei Gelegenheit sogenannter El¬
ternabende. Ein sehr richtiger Gedanke wird von L. mit der
Erwägung ausgesprochen, ob nicht die Versicherungsanstalten
zur Zahlung der Kosten für die Behandlung kranker Schulkinder
in Zukunft mit heranzuziehen sind; denn tatsächlich haben die
Versicherungsanstalten ein grosses Interesse an dem allge¬
meinen Gesundheitszustände der Arbeiterbevölkerung und
konsequenter Weise damit an einer rechtzeitigen Behand¬
lung der Schulkinder. Das Prinzip, dass die Behandlung kran¬
ker Schulkinder nicht Sache des betr. Schularztes sein soll,
wird auch in Sachsen-Meiningen aufrecht erhalten. Der Be¬
richt bespricht sodann in interessanter Weise Statistisches und
Klinisches über die einzelnen bei den Schulkindern vorkommen¬
den Krankheitsgruppen, wie Tuberkulose, Kurzsichtigkeit etc.
Auffallend gross ist in einzelnen Gegenden des Herzogtums
die Zahl der mit Kröpfen behafteten Schulkinder. Wie überall
ist die Zahnverderbnis auch dort sehr verbreitet und bei 80
bis 85 Prozent aller Schüler konstatiert worden. In
einem Dorfe waren ca. 12 Prozent der Schulkinder
geistig zurückgeblieben. Ausgeschieden nach den ein¬
zelnen Kreisen gibt L., nachdem er noch über die
Benützung der Schulbäder berichtet hat, eine interessante Dar¬
stellung der Verbreitung des Alkoholgenusses unter der Schul¬
jugend, die wie auch bei uns in München ein im ganzen recht
unerfreuliches Bild entrollt. Die Bedenken, welche Verf. ge¬
genüber den zur Lösung der Frage sexueller Aufklärung ge¬
machten Vorschlägen vorbringt, sind durchaus beherzigenswert
und Referent steht nahezu auf demselben Standpunkt, welchen
L. zu diesem oft so oberflächlich diskutierten Problem ein¬
nimmt und welche besonders eine hinlängliche Berücksichtigung
der Individualität der Schüler so oft vermissen lässt. Die Bro¬
schüre sei der Beachtung der Aerzte angelegentlichst emp¬
fohlen. Grassmann - München.
Dr. Paul M o m b e r t, Privatdozent an der Universtät Frei¬
burg: Studien zur Bevölkerungsbewegung in Deutschland in
den letzten Jahrzehnten, mit besonderer Berücksichtigung der
ehelichen Fruchtbarkeit. Verlag von G. Braun, Karlsruhe.
1907. Preis 8 M.
Der Freiburger Nationalökonom Mombert ist in
Aerztekreisen wohl bekannt; nicht nur wegen seiner inter¬
essanten Abhandlung: „Der gewerkschaftliche Charakter des
Aerzteverbandes“ (Soziale Med. u. Hygiene, Bd. I, No. 5),
sondern vor allem wegen seiner vortrefflichen Bearbeitung des
„Nahrungswesens“ in W ey 1 s Handbuch der Hygiene (Vierter
Supplementband). Auch das neueste Werk Momberts ist
für uns Aerzte von hohem Interesse. Der Inhalt dieses Buches,
das ein geradezu enormes statistisches Quellenmaterial nicht
nur aus ganz Europa, sondern aus der gesamten Kulturwelt
enthält und dadurch zu einer unersetzlichen Fundgrube für alle
Forscher, die sich mit Bevölkerungsfragen befassen, wird, ist
etwa folgender:
In den Kapiteln I und II, die als Einleitung für das ganze
Werk gedacht sind, behandelt der Verfasser die Themen
„Sterblichkeit“ und „Eheschliessungen“. An der Hand wert¬
voller, bis zum Jahre 1841 zurückgreifender Statistiken weist
er nach,, dass sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahr¬
hunderts bei der Sterblichkeitsziffer sowohl eine sinkende Ten¬
denz als auch geringere Schwankungen gezeigt haben. Diese
beiden Veränderungen stammen aus denselben Ursachen: Ver¬
meidung von Seuchen und von Notstandsjahren. Es habe sich
bezüglich der Sterblichkeitsziffer sowohl in Deutschland als
im übrigen Europa ein regionaler Ausgleich gebildet: wo die
Sterblichkeit hoch war, ist sie stärker gesunken, als dort, wo
sie niedrig war; denn je niedriger die Sterblichkeit sei, um
so schwieriger sei es, sie noch zu vermindern. Dies Gesetz
gelte nicht nur für die Sterblichkeit im allgemeinen, sondern
auch für die Säuglingssterblichkeit im besonderen. Mom¬
bert stellt dann die volkswirtschaftlich wichtige Tatsache
fest, dass die Sterblichkeit bei den produktiven Altersklassen
noch mehr abgenommen hat, als bei den Säuglingen, und wen¬
det sich darauf der Frage zu, ob die Sterblichkeit auf dem
Lande oder in den Städten grösser sei. Bei der fortschreiten¬
den Abwanderung vom Lande in die Städte ist ja diese Frage
von hoher Bedeutung für die Volksgesundheit. Mombert
zeigt nun, dass die Sterblichkeit gegenwärtig in den Städten
geringer ist als auf dem Lande; er hält aber diese Tatsache
nicht für einen Beweis dafür, dass die Städte den Landgemein¬
den in hygienischer Hinsicht überlegen seien, sondern er er¬
klärt den Vorzug der Städte durch den Unterschied im Alters¬
aufbau; dieser Unterschied sei die Folge des starken Zuzugs
vom Lande in die Städte. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich
der Verfasser mit der für die Gesunderhaltung der Rasse wich¬
tigen Frage, ob in den letzten Jahrzehnten in Deutschland das
Heiratsalter gesunken ist. Er bejaht diese Frage. Dies Er¬
gebnis scheint in einem Widerspruch mit dem vorliegenden
wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland zu stehen; denn,
wie der Münchener Statistiker v. Mayr nachwies, ist ein ge¬
wisses Mass höheren Wohlbefindens nicht mehr ehefördernd.
Mombert gibt die These v. Mayrs zu und erklärt den
Widerspruch damit, dass er zeigt, dass bei den unselbständi¬
gen Berufsarten das Heiratsalter niedriger ist, als bei den
Selbständigen; es haben aber in den letzten Jahrzehnten be¬
sonders die unselbständigen Berufe eine starke Zunahme er¬
fahren. Das dritte Kapitel behandelt das Hauptthema: die ehe-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2243
liehe Fruchtbarkeit. Der Verfasser weist zunächst nach, dass
um die Mitte des 19. Jahrhunderts im ganzen Deutschen Reich
ein starkes Sinken der Geburten, dann eine Steigerung und
in der Neuzeit ein ununterbrochener Rückgang zu beobachten
ist. Jedoch sei das starke Sinken um die Mitte des Jahrhun¬
derts durch gänzlich andere Ursachen bedingt, als der Rück¬
gang in der Neuzeit. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sei
ein Rückgang der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse
zu beobachten gewesen, welche eine Zunahme der Auswande¬
rung, eine Erhöhung der Sterblichkeit und ein beträchtliches
Sinken der Zahl der Eheschliessungen veranlasst haben. Hier¬
durch sei die Fruchtbarkeit vermindert worden. Es sei jedoch
nur ein Rückgang der Geburten, nicht ein solcher der ehe¬
lichen Fruchtbarkeit zu konstatieren; denn das Sinken der Ge¬
burten sei ganz allein auf die verminderten und bezüglich des
Altersaufbaues verschlechterten Eheschliessungen zurückzu¬
führen. Ganz anders sei der Geburtenrückgang während des
letzten Menschenalters zu erklären. In dieser Epoche waren
infolge des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwunges alle
Bedingungen (im Altersaufbau, Heiratsalter und Berufen) ge¬
geben, dass man eine Vermehrung der Geburtenzahl hätte er¬
warten müssen. Und trotzdem sei ein ganz erheblicher Rück¬
gang in der Geburtenzahl nicht nur in Deutschland, sondern
nahezu international festzustellen. Mombert sucht nun mit
Hilfe ungemein interessanter Statistiken nachzuweisen, dass
mit zunehmendem Wohlstand und verbesserter Kultur die ehe¬
liche Fruchtbarkeit abnimmt, und dass diese . Tatsache sich
selbst in der Oberschicht der Arbeiter nachweisen lässt. Als
Beweis führt er unter anderem eine Statistik der bekannten
englischen Hilfskasse „Hearts of Oak“ an; in dieser sei die
Elite der englischen Arbeiter versichert; zu den Untei-
stützungen, welche die Kasse zahlt, gehört auch eine Wochen¬
bettunterstützung von 30 Schilling, die die Frauen der \ er-
sicherten erhalten. Es lässt sich nun aus den Statistiken der
„Hearts of Oak“ zeigen, dass die Zahl der Versicherten in den
letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen, die Zahl der
Wochenbettunterstützungen aber bedeutend abgenornmen hat.
Als Ursache für den Rückgang der ehelichen Geburten bei
steigendem Wohlstand erblickt er die bewusste und gewollte
Beschränkung des Fortpflanzungstriebes; „la fecondite est
reglee par la volonte“ oder, wie es F o r e 1 ausdruckt, „die Zeu¬
gung wird immer mehr von der Befriedigung des Geschlechts¬
verkehrs getrennt“. In doppelter Weise können mithin die
wirtschaftlichen Verhältnisse die Geburtenzahl beeinilussen.
Eine einmalige Besserung wirkt geburtenvermehrend, da dann
die Heiraten zunehmen und auch das Heiratsalter niedriger
wird. Dauert Wohlstand und Kultur aber längere Zeit an, so
tritt die entgegengesetzte Wirkung ein, die eheliche Fruchtbar¬
keit wird vermindert. Aber nur dort wird diese letzteie
kung beobachtet, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse und der
Kulturstand der Bevölkerung so weit gediehen sind, dass gros¬
sere Voraussicht und Sorge für die Zukunft sich geltend
machen.
Der Hauptwert dieses Buches, der von dem bewunderns¬
werten Sammelfleiss des Verfassers einen neuen Beweis er¬
bringt, besteht in dem ausserordentlich reichhaltigen statisti¬
schem Material, das Mombert darbietet. Aber auch die aus
dem wertvollen Stoff gewonnenen Thesen sind von hohem In¬
teresse.
Auf eine Bemerkung Momberts möchte ich hier kuiz
eingehen: Er wundert sich, dass in Köln die Säughngsstei ic i-
keit trotz geringer Geburtenzahl so gross ist, und dass umge¬
kehrt in der polnischen Arbeiterbevölkerung trotz hoher rrucn -
barkeit diese Sterblichkeit gering ist. Werden diese Tatsachen
nicht hinreichend dadurch erklärt, dass in Köln die Sitte o
Stillens sehr abgenommen hat (in Köln stillten 1902 von
Frauen 602 ihre Kinder nicht; siehe P r in z i n g: Medizinische
Statistik, S. 294), während die polnischen Arbeiterfrauen wohl
fast ausnahmslos ihre Kinder säugen? Jeder Leser des M o m -
bert sehen Buches wird viel Wissenswertes und zahlreiche
Anregungen aus dem Studium des bedeutenden Werkes ge¬
winnen; die Arbeit, welche in dem gediegenen Gewände, das
alle Bücher des Braun sehen Verlages auszeichnet, erscheint,
sei darum aufs beste empfohlen. ; . ,
Alfons Fischer- Karlsruhe.
Friedrichs des Grossen Korrespondenz mit Aerzten. Her¬
ausgegeben von Dr. G. L. M a m 1 o c k, Arzt in Berlin. Verlag
von Ferdinand Enke in Stuttgart 1907. Preis 6 Mk. 168 Seiten.
Aus diesem historisch-wissenschaftlichen Werke tritt uns
vor allem die überragende Persönlichkeit Friedrich des Grossen
auch im Kleinen vor die Augen. Die 174 meist in deutscher
Sprache, bisweilen französisch geschriebenen Briefe beschäf¬
tigen sich mit allen möglichen ärztlichen Angelegenheiten, die
ein interessantes Streiflicht auf die medizinischen, ärztlichen
und hygienischen Anschauungen der damaligen Zeit werfen.
Die Besorgnis Friedrich des Grossen um seine grossen Sol¬
daten, die Aufmerksamkeit auf die Epidemien im Heere oder in
den besetzten Landesteilen, die Sorge um die Gesundheit ein¬
zelner Mitglieder seiner Familie oder eines Generals lassen
der Feder des grossen Königs und autokratischen Herrschers
Befehle oder Anordnungen entfliessen, die die Unvorein¬
genommenheit Friedrichs offenbaren, seinen weiten Blick kund¬
tun und oft auch eine Kurpfuscherei durch den Laien Friedrich
erkennen lassen. Wir sehen, wie selbstherrlich Friedrich mit
den Universitätsprofessoren umsprang und in dem kleinen
armen Preussen Zeit findet, Eingaben um Gehaltserhöhungen
abzufertigen. Er schreibt dem Geheimrat C o t h e n i u s vor,
bei dem Aderlass der Prinzessin von Preussen „mit grosser
Behutsamkeit zu verfahren, da bei der Prinzessin die Möglich¬
keit einer vorhandenen Schwangerschaft nicht zu leugnen ist
. . der französische Chirurgus Poin“ hat von der chirurgischen
Anatomie auch nicht die geringste Kenntnis, so dass Aller-
höchstdieselbe dergleichen Ignoranten bei der Chirurgie an¬
nehmen zu lassen keitiesweges gemeinet . .“ „Des Erb Prinzen
von Braunschweig Liebden sind von einem haemoroidal Fistel
Schaden dergestalt incommodirt, dass Sie Sich operiren zu
lassen resolviret haben. Ob ein dergleichen Operationen, be¬
sonders aber der in Frankreich dermahlen üblichen weniger
gefährlichen und schmerzhaften Arth, kundiger Feldscheer in
Berlin vorhanden, der oberwähnte Operation zu unternehmen
sich getrauet und also zu dem Ende mit Zuverlässigkeit nach
Braunschweig abgeschicket werden könne, möchte Ich gern
wissen . .“ Dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein, denn
es entspann sich eine weitere längere Korrespondenz iibei die
Entsendung eines Militärarztes nach Paris, der dort die Ope¬
ration erlernen sollte, und eine weitere Diskussion über die
Geldmittel, die diesem Arzte zur Verfügung gestellt werden
sollten, wobei der König eine grosse Knauserei dokiimentieit.
— • „Bey meiner Landesväterlichen Vorsorge für die Eihaltung
. . Meiner getreuen Unterthanen finde ich, die Pocken Ino-
culation sehr zuträglich . . so befehle ich hiermit . . dass ein
Arzt Sich zu Berlin einfinde, um von meinem daselbst anwesen¬
den Englischen Medico B a y 1 i. e s die beste Arth näher zu ver¬
nehmen, wie diese Inoculation vorzunehmen ist . .“ Da sich
keine Eltern fanden, die die Impfung an ihren Kindern vor¬
nehmen Hessen, dekretiert der König, dass man die Kinder aus
Waisenhäusern dazu verwende. Ein andermal \\ lindert sich
Friedrich sehr, dass Geheimrat M u z e 1 1 „der Krankheit Seines
Generals gegenwärtig den Nahmen von Wassersucht gebe
und woher Er solche auf einmahl bekommen mögen, da vorhero
nur von Gicht und dergleichen Zufällen die Rede gewesen . .
man kann durch incisiones zwischen denen Ribben das Wasser
abzapfen und wegschaffen“ In einem Erlass an das Ober
Collegium Medicum befiehlt der König zur Aufklärung iibei die
Pocken „ganz Simpeln und deutlichen Unterricht zu entwerfen,
worinn aber kein einziges lateinisches oder Medicinisches
Kunst-Wort enthalten seyn muss, dass sich auch die ein¬
fältigsten Leute und Bauern darinfinden . .“ Ein wertvolles
Vorwort des Verfassers von 40 Seiten gibt Erläuterungen fui
das ausserordentlich interessante Buch, aus dem wir noch
folgenden Passus anführen wollen, der vor über 120 Jaliien
von dem weitsichtigen Friedrich an den Minister hinausgegeben
worden ist. „Es hat mich gewundert, aus Eurem Bericht . . zu
ersehen, dass der beim Kammergericht gestandene Präsident
die Direktorstelle beim Ober Collegio Medico mit einem
Tractament von 200 Taler gehabt hat: Wie schickt sich denn
ein Justiz-Mann zu dem Medicinischen Fach; davon versteht
er ja nichts und soll auch keiner dergleichen wiedei dabei
gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu ein guter und ver¬
nünftiger Medicus und muss man suchen einen solchen dazu
2244
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
vorzuschlagen, der schickt sich eher dahin, als einer von der
Justiz . .“! Max N a s s a u e r - München.
Neueste Journalliteratur.
Zentralblatt für Chirurgie. 1907. No. 38 u. 4L
No. 38. R e v e n s t o r f - Hamburg: Verletzung des Längsblut¬
leiters, Blutstillung durch „Duranaht“.
Bei partieller Durchtrennung des Sinus longus, einer häufigen
Nebenverletzung durch Impressionsfraktur des Schädeldaches (bei der
in der Regel die Wunde nach Blutstillung als ein schräger, bogen¬
förmiger Riss der oberen Gefässwand sich präsentiert) empfiehlt R.
beiderseits lateral neben dem Sinus durch die Dura vorsichtig die
Nadel einzustechen und auf diese Weise einen Katgutfaden quer über
das blutende Gefäss zu spannen resp. zu knüpfen. Meist lässt sich die
Blutung schon durch eine Naht fast völlig stillen und werden je nach
Bedarf 2—3 solche Suturen angelegt, die zu Thrombose und Ge¬
rinnselbildung keinen Anlass geben, da sie ausserhalb des Gefässes
liegen. — 3 Fälle, mit promptem Erfolg in dieser Weise behandelt,
werden kurz mitgeteilt.
Fritz Bernd t - Stralsund: Bemerkung zu der Mitteilung von
Ewald über die Nachbehandlung bei Mammakarzinom.
B. empfiehlt den Arm bis zmr Horizontalen erhoben in den Ver¬
band einzuschliessen, da hierdurch glattes Anliegen der Haut in der
Axilla, d. h. Abflachung derselben ad maximum in einfachster Weise
erreicht wird. Wenn die Patientin aufsteht, stützt sie die Hand in
die Seite. Der Deltoideus ruht so in verkürzter Stellung, so dass er
nach Abnahme des Verbandes wieder ordentlich funktioniert. Die
Patientinnen, die durchschnittlich 10 — 12 Tage post operat. entlassen
werden, können fast ausnahmslos den Arm über die Horizontale er¬
heben und auf den Kopf zu legen.
. Elans Hoddick - Worms: Ueber die Behandlung der
peritonitischen Blutdrucksenkung mit intravenösen Adrenalin-Koch-
salzmjektioneii.
EI. berichtet aus Heidenhains Abteilung über die diesbezüg¬
lichen Erfahrungen, die sich seit 2 Jahren an zahlreichen Fällen
schwerer Peritonitis nach Appendizitis etc. sammeln Hessen und in
denen man in der Adrenalin-Kochsalzinfusion (% — 1 Liter physio¬
logische Kochsalzlösung mit 6 — 8 Tropfen Adrenalin 1: 1000, mit 41°
im Irrigator) ein Mittel hat, das mehr als die bisher gebräuchlichen
vasomotorenerregenden Mittel (Kampher, Koffein) imstande ist, der das
Leben bedrohenden peritonitischen Blutdrucksenkung erfolgreich ent¬
gegenzutreten. H. benutzt zur Infusion eine Vene, die dicht oberhalb
der Ellenbeuge in der Bizipitalfurche im subkutanen Gewebe verläuft,
die so gross ist, dass eine Infusionsnadel leicht eingeführt werden
Kann. Die Wirkung ist, besonders wenn der Peritonitiskranke ver-
tallen, mit kaum fühlbarem kleinen, sehr frequenten Puls, zyanotischer
Earbe und kaltem Schweiss vom Operationstische kommt, eine über-
aschende und schon während der 20 — 30 Minuten dauernden Infusion
jsf das allmähliche 'Steigen des Blutdruckes zu erkennen und die
Aenderung im Aussehen des Patienten verblüffend. Während die In¬
tusionen von Kochsalzlösungen allein H. keine nennenswerten Resultate
gaben, waren die Erfolge der Peritonitisbehandlung mit den geschil¬
derten Adrenalin-Kochsalzlösungen sehr günstige; 1905 wurden 9 Fälle
von Appendizitisperitonitis geheilt, nur 1 starb, 1906: 4 geheilt 1 ge¬
storben. ’ s
In ganz verzweifelten Fällen, bei extremem Tiefstand des Blut-
d'uckes, wurde vor der Operation eine Infusion gemacht; besserte sich
der I uls merklich, so ging H. an die Operation. H. verweist auf eine
spatere ausführliche Arbeit von Heidenhain. Sehr
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie Bd XXVI
Heft 1.
Erosionen0 ^ ° ^ ^ n ^ 6 r ^e'^e^er^' ^ur ^'s*ogeneSe der Portio-
Das Entstehen und Vergehen der Erosionsdrüsen an der Portio
folgt nach Ansicht des Verf. hart auf einander; es findet also ein be-
Jandigci Kampf zwischen Platten- und Zylinderepithel um die Vor-
l uischaft statt. Dieser Kampf wird durch die primäre Entzündung
dei Zct vixschleimhaut veranlasst, wobei bald das eine, bald das
andere Epithel oberflächlich vordringt, bald die Drüsen der Zervix-
sch leimhaut durch das Portioparenchym wuchern und durch aktive
Wucherung oder Sekretionsdruck die Oberfläche der Portio durch¬
brechen.
D .V,ei ! ;.Ha,le : Kaiserschnitt bei Infektion der Eihöhle.
Bei Infektion der Eihöhle unter der Geburt handelt es sich, ab¬
gesehen von den selteneren Keimen, um Fäulniskeime, fakultativ viru-
h!uL S,trepto,kokk|>n J'nd hochvirulente Streptokokken; diese Keime
haben besondere Bedeutung beim Kaiserschnitt. Fäulniskeime sind
im Uterus bei gutem Abfluss des Sekretes nicht bedenklich, kommen
sae mit dem Fruchtwasser in die Bauchhöhle, so entwickeln sie sich
weiter und werden je nach der Menge des sich zersetzenden Materials
was zur Resorption kommt, mehr minder gefährlich. Ebenso verhält
es sich mit den abgeschwächten Streptokokken. Fehlt der geeignete
Nährboden, so kommt es zur umschriebenen Peritonitis, im anderen
7 . zur proprediienten, wobei die Keime sich in den mehr virulenten
Zustand umbilden. Lokale Entzündungen und Vereiterungen in der
Bauchwunde sind bei Anwesenheit dieser Keime häufig. Bei hoch¬
virulenten Streptokokken sind alle Massnahmen, vielleicht abgesehen
von Antiserum, vergeblich.
Um die Bauchhöhle beim Kaiserschnitt vor Fäulniskeimen und
abgeschwächten Streptokokken zu schützen, empfiehlt Verf. die von
| Frank angegebene Modifikation der Operation (Abschluss der
Bauchhöhle durch Vernähen des Peritonealüberzugs des unteren
Uterinsegments an den der vorderen Bäuchwand, quere Spaltung
des Segments. Entleerung des Uterus, Vereinigung der Wunden
durch die Naht). V. operierte zweimal mit gutem Erfolg dn dieser
Weise.
3) H a r tje - Elberfeld: Ueber die Beziehungen der sogenannten
papillären Uterindriisen zu den einzelnen Menstruationsphasen.
Die Opitz sehen Drüsen kommen auch bei Ausschluss von
Schwangerschaft durchaus nicht selten vor und sind als physiologische
Schleimhautveränderungen anzusehen. Verf. findet solche Drüsen
in 3,7 Proz; aller ausgeschabten Schleimhäute. Die Drüsen stellen
prämenstruelle Veränderungen vor und finden sich auch noch während
der Menstruation in der Schleimhaut. Vorstufen dieser Drüsen mit
niedrigeren Papillen finden sich noch häufiger auch im Regenerations¬
stadium der Schleimhaut. Die O p i t z sehe Papillenform ist nichts
anderes als das am höchsten differenzierte Endglied einer Kette von
Drüsenformen, die mit der ganz einfachen tubulösen Drüse beginnt.
Bei stark erweiterten und geschlängelten Uterindrüsen ist man also
nicht ohne weiteres berechtigt, drüsige Hypertrophie oder Hyper¬
plasie der Schleimhaut anzunehmen. Für die Beurteilung des histo¬
logischen Befundes ist es notwendig, die Zeit der Schleimhautent-
nahme im Verhältnis zur Menstruationszeit zu kennen.
4) N e u - Heidelberg: Epilepsie und Gravidität.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
5) P e u k e r t - Halle: Doppelseitiges Fibrokvstom an unver¬
änderten Ovarien.
Der Fall ist durch die gleiche doppelseitige kongenitale Anlage
von Fibrom- und Kystenbildung von Interesse. Am linken Ovarium
befand sich ein zweifaustgrosses gestieltes Fibrom mit gleich grosser
Zyste, am anderen Ovar in kleinem Massstabe das gleiche Bild, ein
rüsselföi miges Anhängsel mit derbem fibrösem Stiel und zystischem
Kopf. Beide Fibrome entspringen aus der Mitte der Basis des sonst
normalen Ovarium.
6) Adler- Wien: Seltene Ovarialveränderungen.
Verf. teilt 2 Fälle des erst einmal von Abel beschriebenen
Ovarium gyratum mit. Die Gyri an der Oberfläche erinnern an das
Bild der Gehirnoberfläche; sie sind entstanden durch intensive gleich-
massige Wucherung des Rindenstromas der Fläche nach. Auch
mikroskopisch zeigt sich eine starke Vermehrung des Rindenstromas,
ferner Atrophie des Follikelapparates und Zeichen chronisch-entzünd¬
licher Prozesse. Aehnlich sieht ein weiter beschriebener, aber
genetisch ganz verschiedener Fall von Adenofibrom 'intracanaliculare
ovarii aus; kongenitale Anlage, Wucherung des bindegewebigen
Ovarialstromas unter Beteiligung des Keimepithels nur im Innern
des Ovais unter Verdrängung des Follikelapparates kennzeichnen
diese echte I umorbildung im Gegensatz zum Ovarium gyratum.
7) O ff e r ge Id - Marburg: Chemische und histologische Bei¬
trage zur Pubotomie. (Schluss im nächsten Heft.)
Weinbrenner - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie, No. 42.
Pankow-Freiburg i. B.: Das Alttuberkulin Koch als Dia-
gnostikum in der Gynäkologie.
P. hat die Angaben Birnbaums (cf. d. Wochenschr. No. 42,
p. 2HI2) in 32 Fällen chronisch-entzündlicher Veränderungen nach¬
geprüft, wo stets die Reaktionsdiagnose durch die klinische und histo-
P nni1C Untersuchung kontrolliert wurde. Als Anfangsdosis wurde
0 001 gegeben und bis 0,01 gestiegen. Von den 32 Fällen ergaben
»n mal beide Diagnosen keine 1 uberkulose, 3 mal wurde die auf Tuber-
kulose gestellte Reaktionsdiagnose nicht bestätigt, 4 mal ergaben beide
Diagnosen Tuberkulose und 5 mal fand sich bei negativer Reaktions-
uiagnose histologisch doch eine 1 uberkulose. Das diagnostische Re¬
sultat der Tuberkulininjektion deckte sich mithin in 75 Proz der
Eule mit dem anatomischen Befund, in 25 Proz. differierte ersteres.
n' .\°Tnle Birnbaums Angabe, der in jedem Falle von
Genitaltuberkulose lokale Reaktion fand, nicht bestätigen.
J G. t e r B r a a k und A. M i j u 1 i e f f - Tiel (Holland) : Ein Fall
von Eklampsie infolge von erhöhter intrarenaler Spannung.
Es handelte sich um eine 21jährige I. Para, die nach der Ge-
burt schwere Eklampsie bekam. Dabei Hess sich in der rechten Seite
des Leibes ein grosser I umor fühlen, der als vergrösserte Niere an-
gespi ochen wurde. Eine Operation wurde verweigert; die Anfälle
höiten abei am nächsten Tage spontan auf und der Tumor verschwand
wiedei. Vff. schliessen aus ihrem Fall, dass neben dem toxischen
auch ein mechanisches Moment die Eklampsie bedinge, die intra-
renale Spannung.
Diese Ansicht i echtfertigt die Nierendekapsulation nach Ede-
b o h 1 s mit oder ohne Nephrotomie, die als bestes Mittel zur Auf¬
hebung der intrarenalen Spannung gelten muss. Vff. stehen aber
nicht auf dem radikalen Standpunkte E d e b o h 1 s, der die Operation
stets ausführen will, sobald Eklampsie auftritt. Sie verwerfen sie für
Gravidität und Partus und beschränken sie nur auf das Puerperium.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2245
Für die ersten beiden ist zunächst die Beendigung der Geburt indiziert,
sei es durch Sectio caesarea, durch den vaginalen Kaiserschnitt oder
durch andere Methoden. Erst nach Entleerung des Uterus tritt die
Decapsulatio renis und Nephrotomie in ihre Rechte.
J a f f e - Hamburg.
Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Redigiert von Dr.
J. Boas -Berlin. Bd. XIII., Heft 3.
16) A. Fe r rata und G. Maruzzi: Ueber das Verhalten von
Phcsphorverbindungen in der Darmschleimhaut im Hungerzustand,
sowie nach Verabreichung von Nahrungsstoffen. (Aus dem von Prof.
Ca ja geleiteten Laboratorium der med. Klinik in Parma, Direktor:
Prof. Riva.)
Aus den an Hunden angestellten Versuchen folgte, dass eine
phosphorhaltige Nahrung ein Steigen des Gehalts an Verbindungen
der Lezithingruppe sowohl in der Darmschleimhaut, als auch in der
Leber und im Blut bewirkt und zwar nahm in einzelnen Versuchen der
dem Gehalt an Lezithinkörpern in der Darmschleimhaut entsprechende
Phosphorgehalt nach einer solchen Nahrung um das Drei- bis Vier¬
fache gegenüber dem beim hungernden Tiere gefundenen zu. Ganz
anders jedoch verhielt sich in diesen Versuchen das Lezithineiweiss,
dessen Gehalt sowohl in der Harmschleimhaut, wie auch in der Lebet
und im Blute beim hungernden Tiere höher gefunden wurde, als bei
anderen Versuchstieren, die phosphorhaltigen Nahrungsstoff erhalten
hätten
17) S c h 1 o s s - Wiesbaden: Vegetabilische oder Fleischnahrung
bei Hyperazidität. (Aus der experimentell-biologischen Abteilung des
pathologischen Instituts der Universität Berlin.)
Seitdem Jiirgensen erstmalig im Jahre 1898 Front gemacht
hatte gegen die früher wohl ziemlich allgemein herrschende Ansicht,
dass bei Hyperazidität vorzüglich Fleisch- bezw. Eiweisskost an¬
gezeigt sei wegen ihrer die überschüssige Salzsäure bindenden Eigen¬
schaft, ist dieser Standpunkt jetzt so ziemlich verlassen und heute
steht die Frage wohl so, dass im Allgemeinen mehr einer gemischten
Kost das Wort geredet wird, in der Mehrzahl allerdings noch mit
Bevorzugung von zartem Fleisch und Eiweiss. Wie lässt sich nun
dieser Wechsel in der Anschauung rechtfertigen? Halten wir mit
Schloss daran fest, dass im Gegensatz zur Konstanz der Azidität
lediglich die Menge des abgeschiedenen Saftes Schwankungen unter¬
worfen ist, dass sich also die Begriffe Hyperazidität und Hyper¬
sekretion im Wesentlichen decken, so ergibt sich daraus ganz von
selbst, dass es nicht so sehr darauf ankommt, die in dem Magen
bereits abgeschiedenen Säuren zu binden, als vielmehr darauf, die
Abscheidung überschüssiger Mengen zu beschränken. Die von
Schloss in dieser Richtung angestellten Untersuchungen ergaben
nun zur Evidenz, dass vegetabilische Kost eine an Menge und Dauer
viel geringere Saftsekretion hervorruft, als Fleischnahrung, dass sie
also, soferne man sich der Schloss sehen Anschauung über das
Wesen der Hyperazidität anschliesst, gegenüber der Fleischkost bei
Behandlung dieses Leidens entschieden als die schonendere, weit
weniger reizende Kost anzusehen ist.
18) Schmilinsky- Hamburg: Vorteile und Nachteile der
Korinthenprobe. .
Die beiden von Schm, hier veröffentlichten Krankengeschichten
sind eine dringende Mahnung bei allen Kranken, bei denen auch nui
der geringste Verdacht besteht, dass ein Ulcus vorliegen könnte, auf
die Korinthenprobe zu verzichten wegen einer möglichen Reizung der
Geschwürsfläche und dadurch bedingten Pylorospasmus und zwar
auch dann, wenn, wie im Fall 2, früher ähnliche Dinge (Rosinen etc.)
anstandslos vertragen worden waren, denn die Reizbarkeit eines Ge¬
schwürs ist eben zeitweilig ganz verschieden.
19) Schmilinsky- Hamburg: Zur Diagnose und chirurgischen
Therapie des Sanduhrmagens.
Wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten nicht selten die
Diagnose Sanduhrmagen bietet, so wird man Schm, nur beipflichten
können, der dem Symptome, auf das iW ö 1 f 1 e r aufmerksam gemacht
hat, dass nämlich beim Einlaufen von Wasser in den Magen manchmal
schon nach kurzer Zeit sich nichts mehr herausbefördern lässt, eifrig
das Wort redet und die Anschauung vertritt, wenn bei mehrmaliger
Magenspülung die zurückbleibende Restmenge 300 ccm überschreitet,
dass dann, soferne auch die anderen Symptome dafür sprechen, die
Diagnose Sanduhrmagen ziemlich sicher angenommen werden kann.
Schm, hält die Gastroenterostomie am kardialen Magen für ge¬
nügend, noch sicherer ist es allerdings nach W e i r und Fast am
kardialen und am pylorischen Magen eine Gastroenterostomie an¬
zulegen.
20) Wasserthal- Karlsbad : Ueber die Bedeutung von Flagel¬
laten im Stuhl bei Achylia gastrica.
Anschliessend an einen Fall von Trichomonas intestin. Leuckart,
den Verfasser längere Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte, gibt
Wasserthal einen kurzen Rückblick über die bisherige Kasuistik,
das Vorkommen der Flagellaten im Magendarmkanal anlangend. So
wenig Positives wir bis jetzt auch über die symptomatische und
krankheitserregende Rolle der Flagellaten wissen, eines scheint
festzustehen, dass die Parasiten, welche Bedeutung sie immer haben
mögen, sich nur am pathologisch veränderten Gewebe festsetzen
können und dass eine Läsion der Schleimhaut jeweils die Vorbe¬
dingung bildet.
21) B e n d e r s k i - Kiew: Ueber den weichen und steifen (ner¬
vösen) Leib.
Benderski glaubt aus der Härte oder Weichheit des Leibes
gewisse Schlüsse auf den allgemeinen Zustand des ganzen Organismus
ableiten zu dürfen, Schlüsse, die dann wieder Anhaltspunkte für die
Diagnose der Krankheiten des Magendarmkanals abgeben sollen und
zwar vor allem zur Diagnose des von manchen Autoren noch immer
eifrigst verteidigten Krankheitsbildes der nervösen Dyspepsie.
22) P 1 ö n i e s - Dresden: Die Beziehungen des Geschwürs und
der Erosionen des Magens zu den funktionellen Störungen und Krank¬
heiten des Darmes, die Frage der intestinalen Autointoxikation und
die Verschiedenheit beider Geschlechter.
Vorliegende Arbeit, die sich bei der Fülle des Gebotenen in einem
kurzen Referate unmöglich erschöpfend besprechen lässt, durchzieht
als roter Faden die nicht genug zu beherzigende Mahnung, dass nur
wenige Funktionsstörungen im Körper so feinfühlig auf eine kausale
Therapie reagieren, als gerade die Verstopfung, mag sie nun ein
Magenleiden, eine Appendizitis oder eine andere selbständige Darm¬
erkrankung zur Voraussetzung haben, und dass dieserhalb die so weit
verbreitete und geübte symptomatische Behandlung mit Abführmitteln,
•mechanischen oder hydrotherapeutischen Massnahmen, die stets eine
traurige, den Arzt auf die Dauer keinesfalls befriedigende Erscheinung
in unserem therapeutischen Streben darstellt, enei gisch bekämpft
werden muss. Hinsichtlich der Frage der intestinalen Autointoxikation
präzisiert PI. seinen Standpunkt dahin, dass wir in den Gärungen
des Magens und des oberen Teiles des Darmes, in denen sie stets
pathologisch sind, die eigentliche Quelle der Autointoxikationen zu
suchen haben, nie und nimmer aber in den Zersetzungsvorgängen, die
im Dickdarm sich abspielen.
23) E'h r 1 i c h - Stettin: Vorläufige Mitteilung über ein neues
Instrument zur Gastroskopie.
E. Konstruktion eines neuen Gastroskops beruht auf dem Prinzip
eines verkehrt vor das Auge gebrachten Feldstechers, durch den man
bekanntlich ein grosses Gesichtsfeld stark verkleinert übersieht.
A. Jordan- München.
Archiv für Hygiene. 62. Band, Heft 4. 1907.
1) L. v. L i e b e r m a n n - Ofen-Pest: Ueber Hämaggiutination
und Hämatolyse. I. Ueber Hämagglutination durch Rizin.
2) Derselbe: II. Beziehungen zwischen Hämagglutination und
Hämatolyse.
3) L. und P. v. Liebermann - Ofen-Pest: III. Ueber die Wir¬
kung von Kieselsäure auf rote Blutkörperchen.
4) Dieselben: IV. Ueber die hämatolytische Wirkung des
Guajaksaponins.
5) L. v. Lieber mann: V. Ueber hämolytische Sera. Wirkung
von Säure und Alkali.
6) L. und P. v. Liebermann: VI. Ueber die Aenderung
der Hydroxyl-Ionen-Konzentration beim Inaktivieren der Sera. Ein¬
fluss derselben auf die Hämatolyse.
7) L. v. Li eher mann und B. v. Fenyvessy: VII. Ueber
Nachweis und Isolierung des hämatolytischen Immunkörpers.
8) L. v. Lieb er mann: VIII. Ueber hämatolytische Komple¬
mente und über den Mechanismus der Wirkung hämatolytischer Sera.
Die vielen interessanten Beobachtungen können nicht im Rahmen
eines kurzen Referates mitgeteilt werden. Es sei nur darauf hinge¬
wiesen, dass v. Lieber mann durch systematisches Vorgehen be¬
weisen konnte, dass Gemenge, welche Seife, Oelsäure und Serum¬
albumin in einem gewissen Prozentsatz enthalten, dem hämatolytischen
Immunserum überraschend ähnlich sich verhalten. Es spielt hier die
Oelsäure gewissermassen die Rolle eines Immunkörpers, die Seife
diejenige eines Komplementes.
2) Gottfried B ö h m - München: Die Bedeutung der durch Hetol
(zimmtsaures Natron) hervorgerufenen Hyperleukozytose bei der
intravenösen und subkutanen Milzbrandinfektion des Kaninchens.
Die durch Hetolinjektionen künstlich vermehrten Leukozyten ver¬
mögen, wenn überhaupt, nur in ganz geringem Masse eine Steigerung
der Resistenz des Kaninchens gegen Milzbrandinfektion herbeizu¬
führen. Das Kaninchenblutplasma besitzt keine bakterizide Kraft,
selbst auf der Höhe der Hetolhvperleukozytose. Die Zahl der Blut¬
plättchen ist auf der Höhe der Hetolhyperleukozytose nicht immer
vermindert.
10) K ü s t e r - Freiburg: Ueber die Ursache der Hauterkrankung
bei Anwendung von Dauerbädern.
Als Ursache der Hauterkrankungen nach Dauerbädern liess sich
ein Pilz eruieren, der zu den Askomyzeten gerechnet werden muss.
Die anfangs missglückte Züchtung gelang in Formalinwasserkulturen.
Es gelang bisher aber noch nicht mit irischem Material kräftige
Individuen in- und ausserhalb des Dauerbades zu infizieren. Für
kleinere Tiere ist der Organismus bei Einspritzung von Reinkultur
pathogen, besonders für Kaninchen, aber auch für Meerschweinchen,
Ratten, Mäuse und Frösche. R- O. Neumann - Heidelberg.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 3. Heft,
57. Band. 1907.
1) Manteuffel - Halle a. S.: Das Problem der Entwicklungs¬
hemmung in Bakterienkulturen und seine Beziehungen zu den Ab¬
sterbeerscheinungen der Bakterien im Darmkanal.
2246
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Im Anschluss an frühere Untersuchungen, in denen Verf. ge¬
funden hatte, dass bei 60 0 zerstörbare Stoffwechselprodukte von Bak¬
terien als Wachstumshemmung in älteren Bakterienkulturen nicht in
Betracht kommen könnten, sind neue Versuche angestellt worden, um
die Einwände besonders von Seiten Eijkmanns, der die Stoff¬
wechselprodukte der Bakterien als Hemmungsursache ansieht, zu ent¬
kräften, Des Verf. neue Ergebnisse sprechen nun dafür, dass die
Entwertung des Nährbodens, nicht die gebildeten Stoffwechselpro¬
dukte, der ausschlaggebende Faktor für die Wachstumshemmung und
den Bakterientod ist. Auch in frisch entleerten Fäzes finden sich
keine bakteriziden Stoffe, die das Vorhandensein der massenhaften
toten Bakterien darin erklären können. Vielmehr sind neben der
W irkung des erschöpften Nährbodens bakterizide Kräfte des lebenden
Organismus vorhanden, welche durch Vermittelung der Darmwand
mit den Eäzesbakterien in Verbindung treten, und die Hemmungs¬
erscheinung hervorbringen.
2) Hammerschmidt - Gnesen : Die Gnesener Kläranlage.
Ein Beitrag zur biologischen Abwasserreinigung.
Beschreibung der Genesener Anlage nebst bakteriologischen und
chemischen Untersuchungen, welche zeigen, dass die Anlage und die
Oxydationskörper allen billigen Anforderungen entsprechen. Es wird,
aber auch darauf hingewiesen, dass die biologische Abwässerreinigung
die Lebensfähigkeit der Kolikeime nicht zu vernichten vermag da
dieselben nachgewiesenermassen die Oxydationskörper lebend ver¬
lassen. Es ist deshalb auch denkbar, dass andere Bakterien, und
zwar pathogene in den Vonluther gelangen können.
3) Th. Madsen und Max N y m a n - Helsingfors : Zur Theorie
der Desinfektion I.
4) P. M ü h le n s - Berlin: Vergleichende Spirochätenstudien.
Auf 2 lafeln bringt der Verf. Spirochaete pallida, refringens.
balanitidis, Duttoni, Obermeieri, Gallinarum, Laverani, Spirochäten
aus Mückenmagen, Darmspirochäten, Mundspirochäten, bei Angina
Vincenti, bei Karzinom, bei Lungengangrän und die grosse Spirochaete
Balbiani zur Darstellung, um die leichte Differenzierung gegenüber der
Spirochaete pallida zu zeigen.
5) Kruse, Rittershaus, Kemp und Metz-Bonn: Dy¬
senterie und Pseudodysenterie.
Sehr eingehende Bearbeitung der morphologischen und bio-
logischen Chaiakteristika von Dysenterie und Pseudodysent€rie und
Besprechung der epidemiologischen Tatsachen dieser beiden Erkran¬
kungen. Beide Krankheiten verlaufen verschieden. Die Pseudo¬
dysenterie im allgemeinen leichter. Während für „echte“ Dysenterie
ein Heilserum existiert, gibt es gegen Pseudodysenterie noch kein
spezifisches Gegenmittel. Die Differenzierung beider Krankheiten ist
nicht immer leicht.
6) Kemp - Bonn: Ueber Paradysenterie.
Eine kleine in . Bonn verlaufende Ruhrepidemie gab Gelegenheit
die von Kruse benannten Paradysenteriebazillen, welche von den
echten erheblich abweichend, zuerst in Konstantinopel von Deyke
und Reschad isoliert worden waren, eingehend zu untersuchen.
Ls gelang nicht, die von Deyke und Reschad gemachten An¬
gaben in allen Stücken zu bestätigen. Besonders gelang der Füt¬
terungsversuch an Katzen nie, während die genannten Autoren blutige
Stuhle erzeugt hatten.
7) Wolfgang W e i c h a r d t - Erlangen: Bemerkungen zu der
Arbeit von Privatdozent Dr. Herrn. P f e i f f e r - Graz: „Zur Kenntnis
der agglutinierenden Wirkung von Rückständen normalen Menschen¬
harnes.
K) Hei mann P f e i f f e r - Graz: Bemerkungen zu der vorstehen¬
den Kritik W. Weichardts.
Polemik. R. o. N e u m a n n - Heidelberg.
Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. 27. Band
Heft 1. 1907.
1) Adolf Günther-Berlin: Ergebnisse der amtlichen Wein-
Statistik. Berichtsjahr 1905—1906. I. Weinstatistische Untersuchungen
11. Moststatistische Untersuchungen. ’
Die statistischen Erhebungen der Weinernte des Jahres 1906
zeigten, dass die zu Anfang desselben Jahres gehegten Befürchtungen
wegen einer schlechten Weinernte nur zu begründet waren. Das Jahr
1906 gilt als ein typisches Peronosporajahr. Die Blattfallkrankheit
verursachte in vielen Teilen des ganzen Reiches enorme Verheerungen,
so dass manchmal die Ernte gleich Null war. Wie gross der Aus
fall gegenüber früheren Jahren ist, geht aus folgenden Zahlen her¬
vor: Die Mosternte betrug 1904 4 244 408 Hektoliter 1905 3 855 978
Hektoliter, 1906 1 635 727 Hektoliter. Nur in einigen hegenden z B
an der Mosel, wurde % bis ein voller Herbst erzielt. Es hat sich iri
einzelnen Bezirken wiederum gezeigt, wie ausserordentlich wichtig
und notwendig die Bespritzung mit Kupferlösung gewesen ist, da dort
wo die Bespritzung rationell betrieben worden war, viel bessere
Resultate er.zl®lt wurden. Ueber die chemischen Üntersuchungs-
ergebmsse sind zahlreiche Tabellen dem Berichte beigegeben.
Allgemein interessant sind noch die Angaben, wie weit die Most-
vt?\19(!1 * * * * 6 hinter den früheren Jahren an Gesamtwert zurück-
steht . Unter den 11 Jahren, für welche der Gesamtwert der deutschen
Mosternte bekannt ist, steht es an drittletzter Stelle mit 70,2 Millionen
Mark. Der Durchschnitt der 10 früheren Jahre betrug 97,3 Millionen
Mark. Unter den 20 Jahren, für welche der Gesamtmengenbetrag der
deutschen Mosternte bekannt ist, weist das Berichtsjahr den sechst-
niedrigsten Ertrag auf: es steht mit seinem Ertrage von 1 636 Mil¬
lionen Hektoliter bei weitem unter dem Durchschnittsertrag der
früheren 25 Jahre: 2,366 Millionen Hektoliter.
2) Friedrich Auerbach und Hermann B a r s c h a 1 1 - Berlin:
Studien über Formaldehyd. II. Mitteilung. Die festen Polymeren des
Formaldehyds.
Rein chemische Studien, welche zu der Erkennung der Existenz
von 6 verschiedenen festen Polymeren des Formaldehyds führten.
1. Paraformaldehyd, 2. a-Polyoxymethylen, ß-Polyoxymethylen.
y-Polyoxymethylen, ö-Polyoxymethylen, a-Trioxymethylen.
R. O. Neumann - Heidelberg.
Vierteljahrschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches
Sanitätswesen. *) Dritte Folge, XXXIV. Bd., 1907, 3. H.
I. Gerichtliche Medizin.
1) Toxikologischer Vergleich zwischen Ghinosol, Lysol und
Kresol von Th. W e y 1 - Charlottenburg.
Verfasser hat toxikologische Versuche mit diesen 3 Mitteln an
einer Reihe von Kaninchen angestellt, teils stomachal, teils sub-
k u t a n, teils intraabdominal.
Das Ergebnis bezüglich der kleinsten toxischen Dosis war
a) vom Magen aus Lysol und Kresol gleich giftig,
b) von der S u b k u ti s aus GhinoSol giftiger als Lysol, während
Kresol viel ungiftiger ist als die beiden anderen Stoffe,
c) vom Peritoneum aus Chinosol viel ungiftiger als Lysol
und Kresol ist.
Bezüglich der kleinsten letalen Dosis war festzustellen, dass
a) das Kresol vom Magen aus 163 Proz. giftiger als Lysol und
135 Proz. giftiger als Chinosol,
b) von der S u b k u t i s aus etwa 136 Proz. ungiftiger als Lysol
und 371 Proz. ungiftiger als Chinosol,
c) vom Peritoneum aus ebenso giftig wie Chinosol und
51,5 Proz. ungiftiger als Lysol ist.
Chinosol ist für Kaninchen vom Magen aus ebenso giftig,
wenn nicht giftiger wie Lysol,
von der S u b k u t i s aus 100 Proz. giftiger als Lysol,
vom Peritoneum aus aber 51,5 Proz. ungiftiger als Lysol.
Verfasser ist auf Grund dieser Untersuchungen der Ansicht, dass
.der Verkauf von Chinosol in gleicher Weise ge¬
regelt werden müsste, wie es für das L y s o 1 • be¬
reits geschehen Ls t.
2) Zur Verfeinerung des spektroskopischen Nachweises von
Kohlenoxydhämoglobin im Blute von Dr. O. Kur pju weit, Kreis¬
assistenzarzt in Berlin.
Der Umstand, dass der spektroskopische Nachweis des Kohlen¬
oxydhämoglobins im Blute hinter dem chemischen Nachweis zurück¬
steht — mit der modifizierten Tanninprobe konnte auch 5—10 Proz.
CO -Gehalt im Blute nachgewiesen werden, während die Spektral¬
probe noch bei 20 Proz. negativ ausfiel — , liess eine Verfeinerung
der letzteren wünschenswert erscheinen. Dem Verfasser gelang dies
dadurch, dass er eine Mischung von Kohlenoxydblut und gewöhnlichem
Blute herstellte. Bei Zusatz von 0,75 ccm Kohlenoxydblut zu 4 ccm
reduziertem gewöhnlichen Blut tritt deutlich im Spektrum eine Ver¬
schiebung des reduzierten Hämoglobinstreifens nach rechts auf, dazu
macht sich ein schärferer Schatten in der Mitte bemerkbar.
Es gelang hierdurch der spektroskopische Nachweis bei einem
CO-Gehalt von 15 Proz. Zur Ausführung bedient man sich am besten
desHermann sehen Hämatoskops oder des Schulz sehen Doppel-
kistchens (Blutmischung 1 Teil Kohlenoxydblut und 5,3 Teile gewöhn¬
liches Blut).
3) Ueber traumatische Nephritis. Experimentelle Untersuchungen
von Dr. Luigi T omellini. (Aus dem Institut für gerichtl. Medizin
an der Universität Genua.)
Um die Frage zu entscheiden, ob nach Trauma wirkliche ent¬
zündliche Erkrankungen der Nieren auftreten können, oder ob es
sich bei den durch Trauma gesetzten Veränderungen nur um Zonen
von heilendem Narbengewebe handelt, hat Verfasser eine grosse
Zahl von Untersuchungen zunächst an Hunden, dann hauptsächlich an
Kaninchen angestellt und diese in drei Abteilungen geschieden:
1. Verletzungen (Kontusionen) der Niere nach ihrer Blosslegung
durch Laparotomie.
2. Verletzungen der Niere ohne Blosslegung derselben.
3. Verletzungen der Niere nach vorausgegangener Insultierung
von Nerven der Nieren.
Verfasser kam bei diesen Versuchen zu dem Ergebnis, dass die
Nieren niemals Entzündungserscheinungen irgend welcher Art, auch
keine Veränderungen der Gefässe zeigten; die konstanteste Erschei¬
nung ist stets die Verdickung der Rindenkapsel, ferner wuchern im
Gewebe nekrotische Zonen mit darauffolgender Kalkablagerung. Eine
typische parenchymatöse Nierenentzündung lasse sich also bei Ka¬
ninchen wenigstens durch Trauma nicht erzielen; die begrenzenden
*) Unter Mitwirkung der Kgl. wissenschaftlichen Deputation für
das Medizinalwesen im Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinalangelegenheiten, herausgegeben von Prof. Dr. Schmidt-
m a n n. Geh. Ober-Med.-Rat, Berlin und Prof. F. Strassmann,
Geh. Med.-Rat, Berlin.
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2247
Zonen von Bindegewebe sind nur als Narbengewebe anzusprechen,
das die nekrotischen Zonen ausgefüllt hat. Ob diese Ergebnisse auch
auf den Menschen sich übertragen lassen, hält Verfasser für fraglich,
da es nicht unwahrscheinlich sei, 'dass beim Menschen auf Grund be¬
stehender Krankheiten oder Intoxikationen des Organismus das
Trauma an den Nieren nur die Gelegenheitsursache zur Ent¬
wicklung einer typischen diffusen Nephritis ist.
4) Die strafrechtliche Begutachtung von Augenverletzungen im
Sinne des § 224 des Strafgesetzbuches (schwere Körperverletzung)
von Dr. H e r b s t - Barmen.
Verfasser bespricht den Gang der strafrechtlichen Begutachtung
von Augenverletzungen; er weist u. a. auf die Schwierigkeiten hin,
die sich hierbei ergeben, namentlich wenn der Fall erst längere Zeit
nach der fraglichen Verletzung dem Begutachter zugeführt wird.
Zu beurteilen sind auf Grund des § 224 die Verletzungen haupt¬
sächlich nach der Richtung,
a) ob Verlust des Sehvermögens auf einem oder beiden Augen,
b) ob erhebliche dauernde Entstellung die Folge der Ver¬
letzung ist.
Bezüglich der Grenzen zwischen „Sehen“ und „Blindheit“ be¬
merkt Verfasser, dass man ein Individuum lim allgemeinen dann als
„blind“ bezeichnet, wenn seine „zentrale Sehschärfe“ so gering ist,
dass es einfache Handlungen nicht mehr selbständig auszuführen ver¬
mag: z. B. Umhergehen an einem fremden Ort und das Verrichten
grober Arbeiten; für die forensische Praxis könne man als brauch¬
bare zahlenmässige Norm annehmen, die besagt, dass ein Mensch,
welcher bei normaler Beleuchtung Finger auf ca. Vz m erkennt, zu
Handlungen der genannten Art befähigt ist, mithin nicht mehr als
„blind“ im gesetzlichen Sinne gelten kann.
In die Schätzung mit einzuziehen ist das periphere Sehen (Ge¬
sichtsfeld). Bei Untersuchungen müssen event. Refraktionsanomalien
berücksichtigt werden, sowie etwaige Sehstörungen vor der Ver¬
letzung.
Als Folgen der Verletzungen kommen u. a. in Betracht Muskel¬
lähmungen (Ptosis und Schielen).
Die Endbegutachtung kann natürlich erst erfolgen, wenn der
Krankheitsprozess abgeschlossen ist; mit besonderer Vorsicht sind
die perforierenden Traumen zu beurteilen, so können nach Ver¬
letzungen des Bulbus oft erst nach längerer Zeit Komplikationen auf-
treten (Iridozyklitis, sympathische Entzündung des anderen Auges).
Schliesslich weist Verfasser noch auf die Berücksichtigung von
allenfallsiger Aggravation und Simulation hin (Prüfung mit
Prismenstereoskop).
Neben dauernder Störung des Sehvermögens kommt noch das
Verbleiben einer erheblichen dauernden EntsteJlung
in Frage, zu dessen Beurteilung nicht sowohl fachmännische Vor¬
kenntnisse als ein normales ästhetisches Empfinden erfolgreich ist.
Bei simulierten und hysterischen Verunstal¬
tungen kommen 2 Anomalien, Ptosis und Schielen, in Be¬
tracht.
Schliesslich sind selbsterzeugte und gewollte Augen¬
verletzungen zu berücksichtigen.
5) Mitteilungen zur gerichtsärztlichen Beurteilung von Röntgen¬
bildern von Prof. Dr. Baläzs K e n y e r e s - Klausenburg (Sieben¬
bürgen).
Verfasser berichtet über Knochenbefunde, welche im Röntgen¬
bilde Veränderungen zeigten, welche Knochenbrüche vortäuschten,
bei denen es sich aber in Wirklichkeit um andere Veränderungen
handelt, z. B. einmal um abgesprengten Knochenkern des Hacken¬
fortsatzes des Oberarmbeins bei einem Knaben, jugendliche Entwick¬
lungsstufen der Knochen usw. (hiezu Abbildungen).
6) Die Lungen Neugeborener im Röntgenbilde von Prof. Dr.
B. Kenyeres - Klausenburg.
Bei der Durchleuchtung Totgeborener verschwinden die Brust-
und Baucheingeweide in einem gleichmässigen Schatten; bei Neu¬
geborenen, die geatmet haben, erscheinen die den Lungen ent¬
sprechenden Teile hell und diese sondern sich vorn Herzen und
Zwerchfell ab. Der Unterschied ist ganz auffallend, jedoch ist das Ver¬
fahren für die gerichtsärztliche Praxis kaum verwertbar, weil, wie
Verfasser ausführt, verschiedene Täuschungen Vorkommen können,
indem die Röntgenstrahlen, wenn sie zu grosse Intensität besitzen,
auch durch luftleere, also dichtere Teile durchdringen, wenn sie aber
zu schwach sind auch lufthaltige Teile, nicht durchdringen, ganz be¬
sonders aber werden im Röntgenbilde kleine lufthaltige Teile, welche
bei nur teilweisem Atmen durch grössere Luftleere verdeckt sind,
nicht erkenntlich.
6) Zur forensischen Bedeutung der multiplen Sklerose von Prof.
R a e c k e, Oberarzt der psychiatrischen Klinik zu Kiel.
Die Auffassung, bei der multiplen Sklerose handle es sich um
ein rein somatisches „Nervenleiden“, ist eine irrige, es kommen viel¬
mehr sehr häufige psychische Störungen dabei vor, welche eine hohe
forensische Bedeutung haben. Nicht immer handelt es sich um
Demenz, auch andere psychische Störungen kommen zur Beobachtung
und zwar pflegen im Initialstadium des Leidens — mitunter sogar
noch vor Ausbildung des somatischen Symptomenkomplexes — ma¬
nische und depressive Erregungen vorzuherrschen mit deliranten und
stuporösen Episoden oder mit ausgesprochen epileptiformen und
hysteriformen Episoden. Bei vorgeschrittener Krankheit scheinen
dagegen paranoide Beziehungsideen und massloser Grössenwahn
nach Art der paralytischen häufiger zu sein; die Strafdelikte können
verschiedener Art sein, je nach der Art der jeweils vorhandenen
psychischen Störung, z. B. Brandstiftung in krankhafter Depression
mit suizidaler Absicht, Sittlichkeitsdelikte bei Schwachsinnszuständen,
schwer zu beurteilen sind solche, bei denen die Zerstörung der
ethischen Vorstellungskomplexe der Ausbildung augenfälliger In¬
telligenzdefekte voraufgegangen ist.
2. Oefientliches Sanitätswesen.
1) Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬
zinalwesen über die Zulässigkeit eines Zusatzes von Formaldehyd
zur Handelsmilch.
Bereits in No. 39, S. 1966 referiert.
2) Einrichtung von Krematorien von Dr. C. Rühe, Assistent
am hygienischen Institut in Greifswald.
Verfasser gibt eine eingehende Besprechung der Leichenver¬
brennung und der Gründe für und wider dieselbe und kommt dabei
zu dem Schlüsse : dass sowohl die Feuerbestattung als
auch das rationell betriebene E r d b e g r ä b n i s v ol l-
auf denAnforderungenderHygienegenüge. Nur wenn
ungünstige Boden- und Grundwasserverhältnisse eine Verzögerung
der Zersetzung der Leichen bedingen und Gefahren für die Umgebung
bestehen, ist das Erdbegräbnis zu verwerfen. Die Einführung der
obligatorischen Feuerbestattung hält er für eine absolute
Unmöglichkeit; die f a k u 1 1 a t i ve Leichenverbrennung setze die
obligate Leichenschau voraus.
Für grössere Städte empfiehlt er vom ökonomischen und sozialen
Standpunkte die fakultative Feuerbestattung.
In Kriegs- und Epidemiezeiten hält er zwar die Feuerbestattung
vom hygienischen Standpunkte für dringend empfehlenswert, jedoch
stosse ihre Durchführung wegen der Menge der Leichen auf unüber¬
windliche technische Schwierigkeiten.
3) Ueber schlagende Wetter in Kohlengruben und den Schutz
der Bergarbeiter gegen diese Gefahren durch sanitätspolizeiliche
Massnahmen von Dr. J. Felgesträger in Berlin.
Mit dem Ausdruck „Wetter1 bezeichnet der Bergmann die
Grubenluft im allgemeinen; ist dieselbe relativ günstig, sodass sie
ein subjektives Unbehagen nicht hervorruft, so spricht man von
„gutem Wetter“, ist dagegen der Sauerstoff vermindert, so sind die
Wetter „matt“; „schwer“ sind sie bei vermehrtem Kohlensäuregehalt.
Ist die Luft durch schädliche Gase, z. B. Kohlenoxyd-, Schwefel¬
wasserstoff- und Grubengas so verunreinigt, dass der menschliche
Organismus dadurch Schaden erleidet, so wird über „böse Wetter"
geklagt, ist schliesslich die Luft mit Explosionsgasen erfüllt, so er¬
tönt der Warnungsruf „schlagende Wetter“. Bezüglich ihrer che¬
mischen Zusammensetzung handelt es sich um ein Gemenge von
atmosphärischer Luft mit Kohlenwasserstoffen, namentlich dem
Methan = CTL, auch Sumpf- oder Grubengas genannt; nebenbei
kommen noch andere brennbare Gase (Wasserstoff, Kohlenwasser¬
stoffe, Kohlenoxydgas) in den Wettern vor. Es werden nun eingehend
die näheren Verhältnisse über die Bildung der schlagenden Wetter
und die durch sie bedingten Gefahren- sowie die Sicherheitsvor¬
kehrungen besprochen; allgemein gilt die bergpolizeiliche Verordnung,
dass in Schlagwettergruben von der Schicht besonders 'Zuverlässige
Personen damit beauftragt werden, sämtliche Orte mit der Sicher¬
heitslampe (Davylampe) zu untersuchen. Punkte, an welchen Schlag¬
wetter nachgewiesen werden, sind sofort zu sperren.
Zur Beseitigung der Gefahren sorgt man für eine rationelle
„Wetterführung“, d. i. man versucht die Wetter nur in aufsteigender
Richtung abzuleiten; man behilft sich in der Regel mit „Wetter¬
maschinen1 , nämlich grossen Ventilatoren, welche meist durch
Saugung über dem Wetterschacht wirken. Von grosser Wichtigkeit
sind auch die Befeuchtungsmethoden durch Berieselung mit Wasser,
um Kohlenstaub ungefährlich zu machen, d. i. die Explosion desselben
zu verhindern.
Die wichtigsten Apparate, die der Retter zu seiner eigenen
Sicherheit bedarf, beziehen sich auf Zuführung frischer Luft oder
Sauerstoff (Sauerstoffapparate = Masken, welche mit verglasten
Augenlöchern versehen an das Gesicht fest anschliessen).
Dr. S p a e t - Fürth.
Berliner klinische Wochenschrift. No. 43. 1907.
1) L. L e w i n - Berlin: Ueber eine Spätwirkung und Nach¬
wirkung des im Betriebe eingeatmeten Kohlenoxyds.
In dem mitgeteilten, an das Reichsversicherungsamt erstatteten
Obergutachten wird ein Fall besprochen, in welchem bei einer
Plätterin durch Einatmen von Kohlenoxyd eine Vergiftung auftrat,
deren Folgen, da sie erst später sich zeigten, zunächst als zweifelhaft
durch die Unfallversicherung nicht entschädigt wurden. Etas Gut¬
achten betont, aus welchen physiologischen Gründen die Wirkungen
der Intoxikation erst einige Zeit nach Verlassen des betreffenden
Raumes auftraten und hebt die Gründe hervor, aus welchen die
Folgeerscheinungen der Vergiftung noch längere Zeit anhalten konnten.
2) Julius C 1 1 r 0 n - Berlin: Die Serodiagnostik der Syphilis.
Durch die Untersuchungen des Verfassers liess sich feststellen,
dass der Nachweis von Antikörpern in fast allen Fällen von Syphilis
jeden Stadiums gelingt; es fanden sich auch in der Lumbalflüssigkeit
von Paralytikern in 80 Proz. der Fälle Antikörper der Syphilis. Das
Vorhandensein solcher beweist nach Verfasser das Vorhandensein
2248
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
aktiver Syphilis, ihr Verschwinden Heilung oder Latenz. Das An¬
steigen des Antikörpergehaltes stellt eine Indikation für die Einleitung
einer neuen Kur dar. Für die praktische Verwertbarkeit der Sero¬
diagnostik (Ammenuntersuchung, Ehekonsens) werden 2 Gesetze an¬
geführt: I. Je länger das Syphilisgift auf den Körper eingewirkt und
je häufiger es Rückfälle gemacht hat, desto regelmässiger und stärker
ist der Antikörpergehalt des Serums. 2. Je früher die Quecksilber¬
behandlung eingesetzt hat, je länger sie fortgesetzt wurde, je häufiger
und zweckmässiger sie angewandt wurde und je kürzer die Frist
seit der letzten Kur ist, desto geringer wird der Antikörpergehalt.
3) M. E i n h o r n - New York : Diagnose und medizinische Be¬
handlung des Ileus.
Die Besprechung der Diagnose und Behandlung stellt neue Ge¬
sichtspunkte nicht auf, hinsichtlich der letzteren werden günstige Er¬
fahrungen mit dem Atropin berichtet. Mitgeteilt werden eine Reihe
von Versuchen an Fröschen, denen Verf. künstliche Strikturen an¬
gelegt hat und bei welchen er mittelst Röntgenstrahlen und Wismut¬
eingiessungen den Sitz der Verengerung bestimmte.
4) K e r s t e n - Potsdam: Ein Fall von angeborenem Verschluss
im unteren Teil des Ileum.
Mitteilung der Beobachtung an einem neugeborenen Mädchen,
bei welchem die Sektion eine vollständige, einen Zentimeter lange,
2 mm dicke strangartige Atresie in der Nähe der Ileozökalklappe
ergab. Abbildung des Präparates.
5) Knud Schröder-Kopenhagen: Untersuchungen über die
Guajakprobe für Blut.
Aus den vorgenommenen Untersuchungen folgert Verf.: Grössere
Blutmengen erfordern zum optimalen Eintritt der Reaktion starke
Guajaklösungen, schwache Blutlösungen dagegen schwache. Bei
schwachen Blutlösungen können starke Guajaklösungen die Reaktion
ganz verhindern. Die Probe muss zur Vermeidung von Fehlerquellen
mit mehreren verschieden starken Guajakverdünnungen vorgenommen
werden. Die Aloinprobe ist zuverlässiger als die Guajakprobe. Es
folgt noch die Herstellung der verschiedenen Guajaklösungen und die
Technik der Probe.
6) B. B o s s e - Berlin : Ueber Gelenkleiden auf der Basis von
Geschlechtskrankheiten. (Schluss folgt.)
7) D i e s i n g - Baden-Baden : Die Bedeutung der Farbstoffe bei
den Malariakrankheiten.
D. bespricht die Art der Wirkung des Chinins bei Malaria,
welches sich, wie man mikroskopisch direkt nachweisen kann, mit
dem Pigment des Blutes verbindet. In den Exkreten von Malaria-
kranken spielen Farbstoffe eine solche Rolle, dass das klinische Bild
geradezu durch die Farbstoffausscheidung bestimmt wird. Alle
Lebens- und Generationserscheinungen der tropischen Malaria¬
parasiten beruhen auf dem Verbrauch und der Umwandlung von Farb¬
stoffen. Eine Reihe von Stoffen, besonders reduzierende Substanzen
beeinflussen das Hämoglobin und es handelt sich nun darum, den¬
jenigen Stoff herauszufinden, welcher diese Wirkung in der voll¬
kommensten Weise hat, jedoch ohne den menschlichen Organismus
zu schädigen. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1907. No. 43.
1) L. K u tt ne r - Berlin: Ueber chronische Diarrhöen und ihre
Behandlung.
Ueberblick über die diagnostischen und therapeutischen Fort¬
schritte als Anleitung für den praktischen Arzt.
2) A. Neisser, zur Zeit Batavia: Atoxyl bei Syphilis und
Framboesie.
Die völlige Heilung durch Atoxyl-, Quecksilber- und Jodbehand-
luug Hess sich an Affen durch das Gelingen von Wiederimpfungen
beweisen. Atoxyl und wahrscheinlich auch Jod scheinen das Zu¬
standekommen einer luetischen Erkrankung verhindern zu können.
Die gelungenen Neuimpfungen beweisen, dass ein Ueberstehen der
Krankheit keine Immunität herbeiführt.
3) Karl H a r t - Schöneberg-Berlin: Zur Frage der Genese der
tuberkulösen Lungenphthise.
Experimente an Katzen zeigten im Gegensatz zu den Angaben
\v eleminskys, das weder von der unteren, noch von der oberen
Körperhälfte direkte zuführende Lymphbahnen zu den Bronchial-
lymphdrusen existieren. Diese stellen einzig den regulären Drüsen¬
apparat der Lungen dar. Ein rückläufiger Lymphstrom von den tiefen
Halslymphdrüsen nach den tracheobronchialen Drüsen ist nach Ver¬
fasser überaus selten. Für gewöhnlich schreitet eine Halsdrüsen¬
tuberkulose nicht direkt auf die intrathor,azischen Drüsen fort; sie
müsste den Umweg durch das venöse System machen. Verfasser
sieht in der tuberkulösen Lungenphthise Erwachsener vorwiegend
eine Inhalationskrankheit im weitesten Sinn. Bei Kindern kommt
daneben noch die Tuberkulose als „Schmutzkrankheit“ mit lympho-
hämatogener Infektion der Lunge in Betracht.
4) E. Löwenstein- Belzig: Ueber die intrazellulare Lagerung
der Tuberkelbazillen im Sputum und ihre prognostische Bedeutung.
Verfasser fand auch neuerdings bestätigt, was er in einer früheren'
Arbeit behauptet hatte: dass die Lagerung der Tuberkelbazillen inner-
lialb der Leukozyten einen gewissen Zusammenhang mit dem Verlauf
J l i Erki ankung erkennen lässt. Sie findet sich am häufigsten bei
I atienten, welche lange Zeit spezifisch behandelt worden waren
ferner bei ausgesprochen chronischen Fällen, und bei frischen Fällen
mit guter Prognose. Aus ihrer Anwesenheit kann man schliessen,
dass sich immunisatorische, d. h. Resorptionsvorgänge von tuberkel¬
bazillenhaltigem Material im Organismus vollzogen haben müssen
Verfasser verlangt die Sicherstellung der Bedeutung der Phagozytose
im Krankheitsherd, ehe man aus dem Opsoningehalt des zirkulierenden
Blutes eine klinische Untersuchungsmethode konstruiert.
5) A. Hippius und A. L e w i n s o n- Moskau: Ox>uris und
Appendix.
Präparate eines Falles zeigten, dass Oxyuren tiefgreifende Ver¬
änderungen in den Appendixwandungen verursachen können, wodurch
das Eindringen von Infektionserregern begünstigt werden kann.
b) Martin H i r s c h b e r g - Berlin : Akute Orchitis durch Pyo-
zyaneusinfektion.
In dem beschriebenen Fall war die Orchitis vollkommen krypto¬
genetisch entstanden. A,us dem Eiter konnte der Pyozyaneus ge¬
züchtet werden; derselbe war in der Urethra nicht aufzufinden.
7) Veckenstedt - Düsseldorf: Ein durch Trauma entstandener
Fall von Sialodochitis Whartoniana chronica mit Strikturbildung.
Die Speichelgangsentzündung war in dem beschriebenen Fall
durch Kompression bei Zahnextraktion entstanden. Die sich aus¬
bildende umschriebene Striktur machte Spaltung des Ganges not¬
wendig, worauf Heilung eintrat.
8) Becker- Salzschlirf: Ueber Fibrolysinkuren.
Bei Dupuytren scher Fingerkontraktur war eklatanter Er¬
folg, bei Gelenkversteifungen infolge Weichteilverletzungen auffallende
Besserung, bei Gelenkversteifung infolge chronischer Entzündungen
jedoch keinerlei mobilisierende Wirkung zu verzeichnen.
9) A. Barth -Leipzig: Laryngologie und Otologie sind beim
Unterricht, auf Kongressen und in der Literatur vereint, nicht ge¬
trennt zu halten. R. Grashey - München.
. .1
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 42. M. Sachs -Wien: Ueber ein operatives Verfahren zur
Beseitigung von Netzhautabhebung.
Es muss hier genügen zu berichten, dass S. bei mehreren zum
1 eil recht schweren Fällen noch einen guten Erfolg erzielen konnte
durch die mit einem sichelförmigen Messer vorgenommene Skleral-
punktion, welche entgegen dem Gebrauche hinter dem Aequator
des Bulbus angelegt wurde; die ersteren Eingriffe wurden nach Ab¬
lösung des Rectus sup. bezw. des Reet internus gemacht, späterhin
wurden die Muskeln unberührt gelassen. Die Punktionen vor dem
Aequator verschaffen zwar dem subretinalen Erguss Abfluss, die
darauffolgenden Adhäsionen fixieren die Netzhaut aber nur nahe der
Ora serrata. wo sie ohnehin befestigt ist; dagegen sind die an den
weiter zurückgelegenen Punktionsstellen entstehenden Verklebungen
viel wirksamer zur Wiederanlegung des Netzhaut.
R. v. Sarbo- Ofen-Pest: Die Therapie der Tabes nach neueren
Gesichtspunkten.
Verf. betont besonders die Wichtigkeit des Argyll-Robert-
s o n sehen Symptomes für die Frühdiagnose. In therapeutischer Hin¬
sicht wird u. a. die Wichtigkeit der Schonung in physischer und psy¬
chischer Beziehung hervorgehoben, zumal bei der akuten Ataxie
(die grossen Frenkelschen Uebungen bedeuten hier einen Kunst-
fehler), die event. Notwendigkeit des Berufswechsels, die psychische
Beeinflussung und Hebung der Energie und des Lebensmutes. Die
tabischen Schmerzen sollen nicht mit heissen Bädern, sondern wenn
sie heftig sind, mit kräftigen Dosen von antineuralgischen Mitteln
bekämpft werden.
H. T h a 1 e r - Wien: Zur Asepsis bei Laparotomien.
Bei der bakteriologischen Nachprüfung der Operationsvor¬
kehrungen an der S c h a u t a sehen Klinik ergab sich zunächst die
ganze Unzulänglichkeit der Zwirnhandschuhe und die entschiedene
Ueberlegenheit der Gummihandschuhe. Zweckmässig, auch in öko¬
nomischer Hinsicht werden über letztere auch noch Zwirnhandschuhe
gezogen. Zur Desinfektion der Bauchdecken erwies sich, nachdem
die bublimatwaschung beendigt und die Haut trocken getupft ist, die
ausgiebige Bestreichung mit Jodtinktur vollständig gleichwertig dem
Uoederlein sehen Gaudaninschutz.
J. B a r t e 1 und W. Neumann - Wien : Experimentalunter¬
suchungen über den Einfluss von organischen Substanzen auf den
Gang der Tuberkuloseinfektion beim Meerschweinchen. (Schluss
F. Sc hopf -Wien: Röntgenbrillen.
Beschreibung zweier von dem Verfasser konstruierter,
Reiniger, Gebbert & Schall ausgeführter Modelle (Kry
skope).
von
pto-
C. Re i che rt -Wien: Ein neuer Spiegelkondensor.
Demonstriert auf der 79. Naturforscherversammlung.
B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
(Schluss.)
,. ^ H e y w o o d: Die Albuminurie in der Adoleszenz. (Me¬
dical chromcle. Juni 1907.)
... 5° Proz. aller Kinder, die an Scharlach gelitten haben, zeigen
spater Albuminurie Es handelt sich hierbei nicht um eine einfache
\ oi übergehende Afiektion, da der Prozentsatz bei Kindern, die im
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2249
ersten, zweiten oder dritten Jahre nach der Erkrankung untersucht
wurden, fast derselbe war. Frühe und späte Albuminurie verhalten
sich fast ganz gleich. Je jünger das Kind ist, wenn es Scharlach hat,
um so seltener erkrankt es an zurückbleibender Albuminurie. Das
Geschlecht hat keinen Einfluss auf das Auftreten der Albuminurie. Die
Form der Albuminurie ist fast immer die sogen, zyklische. Man kann
nicht allzuviel darauf geben, wenn behauptet wird, ein solches Kind
habe nie Scharlach durchgemacht. Die Prognose ist in der Mehrzahl
der Fälle eine durchaus gute; der Einzelfall muss natürlich immer
individuell beurteilt werden, da es doch Fälle gibt, bei denen aus
der zyklischen Albuminurie eine Schrumpfniere wird, oder in denen
wenigstens die Albuminurie bestehen bleibt.
Frank E. Tylecote: Ueber Meningismus. (Ibidem.)
Verf. bespricht genauer die von Dupre als Meningismus von
anderen Autoren als Pseudomeningitis bezeichneten Krankheitsbilder.
Am wichtigsten ist natürlich die Differentialdiagnose gegenüber der
Meningitis. Bei akuten Infektionskrankheiten findet man häufig im
Beginn und vorübergehend die Zeichen des Meningismus. Das Ker-
nigsche Zeichen fehlt gewöhnlich (fehlt zuweilen, wenn auch selten
bei tuberkulöser Meningitis und ist gelegentlich bei gesunden Per¬
sonen vorhanden). Fieber fehlt häufiger bei Meningismus als bei
Meningitis. Opisthotonus spricht mehr für Meningismus. Lumbal¬
punktion wirkt häufiger bei Meningismus günstig. Treten nach
vorübergehender Besserung nach der Lumbalpunktion wieder Zeichen
meningealer Reizung auf, so spricht das mehr für Meningitis. Deut¬
liches Befallensein einzelner Hirnnerven deutet auf Meningitis. Treten
Symptome meningealer Reizung zum ersten Male während der Ent¬
fieberung oder in der Rekonvaleszenz nach akuten fieberhaften Er¬
krankungen auf, so spricht dies für Meningitis. Meningismus tritt
meist ganz akut auf, bei Meningitis setzen die Symptome langsamer
ein. Schwankungen in den Symptomen sprechen mehr für Meningitis,
ebenso wie Hyperästhesie und Täches cerebrales. Bleibt das Körper¬
gewicht erhalten, so spricht dies gegen Meningitis. Verlangsamung
des Pulses und unregelmässige Atmung sind selten bei Meningismus.
Ist die bei der Lumbalpunktion entleerte Flüssigkeit klar und wässerig,
so spricht das im allgemeinen gegen Meningitis, wenn auch manche
Formen von tuberkulöser Meningitis und die akute seröse Meningitis
denselben Befund geben. Die Stärke und Geschwindigkeit des Aus-
strömens lässt sich diagnostisch nicht verwerten. Trübsein der Flüs¬
sigkeit, Vorhandensein von mehr als einer Spur von Eiweiss, negative
Reaktion mit Fehling sprechen für Meningitis. Das Ausbleiben von
Kulturen bei Verimpfung der Spinalflüssigkeit spricht im allgemeinen
gegen Meningitis, doch gehen bei tuberkulöser Meningitis zuweilen
keine Kulturen an, bei akuter seröser Meningitis nie. Kann man
bei Typhus Typhusbazillen aus der Punktionsflüssigkeit züchten, so
spricht dies durchaus nicht immer für das Vorhandensein einer Menin¬
gitis. Dasselbe gilt für die Untersuchung des Punktionssedimentes
in Strichpräparaten. Findet man in der Punktionsflüssigkeit poly-
morphonukleäre neutrophile Leukozyten, so spricht dies für akute
Meningitis; findet man mehr als vereinzelte kleine mononukleäre
Zellen oder Lymphozyten, so kann man eine chronische (tuberkulöse)
Meningitis annehmen. Bei Meningismus findet man gar keine Zellen
oder vereinzelte Lymphozyten. Verf. glaubt nicht, dass in der Mehr¬
zahl der Fälle die nach der Punktion beobachtete Besserung auf eine
Verminderung des Druckes zurückzuführen ist. Er führt eine Reihe
anderer Erklärungen an und gibt dann Krankengeschichten und eine
gute Literaturübersicht.
Juni 1907.)
B. G. A. Moynihan: Das Duodenalgeschwür. (Practitioner.
Verf. hat in den letzten 7 Jahren 114 Fälle von Duodenalge¬
schwür operiert, darunter 11 perforierte. In 2 Fällen war gleich¬
zeitig Sanduhrmagen vorhanden. Das Ulcus, das man als Ulcus
pepticum duodeni bezeichnen sollte, sitzt meistens nahe am Pylorus,
von 262 Fällen sass das Ulcus 242 mal im ersten, 14 mal im zweiten
und je 3 mal im dritten und vierten Abschnitt des Duodenums. _Von
Verfassers eigenen Fällen sass das Ulcus 107 mal im ersten und 7 mal
im zweiten Teil des Duodenums. Häufig sind gleichzeitig Magenge¬
schwüre vorhanden. Wenn auch das Geschwür in allen Lebensaltern
(selbst bei Säuglingen) Vorkommen kann, so findet man es doch am
häufigsten bei Männern im mittleren Lebensalter. M. sah 76 Männer
und 38 Frauen. Die Kranken geben gewöhnlich an, dass sie 1 /%
bis 4 Stunden nach der Nahrungsaufnahme frei von Schmerzen sind
und dass namentlich nach reichlichen Fleischmahlzeiten die Schmerzen
lange ausbleiben. Die Kranken sagen, dass sie einen guten Appetit
haben. Die Schmerzen bleiben oft Wochen oder Monate aus und treten
dann wieder in Attacken auf. Verf. glaubt, dass die in medizinischen
Werken als Hyperchlorhydrie beschriebene Krankheit nichts weiter
ist als ein anderer Name für Duodenalgeschwür. Erbrechen ist selten.
Bei der Betastung findet man etwas nach oben und rechts vom Nabel
eine schmerzhafte Stelle. Das wichtigste Symptom ist Blutbrechen
oder das Vorhandensein von Blut im Stuhl; in Verfassers 114 Fällen
wurde es 41 mal beobachtet. Zuweilen sind die Blutungen so stark,
dass sie zu schweren Ohnmächten führen. Alle Fälle, bei denen eine
Blutung diagnostiziert wurde, sollen so rasch wie möglich operiert
werden, da diese Blutungen oft tödlich enden. Man mache die
hintere Gastroenterostomie und stülpe gleichzeitig das Ge schwül ein
und übernähe es; dies sollte man niemals unterlassen. Am schwie¬
rigsten ist zuweilen die Differentialdiagnose mit Cholelithiasis. Von
11 Perforationen, die Verf. operierte, genasen 9. Man soll, womöglich
stets neben der Naht des Geschwüres die hintere Gastroenterostomie
ausführen. Verf. hält das Duodenalgeschwür für weitaus gefährlicher
als das Magengeschwür; es ist der internen Behandlung nur wenig
zugänglich, seine Blutungen führen häufig zum Tode, es perforiert
leichter und erfordert dann eine gefährlichere Operation, da man
fast immer gezwungen ist auch die Gastroenterostomie zu machen.
Verf. rät deshalb, in allen Fällen, in denen die Diagnose gemacht
wurde, zu operieren. Blutung bildet eine absolute Indikation zut
Operation. Von 101 Fällen, die Verf. operierte (mit Ausschluss der
Perforationen) starben 2. Er stülpt das Geschwür ein und macht die
hintere Gasteroenterostomie. 5 Fälle verlor er aus den Augen, 3
sind gebessert, 91 Fälle sind vollkommen geheilt. Dei Kianke muss
noch 3 Monate nach der Operation diät leben und Bismut nehmen.
Hierdurch vermeidet man am besten das Auftreten eines Ulcus pep¬
ticum im Duodenum.
Frederic E v e: Die Pathologie und Behandlung der Kiefertumoren.
(Brit. Med. Journal. 29. Juni 1907.)
Verf. gibt zuerst eine gute Uebersicht der Pathologie der Kiefer-
geschwiilste und illustriert seine Ansichten mit guten Bildern. Bei
der Operation rät er zur präliminären Unterbindung der Karotis und
zur Laryngotomie. Er unterbindet die Karotis zwischen dei A. lin-
gualis und der Thyreoidea superior. Sofort nachher eröffnet ci den
Larynx, führt eine Kanüle ein und tamponiert die oberen Luftwege
mit einem Schwamm. Die Kanüle wird sofort nach der Operation
oder am folgenden Morgen entfernt. Von 12 Totalexstirpationen des
Oberkiefers, die nach dieser Methode ausgeführt wurden, verlor er 2.
F. N. G. Starr: Eine neue Operation zur Heilung der Gaumen¬
spalte. (Ibidem.) . t. , .... , ,
Nach der Lappenbildung und Naht wie gewöhnlich fuhrt Verf.
eine dünne Aluminiumplatte zwischen Lappen und Knochen duich,
biegt die Enden um und vereinigt sie durch ein paar Nähte über der
Mc>v.+iinip Hip er hierdurch schützt und entspannt. Abbildungen im
Original. . . ... , ., Ix, .,
J. Montague Mur rav: Die Pneumonien im Kindesalter, tönt.
Med. Journal. 8. Juni 1907.) r f
Es seien hier nur die therapeutischen Bemerkungen des Verf.
kurz erwähnt. Er verwirft alle Umschläge und Packungen, da sie die
Atmung hindern; ebenso spricht er sich gegen die Eisblase und gegen
Blutentziehungen aus. Viel frische Luft ist von der allergiössten
Bedeutung. Sauerstoff hilft nur selten, er muss verdünnt und vorge¬
wärmt gegeben werden. Man vermeide die in England so beliebten
Heisswasserkessel zum Anfeuchten der Luft, auch wähle man mög¬
lichst ein nicht mit Gas geheiztes Zimmer. Bei den ersten Anzeichen
von Herz- oder Atmungsschwäche gebe man Strychnin, Spartein,
Ammon, carb. und Alkohol. Expektorantien gebe man nur, wenn
starke Bronchitis besteht. Vor allem gebe man reichliche und zum
grössten Teil flüssige Nahrung.
Noel Bardswell und Basil Adams: Komplettes Schweigen
während der Sanatorinmsbehandlung der Larynxtuberkulose. (1 noern.
Die Verfasser, die Aerzte an dem King Edward VII. Sanatorium
sind, haben seit Juli 1906 alle mit Larynxtuberkulose behafteten
Kranken nach Semons Vorgang mit absoluter Ruhestellung des Kehl¬
kopfes behandelt. Dies lässt sich ohne allzugrosse Mühe durchfuhren,
wenn man genau darauf achtet, mit wem der Kranke meist zusammen
ist und dafür sorgt, dass er mit ruhigen und verständigen Mitkranken
ausgeht isst etc. Die Verfasser geben dann genaue Krankenge¬
schichten von 6 Fällen (4 mit ausgesprochener Ulzeration) und zeigen,
dass in jedem Falle eine ausserordentliche Besserung zu verzeichnen
ist. In den 4 Geschwürsfällen vernarbten die Geschwüre völlig, die
Schwellung verschwand: in 5 Fällen kam die normale Stimme wieuei.
in dem 6. wurde die Heiserkeit bedeutend gebessert. In allen ballen
hat sich auch der Lungenbefund bedeutend gebessei t.
Sidney Phillips: Ueber akute Kolitis und ulzerative Kolitis.
^ Verf. gibt an der Hand zahlreicher eigener Beobachtungen eine
Beschreibung dieser schweren und vielfach verkannten Erkrankung,
die häufig zum Tode führt. Diagnostisch kommen am häufigsten Ver¬
wechslungen mit Typhus vor, doch findet man bei der Kolitis meist
Schmerzen und Leukozytose, die beim Typhus fehlen. Allerdings
können selbst bei sehr schwerer ulzerativer Kolitis, die rasch tödlich
verläuft, Schmerzen ganz fehlen. Perforationen sind ziemlich selten,
zuweilen verlaufen sie ganz svmptomlos. Das Sensorium ist meist
bis zuletzt völlig frei. Sehr häufig findet man Singultus. Therapeu¬
tisch empfiehlt Verf. kleine Dosen von Kalomel, event in Veibindung
mit Opium, daneben (wenn nicht starke Schmerzen bestehen) Aus¬
waschungen des Darms mit Hydrogen, perox. oder schwachen Silber-
lösungen. Abführmittel sind streng kontraindiziert Bei sehr schwe¬
ren Fällen, besonders bei starken Blutungen, mache man die Kolo-
tomie zur Ruhestellung und besseren lokalen Behandlung : deve-
krankten Darmes, allerdings nützt dieselbe in manchen ballen nichts.
A. E. J. Bark er: Ueber Hämorrhoiden und ihre Behandlung.
(Lan^f:ÄSorrhoiden mit grösster Reinlichkeit zu behan¬
deln Sie müssen 3 mal täglich gewaschen werden, nachdem dei
Kranke sie herausgepresst hat (2 mal mit Seife und Wasser), nach dem
Waschen werden sie mit Sublimatwasser (1.1000) betuptt und vo
sichtig reponiert; wenn möglich soll der Kranke dann einige Zc
2250
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
liegen. Selbst wenn diese Behandlung nur 2 mal täglich sorgfältig
ausgeführt wird, gehen zahlreiche Fälle so zurück, dass eine Opera¬
tion überflüssig wird. Jedenfalls versuche man sie, ehe man zur
Operation schreitet, und mache sie stets als Vorbereitung zur Opera¬
tion. Am 4. und 3 Tage vor der Operation gebe man ein Abführmittel
und Einläufe, die letzten 24 Stunden vor der Operation lasse man den
Darm in Ruhe. Als beste Operation empfiehlt Verf. die Whi te¬
il e a d sehe nach vorhergegangener gründlicher Sphinkterdehnung.
6 Tage nach der Operation gebe man einen Oeleinlauf. Die gegen die
Operation vorgebrachten Bedenken sind bei richtiger Ausführung der¬
selben grundlos; man hüte sich zu viel Haut zu entfernen. (Refer.
kann auf Qrund sehr zahlreicher eigener Operationen die Exzision
der Hämorrhoiden auf das beste empfehlen, er hat dabei weder Nach¬
blutungen noch Strikturen oder Inkontinenz gesehen, auch niemals
Rezidive. Allerdings muss dieselbe richtig ausgeführt werden.)
Th. D. Savill: Zur Behandlung der Hysterie. (Ibid.)
Verf. fasst die Hysterie auf als übermässige Reizbarkeit aller ner¬
vösen und reflektorischen Zentren im ganzen Körper, besonders aber
auf vasomotorischem und sympathischem Gebiet. Hysterische Läh¬
mungen, Tremor etc. entstehen durch Gefässstörungen. Der letzte
Grund der Hysterie (die abnorme Reizbarkeit der Zentren) ist an¬
geboren. Bei der Behandlung spielen Ruhe und sorgfältige Ernährung
die Hauptrolle. Bei hysterischen Störungen der willkürlichen Mus¬
keln mache man Gebrauch von der Elektrizität. Von Medikamenten
empfiehlt er am meisten das Amon. brom. Näheres im Original.
C. M. Hinds Ho well: Ueber einige durch Halsrippen erzeugte
Symptome. (Ibid.)
Verf. gibt die Krankengeschichten von 16 eigenen Fällen. Sub¬
jektive sensible Störungen waren immer, objektiv nachweisbar in
9 Fällen vorhanden. Meist handelt es sich um Schmerzen, die in
der Kälte und bei Bewegungen der Arme vermehrt sind. Objektiv
findet man Sensibilitätsstörungen im Verlaufe der 8. Zervikal- und der
ersten Dorsalwurzel, besonders aber der letzteren. Meist ist die
Analgesie stärker ausgesprochen als der taktile Verlust. In der Mehr¬
zahl der Fälle fand man Schwäche und Atrophie der eigentlichen Hand¬
muskeln, die gewöhnlich durch Massage und Elektrizität bedeutend
gebessert wird. Die chirurgische Entfernung der Rippe kommt nur
selten in Frage, und zwar nur dann, wenn heftige Schmerzen oder
schwere Muskelveränderungen bestehen. Die völlige Entfernung der
meist schwer auffindbaren Rippe ist sehr schwierig.
H. C. Co 1 man: Ein gefährliches Shampoomittel. (Ibid.)
Verf. wurde zu einer Dame gerufen, der ein Friseur den Kopf mit
„Carbontetrachlorid“ gewaschen hatte. Sie war bewusstlos ge¬
worden und erst nach 5 Minuten wieder zu sich gekommen. Verf.
fand sie stark erbrechend, sehr zyanotisch, mit schlechtem Puls und
starken Kopfschmerzen. Nach 2 Tagen war sie wieder ganz gesund.
Dies Mittel wurde in den 60 er Jahren zuweilen zur Inhalation gegen
Neuralgien, Chorea etc. angewendet, aber wegen seiner grossen Gif¬
tigkeit bald wieder aufgegeben; jetzt scheint es in England ein be¬
liebtes Champoomittel zu sein.
C. R. B. Keetley: Konservative Abdominalchirurgie. (Lancet,
29. Juni 1907.)
Verf. glaubt, dass zu häufig der Wurmfortsatz entfernt wird. Er
glaubt, dass es in manchen Fällen besser ist, den Wurm aus der Peri¬
tonealhöhle in die Bauchwand zu transplantieren und sein distales
Ende zu amputieren. Hierfür eignen sich gesunde Appendizes bei
manchen Fällen von Kolitis und Appendizes, deren proximaler Ab¬
schnitt noch zum grössten Teil gesund ist. Es ist dabei nötig, die
Hautpartie der Appendix zu schonen, da sonst Gangrän eintritt.
Der Wurm wird nach aussen vom Externus obliquus gelagert. Verf.
spricht dann über chronische Stuhlverstopfung und die zu ihrer Hei¬
lung von L a n e ausgeführte Entfernung des ganzen Dickdarms bis
zur Valvula Bauhini. Verf. verwirft diese Operation und glaubt, dass
alle Fälle von Verstopfung, die überhaupt einer Operation bedürfen
und Fälle von Infektion des Dickdarms, die eine lokale Behandlung er¬
heischen, durch Appendikostomie behandelt werden sollen. Der
Wurmfortsatz wird in eine kleine Bauchwunde eingenäht und an
seiner Spitze eröffnet. Man kann dann von hier aus täglich Wasser¬
einläufe oder medikamentöse Eingiessungen in den Darm machen.
Verf. hat auf diese Weise eine Anzahl von Kranken von ihren Be¬
schwerden befreit. (Dem Refer. scheint die Transplantation der
Appendix ebenso überflüssig wie die Behandlung der Stuhlverstopfung
mittels der Appendikostomie; da die Operation aber in England und
Amerika jetzt ziemlich häufig gemacht zu werden scheint, so musste
die Arbeit hier erwähnt werden.)
William Fl et eher: Reis und Beri-Beri. (Ibid.)
Verf. hat im Irrenhause Kuala Lumpur Versuche über den Zu¬
sammenhang zwischen Reisnahrung und Beri-Beri angestellt und ge¬
funden, dass sog. „uncured rice“ direkt oder indirekt als eine Ursache
der Beri-Beri anzusehen ist. Entweder enthält dieser Reis ein Gift
oder seine Armut an Proteiden erzeugt die Krankheit (Stickstoff¬
mangel) oder aber die ungenügende Ernährung macht den mit diesem
Reis genähten Körper empfänglicher für den supponierten Beri-Beri-
Parasiten. Jedenfalls erkrankten von 120 Irren, die mit „uncured
rice“ genährt wurden, 43 (18 Todesfälle) an Beri-Beri, von 123 mit
„cured rice“ genährten dagegen nur 2 und beide hatten die Krankheit
schon bei der Aufnahme. Von 10 Beri-Beri-Kranken, die nach Aus¬
bruch der Erkrankung „cured rice“ erhielten, starb keiner, von 26,
die weiter mit „uncured rice“ genährt wurden, starben 18, die übrigen
bekamen Rückfälle, sobald sie zur alten Nahrung zurückkehrten. Der
„uncured rice“ ist der’ von allen Klassen in den Malaiischen Staaten
verzehrte Reis, der vor der Aushülsung nicht gekocht wird; der
„cured rice“, der von Indiern und Ceylonesen gegessen wird, ist im
Gegensatz zu dem weissen „uncured rice“ braun. Der braune Reis
wird zuerst gekocht und dann enthülst und aufgehoben.
B. K. G o 1 d s m i t h: Der Einfluss der Schule auf die Verbreitung
des Scharlachs. (Ibid.)
An zahlreichen, sorgfältigen Tabellen und Kurven sucht Verf.
nachzuweisen, dass die Schule zweifellos einen grossen Einfluss auf
die Verbreitung des Scharlach hat. Näheres muss im Original nach¬
gesehen werden. J. P. zum B u s c h - London.
Dänische Literatur.
Valdemar Bie: Ueber Sterilisation von Kindermilch vermittels
Wasserstoffsuperoxyd. (Nordisk Tidsskrift for Terapi, Bd. V, H. 8,
9 u. 10.)
Die Versuche des Verfassers haben bezweckt,
eine Milch herzu stellen, die steril war, ohne
die Eigenschaften der rohen Milch einzubüssen.
Folgendes Verfahren wurde das Resultat seiner Untersuchungen:
Kindermilch wird auf 35 0 erwärmt. Zu 20 ccm Milch wird 1 ccm von
Mercks 30proz. Wasserstoffsuperoxyd zugesetzt. Die Milch wird
dann wenigstens 6 Stunden im Brutschrank bei einer Temperatur von
35 0 aufbewahrt. Danach wird sie im Eisschrank oder auf andere
Weise auf 10 0 abgekühlt. Zu 200 ccm Milch werden zunächst 50 ccm
kalter Malzextrakt zugesetzt, die Milch wird wieder in den Eisschrank
gebracht, nach 18 — 24 Stunden ist das Wasserstoffsuperoxyd ver¬
schwunden (der Malzextrakt wird durch Uebergiessen von 1 Teil
zerdrücktem Malz mit 4 Teilen Wasser und häufigem Umrühren in
1 Stunde mit nachfolgendem Filtrieren gemacht). Durch diese Me¬
thode gelang es dem Verfasser, eine Milch herzustellen, die nur
höchstens 30 Keime pro Kubikzentimeter enthielt; sie war also nicht
ganz steril, aber diese kleine Keimzahl ist praktisch ohne Einfluss
auf ihren Wert als Nahrungsmittel für Säuglinge, und er glaubt,
dass diese Milch sich als Säuglings milch gut be¬
währen kann. Der Verfasser hat auch wie andere Verfasser ver¬
sucht, den Wasserstoffsuperoxydrest durch Zusatz eines von Blut
dargestellten Ferments zu spalten. 10 ccm Blut werden mit 100 ccm
einer 2 proz. Peptonlösung und Zusatz von V2 proz. oxalsaurem
Natron, 2 Proz. weinsaurem Natron und 5 Proz. Glyzerin gemischt.
Zu dem Gemisch wird die dreifache Menge von 96 proz. Alkohol zu¬
gesetzt. Der grobe, rostrote Niederschlag, der im Verlaufe einer
Viertelstunde gefällt wird, wird filtriert und bei Zimmertemperatur
getrocknet. 1 Teil dieses Pulvers wird mit 20 Teilen Wasser über¬
gossen und wenigstens 6 Stunden kalt gestellt. Zunächst filtriert man
und hat dann eine klare gelbe Flüssigkeit mit starker katalytischer
Wirkung. Ein Ueberschuss dieser Fermentlösung wird zu der Milch
zugesetzt, nachdem dieselbe, auf 35 0 erwärmt, nach dem Zusatz von
1 prom. Wasserstoffsuperoxyd (= ccm 30 proz. Wasserstoffsuper¬
oxyd Merck zu 1000 ccm Milch) wenigstens 6 Stunden im Brut¬
schrank bei 35 0 aufbewahrt wurde. Die Labkoagulation und. Pepsin¬
salzsäureverdauung verhalten sich bei den oben beschriebenen Milch¬
präparaten ganz wie bei frischer Milch. Die Methoden sind nicht als
Konservierungsmethoden zu betrachten, und die Milch darf nicht
mehr als 24 Stunden aufbewahrt werden.
P. Tetens Haid: Vergleichende Untersuchungen über die tryp-
tische Stärke verschiedener Trypsinpräparate und über ihre Wirkung
auf den menschlichen Organismus. (Ibidem H. 12.)
Der Verfasser hat alle die zu subkutaner Injektion bestimmten
Trypsin- und Amylopsinpräparate untersucht. Die Stärke der Prä¬
parate waren sehr ungleich, auch für die besten Präparate, sodass es
ganz notwendig ist, selbst eine anhaltende Kontrolle mit den Prä¬
paraten, die man anwendet, zu führen. Die sogen, „trypsinfreien“
Amylopsinpräparate enthalten z. B. reichliche Mengen von Trypsin.
Näheres muss in den Tabellen der Abhandlung nachgelesen werden,
speziell die Stärke der verschiedenen Präparate. Als Substrat für die
Trypsinwirkung hat der Verfasser teils eine 10 proz. Gelatinelösung,
teils Glutin angewandt.
Valdemar Bie: Ueber frühzeitige Diagnose von Typhus durch
Impfung von Typhusbazillen aus Blut und Fäzes. (Ugeskrift for
Läger 1907, No. 31—33.)
Den Nachweis von Typhusbazillen in Fäzes hat der Verfasser in
einer kleineren Reihe von Fällen versucht; obgleich die Resultate ganz
gut waren, ist es viel leichter und mehr zuverlässig, die Diagnose im
Anfang der Krankheit durch den Bakteriennachweis im Blut der
Patienten anzustellen. Diese letzte Methode lässt sich dagegen nach
der Deferveszenz nicht anwenden; in diesem Stadium kann die Unter¬
suchung in den Fäzes Nutzen machen in den Fällen, wo die W i d a 1 -
sehe Reaktion noch negativ ist. Als Nährboden zieht der Ver¬
fasser allen anderen folgende Lösung vor: 2 proz. Pepton, Va proz.
oxalsaures Natron, 2 proz. weinsaures Natron und 5 proz. Glyzerin;
von dieser Flüssigkeit braucht er 100 ccm auf 10 ccm Blut; er findet
es d.och nicht ratsam, sich mit weniger als 20 ccm Blut zu begnügen.
Unter 65 Patienten mit Typhus war das Resultat in 80 Proz. positiv;
nur das positive Resultat ist von Bedeutung; die Anwesenheit der
Bazillen ist abhängig von dem Fieber (in leichten Fällen und in der
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2251
Deferveszenz findet man keine Bazillen in dem Blut). Die Blutunter¬
suchung hat grosse diagnostische Bedeutung, weil sie die Diagnose
an einem Zeitpunkt, wo die Wida Ische Reaktion noch nicht vor¬
handen ist, geben kann, auch nach der ersten Woche ist es in einigen
fallen dem Verfasser gelungen, Typhusbazillen im Blut nachzu¬
weisen in einem Zeitpunkte, wo er noch nicht die Wida Ische
Reaktion gab. Nur gegen oder in der Deferveszenz ist dieselbe über¬
legen Wenn die Blutkultur typhusbazillenähnliche Stäbchen enthalt,
muss man eine Stichkultur in Neutralrot-Agar machen, um zu ent¬
scheiden, ob es sich um Typhus- oder Paratyphusbazillen handelt.
Die Blutkultur- und die Widaluntersuchung eignen sich ausgezeichnet
einander zu suoplieren. —
Erik Fab er: Adiposalgie. (Hospitaltidende 1907, No. 26 u. 27.)
Unter Adiposalgie versteht der Verfasser die von schwedischen
Massageärzten Zellulitis oder Pannikulitis genannte Krankheit. Er
gibt eine eingehende Beschreibung dieses Leidens, das ausserhalb der
skandinavischen Länder nur selten erwähnt wird. Die wesentlichsten
Symptome sind Schmerzen, lokale Schwellung und Empfindlichkeit
des Fettgewebes, die Schmerzen werden in der Kälte verschlimmert
und die betreffenden Stellen des Körpers sind für Traumata sein
empfänglich. Mehrere von den unter dem Namen Adipositas dolorosa
(Dercum sehe Krankheit) veröffentlichte Fälle sind nach der Mei¬
nung des Verfassers Fälle «von Adiposalgie. Obesitas disponiert zu
der Krankheit, ebenso wirkt Nervosität disponierend. Der Verfasser
glaubt, dass das Leiden eine Art lokaler Stase in grösseren oder
kleineren Gefässgebieten des subkutanen Gewebes ist. Massage,
Hydrotherapie und Entfettungskur werden als Behandlungsmethoden
empfohlen.
V.ilh. Jensen: Ueber Geotropismus bei Bacillus anthracis.
(Aus dem Universitätslaboratorium für medizinische Bakteriologie.)
(Ibidem No. 26.) ...
Der Verfasser fand, dass Milzbrandbazillen auf schrägem er¬
starrtem Pferdeserum Geotropismus zeigten, sowie Bacillus Zopf u
sich auf schrägem Gelatine bei 22° verhält. Bacillus mirabilis soll
auch Geotropismus zeigen können.
Thorkild Rovsing: Totalexstirpation der Harnblase mit doppel¬
seitiger lumbaler Ureterostomie. (Ibidem No. 28.)
Die Abhandlung wurde vor dem Chirurgenkongress zu Berlin am
6. April 1907 mitgeteilt. (S. dieses Referat.)
V Ellermann: Ueber das Vorkommen von sehr kleinen, be¬
weglichen Mikroorganismen im menschlichen Speichel. (Ibidem
No. 29.)
Der Verfasser beschreibt eine bisher nicht gekannte Form von
Mikroorganismen im Speichel der Menschen. Sie sind kleine, runde
Organismen, Vs — 2 gross, die kleinsten kaum von der Grösse der
gewöhnlichen 'Streptokokken. Um sie deutlich zu beobachten, ist
eine oa. 1000 fache Vergrösserung und eine apochromatische Im¬
mersionslinse notwendig. Sie bewegen sich rotierend, sehr schnell,
in Kreisen von 20 — 30 ß in Diameter. Die Bewegung ist am leb¬
haftesten, wenn die Temperatur über 20° ist. Sie bestehen aus -
Teilen, einem lichtbrechenden und einem mehr blassen 1 eil, der
erste umgibt die andere als Mantel oder Schale. Gewöhnlich
treten sie einzeln auf, nur selten hängen zwei zusammen. Die Be¬
wegung hört durch Einwirkung von 2 prom. Salzsäure auf. Die
lebenden Mikroorganismen Hessen sich am besten mit dünner
Methylenblaufärbung Vioprom., färben. Es zeigte sich, dass dei
helle Teil eine Vakuole war. Zilien waren nicht zu entdecken ln
Trockenpräparaten waren sie schwer zu finden, am besten durch
Romanowsky-, Giemsa- oder Leishman-Färbung. Der Verfasser
ist der Ansicht, dass es sich um kleine flagellate oder zuiate
Protozoen handelt. Bei 13 Individuen wurden sie in 9 Fallen ge¬
funden, sie wurden nicht im Mageninhalt oder in den Fäzes nach¬
gewiesen. „ ,. ...
C. Tychsen: Die prognostische Bedeutung von Retinitis
albuminurica. (Ibidem No. 30.)
In 60 Fällen von Retinitis albuminurica starben 08. Von diesen
58 Patienten starben 51 im Verlaufe des ersten Jahres, nachdem die
Retinitis diagnostiziert war, im Verlaufe des zweiten Jahres 5, im
dritten Jahre starb 1, im sechsten 1; nur 2 Frauen waren noch im
achten Jahre am Leben. Die nephritische Netzhautentzündung hat
also eine sehr schlechte Prognose quoad vitam.
Holger Mygind: Die Indikationen für Aufmeisselung des Pro¬
cessus mastoideus nach Schwartzes Methode bei akuter Mittel¬
ohreiterung. (Aus der Ohren- und Halsklinik des Kommune¬
hospitals.) (Ibidem No. 33.)
Seit Oktober 1905 wurden 148 Patienten mit akuter Mittelohr¬
eiterung behandelt; bei 68 von diesen wurden 70 Aufmeisseiungen
vorgenommen. Der Verfasser bespricht eingehend die Indikationen,
indem er die Fälle in folgende drei Hauptgruppen einteilt: 1. Falle,
in welchen eine akute Mittelohreiterung sich zu dem Inhalt des
Kranium zu verbreiten droht oder verbreitet hat, 2. Fälle, in welchen
sie sich zum Ohrlabyrinth zu verbreiten droht und 3. Fälle, in
welchen sie eine Osteitis des Proc. mastoideus hervorgerufen hat.
Poul Kuton Fab er: Ueber Röntgenbehandlung von Struma,
Morbus Basedowii und Neuralgie. (Aus der Röntgenabteilung dei
Klinik des Prof. Th. Rovsing.) (Ibidem No. 34.) ..
Der Verf. hat sowohl bei Struma, als auch Morbus Basedowii und
Neuralgie gute Wirkung von der Röntgenbehandlung beobachtet. Er
ist der Ansicht, dass die Röntgenstrahlen eine spezifische Wirkung
auf die Gland. thyreoidea und dadurch auf die Basedow sehe
Krankheit ausüben. In 17 Fällen von Neuralgien wurden 6 geheilt,
5 bedeutend gebessert, 6 blieben von der Behandlung unbeeinflusst;
wie die Wirkungsweise bei den Neuralgien vor sich geht, kann der
Verf. nicht erklären, er rät, die Behandlung weiter fortzusetzen.
Knud Schroeder: Moderne Typhusforschung. (Ibidem No. 34
und 35.) .
Idem: 26 Fälle von Paratyphus (B.). (Ibidem No. 35 u. 36.)
Die erste Arbeit ist eine gute Uebersicht des jetzigen Stand¬
punktes der Typhusuntersuchungen und ihrer Resultate rücksichtlich
der Auffassung des Typhus. In der zweiten Arbeit gibt Verf. eine aus¬
führliche Mitteilung von zwei Paratyphusepidemien und einigen ein¬
zeln auftretenden Fällen. Er zeigt, dass Typhus und Paratyphus sich
klinisch nicht unterscheiden lassen, und verlangt, dass man in jedem
,,tyiphus“verdächtigen Fall nie die Wi dal sehe Reaktion sowohl mit
B. typhi (E b e r t h) als mit B. paratyph. B. (Schottmüller) an¬
zustellen versäumen darf. .
Thorkild Rovsing: Lapisantiseptik. (Ibidem No. 38.)
Der Verfasser benützt schon seit 10 Jahren Lapislösungen in
verschiedenen Konzentrationen zu Injektion und Irrigation, Lapis¬
gaze zu Verbänden und Tamponade, und Lapiskatgut und Lapis¬
seiden zu Ligatur und Sutur. Prophylaktische Anwendung einer
1 proz. Lapislösung empfiehlt er bei jeder akuten Harnretention und
nach jeder grösseren Blasenuntersuchung. Bei allen extraperitone¬
alen Operationen, wo infizierte Flüssigkeit über die frischen Opera¬
tionswunden hingeströmt ist, werden die Wundflächen, nach Spülung
mit sterilem Wasser und nach Aufsaugen aller Flüssigkeit in Gaze,
in proz. Lapiswasser gebadet. Therapeutische Irrigation mit 1 bis
2 proz. Lapsislösung wird bei bösartigen Phlegmonen oder Abszessen,
Empyema pleurae oder anthri Highmori angewandt, auch bei aufge-
meisselter Osteomyelitis. Bei Zystitis wendet er Injektion von
50 ccm derselben Lösung an. Bei ulzeröser oder febriler Kolitis,
Sigmoiditis und Prostitis wird Vs—l Liter einer /s— 1 proz Lapis¬
lösung .injiziert und nach Vi Stunde entleert. Er empfiehlt sehr
1 — 2 proz. Lapisgaze, auch Lapiskatgut und Lapisseide. Der Faden
wird 2 mal 24 Stunden in 4 proz. Lapislösung getan, dann wird sie mit
der vierfachen Menge von absolutem Alkohol übergossen, und der
Faden ist fertig. Er ist antiseptisch, haltbar und wird langsam resor¬
biert. " Adolph H. Meyer -Kopenhagen.
Laryngo-Rhinologie.
1 ) Sidney Jankauer - New Y ork : Die Intranasalnaht. Mit
4 Tafeln. (Archiv f. Laryngol. u. Rhinol., Bd. 20, H. 1.)
Autor versuchte die Grundsätze der modernen Chuurgie auch
für intranasale Operationen praktisch durchzuführen und durch intra-
nasale Naht eine aseptische Wundheilung durch prima mtentio zu
erzielen. Durch Anfertigung einer Anzahl Instrumente „zum Legen
der Nähte und zu deren Befestigung mittels des Intranasalknotens
gelang ihm die Lösung des Problems. Bei einer Reihe von Opera¬
tionen im Gebiete der unteren und mittleren Muschel, sowie bei
Operationen am Septum, auch zur Plastik bei Septumsperforationen
erreichte er prima intentio bei reaktionslosen Wunden durch Naht¬
verschluss. Instrumentarium und Technik sind eingehend beschu ¬
hen und durch zahlreiche Abbildungen, unter denen sich auch ein
sinnreich angeordnetes Phantom zur Einübung der Intranasalnaht be¬
findet, dem Verständnis nahe gerückt.
2) H. Z i e s c h e - Breslau : Ueber Tröpfchenverstreuung und In¬
fektionsgefahr beim Kehlkopfspiegeln Tuberkulöser. (Ibid.)
Um die Infektionsgefahr für den Laryngologen zu untersuchen,
brachte Z. 12 Objektträger in einen Blechrahmen gespannt in fron¬
taler Stellung hinter dem Reflektor des Untersuchers an so dass da¬
durch das Gesicht völlig gedeckt und vor dem Anhusten geschlitzt
war. Man kann durch die Gläser hindurch gut laryngoskopieren und
intralaryngeale Eingriffe vornehmen. Nach jedem Eingriff wurden d e
Objektträger herausgenommen, sorgfältig fixiert und nach der Ziel
sehen Methode gefärbt. Die Befunde, die in 1
Tabelle spezifiziert berichtet werden, ergaben das auffällige Resultat,
dass verhältnismässig zahlreiche Mundtropf chen ab se r
wenige Bronchialtröpfchen sich auf den Objektträgern fan¬
den, während Tuberkelbazillen meist überhaupt nicht oder nur gan
vereinzelt nachgewiesen werden konnten Diesen B^un^ ^laU
Autor dadurch, dass der Arzt meist in dem Augenblicke wo er merkt
dass der Patient husten will, zurückweicht und den Kopf zur beite
wendet sodann, dass auch der Patient den Kopf zuruckmmmt. um
dem unangenehmen Reiz zu entgehen. Des weiteren kommt Fei dei
Untersuchten — wie Autor auf Grund anatomischer uud p v -
logischer Erörterungen zu beweisen versucht - 'kein normaler ■ Glot
tisverschluss zustande. Dadurch versprüht Patient nur sPai1»
Bronchialtröpfchen, die hauptsächlich die Träger der lu
berkelbazillen sind, und vorwiegend Mundtroofchen, die fast
nie Tuberkelbazillen enthalten. Auf Grund seiner Untersuchungsresu -
täte kommt Z. zu dem Schluss, dass ..Kehlkopfarzte bei den anschei¬
nend gefährlichen Untersuchungen relativ wenig durch Tröpfchen¬
infektion bedroht“ seien. cnllPt1 Radikal-
3) L. Mader- München : Beitrage zur K 1 1 1 » a n sclien Radikal
Operation der chronischen Stirnhöhleneiterungen, sowie Mitteilung
einer neuen Behandlungsmethode des Kieferhohlenempyems. (
2252
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Nach eingehender kritischer Besprechung der Ki Hi an sehen
Mirnhöhlenoperationsmethode, die sich zu kurzem Referat nicht eignet,
empfiehlt Mader als neue Therapie des chronischen Kieferhöhlen¬
empyems eine systematische galvanokaustische Zerstörung der ge-,
samten Kieferhöhlenschleimhaut von einer Daueröffnung von der
Mundhöhle aus in mehreren Etappen, um hierdurch eine vollkommene
Umwandlung der Schleimhaut in derbes, widerstandsfähiges Narben¬
gewebe zu erzielen und damit Rezidive hintanzuhalten. Bezüglich
I echnik und weiterer Details sei auf das Original verwiesen.
4) Demeter R. v. B 1 e i w e i s - Laibach: Eine einfache Sprech-
Kaniile, insbesondere zum Gebrauche nach Tracheotomie wegen
Postikuslähmung. Mit 3 Abb. (Ibid.)
Die in der Arbeit abgebildete Kanüle besitzt ein L ü e r sches
Kugelventil, das „in einer besonderen aus Silber verfertigten Kammer
untergebracht ist, die mittels Bajonettverschluss dem vorderen Ka¬
nülenende aufsitzt. Das Ventilkügelchen ist aus Aluminium und legt
sich beim Sprechen dicht an den entsprechend ausgehöhlten Vorderteil
der Kammer an, während es beim Einatmen nach rückwärts gezogen
wird, ohne hierbei ein unangenehmes Geräusch zu verursachen“. Die
Kanüle funktioniert vollkommen automatisch und kann unsichtbar und
verdeckt getragen werden.
5) Hermann v. S c h r ö 1 1 e r - Wien: Notiz zur Technik der
direkten Bronchoskopie. Mit 1 Figur im Text. (Monatssohr. f.
Ohrenheilk., etc., 1907, H. 5.)
Autor gibt die Anregung zum Bau eines „Pinzettenrohres“, d. h.
der Anbringung der „Greifinstrumente“ am Ende des Tubus, um da¬
mit die Einführung eines Eremdkörperextraktions-Instrumentes in und
durch den Tubus zu umgehen und dadurch die Beeinträchtigung des
Lichteinfalles durch das in den Tubus eingeführte Instrument zu be¬
seitigen. Ein in technischer Richtung noch nicht fertiggestelltes In¬
strument S c h r ö 1 1 e r s ist in der Arbeit abgebildet, bezüglich dessen
Details auf das Original verwiesen sei.
6) ß- Goldschmidt - Berlin : Zur Frage der Nasentamponade.
(Ibid.)
Bezugnehmend auf die Publikation Choronshitzkys ver¬
wirft G. die von jenem empfohlene Tamponade mit Eisenchloridwatte
w egen der ihr anhaftenden Nachteile. Am Besten ist überhaupt die
offene Wundbehandlung ohne jede Tamponade. Zur Vermeidung et¬
waiger Nachblutungen lässt G. den Patienten in den nächstfolgenden
Munden nach der Operation etwa alle 15—20 Minuten eine' kleine
Menge eines 1 prom. Renoform-Borsäure-Milchzuckerpulvers auf¬
schnupfen oder sich selbst einblasen. Auf diese Weise gelang es
Autor, „in einer sehr grossen Anzahl operierter Fälle die lästige
asentamponade zu umgehen“. In Fällen, bei denen aus äusseren
oder individuellen Rücksichten trotzdem tamponiert werden muss
hat sich Verf. eine nach seinen Angaben angefertigte Renoformver-
bandwatte oder -Gaze — nach vorheriger Einstäubung von Xeroform
oder I rotargol auf das Operationsgebiet — sehr gut bewährt.
7) N. Sack -Moskau: Ein Fall von anormalem Verlauf der
Carotis interna im. Rachen. (Ibid.)
Bei einer 10 jährigen, anämischen, kyphotischen Patientin, die
wegen Halskitzels und dadurch bedingten beständigen Räusperns Hilfe
suchte, zeigte sich bei Abwesenheit katarrhalischer Erscheinungen
im Rachen — - an der linken hinteren Rachenwand, in der Gegend, wo
man den pathologischen Seitenstrang sieht, ein dickes (5—6 mm),
staik pulsierendes Gefäss direkt unter der Schleimhaut von unten
nach oben leicht bogenförmig“ hinziehen. Die Karotis links aussen
pulsierte im Vergleich zur rechten Seite viel undeutlicher bei der
etastung des Halses (Verlagerung der Carotis communis nach Innen).
„Diese anormale Lage der Karotis an der hinteren seitlichen Pharynx-
wand verursachte das Gefühl von Kitzel im Halse“ und veranlasste
das Räuspern. Vorsichtiges Bestreichen der betr. Gegend mit 1 proz.
L u g o 1 scher Lösung dämpfte das Kitzelgefühl.
8) Marcel Lermoyez: Husten nasaler Natur. (Annales des
maladies de l’oreille, etc., 1907. No. 9.)
Anschliessend an einen Fall von Reflexhusten, der durch pen-
delnde Nasenpolypen ausgelöst wurde, ein Fall, in dem Patientin
in Jahre lang gegen ihre nicht vorhandene Pharyngitis, gegen den
„i heumatischen Husten, dann wieder gegen den nervösen“ Husten
ev traü+'H Mltteln er!ols'os behandelt wurde und bei” dem die Polypen-
L da?at|,i°fnaifwrt dlC ß 11 s * en Pa ro x y s m e n endgültig beseitigte, macht
L. darau i aufmerksam, dass es einen rein nervösen Husten nicht gebe
£ine Verlegenheitsdiagnose. Eine genaue Untersuchung des
ganzen Organismus, wozu auch bei sonstig negativem Befund eine
genaue Umersuchamr -der Nase gehöre, werde zur Klarheit führe",
erörternden^4! S,°dan," jjhysK,loP “nd Pathologie des Hustens und
ei örtert den Unterschied zwischen Vagushusten und Trigemimus-
lusten. Der nasale Husten hat gewisse Eigentümlichkeiten die
differentialdiagnostisch verwertbar sind: Er ist trocke. kon!
\ulsivisch (ähnlich dem Keuchhusten), progressiv' fort-
gelöst wird" 'dunddlSS er. allmähIich .du[ch die geringsten Reize aus-
gelost wird und lasst sich nicht unterdrücken. An-
niit HSS<fnd- berfPnCht zAutor noch ,die 'diagnostischen Untersuchungs¬
mittel sowie den positiven und negativen Kokainversuch.
Tuberkulose!' (ibid )° ' Die °Zae"a iS‘ eine larvier,<: Form der
Die Beobachtung einiger klinischer Fälle veranlasste Autor zu
Untersuchungen im Sinne des Titels dieser Arbeit, ohne -dass jedoch
klinische und anamnestisch-statistische Befunde für diese Annahme
einen sicheren Beweis hätten erbringen können. Auch der Tier¬
versuch fiel negativ aus. Trotzdem hält Autor an seiner Vermutung
fest und glaubt, dass weitere klinische und bakteriologische Studien
in dieser Richtung zum Ziele führen dürften.
10) .1. Cousteau und L. Lafay- Paris: Die Bonainsche
Mixtur mit 1 prom. Adrenalinzusatz als hämostatisches Anästhetikum
in der Ooto-Rhino-Laryngologie. (Revue hebdomadaire de laryngo-
logie, etc., 1907, No. 37.) “
Die Bonainsche Mixtur besteht aus gleichen Teilen von
krystallisiertem Menthol, salzsaurem Kokain und reiner Karbolsäure.
Zu 5 g dieser Mixtur setzten Autoren 5 mg reinen Adrenalins zu und
erzielten durch Aufpinseln dieses Gemisches auf das Operationsgebiet
eine sofort eintretende, vollkommene Anästhesie und Anämie, so-dass
alle Operationen ohne Blutung bei ausgesprochener Unempfindlichkeit
vorgenommen werden konnten. Irgend welche Komplikationen '
wurden nie beobehtet und sind auch nicht zu befürchten.
11) Vittorio de Cigna -Genua: Prämonitorisches Nasenbluten.
(Archives internationales de laryngologie. etc., 1907, Bd. 24, No. 4.)
Unter eingehender Erörterung der anatomischen, physiologischen
und pathologisch-anatomischen Verhältnisse, sowie Anführung zahl¬
reicher einschlägiger Fälle macht Autor, auf den immerhin häufigen
Zusammenhang zwischen Nasenbluten und Gehirnblutungen aufmerk¬
sam. Er weist -darauf hin, dass wir in allen Fällen, in denen bei
einem Arteriosklerotiker oder Plethoriker wiederholtes heftiges Nasen¬
bluten auftritt, besonders auch in Kombination mit anderen zerebralen
Vorläufern (Kopfschmerz, -Schwindel, Ohrensausen, Unruhe etc.)
uns nicht mit der Behandlung des Nasenblutens begnügen dürfen,
sondern, durch dieses Symptom gemahnt, unser therapeutisches Han¬
deln darauf verlegen müssen, alle Schädlichkeiten fernzuhalten, die
der oft unvermeidbaren Gehirnblutung Vorschub leisten könnten.
Hecht- München.
Schiffs- und Tropenkrankheiten.
W e b e r - Berlin: Ueber Immunisierungs- und Behandlungsver¬
suche bei Trypanosomenkrankheiten. (Zeitschr. f. experim. Patho¬
logie und Therapie, 4. Bd.)
Zusammenfassender Bericht mit Mitteilungen eigener Versuchs-
eigebnisse. Alle Verfahren zur künstlichen aktiven Immunisierung
gegen I rypanosomenkrankheiten haben mehr oder minder versagt.
Die K o c h sehe Methode -der Schutzimpfung mit durch Tierpassage
abgeschwächten Trypanosomen -hat sich -als die verhältnismässig
wirksamste erwiesen; sie hinterlässt aber in der Regel keine w-ahre
Immunität, sondern eine latente Infektion. Mit Immunserum von vor-
be handelten und kranken Tieren, ebenso mit dem Normalserum
icsistenter Tiere, sind teils gar keine, teils sehr bescheidene Heil¬
erfolge erzielt, während die passive Immunisierung nicht ganz aus¬
sichtslos erscheint. Ebenso wenig sicher wirkten Organextrakte und
Dekrete gesunder Tiere. Entsprechend der -abtötenden Einwirkung
bakterieller Verunreinigungen auf Trypanosomenkulturen, war auch
im 1 lerkorper eine gewisse Einwirkung von Bakterien auf Trypano¬
somen nicht zu verkennen. Aus naheliegenden Gründen hat sie nur
theoi etisches Intel esse. Von chemischen Mitteln zeigten eine einiger-
massen zuverlässige Wirkung nur die Arsenverbindungen und die
raibstofre. von ersteren werden bei Tieren Heilungen berichtet,
wahrend beim Menschen wesentliche Besserungen, doch nicht
sichere Heilwirkungen zu erzielen waren — längste Beobachtungs¬
dauer 74 Jahre — , Arsenwirkung findet bei allen geprüften Try¬
panosomenarten sowohl im Experiment, als auch in der Praxis statt.
Atoxyl als eine 40 mal weniger giftige Arsenverbindung als die
r ow 1 e r sehe Lösung fand in letzter Zeit die verbreiteste Anwendung
und scheint am aussichtsreichsten. Koch hat mit der traditionellen
Arsenanwendung auf- und absteigend gebrochen und gibt Atoxyl am
10. und 11. Tage bei Schwerkranken, am 15. und 16. Tage bei Leicht-
ki unken in Do-sen von 0,5 g subkutan. Von den Farbstoffen, die auf
inte teils sein schädigenden Nebenwirkungen noch genauer geprüft
weiden müssen, haben sich die zu den Gruppen der Benzidinfarbstoffe
und dei T liphenylmethaufarbstoffe gehörigen am wirksamsten er¬
wiesen. Nachdem das T rynanrot bei Mal de Caderasmäusen über¬
raschende Heilerfolge zeitigte, zeigten Versuche bei grösseren
leren und Menschen gegen Infektionen mit denselben und anderen
I rypanosomen bis jetzt teils Besserung, doch keine Heilung; ähnliche
Ei ge b msse hatten Versuche mit einigen anderen Farbstoffen der eben
erwähnten Gruppen. Da die Trypanosomen in der Lage sind, spe¬
zifische Testigkeit gegen Chemikalien zu gewinnen, ist ein Wechsel
des Mittels etwa vom Arsen zum Farbstoff oder umgekehrt, nötig,
sobald die Wirkung nachlässt. Bei der Beurteilung der Versuchs-
ei gebiusse, die an einem bestimmten Trypanosomenstamm gewonnen
sind, bedarf die eben erwähnte Fähigkeit und die Vererbung dieser
spezifischen Festigkeit auf Tochtergenerationen auch im anderen
Wirte vermehrter Berücksichtigung.
W o 1 tman n : Grundfragen der Rassenpsychologie. (Politisch¬
anthropologische Revue. Band VI, H. 2.)
Gewisse übereinstimmende Merkmale beweisen sowohl die
physische, als auch die psychische Einheit des Menschengeschlechtes,
I och treten in dem geistigen Wesen der Völker zahlreiche auffallende
Unterschiede hervor. Der historische Materialismus, der die ganze
soziale und geistige Entwicklung der an sich gleich gearteten und
gleich begabten Menschen von den materiellen Verhältnissen ab-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
hüneis? sein lässt, übersieht, dass alle Rassen gleichviel Zeit zur Ent¬
wicklung gehabt, dass die höheren Rassen sich die Bedingungen ihrer
Entwicklung selbst gesucht, geschaffen und erobert haben und dass in
dieser Aktivität gerade ihre höhere Begabung besteht. Es spielen also
die angeborenen Anlagen der Rassen in der ungleichen Art und Voll¬
kommenheit ihrer Kulturleistungen eine Rolle. Die etwa zehntausend-
jiihrige Geschichte des Menschengeschlechtes, die wir archäologisch
lind historisch überschauen können, gibt uns hinreichend Erfahrungen
über die Erhaltungs- und Anpassungsfähigkeit der einzelnen Rassen
imd damit über die Möglichkeit und Notwendigkeit der Begründung
einer Rassenpsychologie. Ziel und Aufgabe derselben ist, eindeutige
und konstante geistige Merkmale, d. h. gesetzmässige Beziehungen
zwischen Rasse und Charakter festzustellen. Tatsächlich bedingen
einerseits quantitative Unterschiede in der geistigen Begabung einen
ungleich hohen Stand der Kulturleistungen, sei es dass der Durch¬
schnitt einer Gruppe eine entschieden grössere Begabung mit den
Kräften des Willens und des Verstandes aufweist, sei es, dass der
Prozentsatz in der Hervorbringung von Talenten und Genies aus
einer bestimmten Gruppe variiert — , andererseits qualitative Unter¬
schiede der Rassenmerkmale, eine der Art nach verschiedene geistige
Haltung der Rassen, die auch dann durchbricht, wenn sie etwa
äusserlich dieselben Sitten und Sprachen angenommen haben. Die
Unterschiede der Art nach erstrecken sich auch auf sittliche Quali¬
täten. Die Versuche, Grösse und Form des Gehirns, die Pigmentierung
und die Geschlechtsreife in funktionelle Beziehung zur geistigen Tätig¬
keit zu setzen, versprechen weitere Erfolge in dem Bemühen, physio¬
logische Ursachen für die Ungleichheit in Grad und Art der geistigen
Anlagen ausfindig zu machen.
M. K r a u s e - Berlin: Die Gewinnung von Schlangengift zur
Herstellung von Schutzserum. (Archiv für Schiffs-und Tropenhygiene.
Bd. XI, H. 7.) ^ t
Verfasser hält die Methoden der Inder und Calmettes, bei der
Fütterung und Giftgewinnung die Schlangen mit der Hand festzuhalten,
bei den kräftigeren Schlangen Ostafrikas für nicht hinreichend. Er
konstruierte einen Apparat, dessen Einzelheiten durch Wort und Bild
veranschaulicht werden, der ihm gute Dienste leistet.
Zupitza: Ueber mechanischen Malariaschutz in den Tropen.
(Daselbst. Bd. XI, H. 6, 7 und 8.)
Ueberaus lesenswerte Arbeit mit vielen Einzelanweisungen und
Einzelbeobachtungen. Verfasser versuchte an eigener Person
während eines zweijährigen Aufenthaltes in Kamerun und eines acht¬
monatigen Aufenthaltes in den Malariagegenden Deutsch-Ostafrikas
das mechanische Schutzverfahren gegen Mückenstiche und damit
gegen Malariainfektion durchzuführen. Er blieb von Malaria ver¬
schont und kommt zu dem Schluss, dass der mechanische Schutz
gegen Moskitostiche aller Art in den Tropen leicht und sicher durch¬
zuführen ist, bei hoher Sicherheit gegen Infektion mit geringeren
subjektiven Beschwerden als die Chininprophylaxe verknüpft ist,
ferner ausser gegen die Unannehmlichkeit der Mückenstiche auch
gegen die anderen durch Mücken übertragbaren Krankheiten schützt.
Da die nicht hohen Kosten durch Ersparnis von Menschenmaterial
und Kurkosten leicht aufgebracht werden, empfiehlt er dringend, allen
in staatlichen oder privaten Dienstverhältnissen nach malarischen
Tropenvegenden entsandten Europäern die Mittel zur Ausübung me¬
chanischen Malariaschutzes zuzubilligen.
Gi e m s a - Hamburg: Ueber die therapeutische Verwendbar¬
keit der freien Chininbase. (Daselbst. Bd. XI, H. 9.)
Unter den Ersatzmitteln des bittern salzsauren Chinins ist das
Euchinin sehr teuer. Das Chinintannat hat sehr niedrigen schwan¬
kenden und quantitativ schwer bestimmbaren Chiningehalt. Ein sehr
brauchbarer Ersatz wurde vom Verfasser in der freien Chininbase
gefunden, welche ziemlich geschmacklos ist, ohne die Nachteile des
Euchinins und Chinintannats zu besitzen. Die Resorption ist schnell
und vollkommen. Die Heilerfolge waren bei 24 Malariakranken
günstig. Weitere Versuche und ausführliche Mitteilungen werden
folgen.
D a n s a u e r - Windhuk: Ueber den Nachweis von Beriberi in
Deutsch-Südwestafrika. (Daselbst. Bd. XI, H. 10.)
Im Januar 1905 wurde von Stabsarzt Mayer für das Feld¬
lazarett 4 (Waterberg) und im Dezember 1905 von Oberarzt Hall-
wachs für Okahandja über Beriberiverdächtige berichtet. Bei einer
Untersuchung von 20 beriberiverdächtigen Kranken beiderlei Ge¬
schlechts im Januar 1906 in Okahandja konnte indes der Verfasser
Skorbut nicht ausschliessen, mithin die Diagnose Beriberi nicht er¬
weisen. Erst als im August 1906 Oberarzt Fischer aus Omaruru
über erneute beriberiverdächtige Erkrankungen berichtete und infolge¬
dessen Verfasser im September 1906 daselbst genauere Unter¬
suchungen vornahm, gelang ihm der definitive Nachweis des Vor¬
handenseins von Beriberi in Deutsch-Siidwestafrika. Von 8 bis Ende
November tödlich verlaufenen Fällen ergaben die fast völlig überein¬
stimmenden klinischen Bilder und die ebenso übereinstimmenden Er¬
gebnisse der pathologisch-anatomischen Untersuchungen die unver¬
kennbare Aehnlichkeit mit einer Form der Beriberierkrankungen,
deren Eigenart durch die Bezeichnung hydropisch-kardial charak¬
terisiert ist. Krankengeschichten und Sektionsprotokollauszüge
werden mitgeteilt und durch Abbildungen von photographischen Re¬
produktionen der von den mikroskopischen Präparaten der Nerven
hergestellten Zeichnungen ergänzt. Aetiologiseh kommt Verfasser
über Vermutungen nicht heraus.
D i e s i n g - Baden-Baden: Das Kaüumperganat in der Behand¬
lung von Schlangenbissvergiftungen. (Daselbst. Bd. XI, H. 11.)
Ehrenrettung des Kaliumperganats der Arbeit Briegers und
Krauses gegenüber (Ref. s. Münch, med. Wochenschr. No. 35). Man
injiziere in das abgeschnürte gebissene Glied 1—2 ccm einer 1 proz.
Kalipermanganatlösung kranzförmig um die Bisswunden in 6—8 Por¬
tionen in das Unterhautzellgewebe. Nach einigen Minuten Rückgang
der schon eingetretenen Vergiftungserscheinungen. Lösung der Um¬
schnürungen! Kognak innerlich! Ausbrennen! Ausschneiden oder
tiefe Aetzung der Bissstelle ist nicht so sicher in der Wirkung.
Sieber t- Hamburg: Zur Aetiologie des venerischen Granuloms.
(Daselbst. Bd. XI, H. 12.)
D.as venerische Granulom ist über die heisse Zone aller Länder
verbreitet; Uebertragung scheint durch den Geschlechtsverkehr statt¬
zufinden, sodass es klinisch wie pathologisch-anatomisch als vierte
Geschlechtskrankheit zu der bekannten Trias zugezählt werden muss.
Sitz gewöhnlich in der Nähe der Genitalien. Wachstum durch Vor¬
wärtskriechen und durch Autoinfektion an Berührungsstellen. Das
Granulom bildet eine besonders an den warmen und feuchten I eilen
der Nachbarschaft stetig sich vergrössernde Fläche von lebhaft roten
Granulationsmassen, die eine sehr fötide riechende, oft mit Blut ge¬
mischte Flüssigkeit absondern. Die Grundlage bilden zahlreiche
grosse Plasmazellen ; Verfasser nennt die Geschwulst ein umfang¬
reiches Plasmom, das vornehmlich in die obere Hälfte der Kutis einge¬
lagert ist. Die Geschwulst zeigt Reichtum an Gefässen, wenig
Spindelzellen, wenig Mastzellen; elastisches Gewebe und Binde¬
gewebe schwinden; ein freies Netz kollagenen Gewebes bleibt be¬
stehen. In einem Ausstrichpräparat aus Madras finden sich dem
Streptococcus lanceolatus ähnliche Kapseldoppelkokken; ähnliche
Doppelkokken gelang es dem Verfasser in Schnitten nachzuweisen
von Material, das aus den verschiedensten Weltteilen stammt. Ver¬
fasser hat den Eindruck, dass in den von ihm untersuchten Fällen die
in den Schnitten gefundenen Kokken die Krankheitserreger sind.
Külz: Ueber Pocken und Pockenbekämpfung in Kamerun.
(Daselbst. Bd. XI, H. 14.)
Wie in Togo, so fordern auch in Kamerun die Pocken die grössten
Verluste an Menschenleben. Es stehen deshalb in volkswirtschaft¬
licher Bedeutung unter allen Infektionskrankheiten der Eingeborenen
die Pocken oben an, und bei keiner anderen Gelegenheit lässt sich der
unmittelbare Zusammenhang zwischen Kolonialwirtschaft und Ko-
lonialhygiene deutlicher erweisen. Ende 1905 bis Anfang 1906 beob¬
achtete Verfasser im Hinterlande Südkameruns den Beginn und die
Ausbreitung einer schweren, rasch um sich greifenden Epidemie;
1906/07 studierte er im Hinterland Nordamerikas die Pockenfrage.
Die Epidemien sind verschieden schwer; innerhalb einer Epidemie
wechselt die Schwere der Fälle zwischen den ernstesten und. leich¬
testen Formen; oft schon im Initialstadium auffällige Apathie. Folgen¬
schwerste und häufige Komplikation Keratitis, zu der sich Iritis, Cho¬
rioiditis und Panophthalmie gesellen können. Beginn und Höhepunkt
der Epidemien meist in der Trockenzeit. Ausbreitungsrichtung vom
Hinterland nach der Küste. Bereitwilligkeit der Eingeborenen zur
Impfung weniger allgemein als in Togo. Bis zum Alter von 4 Wochen
nach dem Eintreffen in den Tropen war die deutsche Lymphe voll
wirksam, dann Nachlassen, sodass nach 6 Wochen nur noch 50 Proz.
der Impfungen Erfolg hatten; nach 8 Wochen nur ausnahmsweise
noch virulent. Da beim Neger eine entzündliche Beteiligung der
Achseldrüsen häufig ist, jedoch selten eintritt, wenn- die Impfpocken in
die Mitte des Oberarms verlegt werden, wählte Verfasser diese
Stelle zum Normalpunkt. Auch beim Kamerunneger war die Störung
des Allgemeinbefindens durch die Impfung recht stark. Verfasser be¬
stätigt Plehns Beobachtung, dass der Impfschutz beim Kamerun¬
neger etwa 2 Jahre anhält; Verfasser hält rein äussere Gründe, den
meist gestörten Verlauf der Impfeffloreszenzen, für diese Verkürzung
des Impfschutzes für ursächlich und führt Beispiele aus seiner Beob¬
achtung darfür an.
Stitt: Differentialdiagnose zwischen Dengue und Influenza in
den Tropen. (United States Naval Medical Bulletin, Bd. 1, H. 1.)
Wenn schon der Satz zu Recht besteht, dass die Influenza mit
Katarrhen der Schleimhäute des Respirationstraktus beginnt, das ge¬
mässigte Klima bevorzugt und nur selten Erytheme zeigt, Dengue da¬
gegen in der Regel mit einem Erythem beginnt, die Schleimhäute nicht
affiziert und eine Krankheit der heissen Länder ist, so sind doch die
klinischen Bilder beider Krankheiten in den Tropen — Influenza ist
auch in den Tropen nicht selten; besonders die letzten Jahre brachten
reichliche Pandemien — so ähnlich, dass ihre Unterscheidung nur an
der Hand bestimmter Züge möglich ist. Beide setzen plötzlich ein
und zeigen eine initiale und terminale Fieberperiode mit einem fieber¬
freien Intervall von 1 bis 3 Tagen. Kopfschmerzen und Glieder¬
schmerzen sind bei beiden vorhanden, doch sind bei Dengue die
Gliederschmerzen, bei Influenza die Rückenschmerzen schwerer.
Schlaflosigkeit und besonders Depression sind bei Influenza aus¬
geprägter. Initiales Erythem begleitet meist, terminales — am aus¬
geprägtesten an der Streckseite der Handgelenke — stets die Dengue-
eruption. Erythem ist weniger häufig und weniger ausgeprägt oder
Folge des Schweisses bei Influenza. Während bei Influenza der
Blutbefund nahezu normal bleibt, sind bei Dengue zunächst unter
Verminderung der polynukleären Leukozyten auf 40 Proz. die kleinen
mononukleären Lymphozyten stark vermehrt; im weiteren Verlauf
nehmen letztere ab, während sich die grossen Lymphozyten ver-
2254
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
mehren. Bei Dengue erkrankt die nicht immune Umgebung in iden
Krankenhäusern nicht, während Influenza fast auf alle nicht immunen
Mitkranken übertragen wird.
Ueber die Infektionsquelle der Tetanusfälle, entstanden nach
prophylaktischer Pestimpfung in Mulkowal im Oktober 1902. (Jour¬
nal of tropical Mediane, Bd. X, H. 3, S. 33.)
Den Raum des ganzen Heftes nehmen Gutachten und Erwide¬
rungen über die obigen Tetanusfälle ein. Der Hergang war kurz
folgender. Im November 1902 erkrankten 19 Einwohner des Dorfes
Mulkowal, die am 30. Oktober mit dem Inhalt einer Flasche, ge¬
zeichnet 53 N, enthaltend Pestprophylaktikum, das in Plague-Research
Laboratory inBombay unterLeitung von Haffkin bereitet war, geimpft
worden waren, an Tetanus. Sämtliche Erkrankten starben. Andere Per¬
sonen wurden mit dem Inhalt der Flasche nicht geimpft. Die Impfung der
Erkrankten geschah mit derselben Spritze, die nachdem sie dann 3 bis
4 Minuten in 5 proz. Karbollösung gelegen hatte, zur Einspritzung
weiterer Pestsera verwendet wurde, ohne dass weitere Erkrankungen
vorkamen. Der eingeborene Gehilfe des impfenden Arztes (Dr.
E 1 1 i o t) gibt zu, dass die Zange, mit der er den Stöpsel der Serum¬
flasche entfernte, zu Boden gefallen sei, und von ihm dann vor dem
Gebrauch in Karbollösung abgespült wurde. Im Rest der Impf¬
flüssigkeit, der in der Flasche geblieben war, wurden Tetanusbazillen
gefunden. Mit der Ergründung der Ursache beschäftigte sich eine
Kommission in Indien unter dem Vorsitz des Hauptrichters von
Bombay Sir Lawrence J e n k i n s und das Listerinstitut in London.
Erstere kommt zu dem Schluss, dass das Prophylaktikum bei der
Zubereitung im Laboratorium in Bombay infiziert sein müsse, letzteres
schliesst sich im allgemeinen an, lässt jedoch die Möglichkeit auf, dass
die Infektion in Mulkowal stattgefunden habe. Ausführlich sind be¬
sonders angestellte Experimente und Versuche mitgeteilt. Eine längere
Beweisführung Haffkins polemisiert gegen die Entscheidungen
und datiert die Infektion mit Bestimmtheit auf Mulkowal. Seinen
Gründen lässt sich eine gewisse Beweiskraft nicht absprechen.
(Weiteres über die Ursache der Tetanusfälle findet sich in der Times,
15. März 1907, und im Standard, 2. April 1907, abgedruckt im Journal
of trop. Med., Bd. X, H. 6, 15. März, S. 106 und H. 7, 1. April, S. 120,
ferner im „Pioneer Mail“, 26. April, abgedruckt im Journ. of trop.
Med., Bd. X, H. 12, 15. Juni 1907 — , Journ. of trop Med., Bd. X, H. 14,
15. Juli 1907 und in der Times vom 24. Juli 1907, abgedruckt im Journ.
of trop. Med., Bd. X, H. 15, 1. August 1907.)
Aldo C a s t e 1 1 a n i - Colombo, Ceylon: Beobachtungen über
tropische Formen der Pityriasis versicolor. (Daselbst. Bd. X, H. 4,
S. 65.)
Verfasser unterscheidet Pityriasis versicolor flava, alba, nigra
und gemischte Formen. Im Aussehen und der Art des Pilzes ent¬
spricht die Flava ungefähr der europäischen Form, nur ist die tro¬
pische Pityriasis flava oft heller, ergreift leichter das Gesicht und ist
gegen therapeutische Eingriffe wesentlich widerstandsfähiger. — Bei
den jungen Singhaiesinnen und ihren Bewunderern sind helle, nicht zu
grosse Pityriasisflecke im Gesicht als Schönheitsflecke sehr geschätzt.
Pityriasis alba von intensiv heller Farbe bevorzugt Arme und
Beine, die Flecke sind etwas erhaben und nicht so weich, wie die
der Pityriasis flava; die Affektion weicht antiparasitären Mitteln
leicht. Der Pilz, dem Verfasser den Namen Mikr. Macfadyeni beilegt,
ist sehr reichlich zu finden, hat kleinere Sporen und kleineres Myzel;
die ovalen Sporen liegen oft in Trauben zusammen. Künstliches
spärliches Wachstum gelang auf Maltoseagar. Pityriasis nigra kann
überall sitzen, meidet meist das Gesicht, bevorzugt den Hals und
die oberen Partien der Brust. Die -ergriffenen Partien sind von einer
mattschwarzen, glanzlosen Farbe, oft etwas über die umgebende Haut
erhaben und oft etwas schuppend, entweder rundlich isoliert oder
zusammenfliessend. Den Pilz nennt V. Mikrosp. Mansoni; er findet
sich reichlich. Die Myzelfäden sind kurz, an den Enden oft unregel-
mässig ausgefasert, die Sporen sind scheibenförmig und nicht gross,
häufig in Haufen liegend. Mikrosp. Mansoni wächst leicht auf den
verschiedensten Kulturmedien. Die Unterschiede des Wachstums
werden beschrieben. Abbildungen illustrieren die angedeuteten Unter¬
schiede der drei Pilzarten. Differentialdiagnostische und thera¬
peutische Bemerkungen sind angefügt.
dj ^ am b on - London: Ueber Kleidung in den Tropen. (Daselbst.
Bd. X, H. 4, S. 67.)
Verfasser betont, dass die meist gebrauchte weisse Kleidung
wohl Hitze, aber nicht chemisch wirksame Strahlen vom Körper fern-
•’? te' J. r wiederholt die schon des öfteren angestellten Versuche
iiber die Durchlässigkeit der weissen und pigmentierten Haut _
Verfasser nahm Inderhaut — für chemisch wirksame Strahlen, weist
darauf hin, dass selbst die Farbigen, die im allgemeinen durch ihr
igment geschützt seien, neben weisser Kleidung rot, gelb und braun
besonders für Kopf und Bauch bevorzugen und unbekleidete Körper¬
stellen vielrach mit roter Farbe oder rotem Oel bestreichen. Er
empfiehlt dann, um sowohl langwellige als auch kurzwellige Strahlen
abzuhalten, einen Stoff aus weissen, roten und gelben Fäden gewebt
dessen Farbeneindruck dem Khaki ähnelt. Ein solches von John
F 1 1 i s hergestelltes Gewebe, das ausserdem noch wasserdicht ist
nennt er Solaro. Die Uebersetzung der lange bekannten Theorie in
die 1 raxis ist erfreulich, leider fehlt jede Angabe und jedes Experiment
uber Herkunft, Wirkung und Art der verwendeten Fäden.
dJt c'i^0^Ss:P0d S.ai'd: Massnahmen zur Moskitobekämpfung
in Port Said und ihre Resultate. (Daselbst. Bd. X, H. 6, S. 97.)
Port Said war eine der am meisten mit Mücken überschwemmten
Städte der Welt; erst seit wenigen Jahren erschien Malaria dort,
1902 nur wenige Fälle wohl von Ismailia eingeschleppt, 1905 mehr;
es gelang der Nachweis von Sporozoiten, in den Speicheldrüsen der
sehr reichlich vorhandenen Anophelesarten. Da auch Dengue, Malta¬
fieber und Elephantiasis vorkamen, ferner „simple continued fever“
und mehrere dieser Krankheiten zum mindesten der Uebertragung
durch Mücken verdächtig waren, da ferner die Mückenplage für jeden
Europäer, sei es dass er vorübergehend anwesend war, oder dauernd,
unerträglich wurde, sah sich die’ Sanitätsbehörde der Notwendigkeit
der Ausrottung der Mücken gegenüber. Da indes irgend ein Zwangs¬
mittel zum Eingreifen oder auch nur zur Einsichtnahme in die Grund¬
stücke und Häuser gesetzlich nicht gegeben war, war es nur möglich,
auf dem Wege der Belehrung und Ueberredung vorzugehen. Unter
dem Eindruck der Mücken- und Malariabefreiung des benachbarten
Ismailia wurde die öffentliche Meinung für das Unternehmen ge¬
wonnen, und bereitwilligst überall Einsicht gestattet und Ratschlägen
zur Aenderung nachgegeben, ferner regelmässige Petrolierung erlaubt.
Als Brutplätze fanden sich besonders Senkgruben und überflutete
Keller. Es ist eine wesentliche Feststellung, dass fast sämtliche Keller
von Grundwasser, das oft weniger als 1 m tief steht, überflutet waren,
viele in Verbindung mit undichten Senkgruben und Abwässeranlagen.
In diesen Wasseransammlungen fanden sich Moskitolarven in Un¬
zahlen; je schmutziger das Wasser war, desto mehr schien es den
Mücken, besonders den Anopheiinen als Brutplatz zu behagen. Diese
Keller wurden unter dem Druck der Ueberredung meist ausgepumpt,
dann mit Zement abgedichtet oder mit Sand aufgefüllt. Die Petro¬
lierung derselben war sehr erschwert, da sie nur an den Eingängen
zugänglich waren. Alle übrigen Wasseransammlungen wurden petro-
liert. In reinem Wasser, das sonst von den Anophelesarten als Brut¬
platz bevorzugt wird, wurden Larven überhaupt nicht gefunden. Zu¬
nächst wurde 1 Liter Oel auf jedes Quadratmeter Wasser verwendet,
später nur (4 Liter; als bestes Mittel wurde eine Mischung von
gleichen Teilen rohen und raffinierten Petroleum, mit 5 proz. Harz
versetzt, festgestellt. Im Mai 1906 wurde die Moskitobrigade ge¬
gründet, bestehend aus 1 Europäer und 4 Eingebornen und zunächst
in Ismailia eingearbeitet. Jedes Haus der Europäerstadt wurde
wöchentlich einmal am selben Tage zur selben Stunde besucht und
petroliert. Bestimmte Viertel würden bestimmten Leuten unterstellt;
fanden sich Larven, so wurde der Verantwortliche bestraft; stete
Beaufsichtigung war nötig. Ein günstiges Resultat zeigte sich schon
mi Juli, die Mückenplage nahm stark ab; im Januar 07, der Zeit der
Niederschrift der Arbeit waren kaum noch Mücken vorhanden,
Anopheles nur schwer mehr zu bekommen. Auch die Ratten sollen
sich durch Vergiftung mit dem Petroleumwasser wesentlich ver¬
mindert haben. Verfasser konstatiert ferner schon für 1906 eine Ab¬
nahme der Malaria und zum Teil auch der andern erwähnten Krank¬
heiten. Die Inangriffnahme der Eingeborenenstadt ist die nächste
Aufgabe. Die bekannte Tatsache, dass die Mücken meist in unmittel¬
barer Nähe ihres Brutplatzes leben, wurde von neuem bestätigt ge¬
funden; zeigten sich irgendwo Mücken, so fand sich meist ihr Brut¬
platz im selben Hause. Auch aus der unmittelbar benachbarten Ein¬
geborenenstadt fand ein wesentlicher Zuzug an Mücken nicht statt.
In gram -Aden: Epidemiologische Beobachtungen bei einer
Beriberiepidemie. (Daselbst. Bd. X, H. 6. S. 102.)
Beim 81. Pionierregiment, dessen Mannschaften aus Mitgliedern
verschiedener Stämme des Siidostens von Indien bestehen, traten
einige Bei iberifälle auf. Das Regiment war, nachdem es Sekundera-
bad im August 1905 verlassen hatte, im September 1905 in Aden an¬
gekommen und hatte Anfang Oktober in Dthala, 70 Meilen nördlich
von Aden, 5000 Fuss über dem Meeresspiegel, ein Zeltlager bezogen.
Unterbringung ziemlich eng; wenig Verkehr mit der Aussenwelt;
Nahrung einseitige Reisnahrung mit wenig Zugaben; Küche sektions¬
weise gemeinsam; keine Familien. Erster BeriberifaFl im November
1905, dem sich gruppenweise die übrigen Fälle anschlossen; Höhe-
Punkt im Juni und Juli 06 mit 21 Fällen. Je mehr Zugaben an Fleisch
und eiweisshaltigen Stoffen, desto weniger Beriberi. Unter den
Etappentruppen vom selben Regiment, deren Nahrung durch Selbst-
beschaftung von Fischen weniger einseitig war, kam Beriberi nicht
vor. Die Qualität des Reises war besser als die meist in Indien von
den Eingeborenen genossene. Im Jahre 1906 kamen ebenfalls im
u\. Rutaillon Kings Own Scottish Borderers, deren Ernährung vor¬
züglich war und die nur wenig Reis von ausgesuchter Qualität ge¬
nossen, Beriberifälle vor. Beiden gemeinsam war nur die Tatsache,
dass im selben Regiment bezw. Bataillon schon früher Beriberi
\ oi gekommen war. Verfasser glaubt also ein neues Moment für die
Infektiosität der Beriberi beobachtet zu haben. Ein genaueres Stu¬
dium, ob etwa die Bewohner besonderer Zelte vorzüglich erkrankt
seien, liess eine Bevorzugung von Neuerkrankungen für Zelte mit
früheren Erkrankungen nicht erkennen. Die Beriberi ergriff besonders
solche, deren Dienstzeit verhältnismässig kurz war.
,.T..y 1 e r;J Ueber Klimamessungen mit einer Theorie der Gefühls-
quahtaten. (Daselbst. Bd. X, H. 8, 15. April, S. 130.)
Verfassei, der sich wiederholt mit Klimatologie, besonders mit
vergleichender Klimatologie, beschäftigt hat, versucht, eine Klima-
skala, etwa nach Art .der B e a u f o r t sehen Windskala aufzustellen.
Da das Wohlbefinden hauptsächlich von der Lufttemperatur und der
Luftfeuchtigkeit abhangt, nennt er die Masseinheit Hyther (hydro-
thermos) und unterscheidet „0 Hyther“: kein Unbehagen .bei ad-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2255
-’iauater Kleidung und Vermeidung von Anstrengung; „1 Hyther“:
leichtes Unbehagen, bei europäischer Kleidung und Anstrengung,
leichte Oppression, usw. sich steigernd bis „10 Hyther“: fast uner¬
träglich. Seine Skala gilt für tropische und subtropische Gegenden.
Seine ausführlich angeführten Theorien, Kurven, Versuche und Ex¬
perimente siehe im Original. .. , .... .
Bassett Smith: Untersuchungen über die Agglutinationsfahig-
keit des Micrococcus melitensis durch Sera nicht Mittelmeerfieber¬
kranker. (Daselbst. Bd. X, H. 10, 15. Mai, S. 169.)
Verfaser untersuchte die Blutsera von 150 Kranken des Haslai-
Hospitales auf Malta auf ihre Agglutinationsfähigkeit dem Mikro-
coccus melitensis gegenüber. Er hält eintretende Reaktion bei einer
Verdünnung von 1 zu 30 für beweisend für Mittelmeerfieber; um¬
gekehrt schliesst er aus dem Fehlen der Reaktion nicht die Abwesen¬
heit desselben. Bei niedrigeren Verdünnungen zeigten sich unregel¬
mässige Resultate. 4 Jahre altes Blutserum behielt seine aggluti¬
nierenden Eigenschaften bei. Für 10 Minuten auf 60 u erhitztes Seiuni
ergab noch gute Reaktion. In seit 2 Jahren toten Kulturen trat die
Reaktion langsamer, doch verlässlich ein.
Bassert Smith: Behandlung von Mittelmeerheber mit Vakzine,
unter Anführung von Beispielen. (Daselbst. Bd. X, H. 10, 15. Mai,
S 170.)
Zur therapeutischen Beeinflussung spritzte Verfasser 1—3 ccm
(selten mehr) einer Emulsion des Micrococcus melitensis in sterilem
Wasser, nachdem sie eine halbe Stunde lang bei 60 0 gehalten war,
in die Lendengegend von Maltafieberkranken. Im allgemeinen waren
seine Resultate im akuten Stadium ungünstig, im chronischen Sta¬
dium günstig, so dass er das Verfahren auf chronische Falle be¬
schränkt haben will. Kurven der Agglutinationswerte des Blutserums
und des opsonischen Index, sowie kurze Krankengeschichten sind bei¬
fügt. z u r V e r t h - Berlin.
Inauguraldissertationen.
Experimentelle Untersuchungen über den Ein¬
fluss der Gewürze auf die M a g e nsaf tbil du n g hat
C Rabinowitsch an der experimentell-biologischen Abteilung
des Kgl. pathologischen Instituts in Berlin unter Bickel angestellt
und berichtet darüber in seiner gehaltvollen Doktorarbeit (Berlin 1907,
45 S.). Er weist darauf hin, dass wir uns zwar aut Grund der bisher
in der Literatur verzeichnten Arbeiten eine allgemeine Meinung über
die Titelfrage bilden können, dass wir aber immer noch im Unklaren
darüber sind, wie die Gewürze auf die Verdauung selbst wirken, ob
und inwiefern sie die sekretorischen und motorischen Leistungen 'des
Magens, die intestinale Verdauung, die Resorption des verarbeiteten
Speisebreies und schliesslich den gesamten Stoffwechsel beeinflussen.
Verfasser hat an Hunden, die nach der P a w 1 o w sehen Methode
operiert waren, Untersuchungen angestellt, welchen Einfluss die (ie-
würze auf die Magensaftsekretion ausüben. Zu seinen Unter¬
suchungen benutzte er Paprika, Pfeffer, Senf, Z i rat, Nel¬
ken, Kümmel, Muskat, Ingwer. Er führt die Zahlenwerte
und Sekretionskurven an, die am charakteristischsten sind. Aus den
Versuchen geht hervor, dass nicht alle Gewürze auf die Magensaft¬
sekretion einen gleichen Einfluss ausüben. Deutlich steigeite die Saft¬
bildung Senf, etwas weniger intensiv war die Steigerung bei Zimt
und Nelken. Paprika, Pfeffer, Kümmel und Muskatnuss lassen keinen
deutlichen Einfluss erkennen: bald trat eine kleine Vermehrung, bald
aber auch eine leichte Verminderung ein oder die Werte zwischen
Gewürzversuch und Kontrollversuch waren fast identisch.
Ernst Walter hat auf Anregung L ö Ff 1 e r s Unter¬
suchungen über „Festofor m“, ein For m a 1 d eh yd -
Seifenpräparat angestellt, über die er in einer Greifs-
walder Disertation berichtet. Das Festoform besitzt in wäs-
scrigcn Lösungen zum mindesten die gleiche keimtötende und
entwicklungshemmende Eigenschaft wie das Formalin. In vielen
Fällen übertrifft die Wirksamkeit der Festof ormlösungen
die gleich starker Formalinlösungen um ein geringes. Durch Ver¬
dampfen des Festoform zusammen mit Wasser lassen sich
ohne besondere Apparate nahezu die gleichen Wirkungen erzielen,
wie mit dem besten der bisher bekannten Znmmerdesinfektions-
verfahren, das von Flügge angegeben worden ist. Das Festo¬
form eignet sich in gasförmigem Zustand und in wässeriger Lösung
gut zur Beseitigung schlechter Gerüche.
Hermann B o 1 1 e bezeichnet in seiner Dissertationsarbeit (aus
der städtischen Krankenanstalt zu Kiel) die Chlornatriumaus-
scheidungbeiNierenerkrankungenals kein ganz sicheres
Mass für die Stärke der Funktionsstörung der Niere, doch spreche die
geringe oder fehlende Zunahme der Ausscheidung bei Zugabe von
Kochsalz zur Nahrung für eine Schädigung des Nierensekretion.
(Dissertation, Kiel 1907.)
Eine Arbeit von Wilhelm Stolz aus dem physiologischen In¬
stitut zu Giessen liefert einen Beitrag zur Kenntnis des Pan¬
kreas s t e a p s i n s. (Diss., Giessen 1907, 66 S.). Der Autor fasst
seine Resultate in folgenden Sätzen zusammen: 1. In Verdauungsge¬
mischen, bei denen Fette durch Fermente gespalten sind, kann man zur
annähernden Bestimmung eines der Säuremenge proportionalen Wertes
nach Zusatz von Aether und Alkohol einfach azidimetrisch verfahren,
\vcnn man sich durch nachträglichen Wasserzusatz davon überzeugt,
dass man den richtigen Neutralisationspunkt innegehalten hat.
2. Aus dem Pankreas von Rindern lassen sich steapsinhaltige
Glyzerinextrakte und Trockenpulver hersteilen, welche besser wirk¬
sam sind, wenn das Pankreas 24 Stunden gelegen hat. 3. Aus Pan¬
kreastrockenpulvern erhält man mit Wasser wirksamere Extiakte als
mit Glyzerin. Das Zeitoptimum der Wasserextraktion schwankt bei
einzelnen Pulvern; für das käufliche „Pankreatin-Rhenania“ liegt es
bei 2—4 Stunden. 4. Aus Pankreasextrakten lassen sich unter Ver¬
wendung von Rieselguhr mit Hilfe der Säugpumpe klare Filtrate ge¬
winnen. Diese haben gute tryptische und diastatische Wirkung, da¬
gegen enthalten sie kein Steapsin mehr. 5. Als zu vei bauende Flüssig¬
keit eignet sich gut Oel für sich oder Oel, das durch Lezithin in
Wasser emulgiert ist. 6. Glyzerin hemmt die Fermentwirkung.
Richard Levy: Quantitative Zuckerbestimmung
im Harn. Vergleichende Untersuchungen mit dem
Riegl er sehen und Pavy sehen Verfahren und dem
Polarisation sappa rat. Dissertation, Heidelberg 1906.
Von den drei angewandten Methoden sind die Polarisierung und
das von Pavy angegebene Verfahren in der Modifikation von
Sahli einander ungefähr gleichwertig, sowohl hinsichtlich der Ein¬
fachheit der Ausführung, als auch der Genauigkeit der Resultate. Die
Pavy sehe Methode geniesst ausserdem den Vorteil grosser Billig¬
keit der Untersuchungsmittel. Die Riegl er sehe Probe ist zeit¬
raubend, häufig unzuverlässig und erfordert einen unbequemen, un¬
handlichen Apparat. Sie kann insbesondere dem praktischen Arzt
nicht empfohlen werden, dem jedoch die Benützung der Pavy sehen
Bestimmung dringend geraten wird. Wo bereits ein Polarisations-
apparat vorhanden ist, kann ohne erhebliche Mühe als Vergleich die
Titration nach Pavy vorgenommen werden. Auf diese Weise
werden die genauesten Resultate zu erzielen sein.
August Hof mann hat experimentelle Unter¬
suchungen über die Ausscheidung des Veronals
bei chronischem Veronalgebrauch angestellt und
berichtet darüber in seiner Dissertation (Giessen). Das Veronal
zeigt bei längere Zeit (50 Tage) fortgesetztem Gebrauch eine auf¬
fällige Konstanz in seinen Wirkungen auf den tierischen Körper.
Seine Ausscheidung erfolgt ausschliesslich durch die Nieren und findet
stets zu gleichem Prozentsatz statt und zwar unter Berücksichtigung
der Analysenfehler etwa zu 70 Proz. Es verursacht auch bei längerem
Gebrauch beim Hunde Polyurie und eine bis zu 2,5 betragende
Herabsetzung der Körpertenmeratur. Die Ernährung beeinflusst es in
günstiger Weise.
V. Feldberg: Ueber Uterusmyom als Geburts¬
hindernis. (Aus der k. geburtshilflichen Klinik der k. Charitee in
Berlin: Prof. Dr. B u m m). Diss., Berlin 1907. .
Ergebnisse: 1. Die Prognose der mit Myomen komplizierten
Geburt gestaltet sich bei weitem nicht so ungünstig für Mutter und
Kind, wie es früher angenommen wurde. Auch im Wochenbett sind
die Gefahren ziemlich unerheblich, wenn nur während der Geburt und
in der Nachgeburtsperiode alle Regeln der Anti- und Asepsis aufs
strengste gewahrt werden. 2. In Fällen, wo ein ernster Eingriff sub
partu nötig erscheint, gestaltet sich die Prognose für die Mutter nicht
ungünstiger, als bei chirurgischen Eingriffen m graviditate. 3. Bei
Komplikation der Schwangerschaft mit Myom ist, wie überall in der
Geburtshilfe, falls keine bedrohlichen Erscheinungen auftreten, ein
ruhiges Beobachten und Abwarten im allgemeinen im grosseren
Interesse der Patientin, als ein rasches operatives Einschreiten. Die
Patientin muss aber mit Rücksicht auf mögliches Auftreten bedroh¬
licher Symptome unter beständiger ärztlicher Aufsicht gehalten
werden. Durch dieses „bewaffnete Abwarten“ wird das kindliche
Leben in der Mehrzahl der Fälle gerettet werden können. 4. Lin
operativer Eingriff in graviditate soll nicht aus prophylaktischen
Gründen, um den voraussichtlichen Gefahren unter der Geburt und im
Wochenbett vorzubeugen, vorgenommen werden, sondern eine
chirurgische Intervention scheint nur in denjenigen Fallen gerecht¬
fertigt, wenn eine Indicatio vitalis vorliegt, oder die Symptome wemg-
Ueber die Resultate in der Behandlung akuter
infektiöser chirurgischer Erkrankungen durch
Stauungshyperämie berichtet Erich Meyer in einer
Dissertation (Halle - Wittenberg 1907, S;), der das Material
der v. Bram ann sehen Klinik und Poliklinik m Halle zu Grunde
liegt. Als Gesamtresultat stellt Verfasser folgende Thesen
auf: 1. Die Anwendung der Stauungshyperämie zur Heilung akuter
infektiöser Erkrankungen hat sich als im Prinzip nchüg er¬
wiesen. 2. Die Anwendung der Stauungshyperämie ist empfehlens¬
wert bei Mastitis, Furunkeln, Abszessen, infizierten Wunden,
leichten Formen von Panaritien und Phlegmonen, phlegmonösen Bur¬
sitiden. 3. Bei schweren akuten infektiösen Erkrankungen empiiehlt
sich nach erfolgter gründlicher Operation die Stauungshyperämie als
Nachbehandlung und als Ersatz der Tamponade. 4. Bei Anwendung
der Stauungshyperämie wirken warme Bäder unterstützend. 5. Bei
der Behandlung der Panaritien mit Stauungshyperämie ist die Gummi¬
binde dem Saugglase vorzuziehen mit Rücksicht auf die Schmerz¬
vermeidung, ferner mit Rücksicht auf die Sauberkeit, Asepsis, endlich
in Hinsicht auf die schnellere und bequemere Applikation. 6. Da Stau¬
ungshyperämie Schädigungen, z. B. Erysipel bewirken kann, ist die
2256
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
ständige Kontrolle des Verfahrens erforderlich. 7. Wegen der wider¬
sprechenden Resultate mit Bierscher Stauung gerade bei schweren
akuten infektiösen Erkrankungen sind weitere Forschungen und Er¬
fahrungen mit Stauungshyperämie in dieser Richtung notwendig, hier
aber ganz besondere Vorsicht dringend geboten. ' Eritz Loeb.
Vereins- und Kongressberichte.
14. Internationaler Kongress für Hygiene u. Demographie
vom 23. bis 29. September 1907.
V.
Die literarischen Beigaben.
Den Mitgliedern des Kongresses wurden mehrere Festschriften
von ausserordentlichem wissenschaftlichen Werte dargeboten, so:
1. Das Deutsche Reich in gesundheitlicher und demographischer
Beziehung, gewidmet vom Kaiserlichen Gesundheitsamte
und vom Kaiserlichen Statistischen Amte (331 Seiten,
Grossoktavformat), in welchem den Mitgliedern in kurzen Umrissen
ein Ueberblick darüber gegeben wird, was das Deutsche Reich seit
seiner Wiedererstehung vor 36 Jahren auf dem Gebiete der Hygiene
und Demographie geschaffen hat und wie seine Verhältnisse auf diesem
Gebiete gegenwärtig gestaltet sind.
Das Werk enthält zunächst eine Reihe eingehender statistischer
Angaben über den Stand der Bewegung der Bevölkerung unter
Ausscheidung zwischen Stadt und Land, Geschlecht, Alter und
Familienstand, Mitteilungen über die Todesursachen, Bekämpfung
a) der iiberti agbaren Krankheiten (gesundheitliche Behandlung der
Seeschiffe, Desinfektion, Bekämpfung im Eisenbahnverkehr, Leichen-
beforderung, wissenschaftliche Forschungsexpeditionen etc.), b) an¬
derer Krankheiten (Blinddarmentzündung, Alkoholismus).
Ferner sind in dem Werke behandelt: Wasserversorgung und
Flussverunreinigung, Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genussmitteln und
Gebi auchsgegenstdnden, Verkehr mit Heilmitteln und Giften, Heil- und
1 ilegeanstalten, Berufstätigkeit, Veterinärwesen etc.
Dci Abschnitt VI beschäftigt sich mit A e r z t e n, Zahnärzten und
sonstigem Heil- und Pflegepersonal; er bringt alle gesetzlichen Be¬
stimmungen über die Ausübung der Heilkunde, Approbation, Doktor-
promotion, Prüfungsordnung, Zulassung weiblicher Studierender,
bchoifen- und Geschworenendienst durch Aerzte, Verweigerung des
Zeugnisses, Erstattung von Gutachten vor Gericht usw.
Sehr insti uktiv sind die zahlreich beigegebenen Abbildungen
bezw. graphischen Darstellungen.
_. Medizinische Anstalten auf dem Gebiete der Volksgesundheits-
Pue U\„Preyssen’ Festschrift, dargeboten von dem pre.ussi-
s chen Minister der geistlichen, Unterrichts- und
Von-7d ca 1 a ^ g e 1 e g e n h e i t e n (Verlag von Gustav Fischer.
19U7, 445 Seiten).
,. !n 13 v°n verschiedenen Autoren bearbeiteten Abschnitten werden
'.TV™ 1 !tel erwähnten Anstalten eingehend beschrieben, so gibt
/';R' U b 11 6 r elne Darstellung des h y g i e n i s c h e n I n s t i t u t s
desselben' eintoseht. ’ We'Che m“ einer kurzen Qeschichte
H .Als r}S] allr der modernen wissenschaftlich-experimentellen
fi-ne, wjrd, das -,ahr 1853 bezeichnet, als Max v. Pettenkof er
Hodrschnf^hffUf erShC Kr1!fS ilber experimentelle Hygiene an dieser
den^riSin tehr?d der nCL‘erf Aufschwung dieser Wissenschaft
den Erfolgen Robert Kochs auf dem Gebiete der Erforschung der
Kleinlebewelt zu verdanken ist. g r
zelheitef heAAr.beiyverden die La*e und bauliche Ein-
efngehend ^beschrieben.' Arbeltsseblet "”d Arbeitsplan in demselben
v .. Haffky gibt eine eingehende Darstellung über das
Königliche Institut für In f e k ti o n s k r an k h ei t e n i n
Aufgibenn’usw.Sen baU lche Anlage und Einrichtung, Organisation und
Kiini'o'iip?Chvldtma!!n und Günther desgl. über „die
n J g 1 ! c h ,e Versuchs- und Prüfungsanstalt für
Wasserversorgung und Abwasserbeseitigun g“.
Letztere Anstalt wurde 1901 gegründet, um allen auf dem Gebiete
fa1lst^ffaeSwiS/nTg Und ?eSeitigang der flüssigen und festen Ab-
n1anm?s^ n ?. "i h^ienist;henp und volkswirtschaftlichen Interessen
C TSLÄ zielbewusste Forderung angedeihen zu lassen und
Privaten nhiektiv^^ Beteiligten, sowohl Behörden wie
J rivaten, objektive, sachkundige Auskunft zu erteilen. Das vor¬
handene wissenschaftliche Personal setzt sich dem Berufe nach zu
zineirn11 Die Anslalt T,'!’ ßp^kern Zoologen, Technikern und Medi-
/.nein Die Anstalt ist reichlich mit Laboratorien versehen und Int
auch Versuchsanlagen zur praktischen Prüfung auf X “"biete der
ologischen Abwasserreinigungsanlagen usw.
G.-R. Prof. Dr Kirchner hat die Berichterstattung über-
s u crh unn tf'* . P r e 11 s s 1 s c h e " M e d i z i n a 1 u n t e r -
die '„V,, e r ’ »d 1 e P r e u s s i s c h e n I m p f a n s t a 1 1 e n“,
„die deutschen Quarantaneanstalten“ das Kel
Lepraheim im Kreise Memel“, „die Desinfektoren-
schulen in Preussen“ und bietet
'darin äusserst interessant
Mitteilungen nicht nur für die Medizinal- und Verwaltungsbeamten,
sondern auch für die gesamte Aerztewelt.
Ueber das Kgl. Institut für experimentelle Thera¬
pie in Frankfurt a. M. berichtet G.-R. Dr. Ehrlich über den
Neubau der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das
militär ärztliche Bildungswesen Stabsarzt Dr. R i d d e r,
das Kaiserin - Friedrichhaus für das ärztliche Fort-
b 1 1 d u n g swe s e n Prof. Dr. Kutne r, über die Akademie für
praktische Medizin G.-R. Brugger, das Kaiserin-
Auguste-Viktoriahaus zur Bekämpfung der Säug¬
lingssterblichkeit im Deutschen Reich G.-R. Dr.
Dietrich, die Heilstätten, Krankenhäuser und Ge¬
nesungsheime der Versicherungsanstalten und
Kasseneinrichtungen der Invalidenversicherung
in Preussen G.-R. H. S i e f a r t, über die grosse Heilan¬
stalt der Charite Generalarzt Dr. Scheibe, das s t ä d t.
Krankenhaus Charlotten iburg-Westend Prof. Dr!
Bessel - Hagen und über die Einrichtungen zur Bekämp¬
fung der 1 uberkulose in Preussen und deren Wirk-
s a m k eit Dr. Kayserling.
Sämtlichen Abhandlungen sind Pläne und Abbildungen der ge¬
schilderten Anstalten beigegeben.
Besonderes Interesse beansprucht darunter unter anderem die
Darstellung der „Infektionsabteilung im Rudolf-Vir-
chow-Krankenhause mit dem Obduktionshause
d ^ S \ f.1},5 tHuts für Infektionskrankheite n“, welche
vohl vorbildlich für die Errichtung solcher Isolierabteilungen bei
Krankenhäusern zu wirken haben wird. Von der Raumverteilung im
Innern dieser Pavillons sei deshalb kurz erwähnt, dass sie, von der
^ ch mal seite zugänglich, einen längsverlaufenden Mittelgang haben,
welcher zu 2 mit meist 5 und 3 Betten besetzten Krankensälen führt.
Voi diesen Sälen wird der Korridor durch einen Quergang gekreuzt,
du dein Innern des Gebäudes Licht zuführt und zugleich zur Aufnahme
\on Wäscheschränken und Unterbringung von anderen Utensilien, wie
Besen, Stechbecken etc. dient. Vor diesem Quergang liegt jederseits
vom Haupteingang ein zweifenstriges und ein einfenstriges Zimmer,
ln den zweifenstrigen Zimmern werden entweder 2 Betten aufgestellt
oclei sie dienen als Tageraum für Rekonvaleszenten; werden dann
nach Bedarf auch noch mit einem Bett ausgestattet. Einer dieser
Raume ist in jedem Pavillon als Operationsraum eingerichtet. Von
den einfenstngen Zimmern sind in jedem Pavillon 2 mit einem Bette
besetzt; die beiden anderen dienen als Raum für die diensttuenden
Schwestern und tiir den Arzt.
Vor diesen 4 Zimmern wird der Hauptgang wieder durch einen
.ueigang gekreuzt, welcher die zu beiden Seiten des Eingangs
liegenden Räume begrenzt und zugänglich macht. Diese enthalten die
heekuche, die Klosetts und den Wäschekochraum, der noch mit einem
besonderen Zugang von der Aussenseite her versehen ist. Einer der
hier gelegenen Räume ist der Direktionsraum, in dem die Schreib-
geschafte erledigt und die einfacheren physikalischen und chemischen
Untersuchungen vorgenommen werden.
Jeder dieser Pavillons hält zwei durch eine solide Wand ohne
1 ure getrennte Abteilungen der vorstehend geschilderten Art; auf ein
Bett treuen 11 qm Bodenfläche in den Räumen mit 5 Betten, 12 qm
m Jenen mit 2 Betten und 13 qm in den Zimmern mit 1 Bett; der Luft-
kubus berechnet sich auf 40 cbm pro Bett bei einer Höhe des Raumes
von 3,7 m im Lichten; im Bedarfsfall wird jedoch der Raum durch Er¬
höhung der Bettenzahl mehr ausgenützt, in ieder der 2 Abteilungen bei
normaler Belegung 11 Betten, im Bedarfsfälle 15 Betten.
Ausserdem ist ein Pavillon errichtet als Qarantäne-
Station mit 22 Betten zur Aufnahme für Kranke, welche mit unge-
niigenaer Anamnese oder unsicherer Diagnose he’reinkommen und
noch einige Zeit beobachtet werden müssen, sowie jener Kranken
welche zwar von ihrer Infektionskrankheit geheilt sind, aber noch
eine anderweitige Krankenhausbehandlung nötig haben und vor der
erlegung auf die betreffende Abteilung einige Zeit isoliert werden
müssen.
a- Sämtliche Pavillons sind mit Obergeschossen versehen, welche
die Wohnraume für die in dem Gebäude beschäftigten Personen ent¬
halten.
3. Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im
deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung
' eussens von G. R. Dr. Martin Kirchner. Festschrift, dar-
geboten von dem preussischen Minister der geistlichen, Unterrichts-
uncl. Medizinalange'legenheiten. (Verlag von G. Fischer, Jena 1907
33o Seiten.)
Dieses Werk ist vor allem ein Kommentar zum Reichsseuchen¬
gesetz vom 30. Juni 1900 und dem preussischen Gesetz, betr. die Be¬
kämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 und der
zu demselben erlassenen Ausführungsbestimmungen, deren letzte
9. Juli 1907 erschienen ist.
wnh|Dv rart4Se j<'om™e,^are sind zwar bereits einige erschienen, so¬
wohl von Aerzten als Verwaltungsbeamten verfasst, der vorliegende
Jlwätfi?er aAStbaSOnRe[S ^fGvoll bezeichnet werden, einmal mach der
»A,rt der Behandlung des Stoffes — die Bestimmungen der
im-™! t f u nlChtu einfach Paragraphenweise abgehandelt, sondern
ihrem , Inhalte nach zusammengestellt und besprochen, dann ganz
besonders deshalb, weil der Verfasser bei der Beratung der Aus-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2257
fiihrungsbestimmungen zum Reichsgesetze selbst mitwirkte und das
preussische Gesetz und seine Ausführungsbetimmungen im Entwürfe
ausarbeitete. ..
Da neben den beiden oben genannten Gesetzen auch die Ver¬
hältnisse der übrigen deutschen Bundesstaaten möglichste Berück¬
sichtigung fanden, so ist das Werk ein äusserst wertvolles Nach-
schlagebuch nicht nur für die preussischen, sondern auch alle deutschen
Aerzte und Verwaltungsbeamten.
4. Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinrichtung im Bereiche der
vereinigten preussischen und hessischen Staatseisenbahn, bearbeitet
im preussischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Verlag von
Julius Springer 1907. 79 Seiten, Grossformat.
In diesem Hefte werden unter Belegung mit reichem statistischen
Zahlenmaterial die Massnahmen zur Bekämpfung von Krankheiten
bei dem Eisenbahnpersonal, die Fürsorge für Bedienstete während der
Ruhezeiten, Dienst- und Arbeitspausen, die Massnahmen zur Ver¬
hütung von Unglücksfällen, die Wohnungsfürsorge und Arbeiterver¬
sicherung näher dargestellt.
5. Festgabe der Stadt Berlin 1907.
Ein Prachtwerk, in welchen die Stadt Berlin den Kongressmit¬
gliedern ein Bild von der praktischen Arbeit geben will, welche die
Reichshauptstadt auf den verschiedenen Gebieten der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege in den letzten Jahren geleistet hat. Aller Nachdruck
ist dabei auf Abbildungen gelegt worden, der Text soll nur auf ge¬
wisse Absichten in den Formen der Anlage hir.weisen. Wir finden
in dem Werke zahreiche vorzügliche Abbildungen der städtischen
Volks- und Mittelschulen, Krankenanstalten, Genesungsheimen etc.
Sämtliche der vorstehend genannten 4 Festschriften sind buch¬
händlerisch tadellos ausgestattet.
Hygieneausstellung in Berlin 1907
vom 23. September bis 12. Oktober 1907 im Reichstagsgebäude.
Mit dem Kongresse war eine Ausstellung verbunden, die hin¬
sichtlich Reichhaltigkeit und Gediegenheit des Ausgestellten von
anderen derartigen Ausstellungen schwerlich erreicht, sicher niemals
übertroffen worden ist.
Sie hatte sich zur Aufgabe gestellt, vor allem diejenigen Gebiete
der Hygiene zu berücksichtigen, die in den letzten Jahren besondere
Fortschritte zu verzeichnen hatten, wie das Gebiet der wissen¬
schaftlich-experimentellen Forschung, die A e t i o -
logie und die Bekämpfung der Infektionskrank¬
heiten, die Wasserversorgung und die Beseitigung
der Aibf allst off e, die Fortschritte auf dem Gebiete der Hei¬
zung, die Schäden der modernen elektrischen Betriebe, die
soziale Betätigung auf den Gebieten der- Säuglingshygiene,
der Tuberkulosebekämpfung, des Arbeiterschutzes,
der Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs und des
Kurpfuscherwesens, sowie endlich Ausstellung auf dem Ge¬
biete der modernen Leic'henbestattung.
Die Ausstellung teilte sich in zwei Hauptabteilungen: a) Sammel¬
ausstellungen und b) Gruppenausstellungen.
In der ersten Abteilung waren die Ausstellungsgegenstände ver¬
schiedener staatlicher und städtischer Institute, wie des Kaiserl. Ge¬
sundheitsamtes, des Kgl. Instituts für Infektionskrankheiten, des
hygienischen Instituts zu Berlin, der hygienischen Institute zu Er¬
langen, München und Würzburg usw. untergebracht, in der zweiten
Abteilung waren die Gegenstände nach ihrer Zweckbestimmung in
Gruppen abgesondert.
Besondere Aufmerksamkeit erregten hier u. a. die Ausstellungen
auf dem Gebiete der Abwasserversorgung, namentlich die zahlreichen
Modelle von Anlagen der biologischen Klärung der Abwässer, welche
sich im vollsten Entwicklungsgänge befindet; natürlich kann hier eine
Ausstellung nur über die Art der Anlage, nicht aber den eigentlichen
Betrieb und die Wirkung des einzelnen Systems Aufschluss geben, dies
muss da studiert werden, wo wirklich Abwässer geklärt werden, um
den Grad der Geruchsbelästigung, die Insektenplage und den Effekt
der Reinigung zu sehen; hierzu bot aber auch der Kongress die Mög¬
lichkeit durch Veranstaltung von Besichtigungen derartiger Anlagen.
In der Abteilung Säuglings- und Kinderhygiene fand sich u. a.
die vollständige Einrichtung eines Säuglingszimmers (Boxensystem;
Abschluss jeden Bettes durch Glaswände), eine Reihe von Apparaten
zur Milchsterilisierung, Wachspräparate verschiedener Organverände¬
rungen aus dem Gebiete der Kinderkrankheiten darstellend usf.
In der Abteilung Infektionskrankheiten waren verschiedene
mikroskopische Präparate, Heilsera, Sterilisationsapparate etc. aus¬
gestellt.
Von der Ausstellung der Abteilung „Gewerbekrank¬
heiten“ seien erwähnt die anatomischen Präparate und Moulagen,
welche die durch elektrischen Starkstrom verursachten Organschädi¬
gungen veranschaulichen, ferner einzelne Staubabsaugapparate; aus der
Abteilung Lüftung, Heizung und Beleuchtung Apparate für
Luftanalyse nebst Russfilter, Darstellung mangelhaft und zweckmässig
installierter Gasheizöfen, automatischer Zugregler für Zentral¬
heizungsfeuerungen, Warmwasserheizungen, Dampfheizungen, Lampen
für indirekte Gasbeleuchtung, Arbeitslampen mit Spiritus-Glühlicht-
lampe.
Der Verein für Feuerbestattung Berlin hat Modelle eines
modernen Krematoriums, eine Urnenhalle usw. ausgestellt.
Recht zahlreich und instruktiv waren auch die graphischen Aus¬
stellungen auf dem Gebiete der Gesundheits-, Krankheits- und Sterb¬
lichkeitsstatistik. S p a e t - Fürth.
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Dresden am 14. und 15. September 1907.
VI.
Abteilung für Kinderheilkunde.
Sitzung am 18. September 1907.
Vorsitzender; Herr Stooss-Bern.
Herr P e i s e r - Breslau: Osteopsathyrosis im Kindesalter. (Mit
Demonstrationen.)
Bei jugendlichen Kindern gelangt hin und wieder eine ab¬
norme Knochenbrüchigkeit zur Beobachtung, welche mit der
osteomalazischen Form der Rachitis nichts zu tun hat. Auch von
der Rachitis im allgemeinen lässt sie sich abgrenzen, trotzdem sie
häufig mit ihr vereint auftritt. Sie charakterisiert sich klinisch und
im Röntgenbild, bezw. im mikroskopischen Präparat in folgender
Weise: Klinisch handelt es sich in der Regel um elende Kinder,
welche nicht allein physisch, sondern auch psychisch minderwertig
sind und selbst in ihrer späteren Entwicklung körperlich und
geistig Zurückbleiben. Im Röntgenbild fällt die Dünne der Korti-
kalis der langen Röhrenknochen auf, zuweilen noch die weite Dia-
stase der Bruchenden. Nach dem mikroskopischen Präparat ist die
Dünne der Kortikalis zurückzuführen auf Steigerung der lakunären
Knochenresorption beim Ausbleiben entsprechender Apposition. Die
Osteopsathyrosis dürfte als Trophoneurose aufzufassen sein, ihre
Prognose ist günstig. Als Therapie wäre Schilddrüsenmedikation
zu versuchen, dagegen ist eine Immobilisierung der Frakturen nicht
zu empfehlen.
In der Diskussion bekämpfen H o c h s i n g e r - Wien,
R ey h e r - Berlin und L o o s e - Heidelberg die, Auffassung Pei-
sers, indem sie die vorgestellten Fälle als Rachitis gravis auffassen.
Im Schlussworte sucht P e i s e r seine Auffassung zu stützen, in¬
dem er nochmals die schwere Knochenbrüchigkeit nicht als zum
Bilde der Rachitis gehörig bezeichnet, gibt jedoch zu, dass sich da¬
rüber streiten lasse, ob der Name Osteopsathyrosis gut gewählt ge¬
wesen sei.
Herr Knöpielmacher- Wien : Subkutane Vakzineinfektionen.
Aus der grossen Versuchsreihe, deren Ergebnisse der Autor mit¬
teilt, sei als praktisch wichtig hervorgehoben, dass die Injektion
von Vakzinelösung, welche durch Erhitzen avirulent und mit Koch¬
salzlösung entsprechend verdünnt worden ist, zur Diagnose, der Va¬
riola bei nicht Geimpften verwertbar sein muss. Der nicht Ge¬
impfte muss auf die Injektion hin mit der Bildung einer lokalen
Reaktion antworten.
Herr T o b 1 e r - Heidelberg: Beobachtungen über die Zusammen¬
setzung des Mageninhaltes bei kongenitaler Pylorusstenose.
Bei einem typischen Fall von angeborener Pylorusstenose wurde
im Reparationsstadium die chemische Zusammensetzung des ausge¬
heberten Magenrückstandes vier Stunden nach einer Frauenmilch¬
oder Vollmilchmahlzeit von 100- — 150 ccm untersucht. Der dick¬
flüssige, fast breiige, gelbliche Rückstand betrug 81 — 115 ccm und
enthielt nur kleine Mengen N-haltiger Substanz. Sehr hoch war da¬
gegen der Fettgehalt, der mehrmals zwischen 25 und 30 g (bis zu
31,5 Proz. des Rückstandes) betrug. Während also der N-Gehalt des
Restes ein Viertel bis zwei Drittel des Eiweissgehaltes der letzt¬
genommenen Mahlzeit erreichte, entsprach der Fettrückstand dem
gesamten Nahrungsfett einer grossen Tagesportion Milch. Es be¬
steht demnach eine einseitige, schwere Störung des Fettabtrans¬
ports vom Magen in den Darm. Am wahrscheinlichsten erklärt
sich dieselbe durch eine Alteration des reflektorischen Pylorus-
schlusses vom Duodenum aus. Es bestehen Analogien zu der in
einer grösseren systematischen Untersuchungsreihe an gesunden
Säuglingen festgestellten Tatsache, dass für die Dauer der Magen¬
verdauung der Fettgehalt der Milch von ausschlaggebender Be¬
deutung ist. Die Befunde erklären, weshalb im untersuchten Fall
auf fettärmere Milchportionen regelmässiger Gewichtsanstieg, auf
fettreichere Abfall und -stärkeres Erbrechen erfolgte. Durch die
hohen Energieverluste beim Erbrechen so konzentrierter, kalorisch
hochwertiger Rückstände erklärt sich auch der ungewöhnlich hohe
Nahrungsverbrauch des Patienten. Die Ergebnisse lassen die
therapeutische Verordnung entfetteter Milch, sowie die regelmässige
Ausheberung und Ausspülung so unzweckmässig zusammengesetzter
Nahrungsreste wissenschaftlich begründet erscheinen.
In der Diskussion weist Siegert auf die Bedeutung fett¬
armer Kost bei Pvlorusstenose hin. Langstein bespricht R i e t -
s c h e 1 s Untersuchungen über das fettspaltende Ferment im Magen
des säugenden Tieres.
Herr R, Fischl-Prag: Folgen der Tliymusexstirpation bei
jungen Hühnern.
In Fortsetzung seiner Exoerimente an Ziegen, Hunden und
Kaninchen hat F i s c h 1 die Thymus auch bei jungen Hühnern
entfernt. In 26 Versuchen, welche Tiere im Alter von 24 Stun¬
den bis zu 12 Tagen betrafen, von denen 24 den Eingriff über¬
lebten, konnte er niemals irgendwelche Ausfallserscheinungen oder
sonstige Folgen der Operation feststellen. Das bei einer Reihe
2258
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. *15.
von Hühnchen nach ihrer Verbringung aus der Gefangenschaft in
natürliche Verhältnisse beobachtete eigentümliche Verhalten. Un¬
geschicklichkeit beim Futtersuchen, springende Bewegungen, bezieht
F i s c h 1 auf die Längerhaltung unter ungünstigen Laboratoriums¬
verhältnissen, da es sich rasch verlor und bei andern aufs Land
geschickten Tieren nicht zur Beobachtung gelangte. Die aus der
Kuppel zweier operierter Tiere und eines normalen Huhnes mit
einer operierten Henne erzielte Generation verhielt sich vollkommen
normal und boten die Deszendenten dieser Grupoe nach der Ope¬
ration gleichfalls keine wie immer gearteten Folgeerscheinungen
dar. Fischl schliesst aus seinen Versuchen, dass auch bei Hühnern
die Thvmus mit Beginn des extrauterinen Lebens ihre Rolle aus¬
gespielt hat und als der Atrophie verfallender Gewebsrest im Kör¬
per zurückbleibt.
Herr Z a p p e r t - Wien: Hirntuberkel im Kindesalter.
Wertvolle Zusammenstellung von 62 anatomisch sichergestellten
Fällen und Analyse der klinischen Erscheinungen. Für die operative
Behandlung bietet der Hirntuberkel denkbar ungünstige Chancen.
In der Diskussion teilt Fischl- Prag mit, dass er in zwei
Fällen im Frühstadium der Hirntuberkel starke vasomotorische Er¬
scheinungen beobachtet habe.
Herr Schick- Wien: Herzstörungen bei Scharlach.
Die Herzstörungen bei Scharlach lassen sich in drei Gruppen
einteilen: 1. Die auf der Höhe der Erkrankung zur Beobachtung ge¬
langende Herzschädigung als Teilerscheinung der schweren Infektion.
2. Die Funktionsstörung des Herzens bei Nephritis. 3. Die analog der
Diphtherie erst in der Scharlachrekonvaleszenz auftretende Herz¬
störung (Romberg, S c h m a 1 1 z, T r o i t z k y). Ueber die letzte
Gruppe von Herzstörungen berichtet Vortragender an der Hand
von 33 Beobachtungen an 650 Scharlachfällen der Pädiatrischen
Klinik in Wien. Die Herzstörung charakterisiert sich durch Arhyth¬
mie, Bradykardie, Dilatation des Herzens, systolisches Geräusch;
daneben kommen als mögliche Begleiterscheinungen vor ailem noch
Spaltung der zweiten Töne an der Spitze und Akzentuation des
zweiten Pulmonaltones zur Beobachtung. Die Affektion verläuft
häufig bei ungestörtem Wohlbefinden, kommt gerne bei grösseren
Kindern vor, deren primärer Scharlach leicht war. Sie ist nach der
Lymphadenitis und Nephritis postscarlatinosa die
d ritthäufigste Komplikation des Scharlachs. In der Hälfte
der Fälle erfolgt Heilung nach zwei- bis dreiwöchiger Dauer der Er¬
scheinungen, in den übrigen Fällen bleiben einzelne oder alje Sym¬
ptome der Herzstörung zurück. Therapeutisch genügt einfache
Bettruhe. Als anatomische Grundlage wird vielfach Myokarditis
(Romberg) angenommen. Dehio fasst ähnliche Störungen bei
anderen Erkrankungen (Typhus, Pneumonie) als reizbare Herz¬
schwäche auf. In diesem Sinne schlägt Vortragender den Namen
Myasthenia cordis als Bezeichnung der Scharlach-Herzaffek¬
tion vor.
Sitzung am 19. September 190 7.
Vorsitzender: Herr P f a u n d 1 e r - München.
Herr N e u r a t h - Wien: Angeborene Herzfehler und zerebrale
Kinderlähmung.
Angeborene Kardiopathien können sich mit angeborenen Affek¬
tionen des Zentralnervensystems, die klinisch erst nach den ersten
Monaten in Erscheinung treten können, kombinieren. Es ist bisher
nicht entschieden, ob es sich in solchen Fällen um primäre Abnormi¬
täten in der Organentwicklung des Herzens sowohl als des Gehirns
oder um intrauterine überstandene Krankheiten beider Organe, die
entweder von einander unabhängig (Endokarditis. Enzephalitis oder
Meningitis) oder das eine in einer gewissen Abhängigkeit von an¬
deren (Embolie nach Endokarditis) affiziert wurden, handelt. Ange¬
borene Herzfehler können aber auch für das spätere Leben eine
gewisse Disposition für Erkrankungen des Zentralnervensystems
schaffen, insofern die resultierenden Zirkulationsverhältnisse paradoxe
Embolien der Hirnarterien ermöglichen können.
Herr S i e g e r t - Köln : Eiweissbedarf des Kindes nach dem
ersten Lebensjahre.
Seine auf Grund klinischer Beobachtung ermittelten Werte für
den Eiweissbedarf des Kindes prüfte Vortragender in einer grösseren
Reihe von Stoffwechselversuchen bis zur Dauer von 6 Wochen, wo¬
mit die ersten derartigen Untersuchungen für das Kindesalter vor¬
gelegt werden. Ueber 6 Versuche von 2—3 wöchentlicher Dauer wird
kurz berichtet. Sie bestätigen die Richtigkeit der klinisch gefundenen
Werte und beweisen, dass mit 9—10 Proz. der Gesamtkalorien der
Eiweissbedarf des wachsenden Menschen in jeder Periode gedeckt
ist. Die höheren Werte in Camerers ausgezeichneten Stoff¬
wechselversuchen erklären sich aus der Tatsache, dass die Versuchs¬
kinder in der Zusammensetzung wie Menge ihrer Nahrung in keiner
Weise beschränkt waren.
Herr R ö d e r - Berlin: Experimentelle Untersuchungen zur Pa¬
thogenese der Salivation.
Auf Grund experimenteller Untersuchungen kommt Röder zum
Schlüsse, dass die bei Verdauungskrankheiten der Kinder so häufig
beobachtete Salivation nicht durch reine Reflexwirkung von dem In¬
testinalkanal aus, nicht durch funktionelle Störung innerhalb der
Drüsen zustande kommt, sondern durch den unter pathologischen
Verhältnissen vermehrten aufsteigenden Flüssigkeitsstrom vom Magen
nach der Mundhöhle. Der Reiz dieser rückläufigen, unter gewissen
Einflüssen gesteigerten Wandströmung auf die zentripetalen Nerven
der Speicheldrüsen war bei den bisherigen Erklärungsversuchen der
Salivation unbekannt geblieben und stellt daher einen neuen Gesichts¬
punkt für die Erklärung ihrer Pathogenese dar.
Herr Z I o c I s t i - Berlin : Ueber Spätlaktation.
Z 1 o c i s t i teilt eine Kasuistik von elf Fällen mit, in denen es ihm
gelang, eine Brustdrüse nach monatelanger Pause wieder in Gang zu
bringen. Als ein vorzügliches Mittel empfiehlt Z 1 o c i s t i das Saugen¬
lassen durch Erwachsene.
In der Diskussion erkennt Herr N e u m a n n - Berlin den
bedeutungsvollen Gesichtspunkt an. hält jedoch das Mittel für un¬
ästhetisch. Herr Langstein - Berlin empfiehlt die Bier sehe
Stauung, Herr P e i s e r - Breslau das Anlegenlassen von saugenden .
Tieren.
Herr Baron- Dresden : Klinik der Plaut-Vincent sehen
Angina.
Analyse der Krankheit auf Grund eigenen grossen Materials. Zu
kurzem Referat nicht geeignet.
In der Diskussion werden von Herrn S oltmann - Leipzig
und Herrn Rauchfuss - Petersburg die bakteriologische Unter¬
suchungsmethode und die Schlüsse, die sich aus ihr ableiten lassen,
besprochen. Rauchfuss bevorzugt die Ausstrichpräparate vor
der Kultur, die in bakteriologischen Untersuchungsämtern angelegt
wird.
Herr Soltmann bespricht die Beziehungen zwischen Stoma-
kake. Noma, Gingivitis ulcerosa und der in Rede stehenden Affektion.
Herr Bernheim - Karrer : Demonstration von Knochenpräpa¬
raten von Mongolismus.
Herr R i 1 1 e r - Berlin: Myelitis acuta im Säuglings- und Kindes¬
alter.
Ritter bringt seine Anschauungen über die Pathogenese äuf
Grund einer kleinen Kasuistik.
Herr TrumoD - München demonstriert Röntgenogramme über
den Ablauf der Verdauungsvorgänge beim Säugling mit Hilfe der be¬
kannten Wismutmethode.
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin
und Nervenheilkunde.
(Bericht des Schriftführers.)
Gemeinschaftliche Sitzung mit der Vereini¬
gung niederrheinisch - westfälischer Chirur¬
gen am 16. Juni 1907 zu Duisburg.
Vorsitzender : Herr S c h u 1 1 z e - Bonn.
Schriftführer : Herr Laspeyres - Bonn.
(Schluss.)
Herr L e n z m a n n - Duisburg demonstriert einen geheilten, nach
der Methode von D e p a g e operierten Fall von Thorakoplastik.
Herr Cossmann - Duisburg: Ein Beitrag zur operativen
Behandlung der Epilepsie.
C. gibt eine Uebersicht über die gegen die Epilepsie emp¬
fohlenen chirurgischen Massnahmen und betont, dass dieselben
nur dann Hoffnung auf Erfolg bieten, wenn der Status epi-
lepticus des Gehirns noch nicht zur Ausbildung gelangt ist.
Da dieser Zustand nun in den meisten, wenn nicht allen Fällen
von genuiner Epilepsie angeboren und ererbt ist, so erscheint
es verständlich, dass ein grosser Teil der Chirurgen von der
operativen Behandlung der genuinen Epilepsie nichts wissen
will. Friedrich betont demgegenüber, dass doch in einer An¬
zahl von Fällen genuiner Epilepsie eine traumatische Ent¬
stehung nachweisbar sei. Er unterscheidet Fälle mit eindeutig
traumatischer Genese, Fälle mit unsicherer traumatischer
Genese und endlich Fälle mit unwahrscheinlich trau¬
matischer Genese. Von diesem Gesichtswinkel aus be¬
trachtet erscheint doch mancher Fall von sogen, genuiner Epi¬
lepsie angreifbar, namentlich wo Friedrich eine Reihe von
Fällen mitteilt, in denen durch Operation eine erhebliche Bes¬
serung erzielt ist. Bei der Rindenepilepsie dagegen, sowohl
traumatischen wie nichttraumatischen Ursprungs, besteht kein
Zweifel über die Berechtigung operativer Eingriffe. Wenn
Krause dabei die Exzision des krampfenden Zentrums for¬
dert, so ist allerdings über diese Forderung eine Einigung bisher
noch nicht erzielt, da andere Chirurgen, wenn makroskopisch
keine Veränderungen an der Dura nachweisbar sind, sich mit
der einfachen Eröffnung der Schädelhöhle begnügen wollen.
Krause betont demgegenüber, dass er trotz normalen Aus¬
sehens der Dura doch Veränderungen am Gehirn vorfand.
Goss m a n n glaubt, dass es sich bei den Krause sehen Be-
5. November 1907.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2259
fanden um Residuen alter Entzündungsvorgänge handelt und dass
in den Fällen, in denen sich solche nicht nachweisen lassen,
man berechtigt ist die Operation nach Eröffnung der Schadel-
höhle abzubrechen. C o s s m a n n hat nach diesen Gesichts¬
punkten 3 Fälle behandelt, einen 23 jährigen Mann und 2 Kinder
unter 14 Jahren. In jedem Falle hatte ein Trauma den Schädel
betroffen. Die Narben waren allemal verschieblich und nicht
druckempfindlich. Bei der Operation wurde an der Kopf¬
schwarte, an der Schädeldecke und an der Dura nichts Krank¬
haftes bemerkt. Der Erfolg war in allen 3 Fällen ein Auf¬
hören der Krämpfe. Gegenüber der prinzipiellen Förderung
der Rindenexzision bemerkt Cossmann, dass die Operation
dadurch unzweifelhaft erschwert wird, dass die Auffindung des
krampfenden Zentrums nicht leicht ist, da die anatomische
Orientierung oftmals mit ausserordentlichen Schwierigkeiten
zu kämpfen hat, wenn man nicht zur Hemikraniektomie nach
Doyen greifen will, die aber doch einen schweren und wegen
der Diploeblutungen zweifellos einen lebensgefährlichen Ein¬
griff darstellt. Die faradische Reizung erzielt auch nicht immer
eindeutige Resultate. Dann ist die Exzision doch nicht immer
harmlos, da dauernde Paresen nach derselben beobachtet sind.
Und ob die Gehirnnarbe nicht ihrerseits wieder Anlass zur
Epilepsie geben kann, ist auch noch eine offene Frage. Da¬
bei bietet die Rindeiiexzision kaum eine grössere Gewähr für
den Erfolg. Cossmann kommt zu dem Schlüsse, dass, wenn
auch die Rindenexzision zweifellos einen bedeutsamen Fort¬
schritt bedeutet, doch auch des häufigeren durch einfachere
Massnahmen Erfolge erzielt werden können.
Diskussion: Herr K r a b b e 1 - Aachen: Wir sind me im¬
stande, eine Heilung der Epilepsie durch Operation vorauszusagen.
Man hat die verschiedensten Methoden angewandt, blosse 1 repa-
nation, Belassen einer Lücke im Schädel, Exstirpation eines Teiles der
Dura, Exzision der Rinde, Drainage der Seitenmuske ln — mit und
ohne Erfolg. Ich bin in der Lage, über einen Fall zu berichten, den
ich vor 14 oder 15 Jahren operiert habe, der vollständig geheilt ist,
der nach der Operation einen Anfall nicht mehr gehabt hat. Es han¬
delt sich um einen Herrn in den 40 er Jahren, bei dem im letzten
Jahre epileptische Anfälle sich so gehäuft hatten, dass sie zuletzt fast
täglich und dann mehrere Male eintraten. Dabei hatte die geistige
Fähigkeit bedeutend gelitten (Status epilepticus). Es war eine reine
Jackson sehe Epilepsie, die ihren Anfang in den rechten Zehen
nahm. Auf Drängen der Neurologen entschloss ich mich zur Opeia-
tion Als der Kopf rasiert war, zeigte sich auf der linken Seite eine
Narbe; der Entschluss zur Trepanation wurde mir dadurch leichter.
Ich trepanierte nach der W a g n e r sehen Methode; es fand sich nun
eine Verwachsung der Dura mit dem inneren Schädeldach, dieselbe
wurde natürlich gelöst; die Dura zeigte sonst nichts Abnormes: ich
konnte mich nicht entschlossen, die Dura zu öffnen oder gar die Hirn¬
rinde zu exzidieren. Der W a g n e r sehe Lappen wurde zuruck-
geklappt, eine kleine Lücke im Schädel gelassen. Seit der Zeit sind
Anfälle überhaupt nicht mehr aufgetreten, die geistige 1 atigkeit ist
eine absolut normale und rege. Später wurde von dem Vater des
Patienten in Erfahrung gebracht, dass ihm in der Kindheit in der
Schule eine schwere Tafel aut den Kopf gefallen sei; es hatte Be¬
wusstlosigkeit bestanden, Krämpfe waren aber nicht aufgeti eten.
Also in meinem Falle auch eine völlige Heilung ohne Exstirpation
der Hirnrinde.
Herr Dreesmann-Köln: Die Resektion des Nervus
infraorbitalis.
Anschliessend an die Demonstration von 2 Patienten be¬
spricht Redner eine neue Methode der Resektion des Nervus
infraorbitalis. Durch dieselbe wird die vollständige Entfernung
des Nerven aus dem Canalis infraorbitalis erleichtert und ga¬
rantiert und ausserdem jede äussere Narbe vermieden. Eine
Schädigung des Bulbus ist ausgeschlossen. Die Entfernung
des Nerven geschieht vom Antrum Highmori aus. Der Schnitt
wird durch die Schleimhaut oberhalb des Alveolanandes des
Oberkiefers geführt. Stumpf dringt man dann unter Abhebung
des Periost mit dem Elevatorium in die Höhe bis zum Foramen
infraorbitale. Nunmehr wird mit Meissei und Hammer ein
etwa 1,5 qcm grosses Fenster ins Antrum gemacht und zwar
gleich unter dem For. infraorb. Den Nerven nimmt man nun
auf ein stumpfes Häkchen und spaltet unter künstlicher Beleuch¬
tung die Schleimhaut der oberen Wand des Antrums von vorne
nach hinten; nach beiden Seiten vom Schnitt wird die Schleim¬
haut etwas abgeschoben. Mittelst einer Tenette oder H a rt-
m a n n sehen Kürette kann man nun, und zwar vom For infra¬
orbitale anfangend, die untere Wand des Canal, infiaoi a. en
fernen, den man unter Anspannung der Nerven mit Leichtig¬
keit verfolgen kann. So gelingt es unschwer, den Nerven zu
isolieren auf seinem ganzen Wege an der oberen Wand der
Kieferhöhle entlang; sogar bis hinter dieselbe. Den Nerven
kann man nun durch Fassen am hintersten Ende noch ein be¬
trächtliches Stück weiter herausdrehen. Hiermit ist die Opei a-
tion beendet. Weder Naht noch Drainage ist erforderlich. Eine
Infektion des Antrum ist nicht zu befürchten, da das sich
eventuell bildende Sekret sowohl nach der Nase als nach dem
Munde zu abfliessen kann. Das kosmetische. Resultat ist vor¬
züglich, wie man sich an den beiden Fällen, die vor X- resp. X
Jahr operiert worden waren, überzeugen konnte. Beide
Kranke, eine Frau von 71 Jahren und ein Mann von 71 Jahren,
haben bei fieberlosem Verlauf bereits nach wenigen Tagen
das Krankenhaus verlassen können. Sie sind bis heute noch
rezidivfrei, worauf allerdings kein Gewicht gelegt werden
k 3.n n •
Herr B. Auerbach - Köln : Ueber familiäre spastische
Paraparese. (Mit Krankendemonstration.)
Eine ungewöhnliche Form der Knochen-
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. Oktober 1 907 .
Demonstrationen:
Herr R. Mühsam: Zwei Patienten, bei welchen er eine trau¬
matische Radialislähmung durch Freilegung des Nerven und -Giutz
desselben vor Wiederverwachsung mit dem Knochen geheilt hat.
Herr A. Schlesinger: 2 Fälle von bisher nicht beobachtetei
Sehnenluxation, nämlich des M. extensor carp. uin die Sehne gleitet
ibei Supinationsbewegung über die Ulna) und eine solche des M. sen
tendinosus (die Sehne gleitet bei Kontraktion der Rmestiecker nach
medianwärts und .vorne). Beides sind habituelle Luxationen und sind
allmählich ohne nachweisbare 1 raumen entstanden. Im letzterei
Falle wird S. operativ Vorgehen.
Tagesordnung:
Herr Joachimsthal;
""^“demonstriert einen 18 jährigen Patienten mit einer in die
Gruppe der Spätrachitis gehörigen Erkrankung. Der Kranke hat
in der Kindheit in der. gewöhnlichen Zeit das Gehen erlernt und
die ersten Lebensjahre in durchaus normaler Weise verbracht.
Leichte Verkrümmungen der Unterschenkel, die mit 1 .2 Jahien be
merkt wurden, sollen im Alter von 2 Jahren wieder verschwunden ge¬
wesen sein. Der Zahnwechsel hat sich in der normalen Weise voll¬
zogen Im Alter von 12 Jahren erkrankte er unter Darmerscheinungen
und gleichzeitig stellten sich Knochenschmerzen und eine Nei¬
gung der unteren Extremitäten zu Verbiegungen ein. die de
Kranken schliesslich zu jeder Art der Fortbewegung unfähig machtem
Der Kranke zeigte vor 3U Jahren, zur Zeit des Eintritts in die
Beobachtung verhältnismässig geringe Storungen im Beuche von
KoDf und Rumpf (leichte Prominenzen der lunera fiontaha und
par.ictalia, Andeutung eines Rosenkranzes, ' e i c ht e r e c h t ss e ! ti g e ^
lunTbalskolio.se). Die Zähne zeigten normale Gestal und K nsistenz^
An den Gliedmassen bestanden hochgradige Auftreibungen
der Epiphysen, im Bereiche der unteren Extremitäten staike
Verbiegungen, an allen Röhrenknochen Weichheit und starke
Druckempfindlichkeit. Die Skiagramme ergaben : buT? de r
DiaDhvsen zahlreiche Fissuren, Auftreibung der
Knochenschatten, Verschmälerung der Kompakta, an den
jrenzen von Diaphvsen und Epiphysen sehr breite Knorpelzonen
iowie die für Rachitis charakteristischen regelmässigen Gestaltungen
e7 diaohysären und epiphysären Knochengrenzen. Die erwähnten
’issuref betrafen zum Teil auch die Knochen der oberen Gliedmassen,
'“"unter der Darreichung von Phosphor kam es zu einer erheb-
ichen Zunahme der Knochenfestigkeit und zur Wiederherstellung des
uehvermögens.
Herr Böhm: Ueber die Aetiologie der Ruckgratsver-
krümmungen. . o ,oro
Ein Teil der sog. Schulskoliosen, sowie einige andere For¬
men der Rückgratsverkrümmung haben nach B. darin ihren
Grund, dass die Rippen an der Wirbelsäule abnorm -ar^net^
sind, nämlich entweder insgesamt nach oben 0fder ^ach unten
oder nur einseitig so verschoben sind, dass also z. B. die erste
Rippe nicht am 1. Brustwirbel, sondern am 7. Halswirbel
seriert u. dergl. .. ,
Herr Edmund Falk: Zur Umformung der Wirbelsäule
während der fötalen Entwicklung. Ein Beitrag zur Entstehung
der Assimilationsbecken. .. , . Ahnnrmifäten der
Aehnliche in der Entwicklung begründete Abnormitäten üei
unteren Wirbelsäule, die schon intrauterin nachweisbai sind,
2260
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
sind die Ursache gewisser Beckendifformitäten; Belastungs¬
momente, wie man bisher annahm, sind demnach auszu-
schliessen.
Sitzung vom 30. Oktober 1907.
Herr A. Schlesinger demonstriert einen Patienten, welcher
eine Reihe von Trepanationen des Schädels durchzumachen hatte. Ur¬
sprünglich war durch Trauma ein Bruch mit Depression, daran an¬
schliessend ein Hirnabszess entstanden. Die erste Operation brachte
Besserung. Als Krämpfe auftraten und Lumbalpunktion seröse
Flüssigkeit ergab, sowie eine Verschlechterung brachte, wurde noch¬
mals trepaniert und ein subduraler Herd gefunden. Schliesslich wurde
ein drittes Mal operiert, so dass Patient jetzt bei der Vorstellung
einen Defekt von 17: 19 cm aufweist, der plastisch geschlossen
worden ist.
Der Rest des Abends galt dem neuen dreifarbenphotographischen
Verfahren und der Bedeutung desselben für die Medizin. Zunächst
zeigt Herr B e n d a an einer Reihe von Plattenaufnahmen seine Re¬
sultate. Benda arbeitet mit dem Verfahren von L u m i e r e,
welches kurz erläutert wird. Es gelangen dann eine Reihe von Dia¬
positiven zur Demonstration und zwar mikrophotographische Auf¬
nahmen, Photographien von Leichenmaterial, schliesslich Landschaften
und Blumenstücke. Die Farben scheinen dem Referenten doch nicht
so ganz der Natur zu entsprechen, wie Redner es angibt, am besten
erscheinen Landschaften; Blüten zeigen einen unnatürlichen Farben¬
reichtum, im übrigen sind die Farben vom Objekt ersichtlich different.
Herr B i e s a 1 s k i zeigt nach gleicher Methode gemachte Auf¬
nahmen, welche an Technik den vorigen nicht gleichkamen. Ein von
Frl. Hedwig Le der mann gefundenes Dreiplattenverfahren demon¬
strierte in deren Auftrag Herr B u c k y. Es gelingt mit dieser Methode
auch Papierbilder anzufertigen, was nach Lumiere nicht möglich ist,
daher ist für die illustrative Technik von Atlanten u. dergl. ein Fort¬
schritt erzielt. Doch sind die Farben bei weitem nicht so, wie beim
ersten Verfahren.
Herr Kraus hat in der Charite das Verfahren von M i e t h e
ausprobiert und ladet zu einer Demonstration am 7. November nach
der Charite ein. Die Resultate sollen die bisher gezeigten Aufnahmen
übertreffen.
Herr Lassar verspricht sich von diesen farbigen Aufnahmen
viel, besonders für den dermatologischen Unterricht. Auf seiner Klinik
wird ebenfalls mit Miethes Methode gearbeitet.
Fritz Koch.
Verein für innere Medizin zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom21. Oktober 1907.
Herr F. Kraus begrüsst mit he'rzlichen Wor¬
ten den Ehrenpräsidenten und Gründer des
V e r e i n s Exz. v. Leyden, der zwar jetzt von
seinem akademischen Amte ziu rückgetreten
sei, aber nach wie vor der Führer der internen
Medizin Berlins bleibe. Er möge insbeson¬
dere dem Verein auch fernerhin Interesse er¬
halten.
Herr v. Leyden dankt in bewegten Worten
und verspricht, dem Wunsche des Vorsitzen¬
den gerne nachkommen zu wollen.
Tagesordnung:
Herr E. Barth: Ueber die Physiologie der Tonsillen und
die Indikation zu ihrer Abtragung.
Ueber die Physiologie der Tonsillen wissen wir eigent¬
lich nichts, wir können sie nur aus der Gleichheit des Baues
der Tonsillen mit den Lymphdrüsen als eine der Funktion der
Lymphdrüse ähnliche vermuten.
Ihre Abtragung ist dann indiziert, wenn die hyperplasti¬
schen Tonsillen lokale Störungen verursachen.
Diskussion. Herr Langstein, der darauf hinweist, dass
•die Hyperplasie kein lokales Leiden, sondern Teilerscheinung einer
Allgemeinerkrankung der lymphatischen Konstitution sei; sie müsse
denn auch vor allem allgemein behandelt werden. Die Abtragung
geschehe viel zu häufig.
Herr Hans Koh n, der sich gegen die Ansicht des Vortr. wendet,
dass die Bedeutung der Rachentonsille als Eintrittspforte der Meningo¬
kokken unbewiesen